Der Güterichter im Arbeitsrecht [1 ed.] 9783428556656, 9783428156658

Welche Rolle spielt der Richter bei einer alternativen Streitbeilegung? Wie weit darf er sich dafür von seiner tradierte

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German Pages 346 [347] Year 2019

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Der Güterichter im Arbeitsrecht [1 ed.]
 9783428556656, 9783428156658

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 356

Der Güterichter im Arbeitsrecht Von

Anika Sonnenberg

Duncker & Humblot · Berlin

ANIKA SONNENBERG

Der Güterichter im Arbeitsrecht

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn

Band 356

Der Güterichter im Arbeitsrecht

Von

Anika Sonnenberg

Duncker & Humblot · Berlin

Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-15665-8 (Print) ISBN 978-3-428-55665-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85665-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern Friederike und Thomas

Vorwort Diese Arbeit wurde im Juli 2018 von der Bucerius Law School zu Hamburg als Dissertation angenommen. Sie entstand während meiner Zeit am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht sowie während eines Forschungsaufenthalts an der University of Cambridge. Die mündliche Prüfung fand am 13. Dezember 2018 statt. Neuerscheinungen wurden bis Januar 2019 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt Professor Matthias Jacobs, der diese Arbeit betreut und mir bei der Auswahl des Themas sowie bei dessen Ausarbeitung alle nötigen Freiheiten gelassen hat. Für die Aufnahme in diese Schriftenreihe danke ich neben Professor Jacobs auch den Professoren Krause, Krebber, Lobinger, Stoffels und Waltermann. Weiterhin danke ich Professor Hanns Prütting, der das Zweitgutachten in kürzester Zeit erstellt hat. Professor Holger Fleischer, für den ich während der Erstellung dieser Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war, bin ich für die Ausbildung und In­ spiration, die er mir als Mitglied seines Teams hat zuteil werden lassen, verbunden. Gedankt sei ferner dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht sowie der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung, Hamburg, für Zuschüsse zu den Druckkosten. Mein ganz besonderer Dank gilt Johannes Liefke, der diese Arbeit vom ersten Gedanken bis zum letzten Strich mit Wissen und Zuspruch begleitet und mir bei alledem Halt gegeben hat. Zu guter Letzt danke ich meinen Eltern, deren Unterstützung ich mir – nicht allein während der Erstellung dieser Arbeit, sondern während meiner gesamten Ausbildung – jederzeit sicher sein konnte. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, Februar 2019

Anika Sonnenberg

Inhaltsübersicht 1. Teil

Grundlegung – Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens  25

§ 1 Einführung  ............................................................................................................. 25 § 2 Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter  .................................. 31 § 3 Prozessuale Verankerung des Güterichters  ............................................................ 66 § 4 Richterliches Ermessen bei der Verweisung vor den Güterichter  .......................... 82 2. Teil

Analyse – Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter  113

§ 5 Kleines Plädoyer für Kriterienkataloge  ................................................................. 114 § 6 Materielle Verweisungskriterien  ............................................................................ 118 § 7 Formelle Verweisungskriterien  .............................................................................. 179 § 8 Funktionelle Verweisungskriterien  ........................................................................ 202 3. Teil

Zusammenschau – Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung  282

§ 9 Systematisierung der Verweisungskriterien  ........................................................... 282 § 10 Rechtspolitische Handlungsfelder  ......................................................................... 299 § 11 Thesen  .................................................................................................................... 312 Literaturverzeichnis  ........................................................................................................ 317 Stichwortverzeichnis......................................................................................................... 343

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

1. Teil

Grundlegung – Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens  25

§ 1 Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A.

Einordnung in den Stand der Forschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

B. Terminologie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 C.

Forschungsziele und -methodik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

D.

Umgrenzung und Gang der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

§ 2 Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 A.

Ideengeschichte des Gütegedankens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

B.

I. Begriff der Güte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Entwicklungslinien des Gütegedankens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Gütegedanke im Arbeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Ideengeschichte der Mediation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

C.

I. Begriff der Mediation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Entwicklungslinien der Mediation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 III. Abgrenzung der Mediation zu benachbarten Konfliktbeilegungs-­ verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Schlichtungsverfahren .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Schiedsverfahren und -gutachten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 IV. Konvergenz von Mediation und Gütegedanken  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Genese des Güterichters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Erprobungsphase in State Laboratories  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Kodifizierung des Güterichters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Verfahren vor dem Güterichter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Teilnehmer .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Güterichter, Parteien und Dritte  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Anwaltszwang? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Struktureller Ablauf  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3. Verfahrensgrundsätze .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Fehlende Entscheidungsbefugnis und Ergebnisoffenheit  . . . . . 57 c) Vertraulichkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

Inhaltsverzeichnis

12

d) Neutralität, Unabhängigkeit oder Allparteilichkeit?  . . . . . . . . . . 59 e) Informiertheit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4. Konfliktbeilegungstechniken .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 IV. Rechtsrealität des Güterichters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 D. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 § 3 Prozessuale Verankerung des Güterichters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 A.

Weichenstellung durch den Spruchrichter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

B.

Prozessuale Folgen der Verweisung vor den Güterichter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

C.

Dogmatische Einordnung der Güterichteraufgabe  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

I. Güterichteraufgabe als alternative Konfliktbeilegung  . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Güterichteraufgabe als Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Güterichteraufgabe als Rechtsprechung im formellen Sinn  . . . . . . . . 72 2. Güterichteraufgabe als Rechtsprechung im funktionellen Sinn  . . . . 73 3. Güterichteraufgabe als Rechtsprechung im materiellen Sinn  . . . . . . 74 III. Güterichteraufgabe als andere Aufgabe gemäß § 4 Abs. 2 DRiG  . . . . . 78 1. Verwaltungsaufgabe gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 DRiG  .. . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Sonstige richterliche Aufgabe gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 DRiG  . . . . . . 79 D. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 § 4 Richterliches Ermessen bei der Verweisung vor den Güterichter  . . . . . . . . . . . . . 82 A.

Annäherung an den Begriff richterlichen Ermessens  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

B.

I. Legaldefinition?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Sprachlich-grammatisches Grundverständnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 III. Verständnis in der Rechtsprechung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 IV. Verständnis in der Rechtswissenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 V. Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Art und Umfang des Ermessens bei der Verweisung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 I.

Entschließungsermessen bei der Verweisung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Abstrakt: Feststellung eines Ermessensspielraums  . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Konkret: Entschließungsermessen bei § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG  .. 90 II. Auswahlermessen bei der Verweisung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Vorgaben für den Güterichter im Geschäftsverteilungsplan  . . . . . . . . 91 a) Bedeutung des Gebots des gesetzlichen Richters für die Geschäftsverteilung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Anwendbarkeit des Gebots des gesetzlichen Richters auf den Güterichter?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 c) Konsequenzen für den Geschäftsverteilungsplan  . . . . . . . . . . . . 97 d) Vereinbarkeit mit dem Gebot des gesetzlichen Richters  . . . . . . 99 2. Einverständniserfordernis des avisierten Güterichters mit seiner Zuteilung?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Inhaltsverzeichnis

C.

13

a) Erforderlichkeit des Einverständnisses gemäß § 21e GVG  .. . . 100 b) Teleologische Begründbarkeit eines Einverständniserforder­nisses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Ermessensfehler bei der Verweisung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

I. Verwaltungsrechtliche Ermessensfehlerlehre am Arbeitsgericht?  . . . . 103 II. Mögliche Ermessensfehler bei der Verweisungsentscheidung  . . . . . . . . 105 III. Justitiabilität der Verweisungsentscheidung?  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Bedürfnis nach einer Überprüfbarkeit der Verweisung  . . . . . . . . . . . . 105 2. Ausschluss der Überprüfbarkeit analog §§ 172 Abs. 2 SGG, 146 Abs. 2 VwGO?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Überprüfbarkeit mittels einer sofortigen Beschwerde?  . . . . . . . . . . . . 109 a) Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Konkrete Beschwerdemöglichkeit analog § 252 ZPO  . . . . . . . . 110 D. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Teil

Analyse – Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter  113

§ 5 Kleines Plädoyer für Kriterienkataloge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 § 6 Materielle Verweisungskriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 A.

Abstrakte Eignungskriterien für eine Verweisung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I.

B.

Objektive Kriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Dispositionsbefugnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Machtungleichgewicht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Komplexität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4. Unwägbarkeiten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5. Streit- oder Gegenstandswert?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Subjektive Kriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Verhandlungsbereitschaft und Eigenverantwortlichkeit  .. . . . . . . . . . . 131 2. Außerrechtliche Interessen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Emotionalität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4. Überoptimismus  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5. Vertraulichkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Konkrete Eignung arbeitsrechtlicher Konflikte für eine Verweisung  . . . . . . 138 I.

Einsatzmöglichkeiten für den Güterichter im Individualarbeitsrecht  . 139 1. Anbahnung und Begründung eines Arbeitsverhältnisses  .. . . . . . . . . . 139 2. Bestehendes Arbeitsverhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Entgelt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Fehlverhalten und mangelhafte Leistung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

14

Inhaltsverzeichnis c) Diskriminierung, Mobbing und sexuelle Belästigung  . . . . . . . . 142 d) Teilzeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 e) Urlaub .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 f) Veränderung des Aufgabengebiets  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Streitige Beendigung eines Arbeitsverhältnisses  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Nachgang zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses  . . . . . . . . . . . . . 148 5. Zusammenfassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Einsatzmöglichkeiten für den Güterichter im Betriebsverfassungsrecht  149 1. Grundsätze für die Zusammenarbeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Rechtsstreitigkeiten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Statuskonflikte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Freistellung für Schulungs- und Bildungsveranstaltungen  .. . . 153 c) Freistellung von Betriebsratsmitgliedern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 d) Kosten- und Sachaufwand des Betriebsrats  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 aa) Kostentragungspflicht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Sachaufwand im Einzelfall  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 e) Bestehen mitbestimmungsfreier Tatbestände  .. . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Regelungsstreitigkeiten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Vorüberlegungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Konsequenzen aus dem Einigungsstellenverfahren  . . . . . . . 157 bb) Problem der Koppelungsgeschäfte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Soziale Angelegenheiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Bestehen erzwingbarer Mitbestimmungsrechte  .. . . . . . . . . . 160 bb) Regelung mitbestimmungspflichtiger Angelegenheiten  .. . 160 cc) Regelung mitbestimmungsfreier Angelegenheiten  .. . . . . . . 161 c) Technisch-organisatorische Angelegenheiten  . . . . . . . . . . . . . . . . 162 d) Personelle Angelegenheiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Regelung mitbestimmungsfreier Angelegenheiten  .. . . . . . . 162 bb) Allgemeine personelle Maßnahmen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (1) Stellenausschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (2) Auswahlrichtlinien .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 cc) Berufsbildung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 dd) Kündigungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 e) Wirtschaftliche Angelegenheiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Unterrichtungs- und Beratungsanspruch  . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Interessenausgleich .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 cc) Sozialplan .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4. Zusammenfassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 III. Einsatzmöglichkeiten für den Güterichter im Tarifrecht  .. . . . . . . . . . . . . 169 1. Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

Inhaltsverzeichnis

15

2. Rechtsstreitigkeiten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Streitigkeiten über den normativen Teil  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Rechtsgültigkeit von Tarifnormen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) Auslegung normativer Tarifbestimmungen  . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Streitigkeiten über den schuldrechtlichen Teil  . . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Durchführungspflicht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 cc) Auslegung schuldrechtlicher Bestimmungen  . . . . . . . . . . . . . 175 3. Regelungsstreitigkeiten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4. Zusammenfassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 C. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 § 7 Formelle Verweisungskriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 A.

Verzögerung der Verfahrensbeendigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

B.

I. Eintritt einer Verzögerung durch das Güterichterverfahren  . . . . . . . . . . 179 II. Vereinbarkeit mit dem Beschleunigungsgrundsatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Einverständnis der Parteien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 I.

C.

Verweisung während des Gütetermins oder aus der Kammerverhandlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Verweisung vor Beginn des Gütetermins  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Argumente für die Erforderlichkeit des Einverständnisses  .. . . . . . . . 185 2. Würdigung und Ablehnung eines Einverständniserfordernisses  .. . . 188 3. Rückausnahme bei Vorliegen eines wichtigen Grundes  .. . . . . . . . . . . 192 Stellungnahme in der Klageschrift  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 I.

Kleines ABC der Stellungnahme gemäß § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO  . . . . . 193 1. Regelungsgehalt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Verhältnis zu § 15a EGZPO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Auswirkungen der Stellungnahme auf die Verweisungsentscheidung  . 197 1. Angabe der Konfliktgeschichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Angabe von Gründen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Fehlende Angabe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 4. Besonderheit arbeitsrechtlicher Klagefristen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 D. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 § 8 Funktionelle Verweisungskriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 A.

Einführung in die Vergleichsmethodik  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I. Vergleichende Methode  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 II. Komponenten eines Vergleichs  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1. Gütetermin nach § 54 Abs. 1 ArbGG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Vorschlagsrecht nach § 54a ArbGG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Inhaltsverzeichnis

16

B.

III. Vergleichszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Zeitliche Scheidepunkte für die Verfahrenswahl  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Rechtliches Stufenverhältnis zwischen Verweisungs- und Vorschlagsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Rahmenbedingungen der Verfahren im Vergleich  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I.

C.

Zeitliches Potenzial  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1. Bedeutung des Zeitfaktors im Arbeitsrecht  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Zeitliche Kapazitäten im Vergleich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 II. Örtliche Gegebenheiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 III. Methodisches Portfolio  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Methodenfreiheit des Güterichters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Berechtigung des Güterichters zur Entscheidung von Streitfragen  . 219 3. Methodenwahl in einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung  . . . . . 220 IV. Gegenstände der Verhandlungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Vergleich mit dem Gütetermin  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Vergleich mit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung  . . . . . . . . . . . 223 V. Gewährleistung von Vertraulichkeit  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Bedeutung der Vertraulichkeit im Arbeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Vertraulichkeit im Gütetermin  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3. Vertraulichkeit im Güterichterverfahren  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Ausgestaltung der Vertraulichkeit  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Schwachstellen im Schutz der Vertraulichkeit  .. . . . . . . . . . . . . . . 227 c) Ansätze zur Verbesserung der Vertraulichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . 229 4. Vertraulichkeit in einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung  . . . . . 231 VI. Verjährungs- und Ausschlussfristen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 VII. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Leitbild der Parteien im Vergleich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

D.

I. Einfluss auf die Einleitung des Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 II. Einfluss auf die Auswahl des Verfahrensleiters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Einfluss auf die Durchführung des Verfahrens  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 IV. Einfluss auf die Beendigung des Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 V. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Leitbild des Verfahrensleiters im Vergleich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Entscheidungsbefugnis  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Letztentscheidungsbefugnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Anordnung persönlichen Erscheinens  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Weitere Einzelbefugnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Fachliche Qualifikation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 III. Unabhängigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

Inhaltsverzeichnis

E.

17

IV. Haftung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 V. Eingriffe zugunsten der schwächeren Partei  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Materielle Prozessleitungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Gewährung rechtlichen Gehörs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Schutzpflicht aus dem Rechtsstaatsprinzip  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Umstände der Verfahrensbeendigung im Vergleich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

I. Vollstreckbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 II. Festsetzung des Streitwertes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 III. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Kosten des Gütetermins  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Kosten des Güterichterverfahrens  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Kosten im § 54a ArbGG-Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 a) Kostenpositionen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Kostenhilfe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 c) Kostensanktionen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 F. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Teil

Zusammenschau – Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung  282

§ 9 Systematisierung der Verweisungskriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 A.

Darstellung verschiedener Verfahrensauswahlprozesse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 I.

B.

Multi-Door-Courthouse als US-amerikanisches Vorbild  . . . . . . . . . . . . . 283 1. Konzeptionelle Grundlagen des Multi-Door-Courthouse-Modells  . 283 2. Praktische Umsetzung in Washington D. C.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. Praktische Umsetzung in Cambridge, MA  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 II. Prüfung anhand der Konfliktnähe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 III. Zwei- und dreischrittige Prüfraster  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 IV. Ausdifferenzierte Prüfmatrix  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Übertragbarkeit der Auswahlprozesse auf die Verweisung  . . . . . . . . . . . . . . . . 289 I. II. III. IV.

C.

Übertragbarkeit des Multi-Door-Courthouse-Modells  .. . . . . . . . . . . . . . . 289 Übertragbarkeit der Konfliktnähe  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Übertragbarkeit des ausdifferenzierten Prüfrasters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Übertragbarkeit der zwei- und dreischrittigen Prüfraster  .. . . . . . . . . . . . 291 1. Eignungs- und Ausschlussgründe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 2. Grob- und Feinfilter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Eigener Ansatz: Kontextualisierter Dreiklang  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 I.

Kontextualisierung anhand des Zeitpunkts  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

18

Inhaltsverzeichnis 1. Sachgerechte Zeitpunkte für die Verweisung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Relevanz des Zeitpunkts für die Verweisungskriterien  .. . . . . . . . . . . . 296 II. Kontextualisierung anhand der Interdependenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 III. Dreiklang aus materiellen, formellen und funktionellen Kriterien  .. . . 298

§ 10 Rechtspolitische Handlungsfelder  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 A. Lehren aus dem Misserfolg des Adhäsionsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 I. Gründe für den Misserfolg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 II. Lehren für das Güterichterverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Fortbildung der Spruchrichter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Sperrwirkung für Folgeverfahren?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 B. Reformbedarf des Güterichtermodells  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 I. Vertraulichkeit des Güterichterverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 II. Einsatz gerichtlicher Güterichterkoordinatoren  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 III. Gerichts-, instanz- oder rechtswegübergreifender Güterichtereinsatz  . 306 IV. Einführung qualitativer Kontrollmechanismen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 V. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 C. Rechtspolitischer Ausblick  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 § 11 Thesen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Stichwortverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere(r) Ansicht ABl. Amtsblatt Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis ADR Alternative Dispute Resolution a. E. am Ende AEntG Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen a. F. alte Fassung AG Amtsgericht AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AK Alternativkommentar AktO Aktenordnung Alt. Alternative AntidiskriminierungsG Antidiskriminierungsgesetz AnwBl Anwaltsblatt AO Abgabenordnung AP Arbeitsrechtliche Praxis ArbG Arbeitsgericht ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz ArbnErfG Arbeitnehmererfindungsgesetz ArbRB Der Arbeits-Rechts-Berater ARRG-EKD Arbeitsrechtsregelungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland Art. Artikel Aufl. Auflage AuR Arbeit und Recht BAG Bundesarbeitsgericht BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts BaWü Baden-Württemberg BaySchlG Bayerisches Gesetz zur obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung in Zivilsachen und zur Änderung gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften BB Betriebs-Berater BBG Bundesbeamtengesetz BBiG Berufsbildungsgesetz Bd. Band

20

Abkürzungsverzeichnis

BeamtStG Beamtenstatusgesetz Begr. Begründer Beschl. Beschluss BetrAVG Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Alterversorgung BetrVG Betriebsverfassungsgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BJ Betrifft Justiz BLJ Bucerius Law Journal BMJV Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz BORA Berufsordnung der Rechtsanwälte BR Bundesrat BR-Drs. Bundesratsdrucksache BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung BReg Bundesregierung BRD Bundesrepublik Deutschland BSG Bundessozialgericht Bsp. Beispiel(e) BT Bundestag BT-Drs. Bundestagsdrucksache BUrlG Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzw. beziehungsweise ca. circa CCMA Commission for Conciliation, Mediation and Arbitration CPO Civilprozessordnung DAR Deutsches Autorecht DB Der Betrieb DDR Deutsche Demokratische Republik ders. derselbe dies. dieselbe(n) DJT Deutscher Juristentag DRiG Deutsches Richtergesetz DRiZ Deutsche Richterzeitung DStR Deutsches Steuerrecht DVBl Deutsches Verwaltungsblatt EBRG Gesetz über europäische Betriebsräte EFZG Entgeltfortzahlungsgesetz EGZPO Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung Einl. Einleitung EKD Evangelische Kirche in Deutschland

Abkürzungsverzeichnis

EMRK et al. EU EuGH EuGVVO

21

Europäische Menschenrechtskonvention und andere Europäische Union Europäischer Gerichtshof Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen e. V. eingetragener Verein f./ff. folgende FA Fachanwalt Arbeitsrecht FamFG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FG Festgabe FGO Finanzgerichtsordnung Fn. Fußnote(n) FPR Familie, Partnerschaft, Recht FS Festschrift GG Grundgesetz GKG Gerichtskostengesetz GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GS Gedächtnisschrift GüSchlG NRW Gesetz über die Anerkennung von Gütestellen i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung und die obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung in Nordrhein-Westfalen GV. NRW. Gesetzes- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen GVBl. Bayerisches Gesetzes- und Verordnungsblatt GVG Gerichtsverfassungsgesetz HAG Heimarbeitsgesetz Hdb. Handbuch HGB Handelsgesetzbuch HK Handkommentar h. L. herrschende Literaturmeinung h. M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber ICC International Chamber of Commerce i. d. S. in diesem Sinne i. E. im Ergebnis IPR Internationales Privatrecht i. S. d. im Sinne de(r/s) i. S. e. im Sinne eine(r/s) i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit

22

Abkürzungsverzeichnis

JA Juristische Arbeitsblätter JJb Juristen-Jahrbuch JR Juristische Rundschau JuS Juristische Schulung JVEG Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz JVKostO Justizverwaltungskostenordnung JW Juristische Wochenschrift JZ Juristenzeitung KSchG Kündigungsschutzgesetz KV Kostenverzeichnis LAG Landesarbeitsgericht LG Landgericht lit. littera (Buchstabe) LSG Landessozialgericht MarkenG Markengesetz m. a. W. mit anderen Worten MdB Mitglied des Deutschen Bundestages MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MediationsG Mediationsgesetz MiLoG Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns MüArbR Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht m. w. N. mit weiteren Nachweisen NBG Niedersächsisches Beamtengesetz n. F. neue Fassung NJ Neue Justiz NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Nr. Nummer NRV-Info Neue Richtervereinigung e. V. – Info NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-RR Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungs-Report NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-RR Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht – Rechtsprechungs-Report NZM Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht o. J. Ohne Jahresangabe OK Online-Kommentar OLG Oberlandesgericht OpferRRG Opferrechtsreformgesetz Österreichische RZ Österreichische Richterzeitung OVG Oberverwaltungsgericht öZivMediatG Österreichisches Bundesgesetz über Mediation in Zivilrechts­ sachen PartGG Partnerschaftsgesellschaftsgesetz

Abkürzungsverzeichnis

23

PatentG Patentgesetz PFormB Prozessformularhandbuch ProdHG Produkthaftungsgesetz ProstG Prostitutionsgesetz RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RdA Recht der Arbeit RDG Rechtsdienstleistungsgesetz RegE Regierungsentwurf RH Richterhandbuch RIW Recht der internationalen Wirtschaft RL Richtlinie Rn. Randnummer(n) RNotZ Rheinische Notar-Zeitschrift RVG Rechtsanwaltsvergütungsgesetz s./S. siehe/Seite SchiedsVZ Zeitschrift für Schiedsverfahren SchlHA Justizministerialblatt Schleswig-Holstein SchwbG Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft SGb Die Sozialgerichtsbarkeit SGG Sozialgerichtsgesetz Slg. Sammlung sog. sogenannte(r/s) SprAuG Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten SRa Sozialrecht Aktuell SteuK Steuerrecht kurzgefasst StGB Strafgesetzbuch SubvG Gesetz gegen mißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen TVG Tarifvertragsgesetz TzBfG Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge u. a. und andere Urt. Urteil USA Vereinigte Staaten von Amerika v. vom/von Var. Variante v. Chr. vor Christus VG Verwaltungsgericht vgl. vergleiche Vorb. Vorbemerkung VSBG Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen VV Vergütungsverzeichnis VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz

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Abkürzungsverzeichnis

WzS Wege zur Sozialsicherung z. B. zum Beispiel ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zfa Zeitschrift für Arbeitsrecht ZFSP Zeitschrift für Sozialpsychologie ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zit. zitiert ZKM Zeitschrift für Konfliktmanagement ZMediatAusbV Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik zzgl. zuzüglich ZZP Zeitschrift für Zivilprozess

1. Teil

Grundlegung – Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens 1. Teil: Grundlegung – Geschichte und Theorie des Ermessens

„Das brauchen wir nicht!“1 war die einmütige Meinung der Präsidenten der deutschen Landesarbeitsgerichte auf ihrer 73. Konferenz im Mai 2011. Gleichwohl goss der Gesetzgeber den Güterichter wenig später in § 54 Abs. 6 ArbGG und trug damit die alternative Konfliktbeilegung in die Arbeitsgerichte hinein.2 Hatten die Gerichtspräsidenten also Unrecht? Fest steht jedenfalls, dass das deutsche Arbeitsrecht seit jeher Raum für alternative Konfliktbeilegung lässt. Während es sie früher vorwiegend tolerierte, fördert es sie heute zunehmend aktiv. Nicht zuletzt deshalb bilden sich stetig neue Formen der Konfliktbeilegung heraus, welche die vorhandenen Konfliktbeilegungsmöglichkeiten erweitern. Die Einführung des Güterichters war eine von ihnen.

§ 1  Einführung A.  Einordnung in den Stand der Forschung Das Güterichtermodell bietet eine neue Arena, in die sich das lange geführte Gefecht zwischen Befürwortern und Kritikern der alternativen Konfliktbeilegung verlagert hat. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei die Mediation, deren sich Güterichter in aller Regel bedienen.3 In den 1990er Jahren aus den Vereinigten Staaten nach Europa herübergeschwappt ist sie in Deutschland vergleichsweise jung.4 Durch die europäische Mediationsrichtlinie5 und das diese 1 So

Kotzian-Marggraf, ZKM 2012, 123. zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung (MediationsG) i. d. F. v. 21. 07. 2012, BGBl. I S. 1577. 3  Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Abstrakte Eignungskriterien für eine Verweisung, S. 119. 4  Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter, S. 31. 5  Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 05. 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU Nr. L 136, 3 – 8. 2  Gesetz

1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

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umsetzende Mediationsgesetz hat die Mediation hierzulande in den vergangenen Jahren eine Aufwertung erfahren, die auch auf das Arbeitsrecht als eines ihrer vielversprechendsten Anwendungsfelder ausstrahlt.6 Die Figur des Güterichters ist kein Experiment; vielmehr wurden in ihr die seit dem Jahre 2001 durchgeführten Modellprojekte verschiedener Bundesländer kodifiziert.7 Nicht zuletzt deshalb wurde der Güterichter im Schrifttum vielfach als „alter Wein in neuen Schläuchen“ abgeurteilt und ohne vertiefende Befassung beiseite geschoben.8 Damit machte man es sich indes allzu leicht, ist doch vieles, was zu den Modellprojekten der Bundesländer erarbeitet wurde, durch die neuen gesetzlichen Bestimmungen überholt. In der Literatur existieren punktuelle Beiträge und umfangreiche Monographien über die Vorzüge und die Risiken der arbeitsrechtlichen Mediation, insbesondere über die lange umstrittene gerichtsinterne Mediation.9 Demgegenüber thematisieren bislang nur wenige Beiträge die Zwitterstellung des Güterichters, die Besonderheiten seiner Einbindung in das gerichtliche Verfahren sowie die Koordinierung an den Gabelstellen zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Konfliktbeilegung.10 Soweit vorhanden, sind sie primär praxisorientiert und selten auf die Besonderheiten des Arbeitsrechts zugeschnitten. Die hier bestehende Lücke soll die vorliegende Arbeit schließen.

B.  Terminologie Jede wissenschaftliche Arbeit beginnt mit der Klärung der Begriffe, die sie verwendet. Dies ist umso mehr im Bereich der alternativen Konfliktbeilegung 6 

Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Entwicklungslinien der Mediation, S. 36. hierzu unten in dem Abschnitt: Erprobungsphase in State Laboratories, S. 46. 8  In diese Richtung z. B. Diop/Steinbrecher, BB 2012, 3023, 3025 (Zivilrecht); Fritz/ Schroeder, NJW 2014, 1910 (Zivilrecht); Ortloff, NVwZ 2012, 1057 (Verwaltungsrecht). 9  Z. B. Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001; Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003; Ayad, Friede im Betrieb?, 2005; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008; Groth, Mediation im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren, 2017; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016; Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012; Volkmann, Gerichtsinterne Mediation, 2006; Zartmann, Mediation im Arbeitsrecht, 2003. 10  Z. B. Engel/Hornuf, ZZP 124 (2011), 505, 513; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 384 (Sozialrecht); Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 498 ff. 7  Eingehend

§ 1  Einführung

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geboten, bei der es weitenteils an einer Kodifikation fehlt. Nicht zuletzt aus diesem Grund driftet die Terminologie im Schrifttum bisweilen auseinander. Einer der in dieser Arbeit besonders häufig verwendeten Begriffe ist der des Konflikts. Zu ihm finden sich in der Literatur verschiedene, teils mehr und teils weniger ausdifferenzierte Definitionen.11 Für den hiesigen Gebrauch sei festgehalten, dass der Begriff nicht nur den rechtlich fassbaren Teil, sondern auch den dahinterstehenden sozialen Konflikt beschreibt. Durch eine bestimmte Aktion oder Reaktion der Konfliktverarbeitung kann sich ein solcher sozialer Konflikt zu einem Rechtsstreit entwickeln, er muss es aber nicht. Der Begriff der Partei orientiert sich nicht am prozessualen Parteibegriff, sondern an dem des MediationsG. Demnach ist er weit gefasst.12 Am ehesten ähnelt er dem materiellrechtlichen Begriff der Vertragspartei, indes erfasst er nicht allein natürliche und juristische Personen, sondern auch betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungsorgane wie den Betriebsrat. Damit kann er auch für solche Verfahrensordnungen verwendet werden, in denen von Beteiligten die Rede ist, wie dem arbeitsrechtlichen Beschlussverfahren.13 Zugleich erfasst der Begriff der Partei aber auch nur denjenigen, der einen Rechtsstreit betreibt, und nicht den in sonstiger Weise daran mitwirkenden Dritten.14 Um Missverständnissen vorzubeugen sei zudem auf eine Besonderheit für die Begriffe Gütetermin, Güteverhandlung und Güterichterverfahren hingewiesen. Eine Güteverhandlung i. S. d. § 54 ArbGG kann nach Abs. 1 vor dem Spruchrichter oder nach Abs. 6 vor dem Güterichter stattfinden. Um beide Verhandlungen sprachlich deutlich voneinander abzugrenzen, bezeichnet die Arbeit das Verfahren nach Abs. 6 fortan als Güterichterverfahren und das in Abs. 1 beschriebene als Gütetermin. Der Begriff der Mediation, der Begriff des § 54a ArbGG-Verfahrens und der Begriff der Verweisung werden in den jeweiligen Abschnitten erläutert.15

11 Eingehend Glasl, Konfliktmanagement, 2013, S. 13 ff.; ferner Breidenbach, Mediation, 1995, S. 5; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 18 (Sozialrecht). 12  Statt vieler Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 1 MediationsG Rn. 9. 13  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 13, BR-Drs. 60/11, S. 18. 14  Ähnlich zu dem Parteibegriff im MediationsG Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, B § 1 MediationsG Rn. 61. 15 Eingehend hierzu unten in den Abschnitten: Begriff der Mediation, S. 35, Vorschlagsrecht nach § 54a ArbGG, S. 207, sowie Prozessuale Folgen der Verweisung vor den Güterichter, S. 67.

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C.  Forschungsziele und -methodik Der heilige Gral der alternativen Konfliktbeilegung ist letztlich eine differenzierte Konfliktbehandlung. Um einen Beitrag zu seiner Suche zu leisten, wird die Untersuchung aufzeigen, wie sich der Güterichter als neue Form der Konfliktbehandlung in das arbeitsgerichtliche Verfahren einfügt und wie sich sein Zusammenspiel mit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 54a ArbGG gestaltet. Zwar mag die Rechtspraxis Wege gefunden haben, mit dem Güterichter zu verfahren, indem sie ihn von vielen prozessualen Zwängen freistellt. Die vorliegende Arbeit fußt jedoch auf der Annahme, dass Dogmatik auch im Bereich der – traditionell eher rechtsfernen – Konfliktbeilegung nicht vernachlässigt werden darf.16 Die dogmatische Aufarbeitung des Güterichters ist bislang aber zu kurz gekommen.17 Zu ihr möchte diese Arbeit nun einen Beitrag leisten. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der Güterichter vor dem Hintergrund der arbeitsrechtlichen Strukturen und Wertungen zunächst dogmatisch aufgearbeitet. Bei Bedarf greift die Arbeit auch auf Ideen und Erkenntnisse zu dem Güterichtermodell anderer Gerichtsbarkeiten zurück. Im Fußnotenapparat macht sie den Rechtsbereich, in dem der Güterichter in der jeweiligen Fundstelle beleuchtet wird, durch Klammerzusätze kenntlich. Auch Dogmatik hat aber ihre Grenzen. Insgesamt ist im Schrifttum zur alternativen Konfliktbeilegung daher ein Trend hin zur Interdisziplinarität zu beobachten, dem sich auch diese Arbeit nicht verschließen will. Neben der rechtswissenschaftlichen Komponente macht sie deshalb Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Mediations- und Konfliktbeilegungsforschung, der Psychologie, der Ökonomie und der Kommunikationswissenschaft fruchtbar.18 Im Übrigen versucht sie, die Rechtspraxis zu reflektieren und Zusammenhänge aufzuzeigen. Hierfür wird die Betrachtung durch rechtstatsächliche Befunde abgerundet, die aus den Abschlussberichten verschiedener Modellprojekte und der Evaluation des Güterichtermodells gewonnen werden.19

D.  Umgrenzung und Gang der Untersuchung Die Untersuchung ist auf Streitigkeiten aus den Rechtsverhältnissen des Arbeitsrechts begrenzt. Hierfür gaben verschiedene Gründe den Ausschlag: Zum 16 

Stürner, ZZP 127 (2014), 271, 316 ff.; Walter, ZZP 103 (1990), 141. So auch Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 383 (Sozialrecht). 18  Hoffmann-Riem, JZ 2007, 645, 648; Schmitt, Güteverhandlung, 2014, S. 5. 19  Auflistung aller Modellprojekte unten in dem Abschnitt: Erprobungsphase in State Laboratories, S. 46; Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017. 17 

§ 1  Einführung

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einen werden dem Güterichter im Arbeitsrecht höhere Erfolgsaussichten als in anderen Rechtsbereichen zugeschrieben. Stärker noch als das zivilgerichtliche ist das arbeitsgerichtliche Verfahren auf eine gütliche Einigung ausgerichtet.20 Seien es die arbeitsrechtlichen Klage- und Ausschlussfristen, aufgrund derer für vorgerichtliche Verhandlungen wenig Zeit verbleibt, oder der Umstand, dass Arbeitsvertragsparteien, Betriebs- und Tarifpartner nach einem Konflikt oft weiter miteinander arbeiten müssen – vor den Arbeitsgerichten findet man eine vergleichsweise hohe Zahl an Anknüpfungspunkten für eine alternative Konfliktbeilegung. Zum anderen treten im Arbeitsrecht viele der rechtlichen und tatsächlichen Probleme, die mit dem Güterichter einhergehen, besonders hervor. Diese Probleme sind keine strukturellen Spezifika einer kleinen Gerichtsbarkeit am Rande des Systems, sondern entsprechen denen des Zivilprozesses in weiten Teilen; das Arbeitsrecht fungiert insofern als ihr Vergrößerungsglas. Neben dem Rechtsbereich wird der Untersuchungsgegenstand auch perspektivisch eingegrenzt. Als Perspektive, aus der Fragen gestellt und beantwortet werden, wird diejenige der Parteien erwählt. Ihre Verfahrensautonomie soll abgesteckt und die Vor- und Nachteile eines Güterichterverfahrens für sie sollen herausgearbeitet werden. Eine nicht sachgerechte Entscheidung mag zwar darüber hinaus auch zu einer wenig verfahrensökonomischen Zusatzbelastung für den Justizapparat führen. Die Motivlage des Gerichts und die der Öffentlichkeit bleiben aber weitgehend außer Betracht. Der Gang der Untersuchung beginnt mit einem Grundlagenteil. Darin stellt die Arbeit eingangs die Entstehungsgeschichte des Güterichters einschließlich seiner ideengeschichtlichen Wurzeln dar und beleuchtet seine heutige prozessuale Verankerung (§ 2). Sodann verortet sie die Güterichteraufgabe dogmatisch und untersucht, inwieweit sie im Geschäftsverteilungsplan geregelt werden muss (§ 3). Inzident wird dabei an mehreren Stellen darauf eingegangen, welche Justizverfahrensrechte den Parteien vor dem Güterichter zustehen. Komplettiert wird der Grundlagenteil durch Ausführungen zum richterlichen Verfahrensermessen (§ 4). Hierbei knüpft die Arbeit an die für den Güterichter zentrale Rechtsnorm § 54 Abs. 6 ArbGG an, deren wenige Regelungen eine Reihe von Fragen aufwerfen. So besagt die Norm, dass der Spruchrichter die Parteien für die Güteverhandlung sowie deren Fortsetzung vor einen hierfür bestimmten und nicht entscheidungsbefugten Richter verweisen kann. Hierdurch spricht sie dem Spruchrichter, wie gezeigt werden wird, einen Ermessensspielraum zu. Wie dieses Ermessen auszuüben ist, welche Fehler dem Spruchrichter bei der Ermessensausübung unterlaufen können und inwieweit diese gerichtlich überprüfbar sind, bleibt im Gesetz jedoch offen – und an eben dieser Stelle hakt die Arbeit ein.

20 

Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Rechtsrealität des Güterichters, S. 61.

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

Im Zuge des zweiten Teils der Arbeit wird ein Kriterienkatalog entwickelt, anhand dessen der Spruchrichter beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, einen Güterichter in einen arbeitsrechtlichen Konflikt einzubeziehen (§ 5). Dabei sucht die Arbeit zunächst nach materiell-abstrakten Eignungskriterien, ehe sie die konkrete Eignung verschiedener arbeitsrechtlicher Konflikte für ein Güterichterverfahren erörtert (§ 6). Anschließend widmet sie sich formellen Kriterien wie der Frage, ob eine Verweisung das Einverständnis der Parteien voraussetzt und ob sie die Verfahrensbeendigung verzögert (§ 7). Zuletzt werden die Unterschiede des Güterichterverfahrens zu anderen, alternativen Verfahrenswegen extrapoliert und einander gegenübergestellt (§ 8). Inzident wird dabei das rechtliche Korsett des Güterichters unter die Lupe genommen: Zu welchem Zeitpunkt kann ein Güterichterverfahren eingeleitet werden? Welcher Methoden darf sich der Güterichter bei der Konfliktbeilegung im Einzelnen bedienen? Welche Rolle spielt das Recht in einem Güterichterverfahren, wie viel kostet das Verfahren und wie ist es in ihm um die Vertraulichkeit bestellt? Darf ein Güterichter das persönliche Erscheinen anordnen, Versäumnisurteile erlassen, prozessuale Fristen verlängern, Prozesskostenhilfe bewilligen, die Prozessakten einsehen und vollstreckbare Vergleiche protokollieren? Ist er richterlich unabhängig, wie haftet er und inwieweit darf oder muss er zum Schutz der schwächeren Partei in die Verhandlungen eingreifen? Im dritten und letzten Teil werden die erarbeiteten Kriterien systematisiert und in ein Konzept überführt (§ 9). Dabei wird Anleihe bei US-amerikanischen Modellen genommen, die darauf abzielen, unter einer Vielzahl möglicher Konfliktbeilegungsverfahren das im Einzelfall sachgerechte herauszuarbeiten. Die Arbeit schließt damit, Schlaglichter auf einige Möglichkeiten zur Optimierung des Güterichtermodells zu werfen und dem Gesetzgeber potentielle Handlungsfelder aufzuzeigen (§ 10). Zu guter Letzt werden die wichtigsten Erkenntnisse der gesamten Arbeit als Thesen formuliert (§ 11).

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

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§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter Bei dem Güterichter handelt es sich um keine schlichte Modeerscheinung. Zwar existiert die Figur in ihrem derzeitigen Rechtskleid erst seit dem Jahre 2012. Der dem Güterichter zugrunde liegende Diskurs „Schlichten oder Richten?“ begleitet die Rechtswissenschaft jedoch im Grunde schon seit Jahrhunderten.1 Konkret lassen sich die Wurzeln des Güterichters über zwei ideengeschichtliche Stränge zurückverfolgen. Diese Stränge sind zum einen der Gütegedanke und zum anderen die Mediation.

A.  Ideengeschichte des Gütegedankens Zunächst nimmt die Arbeit den Gütegedanken als einen der ideengeschichtlichen Stränge des Güterichterverfahrens in den Blick. I.  Begriff der Güte Schon der Begriff der Güte wirft erste Schwierigkeiten auf. Der Duden beschreibt ihn als freundlich-nachsichtige Einstellung gegenüber jemandem.2 Etymologisch wird Güte häufig in einem Atemzug mit Freundlichkeit, Friedlichkeit, Großherzigkeit und Nachsicht genannt, mit Sühne wird sie gar gleichgesetzt.3 Die emotionale Konnotation dieses Begriffskreises soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, welch hohe prozessuale Bedeutung dem Gütegedanken von jeher zugekommen ist.4 Seine Bedeutung schlug sich zunächst in der Gestalt eines allgemeinen Rechtsprinzips nieder. Schließlich wurde er sogar in eigenständige Konfliktbeilegungsverfahren gegossen. II.  Entwicklungslinien des Gütegedankens Historisch lässt sich der Gütegedanke auf die germanischen Wurzeln unserer Rechtsordnung zurückführen, die weit weniger vom Streitgedanken geprägt

1 

Statt vieler Prütting, JZ 1985, 261; Stürner, JR 1979, 133 (Zivilrecht). Duden, 2007, Stichwort Güte. 3  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 9; Strempel, in: GS Meurer, 2002, S. 347, 348. 4  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 7 ff.; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 28 (Sozialrecht). 2 

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waren als die römisch-kanonischen.5 Über die vergangenen Jahrhunderte schimmerte der Gütegedanke immer wieder an verschiedenen Stellen im Recht durch. Im Jahre 594/3 v. Chr. wählten die Bürger Athens Solon zu ihrem Vermittler, um einen Bürgerkrieg abzuwenden.6 Im 12. Jahrhundert etablierte der Sachsenspiegel verschiedene Formen der außergerichtlichen Konfliktbeilegung, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichten.7 Zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs entsandte Papst Urban VIII. einen Vermittler zu den Verhandlungen zum westfälischen Frieden.8 Im Jahre 1654 wurde § 110 des Jüngsten Reichsabschieds erlassen, der Ausführungen zu der Vergleichstätigkeit durch einen Richter enthielt.9 1748 wurde der Gütegedanke im Codex Fridericianus Marchicus verschriftlicht,10 1753 im Codex Juris Bavarici Judiciarii,11 1793 in 5  Düll, Gütegedanke im römischen Zivilprozessrecht, 1931; Strempel, in: GS Meurer, 2002, S. 347, 349 f. 6  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 10; eingehend Duss-von Werdt, homo mediator, 2005, S. 24 ff.; ferner Gullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 9; Hehn, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 2 Rn. 12; Pielsticker, in: Fritz/ Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, Einl. Rn. 2. 7 Eingehend Kannowski, Umgestaltung des Sachsenspiegelrechts, 2007, S. 165 f.; ferner Jänicke, Wirtschaftsmediation, 2014, S. 83. 8  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 10; eingehend Duss-von Werdt, homo mediator, 2005, S. 44 ff.; ferner Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 20 (Zivilrecht); Gullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 9; Hehn, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 2 Rn. 13 f.; Pielsticker, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, Einl. Rn. 3. 9  Abschied des Reichstags zu Regensburg i. d. F. v. 17. 05. 1654, Nr. 200. (173), § 110: „Zweytens solle der Richter erster Instanz die Parteyen in zweiffelhafften Sachen nicht allein vor angefangenem Recht-Stand und litis contestation, sondern auch in quacunque parte Iudicii durch alle dienliche Mittel und Weg, auch schiedliche Erinnerungen in Güte von einander zu setzen und hierdurch alle weitläufftige kostspaltige Rechtsfertigung zu verhüten sich befleissen, jedoch ehe dann er die Güte den Parteyen vorschlägt, vorhero in den Sachen sich wohl informiren und sein Absehen bey diesen gütlichen Vergleichen dahin jederzeit sorgfältiglich stellen, damit die eine öffentlich ungerechte Sach führende Partey zu demselben nicht gelassen, noch der rechthabende Theil damit beschwert, noch auch die Justitz wider des andern Theils Willen verzogen werde“, abrufbar im Internet unter drwwww.adw.uniheidelberg.de. 10  Codex Fridericianus Marchicus, 1748, Vierter Theil, Tit. I., S. 421 § 7: „Wir haben auch […] wahrgenommen, daß die Güthe niemals gehörig versucht, oder der behörige Ernst darbey gebraucht worden, wodurch sonderlich im Anfange, viele Processe hätten vermieden werden können“, abrufbar im Internet unter koeblergerhard.de. 11  Codex iuris bavarici iudiciarii, 1754, Kapitel 17, § 1: „Thun nicht nur die Partheyen wohl und gut, wenn sie sich entweder vor oder nach entstandenen Proceß selbst miteinander in Güte verstehen, sondern es liegt auch jeder Obrigkeit ob, in Sachen, welche geringschätzig, oder dunkel, und zweifelhaft seynd, […] all möglichen Fleiß anzuwenden, damit der Streit in Güte beygelegt werde“, abrufbar im Internet unter bavarica.digitale-sammlungen.de.

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

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der Allgemeinen Gerichtsordnung für preußische Staaten12 und 1877 schließlich auch in der Civilprozeßordnung.13 Außerhalb des geschriebenen Rechts eroberte der Gütegedanke ebenfalls schrittweise seinen Platz im Bewusstsein der Bevölkerung: In Goethes 1809 erschienenem Roman Wahlverwandschaften wird die Figur des Geistlichen dahingehend beschrieben, „dass er alle Streitigkeiten, sowohl die häuslichen, als die nachbarlichen, […] zu stillen und schlichten wusste. So lange er im Dienst war, hatte sich kein Ehepaar scheiden lassen. [Er lebte nach dem Prinzip,] in keinem Haus zu verweilen, wo nichts zu schlichten und nichts zu helfen wäre“.14 Im 20. Jahrhundert verstärkte sich sodann auch vor den Gerichten die Suche nach Alternativen zur Streitentscheidung.15 Man forderte von der Richterschaft neben der Rechtsdurchsetzung auch die Rechtsfriedensstiftung; die Richter sollten beide Ziele im Einzelfall in einen schonenden Ausgleich bringen.16 Während des ersten Weltkrieges wurde der Gütegedanke sodann von prominenten Rechtswissenschaftlern wie Radbruch und der im Jahre 1915 ins Leben gerufenen Vereinigung der Freunde des Güteverfahrens vorangetrieben.17 Sie stießen eine Diskussion um die Rolle der Güte im Zivilprozessrecht an, die 1924 in den Erlass des § 495a ZPO a. F. zum ersten obligatorischen Güteverfahren vor dem Amtsrichter mündete.18 Die mit der Neuregelung verbundenen Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht, und so wurde die Norm wenige Jahre später wieder außer Kraft ge12  Einleitung der Allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten i. d. F. v. 06. 07. 1793, § 22: „Auch bei der zweckmäßigsten Behandlung bleiben Prozesse, wegen des nachtheiligen Einflusses, welchen sie nicht nur auf die Glücksumstände, sondern auch auf den sittlichen Charakter der Parteien haben können, stets ein in der bürgerlichen Gesellschaft möglichst zu vermeidendes Uebel. Der Richter muß sich daher bemühen, die entstehenden Prozesse durch gütliches Uebereinkommen beizulegen“, abrufbar im Internet unter koeblergerhard.de. 13  Civilprozeßordnung (CPO) i. d. F. v. 30. 01. 1877, § 268: „Das Gericht kann in jeder Lage des Rechtsstreits die gütliche Beilegung desselben oder einzelner Streitpunkte versuchen oder die Parteien zum Zwecke des Sühneversuchs vor einen beauftragten oder ersuchten Richter verweisen. Zum Zwecke des Sühneversuchs kann das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet werden“. 14  Goethe, Wahlverwandschaften, 1809, S. 36 f. 15  Kahn-Freund, JW 1930, 388, 390. 16  Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 32, 35 (Sozialrecht). 17  Radbruch, in: Kaufmann (Hrsg./Bearb.), Rechtsphilosophie, 1987, S. 430 ff.; dazu Breidenbach, Mediation, 1995, S. 9; Schuster, in: Alternativen in der Ziviljustiz, 1982, S. 189, 190 (Zivilrecht); Strempel, in: GS Meurer, 2002, S. 347, 351. 18 Verordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, i. d. F. v. 13. 02. 1924, RGBl. I S. 135 (sog. Emminger-Novelle); dazu Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 55; Breidenbach, Mediation, 1995, S. 9; Greger, in: FG Volkommer, 2006, S. 3, 7; Jenkel, Streitschlichtungsversuch, 2002, S. 64 ff. (Zivilrecht); Prütting, in: 62. DJT 1998, O12 f. (Zivilrecht); Schuster, in: Alternativen in der Ziviljustiz,

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

setzt.19 Ein im Scheidungsrecht geregelter Sühneversuch überdauerte immerhin bis in das Jahr 1976.20 Nach weiteren Rückschlägen während der Zeit des Nationalsozialismus und in den Nachkriegsjahren verankerte der Bundesgesetzgeber mit § 278 ZPO erst im Jahre 2002 wieder einen obligatorischen Gütetermin im Verfahrensrecht.21 Mit dieser Norm, die im Gegensatz zu ihren Vorgängern in der Rechtspraxis auch tatsächlich gelebt wird, gelang es dem Gesetzgeber schließlich, die Bedeutung des Gütegedankens im Verfahrensrecht nachhaltig zu akzentuieren. Im Jahre 1999 wurde zudem ein Gesetz zur Förderung der außergerichtlichen Konfliktbeilegung verabschiedet und die vorgerichtliche obligatorische Konfliktbeilegung für bestimmte Fallgruppen in § 15a EGZPO geregelt.22 III.  Gütegedanke im Arbeitsrecht Im Arbeitsrecht verlief die Entwicklung des Gütegedankens im 20. Jahrhundert weniger holperig als im Zivilprozess. Der arbeitsrechtliche Gütetermin, der noch heute als integraler Verfahrensbestandteil am Beginn des Prozesses steht, hat seinen Ursprung bereits im Jahre 1806 in dem Verfahren des in Lyon errichteten Rates der Gewerbesachverständigen, dem Conseil de prud’hommes.23 Seit Einführung des Arbeitsgerichtsgesetzes im Jahre 1926 ist der obligatorische Gütetermin dem Urteilsverfahren in § 54 Abs. 1 ArbGG vorangestellt, für das Beschlussverfahren ist er gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 ArbGG fakultativ. Aus der arbeitsgerichtlichen Praxis ist er heute kaum wegzudenken. Stellt man die frühe arbeitsrechtliche Entwicklung des Gütegedankens und seine praktischen Erfolge der im Zivilprozess gegenüber, liegt auf der Hand, welch große Hoffnungen gerade im Arbeitsrecht in den Güterichter gesetzt wurden.

1982, S. 189, 190 (Zivilrecht); Strempel, in: GS Meurer, 2002, S. 347, 351; Weiß, in: FS Rolland, 1999, S. 395, 397 (Zivilrecht). 19  Greger, in: FG Volkommer, 2006, S. 3, 7; Jänicke, Wirtschaftsmediation, 2014, S. 91 f.; Prütting, in: 62. DJT 1998, O13 (Zivilrecht); Schuster, in: Alternativen in der Ziviljustiz, 1982, S. 189, 192 f. (Zivilrecht); Weiß, in: FS Rolland, 1999, S. 395, 397 (Zivilrecht). 20 §§ 608 ff. ZPO a. F.; dazu Breidenbach, Mediation, 1995, S. 132; Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 30. 21  Strempel, in: GS Meurer, 2002, S. 347, 352 f.; krit. Prütting, in: Rauscher/Wax/ Wenzel (Hrsg.), MüKo ZPO, 3. Aufl. 2008, § 278 ZPO Rn. 29 ff. (Zivilrecht). 22  I. d. F. v. 15. 12. 1999, BGBl. I S. 2400; näher dazu unten in dem Abschnitt: Verhältnis zu § 15a EGZPO, S. 195. 23  Stahlhacke, in: FS Arbeitsgerichtsverband, 1994, S. 59, 61 ff.

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B.  Ideengeschichte der Mediation Bei dem zweiten ideengeschichtlichen Strang hin zum Güterichter handelt es sich um die Mediation. I.  Begriff der Mediation Um den Begriff der Mediation ranken sich zahlreiche Missverständnisse. Für die weitere Untersuchung ist es deshalb unerlässlich, Mediation zunächst zu definieren. Wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt bedeutet Mediation Vermittlung.24 In den vergangenen Jahren hat sie sich von einzelnen Verfahrenscharakteristika zu einem eigenständigen Verfahrenstypus entwickelt.25 Seit dem Jahre 2012 ist sie in § 1 Abs. 1 MediationsG definiert. Danach verbirgt sich hinter der Mediation ein strukturiertes, vertrauliches Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben.26 In einem Atemzug mit der Schiedsgerichtsbarkeit und der Lehre vom Verhandeln genannt wird die Mediation häufig als eine der drei Säulen der alternativen Konfliktbeilegung kategorisiert.27 Nicht nur im englischsprachigen Raum firmieren die drei unter dem Akronym ADR, unter dem man wahlweise Alternative Dispute Resolution oder Appropriate Dispute Resolution versteht.28 Entsprechend unscharf ist es, dass § 54 Abs. 6 ArbGG impliziert, bei einer Mediation handele es sich um eine Methode statt um ein eigenständiges Verfahren. Die Definition in § 1 Abs. 1 MediationsG ist vom Gesetzgeber bewusst weit gehalten, zumal sich stetig neue Mediationsmodelle und Stilrichtungen entwi24  Etymologisch bietet sich als Alternative zum lateinischen mediatio (= Vermittlung) auch medius (= dazwischenliegend) an, oder das griechische medos (= vermittelnd, unparteiisch), dazu RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 10; Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 25; Haft, Verhandlung und Mediation, 2000, S. 244; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 16; Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 233. 25  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 13; Kortstock, in: Nipperdey Lexikon ArbR, 2014, Stichwort Mediation; einschränkend Greger, demzufolge Mediation in erster Linie eine Methode sei, der Begriff aber auch als Verfahrensbezeichnung verwendet werde, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 115; ähnlich Hess, der ausführt, hinter dem Begriff verberge sich weniger ein Verfahren, als vielmehr eine Vielzahl an Techniken, in: 67. DJT 2008, F10. 26  Art. 3 RL 2008/52/EG; rechtsvergleichend Steffek, ZEuP 2013, 528, 532 (Zivilrecht). 27  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 5; Haft, BB 1998, Beilage 10, S. 15; ders., Verhandlung und Mediation, 2000, S. 243; Lembke, RdA 2000, 223, 230; ders., Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 27. 28  Weiterführend zu anderen ADR-Verfahren Risse, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 35 Rn. 96 ff.

1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

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ckeln.29 Der Kern der Mediation bleibt durch seine Weite – insoweit dem einst rechtsfernen Naturell der Mediation entsprechend – den Parteien überantwortet. Dafür wird billigend in Kauf genommen, dass der Begriff an Konturenschärfe verliert. Ein festes Leitbild, was unter einer Mediation zu verstehen ist, existiert nicht einmal innerhalb der Mediationswissenschaft.30 Aus alledem resultiert Unsicherheit beim Umgang mit dem Begriff der Mediation. Mediationsverfahren treten in verschiedenen Erscheinungsformen auf, von denen drei im Zusammenhang mit dem Güterichter besonders zu erwähnen sind: die außergerichtliche, die gerichtsinterne und die gerichtsnahe Mediation.31 Die Unterscheidung zwischen diesen drei Ausformungen richtet sich nach ihrem jeweiligen Verhältnis zu dem gerichtlichen Verfahren. Wenn eine Mediation eingeleitet wird, ehe ein Gericht mit dem Konflikt befasst worden ist, dann bezeichnet man sie als außer- oder als vorgerichtliche Mediation. Wird sie im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eingesetzt und durch das Gericht geleitet, dann bezeichnet man sie als gerichtsinterne Mediation. Des Weiteren kann eine Mediation gemäß § 54a ArbGG auf Vorschlag des Gerichts bei einem außergerichtlichen Mediator durchgeführt werden; wegen ihres eher losen Bezugs zum Gerichtsverfahren wird sie in dieser Konstellation als gerichtsnah bezeichnet. Ferner lässt sich eine Mediation anhand ihrer Stilrichtung kategorisieren. Wie angeklungen belässt eine Mediation den an ihr Beteiligten Freiraum. Innerhalb dieses Freiraums fassen Mediatoren die eigene Aufgabe unterschiedlich auf.32 Manche gerieren sich aktiver, während andere die Rolle passiver ausfüllen. Manche evaluieren den Konflikt von selbst, andere nur auf den ausdrücklichen Wunsch der Parteien hin, und wieder andere enthalten sich strikt jeder eigenen Stellungnahme. Die einen führen Einzelgespräche, die anderen lehnen sie ab. II.  Entwicklungslinien der Mediation Ähnlich wie der Gütegedanke blickt auch die Mediation auf eine lange Tradition zurück.33 Noch bevor Recht in geschriebener Form existierte, wurde die ihr zugrunde liegende Vermittlung eingesetzt, um Konflikte zu lösen.34 Über 29 

Unberath, ZKM 2012, 12, 13. So auch Hess, ZZP 124 (2011), 137, 150 f. (Zivilrecht). 31  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 1. 32  Duss-von Werdt, Ponschab und Hösl, jeweils in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, §§  10 – 12. 33  Hehn, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 2 Rn. 2 ff.; Pielsticker, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, Einl. Rn. 1 ff. 34 RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 10; Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 30; Hehn, in: Haft/Schlieffen 30 

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

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die Jahre hat sich die Mediation von einem gesellschaftsautonomen Instrument zur Konfliktregulierung hin zu einem Instrument der Gerichte gewandelt. Diese Entwicklung ist keineswegs selbstverständlich, leitete die Mediation ihre Legitimation doch ursprünglich aus der Idee ab, eine Alternative zur rechtlichen Konfliktlösung zu bieten.35 Dagegen verfolgt der Gesetzgeber durch sie vorwiegend wirtschaftliche Ziele, wie man der Begründung des RegE zum MediationsG entnehmen kann.36 Die Suche nach dem für die Parteien optimalen Verfahren war aus Sicht des Gesetzgebers danach eher ein Nebenschauplatz. Ihre heutige, professionalisierte Gestalt hat die Mediation zu Beginn der 1960er Jahre in den Vereinigten Staaten erhalten.37 Sie fußt auf verschiedenen wissenschaftlichen Konzepten; eines der prägendsten unter ihnen entwickelten Roger Fisher und William Ury mit ihren Techniken zum kooperativen Verhandeln, dem sog. Harvard-Konzept.38 Unter dem Eindruck der Bürgerrechtsbewegung und der Vietnamkriegsproteste in den Vereinigten Staaten bald erfolgreich etabliert, schwappte die Mediation jedoch erst in den 1990er Jahren nach Deutschland herüber.39 Hierzulande tat man sich mit ihrer Rezeption schwer, und so verebbte die anfängliche Euphorie schnell wieder. Allenfalls in familien-, nachbar- und

(Hrsg.), Mediation, 2016, § 2 Rn. 3; Kraft, Mediation statt Gericht?, 2001, S. 4; Strempel, in: GS Meurer, 2002, S. 347. 35  Hess, in: 67. DJT 2008, F12. 36  RegE Gesetz zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung BT-Drs. 14/980, S. 5. 37  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 10; Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 31; Breidenbach, Mediation, 1995, S. 11; Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 7 f.; Gullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 9; Hehn, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 2 Rn. 2, 33 ff.; Hess, ZZP 124 (2011), 137; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 22; Koch, in: FS Schlosser, 2005, S. 399; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, S. 31 ff.; Münch, in: Bitburger Gespräche, 2008, S. 179, 188 f. (Zivilrecht); Risse, NJW 2000, 1614; Strempel, in: GS Meurer, 2002, S. 347, 348. 38  Nach dem Harvard-Konzept basieren erfolgreiche Verhandlungen auf vier grundlegenden Prinzipien: 1) Trennung von Person und Problem, 2) Trennung von Position und Interesse, 3) Entwicklung möglichst vieler unbewerteter Lösungsoptionen, 4) Entscheidung auf Basis objektiver Kriterien, grundlegend Fisher/Ury, Getting to Yes, 1981. 39  Übersicht bei Trenczek et al., in: Trenczek et al. (Hrsg.), 2017, S. 64 ff.; ferner A ­ lbrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 31; Gottwald, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 7 Rn. 90; Hoffmann-Riem, in: FS Blankenburg, 1998, S. 649 ff.; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 4 ff.; Prütting, JZ 1985, 261, 262 ff.; Strempel, in: GS Meurer, 2002, S. 347, 348; zu den Ursachen der verzögerten Rezeption in Deutschland Barona Vilar, in: FS Stürner, 2013, S. 1407, 1410 f.; Gottwald, BJ 1999, 117, 118; Lubet, Ohio State Journal on Dispute Resolution 4 (1989), 235 (USA).

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arbeitsrechtlichen Konflikten setzte man Mediationsverfahren ein40 – insoweit zeigen sich Parallelen zu den frühen Kodifikationen des Gütegedankens. Im Laufe der Zeit bildete sich eine Lobby für die Mediation heraus.41 Die noch heute wichtigsten Fachverbände wurden gegründet und erste Kongresse zur Mediation abgehalten.42 Mit ihrer zunehmenden Popularität begann auch die Rechtswissenschaft, sich mit der Mediation zu beschäftigen. In der Folgezeit befassten sich mehrere juristische Dissertationsschriften und eine Habilitation mit der Mediation,43 und an der Fernuniversität Hagen und der Europa-Universität Viadrina wurden eigenständige Studiengänge zur Mediation ins Leben gerufen. Im Jahre 2004 wurde ein unverbindlicher Europäischer Verhaltenskodex für Mediatoren ausgearbeitet.44 Ein Paukenschlag für die gesamte Landschaft der alternativen Konfliktbei­ legung, der auch in der Mediation nicht ungehört blieb, war der Beschluss des BVerfG vom 14. Februar 2007.45 Zwar betraf der Beschluss nicht unmittelbar die Mediation, sondern § 15a EGZPO, den das Gericht für verfassungsgemäß erklärte.46 Sein in diesem Zuge artikuliertes Bekenntnis zur alternativen Konflikt­lösung 40  Hager, Konflikt und Konsens, 2001, S. 75; Hess, in: 67. DJT 2008, F36; Jenkel, Streitschlichtungsversuch, 2002, S. 11 (Zivilrecht); Mähler, ZKM 2003, 73 ff.; Strempel, in: GS Meurer, 2002, S. 347, 348. 41 Zeitgenössisch Stürner, der einen überaus schlichtungsfreundlichen Zeitgeist kon­ statiert und die gütliche Streitbeilegung als modisches soziales Management dem Urteil als biederem juristischen Handwerk gegenüberstellt, JR 1979, 133. 42 Diese Fachverbände sind der Bundesverband Mediation, der Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation e.V., der Bundesverband Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt, vgl. Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Einl. Rn. 3; Piel­ sticker, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, Einl. Rn. 27 ff. 43 Habilitation: Breidenbach, Mediation, 1995; Dissertationen und sonstige Monographien: Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001; Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003; Ayad, Friede im Betrieb?, 2005; Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008; Budde, Mediation und Arbeitsrecht, Rahmenbedingungen für die Implementierung von Mediation im Betrieb, 2003; Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014; Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016; Röthemeyer, Mediation, 2015; Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008; Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013; Zartmann, Mediation im Arbeitsrecht, 2003; Zwickel, Bürgernahe Ziviljustiz, 2010. 44  Verhaltenskodex der Europäischen Kommission für Mediatoren, 2004, abrufbar im Internet unter ec.europa.eu. 45  BVerfG, Beschl. v. 14. 02. 2007, 1 BvR 1335/01, NJW-RR 2007, 1073. 46  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 4 (Zivilrecht); Gruber, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 15a EGZPO Rn. 2 (Zivilrecht); Jenkel, Streitschlich-

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wird seither aber auch für die Mediation fruchtbar gemacht. Bemerkenswert ist zudem das Urteil des EuGH in der Rechtssache Alassini, in welchem die einem Gerichtsverfahren in Italien zwingend vorgeschaltete Mediation für rechtmäßig befunden wurde.47 Der EuGH argumentierte hier – insoweit ähnlich wie das ­BVerfG zu § 15a EGZPO – mit den typischen Vorzügen einer alternativen Konfliktbeilegung und stellte diese in seine Rechtfertigungsprüfung ein: Die Mediation biete den Parteien eine zusätzliche Gelegenheit, ihren Streit in einem auf ihre individuellen Belange angepassten Verfahren beizulegen. Angesichts dieser gewichtigen Vorzüge sei das Risiko einer Verzögerung als verhältnismäßig hinzunehmen. 2008 befasste sich der 67. Deutsche Juristentag eingehend mit der Mediation, ebenso wie verschiedene andere juristische Tagungen in den Jahren darauf.48 Auch weltweit agierende Organisationen wie die World Intellecutal Property Organization (WIPO), die Generalversammlung der Vereinten Nationen und die Internationale Handelskammer in Paris entdeckten die Mediation für sich; teilweise implementierten sie förmliche Mediationsordnungen oder entwarfen Modellgesetze.49 Durch die Mediationsrichtlinie 2008/52/EG wurden auf europäischer Ebene weitere Impulse gesetzt.50 Die Richtlinie, die eigentlich auf das Verhältnis von Mediations- und Gerichtsverfahren für grenzüberschreitende Streitigkeiten in Zivil- und Handelssachen zugeschnitten war,51 sollte den Zugang zur alternativen Konfliktbeilegung erleichtern.52 Erreichen wollte sie dieses Ziel durch einen harmonisierten Rechtsrahmen, qualitätssichernde Maßnahmen und eine verstärkte Verzahnung von Gerichts- und Mediationsverfahren. Mit dem MediationsG wurde die Richtlinie hierzulande zwar verspätet, in der Sache aber überschießend umgesetzt.53

tungsversuch, 2002, S. 124 ff. (Zivilrecht); Stadler, NJW 1998, 2479, 2484 (Zivilrecht); Steinhauff, SteuK 2013, 160, 163 (Steuerrecht); Stöber, JA 2014, 607 (Zivilrecht). 47  EuGH, Urt. v. 18. 03. 2010, C-317/08 bis C-320/08, juris. 48  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 10; Tagungsbände weiterer Tagungen, die sich nach dem 67. DJT 2008 mit der Mediation befasst haben: Joussen/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2009; Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2011; Fischer/ Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2013. 49  Eidenmüller, RIW 2002, 14, 15 ff.; Hess, in: 67. DJT 2008, F87 ff. 50 Weiterführend Roth/Gherdane, in: Hopt/Steffek (Hrsg.), Mediation, 2013, S. 245 ff. 51  Erwägungsgrund Nr. 8 der RL 2008/52/EG. 52  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 1; zu Historie und Zielen der RL 2008/52/EG Röthemeyer, Mediation, 2015, Rn. 198 ff. 53  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 48 ff.; Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 238; Steffek, ZEuP 2013, 528, 562 (Zivilrecht).

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Während der letzten Jahre stieg die Verbreitung der Mediation sodann langsam aber stetig. Heute trifft man sie auch in Erbauseinandersetzungen, im Schul-, Wirtschafts- oder Umweltbereich, in der Versicherungsbranche, im öffentlichen und internationalen Bereich, im Steuerrecht und im Strafrecht bei dem Täter-Opfer-Ausgleich sowie als Strafmilderungsgrund.54 Zudem entdeckte die freie Wirtschaft die Mediation für sich, und es kam, dass zahlreiche Unternehmen betriebsinterne Mediationsangebote einführten.55 Dieser weite Einsatzradius der Mediation soll indes nicht über das tatsächlich geringe Fallaufkommen hinwegtäuschen.56 Ihre jüngsten Blüten trieb die Entwicklung mit der sog. Verbrauchermediation, also einer Mediation zwischen Verbraucher und Unternehmer. Bei genauerem Hinsehen verbirgt sich hinter diesem Verfahrenstyp jedoch keine Mediation im oben definierten Sinne, da weder das Verfahrensziel noch die prägenden Strukturmerkmale übereinstimmen. So besteht das primäre Ziel einer Verbrauchermediation in der effizienten und standardisierten Abwicklung von Massenverfahren statt in der Rechtsfriedensstiftung, und die Verfahrensleiter werden in der Regel mit Untersuchungs- und Entscheidungsbefugnissen ausgestattet. III.  Abgrenzung der Mediation zu benachbarten Konfliktbeilegungsverfahren Derzeit existiert in Deutschland kein systematisch geordnetes Angebot aller Konfliktbeilegungsverfahren, die Landschaft gleicht vielmehr einem Flickenteppich.57 Einer der Gründe hierfür mag darin liegen, dass viele Verfahren sich in privater Hand befinden. Eine allzu ausdifferenzierte Abgrenzung der Konfliktbeile54  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 31; Hager, Konflikt und Konsens, 2001, S. 75; Hehn, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 2 Rn. 55; Hess, in: 67. DJT 2008, F10; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 6; Wagner/Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, S. 37 ff.; für das Wirtschaftsrecht § 27a UWG a. F., § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO; für das Umweltrecht Pitschas, NVwZ 2004, 396, 398 (Verwaltungsrecht); für die Versicherungsbranche Unberath, JZ 2010, 975, 979 (Zivilrecht); für das öffentliche Recht Hess, in: 67. DJT 2008, F64 ff.; Pitschas, NVwZ 2004, 396 ff. (Verwaltungsrecht); für das internationale Recht Koch, in: FS Schlosser, 2005, S. 399 ff.; für das Steuerrecht Hölzer, ZKM 2012, 119 ff. (Steuerrecht); für das Strafrecht §§ 46a StGB, 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 JGG, 45 Abs. 2 Satz 2 JGG; Kerner, in: Haft/ Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33; Jenkel, Streitschlichtungsversuch, 2002, S. 93 f. (Zivilrecht). 55  Prominente Beispiele aus der Wirtschaft findet man bei der E.ON Kernkraft GmbH und der SAP SE, weiterführend Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 177 ff.; Unberath, JZ 2010, 975, 979 (Zivilrecht). 56  Fallzahlen für den Güterichter unten in dem Abschnitt: Rechtsrealität des Güterichters, S. 61. 57  So bereits Unberath, JZ 2010, 975, 978 (Zivilrecht).

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gungsverfahren zueinander wäre deshalb gekünstelt und wenig sachgerecht. Um die Mediation gleichwohl innerhalb des Flickenteppichs zu verorten und stärker zu konturieren, sollen die prägendsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu zwei der im Arbeitsrecht prominentesten, benachbarten Konfliktbeilegungsverfahren dargestellt werden, dem Schlichtungs- und dem Schiedsverfahren. 1.  Schlichtungsverfahren Das erste benachbarte Verfahren ist das der Schlichtung. Für die Schlichtung existiert allerdings keine allgemein anerkannte Definition, und sie hat – von einigen wenigen Sonderkonstellationen abgesehen – auch keine gesetzliche Ausgestaltung erfahren.58 Nicht zuletzt aus diesem Grund firmieren unter dem Sammelbegriff der Schlichtung verschiedene Ausformungen von Verfahren; die Parteien müssen selbst ein Regelwerk entwickeln oder sich zumindest auf die Übernahme eines anerkannten Regelwerks einigen.59 Allen Ausformungen der Schlichtung ist aber gemein, dass ein neutraler Dritter zwischen den Parteien vermittelt und ihnen einen Kompromiss vorschlägt. Die Einleitung einer Schlichtung kann auf zweierlei Wegen erfolgen; entweder ist sie gesetzlich angeordnet oder individuell vereinbart. Letzteres geschieht beispielsweise oft in Tarifauseinandersetzungen und im Arbeitskampfrecht,60 wobei die Verhandlungen vor Beginn oder zur Beendigung eines Arbeitskampfs ausgenommen sind.61 Demgegenüber spielen gesetzlich angeordnete Schlichtungsverfahren hierzulande eine untergeordnete Rolle, man trifft sie im Individualarbeitsrecht etwa bei Streitigkeiten zwischen Auszubildenden und ihren Ausbildern sowie bei Streitigkeiten der Arbeitsvertragsparteien aus dem Arbeitnehmererfindungsrecht.62 Darüber hinaus trifft man sie im kirchlichen Bereich und im Seemannsgesetz an.63 Hinsichtlich ihres Verfahrensablaufs weisen die Mediation und die Schlichtung ausgeprägte Gemeinsamkeiten auf.64 Beide sind interessen- statt rechtsbezogen 58 

von Hoyningen-Huene, Außergerichtliche Konfliktbehandlung, 2000, S. 4. Z. B. die Schlichtungsordnung der Wirtschaftskammer Österreich, Wien (sog. Wiener Regeln) v. 01. 07. 2016, abrufbar im Internet unter viac.eu/de, oder die ADR-Regeln der Internationalen Handelskammer ICC v. 2011, abrufbar im Internet unter iccgermany.de. 60  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 44; Dendorfer-Ditges/Ponschab, in: Moll (Hrsg.), ArbR, 2017, Teil R § 82 Rn. 62. 61  Prütting, JZ 1985, 261, 266. 62  §§ 111 Abs. 2 ArbGG, 37 ArbnErfG. 63  §§ 111 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, 12 Arbeitsrechtsregelungsgesetz EKD (ARRG-EKD) i. d. F. v. 12. 11. 2014, ABl. EKD S. 366. 64  Hess, in: 67. DJT 2008, F30 f.; Stevens-Bartol setzt die tarifliche Schlichtung sogar mit einem Mediationsverfahren gleich, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 141, 144; Thole bezeichnet die Abgrenzung beider Verfahren zueinander als Akt der Unmöglichkeit, ZZP 127 (2014), 339, 342 (Zivilrecht). 59 

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und können von ihrem Ablauf her flexibel ausgestaltet werden. Inhaltlich ist der Schlichter allerdings nicht allein auf die Bedürfnisse der Parteien konzentriert. Stattdessen bezieht er auch andere Aspekte wie die Interessen der Gesellschaft in sein Votum mit ein. Weitere Unterschiede ergeben sich bezüglich der Rolle des Verfahrensleiters. Etwa unterbreitet der Mediator keine Kompromissvorschläge, der Schlichter hingegen schon.65 Das Schlichtungsverfahren endet entweder mit einer Einigung der Parteien oder mit einem förmlichen Spruch des Schlichtungsorgans. Die Parteien haben sich dem Schlichtungsspruch entweder im Vorhinein unterworfen oder sie erkennen ihn im Nachhinein an.66 2.  Schiedsverfahren und -gutachten Weiterhin ist die Mediation zu einem Schiedsverfahren abzugrenzen, welches im zehnten Buch der ZPO in den §§ 1025 ff. ZPO sowie in den §§ 101 ff. ArbGG geregelt ist. Formell wie materiell ähnelt das Schiedsverfahren dem staatlichen Gerichtsverfahren,67 nur entscheidet bei einem Schiedsverfahren kein staatlicher Richter, sondern ein durch die Parteien ermächtigter Privater.68 Die Entscheidungsautorität des Schiedsrichters unterscheidet das Schiedsverfahren von einer Mediation.69 Schiedsgerichte werden deshalb auch als private Gerichte70 oder als materielle Rechtsprechung71 bezeichnet. Der Schiedsspruch kann für vollstreckbar erklärt werden.72

65  von Hoyningen-Huene, Außergerichtliche Konfliktbehandlung, 2000, S. 4 ff.; Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2015, 7, 8 (Zivilrecht); Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 223. 66  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 28 ff.; Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, Art. 9 GG Rn. 284. 67  Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 154; Münch, in: ­Bruns/Münch/Stadler (Hrsg.), Zukunft des Zivilprozesses, 2014, S. 5, 41 f.; Prütting, in: FS Busse, 2005, S. 263, 267 f. 68  Holder, Vertraulichkeit im Schiedsverfahren, 2008, S. 13 ff.; Klamt/MoltmannWillisch, ZKM 2015, 7, 8 (Zivilrecht); Münch, in: Bitburger Gespräche, 2008, S. 179, 184 (Zivilrecht). 69  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 28; Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2015, 7, 8 (Zivilrecht); Lembke, RdA 2000, 223; Risse, NJW 2000, 1614, 1615; Rüssel, NJW 2000, 2800, 2801; Stickelbrock, JZ 2002, 633, 634 (Zivilrecht). 70  Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2015, 7, 8 (Zivilrecht); Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 30. 71  BGH, Urt. v. 19. 12. 1968, VII ZR 83/66, VII ZR 84/66, BGHZ 51, 255, 258; Münch, in: Bitburger Gespräche, 2008, S. 179, 196 (Zivilrecht). 72  §§ 1060 ff., 794 Abs. 1 Nr. 4a ZPO; Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 243.

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Im Unterschied zum Gerichtsprozess laufen Schiedsverfahren in der Regel vertraulich ab.73 Zudem werden Schiedsgerichte nicht mit neutralen Dritten besetzt, sondern paritätisch durch das Arbeitnehmer- und das Arbeitgeberlager.74 Durch die ausgewogene Besetzung relativiert sich die im Vergleich zur Mediation fehlende Neutralität der einzelnen Beteiligten.75 Schiedsverfahren sind nur auf freiwilliger Basis möglich, wobei die Freiwilligkeit gemäß § 101 Abs. 1, 2 ArbGG an den Abschluss der Schiedsvereinbarung anknüpft und nicht an die Einleitung des Verfahrens im Konfliktfall. Anders als eine Mediation zielt ein Schiedsverfahren nicht darauf ab, einen Konflikt umfassend beizulegen, sondern beschränkt sich auf die konkret vorgegebenen Konfliktfragen.76 Maßstab der Entscheidung ist das Gesetz, nicht die Interessenlage.77 In einem Schiedsverfahren ist die aktive Mitwirkung der Parteien deshalb auch weniger gefragt als in einer Mediation.78 Im Individualarbeitsrecht und im Betriebsverfassungsrecht verbietet es das Gesetz, individuelle Schiedsvereinbarungen zu treffen.79 Dieser weitgehende Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit soll verhindern, dass das hohe Maß an Schutz, welches das Gesetz der Arbeitnehmerseite gewährt, durch private Schiedsgerichte ausgehöhlt wird.80 Gleichzeitig soll der weitgehende Ausschluss sicherstellen, dass die Rechtsanwendung im Interesse der Rechtssicherheit möglichst einheitlich erfolgt.81 Im Gegenzug sind die Instrumente der alternativen Konfliktbeilegung aber auch stärker in das arbeitsgerichtliche Verfahren integriert.82 Im Tarifrecht werden Schiedsvereinbarungen hingegen – wohl wegen des weniger stark ausgeprägten Machtungleichgewichts zwischen den Tarifpartnern83 – 73 Eingehend

Holder, Vertraulichkeit im Schiedsverfahren, 2008. § 103 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. 75  Lembke, RdA 2000, 223, 233. 76  Kramer, ZKM 2004, 259, 260. 77  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 29; Kramer, ZKM 2004, 259, 260. 78  Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 233; Unberath, JZ 2010, 975, 977 (Zivilrecht). 79  §§ 4, 2 Abs. 1, 2, 101 Abs. 2 ArbGG; BAG, Beschl. v. 11. 02. 2014, 1 ABR 76/12, NZA-RR 2015, 26, 28; Budde, Mediation und Arbeitsrecht, Rahmenbedingungen für die Implementierung von Mediation im Betrieb, 2003, S. 171; Fornasier, RabelsZ 81 (2017), 539, 546 f.; Germelmann, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2015, § 4 ArbGG Rn. 5; Greger/von Münchhausen, Verhandlungsmanagement, 2010, Rn. 722. 80  Fornasier, RabelsZ 81 (2017), 539, 548. 81  Fornasier, RabelsZ 81 (2017), 539, 548; Germelmann, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 4 ArbGG Rn. 1; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 221. 82  Fornasier, RabelsZ 81 (2017), 539, 546. 83  Fornasier, RabelsZ 81 (2017), 539, 548. 74 

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

in begrenztem Umfang zugelassen.84 Beispielsweise können die Tarifpartner ein Schiedsverfahren für Streitigkeiten über das Bestehen von Tarifverträgen oder für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus Tarifverträgen miteinander vereinbaren.85 Eng verwandt ist dem Schiedsverfahren das gesetzlich bislang nicht geregelte Schiedsgutachten. Bei ihm wird ein Sachverständiger mit der verbindlichen Beantwortung einer einzelnen, oft technischen Sachfrage beauftragt, die für den Rechtsstreit bedeutsam ist. Ob Schiedsgutachten im Arbeitsrecht zulässig oder ob sie vom Schiedsverbot erfasst sind, ist umstritten.86 Ließe man sie zu, könnte sie im Individualarbeitsrecht beispielsweise medizinische Belange zum Gegenstand haben; ein prominentes arbeitsrechtliches Konfliktbeispiel, in dessen Mittelpunkt solche medizinischen Belange stehen, bietet z. B. die Ausübung des Pilotenberufs.87 IV.  Konvergenz von Mediation und Gütegedanken In der Figur des Güterichters kreuzen sich der Gütegedanke und die Mediation wieder einmal. Wenngleich ihre beiden Entwicklungslinien eng verwoben sind, so sind sie begrifflich doch wieder klar zu trennen: Der Gütegedanke reicht weiter als die Mediation. Hinter dem Gütegedanken verbirgt sich zuvörderst eine schillernde Idee, die sich nur an ausgewählten Stellen im Gesetz niedergeschlagen hat. Letztgültig definieren lässt sich der Gütegedanke ob seiner Vielgestaltigkeit jedoch nicht. Unter dem Begriff der Mediation versteht man heute dagegen einen bestimmten, mehr oder minder klar umrissenen Verfahrenstyp. Neben diesem eher formalen Unterschied weisen die Mediation und der Gütegedanke auch materielle Unterschiede auf. Zwar geht es ihnen beiden darum, eine Alternative zur hoheitlichen Streitentscheidung aufzuzeigen. Im Unterschied zum Gütegedanken, der die Rolle des Verfahrensleiters adressiert, akzentuiert die Mediation dabei aber eher die Rolle der Parteien, die Methodik und das Verfahren. Der kurze Streifzug durch die Entwicklungslinien von Gütegedanken und Mediation lässt erkennen, dass beide auf eine wechselhafte Geschichte zurückblicken. Ihre Erfolge in der jüngeren Vergangenheit sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Streitkultur nach wie vor stark auf den streitigen Prozess 84  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 211; Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, Einl. ArbGG, Rn. 94. 85  § 101 Abs. 1 ArbGG. 86  BAG, Urt. v. 22. 01. 1997, 10 AZR 268/96, NZA 1997, 837; instruktive Übersicht bei Germelmann, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 4 ArbGG Rn. 7 ff.; ferner Zimmerling, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 4 ArbGG Rn. 8 ff. 87  Jüngst EuGH, Urt. v. 05. 07. 2017, C-190/16, NZA 2017, 897; weiterführend zu der Zulässigkeit von Altersgrenzen von Piloten Sonnenberg, BLJ 2012, 9 ff.

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

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ausgerichtet ist,88 wenn auch der rechtspolitische Trend immer weiter weg vom jhering‘schen Kampf um’s Recht89 hin zur Kooperation gehen mag.90 Sowohl der Mediation als auch dem Gütegedanken ist hierzulande etwa um die Jahrtausendwende der Durchbruch gelungen. Ein entscheidender Faktor wird der Anstoß durch die Entwicklung jenseits des Atlantiks gewesen sein. Gleichwohl hat der historische Streifzug gezeigt, dass die Begeisterung, welche die Mediation hierzulande zunächst hervorgerufen hat, nicht aus dem Nichts resultierte. Alle paar Jahre initiierten die Befürworter der alternativen Konfliktbeilegung einen Vorstoß im neuen Rechtskleid und verlagerten ihre Bemühungen auf ein neues, dem Zeitgeist entsprechendes Schlagwort: Einmal waren es die im Banken- und Versicherungswesen eingesetzten Ombudsmänner, ein anderes Mal die Mediation. Derzeit läuft die Schlichtung der Mediation den Rang ab, wie die Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten91 sowie das sie umsetzende Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (VSBG)92 suggerieren.93 Angesichts dieser Entwicklung gewinnt man den Eindruck, die Diskussion um die Mediation sei bereits abgeebbt, ihre Diskutanten weitergezogen. Diese Schnelllebigkeit ist bedauerlich. Statt alle paar Jahre ein neues Konstrukt aus dem Ausland zu importieren, wäre es zu begrüßen, wenn die früheren, oft im Sande verlaufenen Versuche der alternativen Streitbeilegung gründlicher aufgearbeitet und die Hinterrgründe ihres Misserfolgs stärker hinterfragt würden. Vergegenwärtigt man sich die Entwicklungslinien des Güterichters, wird deutlich, dass man den zeitlichen Rahmen für seine Untersuchung nicht zu eng spannen darf. Die Figur des Güterichters mag neu sein, die ihr zugrunde liegenden Ideen zirkulieren jedoch seit Jahrzehnten. Die Lehren aus der Vergangenheit sollen deshalb bei der Analyse des Güterichters berücksichtigt werden.

88 Ähnlich Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 23 (Zivilrecht); Jenkel, Streit­ schlichtungsversuch, 2002, S. 1 (Zivilrecht); Stadler, NJW 1998, 2479, 2480 (Zivilrecht). 89  von Jehring, Der Kampf um‘s Recht, 1872, S. 7. 90  Leutheusser-Schnarrenberger, ZKM 2012, 72, 74. 91  RL 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21. 05. 2013 über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten, ABl. EU Nr. L 165, 63. 92  I. d. F. v. 19. 02. 2016, BGBl. I S. 254. 93  Arbeitsrechtliche Streitigkeiten sind aus dem Anwendungsbereich des VSBG nach § 4 Abs. 1, 3 VSBG explizit ausgenommen; dazu Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 2 Rn. 45, 61; Streike, in: Borowski/Röthemeyer/Streike (Hrsg.), HK-VSBG, 2016, § 4 VSBG Rn. 1 f.

1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

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C.  Genese des Güterichters Heute wird die alternative Konfliktbeilegung nicht mehr nur als außergerichtliche Dienstleistung angeboten. Durch den Güterichter wurde sie vielmehr mit dem Gerichtsprozess verzahnt. Im Folgenden sollen die Umstände der Entstehung des Güterichters umrissen und damit der Bogen von Gütegedanken und Mediation hin zum Güterichter geschlagen werden. I.  Erprobungsphase in State Laboratories Der Güterichter lässt sich nicht unmittelbar auf eine unionsrechtliche Vorgabe zurückführen. Stattdessen wurde er aus den positiven Erfahrungen der Richterschaft geboren, die diese in verschiedenen Modellprojekten gesammelt hatte.94 Solche Modellprojekte gab es in Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.95 Auf richterliche Initiative begannen die Projekte um die Jahrtausendwende damit, verschiedene Wege zu erproben, um die alternative Konfliktbeilegung und das Gerichtsverfahren miteinander zu verzahnen. Dabei verfügten sie über keinen festen rechtlichen Rahmen, und ihre Legitimation war Gegenstand intensiv geführter Debatten.96 Ihre Ausgestaltung variierte von Bundesland zu Bundesland und ähnelte dem heutigen Güterichter mal mehr und mal weniger.97 Die am stärksten ausgeprägten Parallelen zum Güterichter finden sich bei den Projekten Bayerns und Thüringens.98 94 

Hess, in: 67. DJT 2008, F127. im Internet unter gueterichter-forum.de/forschungsberichte; ferner von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 70 ff.; ders., in: Gläßer/Schroeter (Hrsg.), Gerichtliche Mediation, 2011, S. 29 Fn. 2; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12 (Sozialrecht); Hess, in: 67. DJT 2008, F11, F47 ff. (Zivilrecht); ders., ZZP 124 (2011), 137, 142 ff. (Zivilrecht); Pielsticker, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, Einl. Rn. 35 ff.; Einzelnachweise für Bayern bei Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007; Hess, in: 67. DJT 2008, F46 f.; für Berlin bei Hess, in: 67. DJT 2008, F67 f.; Ortloff, NVwZ 2004, 385, 388 (Verwaltungsrecht); für Hamburg bei Hess, in: 67. DJT 2008, F52 f.; Nause, FA 2011, 329, 330; für Niedersachsen bei Gottwald, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Media­ tion, 2016, § 39 Rn. 16 ff.; Hess, in: 67. DJT 2008, F44 ff.; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen; für Hessen bei Hückstädt, NJ 2005, 289 ff.; für Schleswig-Holstein Kaiser/Gabler, SchlHA 2015, 4 ff. 96 Eingehend Hess, ZZP 124 (2011), 137, 145 ff. (Zivilrecht); ferner von Bargen, DVBl 2004, 468, 474 f. 97  Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 2. 98  Dahl, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 7; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 12; ders., ZKM 2015, 10, 11. 95 Übersicht

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

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Die Modellprojekte wurden wissenschaftlich begleitet: Man erfasste die Abgabepraxis systematisch und wertete die Erledigungszahlen und die Erledigungsstruktur, die Auswirkungen auf die Geschäftsbelastung, den Verfahrensablauf, die Verfahrensdauer und den Verfahrensaufwand, die Akzeptanz und Ergebniszufriedenheit sowie Art, Gegenstand und Besonderheiten der Konflikte aus.99 Angesichts der engen Beziehung zwischen dem Güterichter und den Modellprojekten bietet es sich an, gelegentlich einen Blick auf die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Begleitforschung zu werfen. Dies gilt umso mehr, als dass umfassende, belastbare Zahlen zum Güterichtermodell bei Entstehen dieser Arbeit noch nicht vorhanden waren.100 Rekurriert man für die Analyse des Güterichters auf die Modellprojekte, sollte man aber bedenken, dass nur wenige unter ihnen auf die Arbeitsgerichtsbarkeit zugeschnitten waren. Hinzu kommt, dass der Untersuchungszeitraum bei den meisten Projekten über zehn Jahre zurückliegt.101 II.  Kodifizierung des Güterichters Im Jahre 2012 wurden die Modellprojekte bundesweit in der Figur des Güterichters institutionalisiert. Über das hitzige Gesetzgebungsverfahren wurde andernorts ausführlich berichtet, sodass auf eine gesonderte Darstellung an dieser Stelle verzichtet wird.102 Erwähnt sei aber, dass die vom Gesetzgeber eingangs favorisierte gerichtsinterne Mediation aufgrund des Drucks von Interessenverbänden, die eine Wettbewerbsverzerrung zulasten außergerichtlicher Mediatoren fürchteten, verworfen und durch das Güterichtermodell ersetzt wurde. Seither besteht die Möglichkeit zum Güterichterverfahren in nahezu allen Gerichtsbarkeiten, ausgenommen ist nur die Strafgerichtsbarkeit. Wie schon die Nomenklatur anklingen lässt, handelt es sich bei dem Güterichter nicht um eine Form gerichtsinterner Mediation, wenngleich zu einer solchen durchaus Parallelen bestehen.103 Ebenso unterscheidet sich der Güterichter durch seine Einbindung in die gerichtliche Sphäre von einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung. 99 

Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 6. Zahlen ausgewählter Bundesländer bei Greger, Rechtstatsachen Implementierung,

100 

2017.

101 In Bayern endeten die Untersuchungen z. B. im Dezember 2006, Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 82. 102 Weiterführend Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, A Rn. 26 ff.; Groth, Mediation im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren, 2017, S. 101 ff.; Hess, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2011, S. 17 ff.; Löer, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 1 Nr. 1 Rn. 9 ff.; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 383 (Sozialrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 341 (Zivilrecht). 103  Wagner/Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, S. 12.

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

Mit dieser Mischform beschritt Deutschland im europäischen Vergleich einen Sonderweg; üblicher sind Modelle gerichtsinterner oder gerichtsnaher Mediation unter der Leitung außergerichtlicher Mediatoren.104 Bundesweit hat sich die Bandbreite der praktizierten Gestaltungsformen seit der Kodifizierung des Güterichters erheblich verringert. In das arbeitsgerichtliche Verfahren wurde der Güterichter durch § 54 Abs. 6 ArbGG eingebettet. Im Unterschied zu den meisten anderen Verfahrensordnungen verfügt das Arbeitsrecht damit über eine eigenständige Regelung des Güterichters, statt auf die der Zivilprozessordnung zu verweisen. Diese Eigenständigkeit war erforderlich, weil § 54 ArbGG § 278 Abs. 2 – 5 ZPO für das arbeitsgerichtliche Verfahren verdrängt.105 Das FamFG verfügt mit § 36 Abs. 5 FamFG ebenfalls über eine eigene Kodifikation, während die FGO (§ 155 S. 1 FGO), das MarkenG (§ 82 Abs. 1 MarkenG), das PatentG (§ 99 Abs. 1 PatG), das SGG (§ 202 S. 1 SGG) und die VwGO (§ 173 S. 1 VwGO) sich mit Verweisungen auf die ZPO behelfen. III.   Verfahren vor dem Güterichter Nachfolgend wird herausgearbeitet, wie eine Mediation im Güterichterverfahren beschaffen ist. Neben der Frage, ob eine Mediation lege artis möglich ist, wird dabei auch dem Anwaltszwang besonderes Augenmerk gewidmet. Sodann werden der strukturelle Ablauf einer solchen Mediation und die sie prägenden Verfahrensgrundsätze summarisch dargestellt. Wie erörtert fehlt es selbst innerhalb der Mediationswissenschaft an einem festen Leitbild, was unter einer Mediation zu verstehen ist.106 Nicht zuletzt deshalb hat der Gesetzgeber die Mediation für das Güterichterverfahren lege artis ebenso wie light ermöglicht.107 Was der Gesetzgeber unter einer Mediation light versteht, offenbart er in seinen Ausführungen über die Abgrenzung des Güterichters zu der innergerichtlichen Mediation: Danach hat sich ein Mediator rechtlicher Wertungen strikt zu enthalten, während ein Güterichter auf Wunsch eigene Lösungs-

104  Guckelberger, NVwZ 2011, 390, 391 (Verwaltungsrecht); Pramhofer, ZKM 2014, 79, 82 (Österreich). 105  Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 2; Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 9 (Zivilrecht); Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 54 ArbGG Rn. 1. 106  Hierzu oben in dem Abschnitt: Begriff der Mediation, S. 35. 107  Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 72; Francken, NZA 2012, 249, 250; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 37, 112; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 66; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 53 (Sozialrecht).

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

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vorschläge einbringen darf.108 Wie streng ein Güterichter sich im Einzelfall also an die methodischen Vorgaben der Mediationswissenschaft hält, bleibt ihm selbst überlassen. Vereinzelt stößt man auf die Prognose, dass Güterichter langfristig eine eigenständige Konfliktbeilegungsmethode entwickeln und sich zusehends vom tradierten Methodenportfolio einer Mediation entfernen werden.109 1.  Teilnehmer a)  Güterichter, Parteien und Dritte Der Teilnehmerkreis eines Mediationsverfahrens vor dem Güterichter ist beschränkt. Neben den Parteien, in der Mediation auch Medianden genannt,110 nimmt meist nur der Güterichter teil. In außergerichtlichen Mediationen können zwei oder mehr sog. Co-Mediatoren gemeinsam tätig werden.111 Im Güterichterverfahren sind Co-Mediatoren gesetzlich nicht vorgesehen, denn § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG kennt nur die Verweisung an einen Güterichter.112 Allerdings wird man den Parteien in komplexen Fällen nicht verwehren, einen weiteren, nicht entscheidungsbefugten Richter als Dritten hinzuzuziehen, der faktisch die Rolle eines Co-Mediators übernimmt.113 Anderen Dritten wie Zuschauern, Angehöri108  Rechtsausschuss

zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 17; Francken, NZA 2012, 249, 250 f. 109  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 35 Fn. 17. 110  In der Fachliteratur werden die Parteien in einer Mediation teils als Medianden (z. B. Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 21; Guckelberger, NVwZ 2011, 390, 392; Horstmeier, MediationsG, 2013, S. 148; Spangenberg/Spangenberg, Sprachbilder und Metaphern in der Mediation, 2013, S. 9), teils aber auch als Medianten bezeichnet (z. B. Ahrens, NJW 2012, 2465; Gullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 185; Hess, in: 67. DJT 2008, F27; Nölting, Mediatorenverträge, 2003, S. 19; Warwel, Gerichtsnahe Mediation, 2007, S. 27). Aus den folgenden Erwägungen heraus ist die Variante Mediand vorzuziehen: Der Stamm Media- lässt sich neben dem griechischen medos auf das lateinische Verb mediare, zu Deutsch vermitteln, zurückführen. Die Variante Mediand ist von der Gerundivform dieses Verbs – mediandus/-a/-um, also der zu Vermittelnde oder der, den man vermitteln soll – abgeleitet. Die nt-Form lässt sich dagegen auf das Partizip Präsens Aktiv zurückführen: medians, mediantis bedeutet der Vermittelnde oder der, der vermittelt. Der semantische Unterschied besagt demnach Folgendes: Ein Mediand ist Objekt eines Vermittlungsverfahrens, ein Mediant ist Subjekt. Berücksichtigt man die Rollenverteilung in einem Mediationsverfahren, ist der Terminus Mediand für den Teilnehmer aus grammatischen Erwägungen vorzugswürdig. Daran vermag auch die Eigenverantwortlichkeit der Teilnehmer nichts zu ändern, da ihre Aufgabe nicht im Vermitteln besteht; das Vermitteln übernimmt vielmehr der Güterichter. Zum Ganzen Bär, Sprachauskunft der Universität Vechta, o. J.; Hehn, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 2 Rn. 6. 111  § 1 Abs. 1 MediationsG; eingehend Germund, Co-Mediation, 2012. 112  Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 110. 113  Löer, ZKM 2014, 41, 43; ferner Dürschke, NZS 2013, 41, 49 (Sozialrecht); ders./ Mayer-Metzner, SGb 2015, 69, 74 (Sozialrecht); Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG,

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

gen oder Auskunftspersonen ist die Teilnahme grundsätzlich der Vertraulichkeit wegen verwehrt; abweichende Vereinbarungen der Parteien sind jedoch möglich.114 b)  Anwaltszwang? Freilich ist es den Parteien erlaubt, einen Rechtsanwalt zu engagieren, der sie vor den Güterichter begleitet.115 In den bayerischen, hessischen und niedersächsischen Modellprojekten ließen sich die Parteien überwiegend anwaltlich vertreten, und auch heute wird die Teilnahme eines juristischen Beistands an vielen Gerichten empfohlen.116 Uneinigkeit herrscht hingegen in der Frage, ob das Güterichterverfahren dem Anwaltszwang unterliegt, ob den Parteien ein Rechtsanwalt also auch gegen ihren Willen aufoktroyiert werden kann.117 Im Gesetzeswortlaut finden sich hierzu keine Anhaltspunkte.

2018, § 54 ArbGG Rn. 110. In den Modellprojekten kamen Co-Mediationen regelmäßig vor, Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern I, 2009, S. 22; ­Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 82. 114  Fritz/Schroeder, NJW 2014, 1910, 1911 ff. (Zivilrecht); Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 26; Kloppenburg/Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 96; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 46; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1170 a. E. (Zivilrecht). 115  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 4 f. (Zivilrecht). 116  Eine solche Empfehlung wurde z. B. durch die Hamburger Arbeitsgerichte ausgesprochen, im Internet unter justiz.hamburg.de/arbeitsgericht/service/mediation, zuletzt abgerufen am 27. August 2017; zu den Modellprojekten in Bayern Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 26; ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 16; zu Niedersachsen Gottwald, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 19; zu Hessen Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 21. 117 Dafür Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Ewig, ZKM 2012, 4, 5 (Zivilrecht); Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 51 (Zivilrecht); ­Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1259; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 112; Saenger, in: S ­ aenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 20 (Zivilrecht); Spangenberg, ZKM 2013, 162, 163; dagegen Bacher, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 30 (Zivilrecht); Carl, ZKM 2012, 16, 19 (Zivilrecht); Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 278 ZPO Rn. 63 (Zivilrecht); Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 29 (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 168; Thesenpapier der Berliner Richtermediatoren, in: Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2013, 112, 113 (Zivilrecht); Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 243; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 353 (Zivilrecht); Toussaint, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 78 Rn. 48 (Zivilrecht); Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1132 (Zivilrecht); Weth, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, 2018, § 78 ZPO Rn. 23 (Zivilrecht).

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

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In der ersten Instanz besteht vor den Arbeitsgerichten kein Vertretungszwang, und es ist kein Grund ersichtlich, das Güterichterverfahren strenger zu behandeln. Anders liegt es in der Rechtsmittelinstanz, in der gemäß § 11 Abs. 4 Satz 1 ArbGG Anwaltszwang bestehen kann. Teilweise wird ein Anwaltszwang deshalb in der Rechtsmittelinstanz auch für die Güterichter bejaht:118 Das Güterichterverfahren sei Bestandteil des fortlaufenden gerichtlichen Verfahrens und daher wie dieses zu behandeln.119 Zwar sei dem Güterichter die Leitung des Verfahrens nur für einen bestimmten Verfahrensabschnitt übertragen, doch könne auch in diesem ein prozessbeendender Vergleich beurkundet werden.120 Derart weitreichende Verfügungen über den Verfahrensgegenstand erforderten die Beteiligung eines Rechtsanwalts.121 Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen müsse das Güterichterverfahren deshalb denselben Normen wie die vom Spruchrichter geleiteten Verfahrensabschnitte unterstellt werden, einschließlich des § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO.122 Gegen einen Anwaltszwang lässt sich das Telos des Güterichtermodells anführen, demzufolge die Eigenverantwortung der Parteien im Mittelpunkt steht. Das Verfahren soll von den rechtlichen Positionen gelöst und Empathie für die Interessen der Gegenseite geweckt werden. Diese rechtsferne Herangehensweise ist für viele Rechtsanwälte ungewohnt, weshalb sich ihre Anwesenheit unter Umständen sogar als hinderlich erweisen kann.123 Teleologische Erwägungen sprechen mithin gegen den Anwaltszwang. Wenn ein Rechtsanwalt dem Güte118  Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Ewig, ZKM 2012, 4, 5 (Zivilrecht); wohl auch Foerste, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 15 (Zivilrecht); ferner Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 51 (Zivilrecht); M ­ onßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1259; Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 20 (Zivilrecht); Spangenberg, ZKM 2013, 162, 163. 119  Ewig, ZKM 2012, 4, 5 (Zivilrecht); Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1259; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 112; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 350 f. (Zivilrecht). 120  § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, im Beschlussverfahren i. V. m. § 83a Abs. 1 ArbGG; Carl, ZKM 2012, 16, 20 (Zivilrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 23 (Zivilrecht); Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 112; Steffek, ZEuP 2013, 528, 550 (Zivilrecht). 121  Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 112; Spangenberg, ZKM 2013, 162, 163. 122  Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 112. 123  Nolan-Haley, Harvard Negotiation Law Review 17 (2012), 61, 79 ff. (USA); ­Seybold, Mediation und Gericht, 2009, S. 39; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 357 (Zivilrecht). In den Modellprojekten rührte die fehlende Begeisterung vieler Rechtsanwälte zudem von der fehlenden Sondervergütung für die Mediationssitzungen her, Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 66.

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

richterverfahren gegenüber aufgeschlossen ist und dem Güterichter seine Einbindung gelingt, kann sich seine Anwesenheit aber auch positiv auf das Verfahren auswirken.124 Konstruktiv wird die Loslösung vom Anwaltszwang auf §§ 11 Abs. 4 Satz 1 Hs. 2 ArbGG, 78 Abs. 3 ZPO gestützt.125 Danach sind Verfahren vor einem beauftragten oder ersuchten Richter sowie Prozesshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können, vom Anwaltszwang auszunehmen. Dies würde jedoch vom Wortlaut her eigentlich voraussetzen, dass der Güterichter als beauftragter oder ersuchter Richter einzuordnen wäre. Im früheren Regierungsentwurf war zwar noch der – aus der Fassung des § 278 Abs. 5 Satz 1 ZPO vom 5. Dezember 2005 übernommene – Zusatz „als beauftragten oder ersuchten Richter“ enthalten.126 Im Verfahren vor dem Vermittlungsausschuss fiel dieser Zusatz allerdings weg.127 Auf den ersten Blick deutet seine Streichung darauf hin, dass der Gesetzgeber den Güterichter im Ergebnis doch nicht als beauftragt oder als ersucht klassifizieren wollte. Betrachtet man das Gesetzgebungsverfahren jedoch eingehender, erschließt sich, dass die damaligen Unstimmigkeiten primär die gerichtsinterne Mediation betrafen. Nur diesen Unstimmigkeiten wollte man durch die Streichung abhelfen.128 Hingegen stand zu keiner Zeit ernstlich zur Debatte, ob eine anwaltliche Vertretung im Güterichterverfahren erforderlich sein sollte oder nicht. Die Streichung des Zusatzes lässt sich vielmehr auf ein Missverständnis zum ersuchten Richter zurückführen. Beim beauftragten Richter bestand damals Einigkeit, dass dieser ein Mitglied des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers ist;129 ein ersuchter Richter gehöre – so die damalige Meinung – einem anderen Spruchkörper

124  BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 28 a. E.; Greger, RabelsZ 74 (2010), 882, 884; ders./Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 18, 22; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Berlin, 2012, S. 96. 125  Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 29 (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 168; Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 243; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 353 (Zivilrecht); ders., in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 71; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1132 (Zivilrecht). 126  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 7, 33; zur Fassung v. 05. 12. 2005 s. BGBl. I S. 3202, 3251. 127 Vermittlungsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/10102, S. 2; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht); Dürschke, NZS 2013, 41, 44 (Sozialrecht). 128  Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 9, insbesondere S. 21. 129  BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 30; zum Verständnis des beauftragten Richters BayObLG, Beschl. v. 17. 08. 1956, BReg. 1 Z 78 und 120/56, BayObLGZ 1956, 300, 303; Heinrich, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 361 ZPO Rn. 3 (Zivilrecht); Siebert, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 361 ZPO Rn. 1 (Zivilrecht).

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

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desselben Gerichts an.130 Letzteres widersprach jedoch § 362 ZPO, nach dem ein ersuchter Richter auch einem anderen Gericht angehören kann.131 Man befand das zweite, weitere Verständnis in der Sache für vorzugswürdig, da man einen breitflächigeren Einsatz der wenigen ausgebildeten Güterichter ermöglichen wollte.132 Durch die Streichung des Zusatzes „als beauftragten oder ersuchten Richter“ wollte man somit nur Missverständnisse zulasten des Güterichtermodells vermeiden.133 Die bisherigen Möglichkeiten sollten nicht beschränkt, sondern erweitert werden.134 An der materiellen Einordnung des Güterichters sollte die Streichung nichts ändern.135 Aus diesem historisch-genetischen Grund sind die §§ 11 Abs. 4 Satz 1 Hs. 2 ArbGG, 78 Abs. 3 ZPO entsprechend auf den Güterichter anzuwenden und ein Anwaltszwang in der Rechtsmittelinstanz abzulehnen. 2.  Struktureller Ablauf Die Struktur einer Mediation lässt in ihrem Verlauf verschiedene Phasen erkennen.136 Obgleich in der Mediationswissenschaft mal vier, mal fünf und mal auch sechs oder sieben Phasen unterschieden werden, sind die materiellen Un130 Die ZPO versteht unter Gericht nicht die Behörde, sondern das Entscheidungs­ organ, vgl. BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 30. 131  BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 31; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 109; Hohmann, ArbGG, 2014, § 54 ArbGG Rn. 12; zum Verständnis des ersuchten Richters in § 362 ZPO vgl. Heinrich, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 362 Rn. 3 (Zivilrecht); Thole ZZP 127 (2014), 339, 353 (Zivilrecht). 132  BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 30 f.; Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 21; Dürschke, NZS 2013, 41, 44 (Sozialrecht); Düwell, BB 2012, 1921, 1922; Francken, NZA 2012, 249, 251; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 14 (Sozialrecht); Greger, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 113 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 26; Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1060 (Verwaltungsrecht); Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 237; a. A. Ahrens, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht); Hartmann, MDR 2012, 941 (Zivilrecht). 133  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 30 f. 134  Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 72; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 26; Thole ZZP 127 (2014), 339, 353 (Zivilrecht). 135  Kortstock etwa bezeichnet den Güterichter auch in der 2014 erschienenen Auflage noch als beauftragten Richter, in: Nipperdey Lexikon ArbR, 2014, Mediation; ebenso Lansnicker, in: Lansnicker (Hrsg.), Prozesse in Arbeitssachen, 2013, § 2 Rn. 129; vgl. Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 15; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1108, 1119 (Zivilrecht). 136  §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 MediationsG; Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 568 f.; Fritz/Schroeder, NJW 2014, 1910, 1911 ff. (Zivilrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 14 f. (Zivilrecht); Haft, Verhandlung und Mediation, 2000, S. 245 ff.; ­Kessen/Troja, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 13 Rn. 4 ff.; Mähler/Mähler, NJW 1997, 1262, 1264; Risse, NJW 2000, 1614, 1615 f.

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

terschiede letztlich gering. Im Folgenden wird exemplarisch eine sechsstufige Struktur dargestellt.137 Mediierende Güterichter orientieren sich ebenfalls an diesem Phasenmodell, wenn sie es auch meist weniger strikt befolgen als außergerichtliche Mediatoren.138 Durch die einzelnen Phasen soll die Kommunikation der Medianden strukturiert und destruktives Verhandeln schrittweise in konstruktives umgewandelt werden.139 In der ersten Phase gilt es zu klären, wie die güterichterliche Mediation im Einzelfall ablaufen soll. Eingangs wird der Güterichter den Parteien Art, Ablauf und Dauer des Verfahrens erläutern und allen Anwesenden ihre jeweiligen Rollen erklären.140 Ihre umfassende Information über das Verfahren ist für das Gelingen der Mediation von hoher Wichtigkeit: Nur im informierten Zustand können die Parteien nachhaltig befriedende Entscheidungen treffen. Diese vorbereitende Phase prägt die Atmosphäre der späteren Verhandlungen stark, sorgt für die nötige Transparenz und bildet im Optimalfall Vertrauen und ein Gefühl von Fairness.141 Zudem werden die Grundregeln des weiteren Verfahrens gemeinsam festgelegt. Außergerichtlich werden die Grundregeln meist in einem Mediationsvertrag niedergeschrieben. Vor dem Güterichter sind Verträge seltener, da viele strukturelle Fragen bereits durch den Gesetzgeber beantwortet sind. Theoretisch bleiben sie aber möglich und würden dann in der Gestalt von Prozessverträgen abgeschlossen werden.142 In der zweiten Phase werden die Informationen beider Seiten ausgetauscht und etwaig relevante Materialien und Dokumente vorgelegt.143 Darauf aufbauend werden Themen und Konfliktfelder herausgearbeitet und untereinander gewichtet. In der für das Gelingen der Konfliktbeilegung ganz entscheidenden dritten Phase wird versucht, die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse hinter den Positionen herauszukristallisieren.144 Eine Position umschreibt dabei, was die Parteien konkret vor Gericht durchzusetzen angetreten sind. Ihre Interessen bestehen in den dahinterstehenden persönlichen Erwartungen, Wünschen, Bedürfnissen, Befürchtungen und anderen tieferliegenden Beweggründen.145 Interessen sind individuell und können sich im Laufe eines Verfahrens entwickeln 137  Ein alternatives fünfstufiges Modell findet man z. B. bei Spangenberg/Spangenberg, Sprachbilder und Metaphern in der Mediation, 2013, S. 56 ff. 138 Eingehend Schmitt, Güteverhandlung, 2014, S. 105 ff. 139  Mähler/Mähler, NJW 1997, 1262 ff. 140  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 15 (Zivilrecht). 141  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 15 (Zivilrecht). 142  Francken, NZA 2015, 641, 643. 143  Wagner/Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, S. 32. 144  Wagner/Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, S. 33. 145  Francken, NJW 2007, 1792, 1795; Hoffmann-Riem, in: FS Blankenburg, 1998, S. 649, 657; Mähler/Mähler, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 13, 18.

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

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und verändern. Manchmal sind sie der betroffenen Partei selbst nicht bewusst und müssen erst gemeinsam herausgearbeitet und ins Bewusstsein gerückt werden. Beispielsweise muss sich ein Arbeitnehmer, der dem Verdacht einer Unterschlagung ausgesetzt ist, manchmal erst darüber bewusst werden, ob er in erster Linie die eigene Rehabilitierung erwartet, um an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren, oder ob er seine Genugtuung in der Eskalation sucht, weil er z. B. ohnehin einen Arbeitgeberwechsel anstrebt.146 So bedeutsam die Differenzierung zwischen Interessen und Positionen ist, stehen beide doch nicht unverbunden nebeneinander. Vielmehr speisen die Interessen die Positionen.147 Interessen bieten daher weitergehende Verhandlungsspielräume als Positionen. Gerade wenn ein Rechtsstreit als kleiner Ausfluss eines tiefergehenden Konflikts erscheint, kann eine Mediation mit ihrer breitflächigen Herangehensweise vorteilhaft sein.148 Schließlich werden in der vierten Phase gemeinsam Ansätze und Ideen zur zukunftsorientierten Beilegung des Konflikts erarbeitet.149 Der Güterichter unterstützt die Parteien dabei weniger durch das Einbringen eigener Vorschläge, als vielmehr dadurch, dass er ihren Lösungshorizont erweitert und ihre Kreativität fördert. Gerade in dieser vierten Phase kann die Beteiligung von Rechtsanwälten, die in der Suche nach kreativen Lösungsoptionen geschult sind, sinnvoll sein.150 Nach dem Zusammentragen der Optionen wird untersucht, ob und wie Synergien nutzbar gemacht und wie Wertschöpfung betrieben werden kann.151 Anschließend werden die Ideen in einer fünften Phase konkretisiert und die Vor- und Nachteile der verschiedenen Lösungswege gegeneinander abgewogen.152 Idealerweise wird danach eine einvernehmliche Entscheidung für eines der Konzepte zur Konfliktbeilegung getroffen. Sein Ende erreicht das Güterichterverfahren mit einer Vereinbarung, die außergerichtlich in der Regel in einem privatrechtlichen Vertrag oder einem implementierbaren Abschlusspapier fixiert wird.153 Zwar gelangt nicht jedes Verfahren zu einer Einigung. Vergebens muss es aber dennoch nicht gewesen sein, ist das Ziel des Verfahrens doch im Grunde die Verbesserung der Situation der Partei146 

Sander/Goldberg, Negotiation Journal 10 (1994), 49, 51 (USA). Francken, NJW 2007, 1792, 1795. 148  Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 17 (Sozialrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 71. 149  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, B § 1 MediationsG Rn. 22; Wagner/Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, S. 33. 150  Hückstädt, NJ 2005, 289, 294. 151  Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 45. 152  Wagner/Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, S. 33. 153  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 176; Steinhauff, SteuK 2013, 160, 162 (Steuerrecht). 147 

1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

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en.154 Diese Verbesserung kann manchmal bereits dadurch erreicht werden, dass die Entscheidungsgrundlage der Parteien verbessert wird und sie dazu angeleitet werden, mit ihrem Konflikt umzugehen und eine interessenbasierte Entscheidung zu treffen. Auch erklärt sich, weshalb die Vergleichshäufigkeit an das Streitgericht zurückgelangter Konflikte in den bayerischen Modellprojekten vergleichbar hoch angesiedelt war wie bei der Gesamtheit aller erstinstanzlichen Zivilprozesse, obwohl die zurückverwiesenen Konflikte bereits eine Negativauswahl sind.155 Denn in ihnen wurde eine Konfliktbeilegung bereits versucht, ohne dass ein Vergleich zustande gekommen wäre. Selbst wenn keine Abschlussvereinbarung erreicht wird, vermag die Mediation manchmal einen Teil der außerrechtlichen Interessen zu befriedigen,156 indem etwa eine Partei eine lang ersehnte Entschuldigung erhält oder eine persönliche oder wirtschaftliche Beziehung stabilisiert wird.157 Nicht zuletzt aus diesem Grund fielen die Verfahrensbewertungen der Parteien, die in den bayerischen Modellprojekten keine Einigung erreichten, nahezu ebenso positiv aus wie die jener, die ihren Konflikt einvernehmlich beilegen konnten.158 3.  Verfahrensgrundsätze Während die eben beschriebene Phasenstruktur den äußeren Rahmen einer Mediation vorgibt, wird eine Mediation innerlich durch bestimmte Verfahrensgrundsätze geleitet. Führt ein Güterichter die Mediation, wird auch er die folgenden Prinzipien im Kern berücksichtigen.159 a)  Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit Eines der bedeutsamsten Prinzipien einer güterichterlichen Mediation ist das der Eigenverantwortlichkeit.160 Hinter ihm steht die Erwägung, dass eine eigenverantwortlich zustande gekommene Einigung mit höherer Wahrscheinlichkeit 154 

Henderson, Ohio State Journal on Dispute Resolution 11 (1996), 105, 107 (USA). Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 31, 79 ff. 156  Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 19 (Sozialrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 113 (Sozialrecht); ferner Mack, die den Ausdruck effective anstelle von successful ins Spiel bringt, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 15 (Australien). 157  Haft, BB 1998, Beilage 10, S. 18; Steffek, ZEuP 2013, 528, 531 (Zivilrecht). 158  Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 25, 28. 159  Kracht, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 12 Rn. 98; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1161 (Zivilrecht). 160 RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 14; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 4 (Zivilrecht); Haft, Verhandlung und Mediation, 2000, S. 244; Kracht, in: Haft/ Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 12 Rn. 102 ff. 155 

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akzeptiert und dauerhaft befolgt werden wird, als eine autoritär und gegen ihren Willen ergangene Entscheidung. Dementsprechend sind die Parteien selbst für die Lösungssuche verantwortlich. Sie haben die Herrschaft über das Verfahren und nur sie entscheiden, ob ein Ergebnis erreicht wird.161 Über die Konfliktgegenstände können sie souverän entscheiden und den ursprünglichen Streitgegenstand bei Bedarf erweitern oder beschränken. Folglich werden sie sich auch nur dann einigen, wenn sie die gefundene Lösung beide als vorteilhaft empfinden. Die Aufgabe des Güterichters erschöpft sich im Vermitteln sowie in der Bereitstellung des prozessualen Rahmens, den die Parteien sodann mit Inhalten füllen.162 Innerhalb dieses Rahmens leitet der Güterichter die Parteien durch die einzelnen Phasen, strukturiert ihre Kommunikation und fördert ihre Phantasie und Kreativität bei der Lösungssuche.163 Diese Aufteilung der Verantwortungssphären ähnelt dem individualarbeitsrechtlichen Beibringungsgrundsatz.164 Wie aktiv oder passiv der Güterichter seine Rolle ausfüllt, bleibt den Beteiligten überlassen. Mit der Eigenverantwortlichkeit korrespondiert das Prinzip der Freiwilligkeit.165 Keine Partei ist formal gezwungen, eine güterichterliche Mediation bis zum Ende durchzuführen. Sobald eine Seite es wünscht, ist das Verfahren deshalb umgehend abzubrechen, ohne dass diese Partei dadurch einen Nachteil befürchten muss.166 b)  Fehlende Entscheidungsbefugnis und Ergebnisoffenheit Ein weiteres Charakteristikum betrifft die personelle Trennung von richterlicher Entscheidungs- und Vermittlungstätigkeit, die sich in der fehlenden Ent161  13. Erwägungsgrund der RL 2008/52/EG: „Die in dieser Richtlinie vorgesehene Mediation sollte ein auf Freiwilligkeit beruhendes Verfahren in dem Sinne sein, dass die Parteien selbst für das Verfahren verantwortlich sind und es nach ihrer eigenen Vorstellung organisieren und jederzeit beenden können“; ferner Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 4 (Zivilrecht); Henkel, NZA 2000, 929, 930; Keydel, ZKM 2011, 61 f.; Kracht, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 12 Rn. 99, 102; Marx, ZKM 2010, 132 ff.; Unberath, JZ 2010, 975, 977 (Zivilrecht). 162  Risse, NJW 2000, 1614, 1615; verschiedene Mediationsstile erläutert Breidenbach, Mediation, 1995, S. 139 ff.; Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 7 ff.; Haft, BB 1998, Beilage 10, S. 16; Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 66 ff.; Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 17 ff. 163  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 15 (Zivilrecht); Wrede, ZfA 2002, 455, 456. 164  § 138 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 3 ArbGG. 165  Vgl. § 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 MediationsG. 166  Vgl. § 2 Abs. 5 Satz 1 MediationsG; Kracht, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 12 Rn. 99.

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scheidungsbefugnis des Güterichters offenbart.167 Nicht der Güterichter bestimmt den Ausgang eines Verfahrens, sondern die Parteien. Der Güterichter darf deshalb auch kein Mitglied des zuständigen Spruchkörpers sein.168 Eine Mediation ist nur in Konflikten möglich, deren Ergebnis weder objektiv noch aus subjektiver Sicht der Parteien von vornherein feststeht. Diese Voraussetzung wird durch das Prinzip der Ergebnisoffenheit zum Ausdruck gebracht. Beide Seiten müssen bereit sein, offen zu verhandeln, sich von ihren Ausgangspositionen zu entfernen und sich auf neue Lösungsoptionen einzulassen. c)  Vertraulichkeit Die Vertraulichkeit ist ein ebenso integraler Bestandteil einer güterichterlichen Mediation.169 Für eine konstruktive Verhandlungsatmosphäre ist sie unbedingt zu schützen, da die Parteien andernfalls keine sensiblen Informationen offenlegen und sich nicht vorbehaltlos auf das Verfahren einlassen würden.170 Mit der Vertraulichkeit steht und fällt in der Phase der Interessenherausarbeitung der Erfolg der Mediation.171 Ohne Vertraulichkeit müssten die Parteien befürchten, dass sich das Offenbarte bei Scheitern der Einigungsbemühungen als Bumerang erweisen könnte.172 Nach den Ergebnissen der Modellprojekte ist diese Befürchtung auch nicht ganz unberechtigt, wurde das Güterichterverfahren doch vereinzelt zur Informationserlangung missbraucht.173 Die Vertraulichkeit zu wahren erfordert zum einen, offengelegte Informationen keinen Eingang ins Gerichtsverfahren

167  § 1 Abs. 2 MediationsG; Löer, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 2 § 41 ZPO Rn. 3. 168  Ahrens, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 5 f. (Zivilrecht). 169  § 2 Abs. 4 MediationsG sowie den 23. Erwägungsgrund der RL 2008/52/EG; ferner RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 13; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 147; Hager, Konflikt und Konsens, 2001, S. 83; Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 55. 170  Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 126. 171  Hartmann, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 44. 172  Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2737, 2740; Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 71; ders./Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 12 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 28; Kracht, in: Haft/ Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 12 Rn. 120; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 50 f.; Steffek, ZEuP 2013, 528, 550 f. (Zivilrecht). 173  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 85; ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 98.

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finden zu lassen.174 Zum anderen müssen die Informationen von der Öffentlichkeit abgeschirmt werden. d)  Neutralität, Unabhängigkeit oder Allparteilichkeit? Als weiteres charakteristisches Prinzip wird oft das der Neutralität des Verfahrensleiters genannt.175 Neutralität bedeutet für die Parteien Verfahrensgerechtigkeit. Hält eine Seite den Verfahrensleiter für befangen, kann schnell das ganze Güterichterverfahren diskreditiert werden. Anstelle des Begriffs der Neutralität arbeitet die Mediationswissenschaft oft mit dem Begriff der Allparteilichkeit oder mit dem der Unabhängigkeit.176 Der Begriff der Allparteilichkeit beschreibt dabei eigentlich eine therapeutische Haltung, bei der jemand symmetrisch für alle Parteien gleichermaßen Partei ergreift, die Verdienste jeder Partei anerkennt und sich mit allen Seiten gleichzeitig identifiziert.177 Grundsätzlich dürfen weder der Allparteiliche noch der Neutrale eine Seite bevorzugen.178 Die allparteiliche Grundhaltung ist den Parteien gegenüber aber freundlicher, unterstützender und wertschätzender als die neutrale.179 Der Begriff der Unabhängigkeit betrifft – anders als der der Neutralität – weniger die innere Haltung des Verfahrensleiters, sondern vorwiegend institutionelle Faktoren, wie seine finanzielle Unabhängigkeit.180 Die Begriffe der Neutralität, Unabhängigkeit und Allparteilichkeit sind somit nicht kongruent. Während die Unabhängigkeit und die Neutralität einander ergänzen, bedarf es zwischen der Allparteilichkeit und der Neutralität einer Entscheidung. Zwar hat der Gesetzgeber im Kontext der Mediation in § 1 Abs. 2 MediationsG den Begriff der Neutralität gewählt, und auch in den englischsprachigen Ursprungsländern der Mediation wird von neutrality gesprochen, nicht von

174 Eingehend

Cremer, Vertraulichkeit der Mediation, 2007. § 1 Abs. 2 MediationsG; Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008. 176 RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 15; z. B. Beckmann, ZKM 2013, 51 ff.; ­G ullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 11 ff.; Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 234; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 46; Pitschas, NVwZ 2004, 396, 397 (Verwaltungsrecht); Spangenberg/Spangenberg, Sprachbilder und Metaphern in der Mediation, 2013, S. 34 ff.; Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 10, 266 ff. 177  Beckmann, ZKM 2013, 51; Gullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 15; Seehausen, ZKM 2009, 110, 111; Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 10. 178  Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 187. 179  Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 21 (Sozialrecht); Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 187. 180  Gullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 13. 175  Vgl.

1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

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multipartiality.181 Am Begriff der Neutralität lässt sich aber kritisieren, dass er eine Zurückhaltung, Distanziertheit und Passivität impliziert, die der Rolle des mediierenden Güterichters fremd ist.182 Der Güterichter soll sich nicht vollständig aus dem Konfliktgeschehen zurückziehen und von den Parteien distanzieren. Vielmehr ist sein aktives, engagiertes Eingreifen in vielen Situationen gerade gewünscht, etwa bei Vorliegen eines Machtgefälles183 oder bei einer reaktiven Abwertung von Vorschlägen der Gegenpartei, die die abwertende Partei dann, wenn sie von jemand anderem als der Gegenpartei artikuliert worden wären, positiver aufgenommen hätte.184 Der Begriff der Allparteilichkeit beschreibt die Rolle des mediierenden Güterichters deshalb treffender und ist insofern vorzuziehen. e)  Informiertheit Das Prinzip der Informiertheit besagt, dass beide Seiten über die Prinzipien und die Struktur der güterichterlichen Mediation sowie über die entscheidungserheblichen Tatsachen informiert sein müssen.185 Es geht Hand in Hand mit den anderen Prinzipien, wobei ihm in mehrerlei Hinsicht dienende Funktion zukommt: Die Informiertheit ist erforderlich, um die Freiwilligkeit der Mediation zu gewährleisten;186 sie bildet die Voraussetzung für die Eigenverantwortlichkeit der Parteien, da nur eine informierte Partei in Freiheit entscheiden kann.187 Die Parteien müssen ihre Rechtsansprüche kennen, um nicht unerkannt auf diese zu verzichten und ihre Entscheidung langfristig zu bereuen.188 Nicht zuletzt aus diesem Grund ist der Güterichter im Unterschied zum außergerichtlichen Mediator sogar befugt, den Parteien seine rechtlichen Einschätzungen mitzuteilen.189 4.  Konfliktbeilegungstechniken Neben der Struktur und den Prinzipien sind es besonders die Kommunikationstechniken und Verhandlungsmethoden, die eine güterichterliche Media181 

Beckmann, ZKM 2013, 51, 53. Beckmann, ZKM 2013, 51, 52; Hagel, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 1 § 1 MediationsG Rn. 20 ff.; ähnlich Wendenburg, der den Begriff der Unabhängigkeit dem Richter zuweist, Schutz in der Mediation, 2013, S. 10; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 187 f. 183  Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: 2. Machtungleichgewicht, S. 123. 184  Beckmann, ZKM 2013, 51, 52; Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 234. 185  Vgl. § 2 Abs. 6 MediationsG. 186  Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 37. 187  Stürner, JR 1979, 133, 136 (Zivilrecht). 188  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 258; Kracht, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 12 Rn. 114. 189  Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 17. 182 

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

61

tion auszeichnen. Sie bieten dem Güterichter verschiedene Möglichkeiten, ein positives Klima für konstruktive Verhandlungen zu schaffen. Das Gesetz regelt die Konfliktbeilegungstechniken des mediierenden Güterichters nicht näher; es erschöpft sich darin, den äußeren Rahmen bereitzustellen.190 Der Güterichter kann sich daher im Grunde aller Methoden bedienen, die einem Mediator in einer außergerichtlichen Mediation zustehen, wie das aktive Zuhören und das Paraphrasieren, das Widerspiegeln von Parteierklärungen in deeskalierender und objektivierender Weise, das offene und das öffnende Fragen, das Voraugenführen der Nichteinigungsalternativen und die Entwicklung realisierbarer Teillösungen. Diese und viele weitere Techniken näher darzustellen, würde den Rahmen dieser Arbeit aber sprengen. Deshalb sei an dieser Stelle auf andere, eingehende Darstellungen verwiesen.191 IV.  Rechtsrealität des Güterichters Die überwiegende Zahl aller arbeitsgerichtlichen Verfahren endet schon heute mit einem Vergleich. Im Jahre 2015 erging beispielsweise nur in 26.997 der insgesamt 374.095 im Urteilsverfahren erledigten Klagen der Arbeitsgerichte ein streitiges Urteil, in 230.626 Verfahren und damit in über 61 % verglichen sich die Parteien.192 Im Beschlussverfahren klaffen die Abschlusszahlen durch Beschluss mit 3.059 und Vergleich mit 4.729 zwar nicht derart stark auseinander, die Vergleichsquote ist mit rund 38 % aber noch immer bemerkenswert hoch.193 Angesichts der hohen Vergleichsquote wurde der Güterichter oft als überflüssig kritisiert.194 Manch ein Spruchrichter empfand – so jedenfalls wird es aus den bayerischen Modellprojekten überliefert – eine Verweisung gar als Eingeständnis des eigenen Versagens im Gütetermin.195 Andererseits hielten es die Güterichter im Thüringer Modellprojekt in 63 % der Fälle für sehr und in weiteren 16 % für

190 

Hess, in: 67. DJT 2008, F13. etwa Kessen/Troja, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 13 Rn. 29 ff.; Schweizer, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 14 Rn. 1 ff.; Spangenberg/Spangenberg, Sprachbilder und Metaphern in der Mediation, 2013, S. 93 ff.; Warwel, Gerichtsnahe Mediation, 2007, S. 7 ff. (Zivilrecht). 192 Statistik der Tätigkeit der ArbG und LAG für 2015, abrufbar im Internet unter bmas.de. 193 Statistik der Tätigkeit der ArbG und LAG für 2015, abrufbar im Internet unter bmas.de. 194  Francken, NZA 2015, 641, 642; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 63. 195  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 34; ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 66. 191 Weiterführend

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

überwiegend wahrscheinlich, dass die im Güterichterverfahren erarbeitete Vereinbarung beim Prozessgericht nicht erreicht worden wäre.196 Betrachtet man, wie das Güterichtermodell heute an den Gerichten praktiziert wird, stellt sich angesichts der geringen Fallzahlen schnell Ernüchterung ein. Im Jahr 2014 wurde das Güterichterverfahren erstmals erfasst und in der Rechtspflegestatistik des Statistischen Bundesamts abgebildet. Der auf Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 1 MediationsG unter der Federführung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz erstellte Evaluationsbericht197 bescheinigt eine geringe Nutzung des Güterichterverfahrens. Danach sind vor allen deutschen Arbeitsgerichten im Jahre 2014 nur 536 und im Jahre 2015 nur 433 Güterichterverfahren durchgeführt worden, anders gewendet wurde der Güterichter in 0,14 % und 0,12 % aller bei den Arbeitsgerichten anhängigen Streitigkeiten einbezogen.198 Unter der geringen Nutzung leidet wiederrum die Qualität der durchgeführten Verfahren, da die ausgebildeten Güterichter zu wenige Verfahren durchführen, um ihre Fertigkeiten erhalten und verbessern zu können.199 Neben der geringen Zahl ausgebildeter Güterichter liegt ein Grund für die niedrige Verweisungszahl in der vielerorts verbreiteten Skepsis gegenüber dem scheinbar neuartigen Verfahren.200 Illuster bemüht Steinberg Der Process von Franz Kafka: „Vor dem Gesetz steht ein gar besonderer willkürlich-paternalistischer Türhüter, die aufgenötigte gerichtsinterne Mediation“.201 Auch eine im Jahr 2013 in Auftrag gegebene Befragung unter Richtern und Staatsanwälten ergab, dass nur 58 % der Befragten das Güterichtermodell für ein gutes Modell halten.202 Dabei vermag der Güterichter dort, wo er zum Einsatz kommt, statistisch durchaus vorzeigbare Ergebnisse erzielen: Etwa lässt sich dem Evaluationsbericht entnehmen, dass die Erledigungsquote im arbeitsgerichtlichen Güterichterverfahren im Jahre 2015 bei 75,1 % lag.203 In der Literatur ist die Evaluation zwar im Einzelnen auf Kritik gestoßen; Greger moniert etwa, dass die Daten wegen der Art und Weise ihrer Erhebung nicht valide seien.204 In der Sache besteht aber kein Zweifel daran, dass das Güterichterverfahren bislang kaum genutzt wird. Wenn es auch noch zu früh sein mag, von totem Recht zu sprechen, kommt man 196  Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 26. 197  Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017. 198  Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 48. 199  Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 45, 50. 200  Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 67 ff. 201  Steinberg, DRiZ 2012, 19, 23 (Zivilrecht). 202  ROLAND Rechtsreport 2014, S. 32, abrufbar im Internet unter drb.de. 203  Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 51. 204  Greger, Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 3.

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

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doch nicht umhin zu bemerken, dass der Güterichter in der Rechtspraxis bislang nicht den Stellenwert einnimmt, der ihm einst von seinen Befürwortern zugedacht worden ist.205 Parteien wie Richter bevorzugen etablierte Vorgehensweisen.206 Selbst gestandene Juristen hört man bisweilen verlautbaren, an den Güterichter glaubten sie nicht.207 Bedenkt man, wie lange darum gerungen wurde, den Gütegedanken in ein erfolgreiches eigenständiges Verfahren zu überführen, überrascht die Heftigkeit der Kritik nicht. So war die Entwicklung, deren jüngster Spross der Güterichter ist, von jeher Kritik ausgesetzt, wie sich der wechselhaften Entwicklung im 20. Jahrhundert entnehmen lässt. Die Lager zwischen den Befürwortern und den Kritikern des Güterichters hatten sich lange zu bilden begonnen, ehe die Figur auf den Verhandlungstisch gebracht wurde. Die Schärfe der Kritik ist jedenfalls in Teilen dem Umstand geschuldet, dass der Güterichter – ähnlich wie die Mediation – von seinen Befürwortern allzu oft als bahnbrechendes Allheilmittel gegen Verkrustungen im Verfahrensrecht und als Gegenpol zu tradierten Verfahrenswegen angepriesen wurde.208 Ihre Euphorie und ihr Sendungsbewusstsein haben polarisiert und Trotz provoziert. Die Zweifel am Güterichter vermögen insoweit nicht zu überraschen. Doch muss die Rechtsfigur gleich zu einer Art Glaubensfrage hochstilisiert werden? Angesichts der bislang überschaubaren praktischen Erfolge des Güterichters ist anzunehmen, dass die Hoffnungen und Erwartungen der Befürworter inzwischen auf ein sachgerechteres Maß reduziert worden sind. Die Kodifizierung des Güterichters sei nur ein weiterer Schritt und keineswegs das Ziel der Entwicklung.209 Von einem Allheilmittel ist dagegen nicht mehr die Rede. Nichtsdestotrotz soll der quantitative Befund zum Güterichterverfahren nicht demoralisieren. Bereits die bayerischen Modellprojekte haben gezeigt, dass eine extensive Verweisungspraxis nicht automatisch zu größeren qualitativen Erfolgen

205 

Greger, Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 2 ff.; ders., ZKM 2017, 4, 5. Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 64 ff.; Greger, RabelsZ 74 (2010), 781, 785 f.; Hirtz, NJW 2012, 1686, 1688; Monßen, in: Schmidt/Lapp/ Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 131. 207  Vgl. z. B. die Kritik des Silberhorn: „Wir reden hier nicht über eine esoterische Veranstaltung, sondern über die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten.“, stenografischer Bericht der 105. Sitzung des BT, BT-Plenarprotokoll 17/105, S. 12060; ferner Hückstädt, NJ 2005, 289, 295. 208  Z. B. Schmidbauer, ZKM 2012, 88, 91 („Geniestreich“); vgl. Hoffmann-Riem, in: FS Blankenburg, 1998, S. 649, 660; Sundermeier, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, II. Andere Verfahren Rn. 10. 209  Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 79; Rixen/ Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 383 (Sozialrecht). 206 

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

führt.210 In diese Richtung deuten auch die Evaluierungen der Bundesregierung, nach der die erfolgreiche Beendigung mit zunehmender Zahl der Verweisungen stark abnimmt.211 Aussichtsreich ist eine Verweisung nur dort, wo der Güterichter den Parteien tatsächlich einen Mehrwert zu bieten vermag, wo eine Verweisung also ein höherwertiges Ergebnis verspricht als die alternativen Verfahrenswege. Dem Spruchrichter obliegt es, diesen Mehrwert durch kritische Konfliktdiagnose zu ermitteln und festzustellen, ob eine erfolgversprechende Verweisungssituation vorliegt.212 Über den Erfolg entscheidet somit letztlich primär die Qualität der Verweisungen in das Güterichterverfahren, nicht ihre Quantität. Damit fragt sich aber, wonach sich die Qualität bemisst. Ihre Beurteilung hängt davon ab, welches Ziel die Neuregelung erreichen soll. Zu den Zielen hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung Stellung genommen: Danach soll der Güterichter die Justiz entlasten, zeit- und kostengünstige Konfliktlösungen ermöglichen und dauerhaften Rechtsfrieden schaffen.213 Alle drei Ziele lassen sich aber selten gleichzeitig erreichen. Beispielsweise lässt sich dauerhafter Rechtsfrieden oft nur mit höherem Zeit- und Kostenaufwand erreichen. Die Interessen der Parteien liegen indes weniger in der Justizentlastung, als vielmehr in einer zeit- und kostengünstigen Konfliktlösung und der Erreichung dauerhaften Rechtsfriedens. Diese beiden Ziele sollen fortan dazu dienen, die Qualität einer Verweisung in das Güterichterverfahren zu beurteilen. Bedeutsam ist damit weniger die absolute Zahl der Verweisungen, sondern, ob eine Verweisung immer dann erfolgt, wenn sie geboten ist. Verbesserungsbedarf besteht demnach nicht schon wegen der absolut betrachtet geringen Verweisungszahl, sondern nur, soweit Verweisungen unterbleiben, obwohl sie wohlfahrtssteigernd gewesen wären.214 Allerdings lässt sich der Erfolg des Güterichters auch bezüglich der Qualität der Verweisungen anzweifeln. Oft verweisen Spruchrichter die Fälle intuitiv, zufällig und nach wenig nachvollziehbaren Kriterien. Die Folge ist eine bundesweit uneinheitliche Verweisungspraxis, die besonders vor den Zivil- und Familiengerichten zutage tritt.215 Dieser Befund überrascht wenig, gab der Gesetzgeber der Richterschaft doch wenige Leitlinien für die Verweisung an die Hand. 210  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 18 f., 63, 113 ff.; in diese Richtung bereits Puchta, AcP 19 (1836), 214, 226. 211  Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 53. 212  Greger, in: FG Volkommer, 2006, S. 3, 11. 213  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 11. 214  Zum Begriff der Wohlfahrtsökonomik Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 1995, S. 41 ff. 215  Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 49; ferner Gottwald/Greger, ZKM 2016, 84, 87; Greger, Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 4, 8; ders., ZKM 2017, 4, 6; ders., MDR 2017, 1107.

§ 2  Tour d’horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter

65

D.  Ergebnis Der Gütegedanke, der sich als eine der beiden ideengeschichtlichen Wurzeln des Güterichters identifizieren lässt, kann weit in die Geschichte hinein zurückverfolgt werden. Bereits im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden verschiedene Ansätze unternommen, ihm eigene prozessuale Bedeutung zuzusprechen. Im Arbeitsrecht gelang ihm der Durchbruch schon im Jahre 1926 mit Einführung des § 54 ArbGG, während es für ein zivilprozessuales Pendant bis 2002 dauerte, ehe eine den Gütegedanken abbildende Regelung dauerhaft Erfolge verzeichnete. Die zweite Wurzel des Güterichters – die Mediation – blickt ebenfalls auf eine lange Tradition zurück. In den letzten Jahren hat sie sich von einem Potpourri an Konfliktbeilegungsmethoden in einen eigenständigen Verfahrenstypus gewandelt. Das MediationsG definiert sie als strukturiertes, vertrauliches Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben. Innerhalb des durch diese Definition gesetzten weiten Rahmens franst der Begriff der Mediation indes zusehends aus. Abzugrenzen ist die Mediation aber zur Schlichtung und zum Schiedsverfahren, wenngleich letzteres im Arbeitsrecht nur beschränkt einsetzbar ist. Während sich hinter dem Gütegedanken zuvörderst eine schillernde Idee verbirgt, die nur punktuell in verschiedenen eigenständigen Verfahrensabschnitten und Verfahren Gestalt angenommen hat, beschreibt die Mediation einen speziellen Verfahrenstypus. Der Güterichter basiert nicht auf einer europäischen Richtlinie. Stattdessen entwickelte er sich aus den Erfahrungen der deutschen Richterschaft und wurde in verschiedenen Modellprojekten erprobt. Nach einem hitzigen Gesetzgebungsverfahren wurde er 2012 in verschiedenen Verfahrensrechtsordnungen gesetzlich geregelt. Das Arbeitsrecht verfügt als eines von wenigen Gebieten mit § 54 Abs. 6 ArbGG über eine eigene Regelung, die seinen prozessualen Besonderheiten geschuldet ist. In den meisten anderen Rechtsordnungen wird dagegen auf die Regelung der ZPO verwiesen. Nicht zuletzt wegen seiner Entstehung ist es die Mediation, der Güterichter sich auch heute noch ganz überwiegend bedienen. Eine güterichterliche Mediation folgt im Grundsatz der Phasenstruktur und den Verfahrensprinzipien einer außergerichtlichen Mediation. Vom gerichtlichen Anwaltszwang ist das Güterichterverfahren jedoch analog § 78 Abs. 3 ZPO ausgenommen. Noch werden äußerst wenige Fälle vor einen Güterichter verwiesen. Die geringe Quantität der Verweisungen könnte jedoch sachgerecht sein, da es in erster Linie die Qualität der Verweisungen ist, die über den Erfolg des Güterichtermodells entscheidet.

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

§ 3  Prozessuale Verankerung des Güterichters Nachfolgend untersucht die Arbeit, wie der Gesetzgeber den Güterichter prozessual in das Gerichtsverfahren eingebunden hat. Zu diesem Zweck beleuchtet sie zunächst den Tatbestand des § 54 Abs. 6 ArbGG. Insbesondere fragt sie danach, von wem die Initiative für die Verweisung auszugehen hat und wie sich die Rechtsfolgen einer Verweisung gestalten. Ferner greift sie eine der am intensiv­sten geführten Debatten rund um den Güterichter auf, nämlich die, wie die Güterichteraufgabe dogmatisch einzuordnen ist.

A.  Weichenstellung durch den Spruchrichter Die Verweisung vor den Güterichter gibt den Parteien die Möglichkeit, einmal vollzogene prozessuale Weichenstellungen rückgängig zu machen. Durch sie kann ein Konflikt vom streitigen Prozess in die Bahnen einer alternativen Konfliktbeilegung umgelenkt werden.1 Das Güterichterverfahren ist nur einer von mehreren vom Arbeitsverfahrensrecht eröffneten Wegen zu einer Konfliktbeilegung. Eine andere Möglichkeit zu einer alternativen Beilegung des Konflikts bietet § 15a EGZPO, der bereits im Vorfeld zur Klageerhebung einsetzt.2 In bestimmten, klar umrissenen Fallkonstellationen ist danach eine obligatorische Streitbeilegung anzustrengen. Nach Klageerhebung bietet der Gütetermin gemäß § 54 Abs. 1 ArbGG einen möglichen Rahmen für eine einvernehmliche Konfliktbeilegung. Darüber hinaus kann der Spruchrichter den Parteien gemäß § 54a ArbGG vorschlagen, sich in eine außergerichtliche Konfliktbeilegung zu begeben. Der spruchrichterliche Gütetermin und der Vorschlag einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung stehen in unmittelbarer Konkurrenz zum Güterichterverfahren. Der Vorzug des eher späten Zeitpunkts für die Weichenstellung besteht darin, dass sie zentralisiert bei einem Arbeitsgericht erfolgen kann.3 Sie findet damit in einem Rahmen statt, in dem die Parteien darauf vertrauen können, dass rechtsstaatliche Gerechtigkeitsvorstellungen gewahrt werden.4 1  Vertiefend zu den verschiedenen Zeitpunkten innerhalb eines Prozesses, zu denen vor einen Güterichter verwiesen werden kann in dem Abschnitt: Zeitliche Scheidepunkte für die Verfahrenswahl, S. 209. 2  Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Verhältnis zu § 15a EGZPO, S. 195. 3  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 10; Görg, in: Natter/Gross (Hrsg.), ArbGG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 29; Kloppenburg/Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 3. 4  Francken, NJW 2007, 1792, 1794.

§ 3  Prozessuale Verankerung des Güterichters

67

In § 57 Abs. 2 ArbGG gibt das Gesetz dem Spruchrichter nicht nur das Recht, sondern zugleich die Pflicht, während des gesamten Verfahrens auf eine Beilegung des Konflikts hinzuwirken. Hintergrund dieser Regelung ist, dass im Arbeitsrecht neben den individuellen Interessen der streitenden Parteien, die auch nach dem Konflikt weiter miteinander arbeiten müssen, ein allgemeines, überparteiliches Interesse daran besteht, den Betriebsfrieden zu wahren. Die Verweisung vor einen Güterichter eröffnet dem Spruchrichter einen zusätzlichen Weg zur Erfüllung seiner aus § 57 Abs. 2 ArbGG fließenden Pflicht. Zwar zwingt sie ihn nicht zur Vornahme einer Verweisung; sie verpflichtet ihn aber, zu entscheiden, ob er die Parteien verweist oder nicht.5 Angesichts dieser Initiativerantwortung wurde der Spruchrichter in den Modellprojekten oft als Fallmanager bezeichnet.6

B.  Prozessuale Folgen der Verweisung vor den Güterichter Weiterhin ist zu klären, welche prozessualen Konsequenzen die Verweisung vor einen Güterichter mitsichbringt. Der Verweisungstatbestand besagt nur, dass der Spruchrichter die Parteien vor einen Güterichter verweisen kann, regelt aber nicht, was genau sich hinter dem Begriff der Verweisung verbirgt und welche prozessualen Folgen eine Verweisung nach sich zieht. Weder im ArbGG noch in einer der anderen Verfahrensordnungen, die über ein Güterichtermodell verfügen, wird die Rechtsfolge einer Verweisung vor den Güterichter konkretisiert. Wenig hilfreich ist auch der systematische Blick auf andere Verweisungstatbestände im Prozessrecht: In der ZPO wird der Begriff meist dann verwendet, wenn ein sachlich, örtlich oder hinsichtlich des Rechtswegs unzuständiges Gericht einen Rechtsstreit an das zuständige Gericht weiterleitet, beispielsweise in § 281 ZPO und in § 17a GVG.7 Die Rechtsfolge einer Verweisung besteht dann darin, dass der Rechtsstreit dauerhaft bei dem aufnehmenden Gericht anhängig wird.8 5  Steffek, ZEuP 2013, 528, 537 f. (Zivilrecht); Unberath, JZ 2010, 975, 979 (Zivilrecht). 6  Für das Modellprojekt am LG Rostock Hückstädt, NJ 2005, 289, 291; für Niedersachsen Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 6, 78; ferner Löer, ZZP 119 (2006), 199, 207 (Zivilrecht); Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 39 (Australien); Sourdin/Davies, Journal of Judicial Administration 1997, 22, 23 (Australien): „Even where judges’ roles in ADR are limited to referral, their involvement in ADR can be significant. […] Just as interlocutory orders can shape the course of a conventional trial, there initial referral decisions can have a significant bearing on the outcome of a dispute“. 7  Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 41 (Zivilrecht). 8  Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 281 ZPO Rn. 15 (Zivilrecht).

1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

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In § 54 Abs. 6 ArbGG hat der Begriff der Verweisung aber eine andere prozessuale Bedeutung. Die Parteien werden hier nämlich nicht verwiesen, um einer Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts abzuhelfen. Zudem lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen, dass allein die Parteien verwiesen werden und nicht wie in den Verweisungstatbeständen der ZPO und des GVG der gesamte Rechtsstreit oder das gesamte Verfahren.9 Die Verweisung vor den Güterichter erfolgt zudem nur für die Dauer des Güterichterverfahrens.10 Diese Unterschiede zeigen, dass der Begriff der Verweisung in § 54 Abs. 6 ArbGG nicht so wie andernorts im Gesetz verwendet wird. Stattdessen wird bei § 54 Abs. 6 ArbGG temporär eine neue richterliche Zuständigkeit für einen bestimmten Verfahrensabschnitt begründet.11 Das Verfahren als solches bleibt trotz der Verweisung bei der Ausgangskammer anhängig.12 Hinsichtlich des weiteren Verfahrensablaufs verhält sich § 54 Abs. 6 ArbGG zurückhaltend, was in der Sache jedoch wenig überrascht. So ist in dieser legislativen Zurückhaltung bereits das Spannungsverhältnis zwischen dem gesetzgeberischen Deregulierungsziel in Sachen Konfliktbeilegung einerseits und den arbeitsrechtlich notwendigen Schutzmechanismen andererseits angelegt.

C.  Dogmatische Einordnung der Güterichteraufgabe Im Folgenden ist zu klären, wie die Güterichteraufgabe im Geflecht verfassungs- und dienstrechtlicher Vorschriften zu bewerten ist.13 Dabei ist die Frage, wie man den Güterichter dogmatisch einordnet, im Kern keineswegs neu, sondern wurde schon zu Zeiten der Modellprojekte diskutiert.14 Obgleich die Einordnung entscheidend für die rechtliche Zulässigkeit der Modellprojekte war, 9 

Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 18 (Sozialrecht). Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 5 f. (Zivilrecht); Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 19 (Zivilrecht). 11 LSG Hessen, Beschl. v. 26. 10. 2015, L 2 SO 95/15 B, juris Rn. 19 (Sozialrecht); ­Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 27a (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 170. 12  Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 18 (Sozialrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 7, 10 (Zivilrecht); Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 51. 13  Weiterführend zu der Stellung des Güterichters und zu den an ihn gerichteten Anforderungen unten in dem Abschnitt: Leitbild des Verfahrensleiters im Vergleich, S. 243; weiterführend Wendland, der die Frage rechtspolitisch betrachtet, Mediation im Zivilprozess, 2017. 14  Hess, in: 67. DJT 2008, F19 f.; Koch, ZKM 2007, 71, 73; Prütting, JZ 2008, 847, 849; Sarhan, JZ 2008, 280, 285; Spindler, DVBl 2008, 1016, 1020 ff.; Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 815. 10 

§ 3  Prozessuale Verankerung des Güterichters

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beantworteten die Bundesländer sie damals äußerst uneinheitlich: In Berlin, Hessen und Niedersachsen sah man in der richterlichen Mediation eine Aufgabe der Gerichtsverwaltung.15 In Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Thüringen hielt man sie für eine Rechtsprechungsaufgabe.16 Erste Anhaltspunkte dafür, wie die Güterichteraufgabe einzuordnen ist, finden sich in den Gesetzesmaterialien: So hieß es in dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung noch, dass der Verfahrensleiter ein gesetzlicher Richter i. S. d. § 16 Satz 2 GVG sei.17 In die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses wurde diese Qualifizierung dann aber nicht übernommen.18 Aus der unterlassenen Übernahme könnte man e contrario ableiten, dass der Güterichter kein gesetzlicher Richter sein soll. Der Gesetzgeber hätte sich von seinen Ausführungen im Entwurf aber auch explizit distanzieren können. Aus seinem Schweigen könnte man daher ebenso folgern, der Gesetzgeber halte die Bezeichnung des Güterichters als Richter für ausreichend und eine zusätzliche Klarstellung in den Materialien für überflüssig. Die Gesetzesmaterialien erlauben insofern keine eindeutigen Rückschlüsse darauf, ob der Güterichter ein gesetzlicher Richter i. S. d. § 16 Satz 2 GVG ist. I.  Güterichteraufgabe als alternative Konfliktbeilegung Wie die eingangs nachgezeichneten Entwicklungslinien offenbart haben, bezweckte der Gesetzgeber, mit der Einführung des Güterichters die alternative Konfliktbeilegung stärker mit dem Prozessrecht zu verzahnen. Angesichts dessen liegt es historisch gesehen nahe, die Güterichteraufgabe dogmatisch als – in den Mauern des Gerichts stattfindende – alternative Konfliktbeilegung einzuordnen. Im Einzelfall wäre sie dann daran zu messen, welches Konfliktbeilegungsverfahren der Güterichter konkret anwendet. Beispielsweise wäre die Güterichteraufgabe in den Händen eines mediierenden Güterichters als Mediation i. S. d. MediationsG einzuordnen.19 15  Apell, Verwaltungsgerichtsnahe Mediation, NRV-Info 2011, 28, 30; Greger, ­R abelsZ 74 (2010), 781, 782; Ortloff, NVwZ 2004, 385, 389 (Verwaltungsrecht). 16  Apell, Verwaltungsgerichtsnahe Mediation, NRV-Info 2011, 28, 30; Ortloff, NVwZ 2004, 385, 389 (Verwaltungsrecht); Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 3; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 124; ders., RabelsZ 74 (2010), 781, 782; ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 3; ders./Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 41; Hückstädt, NJ 2005, 289, 291. 17  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 20. 18  Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 21. 19 Übersicht bei Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 28 f.; i. E. Dürschke, NZS 2013, 41, 42 (Sozialrecht); Eidenmüller/Prause erklären jedenfalls die RL 2008/52/EG für auf den Güterichter anwendbar, NJW 2008,

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

Gegen eine Einordnung als alternative Konfliktbeilegung spricht aber das MediationsG selbst. Nach dessen § 2 Abs. 1 handelt es sich bei einem Mediator um einen Dritten, den die Parteien selbst auswählen und vertraglich mit der Durchführung des Mediationsverfahrens beauftragen. Der Güterichter ist aber gerade kein vertraglich beauftragter Dritter. Das Verständnis des MediationsG von einem Mediator passt somit nicht für einen Güterichter.20 An weitere Schwierigkeiten gerät man, sobald ein Güterichter mehrere Konfliktbeilegungsverfahren miteinander kombiniert oder sie abwandelt, was ihm § 54 Abs. 6 Satz 2 ArbGG ausdrücklich gestattet. Sowohl bei einer Typenkombination als auch bei einer Abwandlung wäre unsicher, welches Regelungsregime anzuwenden ist. Vor Gericht müssen die anzuwendenden Rechtsvorschriften aber feststehen. Schon das Risiko diesbezüglicher Unsicherheiten spricht gegen eine Einordnung der Güterichteraufgabe als alternative Konfliktbeilegung. Des Weiteren lassen systematische Erwägungen Zweifel an einer Einordnung als alternative Konfliktbeilegung aufkommen. So erlaubt der unmittelbar benachbarte § 54a Abs. 1 ArbGG dem Gericht, den Parteien zu empfehlen, in ein außergerichtliches Mediationsverfahren überzugehen. Wenn der Gesetzgeber aber schon in Abs. 1 explizit von einem Mediator spricht, wird er mit dem Richter in Abs. 6 nicht ebenfalls einen Mediator bezeichnen wollen.21 In Anbetracht der eng verwobenen Entstehungsgeschichte des Güterichtermodells mit dem MediationsG würde es bei einer Einordnung der Güterichteraufgabe als alternative Konfliktbeilegung zudem überraschen, dass die beiden Regelungskomplexe an keiner Stelle direkt aufeinander Bezug nehmen. Vielmehr verwendet der Gesetzgeber verschiedene Begrifflichkeiten, indem er einerseits von einem Mediator und andererseits von einem Güterichter spricht. Teile der Literatur sehen hierin eine semantische Spitzfindigkeit ohne tiefere Bedeutung.22 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden: Im Gesetzgebungsverfahren wurde der Begriff der gerichtsinternen Mediation bewusst fallen gelassen und durch den 2737, 2739; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 21 (Sozialrecht); Hagel, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 1 § 1 MediationsG Rn. 4; Hölzer, ZKM 2012, 119, 122 (Steuerrecht); Hohmann, ArbGG, 2014, § 54 ArbGG Rn. 13; Horstmeier, MediationsG, 2013, S. 150; nur die das Verfahren und nicht den Verfahrensleiter betreffenden Vorschriften des MediationsG anwendend Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1059; Röthemeyer, ZKM 2012, 116, 118; Schmidbauer, ZKM 2012, 88, 90 f.; wegen der Methodenfreiheit des Güterichters für eine zumindest indirekte Relevanz der Verfahrensvorschriften des MediationsG votiert Steffek, ZEuP 2013, 528, 547 (Zivilrecht). 20  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 5 (Zivilrecht); Greger, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 118 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 47. 21  Vgl. den Hinweis in Klammern zu Beginn der Rn. bei Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 20 (Zivilrecht). 22  Fritz/Schroeder, NJW 2014, 1910, 1911 (Zivilrecht).

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des Güterichterverfahrens ersetzt. Diese Entscheidung mag einem Kompromiss im hitzigen Gesetzgebungsverfahren entsprungen sein. Sie hat aber im Ergebnis dazu geführt, dass der Gesetzgeber den Güterichter vom Mediator bewusst abgegrenzt und sich für die Methodenfreiheit des Güterichters entschieden hat.23 Würde man die Güterichteraufgabe trotzdem als alternative Konfliktbeilegung einordnen und den Güterichter wie einen Mediator behandeln, würde man sich dem Willen des Gesetzgebers widersetzen. Entscheidend gegen eine Einordnung als alternative Konfliktbeilegung spricht auch die Gesetzesbegründung: In ihr legte der Gesetzgeber explizit nieder, dass der Güterichter kein Mediator sein solle.24 Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Güterichteraufgabe dogmatisch nicht als alternative Konfliktbeilegung einzuordnen.25 II.  Güterichteraufgabe als Rechtsprechung Stattdessen könnte die Güterichteraufgabe eine Aufgabe der Rechtsprechung sein.26 Im Kontext des § 15a EGZPO hat das BVerfG bereits entschieden, dass ein alternatives Konfliktlösungsverfahren als Rechtsprechung einzuordnen sein kann.27 Um klären zu können, ob die Güterichteraufgabe zur Rechtsprechung zählt, ist zunächst der Begriff der Rechtsprechung selbst und sein Verhältnis zu den ande23 VG Göttingen, Beschl. v. 27. 10. 2014, 2 B 986/13, 2 A 717/13, 2 A 851/13, 2 A 1002/13, juris Rn. 4. 24  Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 17, 21. 25  I. E. Francken, NZA 2012, 836, 839; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 5 (Zivilrecht); Greger, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 116 (Zivilrecht); ders., in: Greger/ Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, B § 1 MediationsG Rn. 14; Hartmann, MDR 2012, 941, 942 (Zivilrecht); ders., in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 43 (Zivilrecht); Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 157; Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54a ArbGG Rn. 18; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 384 (Sozialrecht); Roth, in: Kolloquium Mediation, 2013, S. 109 (Zivilrecht); Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1157 ff. (Zivilrecht); Wagner, ZKM 2012, 110, 114. 26 Dafür von Bargen, DVBl 2004, 468, 474; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 22 (Sozialrecht); Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 126; ders., in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 26a (Zivilrecht); Hess, in: 67. DJT 2008, F20 ff.; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 156; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 157; Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 28; ders., in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54a ArbGG Rn. 18; Spangenberg, ZKM 2013, 162, 163; Steinhauff, SteuK 2013, 160 (Steuerrecht); Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 625 f. 27  BVerfG, Beschl. v. 14. 02. 2007, 1 BvR 1335/01, NJW-RR 2007, 1073.

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

ren Staatsgewalten in den Blick zu nehmen. Eine griffige Definition des Rechtsprechungsbegriffs sucht man im Gesetz zwar vergebens. Fest steht aber, dass der Begriff an die Verfassung und dabei insbesondere an Art. 92 GG anknüpft. Darin vertraut das Grundgesetz die Rechtsprechung den Richtern an. Bislang ist nicht abschließend beantwortet, wie genau der Begriff der Rechtsprechung auszulegen ist.28 Diskutiert werden drei Wege, mittels derer sich dem Begriff angenähert werden kann: einen formellen, einen funktionellen und einen materiellen Weg.29 Im Folgenden wird untersucht, ob die Güterichteraufgabe über einen der drei Wege unter den Rechtsprechungsbegriff gefasst werden kann. 1.  Güterichteraufgabe als Rechtsprechung im formellen Sinn Die Güterichteraufgabe könnte bei formeller Betrachtung als Rechtsprechung einzuordnen sein.30 Formell betrachtet kann Rechtsprechung vorliegen, wenn eine Aufgabe einem Richter übertragen wird. Danach würde es für den Rechtsprechungsbegriff ausreichen, dass § 54 Abs. 6 ArbGG die Güterichteraufgabe ausdrücklich einem Richter zuweist. Mit einer rein formellen Betrachtung macht man es sich jedoch allzu leicht. Zwar verwandte die Weimarer Reichsverfassung den Begriff der ordentlichen Gerichtsbarkeit in ihrem Art. 103 – dem Vorgänger des heutigen Art. 92 GG – nach überwiegender Auffassung noch in einem formellen Sinne.31 Auf Art. 92 GG lässt sich dieses Verständnis aber nicht übertragen.32 Selbst wenn der Gesetzgeber den Güterichter in § 54 Abs. 6 ArbGG als Richter bezeichnet, kann daraus nicht gefolgert werden, dass die Güterichteraufgabe Rechtsprechung sein muss. Ebenso könnte der Güterichter nämlich auch ein Richter sein, der eine nicht zur Rechtsprechung gehörige Aufgabe ausführt. Das Richteramt wird jedem Richter dauerhaft übertragen. Diese Übertragung wird durch die konkrete Tätigkeit im Einzelfall nicht berührt, ein Richter ist und bleibt vielmehr ein Richter. Der Gesetzgeber ist nämlich frei, der rechtsprechenden Gewalt zusätzliche Zuständigkeiten zu übertragen, sofern das Grundgesetz deren Wahrnehmung nicht einer anderen Gewalt vorbehält und die rechtsprechende Gewalt durch sie nicht außer Stande gesetzt wird, ihre originären Rechtspre28 BVerfG, Urt. v. 08.  02. 2001, 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111, 136 a. E.; Rixen/ Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 382 (Sozialrecht); Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 815. 29  Übersicht bei Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 92 GG Rn. 31 ff. 30  I. E. ablehnend Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 124 f.; von ­Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 201 ff. (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 16. 31  BVerfG, Beschl. v. 06. 06. 1967, 2 BvR 375/60, BVerfGE 22, 49, 73 f. 32  BVerfG, Beschl. v. 06. 06. 1967, 2 BvR 375/60, BVerfGE 22, 49, 73 f.

§ 3  Prozessuale Verankerung des Güterichters

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chungsverpflichtungen zu erfüllen.33 Auch steht das Rechtsprechungsmonopol einer Aufgabenübertragung solange nicht im Wege, wie es sich bei der zu übertragenden Aufgabe nicht um Rechtsprechung handelt. Denn das Monopol soll die Rechtsprechung nur schützen, sie aber nicht dauerhaft auf ihre ursprüngliche Gestalt festlegen.34 Die Praxis setzt Richter beispielsweise regelmäßig in der Verwaltung ein, ohne dass sie dadurch ihren Richterstatus verlieren.35 Eine rein an den Wortlaut des § 54 Abs. 6 ArbGG anknüpfende Betrachtung würde dem Rechtsprechungsbegriff des Art. 92 GG somit nicht gerecht. 2.  Güterichteraufgabe als Rechtsprechung im funktionellen Sinn Ferner könnte die Güterichteraufgabe als Rechtsprechung im funktionellen Sinne einzuordnen sein.36 Voraussetzung dafür ist, dass es sich bei dem Güterichterverfahren um ein gerichtsförmiges Verfahren hoheitlicher Streitbeilegung handelt und den Entscheidungen des Güterichters letztverbindliche Rechtswirkung zukommt.37 Das Kriterium der Letztverbindlichkeit allein erlaubt keine eindeutige Zuordnung der Güterichteraufgabe. Endet das Güterichterverfahren mit einem Vergleich, kann dieser zwar in Rechtskraft erwachsen; Letztverbindlichkeit wäre dann gegeben. Endet das Güterichterverfahren aber damit, dass die Parteien zur Streitentscheidung zurück vor den Spruchrichter gelangen, würde es an der Letztverbindlichkeit fehlen. Die Letztverbindlichkeit steht und fällt also mit dem Verfahrensausgang. Sie eignet sich deshalb nicht zur Klassifizierung der Güterichteraufgabe. Maßgebend dafür, ob die Güterichteraufgabe als Rechtsprechung im funk­ tionellen Sinne einzuordnen ist, könnte dafür das Kriterium der Entscheidungsbefugnis sein.38 Nach § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist der Güterichter ein nicht 33  BVerfG, Beschl. v. 08. 02. 1967, 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139, 144; BVerfG, Beschl. v. 31. 05. 1983, 1 BvL 34/79, BVerfGE 64, 175, 179; BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 1987, 2 BvL 5/83, BVerfGE 76, 100, 106; von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 146; Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 92 GG Rn. 59; Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, Einl. Rn. 159. 34  BVerfG, Beschl. v. 08. 02. 1967, 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139, 144; Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, Einl. Rn. 154 ff. 35  Schmidt-Räntsch, in: Schmidt-Räntsch (Begr.), DRiG, 2009, Teil C § 1 Rn. 7; S ­ cholz, in: Seitz/Büchel (Hrsg.), Beck’RH, 2012, Teil G, Rn. 144. 36  I. E. wohl Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 494 ff.; i. E. ablehnend Hess, ZZP 124 (2011), 137, 147 (Zivilrecht); Roth, in: Kolloquium Mediation, 2013, S. 109, 113 (Zivilrecht); Spindler, DVBl 2008, 1016, 1021. 37  Zum Maßstab Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 92 GG Rn. 37. 38  Spindler, DVBl 2008, 1016, 1021; Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 816; Wimmer/ Wimmer, NJW 2007, 3243 f. (Zivilrecht).

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entscheidungsbefugter Richter. Wenn Entscheidungsbefugnis tatsächlich ein Tatbestandsmerkmal funktioneller Rechtsprechung ist, wäre die Güterichteraufgabe keine funktionelle Rechtsprechung. Die Rechtsprechung setzt Entscheidungsbefugnis für funktionelle Rechtsprechung wohl voraus. Bereits im Jahre 1957 hatte das BVerfG erklärt, das Element der Entscheidung sei eines der maßgeblichen Begriffsmerkmale der dritten Gewalt.39 1967 hat es zwar wieder offengelassen, ob eine nicht-kontradiktorische richterliche Tätigkeit – im damaligen Fall die der freiwilligen Gerichtsbarkeit – zur Rechtsprechung zählt.40 1971 stellte es jedoch abermals auf die Entscheidungsbefugnis ab, ebenso 1982, wenn damals auch unter der Einschränkung, dass es nur vorrangig Sache der Gerichte sei, die Rechtsordnung durch die letztverbindliche Feststellung dessen, was im konkreten Fall rechtens ist, zu sichern.41 Im Jahre 2001 urteilte es, dass es darauf ankomme, ob ein Sachbereich so ausgestaltet sei, dass er bei funktioneller Betrachtung auf die rechtsprechende Gewalt zugeschnitten sei.42 Entscheidendes Kennzeichen hierfür sei die letztverbindliche Klärung der Rechtslage, also die Entscheidungsbefugnis des Verfahrensleiters.43 Rechtsprechung im funktionellen Sinne erfordert danach Entscheidungsbefugnis. Diese fehlt dem Güterichter, sodass eine Einordnung als Rechtsprechungsaufgabe abzulehnen ist. In dieselbe Richtung gehend hat es auch das OLG Rostock abgelehnt, die frühere gerichtsinterne Mediation als Spruchrichtertätigkeit einzuordnen.44 3.  Güterichteraufgabe als Rechtsprechung im materiellen Sinn Damit bleibt nur noch die Subsumtion unter den materiellen Rechtsprechungsbegriff.45 Bereits 1967 erklärte das BVerfG, dass der Begriff der Rechtsprechung vornehmlich materiell zu bestimmen sei.46 Kriterien für eine materielle Bestim39 

BVerfG, Beschl. v. 28. 11. 1957, 2 BvL 11/56, BVerfGE 7, 183, 188 f. BVerfG, Beschl. v. 08. 02. 1967, 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139, 144. 41  BVerfG, Beschl. v. 27. 04. 1971, 2 BvL 31/71, BVerfGE 31, 43, 46; BVerfG, Beschl. v. 20. 04. 1982, 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, 269 f. 42  BVerfG, Urt. v. 08. 02. 2001, 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111, 137; BVerfG, Beschl. v. 03. 08. 2004, 1 BvR 135/00, 1 BvR 1086/01, NJW 2004, 2725, 2726. 43  BVerfG, Urt. v. 08. 02. 2001, 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111, 137; BVerfG, Beschl. v. 03. 08. 2004, 1 BvR 135/00, 1 BvR 1086/01, NJW 2004, 2725, 2726. 44  OLG Rostock, Beschl. v. 05. 01. 2007, 8 W 67/06 – 68/06, juris Rn. 19. 45  I. E. befürwortend Hess, ZZP 124 (2011), 137, 148 f. (Zivilrecht); Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 494; i. E. ablehnend VG Stuttgart, Beschl. v. 21. 09. 2011, 5 K 2044/10, juris; Bäumerich, SchiedsVZ 2015, 237, 241; Dürschke, NZS 2013, 41, 46 (Sozialrecht); Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 18 (Sozialrecht); Spindler, DVBl 2008, 1016, 1021; Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243, 3244 (Zivilrecht). 46  BVerfG, Beschl. v. 06. 06. 1967, 2 BvR 375/60, 2 BvR 53/60, 2 BvR 18/65, BVerfGE 22, 49, 73 f. 40 

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mung sucht man in der zugehörigen Urteilsbegründung jedoch vergebens. Heute wird angenommen, die materielle Komponente des Rechtsprechungsbegriffs konstituiere sich aus den traditionellen Kernbereichen der einzelnen, vom Verfassungsgeber vorgefundenen Gerichtsbarkeiten sowie anhand der zwischenzeitlich erfolgten tatsächlichen Änderungen des Verfahrensleitbildes.47 Die Güterichteraufgabe könnte dem spruchrichterlichen Gütetermin gleichzustellen und deshalb als Rechtsprechung einzuordnen sein.48 Für den Gütetermin steht nämlich fest, dass er zu der Rechtsprechungsaufgabe des Spruchrichters gehört.49 Die Verweisung nach § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG verlagert den Güteversuch des Abs. 1 vor einen anderen Richter. Die Tatsache, dass es sich um eine bloße Auslagerung des Güteversuchs handelt, spricht dafür, beide Verfahrensabschnitte grundsätzlich gleich zu behandeln.50 Die Verortung des Güterichters in § 54 ArbGG deutet ebenfalls darauf hin: Wenngleich der Gesetzgeber in der endgültigen Fassung der Norm kein Wort zu der Anwendbarkeit der übrigen Absätze des § 54 ArbGG auf den Güterichter verliert, suggeriert doch die systematische Verortung in § 54 ArbGG, dass es sich beim Güterichterverfahren letztlich auch um einen Gütetermin i. S. d. Absatz 1 handelt.51 Im Unterschied zum Güterichterverfahren dient der Gütetermin allerdings auch der Vorbereitung des streitigen Verfahrens und ist insoweit eine Vorstufe zur Streitentscheidung. Die Nichtöffentlichkeit des Güterichterverfahrens unterscheidet es weiter vom Gütetermin und spricht dagegen, eine materiell rechtsprechende Tätigkeit anzunehmen.52 Angesichts dieser Unterschiede können beide Verfahrensabschnitte nicht einfach gleichgestellt werden. Das Güterichterverfah-

47  BVerfG, Beschl. v. 06. 06. 1967, 2 BvR 375/60, 2 BvR 53/60, 2 BvR 18/65, BVerfGE 22, 49, 73 ff.; Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 92 GG Rn. 35 f.; Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, Einl. Rn. 145 ff. 48  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 6 (Zivilrecht); Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 231. 49  Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 13; Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 9 (Zivilrecht); Rixen/ Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 385 (Sozialrecht). 50 Wohl Hess, in: 67. DJT 2008, F21 f. (Zivilrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 346 (Zivilrecht). 51  I. E. dafür ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 46, 60; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 385 (Sozialrecht); Thole, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 65; i. E. dagegen Kloppenburg/Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 77; Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 13. 52  Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Vertraulichkeit im Güterichterverfahren, S. 225.

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ren muss den Anforderungen des materiellen Rechtsprechungsbegriffs vielmehr für sich selbst betrachtet genügen.53 Der Güterichter orientiert sich für die Konfliktlösung an der Interessen- statt an der Rechtslage, was nicht der herkömmlichen Herangehensweise materieller Rechtsprechung entspricht.54 Eine Einordnung der Güterichteraufgabe als materielle Rechtsprechungstätigkeit könnte deshalb die richterlichen Funktionen verwässern.55 Angesichts der hohen arbeitsgerichtlichen Vergleichsquoten müsste man danach konsequenterweise aber auch für den Spruchrichter anzweifeln, ob dieser noch eine klassische richterliche Rechtsprechungstätigkeit ausübt.56 Stattdessen könnte man der Frage der Einordnung anders herum begegnen und ein argumentum ad absurdum konstruieren: Wenn die Mediation durch einen Güterichter Rechtsprechung ist, könnte diese Form der Mediation ihre einzig zulässige sein.57 Immerhin, so wird argumentiert, statuiere Art. 92 GG ein Rechtsprechungsmonopol. Erkläre man eine Materie zur Rechtsprechung, werde sie dadurch für die Gerichte reserviert.58 Eine solche Monopolisierung ist für den Güterichter teleologisch jedoch nicht erforderlich, weil Art. 92 GG nur der Abgrenzung der staatlichen Gewalten zueinander dient, also der Staatsorganisation. Das Rechtsprechungsmonopol bezieht sich ebenfalls auf diese Abgrenzung. Gegenüber Privaten entfaltet es keine Wirkung.59 Außergerichtliche Mediatoren, deren Berufsbild der Gesetzgeber im MediationsG und in § 54a ArbGG ausdrücklich billigt, nehmen indes keine Staatsfunktion in Anspruch. Ebenso zieht es auch niemand unter Verweis auf das Rechtsprechungsmonopol in Zweifel, dass die Parteien anstelle der staatlichen Gerichtsbarkeit ein Schiedsgericht mit ihrem Konflikt betrauen können.60 Aus diesem argumentum ad absurdum lassen sich deshalb keine Rückschlüsse darauf ziehen, wie die Güterichteraufgabe dogmatisch einzuordnen ist. Letztlich steht und fällt die Einordnung auch hier damit, ob materielle Rechtsprechung Entscheidungsbefugnis voraussetzt. Gehört die Entscheidungsbefugnis zum traditionellen Kernbereich der Gerichte? Ohne Zweifel handelt es sich bei ihr um eines der prominentesten richterlichen Merkmale. Andererseits kennt der 53 

238.

54 

Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 126; ders., SchiedsVZ 2015, 237,

Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 18. Engel/Hornuf, ZZP 124 (2011), 505. 56  Hess, ZZP 124 (2011), 137, 148 (Zivilrecht). 57  Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 816. 58  von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 149; Horstmeier, MediationsG, 2013, S. 145; Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 816. 59  Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 92 GG Rn. 87. 60  Hess, in: 67. DJT 2008, F25. 55 

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traditionelle Kernbereich auch entscheidungsfreie richterliche Verhaltensweisen, wie bei Klagerücknahme, Verzicht, Erledigung und Vergleich.61 Auch § 1 DRiG stellt nur fest, dass die rechtsprechende Gewalt durch Berufsrichter und ehrenamtliche Richter ausgeübt wird, nicht aber umgekehrt, dass Berufsrichter und ehrenamtliche Richter nur rechtsprechende Gewalt ausüben dürfen. Die Vorschrift beantwortet damit noch nicht endgültig, ob Entscheidungsbefugnis konstitutiv für materielle Rechtsprechung ist. Die Gruppe derer, die für Rechtsprechung keine Entscheidungsbefugnis voraussetzen, beruft sich auf den Gewaltenteilungszweck des Art. 92 GG. Dieser sei nur erfüllt, wenn dem Richter sowohl die Entscheidung als Ziel als auch die Entscheidungsfindung als Weg anvertraut sei.62 Die bloße Ausrichtung eines Verfahrensabschnitts auf eine spätere Entscheidung genüge, um den Abschnitt als materielle Rechtsprechung einzuordnen. Aufgrund der vorausgegangenen Klageerhebung sei das Güterichterverfahren auf eine Entscheidung ausgerichtet und damit materielle Rechtsprechung. Soweit diese Einordnung nicht vom verfassungsrechtlichen Verständnis materieller Rechtsprechung gedeckt sei, bedürfe dieses Verständnis einer Ergänzung.63 Im Übrigen eigne sich die Entscheidungsbefugnis nicht dafür, die Staatsgewalten voneinander abzugrenzen; beispielsweise träfen auch die der Exekutive zugehörigen Verwaltungsbehörden Entscheidungen, wenn sie Widerspruchsbescheide erließen.64 Wohl überwiegend wird die Entscheidungsbefugnis aber als für die materielle Rechtsprechung notwendig befunden.65 Man ordnet Staatsgewalt unter anderem deswegen als Rechtsprechung ein, um sie bestimmten Einschränkungen zu unterwerfen und dadurch Private vor ihr zu schützen. Kann die materiell rechtsprechende Gewalt im Einzelfall aber keine Entscheidungen treffen, muss auch

61 

von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 173 f. von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 204; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 23 (Sozialrecht). 63  Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 24 (Sozialrecht). 64  von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 174. 65  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 126; Groth, Mediation im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren, 2017, S. 180 ff.; Horstmeier, MediationsG, 2013, S. 145; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 15; Münch, in: Bitburger Gespräche, 2008, S. 179, 200 (Zivilrecht); Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 9; ders., DVBl 2008, 1016, 1022; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1036 (Zivilrecht); Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243 f. (Zivilrecht); a. A. von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 172 ff.; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 58; Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54a ArbGG Rn. 18; Rixen/ Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 385 (Sozialrecht); Schmidt-Räntsch, in: SchmidtRäntsch (Begr.), DRiG, 2009, Teil C § 1 Rn. 7. 62 

1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

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niemand vor ihr geschützt werden. Damit besteht kein verfassungsrechtlicher Grund, die Güterichteraufgabe als materielle Rechtsprechung einzuordnen. III.  Güterichteraufgabe als andere Aufgabe gemäß § 4 Abs. 2 DRiG Selbst wenn die Güterichteraufgabe keine Rechtsprechung im verfassungsrechtlichen Sinne ist, könnte es sich bei ihr um eine sonstige richterliche Aufgabe handeln, die der Gesetzgeber den Gerichten zugewiesen hat. Welche Aufgaben ein Richter außer der Rechtsprechung wahrnehmen darf, regelt § 4 Abs. 2 DRiG. Andere als die dort genannten Aufgaben soll ein Richter grundsätzlich nicht ausüben. Die Weite der Formulierung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 DRiG verdeutlicht aber, dass trotz des Ermächtigungserfordernisses kein numerus clausus richterlicher Aufgaben existiert.66 1.  Verwaltungsaufgabe gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 DRiG Vereinzelt wurde versucht, die Güterichteraufgabe als Verwaltungsaufgabe i. S. d. § 4 Abs. 2 Nr. 1 DRiG zu qualifizieren.67 Verwaltungstätigkeit meint hier die gesamte verwaltende Tätigkeit der Gerichte, die nicht unmittelbar die Erfüllung von Rechtsprechungsaufgaben darstellt, jedoch für diese die unabdingbaren materiellen und personellen Voraussetzungen schafft.68 Die Einordnung als Verwaltungsaufgabe fußt auf der Grundannahme, dass Rechtsprechung und Verwaltung untrennbar miteinander verknüpft sind. Diese Verknüpfung offenbart sich im Gesetz an vielen Stellen, beispielsweise werden Richter regelmäßig in der Verwaltung eingesetzt. Eines der legislativen Ziele bei der Einführung des Güterichters bestand in der Justizentlastung, die letztlich zu einer effektiveren Erfüllung der gerichtlichen Rechtsprechungsaufgabe führen sollte.69 Die Güterichteraufgabe sollte insoweit mittelbar die materiellen und personellen Voraussetzungen für die Erfüllung der Rechtsprechungstätigkeit durch die Gerichte schaffen. Dieser Zweck der Güterichteraufgabe entspricht dem der Verwaltung. Gegen eine Einordnung der Güterichteraufgabe als Verwaltungstätigkeit spricht jedoch, dass sich in den anerkannten Bereichen der Gerichtsverwaltung 66 

Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 817. dafür Ortloff, NVwZ 2004, 385, 389 (Verwaltungsrecht); ders., NJW 2008, 2544, 2546; Sarhan, JZ 2008, 280, 285; Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243, 3244 (Zivilrecht). 68  Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, § 12 GVG Rn. 85 f.; Schmidt-Räntsch, in: Schmidt-Räntsch (Begr.), DRiG, 2009, Teil C § 4 Rn. 30. 69  Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 10. 67 I. E.

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nichts Vergleichbares findet: Zu den traditionellen Aufgaben der Verwaltung gehören vielmehr die Gebäudebereitstellung, die Personalverwaltung und das Rechnungswesen.70 Die Güterichteraufgabe betrifft aber weder die Organisa­ tion noch den Betrieb der Gerichte.71 Sie fügt sich damit in keiner Weise in das traditionelle Aufgabenportfolio der Verwaltung ein.72 Im Übrigen passt auch die Befugnis des Güterichters, sich zur Sach- und Rechtslage zu äußern, nicht zum Naturell der Verwaltung.73 Hinzu tritt, dass eine Terminsgebühr nach h. M. sogar dann anfällt, wenn eine Verhandlung vor dem Güterichter stattfindet, ohne dass es zuvor zu einer Verhandlung vor dem Spruchrichter gekommen wäre.74 Die Entstehung einer Terminsgebühr spricht ebenfalls dafür, die Güterichteraufgabe nicht als Verwaltungstätigkeit zu qualifizieren. 2.  Sonstige richterliche Aufgabe gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 DRiG Schließlich könnte die Güterichteraufgabe als sonstige richterliche Aufgabe gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 DRiG einzuordnen sein.75 Wie dargestellt ist der Gesetzgeber nicht gehindert, den Richtern auch solche Aufgaben anzuvertrauen, die selbst nicht zur Rechtsprechung zählen.76 Allerdings müssen dafür verschiedene 70  Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, § 12 GVG Rn. 86; Schmidt-Räntsch, in: Schmidt-Räntsch (Begr.), DRiG, 2009, Teil C § 4 Rn. 30; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 11 Fn. 32. 71  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 5 (Zivilrecht); Pitschas, NVwZ 2004, 396, 402 (Verwaltungsrecht); Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243, 3244 (Zivilrecht). 72  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 17; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 10. 73  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 17. 74 Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Kosten des Güterichterverfahrens, S. 271. 75 I. E. dafür Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 72; Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 8; Dürschke, NZS 2013, 41, 46 (Sozialrecht); Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 13; Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 69; Groth, Mediation im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren, 2017, S. 183; Hartmann, MDR 2012, 941, 942 (Zivilrecht); ders., in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 44 (Zivilrecht); Horstmeier, MediationsG, 2013, S. 146 Rn. 427; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 17 f.; Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, Einl. Rn. 137; Röthemeyer, ZKM 2012, 116, 117; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1118 (Zivilrecht); Weitz, Gerichtsnahe Mediation, 2008, S. 237 (Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht). 76  Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 08. 01. 1959, 1 BvR 396/55, BVerfGE 9, 89, 96 ff.; ferner BVerfG, Beschl. v. 08. 02. 1967, 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139, 144; BVerfG, Beschl. v. 31. 05. 1983, 1 BvL 34/79, BVerfGE 64, 175, 179; BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 1987, 2 BvL 5/83, BVerfGE 76, 100, 106; Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 92 GG Rn. 58 f.; Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, Einl. Rn. 159.

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

Voraussetzungen erfüllt sein: So darf die Wahrnehmung der Rechtsprechungsaufgaben nicht wesentlich behindert, beeinträchtigt oder eingeschränkt werden, die Übertragung der Aufgaben darf Größe und Leistungsfähigkeit der Gerichte nicht in Frage stellen und Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 92 GG nicht zuwiderlaufen. Für den Richter darf kein unüberwindbarer Rollenkonflikt geschaffen werden. Zudem darf der Grundsatz der Gewaltenteilung nicht verletzt werden.77 Die Güterichteraufgabe erfüllt all diese Voraussetzungen. Zudem ist es die Rechtsprechung, zu der die Güterichteraufgabe die größte Nähe aufweist, da sie wie diese darauf abzielt, Rechtsfrieden zu stiften.78 So bemerkte der BGH bereits im Jahre 1967: „Die gütliche Beilegung von Rechtsstreiten spielt erfahrungsgemäß in der gerichtlichen Praxis eine erhebliche Rolle. Sie gehört neben der Entscheidung durch Urteil zu den bedeutungsvollsten Aufgaben des Richters und ist daher ebenso wie der Rechtsspruch dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit zuzuordnen.“79

Der Güterichter nimmt die Aufgabe der gütlichen Beilegung des Rechtsstreits wahr, wie sie bereits in § 54 Abs. 1 ArbGG zur Sprache kommt. Die Güterichtertätigkeit gehört deshalb zu den richterlichen Aufgaben gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 DRiG.

D.  Ergebnis Die Verweisung vor den Güterichter ist eine von mehreren Möglichkeiten, um die Konfliktbeilegung von der hoheitlichen in die einvernehmliche Sphäre zu verlagern. Alternativ kann der Weg des Gütetermins oder der einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung beschritten werden. Die Weichenstellung zwischen diesen Verfahren obliegt grundsätzlich dem Spruchrichter. Das Gesetz gibt ihm dabei nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob er die Parteien vor einen Güterichter verweist. § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG verwendet den Begriff der Verweisung in einem für das Verfahrensrecht untypischen Sinne. Danach wird durch die Verweisung temporär eine neue richterliche Zuständigkeit für einen bestimmten Verfahrens77  BVerfG, Beschl. v. 08. 02. 1967, 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139, 144; BVerfG, Beschl. v. 31. 05. 1983, 1 BvL 34/79, BVerfGE 64, 175, 179; BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 1987, 2 BvL 5/83, BVerfGE 76, 100, 106. 78  Carl, ZKM 2012, 16, 17 (Zivilrecht); Spangenberg, ZKM 2013, 162, 163; krit. A ­ hrens, der die gütliche Konfliktbeilegung ausdrücklich nicht zum Kernbereich der Rechtsprechung zählen will, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht); ebenso Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 2 (Zivilrecht). 79  BGH, Urt. v. 09. 03. 1967, RiZ (R) 2/66, BGHZ 47, 275, 287.

§ 3  Prozessuale Verankerung des Güterichters

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abschnitt begründet. Das Verfahren als solches bleibt dagegen die ganze Zeit bei der Ausgangskammer anhängig. Es ist umstritten, wie die Tätigkeit des Güterichters dogmatisch einzuordnen ist. Nach zutreffender Ansicht handelt es sich um eine richterliche Aufgabe gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 DRiG.

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

§ 4  Richterliches Ermessen bei der Verweisung vor den Güterichter Der letzte Abschnitt dieses ersten Teils untersucht das Ermessen des Spruchrichters bei der Einleitung des Güterichterverfahrens. Zu diesem Zweck wird eingangs der Begriff des richterlichen Ermessens abgesteckt. Sodann beleuchtet die Arbeit Art und Umfang des Ermessens des Spruchrichters bei der Verweisung, wobei sie zwischen Entschließungs- und Auswahlermessen differenziert. Der Abschnitt schließt sodann damit, die Fehler, die dem Spruchrichter bei seiner Ermessensentscheidung unterlaufen können, herauszuarbeiten und sie auf ihre Überprüfbarkeit durch die nächsthöhere Instanz hin zu untersuchen.

A.  Annäherung an den Begriff richterlichen Ermessens Die Suche nach einer Definition geht zunächst vom Gesetzestext aus, ehe die sprachlich-grammatische Bedeutung des Ermessensbegriffs i. S. d. allgemeinen Sprachgebrauchs und schließlich das Verständnis des Ermessensbegriffs in der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft i. S. d. rechtlichen Sprachgebrauchs untersucht werden.1 I.  Legaldefinition? Ob in § 61 Abs. 2 Satz 1 ArbGG oder in § 104 ArbGG – der Rechtsbegriff richterlichen Ermessens tritt im Arbeitsverfahrensrecht unzählige Male auf, ohne je eine Legaldefinition zu erfahren.2 Unter den Rechtsgebieten ist der Begriff des 1 Der Untersuchung ist vorauszuschicken, dass richterliches Ermessen und Parteiermessen, wie es in §§ 315 Abs. 1, 3, 319 Abs. 1 BGB in Erscheinung tritt, einander wesensfremd sind, und sich die hiesigen Ausführungen allein auf richterliches Ermessen beziehen, vgl. Neumann-Duesberg, JZ 1952, 705 ff. (Zivilrecht); Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 6 (Strafrecht). Ferner beschränken sie sich auf das Rechtsfolgeermessen; der Streitstand um die Existenz eines Tatbestandsermessens bleibt insofern ausgeklammert, dazu Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 13 ff. (Strafrecht). 2  Schiffczyk, Das „freie Ermessen“ des Richters, 1979, S. 21 (Zivilrecht); Schilken, in: FS Hoppe, 1996, S. 55 ff. (Zivilrecht); Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 5 (Strafrecht); rechtsvergleichend Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45 (Zivilrecht): „Moreover, no national law under consideration contains a precise definition of the notion of judicial discretion“; zum Begriff des Verfahrensermessens Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 25 f. (Zivilrecht); Göppinger, JJb 9 (1968), 86, 112 ff. (Zivilrecht); Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 404 (Zivilrecht); Schilken, in: FS Hoppe, 1996, S. 55, 57 (Zivilrecht).

§ 4  Richterliches Ermessen bei der Verweisung vor den Güterichter

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Ermessens im Verwaltungsrecht am geläufigsten, doch findet sich dort ebenfalls keine verallgemeinerungsfähige Definition.3 Auch im Zivilrecht findet man weder eine verfahrensrechtliche Norm, die bestimmt, inwieweit zivilrichterliche Ermessensentscheidungen überprüfbar sind, noch eine materiellrechtliche Norm, welche die Ermessensausübung allgemeingültig regelt.4 Im Gesetz tritt Ermessen stets im Zusammenhang mit staatlichen Organen auf.5 Anders als Private, die im Rahmen ihrer Privatautonomie frei agieren, können staatliche Organe häufig nur im Rahmen des ihnen in einer Ermächtigungsvorschrift zugesprochenen Ermessens handeln.6 Wenngleich eine positive Definition richterlichen Ermessens fehlt, so sind doch in einigen Ermessensvorschriften Kriterien normiert, die den Richter binden.7 Indem man die Grenzen des richterlichen Ermessens beschreibt, umreißt man den Begriff negativ.8 Normübergreifende Eigenschaften des Ermessens oder gar eine Legaldefinition lassen sich den Bestimmungen jedoch nicht entnehmen.9 II.  Sprachlich-grammatisches Grundverständnis Nachdem die Suche nach einer Legaldefinition erfolglos verlaufen ist, wird nun ein Blick auf den allgemeinen Wortsinn des Begriffs Ermessen geworfen. Zwar folgt Rechtssprache ihren eigenen Gesetzen, weshalb sich dem allgemeinen Sprachgebrauch keine exakte juristische Definition entnehmen lässt.10 Im Zeitpunkt ihrer Entstehung orientiert sich Rechtssprache aber oft an Umgangssprache, denn sie entwickelt sich in der Regel aus ihr heraus.11 Hätte der Gesetzgeber einen Rechtsbegriff in einem anderen als dem allgemeinen Sprachgebrauch 3  Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 17 (Zivilrecht). 4  Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 17 (Zivilrecht). 5  Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 19 (Zivilrecht); Göppinger, JJb 9 (1968), 86, 87 (Zivilrecht). 6  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 47, 395 (Zivilrecht). 7  Z. B. §§ 91a Abs. 1 Satz 1, 454 Abs. 1 ZPO. 8 Ähnlich Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 46 Fn. 8 (Zivilrecht). 9  Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 11 (Freiwillige Gerichtsbarkeit); ­Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 26 (Zivilrecht); Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 6 (Strafrecht). 10  Bachof, JZ 1956, 590; Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 20 (Zivilrecht). 11  Bachof, JZ 1956, 590.

1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

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bekannten Sinn verwenden wollen, hätte er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder in der Vorschrift selbst oder in den Gesetzesmaterialien dazu verhalten. Zumindest insoweit können der Wortsinn und der allgemeine Sprachgebrauch deshalb Aufschluss über die Bedeutung von Rechtsbegriffen geben. Linguistisch lässt sich Ermessen von dem Wortstamm Maß herleiten.12 Seine Gegenpole sind auf der einen Seite das Belieben13 und auf der anderen Seite die Alternativlosigkeit. Bei Alternativlosigkeit besteht für den zur Entscheidung Berufenen nur eine einzige rechtmäßige Entscheidungsmöglichkeit;14 im Verwaltungsrecht würde man hier von einer gebundenen Entscheidung sprechen. Um unter den verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten die eine rechtmäßige auszuwählen, muss der Entscheidungsträger schlicht auf einen Gesetzesbefehl reagieren, es genügen Interpretation und Subsumtion.15 Bei Ermessen und bei Belieben stehen dagegen mehrere Optionen zur Verfügung. Sie verlangen von dem Entscheidungsträger eine selbstständige Urteilsfindung und stellen ihn vor eine Herausforderung, die bei Alternativlosigkeit fehlt.16 Während bei Alternativlosigkeit Interpretation und Subsumtion genügen, sind bei Ermessensnormen weitergehende Erwägungen anzustellen. In anderer Hinsicht sind Ermessen und Belieben jedoch verschieden.17 Während der Entscheidungsträger bei Belieben frei ist und nach eigenem Gutdünken auswählen darf, existiert bei Ermessen stets ein bestimmter Maßstab, an dem er seine Entscheidung auszurichten hat.18 Dieser Maßstab ist bei jeder Ermessensvorschrift ein wenig anders ausgestaltet. Manchmal ergibt er sich aus der im Normwortlaut genannten Alternative, manchmal aus einer abstrakten 12 

Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 12 f. (Zivilrecht). Lembcke, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, VI. Andere Verfahren Rn. 47; Rieble, in: Staudinger (Begr.), BGB, 2015, § 315 Rn. 340 (Zivilrecht); Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 111 (Strafrecht). Im Zivilrecht findet sich dieser Begriff etwa in §§ 319 Abs. 2, 421, 428 S. 1, 903 S. 1, 1132 Abs. 1 Satz 2, 2181 BGB. In den Verfahrensordnungen nutzt der Gesetzgeber den Begriff des Beliebens hingegen nicht, dazu Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 13 Fn. 42 (Zivilrecht). 14  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 50 (Zivilrecht). 15  Heilbron, Ermessen des Richters, 1929, S. 5 f. (Strafrecht); Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 46 (Zivilrecht). 16  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 46 (Zivilrecht). 17  Der Gesetzgeber differenziert zwischen beiden Termini, wie auch die innere Systematik des § 319 BGB erkennen lässt, Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 14 (Zivilrecht); beide Begriffe dagegen gleichsetzend wohl RG, Urt. v. 22. 09. 1906, V 1/06, RGZ 64, 114, 116; BAG, Urt. v. 16. 03. 1982, 3 AZR 1124/79, BB 1982, 1486, 1487; Cza­ chorowski, Bestimmbarkeit der Leistung im Schuldverhältnis, 1948, S. 35. 18  Göppinger, JJb 9 (1968), 86, 111 (Zivilrecht). 13 

§ 4  Richterliches Ermessen bei der Verweisung vor den Güterichter

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Richtschnur oder aus einem allgemeinen Prinzip.19 Der Maßstab ist es letztlich auch, der richterliches Ermessen von anderen Ermessensformen unterscheidet.20 III.  Verständnis in der Rechtsprechung In der Judikatur wird richterliches Ermessen als Rechtsbegriff zwar oft erwähnt, soweit ersichtlich aber nirgends dogmatisch aufgearbeitet oder präzise allgemeingültig definiert.21 Aus der Zusammenschau verschiedener einzelner Formulierungen lässt sich ein nur unscharfes Bild vom Rechtsbegriff des Ermessens malen. Einen der frühesten Anhaltspunkte bot das RG im Jahre 1890, als es umriss: „Wenn der Gesetzgeber eine Entscheidung von richterlichem Ermessen abhängig macht, so gibt er der richterlichen Beurteilung einen weiteren Spielraum, als ihr regelmäßig zusteht“.22 Im Übrigen hat die Rechtsprechung formuliert, Ermessen sei ein vom Richter auf Rechtsfolgenseite auszufüllender „Rahmen“.23 Der Richter habe eine „sorgfältige Abwägung der in Widerstreit stehenden Güter und Interessen“24 vorzunehmen und „alle Umstände des Einzelfalls“25 zu berücksichtigen, um erkennen zu können, welche Entscheidung „billig, gerecht und zweckmäßig ist“.26 Gewährt werde Ermessen, wenn das Gesetz innerhalb gewisser „Grenzen“27 freien Spielraum belasse. Diese abstrakten Formulierungen der Rechtsprechung vermögen indes nicht darüber hinwegzutäuschen, dass Richter ihr Ermessen in der Rechtspraxis allzu oft insofern schematisch ausüben, als dass sie die konkreten Umstände des Einzelfalls nicht hinreichend würdigen und in Fallgruppen denken.28 19  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 47 (Zivilrecht). 20  Göppinger, JJb 9 (1968), 86, 88 (Zivilrecht); Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 47 (Zivilrecht). 21  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 46 (Zivilrecht): „All regional and national reports agree that while discretion is a common term, it possesses an imprecise and ambiguous meaning“; Schlotz, Ermessensentscheidung, 1969, S. 26 (Zivilrecht); Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 8 (Freiwillige Gerichtsbarkeit). 22  RG, Urt. v. 16. 12. 1890, 3421/90, RGSt 21, 225. 23  OLG Bremen, Beschl. v. 29. 08. 1955, 2 W 262/55, FamRZ 1956, 190. 24  OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08. 10. 1958, 3 W 72/58, NJW 1959, 342. 25  BGH, Beschl. v. 14. 07. 1955, IV ZB 37/55, BGHZ 18, 143, 148. 26  BGH, Beschl. v. 14. 07. 1955, IV ZB 37/55, BGHZ 18, 143, 148. 27 BGH, Beschl. v. 14.  07. 1955, IV ZB 37/55, BGHZ 18, 143, 148; BGH, Urt. v. 04. 03. 1980, VI ZR 6/79, BB 1980, 863 Rn. 8. 28  Greger, ZZP 100 (1987), 377 ff. (Zivilrecht).

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

IV.  Verständnis in der Rechtswissenschaft In der Rechtswissenschaft finden sich verschiedene Ausführungen zu dem Begriff des zivilrichterlichen Ermessens, die sich weitgehend auf das Arbeitsrecht übertragen lassen.29 Festzuhalten ist aber, dass man auch in der Rechtswissenschaft vergeblich nach einer griffigen, konsensfähigen Definition des Rechtsbegriffs sucht. Einig ist man sich aber, dass Ermessen Wahlfreiheit bei der Rechtsanwendung bedeutet.30 Richterliches Ermessen zeichnet sich dadurch aus, dass dem Richter eine Auswahlbefugnis zwischen zwei oder mehr Optionen zukommt, die das Gesetz als grundsätzlich gleichwertig einstuft.31 Dem Ermessensbegriff im Gesetz beigefügte Zusätze wie billig,32 pflichtgemäß33 oder frei34 sind nach Ansicht vieler Vertreter der Rechtswissenschaft überflüssig. Richterliches Ermessen sei schon aus Gründen der Verfassungsmäßigkeit stets gesetzmäßig auszuüben; an diesem Maßstab änderten derartige Zusätze nichts.35 Damit beantwortet die Rechtswissenschaft indes noch nicht, weshalb der Gesetzgeber dem Ermessensbegriff die Zusätze beigefügt hat. Intuitiv würde man vermuten, dass sich durch die Zusätze der Maßstab der Ermessensausübung 29 Grundlegend von Seuffert, Über richterliches Ermessen, 1880; ferner Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 19 ff. (Zivilrecht); ­Göppinger, JJb 9 (1968), 86, 95 ff. (Zivilrecht); Heilbron, Ermessen des Richters, 1929, S. 5, 39 (Strafrecht); Schiffczyk, Das „freie Ermessen“ des Richters, 1979 (Zivilrecht); Schlotz, Ermessensentscheidung, 1969, S. 190 ff. (Zivilrecht); Schmidt-Lorenz, Richterliches Ermessen, 1983 (Zivilrecht); Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 14 ff. (Freiwillige Gerichtsbarkeit); Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 1 ff. (Zivilrecht); Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 6 ff. (Strafrecht); rechtsvergleichend die Beiträge in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003 (Zivilrecht). 30  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395 (Zivilrecht). 31  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395 (Zivilrecht); Neumann-Duesberg, JZ 1952, 705 (Zivilrecht); Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 111, 118 (Strafrecht). 32  Z. B. in §§ 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG, 315 Abs. 3 Satz 1 BGB oder § 495a ZPO, weitere Bsp. bei Göppinger, JJb 9 (1968), 86, 90 (Zivilrecht). 33  Z. B. bei Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 53 ArbGG Rn. 8. 34  Z. B. in §§ 3 ZPO, 61 Abs. 2 Satz 1 ArbGG; weitere Bsp. bei Göppinger, JJb 9 (1968), 86, 90 (Zivilrecht). 35  Pflichtmäßigkeit fordern z. B. Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 76; Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 91a ZPO Rn. 118 (Zivilrecht); Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 63; zu den Zusätzen frei und billig Neumann-Duesberg, JZ 1952, 705, 706 (Zivilrecht); Schilken, in: FS Hoppe, 1996, S. 55, 58 (Zivilrecht); zu dem Ergebnis gelangend, dass Ermessen ohnehin stets pflichtgemäß auszuüben sei, dem Wort also kein Mehrwert zukomme Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 298 f. (Zivilrecht).

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für den Richter verändert, wenn es sich auch nur um eine Nuance handeln mag. So könnte der Richter bei billigem Ermessen gehalten sein, seine Ermessensentscheidung an Gerechtigkeitserwägungen auszurichten, während er bei freiem Ermessen einen weiteren Spielraum erhält, der allein bei positiver Gesetzeswidrigkeit oder Willkür überschritten ist. Etwa wird für die Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO vertreten, dass der dem Ermessen beigefügte Begriff der Billigkeit ein unbestimmter Rechtsbegriff sei, der den Richter dazu verpflichte, im Einzelfall unangemessene Härten abzufedern.36 Insoweit ist „billig“ in § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO ein Tatbestandselement, welches den Richter bindet, und gewährt kein Ermessen.37 V.  Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip Vor dem Hintergrund des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Gewaltenteilungsprinzips könnte man Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit richterlichen Ermessens hegen. Aus dem Gewaltenteilungsprinzip lässt sich nämlich ableiten, dass die Judikative keine Aufgaben durchführen darf, die originär dem Kernbereich der Legislative angehören. Wenn ein Richter nun aber eine Ermessensentscheidung trifft, löst er sich dadurch bis zu einem gewissen Grad vom Gesetz. Schuhmann zufolge schafft der Richter durch diese Loslösung eine für den jeweils zu entscheidenden Einzelfall geltende Individualrechtsnorm.38 Hierdurch überschreite er die Grenze von der reinen Rechtsanwendung hin zur Rechtssetzung, welche eigentlich der Aufgabensphäre der Legislative zuzurechnen sei. Durch die Überschreitung entstehe ein Konflikt mit dem Gewaltenteilungsprinzip. Betrachtet man den Vorgang der richterlichen Ermessensausübung, ist er strukturell mehr eine Anwendung der Ermessensermächtigung als eine Rechtssetzung. Zwar füllt der Spruchrichter eigenständig einen ihm für die Verweisung vor den Güterichter eröffneten Entscheidungsfreiraum aus. Das Maß an Selbstständigkeit bei seiner Verweisungsentscheidung genügt jedoch nicht, um die Schwelle von der Rechtsanwendung hin zur Rechtssetzung zu überschreiten. Hinzu kommt, dass der Spruchrichter auf diesem Weg nur über einen konkreten Einzelfall urteilt; seiner Entscheidung kommt keine normative Geltung zu.39 Abstrakt-generelle Geltung ist aber charakteristisch für Rechtssetzung. Richterliche Ermessensausübung ist damit als Rechtsanwendung und nicht als Rechtssetzung 36 

Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 430 (Zivilrecht). Göppinger, Erledigung, 1958, S. 199 f. (Zivilrecht); Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 430 (Zivilrecht). 38  Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 103 (Freiwillige Gerichtsbarkeit); Westermann spricht von einer Rechtsschöpfung des Richters, Richterliche Streitentscheidung, 1955, S. 31 (Zivilrecht). 39  Neumann-Duesberg, JZ 1952, 705 (Zivilrecht). 37 

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

einzuordnen.40 Ein Konflikt mit dem Gewaltenteilungsprinzip besteht mithin nicht. Selbst wenn man in der Ermessensausübung eine Form der Rechtssetzung sehen wollte, ist dies im Ergebnis unschädlich. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist nicht in Stein gemeißelt, Durchbrechungen sind möglich. So gesteht selbst das BVerfG zu, dass das Gewaltenteilungsprinzip „nirgends rein verwirklicht“ sei, vielmehr seien Überschneidungen „gebräuchlich“.41 Zwar bedarf eine solche eines zwingenden Grundes. Dieser liegt hier aber vor, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Verfassung von einem Staatsorgan nichts Unmögliches verlangen kann. Für den Gesetzgeber wäre es aber unmöglich, jeden Einzelfall vorauszusehen und ex ante sachgerecht zu regeln.42 Der Gesetzgeber kann dem Richter daher nicht für alle Konstellationen eine detaillierte Entscheidung vorgeben. Stattdessen delegiert er die Entscheidungsbefugnis und damit bis zu einem gewissen Grad auch die Befugnis zur Rechtsschöpfung, um eine zweckmäßige, sachgerechte Einzelfalllösung zu ermöglichen.43 Es ist ebenso zweckmäßig wie notwendig, dem Richter die Verantwortung für den Einzelfall aufzuerlegen. Mithin besteht ein zwingender Grund, der eine Durchbrechung der Gewaltenteilung im Interesse der richterlichen Ermessensausübung rechtfertigen könnte.

B.  Art und Umfang des Ermessens bei der Verweisung Die von der Rechtswissenschaft vorgenommene Differenzierung zwischen Entschließungs- und Auswahlermessen wird auch bei der Verweisung vor den Güterichter virulent. I.  Entschließungsermessen bei der Verweisung Zunächst untersucht der Abschnitt abstrakt, wie man Ermessen im Gesetz feststellt. Anschließend geht er darauf ein, ob § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG konkret Entschließungsemessen einräumt. 40  I. E. Heilbron, Ermessen des Richters, 1929, S. 73 (Strafrecht); Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 119 Fn. 23 (Strafrecht). 41  BVerfG, Urt. v. 18. 12. 1953, 1 BvL 106/53, BVerfGE 3, 225, 247; ferner BGH, Urt. v. 14. 07. 1953, V ZR 97/52, BGHZ 10, 266, 276; Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, Einl. Rn. 141. 42  Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 20 f. (Zivilrecht); Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 48 (Zivilrecht); Westermann, Richterliche Streitentscheidung, 1955, S. 23 f. (Zivilrecht). 43 Grundlegend Westermann, Richterliche Streitentscheidung, 1955, S. 31, 39 f. (Zivilrecht); ferner Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 20 (Zivilrecht); Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 48, 395 (Zivilrecht).

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1.  Abstrakt: Feststellung eines Ermessensspielraums Damit ein Richter Ermessen ausüben kann, bedarf er einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.44 Eine solche Ermächtigung lässt sich durch Auslegung des Gesetzes erkennen.45 Die scheinbar eindeutigste Form der Ermessensgewährung liegt vor, wenn der Gesetzgeber den Begriff Ermessen explizit in einer Norm verwendet.46 Einige Ermessensformulierungen sind jedoch irreführend; beispielsweise steht dem Gericht bei § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO kein Ermessen zu, sondern es hat seine Kostenentscheidung nach dem Ergebnis des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffen.47 Die dafür erforderliche Schätzung tatsächlicher Umstände sowie die durchzuführende Wahrscheinlichkeitsberechnung sind jedoch Tatsachenfeststellungen und damit kein Fall richterlicher Ermessensausübung.48 Zweifelhafter ist die Ermessensgewährung bei kann- und soll-Formulierungen sowie bei unbestimmten Rechtsfolgeanordnungen.49 Man könnte meinen, das Signalwort kann indiziere stets Ermessen – doch weit gefehlt.50 Manchmal dient ein kann nur dazu, jemandem eine Befugnis oder eine Zuständigkeit für eine Entscheidung zuzuweisen, wie etwa in §§ 164 Abs. 1, 309 ZPO.51 Etwa wird bei § 372 Abs. 1 ZPO, nach dem das Prozessgericht bei Einnahme des Augenscheins 44  Göppinger, JJb 9 (1968), 86, 87 (Zivilrecht); Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 404 (Zivilrecht); Neumann-Duesberg, JZ 1952, 705, 709 (Zivilrecht); Schlotz, Ermessensentscheidung, 1969, S. 184 f. (Zivilrecht); Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 17 (Freiwillige Gerichtsbarkeit); Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 292 (Zivilrecht); Westermann, Richterliche Streitentscheidung, 1955, S. 37 (Zivilrecht). 45  Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 23 (Zivilrecht); Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 17 (Freiwillige Gerichtsbarkeit). 46 Bsp. bei Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 22 (Zivilrecht). 47  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 421 (Zivilrecht); Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 430 ff. (Zivilrecht). 48  Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 430 (Zivilrecht). 49  Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 18 ff. (Freiwillige Gerichtsbarkeit); Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 82 ff. (Strafrecht). 50  Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 19 f. (Zivilrecht); Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, Einl. III Rn. 33 (Zivilrecht); Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 316 ff. (Zivilrecht). 51  Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 23 (Zivilrecht); Göppinger, JJb 9 (1968), 86, 91 f. (Zivilrecht); Neumann-Duesberg, JZ 1952, 705, 706 (Zivilrecht); Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 19 (Freiwillige Gerichtsbarkeit); entsprechend für verwaltungsrechtliche „kann“-Formulierungen Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), HK-VerwR, 2016, § 114 VwGO, Rn. 31 (Verwaltungsrecht); für strafrechtliche Pendants Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 85 f. (Strafrecht).

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einen Sachverständigen hinzuziehen kann, vertreten, dass das Gericht bei Fehlen der nötigen Sachkunde zwingend einen Sachverständigen hinzuzuziehen habe.52 Bei § 450 Abs. 2 ZPO, nach dem die Ausführung eines Beschlusses ausgesetzt werden kann, wenn nach seinem Erlass über die zu beweisende Tatsache neue Beweismittel vorgebracht werden, wird propagiert, dass die Aussetzung dann zur Pflicht erstarke, wenn die neuen Beweismittel einen Erfolg versprächen.53 Ferner wird bei § 452 Abs. 1 ZPO, nach dem das nicht überzeugte Gericht anordnen kann, dass eine Partei ihre Aussage zu beeidigen habe, vertreten, dass das Gericht zur Vereidigung verpflichtet sei, wenn es sich hiervon einen Erfolg verspreche.54 Auch daraus, dass das Gesetz keine explizite Rechtsfolgenanordnung für alle denkbaren Konstellationen trifft, kann nicht geschlossen werden, dass es Ermessen gewähren will.55 Entscheidend ist vielmehr der Normzweck: Erwartet das Gesetz eine ganz bestimmte, einzig richtige Entscheidung, oder lagert es die Entscheidungskompetenz bewusst auf den Richter aus?56 Um die Frage zu beantworten, ist anhand des Telos der potenziellen Ermessensermächtigung zu ermitteln, ob dem Richter ein Wahlrecht überlassen werden soll.57 Gewährt die Norm ein solches Wahlrecht, ist sie eine Ermessensermächtigung. 2.  Konkret: Entschließungsermessen bei § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG Mit diesem theoretischen Vorwissen ist nun zu klären, ob § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG dem Spruchrichter für das Ob der Verweisung Ermessen einräumt. Die Vorschrift besagt, dass der Spruchrichter die Parteien für den Gütetermin sowie für seine Fortsetzung vor einen Güterichter verweisen kann. Das Wort Ermessen enthält die Vorschrift zwar nicht, dafür findet sich in § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG aber ein kann. Wenngleich kann-Formulierungen wie gezeigt nur von begrenzter Aussagekraft sind, lässt das kann in § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG eine Ermessensgewährung in Verbindung mit dem Fehlen konkreterer Vorgaben doch zumindest möglich erscheinen.58 Somit lässt sich jedenfalls nicht von vornherein ausschließen, dass es sich bei § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG um eine Ermessensermächtigung handelt. 52 

Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 372 ZPO Rn. 4 (Zivilrecht). Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 450 ZPO Rn. 6 (Zivilrecht). 54  Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 452 ZPO Rn. 5 (Zivilrecht). 55  Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 73 (Freiwillige Gerichtsbarkeit). 56  Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 73 f. (Freiwillige Gerichtsbarkeit). 57  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 396 (Zivilrecht); Schuhmann, Ermessen des Richters, 1986, S. 75 (Freiwillige Gerichtsbarkeit); Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 318 (Zivilrecht). 58  ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130, 131; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 8; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 391 (Sozialrecht). 53 

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Teleologische Erwägungen deuten ebenfalls in diese Richtung. Die Vorschrift enthält nämlich keine Angaben dahingehend, wann die Verweisung erfolgen kann oder wann ein Konflikt für eine Verweisung geeignet ist.59 Dabei ist eine Verweisung in das Güterichterverfahren, wie diese Arbeit in ihrem weiteren Verlauf noch zeigen wird, nur in ganz bestimmten Konstellationen sachgerecht. Aus diesem Grund soll nicht jeder Konflikt an einen Güterichter übertragen werden, sondern es obliegt dem Spruchrichter, den rechtlichen und tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalls durch eine differenzierte Betrachtung gerecht zu werden.60 Er allein hat ex-ante darüber zu befinden, ob die Verweisung in das Güterichterverfahren zweckmäßig ist, und die entsprechende Weichenstellung vorzunehmen.61 Das Ob einer Verweisung liegt mithin im Ermessen des Spruchrichters.62 II.  Auswahlermessen bei der Verweisung Neben dem Entschließungs- gibt es noch das Auswahlermessen, welches das Wie einer Verweisung betrifft. 1.  Vorgaben für den Güterichter im Geschäftsverteilungsplan Mit der Frage, welche Folgen eine Verweisung vor den Güterichter nach sich zieht, geht einher, wie die konkrete Person des Güterichters für einen bestimmten Konflikt ausgewählt wird. Die konkrete Person des Güterichters hängt damit zu59 

Thole, ZZP 127 (2014), 339, 355 (Zivilrecht). Genn, Court-Based ADR, 2002, S. 108 (England); Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 58 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 41 (Sozialrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 348 (Zivilrecht). 61  Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 16 (Sozialrecht). 62 I. E. RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 20; ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130, 131; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27. 02. 2014, 1 A 257/10, juris, Rn. 1; FG Sachsen, Beschl. v. 16. 06. 2014, 6 K 354/14, juris Rn. 1; OVG Sachsen, Beschl. v. 06. 08. 2014, 1 A 257/10, juris Rn. 1; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09. 01. 2015, 10 OB 109/14, juris Rn. 13; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht); Ewig, ZKM 2012, 4 (Zivilrecht); Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 16 (Sozialrecht); Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 17; Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 76; Greger/ Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 8 (Zivilrecht); Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 27 (Zivilrecht); Groth, Mediation im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren, 2017, S. 170; Hartmann, MDR 2012, 941, 942 (Zivilrecht); ders., in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 37 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 8, 71; Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 240; Löer, ZKM 2015, 111, 113; Roth, in: Kolloquium Mediation, 2013, S. 109, 112 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 52, 71 (Sozialrecht); Steinhauff, SteuK 2013, 160, 161 (Steuerrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 348, 355 (Zivilrecht); Tiedemann, ArbRB 2012, 320, 323. 60 

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sammen, welche Vorgaben das Gebot des gesetzlichen Richters an die Auswahl des Güterichters postuliert. Darüber hinaus ist die Anwendbarkeit des Gebots des gesetzlichen Richters auch eine bedeutsame Weichenstellung für viele weitere Kompetenzfragen. Sie wirkt sich für den rechtlichen Maßstab im richterlichen Dienstrecht, im Verfahrensrecht, im Gerichtsverfassungsrecht sowie im Kostenrecht aus:63 Ist der Güterichter beispielsweise berechtigt, ein förmliches Protokoll zu führen und prozessbeendigende Erklärungen entgegen zu nehmen?64 Handelt er nur weisungsunabhängig, oder gar in richterlicher Unabhängigkeit?65 Wie haftet er?66 Ist das Güterichterverfahren vertraulich?67 a)  Bedeutung des Gebots des gesetzlichen Richters für die Geschäftsverteilung Das Gebot des gesetzlichen Richters ist in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsgesetzlich geregelt. Formell ist es auf alle Arten von Richtern, auf alle Zweige staatlicher Gerichtsbarkeit und auf jede Form der richterlichen Tätigkeit anwendbar.68 § 16 Satz 2 GVG nimmt es wortlautgetreu auf und überträgt es auf die ordentlichen Gerichte. Dadurch hebt der Gesetzgeber die Bedeutung des Gebots nochmals hervor. Materiell zielt das Gebot darauf ab, jegliche Manipulation der rechtsprechenden Gewalt zu verhindern.69 Zu diesem Zweck verlangt es, dass die Zuständigkeit jedes Richters abstrakt-generell im Vorhinein bestimmt wird.70 Denn niemand soll seinem gesetzlichen Richter entzogen werden, und niemand soll seinen Richter frei auswählen und dadurch den Prozess beeinflussen können. 63  Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 7; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1036 (Zivilrecht). 64  Eingehend hierzu unten in den Abschnitten: a) Ausgestaltung der Vertraulichkeit, S. 225; I. Vollstreckbarkeit, S. 263. 65  Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Unabhängigkeit, S. 251. 66  Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Haftung, S. 253. 67  Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Vertraulichkeit im Güterichterverfahren, S. 225. 68  BVerfG, Urt. v. 20. 03. 1956, 1 BvR 479/55, BVerfGE 4, 412, 416 f. 69  BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 1964, 2 BvR 42/63, 2 BvR 83/63, 2 BvR 89/63, B ­ VerfGE 17, 294, 299; BVerfG, Beschl. v. 25. 10. 1966, 2 BvR 291/64, 2 BvR 656/64, ­BVerfGE 20, 336, 344; BVerfG, Beschl. v. 08. 04. 1997, 1 PBvU 1/95, BVerfGE 95, 322, 327; ­Jachmann-Michel, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 101 GG Rn. 4 ff.; Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, § 16 GVG Rn. 2. 70  BVerfG, Beschl. v. 25. 10. 1966, 2 BvR 291/64, 2 BvR 656/64, BVerfGE 20, 336, 344; BVerfG, Beschl. v. 10. 07. 1990, 1 BvR 984/87, 1 BvR 985/87, BVerfGE 82, 286, 298; grundlegend Kern, Der gesetzliche Richter, 1927, insb. S. 185 ff.; instruktiv T. Roth, Gesetzlicher Richter, 2000, S. 208 ff.

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In der Praxis erfolgt diese abstrakt-generelle Festlegung, indem das Gerichtspräsidium gemäß § 21e GVG umfangreiche Geschäftsverteilungspläne ausarbeitet.71 Deren Ausgestaltung kann von Gericht zu Gericht variieren; möglich ist etwa eine Verteilung nach Buchstaben,72 nach Sachgebieten,73 nach Örtlichkeiten74 oder ein Rotationsverfahren75. Der Geschäftsverteilungsplan verwirklicht das Prinzip des gesetzlichen Richters auf Ebene des einzelnen Gerichts.76 Um materiell rechtmäßig zu sein, muss ein Geschäftsverteilungsplan insbesondere auch die angemessene Regelungsintensität aufweisen; diese Regelungsintensität bestimmt sich danach, inwieweit der Regelungsgegenstand dem Gebot des gesetzlichen Richters unterfällt.77 Soweit das Gebot nicht anwendbar ist, kann die Regelungsintensität gering gehalten werden. Ist der Anwendungsbereich des Gebots aber eröffnet, bedarf es einer hohen Regelungsintensität. Dem Vollständigkeitsprinzip entsprechend muss sich der konkrete Richter so eindeutig wie möglich aus dem Geschäftsverteilungsplan ermitteln lassen. Seine Aufgaben und Geschäfte sind grundsätzlich lückenlos und erschöpfend zu regeln; bestimmte Geschäfte von der Verteilung auszunehmen ist unzulässig.78 Gleichwohl schließt die Verfassung nicht von vornherein jedweden Spielraum bei der Handhabung des Geschäftsverteilungsplans aus, wie sich z. B. § 38 ZPO entnehmen lässt, der den Parteien mittelbar die Richterwahl durch Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung ermöglicht. 71 BVerfG, Beschl. v. 30. 03. 1965, 2 BvR 341/60, BVerfGE 18, 423, 425; BVerfG, ­Beschl. v. 08. 04. 1997, 1 PBvU 1/95, BVerfGE 95, 322, 328. 72  Z. B. dem Anfangsbuchstaben des Namens einer Partei, vgl. Jacobs, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2011, § 21e GVG Rn. 12. 73  Am LG Hamburg existieren z. B. Spezialkammern für Verkehrszivilsachen, Mietsachen, Pressesachen, Wettbewerbssachen, Patentrechtssachen, Kartellrechtssachen, Urheberrechtssachen, Fiskussachen, Arzthaftungssachen, IPR-Sachen, Computersachen, Versicherungssachen und Bausachen. Am Amtsgericht Hamburg-Mitte gibt es Spezialabteilungen für Verkehrszivilsachen, Urheberrechtssachen, Reisesachen, Transportsachen, Insolvenzsachen, WEG-Sachen und Grundbuchsachen. 74 Innerhalb Hamburgs richtet sich die Zuständigkeit der Mietkammern z. B. nach dem Ort, an dem sich die streitgegenständlichen Grundstücke und Räume befinden. 75  Z. B. werden die allgemeinen erstinstanzlichen Sachen und Berufungssachen am LG Hamburg im Rotationsverfahren verteilt. Auch innerhalb der nach Sachgebiet zusammengesetzten Kammern wie der Mietkammern gibt es dort Rotationssysteme. 76  § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG; Jacobs, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2011, § 21e GVG Rn. 1; W. Zimmermann, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 21e GVG Rn. 1. 77  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 20 f.; W. Zimmermann, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 21e GVG Rn. 62. 78  BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 1964, 2 BvR 42/63, 2 BvR 83/63, 2 BvR 89/63, BVerfGE 17, 294, 299; Jacobs, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2011, § 21e GVG Rn. 6; Rathmann, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 21e GVG Rn. 7; W. Zimmermann, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2013, § 21e GVG Rn. 21.

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b)  Anwendbarkeit des Gebots des gesetzlichen Richters auf den Güterichter? Aus der Einordnung der Güterichteraufgabe als sonstige richterliche Aufgabe lässt sich nicht schlussfolgern, dass das Gebot des gesetzlichen Richters auf den Güterichter anzuwenden sein muss. Nach der Rechtsprechung des BVerfG darf es vor Gericht jedenfalls keine regellose Verhandlung geben:79 „Jedoch nicht alles, was zur Zeit zu den Aufgaben der Gerichte gehört, ist materielle Rechtsprechung, die nach Art. 92 GG den Richtern vorzubehalten ist. […] Hat sich der Gesetzgeber jedoch entschlossen, eine gerichtliche Zuständigkeit zu begründen, so muß das Verfahren mit allen verfassungsrechtlichen Garantien des gerichtlichen Verfahrens ausgestattet sein. Art. 92 garantiert deshalb in jedem vom Gesetzgeber als Rechtsprechung eingeführten Verfahren, auch wenn der Gesetzgeber zur Zuweisung gerade dieser Materie zur rechtsprechenden Gewalt verfassungsrechtlich nicht verpflichtet gewesen wäre, den gesetzlichen und unabhängigen Richter und das rechtsstaatliche Gerichtsverfahren des IX. Abschnitts des GG.“

Als Teil des Gerichtsverfahrens gelten damit auch vor dem Güterichter bestimmte Grundregeln. Würde man davon absehen, könnte die Legitimität des gesamten Prozesses in Mitleidenschaft gezogen werden.80 Das Gebot des gesetzlichen Richters gehört zwar zu diesen Grundregeln. Es gilt aber nicht absolut – soweit erforderlich, dürfen Spielräume belassen werden.81 Eine verfassungswidrige Verletzung des Gebots liegt erst dann vor, wenn Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt werden.82 Insbesondere ist die Reichweite des Schutzbereichs hinsichtlich bestimmter richterlicher Funktionen umstritten.83 So wurde in der Rechtsprechung lange vertreten, das Gebot weder auf den Ergänzungsrichter noch auf den am Eröffnungsbeschluss beteiligten Richter anzuwenden;84 ersteres wird insbesondere im Strafrecht relevant, wo das Strafurteil nur von den Richtern gefällt werden kann,

79  BVerfG, Beschl. v. 06. 06. 1967, 2 BvR 375/60, 2 BvR 53/60, 2 BvR 18/65, BVerfGE 22, 49, 78; vgl. Thole, ZZP 127 (2014), 339, 346 (Zivilrecht); Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 818. 80  Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 53 (Australien). 81  BVerfG, Urt. v. 16. 01. 1957, 1 BvR 134/56, BVerfGE 6, 45, 50 f.; BVerfG, Beschl. v. 30. 03. 1965, 2 BvR 341/60, BVerfGE 18, 423, 425 ff.; Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, § 16 GVG Rn. 8 f. 82  BVerfG, Beschl. v. 10. 07. 1990, 1 BvR 984/87, 1 BvR 985/87, BVerfGE 82, 286, 299. 83  T. Roth, Gesetzlicher Richter, 2000, S. 29 ff. 84  So noch BVerfG, Beschl. v. 26. 01. 1971, 2 BvR 443/69, BVerfGE 30, 149, 152 ff.; anders aus jüngerer Zeit LG Magdeburg, Beschl. v. 30. 04. 2015, 24 KLs 3/14, BeckRS 2015, 19167 (Strafrecht); Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, § 21e GVG Rn. 139, § 192 GVG Rn. 11.

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die der gesamten Verhandlung von Anfang bis Ende beigewohnt haben.85 Für den beauftragten (§ 361 Abs. 1 ZPO) und vorbereitenden Richter (§ 273 Abs. 2 ZPO) wurde die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG lebhaft diskutiert, ebenso wie für die Berichterstatteraufgabe innerhalb eines nach § 21g Abs. 1 GVG mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpers.86 Es scheint danach keineswegs selbstverständlich, dass alle richterlichen Funktionen von dem Schutzbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst sind. Ob eine bestimmte richterliche Funktion dem Schutzbereich unterfällt, richtet sich nach dem Telos des Gebots.87 Historisch ist es auf die Kabinettsjustiz absolutistischer Zeiten zurückzuführen: Damals konnte der Monarch als oberster Gerichtsherr für ein bestimmtes Verfahren ad hoc einen zuständigen Richter bestimmen oder das Verfahren an sich ziehen.88 Dieser Praxis sollte das Gebot des gesetzlichen Richters ein Ende bereiten. Deshalb greift es in erster Linie für den zur Entscheidung berufenen Richter sowie für solche richterlichen Aufgaben, welche die Entscheidung derart stark prägen, dass eine Einflussnahme auf die Auswahl des Richters unterbunden werden sollte.89 Nur dann, wenn die Gefahr einer Beeinflussung der abschließenden Entscheidung des Gerichts in verfassungsrechtlich relevantem Maße besteht, ist der Schutzbereich des Gebots eröffnet. Aus diesem Grund gilt es nach der Rechtsprechung des BGH auch beispielsweise nicht für die Herbeiführung und Beurkundung von Prozessvergleichen.90 Für den ausweislich § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG gerade nicht entscheidungsbefugten Güterichter besteht kein Grund, ihn an dem Gebot des gesetzlichen Richters zu messen.91 Denn da der Güterichter keine Entscheidungen treffen darf, 85 

Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, § 192 GVG Rn. 8. T. Roth, Gesetzlicher Richter, 2000, S. 32 ff. 87  T. Roth, Gesetzlicher Richter, 2000, S. 40. 88  BVerfG, Urt. v. 20. 03. 1956, 1 BvR 479/55, BVerfGE 4, 412; Maunz, in: Maunz/ Dürig (Begr.), GG, 2016, Art. 101 GG Rn. 1. 89  BVerfG, Urt. v. 20. 03. 1956, 1 BvR 479/55, BVerfGE 4, 412; BGH, Urt. v. 28. 06. 1961, V ZR 29/60, BGHZ 35, 309, 312; T. Roth, Gesetzlicher Richter, 2000, S. 27 ff., 40. 90  BGH, Urt. v. 28. 06. 1961, V ZR 29/60, BGHZ 35, 309, 312. 91  I. E. Götz von Olenhusen, in: FS Stilz, 2014, S. 171, 173; Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 71; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 7, 113 (Zivilrecht); Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 146; ders., in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 26 (Zivilrecht); Hückstädt, NJ 2005, 289, 291; Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2013, 112, 113 (Zivilrecht); Koch, NJ 2005, 97, 102 (Zivilrecht); Künzl, MDR 2016, 952, 953 (Zivilrecht); Löer, ZKM 2014, 41, 42; Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, Einl. Rn. 137; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 158; Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1059 (Verwaltungsrecht); Röthemeyer, ZKM 2012, 116, 117; Schobel, ZKM 2012, 191, 192 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 25 f. (Sozialrecht); Steinhauff, SteuK 2013, 160, 161 (Steuerrecht); wohl auch Ziemann, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), ArbR, 2018, § 54 ArbGG Rn. 50; a. A. 86 

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müssen die Parteien nicht vor einer Manipulation des Güterichters geschützt werden. Selbst wenn das Güterichterverfahren abgebrochen wird, sind die Parteien dauerhaft davor geschützt, dass der Güterichter auf das weitere streitige Verfahren Einfluss nimmt. Das LAG Stuttgart wendete dazu jüngst § 41 Nr. 8 ZPO, der bestimmte Richter im Einzelfall von der Ausübung des Richteramtes ausschließt, analog auf den Güterichter an.92 Wohl überwiegend wird eine Analogie mit Hinweis auf das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke aber abgelehnt und stattdessen darauf verwiesen, dass die Parteien durch die Möglichkeit einer Ablehnung des Güterichters wegen Befangenheit hinreichend geschützt sind.93 Für welche Konstruktion man sich auch entscheidet, so kann der Güterichter danach doch unter keinen Umständen zu ihrem entscheidenden Richter werden, weder in dieser noch in der nächsten Instanz. Ebenso ist es ihm versagt, die Entscheidung des Gerichts vorzubereiten oder auf eine Art zu fördern, die sich in der Entscheidung widerspiegeln kann, wie es beispielsweise in § 273 Abs. 2 ZPO vorgesehen ist. Danach kann ein vorbereitender Richter den Parteien im Vorfeld eines Termins aufgeben, ihre Schriftsätze zu ergänzen oder ihnen eine Frist zur Erklärung über bestimmte Punkte setzen; diese Vorbereitung kann die abschließende Entscheidung des Gerichts in eine bestimmte Richtung steuern. Auch der tatsächliche Einfluss der Güterichteraufgabe auf die spätere Entscheidung führt zu keiner anderen Bewertung. Zwar erschöpft sich sein Zutun nicht in arbeitsorganisatorischen Vorbereitungen, wie bei einer Berichterstattertätigkeit. Im Güterichterverfahren kann er vielmehr erheblichen Einfluss auf das Schicksal des Konflikts und – im Fall einer verfahrensbeendenden Einigung Assmann, MDR 2016, 1303, 1305; Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 85; eingehend von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 283 ff.; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 27; in der Vorauflage noch Germelmann, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 9d; Hartmann, MDR 2012, 941 (Zivilrecht); ders., in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 39 (Zivilrecht); Hess, in: 67. DJT 2008, F129; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 156; Joussen, in: GS Unberath, 2015, S. 241, 245; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 18; Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 237; Prütting, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 278 ZPO Rn. 34 (Zivilrecht); ders., in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 28; Roth, in: Kolloquium Mediation, 2013, S. 109, 113 (Zivilrecht); Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 12; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1150 f. (Zivilrecht); Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 818; Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243, 3246 (Zivilrecht). 92  LAG Stuttgart, Beschl. v. 15. 03. 2017, 9a Sa 16/17, juris Rn. 7. 93 VG Göttingen, Beschl. v. 27. 10. 2014, 2 B 986/13, 2 A 717/13, 2 A 851/13, 2 A 1002/13, juris Rn. 4; Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 49 ArbGG Rn. 13b; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 Rn. 103; Thole, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 70; differenzierend Dürschke, der § 41 Nr. 8 ZPO dann anwenden will, wenn der Güterichter sich für eine Mediation entscheidet, NZS 2013, 41, 49 (Sozialrecht).

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– potentiell auch auf das Ende des gesamten gerichtlichen Verfahrens nehmen. Sein Einfluss und der Nutzen seines Wissensvorsprungs bleiben jedoch vollumfänglich auf das Güterichterverfahren beschränkt. Entscheidend gegen eine tatsächliche Bedeutung spricht, dass der Güterichter zur Vertraulichkeit verpflichtet ist und seine Erkenntnisse nicht an den Spruchrichter weitergeben darf.94 Dürfte er seine Erkenntnisse teilen, würde der Effekt der Verweisung an einen nicht entscheidungsbefugten Richter wieder zunichte gemacht. Sein Einfluss auf die spätere Entscheidung des Gerichts reicht damit nicht aus, um den Güterichter in den Schutzbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einzubeziehen. c)  Konsequenzen für den Geschäftsverteilungsplan Im weiteren Verlauf wird untersucht, was sich aus der Einordnung der Güterichteraufgabe als sonstige richterliche Aufgabe und der Nichtanwendbarkeit des Gebots des gesetzlichen Richters für den Geschäftsverteilungsplan und damit mittelbar für die Verweisung vor den Güterichter ergibt. Für die Regelung des Güterichters im Geschäftsverteilungsplan bieten sich verschiedene Möglichkeiten an: Der Geschäftsverteilungsplan kann den konkret zuständigen Güterichter abstrakt-generell festlegen, er kann die Fallzuteilung in groben Zügen vorgeben und die Feinsteuerung den Beteiligten überlassen oder er kann sich für einen Mittelweg entscheiden.95 All diese Varianten werden derzeit auch praktiziert.96 Nach dem Vorgesagten handelt es sich bei dem Güterichter um einen Richter, der mit dem Güterichterverfahren eine sonstige richterliche Aufgabe ausführt. Hier­aus folgt, dass die Güterichteraufgabe grundsätzlich im Geschäftsverteilungsplan zu regeln ist.97 Was die erforderliche Regelungsintensität anbelangt, ist aber 94  Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Vertraulichkeit im Güterichterverfahren, S. 225. 95  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 20 f. 96  Greger, Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 5. 97  Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 21; Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 72; Foerste, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 14 (Zivilrecht); Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 27; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 5 (Zivilrecht); Greger, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 118 (Zivilrecht); ders., in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 162; ders., in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 26 (Zivilrecht); Hartmann, MDR 2012, 941; ders., in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 39 (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 162; Kloppenburg/Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 89; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 19; Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1259; Prütting, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 278 ZPO Rn. 35 (Zivilrecht); Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 385 f. (Sozialrecht); Thomas, in: Klowait/ Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 12; Tiedemann, Arb­

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zu berücksichtigen, dass der Güterichter nicht dem Gebot des gesetzlichen Richters unterfällt. Unterfiele er dem Gebot, müsste die Güterichteraufgabe umfassend im Geschäftsverteilungsplan geregelt werden.98 Der Geschäftsverteilungsplan müsste die Namen der Güterichter, die Zuteilung sowie Vorkehrungen für den Fall der Verhinderung eines Güterichters treffen. Dem Spruchrichter käme dann bei der Verweisung kein Auswahlermessen zu. Einzig die Parteien könnten die Auswahl noch über eine Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 ZPO beeinflussen, da die geringe Zahl von Güterichtern zu einer hohen Vorhersehbarkeit führt. Nach den obigen Ausführungen umfasst das Gebot des gesetzlichen Richters die Güterichteraufgabe jedoch nicht. Deshalb muss die Güterichteraufgabe nicht so streng wie eine Materie im Anwendungsbereich des Gebots reglementiert werden.99 Im Fall des Güterichters könnte sich dennoch aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ergeben, dass eine eher hohe Regelungsintensität geboten ist. Die Formulierung „vor einen hierfür bestimmten Richter“ indiziert eine gewisse Unverrückbarkeit und Vorherbestimmtheit. Immerhin hat der Gesetzgeber bewusst das Wort „bestimmt“ statt „zu bestimmenden“ gewählt.100 Dieser Wortlaut deutet auf eine hohe Regelungsintensität hin. Letztlich obliegt die Entscheidung aber dem Gerichtspräsidium, wie es den Geschäftsverteilungsplan ausgestaltet. Das Präsidium wird anhand von Zweckmäßigkeitserwägungen entscheiden. Für eine gelockerte Handhabung kann es die Methodenfreiheit des Güterichters einbeziehen. Denn nicht jeder Güterichter beherrscht jede Konfliktbeilegungsmethode gleich gut. Deshalb kann es vorkommen, dass ein Güterichter wegen seiner methodischen Stärken für eine bestimmte Konfliktbeilegungsmethode und damit für einen bestimmten Konflikt deutlich besser geeignet ist als ein Kollege, der eine andere Methode bevorzugt. Flexible Geschäftsverteilungspläne könnten hier dafür sorgen, dass der jeweils methodensicherste Güterichter den Konflikt zugewiesen bekommt. Über eine gewisse Flexibilität im Geschäftsverteilungsplan könnte man also die Vorzüge der Methodenfreiheit ausschöpfen.101 Es sprechen somit gute Gründe dafür, im Geschäftsverteilungsplan Flexibilität für die Zuweisung im Einzelfall zu erhalten. RB 2012, 320, 323; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1150 ff. (Zivilrecht); a. A. Thesenpapier der Berliner Richtermediatoren, die den Güterichter allerdings auch nicht als gesetzlichen Richter sehen, in: Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2013, 112, 113 (Zivilrecht). 98  Zum Zusammenspiel des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG mit dem Geschäftsverteilungsplan T. Roth, Gesetzlicher Richter, 2000, S. 182 ff. 99  Greger, MDR 2017, 1107, 1108; a. A. Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 14; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 18 (Sozialrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 9. 100  Dürschke, NZS 2013, 41, 46 (Sozialrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 21; Röthemeyer, ZKM 2012, 116, 117; Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 12. 101  Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 385 (Sozialrecht).

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d)  Vereinbarkeit mit dem Gebot des gesetzlichen Richters Ein unzulässiger Entzug des gesetzlichen Richters liegt in der Verweisung nicht.102 Zwar werden die Parteien durch § 54 Abs. 6 ArbGG von ihrem gesetzlichen Richter weg verwiesen. Denn das Gebot des gesetzlichen Richters ist auf den Güterichter nach zutreffender Ansicht nicht anzuwenden, während es für den Spruchrichter gilt. Ein Entzug des gesetzlichen Spruchrichters liegt durch die Verweisung gleichwohl nicht vor: Weder werden die Zuständigkeitsvorschriften willkürlich gehandhabt, wenn von der in § 54 Abs. 6 ArbGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht wird. Noch wird zugelassen, dass ein ausgeschlossener Richter oder ein Nicht-Richter den Verfahrensgang oder die Entscheidung beeinflussen.103 Zwar ist der Güterichter in jedem weiteren Verfahrensabschnitt des verwiesenen Konflikts als ausgeschlossener Richter anzusehen – sei es in analoger Anwendung des § 41 Nr. 8 ZPO, sei es wegen Befangenheit oder über eine andere Konstruktion. Für einen unzulässigen Entzug müsste er allerdings auch als ausgeschlossener Richter an der Entscheidung des Rechtsstreits mitwirken.104 Eine Mitwirkung ist ihm angesichts seiner fehlenden Entscheidungsbefugnis aber verwehrt. Selbst wenn man den Güterichter also als ausgeschlossenen Richter begreift, wird den Parteien der gesetzliche (Spruch)Richter durch die Verweisung nicht – und erst recht nicht willkürlich – entzogen. 2.  Einverständniserfordernis des avisierten Güterichters mit seiner Zuteilung? Das Aufgabenspektrum des Güterichters unterscheidet sich von der Leitung anderer Verfahrensabschnitte vor Gericht. Studium und Arbeitsalltag rüsten Arbeitsrichter primär für Letztere. Sie werden darauf trainiert, sich auf den Streitgegenstand zu fixieren und in den vom Recht vorgezeichneten Bahnen zu denken. Angesichts dessen überrascht es wenig, dass die Einführung des Güterichtermodells die Arbeitsrichter vor Herausforderungen stellt.105 Manchen ist auch der vielerorts unzureichende Belastungsausgleich ein Dorn im Auge.106 Aus ihrer Überforderung resultieren Argwohn und Skepsis.107 Aus ihrer Skepsis erwächst Ablehnung, und so kommt es, dass manche Arbeitsrichter es verweigern, die Gü102 

Schleusener, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 64 ArbGG Rn. 131c. BVerfG, Beschl. v. 09. 06. 1971, 2 BvR 114/71, 2 BvR 127/71, BVerfGE 31, 181, 184. 104  Zur Voraussetzung der Mitwirkung BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1971, 2 BvR 507/69, 2 BvR 511/69, BVerfGE 30, 165, 167 f. 105  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 8 (Zivilrecht). 106  Greger, Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 5; ders., MDR 2017, 1107, 1108. 107  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Berlin, 2012, S. 111. 103 

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terichteraufgabe zu übernehmen.108 In der Mediationswissenschaft wird dieses Phänomen als Ignoranz-Hypothese bezeichnet.109 Doch haben Richter überhaupt ein Recht dazu, die Zuweisung der Güterichteraufgabe im Geschäftsverteilungsplan abzulehnen? a)  Erforderlichkeit des Einverständnisses gemäß § 21e GVG In der Jurisprudenz ist man sich weithin einig, dass keinem Richter die Güterichteraufgabe gegen seinen Willen übertragen werden sollte.110 Im Geschäftsverteilungsplan des ArbG Hamburg aus dem Jahre 2014 hieß es deshalb auch: „Ihre Geschäfte verteilen die Güterichter untereinander unter Berücksichtigung der Wünsche und Interessen der Beteiligten“.111 In das Folgejahr wurde diese Formulierung interessanterweise aber nicht übernommen. Unsicherheit herrscht nun aber in der Frage, wie man ein richterliches Einverständniserfordernis rechtlich begründen kann. Eine erste Konstante lässt sich den Regelungen zum Geschäftsverteilungsplan entnehmen. Ihr Dreh- und Angelpunkt ist § 21e GVG, der die Gerichtspräsidien verpflichtet, alle dem Gericht obliegenden Geschäfte einschließlich der Güterichteraufgabe anhand abstrakter Merkmale zuzuteilen.112 Von einem Mitspracherecht der zuzuteilenden Richter ist in § 21e Abs. 1 GVG zunächst keine Rede. Ihre Interessen nimmt dafür § 21e Abs. 2 GVG in den Blick. Danach ist solchen Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, vor der Geschäftsverteilung Gelegenheit zur Äußerung zu geben.113 Indem der Gesetzgeber ihnen ein Anhörungsrecht gewährt, spricht er dem Richterwillen Gewicht zu. Wäre er irrelevant, würde sich die Anhörung erübrigen. Zugleich stuft der Gesetzgeber den Richterwillen jedoch ausdrücklich nicht als entscheidungserheb108  Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 69 f.; Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 22; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 278 ZPO Rn. 83 (Zivilrecht); Gottwald, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 29, 62; Hess, ZZP 124 (2011), 137, 139 (Zivilrecht); Risse, NJW 2000, 1614, 1618; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 386 (Sozialrecht). 109  Gottwald, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 58. 110  Dürschke, NZS 2013, 41, 47 (Sozialrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 8 (Zivilrecht); Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1059 (Verwaltungsrecht); a. A. Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 70. 111  Geschäftsverteilungsplan des ArbG Hamburg für das Jahr 2014, zuletzt abgerufen am 27. August 2017 im Internet unter justiz.hamburg.de, S. 12. 112  BGH, Urt. v. 17. 08. 1960, 2 StR 237/60, NJW 1960, 2109; Rathmann, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 21e GVG Rn. 7. 113  Jacobs, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2011, § 21e GVG Rn. 31; Rathmann, in: ­Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 21e GVG Rn. 14.

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lich ein. Nach § 21e GVG wäre das Einverständnis des avisierten Güterichters für seine Zuteilung im Geschäftsverteilungsplan somit nicht erforderlich. Fakt ist allerdings, dass § 21e GVG den Geschäftsverteilungsplan nicht abschließend regelt.114 Insbesondere lassen sich die Grundsätze der inhaltlichen Ausgestaltung nur bruchstückhaft aus ihm ableiten.115 Maßgebliche Gesichtspunkte für die Ausgestaltung sind die Sicherung des gesetzlichen Richters sowie die sachgerechte und gleichmäßige Verteilung der Arbeit.116 Daraus, dass in § 21e GVG kein Einverständniserfordernis normiert ist, lassen sich keine zwingenden Schlüsse ziehen. b)  Teleologische Begründbarkeit eines Einverständniserfordernisses Teile der Literatur verlangen die Zustimmung des Güterichters in spe zu seiner Zuteilung im Geschäftsverteilungsplan.117 Ortloff spricht insoweit etwa von einer freiwilligen Zusatzaufgabe.118 Dürschke will dem designierten Güterichter zumindest für den Fall ein Ablehnungsrecht zusprechen, dass er sich mit der im konkreten Einzelfall sachgerechten Konfliktbeilegungsmethode nicht hinreichend vertraut fühlt.119 Zweckmäßig erscheint ein Ablehnungsrecht allemal. Fraglich ist jedoch, wie ein solches rechtlich begründet werden kann. Eine Begründung liefert allein Dahl, indem er der Freiwilligkeitsmaxime ein Ablehnungsrecht des avisierten Güterichters entnehmen will.120 Nach den weiter oben angestellten Untersuchungen steht fest, dass es sich bei der Güterichteraufgabe um eine richterliche handelt. Richterliche Aufgaben müssen grundsätzlich von allen Richtern erfüllt werden.121 Im ersten Zugriff spricht 114  BVerwG, Beschl. v. 05. 04. 1983, 9 CB 12/80, NJW 1984, 575, Ls. 1; W. Zimmermann, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 21e GVG Rn. 10. 115  W. Zimmermann, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 21e GVG Rn. 10 (Zivilrecht). 116  Jacobs, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2011, § 21e GVG Rn. 4 f.; Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1992, S. 18; W. Zimmermann, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 21e GVG Rn. 10, 22 (Zivilrecht). 117  Dürschke, NZS 2013, 41, 47 (Sozialrecht); Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1059 (Verwaltungsrecht); a. A. Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 70. 118  Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1059 (Verwaltungsrecht). 119  Dürschke, NZS 2013, 41, 47, 49 (Sozialrecht); ders./Mayer-Metzner, SGb 2015, 69, 74 (Sozialrecht). 120  Dahl, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2014, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 12 a. E.; nachfolgend nun auch Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 12 a. E. 121  Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 70; Rixen/ Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 386 (Sozialrecht).

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die Einordnung als richterliche Aufgabe deshalb gegen ein Einverständniserfordernis. Ein anderes Ergebnis könnte sich aber mit Blick auf den Zweck eines Geschäftsverteilungsplans ergeben. Der Plan dient zunächst dazu, die anfallende Arbeit gleichmäßig unter den Richtern zu verteilen. Derzeit kommt es äußerst selten zu Güterichterverfahren.122 Die gleichmäßige Verteilung der Arbeit macht es daher (noch) nicht erforderlich, sicherzustellen, dass die wenigen verweisbaren Fälle jedem Richter eines Gerichts übertragen werden können. Sofern sich hinreichend Freiwillige finden, steht dieser Zweck einem Einverständniserfordernis nicht entgegen. Sollte die absolute Zahl der Verweisungen jedoch ansteigen, könnte es zu Engpässen kommen und eine andere Bewertung geboten sein. Weiterhin soll ein Geschäftsverteilungsplan die sachgerechte Verteilung der Arbeit unter den Richtern gewährleisten. Sachgerecht ist die Zuteilung der Güterichteraufgabe vor allem dann, wenn der avisierte Richter die für sie notwendigen Fähigkeiten mitbringt. Insbesondere sollte er dem Verfahrenstypus grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehen; schließlich ist seine Mitwirkung von der ersten Minute an für das Gelingen des Verfahrens essentiell.123 Ihm bleibt keine Zeit, sich schrittweise von den Vorteilen eines Güterichterverfahrens zu überzeugen; dadurch unterscheidet sich seine Situation von derjenigen der Parteien. Nach den Gesichtspunkten der sachgerechten und gleichmäßigen Verteilung der Arbeit scheint ein Einverständniserfordernis somit begründbar. Wie vorstehend erläutert steht Richtern indes nicht das Recht zu, die Übernahme bestimmter richterlicher Aufgaben abzulehnen. In den Materialien hat der Gesetzgeber ausdrücklich niedergelegt, dass der Güterichter durch das Präsidium im Geschäftsverteilungsplan zu bestimmen ist – wohlwissend, dass das Gebot des gesetzlichen Richters auf ihn nicht anzuwenden ist.124 Hinzu kommt, dass es falsche Signale in die Richterschaft senden könnte, die Güterichteraufgabe zu einer freiwilligen Zusatzaufgabe zu erklären. Vor diesem Hintergrund vermögen teleologische Erwägungen allein ein Einverständniserfordernis nicht zu begründen.

C.  Ermessensfehler bei der Verweisung Wo Ermessen besteht, da ist auch Platz für Fehler. Der folgende Abschnitt wird den Grenzen gewidmet, die dem Spruchrichter bei seiner Ermessensentscheidung gesetzt sind. Dazu wird zunächst abstrakt dargestellt, welche Fehler 122 

Oben in dem Abschnitt: Rechtsrealität des Güterichters, S. 61. Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 39. 124 Wenngleich noch zur gerichtsinternen Mediation RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 20 f. 123 

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einem Richter bei der Ermessensausübung im Arbeitsverfahrensrecht unterlaufen können. In einem zweiten Schritt wird konkret untersucht, welche dieser Ermessensfehler bei § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Betracht kommen und wie sie aussehen können. Der letzte Teil des Abschnitts hinterfragt, inwieweit die richterliche Verweisungsentscheidung auf Betreiben der Parteien hin überprüft werden kann. I.  Verwaltungsrechtliche Ermessensfehlerlehre am Arbeitsgericht? Zum Schutz der Parteien unterliegt richterliches Ermessen Grenzen. Diese dürfen indes nicht zu eng gezogen werden, da andernfalls der Charakter des Ermessens verloren ginge.125 Schließlich konstituiert sich Ermessen im Unterschied zur Alternativlosigkeit dadurch, das dem Richter ein gewisser Freiraum für seine Entscheidung zusteht. Aus der Gesetzesbindung der Judikative folgt aber, dass der Richter bei seiner Ermessensausübung die gesamte Rechtsordnung zu wahren verpflichtet ist.126 Er darf keine Rechtsnorm und keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz verletzen.127 Zu diesen allgemeinen Rechtsgrundsätzen zählen insbesondere auch Prozessmaximen und übergeordnete Verfassungsgrundsätze, also beispielsweise das Gebot rechtlichen Gehörs und das Recht auf ein faires Verfahren.128 Zu den Rechtsnormen, die der Richter zu wahren verpflichtet ist, zählt ferner die das Ermessen erteilende Bestimmung; die Ermessensentscheidung wird insofern durch Tatbestand und Telos ihrer Ermächtigungsnorm eingerahmt.129 Eine weitere Grenze birgt die Gesetzessystematik: Fällt der Sachverhalt neben der Ermessensnorm auch in den Anwendungsbereich einer anderen Norm, die kein Ermessen einräumt, begrenzt letztere die Ermessensausübung.130

125  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 54, 65 f. (Zivilrecht). 126  Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 97 Abs. 1 GG; Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), ­Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395 (Zivilrecht). 127  Heilbron, Ermessen des Richters, 1929, S. 42 (Strafrecht); Hess, in: Storme/ Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 64 (Zivilrecht); NeumannDuesberg, JZ 1952, 705, 706 (Zivilrecht); Schlotz, Ermessensentscheidung, 1969, S. 198 (Zivilrecht); Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 112 (Strafrecht). 128  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 45, 64, 395, 438 ff. (Zivilrecht). 129  Heilbron, Ermessen des Richters, 1929, S. 42 (Strafrecht); Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 396 (Zivilrecht); NeumannDuesberg, JZ 1952, 705, 706 (Zivilrecht); Schlotz, Ermessensentscheidung, 1969, S. 197 f. (Zivilrecht). 130  Schlotz, Ermessensentscheidung, 1969, S. 198 (Zivilrecht).

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Im Verwaltungsrecht sind die Grenzen behördlichen Ermessens durch eine weithin anerkannte Ermessensfehlerlehre abgesteckt.131 Dem Zivilrecht fehlt ein gleichermaßen anerkanntes System. Überhaupt liegt der Schwerpunkt der Diskussion um das richterliche Ermessen hierzulande eher im Verwaltungsrecht, im Zivilrecht wird die Thematik kaum diskutiert, im Arbeitsrecht soweit ersichtlich gar nicht.132 Man könnte versuchen, die verwaltungsrechtlichen Grundsätze auf das Arbeitsrecht zu übertragen. In der juristischen Literatur existiert zu der Frage der Übertragbarkeit in Bezug auf das Zivilrecht ein geteiltes Meinungsbild.133 Einige greifen auf die verwaltungsrechtliche Ermessensfehlerlehre zurück und differenzieren zwischen Ermessensausfall, -fehlgebrauch und -überschreitung.134 Andere unterscheiden zwischen äußeren und inneren Ermessensfehlern: Bei ersteren werde die Ermächtigungsnorm überschritten, bei letzteren der Normzweck verfehlt oder gegen Verfassungsrecht verstoßen.135 Letztlich gelangen beide Ansätze aber regelmäßig zu denselben Ergebnissen. Beispielsweise ähnelt die Kategorie des Ermessensfehlgebrauchs der des inneren Ermessensfehlers.136 Fallen beide Ansätze einmal auseinander, ist nach hier vertretener Ansicht gegen eine Übertragung der verwaltungsrechtlichen Kategorien auf das Arbeitsverfahrensrecht zu entscheiden. Eine eigene prozessuale Konzeption ist deswegen erforderlich, weil das Ermessen im Verwaltungsrecht anderen Zwecken dient als im Arbeitsverfahrensrecht: In der Verwaltung ermöglicht Ermessen eine sachadäquate Einzelfallentscheidung ebenso wie die Umsetzung eines vom Gesetzgeber vorgegebenen planerischen Entscheidungsprogramms, welches in seiner Ausgestaltung über den Einzelfall hinausgeht.137 Im Arbeitsverfahrensrecht dient richterliches Ermessen dagegen einzig dazu, sachgerechte Einzelfallentscheidungen zu erreichen. Hinzu tritt, dass ein Arbeitsrichter im Unterschied zu einer Behörde ein Rechtsprechungsorgan i. S. d. Art. 92 GG ist. Anders als im Verwaltungsrecht wird vor den Arbeitsgerichten deshalb auch kein gerichtsfreier Entscheidungs131 §§ 114 VwGO, 40 VwVfG; grundlegend Alexy, JZ 1986, 701 ff. (Verwaltungsrecht); ferner Bachof, JZ 1955, 97 ff. (Verwaltungsrecht); instruktiv Schwarz, in: Fehling/ Kastner/Störmer (Hrsg.), HK-VerwR, 2016, § 114 VwGO Rn. 42 ff. (Verwaltungsrecht). 132  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 399 (Zivilrecht); Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 1 (Zivilrecht). 133 Dafür Behrens, Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, 1979, S. 31 ff., 57 ff. (Zivilrecht); Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 262 ff. (Zivilrecht); a. A. Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 396 f., 399 (Zivilrecht); Schlotz, Ermessensentscheidung, 1969, S. 27 ff. (Zivilrecht); Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 7 (Strafrecht). 134  Heilbron, Ermessen des Richters, 1929, S. 51 ff. (Strafrecht). 135  Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 184 ff. (Strafrecht). 136  Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 272 (Zivilrecht). 137  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 399 (Zivilrecht).

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spielraum geschaffen, wenn man die Überprüfbarkeit einer Ermessensentscheidung verneint.138 II.  Mögliche Ermessensfehler bei der Verweisungsentscheidung Bei der Verweisung vor den Güterichter können die vorgenannten Ermessensfehler grundsätzlich alle auftreten. Angesichts der Weite des richterlichen Ermessens liegen sie jedoch in der Praxis selten vor. In verwaltungsrechtlichen Kategorien gedacht läge beispielsweise ein Ermessensausfall vor, wenn der Spruchrichter sein Ermessen verkennt oder aus anderen Gründen von vornherein nicht betätigt.139 Ein Ermessensfehlgebrauch – oder nach anderer Lesart ein innerer Ermessensfehler – wäre anzunehmen, wenn der Spruchrichter willkürlich entscheidet oder sich von sachfremden Motiven leiten lässt. Sachfremd wäre etwa, wenn der Spruchrichter durch seine Verweisungsentscheidung nicht das konfliktadäquateste Verfahren auszuwählen, sondern die eigene Arbeitsbelastung zu minimieren versucht, oder wenn er der alternativen Konfliktbeilegung persönlich ablehnend gegenüber steht und deshalb aus Prinzip keine Verweisungen ausspricht. Inwieweit sich eine sachfremde Motivation nachweisen lässt, steht dabei auf einem anderen Blatt geschrieben. Wählt der Spruchrichter eine im Gesetz nicht vorgesehene Rechtsfolge, spricht also beispielsweise eine an unzulässige Bedingungen geknüpfte Verweisung aus, wäre eine Ermessensüberschreitung oder ein äußerer Ermessensfehler zu bejahen.140 III.  Justitiabilität der Verweisungsentscheidung? Nachdem die Grenzen des richterlichen Ermessens abgesteckt worden sind, fragt sich, wie bei Vorliegen eines Ermessensfehlers praktisch verfahren werden kann. Dabei sei vorausgeschickt, dass die inhaltliche Bindung des Spruchrichters bei seiner Ermessensentscheidung weiter reichen kann als die Kontrollmöglichkeiten derselben durch die nächsthöhere Instanz; insofern müssen die Grenzen des richterlichen Ermessens nicht deckungsgleich mit ihrer Justitiabilität sein.141 1.  Bedürfnis nach einer Überprüfbarkeit der Verweisung Für eine Überprüfung lässt sich anführen, dass sich Gerichte – nach umstrittener Ansicht – durch ihre Ermessenspraxis für zukünftige, ähnlich gelagerte 138 

Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 243 (Zivilrecht). Greger, MDR 2017, 1107, 1110; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 72 (Sozialrecht). 140  Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 272 f. (Zivilrecht). 141  Stickelbrock, Richterliches Ermessen, 2001, S. 10 (Zivilrecht). 139 

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Verfahren selbst binden können.142 Wenn zwar weniger als Behörden, binden doch auch Richter sich, soweit sie durch ihre ständige Rechtsprechung eine Art Vertrauenstatbestand schaffen.143 Im Fall des Güterichterverfahrens wird den Parteien in der Rechtspraxis allerdings selten an einer Überprüfung der Verweisungsentscheidung gelegen sein. Beschließt der Spruchrichter positiv über die Verweisung, können die Parteien das gegen ihren Willen eingeleitete Güterichterverfahren schlicht boykottieren und dadurch zu einem schnellen Ende bringen. Zusätzliche Kosten oder ein nennenswerter Zeitaufwand entstehen nicht, weshalb es ihnen oft an der Beschwer fehlen wird.144 Entscheidet der Richter sich gegen eine Verweisung, wird er dadurch bei den Parteien selten Verdruss herbeiführen. Bei ernsthaftem Interesse an einer alternativen Konfliktbeilegung hätten sie sich wohl vor der Klageerhebung in einer außergerichtlichen Alternative versucht. Denkbar wäre ein parteiliches Interesse an einer Überprüfung der Verweisungsentscheidung aber, wenn die Parteien unterschiedlicher Auffassung sind, also eine Partei die unterbliebene Verweisung begrüßt hätte, während die andere Partei die Meinung des Richters teilt.145 Ferner wurde aus den Modellprojekten berichtet, dass die Parteien sich manchmal nur vor Gericht begeben, um in den Genuss der Dienstleistung Mediation durch den kostengünstigen Güterichter zu kommen.146 2.  Ausschluss der Überprüfbarkeit analog §§ 172 Abs. 2 SGG, 146 Abs. 2 VwGO? Handelt es sich bei einer richterlichen Entscheidung um eine prozessleitende Verfügung, wird die Statthaftigkeit einer Beschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren durch § 172 Abs. 2 SGG147 und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch § 146 Abs. 2 VwGO148 ausgeschlossen. In der ZPO finden sich in §§ 512, 142  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 415 (Zivilrecht). 143  Z. B. für das anwaltliche Vertrauen auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist BGH, Beschl. v. 14. 02. 1991, VII ZB 8/90, NJW 1991, 1359. 144  Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1148 (Zivilrecht). 145  Z. B. LSG Bayern, Beschl. v. 27. 09. 2013, L 2 P 45/13 B, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 09. 04. 2014, 8 S 1528/13, juris. 146  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 44; ders., RabelsZ 74 (2010), 781, 789; ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 99; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 99. 147 LSG Bayern, Beschl. v. 05. 09.  2016, L 2 P 30/16 B, juris Rn. 8 (Sozialrecht); LSG Bayern, Beschl. v. 27. 09. 2013, L 2 P 45/13 B, juris Rn. 5 (Sozialrecht); Dürschke/ Mayer-Metzner, SGb 2015, 69, 71 (Sozialrecht). 148  OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09. 01. 2015, 10 OB 109/14, juris Rn. 7 ff.

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567 ZPO entsprechende Regelungen, die eine Kontrolle grundsätzlich ausschließen. Daher ist zu klären, ob die Verweisung nach § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG eine prozessleitende Verfügung i. d. S. ist. Falls ja, so ist weiter zu untersuchen, ob sich die Wertungen des SGG und der VwGO auf die Arbeitsgerichte übertragen lassen und eine Überprüfbarkeit analog §§ 172 Abs. 2 SGG, 146 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen ist. Die Verfügung ist ebenso wie das Urteil und der Beschluss eine Form der richterlichen Entscheidung.149 Ihre Abgrenzung zueinander ist bisweilen schwierig und lässt sich selten nach allgemeingültigen Merkmalen vornehmen.150 Der Prototyp unter den gerichtlichen Entscheidungen ist das Urteil und in den §§ 300 ff. ZPO näher ausgestaltet, die über § 46 Abs. 2 ArbGG und § 80 Abs. 2 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Urteils- und Beschlussverfahren anzuwenden sind. Ein Urteil setzt grundsätzlich eine verpflichtende mündliche Verhandlung voraus; eine Ausnahme von diesem Grundsatz findet man aber beispielsweise in § 128 Abs. 2, 3 ZPO.151 Beim Beschluss handelt es sich ebenfalls um eine Form der richterlichen Entscheidung, die in der ZPO und im ArbGG allerdings nur in verschiedenen Einzelvorschriften erwähnt wird, ohne allgemeingültig geregelt zu sein. Im Unterschied zum Urteil enthält ein Beschluss oft keine Entscheidung über den Streitgegenstand und ergeht ohne mündliche Verhandlung.152 Manchmal kann eine richterliche Entscheidung aber auch mit identischem Inhalt als Urteil oder als Beschluss ergehen; was vorliegt, bestimmt sich danach, ob eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.153 Bei der dritten richterlichen Entscheidungsform, der Verfügung, handelt es sich in der Regel um eher unbedeutende Anordnungen des Richters, für die das Gesetz nicht explizit die Beschlussform vorschreibt.154 I. d. S. unbedeutend sind etwa Ladungen, Terminsbestimmungen und die Entgegennahme von Parteihandlungen. Kennzeichnend für eine Verfügung ist zudem, dass der vorsitzende Richter eines Spruchkörpers, der ersuchte oder der beauftragte Richter sie alleine vornehmen darf. Im Idealfall lässt sich bereits dem Gesetz entnehmen, in welcher Form eine Entscheidung ergeht, wie etwa bei dem Verweisungsbeschluss nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG i. V. m. § 48 Abs. 1 ArbGG.155 Schweigt das Gesetz, so wie es bei 149  Musielak, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, Vorb. § 300 ZPO Rn. 1 (Zivilrecht). 150  Musielak, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, Vorb. § 300 ZPO Rn. 1, § 329 ZPO Rn. 1 (Zivilrecht). 151  Musielak, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, Vorb. § 300 ZPO Rn. 1 (Zivilrecht). 152  § 128 Abs. 4 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. 153  § 922 ZPO i. V. m. § 62 Abs. 2 ArbGG. 154  Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 329 ZPO Rn. 2 (Zivilrecht). 155  Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 329 ZPO Rn. 1 (Zivilrecht).

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§ 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG der Fall ist, fällt die Abgrenzung der drei Formen zueinander schwerer. Eine verpflichtende mündliche Verhandlung setzt sie jedenfalls nicht voraus, sodass die Urteilsform gemäß § 128 Abs. 4 ZPO ausscheidet. Damit verbleiben noch die Form des Beschlusses und die der Verfügung. Zwar schreibt § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG nicht explizit die Beschlussform vor. Die h. M. verlangt die Beschlussform aber trotzdem und stützt sich begründungshalber darauf, dass die Verweisung zu bedeutsam sei, um als bloße Verfügung zu ergehen.156 Der h. M. ist zuzugestehen, dass eine Verweisung für das Verfahren einschneidendere Wirkung hat als etwa eine Terminsbestimmung. Die Verweisung ist keine bloße Formalität, sondern führt u. a. dadurch zu einer Zäsur, dass der verweisende Spruchrichter für einige Zeit aus dem Verfahren ausgeschlossen wird. Eine Einordnung als Beschluss ist deshalb gerechtfertigt. Bereits vor diesem Hintergrund ist eine Gleichsetzung mit den Verfügungen des SGG und der VwGO zweifelhaft. Eine Analogie scheidet auch aus anderen Gründen aus. Prozessleitend wäre die Verweisungsentscheidung nämlich nur, wenn sie dem gesetz- und zweckmäßigen Ablauf des Verfahrens zur Vorbereitung der abschließenden Entscheidung dienen und ihrer Bedeutung nach den anderen in § 172 Abs. 2 SGG und § 146 Abs. 2 VwGO genannten Maßnahmen entsprechen würde. Hintergrund dieser Einschränkung sind prozessökonomische Erwägungen: In § 172 Abs. 2 SGG und in § 146 Abs. 2 VwGO wird die Beschwerdemöglichkeit ausgeschlossen, um den Fortgang des Verfahrens bis zur verfahrensbeendenden Entscheidung nicht zu verzögern.157 Das Gericht soll seine Verfahrenshandhabung danach ausrichten können, wie der Prozessstoff möglichst effizient erledigt und gerichtlicher Rechtsschutz zügig gewährt werden kann, ohne dabei allzu starken Einschränkungen unterworfen zu sein.158 Indem der Gesetzgeber die Überprüfbarkeit erschwert, will er verhindern, dass die übergeordnete Instanz in die Verfahrenshandhabung eines Gerichts eingreift. Auf den Güterichter trifft dieses Telos jedoch nur bedingt zu.159 Insbesondere dient die Verweisung in das Güterichterverfahren nicht dazu, zügig gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren. Stattdessen soll der Konflikt der Parteien möglichst umfassend beigelegt, dadurch langfristiger Rechtsfrieden ge156  Görg, in: Natter/Gross (Hrsg.), ArbGG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 31; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 f. (Zivilrecht); Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 162; Kloppenburg/Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 85; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 41; Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 19 (Zivilrecht). 157 OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 10.  02. 1998, 7 E 10175/98, NVwZ-RR 1998, 693 f.; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09. 01. 2015, 10 OB 109/14, juris Rn. 9. 158  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 408, 451 (Zivilrecht). 159  OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09. 01. 2015, 10 OB 109/14, juris Rn. 9.

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schaffen und überdies die einvernehmliche Konfliktbeilegung als solche gefördert werden. Da der Güterichter nicht entscheidungsbefugt ist, dient eine Verweisung an ihn nicht der Vorbereitung der abschließenden Entscheidung. Ganz im Gegenteil kann eine an der Rechtslage ausgerichtete richterliche Entscheidung durch die Verweisung sogar verhindert oder verzögert werden. Insofern kommt § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG eine andere Bedeutung als § 172 Abs. 2 SGG und § 146 Abs. 2 VwGO zu.160 Ihre Wertungen sind mithin nicht auf die Verweisungsentscheidung übertragbar. Nach alledem ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, die Verweisung mittels einer Beschwerde zu überprüfen. 3.  Überprüfbarkeit mittels einer sofortigen Beschwerde? Nachdem es also nicht von vornherein ausgeschlossen ist, die Verweisung gerichtlich zu überprüfen, ist weiter zu klären, auf welcher Grundlage eine solche Überprüfung erfolgen könnte. a)  Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde Die Anfechtung richterlicher Ermessensentscheidungen richtet sich nach der Art der richterlichen Entscheidung.161 Je nach ihrer Art sind richterliche Entscheidungen mit der Berufung (§§ 511 ff. ZPO), der Beschwerde (§§ 567 ff. ZPO), der Revision (§§ 542 ff. ZPO) oder der Rechtsbeschwerde (§§ 574 ff. ZPO) angreifbar. Die Berufung und die Revision wenden sich dabei nur gegen Urteile. In Bezug auf die Verweisungsentscheidung scheiden sie damit aus. In Betracht kommt stattdessen eine sofortige Beschwerde.162 Eine sofortige Beschwerde ist statthaft, wenn sich eine Partei im laufenden Verfahren gegen eine richterliche Entscheidung wenden möchte. Für erstinstanzliche Urteilsverfahren sind ihre Voraussetzungen in § 567 ZPO i. V. m. § 78 Satz 1 ArbGG geregelt.163 So setzt § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO für eine sofortige Beschwerde voraus, dass die Beschwerdemöglichkeit in der Norm selbst geregelt ist. Eine solche Vorkehrung

160  OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09. 01. 2015, 10 OB 109/14, juris Rn. 9; a. A. wohl Steinhauff, SteuK 2013, 160, 161 (Steuerrecht). 161  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 446 (Zivilrecht). 162  OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09. 01. 2015, 10 OB 109/14, juris; Fritz, in: Fritz/ Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 15. 163  Auf das Beschlussverfahren ist § 78 ArbGG gemäß § 83 Abs. 5 ArbGG entsprechend anwendbar. Weiterführend zu den Möglichkeiten einer Verweisung in anderen Instanzen unten in dem Abschnitt: Zeitliche Scheidepunkte für die Verfahrenswahl, S. 209.

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

enthält § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG jedoch nicht.164 Mithin ist der Verweisungsbeschluss nicht nach § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anfechtbar.165 Aus § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO lässt sich ebenfalls keine Beschwerdemöglichkeit ableiten. Die Vorschrift setzt eine Entscheidung voraus, die ihrerseits keine mündliche Verhandlung erfordert und durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist. Da die Verweisungsentscheidung aber im Ermessen des Spruchrichters liegt, ergeht sie von Amts wegen. Auch setzt sie kein Parteigesuch voraus.166 Die Verweisung ist somit auch nicht nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO und damit insgesamt nicht nach § 567 ZPO durch eine Beschwerde angreifbar.167 b)  Konkrete Beschwerdemöglichkeit analog § 252 ZPO In jedem Fall erfordert eine Überprüfung aber eine rechtliche Grundlage. Man könnte erwägen, § 252 ZPO analog anzuwenden.168 Die Vorschrift ermöglicht die Überprüfung bei schweren Eingriffen in subjektive Verfahrensstellungen.169 Beispielsweise gilt § 252 ZPO auch für die Überprüfung der Ruhensanordnung oder ihrer Ablehnung nach § 54a Abs. 2 Satz 1 ArbGG.170 Wendet man § 252 ZPO analog auf die Verweisungsentscheidung an, würde sie die Beschwerde über § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ermöglichen. Bei näherer Betrachtung mangelt es jedoch an den Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 252 ZPO. Zur Begründung einer Analogie bedarf es neben einer planwidrigen Regelungslücke 164 

Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 41. Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 77; Görg, in: Natter/Gross (Hrsg.), ArbGG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 31; Kloppenburg/ Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 86; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 41; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 66; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1148 (Zivilrecht). 166  Bacher, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 20.1 (Zivilrecht); zur Überprüfbarkeit richterlicher Ermessensentscheidungen auf Antrag einer Partei vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 10. 02. 2009, 16 W 18/09, OLGR Schleswig 2009, 271 Rn. 2; zum Tatbestandsmerkmal des Parteigesuchs RG, Beschl. v. 06. 05. 1903, V 107/03, RGZ 54, 348, 349; BGH, Beschl. v. 27. 01. 2004, VI ZB 33/03, MDR 2004, 698, 699; BGH, Beschl. v. 13. 11. 2008, IX ZB 231/07, NJW-RR 2009, 210, 211; Lipp, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 567 ZPO Rn. 8 (Zivilrecht). 167  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 278 ZPO Rn. 48, zurückhaltender aber in § 54 ArbGG Rn. 15 (Zivilrecht); Kloppenburg/Tautphäus, in: Düwell/ Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 86; Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 14. 168  Bacher, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 20.1 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 41. 169  Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 409 (Zivilrecht). 170  Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278a ZPO Rn. 25 (Zivilrecht). 165 

§ 4  Richterliches Ermessen bei der Verweisung vor den Güterichter

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nämlich auch einer vergleichbaren Interessenlage. Bacher sieht diese darin, dass die Verweisung in das Güterichterverfahren bewirke, dass das streitige Verfahren auf unbestimmte Zeit nicht fortgeführt werden könne. Diese Unterbrechung auf unbestimmte Zeit sei mit einer Aussetzung vergleichbar, was eine analoge Anwendung rechtfertige. Während bei einer Aussetzung aber alle weiteren das Verfahren betreffenden Handlungen bis zum Ende der Aussetzung aufgeschoben werden, wird bei § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG lediglich ein Teil des Verfahrens auf einen anderen Richter ausgelagert.171 Das Verfahren ruht aber während dieser Zeit nicht.172 Anders als bei einer Aussetzung kommt es für die Parteien bei der Verweisung nicht automatisch zu einer Verfahrensverzögerung.173 Die Parteien sind bei § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG deshalb ungleich weniger schutzbedürftig als bei einer Aussetzung. Insofern sind die Interessenlagen von § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG und § 252 ZPO nicht hinreichend miteinander vergleichbar, und § 252 ZPO ist nicht analog anzuwenden.

D.  Ergebnis Linguistisch lässt sich der Begriff Ermessen von dem Wortstamm Maß herleiten. Seine Gegenpole sind einerseits das Belieben und andererseits die Alternativlosigkeit. Im Unterschied zu ihnen zeichnet Ermessen sich dadurch aus, dass dem Entscheidungsträger ein Wahlrecht zwischen verschiedenen Optionen zusteht, bei deren Ausübung er an einen bestimmten Maßstab gebunden ist. Dieser Maßstab ist bei Richtern ein anderer als bei anderen Entscheidungsträgern. Ermessen kann und darf nur insoweit ausgeübt werden, wie der Richter durch Gesetz hierzu ermächtigt ist. Das Ausmaß seiner Ermächtigung lässt sich ermitteln, indem die Norm, die das Ermessen gewährt, ausgelegt wird. Dabei kann der Normwortlaut nur als erstes Indiz für oder gegen eine Ermessenseinräumung dienen. § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG räumt dem Spruchrichter für die Entscheidung, ob er die Parteien in das Güterichterverfahren verweist, nach dem Ergebnis seiner Auslegung Ermessen ein.

171 

Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 10 (Zivilrecht). Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16. 08. 2016, 19 A 2484/15, juris Rn. 1 (Verwaltungsrecht); Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Thomas, in: Klowait/ Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 14; Tiedemann, ArbRB 2012, 320, 323; a. A. FG Sachsen, Beschl. v. 16. 06. 2014, 6 K 354/14, juris; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09. 01. 2015, 10 OB 109/14, juris Rn. 3; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 171. 173 Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Verzögerung der Verfahrensbeendigung, S. 179 ff. 172  OVG

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1. Teil: Geschichte, dogmatische Einordnung und Theorie des Ermessens

Die Güterichteraufgabe ist im Geschäftsverteilungsplan zu regeln. Das Gebot des gesetzlichen Richters ist auf den Güterichter nicht anwendbar, weshalb die Regelungsdichte im Geschäftsverteilungsplan nicht so hoch wie bei dem Spruchrichter sein und den zuständigen Güterichter nicht abschließend festlegen muss. Für die Zuweisung der Güterichteraufgabe im Geschäftsverteilungsplan bedarf es nicht der Zustimmung des avisierten Güterichters. Im Übrigen führt die Verweisung auch nicht dazu, dass den Parteien der gesetzliche Richter entzogen wird. Richterliches Ermessen ist schon qua Definition nie vollkommen frei ausübbar, sondern stets an die ermessensgewährende Rechtsnorm und die allgemeinen Rechtsgrundsätze gebunden. Die Verweisung in das Güterichterverfahren kann zwar theoretisch ermessensfehlerhaft sein, ist aber gerichtlich nicht überprüfbar.

2. Teil

Analyse – Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter 2. Teil: Analyse – Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

§ 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG unterstellt es der diagnostischen Verantwortung des Spruchrichters, den im Einzelfall sachgerechten Verfahrensweg zu identifizieren und die Parteien auf diesen Weg zu geleiten. Doch woran darf der Spruchrichter sich orientieren und wonach muss er sich richten? Nach den Ausführungen zum richterlichen Ermessen steht fest, dass der Spruchrichter auch bei Vorliegen eines Ermessensspielraums nicht vollkommen frei ist, sondern seine Entscheidung an einem bestimmten Maßstab auszurichten hat. Dieser Maßstab setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, den Entscheidungskriterien. Denn damit der Spruchrichter seiner Aufgabe gerecht werden kann, müssen ihm Kriterien an die Hand gegeben werden. Die Erarbeitung dieser Kriterien steht im Zentrum des zweiten Teils der Arbeit. Der erste Abschnitt dieses Teils widmet sich eingangs der Frage, inwieweit Kriterienkataloge dem Spruchrichter für seine Entscheidung zur Seite gestellt werden sollten. Sodann extrapoliert er in drei Bereichen einzelne Kriterien. Zunächst werden materielle Verweisungskriterien herausgearbeitet. Sie sind es, auf die man allenthalben trifft, wenn in der Literatur von Verweisungskriterien die Rede ist. Materielle Verweisungskriterien fragen danach, ob ein Konflikt für ein Güterichterverfahren grundsätzlich geeignet ist. Die Eignung eines Konflikts richtet sich danach, ob seine Eigenschaften die Vorzüge des Güterichterverfahrens effektuieren. Im Anschluss richtet die Arbeit ihr Augenmerk auf die formellen, verfahrensbezogenen Verweisungskriterien. Sie betreffen Verfahrensvoraussetzungen, die sich aus den prozessualen Eigenheiten des Güterichterverfahrens ergeben. Schließlich geht die Untersuchung auf die funktionellen Verweisungskriterien ein, die sich aus der Stellung des Güterichters im gerichtlichen Verfahren speisen und den Verfahrenswegen, die an seiner statt beschritten werden können. Im Unterschied zu den materiellen Verweisungskriterien fragen die funktionellen nicht danach, ob ein Konflikt sich grundsätzlich für ein Güterichterverfahren eignet, sondern danach, ob er sich mehr für ein Güterichterverfahren eignet als für andere mögliche Verfahrenswege.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

§ 5  Kleines Plädoyer für Kriterienkataloge Im Schrifttum wird die Auswahl des am besten geeigneten Verfahrens eher wie eine Kunst als wie eine Wissenschaft beschrieben.1 Werden Verweisungskriterien überhaupt diskutiert, beziehen sie sich meist auf eine dem Gerichtsverfahren vorgelagerte Konfliktbeilegung oder auf die allgemeine Mediationseignung, und nicht auf das Güterichterverfahren oder auf den Zeitraum nach Klageerhebung.2 Diese anderen Kriterien lassen sich nicht unbesehen auf das Güterichterverfahren übertragen. Beispielsweise spielt der oft genannte Wunsch, ein Gerichtsverfahren zu vermeiden, bei § 54 Abs. 6 ArbGG keine Rolle mehr. Im Übrigen begegnet man hierzulande häufig der These, eine abstrakt-normative Tauglichkeitsuntersuchung von Konflikten sei kaum sachgerecht, und schon gar nicht erlaube sich die Bildung von Fallgruppen oder die Arbeit mit fixen Kriterien.3 Stattdessen dürfe die Tauglichkeit zur Konfliktbeilegung ausschließlich im konkreten Einzelfall bestimmt werden.4 Dies vorausgeschickt erschöpfen sich viele Darstellungen in allgemeinen Aussagen, Beispielen oder der Auflistung von Ausschlussgründen.5 Andere wiederrum wollen schon die Frage nach der Falleignung nicht stellen.6 Eine prognostizierbar höhere Eignung bestimmter Fälle gebe es ohnehin 1 

Z. B. bei Sander/Rozdeiczer, 11 Harvard Negotiation Law Review 1, 41 (2006) (USA). Ahrens, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht); Deppermann-Wöbbeking et al., Ab­schlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 5 f.; Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 241 (Sozialrecht); Kraft, Mediation statt Gericht?, 2001, S. 22 f. (Transportrecht); Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 255; Ponschab/ Kleinhenz, DRiZ 2002, 430, 434; Sander/Goldberg, 10 Negotiation Journal 49 ff. (1994) (USA); Tögel/Rohlff, ZRP 2009, 209, 212. 3 In diese Richtung etwa Brändle/Schreiber, WzS 2014, 35, 37 (Sozialrecht); Dahl, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2014, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 20; Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 198 ff. (Zivilrecht); Mack, Court Referral to ADR: ­Criteria and Research, 2013, S. 8 (Australien): „Empirical research can provide some ­g uidance, but not a single model checklist or generic criteria for all courts“; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 85 f.; Stadler, NJW 1998, 2479, 2482 f.; Steinberg, DRiZ 2012, 19, 22 (Zivilrecht). 4 In diese Richtung etwa noch Dahl, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2014, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 8, 20; Dürschke/Mayer-Metzner, SGb 2015, 69, 71 (Sozialrecht); Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 198 f. (Zivilrecht); Gottwald, in: Haft/ Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 12; Greger, RabelsZ 74 (2010), 882, 887; zurückhaltender Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 284; ferner Prütting, in: 62. DJT 1998, O27 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 74 (Sozialrecht). 5  So auch Lamadé/Lamadé in Bezug auf § 278a ZPO, Entscheidungskriterien Mediation, o. J., S. 7 ff. 6  Götz von Olenhusen, in: FS Stilz, 2014, S. 171, 174. 2  Z. B.

§ 5  Kleines Plädoyer für Kriterienkataloge

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nicht und es führe auch nicht weiter, nach ihr zu suchen.7 Im Grunde würde es sogar dem Leitbild des nicht entscheidenden Richters widersprechen, wenn er anstelle der Parteien nach ihr suchen würde.8 Stattdessen solle der Richter die Entscheidung den Parteien überlassen.9 Diesem Ansatz muss jedoch der oft noch geringe Kenntnisstand in der Bevölkerung über das Güterichterverfahren entgegen gehalten werden. Häufig werden die Parteien die Vorzüge und Risiken des Güterichterverfahrens nicht hinreichend gut kennen, um die Eignung ihres Konflikts für eine Verweisung beurteilen zu können. Andernfalls hätten sie sich vermutlich ohnehin schon an einen außergerichtlichen Mediator gewendet. Jedenfalls solange hier Defizite bestehen, sollte der Spruchrichter nicht aus seiner Verantwortung bei der Verfahrenswahl entlassen werden. Im Ausland steht man einer typologischen Betrachtung von Konflikten grundsätzlich weniger kritisch gegenüber, so etwa am österreichischen ASG Wien, am englischen Court of Appeal und an verschiedenen australischen Gerichten.10 Auch im deutschen Recht sind Kriterien zumindest in anderen Verfahrensvorschriften durchaus gängig.11 Im Zentrum dieser Arbeit steht der Versuch, zu zeigen, dass normative Entscheidungskriterien eine probate Orientierungshilfe für die Verweisung vor den Güterichter bieten können.12 Entscheidungskriterien stellen sicher, dass der 7 

Götz von Olenhusen, in: FS Stilz, 2014, S. 171, 174. Götz von Olenhusen, in: FS Stilz, 2014, S. 171, 174. 9  Götz von Olenhusen, in: FS Stilz, 2014, S. 171, 174. 10  Astor/Chinkin, Dispute Resolution, 1992, S. 180 ff. (Australien); Freundorfer/ Hauska, ZKM 2015, 39, 40; Genn, Court-Based ADR, 2002, S. 73 ff. (England); Gottwald, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 12; Hauska/Freundorfer, Österreichische RZ 2014, 112, 113 (Österreich); Hiltrop, in: Kressel/Pruitt (Hrsg.), Mediation, 1989, S. 241 ff. (England); Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013 (Australien); Sourdin/Davies, Journal of Judicial Administration 1997, 22, 24 (Australien); Tyler/Bornstein, Journal of Judicial Administration 16 (2006), 1 (Australien). 11 Z. B. für § 272 ZPO bei Thole, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2018, § 272 ZPO Rn. 16 ff. (Zivilrecht). 12 In diese Richtung auch Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 241 (Sozialrecht); Gottwald fordert, die Suche nach Zuweisungskriterien nicht vorschnell aufzugeben und sieht die Kriterien als „mehr normativ als empirisch begründbar“ an, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 56; ferner Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 6 f., 82, 113; ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 4 f.; Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 285; Koch, NJ 2005, 97, 102 (Zivilrecht), nach dem „der Streitrichter die Verfahren unvoreingenommen und nach Kriterien auf ihre Eignung zu prüfen [hat], die allerdings noch wenig konkretisiert sind“; Hess konstatiert, dass eine obligatorische Streitschlichtung durchaus zur Konfliktlösung tauge, wenn sie nur zielgenau eingesetzt werde, in: 67. DJT 2008, F133; Kriterien befürwortend Lamadé/Lamadé, Entscheidungskriterien Mediation, o. J., S. 5; Lubet, 4 Ohio State Journal on Dispute Resolution 235, 242 (1989) (USA). Rixen/Zeitlmann wollen einem Güterichterkoordinator 8 

116

2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Spruchrichter bei seiner Entscheidung keine relevanten Aspekte vergisst. Sie fungieren als abstrakte Richtschnur und vereinfachen die richterliche Verweisungsentscheidung. Zugleich stehen sie einer einzelfallbezogenen Konfliktbehandlung durch ihre Abstraktheit nicht im Wege. Nicht als Patentrezept, sondern als Leitlinie sollten sie dem Spruchrichter an die Hand gegeben werden. Gleichzeitig können Kriterienkataloge einer uneinheitlichen Verweisungspraxis entgegenwirken. Durch die Etablierung von Kriterien kann die Verweisungspraxis auch im Interesse der Rechtssicherheit bundesweit vereinheitlicht und systematisiert werden.13 Ferner kann das volle Potenzial des Verfahrensangebots ausgeschöpft und dem Spruchrichter mehr Sicherheit gegeben werden, dass er sich nicht dem Vorwurf des Verfahrensmissbrauchs aussetzt.14 Verweisungskriterien können die Qualität der spruchrichterlichen Verweisung also verbessern – und dem im ersten Teil dieser Arbeit postulierten Ziel Rechnung tragen. Eine Grenze der Kriterienentwicklung ist die richterliche Unabhängigkeit gemäß Art. 97 GG.15 Sie untersagt es, verbindliche Leitlinien zur richterlichen Ermessensausübung zu erlassen.16 Den Kriterien kann deshalb nur das Gewicht von Empfehlungen beigemessen werden. Sie zeigen Wahrscheinlichkeiten auf und erheben keinen Anspruch auf absolute Antworten.17 Aus diesem Grund dürfen die Erwartungen und Anforderungen an sie auch nicht überzogen sein. Wo aber beginnt die Suche nach Entscheidungskriterien? Zunächst ist der Gesetzestext zu konsultieren. In zahlreichen Ermessensvorschriften findet man im Kriterien für die Fallzuweisung im Geschäftsverteilungsplan vorgeben, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 385 (Sozialrecht). Spindler fordert einen Kriterienkatalog zur Beurteilung, ob die Verweigerung einer Mediation berechtigt ist, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungsund Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 113; Wendenburg, ZKM 2013, 19, 20 (Zivilrecht). 13  Lubet, 4 Ohio State Journal on Dispute Resolution 235, 240 (1989) (USA): „In fact, given the characteristic judicial emphasis on efficiency, it is entirely likely that the process of selection will fall by default into a rule of thumb procedure“; Sander/Rozdeiczer, 11 Harvard Negotiation Law Review 1, 9 (2006) (USA); Sourdin/Davies, Journal of Judicial Administration 7 (1997), 22, 24 (Australien). 14  Gottwald, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 56; Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 89 (Australien): „Criteria are thought to enable predictability or consistency. Perhaps most important in the court referral context, criteria can provide grounds on which a party can persuade a court to make a referral or a basis for a party to oppose a referral“. 15  Eingehend hierzu unten im Abschnitt: Unabhängigkeit, S. 251. 16  Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 77 (Sozialrecht). 17 Ähnlich Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 242 (Sozialrecht). Lubet, 4 Ohio State Journal on Dispute Resolution 235, 238 (1989) (USA); Sander/ Rozdeiczer, 11 Harvard Negotiation Law Review 1, 41 (2006) (USA); ähnlich Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 2, 23 (Australien); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 77 (Sozialrecht).

§ 5  Kleines Plädoyer für Kriterienkataloge

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Wortlaut Anhaltspunkte, wovon der Entscheidungsträger seine Entscheidung abhängig zu machen hat.18 Eine weitere Quelle für Ermessenskriterien liefert die Gesetzesbegründung, in welcher der Gesetzgeber seine Motive und Regelungsziele niedergelegt hat. Gerade im Arbeitsrecht ist auch oft die Rechtsprechung für Maßstäbe der Ermessensausübung zu konsultieren. Zwar ist die einzelfallbezogene Anwendung einer Ermessensnorm für nachfolgende Entscheidungen nicht verbindlich, doch kann sie trotzdem als Richtschnur dienen.19 Hierin unterscheidet sich Ermessen von unbestimmten Rechtsbegriffen, zu deren Tatbestandsmerkmalen vielfach eine umfassende Kasuistik entwickelt worden ist, die den richterlichen Auslegungsspielraum verkleinert.20 Ein Beispiel hierfür bieten die zivilrechtlichen Generalklauseln §§ 242, 826 BGB, deren Bedeutungsgehalt sich in der Rechtspraxis primär über die von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen erschließt. Erhebliche Bedeutung bei der Suche nach dem richtigen Maßstab kommt überdies dem Normzweck der Ermessensbestimmung zu.21

18 

Z. B. §§ 91a Abs. 1 Satz 1, 454 Abs. 1 ZPO, § 2 HausratsVO. Müller-Glöge, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2016, § 611 BGB Rn. 390; Neumann-Duesberg, JZ 1952, 705 (Zivilrecht). 20  Neumann-Duesberg, JZ 1952, 705 (Zivilrecht). 21  Warda, Richterliches Ermessen, 1962, S. 116 f. (Strafrecht). 19 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

§ 6  Materielle Verweisungskriterien Der Spruchrichter soll die Parteien vor einen Güterichter verweisen, wenn es in hohem Maße wahrscheinlich ist, dass der Güterichter das Verfahren zu einem zufriedenstellenden Abschluss bringen wird. Zu einem solchen Abschluss kann der Güterichter es bringen, wenn die Eigenarten des Güterichterverfahrens der Beilegung des jeweiligen Konflikts besonders zuträglich sind, es also vielversprechend für die Konfliktbeilegung erscheint, die Vorzüge des Güterichters wirken zu lassen. Diese Zuträglichkeit wiederum steht und fällt mit den durch den Güterichter eingesetzten Konfliktbeilegungsverfahren und -methoden. Ob eine schlichte Vergleichsmoderation, eine Mediation, eine Schlichtung mit eigener Bewertung oder eine Kombination verschiedener Verfahren und Methoden – der Güterichter muss erkennen, wann welches Verfahren zu wählen ist. Das von Güterichtern am häufigsten ausgewählte Verfahren ist das der Me­ diation; selbst in methodisch offen gestalteten Modellversuchen war die Mediation meist die Methode der Wahl.1 Ist ein Konflikt besonders mediationsgeeignet, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Güterichter das Verfahren zu einem zufriedenstellenden Abschluss bringen wird, sodass eine Verweisung zweckmäßig ist. Daher wird im Folgenden untersucht, wann ein arbeitsrechtlicher Konflikt mediations- und dadurch verweisungstauglich ist.2 Zu Beginn werden abstrakte Konflikteigenschaften gesucht, anhand derer sich beurteilen lässt, wann ein Konflikt einer güterichterlichen Mediation zugänglich ist. Anschließend wird der Bogen zum Arbeitsrecht gespannt und untersucht, welche individualarbeitsrechtlichen, betriebsverfassungsrechtlichen und tarifrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich für eine Verweisung vor den Güterichter geeignet sind. 1  Götz von Olenhusen, in: FS Stilz, 2014, S. 171, 173; Gottwald/Greger, ZKM 2016, 84, 87; Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1262 f.; etwas zurückhaltender Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits, Zivil und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen I, 2011, S. 12; Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 10, 16; Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 104; ders., Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 10; Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54a ArbGG Rn. 6. 2  Anstelle des hier gewählten Begriffs der Mediationstauglichkeit (vgl. Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 31) findet man auch den Begriff der Mediabilität (vgl. Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003, S. 63 ff.) und den der Mediationseignung (vgl. Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 85), bei denen es sich um Synonyme handelt.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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A.  Abstrakte Eignungskriterien für eine Verweisung Bei der Suche nach abstrakten Leitlinien wird zwischen objektiven und subjektiven Kriterien differenziert:3 Objektiv sind solche Gesichtspunkte, die dem Konflikt anhaften, also konfliktbezogen sind; subjektive Kriterien ergeben sich nicht aus dem Konflikt, sondern aus der Perspektive und Zielvorstellung der Parteien.4 I.  Objektive Kriterien Jeder Konflikt zeichnet sich durch objektive Eigenschaften aus, die ihn prägen. Entscheidend für die Verweisungstauglichkeit ist aber, ob durch eine objektive Eigenschaft die verfahrensspezifischen Nachteile oder Vorteile einer güterichterlichen Mediation forciert werden – je nachdem spricht die Eigenschaft dann entweder dafür oder dagegen, eine güterichterliche Mediation durchzuführen. Im Folgenden werden verschiedene objektive Eigenschaften auf ihre Relevanz für die Verweisung hin untersucht. 1.  Dispositionsbefugnis Im Idealfall endet ein Güterichterverfahren mit einer rechtsverbindlichen Abschlussvereinbarung. Der wirksame Abschluss einer solchen Vereinbarung setzt voraus, dass die Parteien über den Verfahrensgegenstand disponieren dürfen.5 Bereits die Mediationsrichtlinie sah deshalb in Art. 1 Abs. 2 Satz 1 eine Bereichsausnahme für Ansprüche außerhalb der parteilichen Dispositionsbefugnis vor. Über den Streitgegenstand können die Parteien disponieren. Schwierigkeiten kann die Dispositionsbefugnis allerdings bereiten, soweit im Güterichterverfahren über den ursprünglichen Streitgegenstand hinausgehende Konfliktgegenstände auf den Verhandlungstisch gebracht werden. Für den Spruchrichter lässt sich ex ante zwar nur eingeschränkt beurteilen, ob sich vor dem Güterichter ein Bedürfnis nach einer Erweiterung des Gegenstands der Verhandlungen ergeben wird. Ist ein solches Bedürfnis aber absehbar, sollte der Spruchrichter in seine

3 

Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 1 ff. Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 5 f.; ähnlich die subjective case factors des Verweisungsmodells in Cambridge, Massachusetts, vgl. Goldberg et al., ADR, 2012, S. 515 f. (USA), weiterführend zu dem Modell aus Cambridge, Massachusetts, in dem Abschnitt: Praktische Umsetzung in Cambridge, MA, S. 285. 5  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54a ArbGG Rn. 10; Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 290; Koch, NJ 2005, 97, 102 (Zivilrecht); Saam, JR 2015, 163, 168 (Zivilrecht); Töben, RNotZ 2013, 321, 330; Zwickel, NZM 2014, 18, 21 (Wohnungseigentumsrecht). 4 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Verweisungsentscheidung einbeziehen, inwieweit die Parteien über den zusätzlichen Stoff dispositionsbefugt sind. Die Dispositionsbefugnis entspricht in der Regel der parteilichen Vergleichsfähigkeit.6 Diese Vergleichsfähigkeit ist jedoch in vielen arbeitsrechtlichen Konstellationen mehr oder weniger stark eingeschränkt. Sie kann den Parteien beispielsweise fehlen, wenn der Streitgegenstand einem hoheitlichen Entscheidungsvorbehalt oder dem Entscheidungsvorbehalt eines privaten Dritten unterfällt.7 Die Hürde für die Begründung eines hoheitlichen Entscheidungsvorbehalts ist allerdings hoch. Ein öffentliches Interesse an dem Ausgang des Konflikts genügt für sich allein nicht.8 Neben Entscheidungsvorbehalten können sich weitere Faktoren auf die Dispositionsbefugnis auswirken, die im Folgenden untersucht werden. Dabei wird zwischen dem Individualarbeitsrecht, dem Betriebsverfassungsrecht und dem Tarifrecht differenziert. Im Individualarbeitsrecht besteht angesichts der dort geltenden Vertragsfreiheit (§§ 241, 311 BGB) grundsätzlich eine weite Dispositionsbefugnis. Doch auch sie unterliegt Grenzen. Erste Grenzen ergeben sich dort, wo zwingendes materielles Recht vorhanden ist.9 Zwingende Normen verbürgen unabdingbare Ansprüche zum Schutz des oft persönlich oder wirtschaftlich abhängigen Arbeitnehmers. Sie sind ein- oder sogar zweiseitig unabdingbar und können demnach nicht zum Gegenstand eines Vergleichs gemacht werden.10 Die Unabdingbarkeit gilt jedenfalls bis zum Zeitpunkt ihrer Entstehung; danach sind nahezu alle Ansprüche verzichtbar.11 Beispiele für zwingende Schutzvorschriften bieten der Mindestlohn nach § 3 Satz 2 MiLoG und § 9 Satz 1 AEntG, der Mindesturlaub sowie dessen Abgeltung nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG, die Lohnfortzahlung bei Krankheit 6  Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 28; Hacke, in: Duve/ Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 290. 7  Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 40; Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 264 (Sozialrecht); Risse, NJW 2000, 1614, 1615; Saam, JR 2015, 163, 168 (Zivilrecht); empirisch Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 64 f. (Australien); hoheitliche Entscheidungsvorbehalte sind insbesondere im Straf- und Verwaltungsrecht denkbar und im Arbeitsrecht eher fernliegend, vgl. die Auswertungen des verwaltungsgerichtlichen Modellprojekts von Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 12; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, 2008, S. 189, 197 (Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht). 8  Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 263 (Sozialrecht); a. A. Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 291. 9  Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 290; Stevens-Bartol, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 141, 144 f. 10  Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 28; Hacke, in: Duve/ Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 290; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 85. 11  Töben, RNotZ 2013, 321, 330.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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nach § 12 EntgFG, die Verringerung der Arbeitszeit nach § 22 Abs. 1 TzBfG, die gesetzlichen Urlaubs-, Krankheits- oder Feiertagszuschläge für Heimarbeit nach dem HAG sowie die Rechte aus betrieblicher Altersversorgung nach § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG.12 Weitere unabdingbare Schutzvorschriften ergeben sich aus dem AGB-Recht und dem Verbraucherschutzrecht.13 Zusätzlich begrenzen Normenverträge die Dispositionsbefugnis.14 Werden dem Arbeitnehmer durch einen Normenvertrag Ansprüche zugestanden, kann er auf diese Ansprüche nicht in einer individuellen Vereinbarung verzichten. Die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers wird hier zu seinem Schutz eingeschränkt. Eine Rückausnahme gilt bei Tatsachenvergleichen: Sie werden herrschend für zulässig befunden, da sie, wie schon die Bezeichnung als Tatsachenvergleich suggeriert, nur die tatsächlichen Voraussetzungen betreffen und insofern keinen Rechtsverzicht bedeuten.15 Ferner sind bei einer individualrechtlichen Abschlussvereinbarung auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu wahren.16 Im Betriebsverfassungsrecht markiert die Betriebsautonomie die Außengrenzen der parteilichen Dispositionsbefugnis. Innerhalb ihrer Betriebsautonomie können die Betriebspartner die formellen und materiellen Arbeitsbedingungen vergleichsweise frei regeln. Im Unterschied zur individualarbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit verleiht das Gesetz die Betriebsautonomie allerdings nur für bestimmte Fälle; sie besteht dadurch von vornherein nur im gesetzlich konturierten Rahmen.17 Zwar sind Betriebspartner nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden; da Inhalt und Umfang der Betriebsautonomie aber auf Gesetz beruhen, müssen die Betriebspartner zumindest der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Rechnung tragen.18 Die Betriebsvereinbarungen unterliegen zudem der Kontrolle der Gerichte, die sie am Maßstab des zwingenden einfachen Gesetzesrechts überprüfen.19 12  Habersack, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2017, § 779 BGB Rn. 12; ­Marburger, in: Staudinger (Begr.), BGB, 2015, § 779 BGB Rn. 13 f. (Zivilrecht). 13  Steffek, ZEuP, 2013, 528, 547 (Zivilrecht). 14  § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG und § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG; Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 584; Marburger, in: Staudinger (Begr.), BGB, 2015, § 779 BGB Rn. 13. 15  BAG, Urt. v. 05. 11. 1997, 4 AZR 682/95, NZA 1998, 434; Habersack, in: Säcker/ Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2017, § 779 BGB Rn. 13; Marburger, in: Staudinger (Begr.), BGB, 2015, § 779 BGB Rn. 13 (Zivilrecht). 16  Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 582 f. 17  BAG, Beschl. v. 07. 11. 1989, GS 3/85, BAGE 63, 211, 215; BAG, Urt. v. 11. 07. 2000, 1 AZR 551/99, BAGE 95, 221, 225; BAG, Urt. v. 12. 12. 2006, 1 AZR 96/06, BAGE 20, 308, 315. 18 BVerfG, Beschl. v. 23. 04. 1986, 2 BvR 487/80, BVerfGE 73, 261, 269 f.; BAG, Beschl. v. 07. 11. 1989, GS 3/85, BAGE 63, 211, 217; Müller-Glöge, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2016, § 611 BGB Rn. 293; Schmidt, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, Einl. GG Rn. 24. 19  BAG, Beschl. v. 07. 11. 1989, GS 3/85, BAGE 63, 211, 217.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Zum zwingenden Gesetzesrecht zählt im Übrigen auch die Generalklausel des § 75 BetrVG, durch welche die Grundrechte abermals in die Prüfung einfließen.20 Ferner unterliegt die Betriebsautonomie gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG dem Vorbehalt des Tarifvertrags. Dieser Vorbehalt schreibt schon bei bloßer Tarifüblichkeit eine Sperrwirkung vor.21 In der Regel kann der Betriebsrat auf seine Mitbestimmungsrechte auch nicht in zulässiger Weise verzichten.22 Auch insoweit schränkt das Gesetz die Betriebsautonomie faktisch ein. Eine weitere Grenze der Betriebsautonomie liegt darin, dass die Vereinbarung in sachlicher Hinsicht einen kollektiven Bezug aufweisen und entweder das betriebliche Rechtsverhältnis oder das Arbeitsverhältnis ausgestalten muss.23 Dagegen ist es den Betriebspartnern untersagt, in den kollektivfreien Individualbereich einzugreifen. Wollen die Betriebspartner eine Regelung rückwirkend erlassen, müssen sie dabei die Voraussetzungen beachten, die für die gesetzliche Form einer solchen Regelung gelten würden.24 § 75 Abs. 2 BetrVG unterwirft die Betriebspartner überdies einem Schutzauftrag und einer Förderungspflicht. Er verpflichtet sie, die grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte der Arbeitnehmer zu wahren.25 Beispielsweise kann einem Arbeitnehmer nicht ohne weiteres die Entscheidung über die Verwendung seines Lohns abgenommen werden, wie es etwa zwei Düsseldorfer Betriebspartner versucht haben, als sie ihre Arbeitnehmer verpflichten wollten, die Kosten für ihr Kantinenessen selbst zu tragen, obwohl sie dieses nie in Anspruch nahmen.26 Darüber hinaus wird die Betriebsautonomie durch das in § 4 Abs. 3 TVG normierte Günstigkeitsprinzip eingerahmt.27 Das Günstigkeitsprinzip bewirkt, dass eine Individualabrede Vorrang vor einer Betriebsvereinbarung genießt, soweit sie für den Arbeitnehmer günstigere Bestimmungen enthält. Teleologisch trägt das Günstigkeitsprinzip dem Umstand Rechnung, dass der Regelungszweck des ­BetrVG darin besteht, Mindeststandards für die Arbeitnehmer zu sichern, nicht aber eine Grenze nach oben hin vorzugeben.28 20 

BAG, Beschl. v. 07. 11. 1989, GS 3/85, BAGE 63, 211, 217. BAG, Beschl. v. 16. 09. 1960, 1 ABR 5/59, juris Rn. 4. 22  BAG, Urt. v. 03. 06. 2003, 1 AZR 349/02, BAGE 106, 204, 214 f. 23  Richardi, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 2018, § 77 BetrVG Rn. 89 ff.; Werner, in: Rolfs et al. (Hrsg.), BeckOK ArbR, 2018, § 77 BetrVG Rn. 35 f. 24  BAG, Urt. v. 19. 09. 1995, 1 AZR 208/95, BAGE 81, 38, 43 f. 25  BAG, Urt. v. 19. 01. 1999, 1 AZR 499/98, BAGE 90, 316, 322 f.; BAG, Beschl. v. 29. 06. 2004, 1 ABR 21/03, BAGE 111, 173, 175; BAG, Urt. v. 12. 12. 2006, 1 AZR 96/06, BAGE 120, 308, 315. 26  BAG, Urt. v. 11. 07. 2000, 1 AZR 551/99, BAGE 95, 221. 27  BAG, Urt. v. 27. 01. 2004, 1 AZR 148/03, BAGE 109, 244, 249. 28  BAG, Beschl. v. 16. 09. 1986, GS 1/82, BAGE 53, 42, 60. 21 

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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Im Tarifrecht wird die Dispositionsbefugnis durch die Tarifautonomie der Tarifpartner konturiert. Die Tarifautonomie wiederum findet ihre sachlichen und persönlichen Grenzen in Art. 9 Abs. 3 GG sowie in den objektiven Gewährleistungen der Verfassung, wie beispielsweise dem Rechtsstaatsprinzip. Inwieweit Tarifpartner an die übrigen Grundrechte gebunden sind, ist umstritten.29 Eine unstreitige Grenze der Tarifautonomie bildet hingegen zwingendes Recht wie beispielsweise § 4 TzBfG.30 Anders liegt es nur bei tarifdispositiven Normen wie § 14 Abs. 2, 2a TzBfG und § 622 Abs. 1, 2 BGB, von denen die Tarifpartner ausweislich der §§ 14 Abs. 2 Satz 3, Abs. 2a Satz 4, 622 Abs. 4 Satz 1 BGB abweichen dürfen. Zudem können Tarifpartner grundsätzlich nicht vereinbaren, Beteiligungsrechte des Betriebsrats einzuschränken.31 2.  Machtungleichgewicht Ein als gerecht empfundenes Verfahrensergebnis kann besser erreicht werden, wenn alle Parteien während des Verfahrens vergleichbare Chancen haben.32 Die Chancen sind gleich verteilt, wenn die Machtverhältnisse zwischen den Parteien ausgewogen sind.33 Machtungleichgewichte bestehen aber in eigentlich jeder Beziehung und damit auch in jedem Konflikt.34 Ihre Ursachen können in einem Bildungs-, Informations- oder Erfahrungsvorsprung, einer überlegenen wirtschaftlichen Position oder auch in der Möglichkeit, einen Streit ohne eigene Nachteile hinauszögern zu können, begründet sein.35 Auch die Persönlichkeitsstruktur bestimmt, wie Parteien sich in einer Konfliktsituation verhalten und wie sie diese empfinden.36 Am wohl entscheidensten für die Verhandlungsmacht einer Partei 29  Dafür wohl BAG, Urt. v. 18. 10. 2000, 10 AZR 503/99, BAGE 96, 72, 75 f.; dagegen BAG, Urt. v. 30. 08. 2000, 4 AZR 563/99, BAGE 95, 277, Ls.; BAG, Urt. v. 27. 05. 2004, 6 AZR 129/03, BAGE 111, 8, 13 ff.; eingehend Ulber, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, Einl. Rn. 207 ff.; Schmidt, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, Einl. GG Rn. 20 ff. 30  BAG, Urt. v. 11. 12. 2003, 6 AZR 64/03, BAGE 109, 110, 113; Greiner, in: Ascheid/ Preis/Schmidt (Hrsg.), Kündigungsrecht, 2017, § 4 TzBfG Rn. 22; Müller-Glöge, in: ­Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2016, § 4 TzBfG Rn. 43; Preis, in: Müller-Glöge/ Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 4 TzBfG Rn. 64. 31  Koch, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 230 Rn. 7a. 32  Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 15; Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 267. 33  Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 267 ff.; Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 98 ff. 34  Gessner, Recht und Konflikt, 1976, S. 192; Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 82. 35  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 295 f.; Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 41; Schreiber, BJ 2015, 50, 51 (Sozialrecht); Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 50 ff., 95 ff. 36  Kaiser/Gabler, SchlHA 2015, 4, 5 ff.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

ist aber, über welche Nichteinigungsalternativen sie verfügt, auf die sie bei Abbruch der Verhandlungen in jedem Fall zurückgreifen kann.37 Herrschen zwischen den Parteien ausgewogene Machtverhältnisse, ist eine güterichterliche Mediation aussichtsreich.38 Ist eine Partei der anderen strukturell unterlegen und wirkt sich ihre Unterlegenheit auf die Verhandlungen aus, steigt die Gefahr einer Übervorteilung und ein Güterichterverfahren ist nicht ratsam.39 Ein Sonderfall des Machtungleichgewichts liegt vor, wenn einer Partei die Fähigkeit zu konstruktiven Gesprächen und zu Eigenverantwortlichkeit fehlt. Ihre Fähigkeit zu konstruktiven Gesprächen kann ihr beispielsweise fehlen, wenn sie über zu geringe Sprach- oder Rechtskenntnisse verfügt.40 Ein Güterichterverfahren setzt allerdings voraus, dass eine Partei die eigenen Wünsche und Vorstellungen angemessen kommunizieren kann, rational und empathisch ist. Selbst wenn beide Parteien für sich über ein hohes Kommunikationsvermögen verfügen, kann die Verständigung zwischen ihnen gestört sein. Eine solche Störung kann Konflikte auslösen oder vertiefen. In manchen Fällen ist eine gestörte Kommunikation gar das einzige Einigungshindernis zwischen den Parteien. Hinzu kommt, dass gerade Kommunikationsdefizite von den Parteien oft nicht als solche erkannt und ernst genommen werden; wären sie sich des Defizits und seiner Folgen für ihren Konflikt bewusst, hätten sie schon eine vorgerichtliche Mediation angestrengt.41 In solchen Fällen kann ein Güterichterverfahren vorzugswürdig sein, weil es die Kommunikationsdefizite aufdeckt, die Kommunikation strukturiert und in konstruktive Bahnen lenkt.42 In Extremfällen scheidet ein Güterichterverfahren allerdings aus: Ist eine Partei zu tief verletzt, psychisch auffällig, suchtkrank, bettlägerig, fühlt sich bedroht oder leidet an anderen starken Rationalitätsdefiziten, sodass sie in absehbarer Zeit nicht zu einem gemeinsamen konstruktiven Gespräch fähig sein wird, besteht keine Verweisungsindikation.43 Selbst dann, wenn eine Abschlussvereinba37 

Eidenmüller, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 221. Breidenbach, Mediation, 1995, S. 248; Ponschab/Kleinhenz, DRiZ 2002, 430, 433. 39  Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 580; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 83; ders./Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9, 19 (Zivilrecht); Hager, Konflikt und Konsens, 2001, S. 89. 40  Brändle/Schreiber, WzS 2014, 35, 37 (Sozialrecht); Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 89. 41  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 89. 42  Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern II, 2009, S. 29; Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 209 f. (Zivilrecht); Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 17 (Sozialrecht). 43  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 15; Dietrich, ZKM 2015, 19, 21 (Familienmediation); Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 16 (Sozialrecht); Greger, Abschlussbericht 38 

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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rung erreicht wird, besteht das Risiko, dass diese im Nachhinein gebrochen oder gemäß §§ 119, 123 BGB angefochten wird. Im Betriebsverfassungs- und im Tarifrecht kompensiert die Arbeitnehmerseite das Machtungleichgewicht, indem sie Kollektive bildet. Die Arbeitnehmervertreter schließen sich zusammen und bündeln ihre Kräfte. Zusätzlich wird ihre Position durch das Gesetz gestärkt, welches ihnen an vielen Stellen Rechte einräumt. Im Betriebsverfassungs- und im Tarifrecht besteht somit in der Regel kein Machtungleichgewicht, das gegen ein Güterichterverfahren sprechen würde.44 Dagegen wird im Individualarbeitsrecht häufiger vorgebracht, dass zwischen den Arbeitsvertragsparteien in der Regel ein Machtgefälle bestehe, das gegen ein Güterichterverfahren spreche.45 Zumindest ersteres wird man nicht ernsthaft in Abrede stellen können. Das Machtgefälle der Arbeitsvertragsparteien speist sich dabei zumeist aus der wirtschaftlichen Überlegenheit des Arbeitgebers, der auf die Arbeitsleistung eines einzelnen Arbeitnehmers weniger angewiesen ist als dieser auf seinen Arbeitsplatz.46 Denn der Arbeitgeber verfügt in der Regel über mehr Ressourcen und diversifiziert diese stärker als der Arbeitnehmer, der all seine Ressourcen in eine einzige Arbeitsstelle investiert.47 Nicht zuletzt gehört die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers, die ihn dem Arbeitgeber gegenüber ein Stück weit entmachtet, zum Kern des Arbeitnehmerbegriffs.48 Bei wohlhabenden Arbeitnehmern oder besonders begehrten Spezialkräften kann ein solches Machtungleichgewicht aber auch zu verneinen sein.49 So kann Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 83; ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 67; ders./Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 71; Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 6 (Australien); Weitz, Gerichtsnahe Mediation, 2008, S. 190 (Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht); Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 204. 44  Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 186; Stevens-Bartol, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 141, 144. 45  Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 32 ff.; Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 242 f., 247 (Sozialrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht); Rüssel, NJW 2000, 2800, 2801; Stevens-Bartol, in: Breidenbach/ Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 141, 144 f.; Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 223. 46  Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 580; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 83 f.; Sarhan, JZ 2008, 280, 281; Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 222. 47  Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 222. 48 BAG, Beschl. v. 03.  06. 1975, 1 ABR 98/74, BAGE 27, 163, 167; BAG, Urt. v. 10. 04. 1991, 4 AZR 467/90, NZA 1991, 856, 857; BAG, Urt. v. 30. 11. 1994, 5 AZR 704/93, BAGE 78, 343, 348; BAG, Beschl. v. 16. 02. 2000, 5 AZB 71/99, BAGE 93, 310, 314 f. 49  Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 267.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

selbst ein börsennotiertes Unternehmen in einem Rechtsstreit unter Umständen weniger Verhandlungsmacht besitzen als ein Softwareentwickler, der damit droht, die Produkte des Unternehmens im Fall der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses mit einem Computervirus zu infizieren.50 Denkbar ist ferner, dass in einer bestimmten Branche auf dem Arbeitsmarkt ein derart hoher Mangel an Fachkräften besteht, dass die entsprechend qualifizierten Bewerber sich ihre Stelle frei aussuchen können und damit bessere Nichteinigungsalternativen haben als ein Arbeitgeber, der dringend auf eine Fachkraft angewiesen ist. Da der Arbeitnehmer nach dem gesetzgeberischen Leitbild aber die schwächere Partei darstellt, existieren zahlreiche gesetzliche und tarifliche Vorschriften, die darauf abzielen, das Machtungleichgewicht auszutarieren.51 Güterichterverfahren sind indes stärker vom Recht gelöst, sodass die prozessualen Schutzvorkehrungen ihre Wirkung nicht in gleichem Maße entfalten und das Machtgefälle ausgleichen können. Angesichts dessen liegt es in der Verantwortung des Arbeitnehmers, sich seiner Rechte bewusst zu werden und dementsprechend zu verhandeln. Dazu kann er einen Rechtsanwalt hinzuziehen.52 Zu einem gewissen Grad darf er auch auf die Unterstützung des Güterichters hoffen.53 Anders als im kollektiven Bereich kann im Individualarbeitsrecht aber ein so gravierendes Machtgefälle bestehen, dass eine güterichterliche Mediation nicht sachgerecht ist. 3.  Komplexität Arbeitsrechtliche Konflikte sind in der Regel mehrdimensional. Hinter den artikulierten Positionen verbirgt sich eine Vielzahl von Interessen. Je höher ihre Zahl, desto mehr regelungsbedürftige Teilfragen ergeben sich und desto komplexer wird die Konfliktbeilegung.54 Neben einer Interessenvielzahl kann ein Konflikt durch eine hohe Zahl an Beteiligten verkompliziert werden, da jeder Beteiligte seine eigenen Interessen mit in das Güterichterverfahren trägt.55 Mehr50 

Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 267. Hirtz, NJW 2012, 1686; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 85; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 185; Sarhan, JZ 2008, 280, 281. 52  Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 580; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 85 f.; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 185. 53  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 19 (Zivilrecht); Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 185; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 131. 54  Dietrich, ZKM 2015, 19, 21 (Familienmediation); Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 82. 55  Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 177. 51 

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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personenkonstellationen trifft man insbesondere in betriebsverfassungsrechtlichen und tariflichen Konflikten an. Eine Rechtsnorm muss vom Einzelfall abstrahieren, weil sie eine Vielzahl von Konfliktkonstellationen abdecken soll. Durch ihre Abstraktheit beraubt eine Rechtsnorm einen Konflikt eines Stücks seiner Individualität, sie macht ihn eindimensional. In einem Güterichterverfahren können die Parteien dagegen facettenreichere Lösungen erarbeiten.56 Ihr Gestaltungsspielraum setzt aber das Vorhandensein eines Freiraums zum Gestalten – das Wertschöpfungspotenzial – voraus. Ist Wertschöpfungspotenzial vorhanden, ermöglicht eine Mediation mehrdimensionale Paketlösungen und kann dadurch der Komplexität eines Konflikts Rechnung tragen.57 In der Regel deutet eine hohe Komplexität deshalb auf eine Mediationseignung hin.58 An seine Grenzen stößt ein Güterichter aber dann, wenn die einzelnen Interessen zu weit auseinanderliegen. Weisen Konflikte kein Wertschöpfungspotenzial auf, führt eine Mediation nicht weiter; sie kann nur bestehendes Potenzial aufzeigen und nutzbar machen, es aber nicht selbst erschaffen.59 Geht es den Parteien in einer Kündigungsschutzklage beispielsweise einzig um die Höhe der Abfindung, liegt ein Verteilungskonflikt mit wenig Wertschöpfungspotenzial vor.60 Gleiches gilt in sog. Alles-oder-nichts-Fragen, wie etwa der Klärung einer streitigen Rechtsfrage. Hier ist ein Güterichterverfahren nicht zielführend.61 Eng mit der Komplexität verwandt ist die Frage, ob und inwieweit ein Konflikt in rechtliche Kategorien überführt, in der mediationswissenschaftlichen 56  Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 84; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, 2008, S. 196 (Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht). 57  VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27. 02. 2014, 1 A 257/10, juris Rn. 1; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht); Apell, Verwaltungsgerichtsnahe Mediation, NRV-Info 2011, 28, 32; Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern II, 2009, S. 29; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 16 (Sozialrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 18 (Zivilrecht); Gottwald, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 27; Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 287 f.; ­Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 57; Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1060 (Verwaltungsrecht); Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 202. 58  Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 48; krit. Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 8. 59  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 48; Brändle/Schreiber, WzS 2014, 35, 37 (Sozialrecht); Duve, in: Henssler/ Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 84 ff.; Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 196 (Zivilrecht); Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 253 f. (Sozialrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht); Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 287. 60  Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 203. 61  Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 573; zum Modellprojekt am LG Rostock Hückstädt, NJ 2005, 289, 291; ferner Genn, Court-Based ADR, 2002, S. 109 (England).

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Terminologie inwieweit er verrechtlicht ist. Verrechtlicht ist er beispielsweise, wenn er sich aus einer rechtlichen Sonderbeziehung wie einem Arbeitsvertrag oder einem betrieblichen Schadensfall ergibt und beide Parteien allein die Befriedigung oder Abwehr des umstrittenen Anspruchs erreichen wollen.62 Durch die Klageerhebung und durch den Austausch vorbereitender Schriftsätze hat ein Konflikt zumeist eine gewisse Verrechtlichung erfahren, ehe er überhaupt vor den Güterichter gelangt.63 Lässt sich ein Konflikt in einer schlichten Rechtsfrage zusammenfassen, bietet er einem Güterichter wenige Anknüpfungspunkte, um die Vorzüge einer Mediation zu entfalten.64 In Einzelfällen kann eine güterichterliche Mediation auch dann sachgerecht sein, wenn im Zentrum des Konflikts zwar eine Rechtsfrage steht, die streitentscheidenden Rechtsnormen aber Ermessen gewähren oder unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Denn in solchen Fällen muss sich die Lösungsfindung trotz ihrer teilweisen Verrechtlichung nicht in einem engen rechtlichen Korsett abspielen.65 Ebenso kann ein Güterichterverfahren auch dann noch zweckmäßig sein, wenn sich die Verhandlungen auf Gegenstände außerhalb des bereits verrechtlichten Teils eines Konflikts ausweiten lassen. 4.  Unwägbarkeiten Nach Maßgabe des Beibringungsgrundsatzes müssen die Parteien eines Urteilsverfahrens zum Beleg ihrer Behauptungen Beweismittel benennen. Beweisschwierigkeiten können ein streitiges Verfahren unvorhersehbar machen. Sie können Anlass für kostenintensive Sachverständigengutachten geben und zu einer Klageabweisung führen, ohne dass der zugrunde liegende Konflikt bereinigt 62  Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 17. 63  Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 75. 64  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 103; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 83; Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 33; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 129 f. 65  Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern I, 2009, S. 52; dies., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern II, 2009, S. 33; Brändle/Schreiber, WzS 2014, 35, 37 f. (Sozialrecht); Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 5 (Verwaltungsrecht); Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 16 (Sozialrecht); Greger, AnwBl 2008, 570, 573 (Zivilrecht); ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 12; Hess, in: 67. DJT 2008, F65; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 77 (Sozialrecht); Seibert, NVwZ 2008, 365, 367 (Verwaltungsrecht); Weitz, Gerichtsnahe Mediation, 2008, S. 199 (Verwaltungs-, Sozialund Steuerrecht).

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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worden wäre. In einer güterichterlichen Mediation sind Beweisschwierigkeiten in zweierlei Hinsicht weniger problematisch als im streitigen Prozess. Zunächst sind die Anforderungen an die Beweisführung in einer Mediation nicht mit denen in einer gerichtlichen Beweisaufnahme zu vergleichen, sie sind erheblich gelockert.66 Überdies kann und soll die vertrauliche Atmosphäre in einer Mediation dazu führen, dass die Parteien von sich aus mehr offenbaren, als sie es in einem öffentlichen Gerichtsverfahren tun würden. Selbst wenn den Parteien die Beweisführung misslingt, können sie Beweisschwierigkeiten überbrücken. Aufgrund des Eigenverantwortlichkeitsprinzips bleibt die Verfahrensbeendigung in der Hand der Parteien, sodass Beweisschwierigkeiten sich weniger auf die Vorhersehbarkeit auswirken als in einem streitigen Prozess. Wie die meisten Rechtsgebiete wird auch das Arbeitsrecht heute zusehends internationaler. Unternehmen verlagern ihre Belegschaft an ausländische Standorte oder entsenden einzelne Arbeitnehmer ins Ausland. Weist ein Konflikt internationale Elemente auf, ergeben sich für die Parteien daraus Unwägbarkeiten, etwa bezüglich des anwendbaren Rechts oder der Prozessführung. Diesen Unwägbarkeiten könnte eine güterichterliche Mediation abhelfen.67 Zwar setzt die Verweisung vor einen Güterichter voraus, dass die Parteien sich bereits vor das zuständige Gericht begeben haben. Unsicherheiten bezüglich des materiell anwendbaren Rechts können durch die Rechtsferne des Güterichterverfahrens aber umschifft werden. 5.  Streit- oder Gegenstandswert? In Anlehnung an andere Weggabelungen im Verfahrensrecht lässt sich ferner überlegen, für die Beurteilung der Mediationstauglichkeit auf den Streit- oder auf den Gegenstandswert abzustellen.68 Der Streitwert eines Konflikts bestimmt die Höhe der Gerichtskosten;69 der Gegenstandswert entscheidet über die Vergütung des hinzugezogenen Rechtsanwalts.70 Je höher die Werte angesiedelt sind, desto höher sind die Kosten für die Parteien. 66 

Kraft, Mediation statt Gericht?, 2001, S. 23 (Transportrecht). Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 91; Eidenmüller, RIW 2002, 14, 15; Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 289 f. 68  Dafür etwa Eidenmüller, RIW 2002, 14, 16; Hager, Konflikt und Konsens, 2001, S. 56; Prütting, JZ 1985, 261, 267; dagegen Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 248 f. (Sozialrecht); Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 82; Gruber, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 15a EGZPO Rn. 22 (Zivilrecht); Jenkel, Streitschlichtungsversuch, 2002, S. 153 ff. (Zivilrecht). 69  § 3 Abs. 1 GKG. 70  § 2 Abs. 1 RVG. 67 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Dem Arbeitsverfahrensrecht sind monetäre Grenzen nicht fremd. Man findet sie beispielsweise bei der sachlichen Zuständigkeit des Eingangsgerichts (§§ 23 Nr. 1, 71 GVG), bei den Berufungsvoraussetzungen (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), bei dem arbeitsrechtlichen Mahnverfahren (§ 46a ArbGG i. V. m. §§ 688 ff. ZPO) und bei dem Verfahren nach billigem Ermessen (§ 495a ZPO). In einem Verfahren nach billigem Ermessen ist es beispielsweise erlaubt, Verfahren mit einem Streitwert von bis zu 600 Euro zu straffen und zu beschleunigen; das Gericht darf in diesem Fall u. a. von einer mündlichen Verhandlung absehen und frei Beweis erheben.71 In England existieren eigenständige sog. Small claims courts.72 Vor diesem Hintergrund scheint es zumindest nicht fernliegend, den Streit- oder den Gegenstandswert als Kriterium der Verweisung vor einen Güterichter in Betracht zu ziehen. Konkret könnte man erwägen, niedrige Werte als Indiz für die Verweisungstauglichkeit zu verstehen. Systematisch ließe sich auf § 15a Abs. 1 Nr. 1 EGZPO abstellen, der in vermögensrechtlichen Streitigkeiten vor dem Amtsgericht über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von 750 Euro nicht übersteigt, ein Streitschlichtungsverfahren anordnet. Der Gesetzgeber befürchtete bei § 15a EGZPO, dass die Gerichts- und Anwaltsgebühren andernfalls schnell in einem unangemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen könnten.73 Diese vorwiegend pragmatische Erwägung könnte auch auf die güterichterliche Mediation zutreffen. Gegen eine Berücksichtigung spricht aber, dass sich der monetäre Streitwert und die subjektiv-individuelle Bedeutung eines Streitgegenstands nicht decken müssen, wie Nachbarschaftsstreitigkeiten stets aufs Neue beweisen.74 Nicht zuletzt aus diesem Grund steht auch § 15a EGZPO in der Kritik.75 Manch einer bemerkte gar, die Assoziation der alternativen Konfliktbeilegung mit einem Ar-

71  Deppenkemper, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 495a ZPO Rn. 25 ff. (Zivilrecht); Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 428 ff. (Zivilrecht). 72  Für England gov.uk/make-court-claim-for-money/overview; dazu Hau, RabelsZ 81 (2017), 570; Prütting, JZ 1985, 261, 267. 73  RegE Gesetz zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung BT-Drs. 14/980, S. 5: „Allein durch Gerichts- und Anwaltsgebühren zuzüglich etwaiger Auslagen für Zeugen und/oder Sachverständige können bei solchen Streitwerten die Kosten leicht die Höhe der im Streit stehenden Forderung übersteigen“. 74  Eidenmüller, RIW 2002, 14, 16; Stickelbrock, JZ 2002, 633, 638 (Zivilrecht). 75  Z. B. Feix, welche die Vorschrift abschließend als „nicht geglückt“ und „suboptimal“ beschreibt, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 156 f. (Zivilrecht); ähnlich Gruber, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 15a EGZPO Rn. 22 (Zivilrecht); Jenkel, Streitschlichtungsversuch, 2002, S. 153 ff. (Zivilrecht); Prütting, in: 62. DJT 1998, O100 f. (Zivilrecht); Stadler, NJW 1998, 2479, 2483.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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menrecht lasse eine generelle Abwertung des Gütegedankens erwarten.76 Ferner können mehrere gleichgelagerte Fälle, die jeweils für sich unterhalb der Bagatellgrenze liegen, aufeinandertreffen und gemeinsam doch eine erhebliche Größe erreichen. Im Berliner Modellprojekt konnte jedenfalls kein Zusammenhang zwischen Verfahrenserfolg und Streitwert nachgewiesen werden.77 Im Gegenteil sehen manche gerade bei Fällen mit einem hohen Gegenstandswert einen Trend hin zur einvernehmlichen Konfliktbeilegung.78 Gerade im Individualarbeitsrecht haben der Streit- und der Gegenstandswert für die Parteien bisweilen sehr unterschiedliche Bedeutung: Eine dreistellige monatliche Summe kann für einen Arbeitnehmer einen erheblichen Unterschied bedeuten, während sie sich auf die Finanzkalkulation des Arbeitgebers marginal auswirkt.79 Schon deswegen lassen der Streit- und der Gegenstandswert keine pauschalen Rückschlüsse auf die Eignung für ein Güterichterverfahren zu. II.  Subjektive Kriterien Nach den objektiven werden nun die subjektiven, parteibezogenen Kriterien beleuchtet. 1.  Verhandlungsbereitschaft und Eigenverantwortlichkeit Eines der in der Mediationswissenschaft am häufigsten genannten subjektiven Kriterien betrifft die Frage, ob die Parteien willens sind, eigenverantwortlich konstruktive Gespräche miteinander zu führen, zu verhandeln und sich grundsätzlich auch zu einigen.80 Gleichwohl erfordert ein Güterichterverfahren ein Mindestmaß an Verhandlungs- und Gesprächsbereitschaft.81 Diese Bereitschaft korreliert in der Regel mit der Eskalationsstufe des Konflikts: Je eskalierter der Konflikt, desto mehr verhärten sich die Positionen und desto geringer wird die Verhandlungsbereitschaft.82 76  Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 156 (Zivilrecht); Jenkel, Streitschlichtungsversuch, 2002, S. 153 ff. (Zivilrecht); Prütting, in: 62. DJT 1998, O28 (Zivilrecht). 77  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Berlin, 2012, S. 18 ff., 51. 78  Wasilewski, Streitverhütung durch Rechtsanwälte, 1990, S. 60 ff. (Zivilrecht). 79  Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 248 (Sozialrecht). 80 Vertiefend Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 17 (Sozialrecht); Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 9 ff.; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 197. 81  Saam, JR 2015, 163, 168 (Zivilrecht); Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 197. 82  Hückstädt, NJ 2005, 289, 291; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 197 f.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Sobald ein Konflikt so weit eskaliert ist, dass eine sachliche Verhandlung nicht mehr möglich ist und es aller Voraussicht nach auch nicht wieder werden wird, ist der Konflikt nicht mediationstauglich. Spätestens in ihrer dritten Phase setzt eine güterichterliche Mediation nämlich voraus, dass die Parteien ihre Interessen offenlegen. Dafür müssen sie einander, dem Güterichter und dem Verfahren aber grundsätzlich vertrauen.83 Im Individualarbeitsrecht kann die Verhandlungsbereitschaft fehlen, wenn die Parteien ein Arbeitsverhältnis zeitnah auflösen und der Gegenseite en passant einen Schaden zufügen wollen. Im Betriebsverfassungsrecht liegt die Verhandlungsbereitschaft öfter vor, weil die Betriebspartner dauerhaft aufeinander angewiesen sind.84 Ein ebenso bedeutsamer Aspekt ist der Wille der Parteien zu Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit. Einer der Vorzüge der güterichterlichen Mediation liegt darin, dass den Parteien die Kontrolle über das Verfahren und sein Ergebnis verbleibt, wohingegen sie diese bei einem Gerichtsverfahren weitgehend aus der Hand geben.85 Dieser Vorzug wird aber nur dort relevant, wo die Parteien die Kontrolle ausüben wollen. Ein Konflikt ist danach mediationstauglich, wenn die Parteien statt einer aufoktroyierten Drittentscheidung eine selbstbestimmte, gemeinsame Lösungsfindung anstreben. Bevorzugt eine Partei die aufoktroyierte Entscheidung hingegen, etwa weil sie eine solche Entscheidung besser nach außen darstellen kann, ist eine güterichterliche Mediation nicht ratsam. Letzteres kann besonders auf der Arbeitnehmerseite im Betriebsverfassungs- und im Tarifrecht vorkommen. 2.  Außerrechtliche Interessen Des Weiteren ist die Mediationstauglichkeit eines Konflikts höher, wenn die Interessen der Parteien schwerpunktmäßig im außerrechtlichen Bereich angesiedelt sind.86 Solche Interessen können der wirtschaftlichen, sozialen oder persön83  Zum Ganzen Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 573; Duve, in: Henssler/ Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 59 ff., 75 ff.; Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 245 (Sozialrecht); Weitz, Gerichtsnahe Mediation, 2008, S. 189 (Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht); zum Modellprojekt am LG Rostock Hückstädt, NJ 2005, 289, 291. 84  §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 Satz 1 BetrVG; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 182 ff. 85  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 34 f.; Brändle/Schreiber, WzS 2014, 35, 37 f. (Sozialrecht); Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 94 f.; Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 244 ff. (Sozialrecht); Gottwald, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 27. 86 VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.  02. 2014, 1 A 257/10, juris Rn. 1; Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern I, 2009, S. 52; Brändle/ Schreiber, WzS 2014, 35, 38 (Sozialrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zi-

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lichen Ebene entstammen.87 Zwar werden sich bei den meisten Konflikten solche Aspekte finden lassen. Für die Mediationstauglichkeit entscheidend ist aber weniger das objektive Vorhandensein eines außerrechtlichen Aspekts als vielmehr das subjektive Interesse der Parteien an ihm.88 Ein im Arbeitsrecht typischerweise vorhandenes außerrechtliches Interesse liegt vor, wenn eine Seite sich um die eigene Reputation sorgt.89 Oft treibt die Parteien die Sorge um das Betriebsklima an.90 Außerrechtlich ist es auch, wenn persönliche Verletzungen, Hierarchiedenken oder Existenzsorgen im Mittelpunkt des Konflikts stehen.91 Außerrechtlich sind ferner die Wertanschauungen der Parteien.92 Wertanschauungen zeichnen sich dadurch aus, dass auf ihnen fußende Positionen für die Parteien nicht verhandelbar sind. Im Individualarbeitsrecht treten sie bei Gewissensfragen in Erscheinung, wenn ein Arbeitnehmer die Ausführung einer ihm übertragenen Aufgabe ihretwegen verweigert. Im Betriebsverfassungs- und Tarifrecht treffen ebenfalls verschiedene Grundwertungen und Prinzipien aufeinander, doch führen sie nicht zwingend zur Unüberbrückbarkeit des Konflikts. Als Maßstab gilt: Ein prinzipiengeprägter Konflikt ist umso geeigneter für ein Güterichterverfahren, je konkreter er ist.93 Ein Sonderfall des außerrechtlichen Interesses findet sich auf der Ebene der Beziehung zwischen den Parteien.94 So spricht es für eine Mediation, wenn die Parteien in einer dauerhaften Beziehung zueinander stehen und sie diese auch für die Zukunft aufrechterhalten wollen.95 Durch ein Unterliegen vor Gericht kann vilrecht); Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 285 f.; Koch, NJ 2005, 97, 102 (Zivilrecht). 87  VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27. 02. 2014, 1 A 257/10, juris Rn. 1; ­Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 255 (Sozialrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 71. 88  Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern I, 2009, S. 52; Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 19; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 110 (Sozialrecht). 89  Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 72; Weitz, Gerichtsnahe Mediation, 2008, S. 196 (Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht). 90  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 58. 91  Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 569. 92  Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 259 f. (Sozialrecht). 93  Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 65 (Australien). 94  Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 5, 18; Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 4; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 55. 95  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 48; Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern II,

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

eine Seite nachhaltig gekränkt werden und sich deswegen im Nachhinein von der anderen Seite distanzieren. Schon die konfrontative Situation vor Gericht kann eine Beziehung belasten. In einer güterichterlichen Mediation gibt es dagegen keine klassischen Verlierer und das Verfahren ist von kooperativem Verhandeln geprägt und schont die Parteibeziehung.96 Eine schutzwürdige Dauerbeziehung, die für eine Mediation spricht, kann sozialer, rechtlicher oder wirtschaftlicher Natur sein. Nachfolgend wird untersucht, ob und inwieweit im Individualarbeitsrecht, im Betriebsverfassungsrecht und im Tarifrecht Dauerbeziehungen von Bedeutung sind. Im Individualarbeitsrecht ist bei der Suche nach einer Dauerbeziehung zwischen den verschiedenen Konfliktsituationen zu differenzieren. Bei Klagen anlässlich der Begründung eines Arbeitsverhältnisses besteht zwischen den Parteien in der Regel (noch) keine Dauerbeziehung.97 Bei Konflikten um die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses oder bei Streitigkeiten im Nachgang zur Beendigung hegen die Parteien zumeist nur ein untergeordnetes Interesse an der Beziehungsebene.98 Anders liegt es bei Konflikten im bestehenden Arbeitsverhältnis, wie zum Beispiel im Zusammenhang mit Änderungskündigungen oder Mobbing.99 Hier besteht zwischen den Arbeitsvertragsparteien ein (unbeendetes) Dauerschuldverhältnis.100 Dieses Dauerschuldverhältnis begründet Leistungspflichten und genießt durch das KSchG Bestandsschutz.101 2009, S. 29; Brändle/Schreiber, WzS 2014, 35, 38 (Sozialrecht); Burmann/Heß, NJW-Spezial 2013, 329 (Haftungs- und Verkehrsrecht); Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 16 (Sozialrecht); Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 82, 115; Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 286; von Hoyningen-Huene, JuS 1997, 352; Kraft, Mediation statt Gericht?, 2001, S. 23 (Transportrecht); Risse, NJW 2000, 1614, 1618; Rüssel, NJW 2000, 2800, 2802; Saam, JR 2015, 163, 168 (Zivilrecht); Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 121; zum Modellprojekt am LG Rostock Hückstädt, NJ 2005, 289, 291. 96  Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 169. 97  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 104. 98  Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 17. 99  Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 56; Wrede, ZfA 2002, 455, 459. 100  Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 170. 101  Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 171.

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Im bestehenden Dauerschuldverhältnis sind beide Seiten daran interessiert, ihre Beziehung zu schützen.102 Aus Sicht des Arbeitgebers besteht das Risiko, dass der Arbeitnehmer seine Motivation vor Gericht verliert und fortan nur noch „Dienst nach Vorschrift“ macht, sich krank meldet, Arbeitszeit vertrödelt oder sich anderweitig betriebsschädigend verhält. Aus Sicht des Arbeitnehmers besteht die Gefahr, vom Arbeitgeber künftig nicht mehr gefördert, sondern latent schikaniert zu werden. Die Beziehung zwischen den Betriebspartnern ist im Unterschied zu der Beziehung der Arbeitsvertragsparteien stets auf Dauer angelegt.103 Ihr Verhältnis wird deshalb auch als gesetzliches Dauerschuldverhältnis eigener Art oder als Betriebsverhältnis beschrieben.104 Lehmann spricht gar von einem do ut des.105 Seine materielle Prägung erfährt das Betriebsverhältnis durch den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit.106 Im Tarifrecht ließe sich am Vorliegen einer Dauerbeziehung zweifeln, weil die Tarifpartner regelmäßig neue, eigenständige Tarifverträge schließen. Allerdings schließen die Tarifpartner stets aufs Neue mit demselben Vertragspartner einen Tarifvertrag. Schon in der Phase der Vertragsanbahnung bestehen gegenseitige Verpflichtungen, die gemäß § 4 Abs. 5 TVG auch über den Ablauf des jeweiligen Tarifvertrags hinausgehen. In ihrer Gesamtheit führen diese Verpflichtungen dazu, dass die Beziehung der Tarifpartner als Dauerbeziehung einzustufen ist.107 3.  Emotionalität Parteien verhalten sich in einem Konflikt mal rationaler und mal emotionaler. Vollständig beiseite schieben werden sie ihre Emotionen aber zu keiner Zeit; viel102  Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 56; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 89; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 169; Leymann, Mobbing, 2002, S. 124 ff.; Wrede, ZfA 2002, 455, 459. 103  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 104; Grobosch/Heymann, NJW 2012, 3626, 3627; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 55. 104  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 102; von Hoyningen-Huene, in: Richardi et al. (Hrsg.), MüArbR, 2009, § 213 Rn. 1 ff.; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 182 ff. 105  Lehmann, BB 2013, 1014, 1015. 106  §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. 107  I. E. Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 104; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 180; Treber, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 200 Rn. 5.

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mehr befinden sie sich stets in einem irgendwie gearteten emotionalen Zustand.108 Stehen die Emotionen im Vordergrund, kann es sich schwierig gestalten, sachliche Gespräche zu führen.109 Sachfragen werden dann durch Empfindungen wie verletzte Eitelkeiten, Rachegefühle, den Wunsch nach Respekt und Anerkennung oder die Furcht vor Niederlagen verdrängt.110 Ehe ein emotional geprägter Konflikt sachlich beigelegt werden kann, wollen die Parteien oft „Dampf ablassen“ und ihren Empfindungen Ausdruck verleihen; hier kann eine güterichterliche Mediation ansetzen.111 In ihr werden die Emotionen als verhandlungsrelevanter Faktor aufgedeckt, ernst genommen und in die Lösungsfindung einbezogen.112 Dadurch können Emotionen zur Informationsgewinnung genutzt werden, beispielsweise in Bezug auf die Gerechtigkeitsvorstellungen einer Partei.113 Bei der Emotionalität handelt es sich jedoch um ein zweischneidiges Kriterium: In zu hoher Dosis können Emotionen nämlich wieder gegen eine güterichterliche Mediation sprechen.114 Denn so konstruktiv sie in der dritten Phase sein können, müssen die Parteien doch spätestens ab der vierten Phase rational miteinander verhandeln.115 4.  Überoptimismus Oft schätzen Parteien die eigenen Erfolgsaussichten zu optimistisch ein – ein Phänomen, dass in der Psychologie als Überoptimismus bezeichnet wird.116 Beides ist gerade unter juristischen Laien weit verbreitet, da sie ihre Sicht der Dinge für die einzig richtige halten und sich keine andere (rechtliche) Beurteilung durch den Spruchrichter vorstellen können. Ihre Fehleinschätzungen werden oft von 108 

Duve, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 125. Duve, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 125. 110  Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 288. 111  Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 48; von Bargen, DVBl 2004, 468, 472 (Verwaltungsrecht); Duve, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 125; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 82, 115; Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 288 f.; Sander/Goldberg, 10 Negotiation Journal 49, 56 (1994) (USA). 112  Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 78; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 19 f. (Zivilrecht); Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 288 f.; Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1272. 113  Duve, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 129 f. 114  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 82. 115  Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1095 (Zivilrecht). 116  Fischhoff/Slovic/Lichtenstein, 3 Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 552 (1977); Griffin/Tversky, 24 Cognitive Psychology 411 (1992). 109 

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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ehrgeizigen Rechtsanwälten intensiviert. Schätzt eine Partei ihre Erfolgsaussichten bei Gericht und damit die eigene Nichteinigungsalternative zu optimistisch ein, wird sie wenig konstruktiv verhandeln und erst recht keine Zugeständnisse machen.117 Besteht keine Möglichkeit, die überoptimistische Erwartungshaltung zu relativieren, sollte von einer güterichterlichen Mediation Abstand genommen werden.118 5.  Vertraulichkeit Wünschen die Parteien sich für ihre Verhandlungen Vertraulichkeit, spricht ihr Wunsch für eine güterichterliche Mediation.119 Ein solcher Wunsch kann beispielsweise vorliegen, wenn persönliche, geschäftliche oder betriebliche Interna nicht öffentlich gemacht werden sollen oder eine Reputationseinbuße befürchtet wird.120 Wünschen die Parteien Rechtsklarheit, ist eine güterichterliche Mediation kaum zweckmäßig.121 Gleiches gilt, wenn sie ein Präjudiz für gleichgelagerte Konstellationen begehren.122 Zwar kommt den Urteilen deutscher Gerichte keine Präzedenzwirkung zu. Es entspricht aber gängiger Praxis, dass Richter sich an früheren und insbesondere an höherinstanzlichen Entscheidungen orientieren. Insofern geht von Urteilen zumindest faktisch präjudizielle Wirkung aus.123 117  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 35; Althammer, JZ 2006, 69, 71 (Zivilrecht); Genn, Court-Based ADR, 2002, S. 110 (England); Gottwald, BJ 1999, 117, 124; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 18 (Zivilrecht); Sander/Goldberg, 10 Negotiation Journal 49, 56, 59 (1994) (USA); Wrede, ZfA 2002, 455, 458; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 203 f. 118  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 18 (Zivilrecht); Marx, ZKM 2010, S. 132, 136; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 75. 119 Eingehend hierzu unten im Abschnitt: Vertraulichkeit im Güterichterverfahren, S. 225. 120  Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 96 ff.; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht); Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 286; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 187; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 73; Wrede, ZfA 2002, 455, 459. 121  Löer, ZKM 2015, 111, 112. 122  Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 573; Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 86; Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 291; Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 33. 123  Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 46; Kahlert, Vertraulichkeit im Schiedsverfahren, 2015, S. 126; zu der Richterrechtsfortbildung und dem Präjudizienwesen Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970, S. 184 ff.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Gerade das Arbeitsrecht zeichnet sich durch eine umfassende Kasuistik aus.124 Manch eine Partei prozessiert, um eine Änderung der Rechtslage herbeizuführen.125 Eine güterichterliche Mediation vermag aber weder zur Rechtsbewährung noch zur Rechtsfortbildung oder gar zur Rechtsvereinheitlichung etwas beizutragen. III.  Fazit Als objektive Kriterien haben sich die Dispositionsbefugnis der Parteien, ihre Kommunikationsfähigkeit, das Machtungleichgewicht zwischen ihnen, die Komplexität und Verrechtlichung des Konflikts, seine Internationalität und das Vorhandensein rechtlicher Beweisschwierigkeiten erwiesen. Ihre Aussagekraft divergiert jedoch im Einzelfall. Streit- und Gegenstandswert können demgegenüber bei der Bewertung der Verweisungstauglichkeit ausgeklammert bleiben. Subjektive Kriterien sind die Verhandlungsbereitschaft der Parteien, ihr Wille zu Eigenverantwortlichkeit, ihr Interesse an außerrechtlichen Aspekten des Konflikts, ihre Emotionalität, ihr Überoptimismus sowie ihr Wunsch nach Vertraulichkeit und Präjudizialität.

B.  Konkrete Eignung arbeitsrechtlicher Konflikte für eine Verweisung Im Arbeitsrecht existieren unzählige Konfliktkonstellationen, in denen die Parteien die Arbeitsgerichte anrufen können. Sie alle können damit grundsätzlich auch vor einen Güterichter verwiesen werden. Manche von ihnen eignen sich für eine Verweisung mehr, manche weniger. Da jeder Konflikt durch unterschiedliche abstrakte Kriterien geprägt wird, ist eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Zur Optimierung der Zuweisungspraxis können Fallgruppen dienen. Im Folgenden werden ausgewählte arbeitsrechtliche Konfliktkonstellationen auf ihre Mediationstauglichkeit hin abgetastet. Dabei werden zunächst die im jeweiligen Konflikt typischerweise vorhandenen Interessen zusammengetragen. Auf Basis dieser Interessenlage wird sodann gefragt, inwieweit sich bei einem Konflikt die Vorteile und Chancen der güterichterlichen Mediation realisieren und die Nachteile und Risiken vermeiden lassen.

124  125 

Stürner, JR 1979, 133, 134 (Zivilrecht). Hager, Konflikt und Konsens, 2001, S. 57.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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I.  Einsatzmöglichkeiten für den Güterichter im Individualarbeitsrecht Im Individualarbeitsrecht ist zeitlich zwischen den Phasen der Anbahnung und Begründung eines Arbeitsverhältnisses, dem Bestehen des Arbeitsverhältnisses, seiner streitigen Beendigung und den Folgen seiner Beendigung zu differenzieren. 1.  Anbahnung und Begründung eines Arbeitsverhältnisses Bei der Anbahnung und Begründung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 241 Abs. 2 BGB besteht eine Reihe von Konfliktherden. Praktisch relevant ist besonders das sog. Recht zur Lüge des Arbeitnehmers im Bewerbungsgespräch.126 Schadensersatzklagen auf Grundlage des AGG treten in der Praxis ebenfalls vermehrt auf. Daneben bieten die Auskunfts- und Informationsansprüche des Arbeitgebers im Vorstellungsgespräch Anlass für Streitigkeiten. Beispielsweise hat der Arbeitnehmer die Pflicht, zulässige Fragen des Arbeitgebers wahrheitsgemäß zu beantworten. Er muss Eigenschaften offenbaren, die es ihm unter Umständen unmöglich machen werden, die angestrebte Tätigkeit zu erbringen.127 Kehrseitig treffen auch den Arbeitgeber Auskunftspflichten. Beispielsweise muss er den Arbeitnehmer über alle Umstände aufklären, die zu einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen können,128 sowie über die Höhe des erzielbaren Einkommens, soweit dieses provisionsabhängig ist. Zwar besteht bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses in der Regel noch keine schützenswerte Dauerbeziehung zwischen den Parteien. Gleichwohl wird Konflikten um die Begründung von Arbeitsverhältnissen allgemein eine hohe Mediationseignung zugeschrieben,129 was auf eine ebenso hohe Eignung für ein Güterichterverfahren hindeutet. Für den Arbeitgeber ist die Vertraulichkeit der Mediation oft attraktiv. Er fürchtet möglicherweise um den Betriebsfrieden oder um seinen guten Ruf. Aus Sicht des Arbeitnehmers kann eine Mediation andere, weitergehende Lösungen bieten als ein Gerichtsverfahren, welches sich in aller Regel in der Gewährung von Schadensersatz erschöpft.130 Etwa kann in einer güterichterlichen Mediation ausgehandelt werden, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einem befreundeten Unternehmen empfiehlt. Dieser Vorzug kommt indes selten zum Tragen: Den meisten klagenden Arbeitnehmern kommt es viel126  BAG, Urt. v. 21. 02. 1991, 2 AZR 449/90, NJW 1991, 2723, 2724; Armbrüster, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2015, § 123 BGB Rn. 41 ff. (Zivilrecht). 127  BAG, Urt. v. 01. 08. 1985, 2 AZR 101/83, NZA 1986, 635, 636, Ls. 1. 128  BAG, Urt. v. 02. 12. 1976, 3 AZR 401/75, DB 1977, 451. 129  Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 10; Prütting, in: Haft/ Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 45. 130  Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 10.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

mehr auf die Zahlung von Schadensersatz oder Schmerzensgeld nach § 15 Abs. 1, 2 AGG an. Gerade aus Sicht des Arbeitnehmers kann sich dafür in AGG-Streitigkeiten aber ein anderer Vorteil der Mediation als attraktiv erweisen, nämlich der Verzicht auf ein förmliches Beweisverfahren. Gegen ein Güterichterverfahren spricht jedoch, dass im Individualarbeitsrecht oft ein Machtungleichgewicht zu Lasten des Arbeitnehmers besteht. 2.  Bestehendes Arbeitsverhältnis Im bestehenden Arbeitsverhältnis findet man allenfalls eine breitgefächerte Anzahl potenzieller Konflikte. Neben der fachlichen Ebene bildet insbesondere auch die persönliche, zwischenmenschliche Ebene einen Konfliktschwerpunkt. Allen Konflikten im bestehenden Arbeitsverhältnis sind einige Aspekte gemein, die aus diesem Grund vorgezogen werden. Wie bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen sind auch diese Konflikte oft von Machtgefällen geprägt, die eine güterichterliche Mediation erschweren können. Für ein Güterichterverfahren spricht jedoch in der Regel, dass mit dem bestehenden Arbeitsverhältnis – anders als bei Anbahnungsstreitigkeiten – ein Dauerschuldverhältnis vorliegt. Überdies hegt der Arbeitgeber regelmäßig den Wunsch, das Betriebsklima aufrechtzuerhalten. Ist der betroffene Arbeitnehmer noch aktiver Teil des Betriebs, kann er den Konflikt in die Belegschaft hineintragen und unter seinen Kollegen für erhebliche Unruhe sorgen. Nicht zuletzt deshalb wird dem Arbeitgeber oft daran gelegen sein, den Konflikt vertraulich zu behandeln. Beim Arbeitnehmer kommt es hingegen ganz auf den Einzelfall an, ob er den Konflikt geheim halten oder ihn in die Betriebsöffentlichkeit tragen will. Für einen Wunsch nach Geheimhaltung können gesundheitliche oder andere persönliche Gründe sprechen und für einen Wunsch nach Betriebsöffentlichkeit die Erwägung, dadurch Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. Des Weiteren sind Streitigkeiten im bestehenden Arbeitsverhältnis häufig sog. Stellvertreterkriege für anderweitig begründete, tieferliegende Konflikte.131 Nicht der Anlass nährt hier den Konflikt, sondern die zugrunde liegende Rollenüberschreitung. Durch eine vermeintlich ungerechte Ausübung des Direktionsrechts kann ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer brüskieren. Dem Arbeitnehmer geht es letztlich weniger um den Konfliktanlass, als vielmehr „ums Prinzip“.132 Eine güterichterliche Mediation kann hier ihre Vorzüge dadurch entfalten, dass sie sich inhaltlich nicht auf den Konfliktanlass beschränkt, sondern die Hintergründe des Konflikts erforscht und aufarbeitet.133

131 

Grobosch/Heymann, NJW 2012, 3626, 3627. Grobosch/Heymann, NJW 2012, 3626, 3627. 133  Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 572 f. 132 

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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a)  Entgelt Im bestehenden Arbeitsverhältnis treten Konflikte um das Arbeitsentgelt auf. Sie entzünden sich oft an der Angemessenheit des Entgelts, der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder an Sonderzuwendungen. Schwieriger wird eine güterichterliche Mediation zwar, sobald die parteiliche Dispositionsbefugnis durch zwingende Normen eingeengt wird. Wegen des arbeitsrechtlichen Günstigkeitsprinzips sind Änderungen zugunsten des Arbeitnehmers jedoch in aller Regel möglich. Gegen eine Verweisung spricht es aber, wenn eine Entgeltstreitigkeit sich im Einzelfall in einem Verteilungskonflikt erschöpft. Denn hier besteht dann wenig Wertschöpfungspotenzial.134 Manchmal sind Entgeltkonflikte aber auch Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit des Arbeitnehmers mit seiner Einkommenssituation. Hinter ihnen verbirgt sich oft der Wunsch nach Anerkennung.135 Gerade langjährige Arbeitnehmer halten ihren Lohn angesichts der Inflation und der allgemeinen Einkommenssteigerung häufig für unangemessen niedrig.136 Die allgemeine Unzufriedenheit kann in einer güterichterlichen Mediation herausgearbeitet und gezielt adressiert werden. b)  Fehlverhalten und mangelhafte Leistung Andere Konflikte im bestehenden Arbeitsverhältnis knüpfen an ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers oder an seine mangelhafte Arbeitsleistung an. Beispiele für ein solches Fehlverhalten sind arbeitsvertragliche Nebenpflichtverletzungen wie unentschuldigte Verspätungen, nicht gemeldete Arbeitsunfähigkeiten oder Beleidigungen des Arbeitgebers.137 Dieses und anderes Fehlverhalten kann dazu führen, dass eine Abmahnung in die Personalakte des Arbeitnehmers eingetragen wird. Hiergegen kann der Arbeitnehmer dann klagen und verlangen, dass die Abmahnung wieder aus seiner Akte getilgt wird.138 Gerade bei Abmahnungsstreitigkeiten kann das Ziel des Arbeitgebers, das in einem zukünftig besseren Verhalten des Arbeitnehmers besteht, durch eine güterichterliche Mediation

134  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 82. 135  Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 68. 136  Löwisch, BB 2012, 3073. 137  Vossen, in: Ascheid/Preis/Schmidt (Hrsg.), Kündigungsrecht, 2017, § 1 KSchG Rn. 293 ff. 138  BAG, Urt. v. 19. 07. 2012, 2 AZR 782/11, BAGE 142, 331.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

besser erreicht werden als durch ein streitiges Urteil.139 Beispielsweise können Richtlinien vereinbart werden, um künftigem Fehlverhalten vorzubeugen.140 Im Thüringer Modellprojekt wurde eine Abmahnung gar zum Anlass genommen, einen seit einigen Jahren währenden innerbetrieblichen Teamkonflikt, der durch eine Restrukturierung ausgelöst worden war, zu beseitigen.141 Bei mangelhaft erbrachter Arbeitsleistung ist hingegen danach zu differenzieren, ob die Mangelhaftigkeit vom Arbeitnehmer gesteuert oder beeinflusst werden kann. Auf die Arbeitseinstellung des Arbeitnehmers mag man in einer güterichterlichen Mediation noch einwirken können. Bezüglich der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers vermag ein Güterichter aber regelmäßig nichts auszurichten. Allenfalls kann eine Veränderung des Aufgabengebiets des Arbeitnehmers diskutiert werden, um die Konsequenzen der fehlenden Leistungsfähigkeit abzumildern. Auch sind die Gründe der mangelhaften Leistung vielfach nicht offenkundig; schon um sie herauszufiltern, kann eine Verweisung sachgerecht sein. c)  Diskriminierung, Mobbing und sexuelle Belästigung Weiteren Anlass für Konflikte bieten Fälle von Diskriminierung, Mobbing und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Für den Begriff der Diskriminierung sei auf die Legaldefinition in § 3 AGG verwiesen. Der Begriff des Mobbing beschreibt das wiederholte systematische Schikanieren von Arbeitskollegen mit der Absicht, sie von ihrem Arbeitsplatz zu vertreiben.142 Bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz handelt es sich gemäß § 3 Abs. 4 AGG um eine Benachteiligung, bei der ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt wird, das die Würde der betreffenden Person verletzt, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird; zu diesem Verhalten zählen auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen pornographischer Darstellungen.143 139  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 138 f.; Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 21 Rn. 46. 140  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 80. 141  Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 14. 142  Dies ist nur eine von vielen in der Wissenschaft existierenden unterschiedlichen Definitionen, weiterführend Leymann, Mobbing, 2002, S. 21 ff.; Wickler, in: Wickler (Hrsg.), Mobbing-Rechtsschutz, 2004, S. 1. 143  In anderen Gesetzen finden sich im Wortlaut teils abweichende Definitionen, z. B. in §§ 16 Abs. 1 SächsFFG, 9a, 12 LGG, 2 Abs. 2 BeschSchG.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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Diskriminierungen, Mobbing und sexuelle Belästigung können alle drei jeweils eine Eigendynamik entwickeln. Nicht zuletzt infolge dieser Eigendynamik können sie zu schwerwiegenden psychischen und physischen Beeinträchtigungen des Betroffenen führen. Zugleich können sie das Betriebsklima dauerhaft schädigen.144 In Extremfällen stehen den Opfern oft rechtliche Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche zu. An der gerichtsöffentlichen Feststellung dieser Ansprüche können sie dann ein großes Interesse haben, etwa weil sie sich durch die öffentliche Verurteilung des Täters Genugtuung versprechen. In ihren Augen ist das Erlebte aber oft so eindeutig, dass sie ihre Prozesschancen zu optimistisch einschätzen. Ihr Überoptimismus führt dazu, dass sie sich weniger kooperativ verhalten. Dabei bereitet die Beweisbarkeit in Mobbingfällen regelmäßig Schwierigkeiten.145 Solche Beweisschwierigkeiten können durch ein Güterichterverfahren umgangen werden: Täter können ihre Taten ohne öffentlichen Gesichtsverlust zugeben, Opfer können erniedrigende oder persönliche Situationen geschützt rekapitulieren.146 Bei Diskriminierungen spielen Beweisprobleme wegen der Erleichterung durch § 22 AGG dagegen keine allzu gewichtige Rolle. Gegen eine güterichterliche Mediation kann der Wunsch nach Präjudizität sprechen. In Unternehmen, in denen die Arbeitsatmosphäre generell anfällig für Mobbing, Belästigung und Diskriminierung ist, kann es geboten sein, einen Präzedenzfall zu schaffen und dadurch ein Zeichen zu setzen.147 Beispielsweise verdanken die betroffenen Arbeitnehmer es den Gerichten, dass inzwischen entschieden ist, dass ein Arbeitgeber nicht nur dann zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn er selbst eine Persönlichkeitsverletzung verursacht, sondern auch dann, wenn er es unterlässt, Maßnahmen zu ergreifen oder seinen Betrieb so zu organisieren, dass eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte ausgeschlossen werden kann.148 Gegen die Zweckmäßigkeit eines Güterichterverfahrens kann ferner sprechen, dass letzteres einen gewissen Spielraum zur Verhandlung voraussetzt. Der Wunsch des Täters, seine Opfer künftig weiter zu schikanieren, zu belästigen oder zu diskriminieren, stellt aber kein in einer güterichterlichen Mediation sinnvoll verhandelbares Interesse dar.149 Allerdings wäre es verfehlt, die Motivation 144  Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 56; Leymann, Mobbing, 2002, S. 107 ff. 145  Auerbach, ZKM 2015, 104, 106. 146  Auerbach, ZKM 2015, 104, 106 f.; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 188 f. 147  Sander/Goldberg, 10 Negotiation Journal 49, 51 (1994) (USA). 148  LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001, 5 Sa 403/2000, NZA-RR 2001, 347 ff. 149  Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003, S. 187.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

des Täters in diesen Bereichen keiner näheren Betrachtung zu unterziehen. Unter Umständen hat er nachvollziehbare Beweggründe, denen anderweitig Abhilfe geschaffen werden kann. Beispielsweise kann Mobbing seinen Ausgangspunkt darin haben, dass der Täter eine frühere Unkollegialität des gemobbten Kollegen vergelten will oder sich durch diesen beruflich bedroht fühlt.150 Manchmal liegt Mobbing, einer Belästigung oder einer Diskriminierung der Versuch zugrunde, das Opfer zu einer Kündigung zu veranlassen, die andernfalls nicht oder nur unter großem Aufwand durchsetzbar wäre.151 Für die Verweisungstauglichkeit spricht, dass der Güterichter das Arbeitsumfeld einbeziehen und die langfristigen persönlichen Beziehungen am Arbeitsplatz berücksichtigen kann.152 Ein weiterer Vorzug liegt darin, dass Emotionen und außerrechtliche Interessen in die Lösungsfindung einbezogen werden können. Beispielsweise kann das Opfer Interesse an einer persönlichen Entschuldigung hegen, die als solche nicht einklagbar ist. Die Verfassung des Opfers kennzeichnet aber zugleich einen der Risikofaktoren, da sie zu einem starken Machtgefälle führen kann.153 Der Gesetzgeber geht bei Diskriminierungsfällen aber jedenfalls von einer Eignung für eine alternative Konfliktbeilegung aus, wie sich in § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EGZPO widerspiegelt.154 d)  Teilzeit Weiteren Anlass für Konflikte im Arbeitsverhältnis bietet der Teilzeitanspruch des Arbeitnehmers. Verankert in § 8 Abs. 1 TzBfG berechtigt der Teilzeitanspruch solche Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate Bestand hat, eine Verringerung ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zu verlangen. Der Arbeitgeber ist nach § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG verpflichtet, dem Verlangen nachzukommen, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und keine entgegenstehenden betrieblichen Gründe erkennbar sind. Weiterhin kann ein Arbeitnehmer gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 TzBfG eine bestimmte Verteilung seiner Arbeitszeit wünschen. Beide Wünsche – also der nach einer Verringerung und der nach einer bestimmten Verteilung der Arbeitszeit – sind oft miteinander verknüpft: Bei lebensnaher Betrachtung hegt ein Arbeitnehmer nämlich nur dann einen Wunsch nach einer Arbeitszeitverringerung, wenn er die verbleibende Arbeitszeit nach seinen Bedürfnissen verteilen oder dadurch ein bestimmtes Zeitfenster freihalten kann. 150 

Montada, in: GS Unberath, 2015, S. 325, 328. Montada, in: GS Unberath, 2015, S. 325, 328. 152  Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 46. 153  Auerbach, ZKM 2015, 104. 154  Ausschussempfehlung zum RegE AntidiskriminierungsG BT-Drs. 15/5717, S. 39; gleichlautend RegE AGG BT-Drs. 16/1780, S. 58. 151 

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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Ein Richter hätte in seinem Urteil über beide Wünsche gleichwohl grundsätzlich getrennt zu entscheiden, während ein Güterichter ihre gegenseitige Abhängigkeit in die Lösungsfindung einbeziehen kann. Im Übrigen sieht § 8 Abs. 3 Satz 1 TzBfG bereits selbst vor, dass die Arbeitsvertragsparteien die gewünschte Verringerung der Arbeitszeit mit dem Ziel erörtern sollen, zu einer Vereinbarung zu gelangen. Auch über die Verteilung der Arbeitszeit soll der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer nach § 8 Abs. 3 Satz 2 TzBfG Einvernehmen erzielen. Man kann also sagen, dass bereits das in § 8 Abs. 3 TzBfG zum Ausdruck kommende gesetzliche Leitbild bei Teilzeitstreitigkeiten in einer einvernehmlichen Konfliktbeilegung liegt. Nicht zuletzt deshalb kommt eine güterichterliche Mediation für Konflikte um den Teilzeitanspruch durchaus in Betracht. e)  Urlaub Ferner kann es zu Streitigkeiten über den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers kommen. § 1 BUrlG gewährt jedem Arbeitnehmer einen Mindesturlaub, über den gemäß § 13 Abs. 1 BUrlG nicht zuungunsten des Arbeitnehmers disponiert werden kann. Mangels Dispositionsbefugnis scheidet eine güterichterliche Mediation über den Anspruch auf den Mindesturlaub damit zwar aus. Über den Mindestanspruch hinausgehende Urlaubstage können aber verhandelt werden. Zudem kann die zeitliche Verteilung des Urlaubs zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden. Diese Verteilung weist das Gesetz in § 7 Abs. 1 BUrlG zwar dem Arbeitgeber zu; er hat dabei aber die Wünsche des Arbeitnehmers im Rahmen der betrieblichen Erfordernisse zu berücksichtigen. Ein Anspruch auf Erfüllung seiner Verteilungswünsche steht dem Arbeitnehmer jedoch nicht zu. Eine güterichterliche Mediation ist hier zwar grundsätzlich möglich, doch führt die gesetzliche Kompetenzzuweisung zu einem Machtungleichgewicht. f)  Veränderung des Aufgabengebiets Nicht zuletzt kann eine Veränderung des Aufgaben- und Verantwortungsgebietes zu Konflikten im bestehenden Arbeitsverhältnis führen. Diesbezügliche Konflikte beinhalten in der Regel eine Vielzahl verhandelbarer Faktoren. Eine güterichterliche Mediation bietet die Flexibilität, alle Faktoren in einer Gesamtlösung zu kombinieren und hilft bei der Suche nach neuen Betätigungsfeldern für den Betroffenen. Konflikte um die Veränderung des Aufgabengebiets sind daher tendenziell mediationsgeeignet.155

155 

Freundorfer/Hauska, ZKM 2015, 39, 40 f.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

3.  Streitige Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Nachfolgend werden Konflikte im Zusammenhang mit Kündigungen in den Blick genommen. Eine Aufschlüsselung anhand der drei in § 1 KSchG genannten Typen von Kündigungsgründen ist dabei nicht erforderlich, da Kündigungsentscheidungen in der Rechtspraxis ohnehin oft auf Erwägungen außerhalb dieses Schemas fußen.156 Insgesamt stellen Kündigungsschutzklagen mit rund 50 % den Löwenanteil der arbeitsgerichtlichen Klageverfahren dar.157 In der Rechtspraxis endet der überwiegende Teil aller Kündigungsschutzverfahren mit einem Vergleich.158 Es fragt sich, welche Rückschlüsse sich aus diesem Befund für die Verweisungseignung ziehen lassen. Gesetzliche Klagefristen wie die der §§ 4 Satz 1, 7 Hs. 1 KSchG, 17, 21 TzBfG und tarifliche Ausschlussfristen gemäß § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG stehen einem Güterichterverfahren deswegen nicht entgegen, weil die Parteien zuvor bereits Klage erhoben haben. Gegen eine güterichterliche Mediation spricht es aber, wenn das Verhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung erheblich belastet ist.159 Die Belastung ist besonders hoch, wenn der Kündigung eine Straftat wie Betrug, Untreue oder Unterschlagung vorausgegangen ist.160 Beide Seiten werden einander misstrauen. Besonders greifbar wird ihr Misstrauen bei Verdachtskündigungen. Bei ihnen kann ein Güterichter sogar dem eigentlichen Kündigungsgrund abhelfen.161 Bei einer Beendigungskündigung liegt das Hauptinteresse der Parteien in der schnellen, optimal ausgestalteten Beendigung des Arbeitsverhältnisses.162 Die Verhandlungen kreisen primär um die Höhe der Abfindung, mit der Folge, dass Klageantrag und Rechtsschutzziel auseinanderfallen.163 Denn nicht einmal der formell auf Fortsetzung klagende Arbeitnehmer möchte das Arbeitsverhältnis 156 

Wrede, ZfA 2002, 455, 466 f. Berkowsky, in: Richardi et al. (Hrsg.), MüArbR, 2009, § 126 Rn. 1; Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 47. 158  Francken, NJW 2006, 1103, 1105; Henkel, NZA 2000, 929, 930; Notter, DB 2004, 874, 875. 159  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 73; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 90 f. 160  Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 59. 161  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 77. 162  Henkel, NZA 2000, 929, 930; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 173. 163  Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 68; Notter, DB 2004, 874; Opolony, JuS 2000, 894, 895; a. A. Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 173 ff. 157 

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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fortführen.164 Dadurch erhält der Konflikt einen Verteilungscharakter, der gegen eine güterichterliche Mediation spricht. Etwas anderes gilt allenfalls bei Änderungskündigungen nach § 2 KSchG. Bei ihnen strebt der Arbeitgeber keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses an, sondern möchte nur eine Änderung des Arbeitsvertrags durchsetzen. Dadurch entstehen Verhandlungsspielräume, die in einem Güterichterverfahren ausgeschöpft werden können. Bei anderen Kündigungen sind die verhandelbaren Faktoren geringer.165 Neben der Abfindungssumme könnten hier die konkreten Modalitäten des Aufhebungsvertrags wie eine Kompensation für die Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III, die Vermittlung einer neuen Arbeitsstelle bei einem anderen Unternehmen, die Aufhebung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, die Hilfe zur Existenzgründung oder überbrückende Fortbildungsmöglichkeiten in einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft verhandelt werden.166 Manchmal wollen Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber durch ihre Klage in die Schranken verweisen, ihr verletztes Gerechtigkeitsgefühl und ihre Enttäuschung ausdrücken und Anerkennung für ihre vergangene Arbeit erhalten.167 Diese außerrechtlichen Interessen vermag eine güterichterliche Mediation zu befriedigen, kann sie zum Beispiel Entschuldigungen, die Rücknahme von Vorwürfen oder die Erteilung eines wohlwollenden Arbeitszeugnisses zum Gegenstand der Verhandlungen machen.168 Weitere Ansatzpunkte für eine güterichterliche Mediation bestehen bei betriebsbedingten Kündigungen in betriebsratslosen Betrieben, bei denen es einen Sozialplan zu entwickeln gilt.169 Auch bei einer großen Zahl zusammenhängender Kündigungsschutzklagen kann eine güterichterliche Mediation sachgerecht sein, wenn es etwa ein vertragswidriges Handeln des Arbeitgebers gegenüber einer Abteilung aufzudecken gilt.170 Im Vergleich zur Abfindungssumme kommt den anderen Aspekten jedoch meist eine untergeordnete Bedeutung zu. Insofern ist die Verweisungstauglichkeit von Streitigkeiten um die Beendigung von Arbeitsverhältnissen eher gering. 164  Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 172; Stickelbrock, JZ 2002, 633, 640 (Zivilrecht); Wrede, ZfA 2002, 455, 463. 165  Nink, die nach betriebs-, verhaltens- und personenbedingten Kündigungen differenziert, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 70 f. 166  Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 23; Henkel, NZA 2000, 929, 931. 167  Henkel, NZA 2000, 929, 931; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 68; Notter, DB 2004, 874. 168  Henkel, NZA 2000, 929, 931; Notter, DB 2004, 874. 169  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Fn. 6. 170  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Fn. 6.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

4.  Nachgang zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Im Nachgang zu beendeten Arbeitsverhältnissen können ebenfalls Konflikte auftreten. Sie entstehen sowohl bei einer streitigen als auch bei einer unstreitigen Beendigung. Möglich sind Klagen auf die Herausgabe von Arbeitspapieren, Zeugnisformulierungen, offene Gehaltsforderungen, Urlaubsabgeltungen oder Sozialplanabfindungen.171 Häufig sind Rechtsstreitigkeiten im Nachgang zu beendeten Arbeitsverhältnissen Stellvertreterkriege, deren tiefere Ursache in einem Güterichterverfahren erforscht und bereinigt werden kann.172 Beispielsweise liegt Zeugnisstreitigkeiten zugrunde, dass der Arbeitnehmer sich vor zukünftigen Bewerbungen fürchtet oder sich mehr Würdigung seiner geleisteten Arbeit wünscht.173 Gerade bei geringen Beträgen steht hinter Zahlungsstreitigkeiten häufig der Streit um den Ausgleich erlittener (psychischer) Verletzungen.174 Oft richtet sich das eigentliche Interesse auch auf eine Entschuldigung, die Rücknahme von Vorwürfen oder eine Erläuterung der Kündigungsgründe durch eine akzeptierte Person.175 Infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht zwischen den Parteien kein Dauerschuldverhältnis mehr.176 Nachwirkende Treue- und Fürsorgepflichten wie die Pflicht des Arbeitgebers zur Zeugniserteilung oder die des Arbeitnehmers zur Herausgabe ihm überlassener Betriebsmittel fallen insoweit wenig ins Gewicht. Gegen eine güterichterliche Mediation sprechen jedoch oft die Konfliktgegenstände. So handelt es sich bei offenen Gehaltsforderungen, Urlaubsabgeltungen und Sozialplanabfindungen um Entgeltfragen, die auf reine Verteilungskriege beschränkt sind und wenig Wertschöpfungspotenzial bieten. Streitigkeiten um die Herausgabe von Arbeitspapieren und Zeugnisformulierungen sind ebenfalls wenig güterichtergeeignet, sind sie doch in zu hohem Maße verrechtlicht, als dass Anknüpfungspunkte für Wertschöpfung bestünden.

171  Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 50 f.; Arbeitspapiere sind z. B. die Lohnsteuerkarte oder der Sozialversicherungsausweis, dazu Hergenröder, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2016, § 1 KSchG Rn. 228; weiterführend zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf ein Arbeitszeugnis oder seine Berichtigung Linck, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 147 Rn. 1 ff. 172  Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 50. 173  Henkel, NZA 2000, 929, 931. 174  Henkel, NZA 2000, 929, 931. 175  Henkel, NZA 2000, 929, 931. 176  Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 92.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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5.  Zusammenfassung Die wenigsten individualarbeitsrechtlichen Konflikte lassen sich als eindeutig verweisungsgeeignet oder eindeutig nicht geeignet klassifizieren. Meist können nur Tendenzen aufgezeigt und keine letztgültigen Antworten gegeben werden. Hinsichtlich dieser Tendenzen ergibt sich im Individualarbeitsrecht ein geteiltes Bild. Konflikte um die Begründung von Arbeitsverhältnissen bieten der güterichterlichen Mediation ein mögliches Anwendungsfeld. Die Verweisungstauglichkeit von Konflikten um die streitige Beendigung von Arbeitsverhältnissen ist dagegen geringer. Bei Entgeltstreitigkeiten sowie bei Konflikten im Nachgang zu beendeten Arbeitsverhältnissen ist danach zu differenzieren, ob es sich um „Stellvertreterkriege“ handelt, oder ob sie um die reine Wertverteilung kreisen. Nur im ersten Fall ist eine Verweisung sachgerecht. Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist nach dem Konfliktanlass zu differenzieren: Konflikte um den Urlaubsanspruch sind tendenziell nicht güterichtergeeignet, Streitigkeiten um Fehlverhalten oder mangelhafte Leistung und den Teilzeitanspruch können dagegen Anknüpfungspunkte für eine Mediation durch einen Güterichter bieten. Für Mobbing lässt sich keine generelle Aussage treffen. II.  Einsatzmöglichkeiten für den Güterichter im Betriebsverfassungsrecht Das Betriebsverfassungsrecht birgt insgesamt ein erhebliches Konfliktpotenzial. Konflikte entstehen hier einerseits in der Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat und andererseits zwischen dem Arbeitgeber und anderen Interessenvertretern. Solch andere Interessenvertreter sind beispielsweise der Sprecherausschuss für leitende Angestellte (§§ 1 ff. SprAuG), die Jugendund Auszubildendenvertretung (§§ 60 ff. BetrVG) und die Schwerbehindertenvertretung (§§ 24 ff. SchwbG).177 Weiterhin können Konflikte in der Beziehung zwischen dem Gesamtbetriebsrat und einzelnen örtlichen Betriebsräten auftreten, oder in anderen Rechtsbeziehungen zwischen den gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG Beteiligten, also dem Arbeitgeber, dem Betriebsrat, den Gewerkschaften, den Arbeitgebervereinigungen, dem Arbeitnehmer und dem Betrieb. In der Rechtspraxis spielen die Konflikte zwischen den Betriebspartnern um die Rechte und Pflichten nach dem BetrVG die größte Rolle, weshalb die nachfolgenden Ausführungen sich auf diese Konflikte konzentrieren.178 177  Ab dem 01. 01. 2018 s. zudem die Regelungen zur Schwerbehindertenvertretung der §§ 176 ff. BTHG, Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz), i. d. F. v. 23. 12. 2016, BGBl. I S. 3234. 178  Außerhalb des BetrVG können ebenfalls Beteiligungsrechte des Betriebsrats begründet sein, Übersicht dazu bei Pulte, NZA 2000, 234 ff.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Anders als im Individualarbeitsrecht muss man im Betriebsverfassungsrecht auch stets danach fragen, wie ein Konflikt überhaupt vor den mediierenden Güterichter gelangen kann. Für die Antwort ist der Blick zunächst darauf zu richten, welchen Weg der Gesetzgeber für betriebsverfassungsrechtliche Konflikte vorgesehen hat: das Beschlussverfahren. Das Beschlussverfahren bringt verschiedene prozessuale Besonderheiten mit sich. Eine dieser Besonderheiten statuiert § 74 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BetrVG, der den Betriebspartnern eine Friedenspflicht auferlegt. Statt Maßnahmen des Arbeitskampfs bieten sich ihnen für Meinungsverschiedenheiten der Rechtsweg und der Weg zur Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG an. Eine Einigungsstelle ist weder ein Gericht noch eine staatliche Behörde, sondern ein vom Betriebsrat oder Personalrat einerseits und vom Arbeitgeber andererseits gebildetes innerbetriebliches Schlichtungsorgan der Betriebsverfassung, dem kraft Gesetzes gewisse Befugnisse zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten übertragen sind.179 Sie wird entweder ad hoc (§ 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) ins Leben gerufen oder als ständiges Organ gebildet (§ 76 Abs. 1 Satz 2 BetrVG), und sie setzt sich nach § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG aus einem unparteiischen Vorsitzenden und mehreren Beisitzern zusammen, die sich paritätisch aus dem Arbeitnehmer- und aus dem Arbeitgeberlager rekrutieren. Die Abgrenzung des Rechtswegs zu dem Weg über die Einigungsstelle richtet sich nach der Art der zu entscheidenden Streitigkeit: Danach sind die Arbeitsgerichte im Grundsatz für Rechts- und die Einigungsstellen für Regelungsstreitigkeiten zuständig.180 Regelungsstreitigkeiten betreffen die Setzung von Recht oder die Regelung neuer Arbeitsbedingungen; Rechtstreitigkeiten betreffen dagegen die Auslegung und Anwendung geltenden Rechts. Rechtsstreitigkeiten können unproblematisch vor die Arbeitsgerichte gelangen und somit potenziell vor den Güterichter verwiesen werden. In erstinstanzlichen Beschlussverfahren ist § 54 Abs. 6 ArbGG nämlich über § 80 Abs. 2 Satz 3 ArbGG anwendbar, für Beschwerden gilt er über § 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.181 Schwieriger liegt es bei Regelungsstreitigkeiten. Grundsätzlich liegen Regelungsstreitigkeiten in der Zuständigkeit der Einigungsstellen. Von diesem Grundsatz wird aber eine Ausnahme gemacht, wenn Arbeitsgerichte die Einigung zwischen den Betriebspartnern ersetzen können, wie es beispielsweise in § 99 Abs. 4 BetrVG vorgesehen ist. Hinzu kommt, dass auch die Entscheidungen der Eini179  BAG, Beschl. v. 06. 04. 1973, 1 ABR 20/72, BAGE 25, 174; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 76 BetrVG Rn. 1. 180  §§ 2a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ArbGG, 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG; Annuß, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 2018, § 91 BetrVG Rn. 35 f.; Werner, in: Rolfs et al. (Hrsg.), BeckOK ArbR, 2018, § 91 BetrVG Rn. 12. 181  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335; S. 24; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 111; Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 8.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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gungsstelle letztlich der Kontrolle durch die Arbeitsgerichte unterliegen, die sie nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG auf Ermessensüberschreitungen überprüfen können. Die Arbeitsgerichte können demnach auch zur Entscheidung betriebsverfassungsrechtlicher Regelungsstreitigkeiten angerufen werden. Wenn der Arbeitgeber es etwa verweigert, eine ihm von der Einigungsstelle auferlegte Maßnahme durchzuführen, kann der Betriebsrat das Arbeitsgericht anrufen, welches sodann im Beschlussverfahren entscheidet.182 Gestaltet der Einigungsstellenspruch die Rechtsstellung eines Arbeitnehmers unmittelbar, kann sogar der Arbeitnehmer das Arbeitsgericht anrufen; in diesem Fall entscheidet es im Urteilsverfahren.183 Letztlich kann ein Güterichter damit sowohl in Rechts- als auch in Regelungsstreitigkeiten eingeschaltet werden. Vier Aspekte – die Dauerbeziehung, die Emotionalität, die Vertraulichkeit und das Machtungleichgewicht – sollen hier vorweg behandelt werden, da sie viele betriebsverfassungsrechtliche Konflikte prägen. Zunächst besteht zwischen den Betriebspartnern wie dargelegt eine Dauerbeziehung, was grundsätzlich für die Verweisungstauglichkeit betriebsverfassungsrechtlicher Konflikte spricht. Demgegenüber sind betriebsverfassungsrechtliche Konflikte in der Regel weniger emotional aufgeladen als solche im Individualarbeitsrecht. Denn die §§ 15, 16 KSchG, 103 BetrVG stellen sicher, dass die Arbeitsverhältnisse der einzelnen Betriebsratsmitglieder und damit ihre persönliche Existenzgrundlage durch die Betriebsratstätigkeit nicht gefährdet werden, anders als es bei einem Arbeitnehmer der Fall ist. Für ein Betriebsratsmitglied steht dadurch persönlich weniger auf dem Spiel als etwa für einen gekündigten Arbeitnehmer. Für die Verweisung bedeutet diese Diskrepanz jedoch, dass eine güterichterliche Mediation einen ihrer spezifischen Vorzüge nicht entfalten kann. Weiterhin sind sich die Betriebspartner bewusst, dass sich ein betriebsverfassungsrechtlicher Konflikt auf die Belegschaft durchschlagen und nachteilhaft auf das Betriebsklima auswirken kann.184 Im Optimalfall möchten beide Betriebspartner diesen Effekt vermeiden und haben dadurch bereits ein erstes übereinstimmendes Interesse, nämlich das an Vertraulichkeit, was für eine güterichterliche Mediation spricht. In der Praxis mag es jedoch vorkommen, dass der Betriebsrat die Verschlechterung des Betriebsklimas bewusst als Druckmittel einsetzt. Zuletzt seien die Machtverhältnisse zwischen den Betriebspartnern genannt, die oftmals ausgeglichener sind als die im Individualarbeitsrecht. Ein gegen eine 182  § 2a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ArbGG i. V. m. §§ 80 ff. ArbGG; Annuß, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 2018, § 91 BetrVG Rn. 37. 183  § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a), Abs. 5 ArbGG i. V. m. §§ 46 ff. ArbGG. 184  Lehmann, BB 2013, 1014, 1016.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Verweisung sprechendes Machtungleichgewicht wird damit weniger oft zu diagnostizieren sein. 1.  Grundsätze für die Zusammenarbeit § 74 Abs. 1 Satz 1 BetrVG greift den bereits in § 2 Abs. 1 BetrVG genannten Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit auf und verdichtet ihn zu einer konkreteren Verhandlungspflicht.185 Danach sollen Arbeitgeber und Betriebsrat sich mindestens einmal im Monat miteinander besprechen. In ihren Gesprächen sollen sie über streitige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten machen.186 Die Verweisungseignung von Streitigkeiten über diese Verhandlungspflicht könnte man unter Hinweis auf das Bestehen ideologischer Gegensätze ablehnen. Immerhin sind die Interessen des Arbeitgebers vorrangig darauf gerichtet, den eigenen Profit zu steigern, während der Betriebsrat in erster Linie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer vor Augen hat. Diese Interessendarstellung greift jedoch zu kurz. Im Idealfall hegen vielmehr beide Seiten ein übereinstimmendes Interesse daran, dass in der Belegschaft Harmonie herrscht und der Betrieb wirtschaftliche Erfolge verzeichnet. Die §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 Satz 1 BetrVG geben den Betriebspartnern die Verhaltenspflicht auf, interessenorientiert zu verhandeln und miteinander im ständigen Dialog zu bleiben. Sie sollen ihre Lösungen selbst aushandeln und nicht auf die aufoktroyierte Entscheidung eines Dritten angewiesen sein.187 Die Herangehensweise an Konflikte, die ihnen hierdurch verordnet wird, ähnelt der konsensorientierten, kooperativen Herangehensweise der Mediation.188 Nicht zu Unrecht bezeichnet Lembke das Mediationsverfahren daher als Fortsetzung dieser gesetzlichen Verhandlungspflicht der Betriebspartner.189 Hinzu tritt, dass die Art und Weise, wie die Rechte und Pflichten aus § 74 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllt werden, das Betriebsverhältnis langfristig prägen. Die Beziehung der Betriebspartner steht in diesbezüglichen Streitigkeiten in be185  Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2018, § 74 BetrVG Rn. 2; Kania, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 74 BetrVG Rn. 1; Maschmann, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 2018, § 74 BetrVG Rn. 2. 186  § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. 187  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 102 ff. 188  Lehmann, BB 2013, 1014, 1016; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 382. 189  Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 382; krit. Löwisch, BB 2012, 3073, 3074.

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sonderem Maße auf dem Spiel, was für eine güterichterliche Mediation spricht. Zudem weisen Fragen der Zusammenarbeit oft einen erhöhten Grad an Komplexität auf. Streitigkeiten über die Grundsätze der Zusammenarbeit bieten damit ein mögliches Einsatzfeld für eine güterichterliche Mediation. 2.  Rechtsstreitigkeiten Im Folgenden wird die Konfliktgruppe der Rechtsstreitigkeiten auf ihre Verweisungstauglichkeit hin abgeklopft. Um verweisungstauglich zu sein, sollte sich eine Rechtsfrage auf einen tieferliegenden Interessenkonflikt zurückführen lassen.190 Gleichwohl spricht hier oft gegen ein Güterichterverfahren, dass sich zumindest eine Partei – in aller Regel der Betriebsrat – die Schaffung eines Präzedenzfalls wünscht. a)  Statuskonflikte Ein erster Streitherd betrifft die sog. Statuskonflikte. Statuskonflikte betreffen die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG. Ob eine Betriebsratswahl wirksam vonstatten gegangen ist, steht und fällt mit der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, da das Wahlverfahren im Gesetz zwingend und abschließend geregelt ist. Den Betriebspartnern fehlt es insoweit an der Dispositionsbefugnis. Eine güterichterliche Mediation ist deshalb nicht sachgerecht.191 b)  Freistellung für Schulungs- und Bildungsveranstaltungen Einen weiteren Konfliktherd bildet die Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 2, 6 BetrVG. Für bestimmte Veranstaltungen können Betriebsratsmitglieder nach § 37 Abs. 6 Satz 6 BetrVG nämlich von ihrer beruflichen Tätigkeit befreit werden. Ein Anspruch auf Befreiung steht ihnen aber nur für solche Veranstaltungen zu, die für ihre Betriebsratstätigkeit erforderlich sind – und eben diese Erforderlichkeit bietet regelmäßig Anlass für Streitigkeiten. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit steht dem Betriebsrat nach der Rechtsprechung des BAG wiederum ein Freiraum zu;192 der Arbeitgeber ist gehalten, der Freistellung zuzustimmen, sofern nicht ausnahmsweise ein besonderer Grund dagegenspricht. 190  Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003, S. 158. 191  Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003, S. 159. 192  BAG, Beschl. v. 16. 10. 1986, 6 ABR 14/84, BAGE 53, 186, 190.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Was die Verweisungstauglichkeit anbelangt, bringt sowohl die Voraussetzung der Erforderlichkeit als auch die der betrieblichen Notwendigkeit Spielraum für die Verhandlungen mit sich. Es unterliegt der Dispositionsbefugnis der Be­ triebspartner, die beiden Voraussetzungen zu konkretisieren. Hinzu kommt, dass Streitigkeiten um die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen selten isoliert auftreten, sondern regelmäßig wiederkehren. Das Bedürfnis nach einer dauerhaft gangbaren Lösung spricht für eine güterichterliche Mediation. c)  Freistellung von Betriebsratsmitgliedern Einen Schritt weitergehend ermöglicht § 38 BetrVG nicht nur eine punktuelle Freistellung für einzelne Veranstaltungen, sondern eine vollumfängliche Freistellung der Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit. Das Verfahren zur Freistellung ist gesetzlich zwingend geregelt und bietet als solches wenig Gestaltungsspielraum. Allerdings hat der Arbeitgeber – ähnlich wie bei den Schulungs- und Bildungsveranstaltungen – zu entscheiden, ob betriebliche Interessen einer Freistellung entgegenstehen. Dadurch ergeben sich bereits erste Anknüpfungspunkte für eine güterichterliche Mediation. Der Betriebsrat kann ein Interesse an der Freistellung eines ganz bestimmten Betriebsratsmitglieds oder an der Freistellung von mehr Mitgliedern als gesetzlich geboten haben. Soweit er etwas Überobligatorisches erlangen möchte, wird er einen besonderen Willen zu konstruktiven Gesprächen haben. Zudem sind die freizustellenden Betriebsratsmitglieder oft emotionaler involviert als in anderen betriebsverfassungsrechtlichen Fragen, da die eigene Freistellung für sie von persönlicher Bedeutung ist. Ein Güterichterverfahren kann deshalb durchaus zweckmäßig sein. d)  Kosten- und Sachaufwand des Betriebsrats Eine der Besonderheiten des Betriebsverfassungsrechts besteht darin, dass der Betriebsrat über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt.193 Folglich stehen ihm auch keine eigenen Vermögensrechte zu.194 Um die daraus entstehenden Nachteile abzufedern, hat der Arbeitgeber nach § 40 BetrVG die durch die Betriebsratstätigkeit entstehenden Kosten zu tragen. Anlass für Konflikte bieten hier sowohl die Pflicht zur Kostentragung als solche als auch der konkret vorgetragene Sachaufwand.

193 

Koch, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 220 Rn. 1 ff. BAG, Beschl. v. 09. 09. 1975, 1 ABR 21/74, AP Nr. 6 zu § 83 ArbGG 1953; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 40 BetrVG Rn. 138; Koch, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 220 Rn. 1 ff. 194 

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aa) Kostentragungspflicht Der Arbeitgeber hat nach § 40 Abs. 1 BetrVG zunächst all die Kosten zu tragen, die aus der ordnungsgemäßen Wahrnehmung der erforderlichen Betriebsratsaufgaben entstehen. Nicht nur durch die soeben erörterte Teilnahme an Schulungsund Bildungsveranstaltungen entstehen Kosten. Auch wenn der Betriebsrat einen Rechtsanwalt, einen Dolmetscher oder einen Sachverständigen konsultiert, etwa im Zuge eines gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens, produziert er Kosten.195 Rechtstechnisch gewährt ihm der Gesetzgeber für die durch seine Tätigkeit verursachten Kosten einen Übernahme- oder Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber, je nachdem, ob die Verbindlichkeit bereits begründet worden ist oder nicht.196 Dieser in § 40 Abs. 1 BetrVG verankerte Freistellungsanspruch ist zwingendes Recht.197 Er setzt voraus, dass die Kosten dem Aufgabenbereich des Betriebsrats zuzurechnen, erforderlich und verhältnismäßig sind.198 Gegen die Verweisungseignung spricht, dass die Kostenfrage mit einem schlichten Ja oder Nein zu beantworten ist. Entweder obliegt dem Arbeitgeber die gesamte Kostenlast oder sie obliegt ihm nicht; eine anteilige Tragung kann nicht ausgehandelt werden. Auf der anderen Seite sind die Tatbestandsmerkmale der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit in hohem Maß unbestimmt. Ihre Unbestimmtheit ermöglicht es den Betriebspartnern, ihr Begriffsverständnis im Mediationswege abzustimmen und dadurch künftigen Konflikten vorzubeugen. Wenngleich § 40 Abs. 1 BetrVG zwingend ist, erlaubt die h. L. doch – vorwiegend aus praktischen Erwägungen – bis zu einem gewissen Grad, pauschalierende Kostenregelungen zu vereinbaren.199 Zudem dürfen Vereinbarungen über die Form, in welcher der Betriebsrat die entstandenen Kosten nachweisen muss, sowie über die Art der Anrechnung getroffen werden.200 Hierdurch ergeben sich trotz der eigentlich zwingenden Natur der Vorschrift doch wieder Gestaltungsspielräume. Darüber hinaus verbergen sich hinter manch einem Konflikt um das Bestehen einer Kostentragungspflicht außerrechtliche Interessen, persönliche Unstimmig195  Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 40 BetrVG Rn. 12 ff.; Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 40 BetrVG Rn. 2. 196  Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 40 BetrVG Rn. 138; Koch, in: ­Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 40 BetrVG Rn. 14. 197  Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 40 BetrVG Rn. 3. 198  BAG, Beschl. v. 27. 09. 1974, 1 ABR 71/73, BAGE 26, 269, 278 f.; BAG, Beschl. v. 30. 03. 1994, 7 ABR 45/93, BAGE 76, 214, 220; Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 40 BetrVG Rn. 1. 199  BAG, Urt. v. 09. 11. 1955, 1 AZR 329/54, BAGE 2, 187, Ls. 2; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 40 BetrVG Rn. 3. 200  Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 40 BetrVG Rn. 3.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

keiten und Emotionen, die ebenfalls für eine güterichterliche Mediation sprechen können. Die Kostenfrage ist dabei oft nur die Spitze des Eisbergs, hinter der sich der Wunsch nach Wertschätzung und Ernstnahme verbirgt. Liegen solche Interessen vor, bestehen Anknüpfungspunkte für einen Güterichter. bb) Sachaufwand im Einzelfall Nach § 40 Abs. 2 BetrVG muss der Arbeitgeber zudem den Sachaufwand des Betriebsrats stellen; dieser Sachaufwand umfasst etwa Büroausstattung, Kommunikationsmittel, Schulungen, Literatur und Büropersonal.201 Außerrechtliche Interessen und Emotionen spielen grundsätzlich auch in die Kostenfragen hinein, was für eine güterichterliche Mediation spricht. Hinzu kommt, dass der Arbeitgeber – anders als bei der in § 40 Abs. 1 BetrVG geregelten Finanzierung – beim Überlassungsanspruch auswählen darf, welche Sachmittel er dem Betriebsrat konkret überlassen möchte. Der Betriebsrat darf sich die Sachmittel nicht selbst beschaffen.202 Hierdurch ergeben sich zusätzliche Verhandlungsspielräume, die ein Güterichter ausschöpfen kann. e)  Bestehen mitbestimmungsfreier Tatbestände Die mitbestimmungsfreien Tatbestände des § 88 BetrVG können nicht durch den Betriebsrat erzwungen und eingeklagt werden. Gelangt ein Streit jedoch aus anderen Gründen vor einen mediierenden Güterichter und besteht zusätzlich zu der (mitbestimmungspflichtigen) Hauptstreitigkeit ein Konflikt über den Bestand eines mitbestimmungsfreien Tatbestands, deutet der hier bestehende Entscheidungsfreiraum auf eine Verweisungseignung hin. Mitbestimmungsfreie Tatbestände unterliegen nämlich der vollen Dispositionsbefugnis der Parteien. 3.  Regelungsstreitigkeiten Im Unterschied zu Rechtsstreitigkeiten betreffen Regelungsstreitigkeiten die Setzung von Recht oder die Regelung neuer Arbeitsbedingungen. Dabei befassen sie sich weniger mit der Auslegung bestehender als vielmehr mit der Entwicklung und Ausgestaltung neuer Vorgaben. Dadurch sind sie stärker zukunftsorientiert als Rechtsstreitigkeiten, und die Verhandlungen können eher von bestehenden Vorgaben gelöst und an den Interessen der Parteien ausgerichtet werden. Schon aufgrund dieser Struktur eignen sich Regelungsstreitigkeiten tendenziell mehr für ein Güterichterverfahren als Rechtsstreitigkeiten.203 201 Eingehend

Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 40 BetrVG Rn. 104 ff. BAG, Beschl. v. 21. 04. 1983, 6 ABR 70/82, BAGE 42, 259, 261 f. 203  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 103; etwas allgemeiner Fornasier, RabelsZ 202 

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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Wie in Rechtsstreitigkeiten existiert auch in Regelungsstreitigkeiten eine Vielzahl unterschiedlicher Fallkonstellationen. Nach einem kurzen Blick auf die Problematik sog. Koppelungsgeschäfte werden im Folgenden die Konflikte in sozialen, technisch-organisatorischen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten auf ihre Verweisungstauglichkeit hin untersucht. Dabei weisen einige Tatbestände neben einer Regelungs- auch eine vorgelagerte Rechtsfrage auf; aufgrund dieses Zusammenhangs werden einzelne ausgewählte Rechtsfragen in diesem Unterabschnitt mitbehandelt. a)  Vorüberlegungen Ehe die Regelungsstreitigkeiten im Einzelnen auf ihre Eignung für ein Güterichterverfahren hin untersucht werden können, bedarf es einiger Vorüberlegungen, nämlich zu den Themen der Einigungsstelle und der Koppelungsgeschäfte. aa) Konsequenzen aus dem Einigungsstellenverfahren Für Regelungsangelegenheiten bietet die betriebliche Einigungsstelle nach § 76 BetrVG einen etablierten Konfliktlösungsweg.204 Angesichts ihrer hohen Verbreitung in der Rechtspraxis ist zu fragen, ob sich daraus Rückschlüsse für das Güterichterverfahren ableiten lassen. Verfahrenstechnisch weisen das Güterichterverfahren und die Einigungsstelle zahlreiche Gemeinsamkeiten auf. Beide sind sie interessen- und nicht rechtsbezogen, finden nicht öffentlich statt und sind zeitlich und örtlich flexibel.205 Aus diesen Gemeinsamkeiten ließe sich folgern, dass ein Güterichter für Regelungsstreitigkeiten ebenso erfolgreich eingesetzt werden kann wie die Einigungsstelle. In dem Erfolg der Einigungsstelle könnte man gleichsam einen Beleg für die Verweisungstauglichkeit dieser Konfliktgruppe sehen. Damit würde man allerdings die Systemunterschiede beider Verfahren vernachlässigen. Beispielsweise muss die Einigungsstelle rechtliches Gehör gewähren, wozu der mediierende Güterichter nicht verpflichtet ist.206 Bei erzwingbaren Mitbestimmungsrechten kann die Einigungsstelle sogar gegen den 81 (2017), 539, 542; aus dem Tarifrecht Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 181, 330. 204  Einführend zur Einrichtung der Einigungsstelle oben in dem Abschnitt: Einsatzmöglichkeiten für den Güterichter im Betriebsverfassungsrecht, S. 149. 205 Zur Interessenbezogenheit Dendorfer, in: FS Leinemann, 2006, S. 567, 570; ­Stevens-Bartol, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 141, 143; zur Nichtöffentlichkeit Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 388. 206  Für die Einigungsstelle BAG, Beschl. v. 11. 02. 1992, 1 ABR 51/91, NZA 1992, 702, 703; BAG, Beschl. v. 29. 01. 2002, 1 ABR 18/01, BAGE 100, 239, 245 f.; Joost, in: Richardi

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Willen des Arbeitgebers zur Entscheidung berufen werden, während der Abschluss eines Güterichterverfahrens vom Prinzip der Freiwilligkeit lebt.207 Der gewichtigste Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass der mediierende Güterichter keine Kompromissvorschläge unterbreitet, die Einigungsstelle hingegen schon.208 Zwar wird sie zu Beginn ebenfalls vermittelnd tätig, bei Scheitern der parteilichen Einigungsversuche entscheidet sie aber mit einem verbindlichen Spruch.209 Nicht zuletzt wegen dieses Unterschieds könnte man meinen, dass die Betriebspartner eine güterichterliche Mediation einem Einigungsstellenverfahren stets vorziehen würden. Die Rechtspraxis offenbart jedoch ein anderes Bild: Im Gegenteil bevorzugen die Betriebspartner danach in der Regel die aufoktroyierte Fremdentscheidung. Hintergrund ihres Wunsches ist ihre Furcht, für eigenverantwortliche Vereinbarungen in ihren Betrieben stärker zur Verantwortung gezogen zu werden als für Fremdentscheidungen. Bei Fremdentscheidungen können sie die Verantwortung leichter von sich weisen. Die Eigenverantwortlichkeit empfinden die Betriebspartner insofern oft als lästigen Nachteil. Angesichts dessen lassen sich aus der Akzeptanz der Einigungsstelle keine verlässlichen Rückschlüsse auf die Verweisungseignung ziehen. Eines gilt es gleichwohl zu bedenken: Im betriebsverfassungsrechtlichen Alltag kommt es zu zahlreichen vergleichsweise kleinen Konflikten. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser kleinen Konflikte ist für sich betrachtet gering, sodass auch die Verdienstmöglichkeiten für Einigungsstellenvorsitzende überschaubar bleiben. In der Folge kommen Einigungsstellenverfahren auch seltener zustande. Stattdessen wird eine Seite zum zähneknirschenden Nachgeben gedrängt, obwohl sich gerade an scheinbar unbedeutenden Streitigkeiten oft tieferliegende Konflikte entzünden. Diese Schwachstelle des Einigungsstellenverfahrens könnte der Güterichter abfedern.

et al. (Hrsg.), MüArbR, 2009, § 232 Rn. 35; Unberath, ZKM 2012, 12, 14; für den Güterichter unten in dem Abschnitt: 2. Gewährung rechtlichen Gehörs, S. 257. 207  Für die Einigungsstelle § 76 Abs. 5 BetrVG i. V. m. § 98 ArbGG; Stevens-Bartol, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 141, 142; Werner, in: Rolfs et al. (Hrsg.), BeckOK ArbR, 2018, § 87 BetrVG Rn. 207; für den Güterichter oben in dem Abschnitt: a) Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit, S. 56. 208  Löwisch, BB 2012, 3073, 3074. 209  Dendorfer-Ditges/Ponschab, in: Moll (Hrsg.), ArbR, 2017, Teil R § 82 Rn. 62; Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2015, 7, 8 (Zivilrecht); Stevens-Bartol, in: Breidenbach/ Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 141, 143.

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bb) Problem der Koppelungsgeschäfte Besondere Schwierigkeiten unter den Regelungsstreitigkeiten bieten die sog. Koppelungsgeschäfte.210 Bei einem Koppelungsgeschäft verlangt der Betriebsrat für seine Zustimmung zu einer vom Arbeitgeber avisierten Maßnahme nach einer Gegenleistung, auf die er keinen gesetzlichen Anspruch hat. Oft steht die erwünschte Gegenleistung nicht einmal in einem sachlichen Zusammenhang mit der avisierten Maßnahme. Indem der Betriebsrat aber seine Zustimmung an eine Bedingung knüpft, kann er Druck auf den Arbeitgeber aufbauen und seine Verhandlungsposition stärken. Theoretisch kann auch der Arbeitgeber ein Koppelungsgeschäft zu initiieren versuchen, was in der Praxis jedoch weit seltener vorkommt.211 Lembke sieht in Koppelungsgeschäften eine geradezu mediationstypische Form der Wertschöpfung.212 Hiermit bewegt er sich indes auf einem schmalen Grat, hat die einseitig erzeugte Drucksituation in manchen Fällen doch mehr mit Erpressung als mit Wertschöpfung gemein. Nicht zuletzt deshalb wird die Zulässigkeit von Koppelungsgeschäften auch vielfach bestritten.213 Selbst wenn man im Vorschlag eines Koppelungsgeschäfts keine Wertschöpfung sehen mag, kann eine güterichterliche Mediation doch dazu dienen, die Erpressungsversuche durch kommunikative Techniken in konstruktive Bahnen zu lenken.214 Insofern lässt sich die Verweisungstauglichkeit von Koppelungsgeschäften nicht abstrakt beurteilen. b)  Soziale Angelegenheiten Hinter sozialen Angelegenheiten verbergen sich Fragen rund um die Regelung formeller und teils auch materieller Arbeitsbedingungen. Dabei ist zwischen der Regelung mitbestimmungspflichtiger und mitbestimmungsfreier sozialer Angelegenheiten zu unterschieden.

210  Gaude, Annexbedingungen und Koppelungsgeschäfte, 2010, S. 84; Koch, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 215 Rn. 21; Konzen, in: FS Zöllner, 1998, S. 799 ff.; ­Lehmann, BB 2013, 1014, 1015 f.; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 380. 211  Gaude, Annexbedingungen und Koppelungsgeschäfte, 2010, S. 84 f. 212  Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 380. 213 Instruktiv Konzen, in: FS Zöllner, 1998, S. 799 ff.; ferner Koch, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 215 Rn. 21. 214  Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003, S. 154.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

aa) Bestehen erzwingbarer Mitbestimmungsrechte Mitunter kann es zu Streitigkeiten über den Bestand eines Mitbestimmungsrechts kommen. Mitbestimmungsrechte treten in verschiedenen Ausprägungen auf und reichen von einfachen Unterrichtungs-, Informations- und Anhörungsrechten über Beratungsrechte bis hin zu Zustimmungsrechten.215 In den Kon­ stellationen des § 87 Abs. 1 BetrVG kann ein Betriebsrat seine Beteiligung sogar gerichtlich erzwingen. Kommt es zu einem Streit über ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht, fällt dieser in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte, die ihn im Urteilsverfahren bescheiden.216 Gegen eine güterichterliche Mediation spricht hier jedoch, dass der Bestand eines erzwingbaren Mitbestimmungsrechts kein Wertschöpfungspotenzial bietet. Vielmehr lässt sich die Frage durch reine Gesetzessubsumtion beantworten, sodass eine güterichterliche Mediation wenig sachgerecht ist. bb) Regelung mitbestimmungspflichtiger Angelegenheiten In zahlreichen sozialen Angelegenheiten steht dem Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zu, wie etwa bei der Anordnung von Überstunden und bei der Festsetzung der Lage des Urlaubs einzelner Arbeitnehmer nach § 87 Abs. 1 Nr. 3, 5 BetrVG. Eine ohne die notwendige Beteiligung getroffene, den Arbeitnehmer belastende individualrechtliche Maßnahme kann nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung ipso iure unwirksam sein;217 gegen kollektivrechtliche Maßnahmen kann dem Betriebsrat nach der Rechtsprechung ein Unterlassungsanspruch zustehen.218 Ein erster Hinweis zur Eignung für ein Güterichterverfahren ergibt sich aus dem Wortlaut des § 87 Abs. 1 Hs. 1 BetrVG. Danach setzt das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts voraus, dass dem Arbeitgeber bezüglich der regelungsbedürftigen Materie Entscheidungsfreiheit zusteht.219 Diese Freiheit fehlt ihm nur, 215  Z. B. für ein Unterrichtungsrecht § 80 Abs. 2 BetrVG; für ein Informations- und Anhörungsrecht § 102 Abs. 1 BetrVG; für ein Beratungsrecht §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 92a Abs. 2 Satz 1, 96 Abs. 1 Satz 2, 97 Abs. 1, 111 Satz 1 BetrVG; für ein Zustimmungsrecht §§ 87, 94, 95, 98, 112 Abs. 4 BetrVG und für ein Zustimmungsverweigerungsrecht § 99 BetrVG. 216  §§ 80 Abs. 2, 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 256 ZPO. 217  BAG, Beschl. v. 16. 09. 1986, GS 1/82, BAGE 53, 42, 73 f.; BAG, Urt. v. 19. 09. 1995, 1 AZR 208/95, BAGE 81, 38, 42; BAG, Urt. v. 10. 03. 2009, 1 AZR 55/08, BAGE 129, 371, 375. 218  BAG, Beschl. v. 03. 03. 1994, 1 ABR 24/93, BAGE 76, 364, 372; BAG, Beschl. v. 27. 01. 2004, 1 ABR 7/03, BAGE 109, 235, 237; Werner, in: Rolfs et al. (Hrsg.), BeckOK ArbR, 2018, § 87 BetrVG Rn. 210. 219  BAG, Beschl. v. 25. 01. 2000, 1 ABR 3/99, BAGE 93, 276, 281; BAG, Beschl. v. 22. 07. 2008, 1 ABR 40/07, BAGE 127, 146, 168.

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soweit vorrangige gesetzliche oder tarifliche Regelungen vorhanden sind. Im Übrigen steht ihm bei den sozialen Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG aber ein vergleichsweise weiter Regelungsspielraum zur Verfügung. Diesen können die Betriebspartner im Rahmen ihrer Betriebsautonomie frei ausfüllen. Für einen Güterichter bietet sich dadurch Wertschöpfungspotenzial. Anders als beim bloßen Bestand eines Mitbestimmungsrechts ist die Frage der Ausgestaltung nicht mit einem schlichten Ja oder Nein zu beantworten. Die Ausgestaltung muss auf die konkreten Umstände des Betriebs und die dort tätige Belegschaft zugeschnitten sein. Um eine möglichst hohe Passgenauigkeit zu erreichen, ermöglicht das Gesetz den Betriebspartnern, innerhalb ihrer Betriebs­ autonomie kreative, wertschöpfende Lösungen zu finden. Angesichts der engen Verwobenheit mit den konkreten Verhältnissen vor Ort ist die Ausgestaltung der sozialen Angelegenheiten zudem weniger rechtlich als tatsächlich zu betrachten und zu verhandeln. Diese Aspekte deuten auf eine Verweisungseignung hin. cc) Regelung mitbestimmungsfreier Angelegenheiten Zusätzlich zu den erzwingbaren Mitbestimmungsrechten eröffnet das Gesetz weitreichende Möglichkeiten zur freiwilligen Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten. Diese Möglichkeiten sind in § 88 BetrVG nicht abschließend normiert.220 Im Unterschied zu § 87 BetrVG sind freiwillige Betriebsvereinbarungen nicht im Wege des Einigungsstellenverfahrens erzwingbar; stattdessen existiert für mitbestimmungsfreie Angelegenheiten nach § 76 Abs. 6 BetrVG ein – selten genutztes – freiwillliges Einigungsstellenverfahren.221 Das freiwillige Einigungsstellenverfahren unterscheidet sich von dem erzwingbaren in erster Linie dadurch, dass der Arbeitgeber der Verfahrenseinleitung zustimmen muss.222 Dieses Zustimmungserfordernis rückt das freiwillige Einigungsstellenverfahren näher an eine güterichterliche Mediation als das erzwingbare.223 Neben der Verfahrenseinleitung ist auch die Verfahrensbeendigung stärker von Freiwilligkeit geprägt als bei einem erzwingbaren Einigungsstellenverfahren. Danach kann der Einigungsstellenspruch die Betriebspartner nur binden, wenn sie sich ihm entweder im Voraus unterworfen haben oder ihn im Nachhinein anerkennen.224 Hieraus sollten angesichts der geringen Praxisre220 

BAG, Beschl. v. 07. 11. 1989, GS 3/85, BAGE 63, 211, 215 f. Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 396; Stevens-Bartol, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 141, 144. 222  § 76 Abs. 6 Satz 1 BetrVG; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 76 BetrVG Rn. 106; Stevens-Bartol, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, ­ S. 141, 144. 223  Stevens-Bartol, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 141, 144. 224  § 76 Abs. 6 Satz 2 Alt. 1, 2 BetrVG. 221 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

levanz freiwilliger Einigungsstellenverfahren aber keine allzu weitreichenden Schlüsse für die Verweisungstauglichkeit gezogen werden. Vielmehr gilt das zu mitbestimmungsfreien Rechtsstreitigkeiten Gesagte: Gelangt ein Streit über die Regelung mitbestimmungsfreier Angelegenheiten vor einen mediierenden Güterichter, deuten der weite Gestaltungsspielraum und das beachtliche Feld potenzieller Regelungsgegenstände auf eine Verweisungseignung hin. c)  Technisch-organisatorische Angelegenheiten Darüber hinaus ist der Betriebsrat nach Maßgabe der §§ 90 f. BetrVG in technisch-organisatorischen Angelegenheiten zu beteiligen. Konkret stehen ihm Unterrichtungs- und Beratungsansprüche und – im Fall einer besonderen Belastung der Arbeitnehmer – ein korrigierendes Mitbestimmungsrecht zu.225 Bei dem Unterrichtungs- und Beratungsanspruch bietet besonders das Bestehen des Beteiligungsrechts Anlass für Konflikte. Kreisen diese um den Bestand des Rechts, handelt es sich eigentlich um Rechtsstreitigkeiten. Diese verfügen als solche über ein geringes Wertschöpfungspotenzial, sofern sie sich nicht ausnahmsweise auf einen Interessenkonflikt zurückführen lassen. Anders liegt es bei dem korrigierenden Mitbestimmungsrecht. Neben seinem Bestand kann auch seine Ausgestaltung und damit eine Regelungsstreitigkeit im Mittelpunkt eines Konflikts stehen. Das korrigierende Mitbestimmungsrecht ist ein zwingendes Recht, über welches im Konfliktfall die Einigungsstelle entscheidet.226 Angesichts dessen kann zur Verweisungseignung auf die Ausführungen zu mitbestimmungspflichtigen sozialen Angelegenheiten verwiesen werden.227 d)  Personelle Angelegenheiten Ferner bieten personelle Angelegenheiten Anlass für Konflikte unter den Betriebspartnern. aa) Regelung mitbestimmungsfreier Angelegenheiten Im Jahre 1989 entschied das BAG, dass § 88 BetrVG, der oben bereits im Kontext der sozialen Angelegenheiten zur Sprache gekommen ist, als Auffangnorm auf personelle Mitbestimmungsrechte angewendet werden kann.228 Zur Begründung führte es aus, dass die Abgrenzung von sozialen und personellen Angele225 

§ 91 BetrVG. § 91 Satz 2, 3 BetrVG. 227 Eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: Regelung mitbestimmungspflichtiger Angelegenheiten, S. 160. 228  BAG, Beschl. v. 07. 11. 1989, GS 3/85, BAGE 63, 211, 215 f. 226 

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genheiten in der Praxis fließend sei.229 Hinsichtlich der Verweisungseignung gilt deshalb das zu sozialen Angelegenheiten Gesagte.230 bb) Allgemeine personelle Maßnahmen Zu den allgemeinen personellen Maßnahmen zählen die Personalplanung, interne Stellenausschreibungen, Personalfragebögen, Beurteilungsgrundsätze, Auswahlrichtlinien und Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung. (1) Stellenausschreibungen Durch die Stellenausschreibungen nach § 93 BetrVG wollte der Gesetzgeber den innerbetrieblichen Arbeitsmarkt aktivieren und die Transparenz und Akzeptanz betrieblicher Vorgänge stärken.231 Bei Inhalt, Form und Frist solcher Stellenausschreibungen steht den Betriebspartnern ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der auf eine Verweisungseignung hindeutet.232 Andererseits lässt sich die Frage, ob eine Stelle innerhalb des Betriebs ausgeschrieben werden sollte, mit einem bloßen Ja oder Nein beantworten; nicht ohne Grund liegt sie im Streitfall in der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte. Insoweit besteht wenig Wertschöpfungspotenzial. Eine pauschale Aussage zur Verweisungstauglichkeit von Konflikten über Stellenausschreibungen lässt sich mithin nicht treffen. (2) Auswahlrichtlinien Weiterhin darf der Betriebsrat nach § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG mitbestimmen, wenn der Arbeitgeber Auswahlrichtlinien für Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen erstellen möchte. Bei solchen Auswahlrichtlinien handelt es sich um abstrakt-generelle Grundsätze, die der Arbeitgeber zu berücksichtigen hat, wenn er bei einer Personalentscheidung einen unter mehreren potenziellen Adressaten auswählt; die Auswahlrichtlinie bindet ihn in diesem Fall in seiner Dispositionsfreiheit.233 Haben die Betriebspartner sich auf eine Auswahlrichtlinie verständigt, ist die Richtlinie auch für den Arbeitgeber 229 

BAG, Beschl. v. 07. 11. 1989, GS 3/85, BAGE 63, 211, 216. hierzu oben in dem Abschnitt: Regelung mitbestimmungsfreier Angelegenheiten, S. 161. 231  RegE BetrVG BT-Drs. VI/1786, S. 50; BAG, Beschl. v. 23. 02. 1988, 1 ABR 82/86, NZA 1988, 551 f. 232  Zum Umfang des Mitbestimmungsrechts Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 93 BetrVG Rn. 6; zur Mediationseignung Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003, S. 148. 233  BAG, Beschl. v. 28. 03. 2006, 1 ABR 59/04, BAGE 117, 337, 343; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 95 BetrVG Rn. 7. 230  Eingehend

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vorteilhaft. Bei betriebsbedingten Kündigungen erleichtern Auswahlrichtlinien die Sozialauswahl und beschränken die Überprüfung im Kündigungsschutzprozess auf grobe Fehlerhaftigkeit.234 Bei der Aufstellung von Auswahlrichtlinien steht den Betriebspartnern ein weiter Gestaltungsspielraum zu.235 Die Auswahlrichtlinien müssen nur im Einklang mit zwingendem höherrangigem Recht stehen, wie den Grundsätzen des § 75 BetrVG, dem Gleichbehandlungsgrundsatz und den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverboten.236 Die Tatsache, dass Auswahlrichtlinien aufgrund ihres abstrakt-generellen Charakters vom Einzelfall abstrahieren, ist für die Verweisungstauglichkeit ohne Belang. Unter Umständen laufen die Verhandlungen weniger emotional ab, wenn die Betriebspartner keinen konkret betroffenen Arbeitnehmer vor Augen haben. Hinreichend komplexe Fragestellungen, in denen eine güterichterliche Mediation ihre Vorzüge optimal entfalten kann, ergeben sich nämlich auch bei abstrakter Betrachtung. cc) Berufsbildung Einen weiteren Konfliktherd im Betriebsverhältnis bietet die Berufsbildung der Arbeitnehmer, der das BetrVG mit den §§ 96 ff. einen eigenen Unterabschnitt widmet. Neben der allgemeinen Förderung der Berufsbildung kann dabei die Durchführung konkreter betrieblicher Bildungsmaßnahmen Anlass für Konflikte bieten. Führt der Arbeitgeber Maßnahmen betrieblicher Berufsbildung oder sonstige Bildungsmaßnahmen wie Erste-Hilfe-, Sprach- oder EDV-Kurse durch, steht dem Betriebsrat insoweit nach § 98 Abs. 1, 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht zu. Gemeinsam haben sie über die Grundlagen der Bedarfsermittlung, die individualarbeitsrechtliche Gestaltung der Maßnahmen sowie die Rückzahlungsverpflichtungen bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu beraten.237 Entbrennt Streit über das Bestehen einer Beratungspflicht, entscheidet das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren, während für Regelungsfragen die Einigungsstelle zuständig ist.238 In Anbetracht des steten technischen Fortschritts steht die Fortbildung der Arbeitnehmer im wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers.239 Der Betriebsrat 234  § 1 Abs. 4 KSchG; BAG, Urt. v. 21. 01. 1999, 2 AZR 624/98, NZA 1999, 866, 868; BAG, Urt. v. 02. 12. 1999, 2 AZR 757/98, NZA 2000, 531, 532 f.; BAG, Urt. v. 05. 11. 2009, 2 AZR 676/08, NZA 2010, 457, 459 f.; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 95 BetrVG Rn. 8; Rolfs, in: Rolfs et al. (Hrsg.), BeckOK ArbR, 2018, § 1 KSchG Rn. 503. 235  BAG, Urt. v. 05. 11. 2009, 2 AZR 676/08, NZA 2010, 457, 459. 236  Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 95 BetrVG Rn. 18. 237  Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 96 BetrVG Rn. 38. 238  Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 96 BetrVG Rn. 41. 239  Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 96 BetrVG Rn. 1.

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möchte durch Bildungsmaßnahmen die Arbeitnehmer und ihre Arbeitsplatzsicherheit fördern.240 Damit weisen die Interessen der Betriebspartner Schnittmengen auf, was erste Anknüpfungspunkte für eine güterichterliche Mediation bietet. Hinzu kommt, dass der Begriff der betrieblichen Berufsbildung weit auszulegen ist.241 Die Betriebspartner erhalten durch seine Weite einen zusätzlichen Gestaltungsfreiraum, der in einer güterichterlichen Mediation voll ausgeschöpft werden kann. dd) Kündigungen Gemäß § 102 Abs. 6 BetrVG können die Betriebspartner ordentliche Kündigungen des Arbeitgebers im Wege einer freiwilligen Betriebsvereinbarung von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig machen. Die Motive des Arbeitgebers, den Betriebsrat auf diese Weise in seine Personalpolitik einzubeziehen, können zum einen darin liegen, ihn gegenüber den Arbeitnehmern psychologisch in die Mitverantwortung zu nehmen. Zum anderen bietet § 102 Abs. 6 BetrVG dem Arbeitgeber die Chance, das Verfahren zu beschleunigen, sobald tatsächlich eine Kündigung ausgesprochen werden soll. Diese Beschleunigung wird dadurch erreicht, dass das Widerspruchsrecht des Betriebsrats entfällt, sobald dieser im Vorfeld beteiligt worden ist; mit Wegfall des Widerspruchsrechts kann für den Arbeitgeber auch keine Pflicht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG mehr entstehen. Ob dieser Vorzüge hegen die Betriebspartner oft ein gemeinsames Interesse daran, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Umstritten ist nun aber, ob nur ordentliche oder auch außerordentliche Kündigungen an ein Zustimmungserfordernis geknüpft werden können.242 Für eine Beschränkung auf ordentliche Kündigungen spricht, dass das Recht zur außerordentlichen Kündigung zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Kern der Arbeitsvertragsfreiheit gehört und als solches nicht eingeschränkt werden darf. Ein Zustimmungserfordernis würde es aber einschränken. Nach wohl überwiegender Ansicht wird § 102 Abs. 6 BetrVG trotzdem auf außerordentliche Kündigungen angewendet.243 Vorausgesetzt wird aber, dass nicht das Kündigungsrecht im kon240 

Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 96 BetrVG Rn. 5. BAG, Beschl. v. 05. 03. 2013, 1 ABR 11/12, AP Nr. 15 zu § 98 BetrVG 1972 Rn. 12; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 96 BetrVG Rn. 9. 242  LAG Düsseldorf, Urt. v. 25. 08. 1995, 17 Sa 324/95, LAGE Art. 9 GG Nr. 11 Ls. 3; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 102 BetrVG Rn. 124 m. w. N.; Koch, in: Ascheid/Preis/Schmidt (Hrsg.), Kündigungsrecht, 2017, § 102 BetrVG Rn. 176; einschränkend Rieble, AuR 1993, 39, 41 ff. 243  LAG Düsseldorf, Urt. v. 25. 08. 1995, 17 Sa 324/95, LAGE Art. 9 GG Nr. 11 Ls. 3; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, § 102 BetrVG Rn. 124; Koch, in: Ascheid/ Preis/Schmidt (Hrsg.), Kündigungsrecht, 2017, § 102 BetrVG Rn. 176. 241 

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kreten Fall, sondern nur die vorgelagerten abstrakten Kündigungsgründe an ein Zustimmungserfordernis des Betriebsrats gebunden werden. Unzulässig soll es sein, wenn der Arbeitgeber sein Kündigungsrecht durch die Vereinbarung nicht mehr effektiv geltend machen kann oder wenn der Betriebsrat letztverbindlich über die Kündigung entscheidet. Bei einer zu engmaschigen Regulierung droht das außerordentliche Kündigungsrecht nämlich ausgehöhlt zu werden. Die Dispositionsbefugnis der Betriebspartner reicht bei außerordentlichen Kündigungen daher nur so weit, wie hinreichende Spielräume für unvorhersehbare Konstellationen belassen werden. Bei beiden Kündigungsarten spricht für eine güterichterliche Mediation, dass sie mit der Arbeitsplatzsicherung eines der vordersten Anliegen des Betriebsrats betreffen, sodass dieser ein ausgeprägtes Interesse an einer diesbezüglichen Betriebsvereinbarung hegen wird. Der Verlust seines Arbeitsplatzes kann nicht nur für den betroffenen Arbeitnehmer zum Schicksalsschlag werden und ihn existenziell bedrohen. Er kann sich auch auf den gesamten Betrieb auswirken und das Betriebsklima verschlechtern. Angesichts dessen wird der Betriebsrat häufig emotionaler agieren als bei anderen Themen, was in einer güterichterlichen Mediation aufgefangen werden kann. Zwar ist die Frage, ob man ein Zustimmungserfordernis vereinbart, mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten und als solche wenig verweisungstauglich.244 Bei der Ausgestaltung der freiwillligen Betriebsvereinbarung eröffnen sich dafür aber Spielräume, die Anknüpfungspunkte für einen Güterichter bieten. Beispielsweise kann das Zustimmungserfordernis tatbestandlich auf bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern oder auf bestimmte Arten von Kündigungen beschränkt werden oder die Betriebspartner können vereinbaren, dass der Betriebsrat seine Zustimmung nur aus ganz bestimmten Gründen verweigern darf.245 e)  Wirtschaftliche Angelegenheiten Nicht zuletzt ist der Betriebsrat nach den §§ 106 – 113 BetrVG auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu beteiligen. Da wirtschaftliche Entscheidungen jedoch in erster Linie dem Arbeitgeber vorbehalten sein sollen, beschränkt sich die Beteiligung hier auf einen Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses oder des Europäischen Betriebsrats. Führt eine unternehmerische Entscheidung zu einer Betriebsänderung, können ein Interessenausgleich und ein Sozialplan auszuhandeln sein.

244 

Rieble, AuR 1993, 39 f. Matthes, in: Richardi et al. (Hrsg.), MüArbR, 2009, § 267 BetrVG Rn. 26 f.; ­Thüsing, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 2018, § 102 BetrVG Rn. 301. 245 

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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aa) Unterrichtungs- und Beratungsanspruch Sind in einem Unternehmen in der Regel einhundert oder mehr Arbeitnehmer beschäftigt, ist als Hilfsorgan des Betriebsrats nach § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ein Wirtschaftsausschuss zu errichten. Dieser Wirtschaftsausschuss soll gemäß Satz 2 der Vorschrift mit dem Arbeitgeber über alle wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens beraten und den Betriebsrat hierüber unterrichten. Den Arbeitgeber trifft hierfür nach § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Pflicht, den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten zu unterrichten und ihm die Konsequenzen für die Personalplanung darzustellen.246 Streitigkeiten über die Bildung eines Wirtschaftsausschusses und über das tatbestandliche Vorliegen einer wirtschaftlichen Angelegenheit sind eindimensionale Rechtsfragen und damit wenig verweisungsgeeignet. Streitigkeiten über Art und Umfang der Auskunftserteilung bieten hingegen mehr Anknüpfungspunkte für eine Mediation, was sich bereits darin widerspiegelt, dass der Katalog in Absatz 3 nicht abschließend ist („insbesondere“). bb) Interessenausgleich Beabsichtigt der Arbeitgeber, eine Betriebsänderung durchzuführen, soll er nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich über die organisatorische Durchführung der beabsichtigten Betriebsänderung vereinbaren. Dieser Interessenausgleich ist keine Betriebsvereinbarung, sondern eine kollektive Vereinbarung sui generis.247 Zwar kann ein Interessenausgleich, wie sich im Umkehrschluss aus § 112 Abs. 4 BetrVG ergibt, nur freiwillig geschlossen werden.248 Bei Streitigkeiten über den Interessenausgleich sieht § 112 Abs. 2 BetrVG aber die Möglichkeit vor, ein Vermittlungsverfahren zu führen. Eine güterichterliche Mediation ist im Kern ebenfalls Vermittlung. Wenn der Gesetzgeber bereits selbst ein Vermittlungsverfahren vorsieht, scheint er von einer Mediationstauglichkeit auszugehen. Für eine solche spricht auch, dass den Betriebspartnern ein weiter Gestaltungsfreiraum zusteht.

246  Die §§ 29 f. EBRG erweitern diese Verpflichtung bei Bestehen eines Europäischen Betriebsrats auf Angelegenheiten, die mehrere Betriebe oder in verschiedenen Mitgliedsstaaten ansässige Unternehmen betreffen. 247  BAG, Urt. v. 20. 04. 1994, 10 AZR 186/93, BAGE 76, 255, 261; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 43 ff. 248  Annuß, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, 2018, § 112 BetrVG Rn. 23; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 21.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Verweigert der Arbeitgeber die Verhandlungen über einen Interessenausgleich, riskiert er nach § 113 Abs. 3 BetrVG zudem, Ansprüchen auf Nachteils­ ausgleich ausgesetzt zu sein. Der Gesetzgeber hat mit dem Nachteilsausgleich eine Vorkehrung eingefügt, die den Arbeitgeber zu Verhandlungen motiviert, die dieser vor einem Güterichter führen könnte. Andererseits genügt es zur Vermeidung von Ansprüchen auf Nachteilsausgleich aber auch, einen Interessenausgleich „versucht zu haben“. Der Anreiz zu Verhandlungen, der von § 113 Abs. 3 BetrVG ausgeht, darf deshalb nicht überbewertet werden. Hinzu kommt, dass dem Arbeitgeber typischerweise daran gelegen ist, die Betriebsänderung zeitnah durchzuführen, statt den Ausgang des Güterichterverfahrens abzuwarten. Für ihn besteht damit wenig Motivation, sich auf ein Güterichterverfahren einzulassen. cc) Sozialplan Im Sozialplan können die Betriebspartner nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG Maßnahmen vereinbaren, um die wirtschaftlichen Nachteile einer Betriebsänderung auszugleichen. Im Gegensatz zum Interessenausgleich ist ein Sozialplan als Betriebsvereinbarung besonderer Art grundsätzlich erzwingbar.249 Bei der Abschätzung und Bewertung der durch die Betriebsänderung ausgelösten wirtschaftlichen Nachteile und der Ausarbeitung des Sozialplans kommt den Betriebspartnern ein weiter Gestaltungsspielraum zu.250 Sie können entscheiden, welche wirtschaftlichen Nachteile sie ausgleichen und wie sie diese kompensieren wollen. Ihr Spielraum spricht für eine Verweisung, zumindest in der Theorie. In der Praxis dominiert freilich die finanzielle Abfindung, zu deren Errechnung sich feste Formeln eingebürgert haben. Begrenzt wird der Spielraum der Betriebspartner durch zwingendes Recht, wie durch den in § 75 BetrVG verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz.251 Der Tarifvorbehalt gilt hier nach § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG nicht, sodass der Abschluss von Sozialplänen auch im Anwendungsbereich eines Tarifvertrags möglich ist. Welche Regelung im Einzelfall anzuwenden ist, entscheidet das Günstigkeitsprinzip.252

249  BAG, Urt. v. 16. 03. 1994, 10 AZR 606/93, AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972 Rn. 21; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 97. 250  BAG, Urt. v. 29. 11. 1978, 5 AZR 553/77, AP Nr. 7 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Beschl. v. 24. 08. 2004, 1 ABR 23/03, BAGE 111, 335, 339 f.; BAG, Urt. v. 13. 02. 2007, 1 AZR 163/06, BAGE 121, 159, 165; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 97. 251  BAG, Urt. v. 29. 11. 1978, 5 AZR 553/77, juris Rn. 23; BAG, Urt. v. 09. 12. 1981, 5 AZR 549/79, BAGE 37, 237, 241 f.; Besgen, in: Rolfs et al. (Hrsg.), BeckOK ArbR, 2018, § 112 BetrVG Rn. 19; Engels et al., in: Fitting (Begr.), BetrVG, 2016, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 139. 252  Besgen, in: Rolfs et al. (Hrsg.), BeckOK ArbR, 2018, § 112 BetrVG Rn. 12.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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4.  Zusammenfassung Wie im Individualarbeitsrecht lassen sich auch im Betriebsverfassungsrecht die wenigsten Konflikte eindeutig als verweisungsgeeignet oder -ungeeignet klassifizieren. Soweit eine eindeutige Aussage möglich ist, dann meist nur ein auf die Dispositionsbefugnis gestützter negativer Befund, und auch ein solcher letztlich nur bei Statuskonflikten. Im Einzelnen hat die Untersuchung ergeben, dass Konflikte um die Grundsätze der Zusammenarbeit aus § 74 Abs. 1 BetrVG für eine güterichterliche Mediation geeignet sind. In Statuskonflikten scheidet ein Güterichterverfahren aus, da es den Betriebspartnern insoweit an der Dispositionsbefugnis fehlt. Rechtsstreitigkeiten über Schulungs- und Bildungsmaßnahmen sind – ebenso wie Konflikte über das Bestehen mitbestimmungspflichtiger Tatbestände – wenig verweisungsgeeignet. Bei Streitigkeiten über den Kosten- und Sachaufwand des Betriebsrats hängt die Verweisungstauglichkeit stark vom Einzelfall ab. Konflikte über die längerfristige Freistellung von Betriebsratsmitgliedern von ihrer Arbeitspflicht, über die Kostentragungspflicht und das Bestehen mitbestimmungsfreier Tatbestände bieten tendenziell Anknüpfungspunkte für einen Güterichter. In Regelungskonflikten sind mitbestimmungspflichtige und mitbestimmungsfreie soziale und personelle sowie technisch-organisatorische Angelegenheiten grundsätzlich verweisungstauglich. Gleiches gilt für Streitigkeiten anlässlich der Einführung von Auswahlrichtlinien und rund um Fragen der Berufsbildung. Bei Stellenausschreibungen hängt die Eignung stark vom Einzelfall ab. Konflikte um die Einführung eines Zustimmungserfordernisses bei ordentlichen Kündigungen sind ebenfalls grundsätzlich verweisungsgeeignet. Gleiches gilt für außerordentliche Kündigungen, doch ist der Gestaltungsfreiraum der Betriebspartner hier stärker eingeschränkt. Bei Konflikten über den Auskunftsanspruch des Wirtschaftsausschusses, einen Interessenausgleich oder einen Sozialplan ist eine güterichterliche Mediation ebenfalls möglich. III.  Einsatzmöglichkeiten für den Güterichter im Tarifrecht Auch im Tarifrecht kann es zu Konflikten kommen. Im Folgenden werden verschiedene Konfliktfelder der Tarifpartner näher beleuchtet. Erstens werden Konflikte um die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit untersucht, zweitens solche um Rechts- und drittens solche um Regelungsfragen. Vorweg sei erwähnt, dass die Gewerkschaftsseite in den meisten tarifrechtlichen Streitigkeiten daran interessiert ist, den Konflikt in die Gerichts- und Medienöffentlichkeit hinauszutragen.253 Indem die Gewerkschaft in die Öffentlichkeit tritt, kann sie Druck auf 253  Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 187.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

den Arbeitgeber ausüben und die eigene Verhandlungsposition stärken.254 Damit hat jedenfalls eine Seite kein Interesse an dem Vorzug der Vertraulichkeit, den eine güterichterliche Mediation zu bieten hat. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass die Interessen der Tarifpartner wenige Schnittmengen aufweisen.255 1.  Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit Das erste tarifrechtliche Konfliktfeld findet sich bei der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft. Die Tariffähigkeit wird für den Abschluss von Tarifverträgen vorausgesetzt.256 Auf der Seite der Arbeitnehmer kann nur eine Gewerkschaft oder ein Zusammenschluss von Gewerkschaften Partei eines Tarifvertrags sein.257 Die Tariffähigkeit wird im Gesetz zwar vorausgesetzt, aber nicht eigens definiert.258 Nach dem in Rechtsprechung und Literatur herrschenden Begriffsverständnis handelt es sich bei der Tariffähigkeit um die rechtliche Fähigkeit, durch eine Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler die Arbeitsbedingungen so zu regeln, dass sie für die tarifgebundenen Personen unmittelbar, unabdingbar und damit im Grunde wie Rechtsnormen gelten.259 Die Tarifzuständigkeit legt dagegen den räumlichen, betrieblichen und persönlichen Geschäftsbereich fest, innerhalb dessen eine tariffähige Partei Tarifverträge abschließen kann.260 Zwar muss für keinen der beiden Status ein präventives Zertifizierungsverfahren durchlaufen werden, dafür können sie aber beide im Nachhinein gerichtlich überprüft werden.261 254  255 

1019.

Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 56 f. Lehmann spricht gar von einer Interessenpolarität der Tarifpartner, BB 2013, 1014,

256  BAG, Beschl. v. 14. 12. 2010, 1 ABR 19/10, BAGE 136, 302, 320; Schlewing, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 97 ArbGG Rn. 5. 257  § 2 Abs. 1, 2, 3 TVG. 258  Vorausgesetzt wird sie z. B. in §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 Abs. 1, 5 Satz 1 ArbGG; dazu BAG, Beschl. v. 14. 12. 2010, 1 ABR 19/10, BAGE 136, 302, 321; Koch, in: Müller-Glöge/ Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 97 ArbGG Rn. 1; Peter, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 2 TVG Rn. 1 ff.; Schlewing, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 97 ArbGG Rn. 5. 259 Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 19.  10. 1966, 1 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312, 313; ferner BAG, Beschl. v. 14. 12. 2010, 1 ABR 19/10, BAGE 136, 302, 319 f.; Koch, in: ­Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 97 ArbGG Rn. 1; Schlewing, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 97 ArbGG Rn. 5. 260 BAG, Beschl. v. 22.  11. 1988, 1 ABR 6/87, NZA 1989, 561, 562; Koch, in: ­Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 97 ArbGG Rn. 1; Peter, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 2 TVG Rn. 186; Schlewing, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 97 ArbGG Rn. 5; Treber, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 199 Rn. 16; Walker, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 97 ArbGG Rn. 4b. 261 BAG, Beschl. v. 14. 12. 2010, 1 ABR 19/10, BAGE 136, 302, 321 ff.; Koch, in: ­Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 97 ArbGG Rn. 1.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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Während Arbeitgeber stets tariffähig gemäß § 2 Abs. 1 TVG sind, kann die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft im Einzelfall zu verneinen sein.262 Ein prominentes Beispiel aus jüngerer Zeit bietet hier die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP), deren Tarifunfähigkeit das BAG im Dezember 2010 feststellte.263 Das Arbeitsgericht entscheidet über die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft in einem Statusverfahren nach § 97 ArbGG. Um tariffähig zu sein, muss sie bestimmte Mindestanforderungen erfüllen. Ihr Vorliegen prüft das Gericht durch schlichte Subsumtion, deren Eindimensionalität gegen eine güterichterliche Mediation spricht. Wenn man die Tariffähigkeit der Dispositionsbefugnis der Tarifpartner unterstellen würde, ließe man Rechtssubjekte über ihre eigene Rechtssubjektivität verhandeln und entscheiden.264 Zudem wäre es mit dem tarifrechtlichen Prinzip der Gegnerunabhängigkeit nicht zu vereinbaren, wenn eine Koalition ihre Stellung als Tarifpartei mit ihrem sozialen Gegner aushandeln müsste. Schon um die Koalition hiervor zu schützen, ist ihr die Dispositionsbefugnis über die eigene Tariffähigkeit zu verweigern. Ferner darf eine nicht-tariffähige Partei keine Vereinbarungen treffen, die eine tariffähige Partei verdrängen; eine solche Vereinbarung wäre als Vertrag zu Lasten Dritter nach allgemeinen Grundsätzen unzulässig.265 Andernfalls müsste man § 9 TVG auf den vor dem mediierenden Güterichter geschlossenen Vergleich anwenden und ihm Wirkung erga omnes zubilligen. Anders liegt es bei der Tarifzuständigkeit. Sowohl Arbeitgeberverbände als auch Gewerkschaften können die eigene Tarifzuständigkeit einseitig und autonom in ihrer Satzung regeln.266 Da diese Regelung aber abschließend und nicht durch den Abschluss von Tarifverträgen oder durch die Praxis der Aufnahme von Mitgliedern abänderbar ist,267 bieten sich für eine güterichterliche Mediation wenige Anhaltspunkte. 2.  Rechtsstreitigkeiten Wie im Betriebsverfassungsrecht ist auch im Tarifrecht zwischen Rechts- und Regelungsstreitigkeiten zu unterscheiden. Rechtsstreitigkeiten liegen weitgehend in der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.268 Dabei haben die Tarifpartner bei 262 

Peter, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 2 TVG Rn. 5, 186 ff. BAG, Beschl. v. 14. 12. 2010, 1 ABR 19/10, BAGE 136, 302. 264  Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003, S. 92. 265  Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003, S. 93. 266  Peter, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 2 TVG Rn. 186 f. 267  Peter, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 2 TVG Rn. 187. 268  § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 ArbGG. 263 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Rechtsfragen ein Interesse an einer Präzedenzentscheidung, die ihnen ein Güterichter nicht zu bieten vermag.269 Die Konflikte betreffen die Beteiligten nicht persönlich, sodass sie weniger emotional verhandeln als im Individualarbeitsrecht. Vielmehr vertreten die Tarifpartner Gruppeninteressen. Auf der anderen Seite besteht nach der gesetzlichen Konzeption zwischen den Tarifpartnern kein Machtgefälle, und auch ihre individuelle Verhandlungsfähigkeit ist selten pro­ blematisch. Ferner werden die Verhandlungsführer auf Gewerkschaftsseite in der Regel über die erforderlichen kommunikativen Fähigkeiten verfügen, was für eine Verweisung spricht. Somit lassen sich grundsätzlich für beide Seiten Argumente finden. Entscheidend ist letztlich, ob den Tarifpartnern bei der Beurteilung einer Materie die volle Dispositionsbefugnis zukommt. Im Übrigen wird die Untersuchung nachfolgend danach gegliedert, dass Tarifverträge sich aus einem normativen und einem schuldrechtlichen Teil zusammensetzen, die beide Anlass für Rechtsstreitigkeiten bieten können. a)  Streitigkeiten über den normativen Teil Dem normativen Teil eines Tarifvertrags kommt unmittelbare zwingende Wirkung für die betroffenen Arbeitsverhältnisse zu. Er regelt ihren Inhalt, ihren Abschluss und ihre Beendigung, sowie verschiedene betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen. aa) Rechtsgültigkeit von Tarifnormen Die erste Teilmenge der Streitigkeiten über den normativen Teil betrifft Konflikte um die Rechtsgültigkeit von Tarifnormen. Nach § 9 Alt. 2 TVG kann dabei die Gültigkeit einzelner Tarifnormen oder die Gültigkeit des ganzen Tarifvertrags problematisch sein. Die Probleme können auf formeller oder auf materieller Ebene angesiedelt sein. Formell kann beispielsweise die nach § 1 Abs. 2 TVG geforderte Schriftform oder die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Seite bei Vertragsschluss fehlen. Für einen mediierenden Güterichter ergeben sich in diesem Fall kaum Anknüpfungspunkte: Nicht nur lassen sich die formellen Fragen in der Regel durch Gesetzessubsumtion lösen und weisen dadurch kaum Wertschöpfungspotenzial auf. Hinzu kommt, dass die Tarifpartner über die formellen Vorschriften auch nicht disponieren können. Fehlt dem Tarifvertrag die Schriftform, ist er grundsätzlich nach § 125 BGB nichtig;270 bestenfalls kann er noch nach § 140 BGB in einen Vorvertrag umgedeutet werden.271 Eine güterichterliche Mediation ist vor diesem Hintergrund eher fernliegend. 269  Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 324. 270  BAG, Urt. v. 13. 06. 1958, 1 AZR 591/57, BAGE 6, 31, 33. 271  Nebe, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 1 TVG Rn. 165.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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Materiell fehlerhaft ist ein Tarifvertrag, wenn er gegen höherrangiges Recht verstößt. Kollidieren nur bestimmte Tarifnormen mit höherrangigem Recht, beschränkt sich die Unwirksamkeit auf diese Normen, sofern der Tarifvertrag – in der Sache ähnlich wie bei dem aus dem AGB-Recht bekannten Blue-Pencil-Test – ohne diese Normen noch ein sinnvolles, in sich schlüssiges Regelwerk darstellt; entgegen der Auslegungsregel des § 139 BGB führt die Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen aber nicht zur Unwirksamkeit des Tarifvertrags als Ganzem.272 Den Prüfungsmaßstab für die materielle Fehlerhaftigkeit bildet damit das höherrangige Recht. Über dieses dürfen die Tarifpartner indes nicht disponieren. Mangels Dispositionsbefugnis sind Konflikte über die materielle Rechtmäßigkeit von Tarifnormen somit nicht für eine güterichterliche Mediation geeignet. bb) Auslegung normativer Tarifbestimmungen Nach § 9 Alt. 1 TVG kann Streit ferner darüber entstehen, wie die Tarifnormen eines vorhandenen Tarifvertrags im Einzelfall ausgelegt werden sollen. Die Tarifpartner sind berechtigt, eigene Auslegungsregeln zu vereinbaren und umstrittene Begriffe in einer Weise vorzudefinieren, die auch die Arbeitsgerichte beachten müssen.273 Das BAG spricht insoweit von einer sog. authentischen Interpretation.274 Durch sie erhalten die Tarifpartner bei der Auslegung normativer Tarifbestimmungen einen erheblichen Spielraum, was für eine Verweisung spricht. Schließen die Tarifpartner vor dem mediierenden Güterichter einen Vergleich und wird dieser Vergleich vor Gericht protokolliert, ist dem Schriftformerfordernis des § 1 Abs. 2 TVG genüge getan. Schwieriger wird ein Güterichterverfahren, wenn sich die zugrunde liegende Rechtsfrage mit einem klaren Ja oder Nein beantworten lässt. Beispielsweise können die Tarifpartner uneinig sein, ob ein Kündigungsverbot von Arbeitnehmern ab einem bestimmten Lebensalter Änderungskündigungen erfasst. Eine Auslegungsregel können sie hierzu zwar vereinbaren. Insgesamt besteht aber zu wenig Wertschöpfungspotenzial für eine güterichterliche Mediation. b)  Streitigkeiten über den schuldrechtlichen Teil Der schuldrechtliche Teil eines Tarifvertrags betrifft das Innenverhältnis der Tarifpartner und begründet Rechte und Pflichten, die den normativen Teil absichern sollen. Selbst ohne ausdrückliche Vereinbarung sind jedem Tarifvertrag 272  BAG, Urt. v. 16. 11. 2011, 4 AZR 856/09, NZA-RR 2012, 308, 309; Waas, in: Rolfs et al. (Hrsg.), BeckOK ArbR, 2018, § 1 TVG Rn. 27. 273  BAG, Urt. v. 23. 09. 1981, 4 AZR 108/79, BAGE 36, 211, 217; BAG, Urt. v. 17. 09. 2003, 4 AZR 540/02, BAGE 107, 304, 316. 274  BAG, Urt. v. 23. 09. 1981, 4 AZR 108/79, BAGE 36, 211, 217.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

eine Friedenspflicht und eine Durchführungspflicht immanent.275 Kommt es zu Streitigkeiten über diese Pflichten, kann eine allgemeine Feststellungs- oder Leistungsklage angestrengt werden.276 aa) Friedenspflicht Die Friedenspflicht untersagt es den Tarifpartnern, während der Laufzeit eines Tarifvertrags Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen.277 Ferner gebietet sie einem Verband, im Sanktionswege auf seine Mitglieder einzuwirken, damit diese selbst keine Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen.278 Konflikte können hier entstehen, wenn sich die Tarifpartner uneinig sind, ob eine bestimmte Maßnahme die Friedenspflicht tangiert. Diese Frage lässt sich aber eindeutig in die eine oder in die andere Richtung beantworten und bietet dadurch wenig Wertschöpfungspotenzial. Allgemein tritt die Friedenspflicht in einer relativen und in einer absoluten Gestalt auf. Die relative Friedenspflicht schließt solche Arbeitskämpfe aus, die auf eine Tarifvertragsänderung abzielen.279 Zwar ist sie jedem Tarifvertrag grundsätzlich immanent,280 die Tarifpartner können sie allerdings im Umfang erweitern und konkretisieren.281 Beispielsweise können sie bestimmte Maßnahmen festlegen, die ein Verband zur Einwirkung auf seine Mitglieder zu ergreifen hat. Abgesehen davon, dass die Tarifpartner die relative Friedenspflicht nicht ausschließen dürfen, steht ihnen damit ein weiter Gestaltungsfreiraum zu, der für eine güterichterliche Mediation spricht.282 Die absolute Friedenspflicht geht weiter als die relative und schließt jeden Arbeitskampf gleich welchen Ziels während der Vertragslaufzeit aus.283 Die Ta275 

Statt vieler Nebe, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 1 TVG Rn. 11. Urt. v. 09. 06. 1982, 4 AZR 274/81, BAGE 39, 138, 141; BAG, Urt. v. 29. 04. 1992, 4 AZR 432/91, BAGE 70, 165, 170. 277  BAG, Urt. v. 08. 02. 1957, 1 AZR 169/55, BAGE 3, 280, Ls. 1; Arendt, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 1 TVG Rn. 1167; Franzen, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 1 TVG Rn. 81, § 9 TVG Rn. 6; Hamacher/van Laak, in: Moll (Hrsg.), ArbR, 2017, Teil N § 69 Rn. 50 f. 278  Franzen, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 1 TVG Rn. 81; Hamacher/van Laak, in: Moll (Hrsg.), ArbR, 2017, Teil N § 69 Rn. 50. 279 BAG, Urt. v. 21.  12. 1982, 1 AZR 411/80, BAGE 41, 209 Ls. 1; Franzen, in: ­Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 1 TVG Rn. 81. 280 BAG, Urt. v. 27.  06. 1989, 1 AZR 404/88, BAGE 62, 171, 178; Franzen, in: ­Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 1 TVG Rn. 81. 281  Arendt, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 1 TVG Rn. 1176 ff.; Franzen, in: ­Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 1 TVG Rn. 84. 282  Andrelang, Mediation im Arbeitsrecht, Verfahrenskompetenzen und Mediabilitätskriterien, 2003, S. 101. 283  Franzen, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 1 TVG Rn. 81; Treber, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 192 Rn. 18. 276 BAG,

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rifpartner können und müssen eine absolute Friedenspflicht freiwillig vereinbaren, da sie Tarifverträgen nicht von selbst immanent ist.284 Die Tatsache, dass die absolute Friedenspflicht ausdrücklich vereinbart werden muss, offenbart, dass sowohl ihre Existenz als auch ihr Umfang der Disposition der Tarifpartner unterliegen. Allerdings haben sie beim Aushandeln bestimmte Grenzen zu beachten. Zum Beispiel käme eine für viele Jahre festgeschriebene absolute Friedenspflicht einem Verzicht auf die – in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich abgesicherte – Arbeitskampffreiheit zu nahe. Ein langjähriger Verzicht wäre deswegen unzulässig.285 Innerhalb der zwingenden Grenzen bestehen jedoch Anknüpfungspunkte für eine güterichterliche Mediation. bb) Durchführungspflicht Die Durchführungspflicht der Tarifpartner ist eine dem Tarifvertrag immanente Erfüllungspflicht, die dem Grundsatz pacta sunt servanda Rechnung trägt.286 Sie verlangt von einem Arbeitgeberverband, so lange mit Sanktionen auf seine Mitglieder einzuwirken, bis diese den ausgehandelten Verbandstarifvertrag anwenden.287 In ihrem Umfang kann die Durchführungspflicht von den Tarifpartnern erweitert und konkretisiert werden; lediglich ihr Kernbestand ist unabdingbar.288 Darüber hinaus ist eine güterichterliche Mediation somit grundsätzlich möglich. cc) Auslegung schuldrechtlicher Bestimmungen Der schuldrechtliche Teil eines Tarifvertrags ist nach Maßgabe des objektiven Empfängerhorizonts gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen.289 Rein auf das Verhältnis der Tarifpartner bezogene Vorschriften können subjektiv ausgelegt werden. Hinsichtlich der Verweisungstauglichkeit ergeben sich Abweichungen von der Auslegung normativer Tarifbestimmungen. Die Auslegung schuldrechtlicher 284 BAG, Urt. v. 31.  10. 1958, 1 AZR 632/57, BAGE 6, 321, 343 ff.; BAG, Urt. v. 19. 06. 2007, 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134, 148; Arendt, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 1 TVG Rn. 1196; Hamacher/van Laak, in: Moll (Hrsg.), ArbR, 2017, Teil N § 69 Rn. 51, 54. 285  Waas, in: Rolfs et al. (Hrsg.), BeckOK ArbR, 2018, § 1 TVG Rn. 68. 286  Arendt, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 1 TVG Rn. 1151; Hamacher/van Laak, in: Moll (Hrsg.), ArbR, 2017, Teil N § 69 Rn. 53; Treber, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 200 Rn. 5. 287  BAG, Urt. v. 29. 04. 1992, 4 AZR 432/91, BAGE 70, 165, 173 f.; Arendt, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 1 TVG Rn. 1155; Hamacher/van Laak, in: Moll (Hrsg.), ArbR, 2017, Teil N § 69 Rn. 53; Treber, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 200 Rn. 8. 288  Arendt, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, § 1 TVG Rn. 1153, 1166. 289  Däubler, in: Däubler (Hrsg.), TVG, 2016, Einl. Rn. 637; Wank, RdA 1998, 71, 77.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Bestimmungen können die Tarifpartner nicht im Wege der authentischen Norminterpretation vorwegnehmen. Was sie im Vertrag vereinbart haben, wird nur nach dem objektiven Empfängerhorizont ausgelegt. Der Gestaltungsspielraum ist insofern kleiner als bei normativen Tarifbestimmungen, und diesbezügliche Streitigkeiten sind weniger verweisungsgeeignet. 3.  Regelungsstreitigkeiten Sieht das Gesetz kein gerichtliches Verfahren für einen Konflikt vor, so erübrigt sich die Frage, ob die Parteien vor den Güterichter verwiesen werden sollten.290 So liegt es bei tariflichen Regelungsstreitigkeiten, für welche die Arbeitsgerichte nicht zuständig sind.291 Seit dem Jahre 1954 ermöglicht das zwischen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ausgehandelte Margarethenhof-Abkommen es stattdessen, ein Schlichtungsverfahren einzuleiten.292 Der Grund für die Unzuständigkeit der Arbeitsgerichte ist die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifautonomie. Sie gibt den Gewerkschaften das Recht, Tarifverträge ohne staatliche Einflussnahme abzuschließen.293 Gerichtliche Entscheidungen sind aber eine Form der staatlichen Einflussnahme. Aus der Tarifautonomie folgt jedoch, dass Dritten keine Letztentscheidungsbefugnis über Streitigkeiten der Tarifpartner zukommen soll. Vor einen Güterichter können die Tarifpartner deshalb wegen Art. 9 Abs. 3 GG nicht gelangen. Außergerichtlich steht es ihnen dafür frei, sich auf eine Mediation einzulassen.294 Nicht zuletzt wegen der weitreichenden wirtschaftlichen Konsequenzen für eine hohe Zahl von Arbeitnehmern bleiben Mediationen in der Praxis derzeit aber eine Nischenerscheinung. Stattdessen fokussiert man sich auf Schieds- und Schlichtungsverfahren, die das Bedürfnis der Tarifpartner nach einer rechtsverbindlichen Regelung befriedigen.

290  Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 263 f. (Sozialrecht); ­Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 290 f. 291  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 244; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 325. 292  Lehmann, BB 2013, 1014, 1017 f.; eingehend zur Schlichtung im Tarifrecht Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 90 ff.; Ricken, in: Richardi et al. (Hrsg.), MüArbR, 2009, § 209 Rn. 1 ff.; Treber, in: Schaub (Begr.), ArbR, 2013, § 195 Rn. 9. 293  BAG, Beschl. v. 21. 04. 1971, GS 1/68, BAGE 23, 292, 307. 294  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 244 f.; Lehmann, BB 2013, 1014, 1017 ff.; ­Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 330 f.

§ 6  Materielle Verweisungskriterien

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4.  Zusammenfassung Die überwiegende Zahl der untersuchten tarifrechtlichen Konflikte kommt grundsätzlich für eine güterichterliche Mediation in Betracht, nur wenige Streitigkeiten scheiden generell für eine Verweisung aus. Bei Rechtsstreitigkeiten spricht der Wunsch der Tarifpartner nach einer Präzedenzentscheidung gegen eine güterichterliche Mediation, das ausgeglichene Machtverhältnis und die individuelle Verhandlungsfähigkeit der Beteiligten sprechen hingegen dafür. Maßgebend ist es deshalb, ob die Tarifpartner über die konkrete Materie disponieren können, was für jede Konfliktkonstellation gesondert zu prüfen ist. Im Einzelnen lässt sich festhalten, dass eine güterichterliche Mediation für Konflikte um die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit ausscheidet. Über die Rechtsgültigkeit normativer Tarifbestimmungen können die Tarifpartner ebenfalls nicht disponieren. Hinsichtlich der Auslegung normativer Tarifbestimmungen sind die Tarifpartner dagegen grundsätzlich dispositionsbefugt. Ihr Spielraum verengt sich allerdings, wenn die Frage mit einem schlichten Ja oder Nein zu beantworten ist; gleichwohl ist eine Verweisung grundsätzlich möglich. Hinsichtlich der Friedenspflicht ist zu differenzieren: Konflikte darüber, ob eine bestimmte Maßnahme die Friedenspflicht tangiert, sind für sich betrachtet wenig verweisungsgeeignet. Dafür können die Tarifpartner über die relative Friedenspflicht verhandeln. Über die absolute Friedenspflicht können sie sogar bis zur Grenze der Arbeitskampffreiheit verfügen. Ein Güterichterverfahren ist hier möglich. Die Durchführungspflicht untersteht bis auf ihren Kernbestand der Disposition der Tarifpartner, sodass diesbezügliche Konflikte grundsätzlich verweisungsgeeignet sind. Die Auslegung der schuldrechtlichen Bestimmungen eines Tarifvertrags ist verweisungsgeeignet, wenngleich der Gestaltungsspielraum kleiner ist als bei normativen Tarifbestimmungen. Tarifliche Regelungsstreitigkeiten können nicht vor einen mediierenden Güterichter gelangen, sodass ihre Eignung für eine Verweisung dahinstehen kann. IV.  Fazit Die Untersuchung der konkret güterichtergeeigneten Konflikte im Individualarbeits-, Betriebsverfassungs- und Tarifrecht führt zu wenigen eindeutigen Ergebnissen. Soweit ein Konflikt abschließend zugeordnet werden kann, handelt es sich um eine Negativprognose. Nicht zuletzt wegen des Verfahrensprinzips der Freiwilligkeit lässt sich dagegen nie positiv bescheinigen, dass ein mediierender Güterichter das Verfahren zu einem zufriedenstellenden Abschluss bringen wird. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber in § 54 Abs. 6 ArbGG nicht versucht hat, geeignete Fallgruppen vorzugeben. Möglich und sinnvoll ist es aber, Wahrscheinlichkeiten abzubilden und materielle Kriterien aufzu-

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

zeigen, die in bestimmten Konflikten typischerweise eine Rolle spielen und auf die der Spruchrichter besonders Acht zu geben hat.

C.  Ergebnis Abgesehen von wenigen Ausnahmen lassen sich im Arbeitsrecht keine Fallgruppen bilden, in denen eine Verweisung vor einen Güterichter stets sinnvoll ist. Im Individualarbeitsrecht ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Konflikt geeignet ist, dabei noch vergleichsweise hoch. Im Betriebsverfassungsrecht ist hingegen stärker danach zu unterscheiden, ob ein Konflikt eine Rechts- oder eine Regelungsstreitigkeit betrifft. Letztere sind tendenziell eher verweisungsgeeignet. Im Tarifrecht können wiederum überhaupt nur Streitigkeiten um Rechtsfragen vor einen Güterichter gelangen. Dabei ist stets auf den Einzelfall abzustellen und dieser anhand abstrakter Kriterien auf seine Eignung zu überprüfen. Diese ab­ strakten Kriterien lassen sich in zwei Gruppen einteilen: die objektiv-konfliktbezogenen und die subjektiv-parteibezogenen Kriterien. Innerhalb der objektiven Kriterien sind die Dispositionsbefugnis, die Kommunikationsfähigkeit, das Machtungleichgewicht, die Komplexität des Konflikts, der Grad seiner Verrechtlichung, etwaige Beweisschwierigkeiten und seine Internationalität von Bedeutung. Aussagekräftige subjektive Kriterien sind die Verhandlungsbereitschaft der Parteien, ihr Wille zur Eigenverantwortlichkeit, außerrechtliche Interessen, die Emotionalität und der Überoptimismus der Parteien sowie ihr Wunsch nach Vertraulichkeit und Präjudizität.

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

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§ 7  Formelle Verweisungskriterien Das nachfolgende Kapitel ist den formellen, verfahrensbezogenen Verweisungskriterien gewidmet. Eingangs untersucht es, ob sich die Verfahrensbeendigung durch eine Verweisung verzögern kann. Anschließend geht es darauf ein, wie sich das Einverständnis der Parteien mit dem Güterichterverfahren auf die spruchrichterliche Verweisungsentscheidung auswirkt. Zuletzt behandelt es den Einfluss der flankierenden Neuregelung in § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO zu den Inhalten der Klageschrift auf die Verweisungsentscheidung.

A.  Verzögerung der Verfahrensbeendigung Neben der materiellen Eignung eines Konflikts für den Güterichter wird der Spruchrichter bei seiner Verweisungsentscheidung auch danach fragen, ob er die Verfahrensbeendigung durch die Verweisung verzögert und die materiellen Vorteile eines Güterichterverfahrens für die Parteien durch die Verzögerung wieder entwertet. Gerade im Arbeitsrecht kann den Parteien nämlich aus Gründen wirtschaftlicher, reputationsbezogener oder persönlicher Natur an einem zügigen Abschluss des Verfahrens gelegen sein. Durch eine allzu lange Verfahrensdauer kann der Prozesserfolg für sie zu einem Pyrrhus-Sieg werden.1 In Kündigungsschutzverfahren ist es für den Arbeitnehmer in der Regel bedeutsam, zeitnah Gewissheit über die Rechtslage und damit über seine Existenzgrundlage und berufliche Zukunft zu erhalten. I.  Eintritt einer Verzögerung durch das Güterichterverfahren Eine Verweisung kann die Verfahrensbeendigung entweder verzögern oder beschleunigen.2 Im streitigen Verfahren ist das Ob einer Konfliktbeendigung immerhin gewiss, während es im Güterichterverfahren den Parteien obliegt und für den Spruchrichter im Zeitpunkt der Verweisungsentscheidung unvorhersehbar ist.3 Wenn der Güterichter die Parteien zu einer zufriedenstellenden Einigung führt, endet das Verfahren. Je nach Dauer des Güterichterverfahrens muss es zu keiner Verzögerung kommen, die Verweisung kann sich sogar als zeitspa1  Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 117 ff. 2  OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09. 01. 2015, 10 OB 109/14, juris Rn. 5, 9; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 64; krit. in der Vorauflage noch Germelmann, demzufolge eine Verzögerung „im Grunde immer“ eintritt, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 9k. 3  Weiß, in: FS Rolland, 1999, S. 395, 411 (Zivilrecht).

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

rend erweisen.4 Selbst bei längerer Dauer des Güterichterverfahrens kann die Zeitbilanz insgesamt positiv ausfallen, wenn man die Betrachtung auf die Folge­ instanzen ausweitet. Immerhin entfallen bei einer dauerhaften einvernehmlichen Konfliktbeilegung die Rechtsmittelinstanzen. Gleiches gilt für Folgeverfahren über noch nicht rechtshängige Konfliktgegenstände. Diese Verfahren können dadurch vermieden werden, dass mögliche Konfliktgegenstände bereits vor dem Güterichter aufgedeckt, mit in die Verhandlungen einbezogen und dort beigelegt werden. Selbst wenn es dem Güterichter nicht gelingt, das Verfahren zu einem Abschluss zu bringen, muss die Verweisung nicht zwingend eine Verzögerung nach sich ziehen;5 häufig wird es aber so sein.6 Entscheidend dafür, ob es zu einer Verzögerung kommt, ist letztlich die Zeitspanne zwischen Güte- und Kammertermin. Ein Güterichterverfahren kann dann zeitneutral geführt werden, wenn der Vorsitzende vorsorglich einen Termin zur Kammerverhandlung für den Fall des Scheiterns des Güterichterverfahrens freihält.7 Ist die Kammerverhandlung vorangeschritten und steht die Urteilsverkündung unmittelbar bevor, wird eine Verweisung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verzögerung führen. Eine pauschale Antwort darauf, ob eine Verweisung das Verfahren verzögert, kann deshalb nicht gegeben werden, wie bereits die bayerischen Modellprojekte belegt haben. In den zivilgerichtlichen Projekten konnten keine besonderen Auswirkungen des Güterichterverfahrens auf die durchschnittliche Verfahrensdauer belegt werden.8 In den verwaltungsgerichtlichen Modellprojekten kritisierten Rechtsanwälte die Verfahrensverzögerung dagegen – und zwar sowohl bei gescheiterten als auch bei erfolgreichen Verhandlungen.9 II.  Vereinbarkeit mit dem Beschleunigungsgrundsatz Ferner könnte der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz einer Verweisung vor den Güterichter entgegenstehen. Der in § 9 Abs. 1 ArbGG normierte Grundsatz verpflichtet ein Arbeitsgericht, die bei ihm anhängigen Verfahren in jedem Abschnitt nach Möglichkeit zu 4 

Wissler, 17 Ohio State Journal on Dispute Resolution 641, 697 f. (2002) (USA). Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 64; Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 14. 6  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 105. 7  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 43; Nause, in: Schwab/ Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 64. 8  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 75. 9  Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 35. 5  ArbG

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

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fördern. Dadurch trägt er dem Umstand Rechnung, dass schon die Verfassung den Staat dazu verpflichtet, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit abzuschließen.10 Was dabei noch angemessen ist, entscheidet sich anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls, wie der Schwierigkeit der Sache, dem Verhalten der Beteiligten und der Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer.11 Im Arbeitsrecht ist die Beschleunigung regelmäßig von noch größerer Bedeutung als im Zivilprozess, weil der Verfahrensgegenstand häufig die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers betrifft.12 Neben der Verankerung in § 9 Abs. 1 ArbGG findet der Beschleunigungsgrundsatz auch in zahlreichen anderen Vorschriften Ausdruck, etwa in § 61a Abs. 1 ArbGG im Kontext arbeitsrechtlicher Bestandsschutzstreitigkeiten. Darüber hinaus wird er durch verschiedene Fristenregelungen konkretisiert, die zu einer kürzeren Verfahrensdauer als im Zivilprozess führen sollen.13 Ob der Beschleunigungsgrundsatz auch über diese ihn konkretisierenden Einzelbestimmungen hinaus als eigenständiger Rechtsgrundsatz zu berücksichtigen ist, ist dagegen umstritten.14 Als eigenständiger Rechtsgrundsatz wäre er über die Konkretisierungen hinaus bei der Auslegung all derjenigen Ermessensvorschriften zu beachten, die Einfluss auf die Verfahrensdauer haben können, und damit auch bei der Auslegung des § 54 Abs. 6 ArbGG. Gegen eine Berücksichtigung bei der Auslegung könnte man argumentieren, dass ein Ermessen des Richters dahingehend, ob er ein Verfahren zu einem lang-

10 BVerfG, Beschl. v. 16.  12. 1980, 2 BvR 419/80, BVerfGE 55, 349, 369; BVerfG, ­Beschl. v. 02. 03. 1993, 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118, 124; BVerfG, Beschl. v. 20. 06. 1995, 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99, 107 f.; BVerfG, Beschl. v. 22. 08. 2013, 1 BvR 1067/12, NJW 2013, 3630, 3631; Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 28; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 2016, Art. 20 GG Rn. 135. 11  EGMR, Urt. v. 27. 07. 2000, 33379/96, NJW 2001, 213 (Klein/Deutschland). 12 Bereits Kahn-Freund, JW 1930, 388, 389; Grunsky, RdA 1974, 201; Smid, BB 1986, 2263, 2264. 13  Z. B. §§ 47 Abs. 1, 2, 49 Abs. 3, 50 Abs. 1, 57 Abs. 1, 59, 60 Abs. 1, 68 ArbGG; ­Grunsky, RdA 1974, 201, 204; Hauck, in: Hauck/Helml/Biebl (Hrsg.), ArbGG, 2011, § 9 ArbGG Rn. 4; Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 9 ArbGG Rn. 1; Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 9 ArbGG Rn. 6; Weth, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 9 ArbGG Rn. 3. 14  Dafür BAG, Urt. v. 04. 12. 1975, 2 AZR 462/74, BAGE 27, 351, 356 f.; BAG, Urt. v. 05. 08. 1982, 2 AZR 199/80, BAGE 40, 17, 27 f.; LAG Nürnberg, Beschl. v. 29. 05. 2002, 1 Ta 78/02, juris Rn. 11, 16; Hauck, in: Hauck/Helml/Biebl (Hrsg.), ArbGG, 2011, § 9 ArbGG Rn. 3; Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 9 ArbGG Rn. 1; Vossen, RdA 1989, 96, 101; dagegen Grunsky, RdA 1974, 201, 203 f.; Prütting, in: ­Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 9 ArbGG Rn. 7; Smid bezeichnet den Wert der Vorschrift als symbolisch, BB 1986, 2263, 2264; ferner Weth, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 9 ArbGG Rn. 4.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

sameren oder zu einem schnelleren Ende führt, nicht existiert.15 Vielmehr hat ein Richter jedes Verfahren zu einem möglichst schnellen Ende zu führen. Das richterliche Ermessen bei den Verfahrensvorschriften bezieht sich damit nur auf den Teil der Entscheidung, deren notwendige Folge die Verzögerung ist, und nicht auf die Verzögerung als solche. Doch selbst wenn sich das Ermessen nicht isoliert auf die Verzögerung beziehen mag, hat der Richter den Verzögerungseffekt doch in die Entscheidung über den anderen Teil einzubeziehen. Insofern beantwortet die Exegese des Ermessensbezugspunkts noch nicht, ob der Beschleunigung eigenständiges Gewicht bei der Auslegung arbeitsrechtlicher Ermessensbestimmungen beigemessen werden kann. Für eine Berücksichtigung spricht indes die Existenz des § 9 Abs. 1 ArbGG.16 In der Arbeitsgerichtsbarkeit ist die Beschleunigung nach dem Vorgenannten von höherer Bedeutung als im Zivilprozess, weshalb der Gesetzgeber dem Beschleunigungsgebot durch § 9 Abs. 1 ArbGG eigenständiges Gewicht eingeräumt hat.17 Andernfalls hätte er es bei einzelnen Konkretisierungen belassen können. Das Beschleunigungsgebot ist deshalb bei der Auslegung und Anwendung von § 54 Abs. 6 ArbGG zu berücksichtigen. Wenn eine Berücksichtigung damit also im Grundsatz möglich ist, inwieweit darf sie erfolgen? Zwischen dem Wunsch nach einer möglichst kurzen Verfahrensdauer einerseits und der möglichst weitgehenden Suche nach der Wahrheit andererseits besteht ein Spannungsverhältnis.18 Räumt man der Beschleunigung höheres Gewicht ein, leidet dadurch die Wahrheitsfindung.19 Letztere verhält sich gleichsam umgekehrt proportional zur Schnelligkeit; in der Terminologie der Mediationswissenschaft befinden sich beide zueinander in einem Verteilungskonflikt. Da die Wahrheitsfindung aber von mindestens ebenso hoher Bedeutung wie die Beschleunigung ist, müssen sie in einen möglichst schonenden Ausgleich miteinander gebracht werden. § 9 Abs. 1 ArbGG enthält deshalb keinen um jeden Preis zu berücksichtigenden Auslegungsgrundsatz. Aus Vorschriften wie § 251 ZPO, nach dem die Parteien das Ruhen des Verfahrens beantragen können, ergibt sich, dass das Beschleunigungsgebot der ­Dispositionsbefugnis der Parteien unterliegt. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot kann deshalb nur dort relevant werden, wo er nicht durch den Willen 15  Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 9 ArbGG Rn. 7; Weth, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 9 ArbGG Rn. 4; krit. LAG Schleswig-Holstein, ­Beschl. v. 25. 09. 1998, 6 Ta 137/98, AP Nr. 5 zu § 148 ZPO, Rn. 22; LAG Nürnberg, B ­ eschl. v. 29. 05. 2002, 1 Ta 78/02, juris Rn. 11, 16. 16  Vossen, RdA 1989, 96, 101. 17  Vossen, RdA 1989, 96, 101. 18  Grunsky, RdA 1974, 201, 203 f. 19  Grunsky, RdA 1974, 201, 204.

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

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der Parteien gedeckt ist.20 Zudem offenbart sich in den §§ 54, 57 Abs. 2, 80 Abs. 2 ArbGG die Wertentscheidung des Gesetzgebers, einer einvernehmlichen Konfliktbeilegung im Einzelfall den Vorrang vor der Beschleunigung des Verfahrens einzuräumen.21 Sogar zugunsten außergerichtlicher Mediationsversuche werden dilatorische Klageverzichtsvereinbarungen weithin anerkannt.22 Hinzu kommt, dass die Parteien das Güterichterverfahren jederzeit abbrechen und das Ausmaß einer etwaigen Verzögerung dadurch gering halten können. Das streitige Verfahren darf durch die Verweisung nur nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise verzögert werden.23 Sofern eine solch unzumutbare Verzögerung nicht vorliegt, wovon bei einer dreistündigen Verhandlung vor dem Güterichter auszugehen ist, steht der Beschleunigungsgrundsatz einer Verweisung nicht entgegen.24 Ist eine Verweisung nicht zweckmäßig, gebietet es der Beschleunigungsgrundsatz, von ihr abzusehen. Die Untersuchung der materiellen Verweisungskriterien hat jedoch gezeigt, dass die Verweisung nur in wenigen Ausnahmefällen eindeu20  Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 162. 21  Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 3; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 162. 22  Voraussetzung ist jedoch, dass die Parteien den §§ 1031 ff. ZPO ähnelnde Voraussetzungen beachten; beispielsweise soll die Formvorschrift des § 1031 ZPO analog anzuwenden sein, die AGB-Konformität muss gegeben sein, und gerichtliche Eilverfahren sollen zulässig bleiben, Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 43 f.; ferner Hess, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 43 Rn. 25 ff., 66 ff.; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 225 ff.; Risse/ Wagner, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 23 Rn. 63 ff. Ein anderes gilt allenfalls im AGB-Recht, vgl. §§ 307, 309 Nr. 14 BGB, dazu Gössl, NJW 2016, 838, 839 m. w. N.; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 214 ff., 228. 23  Grundsätzlich zu diesem Maßstab BVerfG, Urt. v. 23. 02. 2011, BvR 500/07, juris Rn. 13; für das Güterichterverfahren OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09. 01. 2015, 10 OB 109/14, juris Rn. 14; Bayerisches Staatsministerium, Leitfaden Mediation, 2014, S. 37; Dürschke, NZS 2013, 41, 43 (Sozialrecht); in diese Richtung wohl auch LSG Bayern, ­Beschl. v. 19. 12. 2014, L 2 P 74/14 B ER, juris Rn. 11. Diese Erwägung lässt sich auf die aus Art. 19 Abs. 4 GG erwachsende Verpflichtung des Staates, effektiven Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewähren, übertragen, vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 09. 04. 2014, 8 S 1528/13, juris Rn. 4. 24  I. E. Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 4 (Zivilrecht); Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 10, § 64 ArbGG Rn. 131b; Jenkel, Streitschlichtungsversuch, 2002, S. 124 ff. (Zivilrecht); Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 160; Prütting, in: 62. DJT 1998, O100 (Zivilrecht); Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243, 3247 (Zivilrecht); zur durchschnittlichen Dauer des Güterichterverfahrens unten in dem Abschnitt: Zeitliche Kapazitäten im Vergleich, S. 216.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

tig nicht sachgerecht ist. Im Übrigen können die Parteien das Verfahren vor dem Güterichter jederzeit eigenverantwortlich beenden, sobald sich eine Verschleppung abzeichnet.25 Anders liegt es bei § 61a ArbGG. Nach ihm ist ein Güterichter gehalten, Bestandsschutzstreitigkeiten vorrangig vor anderen Streitigkeiten zu behandeln, beispielsweise durch eine bevorzugte Terminierung.26 Des Weiteren soll der Gütetermin innerhalb von zwei Wochen nach Klageerhebung stattfinden. Da der Güterichter für den Gütetermin sowie für seine Fortsetzung eingeschaltet wird, gilt die Zweiwochenfrist für ihn jedenfalls auch dann, wenn der Spruchrichter die Parteien zeitlich vor dem Versuch eines Gütetermins nach § 54 Abs. 1 ArbGG verweist.27

B.  Einverständnis der Parteien Das zweite formelle Kriterium betrifft das Einverständnis der Parteien. Dieses könnte rechtlich für die Verweisung erforderlich oder lediglich psychologisch wünschenswert sein. Wäre das Einverständnis der Parteien rechtlich erforderlich, stände das Güterichterverfahren zur Disposition der Parteien. In der Rechtspraxis ist das Meinungsbild zu dieser Frage geteilt. Zu Zeiten der Modellprojekte wurde das Einverständnis der Parteien mehrheitlich vorausgesetzt; vor den bayerischen Zivilgerichten scheiterten gar 41 % der durch den Spruchrichter angeregten Güterichterverfahren am fehlenden Einverständnis.28 Seit Einführung des Güterichtermodells wird hinsichtlich des Einverständnisses unterschiedlich verfahren.29 In der Literatur werden ebenfalls beide Seiten vertreten, wobei der Frage meist pauschal begegnet und die jeweils artikulierte Position selten argumentativ unterfüttert wird.30 Richtigerweise ist zunächst in zeitlicher Hinsicht danach zu dif25 

Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 44. Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 44. 27  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 44. 28  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 12 f.; ders., AnwBl 2008, 570, 574 (Zivilrecht); ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 3; ähnlich die Berichte anderer Modellprojekte bei Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 11; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 6; Unberath, JZ 2010, 975, 978 (Zivilrecht). 29  Greger, Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 9. Ein Einverständnis verlangen etwa das LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 22. 11. 2007, 8 O 12898/04, juris Rn. 2; gegen ein Einverständniserfordernis allerdings LSG Hessen, Beschl. v. 30. 05. 2014, L 6 AS 132/14, juris Rn. 2; Löer, ZKM 2014, 41, 43. 30  ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130: „In der wenigen Literatur, die bislang zu § 54 Abs. 6 ArbGG erschienen ist, wird die Frage des Ein26 

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

185

ferenzieren, ob die Verweisung während, nach oder vor dem spruchrichterlichen Gütetermin erfolgen soll. I.  Verweisung während des Gütetermins oder aus der Kammerverhandlung Soll die Verweisung innerhalb des spruchrichterlichen Gütetermins oder im Anschluss an diesen vorgenommen werden, beantwortet das Gesetz die Frage nach der Erforderlichkeit des Einverständnisses der Parteien selbst: Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 5 ArbGG darf der Vorsitzende den Gütetermin nämlich nur mit Zustimmung der Parteien nach §§ 182 ff. BGB in einem weiteren Termin fortsetzen. Nach zutreffender Ansicht ist das Güterichterverfahren aber ein Sonderfall des spruchrichterlichen Gütetermins.31 Eine Verweisung während oder nach dem Gütetermin ist als Fortsetzung desselben zu werten, sodass § 54 Abs. 1 Satz 5 ArbGG auf die Verweisung anzuwenden ist. Mithin müssen die Parteien der Fortsetzung zustimmen.32 II.  Verweisung vor Beginn des Gütetermins Anlass zur vertiefenden Diskussion bietet die Rechtslage dagegen, wenn der Spruchrichter die Parteien vor Beginn des Gütetermins verweisen möchte. 1.  Argumente für die Erforderlichkeit des Einverständnisses Während ein Zustimmungserfordernis im bayerischen Modellprojekt noch vorgeschrieben war, findet man in § 54 Abs. 6 ArbGG keinen ausdrücklichen Beleg mehr dafür, dass der Gesetzgeber das Einverständnis der Parteien für die Verweisung für erforderlich gehalten hat.33 In den Materialien findet man allerdings folgenden Passus:

verständnis-Erfordernisses zur Verweisung vor den Güterichter für die Güteverhandlung insgesamt noch nicht vertieft behandelt. Vielmehr wird […] das Erfordernis eines Einverständnisses der Parteien postuliert, ohne diese Ansicht aber über die in den Gesetzeswortlaut nicht aufgenommene Regelungsabsicht des Gesetzgebers hinaus zu begründen“. 31  Eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: Güterichteraufgabe als Rechtsprechung im materiellen Sinn, S. 74. 32  ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 60; a. A. Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht). 33 Zum bayerischen Modellprojekt Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern I, 2009, S. 16; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 119; ähnlich zum Modellprojekt am LG Rostock Hückstädt, NJ 2005, 289, 291.

186

2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

„Die Durchführung einer Güteverhandlung und weiterer Güteversuche vor einem Güterichter sind aussichtsreich, wenn die Parteien für eine einvernehmliche Konfliktlösung offen und deshalb grundsätzlich bereit sind, sich auf ein solches Verfahren einzulassen. Vor diesem Hintergrund kommt der Verweis vor einen zur Durchführung einer Güteverhandlung bereiten Güterichter nur mit Einverständnis der Parteien in Betracht.“34

In der Literatur folgern hieraus viele, der Gesetzgeber habe das Einverständnis zur Voraussetzung für eine Verweisung erheben wollen.35 Sie mutmaßen, der Gesetzgeber habe aus den Erfahrungen bei § 15a EGZPO gelernt, dessen geringe praktische Verbreitung daraus resultiere, dass er den Parteien ein ungewolltes Verfahren aufoktroyiere.36 Nicht zuletzt aus diesem Grund befürwortet auch der überwiegende Teil der Literatur ein Einverständniserfordernis.37 Zur Begründung greift dieser Teil auf verschiedene Konstruktionen zurück. Einige Stimmen schließen aus den Gesetzesmaterialen auf eine anfängliche Gesetzeslücke, die sie durch ein Einverständniserfordernis schließen wollen.38 Andere leiten die Voraussetzung aus dem Charakter als Ermessensentscheidung ab. Angesichts der geringen Erfolgsaussichten eines gegen den Parteiwillen eingeleiteten Verfahrens übe ein Spruchrichter sein Verweisungsermessen nur dann fehlerfrei aus, wenn die Parteien mit der Verweisung einverstanden seien.39 Man34 

Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 21. Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 17 f. (Sozialrecht); Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 75; Groth, Mediation im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren, 2017, S. 171 f.; Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2015, 7, 9 (Zivilrecht); Kloppenburg/Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 72 f.; Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 19 (Zivilrecht); Steffek, ZEuP 2013, 528, 540 (Zivilrecht); Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 9. 36  In diese Richtung Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 153 f., 208 ff. (Zivilrecht); Stickelbrock, JZ 2002, 633, 637 (Zivilrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 356 (Zivilrecht). 37  Francken, NZA 2012, 836, 838; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 17 f. (Sozialrecht); Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 18 ff.; Hess, in: 67. DJT 2008, F24; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 163; Hölzer, ZKM 2012, 119, 122 (Steuerrecht); Hohmann, ArbGG, 2014, § 54 ArbGG Rn. 12; Kloppenburg/Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 72 f.; Thesenpapier der Berliner Richtermediatoren, in: Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2013, 112, 113 (Zivilrecht); Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 54 ArbGG Rn. 11; Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1060 (Verwaltungsrecht); Saam, JR 2015, 163, 168 (Zivilrecht); Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 19 (Zivilrecht); Steinhauff, SteuK 2013, 160 (Steuerrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 8, 24, 40 f. 38  Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 75. 39 In diese Richtung LSG Hessen, welches aber Ausnahmen anerkennt, Beschl. v. 30. 05. 2014, L 6 AS 132/14, juris Rn. 2; ferner OVG Niedersachsen, Beschl. v. 09. 01. 2015, 35 

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

187

che sprechen in diesem Zusammenhang gar von einer Ermessensreduzierung auf Null.40 Ein dritter Erklärungsansatz wird aus der Freiwilligkeitsmaxime gespeist. Als elementarer Grundsatz der alternativen Konfliktbeilegungsverfahren, deren Ansätze und Methoden der Güterichter in den Prozess inkorporiere, gelte die Freiwilligkeitsmaxime auch für das Güterichterverfahren. Verweise der Spruchrichter die Parteien nun aber ohne ihr Einverständnis, werde das Güterichterverfahren im Ganzen unfreiwillig. Unfreiwilligkeit widerspreche jedoch dem von der alternativen Konfliktbeilegung geprägten Wesen des Güterichterverfahrens.41 Viertens wird das Einverständniserfordernis darauf gestützt, dass die Parteien durch die Verweisung in ihren prozessualen Rechten beschnitten werden. Beispielsweise ist der Güterichter nicht zum Erlass eines Versäumnisurteils berechtigt und nicht verpflichtet, den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren.42 Begeben sich Parteien vor Gericht, sollten sie darauf vertrauen können, dass ihnen die durch das Prozessrecht verbürgten subjektiven Rechte zustehen. Die verweisungsbedingte Schlechterstellung mache ihre Zustimmung zu der Verweisung deshalb erforderlich. Zuletzt wird auf die Gefahr einer verweisungsbedingten Verzögerung verwiesen.43 Die Parteien ohne ihr Einverständnis zu verweisen und dadurch die Gefahr einer Verzögerung in Kauf zu nehmen konfligiere mit der aus dem Justizgewährungsanspruch erwachsenden Verpflichtung, effektiven Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewähren.44

10 OB 109/14, juris Rn. 5 ff.; Kloppenburg/Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 72 f.; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 8; Röthemeyer, ZKM 2012, 116, 117. 40  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 21; ähnlich Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 8; ferner Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 391 (Sozialrecht); Röthemeyer, ZKM 2012, 116, 117; a. A. Steffek, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2011, S. 29, 41. 41  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 24; Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1060 (Verwaltungsrecht); Röthemeyer, ZKM 2012, 116, 117; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 134; Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 10; Stürner, ZZP 127 (2014), 271, 323 (Zivilrecht). 42  Eingehend hierzu unten in den Abschnitten: Weitere Einzelbefugnisse, S. 248, und Gewährung rechtlichen Gehörs, S. 257. 43  Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 53; ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 09. 04. 2014, 8 S 1528/13, juris Rn. 4; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 17 f. (Sozialrecht). 44  VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 09. 04. 2014, 8 S 1528/13, juris Rn. 4.

188

2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

2.  Würdigung und Ablehnung eines Einverständniserfordernisses Keiner der Ansätze zur Begründung eines Einverständniserfordernisses überzeugt.45 Trotz der zitierten Passage aus den Materialien hat der Gesetzgeber sich bewusst dagegen entschlossen, einen Einverständnisvorbehalt als Voraussetzung in § 54 Abs. 6 ArbGG festzuschreiben. Sein bloßer Regelungswille, den die Materialien abbilden, hat als solcher aber keine Gesetzeskraft.46 Die Tatsache, dass sich der Gesetzgeber seiner Entscheidung bewusst war, lässt sich ferner dem Umstand entnehmen, dass im Vermittlungsausschuss zeitweise folgende Fassung des § 54 Abs. 6 ArbGG-E diskutiert wurde: „Der Vorsitzende kann die Parteien mit deren Zustimmung für die Gütverhandlung sowie für deren Fortsetzung vor einen Güterichter als ersuchten Richter verweisen“.47 Indem der Gesetzgeber den Zusatz „mit deren Zustimmung“ nicht in die endgültige Fassung übernahm, entschied er sich bewusst gegen ein Zustimmungserfordernis. Bei genauerer Lektüre propagiert der Gesetzgeber das Zustimmungserfordernis in den Materialien überdies nicht als Inhalt der Norm, sondern hat es eher als Maßgabe für ihre Anwendung ins Spiel gebracht. Er diskutiert nur, in welchen Konstellationen die Parteien zweckmäßigerweise verwiesen werden sollten. Die Zweckmäßigkeit eines Güterichterverfahrens ist aber von seiner Zulässigkeit zu unterscheiden, über welche die Materialien keine Aussage treffen. Ferner ist anerkannt, dass auch ein mit sanftem Zwang eingeleitetes Verfahren zur erfolgreichen Beilegung eines Konflikts führen kann.48 Dieses Phänomen 45 I. E. ArbG Hannover, Beschl. v. 01.  02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130; LSG Bayern, Beschl. v. 27. 09. 2013, L 2 P 45/13, juris Rn. 5; OVG Sachsen, Beschl. v. 28. 01. 2014, 1 A 257/10, juris Rn. 1; LSG Hessen, Beschl. v. 30. 05. 2014, L 6 AS 132/14, juris Rn. 2; OVG Sachsen, Beschl. v. 06. 08. 2014, 1 A 257/10, juris Rn. 1; LSG Bayern, Beschl. v. 05. 09. 2016, L 2 P 30/16 B, juris Rn. 8 (Sozialrecht); Carl, ZKM 2012, 16, 19 (Zivilrecht); Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2737, 2742; Ewig, ZKM 2012, 4 (Zivilrecht); Foerste, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 14 (Zivilrecht); Greger/ Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht); Greger, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 119 (Zivilrecht); ders., MDR 2017, 1107, 1109; Gottwald, in: FS Blankenburg, 1998, S. 635, 646; Hagel, ZKM 2014, 108; Henssler/Deckenbrock, DB 2012, 159, 162 (Zivilrecht); Hess, in: 67. DJT 2008, F16; Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 240; Löer, ZKM 2014, 41, 43; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 62; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 171; Roth, in: Kolloquium Mediation, 2013, S. 109, 112 (Zivilrecht); Schmidbauer, ZKM 2012, 88, 91; Steffek, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2011, S. 29, 40 f.; ders., ZEuP 2013, 528, 540 (Zivilrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 356 (Zivilrecht); ders., in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 67. 46  ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130. 47  Änderungsantrag des Landes Berlin, der Mitte 2012 für den Vermittlungsausschuss erarbeitet wurde. 48  ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130, 131; Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2737, 2742; Genn, Court-Based ADR, 2002, S. 49 (England);

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

189

wird als Mediationsparadox bezeichnet.49 Die Hintergründe dieses Mediationsparadoxons sind oft strategischer Natur; etwa befürchten die Parteien, die Gegenpartei könne ihre Teilnahmebereitschaft als Zeichen von Schwäche werten.50 Dabei unterstellen sie, man zeige sich nur mit einer Verweisung einverstanden, wenn man nicht überzeugt sei, über die besseren juristischen Argumente zu verfügen. Zu den strategischen Gründen treten strukturelle Hindernisse wie die Eigeninte­ ressen von Rechtsanwälten, kognitive Hindernisse wie Überrumpelung, Unkenntnis oder rechtskulturelle Hindernisse wie die grundsätzliche Skepsis gegenüber autonomer Konfliktlösung.51 Diese Befürchtungen werden belanglos, wenn man ein Einverständniserfordernis ablehnt.52 Der Vergleich mit der Streitschlichtung nach § 15a EGZPO hinkt, weil der Zeitund Kostenaufwand für die Parteien bei einer vorgerichtlichen Streit­schlichtung größer ist als bei einer innergerichtlichen Verweisung.53 Zwar werden die Kosten der Gütestelle nach § 15a Abs. 4 EGZPO grundsätzlich zu den Kosten des nachfolgenden Rechtsstreits hinzugerechnet.54 Die durch die Gütestelle entstandenen Anwaltskosten können hiervon jedoch ausgenommen werden; vieles ist in diesem Bereich unsicher.55 Vor dem Güterichter sind die Kosten für die Parteien dagegen vorhersehbar.56

Gottwald, BJ 1999, 117, 128 f.; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 53 f.; ders./Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 44; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht); Henderson, 11 Ohio State Journal on Dispute Resolution 105, 146 (1996) (USA); Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 4, 54 (Australien); Marx, ZKM 2010, S. 132 f.; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 390 (Sozialrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 356 (Zivilrecht). 49  McEwen/Milburn, 9 Negotiation Journal 23 (1993) (USA); Gottwald, in: FS Blankenburg, 1998, S. 635, 646; ders., in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 59; Wissler, 17 Ohio State Journal on Dispute Resolution 641, 676 f. (2002) (USA). 50  Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2737, 2742; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 99. 51  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 88; Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 208 f., 211 (Zivilrecht); Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 53. 52  Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 212 (Zivilrecht). 53  Thole, ZZP 127 (2014), 339, 356 (Zivilrecht). 54  Gruber, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 15a EGZPO Rn. 54 (Zivilrecht). 55  Gruber, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 15a EGZPO Rn. 55 f. (Zivilrecht). 56 Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Kosten des Güterichterverfahrens, S. 271.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Die dritte, auf die Freiwilligkeit gestützte Begründung lässt sich aushebeln, indem der Spruchrichter zunächst nur vor den Güterichter verweist und die Parteien nicht unmittelbar in eine Mediation schickt. Nach der Verweisung obliegt es dem Güterichter, das sachgerechte Konfliktbeilegungsverfahren auszuwählen. Zu diesem nachgelagerten Zeitpunkt haben die Parteien auch das Recht, das ausgewählte Konfliktbeilegungsverfahren abzulehnen. Durch dieses nachgelagerte Einverständniserfordernis wird der Freiwilligkeitsmaxime genügt. Hingegen erfordert die Freiwilligkeit nicht, dass die Parteien es verweigern dürfen, sich überhaupt mit dem Güterichter auseinanderzusetzen.57 Hierauf deutet auch Art. 3 lit. a) Satz 2 RL 2008/52/EG hin, in dem es heißt: „[Eine Mediation] kann von den Parteien eingeleitet oder von einem Gericht vorgeschlagen oder angeordnet werden oder nach dem Recht eines Mitgliedstaats vorgeschrieben sein.“ Selbst wenn man die zeitliche Differenzierung für eine Spitzfindigkeit halten wollte, verfängt das Freiwilligkeitsargument auch aus anderen Gründen nicht. Seine Prämisse, Freiwilligkeit sei für ein Güterichterverfahren konstitutiv, trifft in dieser Pauschalität nämlich nicht zu. Generell wird Freiwilligkeit nicht grenzenlos gewährt, sie ist kontextabhängig.58 Für das Güterichterverfahren ist zwischen Abschluss- und Teilnahmefreiheit zu differenzieren.59 Eine angeordnete Verweisung kollidiert nur mit der Teilnahme-, nicht aber mit der Abschlussfreiheit.60 Die Abschlussfreiheit ist für eine Mediation zwar konstitutiv, wie sich aus Art. 3 lit. a) Satz 1 RL 2008/52/EG („auf freiwillliger Basis“) sowie aus ihrem Erwägungsgrund Nr. 13 ergibt. Die Teilnahmefreiheit ist es dagegen nicht.61 Auch Erfahrungswerte zur Schlichtung belegen, dass zwischen einem Zwang zur Aufnahme eines Schlichtungsverfahrens und der freiwilligen Mitarbeit in diesem Verfahren kein Gegensatz bestehen muss.62 Im Übrigen schreiben verschiedene angelsächsische Rechtsordnungen für bestimmte Fallgruppen schon heute einen obligatorischen Mediationsversuch vor, ehe sie den Parteien erlauben, die Gerichte anzurufen.63 Diese Entwicklung belegt, dass die Teilnahmefreiheit heute vielerorts nicht mehr zum Wesenskern der Mediation hinzugezählt wird. Somit 57  Greger, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 119 (Zivilrecht); Keydel, ZKM 2011, 61, 62; Löer, ZKM 2014, 41, 43. 58  Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 390 a. E. (Sozialrecht). 59  Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 34 ff. 60  Gottwald, in: FS Blankenburg, 1998, S. 635, 646; Hess, in: 67. DJT 2008, F16; T ­ hole, ZZP 127 (2014), 339, 356 (Zivilrecht). 61  Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2737, 2742; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 21 (Sozialrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 4 (Zivilrecht). 62  Weiß, in: FS Rolland, 1999, S. 395, 405 (Zivilrecht). 63 Z. B. Benjamin, Assessing CCMA, S. 26 (Südafrika); Genn, Court-Based ADR, 2002, S. 2 (England); Soudrin, in: Alexander (Hrsg.), Global Trends, 2006, S. 37 ff. (Australien).

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

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lässt sich aus der Freiwilligkeitsmaxime kein zwingender Grund für ein Einverständniserfordernis gewinnen.64 Gegen die Relevanz der Beschneidung in prozessualen Rechten wird vom ArbG Hannover argumentiert, dass insoweit die Kausalität des Einverständnisses fehle.65 Selbst wenn das Einverständnis vorliege, könne kein Versäumnisurteil ergehen, und es würde kein rechtliches Gehör gewährt. Diese Argumentation überzeugt jedoch nur zum Teil. Zwar können den Parteien vor dem Güterichter nicht mehr prozessuale Rechte zugestanden werden, wenn sie mit der Verweisung einverstanden sind. Sie können das Güterichterverfahren aber insgesamt überspringen und stattdessen einen Gütetermin vor dem Spruchrichter durchlaufen. Damit stehen ihnen zwei Wege zur Verfügung, nämlich der des mit weniger Rechten aufwartenden Güterichterverfahrens und der des mit mehr Rechten aufwartenden Gütetermins. Ihr Einverständnis ist insofern sehr wohl kausal für den Erhalt der prozessualen Rechte. Das Verzögerungsargument trägt nicht, weil die Verweisung für sich betrachtet nicht verzögert.66 Die Verzögerung durch die Verweisung ist von der oben erörterten Verzögerung durch das Güterichterverfahren zu unterscheiden. Nachdem die Verweisung erfolgt ist, steht es den Parteien frei, das Güterichterverfahren umgehend wieder abzubrechen. Zu diesem Zeitpunkt ist – jedenfalls bei einer anstelle des Gütetermins ausgesprochenen Verweisung – auch noch keine Verzögerung eingetreten.67 Systematisch könnte man gegen ein Einverständniserfordernis argumentieren, dass andere Verweisungstatbestände des GVG auch keines aufweisen, sondern allenfalls ein Anhörungsrecht gewähren.68 Jedoch sind diese anderen Verweisungstatbestände schon wegen ihrer abweichenden prozessualen Folgen nicht mit § 54 Abs. 6 ArbGG vergleichbar.69 Gegen ein Einverständniserfordernis spricht aber die systematische Zusammenschau mit § 54a ArbGG.70 In § 54a Abs. 1 ArbGG ist von einem Vor64 I. E. Bercher/Engel, ZRP 2010, 126, 127 (Zivilrecht); Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2737, 2742; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 21 (Sozialrecht); Greger, AnwBl 2008, 570, 574 (Zivilrecht); ders./Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 4 (Zivilrecht); Hess, in: 67. DJT 2008, F16; Spangenberg, ZKM 2013, 162, 163. 65  ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130. 66  ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130. 67  ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130. 68  Vgl. §§ 17, 17a, 17b Abs. 1, 2 Satz 1 GVG, dazu Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 17 (Sozialrecht). 69  Vgl. hierzu weiter oben den Abschnitt: Prozessuale Folgen der Verweisung vor den Güterichter, S. 67. 70 ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130; Rixen/ Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 390 (Sozialrecht).

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

schlagsrecht die Rede. Unterbreitet man einen nicht ausdrücklich als verbindlich bezeichneten Vorschlag, ist schon begrifflich klar, dass dieser Vorschlag vom Gegenüber auch abgelehnt werden kann. Diese Auslegung wird durch die Formulierung „[e]ntscheiden sich die Parteien zur Durchführung einer Mediation“ in Absatz 2 Satz 1 zusätzlich gestützt.71 Dementsprechend kann es nur mit der Entscheidung der Parteien zu einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung kommen. § 54a ArbGG setzt damit tatbestandlich das Einverständnis voraus. Der abweichende Wortlaut des § 54 Abs. 6 ArbGG deutet nun aber darauf hin, dass für das Güterichterverfahren kein vergleichbares Einverständniserfordernis besteht. Auch die Tatbestandsvoraussetzung des § 54a ArbGG analog heranzuziehen kommt nicht in Betracht, da § 54a ArbGG einen zusätzlichen Verfahrensschritt ermöglicht, der anders als der Gütetermin nicht obligatorisch zu durchlaufen ist.72 Die Interessenlage beider Tatbestände ist damit nicht vergleichbar. Die überwiegenden Argumente führen somit zu dem Ergebnis, dass das Einverständnis der Parteien bei Verweisungen vor dem spruchrichterlichen Gütetermin nicht erforderlich ist. 3.  Rückausnahme bei Vorliegen eines wichtigen Grundes Im Jahre 1989 warf Lubet in den USA die Frage auf, ob den Parteien ausnahmsweise das Recht zugestanden werden sollte, eine Konfliktbeilegung zu verweigern, wenn sie das Vorliegen eines wichtigen Grundes vortragen.73 Für den Güterichter ist eine solche Rückausnahme aber rechtlich nicht erforderlich: Zwar mag das Einverständnis der Parteien für die Verweisung entbehrlich sein. Notwendig ist aber jedenfalls eine Anhörung der Parteien, um den – für den Spruchrichter insoweit geltenden – Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu wahren.74 Ist ein wichtiger Grund gegeben, kann ihn der Spruchrichter in seine Entscheidung einstellen. Unterlässt er es, ist seine Verweisungsentscheidung ermessensfehlerhaft.

C.  Stellungnahme in der Klageschrift Der Spruchrichter soll durch ein möglichst informationsdichtes Umfeld in die Lage versetzt werden, eine wohlüberlegte Verweisungsentscheidung zu treffen. 71 

ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130. ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130. 73  Lubet, 4 Ohio State Journal on Dispute Resolution 235, 239 (1989) (USA). 74  Foerste, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 14 (Zivilrecht); ­Hagel, ZKM 2014, 108; Löer, ZKM 2014, 41, 43. 72 

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

193

Zentrales Informationsinstrument ist für ihn die Klageschrift. Im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts steht deshalb die gemeinsam mit § 54 Abs. 6 ArbGG erlassene Neuregelung des § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Nach einem kurzen Überblick über den Regelungsgehalt der Norm arbeitet dieser Abschnitt heraus, wie sich die Neuregelung zu der Verweisungsentscheidung verhält. I.  Kleines ABC der Stellungnahme gemäß § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO 1.  Regelungsgehalt Nach § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO soll die Klageschrift eine kurze Angabe darüber enthalten, ob vor Klageerhebung eine Mediation oder ein anderes Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung versucht worden ist. Zusätzlich bedarf es einer Angabe, ob einer solchen Konfliktbeilegung für die Zukunft bestimmte Gründe entgegenstehen. Dadurch will die Neuregelung den Spruchrichter über die Konfliktgeschichte aufklären und ihm eine erste Informationsgrundlage für seine Verweisungsentscheidung verschaffen.75 Sie kann so zu einer wertvollen Quelle für die Verweisungskriterien werden. In den Modellprojekten hatte sich die Eignung eines Konflikts oft durch die längeren schriftlichen Verhandlungsvorbereitungen offenbart; dieser Erkenntnis trägt die Neuregelung Rechnung.76 Darüber hinaus soll die Bereitschaft des Klägers für alternative Konfliktbeilegungsverfahren gefördert werden, indem er sich spätestens beim Abfassen der Klageschrift mit der Frage auseinandersetzen muss, ob sich der Konflikt nicht ohne Urteil beilegen lässt.77 Die Beklagtenseite wird durch die Vorschrift nicht adressiert. Ob der zuletzt genannte Regelungszweck durch die Neuregelung tatsächlich erreicht wird, ist jedoch fraglich. Zwar genügt ein schlichtes Ja oder Nein zur Beantwortung der Frage nach entgegenstehenden Gründen nach Maßgabe des Erklärungsgebots nicht aus.78 Dennoch ist zu erwarten, dass die Anwaltschaft über die Zeit formelhafte Textbausteine entwickeln und diese unreflektiert für ihre 75  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 23; Steffek, ZEuP 2013, 528, 535 (Zivilrecht); Unberath, JZ 2010, 975, 979 (Zivilrecht); krit. Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1075, 1078 (Zivilrecht). 76  Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 11. 77  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 20; RegE MediationsG BR-Drs. 60/11, S. 29; Becker-Eberhard, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 253 ZPO Rn. 186 (Zivilrecht); Henssler/Deckenbrock, DB 2012, 159 (Zivilrecht); Leutheusser-Schnarrenberger, ZKM 2012, 72, 73; Steffek, ZEuP 2013, 528, 534 (Zivilrecht); Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1073 (Zivilrecht). 78  Löer, ZKM 2015, 111, 112; ders., in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 2 § 253 ZPO Rn. 4.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Klageschriften verwenden wird.79 Aller Kritik80 an ihrer Schneidigkeit zum Trotz hat die Neuregelung dennoch rechtspolitisch ein Zeichen zugunsten der (außergerichtlichen) alternativen Konfliktbeilegung gesetzt.81 Sie betont die aus § 1 Abs. 3 BORA fließende Verpflichtung der Rechtsanwälte, ihre Mandanten im Vorfeld der Klageerhebung über die alternative Konfliktbeilegung zu informieren und zu beraten; andernfalls können sie sich haftbar machen.82 Bereits hierdurch wirkt die Norm verhaltenssteuernd. Die Praxis handhabt die Neuregelung großzügig. Über die Verweisung in § 46 Abs. 2 ArbGG gilt § 253 ZPO auch für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren. Im Beschlussverfahren ist die Vorschrift im ersten Zugriff nicht anwendbar, da dieses nicht durch Klageerhebung, sondern ausweislich § 81 Abs. 1 ArbGG durch Einreichung eines Antrags eingeleitet wird.83 In Rechtsprechung und Literatur besteht jedoch Einigkeit, dass § 253 ZPO zumindest in Teilen – jedenfalls wohl sein zweiter Absatz – analog heranzuziehen ist.84 Schwieriger ist eine analoge Anwendung bei dem dritten Absatz der Vorschrift, der den Soll-Inhalt der Klageschrift beschreibt. Wie die Arbeit bei den materiellen Verweisungskriterien 79  Henssler/Deckenbrock, DB 2012, 159, 162 (Zivilrecht); Löer, ZKM 2015, 111, 113; Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 80; krit. auch Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1073, 1095 (Zivilrecht); Wendler, DStR 2012, 1881, 1883. 80 Krit. etwa Horstmeier, MediationsG, 2013, S. 177 f.; Löer, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 2 § 253 ZPO Rn. 6; Monßen, in: Schmidt/ Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 80; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1084 (Zivilrecht). 81 Vgl. Althammer, der von einer „sinnvolle[n] Formalie“ spricht, in: Mediation aus unterschiedlichen Perspektiven, 2012, S. 9, 14; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 23; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1073 (Zivilrecht); Wendler, DStR 2012, 1881, 1883. 82  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 20; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht); Ewig, ZKM 2012, 4, 5 (Zivilrecht); Fritz/Schroeder, NJW 2014, 1910, 1912 (Zivilrecht); Jänicke, Wirtschaftsmediation, 2014, S. 206 f.; Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2015, 7, 9 (Zivilrecht); Löer, ZKM 2015, 111, 112; Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 80; Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 167; krit. Greger, der § 1 Abs. 3 BORA insoweit für unzureichend hält, RabelsZ 74 (2010), 781, 790; ders., ZRP 2010, 209, 212; krit. auch Thole, ZZP 127 (2014), 339, 361 (Zivilrecht). 83  Foerste, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, 2018, § 253 ZPO Rn. 4 (Zivilrecht). 84  Für § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO BAG, Beschl. v. 08. 11. 1983, 1 ABR 57/81, BAGE 44, 226, 233; BAG, Beschl. v. 18. 02. 2003, 1 ABR 17/02, BAGE 105, 19, 30; BAG, Beschl. v. 03. 05. 2006, 1 ABR 63/04, NZA 2007, 285, 286; Becker-Eberhard, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 253 ZPO Rn. 190 (Zivilrecht); Greger, in: Greger/Unberath/ Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 28; Hauck, in: Hauck/ Helml/Biebl (Hrsg.), ArbGG, 2011, § 81 ArbGG Rn. 3 ff.; Weth, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 81 ArbGG Rn. 3 m. w. N.

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

195

gezeigt hat, kann eine alternative Konfliktbeilegung zwischen Betriebspartnern durchaus zweckmäßig sein. Die Regelungszwecke des § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entfalten im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren damit ebenso Wirkung wie im Urteilsverfahren oder im Zivilprozess. Eine gleichgelagerte Interessenlage liegt somit vor, sodass auch § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO analog auf das Beschlussverfahren anzuwenden ist. Bei der Lektüre der Neuregelung kommt man nicht umhin zu bemerken, dass sie mit der außergerichtlichen alternativen Konfliktbeilegung etwas reglementiert, was von sich aus eigentlich nicht reglementiert werden will. In der Regel erfolgen die Konfliktbeilegungsversuche der Parteien gerade deswegen außergerichtlich, um sie der Justiz zu entziehen. Indem ihre Durchführung nachgewiesen und ihr Scheitern begründet werden muss, unterwirft man die Konfliktbeilegungsversuche im Nachhinein gerichtlichen Formalien und beraubt sie dadurch eines Teils ihrer charakteristischen Rechtsferne. Feix prognostiziert weiter, über § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO werde die alternative Konfliktbeilegung zur Prozessvoraussetzung abgewertet.85 Selbst wenn man diese Befürchtung nicht teilt, lässt sich nicht leugnen, dass die Rechtsferne der außergerichtlichen Konfliktbeilegung durch die Neuregelung ein Stück weit zurückgedrängt wird. 2.  Verhältnis zu § 15a EGZPO Weiterhin ist zu klären, wie die Neuregelung sich zur obligatorischen Streit­ schlichtung nach § 15a EGZPO verhält. Die nur in wenigen Bundesländern aktiv gelebte Länderöffnungsklausel normiert seit dem Jahre 2000, dass die Zulässigkeit der Klageerhebung in bestimmten Fallgruppen von dem Versuch einer vorgerichtlichen Konfliktbeilegung vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle abhängig gemacht werden kann.86 Der Gesetzgeber nahm dabei eine Rechtszersplitterung in Kauf, um die in einzelnen Ländern vorhandenen Schlichtungsstrukturen zu nutzen und den Versuchscharakter der Neuregelung zu betonen.87 Rechtstechnisch erklärte er die Bescheinigung eines erfolgslosen Güteversuchs für ausgewählte Fallgruppen in § 15a ­EGZPO zur Prozessvoraussetzung. Die Fallgruppen decken in § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EGZPO mit Streitigkeiten nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz allerdings nur einen sehr kleinen Bereich der arbeitsrechtlichen Konfliktfelder ab. Im Übrigen ist die Vorschrift im Arbeitsrecht weithin unbedeutend, zumal

85 

Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 26 (Zivilrecht). Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konflikt­lösung, 2016, E Rn. 15; Gruber, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 15a EGZPO Rn. 1 (Zivilrecht). 87  Stickelbrock, JZ 2002, 633, 634 (Zivilrecht). 86 

196

2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

dem Regelungszweck bereits durch die §§ 54, 57 Abs. 2 ArbGG Rechnung getragen wird.88 Durch den Güterichter wird die obligatorische Streitschlichtung nicht tangiert, weil beide zu unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzen und schon deswegen nicht miteinander konkurrieren.89 Vor den Güterichter kann erst nach Klageerhebung verwiesen werden, während die Streitschlichtung vor Klageerhebung einzuleiten wäre. Die Beurteilung des Verhältnisses der obligatorischen Streitschlichtung zu § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO erweist sich als schwieriger. § 15a EGZPO regelt ein anderes Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung. Demnach müsste die Stellungnahme nach § 253 ZPO auch obligatorische Streitschlichtungen abdecken. § 15a Abs. 1 Satz 2 EGZPO bestimmt jedoch schon selbst, dass der Kläger eine von der Gütestelle ausgestellte Bescheinigung über den Einigungsversuch zusammen mit der Klage bei Gericht einzureichen hat. Eine zusätzliche Stellungnahme nach Maßgabe des § 253 ZPO über denselben Güteversuch scheint daher auf den ersten Blick überflüssig. Beim näheren Hinsehen zeigen sich jedoch Abweichungen zwischen der Bescheinigung nach § 15a EGZPO und der Stellungnahme nach § 253 ZPO. Diese Abweichungen betreffen die Angabe von Gründen. So bestimmt § 15a Abs. 1 Satz 2 EGZPO, dass bei Erfolglosigkeit des Güteversuchs eine Bescheinigung darüber auszustellen ist.90 Die inhaltlichen Anforderungen an diese Bescheinigung variieren von Bundesland zur Bundesland.91 Muss die Bescheinigung keine näheren Gründe für das Scheitern angeben, wie es im nordrhein-westfälischen § 13 Abs. 2 GüSchlG NRW92 der Fall ist, kann eine ausführlichere Angabe auf Grundlage von § 253 ZPO sinnvoll sein. Doch selbst bei Bestehen einer Begründungspflicht kann eine zusätzliche Stellungnahme geboten sein. Nach dem bayerischen Art. 4 Abs. 3 BaySchlG93 hat die Bescheinigung dann, wenn der Schlichter einen Konflikt für schlichtungsuntauglich erklärt, die seiner Einschätzung zugrunde liegenden Erwägungen zu enthalten. Dadurch wird eine Stellungnah88 

Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 21 Rn. 29. Stöber, JA 2014, 607, 611 f. (Zivilrecht). 90  Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 142 (Zivilrecht). 91 Rechtsausschuss zum RegE BT-Drs. 14/1306, S. 3; Gruber, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2017, § 15a EGZPO Rn. 48 (Zivilrecht); Jenkel, Streitschlichtungsversuch, 2002, S. 249 f. (Zivilrecht). 92  Gesetz über die Anerkennung von Gütestellen i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung und die obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung in Nordrhein-Westfalen (GüSchlG NRW), i. d. F. v. 06. 06. 2000, GV. NRW., Nr. 32/2000, S. 475 ff. 93 Bayerisches Gesetz zur obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung in Zivilsachen und zur Änderung gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften (BaySchlG), i. d. F. v. 25. 04. 2000, GVBl. Nr. 11/2000, S. 268 ff. 89 

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

197

me nach § 253 ZPO allerdings nur in puncto Schlichtung überflüssig. Im Übrigen ist sie weiterhin sachgerecht, da eine fehlende Eignung zur Schlichtung keine fehlende Eignung zu einer güterichterlichen Mediation bedeuten muss. Mithin machen die Bescheinigung nach § 15a EGZPO und die Stellungnahme nach § 253 ZPO einander nicht gegenseitig überflüssig, sondern sind kumulativ erforderlich. II.  Auswirkungen der Stellungnahme auf die Verweisungsentscheidung Die von § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO geforderte Angabe kann dem Spruchrichter als Informationsquelle dienen, mittels derer er den Konflikt unter die Verweisungskriterien subsumieren kann.94 Neben dem Inhalt der Stellungnahme ist bedeutsam, ob und wozu sich die Parteien im Einzelnen geäußert haben. Der folgende Abschnitt versucht, die Auswirkungen auf die Verweisungsentscheidung des Spruchrichters für die verschiedenen Szenarien einer Stellungnahme zu skizzieren. 1.  Angabe der Konfliktgeschichte Verlautbart der Kläger, man habe erfolglos eine außergerichtliche Konfliktbeilegung unternommen, ist seine Angabe für die Verweisungsentscheidung von geringer Aussagekraft.95 Aussagekräftiger ist sie dagegen für die Entscheidung des Spruchrichters darüber, ob er von seinem Vorschlagsrecht nach § 54a ArbGG Gebrauch macht.96 Man könnte meinen, eine Verlautbarung sei zugleich ein Indiz gegen eine Verweisung vor den Güterichter. Warum sollte man die Parteien schließlich wiederholen lassen, was bereits gescheitert ist? Dieser Schluss unterstellt freilich, dass sich eine außergerichtliche Konfliktbeilegung und ein Güterichterverfahren gleichsetzen lassen. Auf ihre Unterschiede wird im Rahmen der funktionellen Verweisungskriterien vertieft eingegangen werden.97 Mehr als ein erster Anhaltspunkt gegen ein Güterichterverfahren lässt sich dieser Angabe daher nicht entnehmen. In Konflikten mit vorausgegangenen Beilegungsversuchen könnte die Lösung gleichwohl darin liegen, ein anderes Konfliktbeilegungsverfahren oder einen anderen Verfahrensleiter auszuprobieren. Bei der Vielzahl an Möglichkeiten ist nicht auszuschließen, dass die Parteien beim ersten Anlauf ein für sie ungeeigne94  Ahrens, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht); Unberath, JZ 2010, 975, 979 (Zivilrecht). 95 Krit. Weitz, Gerichtsnahe Mediation, 2008, S. 197 (Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht). 96  Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54a ArbGG Rn. 20. 97 Eingehend hierzu unten in dem Abschnitt: Funktionelle Verweisungskriterien, S. 202.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

tes Verfahren herausgegriffen haben, ein anderes ihnen aber zu einem zufriedenstellenden Ergebnis verholfen hätte. Die Angabe der Konfliktgeschichte in der Klageschrift sagt insoweit wenig über eine Verweisungseignung aus. Gleiches gilt, wenn der Kläger in der Klageschrift verlautbart, man habe einen Teil des ursprünglichen Konflikts außergerichtlich beilegen können, einen anderen Teil jedoch nicht. 2.  Angabe von Gründen Gibt der Kläger an, dass Einigungsbemühungen keine Aussicht auf Erfolg haben werden, sind die im Einzelnen angeführten Gründe zu untersuchen. Formell müssen die Gründe konkret und nachvollziehbar sein, um den Anforderungen des § 253 ZPO zu genügen.98 Materiell vermögen sie allenfalls einen Hinweis darauf bieten, weshalb sich eine alternative Konfliktbeilegung schwierig gestalten würde.99 Führt der Kläger beispielsweise an, die Beziehung der Parteien sei zerrüttet und eine sachliche Gesprächsführung deswegen nicht möglich, muss die Zerrüttung nicht in jedem Fall gegen ein Güterichterverfahren sprechen. Stattdessen kann es gerade sinnvoll sein, sich vor dem Güterichter auf die Beziehungsebene zu fokussieren.100 Gleiches gilt, wenn der Kläger mit fehlender Freiwillligkeit argumentiert.101 In jedem Fall muss sich der Spruchrichter vergegenwärtigen, dass die Klageschrift nur die Sicht einer Partei widerspiegelt, es zu einem erfolgreichen Güterichterverfahren aber beider Parteien bedarf. Beruft sich der Kläger auf unlautere Absichten oder Persönlichkeitsstörungen der Gegenseite, spricht dieser Umstand – in Verbindung mit der durch eine solche Angabe bei der anderen Partei bewirkten Provokation102 – dagegen, die Parteien vor einen Güterichter zu verweisen.103 Ähnlich liegt es, wenn eine Partei eine grundlegende Rechtsfrage durch das Gericht klären lassen möchte oder ein Präjudiz begehrt. Soweit man die Befürchtung äußert, dass eine Partei, die angibt, sich einer Konfliktbeilegung zu verweigern, von vornherein die Missgunst des Richters auf sich ziehen könnte, sollte dieses Risiko indes nicht höher als ohnehin schon ein98 

Steffek, ZEuP 2013, 528, 535 (Zivilrecht). Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1097 (Zivilrecht); a. A. Fritz, demzufolge eine Verweisung ausscheidet, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 22. 100  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 32. 101  Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1096 (Zivilrecht). 102  Trossen rät im Interesse der Deeskalation (vgl. § 1 Abs. 3 BORA) von entsprechenden Formulierungen in der Klageschrift ab, Mediation, 2014, Rn. 1094 (Zivilrecht). 103  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 43. 99 

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

199

gestuft werden. Jedenfalls würde ein Richter, der eine übermäßige Voreingenommenheit erkennen lässt, sich dem Vorwurf der Befangenheit aussetzen.104 3.  Fehlende Angabe Anders als bei der Parallelnorm des § 23 Abs. 1 Satz 3 FamFG sollen die Parteien bei § 253 ZPO nicht nur in geeigneten Fällen Stellung nehmen, sondern in allen Fällen.105 Es sind daher keine Konstellationen denkbar, in denen eine Stellungnahme von vornherein entbehrlich wäre. Die Angabe von Gründen nach Variante 2 kann sich hingegen unter Umständen erübrigen. Befürwortet der Kläger beispielsweise eine alternative Konfliktbeilegung, ist er nicht verpflichtet, seine Beweggründe anzugeben, da der Normwortlaut nur nach Gründen gegen solche Verfahren fragt.106 Hier genügt die schlichte Angabe, dass keine entgegenstehenden Gründe vorliegen. Kommt eine Konfliktbeilegung erkennbar nicht in Betracht, reduziert sich die Begründungspflicht.107 Anders liegt es, wenn eine außergerichtliche Konfliktbeilegung erfolglos versucht wurde.108 Im Übrigen ist anzumerken, dass § 253 Abs. 3 ZPO nur den erwünschten und nicht den notwendigen Inhalt der Klageschrift benennt. Diesen Umstand lassen bereits das Wort soll im Eingangssatz des Absatz 3 und die systematische Zusammenschau mit Absatz 2 erkennen. Die Nichteinhaltung seiner Vorgaben berührt die Zulässigkeit der Klageerhebung daher nicht.109 Zu weitgehend ist daher die von Greger begründete Auffassung, der Spruchrichter könne fehlende oder unvollständige Angaben nachfordern und in der Zwischenzeit von der Klagezustellung absehen, um seiner Forderung mehr Nachdruck zu verleihen.110 Zwar würde der Neuregelung auf diesem Wege größeres Gewicht eingeräumt. Nach § 271 Abs. 1 104 

Althammer, in: Mediation aus unterschiedlichen Perspektiven, 2012, S. 9, 15. RegE MediationsG, BT-Drs. 17/5335, S. 22. 106  Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1087 (Zivilrecht). 107  Trossen, der sich sogar für ein Entfallen der Begründungspflicht ausspricht, Mediation, 2014, Rn. 1085 (Zivilrecht). 108  Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1085 (Zivilrecht); a. A. Greger, demzufolge nur dann über die Gründe Auskunft gegeben werden muss, wenn kein Konfliktbeilegungsversuch vorangegangen ist, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 30. 109  Becker-Eberhard, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 253 ZPO Rn. 186 f. (Zivilrecht); Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 84; Duve, ZKM 2012, 108, 109; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 38; Löer, ZKM 2015, 111, 112. 110  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 4 (Zivilrecht); Greger, in: Greger/ Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 36; Steffek, ZEuP 2013, 528, 535 (Zivilrecht); krit. Löer, ZKM 2015, 111, 112 f.; ders., in: Klowait/ Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 2 § 253 ZPO Rn. 5 a. E.; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1088, 1102 f. (Zivilrecht). 105 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

ZPO ist die Klage aber unverzüglich zuzustellen. Im Arbeitsrecht wird der Normappell zusätzlich durch den Beschleunigungsgrundsatz effektuiert. Wenn das Absehen von der Klagezustellung zu einer Verfahrensverzögerung führt, würde sich der Richter dem widersetzen.111 Auch im Wortlaut des § 253 ZPO findet eine derartige Sanktionierung fehlender Angaben keine Stütze. Der Richter ist deshalb nicht berechtigt, die Klagezustellung sanktionshalber hinauszuzögern. Es steht ihm dafür frei, unzureichenden Begründungen im Laufe des Verfahrens durch eine richterliche Aufklärungsverfügung zu begegnen.112 Weitreichende rechtliche Folgen zeitigt eine fehlende Angabe somit nicht. Faktisch kann sie sich dennoch auf die Verweisungsentscheidung auswirken: Der Spruchrichter wird versuchen, sich durch gezieltes Nachfragen eine Informationsgrundlage für seine Entscheidung zu verschaffen. Einer spontan vor Gericht geäußerten Ablehnung wird er nicht die Bedeutung beimessen, die er einer im Vorhinein getroffenen und in der Klageschrift sorgfältig begründeten Stellungnahme zugestehen wird.113 4.  Besonderheit arbeitsrechtlicher Klagefristen Eine Besonderheit ergibt sich durch die arbeitsrechtlichen Fristenregelungen. Gesetzliche Klagefristen wie §§ 4 Satz 1, 7 Halbsatz 1 KSchG, 17, 21 TzBfG und tarifliche Ausschlussfristen gemäß § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG zwingen die Parteien, zeitnah Klage einzureichen, wodurch weniger Raum für vorgerichtliche Konfliktbeilegungsversuche verbleibt.114 Ist ein Streit wegen einer solchen Frist bei einem Arbeitsgericht angelangt, sollte der Spruchrichter der Angabe anderer Gründe nach § 253 ZPO mehr und der Angabe des Fehlens vorangegangener Einigungsversuche weniger Bedeutung beimessen.

D.  Ergebnis Die Verweisung vor den Güterichter kann die Beendigung des gerichtlichen Verfahrens insgesamt verzögern, sie muss es aber nicht. Der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz ist bei der Auslegung und bei der Anwendung des § 54 Abs. 6 ArbGG zwar zu berücksichtigen, steht einer Verweisung aber nicht grundsätzlich entgegen. 111 

Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1103 (Zivilrecht). Löer, ZKM 2015, 111, 112. 113  Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 167. 114  Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 289 ff.; Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 33; Trams, Mediationsvereinbarung, 2008, S. 130 ff. 112 

§ 7  Formelle Verweisungskriterien

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Beabsichtigt der Spruchrichter, die Parteien während des spruchrichterlichen Gütetermins oder im Anschluss an diesen vor den Güterichter zu verweisen, ist das Güterichterverfahren wie die Fortsetzung eines Gütetermins zu behandeln. Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 5 ArbGG setzt die Verweisung in diesem Fall rechtlich voraus, dass die Parteien ihr zustimmen. Bei einer zeitlich vor dem Gütetermin beabsichtigten Verweisung ist es dagegen umstritten, ob das Einverständnis der Parteien einzuholen ist; nach zutreffender Ansicht setzt die Verweisung das Einverständnis der Parteien dann nicht voraus. Die gemäß § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO erforderliche Angabe in der Klageschrift kann dem Spruchrichter eine erste Informationsgrundlage für seine Verweisungsentscheidung bieten. Die Bescheinigung nach § 15a EGZPO und die Stellungnahme nach § 253 ZPO sind kumulativ erforderlich und machen einander nicht entbehrlich.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien Die Schwierigkeit bei einer Verweisung liegt darin, dass der Spruchrichter den Ausgang des Güterichterverfahrens im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht kennt. Zwar vermitteln ihm die materiellen Verweisungskriterien Wahrscheinlichkeiten. Absolute Gewissheit hat er jedoch in aller Regel erst im Nachhinein. Er muss sich deshalb auf eine Folgenabwägung beschränken, ähnlich wie sie das BVerfG im Eilrechtsschutz nach § 32 BVerfGG vornimmt.1 Zunächst muss er danach fragen, welche Folgen eintreten, wenn er die Parteien nicht verweist, das Güterichterverfahren aber erfolgreich wäre. Sodann muss er die Folgen abschätzen, die entstehen, wenn er die Parteien verweist, sich das Güterichterverfahren aber als erfolglos erweist. Schließlich muss er die Folgen beider Szenarien gegeneinander abwägen. Über die Folgen, die entstehen, wenn der Spruchrichter die Parteien nicht verweist, entscheidet dabei der prozessuale Kontext des Güterichterverfahrens. Beschließt der Spruchrichter, die Parteien nicht zu verweisen, eröffnen sich ihm zwei andere Wege: der Weg eines eigenen Gütetermins und der Weg, den Parteien eine außergerichtliche Konfliktbeilegung vorzuschlagen. Bislang wurde erörtert, wann ein Konflikt materiell und formell für ein Güterichterverfahren geeignet ist. Im Interesse einer differenzierten Konfliktzuweisung sollte ein Güterichterverfahren aber nur dann eingeleitet werden, wenn es einen Mehrwert gegenüber den Alternativen verspricht.2 Im Rahmen der funktionellen Verweisungskriterien wird das Augenmerk deshalb nun darauf gerichtet, wann der Güterichter – bei relativer Betrachtung – für einen Konflikt besser geeignet ist als andere Verfahrenswege.

A.  Einführung in die Vergleichsmethodik Funktionelle Verweisungskriterien lassen sich aus dem systematischen Vergleich zweier Verfahren extrahieren. Doch wie vergleicht man Verfahren miteinander, welcher Vergleichsmethodik bedient man sich? In der Sozial- und in der Politikwissenschaft sind systematische Vergleiche etabliert.3 In der Rechtswis1  BVerfG, Urt. v. 21. 10. 1987, 1 BvR 1048/87, BVerfGE 77, 130, 135; BVerfG, Urt. v. 26. 07. 1989, 1 BvR 685/89, BVerfGE 80, 360, 365. 2  Probst, in: FS Reuter, 2010, S. 1309, 1320; Sander/Rozdeiczer, 11 Harvard Negotiation Law Review 1 f. (2006) (USA): „One of the most challenging problems in the field of alternative methods of dispute resolution (ADR) is deciding which process or processes […] are most appropriate for a particular dispute“; Seibert, NVwZ 2008, 365, 367 (Verwaltungsrecht); Steinhauff, SteuK 2013, 160, 162 (Steuerrecht). 3  Jahn, Vergleichende Politikwissenschaft, 2013, S. 163 ff.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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senschaft trifft man sie primär in der Rechtsvergleichung an, national spielen sie selten eine Rolle. Allenfalls treten sie in der systematischen Auslegung zutage. Diese Auslegung fußt auf der Grundannahme, dass die Rechtsordnung insgesamt widerspruchsfrei aufgebaut ist und deshalb eine Norm im Wege der Zusammenschau Rückschlüsse auf eine andere Norm erlaubt.4 Vergleiche zeichnen sich durch die Gegenüberstellung von Sachverhaltsmerkmalen anhand zuvor bestimmter Kriterien aus.5 Über sie kann Unbekanntes dargestellt, typologisiert, kategorisiert und dadurch Spezifisches herausgehoben werden. Für die Gegenüberstellung muss die Realität allerdings auf ein messbares Niveau an Variablen von Verfahrenssubjekten, -gegenstand, -ablauf und -ergebnis kondensiert und von nahezu idealtypischen Zuständen ausgegangen werden. Ein Vergleich muss generalisieren und sich auf die wesentlichen Eigenschaften beschränken, um nicht auszufasern. Die Auswahl der Vergleichskriterien ist dabei eine wichtige Stellschraube, die sich entscheidend auf das Ergebnis des Vergleichs auswirken kann. Sie ist darauf abzustimmen, was genau durch den Vergleich gezeigt werden soll. I.  Vergleichende Methode Eines der wenigen Beispiele für einen systematischen Vergleich des Güterichterverfahrens mit anderen Verfahren findet sich bei Bäumerich.6 Sein Vergleich dient allerdings einem anderen als dem hiesigen Zweck, da er versucht, Gemeinsamkeiten zwischen dem Güterichter und dem außergerichtlichen Mediator aufzuzeigen, um die Konkurrenz der beiden zueinander zu belegen. Hierfür unternimmt er zunächst einen Tätigkeitsvergleich, für den er sich zweier Vergleichsmodelle bedient: das Projekt-Modell und der Selbstbestimmungsgradient. Wie der Selbstbestimmungsgradient wurde auch das einst von Breidenbach entworfene Projekt-Modell ursprünglich zur Gegenüberstellung verschiedener Mediationstypen erdacht. Das Wort Projekt verwendet Breidenbach dabei weniger i. S. e. Unternehmung, sondern mehr in Richtung der Worte Ansinnen oder Ziel.7 Insgesamt unterscheidet das Modell fünf Mediationstypen anhand ihrer Zielsetzung.8 Die Zielsetzung entnimmt es den Verfahrensprinzipien, die in der jeweiligen Mediation am stärksten gewichtet sind: das auf eine effiziente, schnel4 

Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, S. 145 ff., 263 ff. Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 63; Preibisch, Außergerichtliche Vorverfahren, 1982 (Zivilrecht). 6  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 64 ff. 7  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 64 Fn. 12. 8  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 212 ff.; instruktiver Überblick bei Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 26 ff. 5 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

le und kostengünstige Einigung ausgerichtete Service-Delivery-Projekt,9 das auf die Selbstbestimmung der Parteien fokussierte Individual-Autonomy-Projekt,10 das auf die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit gerichtete Access-toJustice-Projekt,11 das auf die Versöhnung abstellende Reconciliation-Projekt12 sowie zuletzt das auf eine Veränderung der Gesellschaft konzentrierte ­Social-Transformation-Projekt.13 Im Projekt-Modell zeigt sich, in welch hohem Maß Vergleiche generalisieren und von idealtypischen Zuständen ausgehen. Eine Mediation wird sich selten eindeutig in die Kategorien Breidenbachs einsortieren lassen. Ebenso bereitet die Grundausrichtung des Güterichterverfahrens Anlass zur Diskussion. Bäumerich vertritt die Auffassung, das Güterichterverfahren diene in erster Linie dazu, die Gerichte zu entlasten. Dadurch stehe es dem auf eine schnelle und kostengünstige Einigung ausgerichteten Service-Delivery-Projekt am nächsten.14 Nach hier vertretener Auffassung diente die Einführung des Güterichters jedoch zugleich auch anderen Zielen, wie der Förderung der einvernehmlichen Konfliktbeilegung, der Versöhnung i. S. d. Reconciliation-Projekts und der parteilichen Selbstbestimmung i. S. d. Individual-Autonomy-Projekts, die beide zu den Voraussetzungen der Nachhaltigkeit der Konfliktbeilegung zählen. Solche Motivbündel lassen sich durch das Projekt-Modell, das stets nach dem einen Primaten unter den Zielen fragt, nicht abbilden. Das Projekt-Modell ist deswegen eine zu grobe Schablone. Für die Differenzierung verschiedener Mediationsstile eignet sich das Vergleichsmodell, für die Gegenüberstellung von Güterichterverfahren und außergerichtlicher Mediation ob ihrer einzelfallabhängigen Gestalt aber eignet es sich weniger. Für die Verweisungsentscheidung bei § 54 Abs. 6 ArbGG bietet es allenfalls eine erste Orientierung. Ein weiteres von Glasl begründetes und von Bäumerich weiterentwickeltes Vergleichsmodell ist das des Selbstbestimmungsgradienten.15 Es unterscheidet Verfahren anhand ihres Verhältnisses von Fremd- zur Selbstbestimmung und verortet sie auf einer Skala.16 Am stärksten fremdbestimmt ist das streitige Gerichtsverfahren, dicht gefolgt vom Schiedsverfahren. Ihm folgen die Schlichtung, 9 

Breidenbach, Mediation, 1995, S. 213 ff. Breidenbach, Mediation, 1995, S. 224 ff. 11  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 232 ff. 12  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 237 ff. 13  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 242 ff. 14  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 76 f. 15  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 71 ff.; Glasl, Konfliktmanagement, 2013, S. 395 ff.; Wendenburg, der die Parteiautonomie als Maßstab für die Beurteilung der Qualität von Konfliktbeendigung in einer Mediation untersucht, Schutz in der Mediation, 2013, S. 72 ff., 33 ff. 16  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 71. 10 

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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die Mediation und zuletzt die am stärksten selbstbestimmte Moderation.17 Auch die Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der einzelnen Verfahrenstypen lassen sich auf der Skala verorten.18 Beispielsweise kann innerhalb der Mediation zwischen bewertenden, fördernden und umgestaltenden Mediationsverfahren mit zunehmender Selbstbestimmung unterschieden werden.19 Das Güterichterverfahren verortet Bäumerich als fördernde mit Tendenz zur bewertenden Mediation.20 Fördernd sei sie, weil der Güterichter in vergleichsweise kurzer Zeit dafür sorgen müsse, dass die Parteien einen nachhaltigen Kompromiss fänden.21 Bewertend sei sie, weil dem Güterichter rechtliche Einschätzungen gestattet seien.22 Der Selbstbestimmungsgradient ähnelt dem, was hier im Rahmen von Parteiautonomie und Rolle der Parteien untersucht wird. Der Verfahrensvergleich anhand des Selbstbestimmungsgradienten gibt darüber Aufschluss, welches Verfahren von mehr Parteiautonomie geprägt ist. Mehr kann ihm nicht entnommen werden. Für die Verweisungsentscheidung bedarf es eines umfassenderen Vergleichs der Verfahrensalternativen. Wie verglichen wird, hängt davon ab, was herausgefunden werden soll. Die beiden vorgenannten Vergleichsmodelle sind für den hiesigen Zweck – die Suche nach Verweisungskriterien für den Spruchrichter – zu undifferenziert. Sie ermöglichen nur eine Verortung der Verfahren auf einer eindimensionalen Skala und klammern dabei zu viele Verfahrensspezifika aus. Gleichzeitig ist es im Interesse der Praktikabiliät nicht ratsam, dem Spruchrichter verschiedene, jeweils für sich unzureichende, theoretische Vergleichsmodelle an die Hand zu geben, die unverbunden nebeneinanderstehen. Im folgenden Abschnitt soll stattdessen ein umfassender Vergleich des Güterichterverfahrens und seiner direkten Alternativen durchgeführt werden. Ziel dieses Gesamtvergleichs ist es, die Unterschiede herauszuarbeiten, die den Ausschlag dafür geben, dass manche Konflikte mehr für das Güterichterverfahren als für den Gütetermin geeignet sind.23 Aufgeschlüsselt nach Rahmenbedingungen, Rolle der Beteiligten und Verfahrensbeendigung werden die Strukturelemente und Spezifika der Verfahren einander schrittweise herausgearbeitet und miteinander verglichen. Zwar wird nicht jedes Spezifikum in jedem Konflikt relevant. 17 

Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 71 f. Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 73. 19  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 73. 20  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 77. 21  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 77. 22  Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 17; Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 77. 23 Krit. Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 21 (Australien): „There is a lack of clearly articulated indicators of civil justice generally which could be used as benckmarks against which ADR is measured“. 18 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Die vorliegende Untersuchung soll dem Spruchrichter jedoch ein ausdifferenziertes Angebot an die Hand geben, aus dem er schöpfen kann. Die von Breidenbach, Glasl und Bäumerich angestellten Erwägungen werden dabei inzident fruchtbar gemacht. Maßstab des Vergleichs soll es sein, weshalb sich ein Konflikt gerade für die Verweisung eignet, und nicht, wie ungeeignet er für den Gütetermin oder für beide Verfahrenswege ist. Gesucht wird daher nach Unterschieden. Die zahlreichen Gemeinsamkeiten, deren Suche Bäumerichs Ziel war, bleiben dagegen ausgeklammert. Schließlich soll die Verweisung bewirken, dass das für die Rechtssuchenden attraktivste Verfahren beschritten wird. II.  Komponenten eines Vergleichs Als Komponenten für einen Vergleich bieten sich neben dem Güterichterverfahren der spruchrichterliche Gütetermin und die außergerichtliche Konfliktbeilegung an. 1.  Gütetermin nach § 54 Abs. 1 ArbGG Die vorderste Alternative zu einem Güterichter ist das herkömmliche Gerichtsverfahren. Letzteres bietet mit dem in § 54 Abs. 1 ArbGG geregelten konventionellen Gütetermin eine etablierte Möglichkeit. Dieser Gütetermin ist organisatorisch und personell eng mit dem gerichtlichen Verfahren verknüpft. In der zentralen Vorschrift des § 54 Abs. 1 ArbGG heißt es: „Die mündliche Verhandlung beginnt mit einer Verhandlung vor dem Vorsitzenden zum Zwecke der gütlichen Einigung der Parteien“. Das vorderste Ziel des Gütetermins ist danach, den Parteien die Gelegenheit zu einer einvernehmlichen Beilegung ihres Konflikts zu geben; daneben dient er auch zur Vorbereitung des streitigen Verfahrens.24 Die Parteien sollen – so das LAG München – „das Streitverhältnis unbefangen und ohne Präjudiz für den eventuellen streitigen Prozeß erörtern können, […] ihre Meinungsverschiedenheiten offen und ohne Rücksicht auf prozessuale Vorschriften darlegen und in jeder Hinsicht frei reden können“.25 Prozessual ist der arbeitsrechtliche Gütetermin, wie sich der Eingangsformulierung in § 54 Abs. 1 ArbGG entnehmen lässt, Teil der mündlichen Verhandlung.26 24  Vgl. bereits Kahn-Freund, JW 1930, 388; ferner Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 6; Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 1; Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 7 (Zivilrecht); Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 54 ArbGG Rn. 1; Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 23. 25  LAG München, Urt. v. 24. 01. 1989, 2 Sa 1042/88, NJW 1989, 1502, 1503. 26  Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 11; Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 22; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 349 (Zivilrecht).

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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Die verfahrensrechtlichen Vorschriften der mündlichen Verhandlung gelten damit grundsätzlich auch für ihn.27 Hierdurch unterscheidet er sich von seinem zivilprozessualen Pendant in § 278 Abs. 2 ZPO.28 Im Beschlussverfahren gilt § 54 Abs. 1 ArbGG fakultativ, vor den Landesarbeitsgerichten und dem Bundesarbeitsgericht ist er unanwendbar.29 Im Vergleich zur mündlichen Verhandlung ist die Entscheidungsgewalt des Spruchrichters, der ohne seine Beisitzer im Gütetermin nur einen Teil des späteren Entscheidungsgremiums repräsentiert, im Gütetermin auf die in § 55 Abs. 1 ArbGG genannten Entscheidungen beschränkt. Beispielsweise ist er nach § 55 Abs. 3 ArbGG nicht befugt, ohne die Zustimmung der Parteien ein verfahrensbeendendes Urteil zu fällen. Die Einschränkungen entfernen ihn von der klassischen Richterrolle und nähern ihn der eines Güterichters an. Angesichts dessen überrascht es wenig, dass dem Gütetermin verschiedentlich ein mediativer Charakter nachgesagt wurde.30 Der Ablauf eines Gütetermins ist im Gesetz nur rudimentär geregelt. In der Regel wird der Spruchrichter die Erfolgsaussichten der Klage ansprechen, auf rechtliche Probleme und Risiken hinweisen und den Parteien seine Einschätzungen mitteilen. Die Mitteilung der Erfolgsaussichten verstärkt bei den Parteien zumeist die Vergleichsbereitschaft – ihr Vergleich ist insofern „keine echte Alternative zur Entscheidung, sondern eher die taktische […] Vorwegnahme des zu erwartenden Urteils“.31 2.  Vorschlagsrecht nach § 54a ArbGG Gemäß § 54a ArbGG kann der Spruchrichter den Parteien vorschlagen, ihren Konflikt in eine außergerichtliche Konfliktbeilegung zu überführen und das gerichtliche Verfahren derweil zu unterbrechen.32 Für die Parteien hat der Vorschlag 27 

Schmädicke, NZA 2007, 1029, 1030. Gesetz zur Reform des Zivilprozesses BT-Drs. 14/4722, S. 62; Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 6 (Zivilrecht); Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 12 (Zivilrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 349 (Zivilrecht). 29  Zum Beschlussverfahren § 80 Abs. 2 Satz 2 ArbGG; Müller-Glöge, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 72 ArbGG Rn. 58; Schleusener, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 64 ArbGG Rn. 127. 30  Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 43; Francken, NJW 2006, 1103, 1105; Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 235 f.; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 235; Löer, ZZP 119 (2006), 199, 202 f. (Zivilrecht); Notter, DB 2004, 874; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 382 (Sozialrecht). 31  So bereits Röhl, in: Wassermann (Hrsg.), AK-ZPO, 1987, § 279 ZPO Rn. 3 (Zivilrecht). 32  Parallelnormen zu § 54a ArbGG sind § 36a FamFG und § 278a ZPO. Letzterer ist nach § 173 Satz 1 VwGO, § 202 SGG und § 155 FGO auch im verwaltungs-, sozial- und finanzgerichtlichen Verfahren anzuwenden. 28 RegE

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

rein appellativen Charakter. Die Vorschrift, die in einem Zuge mit dem Güterichter eingeführt wurde, ist im Urteils-, im Berufungs- und im Beschlussverfahren anwendbar.33 Nicht anwendbar bleibt sie damit nur im Revisions- und im Rechtsbeschwerdeverfahren.34 Sofern die Parteien sich entscheiden, dem Vorschlag des Spruchrichters zu entsprechen, orientiert sich das darauf folgende außergerichtliche Verfahren an den jeweils üblichen Vorschriften. § 54a ArbGG fungiert insofern als Überleitungsnorm ohne weitergehenden Regelungsgehalt. Entscheiden sich die Parteien beispielsweise für eine Mediation, folgt diese dem MediationsG.35 Wegen ihres Ausgangspunkts beim Gericht werden die § 54a ArbGG-Verfahren als gerichtsnah bezeichnet.36 Was den rechtshängigen Prozess anbelangt, ordnet der Spruchrichter dessen Ruhen an.37 Zeitlich begrenzt wird dieses Ruhen durch die Regelung in § 54a Abs. 2 Satz 2, 3 ArbGG, die der Wahrung des arbeitsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatzes dient.38 Während das Güterichtermodell die alternative Konfliktbeilegung in das gerichtliche Verfahren integriert, führt das Vorschlagsrecht die Parteien wieder zurück in den außergerichtlichen Bereich. Bemerkenswert wird es dadurch, dass der Konflikt im Zeitpunkt des Vorschlags bereits rechtshängig ist. Das Verfahrensrecht ermöglicht in § 54a ArbGG also einen Übergang in das außergerichtliche Verfahren, obwohl sich der Wille der Parteien durch die Klageerhebung bereits manifestiert hat. Im Übrigen ist § 54a ArbGG wenig revolutionär. Wenngleich er in der Praxis selten genutzt wurde,39 ermöglichte § 278 Abs. 5 Satz 2 ZPO a. F. nämlich bereits seit dem Jahre 2002, eine außergerichtliche Streitschlichtung vorzuschlagen.40 Innovativ bleiben an der Neuregelung in § 54a ArbGG damit

33 RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 20; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54a ArbGG Rn. 31. 34  Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54a ArbGG Rn. 6. 35  Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278a ZPO Rn. 4 (Zivilrecht); ­Hohmann, ArbGG, 2014, § 54a ArbGG Rn. 1. 36  Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278a ZPO Rn. 4 (Zivilrecht); ­Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54a ArbGG Rn. 16. 37  §§ 54a Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 251 Satz 2 ZPO. 38  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 24; Hohmann, ArbGG, 2014, § 54a ArbGG Rn. 2; Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54a ArbG Rn. 23. 39  Greger, in: FG Volkommer, 2006, S. 3, 8; ders., NJW 2007, 3258, 3260 (Zivilrecht); Hess, in: 67. DJT 2008, F132 (Zivilrecht); Unberath, JZ 2010, 975, 979 (Zivilrecht). 40  Greger, in: FG Volkommer, 2006, S. 3, 8; Hess, in: 67. DJT 2008, F132 (Zivilrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 359 (Zivilrecht); nach Münch war auch in der alten Fassung letztlich primär die Mediation gemeint, in: Bitburger Gespräche, 2008, S. 179, 189 (Zivilrecht). Feix hebt hervor, dass eine Verfahrensaussetzung zwecks einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung auch vor dem Erlass von § 278 ZPO a. F. schon rechtlich zulässig war,

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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nur die systematische Auslagerung in einen eigenständigen Paragraphen und die explizite Benennung der Mediation. Die vergleichende Betrachtung muss bei § 54a ArbGG in besonderem Maße pauschalisieren, weil sich hinter dem Sammelbegriff eines § 54a ArbGG-Verfahrens ein breiter Fächer verschiedener Verfahren verbirgt. Soweit es zusätzliche Erkenntnisse verspricht, wird auf die außergerichtliche Mediation als Vergleichsgröße abgestellt, da schließlich sie es war, die dem Gesetzgeber bei Erlass der Neuregelung Pate stand. III.  Vergleichszeitraum Es bietet sich an, die zeitlichen Anwendungsbereiche von Gütetermin, außergerichtlicher Konfliktbeilegung und Güterichterverfahren zunächst herauszuarbeiten, da sich dadurch die Weichenstellung und damit der Vergleich für bestimmte Verfahrensabschnitte erübrigen könnte. Denn wenn ein Verfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr eingeleitet werden kann, bedarf es auch keiner aktiven spruchrichterlichen Entscheidung gegen dieses Verfahren mehr. 1.  Zeitliche Scheidepunkte für die Verfahrenswahl § 54 Abs. 1 ArbGG (i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 2 ArbGG) diktiert selbst den einzig möglichen Zeitpunkt, zu dem ein Gütetermin eingeleitet werden kann: den Beginn der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz. In der Berufungs- und Revisionsinstanz ist die Einleitung eines Gütetermins mithin ausgeschlossen. Beim Güterichter ist die Rechtslage weniger offenkundig. Im Normtext heißt es nur vage, die Parteien würden für den Gütetermin und seine Fortsetzung verwiesen. Dieser Wortlaut deutet darauf hin, dass der Konflikt dem Güterichter anstelle des Spruchrichters überantwortet wird. Das Güterichterverfahren würde demnach im selben Zeitpunkt einsetzen wie der Gütetermin, allenfalls noch für seine Fortsetzung.41 Ausgeschlossen ist eine Verweisung danach nur, sobald die mündliche Verhandlung beendet ist.42

diese Möglichkeit aber selten genutzt wurde, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 48, 231 ff. (Zivilrecht). 41 ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130; Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 239; i. E. a. A. Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 13. 42  Nause, der auch zu den Voraussetzungen einer Wiedereröffnung Stellung nimmt, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 50; für den Zeitpunkt der Stellung der Anträge im Kammertermin Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 39; a. A. wohl Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht) und Steinhauff,

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Die Wortlautexegese lässt jedoch unbeantwortet, ob noch aus der Kammerverhandlung heraus verwiesen werden darf.43 Angesichts der systematischen Zusammenschau mit § 278 Abs. 5 ZPO, in dem ausdrücklich auch von einer Verweisung für weitere Güteversuche – also auch für solche nach dem Gütetermin – die Rede ist, ließe sich an der Zulässigkeit einer solch späten Verweisung im Arbeitsrecht zweifeln. Die Abweichung im Wortlaut zwischen der ZPO und dem ArbGG suggeriert, dass eine Verweisung im Zivilprozess auch aus der Kammerverhandlung heraus, vor den Arbeitsgerichten dagegen nur anstelle des ersten Gütetermins, in ihm oder in unmittelbarem Anschluss an ihn erfolgen kann. Sobald der Rechtsstreit vor die Kammer gelangt, ist der Spruchkörper die zusätzlich mit zwei ehrenamtlichen Richter – je einem aus dem Kreis der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer – besetzte Kammer und nicht mehr allein der Vorsitzende.44 Jeder der drei Richter hat eine Stimme. Durch eine Verweisung aus der Kammer würde der Vorsitzende die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberseite ihres Einflusses auf das Verfahren berauben, indem er den Konflikt aus ihren Händen nimmt und denen eines einzelnen, keinem der beiden Lager angehörenden Güterichters übergibt. Vermutlich war sich der Gesetzgeber dieses Umstands bewusst und entschied sich deshalb dafür, die Regelung im ArbGG anders auszugestalten als in der ZPO und eine Verweisung nur bis zum Übergang in die Kammerverhandlung zu erlauben. Eine Verweisung durch die Kammer sieht § 54 Abs. 6 ArbGG nämlich nicht vor, wie sich aus seiner Formulierung „[d]er Vorsitzende“ ergibt; hiernach wäre die Verweisung nur bis zu dem Übergang in das streitige Verfahren möglich.45 Dem lässt sich jedoch entgegen halten, dass es auch in der streitigen Verhandlung nach Maßgabe des § 55 ArbGG Alleinentscheidungen des Vorsitzenden geben kann. Die Tatsache, dass der Vorsitzende allein entscheiden soll, muss demnach nicht zwingend bedeuten, dass der Übergang in die Kammerverhandlung noch nicht erfolgt ist. In der Literatur gehen manche noch einen Schritt weiter und wollen die Verweisung nur in der ersten Instanz erlauben.46 In den Folgeinstanzen sei der Streitstoff in zu hohem Maße verrechtlicht, als dass ein rechtsfernes Verfahren wie SteuK 2013, 160, 161 (Zivilrecht), die beide die Verweisung in jedem Stadium des Verfahrens zulassen wollen. 43 A. A. Ziemann, der dem Wortlaut entnimmt, dass die Kammer im Kammertermin nicht mehr verweisen dürfe, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), ArbR, 2018, § 54 ArbGG Rn. 50. 44  Francken, NZA 2012, 249, 251; ders., NZA 2012, 836, 838. 45  I. E. Francken, NZA 2012, 249, 251; ders., NZA 2012, 836, 838; in der Vorauflage noch Germelmann, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 9i; für das Beschlussverfahren Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 40; Ziemann, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), ArbR, 2018, § 54 ArbGG Rn. 50. 46  Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 239.

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das vor dem Güterichter noch sachgerecht sei.47 Hinter diese Erwägung muss jedoch ein Fragezeichen gesetzt werden. Im Einzelfall mag sie zutreffen.48 Ebenso können aber auch Streitigkeiten in die Berufungsinstanz gelangen, in denen ein Güterichter noch etwas auszurichten vermag.49 Zum Beispiel kann die Verrechtlichung trotz des Abschlusses der ersten Instanz in den Augen der Parteien noch immer gering sein oder es können sich bislang unerkannte Gesichtspunkte auftun, die den Konflikt in ein anderes Licht rücken. Ferner kann der bisherige Verfahrensgang die Parteien zermürbt haben, sodass sie einer alternativen Lösung in der Folgeinstanz offener gegenüber stehen. Dafür, den Güterichter den Arbeitsgerichten vorzubehalten, könnte aber sprechen, dass er anstelle des Gütetermins eingesetzt wird. Letzterer ist vor den Landesarbeitsgerichten und dem Bundesarbeitsgericht ausgeschlossen. Dem lässt sich jedoch entgegen halten, dass sich der Gesetzgeber eindeutig positioniert und sich in § 64 Abs. 7 Satz 1 ArbGG ausdrücklich für die Möglichkeit zur Verweisung in der Berufungsinstanz ausgesprochen hat, was er im Zivilprozess bemerkenswerterweise nicht getan hat.50 Sogar der Geschäftsverteilungsplan des Bundesarbeitsgerichts trifft entsprechende Vorkehrungen und bestimmt den nach Lebensjahren ältesten Berufsrichter zum Güterichter.51 Im Prozesskostenhilfeverfahren ist eine Verweisung demgegenüber ausgeschlossen, da sie nur durch das erkennende Gericht erfolgen kann.52 Wenn eine Verweisung damit sogar in der zweiten Instanz zulässig ist, sollte sie innerhalb der ersten Instanz a maiore ad minus auch außerhalb des kurzen Zeitraums vor der Kammerverhandlung zugelassen werden.53 Richtigerweise wird der zeitliche Anwendungsbereich des Güterichterverfahrens damit nicht durch den Gütetermin begrenzt; die Parteien können auch aus der Kammer heraus durch den Vorsitzenden verwiesen werden.54 Die Frage der Vorzugswürdigkeit des Güterichterverfahrens gegenüber dem Gütetermin stellt sich damit in der 47 

Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 239. In diese Richtung auch Thole, ZZP 127 (2014), 339, 355 (Zivilrecht). 49  Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 17 (Sozialrecht). 50  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 24. 51  Geschäftsverteilungsplan des BAG für das Jahr 2018, abrufbar im Internet unter bundesarbeitsgericht.de. 52  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 109; a. A. wohl OLG Naumburg, Beschl. v. 26. 01. 2016, 12 W 114/15 (PKH), MDR 2016, 791. 53  So bereits Dahl, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2014, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 13 a. E.; ebenso nun Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 13 a. E. 54  I. E. Kloppenburg/Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54 ArbGG Rn. 81; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 50; Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 239; Thole, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 66; Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 48 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

zweiten Instanz und in der Kammerverhandlung nicht mehr, da hier überhaupt nur noch das Güterichterverfahren in Betracht kommt. Der Vorschlag nach § 54a ArbGG kann dagegen, wie die systematische Zusammenschau mit § 54 Abs. 6 ArbGG ergibt, zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens unterbreitet werden.55 Ausgeschlossen ist er allein vor dem Bundesarbeitsgericht.56 Nach § 54a ArbGG muss der Vorschlag nicht durch den Vorsitzenden unterbreitet werden, sondern kann auch durch das Gerichtskollegium erfolgen. Ebenso wie noch vor den Güterichter verwiesen werden darf, kann der Vorschlag damit auch durch die Kammer unterbreitet werden.57 Zudem ist das Vorschlagsrecht nicht auf die erste Instanz beschränkt.58 2.  Rechtliches Stufenverhältnis zwischen Verweisungs- und Vorschlagsrecht Der Spruchrichter kann sich für eine Verweisung, für einen Vorschlag oder für keine der beiden Möglichkeiten entscheiden. Dabei stellt sich die Frage, ob einem der beiden Wege aus Rechtsgründen der Vorzug gebührt.59 In der Rechtswissenschaft werden verschiedene Ansätze vertreten. Manche lehnen jedwedes Stufenverhältnis zwischen den beiden ab und sprechen dem Spruchrichter ein echtes Wahlrecht zwischen zwei gleichwertigen Optionen zu.60 Dieses Verständnis schien auch dem bayerischen Modellprojekt zugrunde zu liegen; andernfalls hätte Neuenhahn nicht gerade das Fehlen von Spielregeln darüber, wann ein Güterichterverfahren und wann eine außergerichtliche Mediation vorzuziehen sei, moniert.61

§ 54 ArbGG Rn. 13 a. E.; Wenzel, Außergerichtliche und gerichtsbezogene Mediation, 2014, S. 172. 55  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54a ArbGG Rn. 11; Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54a ArbGG Rn. 18; Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54a ArbGG Rn. 9; Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54a ArbGG Rn. 21. 56  Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 53. 57  Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54a ArbG Rn. 14; Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54a ArbGG Rn. 21. 58  Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54a ArbGG Rn. 9; ­Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54a ArbG Rn. 14. 59  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 49, § 54a ArbGG Rn. 60. 60  Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 54; Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54a ArbGG Rn. 13; Tautphäus, in: Düwell/ Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54a ArbG Rn. 15 f. 61 Stellungnahme Neuenhahns abgedruckt bei Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 92 ff.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

213

Dahl scheint beide Verfahren hingegen miteinander verzahnen zu wollen, indem er dem Spruchrichter das Recht zuspricht, auf Grundlage des § 54a ArbGG ein Güterichterverfahren vorzuschlagen. Dabei wird jedoch nicht ganz deutlich, ob ihm ein Güterichterverfahren de lege artis oder eine durch einen Güterichter geführte außergerichtliche Konfliktbeilegung vorschwebt.62 Jedenfalls ließe sich einer Verzahnung entgegen halten, dass der Gesetzgeber mit § 54 Abs. 6 ArbGG und § 54a ArbGG bewusst zwei Tatbestände geschaffen hat, was nahe legt, dass er zwei unterschiedliche Wege schaffen wollte. Wieder andere wollen dem Vorschlagsrecht Vorrang vor einer Verweisung zusprechen.63 Eine Verweisung vor den Güterichter sei nur zulässig, wenn die Parteien einem zuvor unterbreiteten Vorschlag nicht Folge leisten wollen.64 Die erfolglose Unterbreitung eines Vorschlags wird dadurch zur Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Verweisung aufgewertet. Zur Begründung stützen sich die Vertreter auf das Subsidiaritätsprinzip: Nach diesem Prinzip soll der Staat nur dort eingreifen, wo kein nichtstaatlicher Weg gangbar ist.65 Mittelbar komme es auch in § 54 Abs. 1 ArbGG zum Ausdruck, soweit darin anklingt, dass eine autonome Konfliktlösung einer heteronomen vorzuziehen sei.66 Aus der gleichen Richtung kommend entwickeln andere ein argumentum a maiore ad minus: Wenn die Parteien nicht einmal einem Vorschlag nach § 54a Abs. 1 ArbGG folgen würden, dann sei eine Verweisung erst recht nicht erfolgversprechend.67 Sie konstruieren ein Stufenverhältnis, das dem Vorschlagsrecht ermöglicht, eine Sperrwirkung gegenüber der Verweisung zu entfalten. In anderen Konstellationen solle der Konflikt zuerst vor den Güterichter verwiesen werden. Erst wenn seine Ressourcen erschöpft seien, erlaube sich der Vorschlag einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung.68 Ob ein Abwarten bis zur gerichtlichen Ressourcenerschöpfung jedoch im Sinne des Gesetzgebers ist, der bei Erlass der Neuregelung eine Entlastung der Gerichte anstrebte, darf bezweifelt werden.

62  Dahl, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2014, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 23. 63  Dürschke, NZS 2013, 41 f. (Sozialrecht); Greger, ZKM 2007, 180, 183; Sander/ Rozdeiczer: „[M]ediation is almost always a superior starting process“, 11 Harvard Negotiation Law Review 1, 32 (2006) (USA). 64  So in der Vorauflage noch Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2014, § 278a ZPO Rn. 1 (Zivilrecht). 65 Grundlegend Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassung, 2001. 66  Sarhan, JZ 2008, 280, 284 (Zivilrecht); Schmitt, Güteverhandlung, 2014, S. 38 f.; Tiedemann sieht Anknüpfungspunkte für das Subsidiaritätsprinzip in Erwägungsgrund Nr. 8 der RL 2008/52/EG, ArbRB 2012, 320, 321. 67  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht). 68  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 13 (Zivilrecht).

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Ob ihrer Verschiedenartigkeit lässt sich leicht behaupten, dass zwischen Güterichter und Vorschlagsrecht ein Stufenverhältnis besteht. Schwieriger ist es aber, die Abfolge dieser Stufen zu bestimmen. Kommt es darauf an, welcher Weg die reinere Form der alternativen Konfliktbeilegung offeriert, gebührt dem Vorschlagsrecht die obere Stufe. Stellt man hingegen darauf ab, welches Verfahren die Parteien am ehesten begrüßen werden, gestaltet sich die Einordnung schwieriger. Denkbar ist, dass sie ein außergerichtliches Verfahren bevorzugen, weil es ihnen mehr Freiheiten belässt als ein Güterichterverfahren. Ebenso denkbar ist aber, dass sie den Güterichter vorziehen, da er dem von ihnen originär gewählten Gerichtsverfahren nähersteht und in der Regel kostengünstiger ist. Auf die Unterschiede wird im Folgenden noch näher eingegangen. Je nachdem, worauf man abstellt, kehrt sich das Stufenverhältnis um. Vor diesem Hintergrund bereitet es Schwierigkeiten, eine Sperrwirkung oder eine anders geartete Abhängigkeit beider Tatbestände zu konstruieren. Aus diesem Grund ist der ersten Auffassung zu folgen, nach der die Verfahrenswege keinerlei Vorrang- oder Abhängigkeitsverhältnis erkennen lassen. Dem Spruchrichter steht damit ein echtes Wahlrecht zu. IV.  Fazit Funktionelle Verweisungskriterien können gewonnen werden, indem man zwei oder mehr Verfahren systematisch miteinander vergleicht. Da jeder Konflikt sich durch andere Eigenheiten auszeichnet, bietet sich für die Verweisungsentscheidung des § 54 Abs. 6 ArbGG ein umfassender Vergleich der zur Verfügung stehenden Verfahren an. Die zu vergleichenden Größen sind dabei der spruchrichterliche Gütetermin und das § 54a ArbGG-Verfahren. Während ein Gütetermin nur zu Beginn der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz eingeleitet werden kann, geht der zeitliche Anwendungsbereich von Güterichterund § 54a ArbGG-Verfahren weiter. In konkurrenzrechtlicher Hinsicht steht dem Spruchrichter dabei ein echtes Wahlrecht zu, ob er die Parteien vor den Güterichter verweist oder ihnen eine außergerichtliche Konfliktbeilegung vorschlägt.

B.  Rahmenbedingungen der Verfahren im Vergleich Nunmehr sollen die Rahmenbedingungen der drei Konfliktbeilegungswege miteinander verglichen werden. Zu diesen Rahmenbedingungen zählen das zeitliche Potenzial, die örtlichen Gegebenheiten, das methodische Portfolio, die Vertraulichkeit der Verhandlungen, ihr Gegenstand sowie die Auswirkung auf Verjährungs- und Ausschlussfristen.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

215

I.  Zeitliches Potenzial Zunächst arbeitet der Abschnitt heraus, welche Bedeutung der Zeitfaktor im Arbeitsrecht hat. Sodann beleuchtet er das zeitliche Potenzial, welches die drei Wege jeweils bieten. 1.  Bedeutung des Zeitfaktors im Arbeitsrecht Im Individualarbeitsrecht ist dem Arbeitnehmer daran gelegen, rasch Sicherheit über seine Einkommensquelle zu erlangen. Auch wird die Reintegration am Arbeitsplatz umso schwieriger, je länger sich die Verhandlungen hinziehen.69 An einer langen Verfahrensdauer besteht von Seiten des Arbeitnehmers deshalb wenig Interesse. Bei zeitaufwändigeren Konflikten wie Mobbing kann das größere Zeitpotenzial einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung den Ausschlag geben.70 Für den Arbeitgeber ist die Dauer ebenfalls bedeutsam. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr steigt das Risiko, dass sich der Konflikt doch noch auf das Betriebsklima auswirkt. Eine überlange Verfahrensdauer kann den Prozesserfolg entwerten, etwa durch Zermürben der Parteien, Zinsverluste oder im Extremfall dadurch, dass die materielle Richtigkeit gefährdet wird, weil das Gedächtnis der Zeugen verblasst.71 Besonders dem Arbeitgeber wird oft daran gelegen sein, die Konfliktbeendigung hinauszuzögern. Denn dadurch kann er den finanziell unterlegenen Arbeitnehmer unter Druck setzen. Im Betriebsverfassungs- und im Tarifrecht kann der Zeitfaktor wirtschaftlich interessant sein. In betriebsverfassungsrechtlichen Regelungskonflikten ist das zusätzliche Zeitpotenzial eines § 54a ArbGG-Verfahrens für die Betriebspartner besonders attraktiv. Häufig haben sich über die Jahre eine Vielzahl regelungsbedürftiger Fragen angesammelt, für die der zeitlich beschränkte Rahmen eines Güterichters nicht ausreicht.72 Auch betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstreitigkeiten können ein Unternehmen lähmen und wirtschaftliche Verluste nach sich ziehen. Muss der Arbeitgeber sich etwa vor der Durchführung einer mitbestimmungspflichtigen sozialen Angelegenheit mit dem Betriebsrat verständigen und die Durchführung der fraglichen Angelegenheit bis zu der Einigung aufschieben, kann die Zeit für ihn erheblichen wirtschaftlichen Druck bedeuten. Zugleich kann sich der Zeitfaktor auf einen etwaigen Überoptimismus auswirken. Wo dieser bei dem Gang vor Gericht vorhanden sein mag, verfliegt er oft mit der Zeit.

69 

Opolony, JuS 2000, 894, 895. Tiedemann, ArbRB 2012, 320, 323. 71  Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 117 f. 72  Tiedemann, ArbRB 2012, 320, 323. 70 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Ihr Fortschreiten spricht für eine Verweisung, da sie die Erwartungen relativiert und den Überoptimismus abbaut. 2.  Zeitliche Kapazitäten im Vergleich Der Gütetermin ist insgesamt in ein strafferes zeitliches Korsett eingebunden als das Güterichterverfahren.73 Grund hierfür ist der in den Arbeitsgerichten allgegenwärtige Geschäftsdruck. Zwar beschränken sich beide Verfahren zumeist auf einen Termin, doch endet der Gütetermin in der Regel schon nach einer Viertelstunde, während für das Güterichterverfahren ein größeres Zeitfenster von einigen Stunden zur Verfügung steht. In den Modellprojekten betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer drei Stunden.74 Soweit ausgewertet beträgt die durchschnittliche Sitzungsdauer für den Güterichter ebenfalls drei Stunden.75 Für eine Erkundung der tieferliegenden Interessen bleibt angesichts des engen Zeitrahmens im Gütetermin kein Raum; aus Sicht der Beteiligten hat er bisweilen bloßen Durchlaufcharakter. Zwar sind die drei Stunden vor dem Güterichter noch immer knapp bemessen, doch wird sich in diesem Zeitfenster mehr bewerkstelligen lassen als in einer Viertelstunde. Ist ein höherer Zeitaufwand absehbar, so ist das Güterichterverfahren deshalb dem Gütetermin vorzuziehen. Das § 54a ArbGG-Verfahren geht noch einen Schritt darüber hinaus: Während der Güterichter an die gerichtlichen Abläufe und Ressourcen gebunden bleibt, ist die Dauer eines § 54a ArbGG-Verfahrens allein an den Willen und an die Finanzkraft der Parteien gekoppelt. In der Regel sind außergerichtliche Verfahrensleiter bei der Terminierung flexibler als Güterichter. Außergerichtlich kann bei größerem zeitlichem Bedarf deshalb kurzfristiger terminiert werden. Bei Bedarf kann ein Konflikt aber auch über einen längeren Zeitraum begleitet werden als vor dem Güterichter, dessen begrenzte Ressourcen ein gewisses Maß an Heuristik erfordern.76 In dieser zeitlichen Flexibilität liegt eine der Stärken des 73  Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 44; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 4, 85; ders./Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 5; Wrede, ZfA 2002, 455, 461. 74  Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern I, 2009, S. 22; Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 19; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 29 f., 97; ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 13, 96; ders./Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 4; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Berlin, 2012, S. 13, 28; zu dem Modellprojekt am LG Rostock Hückstädt, NJ 2005, 289, 294. 75  Francken, NZA 2015, 641, 642. 76  Dietrich, ZKM 2015, 19, 21 (Familienmediation); Francken, NZA 2012, 249, 252; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 49; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 37, 99; ders./Unberath, Abschlussbe-

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

217

§ 54a ArbGG-Verfahrens. In den Modellprojekten wurde die zeitliche Einschränkung des Güterichters als einer der maßgeblichen Unterschiede zu einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung und damit als bedeutsame Weichenstellung für die Verfahrenswahl empfunden.77 II.  Örtliche Gegebenheiten Nach dem zeitlichen Potenzial werden nun die örtlichen Gegebenheiten der drei Verfahrenswege miteinander verglichen. Während der Gütetermin in einem von Rollendistanz gezeichneten Gerichtssaal stattfindet, trägt das Güterichterverfahren informellere Züge.78 In der Regel findet es ohne Roben und in einem eigens hergerichteten Raum statt, der mit einem ovalen, trapezförmigen oder runden Tisch ohne hierarchische Sitzordnung, Visualisierungsmitteln wie Flipcharts und manchmal sogar mit Getränken und Gebäck ausgestattet ist.79 Die räumliche Gestaltung zielt darauf ab, Distanzen abzubauen und eine ungezwungene Gesprächsatmosphäre zu schaffen.80 Lassen sich die Parteien ersichtlich von der Atmosphäre im Gerichtssaal beeindrucken, kann eine Verweisung Abhilfe schaffen. § 54a ArbGG-Verfahren sind noch weiter von einem förmlichen Gerichtsverfahren entfernt als das Güterichterverfahren. Während letzteres – wenn auch in gelockerter Atmosphäre – im Gerichtsgebäude stattfindet, können die Parteien richt Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 14; Greger/ Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 57; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 71; Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1268 f.; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 170; Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1061 (Verwaltungsrecht); Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54a ArbG Rn. 17. 77  Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 14. 78  Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 5 f. 79  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 8, 36, 41; ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 4; ders./Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 13; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 124; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 32 f.; zur Visua­lisierung in einer Mediation Breidenbach, in: FS Schlosser, 2005, S. 83 ff.; Lenz, in: ­Trenczek et al. (Hrsg.), 2017, S. 373 ff.; Wagner/Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, S. 36. 80  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 33; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 85; Monßen, in: Schmidt/Lapp/ Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1267.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

die örtlichen Gegebenheiten einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung frei gestalten. Häufig werden Räumlichkeiten in Hotels oder andere neutrale Terrains ausgewählt. Bereits in den örtlichen Gegebenheiten spiegelt sich wider, dass ein § 54a ArbGG-Verfahren selbstbestimmter als ein Güterichterverfahren und dieses wiederum selbstbestimmter als ein Gütetermin ist. III.  Methodisches Portfolio Weiterhin ist zu klären, welche Methoden der Konfliktbeilegung die Verfahrensleiter jeweils einsetzen können. Der Spruchrichter ist darauf festgelegt, ein Vergleichsgespräch zu führen. Regelmäßig dominieren pragmatische, juristisch geprägte Erwägungen sein Handeln. Sein Methodenportfolio ist insofern eingefärbt. Dem Güterichter gewährt das Gesetz dagegen in § 54 Abs. 6 Satz 2 ArbGG ausdrücklich Methodenfreiheit. Welche Methoden davon im Einzelnen umfasst sind, ist schwieriger zu bestimmen.81 Im Gesetzestext heißt es schlicht, dass er sich neben der Mediation auch anderer Methoden der Konfliktbeilegung bedienen könne. Wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs ergibt, hatte der Gesetzgeber bei diesen anderen Methoden Schlichtungs-, Schieds- und Gütestellen, Ombudsleute, Clearingstellen, Shuttle-Schlichtungen, Adjudikationen, Mini Trials, Early Neutral Evaluations und Online-Schlichtungen im Sinn.82 Ob er das Güterichterverfahren für all diese öffnen wollte, bleibt im Normwortlaut und in der Gesetzesbegründung offen. 1.  Methodenfreiheit des Güterichters Wie gezeigt greifen Güterichter in der Arbeitsgerichtsbarkeit meist zur Mediation.83 Vereinzelt wird das Güterichterverfahren in der Außendarstellung der Gerichte gar als gerichtsinternes Mediationsangebot präsentiert.84 Angesichts dessen fragt sich, ob sich die methodische Beschränkung auf eine Mediation rechtlich begründen lässt, ob also das Gesetz die Mediation priorisiert oder dem Güterichter Methodenfreiheit zugesteht. Im ersten Zugriff lässt sich dem Gesetzeswortlaut zwar keine Priorisierung der Mediation entnehmen. Hintergrund der offen gehaltenen Gesetzesformulierung 81 Krit.

Prütting, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 33 Rn. 29. RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 11. 83  Hierzu bereits oben in dem Abschnitt: Abstrakte Eignungskriterien für eine Verweisung, S. 119. 84  Z. B. die Außendarstellung der Hamburger Justiz, abrufbar im Internet unter justiz.hamburg.de, die des LAG Hamm, abrufbar im Internet unter arbg-dortmund.nrw.de, sowie die des ArbG Bremen-Bremerhaven, abrufbar im Internet unter arbeitsgericht.bremen.de. 82 

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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war aber der Versuch, den Güterichter von der außergerichtlichen Mediation abzugrenzen.85 Bei näherer Betrachtung kommt ein in den Methoden der Mediation kundiger Leser indes nicht umhin, die Verfügbarkeitsheuristik86 zu bemerken, derer der Gesetzgeber sich in der Vorschrift bedient. Durch die explizite Nennung der Mediation hat der Gesetzgeber sie besonders hervorgehoben. Hätte er die Mediation gleichberechtigt neben andere Verfahren und Methoden stellen wollen, hätte er sie aber nicht auch noch durch die explizite Benennung hervorheben müssen. Ihre ausdrückliche Benennung legt nahe, dass der Gesetzgeber ihr eine Vorrangstellung einräumen wollte. Dem Wortlaut lässt sich mithin eine Priorisierung der Mediation innerhalb des methodischen Portfolios des Güterichters entnehmen. Diese Priorisierung hindert den Güterichter aber nicht daran, sich im Einzelfall doch für eine andere Methode zu entscheiden, wenn diese ihm sachgerechter erscheint. 2.  Berechtigung des Güterichters zur Entscheidung von Streitfragen Trotz dieser Priorisierung ist der Güterichter aber rechtlich nicht gehindert, die gesamte Palette der alternativen Konfliktbeilegung einzusetzen. Die Außengrenzen seines methodischen Portfolios werden nur durch seine Richterstellung und die damit einhergehenden Rechte und Pflichten gesteckt.87 Diese Einschränkung wiegt indes nicht allzu schwer. Unproblematisch kann er sich etwa für eine Moderation statt einer Mediation entscheiden. Zu klären ist aber, ob er sich auch solcher Konfliktbeilegungstypen bedienen darf, die eine Entscheidungsbefugnis beinhalten, wie die Schlichtung, das Schiedsgutachten oder die sog. hybriden Verfahren wie das Final-Offer-Verfahren, das MedArb-Verfahren oder die High/Low-Arbitration.88 Es ist zu klären, 85 

Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 152. Begriff der Verfügbarkeitsheuristik beschreibt die Tendenz, bei der Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten zunächst auf die Information zurückzugreifen, die am einfachsten in den Sinn kommen (sog. availability bias), grundlegend hierzu Tversky/ Kahnemann, 5 Cognitive Psychology 207 (1973). 87  Greger, NJW 2007, 3258, 3259 (Zivilrecht). 88 Bei einem Final-Offer-Verfahren geben die – zu diesem Zeitpunkt nur noch um die Höhe einer Forderung streitenden – Parteien jeweils ein Maximalgebot ab und der Güterichter wählt eines dieser Gebote unter Billigkeitsgesichtspunkten aus, Greger/ Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 20 (Zivilrecht). Bei einem MedArb-Verfahren mündet eine anfängliche Mediation mit dem Einverständnis aller Beteiligten in ein Schiedsgerichtsverfahren, in dessen Zuge der Güterichter über den gesamten Streitgegenstand entscheidet, Dendorfer/Lack, SchiedsVZ 2007, 195 ff.; Gottwald, BJ 1999, 117, 119. Die High/ Low-Arbitration ist ein Schiedsgerichtsverfahren, in dem die Parteien vor dem Schiedsspruch die Bandbreite der möglichen Entscheidungen eingrenzen, ohne dem Schieds­ gericht aber eine konkrete Alternativentscheidung vorzugeben, Risse, BB 2001, Beilage Mediation & Recht, S. 16, 20. 86  Der

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

ob diese Verfahren aufgrund der fehlenden Entscheidungsbefugnis des Güterichters aus seinem Portfolio auszunehmen sind. Die Antwort richtet sich danach, wie die fehlende Entscheidungsbefugnis des Güterichters zu verstehen ist. In den Gesetzesmaterialien hat der Gesetzgeber dem nicht entscheidungsbefugten Richter nur ein einziges Mal seine Aufmerksamkeit gewidmet, und zwar in der Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung.89 Bei ihrer Lektüre wird deutlich, dass das Tatbestandsmerkmal weniger zur Akzentuierung des Nicht-Entscheiden-Könnens gedacht war, sondern vielmehr hervorheben sollte, dass der Güterichter nicht demselben Gericht wie der Spruchrichter angehören muss. Die Gesetzesformulierung wurde gewählt, um diesbezüglichen Missverständnissen vorzubeugen und zu transportieren, dass dem Güterichter nicht die Letztentscheidungsbefugnis in dem streitigen Verfahren zustehen darf.90 Seine Rolle sollte deutlich zu der eines Spruchrichters abgegrenzt werden. Ein darüber hinausgehender Ausschluss jeglicher Entscheidungsgewalt oder eine methodische Einschränkung war hingegen nicht gewollt. Hinzu kommt, dass die Parteien sich aktiv auf ein Konfliktbeilegungsverfahren verständigen müssen. Ob sie ein Verfahren wählen, welches den Güterichter mit Entscheidungsbefugnis ausstattet, obliegt ihrem freien Willen.91 Daraus erklärt sich, weshalb der Gesetzgeber sich nicht zu dem Spannungsverhältnis zwischen der Methodenfreiheit einerseits und der fehlenden Entscheidungsbefugnis andererseits erklärt hat. Er scheint von der Anwendbarkeit der meisten Konfliktbeilegungsverfahren auszugehen.92 Auf Wunsch der Parteien darf der Güterichter einzelne Streitfragen entscheiden oder die Einholung eines Schiedsgutachtens anregen.93 Ob der Güterichter hiervon Gebrauch machen sollte, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.94 Festzuhalten ist jedenfalls, dass das methodische Portfolio des Güterichters das des Spruchrichters im Umfang übersteigt. 3.  Methodenwahl in einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung Bei einem § 54a ArbGG-Verfahren stehen alle denkbaren Verfahren der alternativen Konfliktbeilegung einschließlich ihrer jeweiligen Methoden zur Auswahl. Dadurch stellt sich die Herausforderung, dass die Parteien sich für ein 89  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 30 f.; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 388 (Sozialrecht). 90  Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 388 (Sozialrecht). 91  Dürschke/Mayer-Metzner, SGb 2015, 69, 73 (Sozialrecht); Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 389 (Sozialrecht). 92  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 11. 93  Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 154. 94 Krit. Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1060 f. (Verwaltungsrecht).

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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einziges, klar umrissenes Konfliktbeilegungsverfahren entscheiden müssen.95 Erst nach der Festlegung können sie einen Verfahrensleiter konsultieren, der über die entsprechende Expertise verfügt und sie bei der methodischen Feinplanung unterstützt. Die frühzeitige Weichenstellung bereitet den Parteien oft erhebliche Schwierigkeiten. Vielfach sind sie zerstritten, ihre Kommunikation ist gestört. Die Einigung auf ein Verfahren und seine Methode setzt jedoch ein gewisses Maß an konstruktiven Verhandlungen voraus. Schwierig kann sich ferner die Suche nach einem passenden Verfahrensleiter erweisen, da der Markt intransparent ist und die Qualitäten eines Mediators von außen schwierig einzuschätzen sind.96 Anders liegt es bei dem Güterichter. Zwar müssen sich die Parteien im Grunde auch hier auf ein bestimmtes Konfliktbeilegungsverfahren verständigen. Doch sind sie dabei zum einen nicht auf sich allein gestellt, sondern erfahren von Beginn an kompetente Unterstützung durch den Güterichter. Er holt sie dort ab, wo sie stehen, ohne dass es gemeinsamer zwischengeschalteter Entscheidungen bedarf, und er unterstützt sie beim Überwinden der ersten Hürden. Zum anderen ist die Methodenwahl vor dem Güterichter weniger endgültig, da der Güterichter vielfältig geschult ist. Er kann die Grenzen zwischen den verschiedenen Verfahren und Methoden verwischen, sie miteinander kombinieren oder bei Bedarf wechseln.97 Erscheint ihm eine eingangs begonnene Mediation nicht mehr zielführend, kann er in Abstimmung mit den Parteien beispielsweise in eine Schlichtung oder eine Vergleichsmoderation übergehen. In den Modellprojekten haben die Güterichter von ihrer methodischen Flexibilität vielfach Gebrauch gemacht.98 Doch die fehlende methodische Festlegung des Güterichters hat auch ihre Schattenseiten. Zum Beispiel birgt sie die Gefahr mangelnder Transparenz oder eines unpassenden Erwartungshorizonts. Je stärkere Sonderwege ein Güterichter beschreitet, desto undurchsichtiger wird das Verfahren. Solche Risiken bergen insbesondere Methodenwechsel, etwa von einer Mediation zu einer Schlichtung. Denn das Kommunikationsverhalten der Parteien korreliert damit, ob sie den Verfahrensleiter von ihrem Standpunkt überzeugen wollen. Ihnen kann begegnet werden, indem man von vornherein ein hybrides Verfahren wie das MedArb-Verfahren wählt.99 95 

Unberath, ZKM 2012, 12, 14 f. Risse, ZKM 2012, 75, 78 (Zivilrecht); deutlich auch Hess: „Die ‚nachfragende Öffentlichkeit‘ ist vor unseriösen ‚Anbietern‘ zu schützen – diese Aufgabe sollte nicht unbesehen der sog. Selbstreinigung des Marktes überlassen werden.“, in: 67. DJT 2008, F13 (Zivilrecht). 97  Thole, ZZP 127 (2014), 339, 356 (Zivilrecht); krit. Ortloff, der eine Methodenfestlegung eines jeden Güterichters im Geschäftsverteilungsplan fordert, NVwZ 2012, 1057 (Verwaltungsrecht). 98  Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 17. 99  Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 92 (Sozialrecht). 96 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Der außergerichtliche Weg legt die Parteien stärker auf ein Konfliktbeilegungsverfahren und die zugehörigen Methoden fest als das Güterichterverfahren. Er verlangt ihnen in einem frühen Stadium gemeinsame Entscheidungen ab. Das Güterichterverfahren ist in dieser Hinsicht flexibler und offener gestaltet. Es verlangt den Parteien weniger Eigeninitiative ab. IV.  Gegenstände der Verhandlungen Im Zentrum des folgenden Abschnitts steht der Gegenstand der Verhandlungen. Damit ist nicht der Verfahrensgegenstand im rechtlichen Sinne gemeint, sondern die in einem bestimmten Verfahren potenziell verhandelbaren Konfliktgegenstände. Über sie soll die Rolle des Rechts innerhalb einer Konfliktbeilegung extrapoliert werden. 1.  Vergleich mit dem Gütetermin Der Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 2, 6 ArbGG suggeriert Gemeinsamkeiten zwischen den Verhandlungsgegenständen vor dem Güterichter und im Gütetermin. In beiden ist die Erörterung nicht auf normative Aspekte begrenzt, sondern kann auch andere Umstände betreffen, wie wirtschaftliche, soziale oder psychologische Umstände.100 Durch die Klageerhebung hat der Konflikt und mit ihm der Kreis der Verhandlungsgegenstände zudem sowohl im Gütetermin als auch vor dem Güterichter bereits eine Verrechtlichung erfahren.101 Trotz der Ähnlichkeiten ist der Gütetermin stärker am Recht orientiert und auf dessen binäres Entscheidungssystem gemünzt als das Güterichterverfahren. Das Recht akzeptiert nur einen klar umgrenzten Kreis an Gegenständen und Argumenten, manche Facetten eines Konflikts müssen bei einer rein rechtlichen Beurteilung ausgeklammert werden. Die Ursachen für die stärkere Rechtsbindung liegen darin, dass der Gütetermin unmittelbar an die Parteianträge anknüpft, sowie, dass er zur Vorbereitung der Kammerverhandlung dient.102 Angesichts dessen werden die Einigungsversuche im Gütetermin thematisch regelmäßig stärker auf den Streitgegenstand ausgerichtet. Demgegenüber zielt das Güterichterverfahren darauf ab, sich von einer rechtlichen Betrachtung zu lösen. Zwar muss es dafür nicht jeglicher Rechtskommunikation entbehren. Es ist aber stärker an außerrechtlichen Interessen ausge100  Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 23; Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 15 (Zivilrecht). 101  Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 480 f. 102  Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 44 f.; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 232; Wrede, ZfA 2002, 455, 461.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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richtet als der Gütetermin.103 Seine Interessenorientierung ist indes nicht nur positiv, sondern birgt auch die Gefahr, den Konflikt aufzublähen, indem stetig neue rechtsferne Aspekte auf den Verhandlungstisch gebracht werden.104 Jedenfalls ist der Kreis der verhandelbaren Gegenstände im Gütetermin eingeschränkter als vor dem Güterichter. Ein weiterer Unterschied ergibt sich aus der zeitlichen Lage der Entscheidungsgrundlage. Die Anspruchsorientierung im Gütetermin führt dazu, dass die Vergangenheit des Konflikts das Zentrum der Verhandlungen bildet. Der Güterichter fokussiert sich dagegen auf die Zukunft. Auch die Art, wie über die Gegenstände verhandelt wird, fällt auseinander. Zwar ist die Kommunikationsstruktur im Gütetermin freier als in der Kammerverhandlung.105 Ihr Dreh- und Angelpunkt sind aber noch immer die Rechtseinschätzung des Spruchrichters, Beweislastfragen und andere Unwägbarkeiten. Eine Aufarbeitung von tiefergreifenden Konflikten kann sie nicht leisten. Vor dem Güterichter ist der Verhandlungs- und Kommunikationsstil freier als im Gütetermin und dem Ziel einer Konfliktbeilegung stärker untergeordnet. 2.  Vergleich mit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung Die verhandelbaren Konfliktgegenstände eines § 54a ArbGG-Verfahrens und eines Güterichterverfahrens weisen stärkere Gemeinsamkeiten auf als die eines Güterichterverfahrens und eines Gütetermins. Im Detail ist zwar zwischen den verschiedenen außergerichtlichen Verfahren zu differenzieren. In der Zusammenschau weisen aber alle § 54a ArbGG-Verfahren einige graduelle Unterschiede zum Güterichter auf. So ist dieser, wenn auch gegenüber dem Gütetermin deutlich reduziert, durch seine lokale und personelle Anbindung an das Gericht stärker verrechtlicht und formalisiert als ein § 54a ArbGG-Verfahren.106 Die bloße Möglichkeit zur Abgabe rechtlicher Bewertungen unterscheidet den Güterichter von einem außergerichtlichen Verfahrensleiter. Sie führt dazu, dass das Recht und die Rechtskommunikation eine stärkere Rolle spie-

103  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 40; Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern II, 2009, S. 72; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 104; ders., in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 25 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 109 (Sozialrecht); Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1127 (Zivilrecht). 104  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 86. 105  Schmädicke, NZA 2007, 1029. 106  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 100; ders./Unbe­ rath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 14; Ortloff¸ NVwZ 2012, 1057 (Verwaltungsrecht); Roth, in: Kolloquium Mediation, 2013, S. 109, 113 (Zivilrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 342 (Zivilrecht).

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

len.107 Abgesehen von ihrer stärkeren rechtlichen Prägung sind die Gegenstände der Verhandlungen vor dem Güterichter aber ebenso weit gestreut wie in einem § 54a ArbGG-Verfahren. V.  Gewährleistung von Vertraulichkeit Der folgende Abschnitt ist der Vertraulichkeit der Verhandlungen gewidmet. Zunächst wird dargestellt, welche Bedeutung der Vertraulichkeit in arbeitsrechtlichen Konflikten zukommt. Sodann widmet der Abschnitt sich der Frage, ob und wie die Vertraulichkeit in Gütetermin, Güterichterverfahren und außergerichtlicher Konfliktbeilegung geschützt wird. 1.  Bedeutung der Vertraulichkeit im Arbeitsrecht Vertraulichkeit ist im Individualarbeitsrecht von hoher Bedeutung. Der Arbeitgeber möchte die Verhandlungen geheim halten, um das Betriebsklima nicht zu belasten. Sein Wunsch nach Vertraulichkeit besteht bei Konflikten um die Begründung von Arbeitsverhältnissen, bei Diskriminierungen und Mobbing sowie in Teilzeit- und Urlaubsfragen, ganz besonders aber bei Entgeltfragen. Im Nachgang zu beendeten Arbeitsverhältnissen wird dem Arbeitgeber deswegen an der Wahrung der Vertraulichkeit gelegen sein, weil er sich um seinen Ruf sorgt und keinen Präzedenzfall zu der Höhe der Abfindung schaffen möchte. Dem Arbeitnehmer ist die Vertraulichkeit in Diskriminierungs- und Mobbingfällen sowie in Fällen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz aus persönlichen Gründen wichtig. Ein anderes kann nur der Fall sein, wenn ihm nicht gerade an seiner öffentlichen Rehabilitation gelegen ist. Ähnlich liegt es, wenn die gesundheitliche Verfassung des Arbeitnehmers im Mittelpunkt eines Konflikts steht. Bei Konflikten im bestehenden Arbeitsverhältnis, die Fehlverhalten oder mangelhafte Leistung betreffen, sowie bei Streitigkeiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird dem Arbeitnehmer ebenfalls meist an einer vertraulichen Behandlung gelegen sein. Wenn er sich ungerecht behandelt fühlt, kann ihm aber auch gerade an einer öffentlichen Austragung gelegen sein. Der Wunsch der Parteien nach Vertraulichkeit kann im Individualarbeitsrecht somit auseinanderfallen. Im Betriebsverfassungsrecht wird der Arbeitgeber Rechtsstreitigkeiten und Sozialplanausarbeitungen wegen des Betriebsklimas vertraulich behandeln wollen. Dem Betriebsrat wird demgegenüber an einer (betriebs-)öffentlichen Austragung gelegen sein, um über die Belegschaft Druck auf den Arbeitgeber auf107  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 102.

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zubauen. Ähnlich ist die Interessenlage im Tarifverfassungsrecht. Hier wird der Konflikt jedenfalls von der Arbeitnehmerseite gern in die Öffentlichkeit getragen, um Druck aufzubauen.108 Das Interesse an Vertraulichkeit ist im Arbeitsrecht somit generell hoch, wenn es zwischen den Parteien auch unterschiedlich verteilt sein kann. 2.  Vertraulichkeit im Gütetermin Im arbeitsgerichtlichen Gütetermin kann die Öffentlichkeit – im Unterschied zu den Güteterminen anderer Gerichtsbarkeiten – nach § 52 Satz 3 ArbGG aus Zweckmäßigkeitsgründen ausgeschlossen werden. Verlauf und Ergebnis des Gütetermins sind gemäß §§ 159 Abs. 1, 160 ZPO im Protokoll festzuhalten. 3.  Vertraulichkeit im Güterichterverfahren Vor dem Güterichter wird dagegen angestrebt, die Verhandlungen vertraulich zu führen. Im Gesetzestext fehlt zwar eine ausdrückliche Anordnung der Vertraulichkeit. Im Gesetzgebungsverfahren hatte der Bundesrat noch ein eigenständiges dispositives Beweiserhebungs- und Vortragsverbot ins Spiel gebracht.109 Schlussendlich wurde es jedoch nicht übernommen, weil der Gesetzgeber fürchtete, eine Mediation könne bei Bestehen eines Verbots „dazu benutzt oder gar zu diesem Zweck initiiert werden Tatsachen für den bevorstehenden oder ruhenden Prozess gleichsam zu tabuisieren“110. Eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung der Vertraulichkeit fehlt deshalb. Angesichts des Umstands, dass der Güterichter den öffentlichen Gütetermin substituieren kann, bedarf es jedoch einer Begründung, weshalb der Güterichter sein Verfahren – anders als der Spruchrichter – vertraulich handhaben können soll. a)  Ausgestaltung der Vertraulichkeit Man könnte die Vertraulichkeit daraus ableiten, dass der Güterichter vom Gesetz ermächtigt wird, die Mediation anzuwenden. Das Gesetz berechtigt den Güterichter zur Durchführung einer Mediation de lege artis. Eine solche setzt aber die Wahrung der Vertraulichkeit voraus. Erlaubt das Gesetz die Durchführung

108 Wie durch die Öffentlichkeitswirkung Rechtsfortbildung und gesellschaftlicher Fortschritt erreicht werden können, beschreibt Fiss am Beispiel des US-amerikanischen Falls Brown v. Board of Education, „Against Settlement“, 93 Yale Law Journal 1073, 1089 f. (1984) (USA). 109 BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 32; Rixen/Zeitlmann, in: GS ­Unberath, 2015, S. 381, 391 (Sozialrecht). 110  BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 32.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

einer Mediation de lege artis, sollte es auch die dafür konstitutive Vertraulichkeit ermöglichen. Die herrschende Meinung wählt eine andere Konstruktion. Sie nimmt an, dass es deshalb keiner eigenständigen Vertraulichkeitsregelung im Gesetz bedarf, weil der Güterichter nicht dem erkennenden Spruchkörper angehört und deswegen von vornherein nicht zur Öffentlichkeit verpflichtet ist.111 Dagegen ließe sich einwenden, ob nicht der die Öffentlichkeit letztlich verkörpernde Steuerzahler ein Recht darauf habe, zu erfahren, ob seine Gelder von den Gerichten sinnvoll investiert werden.112 Doch trifft dieser Einwand das Telos des Öffentlichkeitsgebots nur zum Teil. Vielmehr soll die Beteiligung der Öffentlichkeit das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsprechung stärken und das rechtsstaatliche Verfahren gewährleisten, indem die im Namen des Volkes entscheidenden Gerichte kontrolliert werden.113 Da der Güterichter nicht entscheidungsbefugt ist, bedarf es keiner Kontrolle durch die Öffentlichkeit, um den Erfordernissen des Rechtsstaatsprinzips zu genügen. Aus diesem Grund sind die §§ 52 Satz 1 ArbGG, 169 Satz 1 GVG im Güterichterverfahren nicht anwendbar.114 Insbesondere ist es auch nicht erforderlich, § 52 Satz 3 ArbGG analog anzuwenden.115 Systematisch lässt sich dieses Ergebnis auch auf § 159 Abs. 2 Satz 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG stützen. Danach darf ein Protokoll nur auf übereinstimmenden Wunsch aller Beteiligten erstellt werden; die Parteien bestimmen über das Ob der Protokollierung sowie über ihre Reichweite.116 In § 159 Abs. 2 111  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 13; Rechtsausschuss zum RegE ­MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 21; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Carl, ZKM 2012, 16, 20 (Zivilrecht); Francken, NZA 2015, 641, 643; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 34; Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 89; Groth, Mediation im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren, 2017, S. 205 ff.; Hartmann, MDR 2012, 941, 942 (Zivilrecht); Henssler/ Deckenbrock¸ DB 2012, 159, 165 (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 175; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 28, 46; Münch, in: Bitburger Gespräche, 2008, S. 179, 193 (Zivilrecht); Steffek, ZEuP 2013, 528, 552 (Zivilrecht); Steinhauff, SteuK 2013, 160, 162 (Steuerrecht); Thomas, in: Klowait/ Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 18; Trossen, Me­dia­ tion, 2014, Rn. 1169 (Zivilrecht); Ziemann, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), ArbR, 2018, § 54 ArbGG Rn. 52. 112  Kinchin, Australasian Dispute Resolution Journal 18 (2007), 227, 231 (Australien). 113  Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 52 ArbGG Rn. 1; Jacobs, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2011, § 169 GVG Rn. 11. 114  Nachweise in Fn. 112, S. 226. 115  Francken, NZA 2015, 641, 643; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 46. 116  Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 21.

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Satz 2 ZPO manifestiert sich mithin der gesetzgeberische Wille zur Vertraulichkeit des Güterichterverfahrens.117 Über die fehlende Öffentlichkeit und die eingeschränkte Protokollierung hinaus wird die Vertraulichkeit auch personenbezogen geschützt.118 So ist der Güterichter kraft Amtes zur Verschwiegenheit verpflichtet.119 Die dienstrechtlichen Verschwiegenheitspflichten stehen zwar unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch den Dienstherrn.120 Zumindest in einer Mediation ist die Erteilung einer entsprechenden Aussagegenehmigung aber ausgeschlossen, weil eine Aussage des Güterichters die Vertraulichkeit als grundlegende Säule des Verfahrens aushöhlen und damit die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe erschweren würde.121 Darüber hinaus steht dem Güterichter ein Zeugnisverweigerungsrecht über den Inhalt des Gütegesprächs zu, soweit ihm Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist.122 b)  Schwachstellen im Schutz der Vertraulichkeit Allerdings ist die Vertraulichkeit vor dem Güterichter nicht absolut geschützt. Vielmehr offenbart eine eingehende Betrachtung des Schutzkonzepts Schwachstellen. Eine erste Schwachstelle zeigt ein Blick auf die Parteien. Im Unterschied 117  Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 179; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1126 (Zivilrecht). 118 Nach Eidenmüller/Prause verfolgt auch die RL 2008/52/EG einen personenbezogenen Schutzansatz, NJW 2008, 2737, 2740. 119  § 46 DRiG i. V. m. §§ 67 BBG, 37 Abs. 1 BeamtStG oder den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften wie z. B. für Niedersachsen § 68 Abs. 1 NBG; Carl, ZKM 2012, 16, 20 (Zivilrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 12, 28 (Zivilrecht); Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 30 (Zivilrecht); Hinrichs, in: ­Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 178; Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 242; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1170 (Zivilrecht); Wagner/Eidenmüller, in: Eidenmüller/ Wagner (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, S. 13. 120  § 37 Abs. 3 BeamstStG. 121  § 37 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG; vgl. den Beschluss der Präsidentin des OLG Schleswig v. 18. 06. 2009, Az. 2045E-118, juris Rn. 11; Thesenpapier der Berliner Richtermediatoren, in: Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2013, 112, 113 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 47; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1170 (Zivilrecht). 122 §§ 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, 43 DRiG; Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 21; Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 73; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 48; ders./ Schroeder, NJW 2014, 1910, 1914 (Zivilrecht); Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 30 (Zivilrecht); Kracht, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 12 Rn. 126 ff.; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 392 (Sozialrecht); Steffek, ZEuP 2013, 528, 552 (Zivilrecht); einschränkend Röthemeyer, der das Recht nur bei Führung einer Mediation anerkennt, ZKM 2012, 116, 118; a. A. Wagner, ZKM 2012, 110, 114.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

zum Güterichter unterliegen sie keiner gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht.123 Insbesondere sind die Vertraulichkeitsvorkehrungen in § 4 MediationsG weder direkt noch analog auf sie anwendbar.124 Eine weitere Lücke zeigt sich im Zusammenhang mit § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Diese Norm gewährt dem Güterichter zwar ein Zeugnisverweigerungsrecht, belegt ihn aber mit keinem Vernehmungsverbot oder einer Pflicht, sein Zeugnisverweigerungsrecht auszuüben.125 Eine solche Pflicht könnte aber sachgerecht sein, zumal der Güterichter als Richter und Amtsträger nicht allein den Parteien verpflichtet ist. Aufgrund seiner Stellung unterliegt er gesonderten Anzeigepflichten, wie der des § 116 AO bei einem Verdacht auf Steuerstraftaten oder der des § 6 SubvG bei einem Verdacht auf einen Subventionsbetrug.126 Die Anzeigepflichten können seine güterichterliche Verschwiegenheitspflicht überlagern. Den außergerichtlichen Verfahrensleiter treffen die Anzeigepflichten dagegen nicht.127 Im Übrigen gilt das Zeugnisverweigerungsrecht von vornherein nur für Zeugen, nicht aber für andere Beweismittel wie den Urkundenbeweis.128 Darüber hinaus greifen die Schutzvorkehrungen auch zeitlich zu kurz. So verbietet § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nur den Nachweis einer vorgetragenen Information. Erforderlich wäre es aber, die Parteien bereits am Vortrag einer erlangten Information zu hindern und nicht erst an ihrem späteren Nachweis.129 Ist die Informa123  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 47; Thole, in: Stein/ Jonas (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 79. 124  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 48; Korsch et al., die eine Analogie unter Hinweis auf das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke ablehnen, Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 47 f.; Steffek, ZEuP 2013, 528, 552 (Zivilrecht); missverständlich insoweit noch der RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 11 a. E.; a. A. Röthemeyer, ZKM 2012, 116, 118; für eine entsprechende Anwendung plädiert Schramm, Richterliche Pflichten beim Prozessvergleich, 2015, S. 108 (Zivilrecht); ähnlich Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 58 (Sozialrecht); ders., BJ 2015, 50, 52 (Sozialrecht). 125  Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 383 ZPO Rn. 1 (Zivilrecht); Hess, in: 67. DJT 2008, F107 f. (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 48; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 54; Wagner, NJW 2001, 1398. 126  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 17; Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 73; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Fn. 28; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 5 (Zivilrecht); Greger, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 118 (Zivilrecht); Henssler/Deckenbrock, DB 2012, 159, 165 (Zivilrecht); Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1165 (Zivilrecht). 127  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 17; Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 73; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 47. 128  Wagner, NJW 2001, 1398. 129  Wagner, NJW 2001, 1398.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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tion erst einmal vorgetragen, hat sich der Schaden für die Vertraulichkeit nämlich schon realisiert. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gibt es daneben noch ein weiteres Problem. Der dort geltende Untersuchungsgrundsatz verpflichtet das Gericht, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln.130 Nach diesem Grundsatz müsste sich das Spruchgericht eigentlich darum bemühen, Kenntnis von den Inhalten des Güterichterverfahrens zu erlangen. Diese Ermittlungspflicht steht aber in einem Spannungsverhältnis zu der Vertraulichkeit des Güterichterverfahrens.131 Das Spannungsverhältnis ist dahin aufzulösen, dass die Ereignisse des Güterichterverfahrens von der Ermittlungspflicht auszusparen sind. Andernfalls wäre die § 54 Abs. 6 ArbGG zugrunde liegende gesetzgeberische Entscheidung, die Parteien für die Güterichterverhandlung von dem Spruchrichter weg zu verweisen, im Ergebnis ausgehebelt. In der Folge würden sich die Parteien vor dem Güterichter zurückhaltender geben und weniger Offenheit an den Tag legen – und einer der größten Vorzüge des Güterichterverfahrens gegenüber dem Gütetermin wäre nivelliert. Der Untersuchungsgrundsatz wird deshalb insoweit teleologisch reduziert. Im Übrigen haben die Beteiligten im Beschlussverfahren gemäß § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bei der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken. Ihre Mitwirkungspflicht geht Hand in Hand mit der Untersuchungspflicht des Spruchgerichts. Soweit die Beteiligten das Güterichterverfahren nicht zum Gegenstand des Beschlussverfahrens machen wollen, braucht das Gericht diesem nicht nachzugehen. Der Untersuchungsgrundsatz konterkariert die Vertraulichkeit des Güterichterverfahrens deshalb nicht. c)  Ansätze zur Verbesserung der Vertraulichkeit Wie kann den Lücken im Schutz der Vertraulichkeit des Güterichterverfahrens begegnet werden? Vielfach wird zur Lückenfüllung de lege lata das Mittel des Prozessvertrags vorgeschlagen.132 Verstößt eine Partei gegen eine Vereinbarung im Prozessvertrag, kann ihr auf Grundlage der §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 1004 130 

§ 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 393 (Sozialrecht). 132  Francken, NZA 2015, 641, 643; Greger, ZRP 2010, 209, 211; ders., in: Greger/ Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 147; ­G ullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 193; Löer, ZKM 2014, 41, 43; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 171; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 392 (Sozialrecht); Schekahn, JR 2013, 53, 56; Wagner, NJW 2001, 1398 f.; Ziemann, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), ArbR, 2018, § 54 ArbGG Rn. 53; grundlegend zum Mittel des Prozessvertrags Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 608 ff. 131 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

BGB eine Vertragsstrafe, eine Schadensersatzpflicht oder ein prozessuales Beweisverwertungsverbot drohen.133 Selbst wenn es den Parteien gelingt, einen wirksamen Prozessvertrag abzuschließen, birgt doch auch dieser Weg Schwächen. So kann die Vertraulichkeit nicht in all ihren Facetten vertraglich abgesichert werden. Zunächst ist ein Prozessvertrag nicht in der Lage, zwingendes Recht zu verdrängen, wie beispielsweise einen presserechtlichen Auskunftsanspruch.134 Auf weitere Grenzen trifft ein Prozessvertrag in den verfahrensrechtlichen Beweisregeln.135 Im Übrigen wirkt eine parteiliche Vertraulichkeitsabrede nur inter partes, während sie hinzugezogene Dritte grundsätzlich nicht binden kann.136 Im Wege des Urkundenbeweises können erlangte Dokumente und im Wege des Zeugenbeweises Dritten mitgeteilte Informationen trotz eines Prozessvertrags in den Prozess eingeführt werden.137 Rechtsanwälte sind im Ausgangspunkt zwar ebenfalls als Dritte einzuordnen. Ihnen kommt allerdings eine Sonderstellung zu, durch die vertragliche Vertraulichkeitsabreden sie zwar binden können, sie berufsrechtlich aber allein ihren Mandanten verpflichtet bleiben.138 Überdies wohnt der Vertraulichkeitsvereinbarung wie jeder parteiautonomen Abrede das Risiko der Unwirksamkeit inne, etwa aus verfahrensrechtlichen Gründen.139 Selbst wenn die Vereinbarung wirksam ist und sich eine Partei auf eine aus ihr erwachsende Vortragsbeschränkung beruft, besteht das Risiko, dass dieses Berufen sich in der freien richterlichen Beweiswürdigung zu Lasten dieser Partei auswirkt.140 Zudem könnte eine Partei durch die Verhandlungen an für sie

133  Burmann/Heß, NJW-Spezial 2013, 329 (Haftungs- und Verkehrsrecht); eingehend Cremer, Vertraulichkeit der Mediation, 2007, S. 172 ff.; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 12 (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 175 f.; Kracht, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 12 Rn. 124; Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 242; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 54; Wagner, NJW 2001, 1398, 1399. 134  VG Minden, Urt. v. 17. 02. 2017, 2 K 608/15, juris Rn. 32. 135  Steffek, ZEuP 2013, 528, 551 (Zivilrecht). 136  § 4 Abs. 1 Satz 1 MediationsG; Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 111, 116 (Zivilrecht); Koch, in: FS Schlosser, 2005, S. 399, 407 f.; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 55. 137  Schekahn, JR 2013, 53, 56 f. 138  § 43a Abs. 2 BRAO; Anwaltsgericht Schwerin, Beschl. v. 01. 08. 2007, I AG 6/07, AnwBl 2007, 716; Groth/von Bubnoff, NJW 2001, 338, 339; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 176; Wagner/Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, S. 13. 139  Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 55. 140  Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 114 (Zivilrecht).

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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vorteilhafte Informationen gelangen, die sie dann auf andere, außer Zusammenhang zu den Verhandlungen stehende Beweismittel stützen kann.141 Weitere Schutzlücken zeigen sich im Zusammenhang mit der Aktenordnung. Zwar sollte schon aus Gründen der Amtshaftung auch im Güterichterverfahren ein gewisser Grad an Dokumentation gewahrt werden. Allerdings werden die Akten des Güterichterverfahrens oft in der Verfahrensakte aufbewahrt.142 Auf die Verfahrensakte kann auch der Spruchrichter zugreifen.143 Dieser Schutzlücke ließe sich im Rahmen einer kleinen Lösung dadurch begegnen, dass der Güterichter eine persönliche Nebenakte erhält.144 Im Modellprojekt der bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit erhielt der Richtermediator etwa ein Sonderheft, in welchem der mediationsbezogene Schriftverkehr auf bewahrt werden sollte; zudem wurde jedes Verfahren in einem separaten Register erfasst.145 Hinsichtlich der Rechtsanwälte schlägt Riehm weiter vor, bei Scheitern der Einigungsbemühungen vor dem Güterichter zu vereinbaren, dass die Rechtsanwälte ihr Mandat niederlegen.146 Zur Exemplifizierung beruft er sich dafür auf das Collaborative law.147 Entsprechende Vorkehrungen tragen allerdings das Risiko in sich, dass die Rechtsanwälte ihren Mandanten von einem Güterichterverfahren abraten. Aus der Perspektive der Parteien kann ein Anwaltswechsel zudem einen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand bedeuten und die Attraktivität des Güterichterverfahrens mindern, was dem Ziel des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde. Angesichts der rechtspraktischen Anlaufschwierigkeiten des Güterichters sollten in diese Richtung gehende Bestrebungen deshalb vorerst zurückgestellt bleiben. 4.  Vertraulichkeit in einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung In außergerichtlichen Konfliktbeilegungen wird ebenfalls Vertraulichkeit angestrebt. Während der Güterichter noch in der Sphäre des Gerichts agiert, ist ein § 54a ArbGG-Verfahren dem Gerichtsverfahren weitestgehend entzogen. Diese 141 

Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 111 (Zivilrecht). Vgl. § 8a Abs. 2 Satz 2 AktO der Bundesländer, demnach die Akten des Güterichterverfahrens lediglich bis zum Abschluss des Güterichterverfahrens separat und ohne Einsichtsmöglichkeit für Dritte aufzubewahren sind. 143  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 29. 144  Löer, ZZP 119 (2006), 199, 207 (Zivilrecht). 145  Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 4; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 29. 146  Diskussionsbericht von Heese, ZZP 127 (2014), 371, 373. 147 Diskussionsbericht von Heese, ZZP 127 (2014), 371, 373; weiterführend Engel, Collaborative Law, 2010. 142 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Entziehung verschafft ihr auch in puncto Vertraulichkeit einen Vorsprung.148 Legen die Parteien besonders hohen Wert auf die Wahrung der Vertraulichkeit, ist der außergerichtliche Weg deshalb ratsam.149 Der Umstand der Klageerhebung ist im Zeitpunkt der Weichenstellung bei § 54a ArbGG zwar bereits öffentlich geworden. Im Übrigen vermögen außergerichtliche Konfliktbeilegungen aber einen hohen Grad an Vertraulichkeit zu gewährleisten. Ihr Umfang variiert je nach dem im Einzelfall gewählten Verfahren. In einer Schlichtung wird die Vertraulichkeit beispielsweise durch privatautonome Abreden gesichert. Schiedsgerichte tagen in der Regel nicht öffentlich, meist wird die Vertraulichkeit von Verfahren und Schiedsspruch auch zusätzlich vereinbart.150 Für eine Mediation gewährleistet § 4 MediationsG ein Minimum an gerichtsfester Vertraulichkeit.151 Zu diesem Zweck unterwirft er den Mediator in Absatz 3 einer Schweigepflicht.152 Das MediationsG enthält jedoch keine Vertraulichkeit im Verhältnis zwischen den Parteien.153 Ist ein im Umfang darüber hinausgehendes Maß an Vertraulichkeit gewünscht, behilft sich die Rechtspraxis mit individuellen Beweismittelvereinbarungen.154 In ihnen kann festgelegt werden, dass die Teilnehmer einer Mediation nicht später als Zeugen vor Gericht benannt werden dürfen.155 Beweismittelvereinbarungen ermöglichen es, Dritte einzubeziehen, die von der Verschwiegenheitspflicht des § 4 MediationsG nicht erfasst werden, wie beispielsweise Sachverständige oder Angehörige.156 All diese Vorkehrungen bieten jedoch keine Garantie, dass die Verhandlungen vertraulich bleiben.

148  Ewig, ZKM 2012, 4, 5 (Zivilrecht); Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54a ArbG Rn. 11. 149  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 17 a. E.; Rechtsausschuss zum RegE Me­ diationsG BT-Drs. 17/8058, S. 21; Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 73; Ewig, ZKM 2012, 4, 5 (Zivilrecht). 150 Weiterführend Holder, Vertraulichkeit im Schiedsverfahren, 2008; Kahlert, Vertraulichkeit im Schiedsverfahren, 2015; Kühn/Gantenberg, in: FS Schlosser, 2005, S. 461, 462 ff. 151  Art. 7 RL 2008/52/EG; zur Bedeutsamkeit der Vertraulichkeit RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 1; ferner Steffek, ZEuP 2013, 528, 551 f. (Zivilrecht). 152  Art. 7 Abs. 1 RL 2008/52/EG. 153  VG Minden, Urt. v. 17. 02. 1017, 2 K 608/15, juris Rn. 30. 154  Steffek, ZEuP 2013, 528, 551 (Zivilrecht); Wagner, NJW 2001, 1398 ff.; weiterführend zu den Schutzlücken der Vertraulichkeit im MediationsG Thole, ZZP 127 (2014), 339, 362 ff. (Zivilrecht). 155  Zu den Mitwirkungsbefugnissen der Parteien §§ 399, 404 Abs. 3 ZPO. 156  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 17.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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VI.  Verjährungs- und Ausschlussfristen Vor dem Güterichter und in einem Gütetermin bereitet der Ablauf von Verjährungs- und Ausschlussfristen aufgrund der vorausgegangenen Klageerhebung grundsätzlich keine Schwierigkeiten.157 Verjährungsfristen werden gehemmt, wie es sich aus § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 262 Satz 1 ZPO i. V. m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ergibt. Bei Ausschlussfristen kommt es auf die konkrete Regelung an. Oft genügt zur Wahrung der Ausschlussfrist schon die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs, wie etwa nach § 15 Abs. 4 AGG; spätestens durch die Klageerhebung wird eine Ausschlussfrist regelmäßig gewahrt. Anders liegt es bei einem § 54a ArbGG-Verfahren. Entscheiden sich die Parteien auf Vorschlag des Spruchrichters für den außergerichtlichen Weg, ruht das gerichtliche Verfahren gemäß § 54a Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Verjährungsrechtlich beginnt mit diesem Ruhen – genauer gesagt mit der Ruhensanordnung durch den Spruchrichter – der Stillstand i. S. d. § 204 Abs. 2 Satz 3 BGB, und nach Ablauf von sechs Monaten endet die Hemmung der Verjährungsfrist.158 Zwar kann die Hemmung auch danach gemäß § 203 Satz 1 BGB fortbestehen, solange die Parteien miteinander über den streitigen Anspruch oder die ihn begründenden Umstände verhandeln.159 Eine Verhandlung i. S. d. § 203 Satz 1 BGB liegt nämlich auch dann vor, wenn die Parteien sich noch in einem § 54a ArbGG-Verfahren befinden.160 Unsicherheiten ergeben sich aber dann, wenn die außergerichtlichen Verhandlungen schleppend zum Erliegen kommen.161 Zu ihrer Vermeidung wird

157 

Steffek, ZEuP 2013, 528, 553 (Zivilrecht). Urt. v. 28. 10. 2015, IV ZR 405/14, MDR 2015, 1421; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 62. 159 Krit. Steffek, RabelsZ 74 (2010), 794, 800, und Wagner, RabelsZ 74 (2010), 841, 861, die beide eine zusätzliche Regelung im Rahmen des § 204 Abs. 1 BGB vorschlagen. 160  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 11; Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 93 f. (Zivilrecht); Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 79; Gullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 222 ff.; Hess, in: 67. DJT 2008, F113; Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 36; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 194 f.; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 45 f.; Steffek, ZEuP 2013, 528, 553 (Zivilrecht); Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54a ArbGG Rn. 30; Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 799. 161 Zum Anfangszeitpunkt Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 36 f.; Steffek, ZEuP 2013, 528, 554 (Zivilrecht); Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 799 f.; zum Umfang der Hemmung Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 195; zum Ende der Verhandlungen BGH, Urt. v. 06. 11. 2008, IX ZR 158/07, NJW 2009, 1806; Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 36 f. 158  BGH,

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

in Mediationsvereinbarungen regelmäßig auf das Recht verzichtet, die Einrede der Verjährung zu erheben. Dringlichere Probleme als die Verjährung bereiten Ausschlussfristen, wie man sie im Arbeitsrecht im Gesetz162, in Arbeits- und Tarifverträgen und in Betriebsvereinbarungen antrifft. Im Unterschied zur Verjährung begründen Ausschlussfristen nicht nur eine Einrede, sondern sind von Amts wegen zu beachten und führen zum endgültigen Verlust des Rechts.163 In der arbeitsrechtlichen Praxis treten sie in ein- und in zweistufiger Gestalt auf: Bei einer einstufigen Frist soll der Anspruch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach seiner Fälligkeit gegenüber dem Vertragspartner geltend gemacht werden; teilweise ist zur Fristwahrung bereits die Klageerhebung erforderlich.164 Bei einer zweistufigen Ausschlussfrist schließt sich an die erste Frist zur außergerichtlichen Geltendmachung eine zweite Frist zur Klageerhebung an. Einstufige Ausschlussfristen sind für ein § 54a ArbGG-Verfahren regelmäßig unproblematisch. Die durch die Ausschlussfrist geforderte außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs erfolgt bereits durch die Einleitung des § 54a ArbGG-Verfahrens; lediglich auf etwaige Formerfordernisse der Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs ist acht zu geben.165 Probleme bereiten dagegen zweistufige Ausschlussfristen. Bei ihnen knüpft die zweite Stufe der Frist oft dergestalt an die erste Stufe an, dass die zweite Frist durch die Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs oder durch die ausgebliebene Reaktion auf die Geltendmachung in Gang gesetzt wird.166 Wenn bereits die erste Stufe durch ein § 54a ArbGG-Verfahren gewahrt wird, ergeben sich für die daran anknüpfende zweite Stufe deshalb keine Schwierigkeiten. Anders liegt es aber, wenn der fragliche Anspruch nicht Teil des ursprünglich vor Gericht gebrachten Streitgegenstands ist, sondern wenn er erst im Rahmen der Wertschöpfung im § 54a ArbGG-Verfahren auf den Verhandlungstisch gelangt. Vor einem Güterichter ergeben sich in solchen Konstellationen keine Probleme: Da er als Richter derart eng mit dem gerichtlichen Verfahren verwoben ist, kann eine Einbeziehung der Ansprüche in das Güterichterverfahren als gerichtliche Geltendmachung i. S. d. Ausschlussfristen gewertet werden. In einem § 54a ArbGG-Verfahren ist in diesem Fall zunächst danach zu differenzieren, auf welcher Rechtsgrundlage die jeweilige Ausschlussfrist beruht, ob also auf 162 

Z. B. §§ 4, 7 KSchG, 61b ArbGG, 17 TzBfG. BGH, Urt. v. 04. 03. 1993, IX ZR 138/92, BGHZ 122, 23; BGH, Urt. v. 18. 01. 2006, VIII ZR 94/05, NJW 2006, 903; Grothe, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2015, Vor § 194 BGB Rn. 10 (Zivilrecht); Husemann, NZA-RR 2011, 337. 164  Z. B. §§ 15 Abs. 4 AGG, 23 Abs. 2 BBiG. 165  Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 196. 166  Müller-Glöge, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2016, § 611 BGB Rn. 1194. 163 

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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Gesetz, auf Tarifvertrag, auf Betriebsvereinbarung oder auf Individualvertrag.167 Eine individualarbeitsvertragliche Ausschlussfrist unterliegt nämlich der Dispositionsbefugnis der Parteien und könnte deshalb durch einen Prozessvertrag außer Kraft gesetzt werden. Schließen die Parteien aber keinen solchen Vertrag oder beruht die Ausschlussfrist auf einer ihrer Dispositionsbefugnis entzogenen Rechtsgrundlage, könnte man erwägen, die verjährungsrechtliche Vorschrift § 203 S. 1 ZPO analog auf die Ausschlussfrist anzuwenden. Problematisch ist eine analoge Anwendung jedoch, weil Ausschlussfristen in besonderem Maße der Rechtssicherheit und -klarheit dienen. Gerade im Arbeitsrecht sind sie oft sehr kurz bemessen. Eine Hemmung für die Dauer eines § 54a ArbGG-Verfahrens, dessen Ende sich oft nicht konkret bestimmen lässt, könnte mit diesem Telos konfligieren. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird eine analoge Anwendung von § 203 S. 1 ZPO auf Ausschlussfristen derzeit überwiegend skeptisch betrachtet.168 Zwar hat die Judikative in der Vergangenheit verjährungsrechtliche Vorschriften mehrfach auf tarifliche und in einem Fall auch auf eine individualvertragliche Ausschlussfrist angewendet.169 Schon wegen der Vielfältigkeit der verwendeten Klauseltypen lässt sich aber insoweit nur schwer von einer konsistenten Kasuistik sprechen. Ferner wird in Rechtsprechung und Literatur erwogen, zumindest dem Ablauf einer individualvertraglichen Ausschlussfrist über das auf § 242 BGB gestützte Institut des Rechtsmissbrauchs zu begegnen. Jedenfalls dann, wenn die Gegenseite die fristgerechte Rechtsausübung durch ein Mediations- oder Verhandlungsangebot treuwidrig verhindert hat, sei eine Korrektur unter dem Gesichtspunkt venire contra factum proprium geboten.170 Als Rechtsfolge sei die Ausschlussfrist als endgültig gewahrt zu betrachten.171 Dafür spricht, dass es in ähnlich gelagerten Konstellationen auch anerkannt ist, § 242 BGB anzuwenden, 167 

Husemann, NZA-RR 2011, 337, 338. Hess, in: 67. DJT 2008, F113; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 197 f.; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 46 f.; jüngst aber BAG, Urt. v. 20. 06. 2018, 5 AZR 262/17, NZA 2018, 1402 ff., das den Ablauf einer individualvertraglichen Ausschlussfrist wegen schwebender Verhandlungen vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens analog § 203 S. 1 BGB als gehemmt ansieht. 169  Instruktiver Überblick bei BAG, Urt. v. 20. 06. 2018, 5 AZR 262/17, NZA 2018, 1402, 1403. 170  Böttcher/Laskawy, DB 2004, 1247, 1251; Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 123 f.; Hess, in: 67. DJT 2008, F113; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 200 f.; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 47. 171  Preis, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 218 BGB Rn. 68. 168 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

wenn beispielsweise ein Schuldner seinen Gläubiger von der fristgerechten Geltendmachung abhält, indem er die geschuldete Leistung wahrheitswidrig zusagt oder vom Gläubiger zur Verzögerung Unterlagen anfordert.172 Dementsprechend könnte man das Institut des Rechtsmissbrauchs bemühen, wenn eine Partei die fristgerechte Rechtsausübung verhindert, indem sie ein nicht ernst gemeintes Mediations- oder Verhandlungsangebot unterbreitet und dieses Angebot dann nach Fristablauf zurückzieht. An Rechtsmissbrauch sind aber stets hohe Anforderungen zu stellen.173 So müsste nachgewiesen werden, dass die zum Verfall führende Untätigkeit gerade durch das Verhalten des Schuldners veranlasst wurde, oder dass der Schuldner es pflichtwidrig unterlassen hat, dem Gläubiger Umstände mitzuteilen, die ihn zur Einhaltung veranlasst hätten.174 Dieser Nachweis wird dem Gläubiger selten gelingen. Das MediationsG enthält – im Unterschied zu den Mediationsgesetzen vieler anderer Staaten175 – selbst keine Vorkehrungen zu der Wahrung von Ausschlussfristen.176 Allenfalls könnten die Parteien sich in einer Mediationsvereinbarung verpflichten, nach Klageerhebung sogleich einen Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens zu stellen, wenn es zur Fristwahrung der Klage bedarf.177 Angesichts dessen wird in der Literatur verschiedentlich eine Regelung gefordert, welche die arbeitsrechtlichen Ausschlussfristen für die Dauer eines § 54a ArbGG-Verfahrens unterbricht.178 Dabei könnte sich der Gesetzgeber an der österreichischen Vorschrift § 22 öZivMediatG orientieren.179 Sollte er eine 172  BAG, Urt. v. 18. 12. 1984, 3 AZR 383/82, NZA 1985, 219, 220; Giesen, in: Rolfs et al. (Hrsg.), BeckOK ArbR, 2018, § 4 TVG Rn. 56. 173  BAG, Urt. v. 20. 06. 2018, 5 AZR 262/17, NZA 2018, 1402. 174 BAG, Urt. v. 18. 3. 1997, 9 AZR 130/96, NZA 1997, 1232, 1233; BAG, Urt. v. 20. 06. 2018, 5 AZR 262/17, NZA 2018, 1402. 175  Steffek, RabelsZ 74 (2010), 841, 859. 176  Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54a ArbGG Rn. 31. 177  §§ 251, 495 ZPO; Böttcher/Laskawy, DB 2004, 1247, 1251; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 306; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 201. Zur Anwendbarkeit des § 251 ZPO im arbeitsgerichtlichen Verfahren BAG, Beschl. v. 22. 04. 2009, 3 AZB 97/08, NZA 2009, 804 f. 178  Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 202; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 47. 179 Bundesgesetz über Mediation in Zivilrechtssachen (öZivMediatG) i. d. F. v. 26. 07. 2016, § 22: „(1) Der Beginn und die gehörige Fortsetzung einer Mediation durch einen eingetragenen Mediator hemmen Anfang und Fortlauf der Verjährung sowie sonstiger Fristen zur Geltendmachung der von der Mediation betroffenen Rechte und Ansprüche. (2) Die Parteien können schriftlich vereinbaren, dass die Hemmung auch andere zwischen ihnen bestehende Ansprüche, die von der Mediation nicht betroffen sind, umfasst“.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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solche Regelung de lege ferenda erwägen, muss er aber auch die Frage nach dem Zeitpunkt einbeziehen, in dem ein § 54a ArbGG-Verfahren endet. Oft schlafen Verhandlungen stückweise ein, Termine werden zunächst nur verschoben und schließlich ganz abgesagt. Im Interesse der Rechtssicherheit bedürfte es deshalb einer eindeutigen Regelung, die Beginn und Ende des § 54a ArbGG-Verfahrens definiert. VII.  Fazit Hinsichtlich der zeitlichen und örtlichen Rahmenbedingungen steht der Güterichter dem Gütetermin näher als das § 54a ArbGG-Verfahren, in dem die Selbstbestimmung der Parteien stärker zum Tragen kommt. Während der Gütetermin in der Regel nach einer Viertelstunde endet, werden für Güterichterverfahren durchschnittlich drei Zeitstunden investiert. Die zeitlichen Kapazitäten eines § 54a ArbGG-Verfahren können noch darüber hinausgehen und richten sich allein nach dem Willen und der Finanzkraft der Parteien. Der Gütetermin findet im Gerichtssaal statt. Der Güterichter führt sein Verfahren in einem innerhalb des Gerichtsgebäudes eigens hergerichteten Raum, dessen Ausstattung darauf ausgelegt ist, Rollendistanzen abzubauen. Das § 54a ArbGG-Verfahren findet auf noch neutralerem Boden außerhalb des Gerichts statt, beispielsweise in einem Hotel. Der Güterichter ist methodisch breiter aufgestellt als ein Spruchrichter im Gütetermin und flexibler als ein außergerichtlicher Verfahrensleiter. Außergerichtlich sind die Parteien in der Regel in höherem Maße auf ein einziges Konfliktbeilegungsverfahren festlegt als vor dem Güterichter. Hinsichtlich der Gegenstände der Verhandlungen ist der Gütetermin am eingeschränktesten und am stärksten rechtsorientiert. Die Rechtsbindung ist bei einem Güterichter im Vergleich dazu gelockert, aber noch immer spürbar. Die verhandelbaren Gegenstände sind breiter gestreut als im Gütetermin. Im § 54a ArbGG-Verfahren spielt das Recht die geringste Rolle, der Kreis der verhandelbaren Gegenstände geht aber nicht mehr deutlich über den vor dem Güterichter hinaus. Während der Gütetermin öffentlich stattfindet, wird außergerichtlich und vor dem Güterichter in der Regel Vertraulichkeit angestrebt. Außergerichtlich liegt es allein in den Händen der Parteien, die Vertraulichkeit zu wahren. Vor dem Güterichter müssen sie ebenfalls zusätzliche Schutzvorkehrungen treffen, da die Nichtöffentlichkeit allein keinen hinreichenden Schutz bietet. Vor dem Güterichter und im Gütetermin bereiten Verjährungs- und Ausschlussfristen durch die vorausgegangene Klageerhebung keine Probleme. Bei einem § 54a ArbGG-Verfahren ist der Ablauf der Verjährungsfrist wegen § 203

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

BGB gehemmt. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch, wenn eine Ausschlussfrist die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs verlangt und der Anspruch nicht zu dem in der ursprünglichen Klage vor dem § 54a ArbGG-Verfahren geltend gemachten Streitgegenstand gehört.

C.  Leitbild der Parteien im Vergleich Im Weiteren wird die Rolle der Parteien in den drei Verfahren untersucht. Die Gegenüberstellung dient dem Zweck, den Kontroll- und Autonomiegrad der Parteien näher zu konturieren und zu vergleichen. I.  Einfluss auf die Einleitung des Verfahrens Zunächst wird der Einfluss der Parteien auf die Verfahrenseinleitung untersucht. Wie ein Verfahren eingeleitet wird, beeinflusst die Machtverhältnisse in den späteren Verhandlungen.180 Gelangt ein Konflikt vor die Arbeitsgerichte, ist der Gütetermin je nachdem, ob es sich um ein Urteils- oder um ein Beschlussverfahren handelt, obligatorisch oder fakultativ. Dem Einfluss der Parteien ist die Einleitung des Gütetermins jedenfalls entzogen. Ob die Parteien vor den Güterichter verwiesen werden, liegt im Ermessen des Spruchrichters. Die Einleitung des Güterichterverfahrens ist damit dem unmittelbaren Einfluss der Parteien entzogen; sie haben keinen Anspruch darauf, verwiesen zu werden.181 Rixen und Zeitlmann zufolge könne das spruchrichterliche Einleitungsermessen allerdings „bei einem übereinstimmenden Antrag der Beteiligten und einer abstrakten Eignung des Falls für das güterichterliche Verfahren […] ebenfalls ,auf null‘ – eher: ,auf eins‘ – reduziert“182 sein. Dem ist zuzugestehen, dass Ermessensspielräumen die Möglichkeit von Ermessensreduzierungen inhärent ist. Probleme bereitet beim Güterichter aber das Tatbestandsmerkmal der abstrakten Falleignung zur einvernehmlichen Konfliktbeilegung, das Rixen und Zeitlmann für eine Ermessensreduzierung definieren. Die positive Eignung für ein Güterichterverfahren ist – ohne dem Ergebnis dieser Bearbeitung allzu sehr vorgreifen zu wollen – nie mit abschließender Gewissheit festzustellen, möglich ist allenfalls ein Negativtestat. Für eine Ermessensreduzierung bedarf es jedoch eigentlich eines solch hohen Grads an positiver Gewissheit. Die Ver180 

Freundorfer/Hauska, ZKM 2015, 39, 42. Baden-Württemberg, Beschl. v. 09. 04. 2014, 8 S 1528/13, juris Rn. 2 f. (Zivilrecht); BayVGH, Beschl. v. 29. 04. 2014, 21 ZB 14.208, juris Rn. 20; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 8 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 8; Steinhauff, SteuK 2013, 160, 161 (Steuerrecht). 182  Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 391 (Sozialrecht). 181  VGH

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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fahrenseinleitung ist dem Einfluss der Parteien damit sowohl im Gütetermin als auch im Güterichterverfahren entzogen. Im Vergleich zu dem Vorschlagsrecht verleiht § 54 Abs. 6 Satz 1 ArbGG der Meinung des Spruchrichters mehr Gewicht. Er kann den Parteien ein Güterichterverfahren aufoktroyieren, ein § 54a ArbGG-Verfahren hingegen nur unverbindlich vorschlagen. Ob die Parteien den unverbindlichen Vorschlag aufgreifen, ist ihre autonome Entscheidung.183 Soweit jedenfalls die Theorie. In der Praxis werden die Parteien mitunter befürchten, den Spruchrichter gegen sich aufzubringen, wenn sie seinen Vorschlag nicht befolgen.184 Diese Befürchtung bestätigen einzelne rechtstatsächliche Befunde, nach denen Arbeitsgerichte die Verweigerung einer Konfliktbeilegung in ihrer späteren Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt haben.185 In vollem Maße selbstbestimmt erfolgt die Verfahrens­ einleitung damit weder beim Vorschlagsrecht noch beim Güterichter. Gleichwohl steht den Parteien bei dem Übergang in ein außergerichtliches Verfahren über § 54a ArbGG mehr Autonomie zu. II.  Einfluss auf die Auswahl des Verfahrensleiters Neben dem Ob eines Konfliktbeilegungsverfahrens kann den Parteien auch Einfluss auf das Wie zustehen. Letzteres umfasst etwa die Auswahl des Verfahrensleiters. Theoretisch ist denkbar, dass sich die Parteien übereinstimmend wünschen, einen bestimmten Verfahrensleiter mit ihrem Konflikt zu betrauen. Ihre Gründe können gute Erfahrungen in der Vergangenheit, auf den Fall zugeschnittenes Fachwissen, Praxisnähe oder persönliche Sympathien sein.186 Den Spruchrichter dürfen die Parteien wegen des Gebots des gesetzlichen Richters nicht selbst auswählen.187 Stattdessen wird er ihnen durch den Geschäftsverteilungsplan zugewiesen. Der Güterichter ist im Geschäftsverteilungsplan genannt, muss aber nicht abschließend festgelegt sein. Ob den Parteien insoweit ein Mitspracherecht zusteht, entscheidet damit das jeweilige Gerichtspräsidium. 183  Prütting, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54a ArbGG Rn. 7; ­Steffek, ZEuP 2013, 528, 538 (Zivilrecht); Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54a ArbG Rn. 13. 184  Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54a ArbGG Rn. 22. 185  LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 23. 03. 2001, 18 Sa 65/00, juris Rn. 73; LAG Hessen, Urt. v. 08. 12. 2009, 1 Sa 394/09, juris Rn. 51; LAG Niedersachsen, Urt. v. 15. 10. 2010, 6 Sa 282/10, juris Rn. 47; LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 20. 03. 2012, 2 Sa 331/11, juris Rn. 30. 186  Dürschke, NZS 2013, 41, 47 (Sozialrecht). 187 Eingehend hierzu bereits oben in dem Abschnitt: Dogmatische Einordnung der ­Güterichteraufgabe, S. 68.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Korrekturbedarf besteht insoweit nicht. Da dem Güterichter im Unterschied zum Schiedsgutachter, Schiedsrichter, Schlichter oder Einigungsstellenvorsitzenden keine Sachentscheidungsbefugnis zukommt, ist sein auf die Konfliktmaterie zugeschnittenes Fachwissen von untergeordneter Bedeutung. Persönliche Sympathien mögen bei einer Konfliktbeilegung hilfreich sein, sind aber nicht conditio sine qua non für ein erfolgreiches Güterichterverfahren. In Extremsituationen besteht die Möglichkeit der Ablehnung wegen Befangenheit oder der Selbstablehnung des Güterichters.188 Liegt den Parteien die Auswahl eines bestimmten Verfahrensleiters am Herzen, sollten sie erwägen, den Weg über § 54a ArbGG einzuschlagen. Außergerichtlich können die Parteien ihren Verfahrensleiter nämlich frei auswählen.189 Die Auswahl kann für sie aber zugleich die erste entscheidende Hürde darstellen. Angesichts dessen schlägt Jänicke vor, das Vorschlagsrecht um eine Vorkehrung zu erweitern, nach der das Gericht durch Beschluss die juristische oder natürliche Person bestimmt, die mit der Durchführung der außergerichtlichen Konfliktbeilegung beauftragt wird; vor der Bestimmung soll das Gericht die Parteien anhören.190 Zwar würde den Parteien so durch das Gericht über die erste Hürde eines § 54a ArbGG-Verfahrens hinweg geholfen. Dem § 54a ArbGG-Verfahren würde jedoch zugleich einer seiner Vorzüge genommen, indem den Parteien verweigert wird, Einfluss auf die Auswahl des Verfahrensleiters zu nehmen. Ein bloßes Anhörungsrecht bedeutet nämlich nicht, dass sich das Gericht nach den Wünschen der Parteien richten muss. Korrekturbedarf besteht hier indes nicht. Die Auswahlmöglichkeit, die den Parteien bei § 54a ArbGG-Verfahren zuteil wird, grenzt diese gerade von einem Güterichterverfahren ab. Unabhängig davon, ob sich dieser Unterschied im Einzelfall als vor- oder nachteilig erweisen mag, ist rechtspolitisch wünschenswert, eine möglichst vielfältige Angebotslandschaft an Konfliktbeilegungsverfahren beizubehalten, statt sie durch eine stete Anpassung der Verfahren schrittweise einzuebnen. III.  Einfluss auf die Durchführung des Verfahrens Im Weiteren wird untersucht und verglichen, welcher Einfluss den Parteien auf die Durchführung der Verfahren zuteil wird. Im individualarbeitsrechtlichen 188  Zur Ablehnung wegen Befangenheit § 41 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG; zur Selbstablehnung § 48 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 158; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 50 f.; Steinhauff, SteuK 2013, 160, 162 (Steuerrecht). 189  Zur Mediation § 2 Abs. 1 MediationsG; zum Schiedsverfahren § 1034 Abs. 1 ZPO. 190  Jänicke, Wirtschaftsmediation, 2014, S. 294 f.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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Gütetermin konturieren der Dispositions- und der Mündlichkeitsgrundsatz den Einfluss der Parteien. Der Dispositionsgrundsatz besagt, dass die Parteien über Beginn, Gegenstand und Ende des Verfahrens verfügen.191 Nach dem Mündlichkeitsgrundsatz ist jeder Rechtsstreit grundsätzlich mündlich zu verhandeln; ein Urteil darf sich nur auf den in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Tatsachenstoff stützen.192 Die beiden Verfahrensgrundsätze suggerieren, dass die Herrschaft über den Gütetermin den Parteien zusteht.193 Tatsächlich obliegt die Verfahrensherrschaft aber in erster Linie dem Spruchrichter.194 Die Parteien werden gleichsam zu „Zaungästen“195 des eigenen Konflikts. Vor dem Güterichter liegt mehr Gewicht auf der Rolle der Parteien als im Gütetermin. So geht der Güterichter gezielt auf die Parteien zu.196 Er soll ihre Partizipation fördern und fordern und die Parteien zu mehr Eigenverantwortlichkeit anleiten.197 Dem Mündlichkeitsgrundsatz kommt vor dem Güterichter insoweit größere Bedeutung zu als im Gütetermin.198 Wie der Güterichter und der außergerichtliche Verfahrensleiter ihre Rolle bei der Durchführung des Verfahrens im Einzelnen ausfüllen, können sie weitgehend selbst bestimmen. Die über § 54a ArbGG möglichen Konfliktbeilegungsverfahren unterscheiden sich in dieser Hinsicht zu stark voneinander; eine pauschalierende Betrachtung ist insoweit nicht möglich. Einen generellen Unterschied gilt es aber anzusprechen: Anders als in einem § 54a ArbGG-Verfahren handelt der Güterichter qua seines Amtes mit richterlicher Autorität.199 Oft gelingt es den Parteien nicht, sich davon frei zu machen, dass sie einem Richter gegenübersitzen. Seine richterliche Autorität hält die Parteien davon ab, allzu stark Einfluss auf die Verfahrensführung nehmen zu wollen. Seine Einbindung in die gerichtliche

191 Statt

vieler Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 46 ArbGG Rn. 8. 192  § 128 Abs. 1 ZPO; BAG, Urt. v. 23. 01. 1996, 9 AZR 600/93, BAGE 82, 74 Ls. 2; Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 46 ArbGG Rn. 2. 193  von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 314; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 97 f. (Sozialrecht). 194  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 127; Hess, in: Storme/Hess (Hrsg.), Discretionary Power of the Judge, 2003, S. 395, 407 (Zivilrecht). 195  Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 44. 196  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 85. 197  Eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit, S. 56. 198  Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 98 (Sozialrecht). 199  Joussen, in: GS Unberath, 2015, S. 241, 244 m. w. N.; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 361 (Zivilrecht); Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 510 f.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Sphäre prägt die Rollenerwartung, welche die Parteien an ihn hegen.200 Sie begreifen ihre eigene Rolle passiver als im außergerichtlichen Bereich und agieren dementsprechend zurückhaltender. Ihre Zurückhaltung beeinflusst die Verhandlungen, kann die Kommunikation hemmen und die Gefahr verstärken, dass die Parteien sich unliebsame Lösungen aufdrängen lassen.201 Überdies blenden sie die rechtlichen Aspekte des Konflikts weniger aus, was das Risiko steigert, dass sie sich auf ihre rechtlichen Positionen versteifen. Häufig erwarten sie von dem Güterichter sogar rechtliche Bewertungen.202 Indem sie aber auf die rechtlichen Bewertungen des Güterichters blicken und ihr Verhandeln an diesen ausrichten, delegieren sie die Konfliktbeilegung bereits in gewisser Weise. Eine vergleichbare Erwartungshaltung würden sie in einem § 54a ArbGG-Verfahren nicht hegen. Außergerichtlich sind sie von vornherein weniger versucht, die Konfliktlösung zu delegieren. Vielmehr begreifen sie den eigenen Autonomiegrad als höher und füllen die eigene Rolle aktiver aus. Andererseits genießt der Güterichter mehr Respekt und Vertrauen als ein einseitig durch den Arbeitgeber bezahlter außergerichtlicher Verfahrensleiter.203 Die Beteiligung eines Richters verleiht dem Verfahren Seriosität. Durch die Klageerhebung entscheiden sich die Parteien bewusst, in die gerichtliche Sphäre einzutreten. Das hierdurch bewiesene Vertrauen in die Justiz erstreckt sich auf ihre Repräsentanten, und damit auch auf den Güterichter.204 Ein ähnliches Phänomen ist zu beobachten, wenn Arbeitsrichter zu Einigungsstellenvorsitzenden oder Richter zu Schiedsrichtern berufen werden.205 Das Bewusstsein der Parteien, sich vor dem Güterichter in einem schwebenden Gerichtsverfahren zu befinden, trägt zur subjektiven Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit der Gesprächsführung bei.206 Im Rahmen der Modellprojekte wurde die Einbindung in die gerichtliche Sphäre deshalb überwiegend als einigungsförderlich empfunden.207

200 

Weber, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2013, S. 143, 147. Thole, ZZP 127 (2014), 339, 341 (Zivilrecht). 202  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 37; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 168 f.; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 90 f. (Sozialrecht). 203  Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 39, 82. 204  Greger, AnwBl 2008, 570, 571 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 91 (Sozialrecht); Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 815. 205 Zum Einigungsstellenvorsitzenden Bauer, NZA 1992, 433; zum Schiedsrichter Lachmann, der eingehend die Zulässigkeit des Einsatzes von Richtern in der Schiedsgerichtsbarkeit untersucht, in: FS Schlosser, 2005, S. 477. 206  Greger, ZKM 2007, 180, 181 f.; ders., Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 61 f. 207  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 99 f. 201 

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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IV.  Einfluss auf die Beendigung des Verfahrens Grundsätzlich liegt die Beendigung der Verhandlungen außergerichtlich, im Gütetermin und vor dem Güterichter bei den Parteien. Bei genauer Betrachtung ergeben sich jedoch auch hier einige Unterschiede, und zwar zwischen dem Güterichterverfahren und der außergerichtlichen Konfliktbeilegung einerseits und dem Gütetermin andererseits. In einem Gütetermin geschlossene Vergleiche empfinden die Parteien aufgrund ihrer vorwiegend eigenen Passivität oft als aufoktroyiert. Ihr Autonomiegrad bei der Verfahrensdurchführung schlägt sich auf den Vergleich durch. Aufoktroyierte Vergleiche genießen eine geringere Akzeptanz als gemeinsam und selbstbestimmt erarbeitete Einigungen. Die Akzeptanz eines Ergebnisses ist für seine Nachhaltigkeit bedeutsam. Akzeptiert eine Partei ein Ergebnis als das eigene, wird sie ihren Teil der Abmachung eher erfüllen, als wenn sie ein Ergebnis als aufgezwungen empfindet. Insoweit kann sich die Art, wie das Ergebnis erreicht wird, langfristig auswirken. V.  Fazit Die Verfahrenseinleitung erfolgt sowohl im Gütetermin als auch vor einem Güterichter fremdbestimmt, im § 54a ArbGG-Verfahren dagegen weitgehend selbstbestimmt. Außergerichtlich können die Parteien ihren Verfahrensleiter selbst auswählen. Bei der Durchführung der Verfahren tun sich dagegen zwischen Gütetermin und Güterichterverfahren Diskrepanzen auf. So wird der Rolle der Parteien vor dem Güterichter mehr Gewicht eingeräumt und sie können selbstbestimmter agieren als im Gütetermin. Ähnlich sind die Rollen bei der Beendigung des Verfahrens austariert. Gleichwohl sind sich die Parteien in einem Güterichterverfahren stets gewahr, einem Richter gegenüberzusitzen. Sie werden von ihrer Autonomie deshalb selten denselben Gebrauch machen wie in einem außergerichtlichen Verfahren.

D.  Leitbild des Verfahrensleiters im Vergleich Verfahrensherrschaft lässt sich nicht unbegrenzt vervielfältigen. Sie kann einem Beteiligten zukommen oder unter mehreren Beteiligten aufgeteilt sein. Beherrscht eine Seite ein Verfahren mehr, sinkt der Anteil der anderen Seite an der Verfahrensherrschaft entsprechend. Vergleichbar steht und fällt der Autonomiegrad der Parteien mit der Rolle ihres Verfahrensleiters. Die Rolle der Parteien lässt sich deshalb nur in Zusammenschau mit der Rolle des Verfahrensleiters abzirkeln.208 208 

Ahrens, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht).

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Die Rolle eines Spruchrichters im Gütetermin wurde in der Fachliteratur weitgehend aufgearbeitet.209 Die Rolle eines außergerichtlichen Verfahrensleiters variiert abhängig von dem im Einzelfall gewählten Konfliktbeilegungsverfahren. Zu dem Leitbild des Güterichters finden sich in der Literatur die unterschiedlichsten Ausführungen. Manche stellen Güte- und Spruchrichter einem Dualismus des jhering‘schen Kampfes um das Recht und dem Ideal harmonischer Befriedung gleich.210 Andere monieren die Unbestimmtheit des Güterichterbegriffs211 oder überantworten sie dem Rollenverständnis des individuellen Güterichters.212 Der folgende Abschnitt soll ein wenig Licht in das Dunkel um die Figur des Güterichters und ihr rechtliches Korsett bringen. Bei der Konturierung der Befugnisse des Güterichters muss man sich stets vergegenwärtigen, dass der Güterichter ein Richter ist, dessen funktionale Zuständigkeit sich auf einen umgrenzten Verfahrensabschnitt beschränkt. Die verfahrensleitenden Befugnisse des Güterichters orientieren sich deshalb im Ausgangspunkt an denen des Spruchrichters im Gütetermin.213 I.  Entscheidungsbefugnis 1.  Letztentscheidungsbefugnis Wie einflussreich die Rolle des Verfahrensleiters ausgestaltet ist, offenbart sich in keinem Merkmal so deutlich wie in dem der Entscheidungsbefugnis. In ihr liegt einer der größten Unterschiede zwischen Spruch- und Güterichter begründet. Im ersten Zugriff könnte man meinen, es fehle beiden Verfahrensleitern an der Entscheidungsbefugnis. So ist der Spruchrichter nicht befugt, ohne Zustimmung der Parteien im Gütetermin ein streitiges Urteil zu fällen. Allerdings ist der Gütetermin in seinem prozessualen Kontext zu betrachten. Bei Scheitern der Einigungsbemühungen wird ein Schlichter unmittelbar zum Richter. Das Wissen um diese Personalunion von Schlichter und Richter können die Parteien im Gütetermin nicht ausblenden, es beeinflusst ihr Kommunika-

209 Weiterführend

Kramer, Güteverhandlung, 1999. Hager, Konflikt und Konsens, 2001, S. 136 ff.; ähnlich Althammer, JZ 2006, 69, 71 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 36 (Sozialrecht). Zum Ursprung des Bonmots von Jehring, Der Kampf um‘s Recht, 1872, S. 7: „der Frieden als das Ziel, der Kampf als das Mittel des Rechts“. 211  Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 115 (Sozialrecht). 212  Jedenfalls für das Rollenverständnis des außergerichtlichen Mediators Hess, in: 67. DJT 2008, F17 f. 213  §§ 46 Abs. 2, 47, 51, 52, 54 ArbGG; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 51 ff. 210 

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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tionsverhalten.214 Diese Beeinflussung erfolgt mit gutem Grund, wie die empirischen Studien von Englich und Mussweiler sowie von Wistrich, Guthrie und Rachlinski belegen.215 Sog. Ankereffekte erschweren es dem Spruchrichter, im Gütetermin Offenbartes bei der Urteilsfindung unbeachtet zu lassen. Im Wissen darum wollen die Parteien keine Angriffsfläche bieten. Folglich verteidigen sie ihre Positionen, statt ihre Interessen offenzulegen und sich für eine Kooperation zu öffnen.216 Gerade diese Schwäche des Gütetermins sollte die Einführung des Güterichters kompensieren. Daneben prägt die Entscheidungsbefugnis auch die Herangehensweise des Spruchrichters. So leitet er seinen Gütetermin in dem Bewusstsein seiner späteren Entscheidungsaufgabe und damit materiell nach Art der Schlichtung.217 Dabei blickt er von Beginn an durch eine von Paragraphen eingefärbte Brille.218 Durch seine juristische Erfahrung konzentriert sich seine Wahrnehmung von vornherein auf subsumtionsfähige Aspekte. Manche Spruchrichter drängen die Parteien gar zu einem Vergleich, um der zusätzlichen Arbeitsbelastung durch ein Urteil zu entgehen.219 Solche Vergleiche ähneln letztlich vorweggenommenen Endurteilen.220 Die Letztentscheidung des Verfahrensleiters ist insoweit nur die Spitze des Eisbergs. Unter ihr verbirgt sich die Zielrichtung, mit welcher der Verfahrensleiter an einen Konflikt herangeht. Diese Zielrichtung ist bei dem Spruchrichter eine andere als bei dem Güterichter. Außergerichtlich variiert sie je nach Verfahrenstyp. 214  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 308 f.; Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 43 f.; Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 231; Stevens-Bartol, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation, 1997, S. 141 f.; Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 819; Weber, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2013, S. 143, 147. 215  Englich, ZFSP 2005, 215 ff.; ders./Mussweiler, 31 Journal of Applied Social Psychology 1535, 1551 (2001); Wistrich/Guthrie/Rachlinski, 153 University of Pennsylvania Law Review 1251 (2005). 216  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 20. 217  Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 57; Ortloff, NVwZ 2012, 1057 f. (Verwaltungsrecht). 218  Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 5; Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2015, 7, 8 (Zivilrecht); Sarhan, JZ 2008, 280, 285; Weber, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2013, S. 143, 147. 219 BGH, Urt. v. 06.  07. 1966, Ib ZR 83/64, NJW 1966, 2399, 2400; BAG, Urt. v. 12. 05. 2010, 2 AZR 544/08, NZA 2010, 1250; Steinberg, DRiZ 2012, 19 ff. (Zivilrecht); Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 518 ff. Breidenbach verneint zwar eine objektive Ausübung richterlichen Vergleichsdrucks, gesteht aber zu, dass die Parteien einen solchen subjektiv sehr wohl empfinden können, Mediation, 1995, S. 309. 220  Röhl, in: Wassermann (Hrsg.), AK-ZPO, 1987, § 279 ZPO Rn. 3 (Zivilrecht); ­Stürner, JR 1979, 133, 135, 136 (Zivilrecht).

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Aus der Perspektive des Güterichters besteht wenig Anlass, den Konflikt rechtlich auszuloten. Grundsätzlich mögen ihm als Richter zwar rechtliche Hinweise oder Vergleichsvorschläge gestattet sein.221 Gleichwohl sprechen aus seiner Warte zweierlei vorwiegend praktische Erwägungen dafür, sich rechtlicher Bewertungen zu enthalten: Erstens wird seine Einschätzung die Parteien angesichts seiner fehlenden Entscheidungsbefugnis ohnehin wenig beeindrucken.222 Zweitens können seine rechtlichen Äußerungen das Verfahren unnötig verkomplizieren, wenn der Konflikt nach dem Güterichterverfahren wieder zurück zum Spruchrichter gelangt und letzterer eine abweichende rechtliche Einschätzung vertritt.223 Nicht zu Unrecht fragt Schreiber daher, wie „ein Güterichter über Recht sprechen [kann], wenn er nicht „Recht sprechen“ [darf]“224. Strenger noch grenzen Klamt und Moltmann-Willisch den Güte- vom Spruchrichter ab. Sie argumentieren, dass nur bei konsequentem Enthalten jeder rechtlichen Beurteilung eine Beliebigkeit des Güterichtermodells vermieden werden könne.225 Vergegenwärtigt man sich jedoch die güterichterliche Methodenfreiheit, so ist diese Einschränkung zu weitgehend. Nicht nur mag manch rechtlicher Hinweis – gerade bei nicht anwaltlich vertretenen Parteien – Bedenken zerstreuen und die Verfahrensgrundsätze der Informiertheit und Selbstbestimmtheit sichern. Auch das Argument, den Güterichter festzulegen und trennscharf zum Spruchrichter abzugrenzen, lässt sich bereits anzweifeln. Immerhin zeichnet sich die Figur des Güterichters gerade durch ihre Flexibilität aus.226 Schnittmengen sollten deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen werden. 2.  Anordnung persönlichen Erscheinens § 51 Abs. 1 Satz 1 ArbGG gestattet es dem Spruchrichter, das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen. Dafür genügt allerdings, dass ein informierter und zu dem Abschluss von Vergleichen bevollmächtigter Vertreter erscheint.227 Bei Nichterscheinen darf der Spruchrichter ein Ordnungsgeld verhängen.228 In 221  Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 13; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 37. 222  Fritz, ZKM 2015, 10, 12. 223  Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2015, 7, 8 f. (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 36. 224  Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 104 (Sozialrecht). 225  Klamt/Moltmann-Willisch, ZKM 2015, 7, 8 f. (Zivilrecht). 226  Weber, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2013, S. 143, 144. 227  Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 51 ArbGG Rn. 9. 228  Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 51 ArbGG Rn. 21.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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einer außergerichtlichen Mediation ergibt sich das Anwesenheitserfordernis aus den §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 MediationsG. Zwangsmittel zur Sicherstellung der Anwesenheit stehen dem außergerichtlichen Mediator indes keine zu. Bleiben die Parteien fern, wird die Mediation abgebrochen. Bei einem Güterichter ist unklar, ob er das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen kann.229 In einem Güterichterverfahren ist die Anwesenheit der Parteien von noch größerer Bedeutung, da ihnen eine aktivere Rolle zugewiesen ist als in einem Gütetermin.230 Ohne die Anwesenheit der Parteien hat das Güterichterverfahren keine Aussicht auf Erfolg. Die Anordnungsbefugnis zu verneinen, würde zudem konterkarieren, dass das Einverständnis der Parteien für die Verweisung nach zutreffender Ansicht nicht erforderlich sein soll. Wenn man sich aber schon entscheidet, das Ob der Verweisung der Parteidisposition zu entziehen, ist es konsequent, auch die Befugnis zur Anordnung des persönlichen Erscheinens zu gewähren. Das LSG Bayern sah kein Problem darin, dass persönliche Erscheinen in einem Güterichterverfahren anzuordnen. In dem seinem Beschluss zugrunde liegenden Verfahren hatte die Anordnung nach § 191 SGG zur Folge, dass die Partei den Ersatz ihrer Auslagen verlangen konnte, wobei es sich freilich um eine sozialgerichtliche Besonderheit handelt.231 Den Umstand, dass das persönliche Erscheinen für ein Güterichterverfahren angeordnet worden war, hinterfragte das Gericht dabei nicht näher. Gegen eine Anordnungsbefugnis spricht jedoch die fehlende Entscheidungsbefugnis des Güterichters.232 Zudem ist der Wortlaut des § 51 ArbGG auf den Vorsitzenden und damit auf den Spruchrichter beschränkt. Eine direkte Anwendung der Vorschrift auf den Güterichter ist deshalb zu verneinen. Für eine Analogie fehlt die Planwidrigkeit der Regelungslücke. Vielmehr deutet die Existenz des § 135 FamFG darauf hin, dass der Gesetzgeber im Arbeitsrecht bewusst auf eine Regelung verzichtet hat. Dem Güterichter steht es somit nicht zu, dass persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen.

229 Dagegen Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 54 ArbGG Rn. 11; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 54; dafür LSG Bayern, Beschl. v. 08. 04. 2015, L 15 SF 387/13, juris Rn. 15; Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 390 (Sozialrecht); Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1133 (Zivilrecht). 230  Brose, ZKM 2016, 221, 225 (gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht); ­Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 104; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 172; Zwickel, NZM 2014, 18, 24 (Wohnungseigentumsrecht). 231  LSG Bayern, Beschl. v. 08. 04. 2015, L 15 SF 387/13, juris Rn. 15. 232  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 54.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

3.  Weitere Einzelbefugnisse Anlass zur Diskussion bietet zudem die Frage, ob die Verfahrensleiter mit den Parteien Einzelgespräche – in der Mediationswissenschaft auch caucus genannt – führen dürfen. Für eine Konfliktbeilegung sind Einzelgespräche Fluch und Segen zugleich: Einerseits bergen sie das Risiko, dass die Neutralität des Verfahrensleiters aus Sicht der Parteien Schaden nimmt.233 Wegen des Einzelgesprächs könnte die andere Partei befürchten, der Güterichter fühle sich der ersten Partei infolge der privaten Unterredung verpflichtet.234 Andererseits bieten Einzelgespräche die Chance, die Interessen der Parteien eingehend zu ergründen und die Lösungsfindung mit diesem Wissen gezielt voranzutreiben.235 Angesichts dieser Zweischneidigkeit wurden Einzelgespräche in den Modellprojekten in äußerst gemischtem Umfang genutzt.236 Unter dem Stichwort der Shuttle-Schlichtung haben sich Einzelgespräche in der Praxis und dabei insbesondere im betriebsverfassungsrechtlichen Einigungsstellenverfahren seit Jahren bewährt.237 Fest steht, dass dem Spruchrichter Einzelgespräche nicht gestattet sind. Er würde durch sie gegen das in Art. 103 Abs. 1 GG niedergelegte Gebot rechtlichen Gehörs verstoßen.238 Auf den Güterichter ist das Gebot jedoch nicht anzuwenden. Damit sind keine zwingenden rechtlichen Gründe ersichtlich, dem Güterichter Einzelgespräche zu untersagen.239 Außergerichtlich steht es dem Verfahrensleiter ebenfalls frei, sich unter vier Augen mit den Parteien zu besprechen. Im Gütetermin kann auf Grundlage der §§ 330 ff. ZPO ein Versäumnisurteil ergehen.240 Im Güterichterverfahren ist der Erlass eines Säumnisurteils dagegen 233  von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 35 ff., 37 f., 334 f.; Friedman/ Himmelstein, Konflikte, 2013, S. 214 ff.; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 36; Hess, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 43 Rn. 52; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 67. 234  Seybold, Mediation und Gericht, 2009, S. 40 f. 235  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 45; krit. Seybold, Mediation und Gericht, 2009, S. 45 ff. 236  Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern II, 2009, S. 93; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 86; ders., Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 71; ders./Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen I, 2011, S. 12; ders./Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 11. 237  Faulbach, NZA 2012, 953, 955. 238  Breidenbach, Mediation, 1995, S. 308; Hess, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 43 Rn. 53; Steffek, ZEuP 2013, 528, 548 (Zivilrecht). 239  I. E. Francken, NZA 2015, 641, 643; Thole, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 76; Weber, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2013, S. 143, 148; a. A. Prütting, MDR 2016, 965, 967 (Zivilrecht). 240  Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 57; Lansnicker, in: Lansnicker (Hrsg.), Prozesse in Arbeitssachen, 2013, § 2 Rn. 131.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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ausgeschlossen.241 Nicht nur nehmen die Parteien keine Prozesshandlungen vor, was eine Säumnis tatbestandlich ausschließt.242 Auch die fehlende Entscheidungsbefugnis spricht dagegen, dem Güterichter den Erlass von Versäumnisurteilen zu gestatten.243 Außergerichtlich sind Versäumnisurteile ebenfalls ausgeschlossen. Mangels Entscheidungsbefugnis ist der Güterichter zudem nicht zur Verlängerung prozessualer Fristen befugt, der Spruchrichter hingegen schon.244 Außerdem vermag der Güterichter anders als der Spruchrichter keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen.245 Im Unterschied zu einem außergerichtlichen Verfahrensleiter sind Güte- und Spruchrichter auch ohne die Zustimmung der Parteien befugt, in die Gerichtsakten Einsicht zu nehmen.246 Dadurch gelangen sie zu einem vergleichsweise frühen Verfahrenszeitpunkt an umfangreiche Informationen. Der Weg über die Akteneinsicht birgt allerdings auch Risiken, beispielsweise in Bezug auf die außerrechtlichen Interessenkonflikte. Denn naturgemäß werden diese in Schriftsätzen kaum thematisiert.247 Die Akteneinsicht erleichtert die Informationsgewinnung damit anfangs zwar, verschafft dem Güterichter aber selten alle erforderlichen Informationen.248 Im Gegenteil kann der frühe Blick in die Schriftsätze das Blickfeld der Richter einschränken oder sie auf eine falsche Fährte führen. 241  ArbG Hannover, Beschl. v. 01. 02. 2013, 2 Ca 10/13 Ö, ZKM 2013, 130; Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 93; Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 54 ArbGG Rn. 11. 242  Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht). 243  Bacher, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 31 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 53; Thomas, in: ­K lowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 19. 244  BGH, Beschl. v. 12. 02. 2009, VII ZB 76/07, NJW 2009, 1149 Ls. 2; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 135; Joussen, in: GS Unberath, 2015, S. 241, 244 f. 245  Bacher, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 31 (Zivilrecht); Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 38; Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 94; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 134; ders., in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 26a (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 181; Joussen, in: GS Unberath, 2015, S. 241, 244 f. 246 Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 17; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Groth, Mediation im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren, 2017, S. 186; Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1264; Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 20 (Zivilrecht); krit. ob der Zweckmäßigkeit Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 17 a. E. 247  Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1264. 248  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 81; Hückstädt, NJ 2005, 289, 293.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

II.   Fachliche Qualifikation Weiterhin soll das erforderliche Mindestmaß an fachlicher Qualifikation der drei Verfahrensleiter miteinander verglichen werden. Dabei ist zwischen ihrer beruflichen Grundausbildung, ihren konfliktbeilegungsmethodischen Kenntnissen und ihrem sonstigen konfliktrelevanten Sonderwissen zu unterscheiden. Als Richter sind sowohl der Spruch- als auch der Güterichter Volljuristen. Im Ausgangspunkt verfügen sie damit über eine gleichwertige berufliche Grundausbildung. Ihr Studium und ihre spätere Berufserfahrung befähigen sie, die Rechtslage zu erfassen, zu bewerten und eine am Recht ausgerichtete Entscheidung zu fällen. Angesichts dessen katapultiert der Gütetermin viele Richter in einen Zwiespalt zwischen ihrer angestammten Entscheidungs- und der ihnen fremden Vergleichs­ tätigkeit.249 Den Handlungsspielraum des Gütetermins werden sie im Rahmen der tradierten Richterrolle nicht adäquat nutzen gelehrt. Henkel, selbst ein Richter am Arbeitsgericht Wiesbaden, beschreibt das richterliche Dilemma mit den folgenden Worten:250 „Ein Haupthindernis für die Verwendung mediativer Verhandlungsformen ist bei Richtern regelmäßig der im Zivilverfahren angelegte Rollenkonflikt zwischen dem Richter als Entscheider und dem Richter als Vergleicher. Richter haben von ihrer Ausbildung her in ihrem Werkzeugkasten gewissermaßen nur den Streitentscheidungshammer. Wer aber als Werkzeug nur einen Hammer hat, der muss jedes Problem bald als Nagel ansehen.“

Anders liegt es bei einem Güterichter, für den die tradierte Rolle eines Richters neu formuliert wurde. Güterichter werden speziell fortgebildet, damit sie den Handlungsspielraum des Güterichterverfahrens optimal ausschöpfen können.251 Fehlendes Kommunikationsvermögen kann durch die Aneignung mediativer Techniken ausgeglichen werden.252 Der Umfang der güterichterlichen Zusatzaus249  Astor/Chinkin, Dispute Resolution, 1992, S. 177 f. (Australien); Breidenbach, Mediation, 1995, S. 306 ff.; Stürner, JR 1979, 133, 134; Weber, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2013, S. 143 ff.; Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 508 ff. 250  Henkel, NZA 2000, 929, 931 f.; zur Metapher des Hammers bereits Gottwald, BJ 1999, 117, 129. 251  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 39; ders.; in: G ­ reger/ Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 119 f.; P ­ ilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 237, 254; Thomas befürwortet eine Angleichung der Fortbildungsangebote an die für außergerichtliche Mediatoren geltende Z ­ MediatAusbV, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 15; Tiedemann, ArbRB 2012, 320, 321 f. 252  Henderson, 11 Ohio State Journal on Dispute Resolution 105, 113 ff. (1996) (USA); Hückstädt, NJ 2005, 289, 293; zu den charakterlichen Voraussetzungen, die ein Mediator idealerweise mitbringen sollte, Stulberg, 6 Vermont Law Review 85, 94 ff. (1981) (USA).

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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bildung ist bundesweit noch nicht abschließend geklärt und wird unterschiedlich gehandhabt.253 Jedenfalls richtet er sich nicht nach § 5 MediationsG.254 Gelegentlich wird die Hoffnung verlautbart, dass die anlässlich der Einführung des Güterichtermodells stattfindenden Fortbildungen sich auch auf die Tätigkeit der Fortgebildeten als Spruchrichter in anderen Verfahrensabschnitten auswirken werden.255 Für die meisten § 54a ArbGG-Verfahren muss der Verfahrensleiter nicht juristisch ausgebildet sein. Dafür verfügt er über besonderes Fachwissen hinsichtlich eines bestimmten Konfliktbeilegungsverfahrens. Meist hat er mehr Zeit und Aufwand in seine Aus- und Fortbildung investiert als ein Güterichter in seine Zusatzausbildung. Bei der außergerichtlichen Mediation wurde über die konkreten Aus- und Fortbildungserfordernisse lange diskutiert.256 Am 31. August 2016 wurde schließlich die schon im MediationsG vorgesehene Ausbildungsordnung (ZMediatAusbV) veröffentlicht, welche die Voraussetzungen einer Ausbildung zum zertifizierten Mediator detailliert regelt. Im Übrigen ist das berufliche Ausbildungsspektrum bei den § 54a ArbGG-Verfahrensleitern breit gefächert. Sie bringen unterschiedliche Hintergründe mit und können z. B. Notare, Psychologen, Sozialpädagogen, Chemiker oder Betriebswirte sein.257 Ist in einem Konflikt anderes Sonderwissen oder Praxisnähe gewünscht, können die Parteien sich außergerichtlich einen Verfahrensleiter mit entsprechendem Profil suchen. Gerade in technologisierten Betrieben mit komplexer Maschinerie kann Praxisnähe wünschenswert sein. Ein Güterichter verfügt dagegen als Richter zunächst nur über juristisches Fachwissen. Stehen gutachterlich zu beantwortende Tatsachenfragen im Raum, sollten die Parteien bei § 54a ArbGG die Einholung eines Schiedsgutachtens erwägen.258 III.   Unabhängigkeit Ein weiterer Unterschied könnte darin bestehen, welcher Grad an Unabhängigkeit den Verfahrensleitern zukommt. Einen hohen Grad bietet die richterliche Unabhängigkeit, die sich aus den Art. 97 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 2, 3 GG 253  Greger, Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 6; krit. Hess, in: 67. DJT 2008, F124 ff. 254  Zur Nichtanwendbarkeit des MediationsG auf den Güterichter bereits oben in dem Abschnitt: Güterichteraufgabe als alternative Konfliktbeilegung, S. 69. 255  von Bargen, DVBl 2004, 468, 477 (Verwaltungsrecht); Haft/Schlieffen, in: Haft/ Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, Vorwort zur dritten Auflage, X; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 89. 256  Z. B. Steffek, ZEuP 2013, 528, 558 ff. (Zivilrecht). 257  Hess, in: 67. DJT 2008, F59. 258  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 20.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

sowie § 25 DRiG, § 1 GVG ergibt. Sie beinhaltet, dass ein Richter sachlich und persönlich von der Exekutive und von der Legislative unabhängig ist.259 Sachliche Unabhängigkeit bedeutet dabei vor allem, dass ein Richter keinerlei Weisungen dahingehend unterliegt, wie er seine Fälle entscheidet.260 Zur Absicherung dieser sachlichen Unabhängigkeit ist auch seine persönliche Rechtsstellung geschützt, etwa vor örtlichen Versetzungen oder vor Absetzungen.261 Der Spruchrichter genießt richterliche Unabhängigkeit, im Gütetermin ebenso wie im übrigen gerichtlichen Verfahren.262 Der außergerichtliche Verfahrensleiter ist nicht richterlich unabhängig. Unklar ist dagegen, ob der Güterichter richterlich unabhängig ist.263 Zu Zeiten der Modellprojekte vertraten manche, Richtermediatoren genössen keine richterliche Unabhängigkeit.264 Das Grundgesetz gewährleiste diesen hohen Grad an Unabhängigkeit allein für die Rechtsprechung und damit nur für den Spruchrichter.265 Der Güterichter sollte im Ergebnis aber richterliche Unabhängigkeit genießen. Grund hierfür sind teleologische Erwägungen: Richterliche Unabhängigkeit, die zu den grundlegenden Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung zählt, soll ihren Träger im Interesse der Gewaltenteilung von äußeren Einflüssen freihalten, sodass er einzig an Gesetz und Recht gebunden bleibt. Um diesem Zweck umfassend Rechnung zu tragen, schützt das Grundgesetz die richterliche Tätigkeit absolut; es differenziert nicht nach der konkret ausgeübten Aufgabe.266 Der Güterichter ist nach zutreffender Ansicht ein Richter, der mit dem Güterich259  BVerfG, Beschl. v. 09. 11. 1955, 1 BvL 13/52, 1 BvL 21/52, BVerfGE 4, 331, 346; BVerfG, Beschl. v. 17. 12. 1969, 2 BvR 271, 342/68, BVerfGE 27, 312, 322; BVerfG, Urt. v. 08. 02. 2001, 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111, 140; Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 97 GG Rn. 75 ff., 98 ff. 260  Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 97 GG Rn. 75 ff.; Jacobs, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2011, § 1 GVG Rn. 16 ff. 261  Hillgruber, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 98 GG Rn. 98 ff.; Jacobs, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2011, § 1 GVG Rn. 24 f. 262 BGH, Urt. v. 09. 03. 1967, RiZ (R) 2/66, BGHZ 47, 275, 287; Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 9 (Zivilrecht); Münch, in: Bruns/Münch/Stadler (Hrsg.), Zukunft des Zivilprozesses, 2014, S. 5, 42 (Zivilrecht). 263  Dafür wohl Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 46; Dürschke, NZS 2013, 41, 45 (Sozialrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 5 (Zivilrecht); Greger, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 118 (Zivilrecht); ders., in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 26a (Zivilrecht); Nause, in: Schwab/Weth (Hrsg.), ArbGG, 2018, § 54 ArbGG Rn. 106; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 158. 264  Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 86; a. A. Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243, 3245 f. (Zivilrecht). 265  Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243, 3245 f. (Zivilrecht). 266  Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243, 3245 f. (Zivilrecht).

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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terverfahren eine sonstige richterliche Aufgabe übernimmt.267 Infolge dessen muss der Güterichter ebenso in richterlicher Unabhängigkeit handeln wie es ein Spruchrichter tun würde.268 Dem Leiter eines § 54a ArbGG-Verfahrens steht dagegen mangels Richterstatus keine richterliche Unabhängigkeit zu. Unabhängig soll er aber trotzdem sein. Dafür bedarf es aber einer anderen Quelle als bei der Richterstellung.269 Meist bieten die Regelwerke des jeweiligen Konfliktbeilegungsverfahrens eine solche Quelle. Die objektive Verpflichtung zur Unabhängigkeit muss sich jedoch nicht mit ihrer subjektiven Wahrnehmung durch die Parteien decken. Subjektive Zweifel an der Unabhängigkeit können die Konfliktbeilegung aber mindestens ebenso belasten wie eine objektive Parteilichkeit. Dabei werden die Parteien außergerichtlich eher Zweifel an der Unabhängigkeit hegen, als sie es bei der eines Richters tun würden. Immerhin wird der Mediator auf Basis eines Dienstvertrags tätig. Nach außen hin wird seine Vergütung zwar unter den Parteien zu gleichen Teilen gesplittet. Im Innenverhältnis können die gesamten Kosten aber einer Seite allein zugewiesen sein, in der Regel also dem Arbeitgeber. IV.   Haftung Die Haftung des Spruchrichters für amtspflichtwidriges Verhalten richtet sich nach Art. 34 Satz 1 GG i. V. m. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB.270 Die Haftung des Güterichters richtet sich wegen seiner Richterstellung grundsätzlich nach denselben Vorschriften.271 Danach haftet er nur für besonders grobe Verstöße; eine Haftung setzt regelmäßig Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus.272 Die fehlende Entscheidungsbefugnis des Güterichters wirkt sich allerdings 267  Eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: Dogmatische Einordnung der Güterichteraufgabe, S. 68. 268 I. E. Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 127; ders., ZKM 2017, 4; Weber, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2013, S. 143, 147; Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 498 f. 269 Vgl. Tochtermann, der neben verschiedenen Quellen für die Unabhängigkeit des Richters und Mediators auch die Quellen in der Schiedsgerichtsbarkeit in den Blick nimmt, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 29 ff. 270  Schramm, Richterliche Pflichten beim Prozessvergleich, 2015, S. 116 ff. (Zivilrecht). 271  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 138; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 59; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 67 (Sozialrecht); Steffek, ZEuP 2013, 528, 558 (Zivilrecht). 272  BGH, Urt. v. 03. 07. 2003, III ZR 326/02, BGHZ 155, 306 Ls. 2; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 138;

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

dahingehend aus, dass das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB nicht anwendbar ist.273 Schwierigkeiten kann es zudem bereiten, das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Haftung nachzuweisen. Zunächst setzen die Art. 34 Satz 1 GG i. V. m. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB voraus, dass eine Amtspflicht verletzt wurde. Dem Güterichter obliegen jedoch vergleichsweise wenige haftungsrelevante Amtspflichten. Denkbar ist allenfalls ein fehlerhafter Hinweis zu den sozialversicherungsrechtlichen Folgen eines Vergleichsabschlusses oder ein Bruch der Vertraulichkeit.274 Eine Pflichtverletzung durch eine fehlerhafte Vermittlung wird dagegen selten nachzuweisen sein.275 Für den Güterichter bestehen mithin insgesamt geringe Haftungsrisiken. Die Haftung des § 54a ArbGG-Verfahrensleiters variiert dagegen je nach Verfahren.276 Für den außergerichtlichen Mediator beurteilt sie sich nach seinem individuellen Dienstvertrag sowie nach den allgemeinen schuld- und deliktsrechtlichen Grundsätzen.277 Angesichts des hohen Grads an Parteiautonomie wird eine Pflichtverletzung aber nur in Ausnahmefällen zu einem zurechenbaren Schaden führen.278 Auch für den außergerichtlichen Verfahrensleiter bestehen damit überschaubare Haftungsrisiken. Insgesamt bietet die Haftung der Verfahrensleiter deshalb wenig Unterscheidungskraft für die Verfahrenswahl. V.  Eingriffe zugunsten der schwächeren Partei Ein letzter Aspekt, der das Leitbild des Verfahrensleiters prägt, betrifft die Frage, inwieweit er zugunsten der wegen eines Machtgefälles in den VerhandlunS­ chreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 67 (Sozialrecht); Steffek, ZEuP 2013, 528, 558 (Zivilrecht). 273  Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 138; Horstmeier, Media­ tionsG, 2013, S. 146 f. sowie Rn. 427; Koch, NJ 2005, 97, 100 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 60; Mayer, in: Kissel (Begr.), GVG, 2018, Einl. Rn. 137; Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 20 (Zivilrecht); ­Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 67 (Sozialrecht); Steffek, ZEuP 2013, 528, 558 (Zivilrecht); Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1121 (Zivilrecht). 274  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 60. 275  Koch, NJ 2005, 97, 100 (Zivilrecht). 276  Instruktive Übersicht bei Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 217 ff.; zur Haftung des Schiedsrichters Gal, Haftung des Schiedsrichters, 2009. 277  Bürger, Möglichkeiten für den Einsatz der Mediation im Arbeitsrecht unter Einbeziehung des Mediationsgesetzes, 2014, S. 85. 278  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, B § 2 MediationsG Rn. 64; Steffek, ZEuP 2013, 528, 557 (Zivilrecht).

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gen deutlich unterlegenen und insoweit schwächeren Partei in die Verhandlungen eingreifen kann. Im Gütetermin ist es das Verfahrensrecht, das den Schutz der subjektiven Rechte der Parteien sicherstellt.279 Hierzu legt es dem Spruchrichter ein festes Set an Pflichten auf. Zu diesem Set gehört es auch, rechtliches Gehör zu gewähren. Der Spruchrichter muss sich das Vertrauen der Parteien darauf, dass er ihre subjektiven Rechte schützen wird, deshalb auch nicht persönlich verdienen. Der Güterichter ist demgegenüber insgesamt stärker vom Verfahrensrecht gelöst. Seine Loslösung hat zur Folge, dass verschiedene prozessuale Schutzvorrichtungen ihre Wirkung nicht mehr entfalten. Parteien, die sich vor Gericht begeben haben, erwarten den Schutz des Verfahrensrechts aber auch im Güterichterverfahren.280 Aufgrund der Richterstellung und der Gesetzesbindung des Güterichters vertrauen sie darauf, dass er sie schützen wird. Inwieweit der Güterichter ihren Erwartungen im Einzelfall gerecht wird, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts. 1.  Materielle Prozessleitungspflicht Eine erste Schutzvorrichtung des Gütetermins ist die materielle Prozessleitungspflicht nach § 139 ZPO, welche die Verhandlungsmaxime systematisch eingrenzt.281 Die Vorschrift, die im Einzelnen umstritten ist, konkretisiert den Gedanken der Waffengleichheit und der Hilfestellung im Verfahren.282 In ihr legt das Gesetz fest, inwieweit der Spruchrichter zugunsten einer Seite in die Verhandlungen eingreifen darf und welche Fragen und Hinweise ihm möglich sind. Um ein Beispiel zu nennen: Wegen des Beibringungsgrundsatzes darf der Spruchrichter im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren keinen Tatsachenvortrag verlangen, nach § 139 Abs. 2 ZPO kann er aber immerhin auf ungenügenden Vortrag hinweisen.

279 

Unberath, JZ 2010, 975 (Zivilrecht). Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 33. Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 53: „Any program of court referral to ADR […] must be designed and managed with careful attention to the key features which citizens associate with fairness and legitimacy, as well as to substantive justice“ (Australien). 281  I. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. 282  BVerfG, Beschl. v. 25. 07. 1979, 2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 131, 154 ff.; BGH, ­Beschl. v. 02. 10. 2003, V ZB 22/03, BGHZ 156, 269, 272 f.; Francken, NJW 2006, 1103, 1105; Fritsche, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 139 ZPO Rn. 1 (Zivilrecht); Schmädicke, NZA 2007, 1029, 1030 ff.; Wöstmann, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 139 ZPO Rn. 1 ff. (Zivilrecht). 280 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Ob § 139 ZPO im Güterichterverfahren gilt, wurde bislang nicht abschließend beantwortet.283 Der Wortlaut des § 139 ZPO adressiert schlicht „[d]as Gericht“ und lässt dadurch eine breitflächige Anwendbarkeit der Vorschrift vermuten. Seine großzügige Formulierung wählte der Gesetzgeber bewusst, nachdem § 139 ZPO a. F. bis zum 31. Dezember 2001 noch den Vorsitzenden allein adressiert hatte. Dadurch führte der Gesetzgeber die zuvor an verschiedenen Stellen der ZPO befindlichen Regelungen einer zentralen Norm generalklauselartig zusammen.284 Gegen eine Anwendung auf den Güterichter spricht, dass § 139 ZPO systematisch in dem Titel der ZPO über die mündliche Verhandlung verortet ist. Der arbeitsrechtliche Gütetermin zählt zwar noch zu der mündlichen Verhandlung, das Güterichterverfahren jedoch schon nicht mehr.285 Ebenso suggeriert die Bezugnahme auf das erkennende Gericht, die Vorschrift nicht auf den Güterichter anzuwenden. Zwar spricht die Norm im ersten Absatz – anders als benachbarte Vorschriften wie § 128 Abs. 1 ZPO – nicht explizit von dem erkennenden Gericht. Ihr zweiter Absatz bezieht sich aber auf die richterliche Entscheidungsbefugnis. Losgelöst von der Figur des Güterichters war in der Literatur lange umstritten, ob § 139 ZPO nur für die mündliche Verhandlung gilt oder auch darüber hinaus anwendbar ist.286 Wohl überwiegend wird angenommen, er greife zumindest auch für den zivilprozessualen Gütetermin, der – insoweit anders als sein arbeitsrechtliches Pendant – nicht zur mündlichen Verhandlung zählt.287 Wendet man § 139 ZPO schon auf den Gütetermin an, so spricht viel dafür, die Vorschrift auch auf das an die Stelle des Gütetermins tretende Güterichterverfahren anzuwenden. Schreiber lehnt es wohl ab, § 139 ZPO auf den Güterichter anzuwenden. Stattdessen verweist er darauf, dass die Mediation einem Güterichter eigenständige Rechte und Pflichten auferlege, die denen des § 139 ZPO vergleichbar seien.288 Dem ist allerdings insoweit mit Vorsicht zu begegnen, als dass das MediationsG 283  Hess forderte zumindest eine sinngemäße Geltung des § 139 Abs. 1 ZPO in der gerichtsinternen Mediation, in: 67. DJT 2008, F130; i. E. dagegen wohl Greger, in: Greger/ Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 136; Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 3 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 99 (Sozialrecht). 284  RegE zur Reform des Zivilprozesses BT-Drs. 14/4722, S. 77. 285  Schmädicke, NZA 2007, 1029, 1033. 286 Überblick bei Smid, in: Wieczorek/Schütze (Hrsg.), ZPO, 2013, § 139 ZPO Rn. 42 ff. (Zivilrecht). 287  Smid, in: Wieczorek/Schütze (Hrsg.), ZPO, 2013, § 139 ZPO Rn. 45 (Zivilrecht); wohl auch Kern, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2016, § 139 ZPO Rn. 8 (Zivilrecht); a. A. Hartmann, in: Baumbach (Begr.), ZPO, 2019, § 278 ZPO Rn. 3 (Zivilrecht). 288  Schreiber, BJ 2015, 50 51 (Sozialrecht); Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 79.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

257

nach hiesiger Überzeugung nicht auf den Güterichter anzuwenden ist und damit als Quelle für Rechte und Pflichten des Güterichters ausscheidet. Wofür streitet das Telos der Vorschrift? Thole hält die dem § 139 ZPO zugrunde liegenden Wertungen für nicht mit der Rechtsferne einer alternativen Konfliktbeilegung vereinbar.289 Selbst innerhalb des Gütetermins würden die Grenzen des § 139 ZPO oft schon überschritten. Wenn ihre Einhaltung damit selbst im Gütetermin eine Herausforderung ist, sollte man den ungleich rechtsferneren Güterichter von dem Diktat des § 139 ZPO freistellen. Hierfür lässt sich auch anführen, dass das Telos des § 139 ZPO für den Güterichter nur eingeschränkt greift. So soll die Vorschrift sicherstellen, dass die Parteien erkennen können, welche Umstände das Gericht seinem Urteil zugrunde legt.290 Dieser Zweck lässt sich aber auf den nicht entscheidungsbefugten Güterichter gerade nicht übertragen. Im Güterichterverfahren müssen die Parteien zudem nicht darauf hingewiesen werden, erforderliche Prozesshandlungen vorzunehmen oder ihre Anträge richtigzustellen.291 Damit sprechen die überwiegenden Argumente dafür, § 139 ZPO nur auf den Gütetermin und nicht auf das Güterichterverfahren anzuwenden. Dieser Unterschied verstärkt den Eindruck, dass der Gütetermin sich in festeren rechtlichen Bahnen bewegt als das Güterichterverfahren. § 139 ZPO lässt sich damit aber auch nicht entnehmen, inwieweit dem Güterichter Eingriffe zugunsten der schwächeren Partei gestattet sind. 2.  Gewährung rechtlichen Gehörs Eine andere Schutzvorkehrung besteht darin, dass vor Gericht jedermann nach Art. 103 Abs. 1 GG Anspruch auf rechtliches Gehör hat.292 Subjektiv schützt das Gebot die Würde und Persönlichkeit der Parteien, objektiv dient es der Wahrheitsfindung.293 Hierzu gewährt es das Recht, sich über den Verfahrensstoff zu informieren, sich in einem Verfahren vor Erlass einer richterlichen Entscheidung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu äußern und mit seinem Vorbringen auch bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt zu werden. Um es mit den Worten des BVerfG zu sagen: „Wer bei Gericht formell ankommt, soll auch substantiell

289  290 

Thole, ZZP 127 (2014), 339, 354 (Zivilrecht). Fritsche, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 139 ZPO Rn. 2 (Zivil-

recht). 291  Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 167. 292  BVerfG, Beschl. v. 08. 01. 1959, 1 BvR 396/55, BVerfGE 9, 89, 95; BVerfG, Beschl. v. 29. 05. 1991, 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, 190. 293  Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 20.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

ankommen, also wirklich gehört werden“.294 Auf den Spruchrichter ist das Gebot auch im Gütetermin anwendbar. Anders liegt es bei dem Güterichter.295 Rechtliches Gehör wird nämlich nur gegenüber rechtsprechenden Richtern gewährt; insofern knüpft Art. 103 Abs. 1 GG an Art. 92 GG an.296 Da die Güterichteraufgabe dem Rechtsprechungsbegriff des Art. 92 GG nach zutreffender Ansicht297 jedoch nicht unterfällt, ist Art. 103 Abs. 1 GG auf den Güterichter nicht anzuwenden. Doch selbst wenn Art. 103 Abs. 1 GG danach nicht auf den Güterichter anzuwenden ist, kann dieser auf einer anderen Grundlage zur Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet sein. Der Grund hierfür ist, dass Art. 103 Abs. 1 GG nur ein Mindestmaß rechtlichen Gehörs gewährt und die Materie nicht abschließend regelt. Für den Güterichter könnte die Anhörungspflicht stattdessen aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleiten sein; dem Verwaltungsverfahren ist diese Art der Konstruktion ebenfalls geläufig.298 Systematisch fußt auch die Kodifizierung in Art. 103 Abs. 1 GG auf dem Rechtsstaatsprinzip.299 Zwischen dem Güterichterverfahren und dem Verwaltungsverfahren besteht jedoch ein entscheidender Unterschied: Unterbleibt die Anhörung im Verwaltungsverfahren, kann sie frühestens in einem nachfolgenden Gerichtsverfahren nachgeholt werden. Unterbleibt eine Anhörung dagegen vor dem Güterichter, wird rechtliches Gehör bereits in unmittelbarem Anschluss im streitigen Verfahren gewährt. In der Zwischenzeit kann – wegen der fehlenden Entscheidungsbefugnis des Güterichters – auch keine in die Rechte der Parteien eingreifende, staatliche Entscheidung ergehen. Ehe es zu einer solchen Entscheidung kommen kann, müssen sich die Parteien in je294 

BVerfG, Beschl. v. 30. 04. 2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, 408 f. Francken, NZA 2012, 249, 252; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), Media­ tionsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 36; ders./Schroeder, NJW 2014, 1910, 1914 (Zivilrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 5 (Zivilrecht); Greger, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 119 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 45; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 163; zurückhaltender Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 157; a. A. Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 73; für die frühere gerichtsinterne Mediation von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 319 ff.; Bäumerich, SchiedsVZ 2015, 237, 242; Horstmeier, MediationsG, 2013, S. 150; Prütting, MDR 2016, 965, 966 (Zivilrecht). 296  Remmert, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 103 Abs. 1 GG Rn. 52. 297  Eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: Dogmatische Einordnung der Güterichteraufgabe, S. 68. 298  Bäumerich, SchiedsVZ 2015, 237, 242; zum Verwaltungsrecht RegE VwVfG BTDrs. 7/910, S. 51; Krasney, NVwZ 1986, 337 (Verwaltungsrecht); andere stützen die Anhörungspflicht hier auf die Pflicht des Staates zur Achtung der Menschenwürde, etwa Nehls, NVwZ 1982, 494 (Sozialrecht). 299  Remmert, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, 2018, Art. 103 Abs. 1 GG Rn. 30. 295 I. E.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

259

dem Fall noch äußern können. Die Situation im Güterichterverfahren unterscheidet sich insofern von der im Verwaltungsverfahren. Zwar sollte der Güterichter den Parteien schon aus Gründen der Zweckmäßigkeit Gelegenheit geben, ihr Anliegen vorzubringen, und sie über das Verfahren informieren. Er ist jedoch nicht verpflichtet, rechtliches Gehör zu gewährleisten, und muss deshalb nicht etwa der Gegenseite jede erhaltene Information übermitteln. 3.  Schutzpflicht aus dem Rechtsstaatsprinzip Eine Schutzpflicht des Güterichters kann sich aber auch aus allgemeineren Vorkehrungen ergeben. So ist anerkannt, dass vor den Arbeitsgerichten Hinweispflichten bestehen, die in ihrem Umfang über § 139 ZPO hinausgehen.300 Die Verschärfung gegenüber dem Zivilprozess rührt daher, dass im Individualarbeitsrecht regelmäßig Prozessunerfahrene vor Gericht gelangen, die um ihre Existenzgrundlage bangen. Diese Parteien will das Arbeitsverfahrensrecht besonders schützen. Im arbeitsrechtlichen Beschlussverfahren gilt anstelle des Beibringungs- der Untersuchungsgrundsatz.301 Dieser verschiebt die richterlichen Rechte und Pflichten noch weiter und spricht dem Spruchrichter mehr Eingriffsrechte als im Urteilsverfahren zu.302 Angesichts dieses vergleichsweise hohen Schutzniveaus ist es naheliegend, auch dem Güterichter Schutzpflichten aufzuerlegen. Eine erste Schutzpflicht installiert das Gesetz bereits selbst, indem es der ­ ispositionsbefugnis der Parteien Grenzen setzt. Die gefundene Lösung muss D mit den Grundsätzen der Rechts- und Sittenwidrigkeit vereinbar sein, was der Güterichter in einer summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle prüft.303 Bei arglistiger Täuschung ist ein vor dem Güterichter geschlossener Vergleich anfechtbar.304 Im Übrigen herrscht zu den rechtsstaatlichen Schutz- und Fürsorgepflichten des Güterichters ein geteiltes Meinungsbild. Manche sehen in ihm gar eine Art

300 Bereits

Kahn-Freund, JW 1930, 388, 389. § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. 302  Schmädicke, NZA 2007, 1029, 1031. 303 §§ 134, 138 BGB; Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 86 f.; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 136; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 86; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 165; Schramm, Richterliche Pflichten beim Prozessvergleich, 2015, S. 108 (Zivilrecht); Schreiber, BJ 2015, 50, 52 (Sozialrecht); Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 84; Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 514 f. 304  § 123 Abs. 1 BGB; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 22. 11. 2007, 8 O 12898/04, juris Rn. 2 ff. 301 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Vaterfigur.305 Einige wollen zumindest die verfahrensbezogenen Schutzvorschriften des MediationsG entsprechend auf den mediierenden Güterichter anwenden; danach soll er solche Parteien, die ohne anwaltlichen Beistand erscheinen, darauf hinweisen, dass sie Lösungskonzepte extern überprüfen lassen dürfen.306 Andere wollen dem Güterichter sogar bei anwaltlich beratenen Parteien eine Hinweispflicht auferlegen, wenn ein übersehener rechtlicher Aspekt sich nachteilig für eine oder beide Parteien auswirkt.307 Doch unter welchen Umständen wäre ein Aspekt als nachteilig anzusehen? Gemessen am Idealzustand ist jeder Vergleich schon seinem Wesen nach nachteilig, da er sich als Ergebnis gegenseitigen Nachgebens definiert.308 Als Beispiel für diese Nachteiligkeit wird von den Befürwortern dieser Ansicht die Verjährung eines Anspruchs angeführt.309 Die Verjährung ist als Beispiel jedoch unpassend gewählt, da nicht einmal der Spruchrichter auf sie hinweisen darf, ohne dadurch die Grenzen seiner materiellen Prozessleitungspflicht zu überschreiten.310 Jedenfalls sollte angesichts dieser Unsicherheiten wohl eher nicht auf die Nachteiligkeit abgestellt werden. Ferner lässt sich festhalten, dass der Güterichter nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass die Parteien einen Konsens erreichen, der die Rechtslage exakt abbildet.311 Es widerspräche dem Leitbild eines rechtsfernen Verfahrens, ihm eine derartige Ergebnisverantwortung aufzuerlegen. Allerdings ist der Güterichter durch sein Richteramt dazu verpflichtet, übergeordnete Rechtsprinzipien wie die Rechtsstaatlichkeit, die Waffengleichheit, den Grundsatz des fairen Verfahrens und den des effektiven Rechtsschutzes zu wahren.312 Diese Pflichten 305 Krit.

Stürner, JR 1979, 133, 136 (Zivilrecht). § 2 Abs. 6 Satz 2 MediationsG; RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 15; ­Schramm, Richterliche Pflichten beim Prozessvergleich, 2015, S. 108 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 99 (Sozialrecht); Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 81 f. 307  Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 165; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 357 (Zivilrecht); krit. Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 74 ff. m. w. N.; Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 256 f. 308  Münch, in: Bitburger Gespräche, 2008, S. 179, 193 (Zivilrecht); Saam, JR 2015, 163, 164 (Zivilrecht). 309  Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 77. 310  BGH, Beschl. v. 02. 10. 2003, V ZB 22/03, BGHZ 156, 269, 271. 311  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 136; ders., in: Trenczek et al. (Hrsg.), 2017, S. 474, 482. 312  Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 46; Greger/ Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 5 (Zivilrecht); Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 136; Roth, in: Kolloquium Mediation, 2013, S. 109, 113 (Zivilrecht); Schreiber, BJ 2015, 50, 51 (Sozialrecht); ­Steffek, in: 306 

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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schlagen sich auch in seiner Verfahrensleitung nieder und verpflichten ihn zum Schutz der schwächeren Partei, insbesondere im Wege der Information.313 Bedarf eine Partei der sozial- oder steuerrechtlichen Beratung, darf der Güterichter die Verfahrensfortführung beispielsweise von der Einholung dieser Beratung abhängig machen.314 Der Spruchrichter ist in ein engeres rechtliches Korsett als der Güterichter geschnürt. Engmaschiger ist vor allem seine Verpflichtung zur Neutralität, die einem allzu starken Eingreifen zum Schutz einer Seite entgegensteht. Soll ein Machtgefälle ausgeglichen und eine Partei geschützt werden, stehen dem allparteilichen Güterichter weitergehende Eingriffsmöglichkeiten zur Verfügung.315 Der außergerichtliche Verfahrensleiter ist nicht der staatlichen Spähre zuzuordnen und trägt ein loseres Pflichtenkorsett als ein Richter.316 Im Einzelnen ist aber nach dem jeweiligen Verfahrenstyp zu differenzieren. Die Schutzrechte und -pflichten eines außergerichtlichen Mediators leiten sich aus dem MediationsG, den Regelungen des jeweiligen Dienstvertrags und dem Dienstvertragsrecht ab.317 Danach hat ein Mediator sicherzustellen, dass die Parteien ihre Abschlussvereinbarung in Kenntnis der Sachlage treffen und den Inhalt ihrer Vereinbarung verstehen.318 Die Verfahrensprinzipien einer Mediation verpflichten ihn, zum Schutz der unterlegenen Partei einzugreifen und Machtgefälle auszugleichen.319 Er soll den Medianden etwa eine Sitzordnung zuweisen, die das Machtgefälle vermindert.320 In rechtlicher Hinsicht kann und soll ein Mediator die Parteien dagegen regelmäßig nicht beraten.321 Einem nichtanwaltlichen MeFischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2011, S. 29, 41; Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 76; Weber, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2013, S. 143, 147; Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 499 ff. 313  Weber, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2013, S. 143, 147; ­Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, S. 515 f. 314  Greger, in: GS Unberath, 2015, S. 111, 118 (Zivilrecht). 315  Eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: Neutralität, Unabhängigkeit oder Allparteilichkeit?, S. 59. 316  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 14 (Zivilrecht); Nolan-Haley, 74 Washington University Law Quarterly 47, 64 (1996) (USA); Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 75. 317  Steffek, ZEuP 2013, 528, 555 f. (Zivilrecht); Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 237 ff. 318  § 2 Abs. 6 Satz 1 MediationsG. 319  § 2 Abs. 3 Satz 1 MediationsG. 320  Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 250. 321  Stempel, 1997 Florida State University Law Review 949, 962 (1997) (USA); Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 87; a. A. Maute, 1990 Journal of Dispute Resolution 347, 361 ff. (1990) (USA). Nolan-Haley propagiert

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

diator werden Hinweise auf die Rechtslage schon durch das RDG untersagt.322 Er ist deshalb auch – anders als ein Spruch- und ein Güterichter – nicht dazu verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der Abschlussvereinbarung sicherzustellen. Im Übrigen steht und fällt der Grad, zu dem der Mediator sich in die Verhandlungen zum Schutz einer Partei einbringt, damit, welchen Mediationsstil er für sich gewählt hat.323 VI.  Fazit Der erste Unterschied zwischen den drei Typen von Verfahrensleitern liegt in ihrer Letztentscheidungsbefugnis, die dem Güterichter im Gegensatz zum Spruchrichter grundsätzlich fehlt. Beim außergerichtlichen Verfahrensleiter bemisst sie sich nach dem konkret gewählten Verfahren; einem Mediator fehlt sie beispielsweise, während ein Schiedsrichter über sie verfügt. Daneben tritt die unterschiedlich ausgestaltete Entscheidungsbefugnis auch in anderen Bereichen zutage: So ist der Güterichter anders als der Spruchrichter nicht befugt, das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen, er darf keine Versäumnisurteile erlassen, keine prozessualen Fristen verlängern und keine Prozesskostenhilfe bewilligen. Zur Einsicht in die Prozessakten ist der Güterichter aber befugt. Dem außergerichtlichen Verfahrensleiter ist all das nicht erlaubt. In fachlicher Hinsicht sind sowohl der Spruch- als auch der Güterichter Volljuristen. Der Güterichter ist darüber hinaus auch in den Methoden der alternativen Konfliktbeilegung fortgebildet. Noch intensiver als der Güterichter ist oftmals der außergerichtliche Verfahrensleiter in diesen Methoden geschult, der dafür aber kein Volljurist sein muss. Gemein ist Spruch- und Güterichter ferner ihre richterliche Unabhängigkeit. Der außergerichtliche Verfahrensleiter sollte der Sache nach ebenfalls unabhängig sein, doch leitet sich seine Unabhängigkeit nicht aus der Verfassung her. Für einen außergerichtlichen Mediator fußt sie stattdessen auf dem MediationsG oder auf einem Dienstvertrag und ist wegen der einseitigen Bezahlung des Mediators bisweilen anzuzweifeln. Die Haftung von Spruch- und Güterichter ist mit Ausnahme des Spruchrichterprivilegs, das für den Güterichter nicht gilt, gleich ausgestaltet. Die Haftung des außergerichtlichen Verfahrensleiters leitet sich aus seiner Vertragsbeziehung zu den Parteien ab. Was Eingriffe der Verfahrensleiter zum Schutz der schwächeren Partei anbelangt, ist der Gütetermin näher am Recht ausgerichtet als das Güterichtereine graduelle Beratungspflicht, die davon abhängen soll, ob Rechtsanwälte anwesend sind, 74 Notre Dame Law Review 775, 827, 833 (1999) (USA). 322 § 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG; Tochtermann, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 87 f.; Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 254 f. 323  Wendenburg, Schutz in der Mediation, 2013, S. 250 f.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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verfahren. Diese Diskrepanz spiegelt sich u. a. darin wider, dass die materielle Prozessleitungspflicht nach § 139 ZPO im Gütetermin, nicht aber im Güterichterverfahren zu berücksichtigen ist. Infolge seiner Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs darf ein Spruchrichter keine Einzelgespräche mit den Parteien führen, was einem Güterichter ebenso wie einem außergerichtlichen Verfahrensleiter gestattet ist. Im Übrigen ähneln sich die Schutzpflichten des Güterichters und des außergerichtlichen Verfahrensleiters im Niveau, leiten sich aber aus unterschiedlichen Quellen ab. Die des Güterichters sind stärker durch das Gesetz geprägt, die des außergerichtlichen Verfahrensleiters stärker vertraglich regelbar. Der Spruchrichter unterliegt den im Vergleich strengsten rechtlichen Verpflichtungen. Er darf nur in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen zugunsten einer Seite in die Verhandlungen eingreifen.

E.  Umstände der Verfahrensbeendigung im Vergleich Die letzte Vergleichsgruppe betrifft die Umstände der Verfahrensbeendigung. Neben der Frage, wie die Ergebnisse des Verfahrens gesichert werden können, wird untersucht, welche Kosten sich insgesamt für die Parteien ergeben. Aufgrund des engen Sachzusammenhangs mit der Kostenfrage wird zudem beleuchtet, welcher der drei Verfahrensleiter zur Streitwertfestsetzung berechtigt ist. I.  Vollstreckbarkeit Legen die Parteien ihren Konflikt bei, fragt sich, wie ihre Einigung vollstreckt werden kann. Vorweg ist aber zu erörtern, inwieweit bei einer alternativen Konfliktbeilegung überhaupt ein Bedarf dafür besteht, die Vollstreckbarkeit abzusichern. In Güteterminen gehört die Vollstreckbarkeit zum täglichen Brot der Beteiligten. Hintergrund ist, dass die kompromissgeprägte Art der Konfliktbeilegung die Parteien oft mit einem unbefriedigenden Gefühl hinterlässt.324 Ihre Zufriedenheit korreliert mit der Akzeptanz des Ergebnisses und ihre Akzeptanz mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Ergebnisse dauerhaft Bestand haben werden.325 Angesichts dessen besteht in Güteterminen ein hohes Interesse, die Vollstreckbarkeit der Abschlussvereinbarung rechtlich abzusichern. Vor dem Güterichter oder in einem § 54a ArbGG-Verfahren ist es dagegen auf den ersten Blick entbehrlich, die Vollstreckbarkeit sicherzustellen. Wur324  Budde, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 19 Rn. 44; Greger, in: FG Volkommer, 2006, S. 3, 12. 325  Steffek, ZEuP 2013, 528, 548 (Zivilrecht).

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

de die Vereinbarung erst einmal ausgehandelt, könnte man erwarten, dass die Parteien sie auch einhalten werden.326 Da beide Verfahrenstypen eine dauerhafte Befriedung anstreben, sollten die Akzeptanz des Ergebnisses und damit die Wahrscheinlichkeit seiner dauerhaften Implementierung weniger Schwierigkeiten bereiten. Vollkommen entbehrlich wird die Vollstreckbarkeit jedoch nicht. Immerhin kann der Vertragserfüllung auch ein anderer Grund entgegenstehen als schlichter Unwille, etwa die Missverständlichkeit einzelner Abreden.327 Auch in den Modellprojekten ging man nicht uneingeschränkt davon aus, dass die Abschlussvereinbarungen umgesetzt werden würden.328 Bedarf, die Vollstreckbarkeit sicherzustellen, besteht deshalb auch vor einem Güterichter und in einem § 54a ArbGG-Verfahren. Legen die Parteien ihren Konflikt vor einem Güterichter bei, bedarf es keiner Rückverweisung an den Spruchrichter mehr.329 Qua Richteramt ist ein Güterichter befugt, ein Gerichtsverfahren zu beenden330 und einen vollstreckbaren Vergleich zu protokollieren.331 Ebenso ist es möglich, eine Klagerücknahme, ein Anerkenntnis oder eine übereinstimmende Erledigungserklärung zu protokollieren.332 Schwierigkeiten bereitet es dagegen, wenn nicht rechtshängige Konfliktgegenstände einbezogen werden. Zwar ist anerkannt, dass ein Prozessvergleich über den Rahmen des Streitgegenstands hinausgehen darf.333 Grundsätzlich haben die Parteien aber nur bezüglich des Streitgegenstands einen Anspruch auf Protokollierung als gerichtlichen Vergleich.334 Soweit die Einigung über den Streitgegenstand 326  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 82; Lörcher/Lörcher, in: Haft/ Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 30 Rn. 4 ff. 327  Schekahn, JR 2013, 53, 54. 328  Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 37. 329  Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1270. 330  Deppermann-Wöbbeking et al., Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Hessen, 2009, S. 21; Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 3. 331  §§ 83a Abs. 1, 54 Abs. 3 ArbGG, 162 Abs. 1 ZPO; Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 40, 82 f.; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 13, 38; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 137; Joussen, in: GS Unberath, 2015, S. 241, 244; Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 54 ArbGG Rn. 11; Monßen, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1270; Steffek, ZEuP 2013, 528, 550 (Zivilrecht); Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 19. 332  Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 3; ders., Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Berlin, 2012, S. 6 f. 333  Grundlegend BGH, Beschl. v. 05. 10. 1954, V BLw 25/54, BGHZ 14, 381, 386 f.; ferner BGH, Urt. v. 28. 06. 1961, V ZR 29/60, BGHZ 35, 309, 316. 334  § 127a BGB i. V. m. §§ 46 Abs. 2, 54 Abs. 3, 57 Abs. 2 ArbGG; BGH, Beschl. v. 03. 08. 2011, XII ZB 153/10, BGHZ 191, 1 Ls. 1; Einsele, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.),

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hinausgeht, aber noch in innerem Zusammenhang zu ihm steht, liegt es im Ermessen des Gerichts, ob und in welchem Umfang es die Einigung protokolliert.335 Der Spruchrichter kann ein Verfahren darüber hinaus auch beenden, indem er einen Vergleichsvorschlag nach § 278 Abs. 6 ZPO beschlussweise feststellt. Für den Güterichter ist diese Befugnis umstritten.336 Bacher lehnt sie ab und argumentiert, dass der Spruchrichter ohnehin noch über den Streitwert zu entscheiden habe.337 Verfahrensökonomisch sei es deshalb nicht geboten, dem Güterichter die beschlussweise Feststellung eines Vergleichsvorschlags zu erlauben. Nach zutreffender Ansicht ist der Güterichter aber auch zur Festsetzung des Streitwerts berechtigt. Denn es handelt sich bei der Feststellung rechtstechnisch nicht um eine Entscheidung, sondern um eine besondere Art der Dokumentation.338 Bei den § 54a ArbGG-Verfahren ist zwischen den einzelnen Verfahren zu differenzieren. In einem Schiedsverfahren birgt die Vollstreckbarkeit keine Schwierigkeiten. Vielmehr wirkt ein Schiedsspruch rechtlich wie ein Gerichtsurteil.339 In einer Mediation gestaltet sich der Abschluss einer vollstreckungsfähigen Vereinbarung schwieriger.340 Selbst wenn sie mit einem Vergleich endet, handelt es sich bei diesem Vergleich zunächst nur um einen bilateralen Vertrag, der als solcher noch nicht vollstreckt werden kann.341 Zwar können der Abschlussvereinbarung materiell-rechtliche Sanktionen beigefügt werden, etwa indem die Parteien einander liquide Sicherheiten, Bürgschaften oder Bankgarantien stellen.342 Die AusMüKo BGB, 2015, § 127a BGB Rn. 6 (Zivilrecht); zur Anwendbarkeit der Vorschrift vor den Arbeitsgerichten Einsele, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2015, § 127a BGB Rn. 4 (Zivilrecht). 335  BGH, Urt. v. 28. 06. 1961, V ZR 29/60, BGHZ 35, 309, 316; BGH, Urt. v. 01. 07. 1982, IX ZR 32/81, BGHZ 84, 333, 335; BGH, Beschl. v. 03. 08. 2011, XII ZB 153/10, BGHZ 191, 1, Ls. 2; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 187; Einsele, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), MüKo BGB, 2015, § 127a BGB Rn. 6 (Zivilrecht). 336  Joussen, in: GS Unberath, 2015, S. 241, 245; dafür Greger, in: Greger/Unberath/ Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 186; ders., Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 2; dagegen Bacher, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 29, 31 (Zivilrecht); wohl auch Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 77. 337  Bacher, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 29 (Zivilrecht). 338  Greger, in: Greger/Unberath (Hrsg.), MediationsG, 2012, Teil 4 Rn. 136. 339  §§ 108 Abs. 4 ArbGG, 1054 f. ZPO. 340 Vgl. bereits Art. 6 RL 2008/52/EG; zur Bedeutsamkeit der Problematik ferner RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 1; Hess, in: 67. DJT 2008, F109 ff.; eingehend Schekahn, JR 2013, 53 ff. 341  Kreissl, SchiedsVZ 2012, 230, 237; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungsund Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 36 f. 342  Lörcher/Lörcher, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 30 Rn. 18; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 37.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

handlung solcher Sanktionen ist aber müßig.343 Hinzu tritt die demoralisierende Wirkung für die Verhandlungen, die gerade unter Privaten eintritt, sobald Sanktionen angesprochen werden. Oft werden Sanktionen als Signal des Misstrauens empfunden. Bei alledem bieten sie nicht immer eine Garantie dafür, dass die Abschlussvereinbarung auch wirklich erfüllt wird. Wie lässt sich die Vollstreckbarkeit der Abschlussvereinbarung in einer außergerichtlichen Mediation stattdessen absichern? Am Vorbild der §§ 796a ff. ZPO ausgerichtete Vorschläge einer eigenständigen Neuregelung sind ohne Erfolg wieder verhallt.344 De lege lata lässt sich die Vollstreckbarkeit über eine Gütestelle, einen Anwaltsvergleich oder einen Notar herbeiführen. Theoretisch können sich außergerichtliche Mediatoren sogar selbst als eine solche Gütestelle345 anerkennen lassen. Heute steht ihnen dieser Weg jedoch nur in zehn von sechzehn Bundesländern zur Verfügung; die übrigen sechs Bundesländer haben von der Öffnungsklausel keinen Gebrauch gemacht.346 Von diesen zehn verlangen vier Bundesländer, dass der Mediator im Grundberuf Rechtsanwalt oder zumindest zur Rechtsberatung zugelassen ist, was für zahlreiche Mediatoren zum Ausschlusskriterium werden dürfte.347 Die berufsunabhängige Anerkennung als Gütestelle ist damit überhaupt nur in sechs Bundesländern ein gangbarer Weg.348 Daneben besteht die Möglichkeit eines Anwaltsvergleichs.349 Der Weg über einen Anwaltsvergleich ist jedoch aufwändig und kostenintensiv.350 Falls nicht 343  Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 37. 344  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 21; Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 805 f.; BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 31; zum durch den Rechtsausschuss verworfenen Vorschlag eines § 796d Abs. 1 ZPO-RegE Schekahn, JR 2013, 53, 54. 345  § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO; Greger, NJW 2011, 1478 (Zivilrecht); Gullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 209 ff. 346  § 15a EGZPO; BGH, Beschl. v. 29. 05. 2013, IV AR (VZ) 3/12, ZKM 2013, 131; Übersicht über die Gütestellen der einzelnen Bundesländer bei Greger, NJW 2011, 1478, 1479 ff. (Zivilrecht). 347  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 84. 348  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 84; Wrede, ZfA 2002, 455, 465. 349  § 796a ZPO; Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 43 f.; Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 36, 83; Gullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 204 ff.; Koch, NJ 2005, 97, 101 (Zivilrecht); Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, Grundlagen, Techniken und Chancen, 2001, Rn. 206; Lörcher/Lörcher, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 30 Rn. 19 ff.; Schekahn, JR 2013, 53, 54; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 362 (Zivilrecht); Wrede, ZfA 2002, 455, 465. 350  §§ 796a, 796b, 796c ZPO; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2468 (Zivilrecht); Jänicke, Wirtschaftsmediation, 2014, S. 209; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 362 (Zivilrecht); Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 804. Hess fordert eine Überarbeitung des Anwaltsvergleichs, in: 67. DJT 2008, F112.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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schon geschehen, müssen beide Seiten einen Anwalt bestellen. Die Anwälte schließen sodann im Namen ihrer Mandanten einen Vergleich. Dieser Vergleich muss schließlich durch das hypothetische Prozessgericht oder einen Notar für vollstreckbar erklärt werden. Einfacher und günstiger ist es, die Abschlussvereinbarung dem erkennenden Gericht als Vergleichsvorschlag nach § 278 Abs. 6 ZPO vorzulegen.351 Die dritte Möglichkeit besteht darin, sich an einen Notar zu wenden.352 Doch ist dieser Weg ebenfalls mit zusätzlichen Kosten verbunden.353 In der Zusammenschau ist das Erlangen eines vollstreckbaren Titels im Güterichterverfahren und im Gütetermin somit weniger kompliziert als außergerichtlich. Außergerichtlich ist zu differenzieren: Während ein Schiedsverfahren unmittelbar zu einem vollstreckbaren Titel führt, ist ein solcher in einer Mediation mit zusätzlichem Aufwand verbunden. II.  Festsetzung des Streitwertes Während die Parteien die Verfahrenskosten bei einem § 54a ArbGG-Verfahren miteinander aushandeln können, richten sich die Gerichtskosten nach dem Streitwert und die Anwaltskosten nach dem Gegenstandswert eines Verfahrens. Den Streitwert setzt dabei der Spruchrichter fest.354 Für den Güterichter ist dagegen umstritten, ob und inwieweit er den Streitwert festsetzen darf.355

351  Zur Anwendbarkeit der Norm im arbeitsgerichtlichen Verfahren Dahlem/Wiesner, NZA 2004, 530, 531; Thomas, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 2. 352  § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO; Hess, in: 67. DJT 2008, F111; Schekahn, JR 2013, 53, 54. 353  Bäumerich, Güterichter und Mediatoren, 2015, S. 83; Hess, in: 67. DJT 2008, F111; Jänicke, Wirtschaftsmediation, 2014, S. 209. 354  §§ 3 Abs. 1, 63 GKG. 355 Bejahend Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 13; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 26 (Zivilrecht); Monßen, in: Schmidt/ Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1270; Thomas, in: Klowait/ Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 4 § 54 ArbGG Rn. 19; verneinend OLG Celle, Beschl. v. 05. 12. 2008, 2 W 261/08, NJW 2009, 1219; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Bacher, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 31 (Zivilrecht); Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 78; Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 19 (Sozialrecht); Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 54 ArbGG Rn. 94; Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 20 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 57 (Sozialrecht); unentschieden, aber wohl auch in diese Richtung tendierend Korsch et al., die dem Güterichter ein sanktionsloses Aufforderungsrecht zusprechen, Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 57.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Die Entstehungsgeschichte des Güterichtermodells spricht gegen eine solche Befugnis. So wurde im Referentenentwurf in § 278a Abs. 1a ZPO eine entsprechende Kompetenzregelung zwar angedacht, letztlich aber verworfen.356 Auch die Nichtentscheidungsbefugnis des Güterichters spricht auf den ersten Blick gegen eine Kompetenz zur Streitwertfestsetzung. Allerdings sollte die Nichtentscheidungsbefugnis vorwiegend dazu dienen, den Güterichter vom Spruchrichter abzugrenzen, indem die im Gütetermin bestehende Personalunion von Richter und Schlichter aufgebrochen wird. Würde man den Güterichter zu der Festsetzung des Streitwerts ermächtigen, würde diese Personalunion nicht abgebaut; im Gegenteil würde die Ermächtigung die vom Gesetzgeber bezweckte Unterscheidung sogar fördern. Denn würde der Spruchrichter den Streitwert festsetzen, müsste er dafür Informationen über die Inhalte der Konfliktbeilegung erhalten. Der Spruchrichter kennt die dem Vergleich zugrunde liegenden Umstände aber nicht und soll sie nach der gesetzgeberischen Konzeption auch nicht erfahren.357 Diesen teleologischen Erwägungen kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sie vorwiegend auf die Phase der Lösungsfindung ausgerichtet seien. In dieser Phase ist es unerlässlich, dass die Verfahrensleitung einer von dem Spruchrichter verschiedenen Person obliegt. Für die sich anschließende Phase der Ergebnissicherung ist die Personenverschiedenheit zwar zunächst von geringerer Bedeutung. Allerdings können die Verhandlungen auch hier noch scheitern, wenn sich beispielsweise ein versteckter Dissens offenbart. Die Lösungsfindung lässt sich insofern nicht von der Ergebnissicherung abtrennen, die Übergänge sind fließend. Wegen dieser Verbundenheit sollte der Güterichter zumindest insoweit zur Streitwertfestsetzung berechtigt sein, wie nicht rechtshängige Gegenstände in die Verhandlungen einbezogen worden sind.358 Schwierigkeiten bereitet aber die rechtliche Konstruktion einer solchen Berechtigung. Fritz sieht in der Streitwertfestsetzung eine Annexkompetenz zu der Protokollierung eines Vergleichs, zu welcher der Güterichter nach einhelliger Ansicht berechtigt ist.359 In den Modellprojekten behalf man sich damit, die Richter durch Beschluss zur Streitwertfestsetzung zu ermächtigen.360 Diese Konstruktion konfligierte indes mit dem Gebot des gesetzlichen Richters, da die 356  RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 20; BReg zur Stellungnahme des BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5496, S. 2; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 19 (Sozialrecht). 357  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 132; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 57. 358  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 132. 359  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 39. 360  Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht).

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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Streitwertfestsetzung zu dem Kernbereich der Rechtsprechung zählt und deshalb nicht ohne Weiteres an Dritte ausgelagert werden darf.361 Heute setzen den Streitwert teils der Spruch- und teils der Güterichter fest, und teilweise setzt der Güterichter nur den Teil des Wertes fest, der über den ursprünglichen Rechtsstreit hinausgeht.362 III.  Kosten In der Rechtspraxis diktiert die Wirtschaftlichkeit die Anreizstruktur für die Parteien.363 Im Folgenden wird deshalb untersucht, wie hoch die Kosten der drei Verfahren jeweils sind. Insgesamt sind die Gerichtskosten im arbeitsgerichtlichen Verfahren gegenüber der Zivilgerichtsbarkeit reduziert. Zudem verlangen die Arbeitsgerichte im Unterschied zu den Zivilgerichten keinen Gerichtskostenvorschuss.364 Für die Parteien kann der Griff an den Geldbeutel entscheidend sein. Im Individualarbeitsrecht kann er die Machtverhältnisse erheblich beeinflussen.365 Im Betriebsverfassungsrecht ist der Arbeitgeber gemäß § 40 BetrVG verpflichtet, die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen, während der Betriebsrat keinerlei Kostenrisiko trägt. Hinsichtlich der Kostenfaktoren ist zwischen den gerichtlichen und den außergerichtlichen zu differenzieren. Die gerichtlichen Kosten werden in einem Urteilsverfahren auf Grundlage des Gerichtskostengesetzes und der Justizverwaltungskostenordnung erhoben und setzen sich aus einer instanzabhängigen Verfahrensgebühr und den gerichtlichen Auslagen zusammen, zu denen die Zeugenentschädigung, die Sachverständigenvergütung sowie Zustellungs- und Kopierkosten zählen.366 Die außergerichtlichen Kosten bestehen in erster Linie aus den Anwaltskosten, die sich in Abhängigkeit von Gegenstandswert und Arbeits361  BReg zur Stellungnahme des BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5496, S. 2; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Bamberger, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 9 Rn. 78. 362  Löer, ZKM 2014, 41, 44. 363  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 49; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Berlin, 2012, S. 99; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 58; Koch, NJ 2005, 97, 101 (Zivilrecht); Mankowski ZKM 2004, 8; Marx, ZKM 2010, 132, 136; Spindler, AnwBl 2007, 655, 658; krit. Gottwald, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 35. 364  Vgl. § 11 GKG. 365  Jones/Prassl, welche die verpflichtenden außergerichtlichen Vermittlungsverfahren Großbritanniens vor diesem Hintergrund kritisieren, ZKM 2015, 36, 39. 366  Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 12 ArbGG Rn. 2.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

umfang nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz errechnen.367 Daneben umfassen die außergerichtlichen Kosten alle sonstigen Aufwendungen der Parteien, wie ihre Anreise und ihren Verdienstausfall. 1.  Kosten des Gütetermins In dem Gütetermin eines Urteilsverfahrens können gerichtliche Kosten anfallen. Die Gerichtsgebühr entfällt aber, wenn sich der Rechtsstreit durch einen Vergleich erledigt.368 Bereits angefallene gerichtliche Auslagen bleiben dafür bestehen, selbst wenn die Parteien sich im Gütetermin doch noch vergleichen. In einem Beschlussverfahren entstehen demgegenüber keine gerichtlichen Kosten; vielmehr ist es in allen Rechtszügen gerichtsgebühren- und auslagenfrei.369 Ob die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, ergibt sich aus dem BetrVG. Außergerichtliche Kosten entstehen dagegen sowohl im Urteils- als auch im Beschlussverfahren.370 Hierzu zählen im Gütetermin zunächst die außergerichtlichen Anwaltskosten, die sich aus einer Terminsgebühr371 und einer Verfahrensgebühr372 zusammensetzen. Erreichen die Parteien eine Abschlussvereinbarung, haben sie darüber hinaus eine Einigungsgebühr zu entrichten.373 Was die Kostentragung anbelangt, haben die Parteien ihre jeweiligen Rechtsanwaltskosten in der ersten Instanz unabhängig vom Ausgang des Verfahrens selbst zu tragen; hierbei handelt es sich um eine arbeitsrechtliche Besonderheit.374 In der Berufungs- und in der Revisionsinstanz richtet sich die Kostentragung nach dem Prozessausgang. 367  § 2 Abs. 1 RVG, §§ 611 Abs. 1, 612, 675 BGB, wobei der Vertragsfreiheit Grenzen gesetzt sind durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) i. d. F. v. 05. 05. 2004, BGBl. I S. 718, 788. 368 Vorb. 8 KV. Hierbei handelt es sich um eine arbeitsrechtliche Besonderheit. Im Zivilprozess ermäßigt sich die Gebühr lediglich, und zwar in der ersten Instanz von 3,0 auf 1,0 und in der Berufungsinstanz von 4,0 auf 2,0, vgl. Nr. 1210, 1211, 5110, 5111 KV in der ersten Instanz und Nr. 1220, 1222, 5112, 5113 KV in der Berufungsinstanz. 369  § 2 Abs. 2 GKG i. V. m. § 2a ArbGG; Germelmann/Künzl, in: Germelmann et al. (Hrsg.), ArbGG, 2017, § 12 ArbGG Rn. 142; Jaspersen, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 2018, § 91 ZPO Rn. 1. 370  Zur Kostentragungspflicht des Arbeitgebers im Beschlussverfahren oben in dem Abschnitt: Kostentragungspflicht, S. 155. 371 I. H. v. 1,2 nach Nr. 3104 VV-RVG in der ersten Instanz und i. H. v. 1,2 nach Nr. 3202 VV-RVG in der Berufungsinstanz. 372 I. H. v. 1,3 nach Nr. 3100 VV-RVG in der ersten Instanz und i. H. v. 1,6 nach Nr. 3200 VV-RVG in der Berufungsinstanz. 373  I. H. v. 1,0 nach Nr. 1003 VV-RVG. 374  § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG; Kortstock, in: Nipperdey Lexikon ArbR, 2014, Kosten des Rechtsstreits; Schulz, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 91 ZPO Rn. 103 (Zivilrecht).

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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2.  Kosten des Güterichterverfahrens Für das Güterichterverfahren ist ebenfalls zwischen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten zu differenzieren. Was die gerichtlichen Kosten anbelangt, wurde im Gesetzgebungsverfahren bewusst davon Abstand genommen, gesonderte Gebühren einzuführen.375 Als Bestandteil des gerichtlichen Verfahrens löst der Güterichter damit keine zusätzlichen gerichtlichen Gebühren aus. Die Verfahrens- und die Terminsgebühr fallen wegen des eingeleiteten Gerichtsverfahrens ohnehin an, und je nach Ausgang des Güterichterverfahrens tritt noch eine Einigungsgebühr hinzu.376 Die Terminsgebühr fällt sogar dann an, wenn eine Verhandlung vor dem Güterichter stattfindet, ohne dass es zuvor zu einer Verhandlung vor dem Spruchrichter gekommen ist.377 Eine Beweisaufnahme, die an einem Arbeitsgericht meist durch Zeugenvernehmung geschehen würde, findet vor dem Güterichter ebenso wenig statt wie im Gütetermin; insoweit können also keine gerichtlichen Auslagen entstehen.378 Werden ausnahmsweise Sachverständige, Dolmetscher oder andere Dritte hinzugezogen, haben die Parteien die Kosten selbst zu tragen. Mangels förmlicher Ladung richtet sich die Entschädigung, insbesondere auch nicht nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz.379 Eine zusätzliche Gebühr fällt an, wenn nicht rechtshängige Gegenstände in die Abschlussvereinbarung einbezogen werden.380 In der Praxis ist ihre Einbeziehung keine Seltenheit. In einer Mediation wird sie in der vierten auf Wert375 Stenografischer Bericht der 105. Sitzung des Bundestags in BT-Plenarprotokoll 17/105, S. 12060; Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 17. 376  Greger, in: Zöller (Begr.), ZPO, 2018, § 278 ZPO Rn. 41 (Zivilrecht); Hartmann, MDR 2012, 941, 942 (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 189; Steffek, ZEuP 2013, 528, 543 (Zivilrecht); Tautphäus, in: Düwell/Lipke (Hrsg.), ArbGG, 2016, § 54a ArbG Rn. 17; krit. Duve, ZKM 2012, 108. 377  Vorb. 3 Abs. 3 Teil 3 VV-RVG; entsprechend für die frühere gerichtsinterne Me­ diation OLG Braunschweig, Beschl. v. 07. 11. 2006, 2 W 155/06, OLGR Braunschweig 2007, 162 f.; OLG Rostock, Beschl. v. 05. 01. 2007, 8 W 67/06, 8 W 68/06, OLGR Rostock 2007, 336 ff.; KG Berlin, Beschl. v. 31. 03. 2009, 1 W 176/07, NJW 2009, 2754 f. 378  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 207; ders./Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 26 (Zivilrecht). 379  Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) i. d. F. v. 05. 05. 2004, BGBl. I S. 718, 776, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 4 VergaberechtsmodernisierungsG v. 17. 02. 2016, BGBl. I S. 203; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 26 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 55. 380  I. H. v. 0,25 nach Nr. 1900 KV; OVG Sachsen, Beschl. v. 04. 08. 2014, 1 E 69/1, juris Rn. 6; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 26 (Zivilrecht); Greger, in: Greger/ Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 201; Saenger, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 2017, § 278 ZPO Rn. 24 (Zivilrecht); Steffek, ZEuP 2013, 528, 545 (Zivilrecht).

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

schöpfung ausgerichteten Phase geradezu angestrebt. In den bayerischen Modellprojekten erfasste die Abschlussvereinbarung in 37 % der vor dem Güterichter beigelegten Streitigkeiten Konfliktgegenstände, die über den ursprünglichen Streitgegenstand hinausgingen. In den Modellprojekten der bayerischen Sozialgerichtsbarkeit ging gar die Hälfte der Konfliktlösungen über den ursprünglichen Streitgegenstand hinaus, in Thüringen waren es 44 % und in Berlin immerhin 20 %.381 Keine Erhöhung der Gebühren bewirkt es dagegen, wenn man die Gegenstände anderer anhängiger Verfahren einbezieht oder materiell-rechtliche Vereinbarungen außerhalb des Prozessvergleichs abschließt.382 Außergerichtliche Kosten entstehen vor einem Güterichter in ähnlicher Höhe wie in einem Gütetermin, da sich beide Verfahren hinsichtlich ihres örtlichen und zeitlichen Rahmens ähneln.383 Gleiches gilt für die Anwaltskosten: Für einen Anwalt zählt die Teilnahme am Güterichterverfahren zur selben Angelegenheit384 sowie zum selben Rechtszug385 und bildet dadurch eine gebührenrechtliche Einheit mit dem Gerichtsverfahren. Er kann seine Gebühren deshalb nur einmal verlangen, jedenfalls soweit der Verhandlungsgegenstand zum rechtshängigen Anspruch gehört.386 Werden dagegen nicht rechtshängige Streitgegenstände in die Verhandlungen einbezogen, richtet sich die Rechtsanwaltsvergütung danach, ob der Anwalt auch für diese Gegenstände zur Vertretung vor Gericht beauftragt worden ist. Ist er nicht beauftragt, erhält er eine Geschäftsgebühr.387 Ist er beauftragt, erhält er auch für die nicht rechtshängigen Gegenstände eine Verfahrensgebühr, wenngleich diese sich in der Höhe von der Verfahrensgebühr für rechtshängige Gegenstände unterscheidet.388 Darüber hinaus erhält er eine Terminsgebühr, 381  Becker/Friedrich, Abschlussbericht Sozialgerichtsbarkeit Bayern II, 2009, S. 72; Greger, AnwBl 2008, 570, 572 (Zivilrecht); ders./Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 4, 19; Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Berlin, 2012, S. 7, 80. 382  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 201; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 192. 383  Eingehend hierzu oben in den Abschnitten: Zeitliche Kapazitäten im Vergleich, S. 216, sowie Örtliche Gegebenheiten, S. 217. 384  § 15 Abs. 1 RVG. 385  § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 RVG. 386  §§ 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 15 Abs. 2 RVG; KG Berlin, Beschl. v. 31. 03. 2009, 1 W 176/07, NJW 2009, 2754 f.; LSG Hessen, Beschl. v. 26. 10. 2015, L 2 SO 95/15 B, juris Rn. 19 (Sozialrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 26 (Zivilrecht); Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 203; Steffek, ZEuP 2013, 528, 543 (Zivilrecht). 387  I. H. v. 1,2 nach Nr. 3104 VV-RVG i. V. m. Vorb. 3 Abs. 3 VV-RVG. 388 I. H. v. 1,3 für die rechtshängigen und i. H. v. 0,8 für die nicht rechtshängigen Gegenstände, insgesamt jedoch nicht mehr als 1,3 der Summe aller Gegenstände, § 15 Abs. 3 RVG, Nr. 3101 Nr. 2 VV-RVG.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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da vor dem Güterichter Verhandlungen zur Vermeidung eines Verfahrens geführt worden sind.389 War der Anwalt nur mit der außergerichtlichen Vertretung bezüglich des nicht rechtshängigen Gegenstands beauftragt, fällt eine anrechenbare Geschäftsgebühr an.390 Darüber hinaus erhält er eine Einigungsgebühr für die nicht rechtshängigen Gegenstände.391 Vereinzelte Stimmen in der Literatur, die in zusätzlichen Gebührenanreizen für Rechtsanwälte den Schlüssel zu einer verstärkten Nutzung des Güterichterangebots sehen, konnten sich bislang nicht durchsetzen.392 Bei Bedarf kann eine Partei Prozesskostenhilfe beantragen.393 Die Prozesskostenhilfe deckt dann das gesamte Gerichtsverfahren einschließlich des Gütetermins und des Güterichterverfahrens ab.394 Nicht erstattungsfähige Zusatzkosten ergeben sich für die Parteien nur, soweit über den ursprünglichen Streitgegenstand hinausgehende Konfliktgegenstände verhandelt und verglichen werden.395 3.  Kosten im § 54a ArbGG-Verfahren a)  Kostenpositionen Entschließen die Parteien sich dazu, auf Vorschlag des Gerichts eine außergerichtliche Konfliktbeilegung zu unternehmen, sind die bereits entstandenen Kosten für das Gerichtsverfahren zu den Kosten der Konfliktbeilegung hinzuzurechnen. Erstere entfallen nur, wenn die Parteien sich außergerichtlich vergleichen oder die Klage noch vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wird.396 Wird die Klage erst in oder nach der mündlichen Verhandlung zurückgenommen, entfallen sie nicht vollständig, aber vermindern sich.397 389 

I. H. v. 0,5 – 2,5 nach Nr. 2300 VV-RVG. I. H. v. 0,5 – 2,5 nach Nr. 2300 VV-RVG i. V. m. Vorb. 3 Abs. 4 VV-RVG. 391  Damit erhält der Anwalt also eine Einigungsgebühr in der ersten Instanz i. H. v. 1,0 oder in der Berufungsinstanz i. H. v. 1,3 für die rechtshängigen und jeweils i. H. v. 1,5 für die nicht rechtshängigen Gegenstände, insgesamt jedoch nicht mehr als 1,5 der Summe aller Gegenstände, § 15 Abs. 3 RVG, Nr. 1000, 1003, 1004 VV-RVG. 392  Z. B. Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 75 (Zivilrecht). 393  § 11a Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. 394  Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470 (Zivilrecht); Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 27 (Zivilrecht); Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 190 a. E.; Steffek, ZEuP 2013, 528, 545 (Zivilrecht). 395  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 27 (Zivilrecht); Greger, in: Greger/ Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 215; Steffek, ZEuP 2013, 528, 545 (Zivilrecht). 396  Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 70; Koch, in: ­Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 12 ArbGG Rn. 4. 397  Die verminderte Verfahrensgebühr beträgt in der ersten Instanz 0,4 statt der üblichen 2,0 Nr. 8211 KV. 390 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Die Kosten des § 54a ArbGG-Verfahrens variieren je nach dem im Einzelfall gewählten Verfahrenstyp. Für eine Mediation gibt es keine einheitliche Kostenordnung, insbesondere trifft das MediationsG keine diesbezüglichen Festlegungen. Deshalb bedarf die Kostenfrage stets einer privatautonomen Vereinbarung. Potenzielle Summanden sind dabei die Vergütung des Mediators, der Rechtsanwälte und der Gutachter, die Raummiete, An- und Abreisekosten sowie die Kosten für das Material und für die Kommunikation.398 Die Vergütung des Mediators unterliegt ebenfalls der privatautonomen Aushandlung der Parteien.399 In der Regel wird sie an den zeitlichen und organisatorischen Aufwand des Einzelfalls geknüpft und ist eingangs – jedenfalls bei der üblicherweise erfolgenden Abrechnung auf Stundenbasis – nur bedingt kalkulierbar.400 Für eine Schlichtung und für eine Einigungsstelle existieren ebenfalls keine feste Gebührenordnungen.401 Um seine Neutralität abzusichern, sollte die Vergütung des Schlichters zumindest nach außen hin von beiden Parteien zu gleichen Teilen getragen werden.402 Im Innenverhältnis können die Parteien von dieser Quotelung allerdings abweichen. b)  Kostenhilfe Nachdem § 54a ArbGG-Verfahren für die Parteien mit zusätzlichem Kostenaufwand verbunden sind, drängt sich die Frage auf, ob die Parteien Kostenhilfe erhalten können, wie es vor dem Güterichter und in einem Gütetermin der Fall ist. Aus dem Wortlaut des § 54a ArbGG folgt jedenfalls keine kostenrechtliche Handlungsanweisung. Auch die Rechtsprechung hat sich mit der Frage bislang nicht befasst. Allerdings findet man in einigen Entscheidungen zu der früheren gerichtsinternen und gerichtsnahen Mediation Auseinandersetzungen mit der Kostenfrage. Schon damals wies die Rechtsprechung allerdings keine einheitliche Linie auf. Überwiegend lehnte sie es ab, Kostenhilfe für eine außergerichtliche Konfliktbeilegung zu gewähren.403 398 

Hess, in: 67. DJT 2008, F115; Steffek, ZEuP 2013, 528, 540 f. (Zivilrecht). Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 2 Rn. 49, 53; Nölting, Mediatorenverträge, 2003, S. 144 ff.; Steffek, ZEuP 2013, 528, 541 (Zivilrecht). 400  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 2 Rn. 53 f.; Mankowski, ZKM 2004, 8, 12; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 361 (Zivilrecht). 401  Zur Schlichtung vgl. z. B. die Angaben auf der Internetseite der German Maritime Arbitration Association, abrufbar unter gmaa.de/de/schlichtung/kosten-der-schlichtung; zur Einigungsstelle § 76a BetrVG. 402  Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 187 f. 403  Z. B. OLG Dresden, Beschl. v. 09. 10. 2006, 20 WF 0739/06, 20 WF 739/06, NJW-RR 2007, 80, 81; OLG Koblenz, Beschl. v. 21. 01. 2014, 13 WF 43/14, NJW-RR 2014, 706, 707. 399 

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

275

Vereinzelt wurde eine Ausweitung aber auch befürwortet, wenngleich mit unterschiedlichen Begründungen. Das OLG Köln404 argumentierte verfassungsrechtlich und stützte sich vorwiegend auf Art. 3 Abs. 1 GG sowie auf Art. 20 Abs. 1, 3 GG. Der Spruchrichter schlage ein § 54a ArbGG-Verfahren nur vor, wenn dieses das im Einzelfall bestgeeignete Verfahren sei. Auch einem Mittellosen müsse finanziell ermöglicht werden, das für ihn bestgeeignete und gerichtlich empfohlene Verfahren zu beschreiten. Andernfalls werde ihm die Rechtsverfolgung im Vergleich zu einem Bemittelten unverhältnismäßig erschwert.405 Den verfassungsrechtlichen Bedenken des OLG Köln lässt sich jedoch entgegnen, dass eine außergerichtliche Konfliktbeilegung keine notwendige Justizgewährung ist. Prozesskostenhilfe rechtfertigt sich rechtsethisch aus dem Gedanken, Zugang zur staatlichen Rechtsdurchsetzung zu eröffnen; sie stützt sich auf den Gleichheitssatz, den Justizgewährungsanspruch und das Sozialstaatsprinzip.406 § 54a ArbGG eröffnet jedoch eine staatsferne Zusatzoption und hindert nicht an der staatlichen Rechtsdurchsetzung; gegenüber einem Gerichtsverfahren ist ein § 54a ArbGG-Verfahren ein freiwilliges Mehr. Der Weg zum Gericht muss bedürftigen Parteien zwar finanziell ermöglicht werden, darüber hinaus sind sie jedoch auf sich gestellt. Wollen sie ein solches Mehr, kann ihnen abverlangt werden, dieses auch eigenständig zu finanzieren. Eine Erstreckung der Kostenhilfe auf das § 54a ArbGG-Verfahren ist angesichts dessen nicht geboten. Insofern ergeben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, den Parteien Kostenhilfe für das § 54a ArbGG-Verfahren zu versagen.407 Auch Art. 10 der Prozesskostenhilfe-Richtlinie 2003/8/EG408 führt im Ergebnis zu keiner anderen Bewertung. Hiernach ist die staatliche Finanzierung von außergerichtlichen Konfliktbeilegungsverfahren nur erforderlich, wenn „die Parteien gesetzlich verpflichtet sind, diese anzuwenden, oder den Streitparteien vom Gericht aufgetragen wird, diese in Anspruch zu nehmen“. Der gerichtliche Vorschlag gemäß § 54a ArbGG ist jedoch unverbindlich. Ein systematisches Argument zog das OLG Köln aus den §§ 135 Satz 1, 156 Abs. 1 Satz 2 FamFG, nach denen das Gericht auch gegenüber Mittellosen die Teilnahme an einer Informationsveranstaltung zur außergerichtlichen Kon404 

OLG Köln, Beschl. v. 03. 06. 2011, II-25 UF 24/10, 25 UF 24/10, ZKM 2012, 29, 30. OLG Köln, Beschl. v. 03. 06. 2011, II-25 UF 24/10, 25 UF 24/10, ZKM 2012, 29, 30; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 09. 11. 2010, 1 BvR 787/10, NZS 2011, 658, wonach sich der Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit auch auf den außergerichtlichen Bereich erstreckt. 406 BVerfG, Beschl. v. 22.  01. 1959, 1 BvR 154/55, BVerfGE 9, 124, 131; BVerfG, ­Beschl. v. 13. 06. 1979, 1 BvL 97/78, BVerfGE 51, 295, 302. 407  Effer-Uhe, NJW 2013, 3333, 3334 (Zivilrecht); Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 16 (Sozialrecht); Steffek, ZEuP 2013, 528, 544 (Zivilrecht). 408  RL 2003/8/EG v. 27. 01. 2003, ABl. EG Nr. L 26, 41 – 47. 405 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

fliktbeilegung verpflichtend anordnen könne. Es sei sinnwidrig, einer Partei so zu der Einsicht zu verhelfen, dass ein für sie finanziell nicht gangbarer Weg der für sie beste sei.409 Auf das arbeitsgerichtliche Verfahren lässt sich dieses Argument mangels einer Entsprechung zu den §§ 135 Satz 1, 156 Abs. 1 Satz 2 FamFG jedoch gerade nicht übertragen. Das AG Eilenburg wählte einen anderen argumentativen Ansatz und beschloss, dass ein außergerichtlicher Mediator einem Mittellosen (wohl analog § 121 ZPO)410 beizuordnen sei und die Gebühren sodann gemäß der §§ 34, 45 RVG zu erstatten seien.411 Hilfsweise sei der § 54a ArbGG-Verfahrensleiter einem gerichtlich eingesetzten Sachverständigen bei wertender Betrachtung gleichzustellen.412 Gegen eine Beiordnung lässt sich jedoch argumentieren, dass die Voraussetzungen einer Analogie – konkret die der Planwidrigkeit einer Regelungslücke – nicht vorliegen. Zwar sieht das Gesetz nicht vor, die Vorschriften zur Prozesskostenhilfe auf die außergerichtliche Konfliktbeilegung anzuwenden, sodass eine Regelungslücke noch angenommen werden kann. Jedoch wurde diese Lücke im Gesetzgebungsverfahren diskutiert und mit § 7 Abs. 2 Satz 1 Media­ tionsG insoweit einer Regelung zugeführt, dass jedenfalls die Planwidrigkeit heute verneint werden muss.413 Das KG,414 das OLG Celle415 und das OLG Rostock416 befanden, dass ein auf Vorschlag des Gerichts eingeleitetes gerichtsnahes oder gerichtsinternes Mediationsverfahren bei wertender Betrachtung als Bestandteil des Gerichtsverfahrens anzusehen und deswegen von dem Prozesskostenhilfeanspruch erfasst sei.417 Diese Wertung kann auf ein § 54a ArbGG-Verfahren angesichts der Gesetzessystematik jedenfalls nicht übertragen werden. Im Unterschied zu der früheren gerichtsinternen Mediation hat der Gesetzgeber sich bewusst dazu entschlossen, die § 54a ArbGG-Verfahren aus der Sphäre des Gerichts loszulösen. Entschließen 409  OLG Köln, Beschl. v. 03. 06. 2011, II-25 UF 24/10, 25 UF 24/10, ZKM 2012, 29, 30; zustimmend Effer-Uhe, NJW 2013, 3333, 3334 (Zivilrecht); Spangenberg, FamRZ 2009, 834, 835 (Familienrecht). 410  Effer-Uhe, NJW 2013, 3333, 3334 (Zivilrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 360 (Zivilrecht). 411  AG Eilenburg, Beschl. v. 20. 04. 2007, 2 F 168/07, BeckRS 2008, 15083. 412  AG Eilenburg, Beschl. v. 20. 04. 2007, 2 F 168/07, BeckRS 2008, 15083. 413  Effer-Uhe, NJW 2013, 3333, 3334 (Zivilrecht); Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 13 (Sozialrecht); Paul/Weber, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), HK-MediationsG, 2018, Teil 2 Art. 1 § 7 MediationsG Rn. 1 m. w. N. 414  KG Berlin, Beschl. v. 16. 06. 2009, 1 W 492/07, NJW 2009, 2754. 415  OLG Celle, Beschl. v. 05. 12. 2008, 2 W 261/08, NJW 2009, 1219. 416  OLG Rostock, Beschl. v. 05. 01. 2007, 8 W 67/06, 8 W 68/06, OLGR Rostock 2007, 336, 338. 417  OLG Köln, Beschl. v. 03. 06. 2011, II-25 UF 24/10, 25 UF 24/10, ZKM 2012, 29.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

277

die Parteien sich dazu, den gerichtlichen Vorschlag aufzunehmen, ist das darauf folgende Verfahren dem Einflussbereich des Staates entzogen. Entscheidet man sich, mit staatlichen Geldern Kostenhilfe zu gewähren, bedarf es aber eines Grundmaßes an Kontrolle, wie diese Gelder eingesetzt werden. Eine solche Kontrolle wollte der Gesetzgeber bei der Einführung des § 54a ArbGG aber gerade vermeiden. In der Literatur wollen manche die Kostenhilfe auf § 54a ArbGG-Verfahren erstrecken, indem sie § 114 ZPO weit auslegen.418 Ob ein Vergleich im Gerichtsverfahren oder in einem gerichtlich vorgeschlagenen § 54a ArbGG-Verfahren erreicht werde, sei gleichermaßen förderungswürdig.419 Die überwiegende Ansicht lehnt eine Erstreckung der Kostenhilfe überzeugend ab.420 Dabei werden vorwiegend regulatorische Erwägungen bemüht: Eine Erstreckung der Kostenhilfe schafft ein preisliches Missverhältnis zwischen einem § 54a ArbGG-Verfahren und einer vorgerichtlichen Konfliktbeilegung.421 Letztere müssen die Parteien nach geltendem Recht nämlich auch selbst finanzieren. Gewährt man nun aber Kostenhilfe für § 54a ArbGG-Verfahren, kann es vorkommen, dass die Parteien sich nur deswegen vor Gericht begeben, um über § 54a ArbGG in den Genuss von Kostenhilfe zu gelangen.422 Solche regulatorischen Bedenken könnte man de lege ferenda ausräumen, indem man die Kostenhilfe für jede Form der außergerichtlichen Konfliktbeilegung ermöglicht, gleich, ob von einem Gericht vorgeschlagen oder nicht.423 Derzeit wird die finanzielle Förderung der Mediation nur durch § 7 Abs. 2 ­MediationsG 418 

Koch, ZKM 2007, 71 ff.; Spangenberg, FamRZ 2009, 834 f. (Familienrecht). Koch, ZKM 2007, 71, 72. 420  Althammer, in: Mediation aus unterschiedlichen Perspektiven, 2012, S. 9, 15 f.; Bercher/Engel, ZRP 2010, 126, 128 (Zivilrecht); Diop/Steinbrecher, BB 2011, 131, 135; Effer-Uhe, NJW 2013, 3333, 3334 (Zivilrecht); Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), Media­ tionsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 49; Greger/Engelhardt, ZKM 2003, 4, 5; Greger, in: Greger/ Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 83; Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. K Rn. 58; Hohmann, ArbGG, 2014, § 54a ArbGG Rn. 3; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 360 (Zivilrecht); einschränkend Effer-Uhe, nach dem die Kosten des Rechtsanwalts abgedeckt werden können, die des Mediators hingegen nicht, NJW 2013, 3333 f. (Zivilrecht). 421  Ewig, ZKM 2012, 4, 6 (Zivilrecht); Greger, AnwBl 2008, 570, 571 (Zivilrecht); ders., ZRP 2010, 209, 212 f.; Henssler/Deckenbrock, DB 2012, 159, 161 (Zivilrecht); Schmidbauer, ZKM 2012, 88, 91; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 19 f.; Steffek, ZEuP 2013, 528, 544 (Zivilrecht); krit. Wimmer/Wimmer, NJW 2007, 3243, 3245 (Zivilrecht). 422  In diese Richtung beobachtet Monßen, dass die Parteien manchmal schon in den Schriftsätzen den Wunsch nach einer einvernehmlichen Konfliktbeilegung äußern, in: Schmidt/Lapp/Monßen, Mediation in der Praxis des Anwalts, 2012, Rn. 1273. 423 So die Forderung von ca. 86 % der befragten Mediatoren, Masser et al., Eva­ luationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 6; in diese Richtung auch 419 

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

adressiert.424 Nach § 7 Abs. 2 MediationsG kann eine bedürftige Partei für eine Mediation finanzielle Unterstützung beantragen, wenn am zuständigen Gericht ein die Finanzierung betreffendes Forschungsvorhaben geführt wird. Die Vorschrift betrifft damit nur einen eng umgrenzten Sonderfall. Eine allgemeinere Kostenhilfevorkehrung existiert bislang nicht. c)  Kostensanktionen Eine andere Möglichkeit zur finanziellen Inzentivierung besteht darin, konfliktbeilegungsschädliches Parteiverhalten mit Kostennachteilen zu sanktionieren. Das britische Recht lebt ein solch negatives Anreizsystem bereits seit Inkrafttreten der Civil Procedure Rules (CPR)425 im Jahre 1999 vor. Unabhängig von dem Ausgang des Verfahrens ermöglicht es die Rule 44.4 (3) (a) (ii) CPR dem angelsächsischen Gericht, die Kosten der Partei aufzuerlegen, die den Prozess ohne Bemühung um eine Beilegung des Konflikts betrieben hat.426 Danach darf das Gericht einer Partei die Kosten selbst dann auferlegen, wenn sie in der Sache obsiegt, aber zuvor eine vom Gericht vorgeschlagene Konfliktbeilegung ausgeschlagen hat.427 Ein solch prozessrechtliches Sanktionsmodell hat verschiedene Vorzüge.428 An erster Stelle steht seine Schneidigkeit. Wenige rechtliche Vorkehrungen vermögen Parteiverhalten derart stark zu beeinflussen wie der Griff an den Geldbeutel. Gegenüber einem Schadensersatzanspruch besticht ein Sanktionsmodell weiterhin dadurch, dass seine Tatbestandsvoraussetzungen leicht nachgewiesen werden können. Demgegenüber gelingt der für einen Schadensersatzanspruch erforderliche Nachweis eines finanziellen Schadens durch eine verweigerte Konfliktbeilegung seltener.429 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 37. 424  Pielsticker, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 7 MediationsG Rn. 2; Steffek, ZEuP 2013, 528, 544 (Zivilrecht). 425  I. d. F. v. 10. 12. 1998, No. 3132 (L.17). 426  Rule 44.4 (3) (a) (ii) CPR: „The court will also have regard to […] the conduct of all the parties, including in particular […] the efforts made, if any, before and during the proceedings in order to try to resolve the dispute.“ 427 Eingehend Andrews, 19 Uniform Law Review 295, 304 f. (2014) (England). 428  Althammer, JZ 2006, 69 f. (Zivilrecht); ders., in: Mediation aus unterschiedlichen Perspektiven, 2012, S. 9, 17 ff.; Diop/Steinbrecher, BB 2011, 131, 135; Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 214 f. (Zivilrecht); Greger/Engelhardt, ZKM 2003, 4 f.; Greger, NJW 2007, 3258, 3262 (Zivilrecht); Hess, in: 67. DJT 2008, F70 ff.; Koch, NJ 2005, 97, 102 (Zivilrecht); Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 109; ders., AnwBl 2007, 655, 658; Thole, ZZP 127 (2014), 339, 366 (Zivilrecht); Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 837. 429  Thole, ZZP 127 (2014), 339, 367 (Zivilrecht).

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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Kritiker befürchten einen Konflikt zwischen etwaigen Kostensanktionen und der Freiwilligkeitsmaxime einer Mediation.430 Ihnen kann jedoch entgegengehalten werden, dass zwischen der Teilnahme an einer einleitenden Sitzung, der Teilnahme an der Konfliktbeilegung und ihrer Abschlussvereinbarung zu unterscheiden ist. Die Teilnahme an einer einleitenden Sitzung kann ohne Konflikt mit der Freiwilligkeitsmaxime angeordnet werden. Weiterhin befürchten Kritiker, dass sich die Parteien nur vordergründig zu der Konfliktbeilegung bereiterklären könnten, um den Sanktionen zu entgehen.431 Ein solches Missbrauchsrisiko lässt sich zwar nicht von der Hand weisen. Ebenso ist es aber möglich, dass auch skeptische Parteien von einem empathischen Verfahrensleiter für die Konfliktbeilegung gewonnen werden. Spricht man sich im Ergebnis für die Zweckmäßigkeit von Kostensanktionen aus, fragt sich weiter, an welcher Stelle man Kostensanktionen hierzulande im Gesetz verankern kann. In jedem Fall bleibt es den Parteien unbenommen, die Kostenübernahme bilateral zu vereinbaren.432 Ob Kostensanktionen aber auch durch das Gericht auferlegt werden dürfen, ist weniger klar. Ausgangspunkt aller Überlegungen sind die §§ 91 ff. ZPO. Sie regeln die Kostentragung für den Zivilprozess und sind auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren anwendbar. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Partei, die im Rechtsstreit unterliegt, die entstandenen Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Im ersten Zugriff eröffnet die Vorschrift einem Richter keine Handhabe, um die Bereitschaft zur Konfliktbeilegung bei der Kostenzuweisung zu berücksichtigen.433 Dennoch wird vorgeschlagen, die §§ 91 ff. ZPO mediationsfreundlich eng auszulegen oder sie analog anzuwenden, um dem Richter größere Spielräume bei der Kostenzuweisung einzuräumen.434 Im Ergebnis ist beides abzulehnen. Eine mediationsfreundlich enge Auslegung des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO würde an dem Merkmal der Notwendigkeit der entstandenen Kosten ansetzen. Notwendig ist zunächst nur, was eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei als sachdienlich ansehen durfte.435 430  von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 300; Bercher/Engel, ZRP 2010, 126, 127 (Zivilrecht); Gullo, Mediation unter der Herrschaft des Rechts?, 2006, S. 16 f.; Stürner, ZZP 127 (2014), 271, 324 (Zivilrecht); Thole, ZZP 127 (2014), 339, 366 (Zivilrecht); Ulrici, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 278a ZPO Rn. 11 (Zivilrecht). 431  Thole, ZZP 127 (2014), 339, 368 (Zivilrecht). 432  Diop/Steinbrecher, BB 2011, 131, 135. 433  Althammer, JZ 2006, 69, 73 (Zivilrecht); Hess, in: 67. DJT 2008, F116; Mankowski, ZKM 2004, 8 ff.; Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 108 ff., insb. S. 113. 434  Thole, ZZP 127 (2014), 339, 365 (Zivilrecht). 435  BGH, Beschl. v. 09. 09. 2004, I ZB 5/04, NJW-RR 2004, 1724.

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2. Teil: Kriterien der Verweisung vor einen Güterichter

Man könnte den Begriff der Notwendigkeit nun so eng auslegen, dass die bei Verweigerung einer Konfliktbeilegung entstandenen Kosten als nicht mehr sachdienlich anzusehen sind.436 Für diese Auslegung ließe sich ein argumentum a maiore ad minus konstruieren, dass auch die für ein Schlichtungsverfahren i. S. d. § 15a EGZPO aufzuwendenden Kosten bei seinem Scheitern als notwendig angesehen werden.437 Wenn schon die Kosten einer vorgerichtlichen alternativen Konfliktbeilegung zu erstatten sind, sollten die Kosten einer vom Gericht vorgeschlagenen Konfliktbeilegung es erst recht sein. Diese Argumentation vernachlässigt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Konstellationen: Die Schlichtung ist obligatorisch, das § 54a ArbGG-Verfahren leiten die Parteien freiwillig ein. Dieser Unterschied rechtfertigt schon nach Art. 10 der Prozesskostenhilfe-Richtlinie 2003/8/EG eine abweichende kostenrechtliche Behandlung. Zudem spricht gegen eine mediationsfreundlich enge Auslegung, dass das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit von Gerichten üblicherweise großzügig ausgelegt wird.438 Beispielsweise sind die Parteien nicht gehalten, besondere Anstrengungen zu unternehmen oder Risiken einzugehen, damit die andere Seite möglichst wenig erstatten muss.439 Ebenso könnte man versuchen, Kostensanktionen durch eine Analogie zu begründen. In den Reihen der §§ 91 ff. ZPO findet man einige Ausnahmen zu dem in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zum Ausdruck kommenden The-winner-takes-it-allGrundsatz. Eine von ihnen könnte analog anzuwenden sein. Allerdings betreffen die dort beschriebenen Konstellationen prozessuale Ausnahmesituationen. Dieser Ausnahmecharakter spricht dagegen, ihren Anwendungsbereich durch einen Analogieschluss auszuweiten.440 Vielmehr sollte die Entscheidung dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.441 Kostensanktionen lassen sich somit de lege lata weder über eine Analogie noch im Wege einer engen Auslegung begründen. 436  Althammer, JZ 2006, 69, 73 (Zivilrecht); Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 110; ähnlich Hess, in: 67. DJT 2008, F117 a. E. 437  § 91 Abs. 3 ZPO; BayObLG, NJW-RR 2005, 724 Ls.; Schulz, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 91 ZPO Rn. 3 (Zivilrecht); Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 106. 438  Mankowski, ZKM 2004, 8, 10 f.; eine mediationsfreundliche Interpretation in Einzelvorschriften befürwortend dagegen Althammer, JZ 2006, 69, 74 (Zivilrecht). 439  Schulz, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), MüKo ZPO, 2016, § 91 ZPO Rn. 49 (Zivilrecht); ähnlich zur Verhältnismäßigkeit Jaspersen, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 2018, § 91 ZPO Rn. 120 ff. (Zivilrecht); Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 110. 440  Althammer, JZ 2006, 69, 74 (Zivilrecht); Bercher/Engel, ZRP 2010, 126, 127 (Zivilrecht); Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 110; zur alten Rechtslage Mankowski, ZKM 2004, 8, 10. 441  Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 111 ff.

§ 8  Funktionelle Verweisungskriterien

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IV.  Fazit Ein vollstreckbarer Titel ist im Güterichterverfahren und im Gütetermin leichter zu erlangen als außergerichtlich. Im Unterschied zum Güterichterverfahren und zum Gütetermin verursacht das § 54a ArbGG-Verfahren zusätzliche Kosten, wobei umstritten ist, ob hierfür Kostenhilfe gewährt werden kann. Während die Rechtsprechung sich noch nicht einheitlich positioniert hat, plädiert das Schrifttum überwiegend und in der Sache überzeugend gegen eine Kostenhilfe.

F.  Ergebnis Insgesamt folgen alle drei Verfahrenstypen in weiten Teilen vergleichbaren Regelungen, doch stammen diese Regelungen aus verschiedenen und unterschiedlich verbindlichen Quellen. In der Zusammenschau ist aber festzustellen, dass das Güterichterverfahren weniger formalisiert ist als der Gütetermin, wenngleich es dem Recht noch stärker verbunden ist als ein § 54a ArbGG-Verfahren. Dieser Unterschied durchzieht die einzelnen Vergleichsaspekte, er zeigt sich an den zeitlichen und örtlichen Rahmenbedingungen ebenso wie an der Verfahrensherrschaft. Überdies ist der Güterichter zur Wahrung der meisten Verfahrensprinzipien ebenso wie der Spruchrichter verpflichtet; hierin unterscheiden sich beide vom § 54a ArbGG-Verfahren. Einzelne Prinzipien des Verfahrensrechts wie das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gelten jedoch nur im Gütetermin.

3. Teil

Zusammenschau – Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung 3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

Der dritte und letzte Teil dieser Arbeit setzt es sich zur Aufgabe, die zuvor entwickelten Verweisungskriterien zu systematisieren. Darüber hinaus wirft er einige Schlaglichter auf mögliche Reformen des Güterichtermodells. Abschließend überführt er die Ergebnisse des ersten, zweiten und dritten Teils in Thesen.

§ 9  Systematisierung der Verweisungskriterien Die Ausführungen des zweiten Teils der Arbeit zu den einzelnen Verweisungskriterien sind umfangreich, was es dem mit der Verweisungsentscheidung betrauten Spruchrichter erschwert, sich ihrer in der alltäglichen Praxis zu bedienen. Die Entscheidung über die Verweisung sollte für den Spruchrichter aber keine Wissenschaft sein. Vielmehr sollte die Wissenschaft Entscheidungsprogramme für ihn bereithalten, die er in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit realistisch handhaben kann. Aus diesem Grund werden die Kriterien im Folgenden systematisiert, um sie griffiger zu machen. Dafür wird zunächst im In- und Ausland nach Ansätzen zur Systematisierung gesucht, die sodann auf den Güterichter übertragen werden.

A.  Darstellung verschiedener Verfahrensauswahlprozesse In der Literatur finden sich viele unterschiedliche Ansätze zur Systematisierung von Verweisungskriterien. Sie sind nicht auf den Güterichter zugeschnitten, sondern zielen darauf ab, unter der Vielzahl möglicher Konfliktbeilegungsverfahren das im Einzelfall sachgerechte herauszukristallisieren. Die meisten dieser Modelle fragen danach, ob ein Konflikt für eine außergerichtliche Mediation geeignet ist; auf den Güterichter lassen sie sich nicht ohne weiteres übertragen. Anregungen lassen sich ihnen aber allemal entnehmen. Nachfolgend werden verschiedene Ansätze herausgegriffen und zu Strömungen zusammengeführt.

§ 9  Systematisierung der Verweisungskriterien

283

I.  Multi-Door-Courthouse als US-amerikanisches Vorbild Dass die Frage danach, wie man richterliche Entscheidungsabläufe strukturiert, nicht neu ist, offenbart ein Blick über den nationalen Tellerrand. So wurde die Entscheidung über die weitere Verfahrensbehandlung in den USA schon in den 1970er Jahren unter dem Schlagwort Multi-Door-Courthouse diskutiert. 1.  Konzeptionelle Grundlagen des Multi-Door-Courthouse-Modells Der Alternative Dispute Resolution Act of 1998 verpflichtete alle Bundesgerichte in den USA, Multi-Door-Courthouse-Programme einzuführen.1 Die Grundidee dieser Programme bestand darin, allen Parteien, die sich zur Lösung ihres Konflikts an ein Gericht gewandt haben, auf den für sie bestmöglichen Verfahrensweg zu geleiten.2 Dieser Weg musste, so die damalige Überzeugung, nicht unbedingt in der Führung des streitigen Prozesses bestehen, sondern konnte ebenso in einem alternativen Konfliktbeilegungsverfahren liegen. In einem Multi-Door-Courthouse bot man den Parteien deshalb nach Betreten des Gerichts gleichsam verschiedene Türen, durch die sie schreiten konnten, und hinter denen sich verschiedene Verfahren für die weitere Behandlung ihres Konflikts befanden.3 Der Auswahlprozess zwischen den einzelnen Türen weist Parallelen zu der spruchrichterlichen Verweisungsentscheidung auf. In jedem Bundesgericht musste sodann ein System entwickelt werden, anhand dessen zwischen den Türen ausgewählt werden konnte. Grundsätzlich kamen für die Auswahl zwischen den Türen im Multi-Door-Courthouse drei Ansätze in Betracht.4 Erstens konnte man bestimmte Fallgruppen kategorisch durch bestimmte Türen geleiten.5 Zweitens konnte man mit widerlegbaren Vermutungen arbeiten, indem man bestimmte Fallgruppen nur dann kategorisch an eine Tür verwies, wenn keine Kontraindikation bestand. Drittens konnte man die Zuteilung dem Zufall überlassen.

1  Alternative Dispute Resolution Act of 1998, Pub. L. 105 – 315, § 3, Oct. 30, 1998, abrufbar im Internet unter adr.gov; Goldberg et al., ADR, 2012, S. 505; Gray, 9 Negotiation Journal 215 (1993) (USA); Weitz, Gerichtsnahe Mediation, 2008, S. 204 (Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht). 2  Goldberg et al., ADR, 2012, S. 514 f. Ortloff warf bereits 2004 die Frage auf, ob nicht auch Deutschland ein Multi-Door-Courthouse-Modell einführen sollte, NVwZ 2004, 385, 388 (Verwaltungsrecht). Zur Vorbildfunktion des US-amerikanischen Konzepts Engel, Collaborative Law, 2010, S. 271 f.; ähnlich Weitz, Gerichtsnahe Mediation, 2008, S. 204 ff. (Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht). 3  Goldberg et al., ADR, 2012, S. 514. 4  Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 9 (Australien). 5  Goldberg et al., ADR, 2012, S. 518 m. w. N.

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

Um den Auswahlprozess im Multi-Door-Courthouse griffiger zu machen, versuchte Sander, die dem Prozess zugrunde liegenden Kriterien zu systematisieren. Beginnend mit einer Veröffentlichung anlässlich der Pound Conference 1976 in St. Paul, Minnesota, identifizierte er über die Jahre hinweg Kriterien, mittels derer das im Einzelfall am besten geeignete Konfliktbeilegungsverfahren ausgewählt werden sollte.6 1994 entwickelte er gemeinsam mit Goldberg eine zweistufige Prüfung.7 Erstens fragte er nach den Interessen und Zielen der Parteien. Diese bewertete er sodann anhand eines Punktesystems; der Punktestand sollte Aufschluss über das bestmögliche Verfahren geben.8 Zweitens fragte er nach Einigungshindernissen, durch welche die verfahrensspezifischen Nachteile einer einvernehmlichen Konfliktbeilegung forciert würden. Ein wissenschaftlicher Verdienst dieses Ansatzes liegt darin, dass er sich von der rechtlichen Perspektive löst und den Fokus auf die subjektiven Interessen und Ziele der Parteien richtet.9 Darüber hinaus haben sie die charakteristischen Züge der einzelnen Verfahrenswege herausgearbeitet und mit den subjektiven Aspekten in Verbindung gebracht. 2006 ging Sander einen Schritt weiter und skizzierte gemeinsam mit ­ ozdeiczer eine dreistufige Prüfung.10 Als erstes fragte er die grundsätzliche R Bereitschaft der Parteien ab, sich zu einigen. Zweitens suchte er nach Kontra­ indikationen, die gegen eine Konfliktbeilegung sprechen. In einem dritten Schritt, der bei § 54 Abs. 6 ArbGG nicht vom Spruchrichter, sondern durch den Güterichter vorgenommen werden könnte, passte er das Verfahren an die Besonderheiten des individuellen Konflikts an. Ausgehend von einer Mediation kreierte er so ein maßgeschneidertes Verfahren.11 Die Theorien von Sander nahmen sich viele ­Multi-Door-Courthouse-Programme zum Vorbild. 2.  Praktische Umsetzung in Washington D. C. Im Superior Court of the District of Columbia in Washington D. C. wird bis heute ein Multi-Door-Courthouse-Programm praktiziert.12 Dabei geht man in 6 Grundlegend Sander, 70 Federal Rules Decisions 111 (1976) (USA); ferner Astor/ Chinkin, Dispute Resolution, 1992, S. 168 ff. (Australien); Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 145; Gray, 9 Negotiation Journal 215 (1993) (USA); Stedman, in: Smith (Hrsg.), Achieving Civil Justice, 1996, S. 119, 120. 7  Sander/Goldberg, 10 Negotiation Journal 49 (1994) (USA). 8  Sander/Goldberg, 10 Negotiation Journal 49, 53, 55 (1994) (USA). 9  Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 157; Engel, Collaborative Law, 2010, S. 271. 10  Sander/Rozdeiczer, 11 Harvard Negotiation Law Review 1, 32 ff. (2006) (USA). 11  Sander/Rozdeiczer, 11 Harvard Negotiation Law Review 1, 32 ff. (2006) (USA). 12  Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 158 ff.; Ponschab/Kleinhenz, DRiZ 2002, 430, 435.

§ 9  Systematisierung der Verweisungskriterien

285

zwei Schritten vor. Zunächst werden bestimmte Fallgruppen ohne individuelle Prüfung anhand der Ergebnisse eines von den Parteien auszufüllenden Fragebogens herausgefiltert und vom Gericht direkt auf bestimmte Verfahrenswege geleitet.13 Die übrigen Fälle, die nicht kategorisch zugeteilt werden können, werden sodann in einem zweiten Schritt anhand verschiedener Kriterien überprüft. Diese Kriterien sind unterschiedlich gewichtet, was sich durch Punktzahlen ausdrückt. Aus dem individuellen Punktergebnis werden schließlich Folgerungen dazu abgeleitet, welches Konfliktbeilegungsverfahren im Einzelfall sachgerecht ist.14 Bemerkenswert an dem Auswahlprozess in Washington D. C. ist, dass der streitige Gerichtsprozess ausschließlich von der ersten kategorischen Stufe aus angesteuert werden kann. Innerhalb der zweiten wird nur noch zwischen Mediation, Schiedsgerichtsbarkeit und Neutral Case Evaluation unterschieden. Das Gesamtergebnis ist schließlich nicht als verbindliche mathematische Vorgabe für die weitere Konfliktbehandlung zu verstehen, sondern als Hilfestellung.15 Besonders die zweite Stufe ähnelt dem Ansatz von Sander. Doch auch auf der ersten Stufe fragt das Gericht im Fragebogen die Ziele und Interessen der Parteien ab und leitet nicht etwa jeden familiären Konflikt automatisch in eine Mediation.16 Ferner deutet der Umstand, dass der streitige Gerichtsprozess nur auf der ersten Stufe angesteuert werden kann, an, dass das Multi-Door-Courthouse-Programm die alternativen Konfliktbeilegungsverfahren priorisiert. 3.  Praktische Umsetzung in Cambridge, MA In Cambridge, Massachusetts, wird seit dem Jahre 1989 in jedem bei Gericht anhängigen Fall zunächst eine Screening Conference durchgeführt, in deren Mittelpunkt eine individuelle Konfliktdiagnose steht.17 In ihr führt ein speziell geschulter Screening Officer ein meist einstündiges formloses Gespräch mit den Parteien, in dessen Rahmen er die Fakten ihres Falls sowie ihre persönlichen Interessen und Ziele abfragt sowie die Vor- und Nachteile der möglichen Verfahrenswege mit ihnen diskutiert.18 Dabei kann der Screening Officer zwar Vorschläge zu der Verfahrenswahl unterbreiten, die verbindliche Entscheidung über

13 

Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 158 f. Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 159 f. 15  Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 161 Fn. 103. 16  Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 164. 17  Internet, abrufbar unter mass.gov/courts/programs/adr; Birner, Multi-Door Court­ house, 2003, S. 164 f.; Goldberg et al., ADR, 2012, S. 515 f.; Gray, 9 Negotiation Journal 215 (1993) (USA); Stedman, die dem Middlesex Multi-Door-Courthouse in Cambridge vorsteht, in: Smith (Hrsg.), Achieving Civil Justice, 1996, S. 119 ff. 18  Goldberg et al., ADR, 2012, S. 516 f. 14 

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

den Verfahrensfortgang verbleibt aber in der Hand der Parteien.19 Im Unterschied zu den meisten anderen Multi-Door-Courthouse-Programmen verfolgt Cam­ bridge damit einen individuell-diagnostischen Ansatz.20 Zum Ablauf der Screening Conference sind keine hinreichend konkreten, auf die spruchrichterliche Verweisungsentscheidung übertragbaren Einzelheiten überliefert. Hervorgeboben wurde jedoch, dass Gemeinsamkeiten zwischen der Screening Conference und der Eröffnungsphase einer Mediation bestünden.21 II.  Prüfung anhand der Konfliktnähe Ein federführend von Falke und Gessner entwickelter und im Schrifttum vielfach als schlichtes Kriterium missverstandener Ansatz ist derjenige der sog. Konfliktnähe.22 Hinter der Konfliktnähe verbirgt sich ein vollwertiges Konzept, mittels dessen man einen Konflikt analysieren und auf seine Mediationstauglichkeit hin überprüfen kann. Im Rahmen ihrer Prüfung unterscheiden Falke und Gessner zwischen personen-, rollen- und normenbezogenen Konflikten und leiten aus der Verortung eines Konflikts in einer dieser drei Kategorien Rückschlüsse über seine Mediationseignung ab.23 Personenbezogene Konflikte zeichnen sich durch ein komplexes Beziehungsgefüge aus und weisen die größte Konfliktnähe auf.24 Ihnen komme eine hohe Mediationseignung zu.25 Dreh- und Angelpunkt normbezogener Konflikte seien dagegen rechtliche Wertungen.26 Ihnen komme eine geringere Konfliktnähe und eine geringere Mediationseignung zu.27 Rollenbezogene Konflikte seien auf das soziale Umfeld der Parteien bezogen und würden zwischen zwei Rollenträgern entstehen.28 Ihre Mediationstauglichkeit divergiere

19 

Stedman, in: Smith (Hrsg.), Achieving Civil Justice, 1996, S. 119, 126 f. Stedman, in: Smith (Hrsg.), Achieving Civil Justice, 1996, S. 119, 120. 21  Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 170; Goldberg et al., ADR, 2012, S. 516 a. E. 22 Grundlegend Falke/Gesser, in: Alternativen in der Ziviljustiz, 1982, S. 289, 302 ff.; Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 137 ff.; Friedrich, Mediation in der So­ zialgerichtsbarkeit, 2011, S. 249 (Sozialrecht); Gottwald, in: FS Blankenburg, 1998, S. 635, 638 ff. 23  Falke/Gesser, in: Alternativen in der Ziviljustiz, 1982, S. 289, 302 ff. 24  Gessner, Recht und Konflikt, 1976, S. 172 f. 25  Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 138; Gottwald, in: FS Blankenburg, 1998, S. 635, 641. 26  Gessner, Recht und Konflikt, 1976, S. 173. 27  Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 140 f. 28  Gessner, Recht und Konflikt, 1976, S. 173. 20 

§ 9  Systematisierung der Verweisungskriterien

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im Einzelfall.29 Beispielsweise könne die unbefriedigende Ausführung einer Weisung zu einem Konflikt aus den Rollen Arbeitnehmer-Arbeitgeber führen, wohingegen die Annäherungsversuche eines Arbeitnehmers gegenüber der Ehefrau seines Arbeitgebers im Rahmen der alljährlichen Weihnachtsfeier einen eher personen- als rollenbezogenen Konflikt verursachen würden.30 III.  Zwei- und dreischrittige Prüfraster Duve und Hacke sortieren die Kriterien in ein zweischrittiges Prüfungsschema ein. Dabei werden in einem ersten Schritt Ausschlussgründe gesucht, die gegen eine einvernehmliche Konfliktbeilegung sprechen, und in einem zweiten Schritt Eignungsgründe, die für sie sprechen.31 Für die Eignung würde das Vorhandensein nichtrechtlicher Interessen, der Wunsch nach Gestaltung der Zukunft, nach Vertraulichkeit und Schnelligkeit sowie die hohe Komplexität, Emotionalität und die Internationalität eines Konflikts sprechen.32 Entgegenstehende Gründe könnten in zwingendem Recht, dem öffentlichen Interesse an Rechtsdurchsetzung und Rechtsentwicklung, dem Wunsch nach Präzedenz- oder Öffentlichkeitswirkung und dem Bedürfnis nach einstweiliger Sicherung liegen.33 Feix wählt für die obligatorische Streitschlichtung eine Herangehensweise, die aussichtslose Fälle herausfiltert.34 Dafür verwendet sie verschiedene abstrakte Kriterien. Eine weitergehende Systematisierung der Kriterien lehnt sie allerdings ab.35 Greger äußerte sich ebenfalls verschiedentlich zu der Frage der Systematisierung. In Zusammenarbeit mit von Münchhausen spricht er sich für ein erweitertes zweischrittiges Vorgehen aus.36 Zunächst sei anhand grober Kriterien wie der Kosten eine Vorauswahl zu treffen. Unter den verbliebenen Fällen sei sorgfältig zu differenzieren und unter Einbeziehung praktischer Erfahrungen schließlich eine Entscheidung zu treffen. Für diese letzte Differenzierung bietet Greger an anderer Stelle eine Prüfung von Prozessgegenstand, -stadium und -hintergrund 29 

Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 139 f. Birner, Multi-Door Courthouse, 2003, S. 140. 31  Duve, in: Henssler/Koch (Hrsg.), Mediation, 2004, § 5 Rn. 1 ff.; Hacke, in: Duve/ Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 285 ff. 32  Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 285 ff. 33  Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 290 ff. 34  Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 212 ff. (Zivilrecht). 35  Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 198 f. (Zivilrecht). 36  Greger/von Münchhausen, Verhandlungsmanagement, 2010, Rn. 17 ff. 30 

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

auf Eignungs- und Ausschlusskriterien an.37 Insgesamt erinnert sein Ansatz an das in Washington D. C. praktizierte Multi-Door-Courthouse-Programm. Friedrich, deren Ausführungen eigentlich auf die gerichtsinterne Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit zugeschnitten waren, geht noch einen Schritt weiter als Duve und Hacke und unterscheidet drei Stufen. Zuerst prüft sie die Grundvoraussetzungen, danach die Eignungs- und zuletzt die Ausschlusskriterien.38 Als unerlässliche Grundvoraussetzungen identifiziert sie die Kooperationsbereitschaft und die Selbstbestimmtheit der Parteien. Ihre Eigungskriterien umfassen eine größere Kriteriengruppe, nämlich alle spezifischen Verfahrens- und Verhandlungsinteressen der Parteien, wie ihren Wunsch nach einer zügigen Verfahrensbeendigung. Auch die Komplexität des Rechtsstreits und die Emotionalität prüft sie an dieser Stelle. Drittens widmet sich Friedrich den Ausschlusskriterien, die bei Sander auf der zweiten Stufe thematisiert werden. Friedrichs Schwelle scheint hier jedoch insofern höher als die von Sander angesetzt, als dass bei ihr nicht jede Kontraindikation zum Ausschluss führt. Vielmehr muss die Kontraindikation von besonderem Gewicht sein. Als Beispiel nennt Friedrich das Öffentlichkeitsbedürfnis, bei dessen Vorliegen ein öffentlich geführter Gerichtsprozess vorzugswürdig ist, sofern den Parteien dieser Umstand wichtig ist. Friedrich relativiert den Anspruch der eigenen Systematisierung jedoch, indem sie anerkennt, dass auch Konflikte, die keines der Eignungskriterien erfüllen, grundsätzlich mediabel sein können. Umgekehrt könnten alle Eignungskriterien formell vorliegen und eine Konfliktbeilegung dennoch ins Leere laufen.39 Den übrigen Ansätzen ist gemein, dass sie dem Vorbild von Sander und ­Goldberg folgend die subjektiven Konfliktbehandlungsbedürfnisse der Parteien in den Mittelpunkt des Auswahlprozesses rücken. Objektive parteiunabhängige Faktoren spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Duve, Hacke, Friedrich und Greger und von Münchhausen unterscheiden jeweils zwischen positiven Eignungs- und negativen Ausschlusskriterien. Mal im Zwei-, mal im Dreiklang differenzieren sie zudem alle zwischen notwendigen Kriterien mit einer höheren Bedeutung und solchen, deren Vorliegen fakultativ ist. Greger und von Münchhausen sowie F ­ riedrich schalten ihrer Feinprüfung dabei noch einen Grobfilter vorweg. Feix arbeitet gar nur mit einem solchen Grobfilter. Der Sache nach definiert sie in ihrem Grobfilter das, was Duve und Hacke Ausschlussgründe, Greger und von Münchhausen eine grobe Vorauswahl und Friedrich Grundvoraussetzungen nennen. Die Unterschiede zwischen den Ansätzen sind damit vorwiegend gradueller Natur. Sie unterscheiden sich primär dadurch, wie weit sie ihre Systematisierung 37  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 114 f.; ders., in: Trenczek et al. (Hrsg.), 2017, S. 474, 480. 38  Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 242 f. (Sozialrecht). 39  Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 243 (Sozialrecht).

§ 9  Systematisierung der Verweisungskriterien

289

auffächern, also ob sie sich mit einer groben Vorauswahl begnügen und die Entscheidung letztlich dem Entscheidungsträger überlassen, oder ob sie sich anschicken, den Entscheidungsprozess so weit wie möglich im Vorhinein zu strukturieren. IV.  Ausdifferenzierte Prüfmatrix Eine weitere Möglichkeit, wie man eine Entscheidung strukturieren kann, besteht darin, die einzelnen Kriterien in ein ausdifferenziertes Beurteilungsraster einzubetten. Von einer Tabelle bis zum Entscheidungsbaum sind solche Raster in vielerlei Gestalt denkbar. Ein allgemeiner Überblick über die Möglichkeiten, wie man eine Entscheidung strukturieren kann, findet sich bei Hagel.40 Horstmeier entwickelt ein ausdifferenziertes Beurteilungsraster in tabellarischer Form für die Auswahl des am besten geeigneten Konfliktlösungsverfahrens.41 Steffek bedient sich ebenfalls einer Matrix, in der er verschiedene Konfliktlösungsverfahren klassifiziert.42 Horizontal stellt er die verschiedenen Verfahrenswege nebeneinander, vertikal die einzelnen Kriterien. Sodann subsumiert er jedes Verfahren in wenigen Stichworten unter die einzelnen Kriterien. Für das Kriterium der Dauer fällt er für das streitige Gerichtsverfahren beispielsweise das Urteil lange, für die betriebliche Einigungsstelle mittel und für die Mediation kurz bis mittel.

B.  Übertragbarkeit der Auswahlprozesse auf die Verweisung Der folgende Abschnitt untersucht, ob sich Leitlinien und Ideen der dargestellten Auswahlprozesse extrapolieren lassen und ob es möglich ist, diese für das Güterichtermodell fruchtbar zu machen. I.  Übertragbarkeit des Multi-Door-Courthouse-Modells Die von Sander und Goldberg propagierte zweistufige Lösung stößt für das Güterichtermodell an Grenzen, da sie nur einen Bruchteil der hier erarbeiteten Kriterien abdeckt. Eine Bewertung der Ziele und Interessen der Parteien anhand eines Punktesystems auf der ersten Stufe deckt letztlich primär die subjektiv-materiellen Kriterien ab, während es die anderen unberücksichtigt lässt. Übertragen auf den Güterichter ergibt sich die weitere Schwierigkeit, die einzelnen Kriterien 40 

Hagel, ZKM 2014, 108 ff. Horstmeier, MediationsG, 2013, S. 135 f. 42  Steffek, ZKM 2013, 139. 41 

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

anhand von Punkten zu bewerten. Wie viel Gewicht einem Kriterium zukommt, hängt in hohem Maße vom jeweiligen Einzelfall ab und kann nicht abstrakt-generell im Vorhinein bestimmt werden. Im Einzelfall kann ein einzelnes Kriterium alle anderen Kriterien überwiegen.43 Aus diesem Grund lässt sich für die Verweisungskriterien kein allgemeingültiges Punktesystem entwerfen. Gleiches gilt für das Praxismodell von Washington. Die dort zusätzlich erfolgende kategorische Verweisung dient letztlich nur der gerichtlichen Ressourcenschonung und nicht der Sachgerechtigkeit der einzelnen Verweisung. Die Screening Conference in Cambridge ist zu einzelfallabhängig und individuell, als dass man sie auf die Verweisungsentscheidung übertragen könnte. Die dreistufige Prüfung von Sander und Rozdeiczer knüpft zunächst an die Einigungsbereitschaft der Parteien an, die nach zutreffender Ansicht für die spruchrichterliche Verweisungsentscheidung rechtlich nicht erforderlich ist. Ihre dritte Stufe, in der das Verfahren an die Besonderheiten des individuellen Konflikts angepasst wird, würde im Güterichtermodell vom Güterichter durchgeführt und ist insofern für die Verweisungsentscheidung ohne Belang. II.  Übertragbarkeit der Konfliktnähe Die von Falke und Gessner vollzogene Unterscheidung zwischen personen-, rollen- und normbezogenen Konflikten spiegelt sich innerhalb der Gruppe der materiellen Verweisungskriterien wider. Darüber hinaus bietet die Unterscheidung keinen Mehrwert, um die spruchrichterliche Verweisungsentscheidung zu strukturieren. Personenbezogene Konflikte erinnern an das Kriterium der außerrechtlichen Interessen. Normbezogene Konflikte finden sich in dem Kriterium der rechtlichen Unwägbarkeiten wieder. Rollenbezogene Konflikte sind teilweise in dem Kriterium der außerrechtlichen Interessen zu verorten, teilweise aber auch in dem Wunsch nach Vertraulichkeit sowie in anderen Kriterien. Die alleinige Beurteilung eines Konflikts anhand seiner Konfliktnähe wird deshalb mit Recht als zu grob kritisiert.44 So folgt die Komplexität eines Konflikts nicht allein aus seiner Personenbezogenheit. Eine Reduktion auf einen personen-, rollen- oder normbezogenen Ausgangspunkt verkürzt den Konflikt in seiner Vielschichtigkeit; hier hat der Spruchrichter auch die anderen materiellen Kriterien zu berücksichtigen. Überdies vernachlässigt die Konfliktnähe formelle und funktionelle Kriterien, wie zum Beispiel die Verfahrensverzögerung. 43  Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 285; zustimmend Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 243 (Sozialrecht). 44  Krit. z. B. Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 249 (Sozial­ recht).

§ 9  Systematisierung der Verweisungskriterien

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III.  Übertragbarkeit des ausdifferenzierten Prüfrasters Eine umfassende Erschöpfung aller Aspekte eines Konflikts versprechen dagegen die Beurteilungsmatrizen Horstmeiers und Steffeks, ebenso wie eine gesteigerte Handhabbarkeit und Transparenz. Beim näheren Hinsehen ergeben sich jedoch auch hier Grenzen. So kann das materielle Kriterium des Wunsches nach Öffentlichkeit auf ein streitiges Gerichtsverfahren hindeuten, während das materielle Kriterium der Eigenverantwortung im gleichen Konflikt auf eine Mediation hinweist. Die Tabelle trifft in diesem Fall keine Aussage dazu, welchem Kriterium und damit welchem Verfahren der Vorrang einzuräumen ist. Mehr als einen ersten Überblick über die verschiedenen Kriterien und ihre abstrakt-generelle Gewichtung für bestimmte Konfliktbeilegungsverfahren vermag ein Beurteilungsraster nicht zu bieten. Insbesondere werden die Kriterien nicht zueinander ins Verhältnis gesetzt oder systematisiert. IV.  Übertragbarkeit der zwei- und dreischrittigen Prüfraster In den zwei- und dreischrittigen Systematisierungsansätzen wurde wiederholt vorgeschlagen, die Kriterien in Eignungs- und Ausschlussgründe sowie in Grobund Feinfilter aufzuteilen. 1.  Eignungs- und Ausschlussgründe Eine zwischen Ausschluss- und Eignungsgründen differenzierende Prüfung setzt jedoch voraus, dass sich die Verweisungskriterien innerhalb dieser Stufen eindeutig verorten lassen. So erweist sich manches Ausschlusskriterium bei näherem Hinsehen als Spiegelbild eines positiven Eignungskriteriums. Die den beiden Kriterien zugrunde liegende Materie nochmals zu prüfen, verspricht keinen Mehrwert.45 Ein Beispiel hierfür bietet das materielle Kriterium des Machtungleichgewichts, dessen Vorhandensein als Indiz gegen und dessen Abwesenheit als Indiz für ein Güterichterverfahren geprüft werden kann. Solche unnötigen Doppellungen gilt es zu enttarnen. Manche nur auf den ersten Blick als solche anmutende Doppellungen führt Hacke jedoch zu Recht auf. Beispielsweise nennt er den Wunsch nach einem Ausschluss der Öffentlichkeit zusätzlich zu dem Wunsch nach Öffentlichkeit.46 Die mit einer Mediation verbundene Vertraulichkeit kann weit über die schlichte Abwesenheit gerichtlicher Öffentlichkeit hinausgehen und erschöpft sich aus diesem Grund nicht darin, die andere Seite der Medaille abzubilden.47 45 

Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 242 (Sozialrecht). Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 286 f., 291 f. 47  Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 242 (Sozialrecht). 46 

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

2.  Grob- und Feinfilter Ein Grobfilter kann nur für solche Kriterien eingeführt werden, denen eine normativ-abstrakt hohe Bedeutung zukommt. Sie müssen für die Verfahrenswahl generell aussagekräftiger sein als andere. Damit ist zu klären, welche der spruchrichterlichen Verweisungskriterien sich als Grobfilter eignen würden. Weitreichende Konsequenzen zeitigt etwa die Dispositionsbefugnis, anhand derer Konflikte herausgefiltert werden können, in denen Gegenstände außerhalb der parteilichen Dispositionsbefugnis auf den Verhandlungstisch vor dem Güterichter gebracht werden müssten. Da ein Güterichterverfahren – und insbesondere eine güterichterliche Mediation – auf Wertschöpfung angelegt ist, werden regelmäßig zusätzliche Gegenstände auf den Verhandlungstisch gebracht. Nicht zuletzt deswegen kommt dem Kriterium der Dispositionsbefugnis ein hoher Aussagegehalt für die Verfahrenswahl zu. Für den Spruchrichter wird es jedoch schwierig sein, diese zusätzlichen Materien zu identifizieren und in seiner Verweisungsentscheidung zu berücksichtigen. Insofern ist das Kriterium zwar von hoher Bedeutung, kommt aber selten zum Tragen. Ähnliches gilt für das Einverständnis der Parteien. Zwar ist es nach zutreffender Ansicht für eine Verweisung rechtlich nicht erforderlich. Nichtsdestotrotz kann es faktisch durchaus bedeutsam werden.48 Darf ihr Einverständnis im Verweisungszeitpunkt noch fehlen, müssen die Parteien jedenfalls später für die eigentliche Konfliktbeilegung vor dem Güterichter überzeugt werden. Andernfalls ist es ihr gutes Recht, das Güterichterverfahren umgehend abzubrechen.49 Misslingt es Spruch- und Güterichter nachhaltig, das Einverständnis der Parteien zu gewinnen, hat das Güterichterverfahren keine Aussicht auf Erfolg. Greger und Weber empfehlen deshalb, den Parteien vor der Verweisung Gelegenheit zu einer Stellungnahme einzuräumen.50 Die Bedeutung der übrigen Kriterien variiert je nach Einzelfall. Sie drücken bloße Wahrscheinlichkeiten aus. Eine absolute Gewichtung ist abstrakt nicht möglich. Grauzonen sind etwa unter den materiellen Kriterien zu finden, beispielsweise bei dem Machtungleichgewicht, der Emotionalität, den außerrechtlichen Interessen und den rechtlichen Unwägbarkeiten. Bei starker Ausprägung haben die vorgenannten Kriterien einen hohen Aussagegehalt, bei schwacher Ausprägung schwindet ihre Bedeutsamkeit. 48  OVG Sachsen, Beschl. v. 28. 01. 2014, 1 A 257/10, juris Rn. 2; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 09. 04. 2014, 8 S 1528/13, juris Rn. 4; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht); Roth, in: Kolloquium Mediation, 2013, S. 109, 112 (Zivilrecht); Steffek, in: Fischer/Unberath (Hrsg.), Mediationstagung 2011, S. 29, 41; Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 197. 49  Roth, in: Kolloquium Mediation, 2013, S. 109, 112 (Zivilrecht). 50  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht).

§ 9  Systematisierung der Verweisungskriterien

293

In der Gesamtschau von eher untergeordneter Bedeutung ist regelmäßig die Haftung des Verfahrensleiters. Generell unbedeutende Kriterien lassen sich hingegen nicht identifizieren. Kriterien können nur im Einzelfall ohne Bedeutung sein. Ein abstrakt eher unscheinbares Kriterium kann im konkreten Einzelfall alle anderen Kriterien überlagern. Bei allen nicht generell bedeutsamen Kriterien ist deshalb für jeden Einzelfall gesondert zu prüfen, welche Bedeutung ihnen jeweils zukommt. Ein allgemeingültiges Beurteilungsraster mit festen Nennwerten für die einzelnen Verweisungskriterien kann daher nicht konstruiert werden. Ebenso lässt sich kein Schwellenwert festlegen, ab wie vielen erfüllten Kriterien eine Verweisung ratsam ist. Festzuhalten ist damit, dass eine absolute Hierarchisierung der Kriterien nicht möglich ist. Die Einteilung der Kriterien in Grob- und Feinfilter lässt sich für die Verweisungsentscheidung somit nicht fruchtbar machen.

C.  Eigener Ansatz: Kontextualisierter Dreiklang Es überrascht wenig, dass formelle und funktionelle Kriterien in den dargestellten Ansätzen außer Betracht bleiben, sind diese Ansätze doch alle nicht auf den Güterichter zugeschnitten. Stattdessen sind sie weitgehend auf die hier als materiell bezeichneten Verweisungskriterien beschränkt. Doch auch darüber hinaus vermag keiner der dargestellten Auswahlprozesse die spruchrichterlichen Verweisungskriterien hinreichend zu systematisieren. Insbesondere vollzieht keiner von ihnen nach, dass die Verweisungskriterien nicht für sich stehen, sondern stets in ihrem jeweiligen Kontext zu betrachten sind. Aus diesem Grund werden nachfolgend einige weitergehende Erwägungen zur Systematisierung angestellt. Zunächst werden die Kriterien kontextualisiert. Je nach Kontext variiert nämlich der Impuls zur Verweisung, den ein Kriterium aussendet. Zu diesem Kontext gehören der Verfahrenszeitpunkt ebenso wie das Zusammenspiel mit anderen Kriterien. Zuletzt wird der Dreiklang aus materiellen, formellen und funktionellen Verweisungskriterien, der dieser Untersuchung zugrunde liegt, in ein Prüfungsschema für den Spruchrichter überführt. I.  Kontextualisierung anhand des Zeitpunkts Zunächst wird untersucht, welche Auswirkungen der Verweisungszeitpunkt auf die Kriterien hat, m. a. W. werden die Kriterien also in die vierte Dimension überführt.

294

3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

1.  Sachgerechte Zeitpunkte für die Verweisung Betrachtet man die Zeitpunkte für eine Verweisung vor den Güterichter, ist zwischen den rechtlich zulässigen Zeitpunkten einerseits und den im Einzelfall sachgerechten Zeitpunkten andererseits zu differenzieren. Die rechtlich zulässigen Zeitpunkte wurden bereits herausgearbeitet.51 Danach kann das Güterichterverfahren sowohl in der Eingangsinstanz als auch in einem Berufungs- und Revisionsverfahren und darin jeweils vor und während des Gütetermins sowie nach dem Übergang in die Kammerverhandlung eingeleitet werden. Die Zahl der rechtlich zulässigen Verweisungszeitpunkte ist damit groß. Anlass zur Diskussion bietet hingegen der zweckmäßigste unter all diesen zulässigen Verweisungszeitpunkten.52 Manche sehen in jedem zulässigen Zeitpunkt gleichwertige Anknüpfungspunkte für ein Güterichterverfahren. Andere bevorzugen stets die Wahl eines späten Verfahrenszeitpunkts oder der zweiten Instanz für die Verweisung.53 Wieder andere sind überzeugt, dass eine frühzeitige Verweisung stets vorzugswürdig ist.54 Den Vorzug verdient ein vermittelnder Weg. Kommt es im Güterichterverfahren zu einer Beilegung des Konflikts, ist eine frühzeitige Verweisung unter Zeit- und Kostengesichtspunkten rückblickend vorzugswürdig.55 Immerhin ha51  Eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: Zeitliche Scheidepunkte für die Verfahrenswahl, S. 209. 52  Henderson, 11 Ohio State Journal on Dispute Resolution 105, 118 (1996) (USA); Hiltrop, in: Kressel/Pruitt (Hrsg.), Mediation, 1989, S. 241, 248: „The optimal timing of entry [of ADR] into the dispute is one of the most intensly debated topics in the conciliation literature“; Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 40 (Australien): „The timing of referral to ADR has been the subject of much discussion, some of it based on speculation, intuition or wishful thinking; more on some degree of clinical experience, and relatively little on empirical research.“ 53  Brose, ZKM 2016, 221, 225 (gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht); Götz von Olenhusen, in: FS Stilz, 2014, S. 171, 173 f.; Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 8; Nink will jedenfalls den Gütetermin abwarten, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 175; allgemeiner Prütting, nach dem der günstigste Zeitpunkt für Vergleichsversuche oft nicht das Vorverfahren, sondern erst ein spätes Stadium des gerichtlichen Verfahrens ist, JZ 1985, 261, 268; Stadler, NJW 1998, 2479, 2482; Stickelbrock, die auf die Diskussion um den Erlass von § 279 ZPO a. F. aus dem Jahre 1950 Bezug nimmt, JZ 2002, 633, 638 (Zivilrecht). 54  Friedrich/Dürschke, SRa 2013, 12, 17 (Sozialrecht); ähnlich die Auswertungen von Greger, in: FG Volkommer, 2006, S. 3, 12; ders., Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 20 f., 97; ders., Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Berlin, 2012, S. 39; ders./Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 9 (Zivilrecht); vgl. die erste These von Gottwald, in: FS Blankenburg, 1998, S. 635, 638; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 39. 55  Genn, Court-Based ADR, 2002, S. 44, 107 (England).

§ 9  Systematisierung der Verweisungskriterien

295

ben Konflikte in einem frühen Verfahrensstadium weniger Rechtsgespräche durchlebt und sind dadurch weniger verrechtlicht. Für einen frühen Verweisungszeitpunkt wird weiter argumentiert, dass Konflikte in einem frühen Verhandlungsstadium weniger eskaliert seien.56 Dem ist in dieser Pauschalität aber nicht zuzustimmen. Zum einen korreliert die Eskalationsstufe eines Konflikts nicht zwingend mit dem zeitlichen Fortgang des Prozesses. Manch eine Partei beruhigt sich gar im Laufe der Verhandlungen, etwa weil sie, nachdem die abgebrochene Kommunikation vor Gericht wieder aufgenommen wurde, die Position der Gegenseite durch deren Vorbringen nachvollziehen kann.57 Solange die persönliche Kommunikation unterbrochen ist, fällt es Parteien leichter, die Gegenseite auszublenden und sich auf die eigene Position zu versteifen. Güterichter werden aber gerade dazu ausgebildet, in festgefahrenen Situationen neue Perspektiven zu eröffnen.58 Manchmal offenbaren sich Gesichtspunkte, die für eine alternative Konfliktbeilegung sprechen, erst in einem späten Prozessstadium oder die Faktenlage verändert sich.59 Nicht nur bei anfänglichem Überoptimismus möchten Parteien aber zumindest erst ihre Beweise vor Gericht austauschen und dadurch die eigenen Erfolgsaussichten einschätzen lernen, ehe sie sich auf eine gütliche Konfliktbeilegung einlassen.60 Zeigen sich die Parteien anfangs gegenüber einer Verweisung skeptisch, sollte zumindest dieser Zeitpunkt abgewartet werden. Im Übrigen steht und fällt der sachgerechte Zeitpunkt mit den individuellen Eigenheiten des jeweiligen Konflikts. Einen stets optimalen Verweisungszeitpunkt gibt es nicht.61

56 

Zenk, Mediation im Rahmen des Rechts, 2008, S. 204 f. zum sog. Eskalationsmodell Glasl, Konfliktmanagement, 2013, S. 235 ff.; instruktiv Albrecht, Mediation im Arbeitsrecht, Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, 2001, S. 33 f.; ferner Brose, ZKM 2016, 221, 225 (gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht); Hehn, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 2 Rn. 46; Homfeld, Arbeitsgerichtliche Mediation und ihre Chancen als Justizdienstleistung der Zukunft, 2006, S. 23; Trossen, Mediation, 2014, Rn. 1095 (Zivilrecht). 58  Gottwald, in: Haft/Schlieffen (Hrsg.), Mediation, 2016, § 39 Rn. 27 a. E.; ähnliche Beobachtungen aus dem Modellprojekt am LG Rostock teilt Hückstädt mit, NJ 2005, 289, 291. 59  Sourdin/Davies, Journal of Judicial Administration 7 (1997), 22, 24 (Australien); Stedman, in: Smith (Hrsg.), Achieving Civil Justice, 1996, S. 119, 123 (USA). 60  Genn, Court-Based ADR, 2002, S. 44, 107 (England); Hiltrop, in: Kressel/Pruitt (Hrsg.), Mediation, 1989, S. 241, 248 f. (USA); Prütting, in: 62. DJT 1998, O30 (Zivilrecht). 61  I. E. Feix, Streitbeilegungsmodelle, 2004, S. 154 (Zivilrecht); Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 8; Stadler, NJW 1998, 2479, 2482; zum Multi-Door-Courthouse vgl. Stedman, in: Smith (Hrsg.), Achieving Civil Justice, 1996, S. 119, 123 (USA). 57 Grundlegend

296

3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

2.  Relevanz des Zeitpunkts für die Verweisungskriterien Die Suche nach dem optimalen Verweisungszeitpunkt ist kein Selbstzweck. Vielmehr kann sich der Zeitfaktor auf die Kriterien und die aus ihnen abzuleitenden Schlussfolgerungen auswirken.62 Schon deshalb sollte der Spruchrichter nicht zu Beginn des Verfahrens abschließend über die Verweisung entscheiden, sondern sich die Frage nach der optimalen Konfliktbehandlung im Einklang mit § 57 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 54 Abs. 6 ArbGG fortwährend erneut stellen.63 Ein erstes Beispiel dafür, wie sich der Zeitfaktor auf die Kriterien auswirken kann, bietet die Verzögerung der Verfahrensbeendigung.64 Wird ein Konflikt zu einem frühen Zeitpunkt verwiesen, kann ein erfolgreiches Güterichterverfahren zu einem zeitlichen Gewinn führen. Erfolgt sie spät, vermindert sich der Zeitgewinn entsprechend. Hinsichtlich der Beziehungsebene zwischen den Parteien ist der Zeitfaktor von ambivalenter Bedeutung, entweder er intensiviert den Verweisungsimpuls, der von dem Kriterium Dauerbeziehung ausgeht, oder er vermindert ihn. In einer Dauerbeziehung kann der Zeitfaktor mal für eine Verweisung sprechen, wenn die Parteien die zunehmende Aussichtslosigkeit ihres Streitens erkennen, mal aber auch dagegen, wenn die Parteien sich streitbedingt kaum noch unter die Augen treten und keinesfalls mehr konstruktiv miteinander kommunizieren können. Je weiter ein Prozess voranschreitet, desto mehr kann er die Parteibeziehung belasten. Was bereits zerstört ist, um dessen Bewahrung muss man sich keine Gedanken mehr machen. Der Anreiz zur Verweisung, den das Kriterium der Parteibeziehung ausstrahlt, reduziert sich in diesem Szenario mit voranschreitender Zeit. Umgekehrt kann erst die besonders lange Dauer des Prozesses die Beziehung belasten, die zu Verfahrensbeginn nicht gefährdet schien. In diesem Fall würde der Anreiz zur Verweisung mit voranschreitender Zeit steigen. Anders liegt es mit der Vertraulichkeit. Ist durch Gütetermin und Kammerverhandlung bereits die (Gerichts-)Öffentlichkeit hergestellt, ist der Vorteil der Vertraulichkeit, mit dem das Güterichterverfahren für sich wirbt, bereits in weiten Teilen entwertet. Je mehr Tatsachen gerichtsöffentlich vorgetragen und verhandelt wurden, desto weniger bleiben, deren Geheimhaltung für die Parteien noch zum Vorteil gereichen könnte. Seit Hereinbrechen des digitalen Zeitalters kann man gewiss sein, dass einmal Offenbartes nicht nachträglich zurückgeholt und wieder vergessen gemacht werden kann. Der Impuls zur Verweisung, den das 62  Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 285; Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 40 (Australien). 63  Hacke, in: Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2003, S. 283, 285; Unberath, JZ 2010, 975, 979 (Zivilrecht). 64  Eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: Bedeutung des Zeitfaktors im Arbeitsrecht, S. 215.

§ 9  Systematisierung der Verweisungskriterien

297

Vertraulichkeitskriterium ausstrahlt, verringert sich deshalb mit fortschreitender Zeit. Des Weiteren kann sich der Zeitfaktor auf das Einverständnis der Parteien mit der Verweisung auswirken. So können Parteien, die einem Güterichterverfahren eingangs ablehnend gegenüberstanden, ihre Meinung durch eine unerwartet lange Dauer des Gerichtsverfahrens, seine zunehmende Festgefahrenheit oder bestimmte nachträglich erlangte Informationen ändern. Gerade im Individualarbeitsrecht empfinden Arbeitnehmer langwierige Gerichtsprozesse als psychisch und finanziell belastend und zermürbend. Betriebspartner sind dagegen in der Regel streiterprobter und agieren ohnehin nur in ihrer Rolle als Vertreter einer rechtlichen Einheit, für sie ist der Prozess eine vertraute Situation. Dadurch ist ein Prozess für sie weniger belastend als eine Kündigungsschutzklage für einen Arbeitnehmer. Nicht zuletzt kann der Zeitfaktor auch Fragen des Spruchrichters zu der Verweisungsentscheidung beantworten. Etwa stellt sich die Frage der Vorzugswürdigkeit nur in bestimmten Verfahrensabschnitten, in anderen kommt von vornherein nur ein einziges Verfahren in Betracht.65 Der Zeitfaktor wirkt sich nicht nur auf die einzelnen Kriterien aus, sondern auch auf ihre Systematisierung. Eine zeitlose Einordnung jedes Kriteriums in die Kategorien der Eignungs- oder Ausschlussgründe ist nicht möglich. Der Zeitfaktor bringt die zwei- und dreischrittigen Auswahlprozesse in die Bredouille, sobald die einzelnen Kriterien den Kategorien fest zugeordnet werden sollen. II.  Kontextualisierung anhand der Interdependenz Nicht nur der Zeitfaktor beeinflusst die Kriterien. Einige Kriterien interagieren auch untereinander.66 Ob und wie sich ihre Interdependenz konkret gestaltet, lässt sich nicht abstrakt voraussagen. Aus diesem Grund soll die gegenseitige Beeinflussung hier anhand einiger Beispiele veranschaulicht werden. Zwei Kriterien, die einander beeinflussen, sind diejenigen des Einverständnisses vom Güterichter und von den Parteien mit der Verweisung. Zweifeln die 65 

Eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: III. Vergleichszeitraum, S. 209. Friedrich, Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit, 2011, S. 242 (Sozialrecht); trefflich auch Mack, Court Referral to ADR: Criteria and Research, 2013, S. 10 (Australien): „The reality is that there are many more components, and they are all moving targets. They may not be clearly articulated in the first place; they are variable in many dimensions; they are dynamic, changing over time. They may not be independent; rather, they exert mutual influence on each other.“; ferner Henderson, 11 Ohio State Journal on Dispute Resolution 105, 124 (1996) (USA): „Explanations for mediation effectiveness remain largely contradictory, especially in assessing the relative influence that one set of variables, over another set, has on settlement.“ 66 

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

Parteien, während der Güterichter einer Verweisung abgeneigt ist, so werden auch die Parteien ihr Einverständnis letztlich verweigern. Schließlich wird ein mürrischer Güterichter sie nicht umstimmen wollen und auch selten umstimmen können. Auf ihn käme es dafür aber gerade an. Die Beeinflussung der Kriterien ist nicht wechselseitig, sondern einseitig, insofern als der Güterichter mit seiner Abneigung die Parteien anstecken kann, er sich umgekehrt aber nicht von ihrer Abneigung anstecken lassen sollte. In ähnlicher Beziehung zueinander stehen auch die Stellungnahme in der Klageschrift nach § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO und die Verzögerung der Verfahrensbeendigung. Je detaillierter die Angaben in der Klageschrift, desto weniger wird das Verfahren verzögert. Nicht nur wird dem Spruch- und dem Güterichter der Rechercheaufwand erspart. Das frühe Vorhandensein erster Informationen vermindert darüber hinaus auch das Risiko einer vorschnellen, unangebrachten und dadurch verzögernden Verweisung. Unter den materiellen Kriterien sind solche Querverbindungen ebenfalls keine Seltenheit. Etwa können Kommunikationsschwierigkeiten zu einem Machtgefälle in den Verhandlungen führen, Überoptimismus kann zum Bedürfnis nach einer öffentlichen Konfliktbehandlung führen und außerrechtliche Interessen können die Emotionalität steigern. III.  Dreiklang aus materiellen, formellen und funktionellen Kriterien Indem man die Kriterien in zeitlicher Hinsicht und ob ihrer Interdependenz kontextualisiert, verleiht man der Verweisungsentscheidung zusätzliche Komplexität. Griffiger werden die Kriterien für den Spruchrichter dadurch nicht. Nachdem die Auswahlprozesse für die spruchrichterliche Verweisungsentscheidung wenig Erkenntnisgewinn gebracht haben, ist ein anderer Weg zu wählen. Hierfür wird darauf rekurriert, wie die Verweisungskriterien im zweiten Teil dieser Untersuchung gewonnen wurden. So wurden materielle, formelle und funktionelle Kriterien getrennt untersucht. Dementsprechend soll der Güterichter zunächst danach fragen, ob einem Güterichterverfahren formelle Hindernisse wie eine absehbar übermäßige Verfahrensverzögerung entgegenstehen. Ebenso soll er prüfen, ob die Herausforderungen durch die formellen Kriterien, wie etwa die ablehnende Haltung der Parteien im Einzelfall derart gewichtig sind, dass er von einer Verweisung absehen möchte. Sodann soll er den Konflikt anhand der materiellen Kriterien auf seine Eignung für ein Güterichterverfahren prüfen. Dabei kann und soll er manche Kriterien je nach Einzelfall und Verfahrenszeitpunkt höher gewichten als andere. Gelangt er hier zu einem positiven Befund, sollte er sich abschließend unter Zuhilfenahme der funktionellen Kriterien fragen, ob nicht ein anderer Verfahrenstyp besser für die Beilegung des konkreten Konflikts geeignet ist als ein Güterichterverfahren.

§ 10  Rechtspolitische Handlungsfelder

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§ 10  Rechtspolitische Handlungsfelder Abschließend wirft die Arbeit nun einige Schlaglichter auf die politischen Handlungsfelder rund um den Güterichter. Dabei klopft sie ab, welche rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen geändert werden müssen und welche Anreize aus normativer Perspektive gesetzt werden können, um die Qualität der spruchrichterlichen Verweisungen zu optimieren. Zunächst fragt sie dafür danach, welche Lehren sich aus dem Misserfolg des strafrechtlichen Adhäsionsverfahrens für den Güterichter ziehen lassen. Im Anschluss daran nimmt sie die vereinzelt geforderte Einführung qualitativer Kontrollmechanismen in den Blick. Zuletzt wird die generelle Reformbedürftigkeit des Güterichtermodells beleuchtet.

A.  Lehren aus dem Misserfolg des Adhäsionsverfahrens Das im Jahre 2004 in den §§ 403 ff. StPO eingeführte strafrechtliche Adhäsionsverfahren ermöglicht es Opfern eines Strafverfahrens, ihre durch die Straftat entstandenen vermögensrechtlichen Ansprüche vor den Strafgerichten geltend zu machen.1 So verschieden das Adhäsions- und das Güterichterverfahren auf den ersten Blick wirken, soll doch der folgende Abschnitt aufzeigen, welche Parallelen zwischen dem Misserfolg des Adhäsionsverfahrens und den Anlaufschwierigkeiten des Güterichterverfahrens bestehen. I.  Gründe für den Misserfolg Das Adhäsionsverfahren war kein Novum, sondern blickte auf eine über 70-jährige Entwicklungsgeschichte zurück.2 Trotz stetig wiederkehrender Optimierungsanläufe führt es in der Praxis bis heute ein Schattendasein.3 Oft wurde versucht, die Ursachen seines Misserfolgs zu ergründen.4 Eine Ursache lag sicherlich in der alten Fassung des § 405 Satz 2 StPO. Dieser erlaubte es dem Gericht, ein Adhäsionsverfahren abzulehnen, wenn die dafür erforderliche ver-

1 

Spiess, Adhäsionsverfahren, 2008, S. 4 ff., 34 ff. (Strafrecht). Rössner/Klaus, NJ 1996, 288 f. (Strafrecht); Spiess, Adhäsionsverfahren, 2008, S. 5 ff. (Strafrecht). 3  Greiner, ZRP 2011, 132 (Zivilrecht); Hansen/Wolff-Rojczyk, GRUR 2009, 644, 645 (Strafrecht); Keil/Best, DAR 2013, 628, 631 f. (Strafrecht); Spiess, Adhäsionsverfahren, 2008 (Strafrecht). 4 Z. B. Hansen/Wolff-Rojczyk, GRUR 2009, 644, 645 (Strafrecht); Rössner/Klaus, NJ 1996, 288, 289 (Strafrecht). 2 

300

3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

mögensrechtliche Prüfung das Gerichtsverfahren verzögern würde.5 Insofern lag der Misserfolg des Adhäsionsverfahrens zu Zeiten des § 405 Satz 2 StPO a. F. auf der Hand. Selbst seit die Regelung gemäß § 406 Abs. 1 Satz 5 StPO dahingehend eingeschränkt ist, dass die erwartete Verfahrensverzögerung erheblich sein muss, hat sich in der Praxis wenig geändert.6 Hintergrund sei – so mutmaßen manche – die fehlende Vertrautheit vieler Strafrichter mit zivilrechtlichen Fragestellungen, die bei ihnen zu großer Scheu gegenüber dem Adhäsionsverfahren führe.7 Diese Scheu wiederum klingt vertraut, krankt auch das Güterichterverfahren an der Skepsis der mit der Verweisung betrauten Spruchrichter, die vertraute Verfahrens­instrumente bevorzugen. Die Haltung der Richterschaft ist somit ein Problem, das beide Verfahren gemein haben. Ein weiterer Grund für den Misserfolg des Adhäsionsverfahrens liegt darin, dass das Verfahren zwar eine Entlastung der Zivilgerichte verspricht, dafür aber mit einer stärkeren Belastung der Strafgerichte einhergeht.8 Diese Zusatzbelastung wurde bislang nicht ausreichend berücksichtigt und verstärkt die Abneigung der Strafrichter weiter.9 Hinzu tritt, dass mit dem Adhäsionsverfahren andere Verfahrenswege konkurrieren, die für den Geschädigten u. U. attraktiver sein können, wie beispielsweise der Täter-Opfer-Ausgleich oder die Möglichkeit zur Verfahrenseinstellung unter der Auflage einer Schadenswiedergutmachung durch den Beschuldigten.10 Im Wege des Adhäsionsverfahrens kann der Geschädigte nur einen Vollstreckungstitel erlangen, es garantiert ihm die Befriedigung nicht endgültig. Bei § 153a Abs. 1 StPO muss die Auflage, hier also die Schadenswiedergutmachung, dagegen auch tatsächlich erfüllt werden, damit die Verfahrenseinstellung von einer vorläufigen zu einer endgültigen werden kann.11 Ähnlich hoch ist die Motivation des Beschuldigten, wenn er durch eine Bewährungsauflage zur Schadenswiedergutmachung verpflichtet wird.12

5 

Hansen/Wolff-Rojczyk, GRUR 2009, 644, 645 (Strafrecht). Einschränkung erfolgte durch das Opferrechtsreformgesetz (OpferRRG), i. d. F. v. 24. 06. 2004, BGBl. I S. 1354. 7  Hansen/Wolff-Rojczyk, GRUR 2009, 644, 645 (Strafrecht); Keil/Best, DAR 2013, 628, 632 (Strafrecht); Rössner/Klaus, NJ 1996, 288, 289 (Strafrecht). 8  Keil/Best, DAR 2013, 628, 632 (Strafrecht). 9  Keil/Best, DAR 2013, 628, 632 (Strafrecht). 10  §§ 46a StGB, 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO; Keil/Best, DAR 2013, 628, 632 (Strafrecht). 11  Keil/Best, DAR 2013, 628, 632 (Strafrecht). 12  §§ 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 59a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB; Keil/Best, DAR 2013, 628, 632 (Strafrecht). 6 Die

§ 10  Rechtspolitische Handlungsfelder

301

II.  Lehren für das Güterichterverfahren Nachfolgend fragt die Arbeit, welche Lehren aus dem Adhäsionsverfahren für den Güterichter gezogen werden können. 1.  Fortbildung der Spruchrichter Obgleich das Problem der richterlichen Skepsis vor dem Adhäsionsverfahren früh erkannt wurde, ließ seine Lösung lange auf sich warten. Wenig erfolgreich war es, den richterlichen Entscheidungsspielraum durch die Schwelle der Erheblichkeit einzuengen. Stattdessen sollten die Schulungs- und Fortbildungsangebote für Strafrichter in vermögensrechtlichen Fragestellungen ausgebaut werden. Hier sollte auch für das Güterichterverfahren angesetzt werden. Bislang galt das Hauptaugenmerk nämlich nur der Aus- und Fortbildung der Güterichter.13 Im Zuge der Bearbeitung ist jedoch deutlich geworden, dass auch die spruchrichterliche Konfliktdiagnose sehr komplex ist. Ihre Komplexität wird bislang nicht hinreichend gewürdigt. Soweit von Erwartungsmanagement gesprochen wird, sind in der Regel die Erwartungen der Parteien gemeint. Dabei hegen nicht nur die Parteien Erwartungen an ein Verfahren, sondern auch die Richter. Letztere sind es, die das Nadelöhr zum Güterichter kontrollieren. Ohne sie kann es zu keinem Güterichterverfahren kommen, ähnlich wie es zu keinem Adhäsionsverfahren kommen kann. Ihre Akzeptanz für das Güterichtermodell gilt es daher zu gewinnen. Zu diesem Zweck wurden vielerorts Hinweisrundschreiben verschickt und Aufklärungsveranstaltungen abgehalten. Derartige Maßnahme sind in der Sache sinnvoll, reichen zur Lösung des Problems aber nicht aus. Zusätzlich sollten auch die Fortbildungen der Spruchrichter um Elemente des Güterichterverfahrens und die Eigenheiten der Fallauswahl angereichert werden.14 Denn nur so können Spruchrichter in die Lage versetzt werden, verweisungsgeeignete Konflikte zu erkennen.15 Eine bedeutsame Rolle spielen hierbei insbesondere die Gerichtspräsidenten, die als Multiplikator fungieren können. Der Schlüssel zu alledem liegt letztlich in der Juristenausbildung, in der die alternative Konfliktbeilegung trotz § 5a Abs. 3 Satz 1 DRiG bislang keine ernst13  Kaiser/Gabler/Norden, Kieler Longitudinalstudie, 2016, S. 8, 15; Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 85 (Sozialrecht). 14  Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2016, E Rn. 120. 15  Greger, Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Bayern, 2007, S. 89; ders., ZKM 2017, 4, 6; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 175 f.; Sourdin/Davies, Journal of Judicial Administration 7 (1997), 22, 24 (Australien).

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

zunehmende Rolle spielt.16 Erst wenn die alternative Konfliktbeilegung hierzulande stärker in den universitären Lehrplänen verankert wird, kann der Kenntnisstand nachhaltig gesteigert werden. 2.  Sperrwirkung für Folgeverfahren? Eine zweite Reformidee geht dahin, einem unterlassenen Adhäsionsverfahren Sperrwirkung für nachfolgende zivilgerichtliche Entschädigungsverfahren zuzugestehen.17 Zumindest auf Seiten des Geschädigten soll dadurch der Druck erhöht werden, etwaige Ansprüche direkt durch ein Adhäsionsverfahren zu verfolgen. Darüber hinaus werde die Justiz entlastet und der Einheit der Rechtsordnung Rechnung getragen, da die ohne Sperrwirkung mögliche kumulative Inanspruchnahme von Straf- und Zivilgericht die Gefahr divergierender Entscheidungen mitsichbringe.18 Auf das Güterichterverfahren lassen sich diese Reformerwägungen allerdings nicht übertragen. Eine rechtliche Sperrwirkung gegenüber den § 54a ArbGG-Verfahren ist nach zutreffender Ansicht abzulehnen.19 Ebenso wenig wäre es gerechtfertigt, potenzielle Verhandlungsgegenstände des Güterichterverfahrens für nachfolgende Gerichtsverfahren zu sperren. Einem auf der freiwilligen Mitarbeit der Parteien beruhenden Verfahren sollten keine derart einschneidenden Rechtsfolgen innewohnen. Andernfalls würde man die Parteien eher davon abschrecken, sich auf ein Güterichterverfahren einzulassen. III.  Fazit Aus dem Misserfolg des strafrechtlichen Adhäsionsverfahrens in der Praxis lassen sich verschiedene Rückschlüsse für das Güterichterverfahren ziehen. Zunächst sollte die Rolle der Spruchrichter keinesfalls unterschätzt werden. Der allgemeine Informationsstand in der Richterschaft über das Güterichterverfahren ließe sich optimieren, indem man ihn stärker in der Juristenausbildung verankert. Mit Sanktionen wie einer Sperrwirkung kann dagegen weniger für das Güterichterverfahren geworben werden.

16 

Unberath, JZ 2010, 975, 979 (Zivilrecht); instruktiv Pielsticker, in: Fritz/ Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, Einl. Rn. 37. 17  Greiner, ZRP 2011, 132, 133 (Zivilrecht). 18  Greiner, ZRP 2011, 132, 133 (Zivilrecht). 19  Eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: Rechtliches Stufenverhältnis zwischen Verweisungs- und Vorschlagsrecht, S. 212.

§ 10  Rechtspolitische Handlungsfelder

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B.  Reformbedarf des Güterichtermodells Zuletzt sei auf die Reformbedürftigkeit des Güterichtermodells eingegangen. Erwägt man, ein Gesetz generell zu reformieren, sollte man sich zunächst mit Hachenburg fragen: „Jede Reform setzt Fehler voraus, die zu beseitigen sind. Die Frage lautet also: Zeigt das Gesetz Missstände? Falls ja, sind sie solche, die ein Eingreifen des Gesetzgebers fordern?“20 Denn nur hinreichend gewichtige Missstände rechtfertigen die Umstellungskosten und -risiken, die eine Reform mitsichbringt. Die Untersuchung hat gezeigt, dass bei dem Güterichter insgesamt keine hinreichend gewichtigen Missstände bestehen, derentwegen eine grundlegende Reform geboten wäre. Der Gesetzgeber sollte sich deshalb auf einige punktuelle Modifikationen beschränken. Mit der Vertraulichkeit des Güterichterverfahrens, dem Einsatz gerichtlicher Güterichterkoordinatoren, dem gerichtsübergreifenden Einsatz von Güterichtern und der Einführung qualitativer Kontrollmechanismen werden im Folgenden verschiedene Ansatzpunkte für solche Modifikationen untersucht. I.  Vertraulichkeit des Güterichterverfahrens In Sachen Vertraulichkeit ist das Güterichterverfahren reformbedürftig. Die ZPO regelt die Vertraulichkeit, indem sie Beweismittel ausschließt, die Vertraulichkeit also weitestgehend personenbezogen schützt. Statt auf einzelne Beweismittel abzustellen, könnte sie ein umfassendes Beweisthemenverbot etablieren, die Vertraulichkeit also gegenstandsbezogen schützen. Ein konkretes Beispiel hierfür findet sich im bayerischen Gesetzesentwurf, in dem ein Beweisthemenverbot als zusätzlicher Absatz in § 286 ZPO eingefügt werden sollte.21 Ein derartiges Verbot würde die Vertraulichkeit am umfassend­ sten schützen.22 In der ZPO wäre ein Beweisthemenverbot allerdings ein systematisches Novum.23 Überdies ergäben sich Nachweisprobleme hinsichtlich der Frage, ob ein Umstand ausschließlich vor dem Güterichter bekannt geworden ist.

20  Hachenburg, Leipziger Zeitschrift für Handels-, Konkurs- und Versicherungsrecht, 1909, S. 15. 21  § 286 Abs. 3 ZPO-E: „In einem Güteversuch erörterte Umstände, deren vertrauliche Behandlung zwischen den Parteien vereinbart worden ist, dürfen im gerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden.“, Vorschlag des Freistaats Bayern zu Stärkung der gütlichen Streitbeilegung, 2004, abrufbar im Internet unter justiz.bayern.de. 22  Hess, in: 67. DJT 2008, F131. 23  Hess, in: 67. DJT 2008, F130; zur außergerichtlichen Mediation Nink, Mediation im Arbeitsrecht, Möglichkeiten, Anwendungsbereiche, Umsetzung, 2016, S. 233.

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

Bislang ist kein System denkbar, das frei von Schutzlücken und den gegenwärtigen Schutzmechanismen generell vorzuziehen wäre. Jede Neuerung sollte zudem beachten, dass der Schutz der Vertraulichkeit Ausnahmen zulassen muss.24 Insbesondere gilt es, eine Flucht ins Güterichterverfahren zu verhindern, bei der sich die Parteien gezielt vor dem Güterichter zu einer Tatsache äußern, um deren Verwertbarkeit im streitigen Verfahren zu unterminieren.25 II.  Einsatz gerichtlicher Güterichterkoordinatoren Ein anderer Ansatz, um das Güterichterverfahren zu optimieren, könnte darin liegen, gerichtliche Koordinatoren einzusetzen.26 Durch sie könnte Schwierigkeiten, die sich aus der Skepsis der avisierten Güterichter ergeben, entgegengewirkt werden. Derzeit sind in Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen entsprechende Koordinatoren bestellt.27 Bekannt aus verschiedenen Modellprojekten 28 sowie aus einigen Nachbarstaaten 29 hat der Gesetzgeber den Einsatz von Koordinatoren im Gesetzgebungsverfahren angeregt und in den Materialien für möglich erklärt.30 Auch der jüngst im Auftrag der Bundesregierung veröffentlichte Evaluationsbericht spricht sich dafür aus, die Verweisungen durch Geschäftsoder Koordinierungsstellen zu optimieren.31 Die rechtliche Zulässigkeit solcher Koordinatoren steht zwar außer Frage. Allerdings gilt es Grenzen zu beachten. Eine Grenze betrifft die Kompetenzen der Koordinatoren, gilt es doch einen Konflikt mit der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 GG zu vermeiden.32 Art. 97 GG sichert die Verfahrenssteuerung 24 

Steffek, RabelsZ 74 (2010), 841, 858. zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 32; Steffek, RabelsZ 74 (2010), 841, 857; Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 811. 26  Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 17; Dürschke, NZS 2013, 41, 49 (Sozialrecht); ders./Mayer-Metzner, SGb 2015, 69, 75 (Sozialrecht); Greger/ Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 7 (Zivilrecht); Greger, ZKM 2017, 4, 6; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 72. 27  Greger, Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 6. 28  Greger, Abschlussbericht Verwaltungsgerichtsbarkeit Bayern, 2011, S. 67; ders., Abschlussbericht Zivilgerichtsbarkeit Berlin, 2012, S. 3; Schobel, ZKM 2012, 191, 193 (Zivilrecht); für Schleswig-Holstein Hinrichs, in: Hinrichs (Hrsg.), MediationsG, 2014, Kap. B Rn. 164. Gewünscht wurde ein Koordinator auch in Thüringen, vgl. Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 8, 45. 29  Ein Beispiel hierfür findet sich in den Niederlanden, Schmiedel, ZKM 2011, 14, 15. 30  Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 17; vgl. Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 72. 31  Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 50. 32  Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 84 (Sozialrecht). 25 BR

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ausschließlich dem Spruchrichter zu. Von Einflussnahmen Dritter ist er freizuhalten. Angesichts dessen muss es dem Koordinator versagt sein, dem Spruchrichter Weisungen zu erteilen oder die Verfahrenssteuerung des Spruchrichters weisungsähnlich zu beeinflussen.33 Stattdessen hat der Koordinator sich auf ein reines Informations-, Beratungs- oder Fortbildungsangebot zu beschränken.34 Beispielsweise darf er Fragen rund um die Verweisungskriterien beantworten, den Spruchrichter bei der Falleignung beraten, den Güterichter bei der Methodenwahl unterstützen, als Tutor für neue Güterichter oder als Schnittstelle zur Justizverwaltung behilflich sein.35 Eine solche Tutoren- und Vermittlerrolle hatte der Koordinator etwa auch in den bayerischen Modellprojekten.36 Bei der Koordinatorenaufgabe würde es sich dann um eine Verwaltungsaufgabe handeln.37 Eine zweite Grenze neben dem Zuschnitt der Kompetenzen des Koordinators ergibt sich bei den Verfahrensakten. Diese dürfen dem Koordinator nicht ohne Zustimmung der Parteien überlassen werden. Ihre Zustimmung wäre nur entbehrlich, wenn die Gerichtsverwaltung ein Dritter i. S. d. § 299 Abs. 2 ZPO38 wäre und ein entsprechendes rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird,39 oder aber nach Maßgabe der Amtshilfevorschriften. Rixen und Zeitlmann erwägen weiter, den Einsatz des Koordinators zeitlich auf die Verweisung zu beschränken.40 Im Geschäftsverteilungsplan solle ein Güterichterkoordinator bestimmt werden, der die Fallzuweisung vor einen bestimmten Güterichter nach im Vorhinein festgelegten Kriterien vornimmt.41 Danach wäre der Güterichter zwar nicht mehr abstrakt-generell im Geschäftsverteilungsplan festgelegt.42 Da das Gebot des gesetzlichen Richters auf die Güterichteraufgabe nach zutreffender Ansicht nicht anzuwenden ist, bestehen gegen diesen Ansatz aber grundsätzlich keine Bedenken. 33 

Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 84 (Sozialrecht). Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 84 (Sozialrecht). 35  Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 45; Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 7 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 72. 36  Schobel, ZKM 2012, 191, 193 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 84 (Sozialrecht). 37  Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 20; G ­ reger/ Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 7 (Zivilrecht). 38  Zur Anwendbarkeit im Arbeitsgerichtsverfahren VG Frankfurt, Urt. v. 11. 01. 2011, 8 K 2602/10.F, NJW 2011, 2229 Ls. 39  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 7 (Zivilrecht); Schreiber, Konsensuale Streitbehandlung, 2013, S. 84 (Sozialrecht). 40  Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 385 (Sozialrecht). 41  Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 385 f. (Sozialrecht). 42  Rixen/Zeitlmann, in: GS Unberath, 2015, S. 381, 385 f. (Sozialrecht). 34 

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

III.  Gerichts-, instanz- oder rechtswegübergreifender Güterichtereinsatz In Flächenländern ist es denkbar, dass an Arbeitsgerichten in ländlichen Regionen kein einziger Richter bereit ist, die Güterichteraufgabe zu übernehmen. Eine Möglichkeit, um dem Unwillen designierter Güterichter zu begegnen, besteht darin, die Einsatzmöglichkeiten der willigen Güterichter derart auszuweiten, dass man auf die Unwilligen unter ihnen nicht mehr angewiesen ist. Eine derartige Ausweitung hätte auch den Vorteil, dass die wenigen ausgebildeten Güterichter ihre Fertigkeiten öfter anwenden könnten und sie nicht durch lange Untätigkeit wieder verlernen würden.43 So kann die Qualität des Güterichtermodells auf Dauer abgesichert werden. Dafür, einen breitflächigen Einsatz der vorhandenen Güterichter zu erlauben, spricht zudem die gerichtliche Ressourcenschonung, da andernfalls ein höherer Aus- und Fortbildungsbedarf bestünde.44 Grundsätzlich kann eine Ausweitung vertikal ebenso wie horizontal erfolgen, indem man die Güterichter gerichts, instanz oder rechtswegübergreifend einsetzt. In der Praxis werden Güterichter seit einiger Zeit zumindest gerichts- und instanzübergreifend eingesetzt.45 Beispielsweise übernimmt das LAG in Thüringen die Güterichterverfahren aller Arbeitsgerichte des Bundeslandes.46 Der von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Evaluationsbericht sprach sich jüngst ebenfalls dafür aus, die gegenseitige Vertretung von Güterichtern auch gerichtsund instanzübergreifend zu ermöglichen.47 Ob auch ein gerichtsbarkeitsübergreifender Güterichtereinsatz sachgerecht ist, darf dagegen bezweifelt werden.48 Schließlich kennen Arbeitsrichter oft schon einen erheblichen Teil der Interessen der Betriebsräte, Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, da sie mit diesen regelmäßig konfrontiert sind. Durch ihre Arbeit haben sie ein Gespür dafür entwickelt, wo typischerweise Probleme auftauchen. Diesen Vorteil würde man aufgeben, wenn man einen Güterichter aus einer anderen Gerichtsbarkeit mit einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit befassen würde.

43  Zu diesem Risiko bereits oben in dem Abschnitt: Rechtsrealität des Güterichters, S. 61. 44  Greger/Unberath, Abschlussbericht Arbeits-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Thüringen II, 2011, S. 40. 45  Z. B. in Brandenburg und Bayern, Greger, Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 5; ferner Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 22; Geschäftsverteilungsplan des ArbG Hamburg für das Jahr 2014, zuletzt abgerufen am 27. August 2017 im Internet unter justiz.hamburg.de, S. 12; Löer, ZKM 2014, 41, 42; Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1060 (Verwaltungsrecht); Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 237. 46  Greger, Rechtstatsachen Implementierung, 2017, S. 5. 47  Masser et al., Evaluationsbericht MediationsG der Bundesregierung, 2017, S. 50. 48  So aber Löer, MDR 2018, 839, 840.

§ 10  Rechtspolitische Handlungsfelder

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Nach der Zweckmäßigkeit gilt es die Frage nach dem Ob der Zulässigkeit eines gerichts- und instanzübergreifenden Einsatzes von Güterichtern zu beantworten. Die Bundesregierung hatte sich in einem frühen Gesetzesentwurf gegen eine Ausweitung ausgesprochen.49 Nach dem damaligen Entwurf hätte der Güterichter demselben Gericht angehören müssen wie der verweisende Spruchrichter. Der Rechtsausschuss hat sich dann aber für die Zulässigkeit eines gerichts- und gerichtsbarkeitsübergreifenden Einsatzes von Güterichtern ausgesprochen.50 Seine Stellungnahme ist zwar vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Güterichter im damaligen Entwurf noch als ersuchter Richter beschrieben wurde.51 Ein ersuchter Richter hätte gemäß § 362 ZPO einem anderen Gericht angehören können. Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Einordnung als ersuchter Richter zwar wieder gestrichen, die Streichung hatte aber andere Gründe. Die bisherigen Konzentrationsmöglichkeiten sollten durch sie nicht beschnitten werden.52 Angesichts dessen wird die Zulässigkeit einer gerichtsübergreifenden Verweisung in der Literatur heute überwiegend befürwortet.53 Die von Dürschke artikulierten Bedenken, dass mit der Verweisung eines Verfahrens von einem ArbG vor den Güterichter eines LAG die Gefahr einhergehe, dass die Beteiligten nur die Rechtsmeinung eines Richters der Berufungsinstanz erkunden wollten, führen zu keiner anderen Beurteilung.54 Nicht nur ist das Kundtun von Rechtsmeinungen im Güterichterverfahren eher die Ausnahme als die Regel. Hinzu tritt weiter, dass sich die rechtliche Einschätzung des Güterichters nicht zwingend auf andere Berufungsrichter übertragen lässt. Nach der generellen Zulässigkeit ist nun die konstruktiv-dogmatische Begründung des gerichtsübergreifenden Güterichtereinsatzes zu untersuchen. Hier kommen drei Ansätze in Betracht, von denen sich zwei nach geltendem Recht realisieren ließen. De lege lata können sich die Gerichtsverwaltungen mehrerer Gerichte oder Gerichtsbarkeiten untereinander verständigen, wer unter ihnen künftig Güterich49 

RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 20. Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 21. 51  Rechtsausschuss zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/8058, S. 12. 52  BR zum RegE MediationsG BT-Drs. 17/5335, S. 30 f.; eingehend hierzu oben in dem Abschnitt: Anwaltszwang?, S. 50. 53  Francken, NZA 2012, 249, 251; Fritz, in: Fritz/Pielsticker (Hrsg.), MediationsG, 2013, § 54 ArbGG Rn. 13; Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 26; Löer, MDR 2018, 839, 840; Ortloff, NVwZ 2012, 1057, 1060 (Verwaltungsrecht); Pilartz, Mediation im Arbeitsrecht, 2012, Rn. 237; Steinhauff, SteuK 2013, 160 (Steuerrecht); ­Tiedemann, ArbRB 2012, 320, 322; krit., i. E. aber wohl auch befürwortend Dürschke, NZS 2013, 41, 43 f. (Sozialrecht); dagegen Ahrens, NJW 2012, 2465, 2469 (Zivilrecht); Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), ErfK ArbR, 2019, § 54 ArbGG Rn. 11. 54  Dürschke, NZS 2013, 41, 44 (Sozialrecht). 50 

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

tersachen durchführt.55 Das Gericht, welches sich dazu bereit erklärt, kann die Güterichteraufgabe im Wege der Rechtshilfe nach §§ 156 ff. GVG für die anderen Gerichte wahrnehmen.56 Eine solche Kooperationsvereinbarung wäre im Geschäftsverteilungsplan umzusetzen und liegt damit im Verantwortungsbereich der Gerichtspräsidien. Der Gesetzgeber kann hierauf wegen der Unabhängigkeit des Präsidiums keinen Einfluss nehmen. Zudem kann ein Rechtshilfeersuchen gemäß § 157 Abs. 1 GVG nur an ein Amtsgericht gerichtet werden; Gerichte anderer Instanzen oder Gerichtsbarkeiten lassen sich nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht um Rechtshilfe ersuchen.57 Konstruktiv ist weiter eine Teilabordnung gemäß § 37 DRiG zum Zwecke der Durchführung des Güterichterverfahrens denkbar, sofern sich der abzuordnende Güterichter einverstanden erklärt.58 Problematisch ist hierbei jedoch, dass die Abordnung nach § 37 Abs. 2 DRiG nur auf bestimmte Zeit erfolgen kann und damit keinen dauerhaft gangbaren Weg bietet.59 De lege ferenda findet man einen weiteren Vorschlag für den gerichtsübergreifenden Einsatz von Güterichtern. So hat man angeregt, eine intergerichtliche Kooperation über eine Konzentrationsverordnung nach § 13a GVG zu ermöglichen.60 § 13a GVG, der in seiner jetzigen Fassung freilich auf die Geschäfte der ordentlichen Gerichtsbarkeit beschränkt ist,61 lautet: „Durch Landesrecht können einem Gericht für die Bezirke mehrerer Gerichte Sachen aller Art ganz oder teilweise zugewiesen […] werden“. Wenn beispielsweise der Geschäftsverteilungsplan des ArbG Hamburg aus dem Jahre 2014 für eine gerichtsübergreifende Verweisung auf die Regelungen des Geschäftsverteilungsplans des LAG Hamburg verweist, müssen die Geschäftsverteilungspläne beider Gerichte kongruente Regelungen einführen.62 Die für eine kongruente Regelung erforderliche Gegenseitigkeit fehlt, wenn eine gerichtsübergreifende Verweisung beim aufnehmenden

55  Greger/Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 6 (Zivilrecht); Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 26. 56  Burschel, in: Hahne/Munzig (Hrsg.), BeckOK FamFG, 2018, § 36 FamFG Rn. 51b (Familienrecht); Löer, MDR 2018, 839, 840. 57  Löer, MDR 2018, 839, 840. 58  Burschel, in: Hahne/Munzig (Hrsg.), BeckOK FamFG, 2018, § 36 FamFG Rn. 51b (Familienrecht). 59  Löer, MDR 2018, 839, 841; Scholz, in: Seitz/Büchel (Hrsg.), Beck’RH, 2012, Teil G, Rn. 62. 60  Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 26; krit. Greger/ Weber, MDR-Sonderheft 2012, 1, 6 (Zivilrecht). 61  Jacobs, in: Stein/Jonas (Hrsg.), ZPO, 2011, § 13a GVG Rn. 2. 62  Geschäftsverteilungsplan des ArbG Hamburg für das Jahr 2014, zuletzt abgerufen am 27. August 2017 im Internet unter justiz.hamburg.de, S. 12.

§ 10  Rechtspolitische Handlungsfelder

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Gericht ins Leere geht.63 Um inhaltsleeren Verweisungen vorzubeugen, ließen sich dynamische Verweisungsklauseln etablieren, ähnlich wie sie in anderen Bereichen des Arbeitsrechts vorkommen.64 Der Nachteil einer Konzentrationsverordnung gemäß § 13a GVG besteht aber in ihrer Schwerfälligkeit: Angesichts der Aus- und Fortbildungsmaßnahmen der Gerichte und personellen Wechsel ist das Güterichtermodell stetem Wandel unterworfen, den man in der Normsetzung ständig nachvollziehen müsste. Weiterhin wird kritisiert, § 13a GVG sei auf den gesetzlichen Richter ausgerichtet und komme schon deshalb für das Güterichtermodell nicht in Betracht.65 Der Königsweg ist ein gerichtsübergreifender Einsatz von Güterichtern damit wohl nicht. Will man eine sachgerechte Nutzung des Güterichtermodells erreichen, sollte man die Bedeutsamkeit seiner Präsenz an den einzelnen Gerichten nicht unterschätzen. Sind Güterichter erst einmal an einem Gericht vorhanden, erscheint das Güterichtermodell eher als Bestandteil des alltäglichen Geschäftsbetriebs. Zugleich kann der Austausch im Kollegenkreis die Bekanntheit des Güterichtermodells steigern und bislang skeptischen Richtern einen besseren Eindruck von den Eigenheiten des Verfahrens vermitteln. IV.  Einführung qualitativer Kontrollmechanismen Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Im Sinne dieses Bonmots ließe sich andenken, Kontrollmechanismen zur qualitativen Überprüfung der Verweisungspraxis und der Durchführung der Güterichterverfahren zu etablieren. Die Herausforderung solcher Kontrollmechanismen liegt darin, ein Verfahren kon­ trollieren zu wollen, dass sich zuvörderst dadurch auszeichnet, dass es der Kontrolle der Gerichte entzogen und den Parteien überantwortet ist. Zwar kann man Fragebögen ausgeben und die Parteien bitten, ihre Meinung kundzutun. Eine solche Befragung ist für sich aber kein schneidiges Instrument zur Kontrolle. Eine freiwillige Selbstbindung der Güterichter an den Europäischen Verhaltenskodex für Mediation, wie Spindler ihn andenkt, scheint in erster Linie deklarativ.66 Die von ihr ausgehende Signalwirkung wäre aber zu begrüßen – sowohl gegenüber dem Güterichter, als auch gegenüber den Parteien und ihren Rechtsanwälten. Immerhin kann die formelle Selbstbindung bei den Güterichtern dazu führen, dass sie sich auch psychologisch gebunden fühlen. In den Augen der 63 

Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 26 f. Korsch et al., Bericht Arbeitsgerichtsbarkeit BaWü, 2013, S. 26 f. 65 So und ähnlich auch zur Möglichkeit der Konzentration über den Bereitschaftsdienst nach § 22c Abs. 1 GVG Löer, MDR 2018, 839, 840 f. 66  Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 87 f. 64 

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

Parteien und ihrer Rechtsanwälte kann die Selbstbindung als Garantie gewisser Mindeststandards im Güterichterverfahren verstanden werden. Denkbar wäre zudem, Reputationsmechanismen zu etablieren.67 Für den Güterichter können sie stärkere Impulse senden als eine primär psychologisch wirkende Selbstbindung. V.  Fazit Das Güterichtermodell ist zwar nicht grundsätzlich reformbedürftig, punktuelle Modifikationen sind jedoch wünschenswert. Zu ihnen zählt zuvörderst die Verbesserung der Vertraulichkeit, für die bislang allerdings kein überzeugender Ansatz vorgetragen worden ist. Eine andere Reformidee geht dahin, gerichtliche Koordinatoren einzusetzen, die den Spruchrichter bei der Verweisung unterstützen. Hier gilt es allerdings einige Grenzen zu beachten, etwa aus der richterlichen Unabhängigkeit des Spruchrichters und der Aktenordnung. Ein gerichtsübergreifender Einsatz von Güterichtern ist grundsätzlich zulässig. Konstruktiv sind hierfür verschiedene Wege denkbar, von einer bilateralen Verständigung mehrerer Gerichte über eine Rechtshilfe bis hin zur Teilabordnung. De lege ferenda kommt eine intergerichtliche Kooperation über § 13a GVG in Betracht. Zuletzt lässt sich andenken, qualitative Kontrollmechanismen einzuführen.

C.  Rechtspolitischer Ausblick Die gesetzliche Verankerung eines derart rechtsfernen Verfahrens gab zu der Befürchtung Anlass, unter dem Deckmantel der Mediation werde sich nach und nach eine Schattenjustiz entwickeln und die Rechtsprechung werde an Bedeutung verlieren.68 Hirtz äußerte gar, die Rechtsordnung würde auf diesem Wege erodieren.69 Auf den Güterichter lassen sich dieserlei Befürchtungen jedoch nur bedingt übertragen, da die meisten rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien auch auf ihn anzuwenden sind. Hinzu kommt, dass die Konfliktlösung im Wege des Vergleichs im Arbeitsrecht schon lange gängige Praxis ist. Das Güterichterverfahren bietet diesen Verhandlungen lediglich ein neues Forum, wenngleich zuzugestehen ist, dass dieses Forum in der Zusammenschau rechtsferner ist als der traditionelle Gütetermin. Mit Augenmaß eingesetzt kann das Güterichterverfahren zu einer wertvollen Ergänzung des herkömmlichen Gerichtsverfahrens werden. Angesichts der im Evaluationsbericht des MediationsG enthaltenen Verweisungsstatistiken drängt sich die Befürchtung auf, dass § 54 Abs. 6 ArbGG zu 67  In diese Richtung auch Spindler, Abschlussbericht Zivil-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen, 2006, S. 87 f. 68  Thole, ZZP 127 (2014), 339, 347 (Zivilrecht). 69  Hirtz, NJW 2012, 1686.

§ 10  Rechtspolitische Handlungsfelder

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totem Recht werden wird. Gleiches ist für § 54a ArbGG zu befürchten. Haben sich die Parteien bereits gegen ein vorgerichtliches Konfliktbeilegungsverfahren entschieden und ist diese Entscheidung – was jedenfalls bei anwaltlich beratenen Parteien zu erwarten ist – bewusst erfolgt, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie sich vom Spruchrichter wieder zurück auf diesen einvernehmlichen Weg geleiten lassen. Doch ob man dem Güterichterverfahren quantitative Erfolge zudenken mag oder nicht, kann es sich eines schon heute auf seine Fahnen schreiben: Die mit seiner Einführung verbundenen Verfahrenserleichterungen haben eine Diskussion darüber angestoßen, wie das gerichtliche Verfahren optimiert und um die Erkenntnisse der Mediationswissenschaft angereichert werden kann. Schon diese Diskussion ist ein Mehrwert. Der Güterichter steht heute vor großen Herausforderungen. Er muss sich einerseits mit deutlichen Vorteilen von dem traditionellen gerichtlichen Verfahren unterscheiden, um die Akzeptanz der Öffentlichkeit zu gewinnen und nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden; produziert das Güterichtermodell keine nachweisbaren Erfolge, ist nämlich seine Existenz bedroht.70 Andererseits muss er die Verstaatlichung der Mediation im Auge eines immer größer werdenden Marktes an freiberuflichen Mediatoren rechtfertigen. Während die Verbreitung außergerichtlicher Konfliktbeilegungsverfahren mit der Akzeptanz durch die Rechtsanwälte steht und fällt, ist bei dem Güterichterverfahren die Akzeptanz in der Richterschaft entscheidend. Diese Akzeptanz lässt sich steigern, indem aufgeklärt und der allgemeine Informationsstand in der Richterschaft über das Güterichterverfahren gesteigert wird. Neben einer Ergänzung des Fortbildungsangebots bietet hier die Juristenausbildung eine erfolgversprechende Stellschraube, an der sowohl im Studium als auch im Referendariat noch stärker gedreht werden könnte. Ein nachhaltiges Umdenken kann auf diesem Wege eher bewirkt werden als durch den Erlass von vielerorts als lästig empfundenen Neuregelungen wie der des § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Wie schon bei der Übernahme der alternativen Konfliktbeilegung kann auch hier Anleihe an dem US-amerikanischen System genommen werden, in dem ADR-Kurse heutzutage an nahezu allen renommierten Universitäten angeboten werden.

70 

So auch Götz von Olenhusen, in: FS Stilz, 2014, S. 171, 175.

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

§ 11  Thesen Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit seien abschließend als Thesen formuliert. Güterichter als justiznaher Spross der ADR-Dynastie 1. Das Güterichterverfahren ist keine Modeerscheinung der heutigen Zeit. Vielmehr reichen seine Wurzeln auf zweierlei Pfaden – dem des Gütegedankens und dem der Mediation – weit in die Geschichte zurück. 2. Während man bei den Modellprojekten zur gerichtsinternen Mediation noch an der Rechtmäßigkeit zweifeln konnte, steht der Güterichter mit der Rechtsordnung in vollem Einklang. Insbesondere ist er mit dem Gebot des gesetzlichen Richters und mit dem arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz vereinbar. 3. Im Güterichterverfahren sind einige, aber nicht alle Justizverfahrensrechte zu berücksichtigen. Anwendbar sind die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der Gleichbehandlung der Parteien, des fairen Verfahrens und des effektiven Rechtsschutzes. 4. Bei der Güterichteraufgabe handelt es sich um eine sonstige richterliche Aufgabe, die nicht an dem Gebot des gesetzlichen Richters zu messen ist. Im gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan muss sie nicht bis ins letzte Detail geregelt werden. Für die Zuweisung der Güterichteraufgabe im Geschäftsverteilungsplan bedarf es nicht der Zustimmung des avisierten Güterichters. Weichenstellung zum Güterichterverfahren 5. Eine blinde Verweisung aller bei Gericht eingehenden Streitigkeiten vor den Güterichter ist nicht sachgerecht. Das Gesetz überträgt es stattdessen dem Spruchrichter, im Einzelfall zu entscheiden, ob ein Konflikt vor den Güterichter verwiesen werden soll. Dabei steht dem Spruchrichter ein Ermessensspielraum zu. 6. Die Verweisung vor den Güterichter kann ermessensfehlerhaft sein. Gerichtlich überprüfbar ist die Verweisungsentscheidung aber nicht. 7. Ein Kriterienkatalog kann den Spruchrichter bei der Ermessensausübung unterstützen, indem er ihm als Orientierungshilfe dient und ihn sensibilisiert. 8. Rechtspolitisch wünschenswert ist weniger eine quantitative Erhöhung der Verweisungszahlen in das Güterichterverfahren, als vielmehr eine qualitative Optimierung der Verweisungsentscheidungen. Insbesondere muss die Möglichkeit der Verweisung stärker im Bewusstsein der Spruchrichter verankert werden.

§ 11  Thesen

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9. Es steht den Parteien frei, sich durch einen Rechtsanwalt im Güterichterverfahren unterstützen zu lassen. Anwaltszwang herrscht vor dem Güterichter jedoch nicht. Insbesondere ist ein Anwaltszwang auch in der Rechtsmittelinstanz nach §§ 11 Abs. 4 Satz 1 Hs. 2 ArbGG, 78 Abs. 3 ZPO abzulehnen. Materielle Verweisungskriterien 10. Die Verweisungsentscheidung kann nur in Ausnahmefällen mit Gewissheit getroffen werden. In der Regel erlangt man erst nach Abschluss des Verfahrens Klarheit darüber, ob ein Konflikt für den Güterichter geeignet war. Von wenigen Ausnahmen abgesehen lassen sich im Arbeitsrecht keine Fallgruppen bilden, in denen eine Verweisung stets sachgerecht wäre. Vielmehr ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen und dieser anhand abstrakter Kriterien auf seine Geeignetheit hin zu überprüfen. 11. Im Individualarbeitsrecht ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Konflikt für ein Güterichterverfahren geeignet ist, vergleichsweise hoch. Im Betriebsverfassungsrecht ist danach zu unterscheiden, ob ein Konflikt eher persönlich oder eher rechtlich geprägt ist. Im Tarifrecht können überhaupt nur die – tendenziell wenig geeigneten – Rechtsstreitigkeiten vor einen Güterichter gelangen. Formelle Verweisungskriterien 12. Die Verweisung in das Güterichterverfahren kann die Beendigung des Verfahrens zeitlich hinauszögern, sie muss es aber nicht. Unter Umständen beschleunigt sie das Verfahren sogar. 13. Bei einer Verweisung ist das Einverständnis der Parteien rechtlich nur erforderlich, wenn die Verweisung zeitlich während oder nach dem spruchrichterlichen Gütetermin erfolgt. Erfolgt sie vor Beginn des Gütetermins, ist das Einverständnis nach zutreffender Ansicht nicht erforderlich. 14. So vielversprechend die flankierende Neuregelung in § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO klingen mag, vermögen die nach ihr in der Klageschrift erforderlichen Angaben dem Spruchrichter doch kaum mehr als erste Anhaltspunkte für seine Verweisungsentscheidung zu liefern. Die Bescheinigung nach § 15a EGZPO und die Stellungnahme nach § 253 ZPO sind grundsätzlich kumulativ erforderlich und machen einander nicht entbehrlich. Funktionelle Verweisungskriterien 15. Ob der spruchrichterliche Gütetermin nach § 54 Abs. 1 ArbGG oder der Vorschlag einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 54a ArbGG einer Verweisung vor den Güterichter vorzuziehen sind, richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls.

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

16. Während ein spruchrichterlicher Gütetermin nur zu Beginn der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz eingeleitet werden kann, geht der zeitliche Anwendungsbereich von Güterichter- und § 54a ArbGG-Verfahren weiter. Dem Spruchrichter steht ein echtes Wahlrecht zu, ob er die Parteien vor den Güterichter verweist oder ihnen eine außergerichtliche Konfliktbeilegung vorschlägt. 17. Zeitlich und örtlich steht der Güterichter dem Gütetermin näher als das § 54a ArbGG-Verfahren, in dem die Selbstbestimmtheit der Parteien stärker zum Tragen kommt. Die zeitlichen Kapazitäten eines § 54a ArbGG-Verfahrens können noch darüber hinausgehen; ebenso wie der Ort richten sie sich allein nach dem Willen und nach der Finanzkraft der Parteien. 18. Der Güterichter ist methodisch breiter aufgestellt als der Spruchrichter im Gütetermin und methodisch flexibler als ein außergerichtlicher Verfahrensleiter. 19. Hinsichtlich der Gegenstände der Verhandlungen ist der Gütetermin am stärksten rechtsgebunden. Im Vergleich dazu ist die Rechtsbindung beim Güterichter gelockert und die verhandelbaren Gegenstände sind breiter gestreut als im Gütetermin. Im § 54a ArbGG-Verfahren spielt das Recht die geringste Rolle, der Kreis der verhandelbaren Gegenstände geht indes nicht mehr erheblich über den vor dem Güterichter hinaus. 20. Während der Gütetermin öffentlich stattfindet, wird außergerichtlich und vor dem Güterichter in der Regel Vertraulichkeit angestrebt. Außergerichtlich liegt es allein in den Händen der Parteien, die Vertraulichkeit zu wahren. Vor dem Güterichter sollten sie ebenfalls zusätzliche Schutzvorkehrungen treffen, da die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens allein nur lückenhaften Schutz bietet. 21. Vor dem Güterichter und im Gütetermin bereiten Verjährungs- und Ausschlussfristen durch die vorangegangene Klageerhebung keine Schwierigkeiten. Bei einem § 54a ArbGG-Verfahren ist der Ablauf von Verjährungsfristen zumeist über § 203 BGB gehemmt. Bei Ausschlussfristen ist zu differenzieren: Verlangt eine Ausschlussfrist die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs und gehört der Anspruch nicht zu dem in der ursprünglichen Klage geltend gemachten Streitgegenstand, ergeben sich Schwierigkeiten, denen allenfalls über eine analoge Anwendung von § 203 S. 1 BGB beigekommen werden kann. 22. Die Verfahrenseinleitung erfolgt im Gütetermin und beim Güterichter fremdbestimmt, im § 54a ArbGG-Verfahren dagegen autonom. Außergerichtlich können und müssen die Parteien den Verfahrensleiter selbst auswählen. Bei der Verfahrensdurchführung wird den Parteien vor dem Güterichter mehr Autonomie zuteil als im Gütetermin. Ähnlich liegt es bei der Beendigung des Verfahrens. Gleichwohl sind die Parteien sich beim Güterichter stets gewahr,

§ 11  Thesen

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einem Richter gegenüber zu sitzen, weshalb sie von ihrer Autonomie weniger Gebrauch machen werden als außergerichtlich. 23. Das Leitbild der Verfahrensleiter divergiert zwischen Güterichter, Gütetermin und § 54a ArbGG-Verfahren deutlich. Der handgreiflichste Unterschied ist die Letztentscheidungsbefugnis, die dem Güterichter im Gegensatz zum Spruchrichter fehlt. Bei einem außergerichtlichen Verfahrensleiter variiert sie je nach Verfahren. 24. Was seine Einzelbefugnisse anbelangt, ist der Güterichter anders als der Spruchrichter nicht befugt, das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen, er darf keine Versäumnisurteile erlassen, keine prozessualen Fristen verlängern und keine Prozesskostenhilfe bewilligen. Die Prozessakten darf er aber einsehen. Dem außergerichtlichen Verfahrensleiter ist all dies nicht möglich. 25. Fachlich sind sowohl der Spruch- als auch der Güterichter Volljuristen. Der Güterichter ist darüber hinaus in den Techniken und Methoden der alternativen Konfliktbeilegung geschult. Noch intensiver ist regelmäßig der außergerichtliche Verfahrensleiter geschult, der dafür aber kein Volljurist sein muss. 26. Richterlich unabhängig sind sowohl der Spruch- als auch der Güterichter. Der außergerichtliche Verfahrensleiter soll ebenfalls unabhängig sein, doch leitet sich seine Unabhängigkeit nicht aus der Verfassung, sondern aus der Vertragsbeziehung zu den Parteien her. 27. Die Haftung von Spruch- und Güterichter ist – mit Ausnahme des Spruchrichterprivilegs, welches für den Güterichter nicht gilt – vergleichbar ausgestaltet und richtet sich nach Art. 34 Satz 1 GG i. V. m. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Haftung des außergerichtlichen Verfahrensleiters leitet sich aus der Vertragsbeziehung zu den Parteien ab. 28. Was die Möglichkeit betrifft, in das Verfahren einzugreifen, ist der Gütetermin näher am Recht ausgerichtet als das Güterichterverfahren. So ist beispielsweise § 139 ZPO nur im Gütetermin und nicht vor dem Güterichter anwendbar. Wegen seiner Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs darf der Spruchrichter keine Einzelgespräche mit den Parteien führen. Dem Güterichter und dem außergerichtlichen Verfahrensleiter sind Einzelgespräche dagegen gestattet. 29. Das Erlangen eines vollstreckbaren Titels ist im Güterichterverfahren und im Gütetermin schneller und kostengünstiger möglich als außergerichtlich. Im Unterschied zum Güterichterverfahren und zum Gütetermin verursacht das § 54a ArbGG-Verfahren zudem auch als solches zusätzliche Kosten. Nach zutreffender Ansicht kann hierfür angesichts der ebenfalls nicht geförderten, vorgerichtlichen Konfliktbeilegung keine Kostenhilfe gewährt werden.

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3. Teil: Systematisierung, Optimierung und Schlussbetrachtung

Systematisierung der Verweisungskriterien 30. Die in den teils zwei-, teils dreischrittigen Auswahlprozessen zur Verfahrenswahl geläufige Aufteilung von Kriterien in Grob- und Feinfilter bietet dem Spruchrichter für seine Verweisungsentscheidung wenig Mehrwert, da sich kaum ein Kriterium zum Grobfilter eignet. Ausdifferenzierte Prüfraster vernachlässigen die Gewichtung und den Kontext der Kriterien und eignen sich deshalb ebenfalls nur bedingt für die spruchrichterliche Verweisungsentscheidung. Der Ansatz zur Konfliktnähe verkürzt die Verweisungsentscheidung übermäßig, indem er sich auf materielle Kriterien stützt und alle anderen ausblendet. 31. Stattdessen sind die Verweisungskriterien in ihrem jeweiligen Kontext zu betrachten, zu dem insbesondere der Verfahrenszeitpunkt und das Zusammenspiel mit anderen Verweisungskriterien zählen. Weiterhin hat der Spruchrichter den Konflikt unter die formellen, die materiellen und die funktionellen Verweisungskriterien zu subsumieren, ehe er über die Verweisung entscheidet. Rechtspolitische Handlungsfelder beim Güterichter 32. Aus dem Misserfolg des strafrechtlichen Adhäsionsverfahrens lässt sich ableiten, welch entscheidende Rolle die Spruchrichter für den Erfolg des Güterichterverfahrens spielen. Sie sollten deshalb umfassend über den Güterichter informiert werden. Der auf lange Sicht bestmögliche Weg hierzu besteht darin, die alternative Konfliktbeilegung stärker in der Juristenausbildung zu verankern. 33. Das Güterichtermodell ist in seinen Grundzügen nicht reformbedürftig. Punktuelle Modifikationen sind jedoch wünschenswert, insbesondere in Bezug auf die Vertraulichkeit. 34. Eine weitere Reformidee geht dahin, gerichtliche Koordinatoren einzusetzen, die den Spruchrichter bei der Verweisung unterstützen. Hier gilt es allerdings Grenzen zu beachten, die sich aus der richterlichen Unabhängigkeit des Spruchrichters und der Aktenordnung ergeben. 35. Ein gerichtsübergreifender Einsatz von Güterichtern ist grundsätzlich zulässig. Konstruktiv sind dafür verschiedene Wege denkbar, von einer bilateralen Verständigung mehrerer Gerichte über eine Rechtshilfe bis hin zur Teilabordnung. De lege ferenda kommt eine intergerichtliche Kooperation über § 13a GVG in Betracht.

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Stichwortverzeichnis Stichwortverzeichnis

Adhäsionsverfahren  299 ff. Akteneinsicht  231, 249 Aktenordnung  231 Allparteilichkeit siehe Verfahrens­ prinzipien Alternative Dispute Resolution (ADR)  35 Amtshaftung  231, 253 f., 293 Ankereffekte/Anchoring  245 Anwaltsvergleich  266 f. Ausbildung − Güterichterausbildung  250 f. − Spruchrichterfortbildung  250, 301 f. Aussageverweigerung  227 Ausschlussfrist  146, 233 ff. Außerrechtliche Interessen  132 ff., 144, 155 f., 222 f., 291, 298 Autonomiegrad  242 f. Beauftragter Richter  52 f., 95, 107 Berufsrecht  68 ff., 194, 230, 309 f. Beschleunigungsgrundsatz  165, 181 ff., 200, 208 Betriebsautonomie  121 f., 161 Caucus  36, 248 Co-Güterichter, Co-Mediator  49 Collaborative Law  231 Dispositionsbefugnis  119 ff., 141, 145, 154, 156, 164, 171 f., 182, 235, 259, 292 Dispositionsgrundsatz  240 f. Dogmatische Einordnung der Güterichter­ aufgabe  68 ff., 91 ff.

Effektiver Rechtsschutz siehe Justizgrund­ rechte Eigenverantwortlichkeit siehe Verfahrens­ prinzipien Einigungsdruck  245 Einigungsstelle  150 f., 157 f., 161 f., 274, 289 Einverständniserfordernis − Einverständnis der Parteien  184 ff., 247, 292, 297 f. − Einverständnis des Güterichters  99 ff. Einzelgespräche siehe Caucus Emotionalität  135, 151, 287, 292, 298 Entscheidungsbefugnis siehe Verfahrens­ prinzipien Ermessen − Auswahlermessen  91 ff. − Entschließungsermessen  88 ff. − Justitiabilität  105 ff. − richterliches Ermessen  82 ff. Ermessensfehler  102 ff. Ermessensreduzierung  186 f., 238 f. Ersuchter Richter  52 f., 307 Evaluation des Güterichtermodells  62 f., 304, 306 Faires Verfahren siehe Justizgrundrechte Falleignung  114 f., 238 f., 305 Fallgruppen  138 ff. Fortbildung siehe Ausbildung Freiwilligkeit siehe Verfahrensprinzipien Fürsorgepflicht  148, 259 ff. Gebot des gesetzlichen Richters  69, 91 ff., 268 f., 305

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Stichwortverzeichnis

Gegenstandswert  129 ff., 267, 269 f. Gerichtsübergreifender Einsatz  306 ff. Gerichtsverwaltung  69, 78 f., 305, 307 f. Geschäftsverteilungsplan  91 ff., 100 ff., 211, 239 f., 305, 308 Gesetzesbindung  103, 105 ff., 255 Gesetzgebungsverfahren  47 f., 52 f., 70 f., 225, 271, 276, 304, 307 Gewaltenteilung  77, 80, 87 f. Gütegedanke − Begriff  31 − Entwicklung  31 ff. − Verhältnis zur Mediation  44 f. Gütestelle  189, 195, 266 Haftung  253 f., 293 Harvard-Konzept  37 Hemmung  233 ff. Hybridverfahren  219, 221 Informiertheit siehe Verfahrensprinzipien Instanzübergreifender Einsatz  306 ff. Interdependenz  297 f. Interessen und Positionen  51, 54 f., 126, 133, 242, 245 Justizgrundrechte − effektiver Rechtschutz  187, 260 − faires Verfahren  103, 260 − rechtliches Gehör  103, 157, 187, 191 f., 248, 255, 257 ff., 263 − Waffengleichheit  255, 260 Klagefrist  146, 200 Klageschrift  192 ff. Komplexität  126 ff., 287 f., 290 Konfliktbegriff  27 Konfliktnähe  286 f., 290 Kontextualisierter Dreiklang  293 ff. Kontrollmechanismen  309 f. Koordinatoren  304 f.

Koppelungsgeschäft  157, 159 Kosten, Verfahrenskosten  189, 269 ff. Kostenhilfe  249, 274 ff. Kostenkriterium  269 ff., 287 Kostensanktionen  278 ff. Kriterienkatalog  114 ff. Machtungleichgewicht  43, 123 ff., 126, 140, 151 f., 292 Materielle Prozessleitungspflicht  255 ff., 260 Mediation − Begriff  35 f. − Entwicklung  36 ff. − Erscheinungsformen  36 − Richtlinie 2008/52/EG  25 f., 39, 119 − Verbrauchermediation  40 − Verbraucherstreitbeilegung  45 Mediationsgesetz  25 f., 236 Mediationsparadox siehe Einverständnis der Parteien Methodenfreiheit  71, 98, 218 ff., 246 Modellprojekte  26, 46 f., 50, 56, 58, 61 ff., 67 ff., 106, 131, 142, 180, 184 f., 193, 212, 216 f., 221, 242, 248, 252, 264, 268 f., 272, 305 Multi-Door-Courthouse  283 ff., 289 f. Mündlichkeitsgrundsatz  240 f. Neutralität siehe Verfahrensprinzipien Nichteinigungsalternative (BATNA)  61, 123 f., 126, 137 Nichtöffentlichkeit siehe Öffentlichkeit Obligatorische Streitschlichtung  130, 189, 195 ff., 287 Öffentlichkeit  75, 140, 169 f., 224 ff., 288, 291, 296 Parteibegriff  27 Persönliches Erscheinen  246 f. Phasenmodell  53 ff.

Stichwortverzeichnis

Positionen siehe Interessen und Positionen Projekt-Modell  203 f. Protokollierung  225 ff., 264 f., 268 Prozessvergleich  95, 265 f., 272 Prozessvertrag  229 f., 235 Prüfraster  287 ff., 291 ff. Rechtliches Gehör siehe Justizgrundrechte Rechtsanwalt − Anwaltsvergütung  129 f., 269 ff. − Anwaltszwang  50 ff. Rechtsprechungsbegriff − formelle Rechtsprechung  72 f. − funktionelle Rechtsprechung  73 f. − materielle Rechtsprechung  74 ff. Rechtsprechungsmonopol  73, 76 Rechtsrealität  61 ff. Rechtsstaatsprinzip  123, 226, 258 ff. Rechtsstreitigkeit  150 f., 153 ff., 171 ff. Rechtswegübergreifender Einsatz  306 ff. Reformansätze  303 ff. Regelungsstreitigkeit  150 f., 156 ff., 176 Richterliches Ermessen siehe Ermessen Ruhen des Verfahrens  110, 182, 208, 233, 236 Schutzpflicht  259 ff. Screening Conference  285 f. Selbstbestimmungsgradient  203 ff. Stellungnahme in Klageschrift siehe Klageschrift Stellvertreterkrieg  140, 148 Streitgegenstand  57, 107, 119 f., 130, 222, 234, 238, 264, 272 Streitschlichtung siehe obligatorische Streitschlichtung Streitwert  129 ff., 265, 267 ff. Stufenverhältnis  212 ff. Subsidiarität  213

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Tarifautonomie  123, 176 Überoptimismus  136 f., 143, 215 f., 295, 298 Unabhängigkeit siehe Verfahrensprinzipien Untersuchungsgrundsatz  229, 259 Verfahrenseinleitung  161 f., 238 f. Verfahrensherrschaft  57, 241, 243 Verfahrensprinzipien − Allparteilichkeit  59 f. − Eigenverantwortlichkeit  56 f., 60, 124, 129, 131 f., 158, 241 − Entscheidungsbefugnis  57 f., 73 f., 76 f., 88, 99, 176, 219 f., 240, 244 ff., 253 f., 256, 258, 268, Freiwilligkeit  56 f., 60, 101, 157 f., 161 f., 187, 190 f., 279 − Informiertheit  60, 246 − Neutralität  43, 59 f., 248, 261, 274 − Unabhängigkeit  59 f., 116, 171, 251 ff., 304, 308 − Vertraulichkeit  49 f., 58 f., 97, 137 f., 139, 151, 170, 224 ff., 287, 290, 296 f., 303 f. Vergleichsvorschlag  265, 267 Verjährungsfristen  233 ff. Verrechtlichung  128, 222 Vertraulichkeit siehe Verfahrensprinzipien Verwaltungsaufgabe  78 f., 305 Verweisungsbeschluss  107 f. Verweisungsentscheidung, Justitiabilität  105 ff. Verweisungszeitpunkt  293 ff. Verzögerung des Verfahrens  39, 179 ff., 187, 191, 200, 290, 298, 300 Vollstreckbarkeit  263 ff. Vorschlagsrecht  197, 207 ff., 212 ff., 239 f. Waffengleichheit siehe Justizgrundrechte Wertschöpfung  55, 127, 141, 148, 159 ff., 172 ff., 292

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Zeugnisverweigerung  227 ZMediatAusbV  251 Zustimmungserfordernis siehe Einverständniserfordernis

Stichwortverzeichnis

Zwang zur Teilnahme siehe Einverständniserfordernis