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German Pages 532 [534] Year 2010
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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 153
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Michael Stürner
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht Zur Dogmatik einer privatrechtsimmanenten Begrenzung von vertraglichen Rechten und Pflichten
Mohr Siebeck
IV Michael Stürner, geboren 1975; Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Würzburg, Genf und München; Erstes Staatsexamen in München (1999); M. Juris (Oxford, 2000); Promotion an der LMU München (2002); Referendariat in München und Paris; Zweites Staatsexamen in München (2003); wissenschaftlicher Assistent an der Universität zu Köln (2004–2009); Forschungsaufenthalt an der Università di Firenze als Feodor-Lynen-Forschungsstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung (2006–2007); DFG-Forschungsstipendiat (2007–2009); Habilitation an der Universität zu Köln (2009); anschließend Lehrstuhlvertretung an der LMU München (Sommersemester 2009); seit Oktober 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).
Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. e-ISBN PDF 978-3-16-151230-8 ISBN 978-3-16-150273-6 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Stempel-Garamond gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
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„Das Verhältnismäßigkeitsgebot … ist eine allgemeine Maxime, die das gesamte Rechtsgebiet in sehr verschiedenem Verdichtungsgrad durchzieht.“ Franz Wieacker, Festschrift für Robert Fischer, S. 867
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VII
Vorwort Die Arbeit hat im Wintersemester 2008/09 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Habilitationsschrift vorgelegen. Später veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur wurde im Wesentlichen bis März 2010 nachgetragen. Mein Dank gilt vor allen Dingen meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Heinz-Peter Mansel, Köln, der mich in meiner Zeit am Institut für internationales und ausländisches Privatrecht stets vorbehaltlos unterstützt und gefördert hat. Er war und ist in wissenschaftlicher und menschlicher Hinsicht ein Vorbild. Sehr zu danken habe ich daneben Herrn Professor Dr. Hanns Prütting, Köln, für die äußerst rasche Erstellung des kenntnisreichen Zweitvotums. Im Laufe der Arbeit habe ich von vielen weiteren Seiten wertvolle fachliche Anregungen erhalten. Genannt seien hier Herr Professor Avv. Dr. Remo Caponi, Florenz, an dessen Lehrstuhl ich für ein Jahr Gast sein durfte, sowie Herr Professor Dr. Michael Sachs und Herr Professor Dr. Hans-Peter Haferkamp, beide Köln, denen ich für ihre weiterführenden Hinweise im Rahmen des Habilitationsverfahrens sehr zu Dank verpflichtet bin. Ganz besonders intensiv und fruchtbringend war der Austausch mit den Assistentenkollegen. Allen voran möchte ich den beiden (ehemaligen) Mithabilitanden am Kölner Institut für internationales und ausländisches Privatrecht, Frau Dr. Christine Budzikiewicz, Köln, sowie Herrn Professor Dr. Marc-Philippe Weller, licencié en droit, Mannheim, für vielfältige und anregende Diskussionen und die jederzeitige, uneigennützige Unterstützung danken. Hervorzuheben sind weiter besonders Herr Priv.-Doz. Dr. Moritz Brinkmann, LL.M., Köln/Bonn, Herr Walter Boente, Lausanne, Herr Dr. Peter Tettinger, Köln, und Herr Dr. Michael Grünberger, LL.M., Köln. Sie alle haben an der einen oder der anderen Stelle zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Dafür sei ihnen herzlich gedankt. Die Fertigstellung der Arbeit wurde wesentlich gefördert durch ein großzügiges Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Erst dadurch wurde mir der nötige zeitliche Freiraum eröffnet, den ein größeres Forschungsprojekt benötigt. Das akademische Jahr 2006/07 habe ich an der Università di Firenze (Italien) als Feodor-Lynen-Stipendiat der Alexander von HumboldtStiftung verbracht. Im Rahmen des dort verfolgten Forschungsprojekts habe
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Vorwort
ich vielfältige rechtsvergleichende Erkenntnisse und Anregungen erhalten, die mit in die vorliegende Arbeit eingeflossen sind. Sehr zu danken habe ich der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, der Alexander von HumboldtStiftung sowie der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung für die Gewährung von Druckkostenzuschüssen. Bei der Drucklegung haben mich meine Frankfurter Mitarbeiterinnen Frau Wiss. Mit. Katharina Senst, LL.M. und Frau Wiss. Mit. Stefanie Raschke tatkräftig unterstützt; um das Sachverzeichnis haben sich Frau Maria Krug und Frau Justyna Slowikow verdient gemacht. Hierfür sei ihnen herzlich gedankt. Von Herzen danken möchte ich schließlich meiner Frau Juliane und unseren Töchtern Delia und Greta. Ohne ihre Geduld und ihren Rückhalt wäre die Arbeit nicht in dieser Form möglich gewesen. Berlin/Frankfurt (Oder), im Mai 2010
Michael Stürner
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Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
§ 1. § 2. § 3. § 4.
Verhältnismäßigkeit und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen des vertraglichen Interessenausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung und Eingrenzung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 5 12 35
Erster Teil
Erscheinungsformen der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht Kapitel 2: Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten . . . . . . . . . . . .
43
§ 5. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . § 6. Alternativen: Anfechtungs- und Anpassungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . § 7. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 64 94
Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
§ 8. § 9. § 10. § 11.
Einführung: Die richterliche Überprüfung von Schuldverträgen . . . 98 Die Struktur der Klauselkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Sonderfall: Angemessenheitskontrolle bei Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . 147 Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Kapitel 4: Verhältnismäßigkeit und in Vollzug gesetzter Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 § 12. § 13. § 14. § 15.
Einschränkungen der (Primär-)Leistungspflicht des Schuldners . . . . Bagatellgrenze bei Geltendmachung von vertraglichen Rechten . . . . Vertragsanpassung bei Eintritt unvorhergesehener Umstände . . . . . . Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167 236 254 280
X
Inhaltsübersicht
Zweiter Teil
Verhältnismäßigkeit als übergreifender Rechtsgrundsatz des Vertragsrechts Kapitel 5: Die Struktur der Verhältnismäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . 285 § 16. Verhältnismäßigkeit als begrenzender und ausgleichender Faktor . . 285 § 17. Öffentlichrechtliche Determinierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 § 18. Grundstrukturen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 § 19. Verhältnismäßigkeit (i.e.S.) als Abwägungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 § 20. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Kapitel 6: Normative Wirkung und dogmatische Verortung . . . . . . . . . . . . . 357 § 21. Verhältnismäßigkeit als Argument im rechtsphilosophischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 § 22. Materiale Komponenten der Verhältnismäßigkeit im Vertragsrecht . 384 § 23. Einzelne Anwendungsbereiche einer konstitutiven Verhältnismäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 § 24. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Kapitel 7: Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
XI
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung § 1. Verhältnismäßigkeit und Privatrecht
IX
......
1
............................
1
§ 2. Grundlagen des vertraglichen Interessenausgleichs
.............
5
I. Vertragsfreiheit und Vertragsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 II. Äquivalenzvermutung und „Richtigkeitschance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 III. Aufrechterhaltung der vertraglichen Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
§ 3. Problemstellung und Eingrenzung des Themas
. . . . . . . . . . . . . . . . . 12
I. Unterschiedliche Verständnismöglichkeiten der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine sprachliche Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwendung im philosophischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die juristischen Wirkungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 12 13 14 a) Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 b) Anwendung im Arbeits- und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 c) Verhältnismäßigkeit im Kernbereich des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . 16
II. Besonderheiten des Schuldvertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Vertragliche Zweierbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 a) Erfordernis einer Zweck-Mittel-Relation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 b) Beschränkung auf konkrete vertragliche Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . 18
2. „Übertragung“ öffentlich-rechtlicher Strukturen? . . . . . . . . . . . . . . . 19 a) Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 b) „Strukturelles Ungleichgewicht“ als Auslöser der Verhältnismäßigkeitskontrolle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
XII
Inhaltsverzeichnis
3. Charakteristika der privatrechtlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 a) Qualitative oder wertende Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 b) Abgrenzung zur „quantitativen“ Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 22
4. Vorläufige Begriffsfestlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III. Verhältnismäßigkeit als rechtsordnungsübergreifendes Phänomen . . . 25 1. Rechtsvergleichende Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Die europäische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Gemeinschaftsprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gemeineuropäisches Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Principles of European Contract Law (PECL) . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Draft Common Frame of Reference (DCFR) . . . . . . . . . . . . . . .
§ 4. Gang der Untersuchung
27 28 29 30
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
I. Systematisierung der Verhältnismäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten (Kapitel 2) . . . . . 2. Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten (Kapitel 3) . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnismäßigkeit und in Vollzug gesetzter Vertrag (Kapitel 4) .
35 35 36 37
II. Verhältnismäßigkeit als übergreifender Rechtsgrundsatz des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Die Struktur der Verhältnismäßigkeit (Kapitel 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Normative Wirkung und dogmatische Einordnung (Kapitel 6) . . . . 39 III. Abschließende Würdigung (Kapitel 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Erster Teil
Erscheinungsformen der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht Kapitel 2: Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten . . . . . § 5. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
43
. . . . . . . . . . 43
I. Wucher, § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Auffälliges Missverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Schwächesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 c) Ausbeutung der Schwächesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Inhaltsverzeichnis
XIII
II. Wucherähnliche Geschäfte, § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Ausgangspunkt: Tatbestandliche Parallele zu § 138 Abs. 2 BGB . . . 51 2. Das auffällige Missverhältnis als Kern eines beweglichen Systems? 52 a) Dominanz der Äquivalenzkontrolle – Wiedergeburt der laesio enormis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Äquivalenzkontrolle durch § 138 BGB als bewegliches System? . . . . . . . aa) Bewegliches System und wucherähnliches Geschäft . . . . . . . . . . . . . bb) Das „Sandhaufentheorem“ und § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . .
52 56 57 58
3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 III. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Der Grundsatz der Totalnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Abmilderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Das Verbot geltungserhaltender Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen für besondere Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Miet- und Arbeitsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Andere Verträge, insb. Kreditverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Generelle Abschwächungen der Totalnichtigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60 61 61 62 62
§ 6. Alternativen: Anfechtungs- und Anpassungsmodelle . . . . . . . . . . .
64
I. Italien: Zurückhaltung bei der Äquivalenzkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Rescissione per lesione, Art. 1447 ff. c.c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausnutzung einer Notlage, Art. 1448 c.c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unbillige Vertragsbedingungen, Art. 1447 c.c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Härte des Kriteriums der Verletzung ultra dimidium . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richterliche Vertragsauflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Alternative der „Vertragsanpassung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 66 68 69 70 70 70
2. Das Verhältnis zum Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Darlehenswucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Der allgemeine strafrechtliche Wuchertatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
3. Inäquivalenz und allgemeine Instrumente des Vertragsrechts . . . . . 76 a) Die causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 c) Schutz des Schwächeren bei Ausnutzung einer Machtposition? . . . . . . . 77
II. England: Keine allgemeine Äquivalenzkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Economic duress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Undue influence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Näheverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Transaction that „calls for an explanation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
XIV
Inhaltsverzeichnis
3. Unconscionability . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grob benachteiligendes Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schwächesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unredliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parallele zu § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lösung vom Vertrag wegen inequality of bargaining power? . . . . . . . .
84 84 84 85 85 85 86
4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. PECL und DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übermäßiger Vorteil einer Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abhängigkeits- oder Schwächesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kenntnis oder Kennenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übermäßiger Vorteil oder unangemessene Ausnutzung . . . . . . . . . . . .
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2. Rechtsfolge: Vertragsaufhebung (avoidance of contract) . . . . . . . . . 3. Die Alternative der Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeine Unwirksamkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90 91 92
§ 7. Zusammenfassende Würdigung
................................
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I. Betonung des Missverhältnisses auf der Tatbestandsseite . . . . . . . . . . . II. Die Bedeutung der Schwächesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rigorosität oder Flexibilität auf der Rechtsfolgenseite? . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten . . . . . . . . . . . . . .
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§ 8. Einführung: Die richterliche Überprüfung von Schuldverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
95 96
I. Reichweite der Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Innere Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Ausgangspunkt: Störung der Richtigkeitsgewähr . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Rechtfertigung der AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) b) c) d)
„Ungleichgewicht“ zwischen Verwender und Vertragspartner? . . . . . . Einseitig in Anspruch genommene Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . Einseitige Verdrängung dispositiven Gesetzesrechts . . . . . . . . . . . . . . . Partielles Marktversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101 102 103 104
Inhaltsverzeichnis
§ 9. Die Struktur der Klauselkontrolle
XV
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
I. Die Vorgaben der EG-Klauselrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Kontrollintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Regelungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kriterien der Missbrauchskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorgaben der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Autonome Ausfüllung der Vorgaben der Richtlinie? . . . . . . . . . . . cc) Die Bedeutung der „Grauen Liste“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verhältnismäßigkeit als ein Leitbild der Missbrauchskontrolle . . .
108 109 109 109 110 111
II. Die Klauselkontrolle nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Klauselkataloge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorleistungspflicht bei Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 113 115 116
2. Die Generalklausel des § 307 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährdung des Vertragszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unangemessene Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auffangtatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rolle des Grundsatzes von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . .
118 120 121 121 122
III. Die Rechtsfolgen der Unwirksamkeit einzelner Klauseln . . . . . . . . . . . 125 1. Totalnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Abmilderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Unbeachtlichkeit fernliegender Auslegungsalternativen . . . . . . . . . . . . 127 b) Aufrechterhaltung teilbarer Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Ergänzende Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Kein generelles Verbot der geltungserhaltenden Reduktion . . . . . . . . . 129 b) Vereinbarkeit mit gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . 131
IV. Rechtsvergleichende Besonderheiten der Klauselkontrolle . . . . . . . . . . 133 1. Italien: Vorreiter der Klauselkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Allgemeine Klauselverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Spezielle Klauselverbote in Verbraucherverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
2. England: Vorrang der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Allgemeine Klauselkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Die Umsetzung der Klauselrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
XVI
Inhaltsverzeichnis
3. Das Anfechtungsmodell der PECL und die konventionelle Lösung des DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Wesentliches Ungleichgewicht vertraglicher Rechte und Pflichten . . . 144 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
§ 10. Sonderfall: Angemessenheitskontrolle bei Vertragsstrafe
. . . . . 147
I. Die Vertragsstrafe im System des Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zu Schadenspauschalierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verdrängung des § 343 BGB durch vorgelagerte Wirksamkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148 148 149 149
II. Ratio der Herabsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Schutz des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Schutzintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 III. Die Struktur der Angemessenheitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Der Begriff der Unverhältnismäßigkeit auf der Tatbestandsseite . . . . . 152 b) Die Angemessenheitsprüfung auf der Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . 153 c) Einheitlichkeit des Prüfungsmaßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
IV. Rechtsvergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Italien: Amtswegige Herabsetzung überhöhter Vertragsstrafen? . 155 a) Herabsetzung einer Vertragsstrafe nach Art. 1384 c.c. . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Herabsetzung ohne Antrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
2. England: Keine Anerkennung von Strafversprechen . . . . . . . . . . . . . 158 a) Verbot der penalty clauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Abgrenzung zu den liquidated damages clauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Ratio der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
3. PECL und DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
§ 11. Zusammenfassende Würdigung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
I. Die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit bei der Inhaltskontrolle von Formularverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Kontrolle von Vertragsstrafen und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . 164
Inhaltsverzeichnis
XVII
Kapitel 4: Verhältnismäßigkeit und in Vollzug gesetzter Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166
§ 12. Einschränkungen der (Primär-)Leistungspflicht des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167
I. Begrenzung des (modifizierten) Primäranspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Die übermäßige Leistungserschwerung nach § 275 Abs. 2 BGB . . 167 a) Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die bestimmenden Faktoren der Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . aa) Schuldneraufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gläubigerinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grobes Missverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vertragsauslegung zur Bestimmung der geschuldeten Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine festen Wertgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erfordernis einer umfassenden Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Bedeutung des § 275 Abs. 2 BGB in der Judikatur . . . . . . . c) Dogmatische Einordnung von § 275 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Dispositivität des § 275 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Nähe zu Störungen der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) . . . . . . . . . . .
168 172 173 174 176 177 179 180 182 185 188 189
2. Die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung, § 275 Abs. 3 BGB 189 a) b) c) d)
Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abwägungsgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abwägungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein eigenes Konzept der Zumutbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189 190 192 192
3. Ausschluss der Leistungspflicht im Besonderen Schuldrecht . . . . . 193 a) Die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Bedeutung der Richtlinie für die Vertragsmäßigkeit der Ware bb) Der Nacherfüllungsanspruch und seine Grenzen . . . . . . . . . . . . . . b) Die Umsetzung der Richtlinienvorgaben im deutschen Recht . . . . . . . aa) Neuregelung der Schuldrechtsmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Richtlinienwidrige Umsetzung durch „absolute“ Verhältnismäßigkeitsprüfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung, § 440 Satz 1 BGB . . . . . . ee) Maßgeblichkeit des Parteiwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vergleichbare Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Werkvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Herkunft der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abwägungsrelevante Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reisevertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mietrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194 194 195 197 197 198 200 201 202 203 203 203 203 205 205
XVIII
Inhaltsverzeichnis
4. Rechtsvergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Werkvertrag und ähnliche Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . c) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die richterliche Ermessensentscheidung bei der specific performance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ermessensleitende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vergleich zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz . . . . (2) Schwierigkeiten bei der Überwachung der gerichtlichen Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Berücksichtigung des Schuldnerverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vergleich mit dem deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) PECL und DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verweigerung der Naturalerfüllung wegen Unverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige leistungsbefreiende Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208 209 210 211 212 214 215 216 216 218 220 221 221 222 225 226
5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 II. Begrenzung von „echten“ Sekundäransprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Angemessenheit von Beitreibungskosten bei Zahlungsverzug . . . . 227 a) Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Umsetzung ohne Bezug zur Verhältnismäßigkeit im deutschen Recht 228
2. Exkurs: Beschränkung des Anspruchs auf Schadensersatz . . . . . . . 229 a) Der Grundsatz der Totalreparation und seine Alternativen . . . . . . . . . b) Nach geltendem Recht bestehende Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unverhältnismäßigkeit der Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 251 Abs. 2 BGB und Verpflichtung zur Herstellung eines Rechtszustandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Angemessenheit der Entschädigung bei Nichtvermögensschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 13. Bagatellgrenze bei Geltendmachung von vertraglichen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
230 232 232 234 235
236
I. Einschränkung des Rechts auf Verweigerung der Gegenleistung . . . 236 II. Einschränkungen von Sekundäransprüchen des Gläubigers bei Geringfügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Keine Vertragsaufhebung bei unerheblicher Pflichtverletzung . . . 238 a) Vertragsauflösung nach Verbrauchsgüterkaufrichtlinie . . . . . . . . . . . . . 238 b) Die Umsetzung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) Berücksichtigung vorvertraglichen Verhaltens des Schuldners? . . . . . . 243
Inhaltsverzeichnis
XIX
2. Bagatellgrenze in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Recht des Verbrauchsgüterkaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Allgemeines Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verbrauchsgüterkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Allgemeines Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245 245 246 247 247 248
3. Rechtsvereinheitlichungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Das Vorbild des CISG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 b) Die Ausgestaltung in PECL und DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
III. Unzumutbarkeit und Kündigung von Dauerschuldverhältnissen . . . 251 1. Unzumutbarkeit der weiteren Durchführung des Vertrags . . . . . . 252 2. Abwägung aller Umstände des Einzelfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
§ 14. Vertragsanpassung bei Eintritt unvorhergesehener Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
254
I. Die Störung der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Ausprägung des (subjektiven) Äquivalenzprinzips . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. Anwendungsbereich und Abgrenzung zu § 275 Abs. 2 BGB . . . . . . . . 259 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Unterschiedliche tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Unterschiedliche Funktion beider Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 c) Abgrenzung nach vertraglicher Risikostruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
III. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anpassung des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neuverhandlungspflicht der Parteien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragsaufhebung als ultima ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
263 263 264 266
IV. Vergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Vertragsbindung und Änderung der Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Italien: eccessiva onerosità sopravvenuta und presupposizione . . . 269 a) b) c) d)
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Lehre von der presupposizione . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269 270 271 272
3. England: frustration of contract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 a) Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
XX
Inhaltsverzeichnis
4. PECL und DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 a) Vorrang der Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 b) Vorrang der (parteilichen) Anpassung vor Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . 278 c) Verhältnis zur Leistungserschwerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
§ 15. Zusammenfassende Würdigung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
Zweiter Teil
Verhältnismäßigkeit als übergreifender Rechtsgrundsatz des Vertragsrechts Kapitel 5: Die Struktur der Verhältnismäßigkeitskontrolle . . . . . .
285
§ 16. Verhältnismäßigkeit als begrenzender und ausgleichender Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285
I. Die Begrenzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 II. Die Ausgleichsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
§ 17. Öffentlichrechtliche Determinierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287
I. Übertragung der öffentlich-rechtlichen Dogmatik auf das Privatrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 1. Die Transformationsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 2. Die Notwendigkeit eines privatrechtlichen Begründungsansatzes 289 II. Verfassungsrechtlich vermittelte Geltungskraft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1. Die Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 a) Ableitung aus der Wesensgehaltsgarantie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 b) Verankerung im Rechtsstaatsprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 c) Verhältnismäßigkeit und Grundrechtskollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
III. Verfassungsrecht und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Auswirkungen der Grundrechte auf das Privatrecht . . . . . . . . . 2. Unmittelbare Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers . 3. Mittelbare Auswirkung auf Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
296 296 298 303
XXI
Inhaltsverzeichnis
a) Die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte . . . . . . b) Staatlicher Schutzauftrag und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kontrolle privatrechtlicher Gestaltungsmacht bei „strukturellem Ungleichgewicht“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stärkere Grundrechtsbindung im Prozess? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
303 304 306 310
IV. Angemessenheitskontrolle von Verfassungs wegen? . . . . . . . . . . . . . . . . 311 1. Der Ansatz von Hans Hanau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
§ 18. Grundstrukturen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
318
I. Die Anwendung der Teilgrundsätze im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 318 1. Geeignetheit und die Erforderlichkeit der Mittelauswahl im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 a) Die Erforderlichkeit als „scharfe Entscheidungsregel“ . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine allgemeine Geltung im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahme Vertragsbeendigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Geeignetheit als Vorstufe zur Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
319 320 323 325
2. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 a) Schwierigkeiten bei der Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 b) Verhältnismäßigkeit als „Leerformel“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
II. Verhältnismäßigkeit als Ausgleich bei Interessenkollision . . . . . . . . . . 1. Das Prinzipien immanente Optimierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verallgemeinerungsfähigkeit des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Parallele Regelungskonzepte: Unverhältnismäßigkeit, Zumutbarkeit, Vernünftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbot der Unverhältnismäßigkeit als eigenständiges Regelungskonzept? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnismäßigkeit und „Vernünftigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
330 331 333 335 336 337 339 342
IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
§ 19. Verhältnismäßigkeit (i.e.S.) als Abwägungsmodell
. . . . . . . . . . . . 347
I. Abwägung im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 II. Grundsätze der Interessenabwägung im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . 350 1. Die Abwägungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
XXII
Inhaltsverzeichnis
a) Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 b) Die Gewichtung der einzelnen Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
2. Der Abwägungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 3. Der Abwägungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
§ 20. Zusammenfassende Würdigung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Kapitel 6: Normative Wirkung und dogmatische Verortung . . . .
357
§ 21. Verhältnismäßigkeit als Argument im rechtsphilosophischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
357
I. Der Gedanke des Maßhaltens: Verhältnismäßigkeit als Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 II. Der Gleichheitssatz: Verhältnismäßigkeit als „erlaubte Ungleichheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Iustitia distributiva: Gleichheit bei der Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Iustitia commutativa: Gleichheit unter Gleichen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnismäßigkeit als Gleichheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Behandlung der „Eingriffsfälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
360 360 362 364 365
III. Verhältnismäßigkeit als Zweckrationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 a) Zweckbetrachtungen im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 b) Utilitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
2. Ökonomische Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 3. Effizienz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 a) Effizienz des Vertragsbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Effizienzorientierte Auslegung des geltenden Rechts? . . . . . . . . . . . . . . c) Ökonomische Betrachtung zentraler Verhältnismäßigkeitskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . cc) Unverhältnismäßiger Leistungsaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
373 375 377 377 377 378 381 382
IV. Fazit: Der prozedurale Charakter der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . 383
Inhaltsverzeichnis
XXIII
§ 22. Materiale Komponenten der Verhältnismäßigkeit im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
384
I. Verschiedene Wirkungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hauptleistungspflichten und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nebenleistungspflichten und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnismäßigkeit und in Vollzug gesetzter Vertrag . . . . . . . . . . .
384 384 386 387
II. Verhältnismäßigkeit und Grundsatz von Treu und Glauben . . . . . . . . 388 1. Formaler Grundsatz und materiale Aufladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 2. Vertragsbindung und Grundsatz von Treu und Glauben . . . . . . . . . 389 a) Treu und Glauben als materiales Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Schrankenfunktion von § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unzulässige Rechtsausübung und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsausübung bei geringfügiger Pflichtverletzung („Geringfügigkeitsfälle“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Pflichtverletzungen bei Dauerschuldverhältnissen . . . . . . . . . . (2) Einschränkung des Zurückbehaltungsrechts aus § 273 BGB . . (3) Sonstige Fälle, insbesondere Rückstand bei Zahlungsaufschub (4) Beschränkung auf die schonendste Sanktion? . . . . . . . . . . . . . . bb) Geltendmachung des Primäranspruchs bei überwiegenden Schuldnerinteressen („Unverhältnismäßigkeit“) . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abschließende Regelung in § 275 Abs. 2 und 3 BGB? . . . . . . . . (2) Allgemeines Verbot der unverhältnismäßigen Rechtsausübung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
390 391 392 394 395 397 398 399 401 402 404 405
3. Deklaratorische und konstitutive Verhältnismäßigkeitskontrolle 405 a) Deklaratorische Verhältnismäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konstitutive Verhältnismäßigkeitskontrolle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lückenfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Durchbrechung gesetzlicher Wertungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abgrenzung zum Rechtsmissbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterschiedliche Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterschiede in der Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
406 406 407 407 408 408 409 409
III. Rechtsvergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 1. Italien: buona fede und proporzionalità zwischen Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 a) Die eingeschränkte Bedeutung von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . 410 b) Anerkennung eines principio di proporzionalità? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
2. England: Good Faith als Fremdkörper? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
XXIV
Inhaltsverzeichnis
3. Treu und Glauben als zentrales Element im Europäischen Vertragsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 a) Der acquis communautaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 b) PECL und DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
§ 23. Einzelne Anwendungsbereiche einer konstitutiven Verhältnismäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Maßgeblichkeit der primärrechtlichen Wertung für den Sekundäranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schadensersatz nach § 635 BGB a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung auf das modernisierte Werkvertragsrecht . . . . . . . . . . 3. Übertragung auf den Schadensersatzanspruch aus §§ 275 Abs. 4, 280 ff. BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
419
420 420 420 422
II. Ausübung von Gestaltungsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 1. Ausübung gesetzlich vorgesehener Gestaltungsrechte . . . . . . . . . . . 425 a) Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 b) Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
2. Ausübung vertraglich vereinbarter Gestaltungsrechte . . . . . . . . . . . 428 III. Begrenzung „überschießender“ Rechtsfolgen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 1. Gesetzlich angeordnete Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 a) Teilweise Aufrechterhaltung wucherischer Rechtsgeschäfte? . . . . . . . . 431 b) Geltungserhaltende Reduktion unwirksamer Formularklauseln? . . . . 432
2. Vertraglich vereinbarte Nebenabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 IV. Verhältnismäßigkeit als Argument zur Begründung positiver Rechtspflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 1. Die Ausgleichsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 2. Schaffung neuer Rechtspflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 a) b) c) d)
Neuverhandlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreditversorgungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freigabeanspruch bei nicht benötigten Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 24. Zusammenfassung
438 438 439 440
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440
Inhaltsverzeichnis
XXV
Kapitel 7: Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse . . . . . . . . . . .
442
I. Verhältnismäßigkeit als Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 II. Verhältnismäßigkeit als Abwägungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip im öffentlichen Recht und im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 IV. Besonderheiten der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht . . . . 445 V. Verhältnismäßigkeit als „Streben nach der Mitte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
XXVI
1
Kapitel 1
Einführung und Gegenstand der Untersuchung § 1. Verhältnismäßigkeit und Privatrecht Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird gewöhnlich vor allem mit dem öffentlichen Recht in Verbindung gebracht.1 Hier dient er als Instrument zur Begrenzung staatlicher Machtentfaltung gegenüber dem Bürger, insbesondere dann, wenn Grundrechte betroffen sind. Im Grundsatz muss jede staatliche Handlung mit Außenwirkung verhältnismäßig2 sein. Das ist dann der Fall, wenn die Handlung zur Erreichung des mit ihr verfolgten (legitimen) Zwecks geeignet und hierzu auch erforderlich ist, weil keine Mittel zur Verfügung stehen, die den Betroffenen oder die Allgemeinheit weniger beeinträchtigen, und wenn das eingesetzte Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Zweck steht.3 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weist dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verfassungsrechtlichen Rang zu4 und bezeichnet es als „übergreifende Leitregel allen staatlichen Handelns“.5 Dementsprechend hat dieser Bereich großes wissenschaftliches Interesse gefunden und ist Gegenstand zahlreicher, auch grundlegender Abhandlungen geworden.6 Im Bereich des Privatrechts hingegen trifft dieser Befund weit weniger zu. Vor nicht allzu langer Zeit wurde konstatiert, die Forschung zur Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht stecke noch in den Anfängen.7 Als 1 Bezeichnend der Befund von Bleckmann, JuS 1994, 177, der Anwendungsbereich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei bis auf wenige Ausnahmen auf Eingriffe in den Schutzbereich der Freiheiten des Grundgesetzes beschränkt. 2 Präziser: verhältnismäßig im weiteren Sinne. Zur Terminologie näher unten § 3 II. 4. (S. 23 f.). 3 St. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa BVerfGE 30, 292, 316. 4 BVerfGE 19, 342, 348 f. Seit der Entscheidung BVerfGE 7, 377, 405 ff. (Apothekenurteil) ist der Rekurs auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip st. Rspr. des BVerfG. Näher dazu § 17 II. (S. 291 ff.). 5 BVerfGE 23, 127, 133; BVerfGE 38, 348, 368, jeweils m.w.N. Ebenso die Rechtslage in der Schweiz Zimmerli, ZSR 97, II (1978), 1, 9 ff.; Muller, ZSR 97, II (1978), 197, 213, jeweils m.w.N. 6 Zuerst von Krauss, Verhältnismäßigkeit, 1955 und Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961. 7 Eidenmüller, ZIP 1995, 1063, 1068 in Bezug auf die Frage der Existenz von Neuverhandlungspflichten bei Störungen der Geschäftsgrundlage. Näher dazu unten § 14 III. 2. (S. 264 ff.).
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
unbestritten dürfte indessen gelten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als „elementares Prinzip unserer Rechtsordnung“ aber auch hier wirkt.8 In den Worten des BGH: „Zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts gehört der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch in der Zivilrechtsordnung Geltung beansprucht.“9 Ähnlich äußert sich das BAG: „Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat sich nicht nur im Arbeitskampfrecht durchgesetzt, sondern ist als übergeordnetes Rechtsprinzip des Privatrechts wie schon seit langem für das öffentliche Recht und damit letztlich für die gesamte Rechtsordnung aufgedeckt worden.“10 Sieht man aber einmal vom Arbeitsrecht ab, wo der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor allem im Recht des Arbeitskampfes große Bedeutung erlangt hat,11 ist ein allgemeines privatrechtliches Konzept der Verhältnismäßigkeit bislang nicht erarbeitet worden.12 Gemeinhin wird die Geltung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht denn auch nur oder wenigstens vorrangig unter verfassungsrechtlichen Implikationen untersucht.13 Dieser Blickwinkel öffnet hauptsächlich Einsichten in das Zusammenspiel von Verfassungsrecht und Privatrecht und grenzt an die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte an.14 Gleichwohl entsteht dadurch der unzutreffende Eindruck, es gebe nur ein einziges Verhältnismäßigkeitsprinzip, nämlich dasjenige, das sich aus der Verfassung ergibt – auf welcher Grundlage auch immer.15 Spezifisch privatrechtliche Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgebots werden in diesem Zusammenhang zumeist als unproblematisch abgehandelt.16 Dessen ungeachtet werden häu8 So jüngst Honsell, ZIP 2008, 621, 627 im Zusammenhang mit pönalen Elementen im Zivilrecht. Vgl. vorher etwa Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit, S. 31; Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 44. 9 BGHZ 118, 312 = BGH NJW 1992, 3096, 3104. Vgl. auch BGHZ 100, 60, 64 (wo von dem „das ganze Zivilrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck“ die Rede ist). 10 BAGE 33, 140 = NJW 1980, 1642, 1650 unter Verweis auf Larenz, Methodenlehre, 4. Aufl., S. 465. Die Entscheidung erging zur Frage des Aussperrungsrechts. Ähnlich zuvor bereits BAGE 23, 292, 306. 11 St. Rspr. seit BAG (GrS) BAGE 23, 292; vgl. weiter etwa Mayer-Maly, ZfA 1980, 473. 12 Mit den Ausnahmen der Arbeiten von Hans Hanau (2004) und Marcus Bieder (2007). Auf beide wird noch ausführlicher einzugehen sein (unten § 17 I. [S. 288 ff.] sowie IV. [S. 311 ff.]). Der Ansatz dieser beiden Studien (die sich gleichwohl erheblich voneinander unterscheiden) ist es, die Leistungsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit den Teilgrundsätzen von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit für den Bereich des Privatrechts zu ergründen. Näher unten § 3 II. 2. (S. 19 ff.). 13 Beispielhaft Medius, AcP 192 (1992), 35. 14 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (Lüth); Dürig, in: FS Nawiasky, S. 158, 167 ff. Näher dazu unten § 17 III. 3. c) (S. 306 ff.). 15 Zur dogmatischen Verankerung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Verfassung näher unten § 17 II. 2. (S. 292 ff.). 16 Vgl. wiederum Medicus, AcP 192 (1992), 35, 40 („relative Idylle des ‚reinen‘ Privatrechts“); Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 276 ff.; ders., in: FS Dieterich, S. 429, 431 ff. (der vor „vorschnellen Dogmatisierungen“ warnt).
§ 1. Verhältnismäßigkeit und Privatrecht
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fig – ohne einheitliche Terminologie – die Begriffe der (Un-)Verhältnismäßigkeit, der (Un-)Angemessenheit, der (Un-)Zumutbarkeit oder des Übermaßes verwendet, um Begrenzungen privater Rechte und Pflichten zu rechtfertigen. Ebenso richtig wie eigentlich selbstverständlich ist der Hinweis, das gesamte Privatrecht sei dem verhältnismäßigen Interessenausgleich geschuldet.17 Das Postulat der Verhältnismäßigkeit wird bei dieser Sichtweise synonym mit den Begriffen von Fairness und Gerechtigkeit verwendet. Auf dieser Grundlage wird die dogmatische Analyse eines „privatrechtlichen“ Verhältnismäßigkeitsprinzips entbehrlich.18 Die „verhältnismäßige“ Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen durch den Privatrechtsgesetzgeber und die Grenzen, die hierbei durch die Verfassung gezogen sind,19 ist denn auch nicht primärer Gegenstand dieser Untersuchung. Vielmehr geht es um diejenigen Situationen, in denen das Gesetz ausdrücklich oder implizit gerade zur Erzielung eines „verhältnismäßigen“ Interessenausgleichs die vertraglichen Leistungen bzw. die jeweiligen Rechte und Pflichten der Parteien in Beziehung setzt und den Rechtsanwender damit zu einer Gegenüberstellung von Positionen und Interessen zwingt – ein Prozess, der notwendig offen für Wertungen ist. Die Wertungsoffenheit und Flexibilität des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist es auch, die ihm so manche Kritik eingebracht hat. Im öffentlichen Recht wurde ihm eine „Gewaltherrschaft“ attestiert;20 er wurde – mit wohl ironischem Unterton – als „Obernorm“21 bezeichnet. „Anything goes, solange es verhältnismäßig ist“, 22 so schreibt Gerhard Wagner, und bezeichnet die Verhältnismäßigkeit als „Zauberwort der modernen Kompromiss-Demokratie“.23 Im Zentrum der Kritik steht mithin die oftmals so bezeichnete Beliebigkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips, unter dem man sich „alles, vieles oder nichts vorstellen kann“, 24 und das als „großer Gleich- und Weichmacher der Verfas-
17 So etwa Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867; Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 433 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 37; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 30 ff.; Reuter, in: FS Böhm, S. 521, 549 (jede gesetzliche oder andere Konfliktregel stelle eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips dar, gleich ob sie dem öffentlichen Recht oder dem Privatrecht angehöre). 18 Diese Konsequenz andeutend Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 275 ff.; ders., in: FS Dieterich, S. 429, 433 ff. (der freilich selbst eine profunde Analyse der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht liefert). 19 Dazu insb. Canaris, JZ 1987, 993, 996 ff. und öfter; näher unten § 17 II. 2. (S. 292 ff.). 20 Eb. Schmidt, NJW 1969, 1137, 1141. 21 Ossenbühl, in: Abwägung im Recht, S. 25, 35. 22 G. Wagner, ZEuP 2007, 180, 202 (Kursivdruck im Original). 23 G. Wagner, ZEuP 2007, 180, 202 in Bezug auf die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips für das Nacherfüllungsrecht des Verbrauchers im Kaufrecht. Ähnlich – jedoch in anderem Zusammenhang – Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 238 („Freiheit kann nicht überall sein in der Gemeinschaft, wohl aber Verhältnismäßigkeit, und mit ihr der Kompromiß.“). 24 Schwegler, AuR 1973, 189, 190.
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
sungsmaßstäbe“25 bzw. als allgemeines Billigkeitsrecht wirke, 26 das „zum Einfallstor eines unkontrollierbaren und unkontrollierten Gerechtigkeitsgefühls“ werde.27 Vor zu hohen Erwartungen wird gewarnt; das Verhältnismäßigkeitsprinzip tauge nicht als „Wunderwaffe zur Bewältigung aller grundrechtsrelevanten Konfliktlagen“28 oder als „Zauberformel zur Abkehr von gesetzlich gebotenen, jedoch rechtspolitisch unerwünschten Entscheidungen“. 29 Bemerkenswert ist, dass einer der Hauptkritiker des Gebrauchs des Verhältnismäßigkeitsprinzips im öffentlichen Recht, Walter Leisner, im Privatrecht gerade keine Gefahr durch das Abwägungserfordernis sieht:30 „Die Jahrtausende alte Verfeinerung der Begrifflichkeit [im klassischen Zivilrecht] schlägt in aller Regel durch; niemand wird die Gerichte, rechtsgrundsätzlich, dafür schelten, daß sie die Generalklauseln des Bürgerlichen Rechts nur in engsten Grenzen als Korrektiv gelten lassen, […]. Mit Recht sind daher die §§ 138 und 242 BGB nie als rechts- oder gar als staatsgrundsätzliches Problem gesehen, kritisch betrachtet worden; hier wirkt nur eine Art von Selbstkontrolle des Rechts, das den letzten Anschluss an die Gerechtigkeit hält.“
Verhältnismäßigkeit setzt begrifflich einen Vergleich zweier (oder mehrerer) Größen voraus. Während dies im Bereich des öffentlichen Rechts regelmäßig eine Gegenüberstellung der Interessen des Staates an einem legislativen oder exekutiven Akt und denen der davon betroffenen Bürger erfordert, stehen sich auf privatrechtlicher Ebene zwei (oder mehrere) formell gleichgestellte Rechtssubjekte gegenüber. Dies lässt vermuten, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung hier schon im Grundsatz anders ausgestaltet ist, ja dass es „den“ Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht möglicherweise überhaupt nicht gibt, sondern allenfalls verschiedene Ausprägungen davon. Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, die Rolle des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in einem Kernbereich des Privatrechts, dem Schuldvertragsrecht, zu untersuchen. Es soll geklärt werden, ob ein übergreifendes Rechtsprinzip der Verhältnismäßigkeit im Vertragsrecht existiert, inwieweit dessen Konzept mit der im öffentlichen Recht verwendeten Rechtsfigur übereinstimmt und in welchen Fällen ein solches allgemeines Prinzip konkrete regelförmige Ausprägungen erfahren hat, die die vertragliche Beziehung zwischen zwei Parteien beeinflussen können. Dazu ist zunächst kurz zu skizzieren, welche Rolle dem Vertrag im Privatrechtssystem zukommt. 25
So für das öffentliche Recht Ossenbühl, VVDStRL 39 (1981), 189. Zum Verhältnis von Billigkeitsrecht und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 873. Ähnlich auch die Forderung nach einer stärkeren Konturierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für das Privatrecht von Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 444 ff. Allgemein dazu auch Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 36 ff. 27 So Gentz, NJW 1968, 1600, 1601. 28 Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 462. 29 Preis, Grundfragen, S. 362. 30 Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 14 f. 26
§ 2. Grundlagen des vertraglichen Interessenausgleichs
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§ 2. Grundlagen des vertraglichen Interessenausgleichs Der Vertrag ist das von der Rechtsordnung bereitgehaltene Mittel zur Regelung rechtlich relevanter privater Angelegenheiten. 31 Dabei kommt in einer freien Marktwirtschaft der Gewährleistung privatautonomer Gestaltungsmöglichkeit überragende Bedeutung zu. Sie ist unmittelbare Folge der Anerkennung eines jeden Rechtssubjekts als Person und basiert auf der philosophischen Idee der Achtung der Mitmenschen als selbstbestimmte Persönlichkeiten.32
I. Vertragsfreiheit und Vertragsbindung In Flumes klassischer Formulierung beinhaltet die Privatautonomie und damit die Vertragsfreiheit „das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen“.33 Die verfassungsrechtlich garantierte Vertragsfreiheit 34 umfasst insbesondere die Abschluss- und die Inhaltsfreiheit:35 Jedes Rechtssubjekt ist frei in der Wahl seines Vertragspartners und in der Gestaltung der vertraglichen Abrede. 36 Die Kehrseite der Vertragsfreiheit ist der Grundsatz der Vertragsbindung oder des synonym dazu verwendbaren37 pacta sunt servanda. Was die Parteien vereinbart haben, wird von der Rechtsordnung mit Geltungsbefehl ausgestattet und ist vor staatlichen Gerichten einforderbar. Ohne diese Bindung wäre die 31
Ein weiteres, hier nicht zu erörterndes Institut ist die letztwillige Verfügung. Deutlich BVerfGE 49, 286, 298: „Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewußt wird. Hierzu gehört, daß der Mensch über sich selbst verfügen und sein Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann.“ Siehe auch Larenz, Richtiges Recht, S. 57 mit Verweis auf Julius Binder, Philosophie des Rechts, S. 479; Canaris, Iustitia distributiva, S. 46 ff. Eine andere Akzentuierung ergibt sich auf der Grundlage der ökonomischen Analyse des Rechts, nach der der Güteraustausch am besten funktioniert, wenn die Parteien möglichst frei sind, Verträge abzuschließen; hierdurch wird die Wohlfahrt gesteigert. Dazu zusammenfassend Kötz, JuS 2003, 209. Siehe zur ökonomischen Analyse der Verhältnismäßigkeit näher unten § 21 III. 3. (S. 372 ff.). 33 Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 1 und 5 (S. 1, 6); ebenso Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277. 34 BVerfGE 8, 274, 328 (Preisgesetz); BVerfGE 70, 115, 123; BVerfGE 72, 155, 179; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 11 ff.; Sachs / Murswiek, Art. 2 GG Rn. 54. 35 Dazu Höfling, Vertragsfreiheit, S. 3; eingehend auch Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 165 ff.; vgl. weiter S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 18 ff. 36 Wenn die so genannten „sozialen“ Ansätze die Vertragsfreiheit „bei präziser Betrachtung“ als „ein Traumschloß, eine Utopie und keine Realität“ (so Zweigert, in: FS Rheinstein, Bd. II, S. 493, 503; Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, Band II, 2. Aufl. 1984, S. 10) bezeichnen, weil diese von einer Gleichheit der Rechtssubjekte ausgehe, die in der Realität nicht vorhanden sei, so verkennen sie, dass die Vertragsfreiheit nach dem Verständnis des BGB gerade keine formale Gleichheit voraussetzt. Siehe dazu zusammenfassend Bruns, JZ 2007, 385, 387. 37 Siehe mit umfassenden Nachweisen Weller, Vertragstreue, S. 37 f. 32
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
Vertragsfreiheit zwar nicht vollkommen inhaltsleer:38 So sind auch Rechtsordnungen denkbar, die nicht obligatorische Verträge, sondern allein Verfügungsgeschäfte als bindend anerkennen.39 Die Bindung an den Vertrag ist aber eines der wesentlichen Kennzeichen einer auf der Privatautonomie beruhenden Vertragsrechtsordnung.40 Sie erklärt sich ähnlich wie die Vertragsfreiheit selbst durch die aus der Menschenwürde folgende freie Selbstbestimmung des Individuums, denn diese beinhaltet auch die Freiheit, sich selbst zu binden.41 Dabei ist das Postulat der Vertragsbindung bereits bei Vorliegen von korrespondierenden Versprechen keine Selbstverständlichkeit. Das klassische römische Recht enthielt noch umgekehrte Vorzeichen, indem es ein nudum pactum für unklagbar erklärte und eine Bindung nur bei Schriftlichkeit eines Vertrags anerkannte.42 Diese Regel wurde immer öfter durchbrochen, was schließlich im Mittelalter seinen Ausdruck im Satz „pacta quantumque nuda servanda sunt“ erhielt, der im Corpus Juris Canonici enthalten ist und damit als solcher nicht römisch-rechtlichen Ursprungs ist.43 Noch heute geht das englische Recht von einer Bindung an ein formlos gegebenes Versprechen erst dann aus, wenn auch der Empfänger seinerseits „in consideration of the offer“ eine – wenn auch nur symbolische – Gegenleistung erbringt.44
Der Grund für die Bindung einer Partei an einen wirksam geschlossenen Vertrag liegt in der Legitimationswirkung des rechtlichen Gestaltungswillens einer Partei. Kam die rechtsgeschäftliche Vereinbarung aus Sicht der Rechtsordnung durch einen fehlerfreien Willensbildungsprozess zustande, also ohne relevanten Irrtum, Täuschung oder Drohung i.S.d. §§ 116 ff., 123 BGB, so wird dieser Vertrag mit einem Geltungsbefehl ausgestattet. Der Inhalt der so getroffenen Vereinbarung und die daraus folgenden Rechte und Pflichten werden von der 38
So aber wohl Bruns, JZ 2007, 385, 386 (Vertragsfreiheit ohne pacta sunt servanda nicht denkbar). 39 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, S. 67 f.; Stathopoulos, AcP 194 (1994), 543, 545 f. mit dem Beispiel des frühen griechischen (vor allem des attischen) Rechts, nach dem offenbar klagbare Rechte nur bei Eintritt eines Vermögensschadens bestanden; dieser wiederum wurde nur bei Verletzung eines Verfügungsvertrags, nicht aber bei einem obligatorischen Vertrag bejaht. 40 Vgl. unter vielen BGH NJW 1996, 990, 992; BAG NJW 2005, 1820, 1821; Weller, Vertragstreue, S. 41, 274 ff.; Unberath, Vertragsverletzung, S. 46 ff.; Remien, Zwingendes Vertragsrecht, S. 311 ff.; Bydlinski, Privatautonomie, S. 109 ff.; Bruns, JZ 2007, 385, 386. Historische und vergleichende Betrachtung bei Supiot, Homo Juridicus, Kap. 3 (S. 78 ff.). 41 Vgl. Larenz, Richtiges Recht, S. 57; eingehend dazu Mansel, Grundlagen der Informationshaftung, S. 532 ff.; Weller, Vertragstreue, S. 156 ff. 42 „Nuda pactio obligationem non parit, sed parit exceptionem“ (Ulp. D. 2, 14, 7, 4). Eingehend zur historischen Entwicklung des Grundsatzes von pacta sunt servanda Weller, Vertragstreue, S. 58 ff. 43 Dazu Zimmermann, Law of Obligations, S. 508 ff., 542 ff. 44 Zur consideration Smith, Atiyah’s Introduction to the Law of Contract, S. 106 ff.; Hürten, Das Erfordernis der Gegenleistung (consideration) im englischen Vertragsrecht; Benedict, RabelsZ 69 (2005), 1. Zum US-amerikanischen Verständis der consideration Fromholzer, Consideration, S. 21 ff.
§ 2. Grundlagen des vertraglichen Interessenausgleichs
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Rechtsordnung grundsätzlich akzeptiert. Nur dann, wenn ein Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt, wird ihm die Geltung versagt.45 Sind diese äußeren Grenzen der Vertragsfreiheit nicht überschritten, so geht die Rechtsordnung im Grundsatz davon aus, dass der übereinstimmende rechtsgestaltende Wille der Vertragsparteien hinreichend ist, um einen für sie akzeptablen Interessenausgleich zu gewähren. Die Notwendigkeit der Willenseinigung in Form eines Konsenses führt im Regelfall auch dazu, dass durch den Vertrag die Interessen beider Vertragspartner gleichermaßen befriedigt werden. Auf dieser Annahme basiert die Inhaltsfreiheit, also der Grundsatz, dass in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB Verträge mit beliebigem Inhalt geschlossen werden können.46 Im gemeinschaftsprivatrechtlichen Kontext wird der (grenzüberschreitende) Vertrag primär als Institut zur Ausübung der Grundfreiheiten angesehen, der somit der Verwirklichung des Binnenmarktes dient.47 Gleichwohl erkennt das Gemeinschaftsprivatrecht die tragenden Elemente der mitgliedstaatlichen Vertragsrechtsordnungen wie den Grundsatz der Vertragsbindung (pacta sunt servanda)48 und die Inhaltsfreiheit vertraglicher Vereinbarungen an.49
II. Äquivalenzvermutung und „Richtigkeitschance“ Es steht den Parteien frei, auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die nur unter besonders günstigen Umständen erbracht werden können.50 Das geltende Recht geht von der Prämisse aus, dass die Selbstbindung durch Vertrag auch dann nicht endet, wenn sich eine in freier Willensbildung eingegangene Verpflichtung im Nachhinein als unerwünscht erweist. In diesem Zusammenhang wird im Anschluss an Schmidt-Rimpler
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Für marktbeherrschende Unternehmen greifen ergänzend die §§ 19, 20 GWB. Zu den innerhalb dieses äußeren Rahmens bestehenden Grenzen der Inhaltsfreiheit u.a. auch Larenz, Richtiges Recht, S. 65 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 51 ff. 47 Vgl. zunächst Jansen, AcP 207 (2007), 425, 426; Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227, 236. Ausführlich Jansen / Michaels, RabelsZ 71 (2007), 345, 353 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 59 ff., 67 ff.; Heiderhoff, ZEuP 2003, 769, 776 ff. 48 EuGH, 16.6.1998, Rs. C-162/96 – Racke, Slg. 1998, I-3655 (Rn. 49); EuG, 25.5.2004, Rs. T-154/01 – Distilleria Palma / Kommission, Slg. 2004, II-1493 (Rn. 45); vgl. auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 30.6.2009, Rs. C-101/08 – Audiolux. – Ob das in verbraucherschützenden EU-Richtlinien oftmals enthaltene Widerrufsrecht eine Einschränkung oder gerade eine Bestätigung des Grundsatzes pacta sunt servanda darstellt, ist umstritten, vgl. zuletzt Eidenmüller, AcP 210 (2010), 67 ff. einerseits und Weller, Vertragstreue, S. 294 ff., andererseits. 49 Dazu Riesenhuber, System und Prinzipien, § 18 (S. 553 ff.). 50 Vgl. BGHZ 107, 92, 98. 46
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verbreitet von einer „Richtigkeitsgewähr“51 oder zumindest von einer „Richtigkeitschance“52 gesprochen, die der „Vertragsmechanismus“ beinhalten soll. Diese resultiere daraus, dass die Notwendigkeit zur Einigung über den Vertragsinhalt einen Zwang zum wechselseitigen Entgegenkommen beinhalte; die daraus folgende Berücksichtigung der Interessen beider Parteien führe im Regelfall dazu, dass das Vereinbarte auch inhaltlich richtig bzw. objektiv gerecht ist.53 Schmidt-Rimplers Konzept wird wegen der Verwendung des Begriffs der „Richtigkeit“ des Vertrags kritisiert: Wann ein Vertrag „richtig“ oder „falsch“ sei, könne schlechterdings nicht bestimmt werden; der Begriff der Richtigkeitsgewähr bzw. -chance impliziere schon eine Wertung, die für eine selbstbestimmte Vereinbarung überhaupt nicht vorgenommen werden soll.54 Insbesondere Flume trat für eine formale Sicht der dem BGB zugrunde liegenden Vertragsfreiheit ein. Es bestehe eine Vermutung dafür, dass die rechtsgeschäftliche Vereinbarung den vertraglichen Austauschinteressen der Parteien gerecht werde (und nicht notwendig in einem materialen Sinne gerecht sei – diese Beurteilung entziehe sich der Kompetenz des Außenstehenden), dass sich die vertraglichen Leistungen also im Gleichgewicht befänden, möge dieses auch nur subjektiv aus Sicht der Parteien bestehen: Stat pro ratione voluntas.55 51 Vgl. grundlegend Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff. Auch die Rechtsprechung hat den Ansatz Schmidt-Rimplers aufgegriffen, vgl. etwa BVerfGE 81, 242, 254; BVerfG NJW 2006, 596, 598 m.w.N.; BGHZ 101, 350. 52 Der Begriff wurde geprägt von M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 74, 81 f.; Soergel / M. Wolf, vor § 145 Rn. 29. In der Sache ähnlich Canaris, Iustitia distributiva, S. 49 (kritisch aber zur Aussagekraft dieses Begriffs, da die meisten Verträge nicht frei ausgehandelt sind); Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 460 ff.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 51 ff.; PWW/ Brinkmann, Vor § 145 Rn. 12. 53 Schmidt-Rimpler geht in seinem oft zitierten Aufsatz gleichwohl nicht davon aus, dass der Vertrag die Verwirklichung der Privatautonomie darstellt (AcP 147 [1941], 130, 159). Hintergrund der Abhandlung war die Erneuerung des Vertragsrechts im Rahmen der Arbeiten zum NS-„Volksgesetzbuch“. Die „Richtigkeit“ der privatrechtlichen Vereinbarung wird darin verstanden nicht als Ergebnis privatautonomer Gestaltungsmacht, sondern als „Gerechtigkeit“ sowie „die von der Gemeinschaft gesehene Zweckmäßigkeit“ (AcP 147 [1941], 130, 132). Das Risiko der Unrichtigkeit der Vereinbarung ist nach Schmidt-Rimpler in Kauf zu nehmen, da als Alternative nur eine hoheitliche Gestaltung bleibe, die durchweg nachteiliger sei (AcP 147 [1941], 130, 165 ff.). Später hat Schmidt-Rimpler (in: FS Raiser, S. 3, 15) diesen Ansatz dahin präzisiert, dass mit dem Begriff der „Richtigkeit“ nicht nur der Vertragsmechanismus als solcher erfasst ist, sondern auch die subjektiven Wertungen der Parteien. Vgl. zur Bedeutung der Lehre Schmidt-Rimplers auch (kritisch) Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 9 ff.; Auer, Materialisierung, S. 36 ff. 54 Dezidiert Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 6 (S. 7 f.). 55 So Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 5 (S. 6). Ebenso im Grundsatz auch Canaris, Iustitia distributiva, S. 44 ff.; Staudinger / Singer (2004), vor §§ 116–144 Rn. 10. Der Ursprung dieser Parömie ist freilich wohl kein primär juristischer. „Hoc volo, sic iubeo, stat pro ratione voluntas“, heißt es in einer Schrift des römischen Satirikers Iuvenal (Satiren VI, 223). Mit diesen Worten fordert eine Frau von ihrem Mann die sofortige Hinrichtung eines Sklaven, ohne dessen
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Diese rein formale Sichtweise mag als Ausgangspunkt ihre Berechtigung haben. Sie kann jedoch nicht hinreichend erklären, warum vor allem im Vertragsrecht immer mehr Mechanismen geschaffen wurden, die gerade die Überprüfung des Inhalts der vertraglichen Vereinbarung zum Ziel haben, wie etwa die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die Anerkennung von Störungen der Geschäftsgrundlage oder die Ausweitung des Tatbestandes des wucherähnlichen Geschäfts, ein Prozess, der als Materialisierung der Vertragsgerechtigkeit umschrieben wurde.56 Es ist die Aufgabe der Rechtsordnung, dafür zu sorgen, dass der Vertragsbildungsmechanismus so ausgestaltet ist, dass die Selbstbestimmung des Einzelnen nicht nur formal, sondern auch material gewährleistet ist. Man kann insoweit von einem prozeduralen Gerechtigkeitsbild sprechen, wie es auch in dem Satz volenti non fit iniuria zum Ausdruck kommt.57 Diese prozedurale Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung wird gemeinhin mit dem subjektiven Äquivalenzprinzip umschrieben.58 Primär sind damit die Hauptleistungspflichten gemeint, typischerweise also die Leistung der einen Partei und die dafür vereinbarte Gegenleistung. Der Begriff erfasst bei einem weiten Verständnis aber auch die vereinbarten Nebenbedingungen. 59 Das Gesetz trägt dem subjektiven Äquivalenzprinzip in verschiedener Weise Rechnung, indem es das qua Konsens bestehende Gleichgewicht – vorbehaltlich der §§ 134, 138 BGB – nicht nur beim Vertragsschluss respektiert, sondern auch das spätere Schicksal von Leistung und Gegenleistung am Maßstab der anfänglich bestehenden Äquivalenz misst, so etwa bei der Minderung, wo die Gegenleistung in einem Proportionalverfahren entsprechend der mangelbedingten Beeinträchtigung herabzusetzen ist, §§ 441 Abs. 3, 638 Abs. 3 BGB.60 Schuld zu untersuchen. Zur Herkunft dieses Satzes auch Mayer-Maly, in: FS Kramer, S. 21, 26. 56 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 282 ff. 57 Eingehend Canaris, Iustitia distributiva, S. 46 ff.; ders., AcP 200 (2000), 273, 277 ff., 294 (der diesen Satz als „Grundwertung für die prozedurale Sichtweise der Vertragsgerechtigkeit“ bezeichnet); Staudinger / Singer (2004), vor §§ 116–144 Rn. 11 m.w.N. Zu den verschiedenen Aspekten dieses Satzes Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 11 ff., 63 ff. Zur Antinomie von Vertragsfreiheit und materialer Gerechtigkeit eingehend Auer, Materialisierung, S. 28 ff. sowie aus italienischer Sicht Alpa, I principi generali, S. 442 ff.; Breccia, Riv. crit. dir. civ. 2001, 161. 58 Ein Vertrag soll nach dem Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit im Idealfall zu einem Ergebnis führen, das den Interessen der Vertragsparteien gleichermaßen gerecht wird, vgl. Staudinger / Olzen (2009), Einl. zum SchuldR Rn. 66. Zur Entwicklung des Äquivalenzgedankens Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 295 f., 482, 520. 59 Soergel /M. Wolf, vor § 145 Rn. 25; Härle, Die Äquivalenzstörung, S. 9 ff. (der jedoch selbst nur den engen Äquivalenzbegriff verwendet). 60 Man kann hier vom Prinzip der Äquivalenzwahrung sprechen, so Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3; ebenso Härle, Die Äquivalenzstörung, S. 55 ff. Das subjektive Äquivalenzprinzip ist auch in der Rechtsprechung anerkannt: BGHZ 114, 193, 197; RGZ 127, 245, 249 (zu frustrierten Aufwendungen und Rentabilitätsvermutung).
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Bei nachträglicher und fundamentaler Veränderung vertragswesentlicher Umstände fordert das Äquivalenzprinzip ebenfalls eine Reaktion: Hier sieht § 313 Abs. 1 BGB kein Proportionalverfahren, sondern eine je nach den Umständen unterschiedliche Vertragsanpassung vor.61 Hingegen ist das objektive Äquivalenzprinzip berührt, wenn die Rechtsordnung Vorgaben zur Bestimmung einer angemessenen Gegenleistung macht, ohne hierbei auf den Parteiwillen Rücksicht zu nehmen.62 In diese Richtung scheint in der Rechtsprechung eine gewisse Tendenz zu gehen, die sich etwa an der Auslegung des wucherischen und wucherähnlichen Geschäfts in § 138 BGB zeigt.63 Um den Bogen zu der hier verfolgten Fragestellung zu schlagen: Man kann sagen, dass das, was die Parteien vereinbaren, ihren Verhältnissen entspricht und damit „verhältnismäßig“ ist. Hierfür spricht wenigstens eine Vermutung. Über die „Richtigkeit“ der vertraglichen Vereinbarung wird zunächst keine Aussage getroffen. Gleichzeitig werden damit alle Einschränkungen der Vertragsfreiheit unter dem Gesichtspunkt der Unverhältnismäßigkeit rechtfertigungsbedürftig.64
III. Aufrechterhaltung der vertraglichen Bindung Der Grundsatz der Vertragsbindung hat auch eine zeitliche Komponente: Aus ihm folgt, dass die Verletzung vertraglicher Pflichten oder veränderte Umstände alleine den Vertrag und die daraus resultierende Verpflichtung nicht insgesamt hinfällig werden lassen. Nur ausnahmsweise führen solche Pflichtverletzungen oder Umstandsänderungen zu einer Aufhebung des Vertrags. Zentral ist im deutschen Recht das Erfordernis der Nachfristsetzung (§ 323 Abs. 1 BGB65): Ein Rücktrittsrecht ist nicht schon durch die Pflichtverletzung eröffnet, der Gläubiger muss dem Schuldner eine „zweite Chance“ zur Vertragserfüllung einräumen. Auch der Rücktritt steht wiederum unter dem Vorbehalt, dass die Pflichtverletzung nicht von geringfügiger Natur ist; in solchen „Bagatellfällen“ stehen dem Gläubiger nur das Minderungsrecht und mögliche Schadensersatzansprüche zu. Treten Störungen der Geschäftsgrundlage auf, so steht die Anpassung des Vertrags vor der Auflösung. Die Aufrechterhaltung der Ver61
Näher unten § 14 (S. 254 ff.). Vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 283. 63 Dazu näher § 5 (S. 43 ff.). Zu dieser „oggettivazione dello scambio“ aus italienischer Sicht Volpe, La giustizia contrattuale, S. 228 und öfter. 64 Zu den Implikationen dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses näher unten § 18 III (S. 336 ff.). 65 Das selbe gilt auch für den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung, § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB. 62
§ 2. Grundlagen des vertraglichen Interessenausgleichs
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tragsbindung scheint damit die von der Rechtsordnung bevorzugte Lösung bei wie auch immer gearteten Abweichungen der tatsächlich erbrachten von der vertraglich geschuldeten Leistung oder einer Änderung der tatsächlichen Umstände zu sein; man kann von einer Maxime des schonendsten Eingriffs in den Vertrag oder vom Grundsatz der Vertragserhaltung sprechen.66 Dieser Gedanke liegt anderen Rechtsordnungen ebenfalls zugrunde, insbesondere auch dem Common Law. Zwar ist es richtig, dass die Einklagbarkeit der geschuldeten Leistung in Natur (specific performance) dort die Ausnahme ist. 67 Gleichwohl bindet eine vertragliche Abrede die Parteien,68 nur ist deren Inhalt im Grundsatz in natura nicht einklagbar, so dass regelmäßig nur Schadensersatz geleistet werden muss. 69
Eine besondere Bedeutung kommt der Aufrechterhaltung von Vertragspflichten naturgemäß bei Langzeitverträgen im Vergleich zu solchen Rechtsgeschäften zu, bei denen die Leistungen sofort ausgetauscht werden. Paradigmatisch lässt § 626 Abs. 1 BGB beim Dienstvertrag die fristlose Kündigung nur dann zu, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Dieser ist nach § 626 Abs. 1 Satz 2 BGB dann gegeben, wenn dem Kündigenden die weitere Vertragsdurchführung nicht zugemutet werden kann. Wann dies der Fall ist, sagt das Gesetz nicht; vielmehr hat der Rechtsanwender eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen, in der auch die Interessen beider Parteien mit zu berücksichtigen sind. Diesen Gedanken hat der Gesetzgeber mit dem durch die Schuldrechtsreform neu eingeführten § 314 BGB verallgemeinert und auf sämtliche Dauerschuldverhältnisse übertragen. Damit hat die Reform einen bereits zuvor anerkannten allgemeinen Grundsatz kodifiziert, dass jedes Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, wenn die Fortsetzung unzumutbar ist.70 Diesem Vorrang der Vertragserhaltung kommt maßgebliche Bedeutung zu als Leitprinzip bei der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmenden Abwägung.71
66 Dazu S. Lorenz, in: FS Wolfsteiner, S. 121, 122, 135 f.; Unberath, Vertragsverletzung, S. 243 ff. (der allerdings zur Rechtfertigung nicht den Grundsatz der Vertragsbindung heranzieht, sondern allein den praktischen Gesichtspunkt der Vermeidung von unnötigen Transaktionskosten); vgl. weiter Köhler, in: FS BGH, S. 295, 307 (in Bezug auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage); Macario, Revisione del contratto, bei Fn. 57 ff.; ders., Riv. dir. civ., 2002, I, 63, 71; Volpe, La giustizia contrattuale, S. 195 mit Fn. 351. Eingehend zur Legitimation der Vertragsbindung Weller, Vertragstreue, S. 277 ff. 67 Näher dazu unten § 12 I. 4. c) (S. 214 ff.). 68 Dazu näher unten § 3 III. 1. (S. 26). 69 Schlagwortartig könnte man sagen: „Perform or pay for not performing.“ Instruktiv dazu Kötz, Vertragsrecht, Rn. 755. 70 Vgl. etwa BGHZ 41, 104, 108; BGHZ 133, 316, 319. 71 Zur Struktur der Abwägung unten § 19 (S. 347 ff.)
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
§ 3. Problemstellung und Eingrenzung des Themas Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit soll in dieser Arbeit untersucht werden als Mittel zur Begrenzung vertraglicher Rechte und Pflichten, als ein Instrument, das eine vertragsautonome Korrektur im Falle von Störungen des vermuteten Gleichgewichts (welcher Art auch immer) bereithält: Nicht die guten Sitten oder gesetzliche Verbote als externe Maßstäbe, sondern das, was die Parteien im Vertrag selbst als verbindlich festgelegt haben, dient als Maßstab für eine Einschränkung von Rechten und Pflichten.
I. Unterschiedliche Verständnismöglichkeiten der Verhältnismäßigkeit 1. Allgemeine sprachliche Verwendung Eine Annäherung an den Begriff der Verhältnismäßigkeit kann zunächst an dessen allgemeiner sprachlicher Verwendung ansetzen. Das Deutsche Universalwörterbuch führt hierfür die Synonyme „Angemessenheit“ und „Entsprechung“ an. Für das Adjektiv „verhältnismäßig“ werden wiederum zwei Bedeutungen unterschieden: „einem bestimmten Verhältnis angemessen oder entsprechend“ sowie „verglichen mit oder gemessen an etwas anderem, relativ“.72 Die erste Bedeutung des Adjektivs „verhältnismäßig“ beschreibt, wie eine Größe durch Anwendung eines bestimmten Faktors verändert wird, so kann etwa ein Gewinn verhältnismäßig aufgeteilt werden. Dieser Faktor ist extern vorgegeben, er bestimmt sich etwa nach den Beiträgen, die zur Erzielung des Gewinns geleistet wurden. Das BGB kennt etliche solcher Verknüpfungen: So ist etwa im Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Rahmen der Auseinandersetzung ein verbleibender Überschuss „nach dem Verhältnis ihrer Anteile am Gewinne“ auf die Gesellschafter zu verteilen (§ 734 BGB). Die zweite Bedeutung impliziert demgegenüber mehr als eine bloße Rechenoperation. Sie beschreibt die Verknüpfung zweier Faktoren, sie dient als Umschreibung dafür, wie sich der eine zum anderen verhält, ob der eine im Vergleich zum anderen ein Mehr oder ein Weniger darstellt. Dabei bleibt im sprachlichen Gebrauch der Vergleichsmaßstab meist offen, so etwa bei der Aussage: „Das Thema ist verhältnismäßig anspruchsvoll“. Mit diesem Satz ist keine Aussage darüber getroffen, im Verhältnis zu welchem anderen Thema das gewählte anspruchsvoll ist; man wird unterstellen, dass als Bezugsgröße stets eine durchschnittliche angenommen wird bezogen auf den Bereich, über den die Aussage gemacht wird. Im Unterschied dazu impliziert die Aussage: „Das Thema ist 72
Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. 2006.
§ 3. Problemstellung und Eingrenzung des Themas
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sehr anspruchsvoll“ keinen Vergleich mit anderen Größen, sondern eine absolute Einordnung des Schwierigkeitsgrades. Wenn also der Begriff der Verhältnismäßigkeit dazu dient, zwei Größen zueinander in Bezug zu setzen und zu vergleichen, und damit ein quantitatives Element hat, so wohnt diesem Vergleich gleichzeitig auch eine qualitative Dimension inne. Auch wenn sich die beiden Größen quantifizieren lassen, etwa bei der Aussage: „Die Ausstellung war verhältnismäßig gut besucht“, so reicht die bloße Angabe der Besucherzahl nicht aus, um die Aussage anschaulich werden zu lassen. Erforderlich ist dazu zusätzlich eine wertende Einbeziehung anderer Faktoren, etwa der Größe und Bekanntheit des Museums, der Art und Dauer der Ausstellung oder der Zuschauerzahlen in früheren Ausstellungen oder anderen Museen. Gleichzeitig kann auch eine Aussage darüber getroffen werden, ob der Aufwand, der zur Organisation der Ausstellung betrieben wurde (Leihgebühren, Werbung, Vernissage, Personal etc.), durch die Besucherzahl gerechtfertigt war.
2. Verwendung im philosophischen Kontext In einem etwas weiteren Kontext wird der Begriff der Verhältnismäßigkeit in der Philosophie verwendet. In der Tugendlehre von Aristoteles, die das gerechte und richtige Verhalten zum Ziel hat, taucht die Forderung nach der Mäßigung im Tun als ethische Maxime auf.73 Klugheit setzt nach Aristoteles Verhältnismäßigkeit der Mittel zur Erreichung eines Zwecks voraus. Die Klugheitsentscheidung hat drei Komponenten: Welches Ziel ist erreichbar? Welche Mittel sind dafür notwendig? Welches Verhältnis besteht zwischen Zweck und Mittel?74 Maßstab ist hier der durchschnittliche Ertrag, den eine solche Maßnahme typischerweise zu erbringen imstande ist; je weiter weg der konkrete Ertrag ist, desto eher ist die Maßnahme unverhältnismäßig und damit unklug. So stellt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit menschliches Handeln in ethischer Hinsicht unter den Vorbehalt der Angemessenheit, er verkörpert ganz allgemein die Idee vom rechten Maß.75 Im Gedanken der Verhältnismäßigkeit steckt auch die allgemeine Forderung der Vernunft einer Mäßigung im Sinne eines „nichts zu sehr“. Dies zeigt sich etwa auch bei der Forderung nach maßvoller Vergeltung im Neuen Testament, die in der Bergpredigt im Gebot der
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Dazu ausführlicher unten § 21 I. (S. 358 ff.). Von der Klugheit (phronêsis) handelt das VI. Buch der Nikomachischen Ethik des Aristoteles. Zur Klugheitsentscheidung in Bezug auf die ärztliche Gewissensentscheidung beim Behandlungsabbruch Prat, Imago Hominis (1999), 11. 75 So etwa Larenz, Methodenlehre, S. 423 f.; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 48. Näher dazu unten § 21 I. (S. 358 ff.). 74
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
Nächstenliebe zum Ausdruck kommt,76 und die eine deutliche Abkehr vom alttestamentarischen Talionsprinzip bedeutet.77
3. Die juristischen Wirkungsbereiche Im juristischen Gebrauch kann bei Betrachtung der Entwicklung im vergangenen Jahrhundert von der Dominanz einer öffentlich-rechtlichen Dogmatik der Verhältnismäßigkeit gesprochen werden. Im Privatrecht hat sich demgegenüber noch keine allgemein akzeptierte Struktur der Verhältnismäßigkeit herausgebildet. In Nebengebieten wie dem Arbeitsrecht oder dem Gesellschaftsrecht wird vielfach die Verhältnismäßigkeit mit ihren aus dem öffentlichen Recht bekannten Teilgrundsätzen zur Kontrolle von rechtlich erheblichen Handlungen herangezogen. Im Kernbereich des Privatrechts hingegen sind es vielmehr Regeln des positiven Rechts, die auf eine Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit schließen lassen. a) Öffentliches Recht Als Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird im öffentlichen Recht gemeinhin die Trias von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bezeichnet.78 Dabei kann man aufgrund ihrer Struktur die (Teil-) Grundsätze der Geeignetheit und Erforderlichkeit als Ultima-ratio-Prinzip zusammenfassen und diese der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gegenüberstellen, die auch als Angemessenheit bezeichnet wird. Das Bundesverfassungsgericht prüft alle Teilgrundsätze regelmäßig gemeinsam, es geht dabei in der genannten Reihenfolge vor, so dass eine gestufte Prüfung vorgenommen wird: Ist das Mittel ungeeignet zur Erreichung des damit verfolgten Zwecks, so ist die Maßnahme bereits aus diesem Grunde unverhältnismäßig, ohne dass die Fragen der Erforderlichkeit oder der Angemessenheit noch eine Rolle spielen würden. Die Teilgrundsätze der Geeignetheit und der Erforderlichkeit fungieren dabei als „scharfe Entscheidungsregeln“,79 denn ein Mittel ist entweder geeignet zur Erreichung eines Zwecks oder nicht; eine Maßnahme ist erforderlich für diesen Zweck oder es steht ein milderes Mittel zur Verfügung: Mit einer Geeignetheits- und einer Erforderlichkeitsprüfung lassen sich konkrete Ergebnisse erzielen. Die Angemessenheit impliziert demgegenüber einen Beurteilungsspielraum des Rechtsanwenders; sie dient als Korrektiv für die recht gro-
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Matthäus 5, 38–42. 3. Mose 24, 17–21. 78 Zur Diskussion, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Völkerrecht Anwendung findet, jüngst (befürwortend) Vranes, AVR 47 (2009), 1. 79 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 148. 77
§ 3. Problemstellung und Eingrenzung des Themas
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ben Filter der Geeignetheit und der Erforderlichkeit. In der Rechtspraxis liegt der Schwerpunkt regelmäßig auf der Angemessenheitsprüfung. In der historischen Entwicklung war zunächst der Grundsatz der Erforderlichkeit einziger Bestandteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung, ehe nach dem 2. Weltkrieg unter dem Einfluss der wieder aufkommenden Naturrechtslehre die Angemessenheitsprüfung als zusätzliches Korrektiv hinzukam.80 Ihren Ursprung hat die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Polizeirecht, sie fand auch im Bereich des Verwaltungszwangs Anwendung. Die heutige Terminologie hat sich insbesondere in Auseinandersetzung mit der grundlegenden Arbeit von Lerche aus dem Jahr 1961 herausgebildet. 81 Während der gesamten Entwicklung wurde stets der Oberbegriff der Verhältnismäßigkeit verwendet, ohne jedoch zu kennzeichnen, dass zunächst nur die Erforderlichkeit darunter verstanden wurde und erst später die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.82 b) Anwendung im Arbeits- und Gesellschaftsrecht Im Unterschied zum öffentlichen Recht ist das Privatrecht von einer formalen Gleichordnung der Rechtssubjekte gekennzeichnet. Im Bereich des Privatrechts wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von der Rechtsprechung insbesondere im Arbeits- und im Gesellschaftsrecht zur Anwendung gebracht. Dies gilt für das Individualarbeitsrecht und dort insbesondere für den Kündigungsschutz, wo das BAG die außerordentliche Kündigung nur nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit zulässt.83 Es gilt in noch höherem Maße für das kollektive Arbeitsrecht, wo das Recht des Arbeitskampfes nach der Rechtsprechung des BAG vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beherrscht wird,84 wo Betriebsvereinbarungen85 und Tarifverträge86 der Verhältnismäßigkeitskontrolle standhalten müssen und wo im Betriebsverfassungsrecht auf der Grundlage der §§ 37 Abs. 2, Abs. 6 Satz 1, 40 Abs. 2 BetrVG eine allgemeine Geltung des Postulats 80
Näher unten § 17 II. 1. (S. 291 f.). Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 19 ff. Abweichend von der inzwischen gefestigten Terminologie fasst Lerche die Teilgrundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne als „Übermaßverbot“ zusammen und sieht den Grundsatz der Geeignetheit nicht als eigenständigen Teilgrundsatz. 82 Kritisch dazu Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 17. 83 BAGE 30, 309. Dazu auch Greiner, RdA 2007, 22 (Störungen des Äquivalenzinteresses als Kündigungsgrund). 84 St. Rspr. seit BAG (GrS) BAGE 23, 292 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Siehe zur Entscheidung etwa Groggert, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen Arbeitskampfrecht, S. 3 ff., 54 ff. m.w.N.; Auffermann, Verhältnismäßigkeit, S. 154 ff.; Reuter, in: FS Böhm, S. 521, 522. Allgemein zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips beim Kündigungsschutz MünchHdb. ArbR I / Wank, § 98 Rn. 120 f.; Schaub / Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, § 130 Rn. 31; Brox / Rüthers / Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 540. 85 BAGE 83, 293, 300. 86 BAGE 63, 100, 110. 81
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
der Verhältnismäßigkeit für die Kostenerstattungspflicht des Arbeitgebers nach § 40 Abs. 1 BetrVG angenommen wird.87 Im Gesellschaftsrecht dient der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 88 etwa zur Kontrolle von Ausschlüssen aus Gesellschaften und Vereinen89 oder zur Überprüfung des Entzugs der Geschäftsführungsbefugnis;90 auch Beschlüsse über die Herbeiführung eines Bezugsrechtsausschlusses stehen unter dem Postulat der Verhältnismäßigkeit.91 Im Konzernrecht wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Schutz des abhängigen Unternehmens bzw. der Minderheitsgesellschafter herangezogen.92 c) Verhältnismäßigkeit im Kernbereich des Privatrechts Anknüpfungspunkt für eine Analyse der Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in dem in dieser Arbeit allein untersuchten allgemeinen Privatrecht ist zunächst das positive Recht. Im BGB findet der Gedanke der Verhältnismäßigkeit vielfach Ausprägungen. Dies gilt zunächst für den Allgemeinen Teil, wo der Wucher in § 138 Abs. 2 BGB an ein „auffälliges Missverhältnis“ zwischen Leistung und Gegenleistung anknüpft. Die zivilrechtliche Notwehr (§ 227 BGB) und der Notstand (§§ 228, 904 BGB) setzen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Rechtmäßigkeit der Handlung voraus. Auch im Schuldrecht taucht die Verhältnismäßigkeitskontrolle an zahlreichen Stellen auf, beispielhaft seien hier nur einige Bestimmungen genannt, etwa § 251 Abs. 2 BGB aus dem Schadensrecht, die §§ 275 Abs. 2 und 3, 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB und die §§ 343 BGB, 655 BGB aus dem Vertragsrecht; anzuführen sind weiter etwa § 948 Abs. 2 BGB aus dem Sachenrecht und §§ 2170, 2356 Abs. 1 Satz 2 BGB aus dem Erbrecht.
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BAGE 69, 214, 226. Oft wird vom Ultima-ratio-Prinzip gesprochen, vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 35 IV 2 (S. 1061); Grunewald, Gesellschaftsrecht, 2.F Rn. 173 ff. (S. 411); MünchHdb. GesR III / Kort, § 29 Rn. 32 ff; Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, § 5 I 3 c aa (S. 405). 89 BGHZ 6, 113, 117 (zur Personengesellschaft); BGHZ 16, 317, 322 (zur GmbH); vgl. dazu grundlegend Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, S. 48 f.; Stubbe, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, S. 98 ff., 125 ff. 90 BGHZ 51, 198, 203. 91 BGHZ 71, 40, 46; BGHZ 120, 141, 146 f.; BGHZ 125, 239, 244 ff. Dazu (teils kritisch) Tettinger, Materielle Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluß, S. 22 ff., 93 ff., 106 ff. 92 Vgl. etwa BGHZ 80, 69, 74 (Befreiung von gesellschaftsrechtlichem Wettbewerbsverbot). 88
§ 3. Problemstellung und Eingrenzung des Themas
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II. Besonderheiten des Schuldvertragsrechts 1. Vertragliche Zweierbeziehung Charakteristisch für das Schuldvertragsrecht ist die durch den Vertrag bewirkte Zweierbeziehung, die Rechte und Pflichten für das Verhältnis zwischen den Parteien enthält. In diesem Rahmen bestehen grundsätzlich keine einseitigen Eingriffsmöglichkeiten wie im öffentlichen Recht, es sei denn, der Betroffene hat dies vertraglich dem anderen Teil zugestanden oder solche Befugnisse sind im Gesetz vorgegeben. Die vertragliche Bindung bedeutet wechselseitigen Verzicht auf Freiheit.93 a) Erfordernis einer Zweck-Mittel-Relation? Sieht man den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im beschriebenen Sinne94 als eine allgemeine Handlungsmaxime, so operiert er als Bindeglied zwischen dem Zweck, den menschliches Handeln hat, und dem zur Erreichung des Zwecks verwendeten Mittel.95 In diesem Sinne setzt der Grundsatz also Entscheidungsalternativen voraus. Allerdings beschränkt er sich nicht notwendigerweise auf Zweck-Mittel-Relationen. Gerade im Bereich des Vertragsrechts ist eine strikte Zweckbetrachtung im Gegensatz zum öffentlichen Recht nicht zwingend:96 Privatrechtssubjekte können auch zweckfrei handeln, ja es ist gerade ein Charakteristikum der Privatautonomie, dass dem Individuum die Freiheit zugestanden wird, zu handeln, ohne dabei einen konkreten Zweck zu verfolgen – zumindest sind die Zwecke rechtlichen Handelns aus Sicht der Rechtsordnung regelmäßig irrelevant. Gleichwohl bestehen Einschränkungen, die Zweckbetrachtungen auch im Vertragsrecht erforderlich werden lassen. Vertragsrelevante Handlungen einer Vertragspartei sind stets im Lichte der vertraglichen Abrede und dem Zweck, der mit dem Vertrag verfolgt wird, zu sehen. Dies zeigt sich etwa bei der Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen, wo § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB die Gefährdung des Vertragszwecks als Maßstab für die Anstößigkeit einer Klausel nennt. Die Ausübung von vertraglichen Rechten steht unter dem Schikaneverbot des § 226 BGB, allgemeiner noch unter dem Verbot des Rechtsmissbrauchs: Hier wird die Verfolgung eines vertragsfremden Zwecks, nämlich die Schädi-
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In diesem Sinne etwa BVerfGE 103, 89, 100. Siehe oben I. 2. (S. 13 f.). 95 Dazu auch Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 43 ff.; ähnlich aus völkerrechtlicher Sicht Vranes, AVR 47 (2009), 1, 14 f., 20 ff. 96 Vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 159 ff. Für eine Begrenzung auf Zweck-MittelRelationen aus Sicht des Staatsrechts Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht, S. 60. 94
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gung eines anderen, zum Anlass genommen, die Ausübung des Rechts zu verbieten.97 Betrachtet man die verschiedenen Teilgrundsätze der Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne), so setzen nur die Postulate der Geeignetheit und der Erforderlichkeit zwingend eine Zweck-Mittel-Relation voraus: Hier ist dem Rechtsanwender ein konkreter Zweck vorzugeben, weil nur so beurteilt werden kann, ob dieser mit dem angestrebten Mittel erreicht werden kann und ob hierzu ein milderes Mittel existiert.98 Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne oder Angemessenheit einer Handlung hingegen wird nicht zwingend ein konkreter Zweck benötigt, vielmehr ist lediglich irgendeine relevante Vergleichsgröße heranzuziehen, zu der die Handlung in Bezug gesetzt wird, um die Verhältnismäßigkeit festzustellen. So ist die Notwehrhandlung nur dann nicht widerrechtlich, wenn sie erforderlich ist, um einen Angriff abzuwehren (§ 228 Abs. 2 BGB): Die Verteidigung ist dabei das Mittel, das den Zweck verfolgt, den Angriff abzuwehren. Steht ein milderes Mittel zur Verfügung, das den Angriff ebenso effektiv beendet, so war das verwendete nicht erforderlich und die Verteidigung damit widerrechtlich. Hingegen ist es im Rahmen von § 275 Abs. 2 BGB unerheblich, welchen Zweck der Gläubiger mit der Geltendmachung des Anspruchs verfolgt; ein „milderes Mittel“ besteht hier ohnehin nicht. Vielmehr sieht das Gesetz für die Verhältnismäßigkeitskontrolle eine Beachtung des Inhalts des betreffenden Schuldverhältnisses, des Grundsatzes von Treu und Glauben und einer möglichen Verantwortung des Schuldners für sein Nichtleisten vor und gibt dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn der von ihm zu betreibende Aufwand in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht.99 Allenfalls die Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses weist eine Nähe zum Vertragszweck auf, die anderen Elemente nicht.100 b) Beschränkung auf konkrete vertragliche Beziehungen Die Themenstellung fordert eine weitere Präzisierung: Verhältnismäßiger Interessenausgleich kann auch so verstanden werden, dass die Ausgewogenheit eines ganzen Normenkomplexes betrachtet wird, wie etwa das Recht des Handelsvertreters oder die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Unter diesem Blickwinkel kann jede Norm des Privatrechts insoweit als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gesehen werden, als sie dazu beiträgt, die widerstreitenden Interessen der Privatrechtssubjekte zu einem
97 98 99 100
Näher unten § 22 II. 3. c) (S. 408 f.). Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 45 ff. Näher unten § 18 I. 1. (S. 319 ff.). Näher dazu unten § 12 I. 1. (S. 167 ff.). Dazu näher unten § 18 I. (S. 318 ff.).
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sinnvollen Ausgleich zu bringen und Risiken angemessen zu verteilen.101 Ein solcher Ansatz hat aufgrund seines Abstraktionsniveaus den Nachteil, dass er wenig zu einer Präzisierung und höheren Operationalisierbarkeit des Konzepts der Verhältnismäßigkeit für den Bereich des Privatrechts beizutragen vermag.102 Gerade dies ist ein Desiderat, das angesichts der eingangs geäußerten Vorbehalte gegen die Verhältnismäßigkeit vorrangig zu verfolgen ist.103 Die Arbeit betrachtet daher vorrangig konkrete Vertragsverhältnisse; sie geht der Frage nach, welche Einwirkung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in gesetzlich geregelter oder außergesetzlicher Form auf das Schicksal eines Vertrags besitzt. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass zum besseren Verständnis einer Norm auch die Einbeziehung von deren Regelungskontext erforderlich wird.
2. „Übertragung“ öffentlich-rechtlicher Strukturen? Angesichts der strukturell anders gelagerten Regelungsziele von öffentlichem Recht und Privatrecht wird bereits an dieser Stelle deutlich, dass eine schlichte Übertragung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne mit der Trias von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne aus dem öffentlichen Recht auf privatrechtliche Konfliktlagen nicht unproblematisch wäre. Eine solche Vorgehensweise hätte immerhin den Vorteil, auf vorhandene Strukturen zurückgreifen zu können. Es wird zu klären sein, ob eine solche Übertragbarkeit im Ansatz möglich und sinnvoll ist. a) Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns Zur Dominanz des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne) im Bereich des öffentlichen Rechts wurde bereits Stellung genommen. Es wurde dargelegt, dass die Teilgrundsätze der Geeignetheit und der Erforderlichkeit einerseits sowie der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne andererseits voneinander unabhängig sind und selbständige Geltung beanspruchen. Ihre Verklammerung zu einem weiten Verhältnismäßigkeitsbegriff ergibt nur dort Sinn, wo 101 In diese Richtung Medicus, AcP 192 (1992), 35, 37; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 275; ders., in: FS Dieterich, S. 429, 433. 102 Vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 193 („Allgemeine Wendungen von der Art, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, er beherrsche das gesamte Arbeitsrecht oder er gelte auch im Zivilrecht, sind hingegen … unergiebig, weil zu weit.“); ähnlich Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 125 ff. (allerdings in Bezug auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.w.S.). 103 Ähnlich Stern, Handbuch des Staatsrechts, Band III / 2, § 84 I 5 a (S. 775); ders., in: FS Lerche, S. 165, 175, der die mangelnde Unterscheidung der Frage der Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von seinem Anwendungsbereich als wesentliche Ursache für seine Diskreditierung identifiziert. Ebenso Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 55.
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zweckfinales Handeln beurteilt werden soll, denn nur dort kann die Geeignetheit und Erforderlichkeit eines Mittels zur Erreichung eines Zwecks eine Rolle spielen. Staatliches Handeln ist stets am Gemeinwohl ausgerichtet.104 Insofern dient der so verstandene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Recht vereinfacht ausgedrückt als Instrument der Kontrolle und Begrenzung staatlichen Handelns bei Eingriffen in die Rechte der Bürger und ist als solcher ein Zentralbegriff freiheitlichen Denkens.105 Diese Kontrolle staatlichen Handelns trägt ihre Rechtfertigung in dem Über-Unterordnungsverhältnis, das für das Verhältnis von Staat und Bürger charakteristisch ist. Der Staat kann im Verhältnis zum Bürger einseitig mit Zwang tätig werden, er kann politische Ziele auch gegen den Widerstand einzelner durchsetzen, er ist legitimiert durch demokratische Wahlen. Bereits hier wird deutlich, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht eine andere Wirkrichtung hat, da es nicht um das Verhältnis StaatBürger geht.106 Inwieweit der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den Privatrechtsgesetzgeber zu einer bestimmten Ausgestaltung von Normen verpflichten kann, ist eine umstrittene Frage. Sie ist der hier interessierenden Problematik vorgelagert.107 Es ist daher bereits im Kern zweifelhaft, ob „der“ Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne) vom öffentlichen Recht auf das Privatrecht „transformiert“108 werden kann und dies als Rechtsfortbildung einer besonderen Begründung bedürfte.109 Die vorliegende Untersuchung unterscheidet sich davon durch die Hypothese, dass der (noch näher zu definierende) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kein Spezifikum des öffentlichen Rechts ist, sondern vielmehr einen allgemeinen Satz juristischen Denkens enthält, der im Privatrecht notwendig andere Ausprägungen erhalten hat als im öffentlichen Recht. 104
Vgl. BVerfGE 42, 312, 331 f.; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 333 ff.; Bleckmann, JuS 1994, 177, 181. Zur Entwicklung der Bindung des staatlichen Handelns an die Staatszwecke als Beschränkung der Machtausübung (und damit als Bestandteil des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit) seit dem 18. Jahrhundert Remmert, Grundlagen des Übermaßverbotes, S. 21 ff., 60 ff., 101 ff. und öfter. 105 Gleichwohl ist dieser Grundsatz nicht in allen Rechtsordnungen allgemein als Schranke staatlicher Handlungsbefugnis anerkannt. Vgl. dazu etwa die Referate bei Kutscher e.a., Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen. 106 Vgl. nur Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 108 ff., 471. Anders der Ansatz von H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, der davon ausgeht, dass die Abwehrfunktion der Grundrechte bei jedem Vertrag potentiell zum Tragen kommt. Dazu näher unten § 17 IV. (S. 311 ff.). 107 Näher unten § 17 III. 2. (S. 298 ff.). 108 So aber der Ansatz von Bieder, Verhältnismäßigkeit, der zunächst davon ausgeht, dass es der öffentlich-rechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist, der auch im Privatrecht angewendet werden soll, um diese Prämisse dann als nicht gerechtfertigt zu entlarven. Näher dazu unten § 17 I. (S. 288 ff.). 109 Vgl. auch die Skepsis von Remien, Stichwort „Verhältnismäßigkeit“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band II, S. 1632.
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b) „Strukturelles Ungleichgewicht“ als Auslöser der Verhältnismäßigkeitskontrolle? Wollte man dennoch eine Übertragbarkeit der öffentlich-rechtlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit auf das Privatrecht erörtern, so läge es nahe, hier ebenfalls nach Über-Unterordnungsverhältnissen zu suchen, um auf diese Weise eine vergleichbare Ausgangslage zum Verhältnis Staat-Bürger zu schaffen. Läge ein solches Subordinationsverhältnis vor, so müssten die Handlungen des „stärkeren“ Vertragspartners geeignet, erforderlich und verhältnismäßig zur Erreichung des verfolgten Ziels sein. Eine Basis für solche Überlegungen könnte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum „strukturellen Ungleichgewicht“ bieten.110 In der Tat scheint darin eine intuitiv ansprechende Legitimationsgrundlage für eine Übertragung der aus dem öffentlichen Recht bekannten Verhältnismäßigkeitskontrolle zu liegen.111 Bei näherem Hinsehen erweist sich der Gedanke gleichwohl als problematisch.112 Auch wenn der Gesetzgeber die rechtstatsächlich vielfach bestehenden, aber normativ nur schwer fassbaren Ungleichgewichtslagen zum Anlass für legislative Tätigkeit genommen hat – dies zeigt sich insbesondere im Arbeitsrecht, im Mietrecht oder im Verbraucherrecht –, so kann dies nicht verdecken, dass das Privatrecht im Grundsatz von einer formalen Gleichberechtigung aller Rechtssubjekte ausgeht und gerade nicht an eine besondere Schwächesituation einer Partei anknüpft. Dies belegt auch § 138 Abs. 2 BGB, der zwar eine Ungleichgewichtslage voraussetzt, aber zusätzlich ein Ausnutzen der Schwächesituation des Vertragspartners und überdies ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung fordert. Zudem liegt nicht auf der Hand, warum das (strukturelle) Ungleichgewicht gerade eine Verhältnismäßigkeitskontrolle auslösen soll. Aus der Wertung des § 138 Abs. 2 BGB ergibt sich vielmehr, dass die Rechtsordnung bestimmten Rechtsgeschäften die Geltung insgesamt versagt, wenn ein Machtübergewicht zur einseitigen Durchsetzung von Interessen benutzt wird.113 Dennoch zeigt sich auch rechtsvergleichend, dass das Vorliegen einer Ungleichgewichtslage zwischen Vertragsparteien immer wieder als Ansatzpunkt für eine Kontrolle der rechtsgeschäftlichen Abrede verwendet wird. Hier gilt es, Bezüge zum Verhältnismäßigkeitsprinzip herzustellen.114 110
Besonders deutlich BVerfGE 89, 214; dazu unten § 17 III. 3. c). Zur historischen Entwicklung des Schutzes des „Schwächeren“ im Vertragsrecht Somma, in: New Features in Contract Law, S. 25. 111 In diese Richtung etwa Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 284 ff.; ders., in: FS Dieterich, S. 429, 440 ff., 458; Stubbe, Verhältnismäßigkeit, S. 66; Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit, S. 51 ff.; Auffermann, Verhältnismäßigkeit, S. 89 f., 264. 112 Dazu Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 120 ff.; ablehnend aus Sicht des Arbeitsrechts auch Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 47 ff. (im Ergebnis anders aber S. 118 f.). 113 Näher dazu unten § 17 III. 3. c) (S. 306 ff.). 114 Dazu insbesondere unten § 6 (S. 64 ff.).
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
3. Charakteristika der privatrechtlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle a) Qualitative oder wertende Verhältnismäßigkeit Die Arbeit hat einen qualitativen oder wertenden Verhältnismäßigkeitsbegriff zum Gegenstand. Sie untersucht, an welchen Stellen die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten vom Gesetz in einer wertenden Gegenüberstellung zweier Bezugsgrößen gezogen werden. Dabei soll dargelegt werden, dass die Verwendung des Begriffs „Verhältnis“ unter Einschluss seiner Varianten wie „Missverhältnis“ oder „unverhältnismäßig“ weder notwendige noch hinreichende Bedingung für eine Zuordnung zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung kann etwa auch durch Termini wie „Angemessenheit“ oder auch „Zumutbarkeit“115 ausgelöst werden, sofern dadurch zum Ausdruck kommt, dass der Umfang der rechtlichen Verpflichtung im Rahmen einer Interessenabwägung ermittelt werden muss.116 b) Abgrenzung zur „quantitativen“ Verhältnismäßigkeit Die sprachliche Verwendung des Begriffs der Verhältnismäßigkeit kann auch rein quantitative Gegenüberstellungen erfassen.117 Das aus dem Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts entnommene Beispiel der Verteilung eines verbleibenden Überschusses „nach dem Verhältnis ihrer Anteile am Gewinne“ auf die Gesellschafter (§ 734 BGB), derselbe Verteilungsmechanismus im Rahmen der Erbauseinandersetzung (§ 2047 Abs. 1 BGB) oder das anteilsabhängige Aufkommen der BGB-Gesellschafter für Verluste (§ 735 BGB) lassen sich sämtlich in einer Rechenoperation erledigen, indem das vorhandene Vermögen nach dem feststehenden Schlüssel der Geschäftsanteile oder Erbteile verteilt wird. Gleiches gilt auch für die verhältnismäßige Herabsetzung einer vertraglichen Pflicht wie bei der Minderung (vgl. § 441 Abs. 3 BGB).118 In den genannten Fällen werden jedoch nicht vertragliche Pflichten der einen Seite den Rechten der anderen Seite gegenübergestellt. Eine Abwägung zwi115 Zur Abgrenzung von Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit unten § 18 III. 2. (S. 339 ff.). 116 Näher unten § 19 (S. 347 ff.). 117 Vgl. die Aufzählung bei Metzner, Verbot der Unverhält nismäßigkeit, S. 19 ff., der diese Fälle als solche der „Verhältnismäßigkeit“ bezeichnet (in Unterscheidung zu Fällen der „Unverhältnismäßigkeit“, auf die sich seine Untersuchung beschränkt). 118 Dies soll nicht verdecken, dass auch die Minderung Ausdruck des subjektiven Äquivalenzprinzips und damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verwandt ist. Denn sie hält das vertraglich vereinbarte Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung auch für den Fall aufrecht, dass sich die Leistung der einen Partei als nicht vertragsgemäß herausstellt. Die Minderung zeigt, wie das Gesetz die subjektive Äquivalenz auch nach Vertragsschluss aufrechterhält. Eingehend zum Grundsatz der Äquivalenzwahrung Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3 ff.
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schen verschiedenen Rechtsgütern oder Interessen ist nicht erforderlich, sondern nur eine wertmäßige Taxierung verschiedener Größen, so bei der Minderung die Beeinträchtigung des Werts der Sache durch den Mangel, auf dieser Grundlage erfolgt eine proportionale Herabsetzung des Kaufpreises. Der Hauptunterschied dieser Fälle zum qualitativen Begriff der Verhältnismäßigkeit, wie er dieser Arbeit zugrunde liegt, besteht darin, dass jene keine Güterabwägung erforderlich machen, sondern in einer reinen Rechenoperation erledigt werden können.119
4. Vorläufige Begriffsfestlegung Eine einheitliche Begrifflichkeit hat sich in Bezug auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jedenfalls für den Bereich des Privatrechts nur bedingt herausgebildet.120 Dies mag seinen Grund darin finden, dass gemeinhin „der“ Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit dem in öffentlichen Recht verwendeten Institut gleichgesetzt wird.121 Für das öffentliche Recht hat sich eine Aufgliederung des Grundsatzes des Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne)122 in die Teilgrundsätze der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne oder Angemessenheit verfestigt.123 Auch im privatrechtlichen 119 Ähnliche Abgrenzung bei Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 434 mit Fn. 30; Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 16 Fn. 1; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 138 f. Anders Buß, NJW 1998, 337, 343, der die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Einreden (§ 320 Abs. 2 BGB) und Kündigungen als quantitativ, die übrigen Fälle als qualitativ bezeichnet. Nach der hier vertretenen Auffassung beinhalten die von Buß als quantitativ bezeichneten Fälle allerdings ebenfalls qualitative Elemente, vgl. näher unten § 13 I. (S. 236 ff.). 120 Vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 19 ff., 248 zum gegenwärtigen uneinheitlichen Sprachgebrauch. 121 Mit der Folge, dass zunächst dessen Übertragbarkeit auf das Privatrecht geprüft werden muss. So der bereits erwähnte Ansatz von Bieder, Verhältnismäßigkeit. 122 Die Einführung des Begriffs der „Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne“ als Unterscheidung der eigentlichen Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) geht wohl zurück auf von Krauss, Verhältnismäßigkeit, S. 14 ff., 18. Zur begrifflichen Unklarheit in der Nachkriegszeit unten § 17 II. 1. (S. 291 f.). Als Synonym zur Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne wird auch der Begriff des Übermaßverbotes verwendet, so insbesondere von Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 21 (der die Teilgrundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne als „Übermaßverbot“ zusammenfasst und dabei den Grundsatz der Geeignetheit nicht als Teilgrundsatz sieht) sowie die Rechtsprechung des BVerfG, Nachweise bei Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 571 Fn. 9; in diesem Sinne auch BAGE 33, 140 = NJW 1980, 1642, 1650; Stern, Handbuch des Staatsrechts, Band I, § 20 IV 7 (S. 861); Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 18 f. Grundsätzlich gegen die (aus seiner Sicht missverständliche) Verwendung des Begriffs Übermaß hingegen H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 109 ff. 123 Vgl. etwa BVerfGE 19, 330, 337; BVerfGE 21, 150, 155; BVerfGE 26, 215, 228; BVerfGE 27, 211, 219; BVerfGE 30, 292, 316; Sachs / Sachs, Art. 20 GG Rn. 149; H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 96 ff.; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 2, 15 ff. Für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne werden teilweise auch die Begriffe Zumutbarkeit (etwa in BVerfGE 27, 211,
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Schrifttum lehnt man sich überwiegend an diese Terminologie an.124 Weil eine strenge Zweck-Mittel-Betrachtung wie gezeigt nur im Rahmen der Geeignetheit und der Erforderlichkeit angezeigt ist, und weil privates Tun jedenfalls dann, wenn es im Rahmen eines Vertrags erfolgt, grundsätzlich nicht zweckgebunden ist, erscheint es sinnvoll, der Untersuchung von vornherein nicht einen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne zugrunde zu legen, sondern jeweils auf die einzelnen Teilgrundsätze Bezug zu nehmen.125 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im hier verwendeten Sinne bezeichnet schlicht die Beziehung einer Größe zu einer anderen; er steht mit Arthur Kaufmann für „die Proportion, die Beziehung, das Verhältnis (habitudo) eines Seienden zu einem anderen. Um welche Seienden es sich dabei handelt, sagt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht.“126 Er erscheint damit als ein offener Maßstab, dessen Anwendung im Grunde nicht an bestimmte Konstellationen gebunden ist, solange mindestens zwei Vergleichsgrößen vorhanden sind und fest steht, welche Kriterien in den Vergleich einbezogen werden sollen.127 Wegen der durch den Gebrauch im öffentlichen Recht eingebürgerten Begrifflichkeit wird auch in dieser Arbeit der Ausdruck „Verhältnismäßigkeit“ verwendet, ohne dass damit notwendig eine inhaltliche Übereinstimmung der Verhältnismäßigkeit im öffentlich-rechtlichen und im privatrechtlichen Kontext impliziert wäre. Wird der Begriff der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Arbeit ohne weiteren Zusatz verwendet, so bezieht sich dies grundsätzlich auf die „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne“. Die Grundsätze der Geeignetheit und der Erforderlichkeit (oder Ultima-ratio-Prinzip) werden als solche eigens gekennzeichnet, sofern sie im privatrechtlichen Kontext Verwendung finden.
219; BVerfGE 30, 292, 316) oder Proportionalität (so etwa Sachs / Sachs, Art. 20 GG Rn. 154; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 2 und durchgehend, insb. S. 183 ff.) verwendet. 124 Vgl. die Übersicht über die divergierenden Termini bei Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 265 f. Ein abweichendes Verständnis liegt der Arbeit von Groggert (Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen Arbeitskampfrecht, S. 127 ff.) zugrunde, der zwischen dem „privatrechtlichen Übermaßverbot (§ 242 BGB)“, dem „Verbot der Unverhältnismäßigkeit (§ 826 BGB)“ und dem „zivilrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ unterscheidet, der ausschließlich die Aufgabe habe, die Rechtmäßigkeit einer tatsächlichen Handlung zu überprüfen. Näher dazu § 22 II. 2. (S. 389 ff.). 125 Siehe dazu zunächst Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 47; ausführlich unten § 18 I. (S. 318 ff.). 126 A. Kaufmann, in: FS Richard Lange, S. 27, 33. 127 Von einem ähnlich allgemeinen Verhältnismäßigkeitsbegriff geht auch Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 871 aus: „Schon per definitionem ist ‚Verhältnismäßigkeit‘ allererst ein Relationsbegriff, der Tatbestand und Rechtsfolge, Aktion und Reaktion (wie Angriff und Abwehr, Gefahr und Abhilfe) und endlich auch Leistungen und Entgelte in eine proportionale Beziehung setzt“ (Hervorhebung im Original).
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III. Verhältnismäßigkeit als rechtsordnungsübergreifendes Phänomen 1. Rechtsvergleichende Perspektive Für die Untersuchung wurde ein rechtsvergleichender Ansatz gewählt; dieser verspricht deswegen Ertrag,128 weil nur auf diese Weise die gegenwärtige legislatorische und wissenschaftliche Entwicklung hin zu einer Stärkung europaweit einheitlicher Ansätze eingefangen und fruchtbar gemacht werden kann.129 Die Arbeit versteht sich somit auch als ein Beitrag zu einer wissenschaftlichen Erfassung und Verarbeitung gemeinsamer Rechtsprinzipien im europäischen Rechtsraum.130 Als Hauptreferenzordnungen dienen das italienische und das englische Recht. Der Codice civile von 1942 vereint die Tradition einer romanischen Rechtsordnung mit starken deutschen Einflüssen.131 Vor diesem Hintergrund könnte das italienische Recht als besonders geeignet erscheinen, für die europäische Rechtsvereinheitlichung in mancherlei Hinsicht als Modell zu dienen.132 Den im Codice civile gefundenen Kompromisslösungen könnte für die weitere Harmonisierung eine gewisse Vorbildfunktion zukommen.133 Zum anderen ist die italienische Rechtslehre besonders aktiv bei der in den letzten zehn Jahren im128 Vgl. auch die dahingehenden Anregungen bei Remien, Stichwort „Verhältnismäßigkeit“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band II, S. 1632. 129 Zur Rolle der Rechtsvergleichung bei der europäischen Rechtsharmonisierung eingehend Mansel, JZ 1991, 529, 530 ff. Zu deren Kontrollfunktion Zweigert, RabelsZ 15 (1949/50), 5, 17 ff. Vgl. weiter Unberath, Vertragsverletzung, S. 25 ff. zur Funktion der Rechtsvergleichung als Ergänzung und Vervollständigung einer rein auf das nationale Recht ausgerichteten Dogmatik. Speziell zur Vertragsrechtsvergleichung auch Farnsworth, in: Oxford Handbook of Comparative Law, S. 899. 130 Wegen der thematischen Beschränkung auf das Schuldvertragsrecht und der hier bestehenden Gemeinsamkeiten in den europäischen Rechtsordnungen wird in der Arbeit ein funktionaler rechtsvergleichender Ansatz gewählt. Zu weitergehenden (rechtsordnungsübergreifenden, konstruktiven, postpositivistischen) Ansätzen Jansen, Binnenmarkt, Privatrecht und europäische Identität, S. 67 ff., 81 ff. Auch Jansen (a.a.O., S. 72, 86 Fn. 128) hält jedenfalls im Bereich des Vertragsrechts die funktionale Methode für leistungsfähig. Siehe dazu auch Metzger, Extra legem, intra ius, S. 157 ff. 131 Dazu Sacco, Introduzione al diritto comparato, S. 256 ff.; Portale, Lezioni di diritto privato comparato, S. 120 f.; Kindler, Einführung in das italienische Recht, § 8 Rn. 1 ff.; Troiano, in: Einführung in das italienische Recht, S. 109 ff.; Ranieri, Stichwort „Codice civile“, in: Handwörterbuch zum Europäischen Privatrecht, Band I, S. 267 ff. Zur geistesgeschichtlichen Entwicklung der italienischen Privatrechtslehre instruktiv Grossi, La cultura del civilista italiano, 2002. 132 So bereits Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 347 und insb. 502. 133 Vgl. Cian, ZEuP 1998, 215, 217 f.; Resch, Das italienische Privatrecht, S. 23 ff. Ein Beispiel ist die Möglichkeit der Vertragsanpassung bei übermäßiger Benachteiligung in Art. 1450 c.c.; zu deren Rezeption in den europäischen Vereinheitlichungsmodellen unten § 6 III. 3. (S. 91 f.).
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mer mehr in Gang gekommenen Debatte über gemeinsame Grundsätze der europäischen Privatrechtsordnungen.134 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – das principio di proportionalità – wurde von einem Teil der italienischen Lehre in jüngerer Vergangenheit vermehrt als Regulativ herangezogen.135 Hier gilt es, Ausgangspunkt und Ziele der Debatte einzufangen und fruchtbar zu machen. Das englische Recht136 steht als Common-Law-Rechtsordnung vermeintlich isoliert im europäischen Rechtsraum.137 Traditionell wird der Vertrag im Common Law vom rechtsvergleichenden Schrifttum nicht so sehr als einklagbare Verpflichtung gesehen, sondern eher als ein Versprechen, Schadensersatz zu zahlen, wenn der Vertrag nicht erfüllt wird, und damit als eine Garantie.138 Betrachtet man die Vertragsstruktur des Common Law jedoch nicht aus dem Blickwinkel der Haftung (der remedies), sondern von der Primärebene (der primary rights), so ergibt sich, dass auch hier die Naturalerfüllung Bestandteil der vertraglichen Abrede ist.139 Davon zu trennen ist die Frage der Einklagbarkeit der Naturalerfüllungsobligation, hier geht das Common Law in der Tat eigene Wege, die sich aber wiederum im Ergebnis nicht so sehr vom kontinentalen Ansatz unterscheiden.140 Es wird sich zeigen, dass Umfang und Grenzen der rechtsgeschäftlichen Leistungspflicht bei allen bestehenden Unterschieden rechtstechnischer Natur auch im englischen Recht im Grundsatz nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bestimmt wird.
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Gandolfi (Hrsg.), Code Européen des Contrats, Avant-projet, Livre Premier; hierzu Gandolfi, ZEuP 2002, 1; Sonnenberger, RIW 2001, 409; Sturm, JZ 2001, 1097 sowie Patti, ZEuP 2004, 118; siehe weiter Gandolfi, in: FS Canaris, Band 2, S. 585. Zur Arbeit der sog. Trento-Gruppe Bussani / Mattei, The Common Core of European Private Law. 135 Vor allem von Perlingieri, Rass. dir. civ. 2001, 334. 136 Wenn im Folgenden vom „englischen“ Recht die Rede ist, dann ist damit das für England und Wales geltende Recht gemeint. Für Nordirland und insbesondere Schottland gelten Sonderregeln. Vgl. dazu Smith, in: Elgar Encyclopedia of Comparative Law, Kap. 23 (S. 242). Das hier nicht mit einbezogene schottische Recht weist starke Einflüsse kontinentaler Rechtstradition auf, vgl. dazu etwa Carey Miller / Zimmermann, The Civilian Tradition and Scots Law; MacQueen, ZEuP 1997, 369, 375 ff. 137 Andere (europäische) Rechtsordnungen mit Common-Law-System sind Irland, Zypern und Malta; die letzteren beiden sind Mischsysteme, wobei im zypriotischen Recht das Common Law überwiegt, im maltesischen Recht hingegen das Civil Law. Zur Zuordnung der verschiedenen Rechtsordnungen zu Rechtskreisen oder legal families etwa Kötz, ZEuP 1998, 493; Husa, in: Elgar Encyclopedia, S. 382 ff. m.w.N. 138 Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses, S. 235 ff.; Rabel, Recht des Warenkaufs, Bd. 1, S. 263; ähnlich Basedow, International Review of Law and Economics 25 (2005), 487, 496. 139 Eingehend nunmehr Weller, Vertragstreue, S. 127 ff. 140 Ausführlich § 12 I. 4. c) (S. 214 ff.).
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2. Die europäische Dimension Der Ertrag dieser rechtsvergleichenden Analyse wäre jedoch unvollständig, berücksichtigte man nicht die ihrerseits wenigstens teilweise auf rechtsvergleichender Grundlage entstandenen Rechtsvereinheitlichungsprojekte,141 insbesondere die Principles of European Contract Law (PECL) und den Ende 2007 erstmals veröffentlichten (Draft) Common Frame of Reference (DCFR). Neben den Instrumenten dieses so genannten gemeineuropäischen Privatrechts oder ius commune europaeum142 wird auch das Gemeinschaftsprivatrecht oder ius communitatis mit einbezogen.143 Dieses positive europäische Recht enthält zwingende Vorgaben für die nationalen Rechtsordnungen. a) Gemeinschaftsprivatrecht Die positivrechtliche Harmonisierung des Privatrechts in der Europäischen Gemeinschaft beschränkt sich derzeit noch auf punktuelle Regelungen durch Richtlinien. Im Rahmen der hier interessierenden Thematik finden insbesondere die Klauselrichtlinie144 und die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie145 Beachtung, da sie an zentraler Stelle das Konzept der Verhältnismäßigkeit aufgreifen;146 141
Vgl. die eingehende Darstellung bei Wurmnest, ZEuP 2003, 714. Programmatisch der Beitrag von Kötz, in: FS Zweigert, S. 481; zur Terminologie Gebauer, Grundfragen, S. 61 ff.; Basedow, AcP 200 (2000), 445, 447 ff.; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 29 ff.; M. Stürner, JbJgZivRWiss 2004, S. 79, 85 f. Zur historischen Entwicklung auch Kanning, Oxford J. Legal Studies 2007, 193. 143 Der Begriff wurde geprägt von Müller-Graff, Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 9, 26 ff.; er wurde bereits verwendet von Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 36. Offen ist derzeit, ob sich nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 und der dadurch bewirkten Verschmelzung von EG und EU hieran etwas ändert. Möglich erschiene auch die Ersetzung des Begriffs Gemeinschaftsprivatrecht durch den Begriff Unionsprivatrecht zur formalen Kennzeichnung von Privatrecht, das durch die Europäische Union gesetzt wurde. Jedenfalls solange Bereiche supranationaler und intergouvernementaler Zusammenarbeit fortbestehen, erscheint es derzeit sinnvoll, den Begriff des Gemeinschaftsprivatrechts zur Kennzeichnung supranational geltenden Privatrechts weiterzuverwenden. Dazu auch Streinz, in: FS Spellenberg, S. 745, 756 mit Fn. 102; Müller-Graff, GPR 2008, 105. Beide Begriffe verwendet Basedow, Stichwort „Gemeinschaftsprivatrecht / Unionsprivatrecht“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band I, S. 680 ff. 144 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95 vom 21.4.1993, S. 29. Vgl. dazu insbesondere § 9 I. (S. 107 ff.). 145 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. EG Nr. L 171 vom 7.7.1999, S. 12. Dazu näher § 12 I. 3. a) (S. 194 ff.). 146 Entsprechend der Fragestellung geht es vorliegend nur um die privatrechtliche Dimension, so dass die Verhältnismäßigkeit als explizit in Art. 5 Abs. 4 EUV (ex-Art. 5 Abs. 3 EG) genannte Kompetenzschranke für die Untersuchung keine Rolle spielt. Zu dieser Dimension des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit G. Hirsch, Das Verhältnismäßigkeitsprinzip im 142
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daneben auch die Zahlungsverzugsrichtlinie.147 Es wird zu untersuchen sein, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber einen eigenen Begriff der (privatrechtlichen) Verhältnismäßigkeit verwendet, oder ob eine Übereinstimmung mit den Vorstellungen der hier untersuchten nationalen Rechtsordnungen besteht. Dieser Befund ist wegen der aus Art. 288 Abs. 3 AEUV (ex-Art. 249 Abs. 3 EG) folgenden Pflicht der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinien von enormer Bedeutung für die Auslegung des nationalen Rechts. b) Gemeineuropäisches Privatrecht Im Unterschied zur bislang noch fragmentarischen Regelung privatrechtlicher und insbesondere vertragsrechtlicher Bereiche im positiven europäischen Privatrecht bieten die bereits unternommenen Ansätze, gemeinsame Grundsätze der europäischen Rechtsordnungen darzustellen, in sich geschlossene Systeme, die eine vergleichende Betrachtung lohnen. Der traditionelle rechtsvergleichende Rahmen wird damit insofern verlassen, als Gegenstand der Rechtsvergleichung gemeinhin nur (positiv „geltende“) Rechtsordnungen sind. Weder PECL noch DCFR stellen aber „geltendes“ Recht dar. Eine kollisionsrechtliche Wählbarkeit nichtstaatlichen Rechts ist in Art. 3 der Rom I-Verordnung nicht vorgesehen.148 Dennoch werden diese Soft-Law-Instrumente in die Untersuchung mit einbezogen,149 denn sie stellen nicht lediglich eine rechtsvergleichende Summe aus den Ansätzen der verschiedenen Rechtsordnungen dar, sondern schlagen vielmehr durchaus auch eigene Wege ein, wo dies im Sinne ihrer Verfasser gegenüber überkommenen Systemen vorzugswürdig war.150
Gemeinschaftsrecht; Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften; Schwab, Der Europäische Gerichtshof und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Pache, NVwZ 1999, 1033; von Danwitz, EWS 2003, 393; zusammenfassend Remien, Stichwort „Verhältnismäßigkeit“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band II, S. 1628 ff. 147 Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr vom 29. Juni 2000, ABl. EG Nr. L 200, S. 35. Dazu unten § 12 II. 1. a) (S. 227 f.). 148 Kollisionsrechtlich wählbar ist nur staatliches Recht. Dazu Palandt / Thorn, Art. 3 Rom I Rn. 3; Reithmann / Martiny / Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 100 ff.; MüKo-BGB / Martiny, Art. 3 Rom I Rn. 28 ff.; Mankowski, in: Der Gemeinsame Referenzrahmen, S. 389, 394 ff.; Magnus, IPRax 2010, 27, 33. Anders noch Art. 3 Abs. 2 des ursprünglichen Entwurfs der Rom I-Verordnung, KOM(2005) 650 endg., dazu Schinkels, GPR 2007, 106 (zur Wählbarkeit der UNIDROIT Principles). 149 Vgl. zu dieser Perspektive etwa Düchs, Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht, 2006 oder Mitzkait, Leistungsstörung und Haftungsbefreiung, 2008. 150 Zur Kritik an diesem Ansatz vor allem Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529; Jansen / Zimmermann, JZ 2007, 1113 (zu den Acquis Principles); dies., NJW 2009, 3401 (zum DCFR).
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aa) Die Principles of European Contract Law (PECL) Die von der Commission of European Contract Law seit Beginn der 1980er Jahre ausgearbeiteten Principles of European Contract Law151 haben zwar keinen für den Rechtsanwender verbindlichen Inhalt,152 sind genau genommen nicht einmal ein Restatement der in den verschiedenen europäischen Rechtsordnungen geltenden Vertragsrechtsprinzipien, dienen aber als Anhaltspunkt für den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Bestand an Rechtsgrundsätzen und vermögen daher Aufschluss zu geben über die Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im europäischen Vertragsrecht. Teil I der PECL wurde in englischer Sprache erstmals im Jahre 1995 veröffentlicht;153 eine konsolidierte Fassung erschien zusammen mit Teil II im Jahre 2000.154 Teil III schließlich folgte im Jahre 2003.155 Trotz ihrer Bezeichnung als „Principles“ oder „Grundregeln“ haben die PECL fast durchweg eine regelförmige Ausprägung erfahren, die eine konkrete Rechtsanwendung denkbar werden lässt. So erklärt Art. 1:101 (2) PECL die Grundregeln für anwendbar, wenn diese von den Parteien – materiellrechtlich oder kollisionsrechtlich156 – gewählt wurden. Von allen Modellregelwerken sind die PECL diejenigen, die den bislang größten Einfluss erlangt haben – dies gilt nicht nur für die Rechtswissenschaft,157 sondern auch für die Rechtsprechung: Wenn auch der EuGH selbst – in französischer Tradition stehend – in seinen Judikaten grundsätzlich neben dem geltenden Recht nur eigene Urteile zitiert,158 so finden doch die PECL immerhin in neueren Schlussanträgen der Generalanwälte vereinzelt Erwähnung.159 Dabei 151
Siehe dazu einführend Zimmermann, Jura 2005, 289 und 441. Zum beschränkten Geltungsanspruch der PECL Michaels, RabelsZ 62 (1998), 580, 605 ff., 624. 153 Beale / Lando, The Principles of European Contract Law, Part I, Performance, Non Performance and Remedies, 1995, deutsche Übersetzung in ZEuP 1995, 864. 154 Lando / Beale, Principles of European Contract Law, Parts I and II, 2000, als deutsche Übersetzung erschienen in: von Bar / Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teile I und II, 2002. 155 Lando / Clive / Prüm / Zimmermann, Principles of European Contract Law, Part III, 2003, als deutsche Übersetzung erschienen in: von Bar / Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teil III, 2005. 156 Vgl. zur Unterscheidung nur Palandt / Thorn, Art. 3 Rom I Rn. 2. Eine kollisionsrechtliche Rechtswahl nichtstaatlichen Rechts ist unter der Rom I-Verordnung freilich nicht möglich, siehe bereits die Nachweise oben Fn. 148. 157 Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 530 m.w.N. 158 Vgl. dazu auch Trstenjak, ZEuP 2007, 145. 159 So etwa in den Schlussanträgen der GA Trstenjak vom 15.11.2007, Rs. C-404/06 – Quelle (Rn. 44: Verweis auf Art. 9:102 Abs. 1 PECL), in den Schlussanträgen vom 6.3.2007, Rs. C-1/06, Bonn Fleisch Ex- und Import GmbH / Hauptzollamt Hamburg-Jonas (Rn. 68 zur Auslegung von Willenserklärungen nach Kapitel 5 PECL), in den Schlussanträgen vom 18.2.2009, Rs. C-489/07, Messner / Krüger (Rn. 85, 94: Verweis auf Regelung der Haftung des Verbrauchers bei Ausübung des Widerrufsrechts im DCFR) sowie in den Schlussanträgen 152
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dient der Verweis auf die PECL regelmäßig zwar nur der argumentativen Untermauerung eines bereits auf positivrechtlicher Grundlage gefundenen Ergebnisses, aber damit immerhin der Bekräftigung der Existenz eines den europäischen Rechtsordnungen gemeinsamen Rechtsgrundsatzes. Daneben fungieren die PECL als Vorbild für nationale Gesetzgeber, so hat sich etwa Estland160 unter anderem auf die PECL als Modellrechtsordnung für die Reform des Obligationenrechts gestützt.161 Auch das aktuelle Reformprojekt des französischen Obligationenrechts, das so genannte avant-projet Catala (avant-projet de réforme du droit des obligations et de la prescription) folgt teilweise dem Modell der PECL.162 bb) Der Draft Common Frame of Reference (DCFR) Während die PECL ein rein wissenschaftliches Projekt sind, das sich ganz vorrangig der Herausarbeitung gemeinsamer europäischer Rechtsgrundsätze verpflichtet fühlt, wurde Anfang 2008 mit der Publikation des Draft Common Frame of Reference (DCFR) insofern eine neue Stufe der Rechtsvereinheitlichung auf europäischer Ebene erreicht, als erstmals der konkrete Anstoß zur Harmonisierung des Vertragsrechts von Seiten der EG-Organe kam.163 Bereits im Jahre 1989 hatte das Europäische Parlament in einer „Entschließung zu den Bemühungen um eine Angleichung des Privatrechts der Mitgliedstaaten“164 eine Harmonisierung der Privatrechtsordnungen gefordert, bis zum Beginn der „erforderlichen Vorbereitungsarbeiten zur Ausarbeitung eines einheitlichen Europäischen Gesetzbuches für das Privatrecht“. Nachhaltige Beschleunigung des GA Poiares Maduro vom 21.11.2007, Rs. C-412/06 – Hamilton (Rn. 24 unter Verweis auf die in Kapitel 14 PECL geregelten Grundsätze der Verjährung). 160 Daneben wurden auch das deutsche BGB, das Schweizer Obligationenrecht, das CISG und die UNIDROIT Principles herangezogen. Dazu Kull, Juridica International 1999, 147; dies., Juridica International 2004, 32. 161 Auch die zur Reform des ungarischen Zivilgesetzbuchs eingesetzte Kommission nennt unter anderen die PECL als Vorbilder bei der Gesetzgebungsarbeit, vgl. Vékás, ZEuP 2009, 536, 540; dazu auch Csehi, in: Europäisierung des Rechts, S. 59, 71 ff. 162 Vgl. Catala, Avant-projet de réforme du droit des obligations et de la prescription. Zum Entwurf u.a. Ancel, in: Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 45; Sonnenberger, ZEuP 2007, 421; Fauvarque-Cosson, ZEuP 2007, 428; Fauvarque-Cosson / Mazeaud, Unif. L. Rev. 2006, 103; S. Lorenz, Revue des contrats 2007, 57; Lehmann, Revue des contrats 2007, 1427. Eine Umsetzung erfolgt bislang nur in Bezug auf den Verjährungsteil. Zur den Neuerungen eingehend Kleinschmidt, RIW 2008, 590. 163 Von Bar / Clive / Schulte-Nölke, Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference (DCFR), Interim Outline Edition, 2008. Anfang 2009 folgte dann die Veröffentlichung einer überarbeiteten Outline Edition des DCFR. Im Oktober 2009 erschien schließlich die Full Edition, ein sechsbändiges Werk, in dem die Vorschriften des DCFR kommentiert und mit rechtsvergleichenden Anmerkungen versehen sind. 164 Vom 26.5.1989, ABl. C 158 vom 26.6.1989, S. 400.
§ 3. Problemstellung und Eingrenzung des Themas
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erfuhr dieses Desiderat aber erst durch die Mitteilung der Kommission zum Europäischen Vertragsrecht vom 11.7.2001.165 Hierin stellte die Kommission verschiedene Optionen für eine weitere Harmonisierung des europäischen Vertragsrechts vor, die von einem Absehen von weiteren Maßnahmen bis hin zum Erlass neuer Rechtsvorschriften auf EG-Ebene reichte.166 Unter Berücksichtigung der zahlreichen Reaktionen auf die Mitteilung stellte die Kommission in ihrem „Aktionsplan – ein kohärentes europäisches Vertragsrecht“167 ein Modell vor, das zur Vereinheitlichung des Vertragsrechts zum einen die Überarbeitung und Konsolidierung des bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Acquis, zum anderen aber die Schaffung eines „Gemeinsamen Referenzrahmens“ vorsieht, der gemeinsame Grundsätze und Begriffe im Bereich des europäischen Vertragsrechts festlegt und primär an die Gemeinschaftsorgane gerichtet ist, und der seinerseits als Basis für ein „Optionelles Instrument“ dienen soll, also ein von den Parteien wählbares Regelwerk.168 In einer Mitteilung vom 11.10.2004 präzisierte die Kommission diese Vorgehensweise nochmals.169 Mit der Ausarbeitung eines so verstandenen „Gemeinsamen Referenzrahmens“ wurde das „Joint Network on European Private Law (CoPECL)“170 unter Förderung durch das 6. EU-Forschungsrahmenprogramm betraut.171 Über die Arbeiten des CoPECL-Netzwerks gaben verschiedene Fortschrittsberichte der Kommission Auskunft.172 Hauptmit165 Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat und das Europäische Parlament zum Europäischen Vertragsrecht vom 11.7.2001, KOM(2001) 398 endg. 166 KOM(2001) 398 endg., S. 14 ff. 167 KOM(2003) 68 endg. 168 KOM(2003) 68 endg., S. 27 f. 169 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen, KOM(2004) 651 endg. Hierzu Lando, RIW 2005, 1; Staudenmayer, EuZW 2005, 103; ders., ERPL 13 (2005), 95. 170 http://www.copecl.org. 171 Zur Arbeitsweise des Netzwerks u.a., teils kritisch, Schulte-Nölke, in: Der Gemeinsame Referenzrahmen, S. 9; Lando, ERCL 2007, 245; Schulze, in: Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, S. 3; Ernst, AcP 208 (2008), 248; Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227; Micklitz, GPR 2007, 2; G. Hirsch, ZIP 2007, 937, 939 ff.; Mance, [2007] EBLR 77, 92 ff. Überzogen gegen jede Rechtsvereinheitlichung Legrand, Journal of Comparative Law 1 (2006), 13. 172 Erster jährlicher Fortschrittsbericht zum europäischen Vertragsrecht und zur Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands vom 23.9.2005, KOM(2005) 456 endg.; Zweiter Fortschrittsbericht zum Gemeinsamen Referenzrahmen vom 25.7.2007, KOM(2007) 447 endg.; vgl. daneben die Stellungnahmen des Parlaments: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Europäischen Vertragsrecht und zur Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands vom 23.3.2006, 2005/2022(INI), P6_TA(2006)0109, ZEuP 2006, 908; Entschließung des Europäischen Parlaments zum Europäischen Vertragsrecht vom 7.9.2006, 2006/ 2603 (RSP), P6_TA(2006)0352; Entschließung des Europäischen Parlaments zum Europäischen Vertragsrecht vom 12.12.2007, P6_TA(2007)0615; Entschließung des Europäischen Parlaments zum Gemeinsamen Referenzrahmen für das Europäische Vertragsrecht vom
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
glieder des CoPECL-Netzwerks sind die Study Group on a European Civil Code, die als Nachfolgegruppe der Commission of European Contract Law die Arbeit an den PECL fortführt und ausbaut,173 und die European Research Group on Existing EC Private Law (Acquis Group), deren Ziel es ist, das derzeit geltende Gemeinschaftsprivatrecht in kohärenter Form zusammenzufassen.174
Der nun vorliegende Draft Common Frame of Reference beinhaltet Regelungen, die weit über das Vertragsrecht hinausgehen und im Wesentlichen das gesamte Vermögensrecht umfassen.175 Er speist sich aus zwei Hauptquellen:176 Zum einen dienen die PECL in der von der Study Group überarbeiteten und wesentlich erweiterten Fassung177 als Grundlage des DCFR,178 zum anderen wurde der gemeinschaftsrechtliche Besitzstand, wie er sich auf der Basis der Arbeit der Acquis Group darstellte, integriert.179 In seiner Endversion, der sogenannten Full Edition, die im Oktober 2009 erschienen ist, enthält der DCFR im Stile der PECL Kommentare und rechtsvergleichende Anmerkungen zu den einzelnen Vorschriften. Er soll nach der Intention seiner Verfasser die Grundlage für einen möglichen „politischen CFR“ bilden,180 aber unabhängig von der
3.9.2008, P6_TA-PROV(2008)0397. Vgl. zur Entwicklung etwa von Bar, in: FS Jayme, S. 1217; Pfeiffer, in: Privat- und Wirtschaftsrecht im Zeichen der Europäischen Integration, S. 123; Dauner-Lieb, NJW 2004, 1431; von Bar / Schulte-Nölke, ZRP 2005, 165; Staudenmayer, EuZW 2005, 103; Schulze, ZRP 2006, 155; Jansen, JZ 2006, 536, 539 ff. 173 Zur Arbeit der Study Group etwa von Bar, in: FS Henrich, S. 1; McGuire, ZfRV 2006, 163; Schmidt-Kessel, Stichwort „Study Group on a European Civil Code“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band II, S. 1453 ff. 174 Dazu Schulte-Nölke, ZGS 2002, 261; Grigoleit / Tomasic, Stichwort „Acquis Principles“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band I, S. 12 ff. 175 Dazu etwa Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529; Pfeiffer, AcP 208 (2008), 227; Ernst, AcP 208 (2008), 248; Gomez, ERCL 2008, 89; Schulze / Wilhelmsson, ERCL 2008, 154; Zimmermann, Stichwort „Common Frame of Reference“, in: Handwörterbuch des Europäischen Vertragsrechts, Band I, S. 276 ff. Vorher bereits etwa Beale, ERCL 2007, 257. 176 Vgl. auch Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 532 f. 177 Parallel zur Entstehung des DCFR, aber innerhalb des CoPECL-Netzwerks, hat sich eine Gruppe von französischen Wissenschaftlern um die Revision der PECL und um die Herausarbeitung terminologischer Gemeinsamkeiten im europäischen Vertragsrecht bemüht: Association Henri Capitant / Société de législation comparée (Hrsg.), Projet de Cadre commun de référence – Terminologie contractuelle commune sowie Principes contractuels communs, beide 2008. 178 Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden Pfeiffer, ZEuP 2008, 679. 179 Dazu Schulte-Nölke, in: Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, S. 47. Bemerkenswert ist, dass sowohl Study Group als auch Acquis Group unabhängig von der Erstellung des Common Frame of Reference ihre Arbeit in eigenständigen Publikationen veröffentlichen, vgl. von Bar / Clive / Schulte-Nölke, DCFR 2008 IE, Introduction Nr. 55 ff. Zu den Acquis Principles kritisch Jansen / Zimmermann, JZ 2007, 1113. 180 Von Bar / Clive / Schulte-Nölke, DCFR 2008 IE, Introduction Nr. 6, 60 ff.; von Bar / Clive, DCFR 2009 FE, Introduction Nr. 6.
§ 3. Problemstellung und Eingrenzung des Themas
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Art und Weise der Umsetzung durch die Organe der Gemeinschaft als selbständiges akademisches Referenzmodell („akademischer CFR“) dienen.181 Dessen ungeachtet behalten die PECL jedenfalls derzeit ihre eigenständige Bedeutung als mögliches Modell eines europäischen Vertragsrechts:182 Der DCFR inkorporiert die PECL zwar weitgehend, aber doch in (geringfügig) veränderter Form.183 Nachdem sich die PECL seit ihrem Erscheinen in der rechtsvergleichenden Forschung etabliert haben, ja inzwischen bei der autonomen Harmonisierung der Privatrechtsordnungen in Europa eine „Schlüsselrolle“ einnehmen,184 dürfen sie in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem gemeineuropäischen Vertragsrecht nicht unbesehen durch die entsprechenden Regelungen im DCFR „ersetzt“ werden. Der DCFR mit seinem weit über das Vertragsrecht hinausgehenden Geltungsanspruch hat seine Tauglichkeit als Modellgesetzbuch dagegen erst unter Beweis zu stellen.185 In welcher Form der DCFR von den Gemeinschaftsorganen umgesetzt oder verwendet wird, ist derzeit offen.186 Nachdem das Fernziel eines Europäischen Vertragsgesetzbuches spätestens seit dem ersten Fortschrittsbericht vom 23.9. 2005187 jedenfalls offiziell nicht mehr formuliert wird,188 und sich die Kommission auf eine Revision des Verbraucher-acquis konzentriert,189 erscheint es un181 Dazu von Bar, in: Der Gemeinsame Referenzrahmen, S. 23; Schulze, in: Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, S. 1; Schulte-Nölke, in: Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, S. 47. 182 Ebenso Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 549. 183 Dazu von Bar / Clive / Schulte-Nölke, DCFR 2008 IE, Introduction Nr. 50 ff.; teils kritisch zu den vorgenommenen Änderungen Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 546 f. Zur Rolle der PECL als Basis des DCFR Jud, in: Der Gemeinsame Referenzrahmen, S. 71; Pfeiffer, ZEuP 2008, 679. 184 Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 530 m.w.N. 185 So etwa Ernst, AcP 208 (2008), 248, 267, 275 f.; Schulze / Wilhelmsson, ERCL 2008, 154. 186 Die Kommission hat den (politischen) CFR bislang ausschließlich als internes Hilfsmittel für privatrechtliche Richtlinien und nicht als eigenständiges Referenzmodell gesehen, so die Kommissarin Kuneva in einer Plenarsitzung des Europäischen Parlaments am 1.9.2008 auf eine mündliche Anfrage des MdEP Lehne, vgl. die entsprechende Mitteilung in NJW 2008, Heft 41, S. XXIV. Ebenso die Haltung des Europäischen Rates im Stockholmer Programm vom 10. / 11.12.2009 (vgl. Dok. Nr. 17024/09, S. 33), wonach der Gemeinsame Referenzrahmen „ein nicht verbindliches Paket von Grundprinzipien, Begriffsbestimmungen und Mustervorschriften sein sollte, das von den Gesetzgebern auf Unionsebene herangezogen werden soll, um mehr Kohärenz und Qualität im Gesetzgebungsprozess zu gewährleisten“. Deutlich offener demgegenüber das Grünbuch zum Europäischen Vertragsrecht vom 1.7.2010, KOM (2010) 348, in dem verschiedene Optionen bis hin zur Einführung eines Europäischen Zivilgesetzbuches vorgeschlagen werden. 187 KOM(2005) 456 endg. 188 Zur Entwicklung Schmidt-Kessel, Stichwort „Europäisches Zivilgesetzbuch“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band I, S. 553 f. 189 Grünbuch Verbraucher-acquis v. 8.2.2007, KOM(2006) 744 endg. Am 8.10.2008 hat die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte des Verbrauchers vorgelegt,
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
wahrscheinlich, dass es einen umfassenden „politischen CFR“ geben wird.190 Stattdessen könnten Teile des DCFR als Modell zur Überarbeitung und systematischen Verbindung („horizontal approach“) von insgesamt acht der bereits erlassenen Verbraucherschutzrichtlinien dienen,191 was dessen Funktion als „Werkzeugkasten“ („toolbox“)192 unterstreichen würde.193 Davon unabhängig könnte der fertig gestellte CFR wie die PECL in der Praxis als Bezugspunkt zur Ermittlung gemeinsamer Rechtsprinzipien des Gemeinschaftsrechts dienen: Enthält das geltende Gemeinschaftsprivatrecht keine klare Regelung eines bestimmten Problems, so liegt es nahe, die Auslegung des betreffenden Instruments durch einen Vergleich mit der entsprechenden Regelung im CFR abzustützen.194 Solange dieser jedoch ein reines Soft-Law-Modell bleibt, ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass der Rückgriff auf den CFR bei der Auslegung von Gemeinschaftsrecht etwa durch den EuGH vorschnell und ergebnisorientiert erfolgt, ohne die bestehenden positivrechtlichen Vorgaben hinreichend zu beachten.195 Unter Berücksichtigung dieser Kautelen stellt der DCFR jedenfalls für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem eu-
die vier zentrale Verbraucherschutzrichtlinien (Haustürwiderrufsrichtlinie, Klauselrichtlinie, Fernabsatzrichtlinie und Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) zusammenfasst und im Sinne einer Vollharmonisierung modifiziert, KOM(2008) 614 endg. Siehe dazu u.a. Effer-Uhe / Watson, GPR 2009, 7; Tettinger, ZGS 2009, 106; Micklitz / Reich, EuZW 2009, 279; Reich, ZEuP 2010, 7; Smits, ERPL 2010, 5; Hondius, ERPL 2010, 103 sowie die Tagungsbände von Jud / Wendehorst, Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?; Gsell / Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht und von M. Stürner, Vollharmonisierung im Europäischen Verbraucherrecht? 190 Ein optionales Instrument in Form einer Verordnung mit Opt-in-Charakter befürwortet etwa Leible, BB 2008, 1469, 1471 ff.; ebenso für den Bereich des Bankrechts Lehmann, EJCCL 2009, 173, 177 ff. In diese Richtung deutet auch das Grünbuch zum Europäischen Vertragsrecht vom 1.7.2010, KOM (2010) 348 endg. – Sehr zweifelhaft ist auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, ob überhaupt eine Kompetenz der EU für den Erlass einer so weit reichenden Privatrechtskodifikation wie dem DCFR bestünde. Siehe dazu etwa Ludwigs, EuR 2006, 370; Ernst, AcP 208 (2008), 251, 259; zusammenfassend Schmidt-Kessel, Stichwort „Europäisches Zivilgesetzbuch“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band I, S. 554. 191 Ernst, AcP 208 (2008), 248, 275. 192 Freilich mag der Begriff der toolbox nicht recht passen, da der DCFR im Ergebnis eher als ein Reservoir an Bausteinen für Rechtsinstrumente konzipiert ist und ihm damit insoweit die Funktion eines Normspeichers (Ernst, AcP 208 [2008], 248, 277) zukommt; ähnlich Langenbucher / Herresthal, Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, § 2 Rn. 4. 193 Von Bar / Clive / Schulte-Nölke, DCFR 2008 IE, Introduction Nr. 76. 194 So bereits GA Trstenjak, Schlussanträge vom 11.6.2008, Rs. C-275/07 – Kommission / Italien (Rn. 90) zur Akzessorietät der Zinsen zur Hauptforderung; hier erfolgt ein Verweis auf Art. III.-3:708 (1) DCFR. Deutlich dort allerdings der Hinweis, dass der DCFR derzeit nicht Teil des geltenden Gemeinschaftsrechts ist. Siehe dazu Trstenjak, in: Der Gemeinsame Referenzrahmen, S. 235. 195 Ernst, AcP 208 (2008), 248, 260 f. spricht von einer möglichen Einführung des DCFR „auf kaltem Wege“.
§ 4. Gang der Untersuchung
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ropäischen Vertragsrecht eine wertvolle Quelle dar, die dem Rechtsvergleicher Aufschluss über den Stand des ius commune europaeum zu geben vermag.196
§ 4. Gang der Untersuchung Die Untersuchung ist in zwei Teile gegliedert. Sie geht von der Hypothese aus, dass es einen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gibt, der im gesamten Schuldvertragsrecht in unterschiedlicher Intensität wirkt. Der erste Teil der Arbeit (Kapitel 2 bis 4) hat das Ziel, eine dahingehende Bestandsaufnahme zu liefern und den Versuch einer Systematisierung zu unternehmen. Der zweite Teil (Kapitel 5 und 6) liefert darauf aufbauend eine Strukturanalyse der Verhältnismäßigkeit und stellt die Bezüge zu deren normativen Geltungsbedingungen her. Abschließend folgt eine zusammenfassende Würdigung (Kapitel 7).
I. Systematisierung der Verhältnismäßigkeitskontrolle Die am positiven Recht ansetzende Analyse der Verhältnismäßigkeitskonstellationen unterscheidet drei große Bereiche: Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung (§ 2), die Verhältnismäßigkeit im Bereich der vertraglichen Nebenpflichten (§ 3) und schließlich die verschiedenen Schranken der Geltendmachung vertraglicher Rechte (§ 4). Hierbei wird oftmals der Begriff der Kontrolle verwendet werden. Damit ist gemeint, dass die Begründung vertraglicher Rechte und Pflichten oder die Ausübung eines Rechts unter einem Vorbehalt steht, dem der Verhältnismäßigkeit. Die Kontrolle kann sich auf die Wirksamkeit des Vertrags insgesamt beziehen, auf Teile seines Inhalts oder eben auf die Berechtigung zur Ausübung eines vertraglich vereinbarten Rechts. Letzten Endes handelt es sich um eine richterliche Einflussmöglichkeit auf privatautonome Gestaltung.197
1. Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten (Kapitel 2) Zentraler Pfeiler jeder freiheitlichen Privatrechtsordnung ist die Kontrollfreiheit der Hauptleistungspflichten (§ 5). Das BGB zieht dieser Freiheit insbesondere mit dem Wucherverbot des § 138 Abs. 2 BGB Grenzen. Ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung alleine, also schlichte Unverhältnismäßigkeit, genügt nach dem Wortlaut dieser Norm indessen nicht; es 196
So auch Pfeiffer, ZEuP 2008, 679, 704 ff. Die Verhältnismäßigkeitskontrolle erfordert indessen nur ausnahmsweise zwingend eine richterliche Intervention, so bei der Herabsetzung einer Vertragsstrafe nach § 343 BGB. Dazu unten § 10 (S. 147 ff.). 197
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
müssen eine besondere Schwächesituation des Benachteiligten und deren Ausbeutung durch den Wucherer hinzutreten. Durch eine Verlagerung des Kontrollschwerpunktes auf das wucherähnliche Geschäft und damit auf die allgemeine Sittenwidrigkeit in § 138 Abs. 1 BGB und die dabei weitgehend erfolgte Marginalisierung dieser Elemente befindet sich die Rechtsprechung gleichwohl auf dem Weg zu einer allgemeinen Verhältnismäßigkeitskontrolle der Hauptleistungspflichten. Auf der Rechtsfolgenseite wird anstelle der von § 138 Abs. 1 BGB angeordneten Totalnichtigkeit des Rechtsgeschäfts zunehmend eine geltungserhaltende Reduktion in unterschiedlichem dogmatischem Gewand und Umfang befürwortet. Rechtsvergleichend wird sich der Befund bestätigen, dass ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ein Indiz für eine Ausbeutung des Benachteiligten, aber auch für eine fehlende Freiwilligkeit des Vertragsschlusses darstellt (§ 6). Das italienische Recht hat dies im Institut der rescissione per lesione stärker formalisiert und damit eine weitgehende praktische Bedeutungslosigkeit erzielt. Im englischen Recht steht vor allem die doctrine of unconscionability als Sammelbegriff für den Schutz der freien Willensbetätigung. Ähnlich die PECL und der DCFR, die Elemente aller untersuchten Rechtsordnungen vereinen, aber auf der Rechtsfolgenseite dem Ausgebeuteten ein Anfechtungsrecht geben statt den Vertrag zu vernichten. Trotz Unterschieden im Einzelnen genügt in keiner Rechtsordnung ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, auch wenn dies als wesentliches Indiz für eine Ausbeutung angesehen wird.
2. Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten (Kapitel 3) Traditionell waren auch die vertraglichen Nebenpflichten kontrollfrei. Dies hat sich jedoch mit der zunehmenden Verbreitung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und der damit einhergehenden massenweisen Vereinbarung von einseitig auf die Interessen der Verwender ausgerichteten Vertragsbedingungen geändert. Die Bedingungen für einen Konditionenwettbewerb bestehen für Formularverträge nicht mehr (§ 8). Während ursprünglich eine enge, am Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgerichtete, richterrechtliche Inhaltskontrolle durchgeführt wurde, sind nun auf der Grundlage von § 307 BGB Klauseln unwirksam, die den Kunden unangemessen benachteiligen (§ 9). Hierin liegt eine Verhältnismäßigkeitskontrolle: Im Unterschied zur Wirksamkeitskontrolle beim Wucher geht es hier nicht um die Gegenüberstellung der vertraglichen Hauptpflichten der Parteien, sondern um die Frage, ob eine einzelne Nebenbestimmung derart von dem im dispositiven Gesetzesrecht oder dem Vertragszweck verkörperten „Normalmaß“ abweicht, dass das vertragliche Äquivalenzgefüge gestört ist. Durch die Vorgaben der EG-Klauselrichtlinie ist dieses Modell für Verbraucherverträge auch in England und Italien verwirklicht.
§ 4. Gang der Untersuchung
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Unterschiede bestehen in der Rechtsfolge: Während im deutschen Recht der Sache nach (wenn auch in unterschiedlichem dogmatischem Gewand) eine geltungserhaltende Reduktion befürwortet wird, die die Totalnichtigkeit der unangemessenen Klausel abmildert, werden solche Lösungen in den anderen Rechtsordnungen ganz überwiegend abgelehnt. Es stellt sich ähnlich wie bei der geltungserhaltenden Reduktion im Rahmen des § 138 BGB die Frage, inwieweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch auf Rechtsfolgenseite einwirkt. Eine gesetzliche Ausprägung einer solchen Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Rechtsfolgenseite ist in allen untersuchten Rechtsordnungen – in unterschiedlichem Umfang – in Bezug auf Vertragsstrafen und ähnliche Abreden gesetzlich vorgesehen (§ 10). Beispielhaft steht § 343 BGB: Eine unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafe ist auf ein angemessenes Maß herabzusetzen. Im Unterschied zu den zuvor untersuchten Fällen zeigt sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hier als begrenzender und gleichermaßen als ausgleichender Faktor. Können diese Regelungen als Modell für eine entsprechende Anwendung in anderen Bereichen dienen? Voraussetzung wäre eine Vergleichbarkeit der jeweiligen Regelungskomplexe. Bereits an dieser Stelle zeigt sich jedoch die Problematik einer solchen Übertragung: Es ist gerade die dem Gedanken der Austauschgerechtigkeit im Vertrag fremde Präventivfunktion der Vereinbarung, die die Herabsetzung legitimiert.
3. Verhältnismäßigkeit und in Vollzug gesetzter Vertrag (Kapitel 4) Die weitaus meisten Normierungen der Verhältnismäßigkeit im positiven Recht finden sich für den in Vollzug gesetzten Vertrag. Während sich die Inhaltskontrolle gegen die Wirksamkeit eines Rechts im vertraglichen Normalfall richtet, dient die Ausübungskontrolle zur Sanktionierung eines individuellen Verstoßes gegen Rücksichten, die innerhalb einer bestehenden Sonderverbindung ein Teil auf den anderen zu nehmen verpflichtet ist.198 Hier wird nicht die Rechtsposition als solche vernichtet, sondern die Art und Weise ihrer Ausübung im Einzelfall. Zentralnorm ist die durch die Schuldrechtsmodernisierung eingefügte Bestimmung des § 275 Abs. 2 BGB, der dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht bei unverhältnismäßiger Leistungserschwerung gibt (§ 12). Parallele Bestimmungen finden u.a. sich in § 275 Abs. 3 BGB sowie in den §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB. Die Verhältnismäßigkeit begrenzt hier die Leistungspflicht des Schuldners. Auch die Vergleichsrechtsordnungen kennen ähnliche Bestimmungen, mit denen die Durchsetzbarkeit des Primäranspruchs begrenzt wird, wenn sie übermäßig belastend wirkt. Auffällig sind diesbezüglich die unterschiedlichen Grundhaltungen von Common Law und den kontinentalen Rechtsordnungen, 198
Larenz, Schuldrecht I, § 10 II b (S. 132).
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
denen insoweit auch PECL und DCFR folgen: Während der kontinentale Ansatz dem Gläubiger grundsätzlich einen Anspruch auf Naturalerfüllung gibt und diesen nur ausnahmsweise einschränkt, geht das englische Recht vom umgekehrten Regel-Ausnahme-Verhältnis aus. Die Funktion, die der Verhältnismäßigkeitsprüfung zukommt, wird von einer richterlichen Ermessensentscheidung übernommen. Zu behandeln ist in diesem Kontext auch die Rolle der Verhältnismäßigkeit bei der Begrenzung von Schadensersatzansprüchen, bei der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen und beim wegen der Bestimmung des § 251 Abs. 2 BGB auch im Vertragsrecht bedeutsamen Schadensersatzrecht. Verbreitet steht die Ausübung von Rechtspositionen auch unter dem Vorbehalt der Geringfügigkeit (§ 13). Dies zeigt sich insbesondere an der Regelung in §§ 323 Abs. 5 Satz 2, 281 Abs. 1 Satz 3 BGB, wonach eine Lösung vom Vertrag bei nur unerheblicher Pflichtverletzung des Schuldners ausgeschlossen ist. Auch die Geringfügigkeitsprüfung gleicht strukturell der Verhältnismäßigkeitskontrolle; hier sind die Interessen des Gläubigers an der Lösung vom Vertrag mit denen des Schuldners an dessen Aufrechterhaltung gegeneinander abzuwägen. Zu erörtern bleiben schließlich die Fälle der nachträglichen Änderungen vertragswesentlicher Umstände, nach deutscher Terminologie solche der Störungen der Geschäftsgrundlage (§ 14). Mit § 313 BGB wurde bisheriges Richterrecht kodifiziert; auf diese Weise ist ein Abgrenzungsproblem zu dem verwandten § 275 Abs. 2 BGB entstanden. Der in § 313 BGB verwendete Begriff der Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag führt ebenfalls zu einer Interessenabwägung, die Charakteristikum der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist. Auch die anderen hier untersuchten Rechtsordnungen anerkennen eine mögliche Befreiungswirkung bei fundamentaler Veränderung der vertragswesentlichen Umstände, sei es nun durch die Institute der eccessiva onerosità sopravvenuta oder der presupposizione im italienischen Recht, der frustration of contract im englischen Recht oder der excessively onerous obligation in den PECL. Nachdem das Hindernis nicht aus der Sphäre einer der beiden Parteien stammt, sieht § 313 BGB folgerichtig zunächst die Anpassung des Vertrags vor und erst subsidiär dazu die Möglichkeit der Lösung der Bindung. Dem folgen im Wesentlichen die PECL, wobei hier eine Pflicht zur Neuverhandlung vorgeschaltet ist. Die umgekehrte Reihenfolge sieht im italienischen Recht Art. 1467 c.c. vor: Die übermäßige Belastung führt zunächst zum Lösungsrecht der benachteiligten Partei; die andere Partei kann durch ein Angebot zur Vertragsanpassung die Bindung aufrecht erhalten. Eine gewisse Extremposition nimmt das englische Recht ein, das grundsätzlich keine Anpassung vorsieht – die Parteien können diese selbstverständlich durch erneuten Vertragsschluss selbst herbeiführen.
§ 4. Gang der Untersuchung
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II. Verhältnismäßigkeit als übergreifender Rechtsgrundsatz des Privatrechts Der dem positiven Recht entnommene Befund wird im zweiten Teil dogmatisch und systematisch strukturiert. Hier soll die Frage beantwortet werden, inwieweit die Fälle der Verhältnismäßigkeit gemeinsame Strukturen aufweisen (Kapitel 5). Die Analyse der im Vertragsrecht geregelten Fälle der Güterabwägung soll ein tragfähiges Fundament schaffen für die Erörterung der Frage, was der normative Geltungsgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist und inwieweit es in gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Fällen interessengerechte Lösungsmodelle bieten kann (Kapitel 6).
1. Die Struktur der Verhältnismäßigkeit (Kapitel 5) Der strukturelle Teil beginnt mit der Erörterung der Frage, inwieweit eine Übereinstimmung besteht zwischen dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem privatrechtlichen (§§ 16 und 17). Als Metarechtsordnung dient die Verfassung als äußerer Bezugspunkt der Privatrechtsordnung, die diesem zwar regelmäßig keinen genauen Inhalt diktiert, aber doch der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit Grenzen setzen kann. Untersucht wird hierbei, ob der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch auf das Privatrecht zurückwirkt und dessen Akteure Beschränkungen unterwirft. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wie es in der Praxis des Verfassungsrechts anerkannt ist, hat für das Vertragsrecht nur insoweit indirekte Bedeutung, als es die gesetzgeberische Kompetenz auch in Bezug auf privatrechtliche Normsetzung beschränken kann. Wenn die Analyse auch ergibt, dass der Verhältnismäßigkeitsbegriff im Verfassungsrecht und im Privatrecht aufgrund der Verschiedenheit der relevanten Schutzgüter nicht identisch ist, so zeigt sich doch in struktureller Hinsicht, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Kern unabhängig vom Anwendungsgebiet gleich aussieht (§ 18): Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein formales Prinzip, dessen Inhalt von den jeweils gegenüberstehenden Bezugsgrößen bestimmt wird. Kennzeichnend ist ein Abwägungsvorgang, der das Ziel hat, einen im Einzelfall angemessenen Interessenausgleich herbeizuführen (§ 19).
2. Normative Wirkung und dogmatische Einordnung (Kapitel 6) Weil der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit formaler Natur ist und somit keine Aussage über eine bestimmte Rechtsfolge enthält, kann eine Analyse seines Geltungsgrundes Aufschluss über seinen möglichen normativen Gehalt geben (§ 21). Hierbei zeigt sich, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Ver-
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Kapitel 1: Einführung und Gegenstand der Untersuchung
tragsrecht vor allem Ausdruck kommutativer Gerechtigkeit ist. Weniger leistungsfähig erweisen sich hier demgegenüber zweckorientierte Ansätze wie insbesondere die ökonomische Analyse des Rechts; diese vermag nur Teilaspekte zu beleuchten, namentlich die Kosten-Nutzen-Relation. Der eigentliche materielle Gehalt, den der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei jeder Anwendung vermittelt, kommt daher nicht aus dem Grundsatz selbst heraus, sondern ausschließlich aus denjenigen Interessen und Werten, die „ins Verhältnis gestellt“ werden. Diese materielle Aufladung wird am Spannungsverhältnis von Vertragsbindung und Grundsatz von Treu und Glauben dargelegt (§ 22). Während die Verhältnismäßigkeitskontrolle im Bereich der Haupt- und Nebenleistungspflichten die (Wieder-)Herstellung der vertraglichen Äquivalenz und damit der ausgleichenden Gerechtigkeit zum Ziel hat, wirkt sie beim in Vollzug gesetzten Vertrag beschränkend: Die Verhältnismäßigkeit ist hier identisch mit der Schrankenfunktion von Treu und Glauben. Wirkung und Grenzen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit werden abschließend an verschiedenen Konstellationen beleuchtet (§ 23): Zunächst geht es um die Frage, ob die Wertung der Unverhältnismäßigkeit vom Primäranspruch auch auf den Sekundäranspruch durchschlägt; dann wird die Frage geklärt, inwiefern gesetzlich angeordnete, „überschießende“ Rechtsfolgen einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterzogen werden können. Ferner wird die Einwirkung bei der Ausübung von Gestaltungsrechten betrachtet sowie schließlich die Entstehung positiver Rechtspflichten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
III. Abschließende Würdigung (Kapitel 7) Der letzte Teil nimmt eine abschließende Würdigung vor und beleuchtet die Rolle der Verhältnismäßigkeit in einem möglicherweise zukünftig entstehenden europäischen Vertragsrecht.
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Erster Teil
Erscheinungsformen der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht
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Kapitel 2
Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten § 5. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung Es ist eine Grundannahme jeder freiheitlichen Vertragsordnung, dass die Parteien Leistung und Gegenleistung frei vereinbaren können. Eine Kontrolle der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung findet nicht statt. Vielmehr wird vermutet, dass die von den Parteien vereinbarten Leistungspflichten äquivalent sind.1 Dabei beschränkt sich diese Vermutung auf diejenigen Fälle, in denen der Parteiwille korrekt und ohne äußere Zwänge zustande gekommen ist, dies zeigen im deutschen Recht die §§ 119 ff., 123 BGB. 2 Aber auch für die auf diese Weise ordnungsgemäß zustande gekommenen Rechtsgeschäfte setzt die Rechtsordnung Schranken, indem sie ihnen dann die Gültigkeit versagt, wenn sie sittenwidrig sind (§ 138 BGB) oder gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen (§ 134 BGB).3 Im Zusammenhang dieser Arbeit gilt ein besonderes Augenmerk dem Wucher, der im deutschen Recht in § 138 Abs. 2 BGB als Spezialfall der Sittenwidrigkeit ein besonderes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung mit der Nichtigkeit des Vertrags sanktioniert, sofern sich dieses als Ausbeutung des Vertragspartners erweist. Die Behandlung einer Vorschrift des Allgemeinen Teils vermag im Rahmen der Beschränkung der Themenstellung auf das Schuldvertragsrecht zunächst verwundern. Rechtsvergleichend betrachtet impliziert die Behandlung übergreifender Institute im Rahmen eines Allgemeinen Teils jedoch keine strikte Trennung in verschiedene Rechtsmaterien. Entscheidend ist die Funktion, die der Wucher als Grenze der vertraglichen Bindung ausübt. Der systematischen Stellung der entsprechenden Regelung kommt demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu.
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Vgl. dazu oben § 2 II. (S. 7 ff.). Eine weitere Schranke bildet die (beschränkte) Geschäftsfähigkeit, §§ 104 ff. BGB. 3 Rechtsvergleichend aus japanischer Sicht dazu Yoshinaga, in: Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, S. 217. 2
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Kapitel 2: Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten
I. Wucher, § 138 Abs. 2 BGB Das Paradigma des Ungleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung wird durch den Tatbestand des Wuchers in § 138 Abs. 2 BGB4 erfasst.5 Ist der Vertrag in einer Zwangslage, aus Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen oder erheblicher Willensschwäche des Bewucherten zustande gekommen, und steht die vertraglich vereinbarte Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zur Leistung, so versagt die Rechtsordnung dem Vertrag insgesamt die Geltung, wenn zusätzlich zu diesem objektiven Gesichtspunkt in subjektiver Hinsicht eine Ausnutzung der Schwächesituation des Vertragspartners gegeben ist,6 in der dessen tatsächliche Entscheidungsfreiheit nicht mehr gewährleistet ist.7 § 138 Abs. 2 BGB setzt auf diese Weise im Sinne einer Verhältnismäßigkeitskontrolle eine äußere Grenze der vertraglichen Gestaltungsfreiheit. Dieses subjektive Element zeigt, dass der BGB-Gesetzgeber gerade kein rein objektiv verstandenes Äquivalenzprinzip im Sinne einer laesio enormis einführen wollte.8 Dennoch steht dieses Rechtsinstitut Pate für den heutigen Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB, gerade in der verobjektivierten Auslegung, die
4 Umstritten ist das Verhältnis von § 138 Abs. 2 BGB zum strafrechtlichen Wucherverbot des § 291 StGB, das über § 134 BGB ebenfalls zur Nichtigkeit des Vertrags führt. Während vereinzelt ein Vorrang von § 134 BGB angenommen wird (so Jauernig / Jauernig, § 138 Rn. 19), was § 138 Abs. 2 BGB gegenstandslos werden ließe, will eine weitere Ansicht beide Wuchertatbestände parallel anwenden (vgl. Erman / Palm, § 138 Rn. 10 a.E.; ähnlich wohl Soergel / Hefermehl, § 138 Rn. 70). Die Gegenansicht nimmt einen Vorrang von § 138 Abs. 2 BGB an (MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 4, 140; AnwK-BGB / Looschelders, § 138 Rn. 357; Palandt / Ellenberger, § 138 Rn. 65; PWW / Ahrens, § 138 Rn. 51). Für diese letztere Ansicht spricht die ausdrückliche Regelung des Wuchers in § 138 Abs. 2 BGB, die durch die Einführung des § 291 StGB nicht funktionslos gemacht werden sollte. Überdies ist § 138 Abs. 2 BGB lex specialis zu § 138 Abs. 1 BGB, daher gilt die Spezialität von § 134 BGB im Verhältnis zu § 138 Abs. 1 BGB zu Abs. 2 nicht. Inhaltlich hat der Streit freilich keine Konsequenzen, da § 291 StGB i.V.m. § 134 BGB – bis auf die sog. Additionsklausel, die aber in § 138 Abs. 2 BGB hineingelesen wird, dazu Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 178 – inhaltsgleich ist mit § 138 Abs. 2 BGB. 5 Vgl. auch MüKo-BGB / G. H. Roth, § 242 Rn. 425: § 138 Abs. 2 als „Grundnorm des BGB zur Inäquivalenz“; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 240: „§ 138 BGB als das grundlegende rechtsgeschäftliche Übermaßverbot“; ders., AcP 200 (2000), 273, 280: § 138 Abs. 2 BGB trägt den „Charakter eines Grundmodells“ für den Schutz der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit. A.A. offenbar Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 42 (§ 138 Abs. 2 BGB sei keine Ausprägung der Verhältnismäßigkeit). 6 Die Bedeutung dieses zusätzlichen Merkmals unterstreicht zutreffend Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 207. 7 Soergel / Hefermehl, § 138 Rn. 77 ff.; AnwK-BGB / Looschelders, § 138 Rn. 359 ff., 365 ff. 8 Dazu Canaris, Iustitia distributiva, S. 51 f. Canaris (a.a.O., S. 57) weist zutreffend darauf hin, dass ein nur objektiv verstandenes Äquivalenzprinzip, also die reine Gegenüberstellung von Leistung und Gegenleistung, nicht mit dem Neutralitätsgebot des Staates gegenüber dem Vertragsinhalt vereinbar wäre.
§ 5. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
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der deutschen Rechtsprechung zugrunde liegt.9 Im europäischen Vergleich ist dies keine Besonderheit, wie der Vergleich mit Österreich zeigt. Auch im italienischen Recht zeigt sich, dass die Lehre von der laesio enormis weiterhin Wirkkraft hat.10
1. Historische Entwicklung Der Gedanke der Sanktion wucherischer Rechtsgeschäfte findet seinen Ursprung wohl in zwei Konstitutionen des römischen Kaisers Diokletian aus den Jahren 285 und 293, in der ein Verbot der „enormen Verletzung“ erlassen wurde.11 Dieses Verbot betraf Grundstückskäufe, für die nur die Hälfte des Wertes bezahlt worden war; hier konnte der Verkäufer den Vertrag rückgängig machen. Dem Käufer wiederum stand die Möglichkeit offen, durch Erhöhung des Kaufpreises bis zum „gerechten Preis“ den Rücktritt des Verkäufers abzuwenden.12 Diese (erst später so genannte13) laesio enormis war rein objektiv zu bestimmen, eine verwerfliche Gesinnung des Käufers war nicht erforderlich. Eine besondere praktische Bedeutung scheint die Vorschrift indessen nicht gehabt zu haben.14 Im Codex des Kaisers Justinian von 534 tauchte die laesio wieder auf;15 erst im Mittelalter aber kam das Rechtsinstitut dann zu größerer Bedeutung. Sukzessive wurde ihr Anwendungsbereich vom Grundstückskauf auf andere Rechtsgeschäfte ausgedehnt.16 Es war dann die auf Thomas von Aquin zurückgehende17 Vorstellung vom gerechten Preis, dem iustum pretium, die scholastische und kanonistische, später naturrechtliche Gerechtigkeitsvorstellungen umsetzte.18 Danach hatte jedes 9
Dazu näher sogleich unten 2. (S. 47 ff.). Dazu unten § 6 I. (S. 64 ff.). 11 Diocl. C. 4, 44, 2 u. 8; dazu Kaser, Das Römische Privatrecht, Band II, § 264 III (S. 388 ff.). 12 Dazu Mayer-Maly, in: FS Larenz II, S. 395 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 262 ff.; Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 2 f.; Lanzillo, in: Commentario ScialojaBranca, Introduzione Anm. 2 ff. (S. 4 ff.). 13 Zuerst findet sich der Begriff der laesio enormis wohl beim Glossator Hugolinus (nach 1216), vgl. Becker, Laesio enormis, S. 10. 14 Teilweise werden die beiden Reskripte daher auch Justinian zugeschrieben, vgl. Zimmermann, Law of Obligations, S. 259 ff. mit Fn. 156. Anders aber die heute überwiegende Ansicht, vgl. Pennitz, in: FS Mayer-Maly, S. 575, 577; weitere Nachweise bei Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 186 mit Fn. 16. 15 Dazu Pennitz, in: FS Mayer-Maly, S. 575, 579, 588. 16 Zur Entwicklung Zimmermann, Law of Obligations, S. 262 ff. 17 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, Secunda secundae, Quaestio LXXVII, Art. I: „Et ideo carius vendere aut vilius emere rem quam valeat, est secundum se iniustum et illicitum.“ 18 Dazu Reinhardt, in: FS Lehmann, S. 221; Mayer-Maly, in: FS Demelius, S. 139, 146; Luig, in: FS Coing, S. 171; U. Hübner, in: FS Steindorff, S. 589; Zimmermann, Law of Obligations, S. 255 ff.; Lanzillo, in: Commentario Scialoja-Branca, Introduzione Anm. 4 ff. (S. 6 ff.). 10
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Kapitel 2: Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten
Gut seinen ihm eigenen Wert, nach dem der „gerechte“ Preis zu bemessen war, und der sich nicht notwendig an den Produktionskosten orientierte.19 Seit jeher war es das Grundproblem dieses Modells der Vertragskontrolle, zu bestimmen, was der gerechte Preis für einen Gegenstand sei. 20 Auch Thomas von Aquin erkannte an, dass sich ein iustum pretium nicht exakt bestimmen lasse. 21 Die naturrechtlichen Kodifikationen nahmen den Gedanken der laesio enormis nicht durchgängig auf: Während das preußische ALR in I, 11, §§ 58 f. die Vermutung aufstellte, dass ein zur Lösung vom Vertrag berechtigender Irrtum dann vorliege, wenn „der Kaufpreis den doppelten Betrag des Werths der Sache übersteigt“, 22 beschränkt sich der Code civil auf eine Einzelregelung in Art. 1674 code civil, nach der dem Verkäufer eines Grundstücks das Recht zur Vertragsauflösung (rescision) zusteht, wenn der Kaufpreis weniger als 7/12 des wirklichen Wertes beträgt. 23 Das österreichische ABGB hingegen kennt in Art. 934, 935 ABGB eine allgemeine objektive Regelung der laesio enormis. 24 Auch hier kann der andere Teil die Aufhebung des Vertrags durch Wertausgleich verhindern. 25 Bei der Schaffung des BGB wurde ausdrücklich auf eine Übernahme der laesio enormis verzichtet. Ganz im Geiste des Liberalismus des 19. Jahrhunderts sahen die Redaktoren in diesem Rechtsinstitut eine Gefahr für den Rechtsverkehr, weil dadurch leichtsinnige Vertragsschlüsse begünstigt und nachträgliche Anfechtungen im Falle der Veränderung der „Konjunkturen“ der Parteien he19
Vgl. die Nachweise bei Zimmermann, Law of Obligations, S. 265 f. Als Ausweg sah etwa Diokletian die Einführung von Höchstpreisen in einem Edikt aus dem Jahr 301, deren Überschreitung mit der Todesstrafe geahndet wurde. Hierzu Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 40 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 260 f. 21 Thomas von Aquin, Summa theologiae, Secunda secundae, Quaestio LXXVII, Art. I, ad primum: „Et tenetur ille qui plus habet recompensare ei qui damnificatus est, si sit notabile damnum. Quod ideo dico quia iustum pretium rerum quandoque non est punctaliter determinatum, sed magis in quadam aestimatione consistit, ita quod modica additio vel minutio non videtur tollere aequalitatem iustitiae.“ 22 Dazu Luig, AcP 194 (1994), 521, 533 ff. 23 Art. 1674 code civil lautet: „Si le vendeur a été lésé de plus de sept douzièmes dans le prix d’un immeuble, il a le droit de demander la rescision de la vente, quand même il aurait expressément renoncé dans le contrat à la faculté de demander cette rescision, et qu’il aurait déclaré donner la plus-value.“ Die Vorschrift beschreibt eine enge Ausnahme zur allgemeinen Regel des Art. 1118 code civil, der lautet: „La lésion ne vicie les conventions que dans certains contrats ou à l’égard de certaines personnes, […].“ Eine weitere Ausnahme findet sich in Art. 1305 code civil für Verträge, die von Minderjährigen geschlossen werden. 24 § 934 ABGB lautet: „Erhält bei einem entgeltlichen Geschäft eine Partei weniger als die Hälfte dessen, was sie der anderen Partei gibt, kann sie den Vertrag aufheben.“ Das ABGB enthält daneben auch einen § 138 Abs. 2 BGB entsprechenden allgemeinen Wucherparagraphen in § 879 Abs. 2 Satz 4 ABGB, hierzu Joeinig, ÖJZ 2003, 1; kurz dazu auch Larenz, Richtiges Recht, S. 66 f. 25 Zur entsprechenden Regelung im italienischen Recht in Art. 1448 Abs. 2 c.c. unten § 6 I. 1. (S. 65 ff.). 20
§ 5. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
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rausgefordert würden. 26 Auch die eigenständige Regelung des Wuchers in § 138 Abs. 2 BGB erfolgte erst zu einer späten Phase der Schaffung des BGB. 27 Deutlich zeigt sich die Abkehr von der rein objektiven laesio enormis durch die Aufnahme des subjektiven Elements der „Ausbeutung“ einer Schwächesituation des Vertragspartners. Während die Abwendung von der laesio enormis zu Beginn des letzten Jahrhunderts als Fortschritt gefeiert wurde, 28 so kann man seit der Zeit nach dem 2. Weltkrieg bis heute eine deutlich verstärkte Rückentwicklung zu einer Verobjektivierung der Austauschgerechtigkeit feststellen. 29
2. Inhalt Der Tatbestand des Wuchers in § 138 Abs. 2 BGB enthält drei Voraussetzungen, zwei objektive und eine subjektive: Zunächst muss sich der benachteiligte Vertragspartner in einer Lage befunden haben, die man unscharf mit Schwächesituation umschreiben kann; das Gesetz nennt hier – abschließend30 – die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen und die erhebliche Willensschwäche. Des weiteren muss ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen. Dieses alleine reicht jedoch nicht, vielmehr muss der Wucherer in subjektiver Hinsicht die Schwächesituation ausgebeutet haben, das heißt er muss Kenntnis gehabt haben vom Ungleichgewicht der Leistungen und der Schwächesituation des Vertragspartners.31
26 Vgl. Motive II, S. 321. Zur Entwicklung des Kreditwuchers seit 1880 eingehend HKK / Haferkamp, § 138 Rn. 12 ff. 27 Luig, in: FS Coing, S. 171; Mayer-Maly, in: FS Larenz II, S. 395, 403; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht, S. 147 ff. 28 Hedemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im 19. Jahrhundert I, S. 14. 29 Stellvertretend das bekannte Wort Wieackers (Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher, S. 18), die Rechtsprechung habe „die formale Freiheitsethik, die der deutschen Privatrechtsordnung zugrunde lag, in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt“. Vgl. zur „Materialisierung“ der Vertragsgerechtigkeit auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 520; Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 39 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 282 ff. Kritisch aber HKK / Haferkamp, § 138 Rn. 7, der darauf hinweist, dass auch im 19. Jahrhundert nicht nur ein schrankenloser Individualismus und Liberalismus herrschte. 30 AnwK-BGB / Looschelders, § 138 Rn. 365. Diese enge Auslegung des § 138 Abs. 2 BGB verliert jedoch dadurch an Schärfe, dass die Fallgruppe der „wucherähnlichen Rechtsgeschäfte“ des § 138 Abs. 1 BGB von der Rechtsprechung recht großzügig gehandhabt wird, dazu sogleich unten II. (S. 51 ff.). 31 BGHZ 80, 153, 160 f.
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Kapitel 2: Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten
a) Auffälliges Missverhältnis Das auffällige Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung setzt begrifflich das Vorliegen eines Austauschvertrags voraus.32 Dazu sind zunächst die objektiven33 Werte von Leistung und Gegenleistung zu ermitteln und gegenüberzustellen. Wann ein Missverhältnis vorliegt, das „auffällig“ oder „grob“ ist, muss in einer Gesamtbetrachtung in jedem Einzelfall festgestellt werden.34 Anhand der konkreten vertraglichen Abrede muss ermittelt werden, ob ein etwa bestehendes Missverhältnis nicht durch die Übernahme eines hohen Risikos gerechtfertigt sein kann.35 So kann ein besonders hoher Darlehenszins gerechtfertigt sein, wenn der Wert der bestellten Sicherheiten geringer ist als das ausgereichte Darlehen.36 Auch die Knappheit bestimmter Güter kann eine deutlich erhöhte Gegenleistung rechtfertigen, so etwa der Verkauf von Eintrittskarten für die Bayreuther Festspiele oder das Endspiel einer Weltmeisterschaft.37 Der „Marktpreis“, der zur Bestimmung des objektiven Werts der jeweiligen Leistung dient,38 muss in diesen Fällen individuell für eine bestimmte Kategorie von Rechtsgeschäften bestimmt werden.39 Je weniger hierbei wegen der Singularität des Leistungsgegenstandes ein echter „Markt“ besteht, für den ein Marktpreis bestünde, desto mehr sind die Umstände des Einzelfalles entscheidend.40 Umgekehrt kann in einem Bereich mit leicht feststellbarem Marktpreis41 das Missverhältnis eher anhand von typisierenden Merkmalen ermittelt werden. 32 BGH NJW 1982, 2767 (erforderlich ist ein Austauschverhältnis vermögensrechtlicher Art). Bürgschaften fallen daher nicht unter § 138 Abs. 2 BGB, wohl aber möglicherweise unter § 138 Abs. 1 BGB: BGH NJW 1988, 2599, 2602; BGHZ 106, 269, 271 f.; BGH NJW 1991, 2015, 2017; a.A. Wochner, BB 1989, 1354, 1356 f., der in Bürgschaftsfällen § 138 Abs. 2 BGB anwenden will. Zur Problematik näher unten II. 2. b) (S. 56 ff.). 33 BGHZ 146, 298, 303; weitere Nachweise bei Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 177. 34 Vgl. nur Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 177; Soergel / Hefermehl, § 138 Rn. 74. 35 BGHZ 69, 295, 300 f.; BGH NJW 1982, 2767 und dazu eingehend Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 227 ff.; vgl. auch Singer, JZ 2001, 195, 196. 36 BGH NJW 1982, 2767. 37 Vgl. OLG Köln IPRspr 1991, Nr. 48: Hier war ein Vertrag über eine Eintrittskarte zum Endspiel der Fußball-WM 1990 in Rom für DM 3250,– nicht für wucherisch gehalten worden, obwohl die normale Eintrittskarte nur umgerechnet DM 337,- gekostet hätte und wegen des Ausscheidens Italiens noch reguläre Karten verfügbar gewesen wären. Gerade bei solch singulären Ereignissen kann sich jedoch ein „Marktpreis“ herausbilden, der deutlich über dem regulären Verkaufspreis liegt. 38 BGHZ 125, 135, 137; BGH NJW 1999, 3187, 3190; BGH NJW 2002, 55, 56. 39 Hier stellt sich die Frage, ob ein „Marktpreis“ sich stets zuverlässig bestimmen lässt, vgl. zum Problem etwa Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 211 ff.; Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 196 f. Es kann auch verschiedene „Märkte“ für ein und dasselbe Produkt geben, so etwa beim Handel mit Münzen, vgl. dazu BGH NJW 2000, 1254, 1255 (Anbieterund Nachfragermarkt). 40 Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 179. 41 Vgl. etwa für Gebrauchtwagen die so genannte „Schwacke-Liste“.
§ 5. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
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Der unbestimmte Rechtsbegriff des auffälligen Missverhältnisses vermeidet damit die starre Formel einer laesio enormis, die mit einem festen Wertverhältnis arbeitet und damit willkürliche Grenzen für ein Missverhältnis einführt. Gleichzeitig stellt er höhere Anforderungen an das Können des (richterlichen) Rechtsanwenders, bei der Auslegung dieses Rechtsbegriffs nicht in Beliebigkeit zu verfallen, sondern nachvollziehbare Kriterien zu entwickeln, die eine Gleichbehandlung vergleichbarer Fallkonstellationen erlaubt. Die Rechtsprechung arbeitet indessen mit der groben Richtschnur, dass ein auffälliges Missverhältnis dann vorliegt, wenn der Wert der Leistung annähernd doppelt so hoch ist wie derjenige der Gegenleistung.42 Wenn diese Grenze wegen einer im Einzelfall bestehenden besonderen Risikoübernahme durch die übervorteilende Partei auch deutlich über- oder unterschritten werden kann, so orientiert sich die Rechtsprechung damit doch erkennbar an der von der laesio enormis bekannten Grenze des ne ultra dimidium. b) Schwächesituation Die Überschreitung dieser Grenze allein ist jedoch nicht ausreichend für die Missbilligung des Vertrags durch die Rechtsordnung; die bloße Ausbeutung des Vertragspartners für sich genommen genügt nicht. Vielmehr muss der Vertrag in einer Schwächesituation des übervorteilten Vertragspartners abgeschlossen worden sein; dieser muss sich in einer Lage befunden haben, die eine freie Entscheidung für das Rechtsgeschäft jedenfalls typischerweise nicht mehr zulässt.43 Diese Schwächesituation ist grundsätzlich objektiv zu ermitteln; dies zeigen die Tatbestandsmerkmale der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen und der erheblichen Willensschwäche. Einzig in Bezug auf die Zwangslage könnte auch eine subjektive Betrachtungsweise zu erwägen sein,44 nämlich dann, wenn der Bewucherte fälschlicherweise annimmt, er befinde 42 Vgl. aus neuerer Zeit etwa BGHZ 146, 298, 302; BGH NJW 2002, 55, 57; BGH NJW 2002, 429, 432 m.w.N. Es haben sich für verschiedene Vertragstypen in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, in denen jeweils eine Größe für ein typischerweise bestehendes Missverhältnis fest steht. Dazu eingehend Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 179 ff. 43 Teilweise wird diese als ein „die rationale ökonomische Disposition behindernder Faktor“ beschrieben, vgl. MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 143. Der Begriff ist jedoch unscharf, da nicht jedes Rechtsgeschäft, das außerhalb einer in § 138 Abs. 2 BGB umschriebenen Schwächesituation eine ökonomisch rationale Disposition darstellt und umgekehrt auch in Schwächesituationen getätigte Rechtsgeschäfte durchaus ökonomisch vorteilhaft sein können. 44 Teilweise wird im Hinblick auf die „Ausbeutung einer Schwächesituation“ insgesamt vom subjektiven Tatbestand gesprochen, so etwa Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 194; ebenso PWW / Ahrens, § 138 Rn. 56 ff. und auch die Rechtsprechung des BGH, vgl. etwa BGH NJW 2003, 2230, 2231. Dies verdeckt, dass hier zwei verschieden zu beurteilende Tatbestandsmerkmale vorliegen, vgl. Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 206 f.; ebenso jurisPK-BGB / Nassall, § 138 Rn. 51; Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 184.
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Kapitel 2: Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten
sich in einer Zwangslage. Denn auch in einem solchen Fall liegt eine Einschränkung seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit vor, auf deren Schutz die verschiedenen Konstellationen der Schwächesituation in § 138 Abs. 2 BGB zielen.45 Wenn von der wohl herrschenden Meinung dennoch angenommen wird, es müsse eine objektive Zwangslage bestehen, so ist dies im praktischen Ergebnis unerheblich, da der Schutz des Bewucherten regelmäßig über § 138 Abs. 1 BGB gewährleistet werden kann.46 c) Ausbeutung der Schwächesituation Nach dem Wortlaut des § 138 Abs. 2 BGB genügt es nicht, dass objektiv zusätzlich zu dem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung eine Schwächesituation des Vertragspartners gegeben war. Vielmehr muss der Wucherer diese Schwäche ausgebeutet haben, er muss also von ihr Kenntnis gehabt und sie zur Vereinbarung eines übermäßigen Vorteils ausgenutzt haben.47 Diese subjektive Voraussetzung hat die Rechtsprechung jedoch abgeschwächt und ein System abgestufter Vermutungen geschaffen, wodurch die Anforderungen an die „Ausbeutung“ durch den Wucherer faktisch deutlich gesenkt wurden. So spricht bei objektiv wucherischen Verbraucherkreditgeschäften eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Kreditnehmer den Vertrag in einer Schwächesituation abgeschlossen hat, und dass der Kreditgeber sich diese auch zunutze gemacht hat.48 Im vollkaufmännischen Verkehr gilt diese Vermutung grundsätzlich nicht.49 Liegt in objektiver Hinsicht aber ein nicht nur auffälliges, sondern sogar ein besonders grobes Missverhältnis vor, so wird das Vorliegen einer Schwächesituation genauso wie deren Ausbeutung auch im kaufmännischen Verkehr vermutet.50
45 Vgl. nur Canaris, AcP 200 (2000), 273, 280. Ebenso MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 143; AnwK-BGB / Looschelders, § 138 Rn. 365; Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 206. Anders etwa Soergel / Hefermehl, § 138 Rn. 70, 77; Bamberger / Roth / Wendtland, § 138 Rn. 40, die allein auf den Schutz des Unterlegenen vor wirtschaftlicher Ausbeutung abstellen. 46 Für die herrschende Meinung etwa MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 149; Soergel / Hefermehl, § 138 Rn. 78; Erman / Palm, § 138 Rn. 20 f.; AnwK-BGB / Looschelders, § 138 Rn. 367; hiergegen Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 204 m.w.N.; Bamberger / Roth / Wendtland, § 138 Rn. 51; Palandt / Ellenberger, § 138 Rn. 70 (eine lediglich angenommene Zwangslage reiche aus). 47 Ständige Rechtsprechung, vgl. BGH NJW 1994, 1275, 1276. Im Unterschied zur widerrechtlichen Drohung hat der Benachteiligende hier die Zwangslage nicht selbst geschaffen, sondern nutzt sie nur aus, um einen für sich vorteilhafteren Vertragsschluss zu erzielen. Vgl. zu den philosophischen Grundlagen der Unterscheidung zwischen Zwang und Ausbeutung Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, S. 165 ff. 48 BGHZ 80, 153, 159 f.; siehe dazu auch Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 215. 49 Vgl. BGHZ 98, 174, 178; BGH NJW 1983, 1420, 1421; BGHZ 128, 255, 268; BGH NJWRR 1989, 1068; BGH NJW 2003, 2230, 2231. 50 BGH NJW-RR 1990, 1199; BGH NJW 1994, 1275.
§ 5. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
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Trotz dieser Zugeständnisse kommt § 138 Abs. 2 BGB nur geringe praktische Bedeutung zu. Regelmäßig operiert die Rechtsprechung mit der weitaus offener formulierten Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB, anstatt die engeren Tatbestandsmerkmale des Wuchers zu prüfen.51 Hierfür wird angeführt, dass die strengen Rechtsfolgen des § 138 Abs. 2 BGB, der auch das Erfüllungsgeschäft sowie etwa vom Bewucherten bestellte Sicherheiten erfasst, eine restriktive Anwendung der Norm erfordere.52 Auf diese Weise hat sich in § 138 Abs. 1 BGB eine eigenständige Fallgruppe der wucherähnlichen Rechtsgeschäfte herausgebildet.
II. Wucherähnliche Geschäfte, § 138 Abs. 1 BGB Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB nicht erfüllt, so kann das Rechtsgeschäft dennoch als wucherähnlich zu qualifizieren und damit nichtig sein, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht und weitere Umstände hinzutreten, die das Rechtsgeschäft in einer Gesamtbetrachtung als sittenwidrig erscheinen lassen.53 Eine Äquivalenzkontrolle findet damit auch unter dem Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit in § 138 Abs. 1 BGB statt.
1. Ausgangspunkt: Tatbestandliche Parallele zu § 138 Abs. 2 BGB Aus dem Wort „insbesondere“ in § 138 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass der Wucher als Anwendungsfall der Sittenwidrigkeit verstanden wird, diese also konkretisiert.54 Damit ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, ob § 138 Abs. 2 BGB eine Sperrwirkung gegenüber der allgemeinen Sittenwidrigkeit in § 138 Abs. 1 BGB entfaltet. Dies wäre der Fall, wenn das krasse Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nur unter den Voraussetzungen des Wuchers geahndet werden könnte. Ein derartiges Ausschlussverhältnis kann hingegen nicht angenommen werden, es ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 138 BGB, noch besteht angesichts der tatbestandlichen Beschränkung des § 138 Abs. 2 BGB ein Bedürfnis nach einem absoluten Vorrang. 55 Im Gegenteil erscheint angesichts der Schutzlücken, die der Wuchertatbestand lässt, ein Auf51 Vgl. bereits RGZ 150, 1, 2 ff. (die Entscheidung ist wegen der Bezugnahme auf „das seit dem Umbruch herrschende Volksempfinden“ problematisch; siehe zu ihr HKK / Haferkamp, § 138 Rn. 17); umfangreiche Nachweise zur Rechtsprechung des BGH bei Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 228. 52 BGH NJW 1982, 2767; BGH NJW 1994, 1275. 53 BGH NJW 1983, 1420, 1421; BGH NJW-RR 1998, 1065, 1066 m.w.N. 54 RGZ 150, 1, 2 f.; BGHZ 80, 153, 160; BGH NJW 1980, 2301. 55 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 206 ff.; Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 229; dazu auch W. Schünemann, JZ 2005, 271.
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fangen der hiervon nicht erfassten Fälle durch die Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB – mangels Regelungslücke – grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer analogen Anwendung von § 138 Abs. 2 BGB.56 Als wucherähnliche Rechtsgeschäfte sieht die Rechtsprechung Fälle an, die zwar tatbestandlich nicht § 138 Abs. 2 BGB unterfallen, bei denen aber doch „ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht und weitere Umstände hinzutreten, insbesondere der Begünstigte aus verwerflicher Gesinnung gehandelt“,57 oder wenn er die schwierige Lage oder auch die Unerfahrenheit des Partners für das eigene unangemessene Gewinnstreben ausgenutzt hat.58 Wie beim Wucher ist somit auch das wucherähnliche Rechtsgeschäft im Grundsatz von objektiven und subjektiven Faktoren gekennzeichnet: Im Kern steht ein auffälliges oder grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung; hinzu treten weitere (objektive) Voraussetzungen in der Person des Bewucherten, die auch hier als Schwächesituation charakterisiert werden können, sowie eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten. Das Rechtsgeschäft muss sich in seinem Gesamtcharakter als sittenwidrig erweisen.59
2. Das auffällige Missverhältnis als Kern eines beweglichen Systems? Die Kombination aus objektiven und subjektiven Elementen, wie sie dem wucherähnlichen Geschäft in Anlehnung an den Tatbestand des § 138 Abs. 2 BGB zugrunde liegt, erfährt in der Praxis der Rechtsprechung jedoch eine deutliche Verschiebung zugunsten einer rein objektiven Betrachtung des Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. a) Dominanz der Äquivalenzkontrolle – Wiedergeburt der laesio enormis?60 Eine gewisse Extremposition nimmt dabei ein Urteil des OLG Stuttgart ein. 61 Im Falle eines nicht gewerblichen Darlehensvertrags nahm das Gericht eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB wegen besonders grober objektiver Inäquivalenz auch ohne subjektive Elemente am; der Zinssatz hatte das Marktübliche um mehr als 100 % überschritten. Bei der Festlegung dieser Schwelle orientierte sich das Gericht ausdrücklich an den Grundsätzen der laesio enor56 Für eine Analogiefähigkeit in Bezug auf die Schwächesituation des Bewucherten umschreibenden Tatbestandsmerkmale jedoch MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 153. 57 BGH NJW 2003, 1860, 1861; vgl. bereits RGZ 83, 109, 112 f. m.w.N. 58 BGH NJW-RR 1998, 1065, 1066. 59 RGZ 83, 109, 112; BGHZ 80, 153, 165 f., 171 f.; BGH NJW 2007, 2841; weitere Nachweise bei Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 231. 60 So der programmatische Titel des Beitrags von Mayer-Maly, FS Larenz II, S. 395; ebenso Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183. 61 NJW 1979, 2409, 2410.
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mis und deren Ausprägung im österreichischen Recht in § 934 ABGB.62 Das Urteil wurde nachfolgend vom BGH unter deutlicher Ablehnung der Parallelen zur laesio enormis aufgehoben.63 Der BGB-Gesetzgeber habe in Kenntnis der gemeinrechtlichen laesio und des österreichischen Rechts gerade nicht ein objektives Missverhältnis für den Wucher genügen lassen. Um also die gesetzgeberische Wertung nicht zu durchkreuzen, sei auch für das wucherähnliche Geschäft stets ein subjektives Element erforderlich, nämlich im Regelfall die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten.64 Dieser Ansatz wird bis heute fortgeführt.65 Dessen ungeachtet stellt die Rechtsprechung – wie auch bei § 138 Abs. 2 BGB – für das Vorliegen der Schwächesituation ebenso wie für die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten in unterschiedlicher Intensität Vermutungen auf, so dass zumindest ein deutliches Übergewicht der Äquivalenzkontrolle gegenüber den anderen Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit festzustellen ist.66 Ausgangspunkt ist dabei stets das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Je auffälliger, grober oder krasser – die Terminologie schwankt hier – dieses ausfällt, desto eher besteht eine Vermutung, dass das Rechtsgeschäft in einer Schwächesituation des Bewucherten geschlossen wurde und dass seitens des Begünstigten eine wie auch immer geartete verwerfliche Gesinnung vorliegt.67 Liegt ein besonders grobes Missverhältnis vor, dann wird die verwerfliche Gesinnung indiziert; bei (nur) auffälligem Missverhältnis hingegen müssen zusätzliche weitere Faktoren vorliegen, um das Verdikt der Sittenwidrigkeit zu rechtfertigen.68 Eine Kenntnis des Begünstigten vom auffälligen Missverhältnis fordert der BGH allerdings nicht mehr.69 Denn eine verwerfliche Gesinnung müsse schon dann bejaht werden, wenn sich der Begünstigte „zumindest leichtfertig der Einsicht verschließt“, dass sich der andere Teil nur unter dem Zwang der Verhältnisse oder den in § 138 Abs. 2 BGB genannten Umständen auf den ungünstigen Vertrag eingelassen hat.70
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OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2410. BGHZ 80, 153. 64 BGHZ 80, 153, 156. 65 Vgl. aus jüngerer Zeit etwa BGHZ 146, 298; BGH NJW 2002, 3165, 3166; BGH NJW 2007, 2841, 2841. Genauso bereits die Rechtsprechung des Reichsgerichts, vgl. RGZ 150, 1, 3 ff. 66 Zu den Tendenzen hin zu einer „sozialen Auslegung“ des § 138 BGB Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 120 ff. 67 BGHZ 146, 298, 302 f. 68 BGHZ 160, 8, 16; hierzu MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 115. 69 BGHZ 146, 298, 303; BGH NJW 2002, 3165, 3166 im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung, etwa in BGH NJW 1996, 1204; BGH NJW-RR 1993, 198; kritisch dazu insbesondere Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 193 ff.; vgl. auch Jung, ZGS 2005, 95, 99 ff. 70 BGHZ 80, 153, 160 f.; BGH NJW 1980, 2301; BGH NJW-RR 1993, 198, 200; BGHZ 146, 298, 302. 63
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Die Grenze für das besonders grobe Missverhältnis hat sich zunächst bei Kreditgeschäften,71 später auch bei Kaufverträgen über Grundstücke72 und bewegliche Sachen73 dahingehend konkretisiert, dass eine tatsächliche Vermutung für die Sittenwidrigkeit schon dann gegeben ist, wenn der geforderte Zins den marktüblichen Zins um etwa 100 % übersteigt bzw. der Wert der Gegenleistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Leistung.74 Stets betont der BGH, dass es sich dabei nur um einen Richtwert handelt: „Ohnedies kann es bei einer Diskrepanz zwischen den Werten von Leistung und Gegenleistung keine starre Grenze geben, jenseits derer die Sittenwidrigkeit beginnt. Daher handelt es sich bei dem dargestellten Wertmißverhältnis von etwa 100 % jedenfalls bei Austauschgeschäften größeren Umfangs auch nur um einen für die Bedürfnisse der Praxis geschaffenen Richtwert. Maßgeblich sind immer die Gegebenheiten des Einzelfalles, …“75
Die Vermutung für die Sittenwidrigkeit beruht auf dem „Erfahrungssatz“, dass außergewöhnliche Gegenleistungen nicht ohne Not oder andere den Benachteiligten hindernde Umstände zugestanden werden.76 Willigt also jemand in ein für ihn offensichtlich nachteiliges Rechtsgeschäft ein, so löst dies nach der Lebenserfahrung nicht nur einen Verdacht, sondern eine Vermutung aus, dass der Vertragsschluss nicht unter normalen Bedingungen zustande kam, sondern dass der Begünstigte eine Schwächesituation des anderen Teils in rechtlich zu missbilligender Weise zu seinen Gunsten ausnutzte.77 Folgerichtig lässt der BGH die Vermutung nicht gelten, wenn der Benachteiligte Vollkaufmann oder Unternehmer ist.78 Mit einer gewissen Berechtigung wird die Pauschalität kritisiert, mit der vom BGH die ursprünglich für den Verbraucherkredit eingeführte Vermutung 71
BGHZ 104, 102, 105; BGHZ 110, 336, 338; BGH NJW-RR 2000, 1431, 1432. Vgl. etwa BGH WM 1980, 597; BGH WM 1984, 874, 875; BGH NJW-RR 1991, 589; BGH NJW 1992, 899, 900; BGH NJW 1995, 2635, 2636; BGH WM 1997, 1155. 73 Jedenfalls für Geschäfte von absolut betrachtet erheblicher Größenordnung: BGH NJW-RR 1998, 1065, 1066 (Verkauf eines Spielautomaten). 74 Offengelassen für Maklervertrag: BGH NJW 2000, 2669 f. 75 BGH NJW-RR 1998, 1065, 1066. 76 BGH WM 1997, 1155, 1157; BGHZ 146, 298, 302 f.; BGH NJW 2002, 429, 432; BGHZ 160, 8, 15. 77 Der BGH hat in BGHZ 146, 298, 304 f. ausdrücklich offengelassen, ob es sich dabei um einen Anscheinsbeweis handelt, der vollen Beweis für die verwerfliche Gesinnung zu erbringen vermag, oder (nur) um einen Indizienbeweis (zur Unterscheidung Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 53 ff.). Bei der für die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten aufgestellten Vermutung handele es sich jedenfalls, so der BGH, um eine „beweiserleichternde tatsächliche Vermutung“ (kritisch zu dieser Kategorie Zöller / Greger, vor § 284 ZPO Rn. 33). Mit dieser Formulierung soll das genaue Ausmaß der Beweiserleichterung zugunsten einer Einzelfallprüfung offengehalten werden. Von der Behauptungslast bezüglich des subjektiven Merkmals der Sittenwidrigkeit befreit diese tatsächliche Vermutung indessen nicht, vgl. BGH NJW 2010, 363, 364 f. 78 BGH NJW 2003, 2230, 2231; BGH NJW 1995, 1019, 1022 (es gilt eine umgekehrte – widerlegliche – Vermutung, dass keine verwerfliche Gesinnung vorliegt). 72
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der verwerflichen Gesinnung insbesondere auch auf den Kauf ausgedehnt wurde.79 Denn wenn beim Darlehen angesichts des recht leicht feststellbaren Marktzinses ein weit darüber liegender Zins verlangt wird, so drängt sich in der Tat die Vermutung auf, dass der Darlehensgeber eine Schwächesituation des Darlehensnehmers ausgenutzt hat. Anders beim Kauf: Hier erscheint ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass niemand ohne Not eine Sache weit über oder weit unter dem Marktwert kauft oder verkauft, nicht belegbar. Vielfältig sind die denkbaren Rechtfertigungen eines „nicht marktkonformen“ Geschäfts. 80 Immerhin steht dem Begünstigten auch beim wucherähnlichen Kaufvertrag die Entlastungsmöglichkeit offen: Kann er darlegen und beweisen, dass im konkreten Fall besondere Umstände vorlagen, die die außergewöhnliche Gegenleistung plausibel erscheinen lassen, so ist das Sittenwidrigkeitsverdikt hinfällig.81 Solche besonderen Umstände können etwa darin liegen, dass der Käufer ein besonderes Affektionsinteresse an dem Gegenstand hatte,82 oder dass die Parteien übereinstimmend ein (fehlerhaftes) Verkehrswertgutachten bei der Bestimmung des Kaufpreises zugrunde legten.83 Dennoch erscheint gerade beim Kaufvertrag eine Vermutung für die verwerfliche Gesinnung zu weit gehend; besser wäre hier die Belassung der normalen Beweislastverteilung, die der privatautonomen Abrede zwischen den Parteien grundsätzlich Vorrang einräumt. Nicht fernliegend erscheint angesichts dieser weitreichenden Vermutungswirkung die Schlussfolgerung, das Erfordernis einer verwerflichen Gesinnung durch die Rechtsprechung sei ein bloßes Lippenbekenntnis;84 der BGH habe vielmehr der Sache nach die gemeinrechtliche laesio enormis wiederbelebt85 und auf dieser Weise eine allgemeine Preiskontrolle geschaffen,86 in deren Rahmen die für die Sittenwidrigkeit charakteristischen Elemente fingiert würden.87 79 Vgl. insbesondere Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 230; Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 191 ff. 80 Dazu Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 192. 81 Solche Fälle kommen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor, wenn auch vergleichsweise selten, vgl. etwa BGH BGHReport 2001, 955 (Kaufpreisfindung bei Grundstück beruhte auf den gemeinsamen Wertvorstellungen der Parteien). 82 So BGH NJW-RR 2003, 558, 559 (Kauf eines Turnierpferdes). 83 BGH WM 1997, 1155, 1156. 84 So Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 210. 85 Flume, ZIP 2001, 1621 f.; gegen ihn ausdrücklich BGH NJW 2002, 3165, 3166. Vgl. zuvor bereits kritisch Mayer-Maly, in: FS Larenz II, S. 395, 407 ff.; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 191; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 300 ff. Zum Ganzen Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, insb. 203 ff. 86 Ausführlich zu den Problemen, die bei der Bestimmung des „Marktwertes“ auftauchen, Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 195 ff. 87 In historischer Betrachtung zeigt sich allerdings auch, dass die Rechtsprechung bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert um einen an einer Äquivalenzkontrolle orientierten Ausbeutungsschutz bemüht war, der faktische Verzicht auf subjektive Elemente daher keineswegs eine völlig neue Entwicklung bedeutet, siehe für den Fall des Kreditwuchers HKK / Haferkamp, § 138 Rn. 18.
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b) Äquivalenzkontrolle durch § 138 BGB als bewegliches System? Das Verdikt der Sittenwidrigkeit basiert auf mehreren Faktoren, die im Rahmen einer Würdigung des Einzelfalls danach zu untersuchen sind, ob das Rechtsgeschäft nach Inhalt, Motiv und Zweck sittlich anstößig ist. 88 Dabei kann die Tatsache, dass eines der Elemente besonders ausgeprägt ist, ein anderes hingegen nur sehr schwach oder überhaupt nicht, bei der im Rahmen des § 138 BGB vorzunehmenden Gesamtbetrachtung die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts rechtfertigen.89 In der Literatur wird hier verbreitet auf das Konzept des „beweglichen Systems“ zurückgegriffen,90 das von Wilburg ursprünglich für das Schadensrecht konzipiert91 und später auf weitere Bereiche erweitert worden war.92 Wilburgs Ziel war die Überwindung der im Schadensrecht vorherrschenden Dichotomie zwischen Verursachungs- und Verschuldenshaftung. Sein Konzept stützt die außervertragliche Schadenshaftung auf mehrere Elemente, die im Einzelfall in unterschiedlicher Stärke vorliegen können, und aus deren Gesamtschau der Richter den Umfang der Haftung aus seinem Ermessen heraus bestimmt.93 Wilburgs Ansatz trägt nur dort, wo das positive Recht dem Richter genau diesen Spielraum (von Wilburg Ermessen genannt94) zugesteht. Je allgemeiner eine Rechtsvorschrift formuliert ist, desto eher wird dies möglich sein – im geltenden deutschen Schadensrecht beispielsweise ist dies nicht der Fall.95 Grundsätzlich gilt aber, dass auf ein gesetzlich normiertes Tatbestandsmerkmal in der Rechtsanwendung nicht ohne weiteres verzichtet werden kann, selbst wenn ein anderes „übererfüllt“ ist. Im Falle der Generalklausel des § 138 BGB haben sich in der Rechtsprechung mehr oder weniger deutlich ausgeprägte Fallgruppen herausgebildet.96 Innerhalb dieser Fallgruppen geht die Rechtsprechung durchaus flexibel und einzel-
88 St. Rspr., vgl. etwa RGZ 56, 229, 231; BGHZ 34, 169, 176; BGHZ 86, 82, 88; BGH NJW 1998, 2047; weitere Nachweise bei MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 30. 89 Vgl. etwa BGHZ 51, 55, 56; Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 57 ff. 90 Soergel / Hefermehl, § 138 Rn. 8; MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 29 ff.; Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 60. Dazu auch unten § 19 (S. 347 ff.). 91 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 26 ff., 283 ff. 92 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht; ders., AcP 163 (1964), 346. 93 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 26 ff.; ders., AcP 163 (1964), 346 f. Gleichwohl erfasste Wilburgs Konzept auch die vertragliche Haftung (Die Elemente des Schadensrechts, S. 107 ff.). 94 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 22. 95 Canaris, Systemdenken, S. 78. 96 Dies zeigt sich auch am Aufbau aller gängigen Kommentare, exemplarisch MüKoBGB / Armbrüster, § 138 Rn. 31. Generell kritisch zur Technik der Fallgruppenbildung Weber, AcP 192 (1992), 516; gegen ihn Beater, AcP 194 (1994), 82 (Schlusswort von Weber, AcP 194 (1994), 90); eingehend auch Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105, 132 ff.; Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 248 ff.
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fallbezogen vor, so dass sich die Frage stellt, ob es sich dabei um bewegliche Systeme, oder präziser: um Systeme mit beweglichen Elementen97 handelt.98 aa) Bewegliches System und wucherähnliches Geschäft Für die Fallgruppe der wucherähnlichen Geschäfte hat die Rechtsprechung wie dargelegt ursprünglich drei Voraussetzungen aufgestellt: Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, dazu eine wie auch immer geartete Schwächesituation des Bewucherten, und schließlich die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten.99 Diese Trias von Voraussetzungen, offensichtlich angelehnt an den Tatbestand des Wuchers in § 138 Abs. 2 BGB, ist jedoch immer mehr erodiert. Die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten wurde zunächst für wucherische Verbraucherkredite ohne nähere Prüfung bei Vorliegen eines besonders groben Missverhältnisses vermutet; ebenso die Schwächesituation des Darlehensnehmers. Später wurde diese Vermutung ausgedehnt auf alle anderen Rechtsgeschäfte. Es zeigen sich Elemente eines beweglichen Systems: Die Übererfüllung des Merkmals „auffälliges Missverhältnis“ durch ein besonders grobes Missverhältnis genügt, um das Vorliegen der weiteren Merkmale zu indizieren. Die Grenze für das besonders grobe Missverhältnis ist jedoch bereits dann erreicht, wenn der Wert der Gegenleistung knapp das doppelte des Werts der Leistung ausmacht; damit besteht kein signifikanter Unterschied mehr zum bloß auffälligen Missverhältnis.100 Sähe man § 138 Abs. 1 BGB als bewegliches System, so ließe dies dem Richter vom Ansatz her auch den Spielraum, bei besonders verwerflicher Gesinnung auf Sittenwidrigkeit zu erkennen, auch wenn nur ein „normales“ Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt. Dies ist jedoch ersichtlich nicht der Fall. Vielmehr dient das auffällige Missverhältnis als Grundpfeiler des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts; das Erfordernis einer verwerflichen Gesinnung verliert demgegenüber weitgehend an Bedeutung. Um in der Terminologie zu bleiben: Das System wird immer unbeweglicher und trägt Elemente einer allgemeinen und objektiven Preiskontrolle in sich.101 97
Hinweis von Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 54 II (S. 441). Dies wird von einer breiten Literaturansicht so gesehen, vgl. Mayer-Maly, in: FS Larenz II, S. 395, 406 f.; Mayer-Maly, in: FS BGH, Band I, S. 69, 76 f.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 444 f.; MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 29 ff.; Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 57 ff.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 210. Generell gegen „bewegliche Systeme“ jedoch Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 84 ff.; ebenso Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 194 mit Fn. 57. Kritisch in Bezug auf § 138 BGB auch HKK / Haferkamp, § 138 Rn. 2, der allerdings bewegliches System und Fallgruppenbildung als Gegensätze begreift. Vorliegend geht es nur um die Frage, ob innerhalb einer Fallgruppe, der des wucherischen Rechtsgeschäfts, ein bewegliches System gegeben ist. 99 Siehe die Nachweise oben bei Fn. 59. 100 Vgl. Bork, JZ 2001, 1138, 1139. 101 Kritisch auch Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 203 ff. 98
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Dabei dient das subjektive Element als Bindeglied zum Wuchertatbestand in § 138 Abs. 2 BGB; dessen recht strikte Voraussetzungen dürfen nicht durch die großzügige Handhabung von § 138 Abs. 1 BGB unterlaufen werden. Die Ansicht, die beim wucherähnlichen Geschäft ganz auf das subjektive Element verzichten will,102 überzeugt daher nicht. Denn sie unterläuft durch einen allzu schnellen Rückzug auf die Generalklausel die Wertung des speziellen Wuchertatbestandes. Bei der Anwendung der lex generalis darf jedoch die „Basiswertung“ der lex specialis nicht außer Acht gelassen werden.103 Die Entwicklung zeigt aber, dass sich § 138 Abs. 1 BGB immer mehr zu einer Generalklausel der Unverhältnismäßigkeit der Hauptleistungspflichten entwickelt. Zentrale Voraussetzung ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung; die Ausnutzung einer besonderen Schwächesituation gerät zunehmend in den Hintergrund. Wenn für die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts die Gesamtwürdigung von Inhalt, Motiv und Zweck ausschlaggebend ist, so genügt für die wucherähnlichen Geschäfte im Grundsatz bereits ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. bb) Das „Sandhaufentheorem“ und § 138 Abs. 2 BGB Ist demnach bereits zweifelhaft, ob beim wucherähnlichen Geschäft von einem „beweglichen System“ gesprochen werden kann, so wird dies beim Wuchertatbestand vollends unmöglich. Gleichwohl wurde unter der plastischen Bezeichnung „Sandhaufentheorem“ die Ansicht vertreten, dass im Rahmen des § 138 Abs. 2 BGB auf ein Tatbestandsmerkmal verzichtet werden könne, wenn dafür ein anderes umso ausgeprägter vorliegt.104 Jedes Sachverhaltselement wird dabei durch einen Sandhaufen veranschaulicht, der je nach Fallkonstellation bald größer, bald kleiner ausfällt. Ist ein Sandhaufen nun so klein, dass er zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals nicht ausreicht, so kann die Norm insgesamt dennoch verwirklicht sein, wenn alle Sandhaufen zusammengenommen einen so großen Haufen ergeben, dass dies nach dem Normzweck zur Herbeiführung der Rechtsfolge ausreicht.105 102 So für bestimmte Fallgruppen Bork, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 1199; ders., JZ 2001, 1138, 1139, der solche Umstände, aufgrund deren die Vermutung für die verwerfliche Gesinnung nach dem Konzept des BGH widerlegt wäre, im Rahmen einer Gesamtabwägung berücksichtigen will. Ebenso für Verzicht auf das subjektive Merkmal MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 117, 129 f. 103 Treffend Koziol, AcP 188 (1988), 183, 191 f.; zustimmend Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 205 mit Fn. 117; ähnlich Canaris, AcP 200 (2000), 273, 288. W. Schünemann, JZ 2005, 271, 277 spricht vom „Ausschöpfungsgebot“ des spezielleren Tatbestandes. 104 Der Begriff geht zurück auf Bender, in: GS Rödig, S. 34, 38 ff.; vgl. auch dens., NJW 1980, 1129, 1133 f. (mit Vorschlag für eine entsprechende Neuformulierung des Wuchertatbestandes). 105 Bender, in: GS Rödig, S. 34, 38 ff.
§ 5. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
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Im Kern handelt es sich bei diesem Ansatz durchaus um ein bewegliches System im Sinne Wilburgs.106 Mit dem Tatbestandsprinzip des § 138 Abs. 2 BGB ist dies gleichwohl nicht vollständig vereinbar.107 Richtig daran ist, dass die Tatbestandsmerkmale der Norm offen formuliert und daher auslegungsbedürftig sind; der Rechtsanwender hat damit bei der Subsumtion einen gewissen Spielraum.108 Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass jenseits einer methodisch zulässigen teleologischen Reduktion einer Norm auf kein Tatbestandsmerkmal verzichtet werden kann.109
3. Zwischenergebnis Das Verhältnismäßigkeitsprinzip hat seinen Platz bei der Kontrolle der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Wegen der fundamentalen Bedeutung der freien Vereinbarung der Hauptleistungspflichten findet aber nur eine Missbrauchskontrolle statt. Dies zeigt sich plastisch daran, dass das deutsche Recht bewusst die laesio enormis nicht übernommen hat, der Wucher vielmehr nur als Spezialfall der Sittenwidrigkeit angesehen wird. Die Inäquivalenz von Leistung und Gegenleistung führt nur dann zur Vernichtung des Vertrags, wenn sie über die Ausbeutung einer Schwächesituation zustande gekommen ist. Letzteres wird jedoch regelmäßig vermutet. Ein bewegliches System liegt beim wucherähnlichen Geschäft allenfalls insoweit vor, als die Übererfüllung des Merkmals der Inäquivalenz die Ausbeutungssituation obsolet werden lässt. Der umgekehrte Zusammenhang gilt aber nicht. In Bezug auf § 138 Abs. 2 BGB ist die „Beweglichkeit“ des Vorgehens wegen des Tatbestandsprinzips von vornherein problematisch.
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Vgl. auch Mayer-Maly, in: Das bewegliche System, S. 117, 125 f. So aber – wenn auch nur hilfsweise (es wurden bereits die Voraussetzungen von § 138 Abs. 1 BGB bejaht) – OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2412. Das Urteil wurde von BGHZ 80, 153, 159 f. aufgehoben. 108 In diesem Sinne auch Koziol, AcP 188 (1988), 183, 188 f., 207 f., der in § 138 Abs. 2 BGB ein bewegliches System sieht. Ähnlich Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 217. 109 Ebenso Canaris, ZIP 1980, 709, 717; MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 143; AnwKBGB / Looschelders, § 138 Rn. 100, 355; Soergel / Hefermehl, § 138 Rn. 72; Erman / Palm, § 138 Rn. 18; im Grundsatz auch Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 217. 107
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Kapitel 2: Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten
III. Rechtsfolge 1. Der Grundsatz der Totalnichtigkeit § 138 Abs. 1 BGB ordnet die Nichtigkeit des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts an. Wegen des im BGB geltenden Abstraktionsprinzips wird hierdurch grundsätzlich nur das Kausalgeschäft erfasst, nicht auch das Verfügungsgeschäft.110 Bei § 138 Abs. 2 BGB werden hingegen sowohl das Verfügungsgeschäft als auch etwaige Sicherungsgeschäfte mit erfasst, wie allgemein aus der in diesem Tatbestand gewählten Formulierung „sich… gewähren lässt“ gefolgert wird.111 Die Flexibilität, die den Tatbestand des § 138 BGB auszeichnet, und die gemeinhin – wenig präzise – als bewegliches System apostrophiert wird, scheint damit auf der Rechtsfolgenseite eine scharfe und bedingungslos angeordnete Totalnichtigkeit nach sich zu ziehen.
2. Abmilderungen Die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts als Sanktion für den Sittenverstoß kann Folgen haben, die dem Schutzzweck des § 138 BGB zuwiderlaufen. Diese Rechtsfolge wird daher in Rechtsprechung und Literatur auf vielerlei Weise auf unterschiedlichen dogmatischen Wegen durch eine geltungserhaltende Reduktion112 abgemildert. Anerkannt ist dies allerdings weniger für den im hier interessierenden Zusammenhang im Vordergrund stehenden Wucher, als vielmehr für die sonstigen Fallgruppen sittenwidriger Rechtsgeschäfte. a) Das Verbot geltungserhaltender Reduktion Für wucherische und wucherähnliche Rechtsgeschäfte gilt der Grundsatz, dass deren Aufrechterhaltung mit angemessenen Leistungen nicht möglich ist.113 Dahinter steht der Gedanke, dass ansonsten gefahrlos wucherische Verträge abgeschlossen werden könnten: Der Wucherer liefe nicht das Risiko, sämtliche Wirkungen aus dem Rechtsgeschäft zu verlieren, sondern könnte sich darauf
110 BGHZ 146, 298, 306; Zimmermann, JR 1985, 48, 51; weitere Nachweise bei Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 140. Als weitere Begründung hierfür wird angeführt, dass das Erfüllungsgeschäft sittlich neutral sei, vgl. MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 165. Im Einzelfall kann die Nichtigkeit freilich auch auf das dingliche Geschäft durchschlagen, wenn die Sittenwidrigkeit gerade in der Erfüllung liegt, vgl. BGH NJW 1997, 860. 111 Vgl. BGH NJW 1982, 2767, 2768; BGH NJW 1994, 1275. 112 Dazu vor allem J. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S. 94 ff.; ders., JZ 1996, 175; H. Roth, JZ 1989, 411. 113 BGHZ 44, 158, 162; BGHZ 68, 204, 207.
§ 5. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
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verlassen, dass gerichtlich die gerade noch angemessene Höhe der ursprünglich wucherischen Leistung festgelegt wird.114 b) Ausnahmen für besondere Verträge aa) Miet- und Arbeitsverträge Ausnahmen sind allerdings anerkannt für die Fälle des Mietwuchers und des Lohnwuchers. Für den Mietwucher legt § 5 Abs. 2 WiStG fest,115 dass bereits mehr als 20 % über der Vergleichsmiete liegende Entgelte ordnungswidrig sind, wenn der Vermieter die Knappheit auf dem Wohnungsmarkt ausgenutzt hat. Als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB führt diese Regelung des WiStG grundsätzlich zur Nichtigkeit des wucherischen Mietverhältnisses.116 Diesbezüglich ist jedoch anerkannt, dass die Vereinbarung geltungserhaltend auf den höchstzulässigen Mietzins117 zu reduzieren ist. Die Beibehaltung der strengen Sanktion der Nichtigkeit hieße, dem eigentlichen Schutzadressaten von § 5 WiStG, dem Mieter, Steine statt Brot zu geben, denn auf diese Weise wäre er zwar von der wucherischen Mietzinspflicht befreit, hätte aber auch keinen Anspruch auf Überlassung der Wohnung. Eine dogmatische Stütze für die Aufrechterhaltung des Vertrags findet sich in § 134 BGB, der die Nichtigkeitsfolge nur dann anordnet, wenn sich aus dem Verbotsgesetz nichts anderes ergibt. Der Schutzzweck des § 5 WiStG erfordert jedoch nicht die Gesamtnichtigkeit des Mietvertrags, sondern setzt nur eine Grenze für erlaubte Abweichungen vom ortsüblichen Mietzins. Im Umkehrschluss folgert der BGH, dass eine Reduzie114 So die Rechtsprechung etwa in BGHZ 68, 204, 207; zustimmend u.a. Honsell, ZHR 148 (1984), 298, 300. 115 § 5 des Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts lautet: „Mietpreisüberhöhung. (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig für die Vermietung von Räumen zum Wohnen oder damit verbundene Nebenleistungen unangemessen hohe Entgelte fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. (2) Unangemessen hoch sind Entgelte, die infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen die üblichen Entgelte um mehr als 20 vom Hundert übersteigen, die in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für die Vermietung von Räumen vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage oder damit verbundene Nebenleistungen in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen der Betriebskosten abgesehen, geändert worden sind. Nicht unangemessen hoch sind Entgelte, die zur Deckung der laufenden Aufwendungen des Vermieters erforderlich sind, sofern sie unter Zugrundelegung der nach Satz 1 maßgeblichen Entgelte nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung des Vermieters stehen. (3) …“ 116 Zum Verhältnis von § 138 Abs. 2 BGB zu den spezialgesetzlichen Wuchertatbeständen i.V.m. § 134 BGB bereits oben Fn. 4. 117 Vgl. grundlegend BGHZ 89, 316, 320 ff.; zustimmend Soergel / Hefermehl, § 138 Rn. 62 f.; kritisch etwa Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 529 f. In einigen obergerichtlichen Entscheidungen erfolgte hingegen eine Reduzierung auf die ortsübliche Vergleichsmiete, vgl. OLG Stuttgart NJW 1981, 2365; OLG Karlsruhe NJW 1982, 1161; OLG Hamburg ZMR 1983, 100, 102.
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rung des Mietzinses auf das von § 5 WiStG gerade noch erlaubte Maß ausreicht, um diesem Schutzzweck Genüge zu tun.118 Ähnliche Schutzgesichtspunkte führen dazu, dass auch im Falle des Lohnwuchers keine Totalnichtigkeit des Arbeitsvertrags resultiert, sondern – wegen der im Vergleich zum Mietwucher umgekehrten Situation, in der das Entgelt sittenwidrig gering ist, mithin ein „Hungerlohn“119 vorliegt – die Gegenleistung im Ergebnis geltungserhaltend zu erhöhen ist. Auch hier ist umstritten, ob eine Erhöhung auf das unterste noch tolerable Maß erfolgen soll,120 oder auf das Niveau der üblichen bzw. tariflichen Vergütung.121 Für letztere Ansicht streitet insbesondere der Rechtsgedanke des § 632 Abs. 2 BGB.122 Das BAG geht davon aus, dass die Lohnabrede nach § 138 BGB nichtig ist, um auf diese Weise über die Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses zur Anwendung von § 612 Abs. 2 BGB zu kommen.123 bb) Andere Verträge, insb. Kreditverträge Für den Fall des Kreditwuchers hingegen ist eine geltungserhaltende Reduktion anders als in den vorgenannten Bereichen nicht anerkannt; vielmehr ist der Vertrag ex tunc nichtig.124 Darin kommt ein Sanktionscharakter gegenüber dem Wucherer zum Ausdruck. Umgekehrt kommt der Darlehensnehmer in den Genuss eines zinslosen Darlehens, da die bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüche des Wucherers analog § 817 Satz 2 BGB für die Laufzeit des Darlehensvertrags ebenso gesperrt sind wie Ansprüche auf Nutzungsersatz.125 Auch bei anderen wucherischen Verträgen, etwa Kaufverträgen, wird eine geltungserhaltende Reduktion ganz überwiegend abgelehnt.126 c) Generelle Abschwächungen der Totalnichtigkeit? Die unterschiedliche Behandlung dieser Fallgruppen wird vielfach kritisiert. Vorgeschlagen wird etwa, das Modell des Mietwuchers dahingehend zu verallgemeinern, dass die Nichtigkeitsfolge bei Übermaß in zeitlicher, örtlicher oder 118
BGHZ 89, 316, 321. Zur Terminologie BAG AP Nr. 2 zu § 138 BGB; BAG NJW 2000, 3589, 3590. 120 So Sack, RdA 1975, 171, 178. 121 So die h.M., vgl. BAG AP Nr. 2 zu § 138 BGB; Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 530. 122 In BGHZ 179, 213, 225 ff. hat der BGH im Falle der Nichtigkeit eines Bauvertrags wegen spekulativ überhöhter Einheitspreise die übliche Vergütung anstelle der sittenwidrigen Preisvereinbarung gesetzt und sich dabei auf § 632 Abs. 2 BGB gestützt. 123 Vgl. BAG AP Nr. 2 zu § 138 BGB; BAG NJW 2000, 3589, 3590. 124 BGHZ 44, 158, 162; BGHZ 68, 204, 207; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht, S. 177 ff.; Canaris, WM 1981, 978, 979. 125 Grundlegend RGZ 151, 70, 72; RGZ 161, 52, 53 ff.; BGHZ 99, 333, 338 f.; BGH NJW 1995, 1152, 1153. Der Darlehensgeber kann die Darlehenssumme damit erst nach Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer zurückverlangen. Eingehend dazu Dauner, JZ 1980, 495, 502 ff. 126 Dazu die Nachweise bei Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 122. 119
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sachlicher Hinsicht stets auf das gerade noch zulässige Maß reduziert wird.127 Auch die Rechtsprechung nimmt in vielen vergleichbaren Fällen der Sittenwidrigkeit außerhalb des wucherähnlichen Geschäfts eine geltungserhaltende Reduktion wegen Übermaßes vor.128 Einen Hebel bietet oftmals § 139 BGB, über den das Rechtsgeschäft unter Zugrundelegung eines dahin gehenden hypothetischen Parteiwillens teilweise aufrecht erhalten werden kann.129 In der Literatur wird demgegenüber ein anderer Ansatz vorgezogen, der mit einer teleologischen Reduktion des § 138 BGB durch einen immanenten Normzweckvorbehalt arbeitet und die Rechtsfolge der Nichtigkeit nur insoweit eintreten lässt, als es der Schutz des verletzten Sittengesetzes erfordert.130 In denjenigen Fällen, in denen sich das zur Sittenwidrigkeit führende Übermaß quantitativ bestimmen lässt, tritt nach dieser Ansicht eine „quantitative Teilnichtigkeit“131 des Rechtsgeschäfts ein. Teilweise wird dabei § 138 BGB so gelesen, dass eine Nichtigkeit nur folgt, „soweit“ es gegen die guten Sitten verstößt;132 andere bevorzugen eine Anlehnung an die Regelung in § 134 BGB, die eine Nichtigkeit nur insoweit erfordert, als es das verletzte Schutzgesetz erfordert.133 Wieder andere sprechen sich für eine geltungserhaltende Reduktion aus, schränken diese aber bei den Fällen der Äquivalenzstörung wieder ein, da ansonsten ein zu starker richterlicher Eingriff in das Vertragsgefüge möglich sei und überdies die Präventionswirkung versage.134 Letztlich läuft die Debatte darauf hinaus, ob in den Fällen der Sittenwidrigkeit dem Richter die Befugnis zugestanden werden soll, eine Angemessenheitskontrolle durchzuführen oder nicht.135 Jenseits der hier dargelegten Argumente wird an späterer Stelle zu klären sein, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die in § 138 BGB angeordnete Rechtsfolge der Totalnichtigkeit zu überwin127
Vgl. Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 123 ff., 135 ff. Die Gegenposition wird etwa vertreten von Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht, S. 177 ff., der stets eine Totalnichtigkeit annehmen will und zum Ausgleich bereicherungsrechtliche Lösungen befürwortet (kritisch dazu G. Hager, AcP 181 [1981], 447, 450; Grunsky, ZZP 94 [1981], 116). Bereits im Ansatz ablehnend zur geltungserhaltenden Reduktion auch Häsemeyer, in: FS Ulmer, S. 1097 ff. 128 Zu den verschiedenen Ansätzen auch Bürge, Rechtsdogmatik und Wirtschaft, S. 111 ff. 129 BGH NJW 2001, 815, 817 (Teilbarkeit einer Mithaftungsabrede bei der Bürgschaft). 130 Vgl. Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 131; ähnlich Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 93; AnwK-BGB / Looschelders, § 138 Rn. 132. 131 Dazu Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 109 ff. 132 So etwa Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 131; Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 93. 133 Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 94 ff. Kritisch zum Ansatz, aber im Ergebnis ähnlich MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 157, 161, der eine geltungserhaltende Reduktion befürwortet. 134 Vgl. MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 161 m.w.N. 135 Vgl. hierzu insbesondere Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht, insb. S. 177 ff.; Bürge, Rechtsdogmatik und Wirtschaft, S. 60 ff., 127 ff., 224 ff.; umfassend jüngst Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 254 ff.
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den imstande ist oder zumindest eine Verbreiterung der Argumentationsbasis für eine geltungserhaltende Reduktion bewirken kann.136
§ 6. Alternativen: Anfechtungs- und Anpassungsmodelle Die in § 138 BGB angeordnete Nichtigkeit der vertraglichen Vereinbarung bei auffälligem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist nicht notwendig immer die interessengerechte Lösung. Dies zeigt sich an den vielfältigen Versuchen, § 138 BGB für die geltungserhaltende Reduktion fruchtbar zu machen oder aber die als zu streng erachtete Rechtsfolge über Teilnichtigkeitsmodelle nach § 139 BGB abzumildern. Ziel dieser Anstrengungen ist die weitestmögliche Aufrechterhaltung der privatautonomen Vereinbarungen. Andere Rechtsordnungen geben dem Rechtsanwender flexiblere Instrumente zur Vertragskontrolle an die Hand.137
I. Italien: Zurückhaltung bei der Äquivalenzkontrolle Das italienische Recht kennt keinen § 138 BGB vergleichbaren Tatbestand, der sittenwidrigen und insbesondere wucherischen Rechtsgeschäften insgesamt die Geltung versagt.138 Vielmehr ist die benachteiligte Partei nach der Systematik des Codice civile darauf beschränkt, in den gesetzlich in Art. 1447 und 1448 c.c. umschriebenen Ausnahmefällen Klage auf Auflösung des übervorteilenden Rechtsgeschäfts zu erheben (dazu unten 1.). Das italienische Recht hat sich damit vom Modell des französischen Code civil gelöst, das in Art. 1118 vorsieht, dass ein Vertrag nicht wegen laesio aufgelöst werden kann.139 Einzig die Willensmängel bieten nach diesem Modell eine Möglichkeit, sich von der vertraglichen Verpflichtung zu lösen. Diesen Inhalts war noch Art. 1313 des italienischen Codive civile von 1865.140 Überdies bestehen immer zahlreichere spezialgesetzliche Regelungen, die ein von Anfang an bestehendes Ungleichgewicht der vertraglich bedungenen Leistungen auf verschiedene Art und Weise sanktionieren. In jüngerer Vergangenheit wurde insbesondere der Tatbestand des Wuchers (usura) ausgebaut (nä136 Dazu unten § 23 III. 1. (S. 431 ff.), dort auch zur vergleichbaren Problematik bei der AGB-Kontrolle. 137 Rechtsvergleichender Überblick bei Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, § 24 II. 138 Vgl. Grundmann, in: Einführung in das italienische Recht, S. 216. 139 Zum Wortlaut der Norm und der Ausnahme in Art. 1674 Code civil oben Fn. 23. 140 Dazu Lanzillo, La proporzione fra le prestazioni contrattuali, S. 15, 63 ff.
§ 6. Alternativen: Anfechtungs- und Anpassungsmodelle
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her unten 2.). Hier ist zum einen der Zinswucher beim Darlehensvertrag eigens geregelt; zum anderen hat die Verschärfung des strafrechtlichen Wucherparagraphen Rückwirkungen auf das allgemeine zivilrechtliche Sanktionssystem. Dennoch erweist sich das italienische Recht insgesamt als recht zurückhaltend, was die Überprüfung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung angeht.141 Den allgemeinen Regelungen über die Mindestbestandteile causa und oggetto eines Vertrags (Art. 1325, 1343, 1346 c.c.) kommt demgegenüber keine genuine Auffangfunktion für Verträge zu, die nicht die Grenze der Art. 1447, 1448 c.c. erreichen, doch kann ein Mangel der causa vorliegen, wenn Leistung und Gegenleistung in extremer Weise auseinander fallen (dazu unten 3.).
1. Rescissione per lesione, Art. 1447 ff. c.c. a) Tatbestandliche Voraussetzungen Die Art. 1447, 1448 c.c. setzen ähnlich § 138 Abs. 2 BGB bei Situationen an, in denen der Vertragsschluss zu nachteiligen Bedingungen nur deswegen zustande kam, weil sich eine Partei in einer Notlage befand.142 Die in § 138 Abs. 2 BGB aufgeführten Schwächesituationen der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen und der erheblichen Willensschwäche finden ihre funktionale Entsprechung im italienischen Recht in den beiden Begriffen der „gegenwärtigen Gefahr eines schweren Personenschadens“ in Art. 1447 c.c. und in der allgemeinen „Notlage“ in Art. 1448 c.c. Die rescissione gilt in der Literatur als schwieriges Institut, Mirabelli hat sie treffend als „non … seconda a nessun altro istituto, come generatrice di problemi“143 beschrieben. In ihren historischen Wurzeln auf die laesio enormis144 zurückgehend, fand dieses Institut nach dem Vorbild des napoleonischen Code civil jedoch zunächst, von engen Spezialtatbeständen abgesehen, keinen allgemeinen Eingang in den Codice civile aus dem Jahr 1865.145 Erst unter dem Einfluss des Gedankensguts des deutschen Rechtskreises öffnete man sich wieder mehr der Vorstellung, dass auch privatautonom zustande gekommene Rechtsgeschäfte einer gewissen Kontrolle bedürfen, und führte für alle gegenseitigen Verträge das Institut der rescissione 141
Dazu rechtsvergleichend Alpa, Introduzione al diritto contrattuale europeo, S. 120 ff. Zur rescissione u.a. Scalfi, Temi 1949, 39; Mirabelli, La rescissione del contratto, 1962; Carresi, in: Studi in onore di Paolo Greco, S. 113; Bianchi, Rescissione e risoluzione dei contratti, 2003; Lanzillo / Riccio, Della rescissione del contratto, in: Commentario del codice civile Scialoja-Branca, 2005. 143 Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 1; ähnlich Roppo, Il contratto, S. 883 ff.; Riccio, in: Commentario Scialoja-Branca, Vorbem. Art. 1447–1452 (S. 65). 144 Zur Entwicklung bereits oben § 5 I. 1. (S. 45 ff.) 145 Dazu Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 28 ff.; Lanzillo, in: Commentario Scialoja-Branca, Introduzione para. 8 (S. 19 ff.). Eine gewisse Ausnahme bilden Art. 1529, 1530 c.c. 1865 für den Immobilienkauf. 142
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ein, das sich in den Art. 1447, 1448 c.c. und in abgewandelter Form auch in Art. 763 c.c. wiederfindet.146 Dabei wurde § 138 Abs. 2 BGB ausdrücklich als mögliches legislatorisches Vorbild genannt, der Gesetzgeber wollte aber bewusst darüber hinausgehen, indem er statt der schlichten Nichtigkeit eine flexiblere Rechtsfolge einführt.147 aa) Ausnutzung einer Notlage, Art. 1448 c.c. Nach Art. 1448 c.c.148 kann die benachteiligte Partei eine Auflösung des Vertrags verlangen, wenn ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, sie den Vertrag zu diesen Bedingungen nur aufgrund einer Notlage (stato di bisogno) geschlossen hat und die andere Partei diese Notlage ausgenutzt hat, um hieraus für sich Vorteile zu ziehen. Das hier bestehende Missverhältnis wird in Art. 1448 Abs. 2 c.c. näher definiert: Die Gegenleistung darf höchstens die Hälfte des Wertes der von der benachteiligten Partei geschuldeten Leistung haben. Im Unterschied zu § 138 Abs. 2 BGB, der generalklauselartig ein „auffälliges Missverhältnis“ zwischen Leistung und Gegenleistung verlangt, setzt Art. 1448 c.c. damit eine starre Mindestgrenze für den Grad des Auseinanderfallens von Leistung und Gegenleistung fest. Hierbei orientiert man sich an dem objektiven Marktwert, den die Leistungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatten.149 Die Rechtsprechung hat dabei den durch die vergleichsweise weite Formulierung der beiden anderen Tatbestandsmerkmale – der Notlage einer Partei und das Ausnutzen (approfittamento) der anderen Partei – entstehenden Spielraum genutzt, um die Härte des ultra dimidium auszugleichen. Zwar reicht streng genommen die bloße Kenntnis der Notlage des anderen nicht aus;150 es muss der 146
Art. 763 c.c. lässt bei der Erbauseinandersetzung (divisione, Art. 713 ff. c.c.) die rescissione schon dann zu, wenn ein Erbe nachweist, dass sein Erbteil mehr als ein Viertel weniger Wert hat als der eines andere Erben. In diesem besonderen Fall ist die Klagefrist auf zwei Jahre erhöht (Art. 763 Abs. 3 c.c.). Beide Unterschiede zum allgemeinen Institut der rescissione in Art. 1447, 1448 c.c. erklären sich durch die Besonderheiten des Erbrechts, wo der Gedanke des Verkehrsschutzes weniger stark ausgeprägt ist. 147 Vgl. zur Entstehungsgeschichte eingehend Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 77 ff. 148 Art. 1448 c.c. lautet: „Azione generale di rescissione per lesione. (1) Se vi è sproporzione tra la prestazione di una parte e quella dell’altra, e la sproporzione è dipesa dallo stato di bisogno di una parte, del quale l’altra ha approfittato per trarne vantaggio, la parte danneggiata può domandare la rescissione del contratto. (2) L’azione non è ammissibile se la lesione non eccede la metà del valore che la prestazione eseguita o promessa dalla parte danneggiata aveva al tempo del contratto. (3) La lesione deve perdurare fino al tempo in cui la domanda è proposta. (4) Non possono essere rescissi per causa di lesione i contratti aleatori. (5) Sono salve le disposizioni relative alla rescissione della divisione.“ 149 Sacco, in: Il contratto, Band I, S. 603; Bianca, Il contratto, S. 686; umfangreiche weitere Nachweise bei Scarso, Contraente debole, S. 77 Fn. 9. 150 Cass., 17.3.1970, n. 697, Mass. Giust. civ. 1970, 383; Cass., 20.1.1964, n. 111, Mass. Giust.
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wucherischen Vertragspartei bewusst sein, dass sie zum Nachteil des anderen Teils handelt.151 Es besteht aber bei einem groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Gegenpartei die Notlage des Vertragspartners ausgenutzt hat, um sich zu bereichern.152 Wie im Rahmen von § 138 BGB wird das subjektive Element auch bei der rescissione mehr und mehr zurückgedrängt.153 Eine gewisse Flexibilität besteht auch insofern, als die tatbestandlichen Voraussetzungen zwar kumulativ vorliegen müssen,154 bei Übererfüllung des einen jedoch das andere durchaus großzügig gehandhabt wird.155 Wichtig ist hier also ähnlich wie bei § 138 Abs. 1 BGB die Gesamtabwägung. Roppo ordnet die rescissione daher in die große Gruppe der contratti invalidi ein, also der „unwirksamen“ Verträge.156 Frühere Ansichten hatten sich bei der Einordnung der rescissione in das System der remedie teilweise auf das subjektive Element konzentriert, das heißt, sie als Schutz vor Willensmängeln angesehen und sie daher in die Nähe der vizi della volontà gerückt.157 Die Gegenmeinung stellte mehr auf das Vorhandensein objektiver Faktoren ab und gruppierte die rescissione daher bei der causa des Vertrags ein.158 Gegen letztere Ansicht spricht bereits die Tatsache, dass die rescissione nur auf Antrag der benachteiligten Partei erfolgen kann und nicht von Amts wegen.159 Ist diese aus welchem Grunde auch immer mit dem Vertragsinhalt einverstanden, so hat die Rechtsordnung kein Interesse an der Vernichtung des Rechtsgeschäfts. Auf diese Weise ist dieses Instrument der Vertragsauflösung auch Ausdruck der Willensfreiheit der Rechtssubjekte. civ. 1964, 50. Einige ältere Urteile haben hingegen offenbar die bloße Kenntnis ausreichen lassen, vgl. z.B. Cass., 9.4.1954, n. 1131, Giust. civ. 1954, I, 859. Dazu Scarso, Contraente debole, S. 85 Fn. 39. 151 Cass. 23.9.2004, n. 19138, Foro it. 2005, I, 397, 403; Cass., 22.12.2003, n. 19625, Rep. Foro it. 2003, voce „contratto in genere“, n. 534; ebenso Cass., 28.5.2003, n. 8519, Rep. Foro it. 2003, voce „contratto in genere“, n. 536 („piena consapevolezza dell’approfitamento dello stato di bisogno della controparte“); Cass., 28.6.1994, n. 6204, ZEuP 1997, 475 und dazu C. Becker, ZEuP 1997, 477. 152 Cass., 30.3.1989, n. 1553, in: Rep. Foro it. 1989, voce „Contratto in genere“, n. 342 = Rass. dir. civ. 1991, 457 m. Anm. Federico; ebenso Bianca, Il contratto, S. 687; Roppo, Il contratto, S. 892; vgl. auch Scarso, Contraente debole, S. 86. 153 Kritisch hierzu Roppo, Il contratto, S. 892. 154 Zahlreiche Nachweise zur Rechtsprechung der Cassazione bei Rinaldi, La proporzione tra le prestazioni contrattuali, S. 36 Fn. 105. 155 So Roppo, Il contratto, S. 885. 156 Roppo, Il contratto, S. 885 f. Passender erscheint allerdings die Bezeichnung „feh lerhaft“. Vgl. auch die Darstellung der verschiedenen Ansichten bei Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 51 ff. 157 So eine vor allem in der frühen 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts vertretene Ansicht, vgl. etwa Scalfi, Temi 1949, 39; Carresi, in: Studi in onore di Paolo Greco, S. 113 ff. Kritisch dazu Leccese, Rass. dir. civ., 1987, 2, 503, 512. 158 Vgl. kritisch Roppo, Il contratto, S. 884. 159 Roppo, Il contratto, S. 893; Bianca, Il contratto, S. 690; Riccio, in: Commentario Scialoja-Branca, Art. 1448 Anm. I-1 (S. 81).
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Doch nicht nur dieses: Denn der Codice civile sieht zum Schutz der Willensfreiheit eigene Instrumentarien vor, die zwar ebenfalls zur Vernichtbarkeit des Rechtsgeschäfts führen, aber etwa die übereinstimmende Aufrechterhaltung des Vertrags zulassen (convalidazione, Art. 1444 c.c.) – dies verbietet Art. 1451 c.c. gerade für die rescissione. Daher wird die rescissione heute verbreitet als Instrument zum Schutz der Vertragsfreiheit der benachteiligten Partei angesehen.160 Einen objektiven Schutz im Sinne eines ordre public, wie er von § 138 BGB gewährt wird, bezwecken die Art. 1447, 1448 c.c. nicht. Im Gegenteil, Art. 1449 Abs. 2 c.c. sieht vor, dass die Klage auf Auflösung des Vertrags innerhalb eines Jahres nach Vertragsschluss erhoben werden muss.161 Die Möglichkeit der Vertragsanpassung in Art. 1450 c.c.162 lässt die rescissione als Ausdruck des Äquivalenzprinzips erscheinen; damit erfüllt es eine ähnliche Funktion wie die eccessiva onerosità sopravvenuta aus Art. 1467 c.c.163 bb) Unbillige Vertragsbedingungen, Art. 1447 c.c. Im Gegensatz zu Art. 1448 c.c. ist nach Art. 1447 c.c. eine Vertragsausflösung bereits dann statthaft, wenn ein Vertrag zu unbilligen Bedingungen geschlossen wurde („condizioni inique“).164 Allerdings reicht hier eine bloße Notlage nicht aus, vielmehr muss der Vertrag geschlossen worden sein, um sich vor der konkreten Gefahr einer schweren Beeinträchtigung seiner Person oder anderen („pericolo attuale di un danno grave alla persona“) zu retten. Der Anwendungsbereich der Norm ist demnach denkbar eng; er betrifft ausschließlich Fälle, in denen der Vertragsschluss gerade dazu dient, die für die Person bestehende Gefahr abzuwenden. Die vorherrschende Meinung fasst unter Art. 1447 c.c. nur solche Verträge, in denen der Retter eine Dienstleistung erbringt („opera“, Art. 1447 Abs. 2 c.c.), nicht aber, wenn zur Gefahrenabwehr eine Werkleistung geschuldet wird.165 Allgemein wird die konkrete Gefahr für eine Person als Unterfall der Notlage eingeordnet; danach ist Art. 1447 c.c. lex specialis zu
160 So Bianca, Il contratto, S. 681; Irti, L’ordine giuridico del mercato, S. 70; Leccese, Rass. dir. civ., 1987, 2, 503, 512; Gatti, Riv. dir. comm., 1963, I, 424, 434, 457 ff.; Rinaldi, La proporzione tra le prestazioni contrattuali, S. 37 ff. 161 Dazu näher unten c) aa) (S. 70). 162 Dazu näher unten c) bb) (S. 70 ff.). 163 Gegenüberstellung der beiden Institute bei Rinaldi, La proporzione tra le prestazioni contrattuali, S. 39 ff.; s.a. Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 61 ff. Näher zu den sopravvenienze unten § 14 IV. 2. (S. 269 ff.). 164 Art. 1447 lautet: „Contratto concluso in istato di pericolo. Il contratto con cui una parte ha assunto obbligazioni a condizioni inique, per la necessità, nota alla controparte, di salvare sé o altri dal pericolo attuale di un danno grave alla persona, può essere rescisso sulla domanda della parte che si è obbligata. Il giudice nel pronunciare la rescissione, può, secondo le circostanze, assegnare un equo compenso all‘altra parte per l‘opera prestata.“ 165 Siehe Scarso, Contraente debole, S. 80 ff. m.w.N. zum Streitstand.
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Art. 1448 c.c. anzusehen.166 Art. 1447 c.c. dient denn auch weniger der Durchsetzung der Vertragsfreiheit, sondern mehr dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des benachteiligten Vertragspartners wie dessen Ehre oder Freiheit.167 Sowohl in Art. 1447 c.c. als auch in Art. 1448 c.c. wird die Bindung an einen Vertrag gelöst, weil die benachteiligte Partei den Vertrag nur aufgrund der Gefahr oder der Notlage geschlossen hat und damit nicht aus freiem Willensentschluss.168 Das Verhältnis oder besser Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung dient als Indikator dafür, dass die Zwangslage für den Vertragsschluss entscheidend war. Es verwundert daher nicht, wenn teilweise eine Verbindung zwischen Art. 1447, 1448 c.c. und dem Recht der Willensmängel gezogen wird.169 Nach Art. 1438 c.c.170 ist ein Vertrag vernichtbar, wenn er unter dem Eindruck einer Drohung geschlossen wurde, ein Recht geltend zu machen und der Drohende sich hierdurch ungerechtfertigte Vorteile verschaffen will. Es drängt sich an dieser Stelle auch eine Parallele zur Möglichkeit der Vertragsauflösung (annullamento) bei vorübergehender Geschäftsunfähigkeit nach dem bereits erwähnten Art. 428 c.c. auf. Danach ist das Rechtsgeschäft nicht nichtig, sondern nur dann vernichtbar, wenn es einen schweren Schaden für den Urheber (grave pregiudizio all’autore) nach sich zieht, und sich aus den Umständen die Bösgläubigkeit (malafede) des anderen Teils ergibt.171 Die rescissione per lesione in Art. 1447, 1448 c.c. ist damit ein Mischinstrument. Einerseits zielt es darauf ab, die Ausbeutung des benachteiligten Vertragspartners zu verhindern, indem es übermäßig nachteilhafte Verträge inkriminiert. Andererseits aber wird auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Benachteiligten betont, denn der übermäßig nachteilige Vertrag ist nicht nichtig, sondern nur vernichtbar. b) Die Härte des Kriteriums der Verletzung ultra dimidium Es wurde bereits dargelegt, dass die Leistungen für eine Klage auf Vertragsauflösung ein bestimmtes Missverhältnis erreicht haben müssen: Die Klage auf Vertragsauflösung ist nur dann statthaft, wenn der Wert der Leistung der be166
Sacco, in: Il contratto, Band I, S. 601 f.; Scarso, Contraente debole, S. 78 m.w.N. Vgl. Roppo, Il contratto, S. 885, der die Anforderungen an die Erfüllung des Tatbestandes des Art. 1447 c.c. ähnlich hoch ansetzt wie bei Vernichtbarkeit des Vertrags wegen Gewalt oder Drohung aus Art. 1435 c.c. (annullabilità per violenza). 168 Sacco, in: Il contratto, Band I, S. 599 ff.; Bianca, Il contratto, S. 682. 169 So insbesondere Corsaro, L’abuso del contraente, S. 59 ff. Ablehnend hierzu Scarso, Contraente debole, S. 100 ff. 170 Die Norm lautet: „La minaccia di far valere un diritto può essere causa di annullamento del contratto.“ 171 Vgl. Mengoni, JbItalR 10 (1997), S. 29, 41. Damit geht das italienische Recht in eine ähnliche Richtung wie die von Canaris, JZ 1987, 993, 996 ff. für das deutsche Recht vorgeschlagene teleologische Reduzierung der §§ 104 ff. BGB für Rechtsgeschäfte Geschäftsunfähiger; vgl. dazu näher unten § 17 III. 2. (S. 298 ff.). 167
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nachteiligten Partei mehr als doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (Art. 1448 Abs. 2 c.c.). Hier wird deutlich, dass das italienische Recht dem freien Spiel der Kräfte des Marktes bei der Preisfindung keine engen Grenzen setzen wollte. Gleichzeitig schwingt auch ein gewisses Misstrauen der Richterschaft gegenüber mit, der bei der Bestimmung des Ungleichgewichts der Leistungen kein zu großer Spielraum eingeräumt werden sollte.172 Genau dieses starre Kriterium des ultra dimidium führt auch dazu, dass die rescissione in der Praxis nahezu bedeutungslos ist und vermehrt andere Instrumente vorgeschlagen werden, um bei Ungleichgewichtslagen das Rechtsgeschäft korrigieren zu können.173 c) Rechtsfolge aa) Richterliche Vertragsauflösung Wie bereits angedeutet, führt die Erfüllung der Voraussetzungen der Art. 1447 und 1448 c.c. nicht zur Nichtigkeit des Vertrags. In romanischer Tradition stehend, verlangt Art. 1449 Abs. 2 c.c. die Erhebung einer Klage auf Auflösung des Vertrags innerhalb eines Jahres.174 Ist diese Frist verstrichen, so kann die benachteiligte Partei die Aufhebbarkeit des Vertrags auch nicht im Wege der Einrede geltend machen. Hiervon verspricht sich der Gesetzgeber ein Maximum an Rechtsklarheit, erkauft sich diesen Vorteil aber mit einer recht starren und unflexiblen Regelung. bb) Die Alternative der „Vertragsanpassung“ Eine Heilung des Vertrags ist nicht möglich (Art. 1451 c.c.); gleichwohl kann das selbe Ergebnis erreicht werden, indem der übervorteilende Vertragspartner ein Angebot zur Änderung des Vertrags (offerta di modificazione del con-
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Nachweise bei Scarso, Contraente debole, S. 110 Fn. 142. Dazu sogleich unter 3. (S. 76 ff.). – Vereinzelt wird vertreten, dass das Erfordernis der Verletzung ultra dimidium gegen das Solidaritätsgebot aus Art. 2 Cost. verstoße, so insbesondere Corsaro, L’abuso del contraente, S. 71 ff.; ders., voce „rescissione“, in: Dig. disc. priv., S. 642; kritisch auch Ceppi, Il dolo nei contratti, S. 14. Die Verfassung verbiete das Ausnutzen einer Schwächesituation anderer; vor diesem Hintergrund könne ein Vertrag, der eine solche Situation ausnutze, auch dann keine Geltung haben, wenn die Gegenleistung mehr als 50 % des Marktwerts der Leistung ausmache. Diese Ansicht hat jedoch zu Recht keine Zustimmung gefunden. Vgl. dazu Scarso, Contraente debole, S. 97 f. 174 Etwas anderes gilt nur, wenn die benachteiligende Handlung zugleich eine Straftat darstellt; in diesem Falle gilt die vom Strafgesetz hierfür vorgesehene Verjährung auch für die Aufhebungsklage, Art. 1449 Abs. 1 HS. 2 i.V.m. Art. 2947 Abs. 3 c.c. Einschlägig wird hier meist der Straftatbestand des Wuchers (usura) sein, Art. 644 c.p. Zum Verhältnis von usura und rescissione näher sogleich unter 2. (S. 73 ff.). Die Ausschlussfrist läuft jeweils getrennt für Vor- und Hauptvertrag, vgl. Cass., Giust. civ. 1975, I, 1, 1557 m. Anm. Di Amato. 173
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tratto, Art. 1450 c.c.175) abgibt und hierin eine angemessene Gegenleistung verspricht.176 Die Möglichkeit der Vertragsanpassung durch ein entsprechendes Angebot der benachteiligenden Partei nach Art. 1450 c.c. gilt aufgrund ihrer systematischen Stellung und ihrer offenen Formulierung nicht nur für Art. 1448 c.c., sondern auch für Art. 1447 c.c.177 Wenn auch problematisch erscheint, dass der Richter im Falle des Art. 1447 c.c. nach Auflösung des Vertrags einen angemessenen Ausgleich für die von der benachteiligten Partei erbrachte Leistung festsetzen kann, dass also bereits ein Anpassungsmechanismus besteht,178 so spricht dies nicht grundsätzlich gegen eine Zulässigkeit privatautonomer Regelungen. Nach der eindeutigen gesetzlichen Formulierung in Art. 1450 c.c. steht diese Möglichkeit der Aufrechterhaltung des Vertrags zu veränderten Bedingungen ausschließlich demjenigen Vertragspartner zu, gegen den die Auflösung verlangt wird.179 Dieses Angebot ist annahmebedürftig, es gibt also keine automatische Anpassung des Vertrags.180 Erfüllt die Modifikation allerdings die Anforderungen des Gesetzes, so kann die ursprünglich benachteiligte Partei das entsprechende Angebot nicht ablehnen. Das Gesetz geht davon aus, dass die berichtigte Gegenleistung die Vertragsgerechtigkeit zwischen den Parteien wieder herstellt, so dass – ungeachtet des vorausgegangenen Fehlverhaltens des übervorteilenden Vertragspartners – kein Grund mehr besteht, die Bindung zu lösen.181 Man könnte sogar von einer Art „Wiederherstellung der Geschäftsgrundlage“ sprechen: Nicht die nachträgliche Änderung der Umstände führt zu einer Äquivalenzstörung und damit zur Notwendigkeit der Vertragsanpassung, sondern ein anfängliches Ungleichgewicht wird wieder ausgeglichen. Ob das Angebot zur Modifikation angemessen ist oder nicht, richtet sich nach dem Vertragsinhalt. Es reicht nicht aus, dass der übervorteilende Vertrags175 Art. 1450 c.c. lautet: „Offerta di modificazione del contratto. Il contraente contro il quale è domandata la rescissione può evitarla offrendo una modificazione del contratto sufficiente per ricondurlo ad equità.“ 176 Dazu Redenti, Riv. trim. dir. proc. civ., 1947, 576, 578 ff.; Panuccio Dattola, L’offerta di riduzione ad equità; D’Andrea, L’offerta di equa modificazione del contratto. 177 D’Andrea, L’offerta di equa modificazione del contratto, S. 203 Fn. 1; ebenso Camilletti, Profili del problema dell’equilibrio contrattuale, S. 83; Riccio, in: Commentario Scialoja-Branca, Art. 1447 Anm. 7 (S. 79 ff.). In diesem Sinne auch Cass., 18.9.1972, n. 2748, Temi, 1973, 5. 178 So etwa Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 158, 236; Corsaro, L’abuso del contraente, S. 111 ff.; Bianchi, Rescissione e risoluzione dei contratti, S. 30. 179 Vgl. Cass., 5.1.2000, n. 46, Giur. it. 2000, 2279 m. Anm. Torresi; Panuccio Dattola, L’offerta di riduzione ad equità, S. 172 f.; D’Andrea, L’offerta di equa modificazione del contratto, S. 202. Bedenken hiergegen äußert Corsaro, voce „rescissione“, in: Dig. disc. priv., S. 644 (Bevorzugung des sich rechtswidrig verhaltenden Vertragspartners). 180 Cass., 18.9.1972, n. 2748, Temi, 1973, 5. 181 Eine ähnliche Möglichkeit der Vertragsanpassung besteht beim vernichtbaren Vertrag nach Art. 1432 c.c. (rettifica del contratto annullabile), dazu Roppo, Il contratto, S. 853 f.
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partner so viel bietet, dass die laesio enormis gerade nicht mehr greift.182 Vielmehr muss ein objektives Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung hergestellt werden; dieses bestimmt sich nach dem Marktwert des Vertragsgegenstandes zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.183 Im Unterschied zur Aufhebung des Vertrags, die nur durch den Richter vorgenommen werden kann, erfordert die Anpassung keine gerichtliche Intervention. Das Risiko der Angemessenheit trägt dabei die übervorteilende Partei: Der Vertragspartner braucht sich nur auf ein angemessenes Angebot einzulassen. Regelmäßig besteht jedoch nur dann eine Veranlassung zur Modifikation des Vertrags, wenn die benachteiligte Partei die Aufhebungsklage erhoben hat: Auch während dieses Verfahrens kann der andere Teil ein entsprechendes Angebot unterbreiten. Dieses ist bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft der Aufhebungsklage möglich, es kann im selben Verfahren als Gegenrecht184 geltend gemacht werden, oder in einem separaten Verfahren.185 Im Falle der gerichtlichen Geltendmachung des Anpassungsangebots handelt es sich nach der Rechtsprechung der Corte di Cassazione um eine prozessuale Erklärung; wird das Angebot außerprozessual unterbreitet, so handelt es sich um eine materiellrechtliche Willenserklärung, die auf Änderung des bestehenden Vertrags gerichtet ist.186 Wegen der Unsicherheit, ob der Inhalt des Angebots angemessen ist oder nicht, wird es für zulässig erachtet, dass der Richter mit dessen Formulierung betraut wird.187 Dies erscheint recht weitgehend, schreibt das Gesetz doch regelmäßig genau vor, wann der Richter den Vertragsinhalt bestimmen kann.188 Dennoch steht es der benachteiligten Partei nach der Rechtsprechung der Corte di Cassazione offen, im Prozess in Form eines Antrags ein unbestimmtes Angebot auf Vertragsanpassung zu machen, etwa dergestalt, dass der Kaufpreis in der Weise erhöht werden möge, dass er dem Wert der Ware im Zeitpunkt des 182 Zur davon abweichenden Beurteilung bei der Vertragsanpassung nach Art. 1467 Abs. 3 c.c. näher unten § 14 IV. 2. c) (S. 271 f.). 183 Siehe dazu Riccio, in: Commentario Scialoja-Branca, Art. 1450 Anm. 8 (S. 248 ff.). Gleichwohl können zur Erzielung billiger Ergebnisse auch spätere Veränderungen berücksichtigt werden, wie etwa eine nach Vertragsschluss eingetretene Geldentwertung, vgl. Cass., 8.2.1983, n. 1046, in: Rep. Foro it., 1983, voce „contratto in genere“, n. 307. 184 Ob es sich bei der Geltendmachung dieses Gegenrechts um eine Einrede handelt oder aber um eine Widerklage, ist im Einzelnen streitig, vgl. die Nachweise bei Riccio, in: Commentario Scialoja-Branca, Art. 1450 Anm. 4 (S. 232 ff.). 185 Grundlegend Cass., 18.9.1972, n. 2748, Temi, 1973, 5. 186 Cass., 18.9.1972, n. 2748, Temi, 1973, 5. Aus der Literatur dazu mit Unterschieden im Einzelnen Redenti, Riv. trim. dir. proc. civ. 1947, 576; Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 358 ff.; Panuccio Dattola, L’offerta di riduzione ad equità, S. 82 ff.; D’Andrea, L’offerta di equa modificazione del contratto, S. 208 ff.; Riccio, in: Commentario Scialoja-Branca, Art. 1450 Anm. 3 ff. (S. 221 ff.). 187 So Roppo, Il contratto, S. 896. 188 Etwa in Art. 1467 Abs. 3 c.c. (dazu näher § 14 IV. 2. c) – S. 271 f.); so im Grundsatz auch Cass., 18.9.1972, n. 2748, Temi, 1973, 5.
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Vertragsschlusses entspricht; als prozessuale Erklärung ist das Angebot der richterlichen Auslegung offen.189 Für diese eher großzügige Auslegung des Art. 1450 c.c. spricht auch dessen ratio, den Vertrag möglichst aufrecht zu erhalten.190 Mit dem Instrument der Vertragsanpassung zeigt sich recht deutlich, dass in Bezug auf Verträge mit stark unterschiedlichen gegenseitigen Leistungen ein anderes Verständnis besteht als in Deutschland: Das italienische Recht sieht nicht den Vertrag als solchen als anstößig an (mit der Folge, dass dem Rechtsgeschäft insgesamt die Geltung versagt wird), sondern nur dessen Zustandekommen in einem bestimmten Kontext. Die benachteiligende Partei bekommt über Art. 1450 c.c. eine Art „zweite Chance“, das Rechtsgeschäft dennoch durchzuführen.
2. Das Verhältnis zum Wucher Neben der rescissione kennt das italienische Recht auch den Tatbestand des Wuchers (usura), der im Jahre 1996 neu geregelt wurde191 und in zwei verschiedenen Varianten auftaucht.192 Im Codice civile selbst ist nur der Fall der Wucherzinsen im Darlehensvertrag geregelt (Art. 1815 Abs. 2 c.c.). Der allgemeine Wuchertatbestand findet sich in Art. 644 codice penale; er wurde in seiner ursprünglichen Fassung bereits 1930 eingeführt.193 a) Darlehenswucher Nach Art. 1815 Abs. 2 c.c. ist eine vertragliche Vereinbarung, mit der der Darlehensgeber wucherische Zinsen vereinbart, nichtig. Der Darlehensnehmer schuldet überhaupt keine Zinsen. Die Vorgängerregelung sah noch eine richterliche Herabsetzung des wucherischen Zinses auf den üblichen Satz vor.194 Der 189 So ausdrücklich Cass., 18.9.1972, n. 2748, Temi, 1973, 5. Über Details herrscht freilich Streit, vgl. dazu Panuccio Dattola, L’offerta di riduzione ad equità, S. 180 ff.; Riccio, in: Commentario Scialoja-Branca, Art. 1450 Anm. 7 (S. 244 ff.). 190 Riccio, in: Commentario Scialoja-Branca, Art. 1450 Anm. 7 (S. 248). 191 Durch l. 108/1996 vom 7.3.1996 „Disposizioni in materia di usura“, G.U. 9.3.1996, n. 58; dazu ausführlich Ferroni, La nuova disciplina civilistica del contratto di mutuo ad interessi usurari, passim; Grasso, Illiceità penale e invalidità del contratto, S. 65 ff.; siehe auch Volpe, La giustizia contrattuale, S. 65 ff.; Falco, in: Vettori (Hrsg.), Materiali e commenti sul nuovo diritto dei contratti, S. 647 ff.; Veneziani, voce „usura“ in: Palazzo / Paliero, Commentario breve alle leggi penali complementari. 192 Zum Verhältnis von usura und rescissione per lesione in der ursprünglichen Fassung des Codice civile De Cupis, Dir. fall. 1946, I, 77; Ferroni, La nuova disciplina civilistica del contratto di mutuo ad interessi usurari, S. 14 ff. sowie Riccio, in: Commentario ScialojaBranca, Art. 1448 Anm. II 1–3 (S. 132 ff.). 193 Zur Entstehungsgeschichte Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 33 ff. 194 Synopse bei Ferroni, La nuova disciplina civilistica del contratto di mutuo ad interessi usurari, S. 104.
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Darlehensvertrag selbst jedoch bleibt erhalten – der Darlehensgeber wird so für die wucherischen Zinsen bestraft; der Darlehensnehmer erhält einen zinslosen Kredit.195 Umstritten ist, ob die Regelung aus Art. 1419 Abs. 1 c.c. über die Teilnichtigkeit von Verträgen auch auf den wucherischen Darlehensvertrag anwendbar ist. Diese Norm sieht die Nichtigkeit des gesamten Vertrags vor, wenn die Parteien in Kenntnis der Teilnichtigkeit den Vertrag ohne den betreffenden Teil nicht geschlossen hätten. Dies hätte in bestimmten Fällen die Nichtigkeit des gesamten Darlehensvertrags zur Folge – in der Konsequenz hätte der bewucherte Darlehensnehmer den gesamten Darlehensbetrag sofort zurückzuerstatten, ein vom Gesetzgeber gerade nicht gewolltes Resultat.196 Art. 1815 Abs. 2 c.c. geht den allgemeinen Regeln über die Vertragsaufhebung aus Art. 1447 f. c.c. vor und verdrängt diese für den gesamten Bereich der Wucherzinsen in einem Darlehensvertrag.197 b) Der allgemeine strafrechtliche Wuchertatbestand Der neue Art. 644 c.p. stellt daneben allgemein den Wucher unter Strafe.198 Hierbei handelt es sich um ein gesetzliches Verbot im Sinne des Art. 1418 c.c., dessen Verletzung eine Nichtigkeit des Vertrags nach sich zieht. Im Unterschied zu Art. 1815 c.c., der nur für den Darlehensvertrag (mutuo) gilt, hat Art. 644 c.p. einen viel allgemeineren Anwendungsbereich.199 Aber auch im Vergleich zur allgemeinen zivilrechtlichen Klage auf Aufhebung des Vertrags sind die Voraussetzungen des strafrechtlichen Wuchertatbestandes weiter: Die rescissione verlangt in Art. 1448 Abs. 1 c.c. wie gesehen die Ausnutzung einer Notlage, eines „stato di bisogno“ des Vertragspartners. Genau dieses Tatbestandsmerkmal fehlt in Art. 644 Abs. 1 c.p., so dass eine Strafbarkeit bereits dann gegeben ist, wenn lediglich eine wucherische Gegenleistung verlangt oder entgegengenommen wird, ohne dass die Schwächelage des Vertragspartners ausgenutzt wird. 200 Die Strafbarkeit wegen Wuchers zieht nach allgemeinen Grundsätzen die zivil195 Kritisch hierzu Bonilini, Contratti, 1996, 223, 226; Ferroni, La nuova disciplina civilistica del contratto di mutuo ad interessi usurari, S.72 ff., 77 m.w.N., die eine reductio ad aequitatem (wie dies die frühere Rechtslage vorsah) für vorzugswürdig halten. 196 In Art. 1815 Abs. 2 c.c. heißt es: „… e non sono dovuti interessi“. Ebenso Riccio, Contratto impr., 1998, 1027, 1037; Ferroni, La nuova disciplina civilistica del contratto di mutuo ad interessi usurari, S. 28 ff., 36. 197 Siehe nur Roppo, Il contratto, S. 899. 198 Wucherisch handelt nach Abs. 1 der Norm, wer „si fa dare o promettere …, in corrispettivo di una prestazione di denaro o di altra utilità, interessi o altri vantaggi usurari“. 199 Dazu Roppo, Il contratto, S. 898 f.; siehe auch dens., in: Il contratto del duemila, S. 44 f. 200 Nutzt der Wucherer auch eine Schwächesituation des Vertragspartners aus, so zieht dies eine Strafrahmenverschärfung nach sich, Art. 644 Abs. 5 Nr. 3 c.p. Die alte Version von Art. 644 c.p. hatte noch die Ausnutzung der Schwächesituation als allgemeines Tatbestandselement enthalten. Vgl. dazu die Synopse bei Ferroni, La nuova disciplina civilistica del contratto di mutuo ad interessi usurari, S. 99 ff.
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rechtliche Folge der Nichtigkeit des wucherischen Vertrags nach sich (nullità per illiceità della causa, Art. 1343, 1418 Abs. 2 c.c.). Dies gilt jedoch nicht dort, wo das Gesetz eine Spezialregelung getroffen hat. Art. 1815 c.c., das die Aufrechterhaltung des Darlehensvertrags bei Nichtigkeit der Zinsabrede beinhaltet, ist demnach lex specialis zu Art. 1418 c.c. 201 Angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen stellt sich die Frage des Verhältnisses dieser Nichtigkeit zur bloßen Aufhebbarkeit (rescissione): 202 Geht man davon aus, dass die rescissione als lex specialis der nullità vorgeht, so erzielt man das paradoxe und unter Gleichheitsgesichtspunkten wenig überzeugende Ergebnis, 203 dass die schwerwiegendere Beeinträchtigung des Vertragspartners lediglich die Aufhebbarkeit und nicht die Nichtigkeit herbeiführt. 204 Hält man jedoch den allgemeinen Wuchertatbestand für vorrangig, so verliert die rescissione jegliche praktische Bedeutung. 205 Eine Lösung könnte darin bestehen, das Erfordernis des ultra dimidium in Art. 1448 c.c. teleologisch zu reduzieren, um so einen Gleichlauf zwischen strafrechtlicher und zivilrechtlicher Sanktion zu erreichen. Eine Stütze findet dieser Ansatz darin, dass Art. 1418 c.c. eine Nichtigkeit bei Verstoß gegen ein Verbotsgesetz nur dann vorsieht, wenn im Gesetz nichts anderes geregelt ist: Eine solche abweichende Regelung wäre dann in den Regelungen der rescissione zu erblicken. 206 Vorgeschlagen wird daneben, zwischen dem „abstrakten Wucher“ nach Art. 644 Abs. 1 c.p. und dem „konkreten Wucher“ nach Art. 644 Abs. 3 c.p. zu unterscheiden: Ersterer führe zu einer Teilnichtigkeit des Vertrags; bei letzterem wäre danach zu unterscheiden, ob Täuschung oder Drohung vorliegen (dann Vernichtbarkeit des Vertrags), ob eine Verletzung ultra dimidium (dann rescissione nach Art. 1448 c.c.) oder nur infra dimidium vorliegt (dann nur Schadensersatz). 207 Dieser Ansatz steht jedoch in klarem Widerspruch zum Wortlaut des Art. 644 c.p. 208
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Grasso, Illiceità penale e invalidità del contratto, S. 43 ff. Dazu etwa Riccio, Contratto impr., 1998, 1027; ders., Contratto impr., 2003, 11; Quadri, Corr. giur., 1999, 890; Napoli, Riv. dir. civ., 2004, I, 401; Grasso, Illiceità penale e invalidità del contratto, S. 69 ff. 203 Riccio, Contratto impr., 1998, 1027, 1035 ff.; ders., in: Commentario Scialoja-Branca, Art. 1448 Anm. II 8 (S. 199 ff.) sieht darin einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 der italienischen Verfassung. 204 So aber wohl Meruzzi, Contratto impr., 1999, 410, 495, der den Vorrang der rescissione u.a. damit begründet, dass der Reformgesetzgeber die Art. 1447 ff. c.c. gerade nicht abgeschafft habe. A.A. Riccio, Contratto impr., 1998, 1027, 1033. 205 So etwa Riccio, Contratto impr., 1998, 1027, 1033; Oppo, Riv. dir. civ., 1999, I, 544; Vettori, Riv. dir. priv., 2000, 21, 33. Dazu kritisch-resignierend Roppo, Il contratto, S. 899. 206 Napoli, Riv. dir. civ., 2004, I, 401, 434; ebenso Rinaldi, La proporzione tra le prestazioni contrattuali, S. 249 ff. 207 So ohne weitere Nachweise Spoto, Il contratto e il potere correttivo del giudice, S. 29. 208 Vgl. Riccio, in: Commentario Scialoja-Branca, Art. 1448 Anm. II 6 (S. 194 f.). 202
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3. Inäquivalenz und allgemeine Instrumente des Vertragsrechts a) Die causa Ganz der französischen Tradition folgend, 209 enthält das italienische Recht in den Art. 1325, 1343 c.c. das Konzept der causa des Vertrags – der Begriff könnte ungenau mit Rechtsgrund des Vertrags übersetzt werden –,210 die nicht gegen die öffentliche Ordnung (ordine pubblico) und die guten Sitten (buon costume) verstoßen darf. In ihrem Kern benennt die causa den wirtschaftlichen Gehalt eines Rechtsgeschäftstyps, also etwa beim Kaufvertrag die Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises, die um des Erwerbs der Sache willen eingegangen wird. 211 So fehlt die causa etwa im Schulfall eines Kaufvertrags, in dem der Käufer bereits (unerkannt) Eigentümer ist und daher das Eigentum an der Sache nicht erwerben kann. 212 Vereinzelte Urteile der Corte di Cassazione haben auch bei extrem niedrigen oder symbolischen Kaufpreisen ein Fehlen der causa angenommen. 213 Davon ist die Rechtsprechung aber wieder abgerückt.214 Es bleibt damit jedenfalls vorläufig bei der traditionellen Auffassung, dass das Verhältnis der Hauptleistungspflichten gerichtlich nicht überprüfbar ist.215 Ganz allgemein wird dem Konzept der causa keine tragende dogmatische Rolle mehr zugewiesen, in den europäischen Rechtsvereinheitlichungsinstrumenten wurde sie nicht übernommen. 216 b) Culpa in contrahendo Daneben wurde in der Literatur das Institut der culpa in contrahendo herangezogen, im italienischen Recht in Art. 1337 c.c. kodifiziert, um benachteiligte Parteien vor den Folgen eines unerwünschten Vertragsschlusses zu 209
Vgl. dazu etwa Ghestin, ERCL 2005, 396. So bei Patti, Codice Civile Italiano – Das Italienische Zivilgesetzbuch, S. 345, 349. Vgl. auch Kindler, Einführung in das italienische Recht, § 9 Rn. 26. 211 Vgl. Grundmann, in: Einführung in das italienische Recht, S. 208; Kindler, Einführung in das italienische Recht, § 9 Rn. 27. 212 Vgl. Roppo, Il contratto, S. 381 ff. 213 Cass., 20.11.1992, n. 12401, Foro it., 1993, I, 1506, 1518 m. Anm. Caringella. 214 Vgl. Cass., 28.8.1993, n. 9144, Foro it., 1994, I, 2489 m. Anm. Caringella. 215 Grundlegend Cass., 6.10.1955, n. 2861, Mass. Giust. civ., 1955, 1062, 1063. Zu Bestrebungen in der Lehre, über das Konzept von Treu und Glauben zu einer Überprüfung der Hauptleistungspflichten zu kommen Volpe, La giustizia contrattuale, S. 10 ff. 216 Zustimmend aus italienischer Sicht Alpa, Introduzione al diritto contrattuale europeo, S. 123 f.; Sacco, in: Il contratto, Band I, S. 811. Siehe auch Rolli, Contratto impr., 2007, 416. Selbst in Frankreich wurde bei den Beratungen zum projet Catala vorgeschlagen, sich von der cause zu lösen. Diese Stimmen fanden indessen keine Mehrheit, vgl. dazu Ancel, in: Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 45, 51. Zum projet Catala bereits oben § 3 III. 2. b) aa) (S. 30 mit Fn. 162). Im französischen Recht dient die cause u.a. als Steuerungselement, um auch die Äquivalenz der vertraglichen Leistungen zu kontrollieren, vgl. Alpa, Introduzione al diritto contrattuale europeo, S. 144 ff. 210
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schützen. 217 Dies gilt zunächst für gegenseitige Verträge, wobei hier das Problem entsteht, die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 1448 c.c. nicht zu entwerten, insbesondere das Erfordernis des ultra dimidium nicht aufzuweichen. 218 Insbesondere bei knebelnden Bürgschaften, die nicht vom Institut der rescissione erfasst werden, hat die culpa-Haftung aber ihre Berechtigung: Hat hier die Bank die Unerfahrenheit des Bürgen und dessen Abhängigkeit gekannt und ist sie ihrer Informationspflicht nicht nachgekommen, so kann sie aus Art. 1337 c.c. auf das negative Interesse haften. 219 Auch wird ein gewisser Schutz über eine weite Auslegung des Instruments der „natürlichen Geschäftsunfähigkeit“ (Art. 428 c.c.) erreicht.220 c) Schutz des Schwächeren bei Ausnutzung einer Machtposition? Aus dem Zusammenspiel von Art. 1438 c.c. einerseits und Art. 1447, 1448 c.c. andererseits wird vereinzelt gefolgert, dass jedes Ungleichgewicht der gegenseitigen Leistungen, das aus einer Unfreiheit der Willensbildung der benachteiligten Partei resultiert, zur Auflösung des Vertrags berechtigen solle. 221 Diese Meinung beruht auf einer Gleichstellung des ungerechtfertigten Vorteils (vantaggio ingiusto) in Art. 1438 c.c. mit der Ungleichheit der vertraglichen Leistungen in Art. 1447, 1448 c.c. 222 Sie wird zu Recht allgemein abgelehnt, da sie einen zu weitgehenden Eingriff in die Vertragsfreiheit bedeutet und im Ergebnis der Einführung eines subjektiven Äquivalenzprinzips gleichkommt, das der Gesetzgeber gerade abgelehnt hat. 223 Gleichwohl ist – wie in Deutschland auch – der Schutz des „schwächeren“ Vertragspartners in Italien mit wechselnder Intensität seit Jahrzehnten ein stark diskutiertes Thema. Im Mittelpunkt steht hier, wenn man so will, die Verhältnismäßigkeit der wirtschaftlichen Stärke der Vertragspartner. 224 Früher wurde 217 So etwa Patti / Patti, Responsabilità precontrattuale e contratti standard, S. 234 ff.; Mantovani, Vizi incompleti del contratto e rimedio risarcitorio, S. 280 ff. 218 Ein weiterer Ansatzpunkt für eine Schadenshaftung unterhalb der Grenze der rescissione wäre Art. 185 c.p., auf dessen Grundlage direkt Ersatz für wucherische Rechtsgeschäfte verlangt werden kann. Kritisch daher zum Ganzen Lanzillo, in: Commentario ScialojaBranca, Introduzione Anm. 22 (S. 54 ff.) m.w.N. 219 Mengoni, JbItalR 10 (1997), S. 21, 46. Siehe auch Nappi, Banca, borsa e titoli di credito, 1996, 1, 194. 220 Siehe dazu Troiano, in: Einführung in das italienischen Recht, S. 145 m.w.N.; Mengoni, JbItalR 10 (1997), S. 29, 41. 221 Corsaro, L’abuso del contraente, S. 71 ff. (unter Verweis auf das principio di solidarietà). 222 Dazu Scarso, Contraente debole, S. 101. 223 Sacco, in: Il contratto, Band I, S. 590. Auch Corsaro, voce „rescissione“, in: Dig. disc. priv., S. 631, scheint seine ursprünglich vertretene Meinung daher relativiert zu haben. Siehe dazu Scarso, Contraente debole, S. 110 Fn. 141. 224 Dem gleicht der Topos des strukturellen Ungleichgewichts, dazu bereits oben § 3 II. 2. b) (S. 21).
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auf die „Schwäche“ des einen Vertragspartners abgestellt (contraente debole), 225 in der aktuellen Diskussion wird diese Imparität eher als Asymmetrie der Verhandlungsstärke bezeichnet. 226 Zentrale Stütze der These, dass ein in diesem Sinne asymmetrischer Vertrag der Korrektur bedarf, ist Art. 9 legge n. 192/1998, des Zuliefervertragsgesetzes:227 Dieser erklärt Verträge zwischen Unternehmen und Zulieferer für nichtig, die unter Ausnutzung eines ökonomischen Abhängigkeitsverhältnisses mit einem für den Zulieferer grob nachteiligen Inhalt zustande gekommen sind.228 Diese Regelung wird teilweise verallgemeinert und auf Rechtsbeziehungen zwischen allen Unternehmern ausgedehnt. 229 Ein Teil der italienischen Lehre interpretiert Art. 9 l. 192/98 als Ausprägung einer Hinwendung zu einer materiellen Vertragsgerechtigkeit und nimmt die Norm als Ausgangspunkt für einen allgemeinen Tatbestand des Schwächerenschutzes im Vertragsrecht.230 Ein Machtgefälle könne nicht nur zwischen Unternehmer und Zulieferer auftreten, sondern allgemein zwischen allen Unternehmern. Zur Unterstützung des Ansatzes wird teilweise Art. 3.10 der UNIDROIT Principles fruchtbar gemacht, der wie das italienische Zuliefervertragsgesetz zum Ziel habe, „opportunistische Verhaltensweisen“ auf dem Markt zu unterdrücken 225
Perlingieri, Rass. dir. civ. 2001, 334 ff.; ähnlich Volpe, La giustizia contrattuale, S. 186 ff.; Imbrenda, Controllo e rendiconto nelle situazioni patrimoniali, S. 279; ebenso Lipari, Riv. trim. dir. proc. civ., 2002, 361, 375 ff., der unter Verweis auf die Bürgschaftsentscheidung des BVerfG vom 19.10.1993 (BVerfGE 89, 214; dazu unten § 17 III. 3. c) – S. 306 ff.) und auf der Grundlage von vielen Spezialgesetzen einem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzip zuneigt (dessen genaue dogmatische Ausprägungen noch nicht geklärt seien). Dazu auch unten § 22 III. 1. b) (S. 411 f.). 226 Dazu vor allem Roppo, Contratto del duemila, S. 23 ff. 227 Legge 18 giugno 1998, n. 192 – Disciplina della subfornitura nelle attività produttive, G.U. n. 143 del 22 giugno 1998. Die Norm lautet: „Art. 9. Abuso di dipendenza economica. (1) È vietato l’abuso da parte di una o più imprese dello stato di dipendenza economica nel quale si trova, nei suoi o nei loro riguardi, una impresa cliente o fornitrice. Si considera dipendenza economica la situazione in cui un’impresa sia in grado di determinare, nei rapporti commerciali con un’altra impresa, un eccessivo squilibrio di diritti e di obblighi. La dipendenza economica è valutata tenendo conto anche della reale possibilità per la parte che abbia subito l’abuso di reperire sul mercato alternative soddisfacenti. (2) L’abuso può anche consistere nel rifiuto di vendere o nel rifiuto di comprare, nella imposizione di condizioni contrattuali ingiustificatamente gravose o discriminatorie, nella interruzione arbitraria delle relazioni commerciali in atto. (3) Il patto attraverso il quale si realizzi l’abuso di dipendenza economica è nullo.“ Deutsche Übersetzung bei Fritzinger / Maglio, JbItalR 12 (1999), S. 257. 228 Dazu Macario, Riv. dir. civ., 2005, I, 663; Scarso, Contraente debole, S. 192 ff.; Gambaro / Martini, Contratto impr. / Europa, 2003, 1, 512; Maglio, JbItalR 12 (1999), 107. Weitere Nachweise insb. zur deutschsprachigen Literatur bei Papi / Bergmann, JbItalR 20 (2007), S. 249, 250 f. mit Fn. 9. 229 Dazu die Nachweise bei Scarso, Contraente debole, S. 8, 193 ff. Siehe dazu Macario, Riv. dir. civ., 2005, I, 663; B. Münch, Riv. dir. priv. 2006, 127; Catalano, Riv. dir. priv. 2006, 177; Tucci / Calia, Riv. dir. priv. 2006, 99. Kritisch zur Auslegung der Regelung, deren Vorbild § 20 GWB war Frignani, Contratti, 1999, 188, 190, 198. 230 So etwa Volpe, La giustizia contrattuale, S. 125 ff., 144 ff., 148 ff., 229 ff.; ders., Riv. dir. priv. 2002, 303.
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und ein größeres Vertragsgleichgewicht herbeizuführen.231 Auch die Tendenz der neueren Gesetzgebung, den Schutz des Schwächeren in der Privatrechtsordnung zu stärken, wird als Beleg dafür angesehen, dass die frühere Zurückhaltung bei der Inhaltskontrolle aufgegeben wurde; man befinde sich auf dem Weg zu einem neuen Paradigma: Dem Vertrag mit ungleichem Kräftegleichgewicht. 232 Auch hier fehlt es aber derzeit noch an Belegen, dass der Gesetzgeber von dem Grundsatz der formalen Gleichheit der Rechtssubjekte in genereller Weise abrückt. Die zunehmende Spezialgesetzgebung scheint eher darauf hinzudeuten, dass lediglich eine (situative) Schutzbedürftigkeit einzelner Gruppen anerkannt werden soll, ohne dass dadurch eine Verallgemeinerung möglich wäre. Vom Verhältnismäßigkeitsbegriff, wie er dieser Untersuchung zugrunde liegt, 233 unterscheidet sich die Idee eines Vertrags mit ungleichem Kräftegleichgewicht aber unabhängig davon fundamental, denn diese knüpft an die Personen der Vertragspartner an, während jener ausschließlich die vertraglichen Rechte und Pflichten betrachtet.
II. England: Keine allgemeine Äquivalenzkontrolle Die Kontrolle von Leistung und Gegenleistung findet im englischen Recht nicht in dem aus dem deutschen oder dem italienischen Recht bekannten Umfang statt: Es gibt keine allgemeine Regel, dass ein übermäßig nachteilhafter Vertrag unwirksam oder anfechtbar ist. 234 Die laesio enormis oder ein allgemei231 Vgl. Volpe, La giustizia contrattuale, S. 153: „Ma tutte le normative hanno come comune denominatore la volontà di reprimere i comportamenti opportunistici che esprime il mercato, dando ingresso ad un panorama di interventi di riequilibrio: esse, in fondo, appartengono alla stessa ‚famiglia giuridica‘.“ 232 Roppo, in: Il contratto del duemila, S. 53 ff.; ders., JbItalR 22 (2009), S. 3, 24 ff. Roppo belässt es jedoch bei diesem Befund und zieht keine direkten Konsequenzen daraus im Hinblick auf die Auslegung der lex lata. Generell ablehnend Scarso, Contraente debole, S. 192 ff. mit Nachweisen zum Streitstand; kritisch auch Schermaier, Contratto impr. / Europa, 2004, 2, 898, 900 ff. Aus der umfangreichen Literatur zum Thema der asymmetrischen Verhandlungsstärke aus neuerer Zeit etwa delli Priscoli, Contratto impr. / Europa, 2003, 2, 749; Vettori, Riv. dir. priv., 2005, 743; Triglione, Rass. dir. civ., 2005, 262; Meli, in: Temi e problemi della civilistica contemporanea, S. 83; Amadio, Riv. dir. civ., 2006, 255. 233 Oben § 3 II. 3. und 4. (S. 22 ff.). 234 Vgl. die Nachweise bei Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, § 24 II; Atiyah, (1985) 35 Univ. Toronto Law Journal 1; Waddams, (1976) 39 MLR 369. Allerdings gab es schon sehr früh Tendenzen, allzu große Unterschiede zwischen Leistung und Gegenleistung auszugleichen, vgl. Earl of Chesterfield and Others Executors of John Spencer v. Sir Abraham Janssen (1751) 2 Ves. Sen. 125 = 28 Eng. Rep. 82, 100. Zur Entwicklung im anglo-amerikanischen Recht Lanzillo, La proporzione fra prestazioni contrattuali, S. 89 ff. Insbesondere Gordley vertritt unter Berufung auf aristotelische Gerechtigkeitserwägungen die Ansicht, eine Abweichung vom Marktpreis stelle eine Verletzung der iustitia commutativa dar, vgl. Gordley, (1981) 69 Cal. L. Rev. 1587, 1625. Näher unten § 21. (S. 357 ff.).
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ner Wuchertatbestand haben sich nicht durchgesetzt. In den Worten von Atiyah:235 „It has for many years, even centuries, been part of the traditional dogma of contract law that the adequacy of the consideration is immaterial to the validity of a contract. It is for the parties to make their own bargain, not for the courts. Each party to a contract must himself decide how much the other‘s performance is worth to him, and then decide whether to enter into the contract, yea or nay. If the contract is concluded then it must be assumed that each party is content with his bargain, or he would not have made it. There is simply no room for any inquiry into the fairness of the exchange. If the parties knew what they were at, then the exchange must, by definition, be fair – or at least, it must be as fair as the law cares.“
Stattdessen wurden mit der (economic) duress sowohl Institute aus dem Common Law, als auch solche aus der Equity-Rechtsprechung, wie die undue influence und die unconscionability zur punktuellen Korrektur entwickelt und ausgebaut. 236 Während bei der duress eine einwandfreie Willensbildung wegen der psychischen Drohung der anderen Partei nicht möglich ist, stellt die englische Rechtsordnung bei den aus der Equity entstandenen Rechtsbehelfen undue influence und unconscionability sehr stark auf eine wie auch immer geartete Schwächesituation einer Partei ab und weniger auf das Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung. 237
1. Economic duress Die economic duress bildet eine Untergruppe des allgemeinen Instituts der duress, die einen Vertrag vernichtbar macht, wenn der Vertragsschluss unter unzulässigem Druck der anderen Partei erfolgt.238 Wie diese Situation zustande kommt, ist für die Anwendung der duress unerheblich. In den Worten von Lord Devlin: „All that matters to the plaintiff is that, metaphorically speaking, a club has been used. It does not matter to the plaintiff what the club is made of – whether it is a physical club or an economic club or an otherwise illegal club.“239 Eine unzulässige Ausübung von Druck auf den Vertragspartner kann also auch dann gegeben sein, wenn anlässlich einer Neuverhandlung bestimmte Vertragsbedingungen, etwa die Gegenleistung bei einem Kauf- oder Werkvertrag, mit der Drohung durchgesetzt werden, ansonsten das Vertragsverhältnis 235
Atiyah, (1985) 35 Univ. Toronto Law Journal 1. Gegenüberstellung der Institute auch bei Hellwege, Rückabwicklung, S. 175 ff. 237 Dazu Cartwright, Unequal Bargaining, S. 170 ff., 197 ff.; vgl. weiter Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 10–001 ff.; Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–003 ff., 7–056 ff. 238 Vgl. North Ocean Shipping Co. Ltd. v. Hyundai Construction Co. Ltd. [1979] QB 705, QBD. Vgl. zum Institut der duress eingehend Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 36 ff., 79 ff. 239 In Rookes v. Barnard [1964] AC 1129, 1209. 236
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ganz zu beenden, wenn das wirtschaftliche Überleben der anderen Seite vom Bestehen dieses Vertrags abhängt.240 Ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist gleichwohl nicht Voraussetzung für die Vernichtbarkeit des Vertrags. Vielmehr steht die korrekte Willensbildung im Vordergrund, die aufgrund der Drohung nicht mehr gegeben ist. 241
2. Undue influence Das Institut der undue influence hat seine Wurzeln wie bereits erwähnt in der Equity-Rechtsprechung des Court of Chancery. Funktional bestehen mit dem Common-Law-Rechtsbehelf der duress Überschneidungen, das gilt insbesondere für die Fallgruppe der „actual undue influence“,242 die nunmehr überwiegend über das Institut der duress gelöst wird. 243 Bei der „presumed undue influence“ ist im Gegensatz dazu ein Näheverhältnis zwischen den Vertragsparteien erforderlich.244 Kann der Inhalt des geschlossenen Vertrags nicht durch „normale Beweggründe“ erklärt werden, so kann sich die benachteiligte Partei unter Umständen von der Bindung lösen. 245 a) Näheverhältnis Stehen die Vertragsparteien in einem Nähe- und Vertrauensverhältnis, so haftet einem so geschlossenen Vertrag ein gewisser Makel an, nämlich derjenige, dass die „stärkere“ Partei die „schwächere“ zu einem Vertragsschluss überredet hat, den diese vielleicht mit einem Dritten nicht oder nicht so geschlossen hätte. Im Kern geht es hier um einen Missbrauch von Vertrauen gegenüber dem Vertragspartner. 246 Die Rechtsprechung – die freilich nicht immer einheitlich ist – unter240
Vgl. Atlas Express Ltd. v. Kafco (Importers and distributors) Ltd. [1989] QB 833, 838 ff. (Tucker J.); Williams v. Roffey Bros. & Nicholls (Contractors) Ltd. [1991] 1 QB 1, CA. 241 Der Ansatz, der die duress als Willensmangel (vitiated consent) durch die Ausübung von Zwang einordnete, deren Resultat der „overborne will“ ist, ist überholt, vgl. dazu DPP for Northern Ireland v. Lynch [1975] AC 653, 675, HL (Lord Morris), allerdings im strafrechtlichen Kontext, ebenso später Universe Tankships Inc. of Monrovia v. International Transport Workers Federation (The Universe Sentinel) [1983] 1 AC 366, 383 ff., HL (Lord Diplock) sowie dazu Atiyah, (1982) 98 LQR 197. 242 Die actual undue influence wurde als class 1 bezeichnet. Siehe dazu Allcard v. Skinner (1887) 36 ChD 145, 171 (Cotton LJ); ebenso Barclays Bank plc v. O’Brien [1994] 1 AC 180, 189 (Lord Browne-Wilkinson). Zum Ganzen auch Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 131 ff. 243 Vgl. Royal Bank of Scotland v. Etridge (No. 2) [2002] 2 AC 773, 795 ff. Der Rechtsfigur der actual undue influence bleibt gleichwohl ein eigenständiger Anwendungsbereich, vgl. die Nachweise bei Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–064 ff. 244 Diese Fälle werden als class 2 bezeichnet, vgl. die Nachweise in Fn. 242. 245 Rechtsvergleichend dazu auch Jansen, in: Störungen der Willensbildung bei Vertragsschluss, S. 125, 149 ff. 246 Vgl. Cartwright, Unequal Bargaining, S. 179 ff. Anders hier Birks / Chin, in: Good
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scheidet hier solche Fälle, in denen typischerweise ein besonders enges Näheund Vertrauensverhältnis besteht, von den sonstigen Näheverhältnissen. Die erste Fallgruppe betrifft Verträge zwischen Eltern und Kindern, Vormund und Mündel, Rechtsanwalt und Mandant, Arzt und Patient, Verträge zwischen Treuhänder und Treugeber, zwischen spirituellem Ratgeber und Personen, die sich diesem anvertraut haben, 247 nicht jedoch solche zwischen Ehegatten.248 Ist der Vertrag so gestaltet, dass sich dessen Inhalt nicht ohne weiteres aus dem Charakter des Näheverhältnisses heraus erklärt, so besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass ein Missbrauch dieses Verhältnisses vorliegt. 249 In allen anderen Fällen muss der Kläger darlegen und beweisen, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des nachteiligen Vertrags ein Vertrauensverhältnis zum beklagten Vertragspartner bestand. Diese Tatsachen begründen dann eine Vermutung dafür, dass ein Missbrauch dieses Vertrauensverhältnisses vorliegt. 250 b) Transaction that „calls for an explanation“ Der Missbrauch des Nähe- und Vertrauensverhältnisses alleine reicht jedoch nicht aus, um sich vom Vertrag zu lösen. Vielmehr muss feststehen, dass der Vertrag „not reasonably to be accounted for on the ground of friendship, relationship, charity, or other ordinary motives on which ordinary men act“. 251 Kürzer ausgedrückt: Es muss sich um einen Vertrag handeln, dessen Inhalt erklärungsbedürftig ist („calls for an explanation“). 252 Später konkretisierte das House of Lords in der Entscheidung National Westminster Bank plc v. Morgan253 dieses Erfordernis dahingehend, dass der Vertrag offensichtlich nachteilig (manifestly disadvantageous) für einen der Vertragspartner sein müsse. 254 Darin kann man eine Verengung des Anwendungsbereichs der undue influence auf Fälle eines Ungleichgewichts von Leistung und Gegenleistung sehen, denn Faith and Fault in Contract Law, S. 57, 61 ff., die die Rechtfertigung der undue influence ebenso wie die der duress in der nicht einwandfrei zustande gekommenen Willensübereinstimmung sehen und nicht in der Ausnutzung einer Vertrauensbeziehung. 247 Nachweise zu den verschiedenen Fallgruppen bei Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–071 ff. 248 Barclays Bank plc v. O’Brien [1994] 1 AC 180, 190 (Lord Browne-Wilkinson); weitere Nachweise bei Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–085. 249 Diese Fälle werden als class 2A bezeichnet: Barclays Bank plc v. O’Brien [1994] 1 AC 180, 189 (Lord Browne-Wilkinson). 250 Class 2B-Fälle: Barclays Bank plc v. O’Brien [1994] 1 AC 180, 189 f. (Lord BrowneWilkinson). 251 So das dictum von Lindley LJ in Allcard v. Skinner (1887) 36 ChD 145, 185. 252 Royal Bank of Scotland v. Etridge (No. 2) [2002] 2 AC 773, 796 (Lord Nicholls). 253 [1985] AC 686. 254 Dieses Erfordernis wurde in National Westminster Bank plc v. Morgan [1985] AC 686, 704 f. aufgestellt. Lord Scarman sprach hier von einer „victimisation“ einer Vertragspartei durch die andere.
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wenn zuvor eine bloße „Erklärungsbedürftigkeit“ des Vertrags ausreichte, um ihn im Lichte des zwischen den Parteien bestehenden Nähe- und Vertrauensverhältnisses anstößig erscheinen zu lassen, so bedarf es nun der positiven Feststellung einer offensichtlichen Benachteiligung. Das angesprochene Urteil des House of Lords führte aber im Gegenteil zu einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der undue influence: Insbesondere in den häufig vorkommenden Fällen der Ehegattenbürgschaft kommt man leicht zum Ergebnis, dass die zumeist bürgende Ehefrau, die dies nur aus Verbundenheit zu ihrem Mann tut, offensichtlich und einseitig benachteiligt wird. Wendet man das Kriterium der „Erklärungsbedürftigkeit“ auf die Bürgschaftsfälle an, so sind diese prima facie unproblematisch, da die Verbürgung für einen Kredit des Ehepartners durchaus zu den „ordinary motives on which ordinary men act“ zählt. Um diese Unklarheiten zu vermeiden, gab das House of Lords das Erfordernis der offensichtlichen Benachteiligung später wieder zugunsten des zuvor gebrauchten Tests auf. 255 Im Unterschied zum deutschen Recht, das mit dem Kriterium der Sittenwidrigkeit einen außerrechtlichen Maßstab für die Anstößigkeit von Verträgen wählt, fokussiert das englische Recht also stark auf den Prozess der Willensbildung; dieser soll möglichst frei von jeglicher Fremdbestimmung oder eigennütziger Einflussnahme bleiben. Anknüpfungspunkt für die Lösung der vertraglichen Bindung ist das Ausnutzen einer Vertrauens- oder Einflussposition.256 Der Vertragsinhalt selbst bleibt ohne Relevanz, solange er nur „erklärungsbedürftig“ ist; eine offensichtliche Benachteiligung wird gerade nicht mehr verlangt. Damit ist das englische Recht stärker auf eine prozedurale Vertragskontrolle ausgerichtet als das deutsche, das in § 138 BGB deutliche Elemente einer materialen Inhaltskontrolle aufweist. 257 Der Missbrauch einer Vertrauensstellung kann auch nach deutschem Recht zur Nichtigkeit eines Vertrags führen. 258 Das Missbrauchselement ist dabei jedoch nur eines von mehreren Elementen, die erst in ihrer Gesamtheit dem Vertrag ein sittenwidriges Gepräge geben. Die Unterschiede zwischen beiden Rechtsordnungen zeigen sich auch darin, dass
255 Royal Bank of Scotland v. Etridge (No. 2) [2002] 2 AC 773, 798 ff. (Lord Nicholls) und 841 ff. (Lord Scott); dazu ausführlich Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 10–013 ff. 256 Royal Bank of Scotland v. Etridge (No. 2) [2002] 2 AC 773, 795 f. (Lord Nicholls). 257 Vgl. BGHZ 110, 156, 174 a.E. („Entscheidend insoweit ist vielmehr, ob das Rechtsgeschäft seinem Inhalt nach mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung unvereinbar ist.“ – Hervorhebung durch den Verf.); zur Unterscheidung zwischen Inhaltsund Umstandssittenwidrigkeit Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 2. Dieses prozedurale Element wird teils ausdrücklich angesprochen, vgl. Hart v. O’Connor [1985] AC 1000, 1017 f., PC (Lord Brightman): „procedural unfairness“; vgl. auch Smith, Contract Theory, S. 348 ff.; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 453 ff. 258 BGH LM Nr. 1 zu § 138 (Bc) BGB; vgl. auch Flume, Rechtsgeschäft, § 18, 2 (S. 371 f.).
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der Vertrag nach englischem Recht lediglich vernichtbar ist, 259 diese Rechtsfolge aber nach § 138 BGB ex lege eintritt.
3. Unconscionability Eng verwandt mit der doctrine of undue influence sind die Fälle der unconscionability, die ebenfalls von der Equity-Rechtsprechung entwickelt wurden und die vielleicht allgemeinste Form der Wirksamkeitskontrolle von Verträgen darstellt. Wenngleich das englische Recht keinen allgemeinen Schutz bei Ausnutzung eines Machtgefälles kennt, 260 so bietet die unconscionability doch ein flexibles Kontrollinstrument, das grobe Benachteiligungen des Vertragspartners sanktioniert. Im Unterschied zur undue influence, die hauptsächlich den frei von unerwünschten Einflüssen gebildeten Willen zum Vertragsschluss schützt, erfordert die unconscionability kein Näheverhältnis zwischen den Vertragspartnern.261 a) Voraussetzungen Im Wesentlichen liegt ein unconscionable bargain dann vor, wenn ein Vertragspartner die Schwächesituation des anderen Teils durch unredliches Verhalten zum Abschluss eines diesen grob benachteiligenden Geschäfts ausnutzt und die Gesamtsituation „shock[s] the conscience of the Court“.262 Dadurch wird eine Parallele zum „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ und insbesondere zum wucherähnlichen Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB deutlich. aa) Grob benachteiligendes Geschäft Zunächst muss der Vertrag so gestaltet sein, dass eine Partei hierin grob benachteiligt wird (oppressive bargain); dies wird vor allem dann bejaht, wenn ein starkes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben ist:263 „The
259
Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–097. Vgl. Smith, Contract Theory, S. 340 ff.; weitere Nachweise bei Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–126; zur inequalitiy of bargaining power sogleich unten c) (S. 86 f.). 261 Irvani v. Irvani [2000] 1 Lloyd’s Rep. 412, 424 (Buxton LJ); Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–129 ff. mit Fn. 502. Vgl. aber Capper, (1998) 114 LQR 479, der die Unterscheidung zwischen beiden Instituten aufgeben will. Siehe zusammenfassend dazu Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 139 ff. 262 Alec Lobb Ltd. v. Total Oil (Great Britain) Ltd. [1983] 1 WLR 87, 94 f. (Millet LJ) (Teilaufhebung durch [1985] 1 WLR 173). 263 Boustany v. Piggott (1995) 69 P & C. R. 298, 303 f., PC; Crédit Lyonnais Bank Nederland NV v. Burch [1997] 1 All ER 144; Irvani v. Irvani [2000] 1 Lloyd’s Rep. 412, 424 (Buxton LJ). 260
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resulting transaction has been, not merely hard or improvident, but overreaching and oppressive.“264 bb) Schwächesituation Die Schwächesituation wurde früher so gesehen, dass der benachteiligte Vertragspartner „poor and ignorant“ sein musste; 265 diese Eigenschaften erweiterte die Rechtsprechung zum Begriff des ernstlichen Nachteils (serious disadvantage), der nicht nur durch Armut und Unwissenheit hervorgerufen werden kann, sondern insbesondere auch durch die Tatsache, dass der Benachteiligte keine Beratung erhalten hat, oder durch andere Umstände, „of which unfair advantage could be taken“.266 cc) Unredliches Verhalten Schließlich muss der Vertragspartner die Schwächesituation durch moralisch anstößiges Verhalten (unconscionable conduct) zu seinem Vorteil ausgenutzt haben. 267 Erforderlich ist daher eine Kenntnis von der Schwächesituation des anderen Teils.268 Ähnlich wie im deutschen Recht kann dieser unconscionable conduct aber in der Regel bei grob benachteiligenden Geschäften, insbesondere bei einem extremen Vertragsungleichgewicht (contractual imbalance),269 vermutet werden.270 b) Parallele zu § 138 Abs. 2 BGB Die Parallele zu § 138 Abs. 2 BGB ist augenscheinlich, die drei Elemente der Schwächesituation, der verwerflichen Gesinnung und des grob nachteiligen Geschäfts sind in beiden Rechtsordnungen in ihrer Zielrichtung vergleichbar. 271 Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass der Wucherparagraph 264 Alec Lobb Ltd. v. Total Oil (Great Britain) Ltd. [1983] 1 WLR 87, 95 (Millet LJ) (Teilaufhebung durch [1985] 1 WLR 173). 265 Fry v. Lane (1888) 40 ChD 312, 322 (Kay J.); vgl. dazu Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 10–040 f. 266 Alec Lobb Ltd. v. Total Oil (Great Britain) Ltd. [1983] 1 WLR 87, 95 (Millet LJ) (Teilaufhebung durch [1985] 1 WLR 173). Kritisch und mit weiteren Nachweisen dazu Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–128. 267 Der Benachteiligende muss sich „in a morally reprehensible manner … which affects his conscience“ verhalten haben, vgl. Multiservice Bookbinding Ltd. v. Marden [1979] Ch. 84, 110 (Browne-Wilkinson J.). 268 Hart v. O’Connor [1985] AC 1000, 1018, PC (Lord Brightman). 269 Hart v. O’Connor [1985] AC 1000, 1018, PC (Lord Brightman). 270 Crédit Lyonnais Bank Nederland NV v. Burch [1997] 1 All ER 144, 153 (Millet LJ); Multiservice Bookbinding Ltd. v. Marden [1979] Ch. 84, 110; Alec Lobb Ltd. v. Total Oil (Great Britain) Ltd. [1983] 1 WLR 87, 95. 271 So auch Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 139.
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nach deutschem Verständnis Teil des weiteren Konzepts der Sittenwidrigkeit ist, was, wie gezeigt, mit der Einführung des wucherähnlichen Geschäfts zu einer Ausweitung des Anwendungsbereichs, ja zu einem regelrechten Instrument der Vertragskontrolle geführt hat. Die unconscionability ist demgegenüber der doctrine of undue influence verwandt; ihr wohnt kein allgemeines Konzept der Sittenwidrigkeit inne, auch wenn moralisch anstößiges Verhalten Voraussetzung für die Anfechtbarkeit des Vertrags ist. Ihr Anwendungsbereich ist im Vergleich zum deutschen Institut des Wuchers bzw. des wucherähnlichen Geschäfts in der Praxis weit weniger verbreitet. c) Lösung vom Vertrag wegen inequality of bargaining power? In der Entscheidung Lloyd’s Bank Ltd. v. Bundy sah Lord Denning eine inequality of bargaining power als Grundmuster aller Vertragslösungsinstrumente. 272 Er führte Folgendes aus:273 „[T]he English law gives relief to one who, without independent advice, enters into a contract upon terms which are very unfair or transfers property for a consideration which is grossly inadequate, when his bargaining power is grievously impaired by reason of his own needs or desires, or by his own ignorance or infirmity, coupled with undue influences or pressures, brought to bear on him by or for the benefit of the other.“
Die Grenze sah Lord Denning dort, wo der Vertrag durch das normale Zusammenspiel der Kräfte geschlossen wurde: „No bargain will be upset which is the result of the ordinary interplay of forces.“274 Das House of Lords trat dem allerdings nicht bei; es bestehe kein Bedarf nach einem allgemeinen Schutzinstrument bei Verhandlungsungleichgewicht; 275 überdies werde dadurch beträchtliche Rechtsunsicherheit geschaffen.276 Einstweilen bleibt es daher bei den traditionellen Mechanismen von duress, undue influence und unconscionability. Deren Flexibilität und Einzelfallbezogenheit lässt eine übergreifende Doktrin jedenfalls im praktischen Ergebnis entbehrlich erscheinen.
272 Lloyd’s Bank Ltd. v. Bundy [1975] QB 326, 337 ff., CA (Lord Denning). Die beiden anderen Richter stützten die Entscheidung hingegen ausschließlich auf die doctrine of undue influence. Siehe auch den Ansatz von Waddams, (1976) 39 MLR 369, 390 f., der die doctrine of unconscionability als Grundmuster der Reaktion auf ein fehlendes Vertragsgleichgewicht ansieht. Vgl. dazu auch Cartwright, Unequal Bargaining, S. 197 ff.; Ricci, Contratto impr. / Europa, 2003, 1, 414; Bonini Baraldi, Contratto impr. / Europa, 2003, 1, 443 (mit Bezügen zum US-amerikanischen Recht). 273 Lloyd’s Bank Ltd. v. Bundy [1975] QB 326, 339. 274 Lloyd’s Bank Ltd. v. Bundy [1975] QB 326, 336. 275 National Westminster Bank plc v. Morgan [1985] AC 686, 708 (Lord Scarman). 276 So bereits Lord Scarman in einer früher ergangenen Entscheidung des Privy Council: Pao On v. Lau Yiu Long [1980] AC 614, 634, PC. Siehe auch Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 76 ff.
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Im Unterschied zur italienischen Lehre vom asymmetrischen Vertrag 277 bleibt die Idee einer Lösung vom Vertrag wegen inequality of bargaining power im Wesentlichen in den traditionellen Bahnen, als sie die beiden Elemente des grob nachteiligen Geschäfts mit einer Schwächesituation des benachteiligten Vertragspartners kombiniert. Sie bewirkt keine entscheidende Veränderung gegenüber den überkommenen Instituten. Die scharfe Ablehnung des Vorstoßes durch das House of Lords zeigt jedoch den hohen Stellenwert, der der Vertragsfreiheit im englischen Recht beigemessen wird.
4. Rechtsfolgen Ein Vertrag, der in den Anwendungsbereich der beschriebenen Instrumente von (economic) duress, undue influence und unconscionability fällt, ist nicht per se nichtig, 278 sondern lediglich vernichtbar (voidable). 279 Die Begrifflichkeiten sind hier unterschiedlich, man spricht von „to rescind“, „to avoid“ oder „to set aside“. Aufgrund der historischen Unterschiede zwischen Common Law und der Equity-Rechtsprechung kann der von einer duress benachteiligte Vertragspartner den Vertrag durch Abgabe einer entsprechenden Gestaltungserklärung anfechten; im Falle von undue influence und unconscionability aber ist ein Antrag zum Gericht „to set aside the contract“ notwendig. Der Grund hierfür besteht darin, dass die Gewährung eines Equity-Rechtsbehelfs tradtionell im Ermessen des Gerichts liegt.280 Hier gilt der Grundsatz, dass die benachteiligte Partei, die die Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrags begehrt, selbst imstande sein muss, die erhaltene Leistung des Gegners zurückzugeben (restitutio in integrum). 281 Eine geltungserhaltende Reduktion oder gar eine Anpassung des Vertrags steht hingegen nicht im Ermessen des Gerichts. Ein Spielraum zur Schaffung eines angemessenen Interessenausgleichs besteht aber über das Instrument der „compensation in equity“, das auch bei der Rückabwicklung nach Vertragsauflösung anwendbar ist.282 Ziel dieses Ausgleichs ist es, dass der Benachteiligte 277
Oben I. 3. c) (S. 77 ff.). So aber vereinzelte Urteile für die duress, vgl. Barton v. Armstrong [1976] AC 104, 120, PC (Lord Cross). 279 Pao On v. Lau Yiu Long [1980] AC 614, 634, PC (Lord Scarman); Universe Tankships Inc. of Monrovia v. International Transport Workers Federation (The Universe Sentinel) [1983] 1 AC 366, 383 f. (Lord Diplock), 400 (Lord Scarman); Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–053 und 7–097. 280 Zur Reichweite des equitable relief Hellwege, Rückabwicklung, S. 186 ff.; Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–097 ff. 281 Diese Regel gilt nicht absolut: Die Rückabwicklung ist auch dann möglich, wenn zwar das aufgrund des Vertrags Erhaltene nicht mehr vorhanden ist, der Benachteiligte jedoch Wertersatz leistet, vgl. Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 7–101 ff. Ausführlich zur Rückabwicklung nach erfolgter Anfechtung Hellwege, Rückabwicklung, S. 189 ff. 282 Mahoney v. Purnell [1996] 3 All ER 61 (May J.). 278
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durch die Anfechtung nicht schlechter steht als zuvor. 283 Die völlige Beendigung des Vertrags unter eventueller Zusprechung von finanzieller Entschädigung wird als geringerer Eingriff in die Privatautonomie angesehen als eine richterliche Anpassung des Vertrags.
III. PECL und DCFR Auch die PECL und ihnen folgend der DCFR versagen einem Vertrag die Gültigkeit, wenn eine Partei eine Schwächesituation der anderen Partei ausnutzt, um daraus einen übermäßigen Vorteil zu ziehen. Anders als im deutschen Recht, wo solche Verträge nach § 138 BGB ex lege nichtig sind, und ähnlich der Rechtslage in England, hängt es bei den europäischen Modellregeln aber von der Initiative der benachteiligten Partei ab, ob der Vertrag zur Durchführung kommt: Ihr steht ein Recht zur Anfechtung des Vertrags (avoidance of contract) zu, das diesen mit Wirkung ex tunc vernichtet. Hat diese Partei ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Vertrags, so kann sie ein gerichtliches Anpassungsverlangen geltend machen.
1. Übermäßiger Vorteil einer Partei Ein Vertrag wird nach Art. 4:109 Abs. 1 PECL dann als anstößig gesehen, wenn drei Voraussetzungen kumulativ gegeben sind:284 Eine Abhängigkeits- oder Schwächesituation der einen Partei, die Kenntnis oder das Kennenmüssen der anderen Partei hiervon sowie ein unfaires Ausnutzen dieser Schwäche durch letztere Partei. In dieser Vorschrift tauchen somit Elemente der englischen doctrine of undue influence genauso auf wie solche der unconscionability; aber auch der Wuchertatbestand aus § 138 Abs. 2 BGB hat in den PECL seinen Niederschlag gefunden.
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Eingehend zu den verschiedenen Fallgruppen Hellwege, Rückabwicklung, S. 204 ff. Art. 4:109 Abs. 1 PECL lautet: „Übermäßiger Vorteil oder unangemessene Ausnutzung: (1) Eine Partei kann einen Vertrag anfechten, wenn sie bei Vertragsschluß: (a) von der anderen Partei abhängig war oder zu ihr in einem Vertrauensverhältnis stand, sich in einer wirtschaftlichen Notlage befand oder dringende Bedürfnisse hatte, unvorsichtig, unwissend, unerfahren war oder ihr Verhandlungsgeschick fehlte, und (b) die andere Partei davon Kenntnis hatte oder haben mußte und, unter Berücksichtigung der Umstände und des Zwecks des Vertrages die Lage der ersten Partei auf grob unangemessene Weise ausgenutzt oder sich einen übermäßigen Vorteil verschafft hat.“ Art. II.-7:207 Abs. 1 DCFR ist praktisch wortgleich. 284
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a) Abhängigkeits- oder Schwächesituation Das Anfechtungsrecht knüpft zunächst an Situationen an, in denen der Vertragsschluss typischerweise nicht aufgrund eines autonomen Willensentschlusses der benachteiligten Partei zustande kommt, weil diese vom Vertragspartner abhängig war, oder zu ihm in einem Vertrauensverhältnis stand. 285 Auch in anderen Fällen, in denen keine wie auch immer geartete Nähebeziehung zwischen den Vertragsparteien bestand, ist eine hinreichend autonome Willensbildung nach Art. 4:109 Abs. 1 PECL nicht gewährleistet, wenn sich eine Partei in einer wirtschaftlichen Notlage befand oder dringende Bedürfnisse hatte, oder auch bereits dann, wenn sie „unvorsichtig, unwissend, unerfahren war oder ihr Verhandlungsgeschick fehlte“. Diese Voraussetzungen erinnern an § 138 Abs. 2 BGB, sind aber offener formuliert und scheinen einen weiteren Anwendungsbereich zu haben. Vor allem die letzte Fallgruppe, das fehlende Verhandlungsgeschick, trägt starke paternalistische Züge; sie geht insoweit über die anderen Fallgruppen hinaus, als die Verhandlung über den Vertragsinhalt nicht notwendig zum Prozess der Willensbildung dazu gehört, dessen Schutz Art. 4:109 PECL im Übrigen bezweckt. 286 b) Kenntnis oder Kennenmüssen Wie im deutschen Recht muss die andere Partei von der Abhängigkeit oder der Schwächesituation des Vertragspartners tatsächlich Kenntnis gehabt haben oder haben müssen; nach Art. II.-7:207 Abs. 1 lit. b DCFR ist es nunmehr ausreichend, dass eine solche Kenntnis vernünftigerweise287 erwartet werden konnte. Der nach deutschem Recht bestehenden Vermutung der Kenntnis der Schwächesituation kommt die neue Formulierung sehr nahe. c) Übermäßiger Vorteil oder unangemessene Ausnutzung Schließlich muss die Lage des Vertragspartners „auf grob unangemessene Weise ausgenutzt“ worden sein, oder der Benachteiligende muss sich durch den Vertragsschluss einen „übermäßigen Vorteil“ verschafft haben. Während die zweite Fallgruppe wucherische Geschäfte erfasst – ohne hier feste Mindestgrenzen für 285
Diese Fallgruppe kann nach deutschem Recht unter § 138 Abs. 1 BGB einzuordnen sein, vgl. Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 258. 286 Vgl. dazu Kommentar B zu Art. 4:109 PECL: Die ratio der Norm geht dahin, die benachteiligte Partei in solchen Situationen zu schützen, in denen sie „kein eigenes, unabhängiges Urteil getroffen hat“. Dies ergibt auch eine systematische Betrachtung: Kapitel 4 der PECL behandelt die Gültigkeit von Verträgen und hier insbesondere Irrtum, Täuschung und Drohung bei Vertragsschluss. Noch deutlicher zeigt sich dies beim DCFR: Hier steht Art. II.7:207 Abs. 1 DCFR im Unterkapitel „Vitiated Consent or Intention“, es geht also um Rechtsfolgen von Willensmängeln. 287 Zur Auslegung der „Vernünftigkeit“ unten § 18 III. 3. (S. 342 ff.).
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das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Sinne einer laesio enormis festzulegen –, setzt das unfaire Ausnutzen der Lage des Vertragspartners nicht notwendig ein anstößiges Auseinanderfallen vom Wert der Leistung und Gegenleistung voraus, sondern kann auch dann vorliegen, wenn der Vertrag zwar marktgerechte Leistungen vorsieht, aber insgesamt unangemessene Folgen für die benachteiligte Partei nach sich zieht.288
2. Rechtsfolge: Vertragsaufhebung (avoidance of contract) Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der übermäßigen Ausbeutung vor, so steht der benachteiligten Partei ein Recht zur Lösung vom Vertrag zu.289 PECL und DCFR sprechen hier von der „avoidance of contract“. Dieser Begriff, in der deutschen Ausgabe der PECL mit Anfechtung übersetzt, bezeichnet die Erklärung einer Partei, dass der Vertrag nicht mehr gelten soll; dies ergibt sich aus Art. 4:112 PECL. Der DCFR verwendet den Begriff der avoidance allerdings noch in einem anderen Zusammenhang, nämlich bei der Rechtsfolge eines Verstoßes gegen fundamentale Grundsätze, die innerhalb der EU anerkannt sind. Ist der Vertrag nicht schon nach der Art des Verstoßes nichtig, so kann der Richter nach Art. II.-7:302 Abs. 2 DCFR nach seinem Ermessen „(a) declare the contract to be valid; (b) avoid the contract, with retrospective effect, in whole or in part; or (c) modify the contract or its effects“. Der Begriff der avoidance ist hier offensichtlich nicht identisch mit der Anfechtung durch eine Partei in section 2 von Kapitel 7; er stimmt damit auch nicht mit der im deutschen BGB verwendeten Terminologie der Anfechtung überein. 290 Das Recht zur Anfechtung eines solchen Vertrags kann nach Art. 4:118 Abs. 1 PECL weder ausgeschlossen noch eingeschränkt werden.291 Möglich ist aber eine Bestätigung des Vertrags durch die zur Anfechtung berechtigte Partei nach Art. 4:114 PECL, „nachdem sie den Grund der Anfechtung kannte oder frei handeln konnte“.292 PECL und DCFR stehen damit im Gegensatz zum 288 In Kommentar E zu Art. 4:109 PECL findet sich das Beispiel einer Witwe mit vielen Kindern, die sich vom Nachbarn ihr Haus abschwatzen lässt, obwohl sie für den Kaufpreis selbst dann keine andere Unterkunft findet, wenn dieser marktgerecht ist. Art. II.-7:207 Abs. 1 lit. b DCFR hat keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen gebracht; siehe das identische Beispiel in Kommentar E zu Art. II.-7:207 DCFR. 289 Dies ergibt sich aus Art. 4:115 PECL, in dem unter dem Titel „Wirkung der Anfechtung“ die Modalitäten den Rückabwicklung enthalten sind. Deutlicher ist diesbezüglich Art. II.-7:212 Abs. 1 DCFR, der ausdrücklich eine Vernichtbarkeit des Vertrags mit Wirkung ex tunc vorsieht. 290 In den Definitionen im Annex I zum DCFR wird der Begriff so erläutert: „‚Avoidance‘ of a juridical act or legal relationship is the process whereby a party or, as the case may be, a court invokes a ground of invalidity so as to make the act or relationship, which has been valid until that point, retrospectively ineffective from the beginning.“ 291 Ebenso Art. II.-7:215 DCFR. 292 Diese Möglichkeit besteht auch nach Art. II.-7:211 DCFR.
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deutschen Recht, das die Nichtigkeit ex lege herbeiführt, und dem italienischen Recht, das in Art. 1451 c.c. ausdrücklich eine Bestätigung des anstößigen Rechtsgeschäfts ausschließt. Gleichwohl kann nach beiden Rechtsordnungen die (eigentlich wirkungslose) Bestätigungserklärung nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre als Antrag auf Abschluss eines neuen Vertrags interpretiert werden.
3. Die Alternative der Vertragsanpassung Die Vernichtung des Vertrags bleibt dabei nicht die einzige Lösung: Art. 4:109 Abs. 2 und 3 PECL293 sehen alternativ hierzu die Möglichkeit der richterlichen Vertragsanpassung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben vor; die Initiative hierzu kann sowohl vom benachteiligten Schuldner ausgehen, als auch nach dessen Anfechtung vom Gläubiger. 294 Dahinter steht der Gedanke, dass eine bloße Vernichtung des Vertrags für beide Parteien nachteilige Wirkungen haben kann. Dies hatte etwa im deutschen Recht bei wucherischen Miet- und Arbeitsverträgen zur Zulassung der geltungserhaltenden Reduktion geführt. 295 Die mangelnde Konsistenz dieser Ausnahmen mit der Lösung etwa im Darlehensrecht zeigt, dass eine Anpassungslösung möglicherweise vorzugswürdig ist, weil sie flexibler auf die Gegebenheiten des Einzelfalles zu reagieren imstande ist – dies allerdings auf Kosten der Rechtssicherheit. Im Unterschied zum italienischen Recht, das die PECL ausdrücklich als Vorbild für Art. 4:109 PECL nennen, 296 legen die PECL die Vertragsanpassung von vornherein in die Hände des Gerichts, und nicht in diejenigen der übervorteilenden Partei. Die Initiative kann sowohl vom anfechtungsberechtigten Vertragspartner ausgehen, der statt der Vernichtung des Vertrags dessen Anpas293 Art. 4:109 Abs. 2, 3 PECL lautet: „(2) Auf Verlangen der zur Anfechtung berechtigten Partei kann ein Gericht, sofern dies angemessen ist, den Vertrag anpassen, um ihn damit in Einklang zu bringen, was die Parteien unter Berücksichtigung der Gebote von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs vereinbart haben könnten. (3) Ebenso kann ein Gericht den Vertrag auf Verlangen der Partei anpassen, die eine Anfechtungserklärung wegen übermäßigen Vorteils oder unangemessener Ausnutzung erhält, sofern diese Partei die andere Partei, welche die Anfechtung erklärt hat, umgehend nach Empfang der Anfechtungserklärung und bevor die andere Partei im Vertrauen darauf gehandelt hat, informiert.“ Art. II.7:207 Abs. 2 und 3 DCFR sind gleichlautend. 294 Damit ähneln die Principles wiederum den UNIDROIT Principles, die in Art. 3.10 ebenfalls eine gestufte Reaktion von Anfechtung bzw. Anpassung vorsehen. Zur gross disparity der UNIDROIT Principles Vogenauer / Kleinheisterkamp / Du Plessis, Commentary on the UNIDROIT Principles, Art. 3.10 para. 7 ff.; Volpe, Riv. dir. priv. 1999, 40; hierzu auch Timoteo, Contratto impr. / Europa, 1997, 141 sowie Volpe, La giustizia contrattuale, S. 120 ff. m.w.N. in Fn. 194. 295 Siehe dazu oben § 5 III. 2. (S. 61 f.). 296 Anmerkung 6 a.E. zu Art. 4:109 PECL nimmt Bezug auf Art. 1450 c.c.; ein ähnlicher Verweis findet sich auch in Anmerkung 15 zu Art. II.-7:207 DCFR.
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sung verlangen kann, als auch vom anderen Teil: Dieser muss umgehend nach Empfang der Anfechtungserklärung des Benachteiligten diesen seinerseits dahingehend informieren, dass er eine richterliche Vertragsanpassung beantragen wird. Diese Lösung entspricht im Ergebnis derjenigen des italienischen Rechts: Wenn dieses auch die Initiative zur Vertragsanpassung der benachteiligenden Partei überlässt und auf diese Weise die privatautonome Gestaltungsmöglichkeit fortzusetzen scheint, so findet auch diese Art der Anpassung in der Regel unter richterlicher Moderation statt. Die von den PECL gewählte Lösung verzichtet von vornherein auf den parteilichen Vorschlag und billigt überdies gerade der benachteiligten Partei das erste Initiativrecht (Anfechtung oder Anpassung) zu; wählt sie Anfechtung, dann kann der andere Teil hierauf mit einem Anpassungsverlangen reagieren, solange die benachteiligte Partei noch nicht im Vertrauen auf die Wirkung der Anfechtung gehandelt hat. Hat eine der Parteien ein Anpassungsverlangen gestellt, so ist es Aufgabe des Richters, den Vertrag so zu modifizieren, dass der übermäßige Vorteil wegfällt bzw. der grob unangemessene Vertragsinhalt korrigiert wird. Maßstab ist dabei nach Art. 4:109 Abs. 2 PECL dasjenige, „was die Parteien unter Berücksichtigung der Gebote von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs vereinbart haben könnten“. Die Bezugnahme auf einen hypothetischen Parteiwillen erscheint dabei angesichts des unfairen Verhaltens der einen Partei als reine Fiktion. Vielmehr wird der Richter nach den PECL zur Schaffung einer „angemessenen“ Vereinbarung ermächtigt, also eines Vertrags, den durchschnittliche und redlich agierende Verkehrsteilnehmer in der Lage der Parteien geschlossen hätten. Die Vertragsanpassung steht ihrerseits unter einem Angemessenheitsvorbehalt: Ist eine ausgewogene Vertragsanpassung nicht möglich, so bleibt es bei der Vertragsauflösung. 297 Dies erscheint vor allem in der Fallgruppe der grob unangemessenen Ausnutzung regelmäßig gegeben zu sein: Hier ist nicht das Leistungsungleichgewicht, sondern das Gesamtgepräge des Vertrags anstößig, so dass eine nachträgliche Anpassung die Sanktion der Vernichtbarkeit konterkarieren würde.
4. Allgemeine Unwirksamkeitsgründe Daneben enthält Kapitel 15 PECL allgemeine Wirksamkeitshindernisse wegen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze der verschiedenen EU-Rechtsordnungen (Art. 15:101 PECL) bzw. gegen zwingende298 Vorschriften des jeweils 297 So auch der Aufbau des § 313 BGB für Störungen der Geschäftsgrundlage; dazu näher unten § 14 III. (S. 263 ff.). 298 Der Begriff der zwingenden Normen wird in Art. 1:103 PECL im Sinne einer Unterscheidung zwischen national zwingenden Normen einerseits und international zwingenden Normen (oder Eingriffsnormen) andererseits näher beschrieben (siehe auch den Hinweis in
§ 6. Alternativen: Anfechtungs- und Anpassungsmodelle
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anwendbaren Rechts (Art. 15:102 Abs. 1 PECL). Während der Regelungsgehalt von Art. 15:101 PECL nicht mit in den DCFR übernommen wurde, findet sich eine Art. 15:102 PECL inhaltsgleiche Regelung in Art. II.-7:302 DCFR. 299 Bei Verletzung zwingender Vorschriften tritt die Rechtsfolge ein, die die zwingende Norm selbst vorsieht – in der Regel wird dies die Nichtigkeit sein. Insoweit entspricht dies dem Regelungsgehalt des § 134 BGB. Regelt diese Norm die Rechtsfolge nicht oder jedenfalls nicht ausdrücklich, so sieht Art. 15:102 Abs. 2 PECL diesbezüglich ein richterliches Ermessen vor, den Vertrag ganz oder teilweise für unwirksam zu erklären und darüber hinausgehend seinen Inhalt zu verändern. Bemerkenswert ist die Regelung des Art. 15:102 Abs. 3 PECL: Danach muss diese Entscheidung in jedem Fall eine „angemessene und verhältnismäßige Antwort auf den Verstoß darstellen, bei der alle maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen sind“.300 Die Norm zählt einzelne Gesichtspunkte auf, die in jedem Falle zu berücksichtigen sind, insbesondere der Schutzzweck des gesetzlichen Verbots, der Grad des Verstoßes und des Verschuldens und die Intensität des Zusammenhangs zwischen Verstoß und dem Vertrag. Die einzelnen Gesichtspunkte dienen dabei als Leitbilder für die richterliche Abwägung in der Art eines beweglichen Systems; keiner der Faktoren hat eine vorrangige oder nicht einzelfallbezogene Rolle. Damit ordnet die Norm eine Verhältnismäßigkeitskontrolle auf der Rechtsfolgenseite an und gibt gleichzeitig die wesentlichen abwägungsbestimmenden Faktoren an. Dabei mutet der Wortlaut im doppelten Sinne tautologisch an: Die Begriffe der Angemessenheit und der Verhältnismäßigkeit scheinen ein synonymes Begriffspaar zu sein; überdies kann eine Verhältnismäßigkeitsentscheidung prima facie nur durch Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände getroffen werden.301 Auch wenn diese Korrekturmöglichkeit wegen der damit verbundenen, sehr weitgehenden richterlichen Eingriffsbefugnis in das Vertragsgefüge nicht frei von Kritik sein kann, so reflektiert diese Lösung doch ein Bedürfnis, statt der starren Nichtigkeitsfolge dem Gericht eine flexible Reaktionsmöglichkeit an die Hand zu geben. Im Ergebnis entspricht dies den im deutschen Recht für die Kommentar B zu Art. 15:102 PECL). Letztere sind in Art. 15:102 Abs. 1 PECL dann angesprochen, wenn die lex fori die kollisionsrechtliche Wählbarkeit der PECL erlaubt. Damit wird ein Gleichlauf erzielt zu Art. 7 Abs. 2 EVÜ bzw. nun Art. 9 Rom I-VO, wonach die kollisionsrechtliche Geltung von Eingriffsnormen der lex fori von dem durch das EVÜ bzw. die Rom I-VO bestimmten anwendbaren Recht unberührt bleibt. Ist eine kollisionsrechtliche Rechtswahl der PECL hingegen – wie unter Geltung der Rom I-VO (dazu oben § 1 Fn. 148) nicht möglich, so kommt nur eine materielle Rechtswahl der PECL in Betracht mit der Folge, dass auch national zwingende Normen anwendbar bleiben. 299 Kritisch zum Anspruch des DCFR, über die Nichtigkeit eines Vertrags bei Verstoß gegen nationale Normen zu entscheiden Ernst, AcP 208 (2008), 248, 270 f. 300 Gleichlautend ist Art. II.-7:302 Abs. 3 DCFR. 301 Näher unten § 19 (S. 347 ff.).
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Kapitel 2: Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten
geltungserhaltende Reduktion angeführten Argumenten: Die Unwirksamkeit des Vertrags soll nicht weiter gehen, als dies der Verstoß gegen das Schutz- bzw. Sittengesetz erfordert.302 Die europäischen Prinzipien stehen hier möglicherweise für eine neues Paradigma: Die Abkehr von der Totalnichtigkeit und die Hinwendung zu „verhältnismäßigen“, also einzelfallabhängigen Sanktionen.
§ 7. Zusammenfassende Würdigung Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat bei der Prüfung der Wirksamkeit vertraglicher Vereinbarungen die Rolle, eine äußere Grenze für die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Parteien zu setzen: Besteht ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Wert der Leistung und demjenigen der Gegenleistung, so wird der vertragliche Konsens von der Rechtsordnung dann nicht anerkannt, wenn weitere Umstände hinzukommen, insbesondere eine Situation des übervorteilten Vertragspartners, die als eine situative Unterlegenheit oder Schwäche charakterisiert werden kann, und deren Ausnutzung. Bei einer dahingehenden Übereinstimmung in den untersuchten Rechtsordnungen zeigen sich doch Unterschiede im Geltungsgrund der Wirksamkeitskontrolle, deren Ausweitung und ihren Konsequenzen.
I. Betonung des Missverhältnisses auf der Tatbestandsseite Die Sanktionierung der Inäquivalenz von Leistung und Gegenleistung dient grundsätzlich dem Schutz des Schuldners vor Ausbeutung und setzt daher auch das Vorliegen entsprechender Umstände voraus. Die entsprechenden Schutzmechanismen in allen untersuchten Rechtsordnungen unterscheiden sich jedoch in der Betonung des einen oder des anderen Merkmals: So wird die (Un-) Verhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung im deutschen Recht ein im Vergleich zu den anderen Tatbestandsmerkmalen immer wichtigerer Faktor, ebenso bei der rescissione des italienischen Rechts. Damit reagiert die Rechtsprechung auf die recht rigiden Voraussetzungen von § 138 Abs. 2 BGB bzw. Art. 1448 c.c. Jedenfalls ein Stück weit wird die Idee eines beweglichen Systems verwirklicht, das zwar stets tatbestandsgebunden bleibt, jedoch Verschiebungen zugunsten eines stark ausgeprägten Elements zulässt, was sich etwa im deutschen Recht durch die Anerkennung einer Vermutung für die verwerfliche Gesinnung bei besonders auffälligem Missverhältnis ausdrückt. Schutzgegenstand ist hier die Dispositionsfreiheit des Benachteiligten. Das deutsche Recht sieht in der Ausbeutung eines Schwächeren einen objektiven Sittenverstoß. 302
Dazu oben § 5 III. 2. c) (S. 62 ff.).
§ 7. Zusammenfassende Würdigung
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Die anderen Rechtsordnungen setzen demgegenüber mehr bei der Freiheit der Willensentscheidung des Benachteiligten an. Zwar kommt auch bei der unconscionability im englischen Recht eine Vermutung für die moralische Anstößigkeit des Verhaltens zur Geltung, wenn der Vertragspartner grob benachteiligt wird. Das ist aber eher Wertung als Geltungsgrund. Entscheidend ist, dass der unconscionable contract nicht in freier Willensentscheidung des Benachteiligten zustande kam. Konsequent ist der Vertrag nicht nichtig, sondern lediglich vernichtbar. Dies gilt auch für das italienische Recht sowie für PECL und DCFR. Das Modell des BGB sieht hingegen bei nicht in freier Betätigung des Willens getroffenen Verträgen nur dann die Anfechtbarkeit vor, wenn der Benachteiligte durch eine Täuschung oder Drohung zur Abgabe der Willenserklärung bewegt wurde (§ 123 BGB).303 Dies soll nicht verdecken, dass auch die Regelungen des englischen und italienischen Rechts und insbesondere der PECL und des DCFR neben dem Schutz der Entscheidungsfreiheit durchaus noch andere Geltungsgründe haben. So rückt der Ausbeutungsschutz gerade im italienischen Recht mehr und mehr in den Vordergrund.304 Eine Aufrechterhaltung des Vertrags wird dann zugelassen, wenn die gegenseitigen Leistungen wieder in ein gewisses Gleichgewicht gerückt worden sind – dies ist auch die Lösung der PECL. Auch die unconscionability kann als Mischinstrument gesehen werden.305
II. Die Bedeutung der Schwächesituation Die Schwächesituation alleine, die wirtschaftliche, intellektuelle oder sonstige Unterlegenheit eines Vertragspartners, hat für sich genommen noch keine Konsequenzen für das Schicksal des Vertrags.306 Vielmehr ist der Gedanke des Liberalismus Ausgangspunkt der Erkenntnis, dass es gerade das freie Spiel der Kräfte auf dem Markt ist, das in der Regel zu für alle Seiten zufriedenstellenden Ergebnissen führt. Gleichwohl wird die extrem ungleiche Verhandlungsstärke der Parteien als Ansatzpunkt für die Rechtfertigung einer Vertragskontrolle herangezogen.307 Dies gilt insbesondere für das italienische Recht, wo eine starke 303
Dazu auch Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 22 ff. Vgl. zum Zurücktreten der Willenstheorie bei der rescissione Ceppi, Il dolo nei contratti, S. 10 ff. Nach Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 44, liegt der rescissione gar eine Gemengelage aller denkbaren Rechtfertigungen zugrunde: vizio obiettivo, vizio subiettivo, immoralità, illiceità, sfruttamento. 305 Smith, Contract Theory, S. 348 ff.; siehe auch Gutmann, in: New Features in Contract Law, S. 49, 52 ff., 62 ff. 306 Darin liegt ein zentrales Merkmal der das Vertragsrecht beherrschenden ausgleichenden Gerechtigkeit: Sie fordert Gleichheit ohne Ansehung der Person. Näher dazu unten § 21 II. 2. (S. 362 ff.). 307 Siehe dazu auch rechtsvergleichend Rösler, RabelsZ 73 (2009), 889. 304
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Kapitel 2: Verhältnismäßigkeit und Hauptleistungspflichten
Strömung in der Literatur den Gedanken der Asymmetrie der Verhandlungsstärke, wie er im Gesetz über Zulieferverträge enthalten ist, auf andere Situationen übertragen will, in denen ein Vertragspartner dominiert. Im englischen Recht hat diese Idee der inequality of bargaining power trotz eines Vorstoßes von Lord Denning keine Gefolgschaft gefunden. Wohl am weitesten ist der Schwächerenschutz im deutschen Recht entwickelt, wo der Begriff des „strukturellen Ungleichgewichts“ bis in die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts gelangt ist.308 Der Sache nach geht es dabei vorrangig um Ausbeutungsschutz, also der Abwehr von wirtschaftlich grob nachteiligen Verträgen. 309
III. Rigorosität oder Flexibilität auf der Rechtsfolgenseite? In Bezug auf die Rechtsfolge ist das deutsche Recht – jedenfalls bei Betrachtung des Gesetzeswortlauts – am rigorosesten: Das wucherische Rechtsgeschäft ist nichtig. Nach englischem Recht ist der unconscionable bargain vernichtbar. Ebenso lauten die Lösungen im italienischen Recht sowie in PECL und DCFR. Letztere beiden Modelle weisen allerdings gegenüber ersteren die weitere Besonderheit auf, dass sie eine (Wieder-)Herstellung der Äquivalenz und damit eine „Rettung“ des Vertrags zulassen. Das italienische Recht fordert dazu die Initiative der von der Anfechtung betroffenen Partei; diese muss ein adäquates Angebot zur Modifikation des Vertrags vorlegen. Die PECL legen die Verantwortung von vornherein in die Hände des Richters, der auf Antrag der einen oder der anderen Partei eine angemessene Gegenleistung festsetzen kann. Auch darin zeigt sich, dass es nicht alleine der Schutz der Entscheidungsfreiheit ist, den die Regelungen verfolgen: Denn dann wäre die Aufrechterhaltung des Vertrags nicht gerechtfertigt. Auch das deutsche und das englische Recht sehen Abmilderungen der Totalnichtigkeit vor: das englische Recht über die Möglichkeit zur Anordnung von Ausgleichszahlungen, das deutsche Recht über das Institut der geltungserhaltenden Reduktion. Dabei steht letztere einer Vertragsanpassung sehr nahe. 308
Dazu noch unten § 17 III. 3. c) (S. 308 ff.). Das Konzept des „strukturellen Ungleichgewichts“ umfasst indessen daneben auch den Schutz der Entscheidungsfreiheit des Betroffenen, denn entscheidend ist für das BVerfG die faktische Fremdbestimmung des einen Teils, die durch das starke (intellektuelle, wirtschaftliche oder sonstige) Übergewicht des anderen Teils herbeigeführt wird (BVerfGE 89, 214, 232). Defizite in der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit sollten aber entsprechend der Systematik des BGB nicht die Nichtigkeit des Vertrags, sondern lediglich dessen Vernichtbarkeit als Sanktion nach sich ziehen (über § 123 BGB bzw. das Institut der c.i.c.). Die Nichtigkeit des Vertrags ex lege führt zu einer Bevormundung des Benachteiligten, der nicht selbst darüber entscheiden kann, ob er den Vertrag gelten lassen will oder nicht. Zur Kritik auch Finkenauer, in: FS Westermann, S. 183, 205 f.; Gutmann, in: New Features in Contract Law, S. 49, 57 ff. 309
§ 7. Zusammenfassende Würdigung
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Das englische Recht hingegen gibt dem Richter keine Möglichkeit, die Vereinbarung in irgendeiner Weise aufrechtzuerhalten. Untragbare Ergebnisse sind ausschließlich bereicherungsrechtlich über das Institut der restitution auszugleichen. Den Gedanken der Verhältnismäßigkeit auf der Rechtsfolgenseite als Reaktion auf die Inäquivalenz von Leistung und Gegenleistung verwirklicht am ehesten die Regelung der PECL. Sinnvoll ist dies nur dann, wenn der Ausbeutungsschutz im Vordergrund steht – die fehlende Freiwilligkeit des Vertragsschlusses kann durch die Anpassung nicht „geheilt“ werden. Inwieweit die von § 138 BGB angeordnete Totalnichtigkeit des Vertrags gerade unter Berufung auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zugunsten einer Vertragsanpassung abgemildert werden kann – als Vorbild könnten abermals die PECL dienen, die in Art. 15:102 Abs. 3 PECL als Rechtsfolge für den Verstoß gegen zwingende Vorschriften eine „angemessene und verhältnismäßige“ Sanktion vorsehen, wird noch näher zu erörtern sein.310
310
Näher unten § 23 III. 1 a) (S. 431 f.).
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Kapitel 3
Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten § 8. Einführung: Die richterliche Überprüfung von Schuldverträgen Wirksamkeitskontrolle nach § 138 BGB und Inhaltskontrolle im engeren Sinne (oder offene Inhaltskontrolle1) sind zwar in Anwendungsbereich und Kontrollmaßstab zu unterscheiden, gehören aber gleichwohl strukturell zusammen, weshalb beide auch als Inhaltskontrolle im weiteren Sinne bezeichnet werden können. 2 In beiden Fällen werden privatautonom geschlossene Vereinbarungen – im Gegensatz zum sonst herrschenden Postulat der Inhaltsfreiheit – richterlich überprüft und im Ganzen oder in Teilen für unwirksam erklärt.3 Betreffen die im vorigen Abschnitt untersuchten Fälle der Wirksamkeitskontrolle die Hauptleistungspflichten und, im hier interessierenden Kontext, deren Verhältnis zueinander, so hat die Inhaltskontrolle im engeren Sinne vertraglich vereinbarte Nebenpflichten im Blick. Diese wurde für den Fall der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zunächst im AGBG, dann in den §§ 305 ff. BGB gesetzlich normiert. Keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage findet dagegen eine allgemeine Inhaltskontrolle von Individualvereinbarungen.4 Einen Sonderfall der Inhaltskontrolle bildet die Befugnis zur Herabsetzung von unverhältnismäßigen Vertragsstrafen u.ä. in § 343 BGB: Hier ist der Richter zur Modifikation einer Parteiabrede berufen, gleich ob sie formularmäßig oder individuell vereinbart worden ist.5 Sowohl die AGB-Kontrolle als auch die Herabsetzung
1
Begriff nach MüKo-BGB / Basedow, vor § 305 Rn. 9. Zur Terminologie Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 5 ff. Siehe auch Möslein, in: Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, S. 233. 3 So hat der BGH die AGB-Kontrolle auch als „Wirksamkeitskontrolle nach § 242 BGB“ bezeichnet, vgl. BGHZ 83, 56, 58 (das AGBG war in casu zeitlich nicht anwendbar). 4 Im Ergebnis begründet die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB in Bezug auf einzeln ausgehandelte Klauseln aber ebenfalls eine Inhaltskontrolle. Zur richterlichen Überprüfung von Individualvereinbarungen eingehend Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 5 ff. Nach der nicht näher begründeten Ansicht von Becker, Der unfaire Vertrag, S. 73, sollen die §§ 307 und 310 Abs. 3 BGB verallgemeinerungsfähig sein und Grundlage für eine Inhaltskontrolle auch von Individualvereinbarungen bieten. 5 Näher unten § 10 (S. 147 ff.). 2
§ 8. Einführung: Die richterliche Überprüfung von Schuldverträgen
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einer Vertragsstrafe enthalten die Maßstäbe der (Un-)Angemessenheit bzw. der Unverhältnismäßigkeit.6
I. Reichweite der Inhaltskontrolle Die Inhaltskontrolle privatautonomer Vereinbarungen erscheint in einem System, das auf einer liberalistischen Grundkonzeption beruht, zunächst als Fremdkörper. Beispielhaft hierfür steht die Rechtsprechung des Reichsgerichts, das in einer noch vor Inkrafttreten des BGB ergangenen Entscheidung jegliche Inhaltskontrolle abgelehnt hat7 und auch später eine Kontrolle von AGB nur bei Monopolstellung des Verwenders zugelassen hat. 8 Spiegelbildlich zu den immer komplexer werdenden wirtschaftlichen Verhältnissen und einer immer öfter konstatierten Disparität der Verhandlungsstärke der Marktteilnehmer nahm die gerichtliche Kontrolle von Verträgen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts drastisch zu. Seit einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1956 unterzieht der BGH Vertragsklauseln anhand des Maßstabes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) einer inhaltlichen Überprüfung.9 Der Gesetzgeber reagierte später mit Erlass des AGBG.10 Auch außerhalb von dessen Anwendungsbereich hat vor allem die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung inzwischen weite Bereiche etwa des Arbeitsrechts,11 des Wohnraummietrechts12 und des Gesellschaftsrechts13 im Ergebnis einer gerichtlichen Inhaltskontrolle unterworfen; auch Bürgschafts6 In diesem Sinne Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 455 f. Auch Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 306 ff., 317 nennt den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ als Maßstab für die Inhaltskontrolle. Eingehend dazu Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 86 ff. 7 RGZ 11, 100, 110: „So wenig billig und gerecht nun auch [die Abwälzung der Haftung] sein und so sehr sie das natürliche Verhältnis verschieben mag, so fehlt es doch, mangels einer gesetzlichen Einschränkung der Vertragsfreiheit, in dieser Beziehung an der Möglichkeit, der betreffenden Vereinbarung die Gültigkeit zu versagen.“ 8 RGZ 62, 264, 266; RGZ 79, 224, 229; RGZ 143, 24, 28 f.; RGZ 161, 76, 80 (Sittenwidrigkeit gegeben, wenn der Monopolinhaber unter Ausnutzung seiner Machtstellung unverhältnismäßige Klauseln vorschreibt); weitere Nachweise bei Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 18 Fn. 26. Zur frühen Entwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts L. Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 302 ff.; vgl. auch Ulmer, in: Ulmer / Brandner / Hensen, Einl. Rn. 10 ff. Umfassend zur Entwicklung der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen jüngst Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen, einseitig gestellte Vertragsbedingungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre. 9 BGHZ 22, 90, 97 ff. 10 Zur Gesetzgebungsgeschichte Ulmer, in: Ulmer / Brandner / Hensen, Einl. Rn. 16 ff. 11 BVerfGE 33, 125, 158 f. Vgl. monographisch Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht. 12 BVerfGE 89, 1, 6; hierzu kritisch und mit Nachweisen Diederichsen, JbItalR 10 (1997), S. 3, 18 ff. 13 Vgl. dazu Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 5 ff.
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Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten
verträge, Handelsvertreterverträge und familienrechtliche Rechtsgeschäfte bleiben nicht kontrollfrei.14
II. Innere Rechtfertigung Uneinigkeit besteht über den Geltungsgrund der Inhaltskontrolle: Warum ist es gerechtfertigt, eine privatrechtliche Vereinbarung unterhalb der Schwelle der Sittenwidrigkeit richterlich zu überprüfen? Aus welchem Grund ist es sinnvoll, bei allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Inhaltskontrolle positiv-rechtlich zuzulassen und bei Individualvereinbarungen nicht?15
1. Ausgangspunkt: Störung der Richtigkeitsgewähr Jedem formell korrekt zustande gekommenen Vertrag wohnt die Vermutung der inhaltlichen „Richtigkeit“ inne.16 Der Gedanke der Selbstverantwortung der Parteien lässt die Rechtsordnung davon Abstand nehmen, den Vertragsinhalt daraufhin zu überprüfen, ob eine Partei dieser Selbstverantwortung gerecht geworden ist; die Freiheit geht auch soweit, Verträge mit nachteiligem Inhalt zu schließen. Dies legt die Folgerung nahe, dass eine Kontrolle einzelner Vertragsbedingungen dann legitim ist, wenn diese Vermutung erschüttert ist.17 Die Schwierigkeit liegt aber darin, Kriterien für eine Störung der Richtigkeitsgewähr des Vertrags festzulegen. Für die Verwendung von AGB wurde eine solche Störung von der Rechtsprechung und später vom Gesetzgeber typischerweise bejaht.18 Über deren Legitimation besteht aber nach wie vor Uneinigkeit.
14 BVerfGE 89, 214 (Bürgschaft); BVerfGE 81, 242 (Handelsvertreter); BVerfGE 103, 89 (Kontrolle von Eheverträgen), hierzu Dauner-Lieb, AcP 201 (2001), 295 sowie monographisch Sanders, Statischer Vertrag und dynamische Vertragsbeziehung; Wiemer, Inhaltskontrolle von Eheverträgen. Vgl. auch Coester-Waltjen, in: Festschrift 50 Jahre BGH, S. 985 sowie BGHZ 158, 81; BGH NJW 2005, 2386; BGH FamRZ 2009, 198. 15 Eingehend zu den verschiedenen Rechtfertigungsansätzen Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 29 ff. sowie jüngst Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 493 ff. und Miethaner, AGB-Kontrolle versus Individualvereinbarung, S. 40 ff. 16 Dazu und zur Relativierung des Begriffs der „Richtigkeit“ bereits oben § 2 II (S. 7 ff.). 17 Dazu Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 14 ff.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 55 ff. Teilweise wird sogar eine verfassungsrechtliche Gebotenheit der Klauselkontrolle vertreten, so H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 124 sowie Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 509 ff. (unter Bezugnahme auf BVerfG NJW 2005, 2376 und BVerfG NJW 2006, 1783). 18 Vgl. BGHZ 101, 350, 354 (im Zusammenhang mit der Inhaltskontrolle notarieller Verträge).
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2. Rechtfertigung der AGB-Kontrolle Die Begründungen, die für den im Rahmen der AGB-Kontrolle erfolgenden Eingriff in das Vertragsgefüge geliefert werden, sind im Wandel begriffen. Während Mitte des letzten Jahrhunderts vornehmlich die Ausnutzung einer Überlegenheit des Verwenders in den Mittelpunkt gestellt wurde, zieht die Lehre heute vermehrt den Gedanken des Marktversagens zur Rechtfertigung der AGB-Kontrolle heran.19 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde hingegen, soweit ersichtlich, trotz seiner zentralen Rolle bei der AGB-Kontrolle nicht zu deren Legitimation herangezogen.20 a) „Ungleichgewicht“ zwischen Verwender und Vertragspartner? Eine Rechtfertigung für die Kontrolle von AGB wurde früher vielfach darin gesehen, dass ein wirtschaftliches, soziales, intellektuelles oder sonstiges Ungleichgewicht zwischen Verwender und Vertragspartner besteht, das letzterer zur Durchsetzung seiner Vertragsbedingungen ausnutzt. 21 Die Inhaltskontrolle dient nach dieser Vorstellung dem Schutz des schwächeren Vertragspartners und ist als solche im Ergebnis ein reines Instrument des Verbraucherschutzes. 22 Dieser Rechtfertigung steht jedoch jedenfalls heute entgegen, dass nach § 310 Abs. 1 BGB grundsätzlich auch AGB im unternehmerischen Bereich kontrollfähig sind. Typischerweise wird sicherlich ein gewisses „Machtgefälle“ zwischen Verwender und Vertragspartner vorliegen, dies gilt vor allem für den Verbrauchervertrag. Die AGB-Kontrolle knüpft jedoch gerade nicht an diesen Umstand an, sondern greift situativ ein bei der Verwendung vorformulierter Klauseln. 23 Auf eine geschäftliche Unerfahrenheit oder gar eine wie auch immer geartete Unterlegenheit kommt es dabei gerade nicht an, so dass auch etwa ein Rechtsanwalt, der außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit einen Vertrag schließt, in den Genuss der AGB-Kontrolle kommt.
19
Zur europäischen Diskussion Jansen, ZEuP 2010, 69, 83 ff. Möglicherweise mit der Ausnahme von H. Hanau (wie oben Fn. 17), auf dessen Ansatz im Einzelnen unter § 17 IV. (S. 311 ff.) einzugehen sein wird. 21 Vgl. etwa Reich, ZRP 1974, 187, 192; Damm, JZ 1978, 173, 178. 22 So vor Inkrafttreten des AGBG noch BGHZ 60, 243, 245 („erhebliches wirtschaftliches und intellektuelles Übergewicht“); vgl. auch die Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf des AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S. 43. 23 Kritisch zur „Unterlegenheitsthese“ Lieb, AcP 178 (1978), 196, 200; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 141 ff.; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 19 f.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 91; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 51 ff.; MüKo-BGB / Basedow, vor § 305 Rn. 4. In diesem Sinne auch BGH NJW 1976, 2345, 2346. 20
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Größeres Gewicht hat der Schutzgedanke im Anwendungsbereich der EGKlauselrichtlinie, 24 die sich allein auf Verbraucherverträge erstreckt. Missbräuchliche Klauseln sollen nach dem Konzept der Richtlinie zum Schutz des Verbrauchers bekämpft werden. 25 Dieser befindet sich nach der Rechtsprechung des EuGH gegenüber dem Unternehmer in einer schwächeren Verhandlungsposition und besitzt einen geringeren Informationsstand als jener; folglich ist er den vom Unternehmer formulierten Vertragsbedingungen „ausgeliefert“.26 b) Einseitig in Anspruch genommene Vertragsfreiheit Ein modernerer Begründungsansatz rekurriert auf die einseitig in Anspruch genommene Vertragsfreiheit des Verwenders von AGB, der durch die Aufstellung von Regeln zu seinen Gunsten die Möglichkeit der anderen Seite zur rechtlichen Gestaltung eigener Interessen verhindere. Darin liege ein Missbrauch der Vertragsfreiheit. Diese Theorie des institutionellen Rechtsmissbrauchs geht zurück auf Ludwig Raiser;27 sie wird auch in der Rechtsprechung des BGH verwendet. 28 Eine ähnliche ratio verwendet daneben die Klauselrichtlinie, hier ist in Erwägungsgrund 9 vom „Machtmissbrauch des Verkäufers oder Dienstleistungserbringers“ die Rede, vor der der Verbraucher geschützt werden müsse. Auch stellt Art. 3 Abs. 2 Klausel-RL auf die fehlende Einflussnahmemöglichkeit des Verbrauchers auf den Vertragsinhalt ab und lässt damit auf eine Rechtfertigung der Inhaltskontrolle als eine Art Kompensation für die ungleiche Verhandlungsstärke schließen. 29 Dieser Ansatz hat einen richtigen Kern, er stellt darauf ab, dass der Verwender von AGB darin meist keinen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interessen beider Parteien schafft, sondern primär auf die eigenen Belange fokussiert. Gleichwohl ist er unzureichend, da die Gestaltungsfreiheit beider Vertragspartner im BGB nicht zu den unabdingbaren Voraussetzungen des Vertragsschlusses zählt: Es gehört nicht zu den essentialia eines Vertragsschlusses, dass beide Vertragspartner den Inhalt des Vertrags gestalten. Im Gegenteil setzen die §§ 145 ff. BGB voraus, dass ein Angebot mit einem schlichten „Ja“ angenommen werden kann.30 Dem Kunden bleibt stets die Möglichkeit, vom 24
Dazu unten bei Fn. 57. Vgl. Erwägungsgrund 6 der Klausel-RL. 26 EuGH, 27.6.2000, Rs. C-240/98 bis C-244/98 – Océano, Slg. 2000, I-4941 (Rn. 25); EuGH, 26.10.2006, Rs. C-168/05 – Centro Móvil, Slg. 2006, I-10421 (Rn. 25). 27 L. Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 277 ff.; ders., in: summum ius, summa iniuria, S. 145, 152. Ebenso Palandt / Grüneberg, vor § 305 Rn. 8; AnwKBGB / Kollmann, vor § 305 Rn. 4; PWW / K. P. Berger, vor § 305 Rn. 1. 28 BGHZ 51, 55, 59; BGH NJW 1976, 2345, 2346; BGHZ 70, 304, 310; BGHZ 126, 326, 332 f.; BGH NJW 2004, 1454, 1455; dazu Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 47 ff. 29 So EuGH, 27.6.2000, Rs. C-240/98 bis C-244/98 – Océano, Slg. 2000, I-4941 (Rn. 27). 30 Vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 80. 25
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Vertragsschluss insgesamt Abstand zu nehmen, wenn er mit den AGB nicht einverstanden ist.31 Das Verhindern einer echten Einflussnahmemöglichkeit des Vertragspartners in Bezug auf die Gestaltung vertraglicher Bedingungen durch das Stellen von AGB durch den Verwender ist demnach kein Kriterium eines wirksamen Vertragsschlusses und vermag als Rechtfertigung für die AGBKontrolle nicht zu dienen.32 c) Einseitige Verdrängung dispositiven Gesetzesrechts Ein weiterer Ansatz für die Rechtfertigung der Inhaltskontrolle besteht darin, den Verwender von AGB „quasi als Ersatzgesetzgeber in eigener Sache“33 anzusehen. Es ist demnach die massenhafte Verwendung von einseitigen Klauseln unter Verdrängung des Gesetzgebers, die den Vertragsinhalt anstößig werden lässt. Dabei liegt es in der Natur des dispositiven Rechts, dass es von den Parteien durch eigene Vertragsgestaltung abbedungen wird. Das eigentliche Problem ist vielmehr, dass der durch das dispositive Recht geschaffene, ausgewogene Interessenausgleich34 massenhaft durch Klauseln ersetzt wird, die primär den Interessen des Verwenders dienen.35 Dadurch entsteht für den Vertragspartner „der Anschein der Rechtmäßigkeit, Vollständigkeit und Ausgewogenheit“ der Regelung.36 Nicht umsonst bezieht § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB die Abweichung der AGB vom dispositiven Gesetzesrecht als Gradmesser für die unangemessene Benachteiligung mit ein. Mit diesem Ansatz wird den AGB zwar nicht Normqualität beigemessen, wie dies die so genannten Normtheorien teilweise ausdrücklich oder implizit getan haben.37 Weil aber gerade die massenhafte Verdrängung dispositiven Gesetzesrechts in den Fokus genommen wird, vermag der Ansatz nicht zu erklären, warum eine AGB-Kontrolle de lege lata bereits bei für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Bedingungen (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB) eingreift
31 Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 31; ders., AcP 176 (1976), 221, 235 f.; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 20 f.; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 63 ff. 32 In diese Richtung aber teilweise die Rechtsprechung des BGH, vgl. etwa BGHZ 74, 204, 209 ff.; kritisch hierzu R. Stürner, JZ 1979, 758. Vgl. auch Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 20 f. m.w.N. 33 Nobbe, in: Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, S. 38, 41. 34 Zum Gerechtigkeitswert des dispositiven Gesetzesrechts auch Hesselink, ERCL 2005, 44, 51 ff.; zu den Kriterien für die Dispositivität von Gesetzesrecht Kähler, JbJgZRWiss 2002, S. 181 sowie umfassend Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 44 ff., 66 ff., 339 ff. 35 Zöllner, JuS 1988, 329, 333; ders., RdA 1989, 152, 157. 36 So BGHZ 101, 350, 354 für einen notariellen Vertrag. Vgl. zuvor bereits Wiedemann, in: FS Kummer, S. 175, 180 („Sog des vorformulierten Gedankens“); Kramer, ZHR 146 (1982), 105, 110 f. 37 Dazu eingehend und kritisch Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 29 ff.; Ulmer, in: Ulmer / Brandner / Hensen, Einl. Rn. 39 ff.
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und keineswegs auf die massenhafte Verbreitung abstellt.38 Daneben setzt das Modell eine Verbreitung unbilliger AGB bereits voraus, betrachtet also die Situation retrospektiv, während die AGB-Kontrolle zwar das dispositive Gesetzesrecht als Maßstab für die Unangemessenheit einer Klausel ansieht, dessen massenhafte Verdrängung aber nicht voraussetzt.39 d) Partielles Marktversagen Überwiegend wird in der neueren Literatur der Gesichtspunkt des partiellen Marktversagens als Rechtfertigung für die AGB-Kontrolle herangezogen.40 Nicht die einseitige Vertragsgestaltungsmacht des Verwenders ist deren Grund, sondern die Einsicht, dass ein funktionierender Markt unter den AGB verschiedener Anbieter nicht besteht, da der Kunde deren Inhalt regelmäßig nicht kontrolliert und auch nicht kontrollieren kann: Der Aufwand zur Ermittlung etwaiger Nachteile in den Klauseln und die Ermittlung von Alternativen würde sich für ihn wegen prohibitiv hoher Transaktionskosten nicht lohnen.41 Er hat in der Regel weder die Zeit noch die Sachkunde, die Klauseln verschiedener Anbieter zu vergleichen.42 Der Wettbewerb beschränkt sich üblicherweise auf die Qualität des Angebots und den Preis. Aus diesem Grund besteht für den rationalen Verwender kein Anreiz, ausgeglichene AGB zu formulieren, da sich dies für ihn nicht vorteilhaft im Sinne einer größeren Attraktivität auf dem Markt auswirken würde. Die AGB-Kontrolle gleicht dieses Funktionsdefizit aus, indem sie bestimmte Klauseln für unwirksam erklärt und durch die Regeln des subsidiär anwendbaren dispositiven Rechts ersetzt.43
38 Die Rechtsprechung lässt dazu bereits ausreichen, wenn ein Formularvertrag dreimal verwendet wird, vgl. BGH NJW 1998, 2286, 2287; BGH NJW 2002, 138, 139, jeweils m.w.N. 39 Kritisch auch Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 24. 40 Kötz, Gutachten A zum 50. Deutschen Juristentag, S. 29 ff.; ders., in: Allokationseffizienz, S. 189, 190 ff.; ders., JuS 2003, 209, 212 f.; MüKo-BGB / Basedow, vor § 305 Rn. 4 ff.; Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 513 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 72 ff.; A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, vor § 307 Rn. 32 ff.; Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 502 ff. 41 Dazu Koller, in: FS Steindorff, S. 667, 669 f.; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 24 ff.; Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 514 f. Der Wettbewerb im Bereich der AGB droht damit, ein „market for lemons“ (grundlegend Akerlof, 84 Quarterly Journal of Economics, 488 [1970]) zu werden, da der Verwender wegen der fehlenden Kontrolle durch den Kunden risikolos die für ihn günstigsten Bedingungen durchsetzen kann. Im Ergebnis werden ausgewogene AGB tendenziell vom Markt verdrängt; zurück bleiben die Akerlof’schen „Zitronen“ d.h. für den Kunden nachteilige AGB. 42 Miethaner, AGB-Kontrolle versus Individualvereinbarung, S. 63 ff., spricht von der „legitimen Ignoranz des Verwendungsgegners gegenüber vorformulierten Bestimmungen“. 43 Dagegen führt die Klauselkontrolle nicht zu einer Wiederherstellung des Konditionenwettbewerbs, vgl. A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, vor § 307 Rn. 37.
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Gleichwohl bleibt auch diese Rechtfertigung lückenhaft. Stellt man auf ein Marktversagen ab, so ist aus ökonomischer Sicht eine Kontrolle für diejenigen Bereiche nicht gerechtfertigt, in denen ein Markt für AGB besteht, in denen also ein rationaler Kunde mit vertretbarem Aufwand die Klauseln verschiedener Anbieter feststellen und vergleichen kann. Dem tragen die §§ 308, 309 BGB insoweit Rechnung, als nur bestimmte, besonders gefährliche Klauseln per se für unwirksam erklärt werden. Die Generalklausel des § 307 BGB greift indessen auch dann, wenn eine AGB-Klausel unter Marktbedingungen in den Vertrag aufgenommen wurde. In dieser Hinsicht geht die AGB-Kontrolle also zu weit. Andererseits erscheint aus ökonomischer Sicht nicht unbedingt zwingend, dass eine Kontrolle nur dann stattfindet, wenn es sich um Klauseln handelt, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind, und die der Verwender stellt (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB); ein Marktversagen kann auch bei individualvertraglichen Vereinbarungen gegeben sein: Geht man davon aus, dass Parteien in Bezug auf die eigene Leistungsfähigkeit tendenziell überoptimistisch sind,44 dann wäre eine Inhaltskontrolle auch außerhalb dieser Vorgaben sinnvoll, etwa bei individualvertraglich vereinbarten Schadenspauschalierungen45 oder Buchwertklauseln.46
§ 9. Die Struktur der Klauselkontrolle Kennzeichnend für den Begriff der Klauselkontrolle ist es, dass die Hauptleistungspflichten nicht überprüft werden. Eine allgemeine Angemessenheitskontrolle für das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung erfolgt nicht. Dies ergibt sich zum einen aus der Wertung des § 138 Abs. 2 BGB, der strenge Voraussetzungen an eine Preiskontrolle stellt.47 Zum anderen beschränkt sich die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB auf Bestimmungen in AGB, die vom dispositiven Gesetzesrecht abweichen oder dieses ergänzen.48 Für die Hauptleistungspflichten enthält das Gesetz aber keine Regelungen; dieser Bereich ist der Vertragsfreiheit überlassen. Etwas anderes gilt allerdings nach § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB für unklar oder unverständlich formulierte Klauseln: Hier ist bereits die Intransparenz geeignet, die Klausel unangemessen erscheinen zu lassen; dies gilt auch dann, wenn die Hauptleistungspflichten betroffen 44 Zu einer entsprechenden Korrektur des Leitbildes des homo oeconomicus durch verhaltenspsychologische Erkenntnisse etwa Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218 ff. 45 Dazu Rachlinski, 85 Cornell L. Rev. 739, 747 f., 758, 760 ff. (2000). Zur Abgrenzung von Vertragsstrafenklauseln unten § 10 (S. 147 ff.). 46 Fleischer, in: FS Immenga, S. 575, 581 f. 47 Dazu und zu den Tendenzen, über § 138 Abs. 1 BGB zu einer Ausweitung der Preiskontrolle zu kommen, bereits oben § 5 (S. 43 ff.). 48 Monographisch dazu Billing, System der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle.
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sind.49 Nicht der Inhalt der Klausel als solcher ist hier anstößig, sondern insbesondere die Tatsache, dass das eigentliche Regelungsziel des Verwenders hinter einer nicht verständlichen Formulierung versteckt wird. Die Ausklammerung der Kontrolle der Hauptleistungspflichten steht auch mit der hinter der AGB-Kontrolle stehenden Wertung im Einklang, die lediglich dort eingreifen soll, wo es zu einem Marktversagen gekommen ist, weil sich der Vertragspartner nicht mit zumutbarem Aufwand über Inhalt und Tragweite der AGB informieren kann. Auf die Hauptleistungspflichten trifft dies nicht zu:50 Hier kann ein Vergleich verschiedener Angebote erwartet werden; eine informierte Entscheidung ist möglich. Dies betrifft zumindest Alltagsgeschäfte wie den Verbrauchsgüterkauf. Schwieriger mag die Sachlage bei Dienstleistungen liegen, wo oftmals ein ganzes Bündel von Leistungen angeboten wird und ein Vergleich zwischen konkurrierenden Angeboten Schwierigkeiten bereitet. Gleichwohl stößt die Überprüfung bei den Hauptleistungspflichten an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit: Das Festlegen der Preise für Waren und Dienstleistungen steht in der Marktwirtschaft dem Wechselspiel von Angebot und Nachfrage zu und nicht staatlichen Organen.51 Die jahrhundertealte Diskussion um den gerechten Preis, den iustum pretium, zeigt, dass eine objektive Äquivalenzkontrolle praktisch nicht zu verwirklichen wäre, ohne dadurch ihrerseits wieder für Ungerechtigkeiten zu sorgen.52 Eine Ausnahme gilt bekanntlich für regulierte Bereiche, insbesondere etwa für anwaltliche, notarielle oder ärztliche Dienstleistungen, in denen Gebührenordnungen für den Regelfall die Gegenleistung festlegen.53 Dessen ungeachtet haben manche Nebenpflichten auch direkten oder indirekten Einfluss auf den Umfang der Hauptleistungspflicht. 54 Bezieht man diese Klauseln in die Inhaltskontrolle mit ein, so berührt dies gleichzeitig den Umfang der Hauptleistungspflichten. Der BGH judiziert zwar in ständiger Rechtsprechung, dass bloße Leistungsbeschreibungen, die Art und Inhalt der Hauptleistungspflicht unmittelbar festlegen, nicht kontrollfähig sind.55 Die Grenzen zwischen kontrollfreiem und kontrollfähigem Bereich sind jedoch nicht klar gezogen. Am Beispiel der Preisnebenabreden zeigt sich, wie sehr die
49 Vgl. etwa BGH ZIP 2006, 474, 476 f. (Kontrolle einer Garantieübernahme durch GmbH-Geschäftsführer). 50 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 264, spricht zutreffend von einem fehlenden Kontrollbedürfnis. 51 Vgl. etwa Canaris, NJW 1987, 609, 613; Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, S. 154 ff.; Härle, Die Äquivalenzstörung, S. 11 ff. 52 Vgl. bereits oben § 5 I. 1. (S. 45 ff.). 53 Eine teilweise Regulierung wird auch durch Mindestlöhne geschaffen, wie sie im Arbeitnehmer-EntsendeG für bestimmte Branchen vorgesehen sind. 54 Dazu auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 327 ff. 55 BGHZ 100, 157, 173 f.; BGH NJW 1993, 2369; BGH NJW 2001, 2014, 2016.
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Angemessenheitskontrolle auf eigentlich kontrollfreie Bereiche ausgedehnt wird.56
I. Die Vorgaben der EG-Klauselrichtlinie 1. Anwendungsbereich Die §§ 305 ff. BGB dienen teilweise der Umsetzung der so genannten Klauselrichtlinie aus dem Jahr 1993. 57 Im Unterschied zu anderen gemeinschaftsrechtlich determinierten Rechtsbereichen hat das Recht der Klauselkontrolle in Deutschland eine weit längere Tradition.58 Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat sich in der Rechtsprechung des BGH bereits Anfang der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts als eigenständiger Bereich etabliert; die gesetzliche Regelung im AGBG folgte 1977. In der Tat diente das deutsche AGB-Recht als eines der legislativen Vorbilder für die Klauselrichtlinie. Im Unterschied dazu regelt die Klauselrichtlinie allerdings ausschließlich Verbraucherverträge, während das deutsche Recht (mit Einschränkungen in der Kontrollintensität, § 310 Abs. 1 BGB) Klauseln auch außerhalb von Verbraucherverträgen als kontrollfähig einstuft. Der 1990 von der Kommission vorgelegte „Vorschlag für eine Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen“59 sah noch vor, dass auch Individualverträge in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen sollten. Überdies ließ der Vorschlag die Auslegung zu, dass auch das Preis-Leistungsverhältnis sowie die Leistungsbeschreibung einer Inhaltskontrolle unterzogen werden könnten.60 Dass eine solche Überprüfungsbefugnis mit Grundwerten der Vertragsfreiheit nur schwerlich vereinbar wäre, liegt auf der Hand.61 Die vom Rat angenommene Fassung der Klauselrichtlinie enthält demgegenüber einen derart weiten Kontrollbereich nicht mehr. Art. 4 Abs. 2 Klausel-RL nimmt ausdrücklich die Hauptleistungspflichten von der Kontrolle aus; Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL beschränkt den Kontrollbereich der Richtlinie auf Klauseln, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurden. Dabei kommt den Hauptleistungs56 Zur Rechtsprechung des BGH Nobbe, in: Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, S. 38, 44 ff. sowie M. Wolf, in: Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, S. 27 ff. – Eine Ausweitung der Inhaltskontrolle auf die Hauptleistungspflichten durch die starke Betonung des Grundsatzes von Treu und Glauben im DCFR befürchten Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 538. Siehe dazu unten § 22 III. 3. b) (S. 417 f.). 57 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95 vom 21.4.1993, S. 29. Zur Entstehungsgeschichte Ulmer, in: Ulmer / Brandner / Hensen, Einl. Rn. 87 ff. 58 Dazu bereits oben § 8 I. (S. 99 f.). 59 Vom 24.7.1990, ABl. EG Nr. C 243 v. 28.9.1990. S. 2. 60 Hierzu kritisch Brandner / Ulmer, BB 1991, 701; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71. 61 Vgl. nur Canaris, in: FS Lerche, S. 873.
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pflichten bei der Inhaltskontrolle indirekte Bedeutung zu: In Erwägungsgrund 19 zur Klausel-RL findet sich neben dieser allgemeinen Feststellung der Hinweis, dass die Missbräuchlichkeit von Klauseln in Versicherungsverträgen, die die Hauptleistungspflichten näher festlegen, durchaus mit Blick darauf beurteilt werden können, ob sich Begrenzungen des Leistungsumfangs in der Höhe der Prämien widerspiegelt. Die neuen Entwicklungen im Bereich des europäischen Verbraucherschutzes gehen allerdings wieder in Richtung einer Verschärfung der Kontrollintensität. Das Anfang 2007 vorgelegte Grünbuch „Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“62 regt eine Erweiterung des Schutzes in mehrfacher Hinsicht an: Zunächst sollen auch Individualklauseln der Kontrolle unterfallen (Punkt 4.4.1);63 daneben wird überlegt, ob eine verbindliche „Schwarze Liste“ und eine „Graue Liste“ mit unangemessenen Klauseln geschaffen wird (Punkt 4.5).64 Schließlich enthält das Grünbuch den Vorschlag, die Missbräuchlichkeitskontrolle auch auf die Hauptleistungspflichten auszudehnen (Punkt 4.6). Der Vorschlag der Kommission einer Richtlinie über Verbraucherrechte65 schwächt letzteren Vorschlag jedoch wieder deutlich ab: Art. 32 Abs. 3 des Richtlinienvorschlags nimmt die Hauptleistungspflichten (vorbehaltlich der Intransparenz) ausdrücklich von der Kontrolle aus. 66
2. Kontrollintensität a) Regelungstechnik Kern der Klauselrichtlinie ist die Missbrauchskontrolle in Art. 3 Abs. 1 KlauselRL, die solche Klauseln betrifft, die „entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und unangemessenes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner“ verursachen; solche Klauseln sind nach Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL für den Verbraucher unverbindlich. Flankiert wird diese Generalklausel von einer „als Hinweis dienenden und nicht erschöpfenden Liste“ von Klauseln, die nach Art. 3 Abs. 3 Klausel-RL als Muster für Missbräuchlichkeit dienen sollen. Hierbei fragt sich, ob der Grundsatz der autonomen Auslegung von Gemeinschaftsrecht auch für
62 Vom 8.2.2007, KOM(2006) 744 endg., ABl. EG Nr. C 61/1 vom 15.3.2007. Dazu kritisch Tamm, EuZW 2007, 756. 63 Befürwortend bereits Wilhelmsson, ERPL 2002, 77, 88. 64 So nun Art. 34 und 35 des Vorschlags der Kommission über eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher, KOM(2008) 614 endg. 65 KOM(2008) 614 endg. 66 Zum Kommissionsentwurf bereits die Nachweise oben Kap. 1 Fn. 189. Speziell zur Klauselkontrolle Jansen, ZEuP 2010, 69.
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die Generalklausel des Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL gilt und welche Rolle die „Graue Liste“ im Anhang der Klauselrichtlinie spielt. b) Kriterien der Missbrauchskontrolle aa) Vorgaben der Richtlinie Zentral für die Klauselkontrolle ist der Begriff der Missbräuchlichkeit, der eine umfassende Beurteilung sowohl des Vertragsgegenstandes als auch der Umstände des Vertragsschlusses erfordert. Eine Klausel darf hierbei nicht isoliert betrachtet werden; stets sind nach Art. 4 Abs. 1 Klausel-RL der Inhalt der anderen Vertragsklauseln und sogar auch von Klauseln anderer Verträge mit zu berücksichtigen, wenn diese mit der zu beurteilenden Klausel im Zusammenhang stehen. Die Richtlinie scheint also von einer Art Gesamtabwägung auszugehen, in deren Rahmen Vor- und Nachteile der einzelnen Bestimmungen gegeneinander aufgewogen werden können, so dass eine bei isolierter Betrachtung missbräuchliche Klausel möglicherweise durch anderweitige Großzügigkeit des Verwenders ausgeglichen wird. Hinzu kommt eine Prüfung der Umstände des Vertragsschlusses: Auch hiermit verfolgt der Richtliniengeber eine spezifische Schutzrichtung zugunsten des „unterlegenen“ Verbrauchers. Erwägungsgrund 16 zur Klauselrichtlinie präzisiert, dass das Gebot von Treu und Glauben „die Möglichkeit einer globalen Bewertung der Interessenlagen der Parteien“ in sich trägt. Es kommt also darauf an, welches Kräfteverhältnis im Einzelfall zwischen den Parteien bestand, ob der Verwender den Verbraucher in irgendeiner Weise zum Vertragsschluss gedrängt hat oder ob der Vertragsschluss auf Betreiben des Verbrauchers zustande kam, etwa im Rahmen einer Sonderanfertigung.67 bb) Autonome Ausfüllung der Vorgaben der Richtlinie? Nachdem diese Vorgaben trotz der genannten Leitprinzipien in generalklauselartiger Weite formuliert sind, stellt sich die Frage, auf welche Weise sie ausgefüllt werden können: Autonom mithilfe der Maßstäbe des Gemeinschaftsrechts oder anhand des jeweils anwendbaren nationalen Rechts? Hierbei ist zu unterscheiden zwischen der abstrakten Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL und der konkreten Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Klausel im Einzelfall. Letztere erfolgt am Maßstab des sonst auf den Vertrag anwendbaren dispositiven Rechts. Eine Missbräuchlichkeit der Klausel ergibt sich also zunächst anhand eines Vergleichs mit denjenigen Regeln des auf den Vertrag anwendbaren Rechts, die der Gesetzgeber für einen fairen und ausgewogenen Interessenaus-
67 Daher wird teilweise von „Umstandsunangemessenheit“ gesprochen, vgl. Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820.
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gleich gehalten hat, in Ermangelung solcher Regeln in einer wertenden Betrachtung des Regelungszwecks des Vertrags.68 Dessen ungeachtet muss der Begriff der Missbräuchlichkeit in Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL autonom ausgelegt und mithilfe der im Gemeinschaftsrecht vorhandenen Regeln konkretisiert werden.69 Hier bietet sich zunächst ein Rückgriff auf die in den privatrechtlichen Richtlinien enthaltenen Rechtsgrundsätze an; diese können zur Konkretisierung herangezogen werden.70 Nachdem sich daneben in der Rechtsprechung des EuGH immer mehr ein Fundus an gemeineuropäischen Rechtsprinzipien herausbildet, scheint die Möglichkeit der autonom europäischen Konkretisierung der Klauselrichtlinie durchaus nicht verschlossen.71 Dies gälte umso mehr, wenn der Gemeinsame Referenzrahmen – was derzeit wenig wahrscheinlich zu sein scheint72 – in irgendeiner Weise politisch aufgewertet würde, so dass ein Instrument zur Verfügung stünde, das regelförmige Ausprägungen gemeineuropäischer Rechtsgrundsätze enthält.73 cc) Die Bedeutung der „Grauen Liste“ Neben der Generalklausel des Art. 3 Abs. 1 enthält die Klauselrichtlinie in einem Anhang für die Mitgliedstaaten nicht verbindliche Vorschläge, welche Klauseln als missbräuchlich anzusehen sein können. Der Kommissionsentwurf der Klauselrichtlinie sah noch deren Verbindlichkeit vor; diese Fassung wurde aber insbesondere auf Betreiben der Bundesrepublik nicht verwirklicht.74 In diesem Sinne hat auch der EuGH entschieden, dass die Umsetzung der Klauselrichtlinie in das nationale schwedische Recht ohne die „Graue Liste“ keinen Verstoß gegen Art. 249 Abs. 3 EG (nunmehr Art. 288 Abs. 3 AEUV) darstellt.75 Gleichwohl ist die Rolle der Klauselliste eine nicht unbedeutende. Sie hat für den 68
So auch der EuGH, 1.4.2004, Rs. C-237/02 – Freiburger Kommunalbauten, Slg. 2004, I-3403 (Rn. 21, 23). 69 Zur Konkretisierung von Generalklauseln im Europäischen Privatrecht W.-H. Roth, in: FS Drobnig, S. 135, 145 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 536 ff.; Röthel, Normkonkretisierung, S. 316 ff.; Wolff, Konkretisierungskompetenz, S. 67 ff.; C. Schmid, RabelsZ 71 (2007), 147, 152 ff. Siehe auch die verschiedenen Beiträge in Baldus / Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht. 70 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 564 ff. 71 Dafür Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 627 ff.; Langenbucher / Herresthal, Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, § 2 Rn. 108. Skeptisch insoweit Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 571 ff.; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 507 ff.; positiver Ulmer, in: Ulmer / Brandner / Hensen, Einl. Rn. 103 f. 72 Siehe dazu die Nachweise oben Kap. 1 Fn. 186. 73 Zu Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL als Hebel für die Vorantreibung der Rechtsvereinheitlichung etwa Staudinger / Coester (1998), § 9 AGBG Rn. 58; Leible, RIW 2001, 422, 425 f. Zur Bedeutung einer europäischen Modellrechtsordnung für die Möglichkeit einer einheitlichen europäischen Auslegung M. Stürner, JbJgZRWiss 2004, S. 79, 93 ff. 74 Vgl. hierzu das Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst, KOM (1993) 509 endg., S. 70 ff. sowie Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1821. 75 EuGH, 7.5.2002, Rs. C-478/99 – Kommission / Schweden, Slg. 2002, I-4147. Damit stellt sich der EuGH der Position der Kommission entgegen, die eine vollständige Umsetzung der
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nationalen Gesetzgeber durchaus Autorität, die über den Charakter eines bloßen „Denkanstoßes“76 hinausgeht. Sie soll auch als Informationsquelle für alle betroffenen Einzelpersonen dienen; zu diesem Zweck ist eine gewisse Publizitätswirkung unerlässlich.77 Überdies kann die Liste aus Sicht des EuGH dazu dienen, die Generalklausel der Missbräuchlichkeit aus Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL zu konkretisieren, nicht umsonst hat der EuGH ihr „Hinweis- und Beispielcharakter“ zugemessen. 78 Obwohl auf diese Weise doch wieder eine mittelbare Bindungswirkung der Grauen Liste entsteht, erscheint eine solche Sichtweise im Einklang mit dem aus Erwägungsgrund 15 folgenden Zweck der Klauselrichtlinie, dem Verbraucher eine gewisse Sicherheit über den Schutz vor missbräuchlichen Klauseln zu geben.79 Auch wenn der nationale Gesetzgeber die Freiheit hat, vom Klauselkatalog abzuweichen,80 so können sich doch aus den in der Grauen Liste aufgeführten Klauseln Wertungen ergeben, die für die Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL heranzuziehen sind.81
dd) Verhältnismäßigkeit als ein Leitbild der Missbrauchskontrolle Bereits der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL lässt erkennen, dass eine Klausel immer dann als missbräuchlich erscheint, wenn sie dem Verbraucher ihm ansonsten zustehende Rechte nimmt oder nicht bestehende Pflichten auferlegt und den Verwender im Gegenzug entlastet, so dass ein erhebliches und ungerechtfertigtes Ungleichgewicht der jeweiligen Rechte und Pflichten der Vertragspartner entsteht. Damit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesprochen. Es wird ein Bezug hergestellt zwischen dem Zweck, den der Verwender mit der Klausel verfolgt, und der Intensität der Beschneidung der Verbraucherrechte: Je geringer das anerkennenswerte Interesse des Verwenders an einer für den Verbraucher nachteiligen Klausel, desto eher wird ein „ungerechtfertigtes“ Missverhältnis zu bejahen sein und umgekehrt. Dies bestätigt die Wertung von Klausel Nr. 1. lit. e der Grauen Liste: Danach darf einem VerbrauListe für erforderlich gehalten hat, vgl. den „Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen“, KOM(2000) 248 endg., S. 18. 76 So Staudinger / Schlosser (2006), vor §§ 305 ff. Rn. 14; ähnlich Ulmer, EuZW 1993, 337, 338 („Tendenzaussage“). 77 Dies kann etwa, wie in Schweden, durch eine Veröffentlichung in den Gesetzesmaterialien geschehen, vgl. EuGH, 7.5.2002, Rs. C-478/99 – Kommission / Schweden, Slg. 2002, I-4147 (Rn. 23). Der EuGH hob diesbezüglich die nordische Rechtstradition hervor, nach der die Gesetzesmaterialien ein wichtiges Hilfsmittel bei der Gesetzesauslegung darstellten. Zu möglichen Umsetzungsdefiziten in Deutschland Pfeiffer, EuZW 2002, 467. 78 EuGH, 7.5.2002, Rs. C-478/99 – Kommission / Schweden, Slg. 2002, I-4147 (Rn. 22) (Hervorhebung durch den Verf.). 79 Dafür auch Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 640 ff. Anders etwa Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 558 ff.: Danach kann die Graue Liste nur zur Konkretisierung der entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschrift dienen. 80 So ausdrücklich EuGH, 7.5.2002, Rs. C-478/99 – Kommission / Schweden, Slg. 2002, I-4147 (Rn. 20); ebenso EuGH, 1.4.2004, Rs. C-237/02 – Freiburger Kommunalbauten, Slg. 2004, I-3403 (Rn. 20). 81 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 643, 648 ff.
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cher, der seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommt, kein unverhältnismäßig hoher Entschädigungsbetrag auferlegt werden. Was hierbei unverhältnismäßig hoch ist, richtet sich unter anderem nach dem Zweck der Regelung, der Art der Pflichtverletzung und der Höhe des eingetretenen Schadens.82 Daneben ist die formularmäßige Einräumung einer einseitigen Preisänderungsbefugnis durch den Verwender grundsätzlich nur dann zulässig, wenn dem Verbraucher für den Fall, dass der Endpreis im Verhältnis zum vereinbarten Preis „zu hoch“ ist, ein Recht zur Lösung vom Vertrag eingeräumt wird. Dies ergibt sich aus Klausel Nr. 1 lit. l im Anhang der Klauselrichtlinie, die die sogenannte Tagespreisklausel83 erfasst. Auch hier handelt es sich um einen Anwendungsfall des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: Wann der Endpreis „zu hoch“ ist, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern erfordert wiederum eine Berücksichtigung des Interesses, das der Verwender an solch einer einseitigen Preisänderungsklausel hat. Anerkennenswert sind dabei jedenfalls solche Kostensteigerungen, auf die der Verwender keinen Einfluss hat. 84
II. Die Klauselkontrolle nach deutschem Recht Ein wesentlicher Unterschied zur Klauselrichtlinie besteht nach deutschem Recht darin, dass eine Inhaltskontrolle auch außerhalb der Verbrauchergeschäfte stattfindet. § 310 Abs. 1 BGB modifiziert bei Unternehmergeschäften den Prüfungsmaßstab insoweit, als die spezielle Klauselkontrolle der §§ 308, 309 BGB nicht greift. Gleichwohl ist die Kontrolldichte hier in der Sache gleich hoch, da auch die Kontrolle nach § 307 BGB am Leitbild der §§ 308, 309 BGB ausgerichtet wird.85
1. Klauselkataloge Die Regelung der §§ 308, 309 BGB enthält verschiedene Klauselverbote mit und ohne Wertungsmöglichkeit. Damit hat der Gesetzgeber eine Entscheidung darüber getroffen, inwieweit dem Rechtsanwender auf der Tatbestandsseite ein Spielraum zusteht. Bestimmte Klauseln sind per se anstößig und unwirksam (§ 309 BGB), bei anderen kann eine Betrachtung im Einzelfall ergeben, dass trotz einer einseitigen Bevorzugung der Interessen des Verwenders doch insge82
Zur vergleichbaren Regelung des deutschen Rechts unten II. 1. a) (S. 113 ff.). Dazu auch unten II. 2. c) bb) (S. 122 ff.). 84 Eine weitere Regelung zur Preisänderungbefugnis findet sich in Art. 4 Abs. 4 Pauschalreiserichtlinie; im Unterschied zur Tagespreisklausel legt diese aber ausschließliche Kriterien fest, nach denen eine Änderung erfolgen darf. Die Verhältnismäßigkeitskontrolle ist hier bereits konkretisiert. 85 Vgl. nur Jauernig / Stadler, § 307 Rn. 1. 83
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samt keine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners vorliegt (§ 308 BGB). Die §§ 308, 309 BGB enthalten damit im Unterschied zur Klauselrichtlinie, die im Anhang lediglich eine „graue Liste“ von anstößigen Klauseln mit indikativem Charakter beinhaltet, eine „schwarze Liste“ mit Verbotstatbeständen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich gleichwohl inhaltlich am Klauselkatalog der Richtlinie orientiert, geht aber teilweise auch über die darin enthaltenen Beispiele hinaus.86 a) Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit Die Besonderheit des Klauselkatalogs in § 309 BGB besteht darin, dass hier die Unangemessenheit einzelner Klauseln typisiert wird; die Klausel ist per se unzulässig, ohne dass die Umstände des Einzelfalles Berücksichtigung finden würden. Der Katalog enthält Ausprägungen einer unangemessenen Benachteiligung, die tatbestandlich eng gefasst sind; eine Verhältnismäßigkeitskontrolle findet nicht mehr statt. Vielmehr ist die Verhältnismäßigkeitskontrolle des § 307 Abs. 1 BGB für die Fälle des § 309 BGB bereits verfestigt; eine Abwägung erfolgt nicht. Gleichwohl kommt auch § 309 BGB nicht ganz ohne unbestimmte Rechtsbegriffe aus, die eine eigenständige Abwägung erfordern und als Konkretisierungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips angesehen werden können.87 aa) Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen So erlaubt § 309 Nr. 5 lit. b) BGB eine Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen nur dann, wenn dem anderen Teil der Nachweis gestattet wird, dass der tatsächlich entstandene Schaden wesentlich niedriger war als die Pauschale. Das Kriterium der Wesentlichkeit setzt dabei einen Vergleich der Pauschale mit dem tatsächlich entstandenen Schaden voraus – im Ergebnis also zwei numerische Größen. Trotzdem ist hier von der Festlegung auf abstrakte Größen zu warnen: So kann die Aussage, dass eine Abweichung von mehr als 10 % wesentlich ist,88 allenfalls als grobe Richtschnur dienen; eine Betrachtung der Um86 Zu den Unterschieden im Einzelnen etwa Heine, Die Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln, S. 130 ff. Der bereits erwähnte Vorschlag einer Richtlinie über Verbraucherrechte vom 8.10.2008, KOM(2008) 614 endg., enthält einen verbindlichen Katalog missbräuchlicher Klauseln, siehe dazu Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 793. 87 Teilweise wird hier eine Systemwidrigkeit gesehen, vgl. Palandt / Grüneberg, § 309 Rn. 31, 68; ähnlich MüKo-BGB / Kieninger, § 309 Nr. 8 Rn. 59; a.A. AnwK-BGB / Kollmann, § 309 Rn. 62 mit Fn. 283. An der Kritik ist jedenfalls zutreffend, dass solche Klauseln im abstrakten Verbandsklageverfahren nicht überprüft werden können, sondern nur im Individualprozess. 88 Dafür etwa Palandt / Grüneberg, § 309 Rn. 31 (allerdings mit Differenzierung je nach absoluter Höhe der Pauschale); Erman / Roloff, § 309 Rn. 49. Ähnlich Bamberger / Roth /
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stände des Einzelfalles wird dadurch nicht ersetzt. Auch eine absolut gesehen geringfügige Schadenspauschale ist unwirksam, wenn dem Vertragspartner nicht ausdrücklich die Möglichkeit des Gegenbeweises eingeräumt wird.89 Die in AGB vereinbarte Pauschale darf nach § 309 Nr. 5 lit. a) BGB den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden oder die gewöhnliche Wertminderung nicht übersteigen. Mit dieser Formulierung stellt das Gesetz in Anlehnung an den Wortlaut des § 252 Satz 2 BGB eine Vergleichsgröße bereit, die eine generalisierende Betrachtung erforderlich macht. Daher ist nicht auf den üblicherweise im Geschäft des Verwenders eintretenden Schadensersatz bzw. Wertminderung abzustellen, sondern auf den branchentypischen Durchschnitt.90 Der Gesetzgeber hat es hier vorgezogen, anstelle einer unbestimmten Formulierung – etwa einer Bezugnahme auf die unangemessene Höhe der Schadenspauschale – die konkretere Bezugsgröße des gewöhnlichen Schadens bzw. der Wertminderung zu verwenden.91 Anders hier die gemeinschaftsrechtliche Parallelbestimmung in Anhang Nr. 1 lit. e Klausel-RL. Diese ist wesentlich weiter gefasst als § 309 Nr. 5 lit. a) BGB; danach können Klauseln für missbräuchlich erklärt werden, die zur Folge haben, dass „dem Verbraucher, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, ein unverhältnismäßig hoher Entschädigungsbetrag auferlegt wird“. Im Unterschied zum deutschen Recht differenziert die Klauselrichtlinie nicht zwischen Schadenspauschalen und Vertragsstrafen;92 sie knüpft auch von vornherein an die Höhe des Entschädigungsbetrags an und verlangt nicht den Nachweis eines niedrigeren Schadens.93
Becker, § 309 Nr. 5 Rn. 38 (m.w.N.): Bei Pauschalbeträgen von unter € 50.000,– soll die Wesentlichkeitsschwelle bei Abweichungen von 10 % erreicht sein, bei höheren Pauschalen sollen 5 % genügen. 89 Vgl. BGH NJW 2006, 1056, 1059 (formularmäßige Vereinbarung eines pauschalen Ersatzes in Höhe von € 6,- für jedes Mahnschreiben bei Mietrückstand unwirksam). 90 Vgl. etwa BGH NJW 1982, 331, 332 (keine Unangemessenheit einer Verzugszinsenpauschalierung in Höhe von 2 % jährlich über dem jeweiligen Bundesbankdiskontsatz in den Verkaufs-AGB beim Neuwagenverkauf). 91 Vgl. die Vorschrift des § 308 Nr. 7 BGB, in der für den ähnlichen Fall der Abwicklung von Verträgen auf die unangemessene Höhe der Nutzungsvergütung bzw. des Aufwendungsersatzes abgestellt wird. Dazu näher sogleich unten b) (S. 116 f.). 92 Das deutsche Recht stellt für die Vertragsstrafe hingegen in § 309 Nr. 6 BGB eigene Voraussetzungen auf, die die Abgrenzung zur den Schadenspauschalen im Einzelfall schwierig machen. Dazu AnwK-BGB / Kollmann, § 309 Rn. 51 f. Zur Unterscheidung ausführlicher unten § 10 I. 2. (S. 149). 93 Vgl. dazu nur MüKo-BGB / Kieninger, § 309 Nr. 5 Rn. 3.
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bb) Vorleistungspflicht bei Nacherfüllung Ein zweites Beispiel für eine „Wertungsmöglichkeit“ in § 309 BGB findet sich in § 309 Nr. 8 lit. b) dd) BGB: Danach ist eine Klausel in Verträgen über neu hergestellte Sachen oder Werkleistungen unwirksam, in der der Verwender die Nacherfüllung von der Zahlung der vollständigen Gegenleistung oder eines unverhältnismäßig hohen Teils davon abhängig macht und damit sein Leistungsverweigerungsrecht erweitert. Die Vorschrift regelt damit den umgekehrten Fall des § 309 Nr. 2 BGB.94 Was im Einzelfall unverhältnismäßig ist, muss im Hinblick auf den Mangel entschieden werden. Die Vorschrift nimmt das legitime Interesse des Verwenders auf, bereits vor Beginn der Nacherfüllung eine Abschlagszahlung auf den Kaufpreis oder Werklohn zu erhalten. Ebenso legitim ist demgegenüber das Interesse des Vertragspartners, einen gewissen Teil des Entgelts zurückzuhalten. Ein Anhaltspunkt hierfür findet sich auch im Gesetz in § 641 Abs. 3 BGB.95 Für das Werkvertragsrecht werden damit so genannte „Druckzuschläge“96 zugelassen, mit denen der Besteller einen angemessenen Betrag zurückhalten kann, der „in der Regel“ dem Doppelten97 der Mangelbeseitigungskosten entspricht. Dieser Gedanke kann auf das Kaufrecht übertragen werden, denn auch hier besteht ein schützenswertes Interesse des Käufers, einen Teil des Kaufpreises während der Nacherfüllung zurückzuhalten.98 Zur Konkretisierung dessen, was im Rahmen des § 309 Nr. 8 lit. b) dd) BGB unverhältnismäßig ist, kann damit der Rechtsgedanke des § 641 Abs. 3 BGB herangezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass § 641 Abs. 3 BGB dispositives Recht enthält99 und damit nicht mehr als einen Anhaltspunkt für die Grenze der Unverhältnismäßigkeit darstellen kann. Sieht man § 309 Nr. 8 lit. b) dd) BGB als Ausprägung der Äquivalenzwahrung, wodurch das bei Vertragsschluss bestehende Gleichgewicht von (mangelfreier) Leistung und Gegenleistung auch im Rahmen der Nacherfüllung aufrechterhalten wird, dann liegt es nahe, dem Käufer bzw. Besteller jedenfalls einen Einbehalt in Höhe des Werts der mangelhaften Sache 94 In der Praxis hat § 309 Nr. 8 lit. b) dd) BGB gegenüber § 309 Nr. 2 BGB eine geringere Bedeutung, da zumeist der Verkäufer bzw. Werkunternehmer auf Zahlung des Entgelts klagen wird und sich hierbei auf das formularmäßig ausgeschlossene Zurückbehaltungsrecht des Käufers bzw. Bestellers beruft. Der umgekehrte Fall, dass der Käufer bzw. Besteller auf Nacherfüllung klagt, und ihm hier die in den AGB enthaltene Vorleistungspflicht entgegen gehalten wird, dürfte seltener vorkommen, vgl. MüKo-BGB / Kieninger, § 309 Nr. 8 Rn. 57. 95 Dazu näher unten § 13 I. (S. 236 f.). 96 Vgl. Palandt / Sprau, § 641 Rn. 16. 97 Das Gesetz zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz) vom 23.10.2008, BGBl. I, S. 2022 hat den ursprünglichen Wortlaut korrigiert, der einen Druckzuschlag in Höhe von „mindestens des Dreifachen“ der Mangelbeseitigungskosten vorsah. 98 Vgl. AnwK-BGB / Tettinger, § 320 Rn. 26. 99 Palandt / Sprau, § 641 Rn. 13.
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zuzugestehen.100 Die Wertung des § 641 Abs. 3 BGB zeigt jedoch, dass das Interesse an einer Einbehaltung durchaus höher liegen kann. Auch hier werden prozentuale Beschreibungen der Unverhältnismäßigkeit101 oft den Umständen des Einzelfalles nicht gerecht: So kann es vorkommen, dass die Sache aufgrund des ihr anhaftenden Mangels für den Käufer oder Besteller völlig wertlos ist; in diesem Fall wäre jede ihm in AGB aufgebürdete Vorleistungspflicht unwirksam.102 Umgekehrt kann es sich um einen Bagatellmangel handeln, bei dem eine Zurückbehaltung der Gegenleistung nach dem Rechtsgedanken des § 320 Abs. 2 BGB treuwidrig wäre.103 b) Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit Im Gegensatz zu den Klauselverboten ohne Wertungsmöglichkeit enthält § 308 BGB einen Klauselkatalog mit offener formulierten Verboten, die eine umfangreichere Einzelfallprüfung erforderlich machen als im Rahmen von § 309 BGB. Auch diese Klauselverbote stellen Konkretisierungen des § 307 BGB dar, wie sich aus dem Wort „insbesondere“ in § 308 BGB ergibt. Im Unterschied zu § 309 BGB, der ganz überwiegend echte Regelbeispiele enthält,104 erfordert § 308 BGB eine stärkere Überprüfung des vertraglichen Kontexts. Das Abstraktionsniveau ist geringer als bei der Generalklausel des § 307 BGB, gleichwohl beschränkt sich die Rolle des § 308 BGB darauf, bestimmte potentiell anstößige Regelungsbereiche herauszustellen. Die Prüfung unterscheidet sich damit nicht wesentlich von der des § 307 BGB; der Angemessenheitsmaßstab ist derselbe. Das bedeutet aber auch, dass der Klauselkatalog des § 308 BGB in gewissem Umfang Sperrwirkung entfaltet, eine Klausel also, die dem Anwendungsbereich der Norm grundsätzlich unterfällt, aber danach nicht unwirksam ist, nicht ohne weiteres nach § 307 BGB für unwirksam erklärt werden kann.105 Die Funktionsweise des § 308 BGB soll am Beispiel der Abwicklung von Verträgen dargelegt werden, § 308 Nr. 7 BGB, da diese Norm im Zusammenhang mit dem bereits erläuterten § 309 Nr. 5 BGB steht. Während § 309 Nr. 5 BGB die formularmäßige Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen einschränkt, richtet sich § 308 Nr. 7 BGB gegen unangemessen hohe Ansprüche (pauschaliert oder nicht) für den Gebrauch oder die Nutzung oder bereits erbrachte Leistungen bzw. Aufwendungsersatz, die der Verwender für den Fall 100
So Palandt / Grüneberg, § 309 Rn. 68; AnwK-BGB / Kollmann, § 309 Rn. 152. Vgl. den dahingehenden Vorschlag zur Formulierung der Klausel von Staudinger / Coester-Waltjen (1998), § 11 Nr. 10 AGBG Rn. 67; kritisch AnwK-BGB / Kollmann, § 309 Rn. 153. 102 Palandt / Grüneberg, § 309 Rn. 68; ebenso Bamberger / Roth / Becker, § 309 Nr. 8 Rn. 41. 103 MüKo-BGB / Kieninger, § 309 Nr. 8 Rn. 60. 104 MüKo-BGB / Kieninger, § 308 Rn. 1. 105 MüKo-BGB / Kieninger, § 308 Rn. 3. 101
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der Beendigung des Vertrags durch Rücktritt oder Kündigung106 in seinen AGB vereinbart. Auch hier greift das Gesetz ein legitimes Bedürfnis der Rechtspraxis auf, die nach dispositivem Recht bestehenden Regelungen von Nutzungs-, Wert- und Aufwendungsersatz bei Rücktritt (§ 346 BGB) oder verschiedenen Kündigungstatbeständen (etwa § 645 Abs. 1 oder § 649 Satz 2 BGB beim Werkvertrag) zu modifizieren. Die Abweichung von der Wertung des Gesetzes darf aber nicht unangemessen stark ausfallen. Ob eine Klausel die Pauschalierung von Schadensersatz beinhaltet oder von Nutzungs- oder Aufwendungsersatz, kann im Einzelfall schwierig zu beurteilen sein und hängt oftmals von der Formulierung der Klausel ab. Für die Konkretisierung dessen, was als unangemessene Höhe im Sinne des § 308 Nr. 7 BGB angesehen werden muss, kann damit zumindest bei pauschalierten Ansprüchen auf die Wertung des § 309 Nr. 5 lit. a) BGB zurückgegriffen werden: Danach ist die Klausel jedenfalls dann unwirksam, wenn der formularmäßig bestimmte Anspruch den Wert übersteigt, den die Nutzungen, Aufwendungen oder Leistungen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge haben würden.107 Gleichwohl lässt die offenere Formulierung des § 308 Nr. 7 BGB im Einzelfall auch Abweichungen von der branchenüblichen Wertermittlung zu; ein höherer oder niedrigerer Anspruch kann sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles ergeben. Wegen der tatbestandlichen Überschneidung von § 308 Nr. 7 BGB zu § 309 Nr. 5 BGB liegt es nahe, die von der Rechtsprechung vorgenommene Übertragung des § 11 Nr. 5b AGBG auf die Abwicklung von Verträgen108 – trotz der Verschärfung der Anforderungen – für § 309 Nr. 5 lit. b) BGB fortzuführen, so dass auch insoweit ein Gleichlauf zwischen den Normen erreicht wird.109
2. Die Generalklausel des § 307 BGB Das Reichsgericht, das die Inhaltskontrolle von AGB noch auf § 138 BGB stützte, hatte den Maßstab der Anstößigkeit von Klauseln deutlich unter dem der Sittenwidrigkeit angesiedelt.110 Zusätzlich zu einer Verwendung von unbilligen, unverhältnismäßigen oder von den allgemeinen und angemessenen Bedingungen abweichenden Klauseln wurde eine Sittenwidrigkeit nur dann 106
Das Gesetz nennt nur diese beiden Beendigungsgründe, das Klauselverbot greift aber unabhängig von der Formulierung bei jeder Beendigung des Vertrags, vgl. LG Köln NJWRR 1987, 1530, 1531. 107 Vgl. MüKo-BGB / Kieninger, § 309 Nr. 5 Rn. 4; ebenso AnwK-BGB / Kollmann, § 308 Rn. 89. 108 BGH NJW 1985, 633, 634; BGH NJW 1997, 259, 260. 109 Palandt / Grüneberg, § 308 Rn. 38; MüKo-BGB / Kieninger, § 308 Nr. 7 Rn. 3; eher skeptisch hingegen AnwK-BGB / Kollmann, § 308 Rn. 90. 110 Zur frühen Entwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts L. Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 302 ff.
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angenommen, wenn der Verwender seine Monopolstellung zur Durchsetzung der unfairen Klauseln missbrauchte.111 Auch nach der Ausweitung der Inhaltskontrolle über die Monopolisten hinaus und deren Verortung in § 242 BGB112 blieben die Schwierigkeiten bei der Konkretisierung des Prüfungsmaßstabes bestehen. Der AGBG-Gesetzgeber hat sich für die Einführung eines Klauselkatalogs entschieden. In der Rechtspraxis dominiert hingegen weiterhin die Generalklausel des § 307 BGB, der § 9 AGBG unverändert fortführt. Danach sind Klauseln in AGB dann unwirksam, wenn sie „den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen“. Der Wortlaut des deutschen Gesetzes ist noch weiter gefasst als Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL, die eine Klausel inkriminiert, die „entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht“. Eine Präzisierung erfährt der Tatbestand der unangemessenen Benachteiligung in § 307 Abs. 2 BGB: die Unvereinbarkeit der Klausel mit wesentlichen Grundgedanken der Vorgaben des dispositiven Rechts (Nr. 1) und die zur Gefährdung des Vertragszwecks führende Einschränkung von vertragsimmanenten Rechten und Pflichten (Nr. 2).113 Die Erfüllung dieser Tatbestände, teilweise als Regelbeispiele bezeichnet,114 indiziert die unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB.115 a) Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht Als einer der Rechtfertigungsgründe für die AGB-Kontrolle wurde die einseitige Verdrängung des dispositiven Gesetzesrechts genannt.116 Diesem wohnt eine besondere Leitbildfunktion inne: Der Gesetzgeber hat das dispositive Gesetzesrecht zur Erreichung eines fairen Interessenausgleichs zwischen den Vertragspartnern geschaffen und dabei beide Positionen möglichst sinnvoll berücksichtigt.117 Damit ist das dispositive Recht in besonderer Weise als Maßstab für die Angemessenheitskontrolle bei Formularverträgen geeignet: Je größer 111
Siehe dazu die Nachweise oben Fn. 8. Vgl. BGHZ 22, 90, 97 ff. 113 Eingehend dazu Becker, Die Auslegung des § 9 Abs. 2 AGBG. 114 So etwa Palandt / Grüneberg, § 307 Rn. 25; A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 3; AnwK-BGB / Kollmann, § 307 Rn. 20. Anders Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 226, der § 307 Abs. 2 BGB als „eigenständige, in sich abgeschlossene Sondertatbestände der Inhaltskontrolle“ sieht, die den Klauselverboten mit Wertungsmöglichkeit aus § 10 AGBG bzw. § 308 BGB strukturell vergleichbar seien; ebenso Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 434 ff. 115 Vgl. dazu Canaris, in: FS Ulmer, S. 1073, 1078 ff. 116 Dazu oben § 8 II. 2. c) (S. 103 f.). 117 Vgl. BGHZ 41, 151, 154; BGHZ 54, 106, 109 f.; BGHZ 89, 206, 211; Canaris, in: FS Ulmer, S. 1073, 1083 ff. (zum Leistungsstörungsrecht); Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 420 ff. 112
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die Abweichung vom Gesetz, desto eher liegt eine unangemessene Klausel vor.118 Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass es der Sinn des dispositiven Rechts ist, die Parteien gerade nicht zu binden, sondern ihnen Spielraum für eine eigene, vom Gesetz abweichende Regelung ihrer Interessen zu geben. Eine Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht in AGB löst denn auch nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB erst die Inhaltskontrolle aus. Diesem Anliegen trägt das Gesetz darin Rechnung, dass in § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB auf die Abweichung von „wesentlichen Grundgedanken“ der gesetzlichen Regelung abgestellt wird, also grundsätzlich nicht schon die Abweichung von der Regel als solche anstößig ist – andernfalls würde dem dispositiven Recht für den Bereich der Formularverträge eine faktische Bindungswirkung zugemessen.119 Die Rechtsprechung unterscheidet vor diesem Hintergrund zwischen bloßen Zweckmäßigkeitsregeln und nicht abdingbaren Gerechtigkeitsgeboten.120 Je stärker der Gerechtigkeitsgehalt der dispositiven Norm, desto höher der Rechtfertigungsbedarf für den Verwender, wenn er in AGB von der Norm abweicht.121 Dabei gilt, dass ein Gerechtigkeitsgebot desto eher verletzt ist, je mehr es dem Schutz einer Partei dient.122 Der BGH misst dabei Formularklauseln nicht nur an einzelnen Normen des dispositiven Rechts, sondern zieht auch die diesen innewohnenden, allgemeinen Rechtsgrundsätze als Kontrollmaßstab heran. Dies gilt insbesondere für den Grundsatz von Treu und Glauben123 oder das Äquivalenzprinzip.124 Für letzteres ist zu beachten, dass eine Kontrolle der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung nach § 307 Abs. 3 BGB und damit eine „echte“ Äquivalenzkontrolle außerhalb der Transparenzkontrolle nicht möglich ist. Herangezogen wird das (subjektive125) Äquivalenzprinzip jedoch dann, wenn im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Rechte und Pflichten formularmäßig eingeschränkt
118 Dem dispositiven Gesetzesrecht kommt damit ein besonderer Gerechtigkeitsgehalt zu, vgl. die Nachweise oben Fn. 34. 119 Zu beachten ist dabei, dass der BGH (jedenfalls im Verbandsklageverfahren) durchaus auch das zwingende Gesetzesrecht als Maßstab heranzieht, vgl. etwa BGH NJW 1983, 1320, 1322 (zu § 38 ZPO). Richtigerweise sollte hingegen primär das dispositive Recht berücksichtigt werden: Dem zwingenden Recht verhilft bereits § 134 BGB zur Durchsetzung, vgl. Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 232. Dennoch kann das zwingende Recht Wertungen verkörpern, die als „wesentliche Grundgedanken“ der abbedungenen gesetzlichen Regelung anzusehen sind, vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 284. 120 BGHZ 41, 151, 154; BGHZ 54, 106, 110; BGHZ 89, 206, 211; BGHZ 115, 38, 42. 121 BGHZ 41, 151, 154; BGHZ 54, 106, 110. 122 Vgl. die Nachweise bei Palandt / Grüneberg, § 307 Rn. 27. 123 BGHZ 82, 21, 22 ff. (Tagespreisklausel); BGHZ 83, 301, 307 f. 124 So etwa BGH NJW 2001, 2635, 2637 (Gültigkeitsdauer einer Telefonkarte); BGHZ 96, 103, 109 m.w.N. Kritisch dazu mit zahlreichen weiteren Nachweisen Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 462 ff. 125 Vgl. etwa BGH NJW 1985, 2270.
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werden, insbesondere also, wenn von den Grundwertungen der §§ 320 ff. BGB abgewichen wird.126 b) Gefährdung des Vertragszwecks Steht hingegen kein dispositives Gesetzesrecht zur Verfügung, wie dies regelmäßig insbesondere bei gesetzlich nicht geregelten Vertragstypen der Fall ist, so fehlt ein normativer Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit einer Abweichung hiervon. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB regelt für diese Fälle, dass eine Klausel am Regelungszweck des Vertrags selbst zu messen ist. Der Vergleichsmaßstab wird damit aus dem Vertrag selbst gewonnen; hierbei ist aber wie stets bei der AGB-Kontrolle ein objektiv-generalisierender und typisierender Maßstab anzulegen.127 Die Ermittlung des Vertragszwecks in § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB erfolgt damit mit dem Ziel, jedenfalls ein Stück weit normative Vergleichsmuster für die Inhaltskontrolle in einem Bereich zu schaffen, für den das Gesetz kein dispositives Recht oder jedenfalls keine vollständige Regelung enthält.128 Eine Gefährdung des Vertragszwecks kann aber auch dann vorliegen, wenn es sich um einen gesetzlich geregelten Vertragstyp handelt. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB nimmt daher die sogenannte Kardinalpflichten-Rechtsprechung auf, mit der eine Aushöhlung vertragswesentlicher Rechte und Pflichten in AGB unterbunden wurde.129 Damit wird verhindert, dass der Verwender mit dem Abschluss eines bestimmten Vertragstyps eine Pflicht übernimmt oder dem anderen Teil ein Recht gewährt, um diese sogleich wieder formularmäßig einzuschränken oder auszuschließen.130 In dieser Hinsicht stellt § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine Konkretisierung von § 307 Abs. 2 Nr. 1 dar.131 Die Struktur der Klauselkontrolle in § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB gleicht damit derjenigen in § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit dem Unterschied, dass im Rahmen der Nr. 2 die Vergleichsmaßstäbe für die Inhaltskontrolle nicht schon dem dispositiven Recht entnommen 126 Die §§ 320 ff. BGB wurden in BGHZ 71, 196, 204 f. als „Leitgedanke des gegenseitigen Vertrags“ bezeichnet; vgl. auch BGH NJW 1986, 179, 180 (zum Leasingvertrag). 127 Wolf, in: Wolf / Lindacher / Pfeiffer, § 307 Rn. 77 ff. 128 A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 239. 129 Vgl. etwa BGHZ 38, 183, 186; dazu Roussos, JZ 1988, 997, 1003 f.; Tettinger, in: AGB und Vertragsgestaltung nach der Schuldrechtsreform, S. 145 ff.; ders., AcP 205 (2005), 1, 13 ff. 130 Es wurde vorgeschlagen, den Gedanken des Verbotes des venire contra factum proprium hier fruchtbar zu machen, vgl. Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 481 ff. Kritisch hierzu A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 242, der zutreffend darauf hinweist, dass das Verbot widersprüchlichen Verhaltens die Ausübungskontrolle betrifft und an ein Vorverhalten anknüpft, während das Aushöhlungsverbot vielmehr an die im Hinblick auf den Vertragszweck geweckten, berechtigten Erwartung des Vertragspartners an einen bestimmten Vertragsinhalt anknüpft, der durch die AGB des Verwenders aber wieder zum Nachteil des Vertragspartners modifiziert wird. Dieser erhält, bildlich gesprochen, von vornherein nur eine leere Hülse. 131 Palandt / Grüneberg, § 307 Rn. 31.
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werden können, sondern zunächst anhand des Vertragszwecks herausgebildet werden müssen.132 c) Unangemessene Benachteiligung aa) Auffangtatbestand § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB schließlich dient als Auffangtatbestand für diejenigen Fälle, die sich weder unter den Klauselkatalog in §§ 308, 309 BGB subsumieren lassen, noch nach den Konkretisierungen in § 307 Abs. 2 BGB unwirksam sind.133 Dies betrifft unter anderen solche Fälle, in denen sich die Anstößigkeit des Formularvertrags erst aus der Kumulierung mehrerer, für sich betrachtet noch tolerabler Klauseln ergibt,134 ferner Klauseln in gesetzlich nicht geregelten Verträgen, die sich nicht unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Vertragszwecks (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) einordnen lassen, etwa bei Laufzeitregelungen.135 Ein gesondert geregelter Tatbestand der Unangemessenheit, der nunmehr systematisch der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB zugeordnet ist, findet sich im Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 BGB: Eine Klausel, die nicht klar und verständlich formuliert ist, wird schon aus diesem Grund als anstößig erachtet, da der durchschnittliche Vertragspartner, selbst wenn er wollte, die darin enthaltene vertragliche Regelung nicht in ihrem Sinn oder ihrer Tragweite erfassen könnte. Auch wenn die vorherige tatsächliche Kenntnisnahme vom Inhalt der AGB keine Einbeziehungsvoraussetzung ist (§ 305 Abs. 2 BGB) und die Tatsache, dass eine Kenntnisnahme regelmäßig nicht erfolgt, auch keine Begründung für die Inhaltskontrolle zu geben vermag,136 so liegt doch in der intransparenten Gestaltung von AGB eine mögliche Beschneidung der vertraglich bestehenden Rechte des Vertragspartners, die als solche eine unangemessene Benachteiligung darstellt.137 Die offene Formulierung des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB stellt erhebliche Anforderungen an den Rechtsanwender. Bei der Beurteilung, welche Klausel anstößig ist, sind zwei Prüfungsschritte zu unterscheiden:138 Zunächst ist für jede 132 Vgl. nur Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 261, 267 ff.; ebenso A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 243. 133 Zum gegenüber § 307 Abs. 2 BGB verbleibenden Anwendungsbereich des Abs. 1 Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 441 ff. Vgl. auch die Übersicht bei A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 97. 134 Siehe BGH NJW 2003, 3192 f.; BGH NJW 2004, 2087. 135 Vgl. etwa BGH NJW 1994, 2693, 2694 (Versicherungsvertrag); BGH NJW 1997, 739 f. (Fitness-Studio-Vertrag); BGH NJW 2000, 1110, 1112 (Tankstellenstationärvertrag). 136 Dazu bereits oben § 8 II. (S. 100 ff.). 137 Näher zur ratio des Transparenzgebots A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 326. 138 Vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 280 ff.; ebenso A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 98 ff.; Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 90 ff.; PWW / K. P. Berger, § 307 Rn. 8 ff. Ebenso die Rechtsprechung, vgl. BGH NJW 1985, 2585, 2586 f.
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Klausel zu ermitteln, wie der Vertragspartner ohne sie stünde. Diese Prüfung ist bereits in § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB angelegt, wenn dort die Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht als Beurteilungsmaßstab festgelegt wird. Bereits hier wird überwiegend eine gewisse Erheblichkeit der Abweichung gefordert, so dass nicht jede Schlechterstellung durch die Klausel ausreicht; dies ergebe sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben.139 An diese objektive Divergenzprüfung schließt sich eine wertende Angemessenheitsprüfung an, die den gesamten Vertragsinhalt und die beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien berücksichtigt.140 Dabei werden die so ermittelten Interessen gewichtet, wobei naturgemäß verfassungsrechtlich geschützten Positionen wie der Privatsphäre oder dem Persönlichkeitsrecht eine größere Bedeutung zukommt, als bloßen Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit.141 Im Rahmen dieser Abwägung kommt dem Grundsatz von Treu und Glauben eine besondere Rolle zu. bb) Die Rolle des Grundsatzes von Treu und Glauben Die Anführung des Grundsatzes von Treu und Glauben in § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB hat neben dem Kriterium der Unangemessenheit eine verstärkende und klarstellende Bedeutung.142 Die ausdrückliche Bezugnahme auf das Gebot von Treu und Glauben verdeutlicht die Herkunft der Inhaltskontrolle, die von der Rechtsprechung des BGH vor Erlass des AGBG auf § 242 BGB gestützt wurde und kann als Hinweis darauf gesehen werden, dass eine übertrieben einseitige Verfolgung eigener Interessen durch den Verwender treuwidrig ist. Bildlich lässt sich die Rolle des Verwenders mit der eines Treuhänders vergleichen, der auch die Interessen des Vertragspartners an einem angemessenen Interessenausgleich berücksichtigen muss.143 Daraus folgt die Funktion des Grundsatzes von Treu und Glauben als Wertungsausfüllungskriterium des Begriffs der Unangemessenheit. Zunächst gilt hierbei, dass die AGB-Kontrolle nicht das Ziel verfolgt, einen angemessenen Interessenausgleich sicherzustellen,144 sondern lediglich eine unangemessene Regelung verhindern will.145 Dies ergibt sich bereits aus der Verwendung des Begriffs der Unangemessenheit in § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, erklärt sich aber auch daraus, dass die Inhaltskontrolle einen Ein139 Palandt / Grüneberg, § 307 Rn. 8; Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 91; A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 101. Zur rechtlichen Behandlung der Geringfügigkeitsoder Bagatellfälle bei der Geltendmachung vertraglicher Rechte näher unten § 13 (S. 236 ff.). 140 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 306 ff.; Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 107 ff. 141 Näher zur Abwägung unten § 19 (S. 347 ff.). 142 Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 97; Stoffels, AGB-Recht, Rn. 468; vgl. auch die Nachweise bei A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 97 (der selbst offen lässt). 143 So Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 97 m.N. 144 So aber vielfach in der Rechtsprechung anzutreffenden Formulierungen, vgl. etwa BGH ZIP 1996, 2075, 2077; BGH NJW 1997, 193, 195. 145 Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 95; A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 107.
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griff in die Vertragsfreiheit darstellt, und dieser möglichst zurückhaltend gestaltet werden muss.146 Die Inhaltskontrolle soll und kann gerade nicht die einzig zutreffende Regelung des Interessenkonflikts zwischen Verwender und Vertragspartner ermitteln, sondern dient nur dazu, besonders einseitig zugunsten des Verwenders ausgestaltete Klauseln zu eliminieren. Ein Schwerpunkt dieser wertungsausfüllenden Rolle des Grundsatzes von Treu und Glauben kommt dabei dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu.147 Überwiegend werden hier die Teilgrundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) genannt.148 Fastrich etwa spricht sich für eine „sinngemäße“ Heranziehung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit „für die Abwägung der beiderseitigen Interessen“ aus:149 Für eine benachteiligende Klausel müsse danach zunächst ein sachlicher Grund oder ein berechtigtes Interesse bestehen, das sei dann der Fall, wenn für sie ein objektives Erfordernis in der Interessenlage des Verwenders bestehe. Diese Benachteiligung dürfe nicht weiter gehen, als dies das Interesse des Verwenders erfordere (geringstmöglicher Eingriff)150 und schließlich darf die Benachteiligung nicht außer Verhältnis zum legitimen Zweck stehen, den der Verwender mit der Klausel verfolgt.151 Diese recht strenge Zweckbindung am Maßstab der Erforderlichkeit suggeriert, dass die Verwendung einer benachteiligenden Klausel dann unangemessen ist, wenn ein milderes Mittel existiert, das die Interessen des Verwenders ebenso gut zu wahren imstande ist. In diese Richtung kann die Rechtsprechung des BGH interpretiert werden, der etwa entschieden hat, dass Rechtseinschränkungen auf der Seite des Vertragspartners am „Gebot erträglicher Ausgestaltung“ zu messen sind.152 Man könnte daraus folgern, dass eine Klausel bereits dann unangemessen benachteiligt, wenn es eine Gestaltung gibt, die weniger einschneidend für den Vertragspartner ist. Denn der Grundsatz der Erforderlichkeit lässt als „scharfe Entscheidungsregel“153 nur eine einzige mögliche Lösung zu, nämlich den geringstmöglichen Eingriff oder das mildeste Mittel. Diese Konsequenz zieht der BGH freilich zu Recht nicht.154 Auch entspricht es 146 Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 95, vgl. aber auch Rn. 5 (Notwendigkeit einer Balance zwischen gebotener Inhaltskontrolle gegenüber dem Verwender und Wahrung der Eigenverantwortlichkeit des Vertragspartners). 147 Wohl allgemeine Meinung, vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 317; Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 98, 162; A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 97, 105 f.; Wolf, in: Wolf / Lindacher / Pfeiffer, § 307 Rn. 158; Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 111 f. 148 Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 98; A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 105. 149 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 317. 150 Ebenso A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 105. 151 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 317. 152 BGHZ 114, 338, 341 (Kaufzwangklausel in einem Erbbaurechtsvertrag). 153 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 58, 246. Näher dazu unten § 18 I. 1. a) (S. 319 ff.). 154 Vgl. etwa BGH NJW 2003, 2014, 2016: Der BGH hielt eine Klausel in einem Soft-
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der ständigen Rechtsprechung, dass belastende Klauseln möglichst durch ausgleichende Maßnahmen in ihren Auswirkungen abgemildert werden müssen. So hält der BGH bei den sogenannten Preisanpassungsklauseln ein formularmäßig vereinbartes Anpassungsrecht des Verwenders zwar grundsätzlich für zulässig, fordert aber als Ausgleich ein Recht des anderen Teils, sich im Falle einer nicht durch eine zwischenzeitliche Kostensteigerung gerechtfertigten Preiserhöhung vom Vertrag lösen zu können.155 Bei all diesen Fällen nimmt der BGH eine Interessenabwägung vor, die für die Erforderlichkeitsprüfung gerade nicht typisch ist:156 Bei dieser würde es genügen, wenn ein milderes Mittel existiert, mit dem der vom Verwender mit der Klausel verfolgte Zweck ebenso gut erreichbar ist. Im Ergebnis erfolgt die Prüfung daher nicht am Kriterium der Erforderlichkeit, vielmehr handelt es sich um eine Interessenabwägung nach Vorbild der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.157 Dabei kann eine Benachteiligung durch eine andere, dem Verwender vorteilhafte Klausel ausgeglichen werden – aber nur dann, wenn diese Klauseln im Zusammenhang stehen,158 wie dies bei den erwähnten Preisanpassungsklauseln und dem Sonderkündigungs- oder Rücktrittsrecht der Fall ist. Der Hinweis auf eine geringere Gegenleistung kann jedoch nicht mit in die Interessenabwägung einbezogen werden.159 Hiergegen spricht bereits die Tatsache, dass die Hauptleistungspflichten grundsätzlich kontrollfrei sind; auch bestehen mangels Anhaltspunkten für den „angemessenen“ Preis Schwierigkeiten bei der Feststellung, ob dem anderen Teil tatsächlich ein Preisvorteil entsteht.160 Im Einzelfall wäre jedenfalls ein vergleichsweise geringer Preisvorteil nicht geeig-
warelizenzvertrag, die eine Bindung an einen bestimmten Rechner vorsah, auch nicht deshalb für unangemessen, weil sie eine Übertragung der Software bei Austausch des Rechners nicht ohne neuen Lizenzvertrag zuließ; hier wäre zwar ein geringerer Eingriff denkbar, etwa dadurch, dass sich der Verwender Überwachungs- und Kontrollbefugnisse vertraglich vorbehalten würde. Dies würde aber zu komplizierterer Vertragsgestaltung nötigen – hierzu war der Verwender nicht verpflichtet. 155 BGHZ 82, 21, 27 (Tagespreisklausel bei Neuwagenkauf); BGHZ 94, 335, 341 (Preisänderungsvorbehalt bei Vertrag über Errichtung eines Bauwerks); BGH NJW 1989, 1796, 1797 f. (Neufestsetzung von Darlehens-AGB). 156 Siehe auch BGH NJW 2005, 1774, 1776: Unangemessenheit einer Klausel, die weiter geht, als zur Wahrung der berechtigten Interessen der Beklagten nötig ist (hier: ausnahmsloser Ausschluss von Ersatz und Erstattung für abhanden gekommene Fahrscheine): Die Benachteiligung des Kunden ist in diesem Falle nicht durch berechtigte Interessen des Verwenders gerechtfertigt. 157 Zur Unterscheidung zwischen den beiden Teilgrundsätzen näher unten § 18 I. (S. 318 ff.). 158 BGH NJW 2003, 888, 891. 159 BGHZ 22, 90, 98; BGHZ 33, 216, 219; BGHZ 77, 126, 131; A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 145; Palandt / Grüneberg, § 307 Rn. 14. Kritisch Tettinger, AcP 205 (2005), 1, 27 f. 160 MüKo-BGB / Kieninger, § 307 Rn. 42; Jauernig / Stadler, § 307 Rn. 4.
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net, eine benachteiligende Klausel, etwa einen Gewährleistungsausschluss, aufzuwiegen.161
III. Die Rechtsfolgen der Unwirksamkeit einzelner Klauseln Beinhaltet eine Klausel die unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners, so ist sie nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Die Unwirksamkeit einer Klausel berührt nach § 306 Abs. 1 BGB nicht die Wirksamkeit des Vertrags im Übrigen; die im Vertrag entstandene Lücke wird durch das in casu anwendbare dispositive Gesetzesrecht geschlossen, § 306 Abs. 2 BGB. Eine sogenannte geltungserhaltende Reduktion, die die anstößige Klausel nicht völlig ausschaltet, sondern auf ein vom Gesetz noch für erträglich gehaltenes Maß zurückführt, findet nach überwiegender, aber nicht unumstrittener Ansicht bei unangemessenen Klauseln nicht statt (unten 1.).162 Die Rechtsprechung hat demgegenüber Wege gefunden, um für ungerecht erachtete Ergebnisse abzumildern, etwa durch die Teilung einer anstößigen Klausel in unwirksame und wirksame Bestandteile, vor allem aber durch das Instrument der ergänzenden Vertragsauslegung, die dazu verwendet wird, um durch die Unwirksamkeit einzelner Klauseln entstehende einseitige und ungerechtfertigte Begünstigungen des Vertragspartners abzumildern (unten 2.). Diese Vorgehensweise ist kritisch zu beleuchten (unten 3.).
1. Totalnichtigkeit Unter der geltungserhaltenden Reduktion einer unwirksamen Klausel wird allgemein deren Rückführung auf ein Maß verstanden, das die vom Gesetz missbilligte Rechtsfolge nicht mehr herbeiführt.163 Unter den Begriff lassen sich also sowohl die Fälle fassen, in denen man durch die Reduktion das gerade noch 161 Eine Ausnahme wird allgemein für die Fälle der sogenannten offenen Tarifwahl zugelassen, wie dies etwa bei Versicherungsverträgen üblich ist. Hier korrespondiert ein höheres Risiko mit einer geringeren Prämie; dies ist mit § 307 BGB vereinbar. Vgl. dazu BGHZ 77, 126, 133 f. Dadurch wird in beschränktem Umfang die Kontrolle der Hauptleistungspflichten ermöglicht, dazu A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 148. Diese Möglichkeit steht im Einklang mit der EG-Klauselrichtlinie, deren 19. Erwägungsgrund für Versicherungsverträge ausdrücklich den Zusammenhang zwischen Risikoausschluss und Prämienhöhe nennt. 162 So der BGH in ständiger Rechtsprechung, vgl. BGHZ 84, 109, 114 ff.; BGHZ 90, 69, 73; BGHZ 92, 312, 314 f.; BGHZ 114, 338, 342 f.; BGHZ 124, 380, 386; BGHZ 143, 103, 119; BGH NJW 2006, 1059, 1060. Die Literatur stimmt dem überwiegend zu, vgl. etwa Palandt / Grüneberg, vor § 307 Rn. 8; Lindacher, in: Wolf / Lindacher / Pfeiffer, § 306 Rn. 31 ff.; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion, S. 66 ff. Eingehend zum Problemkreis Preis, Grundfragen, S. 350 ff. 163 H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 306 Rn. 14.
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Zulässige erreicht,164 als auch jene Fälle, in denen eine angemessene Rechtsfolge erzielt wird.165 Kern des durch die wohl überwiegende Meinung vertretenen Verbots der geltungserhaltenden Reduktion von anstößigen AGB-Klauseln ist die Anordnung von deren Unwirksamkeit in § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Hinter diesem klaren Wortlaut steht der Normzweck, der verhindern will, dass der Verwender risikolos anstößige Klauseln verwenden kann (Präventionsgedanke).166 Daneben wird die Bereinigungsfunktion der AGB-Kontrolle angeführt, die darauf abzielen soll, dass angesichts der Nichtigkeitssanktion von vornherein nur angemessene AGB verwendet werden, und auf diese Weise dem Kunden eine eindeutige Information über den Umfang seiner Rechte und Pflichten ermöglicht wird (Transparenzgedanke).167 Auch ergebe sich aus § 306 Abs. 2 BGB der klare Auftrag des Gesetzgebers, zur Lückenfüllung das dispositive Gesetzesrecht heranzuziehen; eine geltungserhaltende Reduktion würde dessen ersatzweise Geltung aushebeln.168 Schließlich wird angeführt, es sei nicht Aufgabe des Richters, in das Vertragsgefüge einzugreifen und anstelle des Verwenders den noch zulässigen Vertragsinhalt zu bestimmen.169
2. Abmilderungen Dass die aus dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion resultierende Totalnichtigkeit anstößiger Klauseln wiederum zu unangemessenen Ergebnissen führen kann, indem sie den Verwender einseitig benachteiligt, ist auch von den Gegnern einer geltungserhaltenden Reduktion im Grundsatz anerkannt. Die Rechtsprechung rekurriert zur Vermeidung solcher Widersprüche unter Zustimmung eines Teils der Literatur im Wesentlichen auf drei Instrumente:170 a) die Unbeachtlichkeit fernliegender Auslegungsalternativen, b) die Teilung der missbräuchlichen Klausel sowie c) die ergänzende Vertragsauslegung. 164
So der BGH, vgl. BGHZ 90, 69, 81 f. Nachdrücklich für eine Beschränkung der (von ihm in der Sache befürworteten) geltungserhaltenden Reduktion auf eine angemessene Rechtsfolge Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 529 f., 549 f.; MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 14; ebenso etwa J. Hager, JZ 1996, 175, 176; H. Roth, JZ 1989, 411, 414 f., 417 f. Ähnlich die Diskussion bei den Rechtsfolgen eines wucherischen bzw. wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nach § 138 BGB, dazu oben § 5 III. 2. (S. 60 ff.). 166 Vgl. etwa BGHZ 84, 109, 116; BGH NJW 2006, 1059, 1060; H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 306 Rn. 14; Palandt / Grüneberg, vor § 307 Rn. 8; AnwK-BGB / Kollmann, § 306 Rn. 12. Kritisch dazu J. Hager, JZ 1996, 175, 176 f. 167 BGHZ 96, 18, 25 f.; BGH NJW 2006, 1059, 1060; H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 306 Rn. 14. 168 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 330 ff. 169 BGH NJW 1984, 48, 49. 170 Eingehende Darstellung bei Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 120 ff., 149 ff., 175 ff. 165
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a) Unbeachtlichkeit fernliegender Auslegungsalternativen Nach § 305c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der Auslegung von AGB zu Lasten des Verwenders. Bei der Klauselkontrolle wird auf dieser Grundlage von der kundenfeindlichsten Auslegung der Klausel ausgegangen. Diese Maxime war zunächst für den Verbandsprozess anerkannt,171 gilt aber nach überwiegender Meinung wegen der vergleichbaren Interessenlage auch für den Individualprozess.172 Gleichwohl führt dies nicht dazu, dass eine Klausel auch dann unwirksam ist, wenn eine fernliegende oder abseitige Interpretationsmöglichkeit möglich ist, aus der eine Unwirksamkeit der Klausel folgen würde – eine Störung des Rechtsverkehrs ist hier nicht zu besorgen.173 Vom Verwender nicht bedachte oder nicht für regelungsbedürftig gehaltene Sondersituationen werden von der Klausel nicht erfasst.174 Als ein Fall der geltungserhaltenden Reduktion wird diese Ausnahme gleichwohl nicht angesehen, vielmehr ergebe sich diese Verengung des Kontrollbereichs bereits aus den Grundsätzen der Vertragsauslegung.175 b) Aufrechterhaltung teilbarer Klauseln Ist eine Klausel so formuliert, dass sie neben einem missbräuchlichen Regelungsgehalt auch sprachlich und inhaltlich abtrennbare Teile enthält, die ihrerseits unbedenklich sind, so erfasst die Unwirksamkeit nur den anstößigen Teil der Klausel.176 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Klauselrest auch ohne den missbilligten Teil aus sich heraus verständlich ist und eine sinnvolle Regelung enthält.177 Eine Teilbarkeit wird insbesondere nicht angenommen bei einer formularmäßig vereinbarten, übermäßigen Vertragsdauer oder einer zu langen Frist: Die Rechtsprechung lehnt es hier ab, anstelle der Parteien den gerade noch zulässigen Zeitrahmen zu bestimmen. Eine solche ließe sich auch nur durch eine sprachliche und inhaltliche Umgestaltung der Klausel erreichen.178 Teilweise geht die Rechtsprechung aber auch hier sehr weit: So hat der BGH eine Klausel für teilbar gehalten, die „zur Sicherung aller bestehenden 171
Vgl. nur BGH NJW 2003, 1237, 1238. BGH NJW 2008, 2172, 2173; BGH NJW 2008, 987, 988, je m.w.N.; Palandt / Grüneberg, § 305c Rn. 20. 173 Vgl. BGH NJW 1993, 657, 658; aus jüngerer Zeit KG BauR 2005, 1032, 1035 (Verbandsprozess); MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 15. Anders noch die frühere Rechtsprechung, vgl. etwa BGH WM 1984, 1075, 1077. Eine dahingehende Rechtsprechungsänderung nachdrücklich befürwortend Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 552. 174 BAG NJW 2005, 3305, 3306. 175 So etwa BGH NJW 1993, 657, 658; BAG NJW 2005, 3305, 3306. 176 So die st. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 1984, 2816, 2817; BGHZ 136, 314, 322; BGHZ 145, 203, 212; BGH NJW 2006, 1059, 1060. 177 BGH NJW 1984, 2816, 2817. 178 BGH NJW 2006, 1059, 1060. 172
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und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen der Sparkasse gegen den Hauptschuldner“ diente; er hat einen auf die so genannte Anlassforderung bezogenen, zulässigen Teil abgetrennt und den Rest der Klausel für unwirksam gehalten.179 Sprachlich erscheint eine solche Teilung nicht haltbar.180 c) Ergänzende Vertragsauslegung Die Lückenfüllung durch dispositives Gesetzesrecht nach § 306 Abs. 2 BGB versagt, wenn keine passende Regelung vorhanden ist, etwa weil die anstößige Klausel in einem gesetzlich nicht geregelten Vertragstyp enthalten ist.181 In der Judikatur des BGH182 ist anerkannt, dass bei Fehlen von dispositiven Gesetzesregeln diesbezüglich im Individualprozess183 eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen ist, die eine interessengerechte Regelung anstelle der unwirksamen Klausel schafft.184 Auf diese Weise wird eine völlig einseitige Bevorzugung des Kunden verhindert.185 Beispielhaft hierfür steht etwa die Rechtsprechung des BGH zur Wirksamkeit so genannter Tagespreisklauseln. Angesichts teilweise langer Lieferzeiten behielten sich sich Autohändler vertraglich vor, zwischenzeitlich eingetretene Preiserhöhungen an den Kunden weiterzugeben: Vereinbart wurde der Listenpreis zum Zeitpunkt der Lieferung.186 Der BGH hat solche Klauseln für unangemessen gehalten, da für den Kunden die Kalkulation des Verwenders nicht nachzuvollziehen sei. Bei Unwirksamkeit einer solchen Klausel entstünde jedoch eine Lücke im Vertrag, die die legitimen Interessen des Verkäufers an der Vereinbarung des realen Lieferpreises unbeachtet lassen würde. Durch die ergänzende Vertragsauslegung „tritt diejenige Gestaltungsmöglichkeit ein, die die Parteien bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach 179
BGHZ 130, 19, 34 ff. Kritisch auch Nobbe, in: Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, S. 38, 52 f. 181 Weitere Fälle bei MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 23. 182 BGH WM 2010, 933, 934; BGH NJW 2008, 2172, 2175 sowie zuvor bereits BGHZ 90, 69, 75; BGH NJW 1984, 1180, 1181; BGH NJW 1985, 621, 622 m.w.N. (Tagespreisklauseln); dazu etwa Bunte, NJW 1984, 1145. Die Grenze des noch zulässigen Klauselinhalts markiert diesbezüglich § 309 Nr. 1 BGB. 183 Im Verbandsprozess stellt sich die Frage der Lückenfüllung des Individualvertrags nicht, vgl. nur H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 306 Rn. 36; MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 12 ff. 184 Die Literatur stimmt der ständigen Rechtsprechung des BGH überwiegend zu, vgl. Palandt / Grüneberg, § 306 Rn. 7; MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 22 ff.; H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 306 Rn. 34 ff. m.w.N.; H. Roth, AcP 190 (1990), 292, 312 f.; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 536 ff. A.A. etwa Steindorff, ZHR 148 (1984), 271, 276 f.; Häsemeyer, in: FS Ulmer, S. 1097, 1106 f. (die ergänzende Auslegung führe zu einer „richterrechtlichen Versteinerung“ der parteiautonomen Gestaltungsmöglichkeiten). 185 BGHZ 137, 153, 157. 186 Beispiel: BGHZ 90, 69. 180
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Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Klausel bekannt gewesen wäre“.187 Im Falle der unwirksamen Tagespreisklausel folgt daraus, dass der Kunde zwar die berechtigte Preiserhöhung tragen muss, ihm aber ein Rücktrittsrecht zugebilligt wird, wenn die Preiserhöhung den Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten nicht unerheblich übersteigt. Im Ergebnis besteht kaum noch ein Unterschied zur geltungserhaltenden Reduktion der unwirksamen Klausel.188
3. Kritik a) Kein generelles Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Das von der Rechtsprechung nach wie vor postulierte, generelle Verbot der geltungserhaltenden Reduktion erscheint in mancherlei Hinsicht kritikwürdig.189 Zahlreiche Ausnahmen durchlöchern dieses Verbot teilweise bis zur Unkenntlichkeit, so dass die Berufung hierauf oftmals als bloßes Lippenbekenntnis erscheint. Zunächst ist auch in der Rechtsprechung die geltungserhaltende Reduktion für einzelne Bestimmungen kollektiv ausgehandelter AGB wie die VOB oder die ADSp anerkannt:190 Dabei handele es sich um „fertig bereit liegende Rechtsordnungen“, bei denen der Schutzgedanke der AGB-Kontrolle keine Totalnichtigkeit verlange.191 Dem steht bereits entgegen, dass auch bei Kollektiv-AGB deren Geltung rechtsgeschäftlich vereinbart werden muss, es sich dabei mithin keineswegs um eine „Rechtsordnung“ handelt.192 Daneben wurde die Teilbarkeitsformel in manchen Entscheidungen so überdehnt, dass schlichtweg nicht mehr erkennbar ist, wo noch ein Unterschied zur geltungser-
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So eine oft verwendete Formulierung, vgl. etwa BGHZ 90, 69, 75; BGHZ 137, 153, 158. Ebenso MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 15 f., 22 ff.; Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 549 f.; Jauernig / Stadler, § 306 Rn. 3, 5. Zur vergleichbaren Problematik in Frankreich Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 93; Mazeaud, Recueil Dalloz, 2005, 1828. 189 Vgl. insbesondere H. Roth, Vertragsänderung, S. 33 ff. sowie jüngst Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 57 ff., 149 ff., 175 ff. Gute Übersicht zum Streitstand bei Mayer, Das „Verbot“ der geltungserhaltenden Reduktion, S. 79 ff.; Burckhardt, Das AGB-Gesetz, S. 109 ff. (die selbst für eine geltungserhaltende Reduktion nur im kaufmännischen Verkehr eintritt: a.a.O. S. 116 ff.). 190 BGHZ 129, 345, 349 (für ADSp); BGHZ 129, 323, 328 (für AGNB); vgl. der Sache nach bereits BGHZ 86, 135, 141 (VOB / B). Zu beachten ist, dass bei der Vereinbarung der unveränderten Geltung solcher Kollektiv-AGB zwischen Unternehmern eine Inhaltskontrolle wegen der Ausgewogenheit des Klauselwerks und seines Zustandekommens insgesamt ausscheidet, BGHZ 157, 346, 348. Für die VOB / B ist dies nun ausdrücklich in § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB geregelt. Dies gilt allerdings nicht für Verbraucherverträge, BGHZ 178, 1, 15 f. Siehe dazu auch Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 64 ff. 191 BGHZ 129, 323, 328; BGHZ 129, 345, 349. 192 MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 20; ablehnend auch H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 306 Rn. 15a. 188
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haltenden Reduktion liegen soll.193 Auch wenn die aktuelle Rechtsprechung hiervon abkommt, so erzielt sie nun den aus ihrer Sicht angemessenen Interessenausgleich vornehmlich über eine ergänzende Vertragsauslegung:194 Der hypothetische Parteiwille dient dabei als Rechtfertigung für ein Ergebnis, das aus richterlicher Sicht sachgerecht ist. Letztlich arbeitet auch die Rechtsprechung mit einer Auslegung auf objektivierter Grundlage, stellt sie doch regelmäßig auf die Interessen nicht der am Vertrag beteiligten Parteien ab, wie dies § 157 BGB vorsieht, sondern allgemeiner auf die Interessen der an Rechtsgeschäften dieser Art typischerweise beteiligten Verkehrskreise.195 Damit liegt aber im Ergebnis auch hier kein erkennbarer Unterschied mehr zu einer geltungserhaltenden Reduktion einer missbräuchlichen Klausel auf das Angemessene vor.196 Denn genau dies ist der Maßstab, den die Befürworter einer geltungserhaltenden Reduktion anlegen: Es gehe durchweg nicht darum, die Klausel dahingehend zu reduzieren, dass sie das von den §§ 307–309 BGB gerade noch Zulässige postuliert. Vielmehr komme von vornherein nur die Reduzierung der Abrede auf ein angemessenes Maß in Betracht, dies ergebe sich aus dem Regelungsgehalt der §§ 343 BGB (Vertragsstrafe), 655 BGB (Maklerlohn), 74a Abs. 1 HGB (Wettbewerbsverbot), die ihrerseits die richterliche Herabsetzung einer Vertragsstrafenabrede auf das Angemessene vorsehen.197 Auch die Befürworter der geltungserhaltenden Reduktion stimmen mit der herrschenden Meinung im Ansatz überein, dass eine unangemessene Klausel im Grundsatz unwirksam sein muss.198 Während die herrschende Meinung aber diese Rechtsfolge ausnahmslos anordnen möchte und die genannten Fälle der Aufrechterhaltung nicht als Ausnahmen vom Grundsatz der Totalnichtigkeit begreift, sondern als separat zu prüfende und davon unabhängige Instrumente
193 Vgl. insbesondere die Entscheidung BGHZ 130, 19, 34 ff. (kritisch dazu Reich / Schmitz, NJW 1995, 2533); ähnlich BGH NJW 2000, 2580, 2582; BGH WM 2001, 1517, 1518. 194 So etwa BGHZ 137, 153, 157 im Vergleich zu BGHZ 130, 19, 34 f. Zustimmend Nobbe, in: Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, S. 38, 52 ff. 195 BGHZ 164, 297, 317; BGH NJW-RR 2005, 1040, 1041; BGHZ 107, 273, 276 f. Dazu H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 306 Rn. 32 m.w.N. 196 Vgl. J. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S. 31 ff., 125 ff., 154 ff.; MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 16; H. Roth, Vertragsänderung, S. 35, 58; Jauernig / Stadler, § 306 Rn. 3, 5. Ebenso Häsemeyer, in: FS Ulmer, S. 1097, 1103 ff., der jedoch auf dieser Grundlage nachdrücklich für eine Totalunwirksamkeit der missbräuchlichen Klausel eintritt. 197 So J. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S. 199 ff.; ders., JZ 1996, 175, 176; H. Roth, JZ 1989, 411, 418; Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 549 f.; MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 14; Reich / Schmitz, NJW 1995, 2533, 2534; im Grundsatz zustimmend auch Staudinger / Schlosser (2006), § 306 Rn. 25. Weitere Nachweise finden sich bei Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 330 mit Fn. 30 (der selbst aber die geltungserhaltende Reduktion ablehnt, a.a.O., S. 332 ff.); ablehnend gegen die Parallele zu den §§ 343 BGB, 74a HGB auch Häsemeyer, in: FS Ulmer, S. 1097, 1101. 198 Deutlich Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 547.
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ansieht,199 folgt die Gegenansicht einem deutlichen Regel-Ausnahme-Schema, wobei die Nichtigkeit der Klausel die Regel ist, eine Reduktion auf das angemessene Maß mithin nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. 200 Sie steht damit vor der Aufgabe, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer geltungserhaltenden Reduktion festzulegen. Canaris führt mehrere Fallgruppen an, in denen diese zulässig sein soll.201 Insbesondere tritt er dafür ein, eine Klausel dann teilweise aufrecht zu erhalten, wenn der Verwender hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gutgläubig war, wenn die mit der Klausel bezweckte Regelung also einer vertretbaren Rechtsansicht folgte. 202 Dieses Kriterium wird allgemein von den Befürwortern einer geltungserhaltenden Reduktion verwendet, teilweise jedoch ohne die subjektive Komponente: Diese komme nur dann nicht in Betracht, wenn die Klausel eindeutig gegen die §§ 307–309 BGB verstoße.203 Im Ergebnis dürften sich beide Ansichten nicht wesentlich unterscheiden, da Bösgläubigkeit bei eindeutigen Verstößen regelmäßig vermutet werden kann. 204 Wie bereits bei der Frage der Vermeidung der Totalnichtigkeit eines wucherischen oder wucherähnlichen Rechtsgeschäfts205 stellt sich auch hier die Frage, ob das Verhältnismäßigkeitsprinzip zugunsten einer geltungserhaltenden Reduktion streitet. Auf diese Frage wird zurückzukommen sein. 206 b) Vereinbarkeit mit gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben Problematisch ist die Vereinbarkeit einer geltungserhaltenden Reduktion mit den Vorgaben der EG-Klauselrichtlinie: Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL sieht vor, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher „unverbindlich“ sind. Einzelheiten werden dem jeweiligen nationalen Recht überlassen. Wird also eine geltungserhaltende Reduktion einer Klausel dahingehend vorgenommen, dass sie in gerade noch zulässigem Umfang bestehen bleibt, so wird sie für den Verbraucher nicht unverbindlich, sondern bleibt teilverbindlich. Die Klausel-RL hat jedoch ausweislich ihres 21. Erwägungsgrundes das klare Ziel, missbräuchliche Klauseln zu eliminieren; dem Verwender soll jeglicher ungerechtfertigte 199 Vgl. etwa Nobbe, in: Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, S. 38, 53 ff.; H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 306 Rn. 34 ff. 200 Mit einer umgekehrten Akzentuierung allerdings MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 13, der von einer geltungserhaltenden Reduktion nur dann absehen will, wenn der Verstoß gegen die §§ 305 ff. BGB „ganz eindeutig oder klar erkennbar oder in quantitativ erheblichem Umfang“ gegeben ist. 201 Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 552 ff. 202 Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 557 ff. Ebenfalls auf subjektive Elemente abstellend, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 13. In diesem Sinne bereits Kötz, NJW 1979, 785, 789. 203 So H. Roth, JZ 1989, 411, 418; ders., Vertragsänderung, S. 36 f. 204 Vgl. MüKo-BGB / Basedow, § 306 Rn. 13. 205 Oben § 5 III. 2. (S. 60 ff.). 206 Unten § 23 III. 1. b) (S. 432 ff.).
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Vorteil aus der Klausel genommen werden. Zumindest für Verbraucherverträge verstößt eine so verstandene geltungserhaltende Reduktion daher gegen Gemeinschaftsrecht.207 Anderes kann für eine Reduktion auf einen angemessenen Inhalt gelten, sofern diese dazu dient, das Vertragsgefüge insgesamt zu erhalten, dies ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 HS. 2 Klausel-RL sowie aus dem 21. Erwägungsgrund: Die Unverbindlichkeit der Klausel soll nicht dazu führen, dass der Vertrag insgesamt hinfällig wird. Demnach kommt es entscheidend auf die Ausgestaltung der geltungserhaltenden Reduktion im Einzelnen an: Eine ausnahmsweise Rückführung der missbräuchlichen Klausel auf einen angemessenen Inhalt zur Vermeidung überschießender Folgen steht wohl nicht im Widerspruch zur Klauselrichtlinie. Ähnliche Argumente sprechen im Übrigen auch für die ergänzende Vertragsauslegung; diese dürfte zur Lückenfüllung gemeinschaftsrechtlich zulässig sein. 208 Zwar kann nicht schon argumentiert werden, die Vertragsauslegung falle von vornherein nicht in den Anwendungbereich der Klauselrichtlinie, denn aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist die gesamte Rechtsordnung eines Mitgliedstaates gemeinschaftskonform auszugestalten, so dass sich ein Richtlinienverstoß nicht nur aus den konkreten Umsetzungsnormen, sondern auch aus der Anwendung allgemeiner Vorschriften und Grundsätze ergeben kann. 209 Gleichwohl ist auch hier zu berücksichtigen, dass die Klauselrichtlinie nur missbräuchliche Bestimmungen eliminieren will, den Vertrag als solchen nach Art. 6 Abs. 1 HS. 2 Klausel-RL aber grundsätzlich schützt, „wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann“. Auch das Gemeinschaftsrecht erkennt den Grundsatz der Vertragsbindung (pacta sunt servanda) an. 210 Daraus folgt, dass das im Klauselvertrag verkörperte Äquivalenzverhältnis im Grundsatz gewahrt werden muss, dass also grobe Verwerfungen behoben werden können. Ob dies über eine ergänzende Vertragsauslegung geschieht oder eine geltungserhaltende Reduktion, ist nicht entscheidend.211
207 Reich, NJW 1995, 1857, 1860; Grabitz / Hilf / Pfeiffer, Art. 6 RL (EWG) 93/13 Rn. 7 (Stand: 1999); grundsätzlich offener Wolf, in: Wolf / Lindacher / Pfeiffer, Art. 6 RL Rn. 5, der aus dem Schutzzweck der Klauselrichtlinie eine Unverbindlichkeit nur insoweit sieht, als dies zur Entlastung des Verbrauchers vor dem missbräuchlichen Klauselinhalt erforderlich ist. 208 Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2195 f.; Grabitz / Hilf / Pfeiffer, Art. 6 RL (EWG) 93/13 Rn. 8 (Stand: 1999). 209 Grundlegend EuGH, 13.11.1990, Rs. C-106/89 – Marleasing, Slg. 1990, I-4135; siehe dazu etwa Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 338 ff. 210 EuGH, 16.6.1998, Rs. C-162/96 – Racke, Slg. 1998, I-3655 (Rn. 49); EuG, 25.5.2004, Rs. T-154/01 – Distilleria Palma / Kommission, Slg. 2004, II-1493 (Rn. 45). 211 In diese Richtung auch H. Roth, Vertragsänderung, S. 38, der indessen die geltungserhaltende Reduktion vorzieht.
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IV. Rechtsvergleichende Besonderheiten der Klauselkontrolle Die rechtsvergleichende Umschau kann an dieser Stelle knapp ausfallen. Sie kann die in Italien und England geltenden Umsetzungsgesetze der Klauselrichtlinie in der gebotenen Kürze behandeln, soweit hier keine Besonderheiten gegenüber den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben bestehen. Die allgemeine Klauselkontrolle hat zwar sowohl in Italien (unten 1.) als auch in England (unten 2.) durchaus Tradition, ist aber in beiden Ländern (in unterschiedlicher Weise) limitiert. PECL und DCFR enthalten bedeutsame Innovationen (unten 3.).
1. Italien: Vorreiter der Klauselkontrolle Als eines der wenigen Gesetze in Europa enthielt der italienische Codice civile bereits bei seinem Inkrafttreten im Jahre 1942 Vorschriften zum Schutz des Vertragspartners bei der Verwendung von AGB durch die noch heute gültigen Art. 1341, 1342 und 1370 c.c., die eine Einbeziehungskontrolle ermöglichen sowie den Grundsatz kundenfreundlicher Auslegung postulieren. 212 Der Klauselvertrag wird als Ausdruck der mangelnden Vertragsfreiheit des anderen Teils gesehen; dieser hat nur die Wahl, den Vertrag mit den AGB insgesamt anzunehmen oder abzulehnen.213 Aus dieser fehlenden Möglichkeit der Einflussnahme auf den Inhalt des Vertrags resultiert eine Schutzbedürftigkeit, die wiederum die besonderen Vorschriften der Art. 1341, 1342 c.c. rechtfertigt. Eine offene Inhaltskontrolle ist jedoch von der Rechtsprechung nur in Ansätzen vorgenommen worden, obwohl der Codice civile in Art. 1175 und 1349 c.c. durchaus § 242 BGB entsprechende Generalklauseln enthält. 214 Die Einführung einer echten Klauselkontrolle nach Vorbild des deutschen AGBG und den einschlägigen Teilen der französischen loi Scrivener215 wurde zwar diskutiert, 216 212 Dazu Bianca, Le condizioni generali di contratto; Bonell, ZVglRWiss 78 (1979), 1; Patti, JbItalR 10 (1997), S. 77, 78 ff.; Rausch, Das Recht der AGB in Italien, S. 29 ff. 213 Scarso, Contraente debole, S. 117 m.w.N. Zur Kritik an dieser Begründung oben § 8 II. 2. b) (S. 102 f.). 214 Vgl. Di Majo, Riv. dir. comm. 1970, I, 192; Cian, JbItalR 10 (1997), S. 55, 56 ff., auch zur Kritik der italienischen Literatur an dieser Rechtsprechung. Vereinzelt wurden Verträge aber kontrolliert, vgl. Rausch, Das Recht der AGB in Italien, S. 51 ff.; Kindler, Einführung in das italienische Recht, § 10 Rn. 26. Allgemein dazu Spoto, Il contratto e il potere correttivo del giudice, S. 71 ff. 215 Loi n° 78–23 du 10 janvier 1978 sur la protection et l’information des consommateurs de produits et services, J.O du 11 janvier 1978, 301. Die Klauselkontrolle war hier in den Art. 35–38 geregelt; sie sah lediglich die Möglichkeit des Verbots bestimmter missbräuchlicher Klauseln durch den Conseil d’Etat vor. Eine richterliche Inhaltskontrolle war nach dem Gesetz nicht möglich. 216 Eine Forschergruppe um Bianca hatte einen entsprechenden Gesetzesvorschlag ausgearbeitet: Bianca, Le condizioni generali di contratto, 1979 und 1981; dazu Jayme, IPRax 1982, 38.
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aber nicht umgesetzt. 217 Erst die Notwendigkeit der Umsetzung der EG-Klauselrichtlinie zwang den italienischen Gesetzgeber zum Handeln. Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen wurde jedoch nur eine Minimalumsetzung der Richtlinie vorgenommen, zunächst in den Art. 1469-bis ff. c.c. 218 In einer gegenläufigen Entwicklung zum deutschen Recht, das im Rahmen der Schuldrechtsreform die Integration von zumeist verbraucherorientierten Nebengesetzen in das BGB vorgenommen hat, war der italienische Gesetzgeber dann seinerseits bestrebt, die besonderen Vorschriften zum Schutze der Verbraucher in einer eigenen Kodifikation zusammenzufassen, dem Codice del consumo.219 Auch die Vorschriften zur Umsetzung der Klauselrichtlinie wurden aus dem Codice civile herausgelöst und in Art. 33 ff. Codice del consumo überführt, ohne dass damit grundlegende inhaltliche Änderungen verbunden wären. 220 a) Allgemeine Klauselverbote Art. 1341 Abs. 1 c.c. legt fest, dass Klauseln, die von einer Partei eingeführt werden, nur dann Vertragsbestandteil werden, wenn die andere Partei die Klauseln bei Vertragsschluss kennt oder bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt hätte kennen müssen. Damit wird eine scheinbar selbstverständliche Forderung der allgemeinen Regeln über den Vertragsschluss speziell für Allgemeine Geschäftsbedingungen präzisiert. Unabhängig davon verschärft Art. 1341 Abs. 2 c.c. die Einbeziehungsvoraussetzungen für bestimmte, dem anderen Teil typischerweise besonders gefährliche Klauseln, indem diese nur dann wirksam vereinbart werden können, wenn der andere Teil ihnen durch ausdrückliche Unterschrift zugestimmt hat (sog. „doppia firma“). Insbesondere betroffen sind davon Klauseln, die die Haftung des Schuldners für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken, 221 ihm ein einseitiges Recht zum Rücktritt222 oder zur Aussetzung der Vertragsdurchführung223 einräumen, also das Äquivalenzverhältnis betreffen. 217
Zum damaligen Rechtszustand auch Bonell, ZVglRWiss 78 (1979), 1. Vgl. dazu De Nova, Riv. dir. priv. 1996, 221; Cian, JbItalR 10 (1997), S. 55, 68; Patti, JbItalR 18 (2005), S. 3; Rausch, Das Recht der AGB in Italien, S. 76 ff., 88 ff.; Lühring, Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, S. 88 ff.; Herkenrath, Die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG, S. 75 ff.; Wurmnest, ZEuP 2004, 971. 219 Decreto legislativo Nr. 206 vom 6.9.2005. Codice del consumo, a norma dell’articolo 7 della legge 29 luglio 2003, n. 229, G.U. n. 235 vom 8.10.2005. Dazu Gebauer, JbItalR 20 (2007), S. 3; Omodei-Salé, ZEuP 2007, 785. 220 Näher Gebauer, JbItalR 20 (2007), S. 3, 6. 221 Art. 1229 c.c. verbietet auch in Individualverträgen einen Haftungsausschluss für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Für Verbraucherverträge enthält Art. 33 Abs. 2 lit. a Codice del consumo eine weitere Beschränkung für die Haftung wegen Verletzung von Leben oder Gesundheit. 222 Vgl. Art. 1373 c.c. 223 Vgl. Art. 1461 c.c. 218
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Umstritten war in der italienischen Lehre, ob die Aufzählung der Klauselverbote in Art. 1341 Abs. 2 c.c. abschließend oder nur beispielhaft ist, ob also eine Klausel immer dann, wenn sie für den anderen Teil nachteilig ist, zu ihrer Gültigkeit einer gesonderten Unterschrift bedarf. 224 Da die Vorschrift eine Einschränkung der grundsätzlich bestehenden Formfreiheit des Vertragsschlusses bedeutet, geht die weitaus überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass eine analoge Heranziehung auf andere als die genannten Klauseln nicht in Betracht kommt. 225 Dies hindert jedoch nicht an einer weiten Auslegung der einzelnen in Art. 1341 Abs. 2 c.c. gesetzlich geregelten Klauselverbote. 226 Der durch die Einbeziehungskontrolle des Art. 1341 c.c. gewährte Schutz vor unangemessenen Klauseln wurde vielfach als unzureichend angesehen, zumal eine echte Inhaltskontrolle dieser Klauseln nicht stattfindet. Verschiedentlich wurde daher versucht, über die verfassungsrechtliche Sozialbindung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit aus Art. 41 Abs. 2 Cost. eine stärkere Kontrolle der Formularverträge zu erreichen.227 Demgegenüber lehnt die überwiegende Meinung eine Direktwirkung der Verfassungsnorm auf privatrechtliche Verträge ab. 228 Vielmehr bedürfe es erst einer Konkretisierung durch eine einfachgesetzliche Vorschrift, wie dies auch Art. 41 Abs. 3 Cost. vorsehe. 229 b) Spezielle Klauselverbote in Verbraucherverträgen Für Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern enthalten die Art. 33 ff. Codice del consumo in Umsetzung der Klauselrichtlinie eine spezielle Klauselkontrolle. Diese besteht aus drei verschiedenen Elementen: Einer „schwarzen Liste“ von Klauseln, die auch dann nichtig sind, wenn sie Gegenstand individueller Verhandlungen waren (Art. 36 Abs. 2 Codice del consumo), einer „grauen Liste“ von Klauseln, bei denen die Missbräuchlichkeit vermutet wird (Art. 33 Abs. 2 Codice del consumo) und schließlich der Generalklausel des Art. 33 Abs. 1 Codice del consumo. Die allgemeine Klauselkontrolle des Codice civile besteht neben den speziellen, verbraucherrechtlichen Instrumen-
224
Vgl. die Nachweise bei Scarsco, Contraente debole, S. 125 ff. Vgl. Cass., 7.2.2003, n. 1833, Rep. Foro it., 2003, voce „contratto in genere“, n. 329 sowie aus der Literatur Bianca, Il contratto, S. 354; Scarsco, Contraente debole, S. 125; Patti, JbItalR 10 (1997), S. 77, 80; Kindler, Einführung in das italienische Recht, § 10 Rn. 21. 226 Cass., 19.3.2003, n. 4036, Rep. Foro it. 2003, voce „Contratto in genere“, n. 328; Bianca, Il contratto, S. 354 f. m.w.N. 227 Zahlreiche Nachweise dazu finden sich bei Scarso, Contraente debole, S. 133 mit Fn. 76. 228 Mengoni, JbItalR 10 (1997), S. 29, 32; Cass., 29.5.1993, n. 6031, Foro it., 1993, I, 1794 (Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitsrecht). Zur Einwirkung des Verfassungsrechts auf das Privatrecht auch unten § 17 (S. 287 ff.). 229 Cass., 17.5.1996, n. 4570, Foro it., 1996, I, 1989. 225
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ten fort, sofern sie für den Verbraucher günstigere Regelungen enthält (Art. 38 Codice del consumo sowie Art. 1469-bis c.c. n.F.). 230 Die so genannte „graue Liste“ in Art. 33 Abs. 2 Codice del consumo übernimmt mit geringfügigen Änderungen die Liste mit indikativen Klauselverboten aus dem Anhang der Klauselrichtlinie. 231 Diese dienen aber nicht lediglich als Illustration, vielmehr wird die Missbräuchlichkeit bei der Verwendung dieser Klauseln vermutet. Art. 33 Abs. 2 Codice del consumo lässt aber ausdrücklich den Beweis des Gegenteils zu: Der Unternehmer kann im Einzelfall nachweisen, dass keine gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßende Benachteiligung des Verbrauchers vorliegt. Hierbei kommt es auf den Vertragsgegenstand, die Umstände des Vertragsschlusses und die weiteren Regelungen des Vertrags an (Art. 34 Abs. 1 Codice del consumo); stellen diese Umstände einen Ausgleich für die unter die „graue Liste“ fallende Klausel dar, so ist jene gleichwohl wirksam. 232 Einen Wertungsspielraum enthalten insbesondere die Bestimmungen in Art. 33 Abs. 2 lit. f und o Codice del consumo, die Vertragsstrafenabreden bzw. Preisanpassungsklauseln regeln und den Klauseln Nr. 1 lit. e und Nr. 1 lit. l des Anhangs der Klauselrichtlinie entsprechen.233 Für bestimmte, als besonders gefährlich angesehene Klauseln wird in Art. 36 Abs. 2 Codice del consumo unabhängig von einer Missbräuchlichkeit im Einzelfall die Nichtigkeit angeordnet. Dabei handelt es sich um Haftungsbeschränkungsklauseln für Personenschäden, die durch eine Handlung des Unternehmers am Verbraucher verursacht werden (lit. a) und für Einschränkungen der Rechtsbehelfsmöglichkeiten des Verbrauchers im Fall der Nicht- oder Schlechterfüllung durch den Unternehmer (lit. b) sowie um Klauseln, die eine Einbeziehung auch solcher Klauseln fingieren, von denen der Verbraucher keine Kenntnisnahmemöglichkeit hatte (lit. c). Diese „schwarze Liste“ von missbräuchlichen Klauseln wiederholt nahezu wörtlich 234 die bereits in der „grauen Liste“ des Art. 33 Abs. 2 lit. a, b und l Codice del consumo aufgeführten Klauseln und enthält keine Wertungsmöglichkeit; sie können auch nicht individualvertrag230 Nach einem Urteil der Corte costituzionale liegt in der Beschränkung auf Verbraucherverträge keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung insbesondere von Kleinunternehmern: Urt. v. 22.11.2002, n. 469, Foro it., 2003, I, 332; hierzu Capilli, Contratti, 2003, 655; Roppo, ERCL 2005, 273, 282 f. Zur Frage, wie auch Unternehmer in den Genuss eines weitergehenden Schutzes vor unangemessenen Vertragsbedingungen kommen können, etwa durch Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Art. 9 l. 192/98 (dazu oben § 6 I. 4. c) insbesondere Volpe, La giustizia contrattuale, S. 167. 231 Dazu Scarso, Contraente debole, S. 149 ff.; Volpe, La giustizia contrattuale, S. 101 ff.; Herkenrath, Die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG, S. 140 ff.; Lühring, Missbräuch liche Klauseln in Verbraucherverträgen, S. 88 ff.; Baier, Europäische Verbraucherverträge und missbräuchliche Klauseln, S. 113 ff. 232 Roppo, Il contratto, S. 916. 233 Dazu bereits oben I. 2. b) dd) (S. 111 f.). 234 Zur möglichen Relevanz der marginalen Unterschiede Cian, JbItalR 10 (1997), S. 55, 63 f.
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lich vereinbart werden.235 Diese Doppelung wird überwiegend kritisiert; sie ist dahingehend aufzulösen, dass die in Art. 36 Abs. 2 Codice del consumo genannten Klauseln stets nichtig sind, ein Entlastungsbeweis des Unternehmers im Sinne des Art. 33 Abs. 2 Codice del consumo daher hier ausscheidet. 236 Auch solche Klauseln, die nicht in den beiden Klauselkatalogen aufgeführt werden, können missbräuchlich und damit nichtig sein, wenn sie „malgrado la buona fede, determinano a carico del consumatore un significativo squilibrio dei diritti e degli obblighi derivanti dal contratto“ (Art. 33 Abs. 1 Codice del consumo). Damit hat der italienische Gesetzgeber die Generalklausel aus Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL nahezu wörtlich übernommen, dabei aber eine sprachliche Ungenauigkeit, die bei der ursprünglichen Umsetzung in den Codice civile unterlaufen war, auch bei der Neufassung nicht behoben: In der nun auch in den Codice del consumo übernommenen Fassung scheint eine Klausel dann anstößig (vessatoria) zu sein, wenn sie das Missverhältnis „trotz [malgrado] des Erfordernisses des guten Glaubens“ herbeiführt. 237 Indessen kommt es gerade nicht auf den guten Glauben des Verwenders hinsichtlich der Angemessenheit der Klausel an, sondern auf eine objektiv bestehende Treuwidrigkeit der Bestimmung; die Norm wird allgemein in diesem Sinne korrigierend ausgelegt. 238 In diesem Sinne verstanden übernimmt das italienische Recht die Angemessenheitskontrolle der Klauselrichtlinie, die eine Gesamtabwägung der Umstände vorsieht. 239 Entscheidend ist, ob die Klausel zu Lasten des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis (significativo squilibrio) der vertraglichen Rechte und Pflichten bewirkt. Mag daher die einzelne Klausel für den Verbraucher belastend sein, sofern ein Ausgleich durch eine andere Klausel erfolgt, so kann die Bestimmung dennoch wirksam sein. Mit in die Abwägung einzubeziehen sind nach Art. 34 Abs. 1 Codice del consumo der Vertragsgegenstand und die Umstände des Vertragsschlusses. c) Rechtsfolgen Die missbräuchliche Klausel ist nichtig (nulla), Art. 36 Abs. 1 Codice del consumo; die Nichtigkeit kann von Amts wegen festgestellt werden, ohne dass sich der Verbraucher eigens darauf berufen müsste (Art. 36 Abs. 3 Codice del consumo). Dies scheint angesichts der eindeutigen Formulierung der Nichtigkeits235
Dazu Cian / Trabucchi / Zaccaria, 7. Aufl. 2005, Art. 1469–quinquies Anm. II.1 ff. Cian, JbItalR 10 (1997), S. 55, 63 f.; Herkenrath, Die Umsetzung der Richtlinie 93/13/ EWG, S. 140; Baier, Europäische Verbraucherverträge und missbräuchliche Klauseln, S. 117 f. m.w.N. 237 Kritisch etwa Rizzo, Rass. dir. civ., 1996, 497; Patti, JbItalR 10 (1997), S. 77, 81; Cian, JbItalR 10 (1997), S. 55, 62. 238 Patti, in: New Features in Contract Law, S. 363, 369 ff.; Herkenrath, Die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG, S. 125 ff. 239 Dazu bereits oben I. 2. b) (S. 109 ff.). 236
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folge in Art. 36 Abs. 1 Codice del consumo selbstverständlich. Gleichwohl wird die Regelung in Abs. 3 so verstanden, dass die Initiative zur Unwirksamerklärung einer Klausel vom Verbraucher als der geschützten Partei ausgehen muss oder vom Richter ex officio,240 dass aber der Unternehmer sich niemals auf die Nichtigkeit einer von ihm gestellten Klausel berufen kann.241 Die Nichtigkeit einer Klausel darf nur zum Vorteil des Verbrauchers (soltanto a vantaggio del consumatore) eintreten. Der Vertrag im Übrigen bleibt – entgegen der Grundregel des Art. 1419 c.c. – wirksam (Art. 36 Abs. 1 Codice del consumo). 242 Die Lücke wird nach der allgemeinen Vorschrift des Art. 1374 c.c. zunächst durch dispositives Gesetzesrecht gefüllt. Die Nichtigkeit tritt nach dem Wortlaut des Art. 36 Abs. 1 Codice del consumo unabhängig davon ein, ob der Restvertrag noch eine sinnvolle Regelung enthält. 243 Dies kann insbesondere bei intransparenten Klauseln dazu führen, dass der Vertrag seiner essentialia negotii beraubt wird. 244 In diesem Falle sind nach Art. 1374 c.c. die allgemeinen Verkehrsgebräuche (usi) heranzuziehen; notfalls ist die Entscheidung nach Billigkeit (equità) zu treffen. Nachdem eine echte Inhaltskontrolle außerhalb des Verbraucherrechts nicht vorgesehen ist, sondern nach den allgemeinen Regeln vielmehr nur manche als besonders gefährlich angesehene Klauseln einer Einbeziehungskontrolle unterworfen werden, wird auch verständlich, dass das Problem der geltungserhaltenden Reduktion im italienischen Recht soweit ersichtlich nicht diskutiert wird.245 Vielmehr wird bewusst in Kauf genommen, dass das ursprünglich zugunsten des Verwenders ausgestaltete Vertragsgefüge durch den Wegfall der „lästigen“ Klausel nun zugunsten des Verbrauchers ausfällt.246
2. England: Vorrang der Vertragsfreiheit Das englische Recht geht vom Grundsatz der Nichtintervention der Gerichte in Bezug auf den Inhalt vertraglicher Vereinbarungen aus: Die traditionelle Haltung wird treffend in der Worten von Lord Jessel M.R. wiedergegeben:
240 Eine Klauselkontrolle ex officio ist aus Sicht des Gemeinschaftsrechts geboten, vgl. EuGH, 26.10.2006, Rs. C-168/05 – Mostaza Claro, Slg. 2006, I-10421 (Rn. 38); EuGH, 4.6.2009, Rs. C-243/08 – Pannon, NJW 2009, 2367 (Rn. 32). 241 Roppo, Il contratto, S. 919. 242 Art. 1469–quinquies Abs. 1 c.c. a.F. sah noch die Unwirksamkeit (inefficacia) missbräuchlicher Klauseln vor. Diese Terminologie wurde als unnötig verwirrend kritisiert, denn ein inhaltlicher Unterschied im Vergleich zur nullità war nicht beabsichtigt, dazu Roppo, Il contratto, S. 918. 243 Kritisch dazu Cian, JbItalR 10 (1997), S. 55, 64 f. 244 Alpa, Riv. trim. dir. proc. civ., 1999, 1173, 1186. 245 Vgl. auch Kindler, Einführung in das italienische Recht, § 10 Rn. 21. 246 Roppo, Il contratto, S. 918.
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„[I]f there is one thing more than another which public policy requires it is that men of full age and competent understanding shall have the utmost liberty of contracting, and that their contracts when entered into freely and voluntarily shall be held sacred and shall be enforced by the Courts of justice.“247
Der Vertragsfreiheit soll dadurch zur größtmöglichen Geltung verholfen werden. Eine Ausnahme wurde teilweise befürwortet für den Fall des „fundamental breach“: War dem Verwender eine wesentliche Vertragsverletzung anzulasten, so konnte er sich danach auf eine entsprechende Entlastungsklausel im Vertrag nicht berufen. Diese Auffassung konnte sich jedoch nicht allgemein durchsetzen.248 Die allgemeinen Regeln des Vertragsschlusses wurden dahingehend präzisiert, dass AGB nur dann Bestandteil des Vertrags werden, wenn der Verwender das im jeweiligen Einzelfall Angemessene unternimmt, um den Kunden auf die Klauseln hinzuweisen.249 Vereinzelt schufen die Gerichte jedoch angesichts überhand nehmender, einseitig zugunsten der Verwender ausgestalteter Klauselverträge Abhilfe, indem sie unübliche oder übermäßig belastende Klauseln als nicht in den Vertrag einbezogen behandelten. 250 Eine echte Inhaltskontrolle wurde bereits mit dem Unfair Contract Terms Act 1977 geschaffen (unten a). Wie in Italien zwang die Pflicht zur Umsetzung der Klauselrichtlinie auch den englischen Gesetzgeber zum erneuten Tätigwerden: Anstatt das bestehende Gesetz zu modifizieren, wurden die Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1994 geschaffen, was zu einem komplizierten Nebeneinander verschiedener Regelungen führt (unten b). 251 a) Allgemeine Klauselkontrolle Mit dem Unfair Contract Terms Act 1977 (UCTA 1977)252 wurde im englischen Recht erstmals eine gesetzliche Grundlage für die inhaltliche Überprüfung von AGB geschaffen. 253 Der UCTA 1977 ist dabei zwar vorrangig, aber nicht aus247
Printing and Numerical Registering Co. v. Sampson (1875) L.R. 19 Eq. 462, 465. Grundlegend Suisse Atlantique Société d’Armement Maritime SA v. N.V. Rotterdamsche Kolen Centrale [1967] 1 AC 361, 431 ff. (Lord Wilberforce). Vgl. auch die Nachweise bei Guest, in: Chitty on Contracts, Rn. 14–020 ff. 249 Vgl. dazu Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 7–005 ff.; von Hippel, RabelsZ 41 (1977), 237, 274. 250 Vgl. etwa Interfoto Picture Library v. Stiletto Visual Programmes Ltd. [1989] QB 433, 438 f., CA (Dillon LJ). 251 Die Law Commission hat sich zusammen mit der Scottish Law Commission im Jahre 2005 für eine Vereinheitlichung der beiden Instrumente und die Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs über Verbraucherverträge hinaus ausgesprochen (Report No. 292: Unfair Terms in Contracts); zum vorgehenden Consultation Paper (Law Commission No. 166, 2002) Beale, Journal of Consumer Policy 2004, 289. 252 1977 c.50, in Kraft getreten am 1.2.1978. 253 Dazu Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 7–049 ff.; Smith, Atiyah’s Introduction to the Law of Contract, S. 313 ff.; Guest, in: Chitty on Contracts, Rn. 14–059 ff.; Tilmann, Die Klauselrichtlinie 93/13/EWG, S. 28 ff.; Baier, Europäische Verbraucherverträge und miss248
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schließlich ein verbraucherschützendes Gesetz: Jede einzelne Norm legt ihren persönlichen Anwendungsbereich eigens fest; als Verbraucher können dabei grundsätzlich auch juristische Personen angesehen werden.254 Der UCTA 1977 enthält zwei verschiedene Kontrollmechanismen, die sich jedoch beide nur auf Haftungsfreizeichnungsklauseln (exemption clauses) beziehen: Bestimmte, im Gesetz einzeln normierte Klauseln sind per se unwirksam, bei anderen besteht nur eine dahingehende Vermutung, die durch den so genannten „reasonableness-test“255 entkräftet werden kann. Zur ersten Gruppe gehören etwa Klauseln, mit denen die Haftung für fahrlässig verursachte Schäden an Personen eingeschränkt oder ausgeschlossen wird (s. 2 (1) UCTA 1977). 256 Im Hinblick auf die Haftung für Vermögensschäden lässt s. 2 (2) UCTA 1977 jedoch eine Beschränkung zu, sofern sie „reasonable“ ist. Fällt die Klausel in den Anwendungbereich einer Kontrollnorm des UCTA 1977, so wird ihre Unzulässigkeit vermutet;257 es kommt dem Verwender zu, die „reasonableness“ der Bestimmung nachzuweisen (s. 11 (5) UCTA 1977). Das Erfordernis der „reasonableness“ einer Klausel definiert s. 11 (1) UCTA 1977 dahin, dass „the term shall have been a fair and reasonable one to be included having regard to the circumstances which were, or ought reasonably to have been, known to or in the contemplation of the parties when the contract was made“. Für den limitierten Anwendungsbereich des UCTA 1977 kommt der „reasonableness-test“ einer Generalklausel gleich; die weite Formulierung ist in hohem Maße ausfüllungsbedürftig. S. 11 UCTA 1977 und insbesondere die als Anhang beigefügte Schedule 2 zum UCTA 1977258 geben zwar gewisse Anbräuchliche Klauseln, S. 128 ff.; Heine, Die Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln, S. 64 ff. 254 Dazu Guest, in: Chitty on Contracts, Rn. 14–066; Herkenrath, Die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG, S. 63 f. 255 Der Begriff „reasonable“ kann im vorliegenden Zusammenhang mit angemessen übersetzt werden. Ebenso zur reziproken Übersetzung der „Angemessenheit“ in § 307 Abs. 1 BGB Whittaker, in: Chitty on Contracts, Rn. 15–065 mit Fn. 317. Siehe zu einem abweichenden Verständnis der reasonableness auch unten § 18 III. 3. (S. 342 ff.). 256 Vgl. zu den erfassten Klauseln Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 7–062 ff. 257 Guest, in: Chitty on Contracts, Rn. 14–088. 258 Schedule 2 zu s. 11 (2) UCTA 1977 lautet: „‚Guidelines‘ for Application of Reasonableness Test. The matters to which regard is to be had in particular for the purposes of sections 6(3), 7(3) and (4), 20 and 21 are any of the following which appear to be relevant – (a) the strength of the bargaining positions of the parties relative to each other, taking into account (among other things) alternative means by which the customer’s requirements could have been met; (b) whether the customer received an inducement to agree to the term, or in accepting it had an opportunity of entering into a similar contract with other persons, but without having a similar term; (c) whether the customer knew or ought reasonably to have known of the existence and the extent of the term (having regard, among other things, to any custom of the trade and any previous course of dealing between the parties); (d) where the term excludes or restricts any relevant liability if some condition was not complied with, whether it was reasonable at the time of the contract to expect that compliance with that condition would be
§ 9. Die Struktur der Klauselkontrolle
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haltspunkte für die Konkretisierung, etwa bei einer Haftungsbeschränkung die Frage, inwieweit der Verwender finanziell zur Deckung eines etwa eintretenden Schadens in der Lage sein würde oder ob das Risiko versicherbar ist (s. 11 (4) UCTA 1977). 259 Diese Kriterien sind jedoch nicht abschließend:260 Es können sämtliche Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden; die „reasonableness“ der Klausel ist folglich in jedem Einzelfall durch eine Gesamtabwägung zu bestimmen. 261 b) Die Umsetzung der Klauselrichtlinie Im Rahmen der Umsetzung der Klauselrichtlinie nahm der englische Gesetzgeber – offensichtlich aus Zeitgründen262 – davon Abstand, den UCTA 1977 zu modifizieren. Stattdessen wurden die Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1994 (UTCR 1994) erlassen.263 Diese wurden später ersetzt durch die Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1999 (UTCR 1999),264 die als wesentliche Änderung zu den UTCR 1994 die Einführung eines abstrakten Klauselkontrollverfahrens brachten. 265 Beide Instrumente halten sich sehr eng an den Wortlaut der Klauselrichtlinie; sie treten neben den weiterhin geltenden UCTA 1977 und die richterrechtlichen Institute. 266
practicable; (e) whether the goods were manufactured, processed or adapted to the special order of the customer.“ Zur Rolle dieser Gesichtspunkte Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 7–078 ff.; Heine, Die Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln, S. 81 ff. 259 So etwa in Smith v. Eric S. Bush (a firm), Harris v. Wyre Forest DC [1990] 1 AC 831, 858 f., HL (Lord Griffiths). 260 Im Fall Overseas Medical Supplies Ltd. v. Orient Transport Services Ltd. [1999] 2 Lloyd’s Rep. 273, 276 ff. (Potter LJ) wurden zusätzlich zu den in Schedule 2 genannten (beispielhaft) sieben weitere Gesichtspunkte angeführt, die bei der Prüfung der „reasonableness“ Berücksichtigung finden können. 261 Vgl. Smith v. Eric S. Bush (a firm), Harris v. Wyre Forest DC [1990] 1 AC 831, 858, HL (Lord Griffiths); Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 7–079 f. m.w.N.; Guest, in: Chitty on Contracts, Rn. 14–092 ff. (Rechtsprechungsübersicht); Heine, Die Umsetzung der EGRichtlinie über missbräuchliche Klauseln, S. 78 ff. 262 Dazu Beatson, ZEuP 1998, 957, 960. 263 SI 1994 No. 3159. Es handelt sich dabei um ein von der Exekutiven als delegated legislation erlassenes statutory instrument. Kompetenzgrundlage dafür ist s. 2 (2) European Communities Act 1972. 264 SI 1999 No. 2083. 265 Zur Entstehungsgeschichte Whittaker, in: Chitty on Contracts, Rn. 15–004 ff.; Smith, Atiyah’s Introduction to the Law of Contract, S. 317; Sobich, RIW 2000, 675; Heine, Die Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln, S. 10 ff.; Herkenrath, Die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG, S. 73 f. 266 Kritisch dazu Beatson, ZEuP 1998, 957, 961, der aufgrund des Fortbestehens des UCTA 1977 von einer intransparenten und damit nicht richtlinienkonformen Rechtslage in England ausgeht; ebenso Herkenrath, Die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG, S. 185.
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Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten
Kern der gesetzlichen Regelung ist reg. 5 (1) UTCR 1999, der wörtlich mit Art. 3 Abs. 1 der englischen Fassung der Klauselrichtlinie übereinstimmt und wie folgt lautet: „A contractual term which has not been individually negotiated shall be regarded as unfair if, contrary to the requirement of good faith, it causes a significant imbalance in the parties’ rights and obligations arising under the contract, to the detriment of the consumer.“
Während die Vorgängerregelung der UTCR 1994 noch in Schedule 2 eine Präzisierung der dem englischen Recht wenig vertrauten Begriffe von Treu und Glauben 267 enthalten hatte, die aus dem 16. Erwägungsgrund der Klauselrichtlinie übernommen wurde, verzichtet die Neufassung auf deren Wiedergabe. Dies mochte seinen Grund darin gehabt haben, dass sich der Rechtsverkehr in der Zwischenzeit an den Umgang mit der neuen Generalklausel gewöhnt zu haben schien; eine inhaltliche Änderung wurde mit der Streichung indes nicht beabsichtigt. 268 Das House of Lords hat den Begriff „good faith“ als „one of fair and open dealing“ beschrieben.269 Diese Definition hat zwei Dimensionen: Die eine kommt dem Transparenzgebot nahe; der Verwender soll die Klauseln so formulieren, dass keine versteckten Fallen darin enthalten sind und dass besonders nachteilige Klauseln deutlich hervorgehoben werden. 270 Die zweite hat einen materiellen Gehalt: Der Verwender darf nicht seine wirtschaftlich, sozial oder sonst überlegene Position zur einseitigen Durchsetzung seiner Interessen missbrauchen.271 Die Parallelen zum „reasonableness-test“ des UCTA 1977 sind deutlich, 272 auch wenn beide Institute formal noch auseinander gehalten werden. 273 Der UTCR 1999 enthält einen Anhang mit einer wörtlichen Wiedergabe der Grauen Liste aus dem Anhang der Klauselrichtlinie; auch im englischen Recht kommt dieser Liste nach reg. 5 (5) UTCR 1999 nur indikativer Charakter zu. Gleichwohl spricht bei Vereinbarung einer darin aufgeführten Klausel eine tatsächliche Vermutung für ihre Unangemessenheit.274 In Bezug auf die bei der 267
Dazu näher § 22 III. 2. (S. 412 ff.). Vgl. Whittaker, in: Chitty on Contracts, Rn. 15–067 mit Fn. 323; Sobich, RIW 2000, 675, 676 f.; ähnlich im Ergebnis auch Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 7–102 mit Fn. 562. 269 Director General of Fair Trading v. First National Bank plc [2002] 1 AC 481, 494. Zur Entscheidung eingehend Whittaker, ZEuP 2004, 75, 77 ff. 270 Einzig auf diesen Aspekt abstellend: Smith, Atiyah’s Introduction to the Law of Contract, S. 323 f. 271 Director General of Fair Trading v. First National Bank plc [2002] 1 AC 481, 494 (Lord Bingham). 272 Whittaker, in: Chitty on Contracts, Rn. 15–067 und 15–090; Beatson, ZEuP 1998, 957, 963 ff.; ähnlich Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 7–102. 273 Nachweise bei Sobich, RIW 2000, 675, 677. 274 Whittaker, in: Chitty on Contracts, Rn. 15–091 spricht von einer „forensic presumption of unfairness“. 268
§ 9. Die Struktur der Klauselkontrolle
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Inhaltskontrolle zu berücksichtigenden Kriterien gibt reg. 6 (1) UTCR 1999 die Vorgaben der Klauselrichtlinie wieder. c) Rechtsfolgen Eine Klausel, die einem der Verbotstatbestände des UCTA 1977 unterfällt oder als missbräuchlich nach reg. 5 UTCR 1999 anzusehen ist, ist nichtig: Der Vertrag wird behandelt, als sei die betreffende Klausel nicht darin enthalten. 275 Die Formulierung „shall not be binding“ in reg. 8 (1) UTCR 1999 lehnt sich an die entsprechende Formulierung in Art. 6 Abs. 1 Klauselrichtlinie an; in der Sache meint sie ebenfalls die Nichtigkeit der Klausel.276 Der Rest des Vertrags bleibt hingegen sowohl nach UCTA 1977277 als auch nach reg. 8 (2) UTCR 1999 wirksam. Nachdem der UCTA 1977 nur Haftungsbeschränkungsklauseln erfasst, stellt sich dort die Frage der geltungserhaltenden Reduktion nicht so sehr, da die Eliminierung der Klausel auf die Wirksamkeit des Vertrags im Übrigen keinen Einfluss hat. Die geltungserhaltende Teilung oder Reduktion einer Klausel kommt grundsätzlich nicht in Betracht. 278 Anderes gilt wegen deren weiterem sachlichen Anwendungsbereich für der UTCR 1999 unterfallende Klauseln: Insbesondere im Falle der unwirksamen Preisnebenabreden stellt sich die Frage, ob am Vertrag insgesamt festgehalten werden kann. Die Meinungen gehen hier auseinander; vorgeschlagen wird insbesondere, dass ein „reasonable price“ zu bezahlen sei. 279 Andere gehen in diesem Fall in Anwendung von reg. 8 UTCR 1999 (der Art. 6 Abs. 1 Klauselrichtlinie entspricht) davon aus, dass der Vertrag im Zweifel im Ganzen unwirksam ist. 280
3. Das Anfechtungsmodell der PECL und die konventionelle Lösung des DCFR Die PECL regeln das Recht der missbräuchlichen AGB (unfair terms) in Art. 4:110 PECL. 281 Diese Vorschrift ist tatbestandlich sehr eng an Art. 3 Abs. 1, 4 Klausel-RL angelehnt, greift aber im Unterschied dazu nicht nur bei Verbrau275
Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 7–112. Herkenrath, Die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG, S. 154. 277 Heine, Die Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln, S. 65. 278 So in der Tendenz George Mitchell (Chesterhall) Ltd. v. Finney Lock Seeds Ltd. [1983] 2 AC 803, 816, HL (Lord Bridge) (noch zu s. 55 Sale of Goods Act 1979). Die geltungserhaltende Reduktion nicht kategorisch ausschließend auch Guest, in: Chitty on Contracts, Rn. 14–102. 279 Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 7–113. 280 So im Ergebnis Whittaker, in: Chitty on Contracts, Rn. 15–124. 281 Art. 4:110 PECL lautet: „Unangemessene Bedingungen, die nicht individuell ausgehandelt wurden. (1) Eine Partei kann eine Bedingung, die nicht individuell ausgehandelt 276
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Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten
chergeschäften, sondern ist auf sämtliche Verträge anwendbar. 282 Auch der DCFR regelt nicht nur Verbraucherverträge; er enthält im Unterschied zu den PECL sogar drei verschiedene Maßstäbe für einen „unfair term“ je nachdem, ob er von einem Unternehmer gegenüber einem Verbraucher gestellt wird oder ob er in einem Vertrag zwischen zwei Nichtunternehmern bzw. zwei Unternehmern enthalten ist, Art. II.-9:404 ff. DCFR. 283 a) Wesentliches Ungleichgewicht vertraglicher Rechte und Pflichten Eine Kontrolle von Klauseln, die Hauptleistungspflichten zum Gegenstand haben, findet nicht statt, es sei denn, die betreffende Bestimmung verstößt gegen das Transparenzgebot, Art. 4:110 Abs. 2 lit. a PECL. Auch die wertmäßige Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung wird nicht überprüft, Art. 4:110 Abs. 2 lit. b PECL. Zentrales Kriterium für die Missbräuchlichkeit einer nicht individuell ausgehandelten Klausel ist für die PECL das wesentliche Ungleichgewicht vertraglicher Rechte und Pflichten, das wegen der Verwandtschaft zur Klauselrichtlinie gleich wie Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL auszulegen ist. 284 Dabei kann es sich einerseits um eine ungerechtfertigte wirtschaftliche Belastung des anderen Teils durch die Klausel handeln, andererseits aber auch um eine rechtliche Benachteiligung. 285 Dies soll nach der im Kommentar zu den PECL so genannten „Spiegelbildregel“ dann der Fall sein, wenn die Klausel einer Partei Rechte verleiht, der anderen aber nicht. 286 Wie nach dieser Maßgabe eine Klausel der Kontrolle standhalten soll, bleibt fraglich, denn es liegt in der Natur der Sache, dass der Verwender in seinen AGB Rechte des anderen Teils einschränkt oder ihm Pflichten auferlegt. Die „Spiegelbildregel“ kann daher nur dann sinnvolle Ergebnisse liefern, wenn nicht nur eine einzelne Klausel betrachtet wird, sondern der gesamte Regelungskomplex. Die Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise ergibt sich indirekt aus Art. 4:110 Abs. 1 PECL, wonach auch alle anderen Bedingungen des Vertrags mit in die wurde, anfechten, wenn sie entgegen den Geboten von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs zu einem wesentlichen Ungleichgewicht der vertraglichen Rechte und Pflichten zum Nachteil dieser Partei führt, wobei die Natur der nach dem Vertrag zu erbringenden Leistung, alle anderen Bedingungen des Vertrages und die Umstände zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu berücksichtigen sind. (2) Dieser Artikel findet keine Anwendung auf: (a) eine Bedingung, die den Hauptgegenstand des Vertrages bestimmt, sofern die Bedingung in einfacher und verständlicher Sprache abgefaßt ist; oder (b) die wertmäßige Angemessenheit der Verpflichtungen der einen Partei im Vergleich mit dem Wert der Verpflichtungen der anderen Partei.“ 282 Vgl. Kommentar A zu Art. 4:110 PECL. 283 Dazu Pfeiffer, in: Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law, S. 177. 284 Vgl. ausdrücklich Anmerkung Nr. 3 zu Art. 4:110 PECL; zur Klauselrichtlinie bereits oben I. 2. b) (S. 109 ff.). 285 Vgl. Kommentar G zu Art. 4:110 PECL. 286 Vgl. wiederum Kommentar G zu Art. 4:110 PECL.
§ 9. Die Struktur der Klauselkontrolle
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Prüfung einzubeziehen sind. Zur Konkretisierung des Begriffs des wesentlichen Ungleichgewichts enthalten die PECL nur vage Anhaltspunkte. Auf eine „Graue Liste“ nach dem Vorbild der Klauselrichtlinie wurde verzichtet, da es wegen der Vielzahl der im Handelsverkehr anzutreffenden Fallgestaltungen unmöglich erschien, eine solche Liste zusammenzustellen. 287 Stattdessen wird im Kommentar zu Art. 4:110 PECL auf die „Graue Liste“ der Klauselrichtlinie verwiesen, von der sich der Rechtsanwender „inspirieren lassen“ könne. 288 Auch der DCFR folgt dem Vorbild der Klauselrichtlinie. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass dessen Anwendungsbereich nicht auf Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern beschränkt ist. Um den zwischen den verschiedenen Anwendungsbereichen der Klauselkontrolle bestehenden Interessenunterschieden gerecht zu werden, finden sich drei Differenzierungen im Missbräuchlichkeitsmaßstab: Während Art. 3 Abs. 1 KlauselRL an ein durch die Klausel hervorgerufenes „significant imbalance in the parties’ rights and obligations arising under the contract, to the detriment of the consumer“ anknüpft, ist nach Art. II.-9:404 DCFR erforderlich, dass die Klausel „significantly disadvantages the consumer“. Inhaltlich dürfte damit keine Änderung des Kontrollmaßstabs beabsichtigt sein. Daneben unterscheidet der DCFR Verträge zwischen Unternehmern von anderen Verträgen. Handelt es sich um einen Vertrag zwischen Parteien, die keine Unternehmer sind („nonbusiness parties“), dann ist eine Klausel nur dann („only“) missbräuchlich, wenn sie „significantly disadvantages the other party“, Art. II.-9:405 DCFR. Der Maßstab unterscheidet sich damit nicht von einem Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. Im Gegensatz dazu ist eine Klausel in einem Vertrag zwischen Unternehmern nur dann missbräuchlich, wenn „its use grossly deviates from good commercial practice, contrary to good faith and fair dealing“, Art. II.-9:406 DCFR. Eine unfaire Benachteiligung des Vertragspartners scheint danach nicht erforderlich zu sein, solange nur eine extreme Abweichung von den einschlägigen Handelsbräuchen gegeben ist. Im Vergleich zu den beiden vorstehenden Vorschriften wurde damit wohl eine Senkung der Prüfungsintensität bei der Klauselkontrolle beabsichtigt. Zwingend erscheint das jedoch nicht. Näher liegt die Annahme, dass auch bei Verträgen zwischen Unternehmern eine Benachteiligung des anderen Teils durch die Klausel gegeben sein muss und dass diese regelmäßig dann vorliegt, wenn von Handelsbräuchen, die als Maßstab für eine generell ausgeglichene Berücksichtigung der Interessen beider Parteien stehen, wesentlich abgewichen wird. 289 Im Unterschied zu den PECL enthält Art. II.-9:411 DCFR für Verträge 287
Vgl. Kommentar B zu Art. 4:110 PECL. Vgl. nochmals Kommentar B zu Art. 4:110 PECL. Dass die „Graue Liste“ nur Verbraucherverträge in den Blick nimmt und daher kaum als Vorbild für den Handelsverkehr dienen kann, wird nicht problematisiert. 289 Vgl. in diesem Zusammenhang die Konkretisierung von § 307 Abs. 1 BGB durch § 307 288
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Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten
zwischen Unternehmern und Verbrauchern eine bindende „Schwarze Liste“ mit anstößigen Klauseln, die sich sehr eng an die im Anhang zur Klauselrichtlinie enthaltene „Graue Liste“ anlehnt und als Konkretisierung von Art. II.-9:404 DCFR dient. Art. II.-9:410 DCFR regelt den Sonderfall einer Gerichtsstandsvereinbarung in AGB zugunsten des Sitzes des Unternehmers zum Nachteil des Verbrauchers; solche Klauseln sind immer dann missbräuchlich, wenn der prorogierte Gerichtsstand mit dem Wohnsitzgerichtsstand des Verbrauchers übereinstimmt. Diese Regelung findet keine Entsprechung in der Klauselrichtlinie, sie knüpft an die Océano-Entscheidung des EuGH an.290 b) Rechtsfolge Bemerkenswert ist, dass nach den PECL eine missbräuchliche Klausel nicht unwirksam oder unverbindlich ist, sondern dass die benachteiligte Partei sie anfechten kann, Art. 4:110 Abs. 1 PECL. Begründet wird dieses ungewöhnliche Modell damit, dass eine Konkretisierung der Vorschrift in Abwesenheit einer Liste mit Regelbeispielen und ohne Präzedenzfälle „für gewöhnlich … nicht möglich sein [wird]“. 291 Damit besteht eine Übereinstimmung in der Rechtsfolge mit der in Art. 4:109 PECL geregelten unangemessenen Ausnutzung: Auch hier wird der Schutz des Benachteiligten nicht über eine Nichtigkeit des Vertrags erreicht, sondern über ein Anfechtungsrecht.292 Die Anfechtungstatbestände des Kapitels 4 der PECL sind allesamt fristgebunden; Art. 4:113 Abs. 1 PECL sieht für die Ausübung des Rechts eine „den Umständen angemessene Frist“ vor, die mit der Kenntnis des Anfechtungsgrundes beginnt. Für die Anfechtung von missbräuchlichen Klauseln wäre diese Regelung jedoch unpassend, daher knüpft Art. 4:113 Abs. 2 PECL diesbezüglich an die Berufung des Verwenders auf eine missbräuchliche Klausel an; die benachteiligte Partei muss daraufhin wiederum innerhalb angemessener Frist anfechten. Das Ergebnis scheint dasselbe wie bei denjenigen Modellen, die die missbräuchliche Klausel per se für unwirksam erklären. 293 Gleichwohl sind letztere vorzugswürdig, da nicht erkennbar ist, welchen Vorteil eine missbräuchliche Bedingung für den Vertragspartner haben sollte, die ihn zu einem Verzicht auf die Anfechtungserklärung bewegen könnte: Der Vertrag im Übrigen bleibt ja bestehen. Ist die Ausübung des Anfechtungsrechts indessen eine reine Formalität, so erscheint die glatte Unwirksamkeit der Klausel als bessere Lösung, denn sie vermeidet
Abs. 2 Nr. 1 BGB, worin als Prüfungsmaßstab für die Missbräuchlichkeit der Klausel das ansonsten geltende dispositive Recht festgelegt wird. 290 EuGH, 27.6.2000, Rs. C-240/98 bis C-244/98 – Océano, Slg. 2000, I-4941. 291 So Kommentar C zu Art. 4:110 PECL. 292 Vgl. dazu bereits oben § 6 III. 2. (S. 90 f.). 293 Davon geht offenbar Kommentar C zu Art. 4:110 PECL aus.
§ 10. Sonderfall: Angemessenheitskontrolle bei Vertragsstrafe
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das Risiko für den Vertragspartner, die Benachteiligung nicht als solche zu erkennen und die Anfechtungsfrist verstreichen zu lassen. Im Gegensatz dazu ist die missbräuchliche Klausel nach Art. II.-9:409 Abs. 1 DCFR für die Partei, die sie nicht gestellt hat, unverbindlich („not binding on the party who did not support it“). Der DCFR folgt damit wieder der konventionellen Lösung, die der Verbraucher-acquis in Form der Klauselrichtlinie nahelegt.
§ 10. Sonderfall: Angemessenheitskontrolle bei Vertragsstrafe Die meisten europäischen Rechtsordnungen lassen die Vertragsstrafe trotz ihrer scharfen Wirkung für den betroffenen Vertragspartner als legitime vertragliche Abrede zu. 294 Als Gegengewicht besteht zumeist die Möglichkeit der richterlichen Herabsetzung überhöhter Strafversprechen. Deren systematische Einordnung ist schwierig: Im Grundsatz handelt es sich um die richterliche Modifikation einer vertraglichen Abrede, man kann die Reduzierung der Vertragsstrafe daher als Fall der Inhaltskontrolle ansehen. 295 Andererseits wird die konkrete Herabsetzung nur dann vorgenommen, wenn sie sich im Einzelfall für den Schuldner als offensichtlich überhöht erweist, und auch dann nur auf Antrag des Schuldners im Falle von deren Verwirkung 296 – damit trägt sie deutliche Elemente der Ausübungskontrolle.297
294 Knapper Überblick über die Regelungen zur Vertragsstrafe in verschiedenen europäischen Rechtsordnungen bei Staudinger / Rieble (2009), vor §§ 339 ff. Rn. 118 ff.; vgl. auch Gottwald, in: FS Söllner, S. 379; Schelhaas, ZEuP 2004, 388, 392 ff. Näher unten IV. (S. 155 ff.). 295 Le Goff, Vertragsstrafe, S. 13 ff.; in diese Richtung auch Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 185. Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, S. 100 ff. sieht § 343 BGB als lex specialis zu § 138 BGB (und zu § 242 BGB) und damit als Inhaltskontrollnorm. Es sei lediglich eine rechtstechnische Frage, ob die Herabsetzung im Nachhinein durch Antrag erfolge oder als Einrede ausgestaltet sei (S. 103 f.). 296 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 343 Abs. 1 Satz 1 BGB. Siehe dazu RG JW 1913, 604; MüKo-BGB / Gottwald, § 343 Rn. 15; AnwK-BGB / Walchner, § 343 Rn. 5. 297 Diesen Aspekt in den Vordergrund stellend Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 4 ff.; Steltmann, Die Vertragsstrafe, S. 111; Wensing / Niemann, NJW 2007, 401. Als Billigkeitskontrolle bezeichnet sie MüKo-BGB / Gottwald, § 343 Rn. 1 (Rn. 8 ff. zur Unterscheidung zwischen Billigkeits- und Inhaltskontrolle).
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Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten
I. Die Vertragsstrafe im System des Schuldrechts 1. Zweck Die (unselbständige)298 Vertragsstrafe ist nach § 339 Satz 1 BGB das Versprechen des Schuldners, bei Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtung eine bestimmte Summe zu zahlen. 299 Der Gläubiger verfolgt damit einen doppelten Zweck: Zum einen erhält er auf diese Weise ein Druckmittel, um den Schuldner zur termingerechten und ordnungsgemäßen Leistung anzuhalten und ihn von zukünftigen Vertragsverletzungen abzuhalten.300 Darüber hinaus dient die Vertragsstrafenabrede dem Gläubiger zur Erleichterung der Durchsetzung seiner Schadensersatzforderung bei Nicht- oder Schlechterfüllung; auf diese Weise muss er nicht die Schadenshöhe im Einzelnen nachweisen, sondern erhält einen beweisfreien Mindestschaden ersetzt.301 Ob bei einer Vertragsstrafenabrede die Präventiv- bzw. Sicherungsfunktion oder die Ausgleichs- bzw. Schadensersatzfunktion im Vordergrund steht, hängt von der konkreten Zweckvereinbarung ab. Je weiter die Vertragsstrafe den mutmaßlich zu erwartenden Schaden übersteigt, desto mehr rückt die Präventivfunktion in den Vordergrund.302 Eine Genugtuungsfunktion kommt der Vertragsstrafe hingegen nach ganz überwiegender Ansicht nicht zu:303 Es handelt sich dabei nicht um eine Privatstrafe, die als Sühne für eine Vertragsverletzung des Schuldners verfällt; anders als eine echte Strafe ist die Vertragsstrafe nicht zwingend verschuldensabhängig.304 Wesentlich ist auch, dass die Vertragsstrafe immerhin parteiautonom vereinbart wurde
298 Die unselbständige Vertragsstrafe ist akzessorisch zur Hauptverbindlichkeit. Davon zu unterscheiden ist das selbständige Strafversprechen, § 343 Abs. 2 BGB. Siehe dazu K. Schmidt, in: FS Heinrichs, S. 529, 535 ff. 299 Zur Geschichte Sossna, Die Geschichte der Begrenzung von Vertragsstrafen, insb. S. 165 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 95 ff. Die Vertragsstrafe ist vor allem im Wettbewerbsrecht gebräuchlich, vgl. Köhler, in: FS Gernhuber, S. 207; D. Fischer, in: FS Piper, S. 205, findet aber auch im Baugewerbe Verbreitung, vgl. etwa Pauly, MDR 2005, 781 m.w.N. Zu ihrer Verbreitung im internationalen Wirtschaftsrecht Berger, RIW 1999, 401. 300 BGHZ 153, 311, 324; BGHZ 105, 24, 27; BGH NJW 2000, 2106, 2107; Knütel, AcP 175 (1975) 44, 54 ff.; Steltmann, Die Vertragsstrafe, S. 24 ff. 301 BGHZ 153, 311, 324; BGHZ 130, 288, 295; BGHZ 85, 305, 313; MüKo-BGB / Gottwald, vor § 339 Rn. 6; Staudinger / Rieble (2009), vor §§ 339 ff. Rn. 14 ff.; D. Fischer, in: FS Piper, S. 205, 211 ff.; eingehend zur Entwicklung D. Fischer, Vertragsstrafe und vertragliche Schadensersatzpauschalierung, S. 28 ff., 38 ff., 42 ff., 70 ff. 302 Diese prinzipiell ganz in den Vordergrund rückend Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, S. 55 ff. 303 Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, S. 63; Steltmann, Die Vertragsstrafe, S. 27 ff. A.A. C. Hess, Vertragsstrafe, S. 25 f., 204 ff., 243 f. 304 Eingehend dazu Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 254 ff. Vgl. zur Idee der Privatstrafe weiter Großfeld, Die Privatstrafe, S. 75 ff.
§ 10. Sonderfall: Angemessenheitskontrolle bei Vertragsstrafe
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und daher im Gegensatz zu einer echten Strafe auf einer freien Willensentscheidung des Betroffenen beruht. 305
2. Abgrenzung zu Schadenspauschalierungen Der Vertragsstrafe verwandt, aber gleichwohl nach deutschem Verständnis von ihr scharf zu unterscheiden ist die Vereinbarung einer Schadenspauschalierung. In ihr regeln die Parteien bereits bei Vertragsschluss die Höhe eines „als bestehend vorausgesetzten“ pauschalen Ersatzanspruchs im Falle der Vertragsverletzung.306 Auch hiervon kann ein präventiver Effekt ausgehen; dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die Pauschale durchaus den tatsächlich eintretenden Schaden (erheblich) übersteigen kann.307 Gleichwohl ergibt sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung in § 309 Nr. 5 und Nr. 6 BGB, dass beide Vereinbarungen unterschiedlich zu behandeln sind. Überwiegend wird in Bezug auf die Schadenspauschale eine Anwendung der §§ 339 ff. BGB und damit auch die Herabsetzung nach § 343 BGB abgelehnt.308 Somit kommt es auf eine Abgrenzung anhand des mit der Abrede verfolgten Zwecks an: Je weniger die Parteien versuchen, sich an einem als möglich erachteten Schaden zu orientieren, desto eher wird eine Vertragsstrafe vorliegen und umgekehrt.309
3. Verdrängung des § 343 BGB durch vorgelagerte Wirksamkeitskontrolle Dass die Möglichkeit der Herabsetzung einer Vertragsstrafe in der Praxis kaum eine Relevanz hat,310 liegt nicht etwa an deren rechtstatsächlicher Seltenheit. Vielmehr wird die richterliche Angemessenheitskontrolle von dieser vorgelagerten Kontrollmechanismen weitgehend verdrängt,311 das gilt nicht so sehr für § 138 Abs. 1 BGB, wohl aber für die AGB-Kontrolle am Maßstab der §§ 307, 309 Nr. 6 BGB. Nach zutreffender und ganz überwiegender Ansicht vermag die 305 Honsell, in: FS Westermann, S. 315, 319; Staudinger / Rieble (2009), vor §§ 339 ff. Rn. 31 ff. 306 BGHZ 49, 84, 89; BGH NJW 1983, 1542. 307 Staudinger / Coester-Waltjen (2006), § 309 Nr. 5 Rn. 3; MüKo-BGB / Gottwald, vor § 339 Rn. 34. 308 BGHZ 49, 84, 89; Staudinger / Rieble (2009), vor §§ 339 ff. Rn. 54 ff.; Jauernig / Stadler, § 339 Rn. 11; Steltmann, Vertragsstrafe, S. 65 ff. 309 Eine ähnliche Abgrenzung, wenn auch mit anderen Konsequenzen, wird im englischen Recht vorgenommen. Im italienischen Recht wird genauso wie in den PECL auf die Unterscheidung verzichtet, dazu unten IV. (S. 155 ff.). Rechtsvergleichend zu den verschiedenen Modellen Schelhaas, ZEuP 2004, 388, 397 f. 310 Vgl. etwa BGH NJW 1969, 461, 462; BGH NJW 1974, 2089, 2091; keine Herabsetzung in BGH NJW 1984, 919. 311 § 343 BGB sperrt nicht die anderen Instrumente der Inhaltskontrolle: Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 16.
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bloße Unverhältnismäßigkeit der Vertragsstrafenabrede alleine die Sittenwidrigkeit noch nicht zu begründen. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, die die Abrede insgesamt als sittenwidrig qualifizieren, etwa eine Existenzbedrohung oder Knebelung des Schuldners.312 Ansonsten wäre § 343 BGB weitgehend funktionslos. Nach § 309 Nr. 6 BGB sind formularmäßig vereinbarte Vertragsstrafen für den Fall der Nichtabnahme, der verspäteten Abnahme, des Zahlungsverzugs und der Lösung vom Vertrag unwirksam.313 Die Vorschrift ist abschließend, jedoch kommt bei der Anknüpfung an andere Vertragsverletzungen eine Unwirksamkeit der Klausel nach § 307 BGB in Betracht.314 Auch im kaufmännischen Verkehr, in dem § 348 HGB die richterliche Herabsetzung der Vertragsstrafe ausschließt, findet jedenfalls bei formularmäßiger Vereinbarung eine Inhaltskontrolle statt über die Generalklausel des § 307 BGB; hier darf eine formularmäßig vereinbarte Vertragsstrafe nicht unangemessen hoch sein. 315 Die Angemessenheitskontrolle ist im kaufmännischen Bereich damit lediglich methodisch an einem anderen Punkt angesiedelt.316
II. Ratio der Herabsetzung 1. Schutz des Schuldners Es liegt auf der Hand, dass das Vertragsstrafenversprechen je nach Ausgestaltung für den Schuldner erhebliche Risiken birgt: Mag dieser auch bei Vertragsschluss davon ausgehen, die Verpflichtung ordnungsgemäß erfüllen zu können,317 so trifft ihn die Verwirkung der Vertragsstrafe umso härter, als sie zu-
312 OLG Celle BauR 2001, 1108 f.; MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 123 a.E. mit Fn. 658, 659; Palandt / Grüneberg, § 339 Rn. 12; Köhler, in: FS Gernhuber, S. 207, 211. Vgl. auch BGH NJW-RR 1993, 243, 246 f.: Sittenwidrigkeit einer Verfallsklausel, die den Verfall der bereits geleisteten Raten bei Vertragsaufhebung vorsah; die Anstößigkeit der Klausel ergibt sich daraus, dass der Betrag des Verfalls steigt, je mehr Raten der Schuldner bereits geleistet hat: Je vertragstreuer sich der Schuldner zunächst verhält, desto höher fällt die Strafe aus – eine aus Sicht des BGH mit der Erfüllungssicherungsfunktion der Verfallsvereinbarung unvereinbare Konsequenz. 313 Zur geringen Bedeutung der Herabsetzung nach § 343 BGB bei formularmäßig vereinbarten Vertragsstrafeabreden Wensing / Niemann, NJW 2007, 401. 314 Vgl. BGH NJW-RR 1995, 1243, 1244. 315 Vgl. BGHZ 153, 311, 325: 5 % der Auftragssumme bei Bauvertrag zu hoch, dazu kritisch Pauly, MDR 2005, 781, 783. 316 Vgl. BGH NJW 1997, 3233. 317 Zukunftsbezogene Entscheidungen werden typischerweise mit überoptimistischer Erwartung gefällt. Auch aus ökonomischer Sicht ist der Schutz des Schuldners daher gerechtfertigt, da eine rationale Risikoeinschätzung regelmäßig nicht vorliegt, die Vereinbarung der überhöhten Strafklausel daher ineffizient ist, vgl. dazu Eidenmüller, JZ 2005, 216, 223.
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sätzlich zu etwaigen Schadensersatzansprüchen geschuldet wird.318 Auch lässt sich insbesondere bei längerfristig angelegten Verträgen die Höhe der drohenden Strafzahlungspflicht ex ante nicht immer präzise abschätzen. Als Ausgleich hierfür sieht § 343 BGB die Möglichkeit der richterlichen Herabsetzung der Strafe auf ein angemessenes Maß vor. 319 Die Vorschrift dient daher in erster Linie dem Schuldnerschutz.320
2. Schutzintensität § 343 BGB ist zwar unabdingbar, 321 schützt aber indessen nicht jeden Schuldner. Die richterliche Herabsetzungsmöglichkeit unterliegt in zweifacher Hinsicht Einschränkungen: Zum einen gilt § 343 BGB nicht im kaufmännischen Verkehr, § 348 HGB, und zum anderen kann das Gericht die Vertragsstrafe nicht im öffentlichen Interesse herabsetzen, sondern nur auf parteilichen Antrag (so ausdrücklich § 343 Abs. 1 Satz 1 BGB). Beiden Gesichtspunkten kommt jedoch aufgrund von anderen Schutzmechanismen keine große praktische Bedeutung zu: Kaufleute werden bei den zumeist formularmäßig vereinbarten Vertragsstrafen über § 307 BGB,322 bei Individualabreden über § 242 BGB geschützt.323 Das Antragserfordernis wird von der Rechtsprechung recht großzügig ausgelegt; es kann auch konkludent erfolgen und muss keine Bezifferung des Herabsetzungsbegehrens enthalten.324
318
MüKo-BGB / Gottwald, vor § 339 Rn. 11. Zur Funktion des § 343 BGB als Schuldnerschutzinstrument neben § 138 Abs. 1 BGB Köhler, in: FS Gernhuber, S. 207, 211. Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, S. 98, führt den Gedanken des institutionellen Rechtsmissbrauchs als Rechtfertigung an. 320 BGH NJW 1968, 1625 (Schutz des wirtschaftlich Schwächeren); Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 1. 321 BGHZ 5, 133, 136; BGH NJW 1968, 1625; Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 23; MüKo-BGB / Gottwald, § 343 Rn. 2. 322 Hopt, in: Baumbach / Hopt, § 348 HGB Rn. 5. 323 BGH GRUR 2009, 181, 184 (Kinderwärmekissen): Der Maßstab sei danach strenger als im Rahmen des § 343 BGB und etwa bei dem Doppelten des nach dieser Norm noch angemessenen Betrags anzusetzen. Zum Verhältnis von § 242 BGB zu § 343 BGB auch Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 154 ff. 324 Vgl. BGH NJW 1968, 1625: „Als Antrag hat daher jede Anregung zu gelten, die erkennen läßt, daß der Schuldner ganz oder teilweise von der Vertragsstrafe loskommen will, weil er sie als unangemessen hoch und drückend empfindet.“ In diesem Sinne auch BGH NJWRR 1993, 464, 465; MüKo-BGB / Gottwald, § 343 Rn. 12. Enger wohl Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 86. 319
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III. Die Struktur der Angemessenheitskontrolle 1. Doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung? § 343 Abs. 1 Satz 1 BGB enthält eine doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung: Auf der Tatbestandsseite ist es die unverhältnismäßige Höhe der verwirkten Strafe, die die richterliche Kontrollbefugnis erst auslöst.325 Auf der Rechtsfolgenseite verwendet das Gesetz dann den Begriff der Angemessenheit: Der Richter kann die Vertragsstrafe auf Antrag des Schuldners auf einen angemessenen Betrag herabsetzen. Dies macht es notwendig, auf die Bedeutung dieser unterschiedlichen Maßstäbe einzugehen. Teilweise wird die Unverhältnismäßigkeit auf der Tatbestandsseite mit der Angemessenheit auf der Rechtsfolgenseite gleichgesetzt: Es gebe eine Grenze der Unverhältnismäßigkeit, die der Richter zu bestimmen habe; genau an dieser Grenze sei dann die Angemessenheit der herabgesetzten Vertragsstrafe zu verorten. 326 Die Gegenansicht trennt stärker zwischen Tatbestand und Rechtsfolge. 327 a) Der Begriff der Unverhältnismäßigkeit auf der Tatbestandsseite Auf der Tatbestandsseite hat der Begriff der unverhältnismäßig hohen Vertragsstrafe eine negative Zielrichtung: Er bestimmt, wann die Rechtsordnung die Abrede wegen der genannten Gefahren nicht mehr anerkennt. Lindacher hat vorgeschlagen, die Unverhältnismäßigkeit im Sinne einer Erforderlichkeit zu sehen: „Eine Vertragsstrafe, die den Schuldner stärker belastet, als es der mit ihr verfolgte Erfüllungssicherungszweck (= Institutszweck) verlangt, ist stets unverhältnismäßig.“328 Dies wird vor dem Hintergrund verständlich, dass die Vertragsstrafe nach Lindacher monofunktional die Erfüllungssicherung bezweckt.329
325 Nur am Rande sei bemerkt, dass die Geltendmachung einer Vertragsstrafe der Ausübungskontrolle nach § 242 BGB unterliegt, siehe etwa BGH NJW 1998, 1144, 1147 (Geltendmachung einer Vertragsstrafe kann auch gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Gläubiger Verstöße zusammenkommen lässt, damit er eine möglichst hohe Strafe kassieren kann, denn der Sinn der Vertragsstrafe ist die Anhaltung zur Leistung und nicht die wirtschaftliche Vernichtung des Vertragspartners). Siehe dazu auch PWW / Medicus, § 343 Rn. 14; Palandt / Grüneberg, § 339 Rn. 16; Köhler, in: FS Gernhuber, S. 207, 220 ff. 326 So Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 99; ebenso C. Hess, Vertragsstrafe, S. 144; im Ergebnis auch MüKo-BGB / Gottwald, § 343 Rn. 17 ff. 327 Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, S. 106 f. und Soergel / Lindacher, 12. Aufl. 1990, § 343 Rn. 21; jedenfalls begriffliche Trennung auch bei Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 319; Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit, S. 121 ff. 328 Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, S. 113; deutlich auch S. 117: Die Vertragsstrafe sei nur dann unangemessen, wenn sie „unverhältnismäßig, d.h. nicht erforderlich“ ist. Vgl. auch Soergel / Lindacher, 12. Aufl. 1990, § 343 Rn. 14. 329 Vgl. oben bei Fn. 302.
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Geht man aber davon aus, dass der Vertragsstrafe nicht nur Präventivfunktion, sondern auch Schadenspauschalierungsfunktion zukommt, 330 so stößt eine strikte Erforderlichkeitsprüfung auf Schwierigkeiten.331 Richtigerweise ist eine umfassende Abwägung des Einzelfalles vorzunehmen, in der die konkret mit der Vertragsstrafe verfolgte Zielrichtung und das dahinter stehende (auch immaterielle) Interesse des Gläubigers an der Sicherung der Erfüllung und an der erleichterten Geltendmachung eines eventuell eintretenden Schadens ebenso berücksichtigt wird wie die wirtschaftliche Lage des Schuldners und die Gefahr eines möglichen Schadenseintritts.332 Dabei genügt es, wenn feststeht, dass die Strafhöhe unverhältnismäßig ist; eine Bestimmung der gerade noch akzeptablen Strafe ist an dieser Stelle nicht notwendig. Es kommt also nicht darauf an, welches Maß an Unverhältnismäßigkeit verwirklicht ist. Gleichwohl kann die Einordnung der konkreten Abrede nur so erfolgen, dass auf einer imaginären Skala der Strafhöhe derjenige Punkt festgelegt wird, an dem die Unverhältnismäßigkeit erreicht ist.333 Genau auf diesen Punkt kommt es auf der Rechtsfolgenseite an. Im Ergebnis richtet sich die Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit daher nach den für die Angemessenheit geltenden Kriterien des § 343 Abs. 1 Satz 2 BGB.334 b) Die Angemessenheitsprüfung auf der Rechtsfolgenseite Steht die unverhältnismäßige Höhe der Vertragsstrafe fest, so kann der Richter diese auf ein angemessenes Maß herabsetzen. Nach § 343 Abs. 1 Satz 2 BGB ist bei der Beurteilung der Angemessenheit „jedes berechtigte Interesse des Gläubigers, nicht bloß das Vermögensinteresse, in Betracht zu ziehen“. Daraus folgt, dass die angemessene Höhe der Vertragsstrafe durch eine Abwägung der im Einzelfall bestehenden Interessen zu ermitteln ist, dass also generalpräventive Erwägungen keine Rolle spielen.335 Eine strikte Begrenzung der Höhe durch den Präventionszweck am Maßstab der Erforderlichkeit widerspricht der bei
330
Oben I. 1. (S. 148). Ablehnend dazu Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 235 ff.; Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 14. Vgl. auch C. Hess, Vertragsstrafe, S. 145 ff., der von der Geltung der Teilgrundsätze der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ausgeht und diese dann anhand des mit der Vertragsstrafe verfolgten Zwecks (der nach Hess nur in der privaten Genugtuung liegt, s.o. bei Fn. 303) zum Einsatz bringt. Auch Lindacher hält eine der Erforderlichkeitsprüfung nachgeschaltete Interessenabwägung für geboten: Soergel / Lindacher, 12. Aufl. 1990, § 343 Rn. 15. 332 Dazu BGH NJW 1994, 45, 46 f. m.w.N.; MüKo-BGB / Gottwald, § 343 Rn. 17a; Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 104 ff.; Soergel / Lindacher, 12. Aufl. 1990, § 343 Rn. 15. 333 Diesen Punkt kann man auch als „Unvertretbarkeitsgrenze“ bezeichnen, so Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 101. 334 So auch MüKo-BGB / Gottwald, § 343 Rn. 17a. 335 Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 105. 331
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§ 343 BGB zugrunde liegenden Ausgangssituation der privatautonomen Vereinbarung der Strafabrede. 336 Entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung der Angemessenheit der Vertragsstrafe ist die letzte mündliche Tatsachenverhandlung.337 Die Gegenansicht, die bereits auf den Zeitpunkt der Verwirkung338 oder den Zeitpunkt der Geltendmachung der Vertragsstrafe339 abstellt, läuft Gefahr, auf einer überholten Tatsachenlage zu urteilen, da es sich als entscheidend erweisen kann, ob weitere Vertragsverletzungen durch den Schuldner nur drohen oder bereits tatsächlich vorgefallen sind. Zu berücksichtigen ist demnach auch das Verhalten des Schuldners, das den Vertragsstrafenanspruch auslöst. Ob tatsächlich ein Schaden eingetreten ist, spielt dagegen keine Rolle; wegen der Präventivfunktion der Vertragsstrafe genügt es, wenn die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts bestand. 340 Das durch § 343 Abs. 1 BGB eröffnete Ermessen („kann“) erweitert hingegen den Entscheidungsspielraum des Richters nicht über das ohnehin bereits im Begriff der Angemessenheit enthaltene Maß hinaus.341
c) Einheitlichkeit des Prüfungsmaßstabes Die Begriffe der Unverhältnismäßigkeit und der Angemessenheit fallen daher zusammen. Beide erfordern eine Abwägung der beiderseitigen Interessen im jeweiligen Einzelfall. Sie unterscheiden sich nur sprachlich dadurch, dass die Unverhältnismäßigkeit – wie etwa auch beim auffälligen Missverhältnis in § 138 Abs. 2 BGB oder der unangemessenen Benachteiligung in § 307 Abs. 1 BGB – eine negative Aussage dahingehend trifft, dass eine bestimmte Vereinbarung wegen Überschreitung der Grenzen der Vertragsfreiheit nicht mehr von der Rechtsordnung toleriert wird, während die Angemessenheit positiv die Bestimmung dieser Grenze einfordert.342 Im Falle des § 343 BGB kommt es im Ergebnis nur auf die Konkretisierung der Angemessenheit der Vertragsstrafe an, so dass die Unterscheidung keine Rolle spielt.
336
Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 8, 100; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 236 ff. Ebenso MüKo-BGB / Gottwald, § 343 Rn. 18; Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 123. 338 Erman / Schaub, § 343 Rn. 4; Jauernig / Stadler, § 343 Rn. 6. 339 Palandt / Grüneberg, § 343 Rn. 7 m.w.N. 340 BGH LM § 339 Nr. 2. 341 Köhler, in: FS Gernhuber, S. 207, 215; Staudinger / Rieble (2009), § 343 Rn. 100. Anders wohl Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, S. 106 f. und Soergel / Lindacher, 12. Aufl. 1990, § 343 Rn. 21, der dem Richter ein Ermessen zugesteht, die Vertragsstrafe auch unter dem gerade noch Zulässigen anzusetzen. Dagegen Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 319: § 343 BGB sei als paternalistische Regelung restriktiv auszulegen. 342 Ähnlich auch Metzner, Verbot der Unverhält nismäßigkeit, S. 121 ff., allerdings mit der nicht zwingenden Verallgemeinerung der Begriffe von Unverhältnismäßigkeit und Angemessenheit über § 343 BGB hinaus. 337
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IV. Rechtsvergleichende Betrachtung 1. Italien: Amtswegige Herabsetzung überhöhter Vertragsstrafen? a) Herabsetzung einer Vertragsstrafe nach Art. 1384 c.c. Das italienische Recht regelt die Vertragsstrafe (clausola penale) in den Art. 1382 ff. c.c.343 Die Grundlinien entsprechen dabei den §§ 339 ff. BGB.344 Auch im italienischen Recht ist anerkannt, dass mit der clausola penale ein doppelter Zweck verfolgt wird: Ein Anhalten des Schuldners zur Leistung einerseits und die vereinfachte Geltendmachung von Schadensersatzforderungen andererseits.345 Dabei scheint der Akzent des Codice civile eher auf der Ausgleichsfunktion zu liegen: Der Schadensersatz ist nach Art. 1382 Abs. 1 c.c grundsätzlich auf die vereinbarte Vertragsstrafe beschränkt; zusätzlich hält Art. 1382 Abs. 2 c.c. ausdrücklich fest, dass die Vertragsstrafe unabhängig vom Nachweis eines konkreten Schadens verlangt werden kann.346 Die Rechtsprechung sieht jedoch das Gläubigerinteresse an der pünktlichen und vollständigen Erfüllung des Vertrags durchaus als gleichwertigen Faktor, das zeigt sich bei der richterlichen Modifikation der Vertragsstrafe: Art. 1384 c.c. schreibt hier stets die Berücksichtigung des Erfüllungsinteresses vor. 347 Dafür spricht weiter, dass die Vertragsstrafe auch bei geringfügigen Vertragsverletzungen verwirkt ist oder dann, wenn dem Gläubiger kein Schaden entstanden ist.348 Art. 1384 c.c. erlaubt damit ähnlich wie § 343 BGB eine Herabsetzung der Vertragsstrafe (riduzione della penale) „nach billigem Ermessen […], wenn die Hauptverpflichtung zum Teil erfüllt worden ist oder der Betrag der Vertragsstrafe offensichtlich überhöht [manifestamente eccessivo] ist“. 349 Die ratio der 343 Art. 1382 c.c. lautet: „(1) La clausola, con cui si conviene che, in caso d’inadempimento o di ritardo nell’adempimento, uno dei contraenti è tenuto a una determinata prestazione, ha l’effetto di limitare il risarcimento alla prestazione promessa, se non è stata convenuta la risarcibilità del danno ulteriore. (2) La penale è dovuta indipendentemente dalla prova del danno.“ 344 Ein Unterschied besteht darin, dass neben der Vertragsstrafe nur dann ein weiterer Schaden verlangt werden kann, wenn dies vereinbart worden ist, Art. 1382 Abs. 1 c.c. 345 Cass., 20.7.2000, n. 2532; auch Cass., 13.9.2005, n. 18128, Europa dir. priv., 2006, 353, 359; Alpa, Introduzione al diritto contrattuale europeo, S. 126 ff.; Di Majo, Corr. giur., 2005, 1538, 1539; Calvo, Riv. trim. dir. proc. civ. 2002, 297, 315 ff.; Cian / Trabucchi / Zaccaria, Art. 1382 Anm. I.1; auf die jeweilige Ausgestaltung der Klausel im Einzelfall abstellend Sacco, in: Il contratto, Band II, S. 160 f.; weitere Nachweise bei Spoto, Europa dir. priv. 2006, 360, 363 ff. Stark den Strafzweck betonend Trimarchi, voce „clausola penale“, in: Nov. dig. it., III, S. 351. 346 Dazu Cass. 93/12013. 347 Cass. 03/3998. 348 Vgl. Cass., 20.7.2000, n. 2532. 349 Übersetzung nach Patti, Codice Civile Italiano – Das Italienische Zivilgesetzbuch. Vgl. die ähnliche Regel des französischen Rechts in Art. 1152 Abs. 2 Code civil; rechtsvergleichend dazu Miller, ICLQ 53 (2004), 79, 85 ff. Ein weiterer vergleichbarer Fall findet sich im italienischen Recht in Art. 1526 Abs. 2 c.c. (Auflösung des Vertrags beim Teilzahlungskauf):
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Norm wird dabei weniger im Schuldnerschutz gesehen als vielmehr in der Bewahrung des Äquivalenzverhältnisses. 350 Auf der Tatbestandsseite finden sich damit zwei alternative351 Anknüpfungspunkte, die eine Herabsetzung rechtfertigen: Zum einen die Teilerfüllung, zum anderen die offensichtliche Überhöhung der Vertragsstrafe. Bezugspunkt ist in beiden Fällen nach Art. 1384 c.c. das Vermögensinteresse des Gläubigers an der Erfüllung.352 Es genügt demnach nicht eine abstrakte Betrachtung dessen, was der Schuldner nach dem Vertrag zu leisten hat,353 vielmehr müssen eine konkrete Einordnung der Leistungspflicht in das Vertragsgefüge und eine Beurteilung der Bedeutung der Nichtoder Schlechterfüllung auf das Äquivalenzverhältnis erfolgen. 354 Dabei kommt es nicht nur auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an; es sind auch spätere Entwicklungen zu berücksichtigen.355 Unerheblich ist indessen, welchen Schaden der Gläubiger durch die nicht korrekte Erfüllung erleidet.356 Es zeigt sich damit, dass die Rolle der penale eher diejenige der Sicherung der korrekten und pünktlichen Leistung ist, und nicht so sehr die der Schadenspauschalierung: Eine Vertragsstrafenabrede ist nicht schon dann offensichtlich überhöht, wenn sie in keinem Verhältnis zum möglicherweise eintretenden Schaden steht. Die Herabsetzung selbst steht dann im billigen Ermessen des Tatrichters. Bei der Teilerfüllung liegt es nahe, die Vertragsstrafe, solange sie nicht offensichtlich überhöht ist, proportional zum Maß der Erfüllung herabzusetzen.357 Gleichwohl besteht auch hier kein entsprechender Anspruch des
Haben die Parteien vereinbart, dass bereits geleistete Teilzahlungen beim Gläubiger verbleiben, so kann der Richter die vereinbarte Entschädigung „je nach den Umständen“ vermindern. 350 Sacco, in: Il contratto, Band II, S. 169; vgl. auch Calvo, Riv. trim. dir. proc. civ. 2002, 297, 321 ff. So nun dezidiert auch Cass., sez. un. civ., 13.9.2005, n. 18128, Europa dir. priv., 2006, 353, 357 f. 351 Cass., 21.4.1965, n. 699, Foro it., 1965, I, 2090, 2094. 352 Für eine Berücksichtigung weiterer, auch immaterieller Interessen Abatangelo, Riv. dir. civ., 2007, II, 43, 61. 353 Das kann aber wiederum für die bei Verbraucherverträgen nach Art. 33 Abs. 2 lit. f Codice del consumo durchzuführende AGB-Kontrolle eine Rolle spielen. Dazu bereits oben § 9 IV. 1. b) (S. 135 ff.). 354 Cass. 02/15497. 355 Vgl. Cass. 02/15497, ebenso Cass. 99/9298; anders aber Cass. 02/11710, in dem stärker auf das ursprüngliche Äquivalenzverhältnis abgestellt wird. Weitere Nachweise zum Streitstand bei Sacco, in: Il contratto, Band II, S. 157, 170. 356 Cass. 02/11710; Sacco, in: Il contratto, Band II, S. 170 m.w.N.; Abatangelo, Riv. dir. civ., 2007, II, 43, 60. 357 So für das französische Recht ausdrücklich Art. 1231 Satz 1 Code civil: „Lorsque l’engagement a été exécuté en partie, la peine convenue peut, même d’office, être diminuée par le juge à proportion de l’intérêt que l’exécution partielle a procuré au créancier, sans préjudice de l’application de l’article 1152.“
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Schuldners; vielmehr liegt die Herabsetzung im billigen Ermessen des Richters.358 b) Herabsetzung ohne Antrag? Nach der neueren Rechtsprechung der Corte di Cassazione kann ein Gericht auch ohne entsprechenden parteilichen Antrag die Höhe einer Vertragsstrafenklausel reduzieren.359 Im von den Vereinigten Senaten (sezioni unite) entschiedenen Fall hatte die Hauseigentümergemeinschaft (condominio) von einer der Parteien eine Vertragsstrafe in Höhe von Lit. 3,5 Mio. gefordert wegen eines Rückstandes in der Zahlung von Nebenkosten in Höhe von Lit. 1 Mio. Der Beklagte sah in der entsprechenden Klausel eine wucherische Zinsforderung nach Art. 1815 Abs. 2 c.c.360 und begehrte wiederklagend die Feststellung von deren Nichtigkeit. Die Instanzgerichte hatten die Forderung der Kläger entgegen den Einlassungen des Beklagten als Vertragsstrafe qualifiziert, sahen sich aber zu einer Herabsetzung mangels konkreten Antrags außerstande. Die Corte di Cassazione entschied, dass der Tatrichter befugt gewesen wäre, die zu hohe Vertragsstrafe auch von Amts wegen herabzusetzen, da Art. 1384 c.c. dem Richter die Herabsetzungsmöglichkeit nicht im Interesse der Parteien, sondern im Interesse der objektiven Rechtsordnung gebe, und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück.361 Damit greift die Corte di Cassazione frühere Urteile auf, die bereits – im Widerspruch zur damals vorherrschenden Rechtsprechung362 – in diesem Sinne eine amtswegige Herabsetzung der Vertragsstrafe für sich in Anspruch genommen hatten. 363 Auf diese Weise betont sie sehr stark ein objektives Interesse der Rechtsordnung an der Verhinderung übermäßiger Leistungspflichten.364
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Vgl. nur Cass., 7.7.1981, n. 4425, Rep. Foro it. 1981, voce „contratto in genere“, n. 236. Cass., sez. un. civ., 13.9.2005, n. 18128, Europa dir. priv., 2006, 353. Dazu etwa (meist kritisch) Spoto, Europa dir. priv. 2006, 360; Di Majo, Corr. giur., 2005, 1538; Abatangelo, Riv. dir. civ., 2007, II, 43; Baraldi, Contratto impr., 2005, 2, 501; Cicala, Riv. dir. priv., 2006, 694. 360 Dazu bereits oben § 6 I. 3 a) (S. 76). 361 Cass., 13.9.2005, n. 18128, Europa dir. priv., 2006, 353, 358; kritisch dazu Spoto, Europa dir. priv., 2006, 360, 366. 362 Cass. 95/3549; Cass. 98/10439; Cass. 5324/03; vgl. auch Spoto, Europa dir. priv., 2006, 360; Di Majo, Corr. giur., 2005, 1538; Sacco, in: Il contratto, Band II, S. 169, alle m.w.N. 363 Vgl. vor allem Cass., 24.9.1999, n. 10511, Foro it., 2000, I, 1929, 1937 ff., dem folgend Cass., 23.5.2003, n. 8188, Nuova giur. civ. comm., 2004, I, 553, 555. 364 So Cass., 13.9.2005, n. 18128, Europa dir. priv., 2006, 353, 358; ebenso bereits Cass., 24.9.1999, n. 10511, Foro it., 2000, I, 1929, 1938 ff. Dem entspricht die Rechtslage in Frankreich, wo Art. 1152 Abs. 2 Code civil ausdrücklich eine Herabsetzung von Amts wegen erlaubt: „[L]e juge peut, même d’office, modérer ou augmenter la peine qui avait été convenue, si elle est manifestement excessive ou dérisoire.“ Dasselbe gilt für die Herabsetzung bei Teilerfüllung nach Art. 1231 Satz 1 Code civil (Text oben Fn. 357). 359
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Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten
Diese Rechtsprechung der Corte di Cassazione wird teilweise als Ausgangspunkt für eine Verallgemeinerung und Erweiterung richterlicher Kontrollbefugnisse genommen. Wenn die Angemessenheitskontrolle bei der Vertragsstrafe als gerichtliche Aufgabe im öffentlichen Interesse liegt und nicht primär als parteiliches Anpassungsinstrument zu verstehen ist, dann besteht dieses öffentliche Interesse möglicherweise auch bei anderen Konstellationen, die allgemein als Ungleichgewichtslagen bezeichnet werden können.365 Für eine solche Übertragung wird angeführt, dass die Corte di Cassazione zur Begründung einer amtswegigen Herabsetzungsbefugnis auch verfassungsrechtliche Argumente anführt und sich insbesondere auf das in Art. 2 Cost. verankerte Prinzip der Solidarität beruft, das auch im privatrechtlichen Verkehr zu beachten sei.366 Dies gelte auch außerhalb des Kontextes der Vertragsstrafe. 367 Überwiegend wird jedoch darauf hingewiesen, dass Art. 1384 c.c. als Ausnahmevorschrift nicht analogiefähig368 und daher nicht auf Abreden übertragbar sei, denen kein Strafcharakter innewohne. 369
2. England: Keine Anerkennung von Strafversprechen a) Verbot der penalty clauses Auch die englische Vertragspraxis bedient sich seit jeher des Instruments der Vertragsstrafe. Anders als im deutschen und im italienischen Recht wird als deren legitime Funktion vom englischen Recht jedoch nur der pauschale Schadensausgleich anerkannt; als Druckmittel darf die Abrede nicht eingesetzt werden. Dies führt zu der Unterscheidung von Vertragsstrafeversprechen in (unzulässige) penalty clauses und (erlaubte) liquidated damages clauses. Penalty clauses werden als Verstoß gegen die public policy angesehen und sind nichtig, ohne dass eine geltungserhaltende Reduktion in Betracht käme.370 Es kommt demnach entscheidend auf den Zweck der konkreten parteilichen Abrede an: Handelt es sich um eine Abrede über „a payment of money stipulated as in terrorem of the offending party“,371 die den Schuldner zur Vertragserfüllung anhalten soll, so ist diese als penal clause unwirksam. War es dagegen das Ziel der Parteien, bereits bei Vertragsschluss eine pauschale Abmachung über die voraussichtliche Höhe eines möglicherweise eintretenden Schadens zu treffen, so ist dies auch dann zulässig, wenn der tatsächlich eintretende Schaden geringer ist. 365 So Perlingieri, Il diritto dei contratti fra persona e mercato, S. 451; ders., Rass. dir. civ. 2001, 334, 343; Volpe, La giustizia contrattuale, S. 15 ff., 94 f. 366 Cass., 13.9.2005, n. 18128, Europa dir. priv., 2006, 353, 356. 367 Ablehnend Spoto, Europa dir. priv., 2006, 360, 366, der darauf hinweist, dass Art. 2 Cost. keine horizontale Direktwirkung zukomme. Näher dazu unten § 6. III. 1. b) (S. 89). 368 So die Rechtsprechung der Corte di Cassazione selbst, vgl. Cass., 24.2.1982, n. 1143; weitere Nachweise bei Sacco, in: Il contratto, Band II, S. 168. 369 Sacco, in: Il contratto, Band II, S. 170; Vettori, Europa dir. priv., 2006, 53, 63 Fn. 50. 370 Smith, Atiyah’s Introduction to the Law of Contract, S. 307 f.; Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 20–121 ff. 371 Dunlop Pneumatic Tyre Co. Ltd. v. New Garage and Motor Co. Ltd. [1915] AC 79, 86, HL (Lord Dunedin). Weitere Nachweise bei Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 26–126.
§ 10. Sonderfall: Angemessenheitskontrolle bei Vertragsstrafe
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Geht das englische Recht damit von einer strengen Alternativität der beiden Formen von Strafversprechen aus, so lässt sich unschwer erkennen, dass diese Unterscheidung in der Praxis nicht durchgehalten werden kann, dass die Parteien vielmehr oftmals eine Doppelfunktionalität der Klausel intendieren.372 Dies hat Konsequenzen für das Schicksal der Klausel: Verfolgt die Klausel zumindest auch eine Ausgleichsfunktion, so wäre deren Unwirksamkeit wegen ebenfalls vorhandener pönaler Elemente unangemessen. In der Tat scheint ein vereinzeltes Urteil dafür zu sprechen, dass eine unwirksame penalty clause unter Umständen als liquidated damages clause aufrecht erhalten werden kann (scaled down), sofern der tatsächliche Schaden geringer ist als die Vertragsstrafe.373 b) Abgrenzung zu den liquidated damages clauses Leitentscheidung für die Abgrenzung von verbotenen und erlaubten Strafabreden ist der Fall Dunlop v. New Garage.374 Darin wurden vier Fallgruppen festgelegt, anhand derer zu ermitteln ist, ob eine penalty clause oder eine liquidated damages clause vorliegt. Das Gericht hat vom Parteiwillen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auszugehen.375 (1) Zentral ist ein Vergleich der vereinbarten Vertragsstrafe mit dem hypothetischen Schaden: Eine penal clause liegt dann vor, wenn die vereinbarte Summe völlig außer Verhältnis zu dem größtmöglichen Schaden steht, der nach Vorstellung der Parteien aus der Vertragsverletzung resultieren könnte. (2) Geht die vertragliche Leistungspflicht auf Zahlung einer Geldsumme, dann liegt eine penal clause vor, wenn die Vertragsstrafensumme höher ist als die geschuldete Summe. (3) Haben die Parteien einen einzigen Pauschalbetrag für den Fall verschiedener Vertragsverletzungen vereinbart, von denen manche geringfügig sind, andere aber erhebliche Bedeutung haben, so besteht eine Vermutung dafür, dass es sich um eine penalty clause handelt. (4) Umgekehrt spricht nicht bereits gegen die Einordnung als liquidated damages clause, wenn die Vertragsstrafe höher ist als der aus Sicht der Parteien bei Vertragsschluss nach den allgemeinen Regeln ersatzfähige Schaden. Dies gilt insbesondere für diejenigen Fälle, in denen sich der Schaden ex ante nur sehr schwer abschätzen lässt. Auch wenn der Entscheidung Dunlop v. New Garage nach wie vor grundlegende Bedeutung zukommt, so haben die einzelnen Regeln teilweise deutliche Einschränkungen erfahren. Insbesondere Regel (2) wird regelmäßig eng ausgelegt: Bei einem in Raten zurückzahlbaren Darlehensvertrag wird eine Ver372
Miller, ICLQ 53 (2004), 79, 82. Jobson v. Johnson [1989] 1 WLR 1026, 1041 f., CA (Nicholls LJ); dazu Miller, ICLQ 53 (2004), 79, 84 f. 374 Dunlop Pneumatic Tyre Co. Ltd. v. New Garage and Motor Co. Ltd. [1915] AC 79, HL. Dazu Miller, ICLQ 53 (2004), 79, 80 ff.; Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 20–124. 375 Dunlop Pneumatic Tyre Co. Ltd. v. New Garage and Motor Co. Ltd. [1915] AC 79, 87 f. (Lord Dunedin). 373
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Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten
fallsabrede dergestalt, dass bei Verzug mit einer Rate der gesamte Betrag zurückzuzahlen ist (so genannte acceleration clause) nicht als pönal angesehen, obwohl eine funktionale Vergleichbarkeit besteht, da diese Abrede in hohem Maße geeignet ist, Druck auf den Schuldner zur pünktlichen Leistung auszuüben.376 Bereits die hinter der Regel stehende Ansicht, der Schaden könne im Falle von Geldschulden nicht höher sein als die geschuldete Summe selbst, ist nicht überzeugend. Auch Regel (3) wird regelmäßig zugunsten der Wirksamkeit der Vertragsstrafe ausgelegt. Eine penal clause liegt nicht schon dann vor, wenn theoretisch Vertragsverletzungen von ganz unterschiedlichem Gewicht erfasst sein sollen, so dass sich ein Missverhältnis einer Verletzung von geringem Ausmaß zu der vereinbarten Vertragsstrafe konstruieren ließe. Jedenfalls dann, wenn es sich um Parteien von annähernd gleicher Verhandlungsstärke handelt, kommt Regel (3) nicht zur Anwendung.377 Damit bleiben Regeln (1) und (4), die spiegelbildlich denselben Regelungszweck haben: Je weiter sich die Vertragsstrafe von einem aus Sicht der Parteien durch die Vertragsverletzung möglicherweise eintretenden Schaden entfernt, umso eher liegt eine penalty clause vor. c) Ratio der Unterscheidung Die Haltung des englischen Rechts kann zunächst historisch erklärt werden. Das Verbot der penal clauses geht zurück auf die Equity-Rechtsprechung des Court of Chancery, der die seit dem 17. Jahrhundert in England im Zusammenhang mit Darlehensverträgen sehr verbreiteten penal bonds rigoros bekämpfte: Dabei handelt es sich um auflösend bedingte Strafversprechen, die eine Strafe meist in Höhe der doppelten Darlehenssumme vorsahen, wenn der Schuldner in Verzug kam und erst bei Rückführung der Darlehenssumme entfielen. 378 Die Abrede diente der Umgehung des Zinseszinsverbotes. Wegen der verheerenden volkswirtschaftlichen Folgen waren die money bonds in equity verboten. Diese Rechtsprechung wurde später auch auf Strafversprechen in Bezug auf andere als Geldleistungen ausgedehnt; man kam zum generellen Verbot der penal bonds. Dahinter steht die Vorstellung, dass eine Pönalabrede dem Gläubiger mehr gibt, als das Schadensrecht zulassen würde; eine solche Bereicherung wurde als sittenwidrig angesehen. 379 Eine Rechtsordnung, die die Naturalerfüllung nur in Ausnahmefällen gewährt, 380 hat auch Probleme mit einer Vertragsstrafe, die ge376
Vgl. die Nachweise bei Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 20–124. Philips Hong Kong Ltd. v. Attorney General of Hong Kong (1993) 61 Build L. Rev. 41, 59, PC (Lord Woolf); ähnlich Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 20–124. 378 Zur Geschichte Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, S. 18 ff. 379 Export Credits Guarantee Department v. Universal Oil Products Co. [1983] 1 WLR 399, 403, HL (Lord Roskill). Kritisch dazu Miller, ICLQ 53 (2004), 79, 92 ff. 380 Dazu näher unten § 12 I. 4. c) (S. 214 ff.). 377
§ 10. Sonderfall: Angemessenheitskontrolle bei Vertragsstrafe
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rade die Naturalerfüllung sichern soll.381 Ob die ratio des Verbots der penalty clauses heute noch ihre Berechtigung hat, erscheint zweifelhaft.382
3. PECL und DCFR Nach Art. 9:509 Abs. 1 PECL ist der benachteiligten Partei bei entsprechender vertraglicher Abrede einer Vertragsstrafe im Falle der Nichterfüllung die vereinbarte Summe zuzusprechen. Auf einen tatsächlichen Schaden kommt es nicht an. Aus der systematischen Stellung in Kapitel 9 der PECL, die „Einzelne Rechtsbehelfe bei Nichterfüllung“ regeln, und hier im Abschnitt über „Schadenersatz und Zinsen“ könnte gefolgert werden, dass die Schadenspauschalierung im Vordergrund steht. Wie im deutschen und im italienischen Recht wird aber auch von den Grundregeln eine doppelte Funktion der Vertragsstrafe anerkannt, die einerseits die Erleichterung der Schadensdurchsetzung, andererseits aber auch die Anhaltung des Schuldners zur vertragsgerechten Leistung bezweckt.383 Die Grundregeln384 folgen damit in Bezug auf die Anerkennung von Vertragsstrafen dem kontinentalen Modell. 385 Art. 9:509 Abs. 2 PECL gibt dem Richter die Möglichkeit der Herabsetzung der Vertragsstrafe, „wenn er im Verhältnis zu dem aus der Nichterfüllung entstehenden Schaden und den übrigen Umständen gröblich überhöht ist“. Im Gegensatz zum italienischen Recht wird der tatsächlich entstandene Schaden (unter Einschluss eines möglichen Verstoßes des Gläubigers gegen seine Schadensminderungspflicht)386 als maßgeblicher Vergleichsparameter herangezogen. Entscheidend ist demnach nicht die Situation bei Vertragsschluss, sondern der Zeitpunkt der Geltendmachung der vereinbarten Vertragsstrafe. Daneben sind jedoch auch die „übrigen Umstände“ zu berücksichtigen. Eine nähere Erläuterung dazu findet sich in den Materialien zu den Grundregeln nicht. In Betracht kommen hier insbesondere die anerkennenswerten Interessen, die der Gläubiger an der vertragsgemäßen Leistung hat – dies ergibt sich aus der Anerkennung der Straffunktion –, sowie die Natur des Vertrags. Damit liegt der Ak381
Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, S. 35 f. Eingehend dagegen Steltmann, Die Vertragsstrafe, S. 42 ff. 383 So ausdrücklich Kommentar A zu Art. 9:509 PECL. 384 Regelungsgleich ist Art. 7.4.13 der UNIDROIT Principles. 385 Vgl. Hartkamp, ERPL 1994, 341, 356. Ebenso im Grundsatz der Resolution des Europarates vom 20.1.1978 (Résolution (78) 3 du Comité des Ministres du Conseil de l’Europe relative aux clauses pénales en droit civil / Resolution (78) 3 of the Committee of Ministers of the Council of Europe relating to penal clauses in civil law), abgedruckt in Uniform L. Rev. 1978 II, 222–229 sowie dazu Thilmany, Rev. int. dr. comp. 1980, 17, 42 ff.; D. Fischer, Vertragsstrafe und vertragliche Schadensersatzpauschalierung, S. 156 ff.; Steltmann, Die Vertragsstrafe in einem europäischen Privatrecht, S. 202 ff. 386 Und nicht der nach Art. 9:503 PECL nach Maßgabe der Vorhersehbarkeit ersatzfähige Schaden, vgl. Kommentar C zu Art. 9:509 PECL. 382
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Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten
zent deutlich auf einer einzelfallorientierten Ausübungskontrolle und weniger auf einer Inhaltskontrolle.387 Die Herabsetzung setzt nach dem Wortlaut des Art. 9:509 Abs. 2 PECL keinen Antrag der Parteien voraus. Da der Zweck der richterlichen Intervention die Missbrauchskontrolle ist,388 scheint hier wie im italienischen Recht das objektive Interesse der Rechtsordnung an der Verhinderung von Auswüchsen vertraglicher Vereinbarungen im Vordergrund zu stehen, was für eine Möglichkeit der Prüfung ex officio spräche. 389 Bei der Herabsetzung der Vertragsstrafe hat der Richter als untere Grenze den tatsächlich entstandenen Schaden zu beachten; ansonsten wäre die Abschreckungsfunktion der Klausel nicht mehr gewährleistet.390 Die Norm findet mit einigen marginalen terminologischen Änderungen, die vor allem der Ausweitung des Anwendungsbereichs des DCFR über das Vertragsrecht hinaus geschuldet sind, ihre Entsprechung in Art. III.3:710 DCFR. Auch an der systematischen Stellung hat sich nichts geändert: Die Regel findet sich in Buch III über „Obligations and Corresponding Rights“, dort in Chapter 3 über „Remedies for non-performance“, Section 7 „Damages and Interest“.
§ 11. Zusammenfassende Würdigung I. Die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit bei der Inhaltskontrolle von Formularverträgen Die richterliche Kontrolle von Formularverträgen hat sich zu einem zentralen Instrument der Vertragsgerechtigkeit entwickelt. Trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte in den verschiedenen Rechtsordnungen hat sich dieses Modell europaweit durchgesetzt, nicht zuletzt auch durch die Vorgaben, die die Klauselrichtlinie diesbezüglich verbindlich setzt. Kern der Klauselkontrolle ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die einzelne Nebenleistungspflichten daraufhin überprüft, ob sie gemessen an den Vorgaben des dispositiven Rechts, oder in Ermangelung solcher Vorgaben an dem Zweck des Vertragstyps, den Kunden unangemessen benachteiligt, also das Vertragsgleichgewicht zu seinen Ungunsten verschiebt. Die Vertragskontrolle ist dabei abgestuft: Einzelne, für besonders gefährlich erachtete Klauseln sind ohne weitere Abwägung unwirksam, andere nur dann, wenn sie das Vertragsgleichgewicht im Einzelfall stören. Die §§ 307–309 BGB konkretisieren damit den privatrechtlichen Grundsatz der 387 388 389 390
Vgl. Kommentar B zu Art. 9:509 PECL. Vgl. wiederum Kommentar B zu Art. 9:509 PECL. Ebenso Alpa, Introduzione al diritto contrattuale europeo, S. 133 f. Vgl. Kommentar B zu Art. 9:509 PECL.
§ 11. Zusammenfassende Würdigung
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Verhältnismäßigkeit.391 Die Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben ist dabei trotz ausdrücklicher Erwähnung in Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL sowie in § 307 Abs. 1 BGB eher gering einzuschätzen. Anders dagegen die Lage im englischen Recht:392 Hier kam bislang der reasonableness-test zur Anwendung, wenn die Unwirksamkeit einer Klausel geprüft wurde. Im Zuge der Umsetzung der Klauselrichtlinie wurde nun der Grundsatz von Treu und Glauben eingeführt. Beide Institute sind weitgehend inhaltsgleich – sie enthalten einen objektiven Maßstab der Fairness im Rechtsverkehr. Wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des § 307 Abs. 1 BGB zur Konkretisierung des Begriffs der unangemessenen Benachteiligung herangezogen wird, so kommt dem kein eigenständiger Bedeutungsgehalt zu: Wann eine unangemessene Benachteiligung vorliegt, kann nur unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der Interessen des Verwenders wie auch der Schutzbedürftigkeit des Kunden ermittelt werden – also durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Missverständlich ist es aber, auch den Grundsatz der Erforderlichkeit heranzuziehen: Der Verwender ist gerade nicht gehalten, die am wenigsten einschneidende Klauselgestaltung zu wählen. Die Beschränkung auf das „mildeste Mittel“ würde die privatautonome Gestaltungsfreiheit des Verwenders zu sehr einschränken. Wohl aber kann der Umstand, dass die legitimen Interessen des Verwenders auch durch eine für den Kunden günstigere Klauselgestaltung gewahrt werden könnten, im Rahmen der Abwägung eine Rolle spielen – es macht die Klausel aber nicht per se unangemessen. Auf der Rechtsfolgenseite sehen die Klauselrichtlinie wie auch die sie umsetzenden nationalen Normen eine Unwirksamkeit der unangemessenen Klausel vor. Gleichwohl bricht sich vor allem im deutschen Recht die geltungserhaltende Reduktion in vielerlei Gestalt ihre Bahn. Dahinter steht die Erwägung, dass die Vernichtung der Klausel zu einer Überkompensation des Verstoßes führen könnte, die dem Kunden ungerechtfertigte Vorteile verschafft. Ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für eine geltungserhaltende Reduktion streitet, wurde noch nicht geklärt. Hier stellen sich vergleichbare Probleme wie bei der Behandlung wucherischer Rechtsgeschäfte.393
391 Ebenso Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 284 mit Fn. 183; ders., in: FS Dieterich, S. 429, 455; ähnlich Canaris, JuS 1989, 161, 162. 392 Oben § 9 IV. 2. (S. 140 ff.). 393 Näher dazu unten § 23 III. 1. b) (S. 432 ff.).
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Kapitel 3: Verhältnismäßigkeit und Nebenpflichten
II. Kontrolle von Vertragsstrafen und Verhältnismäßigkeit In allen untersuchten Rechtsordnungen ist die Möglichkeit der Vereinbarung einer Vertragsstrafe anerkannt. Am restriktivsten ist hier das englische Recht, das nur den Schadenspauschalierungszweck zulässt, nicht aber den Präventionszweck. Folgerichtig spielt die richterliche Herabsetzung hier keine Rolle: Deren ratio besteht gerade darin, den für den Schuldner gefährlichen Sanktionscharakter der Vertragsstrafe abzumildern. Unterschiede lassen sich bei den kontinentalen Modellen bezüglich der Notwendigkeit einer auf die Herabsetzung gerichteten parteilichen Aktivität feststellen: Während § 343 Abs. 1 BGB einen Antrag des Schuldners voraussetzt, kann der Richter nach der neuesten Rechtsprechung der Corte di Cassazione genauso wie nach dem Modell der PECL bzw. des DCFR eine Herabsetzung auch ex officio vornehmen. In inhaltlicher Hinsicht besteht weitgehende Übereinstimmung darin, dass der Richter bei der Herabsetzung die Umstände des Einzelfalles berücksichtigen muss; der Akzent liegt hier bei dem Modell von PECL / DCFR stärker auf der Anbindung an den tatsächlich entstandenen Schaden, während im deutschen und italienischen Recht auf einen hypothetischen Schadenseintritt abgestellt wird. Der richterliche Eingriff in das Vertragsgefüge durch die Herabsetzung der Strafsumme rechtfertigt sich einerseits durch den Gedanken des Schuldnerschutzes – so insbesondere das deutsche Recht, das auf diese Weise dem Umstand Rechnung trägt, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Vertragsstrafenklausel regelmäßig nicht die gebotene Beachtung geschenkt wird. Andererseits verwirklicht die richterliche Herabsetzung das allgemeine Missbrauchsverbot, wonach der Gläubiger durch die Geltendmachung einer überhöhten Vertragsstrafe nicht weiter in die Rechte des Schuldners eingreifen darf, als dies seinem Bedürfnis nach Sicherung seiner legitimen vertraglichen Ansprüche entspricht. Diese Sondersituation lässt eine Verallgemeinerung des Rechtsgedankens aus § 343 BGB und verwandten Instituten im deutschen Recht und in anderen Rechtsordnungen dahingehend, dass eine übermäßige Belastung regelmäßig herabzusetzen wäre, nur schwerlich zu. Selbst im Rahmen einer Vertragsstrafe ist eine Herabsetzung nach deutschem Recht nur auf Antrag möglich; sie ist nach § 343 Abs. 1 Satz 3 BGB ausgeschlossen, wenn die Strafe bereits entrichtet ist. Dies spricht dafür, § 343 BGB als ein situationsspezifisches Schuldnerschutzinstrument zu sehen und weniger als Ausdruck einer allgemeiner Äquivalenzkontrolle. Mehr auf der objektiven Missbrauchskontrolle liegt der Akzent in Italien und ebenso bei den PECL und DCFR. Aber auch dort ist die Herabsetzung tatbestandlich eng begrenzt auf Vertragsstrafenab-
§ 11. Zusammenfassende Würdigung
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reden. Einer Verallgemeinerung der richterlichen Vertragsanpassung wird man daher skeptisch gegenüberstehen müssen. Es handelt sich um eine außergewöhnliche Reaktionsmöglichkeit auf ein als besonders riskant erachtetes vertragliches Instrument.394
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Vgl. dazu noch unten § 23 II. 2. und III. 2. (S. 428 ff. bzw. S. 435 ff.).
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Kapitel 4
Verhältnismäßigkeit und in Vollzug gesetzter Vertrag Besonders vielfältig sind die Erscheinungsformen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Beschränkung der Ausübung von Rechten und die Ausgestaltung von Pflichten aufgrund eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses. Aus der Perspektive des Vertragsschicksals sind hier die Fälle zu behandeln, in denen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei in Vollzug gesetzten Verträgen einwirkt, also solchen Rechtsverhältnissen, bei denen die Wirksamkeit insgesamt oder von Teilen davon nicht mehr in Frage steht. Die Verhältnismäßigkeitskontrolle dient dabei als Instrument der Risikoverteilung: Bis zu welcher Grenze kann eine Partei zur Vertragserfüllung gezwungen werden? Welche Partei hat dafür einzustehen, dass unvorhergesehene oder unvorhersehbare Umstände die Leistungsfähigkeit einer Partei reduzieren? Besteht eine Korrelation zwischen dem Grad einer vertraglichen Pflichtverletzung und deren Folgen? Zu untersuchen sind hier die Einschränkungen der Primärleistungspflicht, wozu zumindest bei funktionaler Betrachtung auch die Nacherfüllungspflicht zählt, sowie die durch die Verletzung dieser Pflichten ausgelösten Schadensersatzansprüche (§ 12). Eine gesonderte Fallgruppe bilden die so genannten Bagatellfälle: Dort wird die Rechteausübung an die Bedingung geknüpft, dass die Beeinträchtigung, die das Recht zur Reaktion auslöst, nicht nur geringfügig ist (§ 13). Schließlich kann auch die Störung der Geschäftsgrundlage, also die fundamentale Änderung der vertragswesentlichen Umstände, als Ausprägung der Verhältnismäßigkeitskontrolle gesehen werden: Charakteristisch ist dabei, dass die vorrangig vorgesehene Rechtsfolge nicht die Vernichtung des vertraglichen Rechts, sondern die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände ist (§ 14).
§ 12. Einschränkungen der (Primär-)Leistungspflicht des Schuldners
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§ 12. Einschränkungen der (Primär-)Leistungspflicht des Schuldners Der Umfang der Primärleistungspflicht des Schuldners folgt aus der vertraglichen Vereinbarung, die kraft des gesetzlichen Geltungsbefehls unmittelbare Rechtswirkungen zwischen den Parteien entfaltet.1 Gleichwohl hat diese Leistungspflicht Grenzen, die im modernisierten Schuldrecht vor allem über § 275 Abs. 2 und 3 BGB unter Rückgriff auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ermittelt werden: Übersteigt der Aufwand, den der Schuldner zur Herbeiführung der geschuldeten Leistung betreiben muss, ein näher zu bestimmendes Maß oder ist eine persönlich zu erbringende Leistung für den Schuldner unzumutbar, so kann er die Leistung verweigern. Dieses Leistungsverweigerungsrecht findet eine Entsprechung insbesondere in Bezug auf die im Besonderen Schuldrecht geregelten Nacherfüllungsansprüche: Dort setzen insbesondere die §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB dem Nacherfüllungsverlangen des Gläubigers Grenzen, wenn dies für den Schuldner unverhältnismäßige Kosten verursachen würde.
I. Begrenzung des (modifizierten) Primäranspruchs Eine Rechtsordnung wie die deutsche, die dem Grundsatz pacta sunt servanda einen hohen Stellenwert einräumt, 2 muss definieren, ob und in welchen Fällen der Schuldner trotz wirksamer vertraglicher Verpflichtung die Primärleistung – sei es Haupt- oder Nebenleistungspflicht – dennoch nicht erbringen muss. Vor der Schuldrechtsmodernisierung kam vor allem dem Recht der Unmöglichkeit diese Aufgabe zu, die durch eine teilweise großzügige Auslegung des Begriffs der Unmöglichkeit ausgefüllt wurde. Die Schuldrechtsmodernisierung hat nun mit § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB spezielle Tatbestände eingeführt, die zwar historisch-genetisch, nicht aber dogmatisch dem Recht der Unmöglichkeit zuzuordnen sind,3 und die den Schuldner zur Verweigerung der Primärleistung berechtigen.
1. Die übermäßige Leistungserschwerung nach § 275 Abs. 2 BGB Der durch die Schuldrechtsmodernisierung neu eingeführte § 275 Abs. 2 BGB gibt dem Schuldner dann ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn der Aufwand, den der Schuldner zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung betrei1 2 3
Dazu näher oben § 2 I. (S. 5 ff.). Dazu umfassend Weller, Vertragstreue, S. 37 f., 274 ff. Dazu näher sogleich unter 1. c) (S. 185 ff.).
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Kapitel 4: Verhältnismäßigkeit und in Vollzug gesetzter Vertrag
ben müsste, in grobem Missverhältnis zum Interesse des Gläubigers an der Leistung steht. Diese Norm gilt zunächst für die Hauptleistungspflicht, ist aber nicht auf synallagmatische Pflichten und ebenso wenig auf gegenseitige Verträge beschränkt.4 Damit kann auch die Erfüllung einer vertraglichen Nebenpflicht nach § 275 Abs. 2 BGB verweigert werden, wenn sie einen in Bezug auf das Gläubigerinteresse hieran unverhältnismäßigen Aufwand erfordert.5 a) Historische Entwicklung Mit der Kodifizierung von § 275 Abs. 2 BGB wurde ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners, das zuvor bereits im Werkvertragsrecht in § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. enthalten war, in das allgemeine Schuldrecht überführt. Die ursprünglich im Kommissionsentwurf enthaltene allgemeine Einrede der Leistungserschwerung6 wurde hingegen nicht umgesetzt.7 Der Reformgesetzgeber wollte ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs mit § 275 Abs. 2 BGB lediglich eine bisher schon von der Rechtsprechung vorgenommene Heranziehung des in den §§ 251 Abs. 2, 633 Abs. 2 Satz 3, 651c Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. enthaltenen Gedankens der Unverhältnismäßigkeit kodifizieren,8 nicht aber eine Absenkung der schuldnerischen Leistungspflicht erreichen. In verschiedenen, bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung ergangenen Entscheidungen hat der BGH die genannten Vorschriften als Ausprägungen eines allgemeinen Rechtsgedankens bezeichnet.9 Bereits das Reichsgericht hatte § 251 Abs. 2 BGB über den Wortlaut hinaus jenseits der Fälle des Verlangens nach Naturalrestitution aus § 249 Satz 1 BGB a.F. (= § 249 Abs. 1 BGB n.F.) auch dann angewandt, wenn der Gläubiger nach § 249 Satz 2 BGB a.F. (= § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F.) von vornherein statt Wiederherstellung den hierfür erforderlichen Geldbetrag verlangte.10 Nachdem der Anspruch auf Geldersatz der Sache nach ebenfalls ein Herstellungsanspruch 4
Vgl. AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 54; Palandt / Grüneberg, § 275 Rn. 26 i.V.m.
Rn. 3. 5 Vgl. dazu BAG NZA 2005, 118, 122 (Auskunftsanspruch); LG Kiel RDG 2008, 200 (Einsichtnahmerecht in Originalkrankenakten). 6 § 275 Abs. 1 DiskE-BGB lautete: „Grenzen der Leistungspflicht. Besteht die Schuld nicht in einer Geldschuld, kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit und solange er diese nicht mit denjenigen Anstrengungen zu erbringen vermag, zu denen er nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses verpflichtet ist. […]“ 7 Hierzu Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 9 ff. In diesem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens sollte zunächst auf den Tatbestand der Unmöglichkeit verzichtet werden. 8 BT-Drucks. 14/6040, S. 130. Kritisch dazu Lobinger, GPR 2008, 262, 265, der den in § 251 Abs. 2 BGB enthaltenen Rechtsgedanken nicht für auf den vertraglichen Leistungsanspruch übertragbar hält. 9 Vgl. insbesondere BGHZ 62, 388, 391; BGH NJW 1988, 699, 700. 10 RGZ 71, 212.
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sei, wobei die Herstellung eben vom Schuldner selbst vorgenommen werde, müsse auch der so modifizierte Herstellungsanspruch unter der Einschränkung der Unverhältnismäßigkeit aus § 251 Abs. 2 BGB stehen.11 Die Konsequenz hieraus ist, dass der Schädiger nicht mehr das Restitutionsinteresse des Geschädigten befriedigen muss, sondern nurmehr Wertersatz zu leisten hat. Der BGH knüpfte an diese Rechtsprechung an12 und dehnte den Anwendungsbereich von § 251 Abs. 2 BGB in der Folge über das eigentliche Schadensrecht hinaus auf den Umfang des werkvertraglichen Schadensersatzanspruchs aus § 635 BGB a.F. aus.13 Kann der Unternehmer die Beseitigung von Werkmängeln aus § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. verweigern, weil sie einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so steht dem Besteller zwar der verschuldensabhängige Schadensersatzanspruch aus § 635 BGB a.F. zu. Dieser ist grundsätzlich nicht auf den Ersatz des mangelbedingten Minderwerts beschränkt, findet jedoch seine äußerste Grenze in dem Rechtsgedanken des § 251 Abs. 2 BGB. Der BGH führte in diesem Zusammenhang aus: „Unverhältnismäßig sind die Aufwendungen für die Beseitigung des Werkmangels dann, wenn der damit in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg oder Teilerfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür gemachten Geldaufwandes steht.“14
Auch in Bezug auf einen Beseitigungsanspruch wegen Überbaus aus § 1004 BGB hat der BGH den allgemeinen Rechtsgedanken der Unverhältnismäßigkeit begrenzend angewendet.15 Diesen hat das Gericht in der Entscheidung aus § 633 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F.16 sowie aus § 251 Abs. 2 BGB abgeleitet. Wenn auch die Entscheidung in Bezug auf den dinglichen Beseitigungsanspruch aus § 1004 11 RGZ 71, 212, 214. Im Fall ging es um die Erstattung von Kosten für Bergung und Reparatur eines Schiffes, das bei einer vom Beklagten verschuldeten Kollision gesunken war. Diese Kosten überstiegen den ursprünglichen Wert des Schiffes um mehr als das Dreifache. 12 BGHZ 63, 295, 297; BGHZ 102, 322, 330. 13 BGHZ 59, 365, 367; wiederholt in BGHZ 114, 383, 389, BGHZ 154, 301, 305 sowie in BGH NJW-RR 2005, 1039. Nach BGH NJW 2006, 2912 ist § 251 Abs. 2 BGB auch dann analog auf § 635 BGB a.F. anzuwenden, wenn der Besteller den „großen“ Schadensersatz fordert, d.h. das Werk zur Verfügung stellt und den Nichterfüllungsschaden geltend macht. 14 BGHZ 59, 365, 367 f. Näher zur Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 251 Abs. 2 BGB unten II. 2. b) aa) (S. 232 ff.) sowie § 23 I. (S. 420 ff.). 15 BGHZ 62, 388, 391; ebenso bereits BGH NJW 1970, 1180, 1181 sowie (für den rein negatorischen Beseitigungsanspruch) BGH WM 1974, 572, 573. Siehe weiter BGH WM 1977, 536; BGH WM 1979, 783, 784; BayObLG NJW-RR 1990, 1168, 1169; vgl. auch BGHZ 143, 1, 6 m.w.N. Zum Problem Medicus, AcP 192 (1992), 35, 38 ff.; MüKo-BGB / Oetker, § 251 Rn. 37, jeweils m.w.N.; kritisch Staudinger / Schiemann (2005), § 251 Rn. 31. Andere wollen „im Extremfall“ über § 242 BGB helfen, vgl. Staudinger / Gursky (2006), § 1004 Rn. 178 m.w.N. Daraus folgt dogmatisch freilich kein großer Unterschied, ist doch § 251 Abs. 2 BGB als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu sehen (ebenso ausdrücklich etwa BGH NJW 1970, 1180, 1181). 16 Entspricht § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB i.d.F. vom 31.12.2001.
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BGB erging, so billigte der BGH implizit die Argumentation der Vorinstanz, die eine Beseitigung auf vertraglicher Grundlage wegen § 633 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. abgelehnt hatte. Denn es bestehe ein allgemeiner Rechtsgedanke dergestalt, dass sich „das Verlangen nach Herstellung eines an sich gebotenen Zustandes dann als rechtsmissbräuchlich [erweist], wenn ihm der in Anspruch Genommene nur unter unverhältnismäßigen, vernünftigerweise nicht zumutbaren Aufwendungen entsprechen könnte“.17 In einer nachfolgenden Entscheidung ging es um den unbefugten Verkauf eines Grundstücks durch einen Treuhänder.18 Der Treugeber, der nach der vertraglichen Vereinbarung mit dem Treuhänder Eigentümer des Grundstücks werden sollte und in der Folge auch eingetragen wurde, verlangte vom Treuhänder die Beibringung einer Bewilligung zur Löschung der zugunsten des Drittkäufers eingetragenen Auflassungsvormerkung. Dieser war zur Löschung der Vormerkung nur gegen Zahlung einer Ablöse bereit, die den Wert des Grundstücks um mehr als das 30fache überstieg. Der BGH entschied vor diesem Hintergrund, dass der im Grundsatz gegebene Herausgabeanspruch des klagenden Treugebers aus § 667 BGB durch den wiederum in den §§ 633 Abs. 2 Satz 3, 251 Abs. 2 BGB a.F. enthaltenen Rechtsgedanken der Unverhältnismäßigkeit eingeschränkt sei.19 Dabei betonte der BGH, dass nicht nur ein reiner Wertvergleich vorzunehmen sei, sondern vielmehr im Rahmen einer umfassenden Abwägung insbesondere auch das Verschulden des Schuldners zu berücksichtigen sei. Im zu entscheidenden Fall, in dem der Treuhänder das Grundstück sogar vorsätzlich an den Dritten weiterverkauft hatte, vermochte dieser Aspekt dennoch nicht den Ausschlag zugunsten des klägerischen Anspruchs zu geben, da dieser billigerweise nicht vom Treuhänder Aufwendungen verlangen konnte, die in einem derart großen Missverhältnis zum Wert des Grundstücks einerseits, aber auch zum Interesse des Klägers am Grundstück selbst andererseits stehen. Ausdrücklich bezog der BGH in die Abwägung mit ein, dass dem Kläger in diesem Fall der Verweis auf einen bloßen Schadensersatzanspruch zumutbar sei. 20 Bei der Modernisierung des Schuldrechts lehnte sich der Reformgesetzgeber teilweise deutlich an das Modell des UN-Kaufrechts an. 21 Im Bereich der Leistungsstörungen zeigt sich dies bei der Zentralvorschrift des § 280 BGB, in dem der aus dem UN-Kaufrecht bekannte Begriff der Pflichtverletzung übernom17 BGHZ 62, 388, 391. Vgl. auch BGH NJW 1976, 235 zur Einschränkung eines Wiederherstellungsanspruchs gegenüber dem Pächter eines ausgebeuteten Kiesgrundstücks durch § 251 Abs. 2 BGB. 18 BGH NJW 1988, 699. 19 BGH NJW 1988, 699, 700. Vgl. zum Fall auch Emmerich, JuS 1988, 486; U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521. 20 BGH NJW 1988, 699, 700. 21 Allgemein BT-Drucks. 14/6040, S. 86, 89, 93.
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men wurde. 22 Für die in § 275 Abs. 2 BGB geregelte Leistungserschwerung kommt damit Art. 79 CISG eine gewisse Vorbildfunktion zu. 23 Anders als das BGB und die PECL24 unterscheidet Art. 79 CISG allerdings nicht zwischen Leistungshindernissen und Wegfall der Geschäftsgrundlage, sondern führt eigenständige Begrifflichkeiten ein, die konventionsautonom auszulegen sind.25 Vor diesem Hintergrund ist § 275 Abs. 2 BGB historisch-genetisch als diejenige Norm zu sehen, die die äußerste Grenze der rechtsgeschäftlichen Leistungspflichten markiert, mit anderen Worten, die den Schuldner dann von der Leistungspflicht befreit, wenn die Leistungserbringung einen völlig unzumutbaren Aufwand erfordern würden und der Gläubiger relativ dazu gesehen kaum ein schützenswertes Interesse am Erhalt der Leistung hat. Wenn teilweise zur Verdeutlichung der Unverhältnismäßigkeit das Bild des Überschreitens der Opfergrenze verwendet wird, 26 so ist damit keine rechtstechnische Aussage verbunden; der Begriff der Opfergrenze wird in vielerlei Zusammenhängen gebraucht, ohne dass sich damit feste dogmatische Implikationen verbunden hätten. 27 § 275 Abs. 2 BGB ist also ersichtlich nicht dazu konzipiert worden, die Pflichten des Schuldners aus dem Vertrag zu erweitern. Genau hier scheint aber die im Schrifttum teilweise geäußerte Kritik an der Norm anzusetzen.28 Der Kern dieser Kritik geht dahin, dass das modernisierte Leistungsstörungsrecht den Schuldner abweichend vom alten Recht bei zufallsbedingten Leistungser22 BT-Drucks. 14/6040, S. 133 ff. sowie Schlechtriem, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 71 ff. 23 Dazu Schlechtriem, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 71, 75. 24 Vgl. Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL einerseits, Art. 6:111 PECL andererseits. Zum Konzept der Leistungsstörungen in den PECL bzw. im DCFR näher unten 4. d) (S. 221 ff.). 25 Dazu U. Huber, Leistungsstörungen I, § 4 III 4 (S. 119). Zu den nach Art. 79 CISG bestehenden Leistungsbefreiungen Schlechtriem / Schwenzer / Schwenzer, Art. 79 CISG Rn. 10 ff.; Soergel / Lüderitz / Dettmeier, Art. 79 CISG Rn. 13 f. Art. 79 CISG hat seinerseits indessen keinen spezifisch nationalen Ansatz für Leistungserschwerungen übernommen, sondern verkörpert ein eigenes Konzept. Es verbietet sich daher, die Lösung des CISG mit nationalen Konzepten wie Wegfall der Geschäftsgrundlage, force majeure oder frustration gleichzusetzen. Vgl. dazu Andersen, Uniform Application of the International Sales Law, S. 93 ff. sowie näher unten § 14 IV. (S. 266 ff.). 26 Vgl. etwa PWW / Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 15. Auch der BGH verwendet vielfach diesen Begriff, ohne jedoch daran ein bestimmtes dogmatisches Konzept zu knüpfen. Vgl. etwa BGH NJW 1988, 699 (Opfergrenze bei Herausgabeanspruch); BGH NJW 2005, 3284 und BGH WuM 2010, 348, 349 f. (Opfergrenze bei Wiederherstellungsanspruch im Mietrecht); BGH NJW-RR 2007, 1553, 1555 (Opfergrenze bei Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz). 27 Der Begriff geht wohl zurück auf Philipp Heck (Grundriß des Schuldrechts, S. 85 ff.). Zur Illustration einer auf § 242 BGB gestützten, ungeschriebenen Opfergrenze verwendet Heck (a.a.O., S. 89) das bereits damals „viel gebrauchte Beispiel“ vom Ring auf dem See. 28 Vgl. insbesondere Wilhelm, JZ 2001, 861, 866 f. (§ 275 Abs. 2 BGB als „Missgeburt“); Picker, JZ 2003, 1035; ders., in: FS Konzen, S. 687; ausführlich Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 238 ff., der § 275 Abs. 2 sogar für verfassungswidrig hält. Weitere Nachweise bei Bernhard, Jura 2006, 801 mit Fn. 1.
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schwerungen zwinge, das Hindernis durch eigene Anstrengungen zu überwinden, sofern nicht Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB oder aber das grobe Missverhältnis nach § 275 Abs. 2 BGB vorliege.29 Letztere Vorschrift verändere eine bislang als selbstverständlich angesehene Gefahrverteilung: Habe der Gläubiger bislang die Leistungsgefahr alleine getragen, so werde sie nun bis zur Grenze des groben Missverhältnisses auf den Schuldner verlagert. Darin liege eine grundlegende Abkehr von dem Prinzip, dass sich der zu betreibende Leistungsaufwand ausschließlich nach der vertraglichen Vereinbarung richtet und nicht nach externen Kriterien. 30 Die Festsetzung des zur Überwindung des Leistungshindernisses zu betreibenden Mehraufwandes sei „in das freie Gutdünken des Richters gestellt“.31 Kurz: § 275 Abs. 2 BGB führe zu einer Verdrängung der Privatautonomie zugunsten eines anhand objektiver „Wertungen“ ermittelten Inhalts des Schuldverhältnisses.32 Vorgeschlagen wird etwa eine korrigierte Auslegung von § 275 Abs. 2 BGB, die dem Schuldner einen wie auch immer gearteten Mehraufwand zur Überwindung eines zufälligen Leistungshindernisses erspart.33 Befürchtet wird demgegenüber auch, dass der recht offene Wortlaut des § 275 Abs. 2 BGB zu einer extensiven Auslegung der Norm und damit zu einer Aufweichung des Grundsatzes von pacta sunt servanda führen könne. 34 Denn die vom Reformgesetzgeber intendierte Beschränkung auf Extremfälle wie denjenigen der faktischen Unmöglichkeit finde im Wortlaut der Norm keine hinreichende Stütze. Auf diese Kritik wird im Einzelnen zurückzukommen sein. b) Die bestimmenden Faktoren der Verhältnismäßigkeitsprüfung Zur Bestimmung der Grenzen der Leistungspflichten des Schuldners sieht § 275 Abs. 2 BGB einen Abwägungsvorgang vor, der den vom Schuldner zur Leistungshandlung vorzunehmenden Aufwand einerseits und das Interesse des Gläubigers am Erhalt der Leistung andererseits ins Verhältnis setzt. Zu berücksichtigen sind dabei der konkrete Inhalt des Schuldverhältnisses, der Grundsatz von Treu und Glauben sowie nach § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB auch ein mögliches Vertretenmüssen des Schuldners in Bezug auf das eingetretene Leistungshindernis. Ergibt sich im Rahmen dieser Abwägung ein grobes Missverhältnis zwischen den Bezugsgrößen, so steht dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht zu. 29
Picker, in: FS Konzen, S. 687. Picker, in: FS Konzen, S. 687, 688. 31 Picker, in: FS Konzen, S. 687, 688 Fn. 3. 32 Ackermann, JZ 2002, 378, 379 ff.; Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 159 f., 218 ff.; Picker, in: FS Konzen, S. 687, 688. 33 So Picker, JZ 2003, 1035, 1048. 34 So etwa Dauner-Lieb / Thiessen, DStR 2002, 809, 814. 30
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Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm und dem gesetzgeberischen Willen ist § 275 Abs. 2 BGB damit als Einrede zu sehen und nicht von Amts wegen zu berücksichtigen.35 Es war die Intention des Reformgesetzgebers, dem Schuldner gerade die Möglichkeit zu geben, auch überobligationsmäßigen Aufwand zur Erbringen der Leistung zu betreiben, etwa, um die Abtretung des stellvertretenden commodums nach § 285 BGB zu vermeiden.36 In gewissem Widerspruch dazu steht gleichwohl die Erwägung, § 275 Abs. 2 BGB sei nur in Extremfällen anzuwenden.37 Für diese Konstellationen wäre die Einwendungskonstruktion in der Tat sinnvoller.38 Die Ausgestaltung als Einrede ist jedoch de lege lata hinzunehmen.39 aa) Schuldneraufwand Die erste Bezugsgröße der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist der Aufwand, den der Schuldner zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung betreiben muss. Dazu zählen Geld und Material, das der Schuldner benötigt, aber auch der Zeitaufwand, den er zur Erfüllung hat.40 Dabei muss durch Auslegung ermittelt werden, zu welcher Leistung sich der Schuldner verpflichtet hat, hierbei ist entscheidend auf die vertragliche Risikostruktur abzustellen.41 Teilweise wird dabei der Gesamtaufwand betrachtet, den der Schuldner zur Leistungserbringung tätigen muss. Die Befürworter dieser Auslegung stützen ihre Ansicht auf das Wort „Aufwand“ in § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB; hiermit sei eben der Gesamtaufwand gemeint.42 Dies geschieht unter Verweis auf andere 35 Anders Teichmann, BB 2001, 1485, 1487, der meint, der Tatbestand des § 275 Abs. 2 BGB sei von Amts wegen zu berücksichtigen. Zu den hier nicht im Vordergrund stehenden rechtstechnischen Fragen in Bezug auf die Unsicherheitslage vor und während der Geltendmachung der Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB eingehend Otto, in: FS Canaris, S. 945. 36 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 129, 145 sowie Canaris, JZ 2001, 499, 504. Zum Begriff der überobligationsmäßigen Leistung Schlinker, JR 2007, 221. 37 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 129: Erfasst seien „Fälle, in denen die Behebung des Leistungshindernisses zwar theoretisch möglich wäre, die aber kein vernünftiger Gläubiger ernsthaft erwarten kann“. 38 Zur Kritik an der Konstruktion als Einrede Maier-Reimer, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 291, 293; Staudinger / Löwisch (2004), § 275 Rn. 93; AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 16. 39 Zu den verschiedenen Konsequenzen der Einredekonstruktion (in Bezug auf § 275 Abs. 3 BGB) eingehend Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 385 ff. 40 Vgl. Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 93 ff. Teilweise wird auch die Einbeziehung immaterieller Interessen befürwortet, vgl. Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 27, 30. Dies ergibt sich nicht ohne weiteres aus dem Begriff des „Aufwandes“ in § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB. Auch der Normzweck und die Regelung des § 275 Abs. 3 BGB sprechen dafür, den Aufwand rein wirtschaftlich zu bestimmen; ebenso Emmerich, Leistungsstörungen, § 3 Rn. 79. 41 U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 566; ebenso Palandt / Grüneberg, § 275 Rn. 28. 42 Vgl. Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 44; MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 83; Mückl, Jura 2005, 809, 811; dazu auch Bernhard, Jura 2006, 801.
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Normen, die denselben oder verwandte Begriffe (wie Aufwendungen oder Kosten) verwenden, insbesondere § 651 c Abs. 2 Satz 2 BGB.43 Darüber hinaus sei es sehr schwierig, den konkret durch das Leistungshindernis verursachten Mehraufwand überhaupt zu bestimmen.44 Dabei haben die Autoren, die auf den Gesamtaufwand abstellen, meist den gegenseitigen Vertrag bzw. die im Synallagma stehende Sachleistungspflicht im Blick. Für nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Leistungspflichten ist dieser Ansatz hingegen problematisch. Vorzugswürdig ist es daher, nur denjenigen Mehraufwand einzustellen, den der Schuldner zur Überwindung der Leistungserschwerung erbringen muss, nicht etwa auf den gesamten Aufwand, der zur vertraglich geschuldeten Leistung erforderlich ist. Diese Sichtweise steht im Einklang mit der vom BGH bislang in den Fällen der Leistungserschwerung verfolgten Linie.45 Sie findet aber auch im Wortlaut des Gesetzes eine Stütze: § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB spricht von den „Anstrengungen“ des Schuldner in Bezug auf das „Leistungshindernis“. Daraus ergibt sich, dass nur die zu dessen Überwindung zusätzlich notwendigen Aufwendungen zu berücksichtigen sind. Was zusätzliche Aufwendungen sind, richtet sich nach den vertraglichen Vereinbarungen: Solche Aufwendungen, die im vertraglich ursprünglich vorausgesetzten Äquivalenzverhältnis bereits enthalten sind, finden im Rahmen der Abwägung in § 275 Abs. 2 BGB keine Berücksichtigung.46 Überdies kann es nicht darauf ankommen, ob der Schuldner den Leistungsgegenstand erst erwerben bzw. herstellen muss oder ob er ihn ohne Gegenleistung erhalten hat.47 bb) Gläubigerinteresse Ein übermäßiger Schuldneraufwand alleine genügt jedoch nicht zur Befreiung von der Leistungspflicht. Auch wenn der Schuldner bis zur so genannten Opfergrenze belastet wird, um die vertragliche Verpflichtung erfüllen zu können, 43
Weitere Nachweise bei MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 82. Vgl. Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 44. Indessen setzt sich auch der Gesamtaufwand aus Grund- und Mehraufwand zusammen; die Ermittlung der Mehrkosten wird auch nach dieser Ansicht nicht entbehrlich. 45 Vgl. BGHZ 62, 388, 391; BGH NJW 1988, 699, 700. 46 Ebenso im Ergebnis wohl Canaris, JZ 2004, 214, 215 (für das Beispiel synallagmatischer Leistungspflichten); Erman / Westermann, § 275 Rn. 25 (der aber zunächst auf den Gesamtaufwand abstellt). Vgl. auch Köndgen / v. Randow, in: Allokationseffizienz, S. 122, 129 auf der Grundlage einer ökonomischen Analyse des Erfüllungszwangs. 47 Mit der von Faust (in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 43 f.) erörterten und abgelehnten „relativen“ Methode hat dies nichts zu tun. Wie sich der Schuldneraufwand durch das Leistungshindernis verändert, ist für § 275 Abs. 2 BGB unerheblich. Es kommt nicht auf das Verhältnis zwischen Schuldneraufwand ohne das Leistungshindernis und Schuldneraufwand mit Leistungshindernis an, sondern allein auf das Verhältnis von Schuldnermehraufwand und Gläubigerinteresse. Ebenso wohl Bernhard, Jura 2006, 801, 802, der aber Probleme bei der Berechnung des „Grundaufwandes“ sieht. 44
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so vermag er die Leistung dennoch nur dann zu verweigern, wenn der Gläubiger hieran ein vergleichsweise stark untergeordnetes Interesse hat.48 Der Bezugspunkt auf das Gläubigerinteresse wurde – vor allem zur Abgrenzung von § 313 BGB – als das Hauptmerkmal der Verhältnismäßigkeitsprüfung des § 275 Abs. 2 BGB bezeichnet.49 Denn anders als bei Störungen der Geschäftsgrundlage, wo das vertragliche Äquivalenzverhältnis betrachtet werde, komme es bei § 275 Abs. 2 BGB auf das Missverhältnis von Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse an: Nur dann, wenn kein vernünftiger Gläubiger die Vertragserfüllung fordern würde, weil sein Leistungsinteresse vergleichsweise gering ist, wird der Schuldner aus dem Naturalerfüllungszwang entlassen. Folgerichtig wird letztere Norm als Ausdruck des Rechtsmissbrauchsverbots gesehen.50 Das Leistungsinteresse des Gläubigers bestimmt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen. Zu fragen ist, welches Interesse der Gläubiger gerade an der Naturalerfüllung (im Vergleich zur Pekuniärerfüllung) hat.51 Dies kann der entgangene Gewinn aus einem Weiterverkauf der Sache, 52 aber auch ein rein immaterielles Interesse sein.53 Eine Beschränkung auf rein wirtschaftliche Interessen ergibt sich an keiner Stelle aus dem Gesetz. Insbesondere existiert für den Primäranspruch keine § 253 BGB entsprechende Vorschrift. Die Wertung des § 284 BGB, der über § 275 Abs. 4 BGB auch bei der übermäßigen Leistungserschwerung gilt, spricht ebenfalls für die Einbeziehung immaterieller Interessen. Teilweise wird das Gläubigerinteresse mit dem Marktwert der Sache oder der Dienstleistung gleichgesetzt.54 Dies ist dann konsequent, wenn man auf der Schuldnerseite den zur Leistungserbringung erforderlichen Gesamtaufwand betrachtet. Vorzugswürdig scheint es jedoch, das vertragliche Äquivalenzinteresse im Rahmen des § 275 Abs. 2 BGB jedenfalls bei der Ermittlung von 48
Davon zu unterscheiden ist die Möglichkeit der Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB, für die es nicht primär auf das Zurücktreten des Gläubigerinteresses ankommt. Voraussetzung ist dafür allerdings eine Leistungserschwerung, die außerhalb des vertraglich übernommenen Leistungsrisikos liegt. Zur Abgrenzung von § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB näher unten § 14 II. 2. (S. 260 ff.). 49 Vgl. insbesondere Canaris, JZ 2001, 499, 501 f.; ebenso etwa Palandt / Grüneberg, § 275 Rn. 27; PWW / Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 18. 50 So etwa Canaris, JZ 2001, 499, 505. 51 MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 78; PWW / Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 18; Löhnig, ZGS 2005, 459, 460. 52 Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 27 ff.; MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 80. 53 MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 79; Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 92; AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 43; Jauernig / Stadler, § 275 Rn. 25; PWW / SchmidtKessel, § 275 Rn. 15, 18; A. Schlüter, ZGS 2003, 346, 348; Köndgen, in: FS Schäfer, S. 275, 283 ff. (mit dem Vorschlag, mangels Quantifizierbarkeit einen pauschalierten „Immaterialzuschlag“ in die Berechnung des Gläubigerinteresses einzustellen). 54 Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 21, 25; grundsätzlich auch Lorenz / Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 305 sowie Köndgen, in: FS Schäfer, S. 275, 283.
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Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse außer Betracht zu lassen, da es für die besondere Situation der Erschwerung der Leistung keine Konsequenzen hat.55 Dies bedeutet indessen nicht, dass das Schuldverhältnis für die Abwägung nicht von Bedeutung wäre: Vielmehr ordnet § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB ausdrücklich die Berücksichtigung des Inhalts des Schuldverhältnisses bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung an. Dieser bildet gewissermaßen die Basis für die Ermittlung eines groben Missverhältnisses. In diesem Zusammenhang kann auch eine Rolle spielen, ob der Gläubiger angesichts bereits bestehender Beschaffungsschwierigkeiten einen besonders hohen Preis für die Ware zu zahlen bereit war – dann kann dem Schuldner ein höherer Aufwand zugemutet werden.56 Kann der Gläubiger die vertraglich geschuldete Sache oder die Dienstleistung anderswo beschaffen, weil sie leicht am Markt verfügbar ist, so ist auch dieser Umstand relativierend bei der Ermittlung seines Leistungsinteresses zu berücksichtigen.57 Es liegt nahe, im Rahmen der Ermittlung der Gläubigerinteressen auch zu untersuchen, ob ein möglicherweise bestehender Sekundäranspruch besteht und ob dieser für den Gläubiger eine ausreichende Kompensation wäre. Ergibt sich dabei, dass bei einem nur pekuniären Ausgleich die Interessen des Gläubigers nur unzureichend gewahrt wären, so kann dies bei der Abwägung im Rahmen des § 275 Abs. 2 BGB Berücksichtigung finden.58 cc) Grobes Missverhältnis Auf der Grundlage einer Gegenüberstellung von Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse ist in einer Einzelfallbetrachtung zu ermitteln, ob ein grobes Missverhältnis vorliegt. Hierbei ist es nicht damit getan, die auf Schuldnerseite und die auf Gläubigerseite stehenden Posten jeweils zu saldieren, eine Differenz zu bilden und zu fragen, ob hier ein grobes Missverhältnis besteht. 59 Vielmehr sind diese Posten in eine Gesamtabwägung einzubeziehen, in der insbesondere 55
Ebenso Jauernig / Stadler, § 275 Rn. 25; PWW / Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 18. So Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 100; in der Tendenz wohl auch PWW / Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 18 (die Gegenleistung könne ein Indiz für das Gläubigerinteresse sein). Gegen jede Berücksichtigung der Höhe des Entgelts Canaris, JZ 2001, 499, 502; Jauernig / Stadler, § 275 Rn. 25. Dazu näher sogleich cc) (1) (S. 177 ff.). 57 Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 91 (Rechtsgedanke des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL, wonach Erfüllung nicht verlangt werden kann, wenn „die benachteiligte Partei die Leistung vernünftigerweise aus einer anderen Quelle erhalten kann“. Anders als bei den PECL bildet dieser Umstand im Rahmen des § 275 Abs. 2 BGB aber nur einen Abwägungsfaktor, kann also gegenüber anderen abwägungsrelevanten Gesichtspunkten zurücktreten. Zu Regelung der PECL näher unten 4. d) aa) (S. 222 ff.). 58 BGHZ 163, 234, 246 f. Umgekehrt insoweit die Prämisse des englischen Rechts, dazu näher unten 4. c) (S. 214 ff.). 59 So aber offenbar Löhnig, ZGS 2005, 459, 460. 56
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auch die Gebote von Treu und Glauben und der Inhalt des Schuldverhältnisses mit einzustellen sind. Diese Gesichtspunkte sind einer Umwandlung in monetäre Größen – ebenso wie die bei den Gläubigerinteressen zu berücksichtigenden immateriellen Interessen – nicht zugänglich.60 (1) Vertragsauslegung zur Bestimmung der geschuldeten Leistung Den ersten Schritt bildet die Auslegung des konkreten Schuldverhältnisses zur Klärung der Frage, was der Schuldner nach dessen Inhalt zur Leistungserbringung zu tun verpflichtet ist.61 Denn das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 2 BGB ist relativ zur rechtsgeschäftlich übernommenen Verpflichtung zu sehen. Nach dem klaren Wortlaut der Norm ist der Inhalt des Schuldverhältnisses lediglich einer der bei der Abwägung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte. Dennoch muss ihm eine herausragende Bedeutung eingeräumt werden.62 Der vom Schuldner zu betreibende Aufwand steigt, wenn die Leistungserschwerung von den Parteien bereits bei Vertragsschluss gesehen wurde und der Schuldner seine Überwindung zugesagt hat – dies dürfte sich auch entsprechend in der Höhe der Gegenleistung niedergeschlagen haben. Bereits an dieser Stelle kann sich ergeben, dass eine Leistungspflicht ohne Rückgriff auf § 275 Abs. 2 BGB nicht besteht, weil sie vertraglich nicht vereinbart wurde.63 Hierbei 60
Zur Struktur des Abwägungsprozesses näher unten § 19 (S. 347 ff.). Eingehend Unberath, Vertragsverletzung, S. 272 ff. So auch die Regierungsbegründung zur Schuldrechtsmodernisierung, BT-Drucks. 14/6040, S. 127: „Das Vorliegen von echter (physischer) Unmöglichkeit ist durch die Fortschritte der Technik wesentlich eingeengt worden. So kann man heute gesunkene Schiffe auffinden und heben oder Berge versetzen. Dass solche Maßnahmen technisch möglich sind, sagt aber noch nicht, dass sie auch geschuldet werden, wo sie eine Voraussetzung für die Leistung bilden. Vielmehr ist hierüber unter rechtlichen Gesichtspunkten durch Auslegung des Versprechens zu entscheiden: Wer bloß eine Maschine zu liefern versprochen hat, braucht zur Erfüllung dieser Lieferungspflicht regelmäßig nicht das Schiff zu heben, mit dem die Maschine versunken ist. Wer dagegen das Schiff zu heben versprochen hat, wird regelmäßig nicht durch Schwierigkeiten entlastet, die dieser Hebung entgegenstehen.“ 62 AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 51 (die allerdings mit einer gewissen Berechtigung darauf hinweist, dass dadurch die Abwägung in § 275 Abs. 2 BGB „weitgehend ausgehebelt“ werde). Diesen Ausgangspunkt teilen auch die Kritiker der Neuregelung des § 275 BGB, vgl. insbesondere Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 139 ff.; ders., GPR 2008, 262, 264, ziehen aber freilich andere Konsequenzen: So soll ein über die Vereinbarung hinausgehender Aufwand zur Überwindung eines Leistungshindernisses nach § 275 Abs. 2 BGB erst dann geschuldet sein, wenn der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat (a.a.O., S. 256 ff., 362). Jenseits der methodischen Bedenken gegen diesen Ansatz besteht für eine so weitreichende Korrektur auch keine Notwendigkeit, sofern der Parteiwille bei der Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB hinreichend beachtet wird. 63 Vgl. dazu auch die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 14/6040, S. 127. Ebenso Medicus, in: FS Flume, Bd. 1, S. 629, 632: „Daß ein Vertrag zu erfüllen ist, soweit er reicht, lässt sich ja gar nicht ernsthaft bestreiten. Zweifeln kann man nur daran, wie weit er reicht“ (Hervorhebungen im Original). Ebenso AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 41; Unberath, Vertragsverletzung, S. 276; Mückl, Jura 2005, 809, 810 sowie bereits Heck, 61
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geht es nicht um eine Befreiung von der Leistungspflicht im Sinne der Norm, denn diese bestand nach der Parteivereinbarung von vornherein nicht. Erst dann, wenn feststeht, dass das Leistungshindernis nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses überwunden werden müsste, kann sich ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 2 BGB ergeben, wenn der Schuldner dazu einen Aufwand betreiben müsste, der in krassem Gegensatz zum vergleichsweise geringen Interesse des Gläubigers an der Leistung steht. Diese Wertung hängt wiederum entscheidend vom Inhalt des Schuldverhältnisses ab. Die dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen richten sich zuerst nach den vertraglichen Vereinbarungen. Kontrovers diskutiert wird nach der Schuldrechtsmodernisierung insbesondere die Frage, wie weit die Leistungspflicht des Stückschuldners reicht. Bereits vor der Schuldrechtsreform war anerkannt, dass bloße Beschaffungshindernisse noch keine Unmöglichkeit der Leistung begründen.64 Nunmehr wird gefordert, die Leistungspflicht schon bei einem einfachen Missverhältnis entfallen zu lassen. 65 Hat der Schuldner das Leistungshindernis nicht zu vertreten, so soll nach dieser Ansicht im Ergebnis eine Befreiung von der Leistungspflicht die Folge sein.66 Mit der gesetzgeberischen Intention verträgt sich das nicht vollständig: Auch bei Zufallshindernissen sind dem Schuldner durchaus Anstrengungen zuzumuten, seiner Leistungspflicht doch noch gerecht zu werden.67 Wie weit diese Anstrengungen gehen müssen, richtet sich nach der parteilichen Abrede. Um ein viel zitiertes Beispiel aufzugreifen: Ob der Verkäufer eines gebrauchten PKW, der nach Vertragsschluss entwendet und in Murmansk wieder aufgetaucht ist und von dort mit hohen Kosten wieder zurückgeholt werden könnte, nach wie vor zur Leistung verpflichtet ist oder nicht,68 bestimmt sich in erster Linie nach der parteilichen Vereinbarung, die gegenbenenfalls ergänzend auszulegen ist. 69 Ergibt sich Grundriß des Schuldrechts, S. 85 ff. Für den Vorrang der Auslegung sind auch diejenigen Autoren, die § 275 Abs. 2 BGB für verfehlt halten: Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 139 ff., 169 ff., 261; Picker, in: FS Konzen, S. 687, 717 sowie Bernhard, Jura 2006, 801, 806 ff. 64 Vgl. nur BGH NJW 1988, 699, 700; BGHZ 131, 176, 183; BGHZ 141, 179, 181 ff.; weitere Nachweise bei Gsell, JZ 2004. 110, 118. Anders etwa U. Huber, Leistungsstörungen, Band I, § 3 I 3 (S. 68 ff.), der bereits Unvermögen annimmt, wenn die Sache aus Gründen, die der Schuldner nicht zu vertreten hat, aus seinem Besitz gerät. 65 Vgl. M. Fischer, DB 2001, 1923, 1925 (dagegen Dauner-Lieb / Arnold / Dötsch / Kitz, Fälle zum neuen Schuldrecht, Fall 24, S. 50 Fn. 8); ebenso nun Bitter, ZIP 2007, 1881, 1888 f., der für die Nachlieferungspflicht bei Stückschulden den einheitlichen Maßstab eines einfachen Missverhältnisses bei § 439 Abs. 3 BGB und § 275 Abs. 2 BGB genügen lassen will: zustimmend (aber einräumend, dass dies contra legem ist) auch Köndgen, in: FS Schäfer, S. 275, 276 Fn. 5. 66 Von einer Annäherung an das „Prinzip der Zufallsbefreiung“ spricht MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 101 ff. 67 BT-Drucks. 14/6040, S. 131. 68 Beispiel nach Picker, JZ 2003, 1035. Für eine Fallbesprechung siehe Hilbig, Jura 2009, 701. 69 Zutreffend Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 82.
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daraus, dass der Käufer die Übergabe des Wagens am Erfüllungsort versprochen hat, es sich also um ein reines Platzgeschäft handelt, so wird man nicht annehmen können, dass auch die Leistungspflicht fortbesteht, wenn der PKW erst aus Murmansk zurückgebracht werden müsste. In diesem Fall dürfte bereits persönliche Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB anzunehmen sein.70 Selbst wenn man dem nicht folgt, so ist der Inhalt der vertraglichen Pflicht doch auch im Rahmen der Abwägung nach § 275 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen; auch dies kann zu einem Entfallen der Leistungspflicht führen.71 Bei nicht-synallagmatischen Leistungspflichten, also etwa dem Vermächtnisanspruch oder der Herausgabepflicht des Auftragnehmers, des Entleihers oder des Verwahrers wird hingegen gefordert, dass – jedenfalls bei fehlendem Vertretenmüssen des Schuldners – in Bezug auf das Leistungshindernis die Einseitigkeit der Verpflichtung dergestalt berücksichtigt werden müsse, dass kein zusätzlicher Mehraufwand zur Wiederbeschaffung der Sache zu leisten sei.72 Richtig daran ist, dass der Inhalt des Schuldverhältnisses wegen der Einseitigkeit der Leistungspflicht in diesen Fällen oftmals bei der Abwägung dazu führen wird, dass die Leistungspflicht nach § 275 Abs. 2 BGB erlischt. Zwingend ist dies jedoch nicht. Auch etwa bei schuldlosem Abhandenkommen des verwahrten oder entliehenen Gegenstandes kann das Interesse des Gläubigers an dessen Erhalt so hoch zu bewerten sein, dass trotz erhöhtem Schuldneraufwand kein grobes Missverhältnis anzunehmen ist. Ein genereller Ausschluss der Leistungspflicht widerspricht dem in § 275 Abs. 2 BGB enthaltenen Abwägungserfordernis.73 (2) Keine festen Wertgrenzen Die Vielfalt der vertretenen Meinungen, das Bemühen um die Festlegung handhabbarer Wertgrenzen, jenseits derer das grobe Missverhältnis beginnen soll, zeigt, dass die Lösung im Einzelfall gefunden werden muss und dass numerische Grenzen der Leistungspflicht nicht praktikabel sind.74 Dies gilt zunächst für die Ansicht, die den zu erbringenden Schuldneraufwand bei 110 bis 150 % 70 So S. Lorenz, Neues Leistungsstörungs- und Kaufrecht, S. 10; Unberath, Vertragsverletzung, S. 276; Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 82 sowie bereits Heck, Grundriß des Schuldrechts, S. 86. Anders Canaris, JZ 2004, 214, 220 ff., der den Fall über § 275 Abs. 2 BGB löst. 71 Lösung des Falles aus ökonomischer Sicht bei Köndgen, in: FS Schäfer, S. 275, 290 ff. 72 So U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 552; AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 54; Palandt / Grüneberg, § 275 Rn. 28. A.A. Unberath, Vertragsverletzung, S. 277. 73 Dazu sogleich unten (3) (S. 180 ff.). 74 Ebenso Unberath, Vertragsverletzung, S. 280; Köndgen, in: FS Schäfer, S. 275, 279. Siehe auch die Kritik von Picker, in: FS Konzen, S. 687, 690, der die Festlegung von Zahlengrenzen zwar als „Akt juristischer Notwehr“ gegen einen aus seiner Sicht durch § 275 Abs. 2 BGB verursachten Verlust an Rechtssicherheit würdigt, aber dennoch in dieser „autoritären Zahlsetzung Willkür“ sieht.
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des Leistungsinteresses des Gläubigers sieht.75 Aber auch diejenigen Autoren, die bei synallagmatischen Verpflichtungen den Aufwand, den der Schuldner betreiben muss, um frei zu werden, in der Regel durch die Höhe der vom Gläubiger geschuldeten Gegenleistung begrenzen wollen,76 verkürzen die in § 275 Abs. 2 BGB vorgegebene Abwägung in unzulässiger Weise.77 Es kann sich bereits aus der parteilichen Vereinbarung, aber auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben, dass der Gegenleistungsanspruch nicht die Obergrenze des vom Schuldner zu betreibenden Leistungsaufwandes bildet.78 (3) Erfordernis einer umfassenden Abwägung Bei diesem Verständnis des § 275 Abs. 2 BGB, wonach die vertragliche Vereinbarung vorrangig zur Bestimmung der rechtsgeschäftlichen Leistungspflicht heranzuziehen ist, ergibt sich eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Norm auf Extremfälle, für die starre Wertgrenzen ebenso unzureichend wie als nicht im Parteiinteresse liegend anzusehen sind.79 Feste Wertgrenzen oder Abgrenzungsformeln wiegen den Rechtsanwender in einer falschen Sicherheit. § 275 Abs. 2 BGB erfordert die Durchführung einer umfassenden Abwägung im Einzelfall; hierfür kann es wegen der Vielzahl der erfassten Fallkonstellationen kaum sinnvolle abstrakte Maßgaben geben.80 Sehr zweifelhaft ist, ob das grobe Missverhältnis allein durch ein Kosten-Nutzen-Kalkül ermittelt werden kann.81 Dagegen spricht bereits die ausdrückliche Bezugnahme des Gesetzgebers auf den Grundsatz von Treu und Glauben, aber insbesondere auch die Mitberücksichtigung der Frage, inwieweit der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat (§ 275 Abs. 2 Satz 2 BGB).82 75 Vgl. Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 67 ff., darüber sei der Schuldneraufwand „unökonomisch“; ebenso im Grundsatz Jauernig / Stadler, § 275 Rn. 26 f. 76 Vgl. insbesondere Ackermann, JZ 2002, 378, 383 f.; U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 545, 548, 566. 77 Dagegen auch Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 25 ff.; ders., JZ 2004, 214, 222 (mit Nachweisen zur Gegenmeinung in Fn. 86); S. Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 121; Mückl, Jura 2005, 809, 814 f.; Bernhard, Jura 2006, 801, 803 ff.; Mitzkait, Leistungsstörung und Haftungsbefreiung, S. 54 f.; aus ökonomischer Sicht ebenfalls dagegen Köndgen, in: FS Schäfer, S. 275, 279 ff. 78 Vgl. auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 280 mit Fn. 199 mit dem Hinweis, dass feste Wertgrenzen meist nicht auf einem ökonomisch begründeten und ausgeführten Modell für den mutmaßlichen Parteiwillen beruhen. Kritisch zu diesem Ansatz Martinek, AcP 209 (2009), 840, 845. 79 So im Ergebnis auch Bernhard, Jura 2006, 801, 808 f. 80 Vgl. etwa die im Fall LG Kiel RDG 2008, 200 durchgeführte Abwägung, ob sich ein Krankenhausträger gegenüber dem Verlangen einer Patientin auf Einsichtnahme in die Originalkrankenakten auf das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 2 BGB berufen kann. 81 Dafür MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 69. Siehe auch unten § 21 III. 3. c) cc) (S. 378 ff.). 82 Diesen Abwägungsgesichtspunkt bezeichnet auch Ernst als dem Kosten-Nutzen-Kalkül fremd, MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 69.
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Die Berücksichtigung des Vertretenmüssens ist zunächst nicht selbstverständlich, da das Leistungshindernis auch rein objektiv bestimmt werden könnte.83 Es zeigt jedoch, dass bei der Ermittlung einer übermäßigen Leistungserschwerung sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, dass sogar bei vorsätzlicher Nichtleistung des Schuldners die Abwägung ergeben kann, dass das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB besteht.84 Eine Entscheidung des BGH85 scheint darauf hinzudeuten, dass der Schuldner dann, wenn er das Leistungshindernis zu vertreten hat, sich regelmäßig nicht auf die Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB berufen kann.86 Diese starke Betonung des in § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB eigens normierten Verschuldensmoments berücksichtigt jedoch nicht hinreichend, dass daneben auch weitere Umstände mit einbezogen werden müssen. Bereits der Wortlaut des § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB lässt darauf schließen, dass das Vertretenmüssen des Schuldners als ein Aspekt bei der Bestimmung der ihm zuzumutenden Anstrengungen zur Überwindung des Leistungshindernisses anzusehen ist. Ein besonderes Gewicht dieses Gesichtspunktes lässt sich daraus aber nicht ableiten.87 Schon gar nicht darf die Abwägung – wie in der genannten Entscheidung des BGH88 – mit Hinweis auf das Vertretenmüssen des Schuldners ganz unterbleiben.89 Im Vorfeld der Schuldrechtsmodernisierung hatte die „Kommission Leistungsstörungsrecht“ vorgeschlagen, ausdrücklich in die Abwägung mit aufzunehmen, dass der Gläubiger das Missverhältnis durch Angebot eines entsprechenden Ausgleichs aufheben könne.90 Dieser Vorschlag ist nicht Gesetz geworden. Dies spricht aber nicht dagegen, auch nach geltendem Recht eine Beteiligung des Gläubigers an dem erhöhten Leistungsaufwand bei der Abwägung zu berücksichtigen.91 Denn wenn es der Zweck des § 275 Abs. 2 BGB ist, dem Schuldner ein Verweigerungsrecht gegenüber dem rechtsmissbräuchlichen Be83
Vgl. Unberath, Vertragsverletzung, S. 280 f., der die Berücksichtigung des Schuldnerverhaltens in § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB damit rechtfertigt, dass der Gläubiger, in dessen mutmaßlichem Interesse es liegt, dass der Schuldner bei übermäßiger Belastung nicht leisten muss, bei verschuldetem Unvermögen der Entlastung des Schuldners nicht zugestimmt hätte. 84 So zu Recht U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 561 Fn. 108. 85 BGH NJW 2008, 3122, 3123. Im Fall ging es um die Pflicht zur Beseitigung eines Überbaus; der Schuldner hätte dieser allerdings nur mit außerordentlich hohem Aufwand nachkommen können. Der nach Ansicht des Senats grundsätzlich anwendbare § 275 Abs. 2 BGB scheiterte aber daran, dass der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hatte. 86 In diesem Sinne offenbar auch Schlechtriem, in: FS Sonnenberger, S. 124, 127. 87 So auch BGH NJW 2008, 3123, 3125, wonach die Abwägung trotz eines erheblichen Verschuldens des Schuldners zu dessen Gunsten ausfallen kann; siehe auch LG Kiel RDG 2008, 200. 88 BGH NJW 2008, 3122, 3123. 89 Dazu auch allgemein Röthel, Normkonkretisierung, S. 213 f. 90 Abdruck in JZ 2001, 524; dazu Canaris, JZ 2001, 499, 503 f. 91 So etwa Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 38 f.; Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 94; Schwarze, Jura 2002, 73, 78; Jauernig / Stadler, § 275 Rn. 25; auch MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 86.
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harren des Gläubigers auf Erfüllung zu geben, so entfällt dieser Vorwurf, wenn der Gläubiger seinerseits zur Überwindung des Leistungshindernisses beiträgt. (4) Die Bedeutung des § 275 Abs. 2 BGB in der Judikatur Dass die erhebliche dogmatische Bedeutung von § 275 Abs. 2 BGB in einem gewissen Gegensatz zu seiner offensichtlich eher überschaubaren praktischen Relevanz steht, zeigen die wenigen bislang veröffentlichten Entscheidungen, die auf diese Norm Bezug nahmen.92 Interessant ist zunächst eine Entscheidung des BGH zur Haftung des Verkäufers eines „mangelhaften“ Welpen.93 Der Käufer hatte vier Monate nach Übergabe des Hundes bei einer tierärztlichen Untersuchung festgestellt, dass der Dackelwelpe an einer genetisch bedingten Fehlstellung eines hinteren Sprunggelenks litt, der zu einer übermäßigen O-Beinigkeit des Tieres führt. Der Käufer forderte daher den beklagten Verkäufer zur Veranlassung einer operativen Beseitigung der Fehlstellung auf, was dieser ablehnte. Daraufhin ließ der Käufer die Operation zum Preis von € 1000,– selbst durchführen. Die operative Korrektur der Fehlstellung hatte zur Folge, dass der Hund zweimal jährlich einer tierärztlichen Kontrolluntersuchung unterzogen werden muss. Der Verkäufer lehnte die Kostenübernahme für Operation und Folgekosten ab; der BGH gab ihm Recht. Dabei stützte sich das Gericht in erster Linie auf die Erwägung, dass eine vollständige Beseitigung des Mangels durch die Operation nicht möglich war, sondern vielmehr der Eingriff in den Knochenbau des Welpen lebenslange Kontrolluntersuchungen notwendig machte.94 Damit war der Verkäufer nach § 275 Abs. 1 BGB sowohl von seiner primären vertraglichen Leistungspflicht als auch von der Pflicht zur Nacherfüllung aus § 439 BGB frei geworden. Ein Schadensersatzanspruch des Käufers scheiterte daran, dass der Verkäufer den genetischen Defekt des Welpen nicht zu vertreten hatte. Im hier interessierenden Kontext sind insbesondere die darauffolgenden Ausführungen des BGH zu § 275 Abs. 2 BGB von Bedeutung, die streng genommen obiter und unter der vom Senat offen gelassenen Annahme erfolgten, dass ein Anspruch auf Nacherfüllung auch bei nur partieller Behebbarkeit des Mangels besteht.95 Hier ließ der Senat dahinstehen, ob auch unter dieser Hypothese eine Verweigerung der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 3 BGB zu Recht erfolgte, da jedenfalls die Voraussetzungen des § 275 Abs. 2 BGB gegeben wä92 Vgl. dazu auch Löhnig, ZGS 2005, 459. Von einer durchaus hohen praktischen Bedeutung des § 275 Abs. 2 BGB geht hingegen Schlechtriem, in: FS Sonnenberger, S. 124, 127, aus. 93 BGHZ 163, 234 („Dackelurteil“); dazu C. Hirsch, Jura 2006, 120; Keilmann, NJW 2006, 2526; Gutzeit, NJW 2007, 956. 94 BGHZ 163, 234, 244. 95 Zur Frage, ob Nacherfüllung auch dann geschuldet wird, wenn von vornherein feststeht, dass der vertraglich geschuldete Zustand nicht erreicht werden kann (man kann hier von einem „Ausbesserungsanspruch“ sprechen) Gutzeit, NJW 2007, 956.
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ren.96 Dahinter steht möglicherweise die Erwägung, dass die Erfüllung der strengeren Voraussetzungen des § 275 Abs. 2 BGB dem Gedankengang mehr Autorität verleihen könnte.97 Maßgeblich stellte der BGH darauf ab, dass der durch die Nachuntersuchungen und möglicherweise auftretende postoperative Komplikationen verursachte, vom Schuldner zu betreibende Aufwand für diesen „unzumutbar“ wäre;98 zu dessen Gunsten sprach auch, dass er den Mangel nicht zu vertreten hatte. Das Leistungsinteresse des Käufers hingegen, das aus Sicht des Senats nur in „einer Korrektur des äußeren Erscheinungsbildes des Hundes“ lag, fiel demgegenüber nur wenig ins Gewicht. Bemerkenswert ist bei dieser Abwägung, dass weder der Kaufpreis in Höhe von € 500,– noch die Operationskosten von über € 1000,– Berücksichtigung fanden. Auch trat der BGH nicht in Überlegungen ein, wie der Aufwand für die regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen und etwaige durch die Operation verursachte Komplikationen zu bemessen wäre; eine Gegenüberstellung monetärer Größen erfolgte damit gerade nicht. Bedeutsam bei dieser Abwägung war der Umstand, dass auch durch die Durchführung der Operation mit den Nachuntersuchungen der vertragsgemäße Zustand letztlich nicht hätte herbeigeführt werden können. Unter diesen Voraussetzungen schätzte der BGH die Leistungspflicht des Schuldners als geringer ein. Als Kontrollüberlegung zog der Senat auch die anderen dem Käufer zustehenden Rechtsbehelfe heran, insbesondere die Minderung, die dessen Interessen im vorliegenden Fall ausreichend wahrten. Die Entscheidung des BGH ist über den Tierkauf hinaus allgemein für das Verständnis des § 275 Abs. 2 BGB in Bezug auf die Reichweite der Nacherfüllungspflicht jedenfalls beim Spezieskauf von Bedeutung. Es ist eine umfassende Abwägung im Einzelfall vorzunehmen. Hierbei spielt das ursprüngliche vertragliche Äquivalenzverhältnis keine Rolle. Auf Schuldnerseite ist primär der durch das Leistungshindernis verursachte Mehraufwand zu betrachten, auf Gläubigerseite insbesondere die immaterielle Beeinträchtigung des Leistungswerts durch den Mangel. Der vom BGH entschiedene Fall zeigt, dass eine Umwandlung der einzelnen in der Abwägung zu berücksichtigenden Faktoren in monetäre Größen und deren Gegenüberstellung ebenso unpraktikabel ist wie die Aufstellung oftmals willkürlicher Prozentwerte zur Konkretisierung des groben Missverhältnisses.99 96
BGHZ 163, 234, 245 ff. Auch im Rahmen des § 439 Abs. 3 BGB ist eine Abwägung vorzunehmen, bei der allerdings maßgeblich auf die durch die gewählte Art der Nacherfüllung verursachten Kosten abzustellen ist, § 439 Abs. 3 Satz 1 BGB. Dazu näher unten 3. b) bb) (S. 198 ff.). 98 Zur Abgrenzung der Zumutbarkeit von der Verhältnismäßigkeit unten § 18 III. 2. (S. 339 ff.). 99 Ansonsten hätte es nahe gelegen, das grobe Missverhältnis aus einer Gegenüberstellung des Gläubigerinteresses (als Anhaltspunkt könnte der Kaufpreis in Höhe von € 500,– dienen) und dem Schuldneraufwand (Operations- und Nachsorgekosten in Höhe von mindestens € 1200,–) herzuleiten. So aber offenbar Löhnig, ZGS 2005, 459, 462. 97
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Eine weitere Entscheidung des BGH zu § 275 Abs. 2 BGB hat ihren Schwerpunkt im Mietrecht.100 Darin setzt der BGH seine Rechtsprechung zur Pflicht des Vermieters zur Wiederherstellung der Mietsache fort, die vor der Schuldrechtsmodernisierung eine Beschränkung dort erfuhr, wo der dazu erforderliche Aufwand derart hoch war, dass die so genannte „Opfergrenze“ überschritten würde.101 Wenn diese Beschränkung vor der Reform auf Unmöglichkeitsrecht gestützt wurde, die Pflicht des Vermieters zur Behebung des Mangels damit ex lege erlosch, so rekurriert der BGH nun auf § 275 Abs. 2 BGB. Im konkreten Fall verlangten die Mieter vom Vermieter die Beseitigung von Wassereintritt im Durchgang zur Tiefgarage; dies war jedoch nur durch eine vollständige Erneuerung der Betonwanne unter dem Haus zu erreichen. Der BGH wies darauf hin, dass für eine vollständige Mangelbeseitigung möglicherweise ein die Opfergrenze überschreitender Aufwand erforderlich werde, konnte die Sache aber nicht abschließend entscheiden. Für die vom Berufungsgericht vorzunehmende Abwägung wies der Senat darauf hin, dass der Reparaturaufwand ins Verhältnis zu setzen sei mit dem Nutzen der Reparatur für den Mieter, aber auch mit dem Wert des Mietobjekts und den aus ihm zu ziehenden Einnahmen.102 Letztere beiden Posten finden sich im Wortlaut des § 275 Abs. 2 BGB allenfalls ansatzweise beim „Inhalt des Schuldverhältnisses“ wieder.103 Der vom BGH entschiedene Fall scheint indessen auch unter bloßer Gegenüberstellung des offensichtlich sehr hohen Schuldneraufwandes und dem demgegenüber nur geringen Interesse der Mieter, auch bei Regen trockenen Fußes in die Tiefgarage zu gelangen, eindeutig zugunsten des Vermieters zu lösen zu sein.104 Auch das BAG hatte bereits Gelegenheit, § 275 Abs. 2 BGB anzuwenden.105 Der Fall ist von Interesse, da er im Unterschied zu den beiden vom BGH entschiedenen Fällen ein einseitiges Rechtsverhältnis betraf, nämlich das (gesetzliche) Auskunftsverlangen des Europäischen Betriebsrates gegen die fingierte
100 BGH NJW 2005, 3284; ähnlich BGH WuM 2010, 348. Zu den mietrechtlichen Besonderheiten näher unten 3. c) cc) (S. 205 ff.). 101 Dazu BGH NJW-RR 1991, 204, 205 m.w.N. 102 BGH NJW 2005, 3284 unter Verweis auf MüKo-BGB / Schilling, 4. Aufl. 2004, § 535 Rn. 110; ebenso BGH WuM 2010, 348, 349. Eine Literaturansicht rekurriert in diesem Fall auf § 313 BGB, vgl. etwa C. Hirsch, ZMR 2007, 81, 86; dens., Jura 2007, 81, 85. Zur Abgrenzung näher unten § 14 II. 2. (S. 260 ff.). 103 Kritisch daher Löhnig, ZGS 2005, 459, 460 f.; für Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte (mögliche Kompensation des Vermieteraufwandes zur Erhaltung der Mietsache durch zukünftige Mieteinnahmen) aber U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 553 Fn. 78a. 104 Auch hier stellt sich wiederum die Frage, inwieweit wenigstens eine teilweise Mangelbeseitigung geschuldet ist, wenn die vollständige Mangelbeseitigung unverhältnismäßig ist und daher verweigert werden kann. Hierfür spricht, dass der Vermieter ansonsten desto eher von seiner Erhaltungspflicht frei würde, je schlechter der Zustand der Mietsache ist. Siehe allgemein dazu Gutzeit, NJW 2007, 956. 105 BAGE 111, 191 = NZA 2005, 118; dazu Leder / Zimmer, BB 2005, 445.
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zentrale Leitung des Unternehmens nach § 5 EBRG.106 Das BAG unterstreicht, dass Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung in § 275 Abs. 2 BGB das Gläubigerinteresse ist; diesem könne nur der vom Schuldner zur Erfüllung des Anspruchs zu betreibende Aufwand gegenüber gestellt werden, nicht aber sonstige wirtschaftliche Interessen.107 Dies scheint in gewissem Gegensatz zur eben referierten Rechtsprechung des BGH zur „Opfergrenze“ im Mietrecht zu stehen, wo wirtschaftliche Gesichtspunkte in die Abwägung mit einbezogen wurden. Die Verwirrung klärt sich aber, wenn man berücksichtigt, dass in § 275 Abs. 2 BGB der Inhalt des Schuldverhältnisses und damit die parteiautonome Vereinbarung Berücksichtigung finden soll. Hierbei können durchaus auch wirtschaftliche Erwägungen der Parteien in die vertragliche Risikostruktur einfließen. Bei einem gesetzlichen Auskunftsanspruch kann dies hingegen naturgemäß nicht der Fall sein. Eine weitere Entscheidung ist zu erwähnen, die wiederum keinen vertraglichen Anspruch betrifft, sondern den Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB:108 Das OLG Düsseldorf entnimmt darin § 275 Abs. 2 BGB einen allgemeinen Rechtsgedanken,109 der auch auf den Anspruch aus § 1004 BGB anzuwenden ist.110 Dem ist der BGH nun in mehreren Entscheidungen beigetreten.111 c) Dogmatische Einordnung von § 275 Abs. 2 BGB Wegen der Nähe zum Grundtatbestand in § 275 Abs. 1 BGB wird das in Abs. 2 enthaltene Leistungsverweigerungsrecht dogmatisch vielfach der Lehre von der Unmöglichkeit zugeordnet.112 Hierfür wird zumeist angeführt, dass nach der 106 Ein einseitiges Rechtsverhältnis lag auch der Entscheidung LG Kiel RDG 2008, 200 zugrunde. 107 BAG NZA 2005, 118, 121 f. 108 OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 1024. 109 Zur Verallgemeinerung des Rechtsgedankens aus § 275 Abs. 2 BGB unten § 22 II. 2. c) bb) (1) (S. 402 ff.). 110 OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 1024, 1025 (Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB auf den Beseitigungsanspruch der Wohnungseigentümer aus § 1004 BGB gegenüber einer ohne das nach § 22 WEG erforderliche Einverständnis der Miteigentümer durchgeführten Baumaßnahme). Ähnlich, allerdings ohne ausdrückliche Bezugnahme auf § 275 Abs. 2 BGB, in Bezug auf den urheberrechtlichen Beseitigungsanspruch LG Berlin ZUM 2007, 424, 430 (Berliner Hauptbahnhof). Vgl. auch die ausdrückliche Regelung in § 98 Abs. 3 UrhG zum Vernichtungsanspruch bei Urheberrechtsverletzung. 111 BGH NJW 2008, 3122, 3123; ebenso BGH NJW 2008, 3123, 3125 sowie BGH NZM 2010, 174, 175. Siehe dazu auch unten Kap. 6 Fn. 251. 112 Canaris, JZ 2001, 499, 505 (aber unter Einschluss des Rechtsmissbrauchsgedankens); ders., in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 26; ders., JZ 2004, 214, 220 (mit Fn. 57); ebenso S. Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 5, 120; Palandt / Grüneberg, § 275 Rn. 26; Erman / Westermann, § 275 Rn. 22; Mückl, Jura 2005, 809, 814 (mit nicht weiterführendem Verweis auf die Normüberschrift); wohl auch Grigoleit, Contratto impr. / Europa, 2004, 2, 920, 937 ff. (mit rein terminologischer Unterscheidung der verschiedenen Absätze von § 275 BGB). Der BGH scheint ebenfalls alle Absätze des § 275 BGB der Unmöglichkeit zuzuordnen, vgl. BGH NJW
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Vorstellung des Gesetzgebers der früher unter § 275 Abs. 1 BGB a.F. subsumierte Fall der „faktischen“ Unmöglichkeit nunmehr eigenständig normiert und tatbestandlich präzisiert, hingegen aber nicht in eine neue dogmatische Kategorie überführt werden sollte.113 An einer solchen Auslegung bestehen in mehrfacher Hinsicht Zweifel, lässt sie doch die zwischen Unmöglichkeit und bloßer Leistungserschwerung bestehenden konzeptuellen Unterschiede unbeachtet.114 Bereits der Wortlaut von § 275 Abs. 2 BGB spricht für eine Deutung als eigenständiges Leistungsverweigerungsrecht wegen Unverhältnismäßigkeit und nicht als Unterfall der Unmöglichkeit: Der Begriff der Unmöglichkeit taucht hier nicht auf. Vielmehr ergibt die amtliche Überschrift zu § 275 BGB ein anderes Bild: Diese bezieht sich in allgemeiner Weise auf den „Ausschluss der Leistungspflicht“ und nicht auf die Unmöglichkeit.115 Hiernach ist die Unmöglichkeit nur als ein Spezialfall des Ausschlusses der Leistungspflicht zu sehen, nämlich derjenige, in dem eine Leistungspflicht subjektiv oder objektiv ohne Erfordernis einer Abwägung ausgeschlossen ist.116 Auch die Berücksichtigung des Verschuldens bei der Abwägung in § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB spricht gegen eine Zuordnung zum Recht der Unmöglichkeit. Denn für die Unmöglichkeit der Leistung genügt begrifflich eine objektive Betrachtung – diese wollte der Gesetzgeber für Abs. 2 ausdrücklich nicht ausreichen lassen. Ein Vergleich mit ähnlichen Leistungsverweigerungsrechten im Bereich des Kauf- und Werkvertragsrechts bestätigt diese Einschätzung. Dort bestehen mit den §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB Sondervorschriften zu § 275 Abs. 2 BGB,117 die die Pflicht des Verkäufers bzw. des Werkunternehmers zur Nacherfüllung begrenzen, wenn diese nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Diese Normen unterscheiden sich tatbestandlich von § 275 Abs. 2 BGB durch eine geringere Schwelle, ab der die Einrede greift.118 Auch hier findet eine Abwägung statt; daher erscheint eine einheitliche Einordnung dieser Normen als Leistungsverweigerungsrechte wegen Unverhältnismäßigkeit vorzugswürdig. 2009, 1660, 1662, wo auf „die Fälle der Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB“ Bezug genommen wird. 113 Canaris, JZ 2001, 499, 504 f.; ähnlich S. Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 5, 23, 120, der aber klarstellt, dass es sich nicht um eine „echte“ Unmöglichkeit handelt. 114 Wie hier auch Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 364 ff., 382 ff. 115 Unzutreffend daher BGH NJW 2009, 1660, 1662. Vgl. auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 277 ff. mit ökonomischer Begründung. 116 Ebenso im Ergebnis Köndgen, in: FS Schäfer, S. 275, 282 f., der aus ökonomischer Sicht den Tatbestand der Unmöglichkeit gegenüber der Einrede der Leistungserschwerung für verzichtbar hält und die Berechtigung des § 275 Abs. 1 BGB ausschließlich darin sieht, dem Rechtsanwender eine klare Grenze der Leistungspflicht aufzuzeigen. 117 Zur Spezialität dieser Norm gegenüber § 275 Abs. 2 BGB Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 116. 118 Unberath, ZEuP 2005, 5, 19 ff. in Bezug auf die Frage, ob § 439 Abs. 3 BGB richtlinienwidrig ist. Zur Auslegung der §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB sogleich 3. b) (S. 197 ff.).
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Betrachtet man die Genese der Schuldrechtsmodernisierung, so wird deutlich, dass sich der Reformgesetzgeber ursprünglich vom auf die Unmöglichkeit als Grundtypus der Leistungsstörungen fixierten Modell des BGB lösen wollte, um nach dem Vorbild des UN-Kaufrechts den einheitlichen Tatbestand der Pflichtverletzung einzuführen. Auf die Unmöglichkeit sollte demzufolge zunächst zugunsten einer allgemeinen Einrede der Leistungserschwerung gänzlich verzichtet werden; erst in der letzten Phase des Gesetzgebungsverfahrens wurde diese Kategorie der Leistungsstörung mit § 275 Abs. 1 BGB wieder eingeführt.119 Auch unter diesem Blickwinkel erscheint es folgerichtig, die verschiedenen Absätze des § 275 BGB dogmatisch zu trennen und die Unmöglichkeit von den beiden Leistungsverweigerungsrechten in § 275 Abs. 2 und 3 BGB deutlich zu unterscheiden. Dies harmoniert besser mit dem europäischen Vereinheitlichungsmodell der PECL, wo in Art. 9:102 Abs. 2 Unmöglichkeit und Leistungserschwerung ebenfalls nebeneinander als Leistungshindernisse fungieren,120 insbesondere aber auch mit dem UN-Kaufrecht, das die Unmöglichkeit nicht eigens erwähnt, sondern sie in Art. 79 Abs. 1 CISG nur als vom Schuldner nicht überwindbares Leistungshindernis (impediment beyond his control; empêchement indépendant de sa volonté) sieht.121 § 275 BGB umklammert damit verschiedene Gegenrechte des Schuldners gegen seine Inanspruchnahme, die unterschiedliche Rechtfertigungen haben: § 275 Abs. 1 BGB beruht auf dem römischrechtlichen Grundsatz impossibilium nulla est obligatio122 und bringt zum Ausdruck, dass niemand zu einer objektiv oder subjektiv unmöglichen Leistung verpflichtet werden kann.123 Im Unterschied dazu betrifft § 275 Abs. 2 BGB den Fall, dass die Leistung – wenn auch mit erheblichem Aufwand – möglich ist, es aber aus Sicht der Rechtsordnung missbräuchlich wäre, wenn der Gläubiger den Schuldner unter diesen Umständen zur Leistung zwingen könnte.124 Nach der Gesetzesbegründung soll dem Schuldner in den Fällen des § 275 Abs. 2 BGB gerade die Erbringung der Leistung mit überobligationsmäßiger Anstrengung ermöglicht werden. Vorzugswürdig ist daher eine dogmatische Einordnung der Einrede als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bzw. des Rechtsmissbrauchsgedankens.125 119
Dazu etwa Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 55 ff. Ausführlicher zu den PECL unten 4. d) (S. 221 ff.). 121 Siehe dazu etwa Piltz, Internationales Kaufrecht, Rn. 4–230 ff. 122 Cels. D. 50, 17, 185. Dazu Zimmermann, Law of Obligations, S. 686 ff. 123 Zur Entwicklung der Unmöglichkeit im Gemeinen Recht Mommsen, Die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse. 124 Ebenso U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 558, der die Fälle der „faktischen“ Unmöglichkeit allerdings unter § 275 Abs. 1 BGB fassen will; ähnlich im Ansatz Unberath, Vertragsverletzung, S. 275 ff. Genauso zum alten Recht bereits U. Huber, Leistungsstörungen I, § 4 III 4 (S. 119 f.): Vom Schuldner zu vertretende bloße Leistungserschwerungen stellen keinen Fall der Unmöglichkeit dar, sondern sind über § 242 BGB zu lösen. 125 So auch etliche Stimmen im Schrifttum, vgl. etwa Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 120
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Soweit der Gesetzgeber offensichtlich im Anschluss namentlich an Canaris davon ausging, dass mit § 275 Abs. 2 BGB ein bisher lediglich als Unterfall der Unmöglichkeit eingeordneter Tatbestand nurmehr ausgelagert wurde, so liegt darin keine authentische, für den Rechtsanwender verbindliche dogmatische Einordnung der Gesetzesnorm.126 Bereits das Reichsgericht hatte Bedenken geäußert, ob im Gang der Gesetzgebung geäußerte subjektive Meinungsäußerungen „über einzelne, in dem Gesetzentwurfe selbst nicht ausdrücklich gegebene, Begriffsbestimmungen“ entscheiden könnten.127 Später wurde die deliktische Verkehrssicherungspflicht entgegen der ausdrücklichen Ablehnung in den Motiven eingeführt;128 das Reichsgericht sprach sogar von der „allgemeinen Unmaßgeblichkeit der Motive“. In diese Richtung geht auch die Rechtsprechung des BGH, wonach „unzutreffende Wertungen in Gesetzesmaterialien von vornherein ungeeignet [sind], eindeutige Auslegungsergebnisse in Frage zu stellen“.129 Vor diesem Hintergrund ist die bisher übliche Einordnung der Fälle des § 275 Abs. 2 BGB als „faktische“ oder „praktische“ Unmöglichkeit irreführend und lenkt von der eigentlichen Hauptaufgabe des Rechtsanwenders ab, im Rahmen einer Auslegung zu klären, ob die Überwindung des Leistungshindernisses grundsätzlich vertraglich geschuldet war und wenn ja, ob nach Abwägung der Umstände ausnahmsweise ein Verweigerungsrecht wegen übermäßiger Leistungserschwerung gegeben ist.130 d) Keine Dispositivität des § 275 Abs. 2 BGB Zumindest missverständlich ist vor diesem Hintergrund die Auffassung, § 275 Abs. 2 BGB sei dispositiv;131 die Parteien könnten also vereinbaren, dass der Schuldner über die Opfergrenze hinaus zur Leistung verpflichtet sei. Dies wiS. 367 f. (der von „materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit“ spricht); Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Leistung, S. 81; MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 71; Stoll, JZ 2001, 589, 592 (in der Vorschrift werde „Verschiedenes miteinander vermengt“); Schwab / Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 892; Kolbe, NJW 2008, 3618, 3619; ebenso im Grundsatz wohl AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 16 a.E. Vgl. auch Canaris, JZ 2001, 499, 505, der trotz einer dogmatischen Zuordnung des § 275 Abs. 2 BGB zur Unmöglichkeit dessen Charakter als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit betont. Die Eigenständigkeit von § 275 Abs. 2 BGB im Verhältnis zum Unmöglichkeitsrecht betonen ferner A. Schlüter, ZGS 2003, 346, 348; Maier-Reimer, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 291, 292 sowie rechtsvergleichend Ferrante, Contratto impr. / Europa, 2004, 2, 723, 746 mit Fn. 72. 126 So aber die Einschätzung von Dauner-Lieb (AnwK-BGB, § 275 Rn. 16 a.E.). 127 RGZ 1, 247, 250. 128 RGZ 52, 373, 378. 129 BGHZ 139, 36, 42. Zum Ganzen auch U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 564 f. 130 Ebenfalls gegen die Kategorie der „faktischen“ oder „praktischen“ Unmöglichkeit U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 560 Fn. 105; PWW / Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 15. 131 So Canaris, JZ 2004, 214, 220; MüKo-BGB / Ernst, 275 Rn. 87; AnwK-BGB / DaunerLieb, § 275 Rn. 23; Wilhelm, DB 2004, 1599, 1600; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 222; Mückl, Jura 2005, 809, 810; zustimmend Bernhard, Jura 2006, 801, 808.
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derspräche dem (zwingenden) Verbot des Rechtsmissbrauches, das in dieser Norm zum Ausdruck kommt. Vielmehr ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Feststellung der Unzumutbarkeit der Leistung nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB die konkrete Ausgestaltung des Schuldverhältnisses zu beachten. Die privatautonome Festlegung der Leistungspflicht verschiebt damit auch die Grenze des Unzumutbaren. Auch bei Übernahme einer Beschaffungspflicht findet die Leistungspflicht des Schuldners in § 275 Abs. 2 BGB ihre Grenze; diese kann aber deutlich höher liegen, wenn sich dies aus der von den Parteien getroffenen Vereinbarung ergibt: So muss der Schuldner, der sich zur Übereignung seines PKW verpflichtet hat, einen geringeren Aufwand betreiben, um das vor Übergabe gestohlene und in Murmansk aufgetauchte Gefährt zur Vertragserfüllung wieder zu beschaffen,132 als ein anderer Schuldner, der sich etwa zur Hebung einer gesunkenen Yacht verpflichtet hat und nun feststellen muss, dass die Bergung weitaus kostenaufwendiger ist als gedacht. Gleichwohl liegt auch im zweiten Beispiel in der vertraglichen Risikoabrede keine Abbedingung von § 275 Abs. 2 BGB; auch hier kann es unter Umständen rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Gläubiger auf Erfüllung besteht, wenn er hieran nur noch ein vergleichsweise geringes Interesse hat. e) Nähe zu Störungen der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) Auch der durch die Schuldrechtsreform in § 313 BGB kodifizierte Grundsatz der Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage begrenzt die ursprünglich vertraglich vereinbarte Leistungspflicht des Schuldners. Aus diesem Grund wird die Abgrenzung zu § 275 Abs. 2 BGB vielfach für problematisch erachtet. Hierauf wird an späterer Stelle zurückzukommen sein.133
2. Die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung, § 275 Abs. 3 BGB a) Tatbestand Im Gegensatz zu § 275 Abs. 2 BGB, der ausdrücklich ein Missverhältnis zwischen Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse fordert, knüpft Abs. 3 an die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung an. Das Leistungsverweigerungsrecht betrifft nur diejenigen Fälle, in denen der Schuldner die Leistung persönlich zu erbringen hat und dies auch möglich ist, jedoch ein Hinderungsgrund vorliegt, der so schwer wiegt, dass die Vertragserfüllung dem Schuldner nicht mehr zuzumuten ist. Dies kann etwa im Schulfall der Opernsängerin der Fall 132 Beispiel von Picker, JZ 2003, 1035 (aufgegriffen in der Replik von Canaris, JZ 2004, 214; dazu wiederum Picker, in: FS Konzen, S. 687, 696 f., 700 ff.); siehe dazu bereits oben Text bei Fn. 68. 133 Siehe unten § 14 II. 2. (S. 260 ff.).
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sein, deren Kind am Tag der Aufführung schwer erkrankt.134 Wann Unzumutbarkeit gegeben ist, muss ebenso wie in § 275 Abs. 2 BGB in einer Abwägung ermittelt werden – Abs. 3 ordnet dies ausdrücklich an. Bezugspunkt ist dabei wie in Abs. 2 das Interesse, das der Gläubiger an der Leistungserbringung hat. Dem stehen jedoch unterschiedliche Gesichtspunkte auf Schuldnerseite gegenüber:135 Während Abs. 2 einen wirtschaftlichen Aufwand im Blick hat, der zur Überwindung des Leistungshindernisses notwendig ist, erfasst Abs. 3 ausschließlich in der Person des Schuldners bestehende, ideelle Leistungshindernisse. Diese sind im Rahmen des Abs. 2 hingegen gerade nicht zu berücksichtigen.136 Auch wenn es zutrifft, dass beide Tatbestände letztlich das Verbot des Rechtsmissbrauchs konkretisieren,137 so besteht doch aus diesem Grund kein Spezialitätsverhältnis zwischen beiden Absätzen;138 diese regeln vielmehr unterschiedliche Interessenkonflikte.139 b) Abwägungsgesichtspunkte In die auch bei § 275 Abs. 3 BGB im Mittelpunkt stehende Abwägung sind die persönliche Belastung des Schuldners durch das Leistungshindernis und das Leistungsinteresse des Gläubigers einzustellen.140 Ebenso wie in Abs. 2 ist die Abwägung auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarung vorzunehmen; was zumutbar ist, bestimmt sich relativ zu dem ursprünglich zwischen den Parteien als „verhältnismäßig“ Erachteten.141 Auf Schuldnerseite ist zu fragen, wodurch das Leistungshindernis verursacht wurde und ob es sich dabei um schützenswerte persönliche Belange des Schuldners handelt. Solche Belange sind regelmäßig immaterieller Art. Daher sind auch diejenigen Fälle nach § 275 Abs. 3 BGB zu lösen, in denen der Schuldner die Leistung wegen eines Gewissenskon-
134
So die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 14/6040, S. 130. Canaris, in: FS Cian, S. 383, 385 ff. stellt wesentlich darauf ab, dass bei § 275 Abs. 3 BGB das Schuldnerinteresse im Vordergrund steht, während es bei Abs. 2 vor allem auf das Gläubigerinteresse ankomme. 136 Dazu oben bei Fn. 40. 137 So mit Nachdruck Canaris, in: FS Cian, S. 383, 386 f. 138 So aber MüKo-BGB / Ernst, 275 Rn. 110; AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 57. 139 Wie hier Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 371 ff., 383. Ebenso im Ergebnis wohl auch Canaris, in: FS Cian, S. 383, 386, der aus diesem Grund sogar davon ausgeht, dass § 275 Abs. 3 BGB im Vergleich zu Abs. 2 „ein wesentlich größeres und vielfältigeres praktisches Anwendungsfeld“ hat. 140 Eingehend zu den verschiedenen Fallkonstellationen Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 323 ff. sowie Canaris, in: FS Cian, S. 383, 393 ff., 398 ff., dort auch zur Frage der Bedeutung der Grundrechte in der Abwägung. 141 Dies ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut des § 275 Abs. 3 BGB, folgt aber aus dem systematischen Zusammenhang mit Abs. 2, vgl. MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 113 (die Berücksichtigung des Inhalts des Schuldverhältnisses und des Grundsatzes von Treu und Glauben „verstehe sich von selbst“). 135
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flikts verweigert,142 etwa der des Arbeitnehmers, der es wegen seiner pazifistischen Haltung ablehnt, den ihm vom Arbeitgeber aufgetragenen Druck von aus seiner Sicht kriegsverherrlichenden Schriften vorzunehmen.143 Inwieweit der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat, kann hierbei durchaus eine Rolle spielen.144 Zwar fehlt in § 275 Abs. 3 BGB eine für § 275 Abs. 2 BGB in dessen Satz 2 enthaltene, ausdrückliche Anordnung; die noch im Regierungsentwurf enthaltene Gleichbehandlung beider Tatbestände wurde wieder gestrichen.145 Dies geschah deshalb, um auch dem Arbeitnehmer, der die Krankheit selbst herbeigeführt hat, das Leistungsverweigerungsrecht des § 275 Abs. 3 BGB zugute kommen zu lassen.146 Jedenfalls für die anderen Konstellationen kann das Vertretenmüssen als Abwägungsgesichtspunkt durchaus eine Rolle spielen.147 Dies lässt sich auf den allgemeinen Gedanken stützen, dass demjenigen, der ein Leistungshindernis selbst herbeigeführt hat, höhere Anstrengungen zu dessen Überwindung abgefordert werden können.148 Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Leistungshindernis – im Rahmen des § 275 Abs. 3 BGB der Gewissenskonflikt – bereits bei Eingehen der Leistungspflicht vorhersehbar war.149 Der gesetzgeberischen Intention, den Schuldner bei Gewissenskonflikten zu schützen, wird man dadurch Rechnung zu tragen haben, dass man das (fehlende) Vertretenmüssen auch und gerade zu dessen Gunsten berücksichtigt und somit die Schwelle der Unzumutbarkeit niedriger ansetzt.150
142 Ebenso Henssler, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 615, 620; MüKoBGB / Ernst, § 275 Rn. 118; Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 105; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482; mit dieser Lösung sympathisierend auch AnwK-BGB / DaunerLieb, § 275 Rn. 61. Anders die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 14/6040, S. 130 (diese Fälle seien über § 313 BGB oder § 242 BGB zu lösen); ebenso Canaris, JZ 2001, 499, 501 zu § 275 Abs. 2 DiskE-BGB sowie Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 135 ff., 377 f. (der eine Lösung außerhalb von § 275 Abs. 3 BGB wegen dessen Beschränkung auf die Fälle persönlicher Leistungspflichten vorzieht und de lege lata § 242 BGB anwenden will). Siehe nun im Sinne der erstgenannten Autoren Canaris, in: FS Cian, S. 383, 390 ff. 143 BAGE 47, 363. 144 A.A. etwa Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 84 f. 145 § 275 Abs. 2 Satz 3 HS. 2 RegE-BGB, BT-Drucks. Nr. 14/6040, S. 6. 146 So die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. Nr. 14/6857, S. 47. 147 AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 62; MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 117; Joachim, in: FS Horn, S. 49, 57; Canaris, in: FS Cian, S. 383, 392, 396 f.; ebenso im Grundsatz auch Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 360 ff., der ein Vertretenmüssen des Schuldners aber nur dann berücksichtigen will, wenn keine absolut geschützten Verfassungsgüter betroffen sind. 148 In diesem Sinne auch die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. Nr. 14/ 6857, S. 47. Dieser Gedanke führt letzten Endes auf das Verbot des venire contra factum proprium zurück. 149 Vgl. Emmerich, Leistungsstörungen, § 3 Rn. 86; Canaris, in: FS Cian, S. 383, 397; ähnlich AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 62; MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 117; Hey, in: FG Canaris, S. 21, 44. 150 Vgl. MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 117.
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c) Abwägungsmaßstab Während § 275 Abs. 2 BGB ein grobes Missverhältnis zwischen Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse fordert, entsteht das Leistungsverweigerungsrecht aus Abs. 3 im Falle der aus der Relation von persönlichem Leistungshindernis und Gläubigerinteresse resultierenden Unzumutbarkeit. Im Begriff der (Un-)Zumutbarkeit scheint kein Abwägungsmaßstab vorgegeben, der einen bestimmten Überwiegensgrad der Schuldnerinteressen vor denen des Gläubigers festlegt. Aus dem systematischen Zusammenhang mit Abs. 2 ergibt sich jedoch ebenso wie aus der Entstehungsgeschichte der Norm, dass auch hier ein wesentliches Überwiegen der Belange des Schuldners feststehen muss, damit die Leistung verweigert werden kann.151 d) Ein eigenes Konzept der Zumutbarkeit? Unter der hier verfolgten Fragestellung wirft § 275 Abs. 3 BGB das Problem auf, ob dogmatisch zwischen der in Abs. 2 normierten Unverhältnismäßigkeit und der in Abs. 3 ausdrücklich genannten Unzumutbarkeit zu trennen ist. Der Unterschied scheint auf der Hand zu liegen: Während die Unverhältnismäßigkeit die Gegenüberstellung zweier Größen voraussetzt, knüpft die Unzumutbarkeit an die persönlichen Verhältnisse des Schuldners an. Was zumutbar ist, bestimmt sich vorrangig nach denjenigen Umständen, die in der Person des Schuldners gegeben sind. Auf diese Weise würde das Kriterium der Zumutbarkeit eine Art ideelle Opfergrenze einführen, jenseits derer die Leistungspflicht nicht mehr durchsetzbar wäre. Jedenfalls in Bezug auf § 275 Abs. 3 BGB greift ein solcher Ansatz indessen zu kurz: Was dem Schuldner zumutbar ist, bestimmt sich nicht allein nach dessen Verhältnissen, sondern ist durch eine Gegenüberstellung mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers auf der Grundlage dessen zu ermitteln, was vertraglich vereinbart wurde. Strukturell besteht damit kein Unterschied zwischen der Zumutbarkeit in Abs. 3 und dem Missverhältnis in Abs. 2:152 Beide Leistungsverweigerungsrechte sind durch eine Abwägung zu ermitteln.153
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AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 59; ebenso MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 116; Joachim, in: FS Horn, S. 49, 56. A.A. Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 85 ff., der einen milderen Maßstab bei § 275 Abs. 3 BGB befürwortet, dies aber unter der (in dieser Allgemeinheit unzutreffenden) Prämisse, dass das Vertretenmüssen des Schuldners keine Rolle spiele. 152 So im Ergebnis auch Mitzkait, Leistungsstörung und Haftungsbefreiung, S. 60. Auch in der Rechtsprechung des BGH werden die Begriffe der Zumutbarkeit und der Unverhältnismäßigkeit nicht voneinander getrennt, siehe jüngst etwa BGH NJW 2008, 3123, 3124. 153 Näher zur Unterscheidung von Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit unten § 18 III. 2. (S. 339 ff.).
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Damit ergibt sich gleichzeitig, dass auch § 275 Abs. 3 BGB kein Fall der Unmöglichkeit ist,154 sondern wie § 275 Abs. 2 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht wegen höherrangiger Schuldnerinteressen begründet. Dafür spricht die Systematik des § 275 BGB, der eine klare Trennung der Unmöglichkeit in Abs. 1 von den weiteren Tatbeständen in den folgenden Absätzen vorsieht, dafür spricht auch die Einredekonstruktion des Unzumutbarkeitstatbestandes sowie schließlich, dass – wie bei Abs. 2 – trotz der Rechtsgüterkollision die Leistung zwar erschwert, doch aber theoretisch möglich bleibt.155
3. Ausschluss der Leistungspflicht im Besonderen Schuldrecht Neben der allgemeinen Einrede der Leistungserschwerung in § 275 Abs. 2 BGB und der ideellen Unzumutbarkeit in § 275 Abs. 3 BGB findet sich im Besonderen Schuldrecht eine Reihe weiterer, spezieller Leistungsverweigerungsrechte wegen Unverhältnismäßigkeit, die eine niedrigere Eingriffsschwelle vorsehen, insbesondere nicht erst bei einem groben Missverhältnis zwischen Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse greifen. Namentlich handelt es sich hier um §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 und § 651c Abs. 2 Satz 2 BGB. Diese Vorschriften betreffen die Pflicht des Schuldners zur Nacherfüllung, die systematisch eine Modifizierung der primären Leistungspflicht darstellt156 und damit funktional mit § 275 Abs. 2 BGB vergleichbar sind. Für den Verbrauchsgüterkauf bestehen hier europarechtliche Vorgaben aus der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, an die der nationale Gesetzgeber gebunden ist. In Deutschland bot der Ablauf der Umsetzungsfrist dieser Richtlinie bekanntlich den äußeren Anlass für die Schuldrechtsmodernisierung,157 bei der das 2. Buch des BGB weit über die europarechtlichen Vorgaben hinaus dem 154 So aber etwa Lorenz / Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 311, 320 („persönliche Unmöglichkeit“); ebenso Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 480; Joachim, in: FS Horn, S. 49 („personale“ Unmöglichkeit; relativierend jedoch S. 52); ähnlich Emmerich, Leistungsstörungen, § 3 Rn. 75 ff. („sittliche Unmöglichkeit“). 155 Gegen Einordnung als Unmöglichkeit auch Wollschläger, Unzumutbarkeit als Rechtsgedanke, S. 31 f. sowie vor allem Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 364 ff. Im Unterschied zur hier vertretenen Ansicht sieht Greiner (a.a.O, S. 368) allerdings auch § 275 Abs. 2 BGB als Fall der Unzumutbarkeit an. Greiner (a.a.O., S. 404 ff.) hält denn auch die Verortung der ideellen Unzumutbarkeit bei § 275 Abs. 3 BGB unter systematischen Gesichtspunkten für verfehlt; vorzugswürdig sei eine Regelung in systematischer Nähe zu § 313 BGB gewesen. Durch die Stellung im Recht der Unmöglichkeit drohe die Herkunft der ideellen Unzumutbarkeit aus dem Grundsatz von Treu und Glauben zu verwischen. 156 Vgl. Bamberger / Roth / Faust, § 439 Rn. 6; P. Huber, NJW 2002, 1004, 1005 (modifizierter Erfüllungsanspruch); Ackermann, JZ 2002, 378 (angepasster Primäranspruch). 157 Ausführlich zum Stand der Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Europa Mansel, AcP 204 (2004), 396, 402 ff.; 408 ff.; zur Umsetzung in England Sobich, RIW 2003, 740; Arnold / Unberath, ZEuP 2004, 366 sowie monographisch Streer, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in England, S. 31 ff., 40 ff.
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Modell der Richtlinie angepasst wurde. Insbesondere das Kaufrecht und das Werkvertragsrecht, aber auch das allgemeine Schuldrecht erfuhren tiefgreifende Änderungen. Nur wenige Sondervorschriften in §§ 474 ff. BGB lassen erkennen, dass sich der Verbrauchsgüterkauf vom normalen Kauf unterscheidet.158 a) Die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie aa) Die Bedeutung der Richtlinie für die Vertragsmäßigkeit der Ware Wegen der beschriebenen Entwicklung kommt der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (VGKRL)159 überragende Bedeutung für das geltende deutsche Schuldrecht, aber auch für die künftige Gestalt eines europäischen Vertragsrechts zu.160 An zentraler Stelle enthält die Richtlinie in Art. 2 Abs. 1 VGKRL die Verpflichtung des Verkäufers, dem Verbraucher vertragsgemäße Güter zu liefern. Diese Aussage ist nicht selbstverständlich; noch das alte deutsche Schuldrecht hatte diese Frage in Bezug auf die Stückschuld161 bekanntlich Rechtsprechung und Lehre überlassen, die überwiegend der so genannten Gewährleistungstheorie folgte, wonach auch die Lieferung einer mangelhaften Sache grundsätzlich eine Erfüllung des Vertrags darstellte.162 Folgerichtig verpflichtet die Richtlinie den Verkäufer einer nicht vertragsgemäßen Sache – ohne dabei zwischen Stückund Gattungsschulden zu differenzieren – in Art. 3 Abs. 3 VGKRL primär zur Nacherfüllung. Daneben kann der Verbraucher bei Fehlschlagen oder Verweigerung der Nacherfüllung Minderung oder Vertragsauflösung verlangen (Art. 3 Abs. 5 VGKRL). Die Frage der Schadensersatzverpflichtung des Verkäufers ist in der Richtlinie hingegen nicht geregelt; deren Bestand und Umfang bleibt den nationalen Gesetzgebern überlassen. Nachdem die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nach Art. 1 Abs. 4 VGKRL auch für die Lieferung herzustellender und zu erzeugender Güter gilt, ist von 158 Zur methodischen Frage, ob „überschießend“ umsetzende Normen des nationalen Rechts einheitlich richtlinienkonform auszulegen sind oder nicht Habersack / Mayer, JZ 1999, 913; dies., in: Europäische Methodenlehre, S. 276, 287 ff.; Mayer / Schürnbrand, JZ 2004, 545, 551; Riehm, JZ 2006, 1035; Schürnbrand, JZ 2007, 910; Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, S. 96 ff.; vgl. allgemein zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts auch Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598. 159 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. EG Nr. L 171 vom 7.7.1999, S. 12. 160 Vgl. dazu Staudenmayer, in: Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 27, 28; dens., NJW 1999, 2393; Micklitz, EuZW 1999, 485; Ernst / Gsell, ZIP 2000, 1410; Schwartze, ZEuP 2000, 544. 161 Bei Gattungsschulden wurde die Verpflichtung zur mangelfreien Leistung aus der in § 480 Abs. 1 BGB a.F. enthaltenen Pflicht zur Nacherfüllung abgeleitet; ausdrücklich regelte dies § 434 BGB a.F. auch für den Rechtskauf. 162 Vgl. zum damaligen Meinungsstand Soergel / U. Huber, 12. Aufl. 1991, vor § 459 Rn. 145 ff.; Larenz, Schuldrecht II / 1, § 41 II e (S. 66 ff.).
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der Umsetzungspflicht neben dem Kaufrecht auch das Werkvertragsrecht betroffen. bb) Der Nacherfüllungsanspruch und seine Grenzen Vorrangiger Rechtsbehelf, in der deutschen Version der Richtlinie als Abhilfe bezeichnet, ist die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung (Art. 3 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 HS. 1 VGKRL), zwischen denen der Käufer nach dem klaren Wortlaut der Richtlinie wählen kann.163 Gegenüber der Wahl des Verbrauchers kann der Verkäufer jedoch den Einwand erheben, dass die gewählte Alternative (objektiv164) unmöglich oder – verglichen mit der anderen Alternative – unverhältnismäßig ist. Erfordert also die vom Verbraucher gewählte Art der Abhilfe einen Aufwand, der unangemessene Kosten verursacht und ist diese daher für den Verkäufer unzumutbar, so kann dieser die betreffende Art der Abhilfe verweigern.165 Ob die Kosten der gewählten Abhilfealternative im konkreten Fall unverhältnismäßig sind, ist nach den Vorgaben der Richtlinie in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 VGKRL anhand eines Kosten-Nutzen-Vergleichs mit der anderen Alternative zu ermitteln. Bei dieser Abwägung gibt die Richtlinie folgende Faktoren vor:166 Zu ermitteln sind zunächst die Kosten, die die gewählte Abhilfealternative für den Verkäufer verursacht, also etwa die Kosten für die Reparatur der Sache. Ob diese im konkreten Fall unverhältnismäßig hoch sind, bemisst sich nach dem Wert der Kaufsache ohne den Mangel, der Bedeutung des Mangels, d.h. dessen Auswirkung auf die Brauchbarkeit der Sache, und der Frage, ob es für den Verbraucher erhebliche Unannehmlichkeiten mit sich bringen würde, wenn er auf die andere Art der Abhilfe verwiesen würde.167 Die Richtlinie schweigt zur Frage, ob auch die andere Art der Abhilfe vom Verkäufer wegen Unverhältnismäßigkeit der Kosten verweigert werden kann. Nach der Systematik von Art. 3 Abs. 3 VGKRL scheint die Nacherfüllung insgesamt nur dann verweigert werden zu können, wenn mindestens eine Art 163 Vgl. nur Bianca, in: EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 3 Rn. 56 f. Kritisch hierzu G. Wagner, ZEuP 2007, 180, 202 ff., der das Wahlrecht des Käufers für ökonomisch verfehlt hält, zumindest dann, wenn es zwingend ausgestaltet ist. Vgl. dazu auch Büdenbender, AcP 205 (2005), 386. Demgegenüber sieht Art. 26 Abs. 2 des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher vom 8.10.2008, KOM(2008) 614 endg. ausdrücklich ein Wahlrecht des Gewerbetreibenden zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung vor. 164 Vgl. den 11. Erwägungsgrund zur VGKRL. A.A. etwa Schurr, ZfRV 1999, 222, 226, der die Unmöglichkeit subjektiv aus Verkäufersicht heraus bestimmen will. 165 Der Vorschlag von Tonner, BB 1999, 1769, 1773, die Umsetzung von Art. 3 VGKRL solle dergestalt erfolgen, dass die Alternative der Nachbesserung aus ökologischen Gründen Vorrang hat und dass daher hohe Anforderungen an die Unverhältnismäßigkeitseinrede des Verkäufers gegenüber dem Nachbesserungsverlangen bestehen, ist mit dem klaren Wortlaut der Richtlinie nicht zu vereinbaren und findet im geltenden Recht keine Stütze. 166 Dazu AnwK-BGB / Pfeiffer, Art. 3 Kauf-RL Rn. 12. 167 Vgl. die Beispiele bei AnwK-BGB / Pfeiffer, Art. 3 Kauf-RL Rn. 11.
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der Nacherfüllung unmöglich ist, nicht aber dann, wenn beide Alternativen unverhältnismäßig hohe Kosten für den Verkäufer verursachen.168 Für eine solche Sichtweise wird der 11. Erwägungsgrund zur Richtlinie angeführt,169 nach dem der Vergleich zwischen beiden Abhilfearten für die Unverhältnismäßigkeit „entscheidend“ sei.170 Dies scheint zu suggerieren, dass die Verhältnismäßigkeitskontrolle ausschließlich zwischen den beiden Abhilfearten durchzuführen ist. Ein solcher Vergleich kann aber sinnvollerweise nur dann durchgeführt werden, wenn beide Alternativen objektiv möglich sind. Scheidet wie etwa regelmäßig beim Kauf gebrauchter Sachen die Ersatzlieferung aus,171 so könnte der Verkäufer danach die Nachbesserung nur bei objektiver Unmöglichkeit verweigern, nicht aber bei Unzumutbarkeit – ein merkwürdiges Resultat.172 Damit stünden bei einer solchen Sichtweise die weiteren Rechtsbehelfe bei Vertragsverletzung – Minderung und Vertragsauflösung – dem Verbraucher nur dann zur Verfügung, wenn beide Arten der Abhilfe unmöglich wären. Demgegenüber ist der Wortlaut des 11. Erwägungsgrundes offen; hierfür spricht die auch in Satz 1 dieses Erwägungsgrunds und ebenso in Art. 3 Abs. 3 VGKRL verwandte Parallelität von Unmöglichkeit und Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung.173 Versteht man die Verhältnismäßigkeitsprüfung im System des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auch als ein Regulativ, das die verschiedenen Rechtsbehelfe in eine Stufenordnung bringt, so erscheint es plausibel, dieses auch zwischen den vorrangigen Rechtsbehelfen der Abhilfe bzw. Nacherfüllung und Minderung bzw. Rücktritt zur Anwendung zu bringen. In diesem Sinne kann man Art. 3 Abs. 6 VGKRL, der das Recht zur Vertragsauflösung bei geringfügiger Vertragsverletzung ausschließt,174 als weiteren Ansatzpunkt zur Verhältnismäßigkeitskontrolle verstehen, der den Vor168 Zur Frage der richtlinienkonformen Umsetzung durch § 439 Abs. 3 BGB sogleich näher unter b) cc) (S. 200 f.). 169 Der 11. Erwägungsgrund lautet: „Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die Nachbesserung des Gutes oder eine Ersatzlieferung verlangen, es sei denn, dass diese Abhilfen unmöglich oder unverhältnismäßig wären. Ob eine Abhilfe unverhältnismäßig ist, müsste objektiv festgestellt werden. Unverhältnismäßig sind Abhilfen, die im Vergleich zu anderen unzumutbare Kosten verursachen; bei der Beantwortung der Frage, ob es sich um unzumutbare Kosten handelt, sollte entscheidend sein, ob die Kosten der Abhilfe deutlich höher sind als die Kosten einer anderen Abhilfe.“ 170 So AnwK-BGB / Pfeiffer, Art. 3 Kauf-RL Rn. 12. 171 Vgl. den 16. Erwägungsgrund zur VGKRL. 172 Helfen kann dann allenfalls ein sehr weiter Begriff der Unmöglichkeit, wie ihn Bianca, in: EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 3 Rn. 30 verwendet, der auch etwa „technische Schwierigkeiten oder übermäßige Lästigkeit“ darunter fassen will. Damit verschwimmt aber die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit, die nach Bianca (a.a.O., Rn. 32) ebenfalls „übermäßige Lästigkeit“ meint. 173 In diesem Sinne etwa Faber, ZEuP 2006, 676, 684. 174 Dazu näher unten § 13 II. 2. (S. 245 ff.).
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rang der Minderung gegenüber der Vertragsauflösung postuliert.175 Hierfür spricht die Begründung im Gemeinsamen Standpunkt, wonach die Geringfügigkeit Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist.176 Damit ergibt sich in Bezug auf die Rechte des Verbrauchers bei Lieferung einer nicht vertragsgemäßen Sache folgende Stufung der Rechtsbehelfe: An erster Stelle steht das Recht auf Nacherfüllung; hier kann der Verbraucher nach seiner Wahl Nachbesserung oder Ersatzlieferung verlangen. Ist eine der beiden Alternativen unmöglich oder bringt sie für den Verkäufer im Vergleich zur anderen unverhältnismäßige Kosten, so ist der Verbraucher auf die andere beschränkt, es sei denn, dass auch diese unmöglich oder unverhältnismäßig ist. In diesem Falle kann der Verbraucher Minderung oder Vertragsauflösung verlangen; wenn es sich aber um einen geringfügigen Mangel handelt, wenn also mit anderen Worten die Vertragsauflösung unverhältnismäßig wäre,177 dann scheidet letzteres aus. b) Die Umsetzung der Richtlinienvorgaben im deutschen Recht aa) Neuregelung der Schuldrechtsmodernisierung Vor der Schuldrechtsmodernisierung enthielt das BGB-Kaufrecht nur für den Gattungskauf einen Nacherfüllungsanspruch (§ 480 Abs. 1 BGB a.F.). Die Pflicht zur Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hätte den deutschen Gesetzgeber nur dazu gezwungen, diesen Nacherfüllungsanspruch für den gesamten Verbrauchsgüterkauf einzuführen. Im Zuge der so genannten „großen Lösung“ wurde aber bekanntlich für den Nacherfüllungsanspruch nicht zwischen Verbraucher- und sonstigen Geschäften unterschieden. Hiermit bezweckt der Gesetzgeber eine Stärkung des Grundsatzes der Vertragsmäßigkeit der Lieferung (§ 433 Abs. 1 BGB).178 Nach dem Vorbild der Richtlinie kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist. § 439 Abs. 3 Satz 3 2. HS. BGB ordnet darüber hinausgehend ausdrücklich auch für die verbleibende Art der Nacherfüllung eine Verhältnismäßigkeitskontrolle an, so dass der Verkäufer nach dem Gesetzeswortlaut beide Arten der Nacherfüllung als unverhältnismäßig verweigern kann.
175 So auch der Ansatz von Faber, ZEuP 2006, 676, 684 f.; vgl. weiter Bianca, in: EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 3 Rn. 63. 176 Vgl. die Erläuterungen zu Art. 3 im Gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr. 51/98, ABl. EG 1998 C 333/46, S. 53. 177 Zur Einordnung der Geringfügigkeitsfälle in das Konzept der Verhältnismäßigkeit näher unten § 13 (S. 236 ff.). 178 BT-Drucks. 14/6040, S. 231.
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bb) Abwägungskriterien Der kaufrechtliche Nacherfüllungsanspruch besteht unabhängig vom Verschulden des Verkäufers; dementsprechend senkt das Gesetz in § 439 Abs. 3 BGB die Anforderungen an den Aufwand, den der Verkäufer der mangelhaften Kaufsache für die Nacherfüllung betreiben muss:179 Im Vergleich zu § 275 Abs. 2 BGB ist das Leistungsinteresse des Gläubigers nicht im selben Umfang erheblich; es ist lediglich zu prüfen, ob „ohne erhebliche Nachteile für den Käufer“ auf die andere Art der Nacherfüllung zurückgegriffen werden kann. Diese Prüfung kehrt gewissermaßen die Vorzeichen um; gewisse Einschränkungen muss der Käufer also bei der Behebung der Vertragswidrigkeit hinnehmen, wenn dadurch der unverhältnismäßig hohe Aufwand des Verkäufers in Bezug auf die gewählte Art der Nacherfüllung vermieden werden kann. Das bedeutet nicht, dass der Käufer auch dann auf die Nachbesserung verwiesen werden kann, wenn dadurch der Mangel nicht vollständig behoben werden kann.180 Auf der Seite des Verkäufers werden die Kosten der gewählten Art der Nacherfüllung ermittelt und ins Verhältnis gesetzt insbesondere181 zum Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, der Bedeutung des Mangels und den Nachteilen des Käufers bei der anderen Art der Nacherfüllung.182 Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des § 439 Abs. 3 BGB finden aber subjektive Elemente, insbesondere die Frage, inwieweit der Verkäufer den Mangel der Kaufsache zu vertreten hat, grundsätzlich keine Berücksichtigung.183 Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Haftung für Vertragswidrigkeit nach der Verbrauchgüterkaufrichtlinie objektiv als Garantiehaftung 179
So ausdrücklich die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 14/6040, S. 232. Bamberger / Roth / Faust, § 439 Rn. 46. 181 Im Vergleich zu Art. 3 Abs. 3 VGKRL ist auffällig, dass § 439 Abs. 3 Satz 2 BGB die bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigenden Faktoren nur beispielhaft nennt („insbesondere“), die Richtlinie jedoch nicht. Im Lichte des 24. Erwägungsgrundes und von Art. 8 Abs. 2 VGKRL, die den Mitgliedstaaten die Schaffung eines höheren Verbraucherschutzniveaus offen lassen, ist dies so zu lesen, dass vor allem solche Gesichtspunkte Berücksichtigung finden können, die zugunsten der vom Verbraucher gewählten Alternative sprechen. 182 Hierzu ausführlich Schultz, Zu den Kosten der Nacherfüllung beim Kauf; Kaeding, NJW 2010, 1031. 183 Dafür aber P. Huber, NJW 2002, 1004, 1007 mit dem (zweifelhaften) Hinweis auf die Rechtsprechung zu § 633 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. sowie auf § 275 Abs. 2 BGB, der nach Intention des Gesetzgebers den in § 439 Abs. 3 enthaltenen Rechtsgedanken in allgemeiner Art und Weise verkörpere. Ebenso im Ergebnis (aber mit anderer Begründung) Bitter, ZIP 2007, 1881, 1888 f. sowie U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 544 (der den Verweis in § 439 Abs. 3 BGB auf § 275 Abs. 2, 3 BGB dahingehend interpretiert, dass bei der Abwägung im Rahmen des § 439 Abs. 3 BGB auch das Verschulden gemäß § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB Berücksichtigung finden müsse); für Berücksichtigung des Verschuldens weiter Staudinger / Matusche-Beckmann (2004), § 439 Rn. 48; Bamberger / Roth / Faust, § 439 Rn. 48; beiläufig auch OLG Karlsruhe ZGS 2004, 433 f. (dazu S. Lorenz, ZGS 2004, 408). 180
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ausgestaltet ist, dieser Umstand spiegelt sich auch in der Begrenzung der Nacherfüllungspflicht in Art. 3 Abs. 3 VGKRL wider.184 Zum anderen geht es bei der relativen Verhältnismäßigkeitsprüfung nur um die Frage der Kosten, den die eine Art der Nacherfüllung im Vergleich zur anderen verursacht; hierfür spielt ein etwaiges Vertretenmüssen des Mangels kaum eine Rolle.185 Subjektive Elemente können aber auf Seiten des Verbrauchers Berücksichtigung finden, nämlich bei der Frage, ob die andere Art der Nacherfüllung für den Verbraucher „erhebliche Unannehmlichkeiten“ mit sich bringt. Es muss kein grobes Missverhältnis zwischen Gläubigerinteresse und Schuldneraufwand vorliegen, wie dies § 275 Abs. 2 BGB fordert.186 Je höher der Wert der Sache, je gravierender der Mangel und je erheblicher der Nachteil, den der Käufer durch die andere Art der Nacherfüllung hat, desto eher sind dem Verkäufer auch größere Aufwendungen zuzumuten, um die gewählte Art der Nacherfüllung durchzuführen. Scheidet die vom Käufer gewählte Form der Nacherfüllung wegen Unverhältnismäßigkeit aus, so ist sein Anspruch zunächst auf die andere Art beschränkt. Auch diesbezüglich steht dem Verkäufer jedoch nach § 439 Abs. 3 Satz 3 2. HS BGB ein Verweigerungsrecht bei Unverhältnismäßigkeit zu; diesbezüglich muss die Abwägung freilich ohne den Vergleich mit der anderen Art der Nacherfüllung durchgeführt werden.187 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung gewinnt auch hier den Charakter eines beweglichen Systems: Ist einer der Faktoren schwach ausgeprägt, dann kann Unverhältnismäßigkeit dennoch vorliegen, wenn ein anderer dafür sehr prägnant gegeben ist.188 Vor diesem Hintergrund erscheint es auch hier nicht überzeugend, die Grenze der Unverhältnismäßigkeit in Prozentpunkten auszudrücken,189 denn solche Versuche berücksichtigen die vom Gesetz vorgesehene 184 Damit ist nicht gesagt, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie eine Berücksichtigung des Vertretenmüssens verbietet; zugunsten des Verbrauchers kann dieser Aspekt daher aus Sicht der Richtlinie mit in die Abwägung einfließen (vgl. wiederum Art. 8 Abs. 2 VGKRL). 185 Vgl. dazu Erman / Grunewald, § 439 Rn. 11; AnwK-BGB / Büdenbender, § 439 Rn. 35; Unberath, ZEuP 2005, 5, 25; Faber, ZEuP 2006, 679, 687; Kirsten, ZGS 2005, 66, 70; wohl auch Palandt / Weidenkaff, § 439 Rn. 16a. 186 Dazu, dass in § 275 Abs. 2 BGB ein strengerer Maßstab für das Missverhältnis anzulegen ist als in § 439 Abs. 3 BGB BGH NJW 2009, 1660, 1662. A.A. Bitter, ZIP 2007, 1881, 1888 f., der die Grenze der Leistungspflicht des Verkäufers im Rahmen der §§ 275 Abs. 2, 439 Abs. 3 BGB gleich bemessen will. 187 Problematisch erscheint die Ansicht (vgl. Ackermann, JZ 2002, 378, 382 ff.; PWW / D. Schmidt, § 439 Rn. 29), die in Anlehnung an die Minderung primär den Kaufpreis heranziehen und die anderen in § 439 Abs. 3 Satz 2 genannten Faktoren nur ergänzend berücksichtigen möchte. Hiergegen zu Recht etwa Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 25 ff.; S. Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176. 188 Näher hierzu unten § 19 II. (S. 350 ff.). 189 So etwa Bitter / Meidt, ZIP 2001, 2114, 2121; LG Ellwangen NJW 2003, 517; Kirsten, ZGS 2005, 66, 71 f. (allerdings nur als Richtwert).
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Abwägung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles im Regelfall nur unzureichend.190 cc) Richtlinienwidrige Umsetzung durch „absolute“ Verhältnismäßigkeitsprüfung? Es wurde bereits erwähnt, dass der Wortlaut der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nur eine „relative“, also auf die jeweils andere Art der Nacherfüllung beschränkte Verhältnismäßigkeitsprüfung vorsieht.191 Demgegenüber enthält der klare Wortlaut von § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB eine „absolute“ Verhältnismäßigkeitsprüfung: Der Verkäufer kann auch die zweite Art der Nacherfüllung wegen Unverhältnismäßigkeit verweigern, wenn die Voraussetzungen von § 439 Abs. 2 BGB vorliegen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage der Richtlinienwidrigkeit des deutschen Rechts: Wenn es Zweck der Richtlinie wäre, den Verkäufer in Bezug auf die zweite Art der Nacherfüllung erst bei Eintritt der Unmöglichkeit zu befreien,192 dann bedeutete die deutsche Umsetzung, die hierfür bereits die Grenze der Unverhältnismäßigkeit genügen lässt, jedenfalls für den Verbraucher eine Einschränkung seiner Rechte, wenn man davon ausgeht, dass für diesen die Nacherfüllung in einer der Varianten günstiger ist als Minderung oder Vertragsaufhebung.193 Diese Frage wird in der deutschen Literatur unterschiedlich beantwortet. Soweit die Richtlinie so interpretiert wird, dass sie dem nationalen Gesetzgeber keine Spielräume zugunsten der „absoluten“ Verhältnismäßigkeit einräume, wird eine richtlinienkonforme Auslegung von § 439 Abs. 3 Satz 3 2. HS BGB befürwortet.194 Die Gegenmeinung hält den Wortlaut der Richtlinie für offen 190
Ablehnend auch Unberath, ZEuP 2005, 5, 24 f. Siehe dazu oben a) bb) (S. 195 ff.). 192 Hierunter sind auch Fälle der wirtschaftlichen Unmöglichkeit zu fassen, die etwa ab der Grenze des § 275 Abs. 2 BGB eintritt, vgl. dazu Bianca, in: EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 2 Rn. 30. 193 Daran könnten jedenfalls bei Massengütern bereits Zweifel bestehen, soweit sich der Verbraucher ohne Probleme anderweitig eindecken kann. Sieht man die weiteren Rechtsbehelfe Minderung und Rücktritt vor diesem Hintergrund als verbraucherfreundlicher, so wäre § 439 Abs. 3 Satz 3 2. HS BGB ohne weiteres von Art. 8 Abs. 2 VGKRL gedeckt. Skeptisch zur angeblichen Vorteilhaftigkeit der Obliegenheit des Käufers, dem Verkäufer die Nacherfüllung zu ermöglichen, vor allem vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH zur Selbstbeseitigung des Mangels durch den Käufer (BGH NJW 2005, 1348) Brömmelmeyer, JZ 2006, 493. 194 Vgl. Bamberger / Roth / Faust, § 439 Rn. 39 ff. (richtlinienkonforme Auslegung dahin, dass die „absolute“ Unverhältnismäßigkeit nur dann angenommen werden kann, wenn sie wertungsmäßig der Unmöglichkeit gleichkommt); Staudinger / Matusche-Beckmann (2004), § 439 Rn. 41; Pfeiffer, ZGS 2002, 217; AnwK-BGB / Pfeiffer, Art. 3 Kauf-RL Rn. 12 (richtlinienkonforme, restriktive Auslegung); Langenbucher / Herresthal, Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, § 2 Rn. 163 (teleologische Reduktion auf Null); Leible, in: Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 9 Rn. 78. 191
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und die deutsche Umsetzung damit für richtlinienkonform.195 Dem ist zuzustimmen: Legt man die bereits erläuterte,196 am Verhältnismäßigkeitsprinzip ausgerichtete Stufung der dem Verbraucher im Rahmen der Gewährleistung zustehenden Rechtsbehelfe der Richtlinie zugrunde, dann ergibt sich daraus, dass auch die deutsche Umsetzung in § 439 Abs. 3 BGB richtlinienkonform ist.197 Wollte man die Verhältnismäßigkeitsprüfung nur in Bezug auf die jeweils andere Art der Nacherfüllung zulassen, so bedeutete dies für den Verkäufer eine nicht unerhebliche Belastung, vor der ihn Art. 3 Abs. 3 VGKRL gerade schützen will.198 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung bietet hier mehr als die Unmöglichkeit ein geeignetes Regulativ zur Berücksichtigung der im Einzelfall bestehenden Interessenlage. Auch der Wortlaut des 11. Erwägungsgrundes zur Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie bestätigt dies, wenn darin dem Verbraucher Verbesserung oder Ersatzlieferung dann vorenthalten werden, wenn „diese Abhilfen unmöglich oder unverhältnismäßig wären“.199 In diese Richtung scheint auch der BGH zu tendieren, der es nicht von vornherein für ausgeschlossen erachtet, dass der von der Richtlinie verwandte Begriff der Unmöglichkeit in ihr nicht definiert und dessen Ausfüllung daher dem nationalen Recht überlassen wird. 200 Es könne auch nicht angenommen werden, dass die Richtlinie nur in Fällen der physischen Unmöglichkeit einen Ausschluss der Nacherfüllungspflicht annehme; dies könne dazu führen, dass dem Verkäufer wirtschaftlich unsinnige Belastungen auferlegt würden.201 dd) Die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung, § 440 Satz 1 BGB Der Käufer muss sich auch dann nicht auf das Recht zur zweiten Andienung des Verkäufers einlassen, wenn die Nacherfüllung für ihn unzumutbar wäre, § 440 Satz 1 BGB. In diesem Falle kann er ohne Fristsetzung sofort zu den weiteren Rechtsbehelfen Rücktritt und Schadensersatz übergehen. Die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung soll nach der gesetzlichen Systematik der Unverhältnismäßigkeit beider Arten der Nacherfüllung gleichstehen: Auch sie führt dazu, dass eine Fristsetzung nicht erforderlich ist. Die Unzumutbarkeit 195 Unberath, ZEuP 2005, 5, 19 ff.; Faber, ZEuP 2006, 679, 684; MüKo-BGB / S. Lorenz, vor § 474 Rn. 18; PWW / D. Schmidt, § 439 Rn. 29; Jud, GPR 2009, 79 f. 196 Siehe dazu oben a) bb) (S. 195 ff.). 197 Unberath, ZEuP 2005, 5, 19 ff.; ebenso für das österreichische Recht Faber, ZEuP 2006, 679, 684 m.w.N. 198 Hierauf weist auch P. Huber, NJW 2002, 1004, 1005, 1007 hin; ebenso Gärtner / Schön, ZGS 2009, 109, 110 f. 199 So auch PWW / D. Schmidt, § 439 Rn. 29; Jud, GPR 2009, 79, 80. 200 BGH NJW 2009, 1660, 1662 (Vorlage an den EuGH v. 16.2.2009, Rs. C-65/09 – Gebr. Weber GmbH / Jürgen Wittmer). 201 BGH NJW 2009, 1660, 1662; ebenso Gärtner / Schön, ZGS 2009, 109, 111. Dem folgen im Ergebnis die Schlussanträge von GA Mazák vom 18.5.2010, Rs. C-65/09 – Gebr. Weber GmbH/Jürgen Wittmer.
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bestimmt sich durch einen Vergleich der Nacherfüllung zu den weiteren Rechtsbehelfen des Käufers; sie wird etwa dann bejaht, wenn die Nacherfüllung zu lange dauern würde oder wenn die Sache so zahlreiche Mängel aufweist, dass aus Sicht des Käufers die begründete Erwartung besteht, dass die Nacherfüllung den vertraglich geschuldeten Zustand nicht herzustellen vermag. 202 Diese Gesichtspunkte spielen auch bei der Frage der Unverhältnismäßigkeit (einer oder beider Arten) der Nacherfüllung eine Rolle; auch hier ist in die Abwägung – neben den weiteren nach § 439 Abs. 3 Satz 2 BGB zu berücksichtigenden Umständen – mit einzustellen, inwieweit diese ohne erhebliche Nachteile für den Käufer durchgeführt werden kann. Unzumutbarkeit und Unverhältnismäßigkeit unterscheiden sich demnach nicht strukturell – in beiden Fällen ist eine Abwägung der Interessen beider Parteien erforderlich –, sondern nur dadurch, welche Kriterien in die Abwägung einzustellen sind. 203 In diesem Sinne stellt auch die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung eine Art der absoluten Unverhältnismäßigkeit dar. ee) Maßgeblichkeit des Parteiwillens Dass im Rahmen der Nacherfüllungspflicht nach § 439 Abs. 3 BGB wie bei § 275 Abs. 2 BGB der Parteiwille vorrangiges Kriterium bei der Bestimmung der Grenze vertraglicher Leistungspflichten wegen Unverhältnismäßigkeit ist, zeigt sich am Beispiel der Nacherfüllung beim Stückkauf. 204 Nach der Rechtsprechung des BGH schuldet der Verkäufer beim Stückkauf im Grundsatz ebenfalls Nacherfüllung. 205 Ergibt sich, dass die vertragliche Verpflichtung nicht durch Lieferung einer gleichwertigen Sache erfüllt werden kann, wie dies bei gebrauchten Sachen in aller Regel anzunehmen ist,206 so besteht aber schon nach der parteilichen Vereinbarung kein Nacherfüllungsanspruch; dies gilt insbesondere dann, wenn der Käufer die Sache persönlich besichtigt hat. Der Einrede der Unverhältnismäßigkeit bedarf es in diesem Fall nicht.
202 Vgl. etwa Bitter / Meidt, ZIP 2001, 2114, 2117 f. Für eine Berücksichtigung arglistigen Verhaltens des Verkäufers bei der Bestimmung der Zumutbarkeit AnwK-BGB / Büdenbender, § 440 Rn. 18; ebenso Rösler, AcP 207 (2007), 564, 590 f. Siehe dazu näher unten § 13 II. 1. c) (S. 243 ff.). 203 Zur Vergleichbarkeit beider Konzepte näher unten § 18 III. 2. (S. 339 ff.). 204 Eingehend dazu Picker, in: FS Westermann, S. 583. 205 BGHZ 168, 64, 72 ff. (allerdings in einem obiter dictum); ebenso OLG Schleswig NJW-RR 2005, 1579 (Vorinstanz); grundsätzlich dafür auch Canaris, JZ 2003, 831, 833 ff.; Gsell, JuS 2007, 97; Bitter, ZIP 2007, 1881, 1883. Teilweise wird eine Nachlieferungspflicht beim Stückkauf hingegen grundsätzlich abgelehnt, vgl. Ackermann, JZ 2002, 378, 379; Picker, in: FS Westermann, S. 583; Musielak, NJW 2008, 2801. 206 Vgl. auch den 16. Erwägungsgrund zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, wonach bei gebrauchten Gütern eine Ersatzlieferung im Regelfall ausscheide.
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c) Vergleichbare Regelungen aa) Werkvertragsrecht Weiter vereinfacht wurde die Struktur der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Nacherfüllung im Werkvertragsrecht. Im Unterschied zu der Parallelregelung des § 439 Abs. 3 BGB steht dem Besteller im Rahmen des § 635 Abs. 3 BGB kein Wahlrecht zwischen verschiedenen Alternativen der Nacherfüllung zu; es entscheidet nach § 635 Abs. 1 BGB der Unternehmer, ob er den Mangel beseitigt oder ein neues Werk herstellt. Nach dem Wortlaut des § 635 Abs. 3 BGB kann die Nacherfüllung dann verweigert werden, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. (1) Herkunft der Regelung Im Unterschied zum Kaufrecht, wo eine allgemeine Nacherfüllungspflicht vor der Schuldrechtsmodernisierung nicht existierte, enthielt das Werkvertragsrecht mit § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. bereits eine Regelung zur Begrenzung des vom Unternehmer zur Behebung von Werkmängeln zu betreibenden Aufwandes. Danach war der Unternehmer „berechtigt, die Beseitigung zu verweigern, wenn sie einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert“. Dem Wortlaut nach besteht demnach kein Unterschied zur neuen Regelung, sofern man „Aufwand“ und „Kosten“ gleichsetzt.207 (2) Abwägungsrelevante Kriterien Die gefestigte Rechtsprechung des BGH zu § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. nahm eine Gesamtabwägung vor, in der festzustellen war, ob das Bestehen des Gläubigers auf ordnungsgemäßer Vertragserfüllung im Verhältnis zu dem dafür erforderlichen Aufwand einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt; berücksichtigt wurden hierbei insbesondere Art und Ausmaß des Verschuldens des Werkunternehmers. 208 Es fragt sich, ob diese Rechtsprechung nach der Schuldrechtsmodernisierung weiterhin Geltung beanspruchen kann. Dies ist in der Literatur umstritten. Einer Meinung zufolge kann die Nacherfüllung bereits dann verweigert werden, wenn die hierzu aufzubringenden Kosten außer Verhältnis zum einen zum objektiven Wert des Werks und zum anderen zum objektiven Wertverlust des Werks durch den Mangel stehen. Unerheblich ist danach im Unterschied zu § 275 Abs. 2 BGB bzw. zu § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. das subjektive Interesse des Bestellers an der Beseitigung des Mangels sowie das
207 In diesem Sinne auch U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 543 Fn. 48; Staudinger / Peters / Jacoby (2008), § 635 Rn. 10. 208 BGH NJW 1996, 3269; BGH NJW-RR 2002, 661; BGH NJW-RR 2006, 304; BGH NJW 2009, 2123.
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Verschulden des Unternehmers.209 Die Gegenauffassung lehnt sich demgegenüber stärker an die bisherige Rechtsprechung zum alten Recht an. 210 Der in den §§ 633 Abs. 2 Satz 3, 251 Abs. 2 BGB a.F. enthaltene Rechtsgedanke der Unverhältnismäßigkeit wurde verallgemeinert und bildet nun in § 275 Abs. 2 BGB in Form eines allgemeinen Leistungsverweigerungsrechts die Grenze der Leistungspflicht des Schuldners. 211 Für das Werkvertragsrecht enthält § 635 Abs. 3 BGB neben § 275 Abs. 2 BGB eine zusätzliche Einrede, die der Schuldner dann erheben kann, wenn die Nacherfüllung nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Damit unterscheidet sich diese Norm in zweifacher Hinsicht von § 275 Abs. 2 BGB: Zum einen erfordert § 275 Abs. 2 BGB ein grobes Missverhältnis, ist also enger gefasst als § 635 Abs. 3 BGB. Zum anderen bezieht sich § 275 Abs. 2 BGB auf den Primäranspruch, § 635 Abs. 3 BGB hingegen nur auf die Pflicht des Unternehmers zur Nacherfüllung. Der Nacherfüllungsanspruch entsteht regelmäßig erst mit der Abnahme des Werks (§ 640 Abs. 1 BGB), also nach Fertigstellung. 212 Der Besteller hat durch die Abnahme zu verstehen gegeben, dass er das Werk als vertragsgemäß akzeptiert. Das Leistungsverweigerungsrecht aus § 635 Abs. 3 BGB trägt daher den Interessen des Unternehmers Rechnung, der nach dem Zeitpunkt der Abnahme (bzw. deren Fiktion) nicht mehr unbegrenzt für die Vertragsmäßigkeit des Werks einstehen muss. 213 Einen Grund zur Abkehr von der bisher zu § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. ergangenen Rechtsprechung besteht für die neue Regelung in § 635 Abs. 3 BGB nicht. Im Unterschied zum Kaufvertrag wurde die werkvertragliche Risikostruktur durch die Schuldrechtsmodernisierung nicht grundlegend umgestaltet. Das Gesetz nennt in § 635 Abs. 3 BGB nur die Kosten der Nacherfüllung als bei der Abwägung zu berücksichtigendes Kriterium. Dessen ungeachtet sind – dem generellen Charakter einer Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprechend – die Interessen beider Beteiligten umfassend zu würdigen. 214 Dies bedeutet, dass auch das Interesse des Bestellers an der Nacherfüllung zu berücksichtigen ist, genauso ein mögliches Verschulden des Unternehmers in Bezug auf den Mangel. 215 Insoweit besteht nach der hier vertretenen Ansicht ein Unterschied zum Kaufrecht, wo ein Vertretenmüssen des Verkäufers in Bezug auf den Mangel 209 Vgl. Palandt / Sprau, § 635 Rn. 12; MüKo-BGB / Busche, § 635 Rn. 38; Jauernig / Mansel, § 635 Rn. 9. 210 U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 545; Bamberger / Roth / Voit, § 635 Rn. 14; AnwK-BGB / Raab, § 635 Rn. 37 ff.; der Sache nach auch Staudinger / Peters / Jacoby (2008), § 635 Rn. 13. 211 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 265; kritisch hierzu Bamberger / Roth / Voit, § 635 Rn. 14. 212 Hierzu AnwK-BGB / Raab, § 635 Rn. 7. 213 Vgl. AnwK-BGB / Raab, § 635 Rn. 35 f. 214 AnwK-BGB / Raab, § 635 Rn. 37. 215 U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 545; Staudinger / Peters / Jacoby (2008), § 635 Rn. 13 (Verschulden des Unternehmers sei „in gewissem Umfang“ abwägend zu berücksichtigen).
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jedenfalls bei der „relativen“ Unverhältnismäßigkeit der einen Art der Nacherfüllung zur anderen keine Rolle spielt. 216 Das ist deswegen gerechtfertigt, weil im Kaufrecht der Käufer das Wahlrecht zwischen beiden Arten der Nacherfüllung hat, im Werkvertragsrecht aber der Unternehmer nach § 635 Abs. 1 BGB selbst entscheiden kann, ob er den Mangel beseitigt oder das Werk neu herstellt. Gegenüber § 635 Abs. 3 BGB kommt § 275 Abs. 2 BGB nur dann zur Anwendung, wenn die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten zwar im Verhältnis zum Wert des Werkes insgesamt nicht unverhältnismäßig sind, der Besteller aber an der Mangelbeseitigung keinerlei Interesse hat. 217 bb) Reisevertragsrecht In leicht modifizierter Form findet sich das Leistungsverweigerungsrecht aus § 635 Abs. 3 BGB im Reisevertragsrecht in § 651c Abs. 2 Satz 2 BGB wieder. Wegen der Nähe des Reisevertragsrechts zum Werkvertragsrechts kann grundsätzlich auf die obigen Erörterungen verwiesen werden.218 Allerdings fehlt – anders als in §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB – in § 651c Abs. 2 BGB ein ausdrücklicher Verweis auf § 275 Abs. 2 BGB. Dieser wäre jedoch ohnehin nur deklaratorisch, da § 275 Abs. 2 BGB für das gesamte Besondere Schuldrecht Geltung hat. 218a cc) Mietrecht Im Mietrecht kennt das BGB hingegen auch nach der Schuldrechtsmodernisierung keine spezielle Einschränkung der Leistungspflicht des Schuldners wegen Unverhältnismäßigkeit. Nach § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht ein Anspruch des Mieters auf Erhaltung der Mietsache während der Mietdauer. Dieser findet seine Grenze zunächst im Recht der Unmöglichkeit, die etwa dann vorliegt, wenn das Mietobjekt vollständig zerstört ist. 219 Teilweise wurde Unmöglichkeit aber auch schon dann angenommen, wenn eine Beseitigung des Mangels der Mietsache zwar technisch möglich, dem Vermieter wegen der dadurch anfallenden Kosten unzumutbar war, mithin ein wirtschaftlicher Totalschaden des Mietobjekts gegeben war.220 Aber auch unterhalb der Schwelle der Unmöglichkeit fand die Erhaltungspflicht ihre Grenze dann, wenn sich das Wiederherstellungsverlangen als treuwidrig i.S.d. § 242 BGB erweisen würde, wenn mit216
Vgl. oben b) bb) (S. 198 f.). Dazu Palandt / Sprau, § 635 Rn. 10. Bsp.: OLG Celle BauR 2007, 728. 218 Vgl. MüKo-BGB / Tonner, § 651c Rn. 45; Rössler, Reisegewährleistungsrecht und allgemeines europäisches Leistungsstörungsrecht, S. 201. Missverständlich insoweit Palandt / Sprau, § 651c Rn. 4 (§ 651c Abs. 2 Satz 2 BGB entspreche § 275 Abs. 2 BGB). 218a Vgl. OLG Frankfurt a.M., MDR 2010, 915. 219 Vgl. etwa BGHZ 116, 334 (Unmöglichkeit der Erhaltungspflicht des Verpächters bei abgebrannter Scheune auf verpachtetem Grundstück); ähnlich OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, 849 sowie OLG Stuttgart MDR 2010, 261. 220 BGH NJW-RR 1991, 204. 217
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hin für den Vermieter die so genannte „Opfergrenze“ überschritten würde. 221 Hierzu nahm die Rechtsprechung unter Rückgriff auf die Rechtsgedanken der §§ 633 Abs. 2 Satz 3, 251 Abs. 2 BGB eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles vor, in der dem zur Erhaltung der Mietsache erforderlichen Aufwand insbesondere auch wirtschaftliche Interessen des Vermieters gegenüber gestellt wurden. So hielt das OLG Hamburg die Verpflichtung zur Sanierung einer asbestverseuchten Tribüne auf der vermieteten Trabrennbahn für unzumutbar, wenn die Kosten die Jahresmiete um das Zehnfache übersteigen. Das Gericht stellte den Reparaturaufwand „dem Nutzen der Reparatur für den Mieter sowie dem Wert des Mietobjekts und den aus ihm zu ziehenden Einnahmen andererseits“ gegenüber.222 Auch das Verschulden des Vermieters in Bezug auf den Mangel ist zu berücksichtigen. Diese „Opfergrenzen“-Rechtsprechung wird nach neuem Recht richtigerweise verbreitet § 275 Abs. 1 und 2 BGB zugeordnet. 223 Liegt keine „echte“ Unmöglichkeit vor, so richtet sich ein Ausschluss der Erhaltungspflicht des Vermieters allein nach § 275 Abs. 2 BGB. 224 Es ist dabei allerdings fraglich, ob die in den bisherigen Entscheidungen stark berücksichtigte Wirtschaftlichkeit der Reparatur für den Vermieter nach neuem Recht aufrecht erhalten werden kann. § 275 Abs. 2 BGB fokussiert in hohem Maße auf die Interessen des Gläubigers und nimmt auf Schuldnerseite vorrangig den zur Leistungserbringung notwendigen (Mehr-)Aufwand in den Blick und weniger die wirtschaftliche Ausgewogenheit. Berücksichtigt man jedoch bei der Abwägung auch den Inhalt des Mietverhältnisses und die darin enthaltenen Risikoerwägungen, so kann sich insbesondere aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben, dass der Gläubiger sich auf die berechtigten wirtschaftlichen Interessen des Schuldners einlassen muss. Auf den Mietvertrag bezogen bedeutet dies, dass das Wiederherstellungsverlangen des Mieters auch nach neuem Recht dann treuwidrig sein kann, wenn es dazu führt, dass der Vermieter aus dem Mietverhältnis keinerlei Amortisierungschancen mehr besitzt. 225 In diesem Fall ist eine Minderung des Mietzinses die interessengerechtere Lösung. 221
BGHZ 116, 334; ebenso OLG Hamburg NZM 2002, 343. OLG Hamburg NZM 2002, 343; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, 849 (Überschreiten der Opfergrenze dann, wenn Reparaturkosten den Zeitwert des Mietobjekts erheblich übersteigen). Enger LG Osnabrück WuM 1992, 119 (Opfergrenze nur etwa bei katastrophenbedingten Schäden überschritten, nicht aber bereits bei erheblichem Sanierungsaufwand). 223 BGH NJW 2005, 3284; BGH WuM 2010, 348, 349 f.; ebenso bereits S. Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 5, 132; MüKo-BGB / Schilling, 4. Aufl. 2004, § 535 Rn. 110 sowie Canaris, JZ 2004, 214, 217 m.w.N. Für eine Fortsetzung der „Opfergrenzen“-Rechtsprechung ohne Bezugnahme auf § 275 Abs. 2 BGB hingegen Soergel / Heintzmann, vor § 542 Rn. 8. 224 MüKo-BGB / Schilling, 4. Aufl. 2004, § 535 Rn. 110. Siehe auch C. Hirsch, ZMR 2007, 81. 225 So im Ergebnis wohl auch U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 553, Fn. 78a; AnwKBGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 53. 222
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Teilweise wird statt § 275 Abs. 2 BGB die Anwendung von § 313 BGB befürwortet.226 Dies dürfte regelmäßig unzutreffend sein, sofern nicht der Grund für den Mangel der Mietsache außerhalb der vertraglichen Risikostruktur liegt und demnach der Geschäftsgrundlage zuzuordnen ist. 227
Der BGH scheint davon auszugehen, dass sich die bisherige „Opfergrenzen“Rechtsprechung nahtlos in § 275 Abs. 2 BGB überführen lässt, dass also die Schwelle der Zumutbarkeit durch das in dieser Norm geforderte grobe Missverhältnis im Vergleich zur vorherigen Rechtsprechung nicht angehoben wird. 228 Das mag angesichts der einschlägigen Judikate nachvollziehbar sein. 229 Die Anwendung von § 275 Abs. 2 BGB führt indessen dazu, dass im Kauf- und Werkvertragsrecht einerseits und im Mietrecht andererseits unterschiedliche Grenzen für die schuldnerischen Pflichten bestehen: Während der Nacherfüllungsanspruch des Käufers bzw. des Bestellers bereits dann nicht mehr durchgesetzt werden kann, wenn die Nacherfüllung nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich wäre, besteht in Bezug auf den – mit der Nacherfüllung funktional vergleichbaren – Erhaltungsanspruch des Mieters die höhere Schwelle des groben Missverhältnisses. 230 Dies kann jedoch durch den Dauerschuldcharakter des Mietverhältnisses gerechtfertigt erscheinen; hier steht nicht der kurzfristige Austausch von Waren oder die einmalige Herstellung eines Werks im Vordergrund, sondern regelmäßig die mittel- und langfristige Nutzung einer Sache. Hier sind die Interessen des Gläubigers an der Erhaltung der Mietsache typischerweise höher zu bewerten als das Interesse an der Nacherfüllung im Rahmen eines Kauf- oder Werkvertrags.231
226 C. Hirsch, ZMR 2007, 1; tendenziell auch Schmidt-Futterer / Eisenschmid, Mietrecht, § 535 Rn. 213, § 536 Rn. 504 ff. (aber unter Verweis auf die anderslautende Rechtsprechung des BGH in NJW 2005, 3284). In diese Richtung auch Unberath, ZMR 2004, 309, 311. 227 Zur Abgrenzung von § 275 Abs. 2 und § 313 BGB ausführlich unten § 15 II. 228 BGH NJW 2005, 3284; BGH WuM 2010, 348, 349 f.; anders aber Unberath, ZMR 2004, 309, 311 (§ 275 Abs. 2 BGB statuiere einen strengeren Maßstab). 229 Vgl. etwa das erwähnte Urteil des OLG Hamburg NZM 2002, 343, in dem ebenfalls ein „krasses Missverhältnis“ gefordert wurde. 230 Kritisch daher zur Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB Unberath, ZMR 2004, 309, 311. 231 A.A. MüKo-BGB / Häublein, § 535 Rn. 105, der in Anlehnung an §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB eine niedrigere Schwelle für den Ausschluss der Leistungspflicht des Vermieters befürwortet.
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4. Rechtsvergleichende Betrachtung a) Grundlagen Es gehört zu den grundlegenden Entscheidungen einer Vertragsrechtsordnung, ob der Naturalerfüllungsanspruch einer rechtsgeschäftlichen Abrede in der Regel durchsetzbar sein soll oder nicht. 232 Diesbezüglich stehen bekanntlich das traditionelle kontinentale Civil Law und das Common Law für die beiden gegensätzlichen Grundpositionen: Im Civil Law ist der Primäranspruch regelmäßig einklagbar. In den Rechtsordnungen romanischer und denjenigen germanischer Tradition besteht eine grundsätzliche Übereinstimmung, dass eine vertragliche Verpflichtung auch in natura durchgesetzt werden kann.233 Im Common Law hingegen bleibt die specific performance die begründungsbedürftige Ausnahme. 234 Der Zwang zur Naturalerfüllung ist historisch betrachtet ein Instrument der equity; sie wird im Wege einer im Ermessen des Gerichts stehenden Verfügung (injunction)235 und herkömmlicherweise auch nur dann angeordnet, wenn dieser Rechtsbehelf „will do more perfect and complete justice than an award of damages“.236 Wenn diese unterschiedlichen Ansätze in der Praxis vor allem im Bereich des Verkehrs mit Waren und Dienstleistungen oftmals zu vergleichbaren Ergebnissen führen (etwa weil das Common Law die Fälle der specific performance großzügiger gewährt oder weil im Civil Law Gläubiger in der Regel aus wirtschaftlichen Erwägungen Schadensersatz verlangen statt den Primäranspruch durchzusetzen), 237 so zieht die Grundausrichtung eines Systems vielfache Implikationen in Bezug auf die Ausgestaltung des Leistungsstörungsrechts nach sich. Während ein Civil-Law-System (Ausnahme-)Regeln bereithalten muss, die festlegen, bis zu welcher Grenze die Leistungspflicht des Schuldners geht, 232 Dazu umfassend Weller, Vertragstreue, S. 316 ff., 371 ff., 464 ff.; vgl. weiter Unberath, Vertragsverletzung, S. 210 ff.; Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, § 35. 233 Dazu Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, § 35 III. 234 Vgl. Sky Petroleum Ltd. v. V.I.P. Petroleum Ltd. [1974] 1 WLR 576, 578, ChD (Goulding J.); Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, § 35; Smith, Contract Theory, Kap. 11.2 (S. 398 ff.). 235 Vgl. sec. 49, 50 Supreme Court Act 1981. Sec. 50 SCA lautet: „Where the Court of Appeal or the High Court has jurisdiction to entertain an application for an injunction or specific performance, it may award damages in addition to, or in substitution for, an injunction or specific performance.“ 236 Tito v. Waddell (No. 2) [1977] Ch. 106, 322 (Megarry VC). 237 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, § 35 V; Kleinschmidt, Stichwort „Erfüllungsanspruch“, in: Handwörterbuch des Europäisches Privatrechts, Band I, S. 436, 438 f.; Unberath, Stichwort „Vertrag“, in: Handwörterbuch des Europäisches Privatrechts, Band II, S. 1677, 1680 f.; de Vries, ERPL 2009, 581. Siehe für das englische Recht vor allem die Entscheidung Beswick v. Beswick [1968] AC 58, 81 ff. (Lord Hodson), 88 ff. (Lord Pearce), HL, aber auch den restriktiveren Ansatz in Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd. [1998] AC 1, HL und dazu näher unten c) aa) (S. 215 ff.).
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kann sich das Common Law darauf beschränken, die Unmöglichkeit oder die übermäßige Erschwerung der Leistung als Anwendungsfälle des allgemeinen Grundsatzes zu begreifen, dass der Naturalerfüllungsanspruch grundsätzlich nicht durchsetzbar ist. Dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in beiden Systemen auch bei der Geltendmachung vertraglicher Rechte seinen Platz hat, zeigt sich vor allem an der Art und Weise, wie im englischen Recht mit dem Erfüllungsverlangen des Gläubigers umgegangen wird. Doch auch an vielen anderen Stellen dient eine Verhältnismäßigkeitskontrolle als Mittel zur (Wieder-)Herstellung des Vertragsgleichgewichts. b) Italien Das italienische Zivilrecht war ursprünglich sehr stark am französischen code civil orientiert. Mit dem reformierten Codice civile von 1942 konnten sich dann in größerem Maße die schon länger bestehenden Einflüsse der deutschsprachigen Jurisprudenz im geschriebenen Recht durchsetzen. Art. 1453 Abs. 1 c.c. legt den Grundsatz der Naturalerfüllung für das italienische Recht fest.238 Vorbild der Norm ist Art. 1184 Abs. 2 code civil. 239 Das französische Recht stellt für die grundsätzliche Naturalerfüllungspflicht jedoch Einschränkungen auf. So sind die so genannten „obligations de faire“ nach Art. 1142 code civil lediglich schadensersatzbewehrt, aber nicht in natura durchsetzungsfähig.240 Einen direkten Anspruch auf Naturalerfüllung enthält der code civil lediglich in Art. 1144 code civil;241 nur bei Verpflichtung zur Lieferung bestimmter Güter sieht das französische Recht eine Beschlagnahme durch den Gerichtsvollzieher vor. Zur Stärkung der Durchsetzung von Ansprüchen in natura außerhalb von Warenlieferungen droht die französische Rechtsprechung dem Schuldner die Zahlung
238 Art. 1453 Abs. 1 c.c. lautet: „Risolubilità del contratto per inadempimento. Nei contratti con prestazioni corrispettive, quando uno dei contraenti non adempie le sue obbligazioni, l’altro può a sua scelta chiedere l’adempimento o la risoluzione del contratto, salvo, in ogni caso, il risarcimento del danno.“ Eingehend dazu Resch, Das italienische Privatrecht, S. 325 ff. 239 Art. 1184 code civil lautet: „(1) La condition résolutoire est toujours sous-entendue dans les contrats synallagmatiques, pour le cas où l’une des deux parties ne satisfera point à son engagement. (2) Dans ce cas, le contrat n’est point résolu de plein droit. La partie envers laquelle l’engagement n’a point été exécuté, a le choix ou de forcer l’autre à l’exécution de la convention lorsqu’elle est possible, ou d’en demander la résolution avec dommages et intérêts. (3) La résolution doit être demandée en justice, et il peut être accordé au défendeur un délai selon les circonstances.“ 240 Art. 1142 code civil lautet: „Toute obligation de faire ou de ne pas faire se résout en dommages et intérêts en cas d’inexécution de la part du débiteur.“ 241 Art. 1144 code civil lautet: „Le créancier peut aussi, en cas d’inexécution, être autorisé à faire exécuter lui-même l’obligation aux dépens du débiteur. Celui-ci peut être condamné à faire l’avance des sommes nécessaires à cette exécution.“
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eines Zwangsgeldes, der so genannten astreinte, an, um ihn zur Naturalerfüllung anzuhalten.242 In Ermangelung der Normierung eines Zwangsmittels zur Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs im Codice civile von 1865 übernahmen die italienischen Gerichte die französische astreinte.243 Im aktuellen Codice civile von 1942 regeln nun die Art. 2930 ff. c.c. die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Übergabe einer bestimmten Sache. 244 In Italien wie in Frankreich hat der Gläubiger bei Nichtleistung des Schuldners die Wahl, ob er Erfüllung verlangt oder aber vom Vertrag zurücktritt. 245 Ein grundsätzliches Nachfristsetzungserfordernis wie es das deutsche Recht in § 323 Abs. 1 BGB normiert, gibt es dabei nicht.246 aa) Allgemeines Schuldrecht Wird die Leistungserbringung nachträglich unmöglich, so wird der Schuldner frei, Art. 1256 c.c.; der Gläubiger schuldet keine Gegenleistung, Art. 1463 c.c. Gemeint ist dabei eine „natürliche“ Unmöglichkeit; die bloße Schwierigkeit zu leisten entlastet grundsätzlich nicht.247 Eine § 275 Abs. 2 BGB entsprechende Vorschrift existiert nicht. 248 Gleichwohl enthält der Codice civile Regelungen zur gleichmäßigen Verteilung des Risikos unvorhergesehener Umstände, die die Leistungserbringung zwar nicht unmöglich machen, aber doch übermäßig erschweren. Diese führen nur dann zu einer Entlastung des Schuldners, wenn sie nach Abschluss des Schuldverhältnisses eintreten (eccessiva onerosità sopravvenuta); sie berechtigen den Schuldner nach Art. 1467 ff. c.c. unter engen Voraussetzungen zur Vertragsauflösung bzw. geben die Möglichkeit zur Anpassung des Vertrags. Dabei muss es sich um außergewöhnliche und unvorhersehbare Umstände handeln. Auch wenn man in Bezug auf diese von einer Art wirtschaftlicher Unmöglichkeit sprechen kann, 249 so steht Art. 1467 c.c. wegen der Anknüpfung an die Verwirklichung von außerhalb des Vertrags liegenden Risiken funktional der Regelung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB näher als der Leistungserschwerung in § 275 Abs. 2 BGB; hierauf wird zurückzukommen sein. 250 242
Zur astreinte ausführlich Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, S. 33 ff. Dazu und zur Kritik der Literatur hieran Resch, Das italienische Privatrecht, S. 311 ff. 244 Vgl. wiederum Resch, Das italienische Privatrecht, S. 333 ff. 245 Art. 1453 Abs. 1 c.c. bzw. Art. 1184 Abs. 2 Satz 2 code civil. 246 Vgl. dazu S. Lorenz, JbItalR 21 (2008), S. 43, 51 ff. 247 Cass. 79/794; Cian / Trabucchi / Zaccaria, Art. 1256 Anm. I.1. 248 Zur Genese von § 275 BGB mit vergleichenden Hinweisen zum italienischen Recht Ferrante, Contratto impr. / Europa, 2004, 2, 723. 249 So die Terminologie von Grundmann, in: Einführung in das italienische Recht, S. 220 ff. 250 Siehe ausführlicher dazu unten § 14 (S . 254 ff.). Auch Grundmann (in: Einführung in das italienische Recht, S. 220) geht indessen von einer funktionellen Parallelität zwischen Art. 1467 ff. c.c. und § 313 BGB aus. 243
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bb) Kaufrecht Im Bereich des allgemeinen Kaufrechts ist die Rechtsprechung in Italien sehr zurückhaltend mit der Verurteilung zur Naturalerfüllung (esatto adempimento); falls diese nicht ausdrücklich vertraglich vereinbart ist, besteht nur das Recht auf Rücktritt oder Minderung, Art. 1492 c.c. 251 Beim Kaufvertrag besteht außerhalb von den im Codice del consumo geregelten Verbraucherverträgen im Gegensatz zum modernisierten deutschen Schuldrecht grundsätzlich auch kein Nacherfüllungsanspruch des Käufers. Der Grund hierfür liegt nach der Rechtsprechung der Corte di Cassazione darin, dass der Verkäufer nach Art. 1476 c.c. nicht zu einer Leistung verpflichtet ist, die die materielle Struktur der Kaufsache selbst betrifft. 252 Im Vordergrund steht die Pflicht zu Verschaffung der Kaufsache: Den Verkäufer treffe die Verpflichtung zu einem dare im Gegensatz zum facere, das den Werkvertrag kennzeichnet. Das facere sei aber das Charakterisikum der Nacherfüllungspflicht, wozu sich der Verkäufer gerade nicht verpflichtet habe. 253 Teilweise wird auch darauf abgestellt, dass beim Kauf die allgemeinen Vorschriften über die Nichterfüllung (Art. 1453 ff. c.c.) wegen der spezialgesetzlichen Regelung im Kaufrecht nicht anwendbar seien.254 Für den Verbrauchsgüterkauf hingegen wurden mit den Art. 128 ff. Codice del consumo in recht detailgetreuer Manier die Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umgesetzt. 255 In Anlehnung an Art. 3 Abs. 3 VGKRL sieht Art. 130 Abs. 3, 4 Codice del consumo nur eine relative Verhältnismäßigkeitsprüfung vor (also zwischen beiden Arten der Nacherfüllung), und nicht wie im deutschen Recht auch eine absolute (zwischen Nacherfüllung und anderen Mängelrechten). 256 Der Verkäufer kann die vom Verbraucher gewählte Art der Nacherfüllung (ripristino) dann verweigern, wenn dies übermäßig belastend (eccessivamente oneroso) wäre; dies ist nach Art. 130 Abs. 4 Codice del consumo wiederum dann der Fall, wenn die vom Verbraucher gewählte Art der Nacherfüllung unmöglich wäre oder im Vergleich zur anderen Art unvernünftige Kosten (spese irragionevoli) nach sich ziehen würde. 257
251 Cass., 5.4.1976, n. 1194, Rep. Foro it. 1976, voce „vendita“, n. 70; Kindler, JbItalR 5 (1992) S. 201, 217 ff.; ders., Einführung in das italienische Recht, § 15 Rn. 11. 252 Cass., 3.1.2002, n. 29; Cass. (sez. unite), 21.6.2005, n. 13294, Corr. Giur., 2005, 1688, hierzu Travaglino, Corr. giur. 2005, 1694. 253 Ablehnend dazu Camilleri, Riv. dir. civ., 2006, II, 469, der den Widerspruch zur Rechtslage bei Verbrauchergeschäften kritisiert. 254 Cass., 15.5.2000, n. 6234, Rep, Foro it. 2000, voce „vendita“, n. 56; Cass., 4.9.1991, n. 9352, Rep. Foro it. 1992, voce „vendita“, n. 55. 255 D.lgs. 6 settembre 2005, n. 206; ersetzt Art. 1519-bis ff. c.c. Siehe dazu etwa Gebauer, JbItalR 20 (2007), S. 3, 5 ff.; Omodei-Salè, ZEuP 2007, 785. 256 Dazu Nuove leggi commentate 2/2006, S. 451 f. 257 Zum Begriff der Vernunft im Vertragsrecht Troiano, La „ragionevolezza“ nel diritto dei contratti, S. 183 ff., 331 ff. sowie unten § 18 III. 3. (S. 342 ff.).
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Bemerkenswert ist, dass der Codice del consumo in Art. 135 ausdrücklich eine Wahlmöglichkeit des Verbrauchers zwischen allgemeinen Gewährleistungsrechten aus dem Codice civile und speziellen Verbraucherrechten aus dem Codice del consumo vorsieht. 258 Im Einzelnen besteht keine Einigkeit über das Konkurrenzverhältnis beider Rechtsbehelfssysteme. 259 Eine freie Gesetzeskonkurrenz zwischen den beiden Systemen kann dazu führen, dass der Verbraucher von vorn herein nicht nach dem Codice del consumo vorgeht, sondern nach dem Codice civile – etwa im Falle der Vertragsauflösung, die bei Nichterfüllung nach Art. 1453 c.c. ohne Fristsetzungserfordernis möglich ist, während Art. 130 Abs. 5, 7 lit. b Codice del consumo in Anlehnung an die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie einen Vorrang des Nacherfüllungsanspruchs des Verbrauchers vorsieht und die Vertragsauflösung erst nach Ablauf einer angemessenen Frist zulässt.260 Der Stellenwert, den die Verhältnismäßigkeit im deutschen Recht in Bezug auf den allgemeinen kaufrechtliche Nacherfüllungsanspruch besitzt, findet damit im italienischen Recht keine Entsprechung. Er reduziert sich auf den Verbrauchsgüterkauf und enthält keine über den Wortlaut der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hinausgehende Ausübungskontrolle. cc) Werkvertrag und ähnliche Rechtsverhältnisse Dem Begriff des Werkvertrags liegt nach italienischem Recht ein etwas anderes Verständnis zugrunde als nach deutschen Recht. Der Codice civile unterscheidet zwischen dem in den Art. 1655 ff. c.c. geregelten Unternehmerwerkvertrag (appalto) und dem im 5. Buch (Arbeitsrecht) geregelten Vertrag über nicht abhängige Arbeit (contratto d’opera, Art. 2222 ff. c.c.). 261 Der appalto ist dabei auf die Schaffung eines Werks auf eigenes Risiko gerichtet, umfasst aber – genauso wie der contratto d’opera – auch die Erbringung von Dienstleistungen (Art. 1655, 1677 bzw. Art. 2222 c.c.). Kennzeichnend für beide Typen ist die Übernahme des Herstellungs- bzw. Erbringungsrisikos des Schuldners. 262 Der 258 Die Parallelnorm im Codice civile sieht vor, dass die Regelungen über Verträge im allgemeinen (Art. 1321 ff. c.c.) auch für Verbraucherverträge gelten, sofern diese nicht speziellere oder für den Verbraucher günstigere Regelungen enthalten, Art. 1469-bis c.c. 259 Dazu ausführlich Dalla Massara, Riv. dir. civ., 2007, II, 123 ff.; siehe zusammenfassend auch Gebauer, JbItalR 20 (2007), S. 3, 13 ff. 260 Die Möglichkeit der sofortigen Vertragsauflösung nach Art. 1453 c.c. dürfte dennoch richtlinienkonform sein, da nach Art. 8 Abs. 2 VGKRL ein höheres Verbraucherschutzniveau zulässig ist. In diesem Sinne auch Mansel, AcP 204 (2004), 396, 435. 261 Bei Patti, Codice Civile Italiano – Das Italienische Zivilgesetzbuch werden beide Formen mit dem Begriff „Werkvertrag“ übersetzt. 262 Vgl. nur Cian / Trabucchi / Zaccaria, Art. 1655 Anm. VI. Zu der für Schadensersatzansprüche relevanten Abgrenzung zwischen Erfolgspflichten (obbligazioni di risultato) und Verhaltenspflichten (obbligazione di mezzo) Cass., 28.7.2005, n. 15781, Europa dir. priv., 2006, 781.
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Werkunternehmer hat für sämtliche Mängel am Werk einzustehen; Art. 1667 Abs. 1 Satz 1 c.c. rückt den Werkvertrag in die Nähe einer Garantiehaftung; das Verschulden des Werkunternehmers in Bezug auf die Mangelhaftigkeit des Werks oder der Dienstleistung ist lediglich für die Frage relevant, ob er Schadensersatz zu leisten hat.263 Dies findet seine gesetzliche ratio in Art. 1655 c.c., der den appalto als Werkherstellung oder Dienstleistung „unter Ausführung auf eigenes Risiko“ definiert. Damit kann sich der Werkunternehmer in der Regel nicht auf eine Verteuerung der Herstellungskosten für das Werk oder Erbringung der Dienstleistung berufen; eine Ausnahme besteht nach Art. 1664 Abs. 1 c.c. wiederum nur für nicht vorhersehbare Erschwernisse (circostanze imprevedibili), soweit dadurch die Kosten um mehr als 10 % der Auftragssumme erhöht werden. Dasselbe gilt indessen umgekehrt zugunsten des Bestellers; auch dieser hat ein Anpassungsrecht, wenn sich die Kosten – was praktisch sehr selten vorkommen dürfte – um mehr als 10 % der Auftragssumme verringern. Art. 1664 c.c. wird allgemein als Ausschnitt der Regelungen über die Vertragsanpassung bei übermäßiger Leistungserschwerung (eccessiva onerosità) in Art. 1467 ff. c.c. angesehen. 264 Die Anpassung richtet sich nur nach denjenigen Kosten, die die zu tolerierende Abweichung von 10 % nach oben oder nach unten übersteigt. In der unternehmerischen Praxis werden freilich regelmäßig Preisanpassungsklauseln vereinbart, die die dispositive Regelung des Art. 1664 Abs. 1 c.c. ersetzen.265 Nach Art. 1668 c.c. (der über Art. 2226 Abs. 3 c.c. auch für den contratto d’opera gilt) besteht ein Nacherfüllungsanspruch des Gläubigers unabhängig von dessen Kosten, also auch dann, wenn diese unverhältnismäßig im Vergleich zum Werklohn sind. 266 Die Grenze, die § 635 Abs. 3 BGB für den vom Unternehmer zu erbringenden Aufwand zieht, findet im italienischen Recht keine Entsprechung im positiven Recht. So hat die Rechtsprechung eine Pflicht des Werkunternehmers zur völligen Neuherstellung des mangelhaften Werks bejaht. 267 Die Grenze zieht Art. 1668 Abs. 2 c.c. erst dann, wenn die Mangelbeseitigung völlig ungeeignet ist, den vertraglich mit der Werkerstellung verfolgten Zweck zu erreichen. Parallel zum Nacherfüllungsanspruch sieht Art. 1668 Abs. 1 c.c. ein Minderungsrecht und bei Verschulden des Werkunternehmers auch einen Schadensersatzanspruch des Bestellers vor. In der neueren Literatur wird diese rigide Haftung des Unternehmers teilweise für nicht interessengerecht gehalten. Das Herstellungsrisiko sowie das 263 Es ist umstritten, ob die Haftung für Werkmängel als objektive Haftung oder als Verschuldenshaftung einzuordnen ist. Vgl. zur Diskussion zusammenfassend Polidori, Rass. dir. civ., 2004, 686, 705 ff. 264 Vgl. Cass. 94/9060; Macario, in: La subfornitura nelle attività produttive, S. 151, 155 ff. 265 Cass. 92/3013; Cian / Trabucchi / Zaccaria, Art. 1664 Anm. I.2. 266 Dazu Cian / Trabucchi / Zaccaria, Art. 1668 Anm. II.2. 267 Cass. 96/3454; Cass. 00/5984.
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Risiko der Mangelhaftigkeit des Werks werde zwar von Art. 1655 c.c. dem Unternehmer aufgebürdet, dies könne aber keine grenzenlose Haftung nach sich ziehen. 268 Insbesondere sei die vom Besteller gezahlte Gegenleistung zu berücksichtigen; sei diese besonders hoch, so könne der Besteller ein qualitativ besseres Werk bzw. eine bessere Dienstleistung und dementsprechend auch höhere Anstrengungen zur Beseitigung des Mangels erwarten. Nachdem sich aus Art. 1668 c.c., der als Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit angesehen wird, die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers zur Aufrechterhaltung des Vertrags auch im Gewährleistungsfall ergebe, sei eine weite Auslegung von Art. 1664 c.c. vorzugswürdig, um unvorhergesehene Leistungserschwerungen abzufedern.269 Auf eine weitere Vorschrift ist hinzuweisen: Ein Werk- oder Dienstvertrag i.S.d. Art. 1655 ff. c.c. kann den Spezialregelungen über den so genannten Zuliefervertrag (contratto di subfornitura) unterfallen, der im Gesetz Nr. 192/98 geregelt wurde. 270 Für solche Zuliefer- oder vertikale Kooperationsverträge sind darin unabhängig von der Einordnung des konkreten Rechtsverhältnisses als Kauf-, Dienst- oder Werkverträge Regeln zum Schutz des Zulieferers enthalten, die dessen aus Sicht des Gesetzgebers in aller Regel bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit vom Auftraggeber abmildern sollen. So enthält Art. 3 Abs. 5 legge n. 192/98 einen Preisanpassungsanspruch des Zulieferers, wenn sich die Umstände wesentlich verändern, sich also etwa die Rohstoffe erheblich verteuert haben. 271 Als lex specialis zu Art. 1664 c.c. hat der Zulieferer damit eine flexiblere Handhabe, wenn sich die Herstellungskosten nachträglich verändern.272 c) England Das englische Recht, das die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung des Naturalerfüllungsanspruchs anders als die Civil-Law-Rechtsordnungen als Ausnahme ansieht, kann sich darauf beschränken, die Unmöglichkeit der Naturalleistung als einen Anwendungsfall des Grundsatzes der Pekuniärerfüllung 268
Polidori, Rass. dir. civ., 2004, 686, 709. Insbesondere soll nach dieser Ansicht die allgemeine Regel aus Art. 1467 c.c. keine Anwendung finden, vgl. Polidori, Rass. dir. civ., 2004, 686, 715. Unklar ist aber, ob Polidori, was nahe liegen würde, den Rechtsgedanken des Art. 1664 c.c. auch auf den Nacherfüllungsanspruch nach Art. 1668 c.c. anwenden möchte. 270 Legge 18.6.1998, n. 192, „subfornitura nelle attività produttive“, G.U. 22.6.1998, n. 143. Zu diesem Gesetz bereits oben § 6 I. 3. (S. 77 ff.). 271 Die Norm lautet: „(5) Ove vengano apportate, nel corso dell’esecuzione del rapporto, su richiesta del committente, significative modifiche e varianti che comportino comunque incrementi dei costi, il subfornitore avrà diritto ad un adeguamento del prezzo anche se non esplicitamente previsto dal contratto.“ Dazu eingehend Macario, in: La subfornitura nelle attività produttive, S. 151. 272 Diese Vorschrift unterliegt – im Unterschied zu Art. 1664 c.c. – nicht der Parteidisposition, vgl. Macario, in: La subfornitura nelle attività produttive, S. 151, 157 ff. 269
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anzusehen.273 Ist die Leistung nicht unmöglich, aber nur mit hohen Aufwendungen zu erbringen, wird eine gerichtliche Anordnung auf specific performance regelmäßig nicht ergehen, da sie keine faire Lösung des gestörten Vertrags274 mit sich bringt. Würde also die Verurteilung zur Naturalerfüllung dazu führen, dass der Schuldner dadurch in große Schwierigkeiten geraten würde, so kann eine entsprechende gerichtliche Anordnung nicht ergehen. 275 Es wird sich zeigen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in dem hier verwendeten Sinn auch dem englischen Recht eigen ist – allerdings in mehr prozessualer Einkleidung. aa) Die richterliche Ermessensentscheidung bei der specific performance Historisch gesehen findet sich eine Erklärung für die Begründungsbedürftigkeit der Naturalerfüllung außerhalb von auf Zahlung von Geld gerichteten Ansprüchen in der traditionellen Zweiteilung der englischen Gerichtsbarkeit in Courts of Common Law und Courts of Equity. Das englische Aktionensystem kannte ursprünglich keine Klageart für nicht auf Geld gerichtete Naturalansprüche. Erst mit Aufkommen der equity als subsidiärer Billigkeitsrechtsordnung und den entsprechenden prozessualen Institutionen ergab sich die Möglichkeit, auch andere Ansprüche zwangsweise durchzusetzen. Die ursprüngliche Ausgestaltung als remedy in equity prägt die Klage auf specific performance auch heute noch, weit über ein Jahrhundert nach der formellen Abschaffung der forms of action und der Fusionierung von Common law und equity durch die Judicature Acts 1873/75. 276 Der Begriff der Billigkeit hat sich freilich weitgehend verrechtlicht, er geht im heutigen Recht im richterlichen Ermessen auf. 277 Leitentscheidung für die Zubilligung von Naturalerfüllung ist das Urteil des House of Lords in Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd.278 Trotz ihrer Besonderheiten, die auch darin begründet lagen, dass es darin um ein Dauerschuldverhältnis ging, kann die Entscheidung als leading 273 Vgl. Forrer v. Nash, 55 Eng. Rep. 858, 860 (1865); Elliott & Elliott (Builders) Ltd. v. Pierson [1948] Ch. 453, 455 ff.; Watts v. Spence [1976] Ch. 165, 170 ff. (Graham J.). Zur historischen Entwicklung Zimmermann, Law of Obligations, S. 776 ff. 274 Das Ermessen des Gerichts in Bezug auf die Verurteilung zur Naturalerfüllung ist vor allem durch das Streben nach einer fairen Lösung geleitet: Shell U.K. Ltd. v. Lostock Garage Ltd. [1976] 1 WLR 1187, 1197 ff., CA (Lord Denning MR). 275 Tito v. Waddell (No. 2) [1977] Ch. 106, 326 f. (Megarry VC); Handley Page Ltd. v. Commissioners of Customs and Excise [1970] 2 Lloyd’s Rep. 459, 466. Siehe aber Mountford v. Scott [1975] Ch. 258, 261 ff., ChD (Brightman J.); Howard E. Perry & Co. Ltd. v. British Railways Board [1980] 1 WLR 1375, 1383, ChD (Megarry VC), wo gerade die bloße Verurteilung zur Leistung von Schadensersatz für den Gläubiger existenzbedrohend wäre. 276 Zur Entwicklung M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), 310, 313 ff. 277 Zur Ermessensausübung englischer Zivilgerichte und deren Überprüfbarkeit in der Rechtsmittelinstanz M. Stürner, Die Anfechtung von Zivilurteilen, S. 199 ff. 278 [1998] AC 1 (HL).
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case für die specific performance betrachtet werden. Gegenstand war die Klage der Betreiberin eines Einkaufszentrums auf Naturalerfüllung eines Mietvertrags, der zum Klagezeitpunkt noch 19 Jahre Laufzeit hatte. Die Beklagte, eine große Supermarktkette, hatte die Filiale in dem betreffenden Einkaufszentrum wegen mangelnder Rentabilität gut 15 Jahre nach Mietvertragsbeginn geschlossen. Die Klägerin machte geltend, dass die Attraktivität des Einkaufszentrums wesentlich vom Betrieb des Supermarktes der Beklagten abhing. Diese wiederum berief sich auf die hohen Verluste, die die Filiale einbrachte. Das House of Lords lehnte das klägerische Begehren auf specific performance ab. Der allgemein angewandte Test, ob die Interessen des Gläubigers auch durch die Leistung von Schadensersatz angemessen befriedigt werden könnten, hielt Lord Hoffmann nicht für alleine ausschlaggebend. Er führte aus: „[T]he purpose of the law of contract is not to punish wrongdoing but to satisfy the expectations of the party entitled to performance. A remedy which enables him to secure, in money terms, more than the performance due to him is unjust. From a wider perspective, it cannot be in the public interest for the courts to require someone to carry on business at a loss if there is any plausible alternative by which the other party can be given compensation. It is not only a waste of resources but yokes the parties together in a continuing hostile relationship. The order for specific performance prolongs the battle. If the defendant is ordered to run a business, its conduct becomes the subject of a flow of complaints, solicitors’ letters and affidavits. This is wasteful for both parties and the legal system. An award of damages, on the other hand, brings the litigation to an end. The defendant pays damages, the forensic link between them is severed, they go their separate ways and the wounds of conflict can heal.“279
In dieser Urteilspassage finden sich die wesentlichen Gesichtspunkte, die das Gericht bei der Ermessensentscheidung berücksichtigen muss. bb) Ermessensleitende Gesichtspunkte (1) Vergleich zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz Der traditionelle, an der Subsidiarität der Equity-Rechtsbehelfe im Verhältnis zu denen des Common Law orientierte Ausgangspunkt ist die Frage, ob die Interessen des Gläubigers durch die Zusprechung von Schadensersatz ausreichend gewahrt werden. 280 Hiervon rückt die Rechtsprechung aber immer weiter ab. An dessen Stelle tritt eine mehr an den ökonomischen Auswirkungen einer Verurteilung zur Naturalerfüllung orientierte Gesamtbetrachtung, auf deren Grundlage die specific performance nicht gewährt wird, wenn ein großer, nicht zu beziffernder und unbegrenzter Schaden für den Schuldner entstünde, der 279
Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd. [1998] AC 1, 15 f.,
HL. 280 So etwa Ryan v. Mutual Tontine Westminster Chambers Association [1893] 1 Ch 116, 125 f., CA (Lopes LJ).
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um ein Vielfaches höher ist als das Interesse, das der Gläubiger an der Leistung hat. Berücksichtigt wird hierbei die Möglichkeit, den Gläubiger durch die Verurteilung zur Leistung von Schadensersatz zu befriedigen. Was in Bezug auf die ratio von § 275 Abs. 2 BGB nur vereinzelt vertreten wird, 281 liegt hier offen der gerichtlichen Ermessensentscheidung zugrunde: Die Öffentlichkeit hat kein Interesse an der Verschwendung von Ressourcen. Im Fall Co-operative Insurance Society v. Argyll Stores hätte die Verurteilung zur specific performance die Beklagte zur Weiterbetreibung eines verlustbringenden Geschäfts gezwungen. Dem standen vergleichsweise untergeordnete Interessen der Klägerin gegenüber, dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die Beklagte einen Nachmieter für den Supermarkt gefunden hatte.282 Das Gericht kann also die Konsequenzen, die eine Anordnung der specific performance für den Schuldner hätte, mit in die Ermessensentscheidung einbeziehen: Würde den Schuldner die Verpflichtung zur Naturalerfüllung übermäßig belasten (cause great hardship), so spricht dies gegen eine entsprechende gerichtliche Verurteilung. 283 Eine grundsätzlich andere Betrachtungsweise besteht hingegen bei der Durchsetzung von Ansprüchen auf Herausgabe von Sachen. Hier ist entscheidend darauf abzustellen, inwieweit ein Ersatz am Markt beschafft werden kann. Bei leicht verfügbaren Gütern scheidet ein Anspruch auf specific performance von vornherein aus. 284 Handelt es sich dagegen um schwer zu beschaffende oder gar um einzigartige Güter, etwa Grundstücke, dann wird der Schuldner regelmäßig zur Naturalerfüllung verurteilt. 285 Im Bereich des Kaufrechts sieht sec. 52 Sale of Goods Act die Naturalerfüllung beim Spezieskauf als Regelfall vor.286 281 So etwa von Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 13, 47. Näher dazu unten § 21 II. 3. (S. 364 f.). 282 [1998] AC 1, 17 (HL). 283 Siehe die Nachweise oben Fn. 275. 284 Vgl. die Nachweise bei Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 21–019. Dem entspricht die Lösung in Art. 9:201 Abs. 2 lit. d PECL – eine Einschränkung, die der DCFR nicht übernommen hat. Dazu näher sogleich unten d) (S. 221 ff.). 285 Vgl. die Nachweise bei Treitel, in Chitty on Contracts, Rn. 27–014. Insbesondere bei „commercially unique goods“ kommt eine Verurteilung zur Naturalerfüllung ebenfalls in Betracht, vgl. Behnke v. Bede Shipping Co. Ltd. [1927] 1 KB 649, 660 ff., KBD (Wright J.) (in Bezug auf ein Schiff). Vgl. aber andererseits die Entscheidung Société des Industries Metallurgiques S.A. v. The Bronx Engineering Co. Ltd. [1975] 1 Lloyd’s Rep. 465, 468 f., CA (Lord Edmund Davies), wo bei einem Vertrag über die Lieferung einer Maschine specific performance nicht gewährt wurde, obwohl der (immerhin mögliche) Deckungskauf mit einer fast einjährigen Wartezeit verbunden war. Zur parallelen Entwicklung im US-amerikanischen Recht Neufang, Erfüllungszwang als „remedy“, S. 120 ff., 131 ff. 286 „Sec. 52 Specific performance: (1) If any action for breach of contract to deliver specific or ascertained goods the court may, if it thinks fit, on the plaintiff’s application, by its judgment or decree direct that the contract shall be performed specifically, without giving the defendant the option of retaining the goods on payment of damages.“ Ebenso ordnet sec. 48E Abs. 2 Sale of Goods Act die specific performance für den Verbrauchsgüterkauf als Regelfall an. Siehe dazu Streer, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in England, S. 179 ff.
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Dem Ausnahmecharakter der Naturalerfüllung entsprechend beschränkt sich die Verpflichtung zur Nacherfüllung auf wenige, teilweise gesetzlich geregelte Fälle. Dies betrifft zunächst den Verbrauchsgüterkauf, wo entsprechend den Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie der Nacherfüllungsanspruch des Verbrauchers in sec. 48B Abs. 1 Sale of Goods Act geregelt wurde. 287 Bemerkenswert ist die Regelung in sec. 48B Abs. 3 lit. c Sale of Goods Act, wo die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur zwischen den beiden Alternativen der Abhilfe (Nachbesserung und Nachlieferung) angeordnet wird, sondern ausdrücklich auch zwischen der Nacherfüllung und den weiteren Rechtsbehelfen Minderung und Vertragsaufhebung. Der Verkäufer kann damit den Verbraucher auf dessen Verlangen der einen Art der Nacherfüllung wegen unverhältnismäßigem Aufwand nicht nur auf die andere Art verweisen, wie dies die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vorsieht, 288 sondern auch auf die weiteren Rechtsbehelfe Minderung und Vertragsaufhebung, wenn die gewählte Art der Nacherfüllung auch gegenüber diesen einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutet. Darin liegt eine Schlechterstellung des Verbrauchers, da dessen Interesse am Erhalt der mangelfreien Sache unterlaufen werden kann.289 Auch im Werkvertragsrecht steht dem Besteller grundsätzlich ein Nacherfüllungsanspruch zu.290 Es ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen den Kosten, die durch die Mangelbeseitigung entstehen und dem Zweck, den das Werk erfüllen soll, insbesondere, ob auch das mangelhafte Werk den vertraglich vorausgesetzten Zweck erfüllen kann. 291 Auch hier ist zu berücksichtigen, ob die Zahlung von Schadensersatz das Interesse des Gläubigers ausreichend befriedigen kann. (2) Schwierigkeiten bei der Überwachung der gerichtlichen Anordnung Ökonomische Erwägungen sind allerdings nicht die einzigen Abwägungsgesichtspunkte. Berücksichtigt wird daneben auch – und zwar regelmäßig gegen die Gewährung der Naturalerfüllung –, inwieweit die Umsetzung der gerichtlichen Anordnung in der Praxis vom Gericht überwacht werden kann und muss. 292 Das Gericht sieht sich nicht in der Rolle des klägerischen Büttels, der 287
Zur Umsetzung Arnold / Unberath, ZEuP 2004, 366. Oben 3. a) bb) (S. 195 ff.). 289 Ebenso Arnold / Unberath, ZEuP 2004, 366, 379; Streer, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in England, S. 190 f.; offen lassend Mansel, AcP 204 (2004), 396, 447 f. 290 Vgl. Ruxley Electronics and Construction Ltd. v. Forsyth [1996] AC 344, HL: Ein Schwimmbad hatte nicht die vertraglich vereinbarte Tiefe; die Neuerrichtung hätte einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert; überdies reichte die tatsächliche Tiefe aus, um den Zweck des Schwimmbades zu erfüllen. 291 Vgl. Beale / Hartkamp / Kötz / Tallon, Cases, Materials and Texts on Contract Law, S. 697; siehe auch Beale, in: Chitty on Contracts, Rn. 26–016 f. 292 Vgl. Williamson Ltd. v. Lukey and Mulholland (1931) 45 CLR 282, 297 f. (Dixon J.); 288
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auf die strikte Einhaltung der gerichtlichen order for specific performance achten muss. Aus Sicht des deutschen Rechts sind dies vollstreckungsrechtliche Probleme, die in den §§ 887 f. ZPO geregelt sind und die für die materiellrechtliche Seite der Anspruchsbegründung keine Rolle spielen. Das englische Recht kennt selbstverständlich auch vollstreckungsrechtliche Sanktionen bei Missachtung von gerichtlichen Anordnungen, namentlich die drastische Sanktion des Contempt of Court: Ein Verstoß kann mit Geldstrafe oder gar Gefängnis geahndet werden. 293 Unter diesem „Damoklesschwert“294 erscheint eine Vertragserfüllung für den Schuldner unzumutbar. In Bezug auf erfolgsbezogene Verpflichtungen hingegen, etwa die Herstellung eines Werks, bestehen derartige Unsicherheiten schon wegen der meist geringeren Dauer des vertraglichen Pflichtenverhältnisses regelmäßig in geringerem Umfang.295 Unabhängig von der Art der geschuldeten Tätigkeit unterscheidet die Rechtsprechung ferner danach, ob die Verurteilung zur Naturalerfüllung präzise in Form einer gerichtlichen Anordnung gefasst werden kann. Ist dies nicht der Fall, so kann regelmäßig keine specific performance gewährt werden. Im Fall Co-operative Insurance Society v. Argyll Stores genügte die vertragliche Pflicht, „die überlassenen Räumlichkeiten während der üblichen Ladenöffnungszeiten zum Verkauf offen zu halten“, diesen Anforderungen nicht. Lord Hoffmann führte aus, es sei nicht klar geregelt, welche Art des Verkaufs in welchem Umfang geschuldet sei. Dass diesbezüglich durch Auslegung der Vereinbarung hinreichende Sicherheit erzielt hätte werden können, reichte nicht aus, da jedenfalls genügend Spielraum für Streitigkeiten über Art und Umfang der vertraglich geschuldeten Pflicht bestünde. 296 Es entspricht der Logik des Austauschverhältnisses, dass das vereinbarte Resultat meist nur in Zusammenarbeit beider Parteien erreicht werden kann. Wo dies nicht mehr möglich erscheint, würde die Verurteilung zur Naturalerfüllung den zwischen den Parteien bestehenden Streit nur verlängern. Zwänge man die Parteien zur weiteren vertraglichen Zusammenarbeit, so zöge das zumeist weitere gerichtliche Auseinandersetzungen nach sich, die nicht im Interesse der Parteien, genauso wenig aber im öffentlichen Interesse lägen.297 Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd. [1998] AC 1, 12 f., 16, HL. 293 Geregelt u.a. in s. 14 ff. Contempt of Court Act 1981. 294 Ausdruck von Lord Hoffmann in Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd. [1998] AC 1, 13. 295 Vgl. etwa Jeune v. Queens Cross Properties Ltd. [1974] Ch. 97, 99 ff., ChD (Pennycuick VC). 296 Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd. [1998] AC 1, 13 f. 297 Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd. [1998] AC 1, 14. Aus diesem Grund erfolgt zumeist auch keine Verurteilung zur Erbringung einer höchstpersönlichen Leistung, vgl. Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 21–016. Für das deutsche Recht ist dies jedenfalls für Dienstverträge in § 888 Abs. 3 ZPO geregelt.
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Das richtige Verständnis erschließt sich also bei Beachtung der prozessualen Einkleidung der specific performance. Ein Gerichtsverfahren erledigt nach englischem Verständnis den Rechtsstreit umfassend und abschließend. Die doctrine of res iudicata verhindert die erneute Beschäftigung der Gerichte mit dem Streit.298 Dort, wo die Verurteilung zur Naturalerfüllung zur künstlichen Verlängerung eines gescheiterten Vertragsverhältnisses führen würde, das neue prozessuale Streitigkeiten provoziert, stehen der Gewährung der Erfüllungsklage überwiegende öffentliche Interessen der Einsparung von Gerichtsressourcen sowie der Gedanke des Rechtsfriedens gegenüber. (3) Berücksichtigung des Schuldnerverhaltens Schließlich kann auch das Verhalten des Schuldners im Hinblick auf die Nichterfüllung des Vertrags berücksichtigt werden, insbesondere, ob das Leistungshindernis vorsätzlich herbeigeführt wurde.299 Dies erklärt sich wiederum aus der Genese der Regelungen über die specific performance aus dem Recht der Equity, also dem Billigkeitsrecht, in dem Begriffe wie Fairness und Gerechtigkeit eine überragende Rolle spielten und immer noch spielen. Hier fließen Elemente in die Abwägungsentscheidung ein, die nach kontinentalem Verständnis dem Konzept von Treu und Glauben zugerechnet werden. Allerdings ist Zweck des Vertragsrechts keine Sanktionierung von treuwidrigem Verhalten, sondern die Wahrung der Interessen der aus dem Vertrag berechtigten Partei. 300 Im Fall Co-operative Insurance Society v. Argyll Stores wurde daher nicht zugunsten der Klägerin berücksichtigt, dass die Beklagte den Mietvertrag vorsätzlich gebrochen und im Hinblick auf die vertraglichen Verpflichtungen einen „gross commercial cynicism“301 an den Tag gelegt hatte.302
298 Dies erklärt die Abneigung englischer Gerichte, etwa bei körperlichen Verletzungen Schadensersatz in Form von Rentenzahlungen zu gewähren, sondern traditionell Ersatz in Form einer Einmalzahlung (lump sum) auszuurteilen. Dazu etwa Wurmnest, Haftungsrecht, S. 228 f. 299 Sang Lee Investment Co. Ltd. v. Wing Kwai Investment Co. Ltd. (1983) 127 Sol. Jo. 410, PC (Lord Brightman). 300 Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd. [1998] AC 1, 15. 301 So die Formulierung des Court of Appeal in der Vorinstanz; der Court of Appeal hatte die beantragte einstweilige Verfügung auf Durchführung des Vertrags noch gewährt. Vgl. das Zitat bei Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd. [1998] AC 1, 18. Nach der Rechtsprechung des BGH spielen derartige Erwägungen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung keine Rolle. Ein „unternehmerisches Geschäftsgebaren“ des Gläubigers kann damit nicht bei der Frage berücksichtigt werden, ob die Ausübung eines vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechts gegen das Übermaßverbot verstößt, vgl. BGH NJW 1985, 266, 267 und dazu näher unten § 22 II. 2. c) aa) (3) (S. 398 f.). 302 Im Ergebnis wird damit ein „efficient breach“ des Vertrags zugelassen: Aus Sicht des Pächters übersteigen die Kosten der Vertragserfüllung den durch den Erfüllungsschaden repräsentierten Nutzen des Verpächters. Näher dazu unten § 21 III. 3. a) (S. 373 f.).
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cc) Vergleich mit dem deutschen Recht Dieser Überblick zeigt, dass im englischen Recht die in § 275 Abs. 2 BGB auf der Ebene des materiellen Rechts durchzuführende Verhältnismäßigkeitsprüfung ebenso durchzuführen ist – wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, da die Naturalerfüllung die Ausnahme darstellt und nicht die Regel, wie dies in Deutschland § 241 Abs. 1 BGB anordnet. Kern der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist hier wie in England eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles. Bemerkenswert erscheint die primäre Bezugnahme auf die Gläubigerinteressen an der Naturalerfüllung, die gerade im Fall Argyll deutlich zum Ausdruck kam;303 diesen wird der zur Erfüllung erforderliche Schuldneraufwand gegenüber gestellt. Dabei bleibt es aber nicht. In diese eher quantitativ ausgerichtete Abwägung werden auch nicht quantifizierbare Faktoren wie das Verhalten der Parteien, insbesondere des Schuldners, und die generelle Fairness der Lösung mit einbezogen. Die Unterschiede zum deutschen Recht erweisen sich – von der antipodischen Ausgangslage abgesehen – als eher technischer Art. Dabei ist die Tatbestandslösung des § 275 Abs. 2 BGB nur scheinbar enger als die gerichtliche Ermessenslösung des englischen Rechts; die mehr prozessuale Einkleidung der Verhältnismäßigkeitskontrolle bringt aber einen dem deutschen Recht unbekannten Akzent auf prozessökonomischen Erwägungen. Der Inhalt der vertraglichen Verpflichtung spielt bei § 275 Abs. 2 BGB eine größere Rolle als im englischen Recht, da hier die Bestimmung rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten anders als in England für das Eingreifen des Leistungsverweigerungsrechts konstitutive Bedeutung hat. d) PECL und DCFR Die PECL und genauso der DCFR haben (auch) das Ziel, die Konzepte von Common Law und Civil Law zu vereinen. Sowohl die Principles als auch der auf ihnen aufbauende Draft Common Frame of Reference bekennen sich zum Grundsatz der Naturalerfüllung, folgen hier also der Civil-Law-Lösung:304 Art. 9:102 Abs. 1 PECL bzw. Art. III.-3:302 Abs. 1 DCFR geben dem Gläubiger einen Anspruch auf Durchsetzung einer nicht auf Geldleistung gerichteten Obligation. Dies gilt nach Art. 6:111 Abs. 1 PECL ausdrücklich auch dann, wenn
303 Die Passage sei wegen ihrer Bedeutung noch einmal wiederholt: „[T]he purpose of the law of contract is … to satisfy the expectations of the party entitled to performance.“ Cooperative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores (Holdings) Ltd. [1998] AC 1, 15. Man könnte hier ergänzen: the reasonable expectations; damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Maßstab ein objektivierter ist. Vgl. dazu Steyn, (1997) 113 LQR 433. 304 Leible, in: Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, S. 97, 100 f.
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die Erfüllung für den Schuldner belastender geworden ist.305 Im Unterschied zum deutschen und auch zum italienischen Recht rechnen Art. 9:102 Abs. 1 PECL und Art. III.-3:302 Abs. 2 DCFR den Nacherfüllungsanspruch noch zum Primäranspruch hinzu, sehen ihn also nicht funktional als Sanktion bei mangelhafter Vertragsleistung, sondern als fortbestehenden Primäranspruch. 306 Allerdings ordnen PECL und DCFR sowohl den Anspruch auf Naturalerfüllung als auch den Nacherfüllungsanspruch als Rechtsbehelfe (remedies) ein, die gerade nicht aus der Natur der Obligation selbst folgen, sondern an die in Art. 8:101 Abs. 1 PECL bzw. Art. III.-3:101 Abs. 1 DCFR normierten Voraussetzungen der Nichterfüllung der Verpflichtung und des fehlenden Vertretenmüssens gekoppelt sind.307 Hinzu kommen noch die besonderen Voraussetzungen nach Art. 9:101 bzw. 9:102 PECL oder Art. III.-3:301 bzw. III.-302 DCFR je nachdem, ob es sich um auf Geld gerichtete oder sonstige Forderungen handelt. Die Leistungspflicht des Schuldners erlischt im Falle der Unmöglichkeit, Art. 9:102 Abs. 2 lit. a PECL bzw. Art. III.-3:302 Abs. 3 lit. a DCFR; ist das Leistungshindernis auf höhere Gewalt (force majeure) zurückzuführen, dann besteht nach Art. 8:108 PECL bzw. Art. III.-3:104 Abs. 1 DCFR auch keine Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz.308 aa) Verweigerung der Naturalerfüllung wegen Unverhältnismäßigkeit Wie im modernisierten deutschen Schuldrecht kennen PECL und DCFR ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners wegen Unverhältnismäßigkeit. So statuiert Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL – ähnlich § 275 Abs. 2, 439 Abs. 3 BGB – ein Leistungsverweigerungsrecht dann, wenn die Erfüllung der vertraglichen Pflicht vom Schuldner unangemessene Anstrengungen oder Kosten verursachen würde.309 Allerdings geben die Principles im Unterschied zum deutschen 305 Wirkt die nachträgliche Veränderung hingegen übermäßig belastend für den Schuldner, so haben die Parteien in Neuverhandlungen einzutreten, Art. 6:111 Abs. 2 PECL. Näher dazu sogleich bb) (S. 225) sowie unten § 14 (S. 254 ff.). 306 Leible, in: Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, S. 97, 100. 307 Der Sache nach vergleichbar sind Art. 9:101 und 9:102 PECL; auch hier wird der Erfüllungsanspruch als Rechtsbehelf (remedy) bezeichnet. Kritisch zum Konzept Weller, JZ 2008, 764. 308 Die Regelung ist an Art. 79 Abs. 1 CISG angelehnt, vgl. Anm. I. 1. zu Art. III.-3:104 DCFR. Danach wird der Schuldner von Schadensersatzansprüchen befreit, die dem Gläubiger bei Nichtleistung zustehen, wenn er wegen Vorliegens höherer Gewalt nicht leisten konnte. Dazu auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 336 ff. 309 Anders hier Canaris, JZ 2001, 499, 505, der in Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL keinen Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sieht, wohl aber ein Funktionsäquivalent zu § 275 Abs. 2 BGB. Ebenso die Regierungsbegründung BT-Drucks. 14/6040, S. 129: „Diese Regelungen [d.h. Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL bzw. Art. 7.2.2 lit. b UNIDROIT Principles, Anm. d. Verf.] stellen zwar funktionell eine Parallele zu § 275 Abs. 2 RE dar, bilden aber im Übrigen in jeder Hinsicht ein negatives Gegenbeispiel: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip
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Recht keine genauen Anhaltspunkte dafür, wann der vom Schuldner zu betreibende Aufwand unverhältnismäßig ist. 310 Wie sich aus der allgemeinen Vorschrift des Art. 1:302 PECL ergibt, ist wiederum auf die konkreten vertraglichen Vereinbarungen abzustellen; hierbei ist die Pflicht der Parteien zur Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben sowie zur Zusammenarbeit im Hinblick auf die Erreichung des Vertragsziels zu berücksichtigen.311 Ausdrücklich legt Art. 9:103 PECL fest, dass auch dann, wenn Erfüllung wegen unverhältnismäßigen Aufwandes nicht verlangt werden kann, Schadensersatzansprüche des Gläubigers unberührt bleiben.312 Ausdrücklich schließen die Erläuterungen zu Art. 9:102 PECL die Berücksichtigung der Frage aus, ob Leistung und Gegenleistung angemessen waren, ob die Parteien ein gutes oder eine schlechtes Geschäft gemacht haben. 313 Aus dem dort gegebenen Beispiel der auf dem Weg zur Übergabe an den Käufer gesunkenen Yacht ergibt sich, dass auf Schuldnerseite die durch das Leistungshindernis entstandenen und zur Vertragserfüllung notwendigen Mehrkosten anzusetzen sind.314 Im Beispielsfall übersteigen diese den Wert der Yacht um das Vierzigfache; die Erfüllung des Vertrags kann damit verweigert werden. Es zeigt sich bereits an dieser Stelle, dass das Gläubigerinteresse an der Erfüllung in Natur nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, sondern dass primär auf den vom Schuldner zu erbringenden Aufwand abzustellen ist. Allerdings hat das völlig fehlende Gläubigerinteresse an der Leistung in Natur dann ausschlaggebende Bedeutung, wenn das Beharren auf deren Erbringung ausschließlich schikanösen Charakter hätte.315
wird nicht einmal andeutungsweise angesprochen, geschweige denn, dass der maßgebliche Bezugspunkt – das Gläubigerinteresse – oder der Grad des Missverhältnisses benannt würde.“ 310 Ähnlich allgemein, aber wiederum funktional vergleichbar, ist Art. 7.2.2. lit. b der UNIDROIT Principles gehalten. Ebenso auch Vogenauer / Kleinheisterkamp / Schelhaas, Commentary on the UNIDROIT Principles, Art. 7.2.2 para. 25. 311 Art. 1:201 bzw. Art. 1:202 PECL. Der DCFR enthält mit Art. III.-1:103 bzw. III.-1:104 DCFR vergleichbare Regelungen. 312 Vgl. insoweit § 275 Abs. 4 BGB. Während nach den §§ 280 ff. BGB für den Bestand des Schadensersatzanspruchs entscheidend ist, ob der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat, tritt eine Entlastung nach Art. 8:108 PECL nur ein, wenn die Nichterfüllung auf höherer Gewalt beruht, vgl. Kommentar A zu Art. 9:103 PECL sowie Lando, RabelsZ 67 (2003), 231, 239. 313 Vgl. Anmerkung F zu Art. 9:102 PECL; ebenso Anmerkung F zu Art. III.-3:302 DCFR. 314 Und nicht der gesamte Wert der Leistung, vgl. zur entsprechenden Diskussion bei § 275 Abs. 2 BGB oben I. 1. b) aa) (S. 173 f.). 315 Art. 1:201 PECL verpflichtet die Parteien zur Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben; ebenso Art. III.-1:103 DCFR. Vgl. dazu das weitere in Anm. F zu Art. 9:102 PECL gegebene Beispiel, das ähnlich gelagert ist wie der Fall Tito v. Waddell (No. 2) [1977] Ch. 106 (dazu bereits oben Fn. 275).
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Das Leistungsverweigerungsrecht aus Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL bezieht sich nicht nur auf den Primäranspruch, sondern auch auf den Nacherfüllungsanspruch; beide werden, wie gesehen, von PECL und DCFR einheitlich behandelt.316 Die aus dem deutschen Recht bekannte Unterscheidung zwischen den Leistungsverweigerungsrechten aus dem Besonderen Schuldrecht – §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3, 651c Abs. 2 BGB – und § 275 Abs. 2 BGB findet in den PECL mangels Regelungsreichweite keine Entsprechung. Der sachlich weiter greifende DCFR sieht für das Kaufrecht in Art. IV.A.4:101 i.V.m. 4:201 lit. a DCFR eine Anwendung der allgemeinen Regelungen über die Nichterfüllung in Art. III.-3:302 DCFR vor und damit auch die Geltung der Einrede, dass die Nacherfüllung „unreasonably burdensome or expensive“ sei (Art. III.-3:302 Abs. 3 lit. b DCFR). Damit gilt hier für die Verweigerung der Nacherfüllung derselbe Maßstab wie für die Naturalerfüllung selbst.317 Grundlage für die Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit der Leistungserbringung ist auch nach den PECL die vertragliche Vereinbarung. Dies ergibt sich aus der allgemeinen Regel des Art. 6:102 PECL: Ist der Schuldner nur zur Vornahme einer Tätigkeit verpflichtet, oder schuldet er einen Erfolg?318 Neben den Fällen der Unverhältnismäßigkeit ist der Zwang zur Naturalerfüllung ebenfalls ausgeschlossen, wenn der Gläubiger die geschuldete Leistung „vernünftigerweise aus einer anderen Quelle erhalten kann“, Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL.319 In diesem Fall entspricht es einem vermuteten Parteiinteresse, sich selbst am Markt Ersatz zu besorgen und etwaige Mehrkosten als Schadensersatz beim Schuldner zu liquidieren.320 Hier finden sich Anklänge an die Vertragsbruchtheorie, die von der ökonomischen Analyse des Rechts teilweise vertreten wird.321 Danach ist ein Vertragsbruch des Schuldners unter Verweis des 316
Art. 9:102 Abs. 1 PECL und ebenso Art. III.-3:302 Abs. 2 DCFR. Dazu Dauner-Lieb / Quecke, in: Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, S. 135, 148 ff.; U. Huber, ZEuP 2008, 708. 318 Dazu Lando, RabelsZ 67 (2003), 231, 239 f. 319 Diese Einschränkung der Leistungspflicht wurde nicht in Art. III.-3:302 Abs. 3 DCFR übernommen. Allerdings enthält Art. III.-3:302 Abs. 5 DCFR eine Modifikation: Wenn der Gläubiger in unvernünftiger Weise auf dem Leistungsanspruch beharrt („by insisting unreasonably on specific performance“), obwohl er sich ohne Einbußen anderweitig eindecken könnte („in circumstances where the creditor could have made a reasonable substitute transaction without significant effort or expense“), so folgt daraus eine Einschränkung seines Schadensersatzanspruchs. Der Gläubiger wird bei Nichterfüllung also ein starkes Interesse daran haben, wenn ein Deckungsgeschäft auch nur möglich erscheint, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt vom Erfüllungsverlangen auf die Schadensersatzforderung überzugehen. Zur Regelung kritisch U. Huber, ZEuP 2008, 708, 722 (der eine abstrakte Schadensberechnung für vorzugswürdig erachtet); van Kogelenberg, ERPL 2009, 599, 616 f. 320 Vgl. Anm. H zu Art. 9:102 PECL. 321 Dazu näher unten § 21 III. 3. a) (S. 373 f.); dort auch zur Unvereinbarkeit dieses Konzepts mit § 275 Abs. 2 BGB. 317
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Gläubigers auf den Schadensersatzanspruch effizient, weil die hierdurch entstehenden Transaktionskosten (etwa Fehleinschätzungen des Schadens durch Gerichte) regelmäßig gering sind.322 Ein Zwang zur Naturalerfüllung scheidet schließlich dann aus, wenn die vertragliche Verpflichtung in einer persönlich zu erbringenden Leistung besteht, Art. 9:102 Abs. 2 lit. c PECL. Bemerkenswert ist, dass zur Rechtfertigung dieser Einschränkungen die aus dem Common Law bekannten Gründe angeführt werden, insbesondere die Schwierigkeit der gerichtlichen Überwachung der Leistungserbringung, aber auch den Respekt vor dem Persönlichkeitsrecht des Schuldners, das durch die Verurteilung zur Naturalerfüllung beeinträchtigt werden könnte.323 Dieser Ansatz steht in einem gewissen Gegensatz zum deutschen Recht, wo die Grenze bei persönlich zu erbringenden Leistungen in § 275 Abs. 3 BGB erst bei Unzumutbarkeit erreicht ist und der Schutz des Schuldners in erster Linie über das Vollstreckungsrecht gewährleistet wird.324 bb) Sonstige leistungsbefreiende Umstände Neben dem Leistungsverweigerungsrecht aus Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL enthalten die Principles in Art. 6:111 Abs. 2 PECL eine Vorschrift zur Anpassung des Vertrags, wenn die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung durch nachträgliche Veränderungen der Umstände für den Schuldner übermäßig belastend geworden ist (hardship). 325 Auffällig ist die tatbestandliche Parallele zu Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL: In beiden Fällen kommt es darauf an, ob die Leistungserbringung für den Schuldner übermäßig belastend geworden ist. Damit stellt sich – wie zwischen § 275 Abs. 2 und § 313 BGB – die Frage der Abgrenzung beider Tatbestände. Hier ergibt sich ausdrücklich aus dem Kommentar zu den PECL, dass die Hardship-Fälle als Spezialregeln dem allgemeinen Leistungsverweigerungsrecht aus Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL vorgehen. 326
322 Zu dieser Konzeption eingehend (und positiv) Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 552 ff.; kritisch hingegen Unberath, Vertragsverletzung, S. 270 f. (das Kriterium sei zu unbestimmt; überdies sei es nicht gerechtfertigt, die Einschränkung des Primäranspruchs auf materiellrechtlicher Ebene vorzunehmen). Ebenfalls kritisch van Kogelenberg, ERPL 2009, 599, 610 f. 323 Vgl. Anm. G zu Art. 9:102 PECL. 324 § 888 Abs. 3 ZPO, der allerdings nur für die Verpflichtung aus Dienstverträgen gilt. Zu § 275 Abs. 3 BGB bereits oben 2. (S. 189 ff.). Zur möglichen analogen Anwendung des § 888 Abs. 3 ZPO in solchen Fällen, in denen der Schutz über § 275 Abs. 3 BGB versagt, Canaris, in: FS Cian, S. 383, 403 m.w.N. 325 Ebenso Art. III.-1:110 Abs. 2 DCFR. 326 Anm. F zu Art. 9:102 PECL; im Ergebnis ebenso Anm. F zu Art. III.-3:302 DCFR. Ausführlicher dazu unten § 14 IV. 4. (S. 277 ff.).
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cc) Ergebnis Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL schließt die Naturalerfüllung aus, wenn diese vom Schuldner übermäßige Anstrengungen erfordern würde. Das Gläubigerinteresse bleibt hierbei im Gegensatz zu § 275 Abs. 2 BGB weitgehend außer Betracht. Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung scheint der Wert der versprochenen Leistung zu sein; dies schließt aber die Berücksichtigung anderer Umstände nicht aus.327 Diejenigen Fälle, in denen zwar der Schuldner die Leistung erbringen könnte, der Gläubiger aber keinerlei schützenswertes Interesse an der Leistung mehr hat, unterfallen Art. 9:102 PECL erst dann, wenn ein Leistungsverlangen des Gläubigers schikanös und damit rechtsmissbräuchlich wäre, Art. 1:201 PECL. Damit ähnelt das Modell der PECL in Bezug auf den Anspruch auf Naturalerfüllung und dessen Grenzen im Grundsatz dem Civil-Law-Modell; die Ausnahmen für persönlich zu erbringende Leistungen und Fälle, in denen Deckungsgeschäfte möglich sind (Art. 9:102 Abs. 2 lit. c und d PECL) sind hingegen dem Common Law geschuldet.
5. Fazit Allen untersuchten Rechtsordnung ist die Erkenntnis gemeinsam, dass der Schuldner zur Naturalerfüllung auch dann nicht stets gezwungen werden kann, wenn diese zwar nicht unmöglich ist, aber vom Schuldner übergroße Anstrengungen erfordern würde. Allerdings sind die Ausgangspunkte sehr verschieden. Das deutsche und das italienische Recht basieren auf der Annahme, dass die Erfüllungspflicht des Schuldners aus der Obligation selbst resultiert. Anders das englische Recht: Hier ist die Naturalerfüllung die begründungsbedürftige Ausnahme, sie ist nicht Teil der Obligation, sondern remedy, also Rechtsbehelf. Darin liegt ein bedeutender struktureller Unterschied.328 Die Schöpfer der PECL und ihnen folgend auch die Verfasser des DCFR haben versucht, einen Kompromiss zwischen beiden Ansätzen zu finden, indem die Naturalerfüllung zwar anders als im englischen Recht als Regel betrachtet wird und nicht als Ausnahme, gleichwohl folgen beide Regelwerke strukturell dem Remedy-Konzept, das den Naturalerfüllungsanspruch nicht an die Entstehung der Obligation knüpft, sondern an die verschuldete Nichterfüllung. Alle untersuchten Rechtsordnungen sehen eine Ausnahme von der Leistungspflicht vor, wenn diese für den Schuldner zu unzumutbaren Belastungen führen würde. Die kontinentalen Rechtsordnungen statuieren hier eine Aus327 Vgl. wiederum die offene Formulierung in Anm. F zu Art. 9:102 PECL: Es könne keine genaue Regel darüber aufgestellt werden, wann Anstrengungen und Kosten unangemessen seien. 328 Eingehend und kritisch dazu Weller, JZ 2008, 764.
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nahme von der grundsätzlich bestehenden Leistungspflicht; das englische Recht kann sich damit begnügen, es bei der Regel zu belassen, dass eine Verurteilung zur specific performance unterbleibt. PECL bzw. DCFR formulieren die übermäßige Belastung durch die Naturalerfüllung wie das deutsche Recht als Ausnahme zur grundsätzlich – aber eben als remedy – bestehenden Leistungspflicht
II. Begrenzung von „echten“ Sekundäransprüchen Es hat sich gezeigt, dass der Nacherfüllungsanspruch – so er von einer Rechtsordnung gewährt wird – zwischen dem Primäranspruch und den Sekundäransprüchen steht: Er besteht nur im Falle einer Vertragsverletzung, unterscheidet sich dadurch also vom Primäranspruch (jedenfalls nach kontinentalem Verständnis), kann andererseits aber nicht mit den Ansprüchen auf Minderung, Schadensersatz und Vertragsauflösung gleichgesetzt werden, da er nach wie vor, wenn auch in modifizierter Art und Weise, auf die ursprünglich geschuldete Leistung gerichtet ist. Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Bereich der „echten“ Sekundäransprüche Anwendung findet.
1. Angemessenheit von Beitreibungskosten bei Zahlungsverzug Befindet sich der Schuldner mit der Zahlung von Geldschulden im Verzug und hat er diesen Umstand zu vertreten, so schuldet er dem Gläubiger Verzugszinsen.329 Die Geltendmachung eines darüber hinausgehenden Schadens nach den allgemeinen Vorschriften bleibt davon aber unberührt. In Bezug auf den Ersatz von Beitreibungskosten bestehen besondere europarechtliche Vorgaben. a) Europarechtliche Vorgaben Die so genannte Zahlungsverzugsrichtlinie330 ist keine Verbraucherschutzrichtlinie; sie hat das Ziel, den durch die mangelhafte Zahlungsmoral insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen verursachten volkswirtschaftlichen Schaden in der EU zu minimieren. Dies wird vor allem durch die Festlegung eines am Finanzmarkt orientierten Zinsanspruchs des Gläubigers erreicht, der grundsätz329 Für einen Vergleich der deutschen mit den englischen Verzugsregelungen vor dem Hintergrund der europäischen Rechtsvereinheitlichung vgl. monographisch M. Schöne, Leistungs- und Zahlungsverzögerung im deutschen und im englischen Privatrecht. 330 Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr vom 29. Juni 2000, ABl. EG Nr. L 200, S. 35; hierzu etwa U. Huber, JZ 2000, 957; Schmidt-Kessel, NJW 2001, 97; Gsell, ZIP 2000, 1861; Möllers, WM 2000, 2284; Mengoni, Europa dir. priv., 2001, 73; Hänlein, EuZW 2000, 680.
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lich mit dem vertraglich festgelegten Fälligkeitstermin, spätestens aber 30 Tage nach Rechnungseingang entsteht. 331 Daneben, und das ist für den Kontext der hier verfolgten Themenstellung relevant, spricht die Richtlinie dem Schuldner auch einen „angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten“ zu, Art. 3 Abs. 1 lit. e Satz 1 Zahlungsverzugs-RL. Hierbei präzisiert Satz 2 dieser Vorschrift, dass in Bezug auf diese Beitreibungskosten „die Grundsätze der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den betreffenden Schuldbetrag zu beachten“ sind. Geschuldet wird demnach nicht Ersatz sämtlicher durch den Zahlungsverzug verursachten Schäden, 332 sondern lediglich Erstattung der durch die Beitreibung der offenstehenden Beträge verursachten Aufwendungen, und auch diese nur in angemessener Höhe. Nach den Vorstellungen des Richtliniengebers sollte damit ausgeschlossen werden, dass Gläubiger überhöhte Beitreibungskosten etwa von Inkassobüros geltend machen könnten. 333 Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, inwieweit der ausdrückliche Verweis auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zusätzlich zur Angemessenheit der Beitreibungskosten noch eine eigenständige Bedeutung hat. Nach dem Normtext stellt die Verhältnismäßigkeit offensichtlich eine Kategorie der Angemessenheit dar, denn in Art. 3 Abs. 2 lit. b Satz 2 Zahlungsverzugs-RL wird die in Satz 2 angeordnete Beschränkung des geschuldeten Ersatzes in der Weise präzisiert, dass eine angemessene Relation zwischen Beitreibungskosten und Schuldbetrag bestehen muss. Dies ist dahin zu verstehen, dass ein sehr geringer Schuldbetrag nicht besonders hohe Beitreibungskosten verursachen darf. 334 Hierbei müssen jedoch die Umstände des Einzelfalles Berücksichtigung finden, so dass etwa eine besonders hartnäckige Zahlungsverweigerung durch den Schuldner auch bei wenig bedeutender Schuldsumme höhere Anstrengungen durch den Gläubiger rechtfertigt. Genau dies bringt jedoch bereits der Begriff der Angemessenheit zum Ausdruck. Keinesfalls ist der Begriff der Verhältnismäßigkeit als weitere Einschränkung der Ersatzfähigkeit der Beitreibungskosten zu verstehen,335 vielmehr hat der Bezug darauf nur klarstellenden Charakter. b) Umsetzung ohne Bezug zur Verhältnismäßigkeit im deutschen Recht Nach deutschem Recht begrenzt die Pflicht des säumigen Schuldners zur Zahlung von Verzugszinsen nicht die Geltendmachung weiterer Schäden durch den Gläubiger. Beitreibungskosten des Gläubigers hat der Schuldner nach §§ 280 331
Art. 3 Abs. 1 lit. a und b Zahlungsverzugs-RL. So der ursprüngliche Plan der Kommission, dazu Hänlein, EuZW 2000, 680, 684. 333 Dazu AnwK-BGB / Schulte-Nölke, Art. 3 Verzugs-RL Rn. 33. 334 Hierfür spricht auch die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, Ansprüche auf Zinszahlungen von weniger als € 5,- von der Umsetzung der Richtlinie auszunehmen, Art. 6 Abs. 3 lit. c Zahlungsverzugs-RL. 335 Ebenso Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 728. 332
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Abs. 1, 2, 286 BGB zu ersetzen, der grundsätzlich den gesamten kausal verursachten Verzögerungsschaden umfasst. Eine Angemessenheits- oder Verhältnismäßigkeitsschranke, wie dies die Richtlinie vorsieht, besteht damit im deutschen Recht nicht. Dies scheint angesichts der von der Richtlinie vorgesehenen Mindestharmonisierung unbedenklich, lässt diese doch in Art. 6 Abs. 2 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, für den Gläubiger günstigere Rechtsvorschriften einzuführen oder beizubehalten.336 Kann der Gläubiger also nach deutschem Recht vollen Ersatz seiner Rechtsverfolgungskosten verlangen, so stellt ihn dieses besser als die Richtlinienvorgabe verlangt.337 Die Grenze des Anspruchs auf Ersatz des Verzögerungsschadens ergibt sich nach deutschem Recht vielmehr aus den allgemeinen schadensrechtlichen Regeln, also insbesondere den Grundsätzen der kausalen Schadenszurechnung und der Berücksichtigung von Mitverschulden des Gläubigers nach § 254 BGB. Wäre nach der Zahlungsverzugs-Richtlinie also die Einschaltung eines Inkassobüros möglicherweise nicht mehr angemessen im Verhältnis zum Schuldbetrag und daher nicht mehr von der Ersatzpflicht des Schuldners umfasst, so würde nach deutschem Recht ein ähnliches Resultat über den in § 254 Abs. 2 BGB enthaltenen Gedanken der Schadensminderungspflicht des Gläubigers erzielt. Es zeigt sich an diesem Vergleich, dass eine Einschränkung des Ersatzanspruchs des Gläubigers, wie er in der Richtlinie mit den Begriffen von Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit verfolgt wird, in richtlinienkonformer Weise auch auf andere Weise erreicht werden kann. Das Mitverschulden in § 254 BGB steht innerhalb der deutschen Lösung für das offene Element, das der Begriff der Angemessenheit vorgibt und das eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles voraussetzt. 338
2. Exkurs: Beschränkung des Anspruchs auf Schadensersatz Thematisch weniger ins Schuldvertragsrecht als vielmehr in den eigenständigen Komplex des Schadensrechts gehört die bereits mehrfach erwähnte Regelung des § 251 Abs. 2 BGB als eine praktisch besonders bedeutsame Verhältnis336
Siehe ebenso den 17. Erwägungsgrund zur Zahlungsverzugs-RL. Andernfalls muss das deutsche Recht richtlinienkonform ausgelegt werden. Dies betrifft etwa den eigenen Zeit- und Verwaltungsaufwand des Gläubigers oder die durch Beauftragung eines Inkassobüros durch den Gläubiger verursachten Kosten. Vor Umsetzung der Zahlungsverzugs-RL war deren Ersatzfähigkeit nach deutschem Recht umstritten; nunmehr sind wohl auch diese Kosten vom Ersatzanspruch des Gläubigers umfasst, vgl. dazu, auch zur umstrittenen Deckelung der Ersatzfähigkeit durch die RVG-Sätze, Gsell, ZIP 2000, 1861, 1867 (noch zur BRAGO); AnwK-BGB / Schulte-Nölke, § 286 Rn. 22 sowie M. Schöne, Leistungs- und Zahlungsverzögerung im deutschen und im englischen Privatrecht, S. 61. 338 Ebenso Gsell, ZIP 2000, 1861, 1867. Zur Abwägung eingehend Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten, S. 564 ff. 337
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mäßigkeitsnorm. Nachdem sie von der Rechtsprechung vielfach auch über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus angewandt wurde, wird der Komplex des Schadensrechts an dieser Stelle kurz dargestellt. a) Der Grundsatz der Totalreparation und seine Alternativen Das deutsche Schadensrecht geht vom Grundsatz der Totalreparation aus. Unabhängig vom Ausmaß der Rechtsverletzung und vom Grad des Verschuldens ist – vorbehaltlich einer Berücksichtigung des dem Geschädigten zurechenbaren Mitverschuldens – der gesamte Schaden zu ersetzen, und zwar im Regelfall in natura, § 249 Abs. 1 BGB. Diese Regelung ist rechtsvergleichend betrachtet alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Denkbar sind verschiedene andere Haftungsmodelle, die Einschränkungen der Schadensersatzpflicht etwa nach dem Grad des Verschuldens des Schädigers vorsehen; als Beispiel sei hier das Schweizer Recht genannt.339 Auch der DCFR enthält in Art. VI.-6:202 DCFR eine Reduktionsklausel, die eine Ermäßigung des Schadensersatzes bei deliktischen Ansprüchen zulässt, „where it is fair and reasonable“.340 Vereinzelt wurde das Prinzip der Totalreparation für verfassungswidrig erachtet.341 Andere Ansätze zur Relativierung des schadensrechtlichen Allesoder-Nichts-Prinzips stützen sich nicht auf das Verfassungsrecht, sondern schlagen „in Extremfällen“ eine auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip gestützte Reduzierung des Haftungsumfangs vor.342 Auch für das deutsche Recht gab es Bestrebungen, das Prinzip der Totalreparation aufzulockern. So war die Einführung eines § 255a BGB geplant, der bei unverhältnismäßig hohem Schaden dem Richter die Möglichkeit der Reduktion der Ersatzpflicht gegeben hätte.343 Andere Systeme mildern die Rigidität eines Alles-oder-Nichts-Ansatzes vornehmlich mit prozessualen Mitteln ab, insbesondere über eine Variabilität des Beweismaßes,344 oder, wie auch im deutschen Recht, mit Beweiserleichterungen 339 Vgl. Art. 43 Abs. 2 OR; eine Reduktion des Schadensersatzes ist nach Art. 44 Abs. 2 OR bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit des Schädigers ausgeschlossen. 340 Kritisch dazu Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 540. 341 So namentlich Canaris, JZ 1987, 993, 1002; ebenso auch Bartelt, Beschränkung des Schadensersatzumfangs durch das Übermaßverbot?, S. 171 ff. Kritisch hierzu Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 232 Fn. 1067; ablehnend auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 65 ff. 342 Vgl. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 225 ff., insb. S. 231. 343 Dazu monographisch Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur und Minderung der Schadensersatzpflicht durch richterliches Ermessen sowie Schwamb, Die schadensersatzrechtliche Reduktionsklausel § 255a BGB; siehe auch (rechtsvergleichend) Stoll, RabelsZ 34 (1970), 481. Zahlreiche weitere Nachweise finden sich bei Bartelt, Beschränkung des Schadensersatzumfangs durch das Übermaßverbot?, S. 144 ff. 344 So insbesondere das anglo-amerikanische Recht, das eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen lässt, vgl. dazu die eingehende rechtsvergleichende Studie von Brinkmann, Beweismaß, S. 25 ff.; vgl. weiter Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 58 ff.; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, Rn. 358 ff.; MüKo-ZPO / Prütting, § 286 Rn. 28 ff.;
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zugunsten des Geschädigten.345 Aktuell werden wieder Vorschläge diskutiert, auf eine Schadensberechnung nach Erwartungswerten überzugehen, etwa für die Erwerbsschäden Schwerverletzter oder die Vermögenseinbußen von Diskriminierungsopfern oder für die Arzthaftung auf eine Proportionalhaftung;346 eine solche Abmilderung des Alles-oder-nichts-Prinzips soll auf der Grundlage von §§ 286, 287 ZPO bereits de lege lata möglich sein.347 Einen Schritt weiter gehen insbesondere von Wilburg angestoßene Überlegungen, den Umfang des Schadensersatzes nicht nach einem starren Muster, sondern anhand einer Mehrzahl von „Elementen“ oder „beweglichen Kräften“ zu bestimmen und damit eine Art probabilistische Proportionalhaftung einzuführen.348 Der Richter stellt dabei die Schadenshöhe „nach gelenktem Ermessen“ fest.349 Für das deutsche Recht wäre ein solches bewegliches System nur de lege ferenda zu verwirklichen, gehen die §§ 249 ff. BGB doch im Grundsatz von einer festen Tatbestandsbildung aus. 350
Katzenmeier, ZZP 117 (2004), 187, 196 ff. Aber auch für das deutsche Recht wird vertreten, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von Tatsachenbehauptungen zu deren Beweis ausreiche, so etwa Kegel, in: FS Kronstein, S. 321, 335 ff., 343 f. 345 Dazu grundlegend Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 48 ff., 94 ff., 112 ff.; siehe auch MüKo-ZPO / Prütting, § 286 Rn. 48 ff. (zum Anscheinsbeweis), Rn. 123 ff. (zur Beweislastumkehr), Rn. 129 ff. (zur prozessualen Aufklärungspflicht); Rosenberg / Schwab / Gottwald, Zivilprozessrecht, § 109 Rn. 16, § 113 Rn. 16 ff., § 115 Rn. 19 ff. Im Ergebnis sind sich beide Ansätze sehr ähnlich, vgl. Brinkmann, Beweismaß, S. 61 ff., 85 ff. 346 Vgl. Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 53 ff., 57 ff.; zustimmend Staudinger, NJW 2006, 2433, 2438. Auch die Principles of European Tort Law befürworten bei unklarer und alternativer Kausalität eine Proportionalhaftung, vgl. Art. 3:103 Abs. 2 PETL („If, in case of multiple victims, it remains uncertain whether a particular victim’s damage has been caused by an activity, while it is likely that it did not cause the damage of all victims, the activity is regarded as a cause of the damage suffered by all victims in proportion to the likelihood that it may have caused the damage of a particular victim.“). Art. 10:401 PETL enthält überdies eine Reduktionsklausel („In an exceptional case, if in light of the financial situation of the parties full compensation would be an oppressive burden to the defendant, damages may be reduced.“). Der vollständige Text der PETL ist abgedruckt in European Group of Tort Law, Principles of European Tort Law. Zur Arbeit der vormaligen Tilburg-Gruppe Koziol, ZEuP 2004, 234. Allgemein zur europäischen Deliktsrechtsvereinheitlichung Jansen, RabelsZ 70 (2006), 732. 347 So insbesondere G. Wagner, in: FS G. Hirsch, S. 453, 459 ff.; kritisch Taupitz, in: FS Canaris, Band 1, S. 1231, 1233 ff. 348 Gegen solche Ansätze aus Sicht des Prozessrechts MüKo-ZPO / Prütting, § 286 Rn. 38 ff. 349 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 26 ff.; ders., Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht; ders., AcP 163 (1963), 346 (dazu bereits oben § 5 II. 2. b) – S. 56 ff.). Zustimmung findet dieser Ansatz auch bei Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts, vgl. Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 270 ff. Zusammenfassend und kritisch dazu Katzenmeier, ZZP 117 (2004), 187, 208 ff. 350 Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 74 ff., 78, der § 254 BGB als Ausnahme zur festen Tatbestandsbildung sieht.
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b) Nach geltendem Recht bestehende Einschränkungen Bereits das geltende materielle Recht kennt Modifikationen des Grundsatzes der Totalreparation in zweifacher Hinsicht: Zum einen in Bezug auf den Umfang der Ersatzpflicht: Diese wird durch § 254 BGB eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen, wenn den Geschädigten ein Mitverschulden trifft; und zum anderen in Bezug auf die Art und Weise der Reparation: Diese kann in natura erfolgen oder in Geld. Hier regelt § 251 Abs. 2 BGB den Übergang von der Naturalrestitution zum Ersatz in Geld. aa) Unverhältnismäßigkeit der Naturalrestitution Ein Übergang von der Naturalrestitution zum Schadensersatz in Geld ist nach § 251 Abs. 2 BGB dann möglich, wenn die Naturalrestitution einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. Im Unterschied zu § 275 Abs. 2 BGB erwächst dem Schuldner hieraus aber keine Einrede, sondern lediglich eine Ersetzungsbefugnis; er kann bei der Leistungspflicht damit zwischen Naturalrestitution und Geldersatz wählen.351 Im Bereich des Schadensrechts spielt das Leistungsinteresse des Gläubigers bei der Verhältnismäßigkeitskontrolle eine andere Rolle als in § 275 Abs. 2 BGB: Bei der Abwägung werden nicht Interessen der Parteien gegenübergestellt, sondern Vermögenspositionen. Das Leistungsinteresse des Gläubigers hat aber in § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB insoweit eine Bedeutung, als hier für die Ersetzungsbefugnis des Schuldners höhere Anforderungen gelten.352 Daneben ist bei Personenschäden grundsätzlich stets Naturalrestitution zu leisten. Es erfolgt eine Abwägung von demjenigen Aufwand, der für die Naturalrestitution erforderlich wäre und demjenigen Schadensersatz, der nach § 251 Abs. 1 BGB zu leisten wäre, also dann, wenn die Naturalrestitution unmöglich wäre.353 Was „unverhältnismäßige Aufwendungen“ sind, ist damit durch eine Abwägung im Einzelfall zu ermitteln, die durch eine Gegenüberstellung von Restitutionsaufwand und dem nach § 251 BGB geschuldeten Geldersatz präzisiert wird.354 Eine bloße mathematische Rechenoperation genügt hierfür freilich nicht, auch wenn sich in der Rechtsprechung für bestimmte Fallgruppen feste Prozentwerte herauskristallisiert haben, wie dies etwa bei der Beschädigung gebrauchter Kraftfahrzeuge der Fall ist. Hier sieht die Rechtsprechung die Grenze der Naturalrestitution dann gegeben, wenn die Reparaturkosten den 351 BGH NJW 2009, 1066, 1067; Palandt / Grüneberg, § 251 Rn. 5; zust. PWW / Medicus, § 251 Rn. 11; ebenso AnwK-BGB / Magnus, § 251 Rn. 16. 352 Hierfür gelten daneben aber auch Gesichtspunkte des Tierschutzes. 353 Hier hat sich in der Rechtsprechung bereits eine reiche Kasuistik entwickelt, wie etwa in Bezug auf den wirtschaftlichen Totalschaden bei PKW; vgl. dazu nur Palandt / Grüneberg, § 251 Rn. 6. 354 Vgl. nur Palandt / Grüneberg, § 251 Rn. 6.
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Wiederbeschaffungswert des Kfz vor der Beschädigung um mehr als 30 % übersteigen würden und die Reparatur damit „wirtschaftlich unvernünftig“ wäre.355 Gleichwohl bildet die 130 %-Grenze nur einen Anhaltspunkt, denn im Einzelfall können höhere Aufwendungen gerechtfertigt sein, so beim „uneigentlichen Totalschaden“, also der Beschädigung eines fast neuen Fahrzeugs.356 Auch können bei der Bestimmung des Umfangs der Ersatzpflicht andere Kriterien Berücksichtigung finden wie etwa das Alter des Fahrzeugs oder dessen Laufleistung.357 Auch wenn die 130 %-Grenze damit als Anhaltspunkt für die Unverhältnismäßigkeit der Naturalrestitution bei Kfz-Schäden taugt, so darf sie nicht verdecken, dass es sich im Kern um eine Einzelfallabwägung handelt, und dass deren prozentualer Ausdruck lediglich eine Wiedegabe des „Normalfalles“ darstellt, von dem Abweichungen stets zulässig bleiben.358 Auch an dieser Stelle zeigt sich die strukturelle Nähe zum Konzept des Mitverschuldens in § 254 BGB. Diese Norm ist zwar keine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, sondern der Kausalität bzw. Zurechnung, da verschiedene Ursachen und insbesondere das Mitwirken des Geschädigten zum Schaden geführt haben.359 Gleichwohl zeigen sich Wesensverwandtheiten, die darauf beruhen, dass sich beide Institute als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben zeigen.360 Trägt der Geschädigte zum Schadenseintritt oder dessen Intensivierung bei, so kann er nicht trotzdem vollen Ersatz verlangen, ohne sich dabei widersprüchlich zu verhalten. Genau wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirkt die Anrechnung von Mitverschulden damit limitierend und begrenzend auf den Anspruch. Die Parallelität der Regelungskonzepte hat sich bereits bei der Angemessenheit der Beitreibungskosten im Falle des Zahlungsverzuges gezeigt: Während die Zahlungsverzugsrichtlinie die Ersatzpflicht auf einen angemessenen Betrag begrenzt, operiert das die Richtlinie 355 So genannter Integritätszuschlag, vgl. BGHZ 115, 364, 367; BGHZ 154, 395; BGH NJW 2005, 1108; BGH NJW 2005, 1110; BGH NJW 2007, 2917. 356 Vgl. die Nachweise bei Staudinger / Schiemann (2005), § 251 Rn. 38 ff. 357 Kritisch zur 130 %-Grenze daher auch Staudinger / Schiemann (2005), § 251 Rn. 22. 358 Vgl. BGHZ 102, 322, 330; ebenso BGHZ 59, 365, 367; vgl. auch BGH NJW 1993, 3321, 3322 („200 %-Grenze“ bei Anmietung eines Ersatzfahrzeugs). Anders hier Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 43, der im Rahmen des § 251 Abs. 2 BGB keinen Abwägungsvorgang vornehmen will, sondern die Unverhältnismäßigkeit im Sinne eines „Proportionalitätswerts“ versteht. Wie hier jedoch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 38 f.; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 232 Fn. 1066. Vgl. zum Ganzen auch Medicus, JuS 1969, 449. 359 Anders hier Metzner, Verbot der Unverhält nismäßigkeit, S. 21, allerdings unter Zugrundelegung einer abweichenden Konzeption der Verhältnismäßigkeit, in der eine mathematische Rechenoperation zum Ergebnis führt. Dazu bereits oben § 3 II. 3. b) (S. 22 f.). 360 Zu § 251 Abs. 2 BGB: BGHZ 59, 365, 368 m.w.N.; AnwK-BGB / Magnus, § 251 Rn. 5. Zu § 254 BGB: BGHZ 34, 355, 363 ff.; BGH NJW 1997, 2234; Staudinger / Schiemann (2005), § 254 Rn. 2 ff. m.w.N. Dazu auch Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten, S. 145 ff.
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umsetzende deutsche Recht allein mit schadensrechtlichen Zurechnungserwägungen und insbesondere mit § 254 Abs. 2 BGB.361 bb) § 251 Abs. 2 BGB und Verpflichtung zur Herstellung eines Rechtszustandes Auch dort, wo die Verpflichtung zur Herstellung eines Rechtszustandes besteht, rekurriert der BGH auf den Rechtsgedanken des § 251 Abs. 2 BGB. So wandte der BGH in einer jüngeren Entscheidung, in der es um die Frage der Haftung eines Rechtsanwalts wegen Vereitelung des Versorgungsausgleichs ging, § 251 Abs. 2 BGB an, um dessen an sich bestehende Pflicht zur Leistung der geschuldeten Beträge an den Träger der Rentenversicherung anstelle des eigentlich ersatzpflichtigen geschiedenen Ehemannes der damaligen Mandantin des Rechtsanwalts (§ 267 BGB) abzumildern.362 Der Rechtsanwalt hatte es versäumt, der Mandantin zur Einlegung der Berufung gegen ein offensichtlich unrichtiges Urteil zu raten, mit dem ihr geschiedener Ehemann auf dessen Vollstreckungsgegenklage gegen den auf Durchführung des Versorgungsausgleichs gerichteten Titel hin obsiegt hatte. Der BGH hielt die Verurteilung des Rechtsanwalts zum Ausgleich der Rentenanwartschaften im Wege der Leistung einer Einmalzahlung an den Rentenversicherungsträger für übermäßig belastend, damit würde die ihm zuzumutende Opfergrenze überschritten. 363 Konstruktiv stützte sich der BGH auf eine Heranziehung des Rechtsgedankens des § 251 Abs. 2 BGB, der auch für die Verpflichtung zur Herstellung eines Rechtszustandes gelte. Der wesentliche Gesichtspunkt für die konkrete Fallgestaltung war dabei, dass angesichts der Ungewissheit, ob und wie lange die Mandantin in den Genuss von Rentenbezügen kommen würde, die Ausgleichsleistung des Rechtsanwalts möglicherweise ausschließlich dem Versorgungsträger und nicht der Geschädigten zukommen würde. Statt eines Leistungsurteils erließ der BGH daher ein Feststellungsurteil, nach dem der beklagte Rechtsanwalt verpflichtet wurde, an die Geschädigte „vom Zeitpunkt der Erlangung der Rentenberechtigung in der gesetzlichen Rentenversicherung an fortlaufend die Beträge zu bezahlen, die erforderlich sind, um sie so zu stellen, als hätte ihr geschiedener Ehemann unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in der Vollstreckungsgegenklage den [zum Versorgungsausgleich erforderlichen Betrag] zur Begründung von Rentenanwartschaften auf ihr Versicherungskonto bezahlt“.364 Das damit auf die Geschädigte übergehende Insolvenzrisiko des beklagten Rechtsanwalts hielt
361 362 363 364
Siehe bereits oben 1. (S. 227 ff.). BGH NJW-RR 2007, 1553. BGH NJW-RR 2007, 1553, 1555; kritisch dazu Althammer, LMK 2007, 239772. BGH NJW-RR 2007, 1553, 1555.
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der BGH wegen der Einstandspflicht von dessen Haftpflichtversicherung nicht für maßgeblich. cc) Angemessenheit der Entschädigung bei Nichtvermögensschäden Während Vermögensschäden nach § 249 BGB grundsätzlich voll auszugleichen sind, verpflichtet die Verursachung von immateriellen Schäden – mangels Möglichkeit der restitutio in integrum – eine Pflicht zur Leistung eines angemessenen Schadensersatzes. § 253 Abs. 2 BGB spricht insoweit wie § 847 Abs. 1 BGB a.F. von einer „billigen Entschädigung“, es haben sich jedoch im Laufe der Zeit Maßstäbe herausgebildet, die eine Entschädigung mehr im Sinne einer Angemessenheit festlegen. Diese Rechtslage entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des EuGH, nach der eine Entschädigung in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss.365 Hiervon gehen auch zwei europäische Antidiskriminierungsrichtlinien aus. 366 Folgerichtig hat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auch für Diskriminierungen im allgemeinen Zivilrechtsbereich in § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG eine angemessene Entschädigung in Geld für Nichtvermögensschäden festgelegt.367 Bei der Bemessung des „billigen“ oder „angemessenen“ Schadensersatzes hat der Richter sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Es handelt sich dabei freilich nicht um freies Ermessen, sondern um gelenktes Ermessen, das sich insbesondere an der bisherigen Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen zu orientieren und Abweichungen hiervon zu begründen hat.368 Wesentlich ist, dass sich die Bemessung des Schmerzensgeldes an Art und Ausmaß der Verletzung orientiert und damit eine Ausgleichsfunktion besitzt.369
365 EuGH, 22.4.1997, Rs. C-180/95 – Draempaehl, Slg. 1997, I-2195; EuGH, 10.4.1984, Rs. C-14/83 – v. Colson u. Kamann, Slg. 1984, 1891 (beide zur Haftung wegen Diskriminierung aufgrund Geschlechts nach der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. EG L 39, S. 40). 366 Sanktionen gegen Diskriminierungen wegen Rassismus und Geschlecht müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (Art. 15 Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG und Art. 14 Gleichbehandlungsrichtlinie Geschlecht 2004/113/EG). Vgl. dazu Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 8 Rn. 56 ff. 367 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfes zum AGG, BT-Drucks. 16/1780, S. 47 f. Genauso für Entschädigungen für Diskriminierungen im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen § 15 Abs. 1 S. 1 AGG. 368 Vgl. BGH VersR 1976, 967 m.w.N.; Staudinger / Schiemann (2005), § 253 Rn. 34. 369 Die daneben anerkannte Genugtuungsfunktion (BGHZ (GrS) 18, 149, 154 f.) verliert demgegenüber an Bedeutung, vgl. nur Katzenmeier, JZ 2002, 1029, 1031. In diese Richtung bereits BGHZ 128, 117, 119.
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§ 13. Bagatellgrenze bei Geltendmachung von vertraglichen Rechten Bei den in diesem Kapitel behandelten Fällen der Ausübungskontrolle nehmen die Fälle der Geringfügigkeit eine Sonderstellung ein. Unter ihnen sind solche Konstellationen zusammengefasst, in denen ein nach der Rechtsordnung bestehender Anspruch oder ein Recht ausnahmsweise nicht geltend gemacht werden kann, weil der Umstand, der den Anspruch oder das Recht auslöst – regelmäßig ein Fehlverhalten des Vertragspartners –, in so geringer Intensität gegeben ist, dass die Interessen des Anspruchsgegners typischerweise überwiegen. In den Geringfügigkeitsfällen werden regelmäßig Gestaltungsrechte bzw. Reaktionsmöglichkeiten des Gläubigers auf Fehlverhalten des Schuldners beschnitten.
I. Einschränkung des Rechts auf Verweigerung der Gegenleistung Die Einwirkung der Verhältnismäßigkeit kann dazu führen, dass Leistungsverweigerungsrechte, die in Bezug auf die Gegenleistung bestehen, nicht ausgeübt werden dürfen. Dies betrifft insbesondere die Einrede des nichterfüllten Vertrags aus § 320 Abs. 2 BGB. Das Gesetz normiert damit für den Fall von Teilleistungen eine Bagatellgrenze. Nach § 266 BGB ist der Schuldner nicht zu Teilleistungen berechtigt. Hat aber eine Seite bereits eine Teilleistung angenommen, so kann nach § 320 Abs. 2 BGB die Gegenleistung nicht verweigert werden, wenn dies eine unverhältnismäßige Reaktion darstellen würde, insbesondere dann, wenn nur noch ein geringer Teil der Leistung fehlt. Der in § 320 BGB zum Ausdruck kommende Gedanke des funktionellen Synallagmas findet seine Grenze dann, wenn die Interessen des anderen Teils im Verhältnis zur bereits erbrachten Leistung nur unwesentlich beeinträchtigt sind.370 Der allgemeine Rechtsgedanke, dass jede Partei die Interessen des Vertragspartners berücksichtigen muss, findet in § 320 Abs. 2 BGB eine spezielle Ausprägung.371 Hier wird eine Bagatellgrenze normiert, die die Rechtsausübung in diesem besonderen Fall als einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erscheinen lässt. 372 370 Medicus bezeichnet § 320 Abs. 2 BGB daher als „Spezialfall der Unverhält nismäßigkeit“: PWW / Medicus, § 320 Rn. 9. 371 RGZ 76, 150. 372 Staudinger / Otto (2009), § 320 Rn. 38 (§ 320 Abs. 2 BGB als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit; Gebot umfassender Interessenabwägung); vgl. dazu auch Buß, NJW 1998, 337.
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Dass diese Bagatellgrenze nicht absolut besteht, sondern je nach Vertragstyp unterschiedlich hoch liegen kann, zeigt auch § 641 Abs. 3 BGB:373 Weist das Werk einen Mangel auf und steht dem Besteller deswegen ein Nacherfüllungsanspruch nach §§ 634 Nr. 1, 635 BGB zu, so darf er nach dieser Norm mindestens das Dreifache des für die Mangelbeseitigung erforderlichen Betrags zurückhalten. Die Bagatellgrenze für die Verweigerung der Gegenleistung wird hier demnach im Verhältnis zur allgemeinen Regel aus § 320 Abs. 2 BGB angehoben. Das Verweigerungsrecht aus § 641 Abs. 3 BGB wird daher verschiedentlich als „Druckzuschlag“ bezeichnet.374 Auch im Mietrecht sind solche „Druckzuschläge“ nach der Rechtsprechung des BGH zulässig.375 Im Kaufrecht steht zu erwarten, dass sich in Bezug auf die Zurückbehaltung eines angemessenen Teils des Kaufpreises bis zur Nacherfüllung durch den Verkäufer ebenfalls Maßstäbe herausbilden werden, die denen im Werkvertragsrecht entsprechen.376 Eine weitere Ausprägung der Geringfügigkeitsschwelle findet sich im Dienstvertragsrecht. Hier schließt § 616 Satz 1 BGB ein Recht zur Verweigerung der Gegenleistung des Gläubigers, das ihm nach den allgemeinen Regeln der §§ 275, 326 BGB zustehen würde, bei geringfügiger und unverschuldeter Hinderung des zur Dienstleistung Verpflichteten aus, sofern ein persönlicher Verhinderungsgrund vorliegt.377 Voraussetzung ist, dass die Fehlzeit im Verhältnis zur Dauer des Arbeitsverhältnisses insgesamt nur gering war378 und den Dienstverpflichteten kein Verschulden hieran trifft.
II. Einschränkungen von Sekundäransprüchen des Gläubigers bei Geringfügigkeit Im Bereich des Primäranspruchs bzw. des an seine Stelle tretenden Nacherfüllungsanspruchs kennt das Gesetz keine Bagatellgrenze. So löst auch ein nur geringfügiger Mangel im Grundsatz einen Anspruch auf Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes aus. Der Grund liegt in der vertraglichen Bindung – der Schuldner hat mangelfreie Leistung versprochen und muss sich hieran festhalten lassen. Erst dann, wenn ihn die (Nach-)Erfüllung unverhältnismäßig 373 Die Norm ist lex specialis zu § 320 Abs. 2 BGB, vgl. Palandt / Grüneberg, § 320 Rn. 11; so auch LG Heidelberg NJW-RR 2007, 599. 374 Vgl. Palandt / Sprau, § 641 Rn. 16. 375 BGHZ 84, 42, 45; BGHZ 127, 245, 253; BGH NJW-RR 2007, 1021, 1022 (Anwendbarkeit des Rechtsgedankens des § 536b BGB). 376 Vgl. AnwK-BGB / Tettinger, § 320 Rn. 26. 377 § 616 S. 1 BGB ist damit lex specialis zu § 326 Abs. 1 BGB, Palandt / Weidenkaff, § 616 Rn. 3. Eingehend zum Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers bei Pflichtenkollisionen Henssler, AcP 190 (1990), 538. 378 Für Arbeitsverträge enthält hier § 3 Abs. 1 EFZG eine Konkretisierung, die die Entgeltfortzahlungspflicht im Krankheitsfall auf sechs Wochen begrenzt.
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Kapitel 4: Verhältnismäßigkeit und in Vollzug gesetzter Vertrag
belasten würde, greifen die §§ 275 Abs. 2, 439 Abs. 3, 635 Abs. 2 BGB oder ähnliche Vorschriften. Eine Geringfügigkeitsschwelle existiert aber auf Sekundärebene, namentlich bei dem das Vertragsverhältnis beendenden bzw. umgestaltenden Rücktrittsrecht.
1. Keine Vertragsaufhebung bei unerheblicher Pflichtverletzung a) Vertragsauflösung nach Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Nach Art. 3 Abs. 6 VGKRL steht dem Verbraucher das Recht zur Vertragsauflösung nicht bei nur geringfügiger Vertragswidrigkeit zu. Damit wird das schärfste Gewährleistungsrecht, das zur Beendigung des Vertragsverhältnisses führt, unter den Vorbehalt gestellt, dass eine gewisse Bagatellgrenze überschritten ist. Darin kommt zum einen der favor contractus zum Ausdruck, der der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zugrunde liegt,379 aber auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie der Rat in seinem Gemeinsamen Standpunkt zur Richtlinie ausdrücklich als Rechtfertigung für den Ausschluss der Vertragsauflösung bei geringfügigen Vertragsverletzungen angeführt hat.380 Über die Auslegung des Begriffs der Geringfügigkeit besteht keine Einigkeit. Teilweise wird er so ausgelegt, dass nur vollkommen unbedeutende Mängel nicht zur Vertragsauflösung berechtigen; dies geschah im deutschen Schrifttum vor allem in Anlehnung an § 459 BGB a.F.,381 wonach eine nur unerhebliche Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit der Sache jegliche Mängelrechte des Käufers ausschloss.382 Diese Auslegung wird jedoch dem abgestuften System der Gewährleistungsrechte aus der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht gerecht.383 Im Unterschied zu § 459 BGB a.F. sperrt die Geringfügigkeit des Mangels nicht sämtliche Gewährleistungsrechte, sondern nur die Vertragsauflösung. Es besteht demnach kein Anlass, den Begriff der Geringfügigkeit in der Richtlinie übermäßig eng auszulegen, da dem Verbraucher auch bei leichtesten Mängeln jedenfalls noch die Minderung des Kaufpreises offen steht.384 379
Vgl. Bianca, in: EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 3 Rn. 36. Vgl. die Erläuterungen zu Art. 3 im Gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr. 51/98, ABl. EG 1998 C 333/46, S. 53. 381 § 459 Abs. 1 BGB a.F. lautete: „Der Verkäufer einer Sache haftet dem Käufer dafür, daß sie zu der Zeit, zu welcher die Gefahr auf den Käufer übergeht, nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrage vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Eine unerhebliche Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit kommt nicht in Betracht.“ 382 Hiergegen mit Nachweisen etwa Schwartze, ZEuP 2000, 544, 567. 383 In diesem Sinne auch (in Bezug auf die Umsetzung im deutschen Recht) MüKoBGB / Ernst, § 323 Rn. 243. Zum Gewährleistungsrecht als abgestuftes (bewegliches) System Baumann, AcP 187 (1987), 511, 543 ff. („typologisches Vorgehen“). 384 Anders aber Baldus, in: Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 1, 15 ff., 18, nach dem die Geringfügigkeitsschwelle ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der 380
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Der Begriff der Geringfügigkeit ist im Verhältnis zur Kaufsache zu sehen; es ist zu fragen, ob sie für den vertraglich vorausgesetzten oder üblicherweise erwarteten Gebrauch im Sinne des Art. 2 Abs. 2 VGKRL tauglich ist. Der Rücktritt scheidet also etwa dann aus, wenn der Schaltknüppel eines Neuwagens Vibrationsgeräusche erzeugt, ohne dass jedoch hierdurch dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt wäre,385 wenn die angegebene Höchstgeschwindigkeit eines Kfz um 2,2 % unterschritten wird386 oder wenn der Benzinverbrauch eines Neuwagens die Herstellerangaben um weniger als 10 % überschreitet.387 In der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie wurde damit nicht das Konzept des UN-Kaufrechts übernommen, in dem nach Art. 25, 49 CISG nur eine wesentliche Vertragsverletzung zur Vertragsauflösung berechtigt. Materiell liegt hierin kein relevanter Unterschied zum Begriff der Geringfügigkeit in der Richtlinie; es scheint sich lediglich um die negative Formulierung derselben Erheblichkeitsschwelle zu handeln.388 Gleichwohl ist die Perspektive eine andere: Das CISG gesteht dem Käufer von vornherein das Auflösungsrecht nur dann zu, wenn es sich um eine wesentliche Vertragsverletzung handelt; nach der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hingegen ist dieser Rechtsbehelf ausnahmsweise bei Geringfügigkeit ausgeschlossen. Dies hat praktische Relevanz vor allem im Hinblick auf Beweisfragen.389 b) Die Umsetzung im deutschen Recht Das BGB gibt dem Gläubiger dann, wenn der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß erbracht hat – vorbehaltlich etwaiger Nacherfüllungsrechte –, die Möglichkeit der Loslösung vom Vertrag. Dies kann der Gläubiger entweder durch einen Rücktritt nach § 323 BGB erreichen oder aber über die Geltendmachung von Schadensersatz statt der ganzen Leistung nach § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB. Ist die Pflichtverletzung des Schuldners, die dazu geführt hat, dass die Leistung nicht vertragsgemäß erbracht werden konnte, hingegen unerheblich, so schließt das Gesetz die Lösung vom gesamten Vertrag aus, § 323 Abs. 5 Satz 2 Vertragserhaltung normiere. Im Zweifel sei daher eine Vertragsverletzung als geringfügig anzusehen. Eine solche Betrachtungsweise erscheint indessen eher in Bezug auf die Wesentlichkeitsschwelle des CISG zu passen. Im Lichte der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist der Rücktritt bei Pflichtverletzung die Regel, dessen Ausschluss bei Geringfügigkeit hingegen die Ausnahme. 385 Beispiel nach OGH JBl. 2005, 720 sowie dazu Faber, ZEuP 2006, 679; Jud, GPR 2006, 71, 72. Siehe auch OLG Düsseldorf ZGS 2007, 157 (Lenkradfernbedienung für Navigationssystem bei Neuwagen nicht reparabel – kein unerheblicher Mangel). 386 OLG Düsseldorf NJW 2005, 3504. 387 BGH NJW 2007, 2111. 388 So auch Bianca, in: EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 3 Rn. 45; MüKo-BGB / Ernst, § 323 Rn. 243; Schmidt-Räntsch, in: FS Wenzel, S. 409, 421 ff.; Rolland, in: FS Schlechtriem, S. 629, 644. 389 Dazu näher unten 3. a) (S. 249 f.).
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bzw. § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB. Den Begriff der Geringfügigkeit der Vertragsverletzung aus Art. 3 Abs. 6 VGKRL hat der deutsche Gesetzgeber somit durch denjenigen der unerheblichen Pflichtverletzung umgesetzt. Damit soll nach der Regierungsbegründung in Bezug auf die Vertragsauflösung an die durch § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. verkörperte, frühere Rechtslage angeknüpft werden.390 Auch dadurch wird eine Bagatellgrenze für die Geltendmachung von Rechten einer Partei normiert. Die Aufkündigung des vertraglichen Pflichtenprogramms ist bei einem im Verhältnis dazu nur geringen Pflichtenverstoß des anderen Teils nicht gerechtfertigt. Bei der Bestimmung des Grades des Pflichtenverstoßes ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen.391 Dabei ist das Interesse des Gläubigers an der vertraglich vereinbarten Leistung maßgeblicher Bezugspunkt.392 Dies ergibt sich aus dem Gewicht, das vor allem im Kaufund im Werkvertragsrecht der Vertragsgemäßheit der Leistung zugeschrieben wird. Dem sind der zur Mangelbeseitigung erforderliche Aufwand, die Beeinträchtigung der Sache durch den Mangel, der Wert der Sache und unter Umständen auch der Grad des Verschuldens des Schuldners gegenüber zu stellen. 393 Davon unabhängig ist auch bei unerheblichen Pflichtverletzungen die Geltendmachung des Schadensersatzes statt der Leistung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB möglich; ebenso im Kauf- und Werkvertragsrecht die Minderung der Gegenleistung bzw. außerhalb auch möglicherweise ein Teilrücktritt.394 Auch hier wirkt die Festlegung bestimmter Prozentgrenzen, die den zur Mangelbeseitigung erforderlichen Kostenaufwand ins Verhältnis zur Gegenleistung stellen, willkürlich, sofern damit weitere abwägungsrelevante Gesichtspunkte außer Betracht bleiben.395 390
BT-Drucks. 14/6040, S. 231; ebenso etwa AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 323 Rn. 36; Jauernig / Stadler, § 323 Rn. 20. 391 Vgl. OLG Nürnberg NJW 2005, 2019, 2020; OLG Düsseldorf ZGS 2007, 157; Palandt / Grüneberg, § 323 Rn. 32. Anders aber OLG Köln NJW 2007, 1694, 1696: Danach soll die Unerheblichkeit bereits dann nicht gegeben sein, wenn die Kosten zur Mangelbeseitigung absolut gesehen nicht als geringfügig anzusehen sind (für einen zur Mangelbeseitigung aufzuwendenden Betrag von € 2000,–). Daran ist problematisch, dass die abwägungsrelevanten Faktoren nicht offengelegt werden. 392 Soergel / Gsell, § 323 Rn. 216. 393 Palandt / Grüneberg, § 323 Rn. 32. Anders kann hingegen das vorvertragliche Verhalten des Schuldners zu beurteilen sein, dazu sogleich unten c) (S. 243 ff.). Gegen Berücksichtigung von Vertretenmüssen des Schuldners Soergel / Gsell, § 323 Rn. 216; Bamberger / Roth / Faust, § 437 Rn. 27 (Umkehrschluss aus § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB). 394 Für das Kauf- und das Werkvertragsrecht hat der Gesetzgeber in § 441 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 638 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich angeordnet, dass § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB für die Minderung nicht gilt, so dass hier keine Erheblichkeitsschwelle besteht. Anders dagegen § 536 Abs. 1 Satz 3 BGB für das Mietrecht; hiernach bleibt eine nur unerhebliche Minderung der Tauglichkeit außer Betracht. Auch dieser Gesichtspunkt rechtfertigt sich aus dem Dauerschuldcharakter der Miete. 395 Die Varianz der vorgeschlagenen Prozentwerte ist hoch: Die Grenze für die Unerheblichkeit der zur Beseitigung des Mangels notwendigen Kosten geht von 20–50 % (MüKo-
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Die Schuldrechtsmodernisierung hat damit im Bereich des Kaufrechts die alte Regelung des § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. entschärft, die bei nur unerheblicher Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit der Kaufsache jegliche Gewährleistungsrechte ausschloss. Die neue Regelung ist erheblich differenzierter; sie lässt den einschneidenderen Rechtsbehelf der Loslösung vom Vertrag bei geringfügigen Pflichtverletzungen nicht zu, wohl aber die anderen Gewährleistungsrechte, insbesondere Schadensersatz und Minderung.396 Auch vor diesem Hintergrund erscheint die Übernahme der zu § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. entwickelten Auslegung des Begriffs der Unerheblichkeit des Mangels nicht gerechtfertigt.397 Orientiert man sich, wie vereinzelt vorgeschlagen, zur Auslegung des Begriffs der Unerheblichkeit an der reiserechtlichen Erheblichkeitsschwelle aus § 651e Abs. 1 Satz 1 BGB,398 so impliziert der durch die zu dieser Norm bereits ergangene Rechtsprechung gewonnene Vorteil an Rechtssicherheit doch eine methodisch zweifelhafte Teilübernahme der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals aus einem Vertragstyp, dessen Gewährleistungsrecht wegen des Dauerschuldcharakters des Reisevertrags und den daraus resultierenden, von den allgemeinen Rücktrittsregeln abweichenden Kündigungsregeln nur schwer verallgemeinert werden kann.399 Überdies orientiert sich die zu § 651e Abs. 1 BGB ergangene Rechtsprechung in Bezug auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung durch den Mangel zumeist an einem dem Reisenden nach § 651d BGB zustehenden Minderungsbetrag; eine Kündigung ist erst dann zulässig, wenn ein Mangel vorliegt, der zur Minderung von etwa 20–50 % des Reisepreises berechtigen würde.400 Diese quantitative Betrachtungsweise würde dem Umstand nicht gerecht, dass § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB eine qualitative Einschätzung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung verlangt.401 BGB / Ernst, § 323 Rn. 243) über 15 % (Müller / Matthes, AcP 204 (2004), 732, 748) und 10 % (OLG Bamberg MDR 2007, 87; ebenso Palandt / Grüneberg, § 323 Rn. 32) oder 5 % (OLG Köln NJW 2007, 1694, 1696) im Verhältnis zur vereinbarten Gegenleistung. Der BGH (BGHZ 167, 19, 21) hat ausdrücklich offen gelassen, ob eine feste Prozentgrenze aufgestellt werden kann. 396 Vgl. hierzu MüKo-BGB / Ernst, § 323 Rn. 243; PWW / Medicus, § 323 Rn. 37 f. 397 In diesem Sinne auch OLG Bamberg MDR 2007, 87; MüKo-BGB / Ernst, § 323 Rn. 243; PWW / Medicus, § 323 Rn. 38; PWW / Schmidt-Kessel, § 281 Rn. 27; Staudinger / Otto / Schwarze (2009), § 323 Rn. C 25; Müller / Matthes, AcP 204 (2004), 732, 747 f.; Soergel / Gsell, § 323 Rn. 213 m.w.N. A.A. (unter Berufung auf BT-Drucks. Nr. 14/6040, S. 222 f.) Gröschler, NJW 2005, 1601, 1604; Bamberger / Roth / Faust, § 437 Rn. 26; Rösler, AcP 207 (2007), 564, 593. 398 So MüKo-BGB / Ernst, § 323 Rn. 243. 399 Kritisch auch Soergel / Gsell, § 323 Rn. 215; PWW / Medicus, § 323 Rn. 38. 400 Vgl. die Nachweise bei AnwK-BGB / Niehuus, § 651e Rn. 10 f. Teilweise wird ohne Bezug auf die genannten Prozentzahlen darauf abgestellt, ob ein Festhalten am Vertrag für den Reisenden unzumutbar ist, vgl. etwa OLG Düsseldorf RRa 2000, 28. 401 Soergel / Gsell, § 323 Rn. 215.
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Ebenso wenig kann man sich an der Regelung über den Teilrücktritt in Art. 323 Abs. 5 Satz 1 BGB orientieren. Danach kann der Gläubiger auf eine Teilleistung des Schuldners hin nur dann vom gesamten Vertrag zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Man kann hier nicht die Schwelle der Vertragslösung in beiden Sätzen der Norm gleich hoch ansetzen, da jeweils unterschiedliche Interessenlagen geregelt sind:402 Ist der Vertrag überhaupt teilbar, so kann vermutet werden, dass dem Gläubiger auch an einem Teil der Leistung gelegen ist; immerhin hat er einen Teil der vertraglich geschuldeten Leistung (ohne dass in Bezug auf diesen Teil eine Pflichtverletzung vorläge) erhalten. Nur ausnahmsweise kann er daher vom gesamten Vertrag zurücktreten. Im Fall der Schlechterfüllung hingegen liegt regelmäßig keine Teilbarkeit der Leistung vor.403 Der Schuldner hat die Leistung nicht so erbracht wie vertraglich vereinbart. Ein Festhalten am Vertrag ist in diesem Fall für den Gläubiger grundsätzlich unzumutbar, soweit es sich nicht um eine Vertragsverletzung handelt, die das Leistungsinteresse nur unerheblich beeinträchtigt. Die für den Totalrücktritt bei Teilleistung in § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB angeordnete Schwelle der Interessenprüfung ist demnach höher als die der Unerheblichkeit in Satz 2 der Norm.404 Vorzugswürdig erscheint daher eine eigenständige Auslegung des Begriffs der Unerheblichkeit, die sich an den von der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie verfolgten Zwecken orientiert und sowohl dem Interesse des Verbrauchers an einer vertragsgemäßen Erfüllung, als auch demjenigen des Verkäufers an der Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung und damit am Erhalt des Kaufpreises Rechnung trägt.405 Es spricht vieles dafür, als Ausgangspunkt die zu Art. 49 Abs. 1 CISG entwickelten Kriterien der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung heranzuziehen, diese aber dahingehend zu modifizieren, dass die Geringfügigkeitsschwelle niedriger angesetzt wird als im UN-Kaufrecht. Denn es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das UN-Kaufrecht Regelungen für den Handelsverkehr enthält, die auf die Belange von Verbrauchern keine Rücksicht nehmen. Zudem besteht hier kein Vorrang der Nacherfüllung, die Wesentlichkeit stellt demnach die einzige Schranke für die Vertragsaufhebung dar. Anders als unter Geltung des UN-Kaufrechts ist daher – jedenfalls im Geltungsbereich der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie – nicht zu fragen, ob dem Käufer im Wesent402
So auch AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 323 Rn. 36; Soergel / Gsell, § 323 Rn. 214; S. Lorenz, NJW 2006, 1925. 403 Die Leistung kann nicht in einen mangelfreien und einen mangelhaften Teil aufgespaltet werden. 404 Ebenso Grigoleit / Riehm, ZGS 2002, 115, 118; MüKo-BGB / Ernst, § 323 Rn. 243; Soergel / Gsell, § 323 Rn. 211. 405 Dabei sind die in §§ 323 Abs. 5 Satz 2 BGB und 281 Abs. 1 Satz 3 BGB jeweils verwendeten Begriffe der unerheblichen Pflichtverletzung gleich auszulegen, da in beiden Fällen die Loslösung vom Vertrag – durch Rücktritt oder durch Schadensersatz statt der ganzen Leistung – eingeschränkt werden soll, ebenso PWW / Medicus, § 323 Rn. 38.
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lichen das entgangen ist, was er nach dem Vertrag erwarten durfte,406 sondern umgekehrt, ob das Leistungsinteresse des Gläubigers soweit befriedigt wurde, dass es ihm zugemutet werden kann, ausnahmsweise auf das Rücktrittsrecht zu verzichten.407 Stellt man allein auf die zu Art. 25, 49 Abs. 1 CISG ergangene Rechtsprechung ab, ohne die Besonderheiten des Verbrauchsgüterkaufs zu berücksichtigen, so steht dies insoweit nicht im Einklang mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, als dadurch die Rechte des Verbrauchers entgegen dem Zweck der Richtlinie eingeschränkt werden.408 Die neue Rechtslage zeigt, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip in höherem Maße als bisher Eingang in das System der kaufrechtlichen Rechtsbehelfe gefunden hat. § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. normierte lediglich eine Bagatellschwelle für alle Gewährleistungsrechte, die dementsprechend schuldnerfreundlich sehr eng ausgelegt wurde. Nach Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie besteht nun eine differenzierte Regelung, die zunächst ein Recht des Schuldners zur zweiten Andienung vorsieht und damit dem Bestand des ursprünglichen Schuldverhältnisses Vorrang einräumt. Dem nachrangig folgen Schadensersatz und Minderung sowie – bei nicht nur unerheblichen Pflichtverletzungen – der Rücktritt und damit die Lösung von der ursprünglichen vertraglichen Bindung.409 c) Berücksichtigung vorvertraglichen Verhaltens des Schuldners? Bei der Frage, wann eine Pflichtverletzung nur unerheblich ist, muss wie dargelegt auch berücksichtigt werden, ob und inwieweit der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Nach einem Urteil des BGH soll aber regelmäßig eine nur unerhebliche Pflichtverletzung dann nicht mehr vorliegen, wenn der Schuldner den Gläubiger arglistig über das Vorliegen eines Mangels an der Kaufsache getäuscht hat.410 Im zu entscheidenden Fall hatten die Kläger, die 406
Siehe bereits die Nachweise oben Fn. 388. Ähnlich Soergel / Gsell, § 323 Rn. 216, die einen Rücktritt dann zulassen will, wenn das Leistungsinteresse des Gläubigers derart beeinträchtigt wurde, dass eine Rückabwicklung des Vertrags auch unter Berücksichtigung der damit für den Schuldner verbundenen Lasten nicht unverhältnismäßig erscheint. Diese Bezugnahme auf die Unverhältnismäßigkeit der Rückabwicklung bringt aber gegenüber dem Begriff der Geringfügigkeit keine Präzisierung. 408 Vgl. Soergel / Gsell, § 323 Rn. 214; ähnlich AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 323 Rn. 36; keinen Richtlinienverstoß sehen hingegen MüKo-BGB / Ernst, § 323 Rn. 243; SchmidtRäntsch, in: FS Wenzel, S. 409, 420 ff. 409 Zur Abstufung der Gewährleistungsrechte des Käufers bereits oben Text bei und nach Fn. 176. 410 BGHZ 167, 19, 23. Im Falle der arglistigen Täuschung über einen Sachmangel kann der Käufer nach der Rechtsprechung des BGH „im Regelfall“ ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung sofort mindern (BGH NJW 2008, 1371) oder vom Vertrag zurücktreten (BGH NJW 2007, 835, 836 f.), da in diesem Falle „die für eine Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage beschädigt“ sei (BGH NJW 2008, 1371, 1372 f.). Zu Recht kritisch Gutzeit, NJW 2008, 1359. 407
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von den Beklagten eine Eigentumswohnung erworben hatten, dort einen Feuchtigkeitsschaden festgestellt, dessen Beseitigung rund € 2500,– Euro kostete, und – nach Ablehnung der Nachbesserung durch die Beklagten – den Rücktritt vom Vertrag erklärt. Weil die beklagten Verkäufer den Feuchtigkeitsschaden arglistig verschwiegen hatten, hielt der BGH ohne weitere Abwägung die Pflichtverletzung nicht mehr für unerheblich und ließ den Rücktritt damit zu.411 Das neue Recht stelle nicht mehr auf das Vorliegen eines Mangels, sondern auf eine Pflichtverletzung ab, die verhaltensbezogen sei.412 Wer arglistig einen Mangel verschweige, verdiene nicht den Schutz der Rechtsordnung und könne sich daher nicht auf das Interesse am Bestand des Vertrags berufen. Der BGH deutete an, dass bei absolut gesehen geringeren Mangelbeseitigungskosten möglicherweise doch eine Abwägung stattfinden könne, hielt jedoch den hier vorliegenden Feuchtigkeitsschaden nicht mehr für einen „Mangel mit Bagatellcharakter“.413 Damit wird jedoch der Zweck der Erheblichkeitsschwelle des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB überdehnt.414 Diese hat ausweislich des systematischen Zusammenhangs mit § 323 Abs. 1 BGB nur die vertraglichen Leistungspflichten im Blick, nicht aber vorvertragliches Verhalten wie das arglistige Verschweigen eines Mangels.415 Die vom Schuldner erhaltene Leistung verliert für den Gläubiger nicht deswegen ihre Qualität als vertragliches Leistungsobjekt, weil der Schuldner das Vorliegen eines Mangels verschwiegen hat; sein Leistungsinteresse ist allein durch den Mangel beeinträchtigt. Bei einem auf den einmaligen Austausch gerichteten Vertrag wie dem Kaufvertrag kann die Arglist einer Partei – selbst wenn man sie nur im Rahmen der Abwägung berücksichtigt416 – nicht von allein ausschlaggebender Relevanz sein. Anders kann dies bei einem auf Dauer angelegten Schuldverhältnis zu beurteilen sein, wo gerade das Leistungsinteresse des Gläubigers bei arglistigem Schuldnerverhalten nachhaltig beeinträchtigt sein kann.417 Die vom BGH vertretene Auslegung des § 323 411 BGHZ 167, 19, 23 f. Gleiches gilt für die Geltendmachung von Schadensersatz statt der ganzen Leistung nach § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB. 412 BGHZ 167, 19, 23. 413 BGHZ 167, 19, 24. 414 Ablehnend zur Entscheidung auch S. Lorenz, NJW 2006, 1925; H. Roth, JZ 2006, 1026; Jud, GPR 2007, 24 (unter Verweis auf § 281 Abs. 1 S. 3 BGB); Bamberger / Roth / Faust, § 437 Rn. 27; Soergel / Gsell, § 323 Rn. 216; Staudinger / Otto / Schwarze (2009), § 323 Rn. C 26. Zustimmend hingegen etwa Rösler, AcP 207 (2007), 564, 592 ff. m.w.N. (die Arglist rechtfertige die Rechtsverschärfung). 415 Bamberger / Roth / Faust, § 437 Rn. 27; S. Lorenz, NJW 2006, 1925, 1926. 416 So Palandt / Grüneberg, § 323 Rn. 32; Staudinger / Otto (2005), § 323 Rn. C 30; anders nun Staudinger / Otto / Schwarze (2009), § 323 Rn. C 26 (keine Berücksichtigung des arglistigen Verhaltens). 417 Dennoch hat der BGH im Falle eines Werkvertrags die vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Mangels durch den Unternehmer nur im Rahmen einer Gesamtabwägung berücksichtigt, vgl. BGH NJW 2009, 2123 m.w.N.
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Abs. 5 Satz 2 BGB ist schließlich auch aus Gesichtspunkten des Schuldnerschutzes nicht erforderlich: Diesem stehen bei arglistigem Verhalten des Gläubigers im vorvertraglichen Bereich die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB sowie die nach § 249 Abs. 1 BGB auf Vertragsauflösung gerichtete culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) zur Verfügung.418
2. Bagatellgrenze in anderen Rechtsordnungen a) Italien Es wurde bereits erwähnt, dass der italienische Gesetzgeber im Unterschied zum deutschen eine Sonderkodifikation für Verbrauchergeschäfte ausgebildet hat. Mit dem Codice del consumo werden sämtliche Regeln zusammengefasst und neu geordnet, die das Rechtsverhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer betreffen.419 Die im deutschen Recht bestehende Problematik der Auslegung des Begriffs der Unerheblichkeit im Spannungsfeld zwischen Verbraucher- und sonstigen Rechtsgeschäften scheint hier umschifft: Die Geringfügigkeitsschwelle kann innerhalb des Codice del consumo isoliert für den Verbrauchsgüterkauf bestimmt werden, ohne dass andere Rechtsgeschäfte davon notwendigerweise tangiert sind. aa) Recht des Verbrauchsgüterkaufs Art. 130 Abs. 10 Codice del consumo beinhaltet eine Umsetzung von Art. 3 Abs. 6 VGKRL, die sich sehr eng an das Vorbild der Richtlinie anlehnt.420 Ist die Kaufsache mit einem geringfügigen Mangel behaftet („difetto di conformità di lieve entità“), so hat der Verbraucher auch dann kein Recht zur Vertragsauflösung, wenn beide Arten der Nacherfüllung unmöglich oder doch nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich waren.421 Es bleibt dann nach der Systematik des Codice del consumo allein das Minderungsrecht. Dies schließt allerdings nicht die Geltendmachung von Schadensersatz nach den allgemeinen Vorschriften des Codice civile aus; diese stehen dem Verbraucher neben den Spezialnormen des Codice del consumo zur Verfügung.422 418
S. Lorenz, NJW 2006, 1925, 1926. Zum durchaus kodifikatorischen Charakter des Codice del consumo Gebauer, JbItalR 20 (2007), S. 3. 420 Allgemein zur Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Italien Padovini, JbItalR 17 (2004), S. 71; Mansel, AcP 204 (2004), 396, 430 ff. mit umfangreichen Nachweisen zum reichhaltigen Schrifttum. 421 Das italienische Recht hat sich – im Gegensatz zum deutschen – dafür entschieden, die Unverhältnismäßigkeitseinrede nur im Verhältnis zur jeweils anderen Art der Nacherfüllung zuzulassen. Dazu und zur Auslegung des Begriffs der unverhältnismäßigen Nacherfüllung bereits oben § 12 I. 4. b) bb) (S. 211). 422 Art. 135 Codice del consumo; dazu bereits oben § 12 I. 4. b) bb) (S. 212). 419
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bb) Allgemeines Vertragsrecht Auch das allgemeine Schuldrecht des Codice civile kennt Fälle der Geringfügigkeit: Nach Art. 1455 c.c. besteht kein Recht zur Lösung vom Vertrag bei Geringfügigkeit der Nichterfüllung des anderen Teils, wobei aber auch das Leistungsinteresse des anderen Teils zu berücksichtigen ist.423 Das Recht auf Vertragsaufhebung (risoluzione del contratto) steht dem Gläubiger nach Art. 1453 c.c. bei Nichterfüllung der vertraglichen Pflicht zu. Hierbei wird nicht zwischen verschiedenen Pflichtverletzungen unterschieden; der Grund für die nicht erfolgte Leistung des vertraglich Geschuldeten – etwa Unmöglichkeit oder bloße Verspätung – ist unerheblich.424 Auch die bloße Teilleistung wird als Nichterfüllung der vertraglichen Pflicht verstanden. In französischer Tradition stehend, kann die Vertragsauflösung nach Art. 1453 Abs. 3 c.c. im Grundsatz nur durch Gerichtsurteil erfolgen.425 Dabei stehen den Parteien jedoch durchaus Möglichkeiten zur Verfügung, sich auch ohne Klage vom Vertrag zu lösen: Insbesondere sieht Art. 1454 Abs. 1 c.c. die Fristsetzung mit schriftlicher Ablehnungsandrohung vor, nach deren Ablauf der Vertrag ohne weiteres kraft Gesetzes als aufgelöst gilt.426 Vergegenwärtigt man sich noch einmal, dass das allgemeine italienische Vertragsrecht keine Pflicht zur Nacherfüllung kennt, oder, anders gewendet, kein Recht zur zweiten Andienung,427 sondern dass im Grundsatz jede Form der Nicht- oder Schlechterfüllung zum Rücktritt berechtigt, dann kommt der Geringfügigkeitsschwelle des Art. 1455 c.c. eine erhebliche Bedeutung zu. Denn sie entscheidet in sämtlichen Fällen, ob die Vertragsverletzung ein Ausmaß erreicht, das die Aufhebung des Vertrags insgesamt rechtfertigt – ohne die Erheblichkeitsschwelle des Art. 1455 c.c. wäre ein allgemeines, einseitiges Recht auf
423 Die Norm lautet: „Importanza dell’inadempimento. Il contratto non si può risolvere se l’inadempimento di una delle parti ha scarsa importanza, avuto riguardo all’interesse dell’altra.“ – Bedeutung der Nichterfüllung. Der Vertrag kann nicht aufgelöst werden, wenn die Nichterfüllung einer der Parteien mit Rücksicht auf das Interesse der anderen nur geringfügige Bedeutung hat. (Übersetzung nach Patti, Codice Civile Italiano – Das Italienische Zivilgesetzbuch). 424 Roppo, Il contratto, S. 955. Vgl. zu den verschiedenen Fallgruppen die Nachweise bei Cian / Trabucchi / Zaccaria, Art. 1455 Anm. II. 425 Roppo, Il contratto, S. 963. Zu den Aufweichungen des Grundsatzes der gerichtlichen Vertragsauflösung in Frankreich und Italien Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, § 36 II. 426 So ausdrücklich Art. 1454 Abs. 3 c.c. Die Frist soll wenigstens 15 Tage betragen, Art. 1454 Abs. 2 c.c. Art. 1456 c.c. lässt daneben eine Vertragsauflösung ex lege dann zu, wenn die Parteien dies ausdrücklich für bestimmte Vertragsverletzungen vereinbart haben. Das selbe gilt für Fixgeschäfte, wenn die Leistung zum vereinbarten Termin so essentiell ist, dass das Geschäft damit „steht oder fällt“ (termine essenziale), Art. 1457 c.c. Das italienische Recht nähert sich damit dem deutschen an. Eingehend zum Ganzen Resch, Das italienische Privatrecht, S. 466 ff. 427 Dazu oben § 12 I. 4. b) bb) (S. 211).
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Vertragsaufhebung begründet. Nicht nur aus diesem Grund sieht die italienische Lehre darin einen Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.428 Erforderlich ist daher wiederum eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles, in der zunächst Art und Ausmaß der Vertragsverletzung objektiv gewichtet und dem Vertrag insgesamt gegenübergestellt werden.429 Berücksichtigung finden daneben aber auch die persönlichen Interessen des Gläubigers an der vertragsgemäßen Leistung und inwiefern diese Interessen durch die Nichtoder Schlechterfüllung tangiert werden430 sowie das persönliche Verhalten beider Parteien.431 Die Beweislast432 für die objektive Geringfügigkeit der Vertragsverletzung obliegt dem Schuldner; der Gläubiger muss hingegen nur darlegen und beweisen, dass die vertraglich vereinbarte Leistung nicht wie geschuldet erbracht wurde.433 Damit hat die Geringfügigkeit der Vertragsverletzung auch hier den Charakter eines Gegenrechts des Schuldners bei einem Aufhebungsverlangen des Gläubigers und stellt nicht, wie im UN-Kaufrecht, ein konstitutives Element des Rechts zur Vertragsaufhebung dar. b) England aa) Verbrauchsgüterkauf Auch in England wurde die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie wie in Italien nur in Form einer Minimalumsetzung in die Rechtsordnung integriert.434 Auffällig ist dabei, dass Art. 3 Abs. 6 VGKRL, die Geringfügigkeitsschwelle für die Vertragsauflösung, überhaupt nicht umgesetzt wurde. Sec. 48C Sale of Goods Act 1979 gibt dem Verbraucher das Recht zur Minderung (reduction of purchase price) oder zur Vertragsauflösung (rescission), sofern die Nacherfüllung unmöglich oder unverhältnismäßig ist. Die Vertragsaufhebung kann damit nach dem Wortlaut des Gesetzes auch bei leichtester Vertragsverletzung geltend gemacht werden. Damit steht der Verbraucher nach englischem Recht besser als dies die Richt428 Roppo, Il contratto, S. 961; ebenso Cian / Trabucchi / Zaccaria, Art. 1455 Anm. I.1. In diesem Sinne auch Cass. 01/8063. 429 Dazu Cass. 26.7.2000, n. 9800; Sacco / De Nova, Il contratto, Band II, S. 631 ff.; Roppo, Il contratto, S. 961 f.; Cian / Trabucchi / Zaccaria, Art. 1455 Anm. I.2 ff. 430 Cass. n. 00/9800; Cass. n. 88/5755. 431 Cass. n. 87/1187; siehe noch Cian / Trabucchi / Zaccaria, Art. 1455 Anm. I. 432 Gleichwohl ist die Geringfügigkeit bei gerichtlicher Geltendmachung der Vertragsauflösung von Amts wegen zu berücksichtigen, vgl. Cian / Trabucchi / Zaccaria, Art. 1455 Anm. IV. 433 Roppo, Il contratto, S. 962. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Regelung der Teilunmöglichkeit in Art. 1258 c.c.; hier gibt Art. 1464 c.c. dem Gläubiger ein Recht zum Rücktritt nur dann, wenn er kein Interesse an der Erfüllung hat. Zunächst steht ihm ein Recht zur Teilreduzierung der Gegenleistung zu (Art. 1464 c.c.), ansonsten hat er ein Recht zur Vertragsauflösung (risoluzione). Die Regelung weist starke Ähnlichkeiten mit § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB auf; siehe dazu bereits oben bei Fn. 404. 434 Dazu die Nachweise bei Mansel, AcP 204 (2004), 396, 440 ff.
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linie erfordert.435 Diese Einschätzung relativiert sich jedoch, wenn man berücksichtigt, dass das Gericht nach sec. 48E (3) und (4) Sale of Goods Act 1979 ermächtigt ist, von den Anträgen der Parteien abzuweichen, also etwa bei einem Antrag auf Vertragsauflösung lediglich Minderung zu gewähren. Diese gesetzliche Ermessensdelegierung könnte dazu führen, dass Gerichte auch im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs nach allgemeinen Grundsätzen vorgehen und bei Bagatellschäden den Antrag auf Vertragsauflösung zurückweisen. Davon abgesehen erscheint die Möglichkeit der richterlichen Abänderung der Wahl eines Rechtsbehelfs durch den Verbraucher jedenfalls dann eine deutliche Einschränkung von den ihm nach der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zustehenden Rechten, wenn die richterliche Abänderungsmöglichkeit immer nur zugunsten des Verbrauchers ausgeübt wird.436 Selbst dann, wenn man die Regelung in diesem Sinne richtlinienkonform auslegt, so wird das von der Richtlinie postulierte Wahlrecht doch eingeschränkt.437 bb) Allgemeines Schuldrecht In einer Rechtsordnung wie der englischen, die der Naturalerfüllung ohnehin nur Ausnahmecharakter zubilligt,438 hat die Möglichkeit der Vertragsauflösung eine deutlich weniger signifikante Rolle als etwa im deutschen oder italienischen Recht. Auch dabei kann die Ausübung des Rücktrittsrechts jedoch unverhältnismäßig sein. Allerdings findet hier keine Abwägung statt zwischen der Art und der Bedeutung der Vertragsverletzung und dem Interesse der Parteien an Aufrechterhaltung bzw. Auflösung der Vertragsbindung. Vielmehr kennt das englische Recht zwei verschiedene Kategorien von Vertragspflichten: die condition und die warranty. Erstere bezeichnet dabei vertragswesentliche Pflichten, insbesondere Hauptleistungspflichten, letztere die Nebenpflichten. Hat der Bruch einer Vertragsbedingung nur sehr geringfügige Auswirkungen, so wird diese Pflicht zumeist als warranty eingeordnet, nicht als condition.439 435 Dies ist jedoch nach Art. 8 Abs. 2 VGKRL unproblematisch. Vgl. dazu auch Mansel, AcP 204 (2004), 396, 447; Streer, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in England, S. 201. Ein etwas anderes Verständnis könnte sich hingegen bei einer systematischen Interpretation der sec. 48A ff. Sale of Goods Act 1979 ergeben. Sec. 48D (2)(a) Sale of Goods Act 1979 lautet: „The buyer acts under this subsection if – (a) in England and Wales or Northern Ireland he rejects the goods and terminates the contract for breach of condition.“ (Hervorhebung durch den Verf.) Die Bezugnahme auf die breach of condition scheint darauf hinzudeuten, dass eine Vertragsauflösung nur dann möglich ist, wenn eine wesentliche Vertragsverletzung erfolgt ist. Dazu sogleich im Text unter bb) (S. 248 f.). 436 Dazu auch Mansel, AcP 204 (2004), 396, 448 f. 437 Für Richtlinienwidrigkeit auch Streer, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in England, S. 207 ff. 438 Dazu bereits oben § 12 I. 4. c) (S. 214 ff.). 439 Hong Kong Fir Shipping Co. Ltd. v. Kawasaki Kisen Kaisha Ltd. [1962] 2 QB 26, 70, CA (Diplock LJ); Cehave NV v. Bremer Handelsgesellschaft mbH, The Hansa Nord [1975] 3
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Im Kern steht dahinter jedoch der Gedanke der Verhältnismäßigkeit: Eine nur unerhebliche Vertragsverletzung soll nicht zur Lösung der Bindung insgesamt berechtigen.440
3. Rechtsvereinheitlichungsmodelle a) Das Vorbild des CISG Es wurde bereits angesprochen, dass das UN-Kaufrecht die Vertragsauflösung nach Art. 25, 49 Abs. 1 CISG nur bei einer wesentlichen Vertragsverletzung zulässt. Eine solche ist dann gegeben, wenn dem Gläubiger im Wesentlichen das entgangen ist, was er nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen, wenn also das objektive Leistungsinteresse des Gläubigers am Leistungsaustausch wegen der Schwere der Pflichtverletzung entfallen ist.441 Das UN-Kaufrecht trägt mit dieser Regelung den Interessen des Handelsverkehrs Rechnung, einen Rücktritt nur in Ausnahmefällen überhaupt zuzulassen, da die damit verbundenen Kosten grundsätzlich volkswirtschaftlich unerwünscht sind.442 Liegt eine Vertragsverletzung vor, so hat der Gläubiger zunächst die anderen Gewährleistungsrechte geltend zu machen; erst dann, wenn die Vertragsverletzung erhebliche Ausmaße hat, kann er zur Aufhebung des Vertrags übergehen. Dies spiegelt sich auch in der Beweislastverteilung wider: Will der Käufer vom Vertrag zurücktreten, so trägt er nach den allgemeinen Regeln die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Vertragsverletzung wesentlich war.443 Darin liegt ein bedeutsamer Unterschied zum Konzept der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie:444 Dort steht das Recht zur Vertragsauflösung als grundsätzlich gleichberechtigter Rechtsbehelf neben der Minderung. Ist die Vertragsverletzung hingegen nur geringfügig, so ist der Verkäufer hierfür darlegungs- und beweispflichtig, wenn er die Vertragsaufhebung bekämpfen will.445 All ER 739, 747 f., CA (Lord Denning); siehe auch Giesen, JZ 1993, 16, 20; Krebs, Die Rückabwicklung im UN-Kaufrecht, S. 20 ff. 440 So auch Giesen, JZ 1993, 16, 20 (unter ausdrücklichem Hinweis auf ein principle of proportionality). 441 So Soergel / Lüderitz / Budzikiewicz, Art. 25 CISG Rn. 2; Soergel / Lüderitz / Schüßler-Langeheine, Art. 49 CISG Rn. 7; Krebs, Die Rückabwicklung im UN-Kaufrecht, S. 20 ff. Zu den Voraussetzungen im Einzelnen Schlechtriem / Schwenzer / Schlechtriem / Schroeter, Art. 25 CISG Rn. 7 ff. 442 Vgl. die Nachweise bei Krebs, Die Rückabwicklung im UN-Kaufrecht, S. 21. 443 BGHZ 132, 290, 298; Schlechtriem / Schwenzer / Müller-Chen, Art. 49 CISG Rn. 13; Staudinger / Magnus (2005), Art. 49 CISG Rn. 45 m.w.N. 444 Zur grundsätzlich gegebenen strukturellen Nähe von CISG und Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Grundmann, AcP 202 (2002), 46; Bonell, Am.J.Comp.L. 56 (2008), 1, 5 ff.; eingehend zum Einfluss des CISG auf die Gesetzgebung auf europäischer Ebene Schroeter, UNKaufrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 542 ff.; Troiano, IHR 2008, 221. 445 So für das deutsche Recht etwa MüKo-BGB / Ernst, § 323 Rn. 243; Soergel / Gsell, § 323 Rn. 217; Jauernig / Stadler, § 323 Rn. 20.
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Dieser Unterschied zeigt sich auch an der Regelung der Nacherfüllung, die jedenfalls für die Form der Ersatzlieferung von Art. 46 Abs. 2 CISG erst bei wesentlicher Vertragsverletzung gewährt wird. Dieser Vorrang der Nachbesserung ist der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie fremd. Daher geht eine Interpretation der Richtlinie fehl, die in Anlehnung an Art. 46 Abs. 2 CISG vorschlägt, die Ersatzlieferung nicht bei nur geringfügigen Mängeln zuzugestehen; diese Art der Nacherfüllung sei dann unverhältnismäßig.446 Es mag durchaus vorkommen, dass ein geringfügiger Mangel sehr einfach durch Reparatur, etwa Austausch einer defekten Sicherung, behoben werden kann. Eine Ersatzlieferung könnte dann wegen Unverhältnismäßigkeit verweigert werden. Genauso ist es aber denkbar, dass auch bei Bagatellschäden die Ersatzlieferung für den Verkäufer wesentlich einfacher ist als eine Reparatur. b) Die Ausgestaltung in PECL und DCFR Ähnlich dem UN-Kaufrecht und anders als die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie lassen die Principles eine Vertragsaufhebung nur bei einer wesentlichen Nichterfüllung zu, Art. 9:301 (1) i.V.m. Art. 8:103 PECL.447 Im Unterschied zum CISG bieten die Principles jedoch eine etwas genauere Definition dessen, was eine solche wesentliche Vertragsverletzung ausmacht. Dies betrifft zum ersten die Verletzung solcher Pflichten, bei denen jede Abweichung „den Kern des Vertrags berührt“,448 also etwa beim Fixgeschäft. Daneben liegt Wesentlichkeit vor, wenn durch die Vertragsverletzung der benachteiligten Partei dasjenige entgeht, weswegen sie den Vertrag geschlossen hat, sie also an der Leistungserbringung kein Interesse mehr hat. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die andere Partei diese Folge vernünftigerweise nicht vorausgesehen hat und auch nicht voraussehen konnte.449 Schließlich gilt als wesentliche Nichterfüllung auch ein vorsätzliches Verhalten des Schuldners, das dem Vertragspartner Anlass zu der Annahme gibt, dass er sich auf die zukünftige Leistung der anderen Partei nicht mehr verlassen kann. Darin kommt zum Ausdruck, wie stark der Grundsatz von Treu und Glauben in die Principles eingeflossen ist.450 Die Regelung lässt auch erkennen, welcher Stellenwert dem Grundsatz pacta sunt servanda nach den Principles zukommt. Die Auflösung des Vertrags soll wie im UN-Kaufrecht wegen der mit der Rückabwicklung verbundenen Umstände nur als letztes Mittel dienen, ein nicht mehr weiter durchzuführendes Vertragsverhältnis aufzulösen.451 Die im Vergleich zur Verbrauchsgüterkauf446
So aber Bianca, in: EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 3 Rn. 35. Funktionell vergleichbar ist Art. 7.3.1 UNIDROIT Principles. 448 So der Kommentar B zu Art. 8:103 PECL. 449 Damit dürfte insoweit eine Übereinstimmung mit der Definition der Wesentlichkeit in Art. 25 CISG vorliegen, vgl. dazu soeben oben unter a) (S. 249 f.). 450 Siehe dazu Art. 9:201 PECL sowie Kommentar A hierzu. 451 Vgl. dazu Kommentar A zu Art. 9:301 PECL. 447
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richtlinie höhere Schwelle für die Vertragsauflösung wird wiederum dadurch verständlich, dass der Anwendungsbereich der Principles nicht auf Verbraucherverträge beschränkt ist und die Schutzwürdigkeit des Gläubigers dadurch regelmäßig sinkt. Die Weiterentwicklung der Principles im DCFR hat die Voraussetzungen der Vertragsbeendigung wegen Nichterfüllung nur wenig verändert. Art. III.3:502 Abs. 1 DCFR sieht eine Vertragsauflösung ebenfalls nur bei wesentlicher Verletzung vor.452 Bei der Definition des Begriffs der Wesentlichkeit in Art. III.3:502 Abs. 2 DCFR findet die Verletzung fundamentaler Pflichten aus Art. 8:103 lit. a PECL keine Entsprechung; dafür wurde eine Klarstellung aufgenommen, dass sich Vertragsverletzungen auch auf Teilleistungen beziehen können.
III. Unzumutbarkeit und Kündigung von Dauerschuldverhältnissen Anders als die bislang im Vordergrund stehenden Vertragstypen sind die Dauerschuldverhältnisse nicht auf einen spontanen oder jedenfalls einmaligen Leistungsaustausch gerichtet,453 sondern beinhalten eine längerfristige Bindung beider Parteien.454 Damit sind oftmals erhebliche Vermögensdispositionen verbunden. Entscheidend ist für beide Parteien das Bestehen einer gewissen Sicherheit, dass sich der andere Teil nicht ohne weiteres von der Vertragsbindung lösen kann. Demgegenüber kann sich die Veränderung der Umstände nach Vertragsschluss besonders gravierend auswirken; die Vertragsbindung muss daher aufgehoben werden können. Um dem anderen Teil eine Vorwarnung zu geben, die ihm eine entsprechende Disposition ermöglicht, steht die reguläre Vertragsbeendigung grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Einhaltung einer Kündigungsfrist. Eine außerordentliche Vertragsbeendigung ist demgegenüber nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässig. Diesen wichtigen Grund umschreibt das Gesetz regelmäßig mit einer Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag.
452
Art. III.-3:502 Abs. 1 DCFR lautet: „A creditor may terminate if the debtor’s nonperformance of a contractual obligation is fundamental.“ 453 Auch bei so genannten Spontanaustauschverträgen können sich die Wirkungen der vertraglichen Bindung über einen längeren Zeitraum erstrecken. Dies zeigt sich etwa an Nacherfüllungspflichten im Kauf- und Werkvertragsrecht oder an der Statuierung von nachvertraglichen Treuepflichten. Die Grenzen zu „echten“ Dauerschuldverhältnissen verwischen zusehends. Vgl. am Beispiel des Kaufvertrags monographisch Kitz, Die Dauerschuld im Kauf. 454 Zur dogmatischen Einordnung des Dauerschuldverhältnisses Oetker, Das Dauerschuldverhältnis, S. 66 ff.
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1. Unzumutbarkeit der weiteren Durchführung des Vertrags Funktional entspricht die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses dem Rücktritt bei Austauschverträgen: Beide Gestaltungsrechte dienen der Beendigung der vertraglichen Rechtsbeziehung. Während der Rücktritt an die Pflichtverletzung des anderen Teils anknüpft, und hier in §§ 323 Abs. 5 Satz 2, 281 Abs. 1 Satz 3 BGB lediglich eine Geringfügigkeitsschwelle einführt, basiert die Lösung vom Dauerschuldverhältnis auf dem Gedanken der Unzumutbarkeit der weiteren Vertragsdurchführung. Dieses Konzept regelt insbesondere die Lösung vom Dienstvertrag (§ 626 BGB455), vom Mietvertrag (§ 543 Abs. 1 und § 569 Abs. 2 BGB) und vom Handelsvertretervertrag (§ 89a Abs. 1 HGB).456 Die Rechtsprechung sah hierin einen allgemeinen Rechtsgedanken, der über § 242 BGB auf weitere Vertragstypen ausgedehnt wurde.457 Im Rahmen der Schuldrechtsreform wurde diese Rechtsprechung in § 314 BGB mit Geltung für alle Dauerschuldverhältnisse kodifiziert. Der Begriff der Zumutbarkeit wurde bereits im Rahmen des § 275 Abs. 3 BGB erläutert; der Gesetzgeber verwendet ihn daneben insbesondere auch in § 313 BGB. Wann ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar ist, lässt sich abstrakt nicht bestimmen; hier kommt es auf eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles an.458
2. Abwägung aller Umstände des Einzelfalles Dieses Erfordernis der Abwägung bringt § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB zum Ausdruck: „Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.“459 Zentral für die Interessenabwägung ist das konkrete Vertragsverhältnis und die darin vorgenommene Risikoverteilung.460 Liegt der wichtige Grund – wie häufig – in einer Pflichtverletzung des anderen Teils, der auf das im Dauerschuldvertrag angelegte gegenseitige Vertrauensverhältnis durchschlägt, 455
Dazu etwa Wollschläger, Unzumutbarkeit als Rechtsgedanke, S. 117 ff. Zu nennen ist weiterhin das Kündigungsrecht des Kreditinstituts nach § 676b Abs. 3 Satz 4 BGB. 457 Vgl. etwa BGHZ 41, 104, 108; BGHZ 133, 316, 319. Siehe dazu auch Bornhagen, Die Zumutbarkeit als Rechtsgedanke im Arbeitsrecht, S. 51 ff.; Wollschläger, Unzumutbarkeit als Rechtsgedanke, S. 62 ff. 458 Näher zur Abgrenzung von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit unten § 18 III. 2. (S. 339 ff.). 459 Hervorhebung vom Verf. 460 Vgl. BGHZ 24, 91, 95. Eine typisierte Strukturierung des Abwägungsvorgangs enthält etwa für den Darlehensvertrag § 490 Abs. 1 BGB, der eine Kündigung des Darlehensgebers nur bei wesentlicher Vermögensverschlechterung zulässt, den wichtigen Grund insoweit auf diesen Aspekt reduziert. 456
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so kann bereits dieser Umstand eine Kündigung rechtfertigen, jedoch, wie sich aus § 314 Abs. 2 BGB ergibt, nur nach vorhergehender Abmahnung. Das Verschulden des einen oder des anderen Teils an der Störung ist ebenfalls zu berücksichtigen, insoweit besteht eine Parallele zu § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB. Eigenes Verschulden des Kündigenden schließt das Kündigungsrecht erst dann aus, wenn er die Störung weit überwiegend zu vertreten hat, dies ergibt die insoweit aus dem Rücktrittsrecht übertragbare Wertung des § 323 Abs. 6 BGB.461 Die Vertragsdurchführung kann nach der Rechtsprechung auch dann unzumutbar werden, wenn der Vertragszweck nurmehr mit unverhältnismäßigem wirtschaftlichem Aufwand erreicht werden kann.462 Hier überschneidet sich das Konzept der Unzumutbarkeit mit dem der Unverhältnismäßigkeit, wie es insbesondere § 275 Abs. 2 BGB zugrunde liegt: Immer dann, wenn bei einem auf einmaligen Leistungsaustausch gerichteten Schuldverhältnis die Voraussetzungen der allgemeinen Einrede der Unverhältnismäßigkeit vorliegen, wäre auch die Fortsetzung eines Dauerschuldverhältnisses unzumutbar.
IV. Zusammenfassung Die Einführung einer Bagatellgrenze für die Lösung vom Vertrag, die insbesondere Art. 3 Abs. 6 VGKRL festschreibt, entspricht der in allen untersuchten Rechtsordnungen vorhandenen starken Betonung der Vertragsbindung. Eine nur geringfügige Pflichtverletzung rechtfertigt zwar eine Reaktion des Gläubigers, etwa das Nacherfüllungsverlangen, die Minderung oder auch den Schadensersatz, nicht aber die weitreichende Konsequenz, die der Rücktritt hat.463 Bei funktionaler Betrachtung ist es unerheblich, ob die Bagetellgrenze dabei negativ ausgedrückt wird, der Rücktritt also nur bei Geringfügigkeit der Pflichtverletzung ausgeschlossen ist, oder ob positiv feststehen muss, dass es sich um eine wesentliche Pflichtverletzung handelt. Das erste Modell findet sich in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und den jeweiligen Umsetzungsnormen, gehört aber auch zum Kernbestand der allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen in BGB, Codice civile und auch im englischen Recht. Das zweite Modell wird insbesondere vom CISG repräsentiert, dem folgen PECL und auch DCFR. Dennoch drückt sich in der unterschiedlichen Formulierung die jeweilige Schwelle aus, die es zu überwinden gilt: Während das Geringfügigkeitsmodell 461 Vgl. BGHZ 44, 271, 275; AnwK-BGB / Krebs, § 314 Rn. 21. Zu weit dürfte es angesichts dieser Wertung gehen, wenn man wie BGHZ 41, 104, 109 auf die allgemeine Missbrauchsgrenze der §§ 226, 826 BGB abstellt. 462 Vgl. BGHZ 41, 104, 108 (Kündigung eines Schiedsvertrags, weil die Parteien die erforderlichen Kostenvorschüsse nicht mehr aufbringen können). 463 Nach Grundmann, in: Einführung in das italienische Recht, S. 221 verkörpert die Geringfügigkeitsschwelle in Art. 3 Abs. 6 VGKRL ein europaweit einheitliches Modell.
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signalisiert, dass ein Rücktritt die Regel ist, dessen Ausschluss aber die nur in Extremfällen eingreifende Ausnahme,464 so dient die Wesentlichkeitsschwelle von vornherein der Kennzeichnung des Rücktritts als begründungsbedürftiger Ausnahme vom Regelfall der Vertragsbindung: Während im ersten Fall zu fragen ist, ob das Leistungsinteresse des Gläubigers soweit befriedigt wurde, dass es ihm zugemutet werden kann, ausnahmsweise auf das Rücktrittsrecht zu verzichten, hat der Gläubiger im zweiten darzulegen, dass ihm im Wesentlichen dasjenige entgangen ist, was er nach dem Vertrag erwarten durfte. Beiden Konzepten aber ist gemeinsam – das zeigt auch die Parallele zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund –, dass die Frage der Geringfügigkeit bzw. der Wesentlichkeit nur durch eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen gelöst werden kann.
§ 14. Vertragsanpassung bei Eintritt unvorhergesehener Umstände Eine Vertragsordnung, die den Grundsatz der Vertragsbindung (pacta sunt servanda) anerkennt, entbindet den Schuldner grundsätzlich nicht von seiner vertraglichen Pflicht, wenn sich die Erbringung der Leistung aufwendiger gestaltet als bei Vertragsschluss angenommen.465 Es liegt im Risikobereich der Vertragspartner abzuschätzen, ob die gegenseitig versprochenen Leistungen auch zum Zeitpunkt der Erfüllung äquivalent sein werden. Mit zunehmender Vertragsdauer wird dieses Risiko unkalkulierbarer; die Rechtsordnung stellt daher gerade für Dauerschuldverhältnisse besondere Mechanismen bereit, die vertragliche Bindung durch Kündigung zu lösen. Das Problem der Veränderung des Vertragsgleichgewichts durch äußere Umstände ist jedoch nicht auf Dauerschuldverhältnisse beschränkt; es ist bereits virulent, wenn der Vertrag nicht auf einen sofortigen Austausch der versprochenen Leistungen gerichtet ist. Im deutschen Recht wurde zur angemessenen Verteilung des Risikos der Veränderung vertragswesentlicher äußerer Umstände das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage entwickelt.
I. Die Störung der Geschäftsgrundlage Das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage schützt die Parteien vor der Verwirklichung solcher Risiken, die bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar waren, sofern ihnen diese nach der Struktur des Vertrags nicht zugewiesen sind. 464 465
Vgl. in diesem Sinne OLG Düsseldorf ZGS 2007, 157. Daran erinnern ausdrücklich Art. 6:111 Abs. 1 PECL und Art. III.-1:110 Abs. 1 DCFR.
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Auf diese Weise wird ein Ausgleich geschaffen zwischen den legitimen Interessen des einen Teils am Bestand des Vertrags und dessen Erfüllung und denen des anderen Teils an der Reduzierung oder Aufhebung der unzumutbar gewordenen Belastung, die die Erfüllung für ihn darstellen würde.466 Mit § 275 Abs. 2 BGB hat das Institut der Geschäftsgrundlagenstörung neben der historischen Wurzel467 gemeinsam, dass einer Partei – auch im Rahmen des § 313 BGB wird es zumeist der Sachleistungsschuldner sein468 – die vertraglich geschuldete Leistung (untechnisch gesprochen) nicht mehr zugemutet werden kann, weil sie für sie übermäßig belastend ist. Gleichwohl bestehen tatbestandliche Unterschiede: § 275 Abs. 2 BGB erfordert für die Befreiung des Schuldners einen Aufwand, der in grobem Missverhältnis zum Interesse des Gläubigers an der Leistung steht. Im Gegensatz dazu spielt das Leistungsinteresse des anderen Teils nach dem Wortlaut des § 313 BGB keine Rolle.469 Dennoch trägt auch § 313 BGB Elemente der Verhältnismäßigkeit im vertraglichen Austausch in sich: Betrachtet man die praktisch vielleicht bedeutendste Fallgruppe der herkömmlich dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zugeordneten Störungen, diejenige der Äquivalenzstörungen,470 so wird deutlich, dass die Befreiung des Schuldners von der geschuldeten Leistung nur dann erfolgen kann, wenn das ursprünglich bestehende (subjektive) Gleichgewicht zur Gegenleistung nicht mehr besteht, weil die Leistung unverhältnismäßig viel aufwendiger ist als bei Vertragsschluss angenommen. Nach dem Wortlaut des § 313 BGB ist eine übermäßige Belastung des Schuldners nicht erforderlich: Es müssen lediglich nach Vertragsschluss schwerwiegende Änderungen der Geschäftsgrundlage eingetreten sein; diese müssen aber – und insoweit ist eine wertende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen – das Festhalten am ursprünglichen Vertrag „zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbaren Ergebnis“ werden lassen und dürfen „für die betroffene Partei deshalb unzumutbar“ sein.471
466
Vgl. etwa Palandt / Grüneberg, § 313 Rn. 1. Dazu sogleich unten 2. (S. 257 ff.). 468 Sieht man einmal von der Fallgruppe der inflationsbedingten Geldentwertung ab, dazu die Übersicht bei Palandt / Grüneberg, § 313 Rn. 25 ff. 469 Zur Abgrenzung der beiden Normen voneinander unten II. 2. (S . 260 ff.). 470 Der Begriff der Äquivalenzstörung geht wohl auf Larenz (Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 59, 78 ff.) zurück. Zur Begrifflichkeit etwa Härle, Die Äquivalenzstörung, S. 7 ff. 471 BGHZ 121, 378, 393; BGHZ 124, 1, 8; BGH NJW 1995, 47, 48. 467
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1. Ausprägung des (subjektiven) Äquivalenzprinzips Das Äquivalenzprinzip ist wie bereits gesehen einer der fundamentalen Grundsätze unserer Rechtsordnung.472 Diese erkennt die von den Parteien vereinbarte Leistung ausschließlich aufgrund der privatautonomen parteilichen Vereinbarung als gleichwertig zur Gegenleistung an; hierdurch bringen beide Parteien zum Ausdruck, dass ihr die jeweilige Leistung des Vertragspartners die Erbringung der eigenen Leistung „wert“ ist.473 In den Worten des BGH: „Das Abhängigkeitsverhältnis [von Leistung und Gegenleistung ist] dadurch gekennzeichnet […], daß jeder Vertragspartner seine Leistung um der anderen willen verspricht und davon ausgeht, daß die Leistung des anderen der seinen (mindestens) gleichwertig ist […].“474
Die Rechtsordnung respektiert aber nicht nur die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sie nimmt diese auch zum Maßstab für spätere Veränderungen im Vertragsgleichgewicht. Auf diese Weise besteht in der durch die Parteivereinbarung ausgedrückten „Richtigkeitsgewähr“475 ein individueller Maßstab der Vertragsgerechtigkeit für jedes einzelne Vertragsverhältnis.476 Dieser drückt sich etwa im Leistungsstörungsrecht in verschiedenen Regelungen aus, am deutlichsten wohl in der kauf- und werkvertragsrechtlichen Minderung nach § 441 Abs. 3 bzw. § 638 Abs. 3 BGB: Hier wird der Kaufpreis in einem Proportionalverfahren in dem Verhältnis herabgesetzt, in dem der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand zum wirklichen Wert stehen würde.477 Auch das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage beruht in seinem Kern auf Störungen des Äquivalenzprinzips, denn ein Abweichen vom Grund472
Siehe oben § 2 II. (S. 7 ff.). Vgl. nur Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 6. 474 BGHZ 77, 359, 363. 475 Zur Ambivalenz des Begriffs bereits oben § 2 II. (S. 7 ff.). 476 Vgl. BGH NJW 1962, 250, 251: „Beim gegenseitigen Vertrag sind regelmäßig die Vorstellungen der Vertragsparteien über eine grundsätzliche Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung Geschäftsgrundlage.“ Gleichwohl gibt es Urteile, in denen die Vorstellungen der Parteien durch objektivierte Betrachtungen des Äquivalenzverhältnisses ersetzt werden, vgl. die extreme Entscheidung OLG Bremen NJW 1963, 1455 (Berichtigung eines vereinbarten Preises über das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft und § 242 BGB unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen beiderseitigen Irrtums); dazu kritisch Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 49. Allgemein zur Tendenz, subjektive durch objektive Äquivalenzbetrachtungen zu ersetzen Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher, S. 19; ders., Privatrechtsgeschichte, S. 520, 541; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 283 Fn. 24. 477 Weitere Beispiele für die Äquivalenzwahrung finden sich in § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB für den Wertersatz beim Rücktritt oder in § 284 BGB für den Aufwendungsersatz. Zur auf dem Äquivalenzprinzip beruhenden Rentabilitätsvermutung nach altem Recht RGZ 127, 245, 249; BGHZ 114, 193, 197. Ausführlich zum Problemkreis Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 12 ff., 26 ff. 473
§ 14. Vertragsanpassung bei Eintritt unvorhergesehener Umstände
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satz der Vertragsbindung erfordert eine fundamentale Erschütterung der Vermutung der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung. Gleichwohl ist die Geschäftsgrundlagenstörung in Tatbestand und Rechtsfolge ungleich flexibler als andere Ausprägungen der Äquivalenzwahrung: Hier kommt kein Proportionalverfahren zur Anwendung wie etwa bei der Minderung, sondern eine Anpassung des Vertrags nach den Umständen des Einzelfalles, nur in Ausnahmefällen kann die vertragliche Bindung ganz gelöst werden. § 313 BGB kann damit als Grenze einer rechtsgeschäftlich begründeten Leistungspflicht verstanden werden.
2. Historische Entwicklung Die historischen Wurzeln der Lehre von der Geschäftsgrundlage liegen in der gemeinrechtlichen Idee einer allgemeinen clausula rebus sic stantibus.478 Diese verhalf einer Partei zur Lösung von der Bindung an ein Versprechen bei veränderten Umständen und hatte ihren Ursprung wohl bei Thomas von Aquin.479 Die clausula-Lehre wurde im Spätmittelalter immer weiter ausgedehnt und erfasste schließlich jede vertragliche Abrede, so dass sich etwa Grotius oder Pufendorf wiederum für eine Stärkung der Vertragsbindung aussprachen.480 Im 19. Jahrhundert war es Windscheid, der die clausula rebus sic stantibus in Form der Lehre von der Voraussetzung wieder aufbrachte.481 Die Voraussetzung war nach Windscheid eine implizite Einschränkung des rechtsgeschäftlichen Willens, dass dieser nur für das Vorhandensein oder Fortbestehen bestimmter Umstände gelten solle. Als Voraussetzung sah Windscheid dabei solche Umstände an, die einer Bedingung im technischen Sinne nahe kommen, aber vom Erklärenden für so selbstverständlich gehalten werden, dass sie nicht ausdrücklich als solche formuliert werden. Die Voraussetzung steht damit zwischen dem rechtlich unbeachtlichen Motiv und der echten Bedingung.482
478 Dazu Luig, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, S. 171; Köbler, Die clausula rebus sic stantibus als allgemeiner Rechtsgrundsatz, S. 23 ff.; Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 9 ff.; Andrés Santos, in: Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 93, 106 ff.; vgl. auch BGHZ 61, 153, 159 ff. 479 Thomas von Aquin, Summa Theologiae, Secunda Secundae, Quaestio CX, Art. III, Ad Quintum: „Alio modo, si sint mutatae conditiones personarum et negotiorum. Ut enim Seneca dicit, in libro de Benefic., ad hoc quod homo teneatur facere quod promisit, requiritur quod omnia immutata permaneant, alioquin nec fuit mendax in promittendo, quia promisit quod habebat in mente, subintellectis debitis conditionibus; nec etiam est infidelis non implendo quod promisit, quia eaedem conditiones non extant.“ Vgl. die kurze historische Aufarbeitung bei Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag, S. 139 ff. 480 Dazu eingehend Weller, Vertragstreue, S. 74 ff. 481 Windscheid, Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung, insb. S. 80 ff.; siehe auch dens., AcP 78 (1892), 161. 482 Windscheid, AcP 78 (1892), 161, 166 f.
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Windscheids Lehre konnte sich allerdings nicht entscheidend durchsetzen; es war vor allem Lenel, der an der Lehre von der Voraussetzung kritisierte, sie sei zu weit und könne nicht von einem allgemeinen Motiv abgegrenzt werden; ein Zwischending zwischen Motiv und Bedingung könne es nicht geben.483 Die Redaktoren des BGB sahen daher davon ab, eine allgemeine Bestimmung für das Schicksal von Verträgen bei veränderten Umständen aufzunehmen, weil „diese Lehre die Sicherheit des Verkehrs gefährde und deshalb als Grundlage für das Gesetzbuch sich nicht eigne“.484 Lediglich in einzelnen Vorschriften des BGB kam zum Ausdruck, dass das Festhalten am Vertrag in Einzelfällen unzumutbar erscheint, so in den §§ 321, 519, 528, 530, 610, 626, 723, 775 BGB.485 Das Reichsgericht entschied, dass die Clausula-Lehre kein allgemeines Rechtsprinzip des BGB darstelle.486 Unter dem Eindruck der kriegs- und später inflationsbedingten Verwerfungen griff das Reichsgericht im Anschluss an frühere Entscheidungen zunächst auf das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit zurück, um als unangemessen angesehene vertragliche Bindungen zu lösen und fasste diese unter den Begriff der wirtschaftlichen Unmöglichkeit, hier in den Fallgruppen der Änderung des Leistungsinhalts und dem allgemeineren Begriff der Unzumutbarkeit.487 Rasch bediente sich das Reichsgericht dann aber der von Oertmann entwickelten Lehre von der Geschäftsgrundlage, die ihrerseits wiederum auf Windscheids Lehre von der Voraussetzung beruht.488 Windscheid, Oertmanns Schwiegervater, hatte mit seinem bekannten Wort also Recht behalten, wenn er sagte: „Es ist meine feste Überzeugung, daß die stillschweigend erklärte Voraussetzung, was man auch gegen sie einwenden mag, sich immer wieder geltend machen wird. Zur Thüre hinausgeworfen, kommt sie zum Fenster wieder herein.“489 Der Sache nach änderte das Reichsgericht seine Rechtsprechung nicht, stützte sich aber nun nicht mehr auf den Begriff der wirtschaftlichen Unmöglichkeit, sondern auf das neue Institut der Geschäftsgrundlage.490 Die von 483
Lenel, AcP 74 (1889), 213; ders., AcP 79 (1892), 49. Vgl. Motive II, S. 199, 843. 485 Weitere Nachweise zum aktuellen BGB bei AnwK-BGB / Krebs, § 313 Rn. 9; Jauernig / Stadler, § 313 Rn. 7; PWW / Medicus, § 313 Rn. 4. Zur Herabsetzung der Vorstandsvergütung nach § 87 Abs. 2 AktG als Sonderfall der Geschäftsgrundlagenstörung Weller, NZG 2010, 7, 8. 486 RGZ 50, 255, 257. 487 Vgl. etwa RGZ 57, 116, 118 f.; RGZ 94, 45, 47; RGZ 102, 272, 273 f. (Überschreiten der „Opfergrenze“); dazu näher Kegel / Rupp / Zweigert, Die Einwirkung des Krieges auf Verträge, S. 51 f., 71 ff.; zusammenfassend Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag, S. 150 ff. 488 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage. Ein neuer Rechtsbegriff. Siehe dazu etwa Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 5 ff. 489 Windscheid, AcP 78 (1892), 161, 197. 490 Seit RGZ 103, 328 (Vigognespinnerei-Entscheidung); vgl. die Darstellung bei Kegel, 484
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Oertmann gelieferte Definition der Geschäftsgrundlage hat sich allgemein durchgesetzt: „Die Geschäftsgrundlage ist die beim Geschäftsschluß zutage tretende und vom etwaigen Gegner in ihrer Bedeutsamkeit erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die gemeinsame Vorstellung der mehreren Beteiligten vom Sein oder vom Eintritt gewisser Umstände, auf deren Grundlage der Geschäftswille sich aufbaut.“491
Die Kodifikation der bisher von der Rechtsprechung auf § 242 BGB gestützten Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB sollte nichts an deren Inhalt ändern.492 Es bleibt also weiterhin Rechtsprechung und Lehre überlassen, den weit gefassten Tatbestand des § 313 BGB zu präzisieren und zu konkretisieren.
II. Anwendungsbereich und Abgrenzung zu § 275 Abs. 2 BGB 1. Anwendungsbereich § 313 BGB gilt für sämtliche schuldrechtliche Verträge, sofern nicht Spezialregelungen vorgehen. Sieht man sowohl § 275 Abs. 2 BGB als auch § 313 BGB als Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten und berücksichtigt man, dass beide Normen enge historische Beziehungen zur (wirtschaftlichen) Unmöglichkeit haben, so stellt sich die angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen auch praktisch bedeutsame Frage der Abgrenzung des Anwendungsbereichs beider Normen.493 Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag, S. 157 ff. Zur Entscheidung des RG auch Eidenmüller, Jura 2001, 824. 491 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 37. Diese so genannte subjektive Formel wird auch von der Rechtsprechung des BGH häufig verwendet, vgl. etwa aus jüngerer Zeit BGH NJW-RR 2006, 1037, 1038 m.w.N. Zur Kritik an der Unbestimmtheit dieser Formel Littbarski, JZ 1981, 8, 10. Demgegenüber hat vor allem Larenz einen objektiven Begriff der Geschäftsgrundlage vorgeschlagen, vgl. Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 52 ff.; ders., Schuldrecht I, § 21 II. Die Rechtsprechung hat sich häufig auch auf diesen objektiven Geschäftsgrundlagenbegriff bezogen – ohne dabei aber inhaltlich entscheidend von der subjektiven Formel Oertmanns abzurücken, vgl. etwa BGHZ 131, 209, 216 f. 492 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs in BT-Drucks. 14/6040, S. 93, 175; dazu auch Heinrichs, in: FS Heldrich, S. 183, 189 ff. 493 Die Abgrenzung ist im Einzelnen sehr str. (exemplarisch Zimmer, NJW 2002, 1, 11 f.: Das Verhältnis der beiden Normen sei ein „Rätsel“); klare Kriterien haben sich noch nicht herausgebildet. Vgl. näher zu den verschiedenen Ansichten Schmidt-Recla, in: FS Laufs, S. 641, 659 ff.; Looschelders, in: Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 63, 74 ff. sowie M. Stürner, Jura 2010, 721. Zum vergleichbaren Regelungsziel beider Konzepte, nämlich der „fairen“ Risikoverteilung auf beide Vertragsparteien Gordley, Foundations of Private Law, S. 336 ff.
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2. Abgrenzung a) Unterschiedliche tatbestandliche Voraussetzungen Ansatzpunkt für eine Abgrenzung beider Normen muss zunächst deren Tatbestand sein. Erst dann, wenn auf dieser Ebene eine Überschneidung der Anwendungsbereiche gegeben ist, wird die Konkurrenzfrage relevant.494 Wenn vielfach vorrangig nur auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen abgestellt wird, so geschieht dies mit dem Hinweis, dass die weite Formulierung der Tatbestände von §§ 275 Abs. 2, 313 BGB keine Abgrenzung zuließen.495 Aber auch bei Generalklauseln ist der Rechtsanwender nicht von der tatbestandlichen Präzisierung der Norm entbunden; die Anwendung einer Norm von der Rechtsfolge her birgt die Gefahr reiner Billigkeitsentscheidungen.496 b) Unterschiedliche Funktion beider Normen Sowohl § 275 Abs. 2 BGB als auch die nun in § 313 BGB kodifizierte Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage haben ihre Wurzel in § 242 BGB und damit im Billigkeitsrecht.497 Dennoch knüpfen beide an unterschiedliche Störungen des vertraglichen Austauschverhältnisses an. § 275 Abs. 2 BGB hat einen eigenen rechtstheoretischen Geltungsgrund, der über die § 275 Abs. 1 BGB zugrunde liegende Parömie impossibilium nulla est obligatio hinausgeht: Die Entlastung des Schuldners von der Leistungspflicht ist jenseits einer „echten“ d.h. physischen Unmöglichkeit nur normativ zu begründen. Die systematische Nähe zu § 275 Abs. 1 BGB zeigt jedoch, dass § 275 Abs. 2 BGB eine Gefahrtragungsregel enthält,498 die das Risiko der Verwirklichung vertragsbezogener Störungen regelt: Es werden nur Störungen erfasst, die sich auf die Leistung nach dem Inhalt des Vertrags beziehen. Die Norm gilt aber ausweislich ihrer systematischen Stellung für alle (schuldrechtlichen) Leistungspflichten, also insbesondere auch für solche, die nicht im Synallagma stehen.499 Davon zu unterscheiden ist der Regelungsbereich der Störungen der Geschäftsgrundlage, die nur synallagmatische Verpflichtungen betreffen: Bereits aus dem Wortlaut des § 313 BGB wird deutlich, dass hier eine Regelung für die 494 Beispielhaft Köndgen, in: FS Schäfer, S. 275, 278, der eine „problematische Überlappung“ beider Tatbestände insofern sieht, als jede nicht vorhersehbare Leistungserschwerung auch als schwerwiegende Umstandsänderung im Sinne des § 313 BGB anzusehen sei. 495 Medicus, in: Das neue Schuldrecht, § 3 Rn. 51 f.; Erman / Westermann, § 275 Rn. 21 ff.; A. Schlüter, ZGS 2003, 346, 350. 496 Kritisch insoweit auch Schmidt-Recla, in: FS Laufs, S. 641, 660. 497 Zur Entwicklung eingehend HKK / Schermaier, § 275 Rn. 42, 62 ff. 498 Dazu (und zum Zusammenhang mit der Konkretisierung in § 243 Abs. 2 BGB) Canaris, JuS 2007, 793, 794. 499 Vgl. nur Palandt / Grüneberg, § 275 Rn. 3, 26; siehe auch BAG NZA 2005, 118, 122 (Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB auf einen Auskunftsanspruch).
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Verteilung anderer Risiken getroffen wird, nämlich solcher, die gerade nicht im Vertrag selbst begründet liegen.500 Dies ergibt sich aus dem Begriff der Geschäftsgrundlage: Diejenigen Umstände, die als Geschäftsgrundlage bezeichnet werden, sind nicht Vertragsbestandteil geworden.501 Sie bezeichnen nicht die vertraglich vereinbarten Modalitäten des Leistungsaustausches, sondern lediglich dessen Rahmenbedingungen, auf deren Existenz (§ 313 Abs. 2 BGB) oder Fortbestehen (§ 313 Abs. 1 BGB) sich eine Partei verlassen hat und auch verlassen durfte. Folgerichtig regelt das Gesetz die Konsequenzen der beiden Störungen auf unterschiedliche Weise: Während bei der Einrede aus § 275 Abs. 2 BGB nur der Primäranspruch blockiert ist, den Schuldner aber möglicherweise bei Vertretenmüssen des Leistungshindernisses eine Schadensersatzpflicht aus §§ 275 Abs. 4, 280 ff. BGB trifft, entfällt bei Störungen der Geschäftsgrundlage die ursprüngliche Leistungspflicht insgesamt; der Vertrag wird entweder angepasst oder, falls die modifizierte Leistungspflicht unzumutbar ist, entsteht ein Rücktrittsrecht. Schadensersatzpflichten folgen nicht aus der Störung der Geschäftsgrundlage. Entscheidend ist daher, ob das Leistungshindernis dem vertraglichen Risikobereich zuzuordnen ist oder demjenigen der Geschäftsgrundlage.502 Ein Wahlrecht des Schuldners zwischen dem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB und einer Vertragsanpassung nach § 313 BGB, wie es teilweise vertreten wird,503 ist mit der tatbestandlichen Struktur beider Normen unvereinbar und damit abzulehnen.504
500 Ebenso für eine Begründung des Instituts der Geschäftsgrundlage mit Risikoerwägungen Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, S. 31 ff.; Medicus, in: FS Flume I, S. 629, 630 ff.; Flume, Rechtsgeschäft, § 26, 3 (S. 501); Köhler, in: FS BGH, S. 296, 300 ff. sowie Jauernig / Stadler, § 313 Rn. 20 ff. 501 Dazu Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, passim; Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, S. 132 ff. 502 Unterscheidung bereits angelegt bei Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, S. 34 f.; Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, S. 100 ff. sowie bei Medicus, in: FS Flume I, S. 629, 630 ff.; ähnlicher Ansatz auch bei Emmerich, Leistungsstörungen, § 3 Rn. 54 ff., § 27 Rn. 27 ff. 503 Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 115; MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 23 f.; Palandt / Grüneberg, § 275 Rn. 29; Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 79; Dedek, in: Praxis der Schuldrechtsreform, § 275 Rn. 29; Schwarze, Jura 2002, 73, 78; Emmerich, Leistungsstörungen, § 3 Rn. 68, § 27 Rn. 40; zustimmend Löhnig, ZGS 2005, 459, 460 mit Fn. 13; C. Hirsch, Jura 2007, 81, 85. 504 Ablehnend auch A. Schlüter, ZGS 2003, 346, 349 f.; Mückl, Jura 2005, 809, 811.
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c) Abgrenzung nach vertraglicher Risikostruktur Eine Abgrenzung beider Institute muss damit anhand der vertraglichen Risikostruktur, das heißt aus dem Schuldverhältnis selbst heraus erfolgen.505 Die Rechtsinstitute regeln die Verteilung von verschiedenen Risiken auf die Parteien: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage betrifft außerhalb des konkreten Vertrags und der darin enthaltenen Risikoverteilung liegende Risiken, § 275 Abs. 2 BGB solche Risiken, die innerhalb des Vertrags liegen.506 Zur Ermittlung der vertraglichen Risikostruktur ist daher zunächst der Vertrag auszulegen, ergänzend auch das dispositive Gesetzesrecht heranzuziehen. 507 Das Institut der Geschäftsgrundlage erweist sich damit als Mittel zur Ausfüllung einer vertraglichen Lücke in der Risikoverteilung. 508 Als vertragliche Risiken können sich nur solche erweisen, die die Parteien bei Vertragsschluss objektiv vorhersehen konnten.509 Ergibt sich aus dem Vertrag, dass der Schuldner für gewisse Leistungshindernisse einstehen will, dann ist nur Raum für eine Entlastung des Schuldners nach § 275 Abs. 2 BGB, nicht aber nach § 313 BGB.510 Eine Kombination beider Befreiungstatbestände dergestalt, dass sich der 505
So im Grundsatz auch die Rechtsprechung des BGH, vgl. BGH NJW 1992, 2690, 2691; BGH NJW 2006, 899. Weitere Nachweise bei Köhler, in: FS BGH, S. 295, 300; Palandt / Grüneberg, § 313 Rn. 19. Zur Einordnung der herkömmlich problematisierten Fallgruppen (Zweckstörungen, Leistungserschwerungen und Äquivalenzstörungen) mit Beispielen näher M. Stürner, Jura 2010, 721. 506 Beifallswürdig sind daher auch diejenige Literaturmeinungen, die kein irgendwie geartetes Rangverhältnis zwischen beiden Normen sehen, vgl. dezidiert U. Huber, in: FS Schlechtriem, S. 521, 558 Fn. 97; Canaris, JZ 2001, 499, 501 f., 505; S. Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 5, 135 f.; Meier, Jura 2002, 118, 120 f.; wohl auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 281 f. sowie Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 185 ff. (die sich dann aber gleichwohl für eine „graduelle Unterscheidung“ zwischen beiden Tatbeständen ausspricht). 507 BGHZ 74, 370, 373 (Bauerwartungsland) formuliert dies so: „Die Aufteilung der vertraglichen Risikosphären (mit der Folge, daß für eine Berücksichtigung des Fortfalls der Geschäftsgrundlage kein Raum bleibt) kann sich aus der vertragstypischen Regelung durch das (dispositive) Gesetzesrecht und dem darin zum Ausdruck kommenden Beurteilungsmaßstab ergeben; sie kann aber auch ausdrücklich[en] oder stillschweigenden Absprachen der Parteien im Wege der (notfalls ergänzenden) Auslegung zu entnehmen sein.“ Siehe auch Ulmer, AcP 174 (1974), 167, 182. 508 So Ulmer, AcP 174 (1974), 167, 184. 509 Ulmer, AcP 174 (1974), 167, 185; AnwK-BGB / Krebs, § 313 Rn. 44 ff. 510 Vorsicht ist allerdings geboten, damit durch eine (ergänzende) Auslegung nicht eine vom dispositiven Recht völlig abweichende Risikoverteilung in den Vertrag hineininterpretiert wird. Darin liegt die Gefahr des „Korrekturansatzes“ von Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 238 ff.; Picker, JZ 2003, 1035, 1048; ähnlich auch Bernhard, Jura 2006, 801, 806 ff. Das dispositive Gesetzesrecht geht grundsätzlich der ergänzenden Vertragsauslegung vor. Denn es ist gerade die Funktion des dispositiven Rechts, Lücken in der vertraglichen Vereinbarung aufzufüllen. Erst dann, wenn das dispositive Recht keine Regelung enthält, muss der hypothetische Parteiwille nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelt werden, vgl. BGH NZM 2008, 462, 463 n.w.N.; Palandt / Ellenberger, § 157 Rn. 4 m.w.N.; AnwK-BGB / Looschelders, § 157 Rn. 8; PWW / Brinkmann, § 157 Rn. 21.
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Schuldner zunächst auf die übermäßige Leistungserschwerung nach § 275 Abs. 2 BGB berufen kann, der Wegfall der Leistungspflicht dann aber als Störung der Geschäftsgrundlage bewertet wird,511 die eine Vertragsanpassung nach sich zieht, ist mit der beschriebenen Normstruktur nicht vereinbar.512
III. Rechtsfolge 1. Anpassung des Vertrags Im Falle einer Störung der Geschäftsgrundlage kann der hierdurch benachteiligte Teil nach § 313 Abs. 1 BGB Anpassung des Vertrags verlangen. Damit besteht ein Unterschied zur Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung, wo die Rechtsprechung bei Störungen der Geschäftsgrundlage noch von einer Anpassung ipso iure ausging.513 Dabei kann der Schuldner sofort auf die Leistung aus dem angepassten Vertrag klagen und muss nicht zuvor einen „Anspruch auf Anpassung“ geltend machen.514 Auch hier zeigen sich deutliche Unterschiede zu § 275 Abs. 2 BGB, der dem Schuldner schlicht ein Recht zur Verweigerung der Leistung gibt, ihn aber bei Verschulden den Schadensersatzansprüchen des Gläubigers aussetzt. Die Anpassung des Vertrags nach § 313 Abs. 1 BGB erweist sich demgegenüber als wesentlich flexiblere Rechtsfolge der Störung des Vertragsgleichgewichts: Es entscheiden die Umstände des Einzelfalles; hier ist in einer umfassenden Interessenabwägung zu untersuchen, inwieweit die vertragliche Vereinbarung unter Berücksichtigung der Positionen beider Parteien den veränderten Gegebenheiten angepasst werden kann.515 Dabei ist nach der Maxime zu verfahren, dass die ursprüngliche Vereinbarung so weit wie möglich aufrecht erhalten wird, mit anderen Worten der Eingriff in die privatautonome 511 So Otto, Jura 2002, 1, 5; PWW / Schmidt-Kessel, § 275 Rn. 17; zustimmend Jauernig / Stadler, § 275 Rn. 3; ähnlich Staudinger / Löwisch / Caspers (2009), § 275 Rn. 115 (Gläubiger kann bei Leistungserschwerungen Anpassung nach § 313 BGB verlangen und so die Unzumutbarkeit i.S.d. § 275 Abs. 2 BGB beseitigen). 512 Ablehnend zu einer solchen Konsequenz auch Dauner-Lieb / Arnold / Dötsch / Kitz, Fälle zum neuen Schuldrecht, Fall 24 (S. 53 f. unter A.). 513 Vgl. BGH NJW 1972, 152, 153; BGHZ 133, 271, 296 und öfter. War eine Anpassung allerdings nicht möglich und musste der Vertrag daher aufgelöst werden, so war dazu eine Gestaltungserklärung der Parteien notwendig. Wegen dieser Inkonsistenz erfuhr die BGHRechtsprechung vielfache Kritik, vgl. dazu etwa Hey, in: FG Canaris, S. 21, 32 ff. 514 Dazu Heinrichs, in: FS Heldrich, S. 183, 198 ff. Missverständlich insoweit die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/6040, S. 176), die eine Parallele zur für die frühere kaufrechtliche Wandelung vertretene Herstellungstheorie zieht. Zu Recht kritisch daher DaunerLieb / Dötsch, NJW 2003, 921, 924. 515 BayObLG NJW-RR 1989, 1294, 1296; AnwK-BGB / Krebs, § 313 Rn. 41, 50. G. H. Roth (MüKo-BGB, § 313 Rn. 103) spricht zutreffend von einem „optimalen Interessenausgleich“, den es anzustreben gilt.
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Abrede möglichst schonend erfolgt.516 Das Gesetz bringt dies im Begriff der Zumutbarkeit zum Ausdruck. In Bezug auf das Erfordernis einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zeigen sich deutliche Parallelen zu den bisher untersuchten Fällen, mit einem wesentlichen Unterschied: Wurde die Verhältnismäßigkeitskontrolle bislang charakterisiert als Abwägung zwischen zwei gegebenen Interessen anhand eines gesetzlichen Maßstabes, so zeigt sich, dass diese Abwägung bei § 313 BGB nicht nur auf der Tatbestandsseite durchgeführt wird, wie etwa im Falle des § 275 Abs. 2 BGB, sondern auch und gerade auf der Rechtsfolgenseite. Begreift man § 313 BGB als Regelung zur Verteilung von außerhalb der vertraglichen Vereinbarung liegenden Risiken,517 so kann der durch die Anpassung vorgenommene Eingriff in das Rechtsgeschäft nicht weiter gehen als erforderlich, um die einseitige Risikotragung durch die von der Störung betroffenen Partei zu beheben. Um es anders zu formulieren: Der Eingriff in den Vertrag muss unter der Maßgabe des Postulats der Verhältnismäßigkeit erfolgen.518 Bei der Frage, wie die Folgen der Störung angemessen auf beide Vertragsparteien verteilt werden können, kommt es entscheidend auf die Art der Störung an. Folgerichtig hat die Rechtsprechung eine breite Palette von Anpassungsmechanismen entwickelt, die von der Reduzierung von Leistungspflichten (vor allem bei den so genannten Äquivalenzstörungen)519 über die Begründung von Aufwendungsersatzansprüchen520 bis hin zur Aufteilung eines durch die Störung entstandenen Schadens zwischen den Parteien reichen.521 Die Aufhebung der vertraglichen Bindung ist dabei nach der klaren gesetzgeberischen Entscheidung in § 313 Abs. 3 BGB nur die ultima ratio.522
2. Neuverhandlungspflicht der Parteien? Im Zusammenhang mit den Modalitäten der Anpassung des Vertrags wegen Störungen der Geschäftsgrundlage wird diskutiert, ob die Parteien eine Pflicht oder Obliegenheit zur Neuverhandlung trifft, diese also über die Anpassung 516 BGHZ 135, 333, 337; BAG NJW 2003, 3005, 3006 (zur Anpassung einer Ruhestandsvereinbarung an geänderte sozialrechtliche Umstände); MüKo-BGB / G. H. Roth, § 313 Rn. 102. 517 Vgl. insbesondere die Darstellung bei Köhler, in: FS BGH, S. 295, 299 ff. sowie – in Abgrenzung zu § 275 Abs. 2 BGB – oben II. 2. (S. 260 ff.). 518 So auch Köhler, in: FS BGH, S. 295, 309. 519 BGH NJW-RR 2006, 1037, 1038. 520 BGH LM § 242 (Bb) Nr. 20; MüKo-BGB / G. H. Roth, § 313 Rn. 106. Vgl. auch § 490 Abs. 2 BGB, der die vorzeitige Rückführung eines Darlehens nur gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung zulässt, um den Darlehensgeber für den Zinsverlust zu entschädigen. 521 BGHZ 120, 10, 26 f.; BGH NJW 2002, 3234, 3237. 522 Dazu näher sogleich unter 3. (S. 266).
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des Vertrags verhandeln müssen, bevor sie eine gerichtliche Entscheidung hierüber herbeiführen können.523 Eine solche Pflicht oder Obliegenheit hat den Charme der privatautonomen Behebung von Vertragsstörungen: Die Parteien entscheiden selbst über die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände, bevor dies durch gerichtliche Entscheidung – also von außen – erfolgt. 524 Die Gesetzesmaterialien scheinen davon auszugehen, dass eine Verhandlungslösung gegenüber der gerichtlichen Anpassung vorzugswürdig ist,525 äußern sich aber gerade nicht dazu, ob eine Pflicht oder Obliegenheit zur Neuverhandlung besteht. Der Wortlaut des § 313 BGB ist insoweit offen.526 Aus der Formulierung „so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden“ lässt sich immerhin ableiten, dass die benachteiligte Partei zunächst einen Anspruch auf Anpassung geltend machen muss. Damit ergibt sich ein deutlicher Unterschied zur bisherigen Rechtslage: Nach der Rechtsprechung des BGH war bei Wegfall der Geschäftsgrundlage der Vertrag ipso iure nach § 242 BGB anzupassen.527 Hieraus aber Neuverhandlungspflichten abzuleiten, erforderte einen zusätzlichen Rückgriff auf § 242 BGB,528 der an dieser Stelle auch deshalb problematisch erscheint, weil bereits das Institut der Geschäftsgrundlagenstörung auf dem Grundsatz von Treu und Glauben basiert bzw. § 313 BGB lex specialis zu § 242 BGB ist. In der Praxis heißt eine Neuverhandlungspflicht, der von der Störung benachteiligten Partei Steine statt Brot zu geben, da die andere Partei regelmäßig kein Interesse haben dürfte, Verhandlungen zügig im Sinne einer für beide Teile ausgeglichenen Regelung zu führen.529 Ist dies aber doch der Fall, so kann im Falle einer Klage auf Anpassung durch die benachteiligte Partei 523 Grundlegend (und befürwortend) die Abhandlungen von Horn, AcP 181 (1981), 255; Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 173 ff.; positiv auch Eidenmüller, ZIP 1995, 1063; ders., Jura 2001, 824, 829 f.; Palandt / Grüneberg, § 313 Rn. 41; Riesenhuber, BB 2004, 2697, 2698 ff.; Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 218 ff.; Macario, JbItalR 20 (2007), S. 115. Gegen eine Neuverhandlungspflicht jedoch Martinek, AcP 198 (1998), 329, 363 ff. Köhler, in: FS BGH, S. 295, 324 f.; MüKo-BGB / G. H. Roth, § 313 Rn. 93; Jauernig / Stadler, § 313 Rn. 27; Bamberger / Roth / Unberath, § 313 Rn. 85; AnwK-BGB / Krebs, § 313 Rn. 81; DaunerLieb / Dötsch, NJW 2003, 921, 925 f.; siehe auch Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 256 ff. 524 In diesem Sinne etwa Eidenmüller, ZIP 1995, 1063, 1071; Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 133 ff. 525 BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 526 Zutreffend AnwK-BGB / Krebs, § 313 Rn. 81; Pfeiffer, in: Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 133, 138 f.; anders aber Palandt / Grüneberg, § 313 Rn. 41; Heinrichs, in: FS Heldrich, S. 183, 195 ff. 527 BGH NJW 1972, 152, 153. Der BGH hebt zutreffend hervor, dass das Urteil, in dem über die Anpassung entschieden wird, keine Gestaltungswirkung hat. Hierzu auch Martinek, AcP 198 (1998), 329, 366 f. 528 So ausdrücklich Horn, in: Die Anpassung langfristiger Verträge, S. 9, 37 f.; ebenso Heinrichs, in: FS Heldrich, S. 183, 196 f. 529 Ausführlich Martinek, AcP 198 (1998), 329, 375 ff.; ebenso Köhler, in: FS BGH, S. 295, 324 f.
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die prozessuale Kostentragungslast aus § 93 ZPO helfen:530 Denn hier gilt, dass dem leistungs- bzw. kompromissbereiten Vertragspartner kein Nachteil erwachsen darf, wenn der andere Teil vorschnell Klage erhebt. Allein aufgrund dieser Regelung dürfte die benachteiligte Partei ein Interesse an einer außerprozessualen Regelung haben. Im Rahmen der hier interessierenden Thematik ist insbesondere hervorzuheben, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der wie gesehen der Anpassung des Vertrags bei Störungen der Geschäftsgrundlage zugrunde liegt, zur Begründung von Neuverhandlungspflichten nicht herangezogen werden kann.531 Dies würde voraussetzen, dass die Anpassung durch ein Gericht einen schwereren Eingriff in das Vertragsverhältnis bedeutete als eine Neuverhandlung des Vertrags durch die Parteien selbst. Angesichts der typischerweise schlechteren Ausgangsposition, die die durch die Störung benachteiligte Partei bei Neuverhandlungen hat, erscheint eine solche Sichtweise nicht zwingend: Vielmehr ist es vorzugswürdig, den neutralen Richter im von der Dispositionsmaxime bestimmten Zivilprozess über die Anpassung des gestörten Vertragsverhältnisses entscheiden zu lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn man den Justizgewährungsanspruch der benachteiligten Partei berücksichtigt, der durch eine Pflicht zur Neuverhandlung berührt würde.
3. Vertragsaufhebung als ultima ratio Wie bereits betont, ist die Aufhebung des Vertrags durch Rücktritt oder Kündigung als ultima ratio ausgestaltet, falls die Anpassung des Vertrags unmöglich oder unzumutbar ist, § 313 Abs. 3 BGB. Auffallend ist die Parallele zu den kaufund werkvertraglichen Mängelrechten, in denen ein ähnliches Stufenverhältnis besteht, das zunächst die Nacherfüllung als möglichst weitgehende Aufrechterhaltung der vertraglichen Vereinbarung vorsieht, erst bei deren Fehlschlagen weitere Rechtsbehelfe wie Minderung und Schadensersatz erlaubt und schließlich als ultima ratio den Rücktritt als Aufhebung der vertraglichen Bindung.
IV. Vergleichende Betrachtung 1. Vertragsbindung und Änderung der Umstände Die Frage der Lösung der Vertragsbindung bei Eintritt unvorhergesehener Umstände wird in allen Rechtsordnungen thematisiert; deutliche Unterschiede bestehen aber sowohl in der Beurteilung, auf welche Umstände sich der Schuldner 530 531
379 f.
Zutreffend Köhler, in: FS BGH, S. 295, 325. So aber Eidenmüller, ZIP 1995, 1063, 1068; wie hier Martinek, AcP 198 (1998), 329,
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berufen kann, als auch welche Konsequenzen diese für das Schicksal des Vertrags haben.532 Eine gewisse Extremposition nimmt dabei noch immer das französische Recht ein, das den Schuldner im Falle einer Nichtleistung nur bei Vorliegen einer cause étrangère (Art. 1147 code civil) und bei force majeure oder cas fortuit (Art. 1148 code civil), grob gesprochen also nur bei Zufall entlastet.533 Das etwas großzügigere Konzept der imprévision, der Unvorhersehbarkeit, wird derzeit nur auf öffentlich-rechtliche Verträge angewandt.534 Die ClausulaLehre, die im deutschen Recht deutliche Erfolge zeitigt, hat sich in Frankreich nie durchgesetzt.535 Der EuGH geht im Urteil Racke von der allgemeinen Geltung des Grundsatzes der Vertragsbindung (pacta sunt servanda) aus, „der einen tragenden Grundsatz jeder Rechtsordnung und insbesondere der Völkerrechtsordnung darstellt“.536 Im Fall ging es um die Aussetzung eines Kooperationsabkommens zwischen der EWG und dem ehemaligen Jugoslawien durch eine EG-Verordnung. Eine Lösung dieser Bindung kommt nach Art. 62 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention nur dann in Betracht, wenn die geänderten Umstände vertragswesentlich sind und wenn dadurch die noch zu erfüllenden Verpflichtungen tiefgreifend umgestaltet werden.537 Auch wenn diese Aussage in Bezug auf das Völkerrecht getroffen wurde, liegt der Rückschluss nahe, dass der EuGH ebenso im Privatrecht die Möglichkeit der Lösung vertraglicher Bindungen bei veränderten Umständen anerkennt.538 Im Bereich des Gemeinschaftsprivatrechts existiert bislang keine allgemeine Regelung der Behandlung veränderter Umstände. Einzig die Pauschalreise532 Vgl. den Überblick bei Rösler, ERPL 15 (2007), 483; rechtsvergleichende Problembehandlungen finden sich auch bei Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, Kap. 37; Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag, S. 162 ff.; Puelinckx, 3 Journal of International Arbitration (1986), 47 sowie aus Sicht des Common Law bei Gordley, Foundations of Private Law, S. 336 ff. 533 Vgl. Jung, Die Bindungswirkung des Vertrages, S. 20 ff., 42 ff.; Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 39 ff., 70 ff.; Cashin-Ritaine, in: JbJgZivRWiss 2001, S. 85, 88 ff. Dazu auch Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 316 ff., 372 f., die eine weitergehende Möglichkeit der Vertragsanpassung befürwortet. 534 Vgl. zur Geschichte und den dogmatischen Grundlagen dieser Lehre Jung, Die Bindungswirkung des Vertrages, S. 45 ff.; Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 75 ff. Die Entwicklung scheint jedoch in eine andere Richtung zu gehen. So hat die Cour de Cassation in einer Entscheidung vom 16.3.2004 (Dalloz 2004, 1754 m. Anm. Mazeaud) erkennen lassen, dass Neuverhandlungspflichten bei einem Vertragsungleichgewicht bestehen können. Das Avant-projet de réforme du droit des obligations et de la prescription aus dem Jahr 2005 enthält in Art. 1135–3 den Vorschlag, das Gericht auf Antrag einer Partei zur Anordnung von Neuverhandlungen zu ermächtigen, wenn diese jedes Interesse am Vertrag verloren hat. 535 Vgl. die Nachweise bei Jung, Die Bindungswirkung des Vertrages, S. 207 ff. 536 EuGH, 16.6.1998, Rs. C-162/96 – Racke, Slg. 1998, I-3655 (Rn. 49). 537 EuGH, 16.6.1998, Rs. C-162/96 – Racke, Slg. 1998, I-3655 (Rn. 53). 538 Dies bestätigt die Entscheidung EuG, 25.5.2004, Rs. T-154/01 – Distilleria Palma / Kommission, Slg. 2004, II-1493 (Rn. 45); vgl. auch Trstenjak, ZEuP 2007, 145, 148.
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richtlinie539 und die Überweisungsrichtlinie540 enthalten Regelungen zum Schicksal des Vertrags bei Eintritt unvorhergesehener Umstände. Beim Pauschalreisevertrag wird der Reiseveranstalter nur im Falle höherer Gewalt entlastet; dies definiert Art. 4 Abs. 6 UAbs. 2 Ziff. ii Pauschalreiserichtlinie als „ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse, auf die derjenige, der sich auf höhere Gewalt beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können“. Dieselbe Definition verwendet Art. 9 der Überweisungsrichtlinie; auch hier können sich Kreditinstitute von den nach der Richtlinie gegen sie bestehenden Ansprüchen befreien, wenn sie nachweisen, dass die Ausführung des Auftrags aus Gründen höherer Gewalt unmöglich war. Dabei ist der Begriff der höheren Gewalt keineswegs identisch mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage, wie noch genauer darzulegen sein wird. Das deutsche Recht setzt die Schwelle hier wie gesehen 541 tiefer an: Der Schuldner haftet nicht bis zur Grenze der höheren Gewalt, sondern nach § 276 BGB nur für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Er wird für vertragsimmanente Risiken nach § 275 Abs. 2 BGB entlastet bei großem Missverhältnis zwischen Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse; bei der Verwirklichung von externen Risiken verhilft § 313 BGB unter Umständen zur Anpassung des Vertrags. Auch das italienische und das englische Recht sowie PECL bzw. DCFR kennen ähnliche Regelungen zur Bewältigung unvorhergesehener Umstände. Das CISG gesteht eine Leistungsbefreiung bei einem Hinderungsgrund zu, der außerhalb ihres Einflussbereichs liegt (Art. 79 CISG); dies kann auch bei wesentlicher Leistungserschwerung der Fall sein, in der Praxis wird diese Fallgruppe aber regelmäßig nicht anerkannt.542 In der Vertragspraxis haben sich die Begriffe von hardship und force majeure durchgesetzt, um die Umstände zu beschreiben, in denen der Schuldner von seiner ursprünglichen Leistungspflicht befreit sein soll.543 Dabei steht hardship für die Befreiung bzw. Anpassung bei übermäßiger Leistungserschwerung, force majeure hingegen für die Befreiung bei höherer Gewalt.544 539 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. EG L 158 vom 23.6.1990, S. 59. 540 Richtlinie 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über grenzüberschreitende Überweisungen, ABl. EG L 43 vom 14.2.1997, S. 25. 541 Oben II. (S. 259 ff.). 542 Vgl. dazu Andersen, Uniform Application of the International Sales Law, S. 97 m.N. auch dazu, dass Art. 79 CISG eine eigenständige Lösung schaffen sollte, die das Problem der Leistungserschwerungen losgelöst von den überkommenen Konzepten der nationalen Rechtsordnungen regelt, und daher die dort gebräuchliche Terminologie wie Wegfall der Geschäftsgrundlage, force majeure, frustration, eccessiva onerosità oder ähnliche nicht aufnimmt. 543 Vgl. etwa die Art. 6.2.2 (hardship) und Art. 7.1.7 (force majeure) der UNIDROIT Principles. 544 Zur Behandlung von hardship und force majeure in verschiedenen Instrumenten des
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2. Italien: eccessiva onerosità sopravvenuta und presupposizione Das italienische Recht kennt mit Art. 1467 c.c. (eccessiva onerosità sopravvenuta) eine gesetzliche Regelung zur Befreiung von der ursprünglich geschuldeten Leistung bei übermäßig belastenden Verpflichtungen, die dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ähnelt. a) Grundlagen Die Regelung des Art. 1467 c.c. wurde durch den 1942 in Kraft getretenen, reformierten Codice civile eingeführt und steht für die erste Kodifikation allgemeiner Art des Gedankens der Geschäftsgrundlagenstörung in einem modernen europäischen Gesetzbuch. Sie ist gleichwohl eher von theoretischer als von praktischer Bedeutung. Im deutschen Schrifttum wird sie dennoch wiederholt als Beispiel einer gelungenen gesetzgeberischen Bewältigung des Problems der unvorhergesehenen Ereignisse gewürdigt.545 Die PECL führen Art. 1467 c.c. ausdrücklich als legislatorisches Vorbild an.546 Die Vorschrift geht zurück auf Windscheids Lehre von der Voraussetzung, die in Italien unter der Bezeichnung „presupposizione“ auch heute noch neben Art. 1467 c.c. durchaus Beachtung findet.547 Sie regelt gleichwohl nur einen Ausschnitt der Lehre von der Voraussetzung und stellt im Unterschied zu dieser nicht vorrangig auf den Parteiwillen ab, sondern schafft objektive Voraussetzungen für die Vertragsanpassung. Eine Spezialregelung zu Art. 1467 c.c. findet sich im Bereich des Werkvertrags (appalto) in Art. 1664 Abs. 2 c.c. bei unvorhersehbaren geologischen oder ähnlichen Schwierigkeiten: Wird hierdurch die Werkleistung wesentlich erschwert, hat der Unternehmer ein Recht auf angemessenen Ausgleich.548
internationalen Handelsverkehrs Kessedjian, International Review of Law and Economics 25 (2005), 415 mit dem Hinweis darauf, dass in der Praxis auf die Vereinbarung von HardshipKlauseln wegen der wesentlich ansteigenden Versicherungsprämien bei Langzeitverträgen nicht selten verzichtet wird. 545 Vgl. etwa Horn, in: Gutachten und Vorschläge, S. 551, 621 („eine moderne und in der Rechtsprechungspraxis effektiv angewendete Kodifizierung des Problems des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei mehrseitigen und einseitigen Verträgen“); Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag, S. 171 („Eine eingehende Darstellung würde sich lohnen, …“). 546 Dazu näher sogleich unter 4. (S. 277 ff.). 547 Roppo, Il contratto, S. 1038 f.; Kindler, Einführung in das italienische Recht, § 10 Rn. 44. Macario, in: Trattato del contratto, S. 615 ff., führt auch die gemeinrechtliche Lehre von der clausula rebus sic stantibus als Wurzel an. Überblick zur historischen Entwicklung bei Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 45 ff. Näher zur presupposizione unten d) (S. 272 f.). 548 Dazu bereits oben § 12 I. 4. b) cc) (S. 212 ff.).
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b) Tatbestandliche Voraussetzungen Die Regelung des Art. 1467 c.c.549 gilt zunächst nicht für Verträge mit sofortigem Leistungsaustausch, sondern nur für Langzeitverträge oder zumindest dann, wenn die (Sach-)Leistungspflicht zeitlich nach Vertragsschluss erfolgen soll. Treten nach Vertragsschluss außergewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse auf, die die Leistungserbringung für die eine Partei übermäßig belastend (eccessivamente oneroso) werden lassen, so kann die benachteiligte Partei die Auflösung des Vertrags nach Art. 1458 c.c. verlangen, also bei Dauerschuldverhältnissen regelmäßig nur mit Wirkung ex nunc, ansonsten rückwirkend. Eine Belastung tritt bereits dann ein, wenn die Leistung einen höheren Aufwand erfordert als bei Vertragsschluss vorausgesehen.550 Wird die übermäßige Belastung jedoch durch einen Umstand hervorgerufen, der innerhalb des typischerweise von einer Partei dieses Vertrags – ausdrücklich, stillschweigend oder nach der Struktur des dispositiven Rechts – übernommenen Risikobereichs liegt, so kann sich die benachteiligte Partei nicht hierauf berufen;551 gesetzliche Beispiele sind etwa die Leibrente auf Lebenszeit („rendita vitalizia“, Art. 1879 Abs. 2 c.c.) oder die Lebensversicherung (Art. 1882 c.c.): Hier liegt es in der Natur der Sache, dass die lange Dauer des Vertrags eine Veränderung der Umstände mit sich bringt; der Schuldner soll sich nicht ohne weiteres von der vertraglichen Bindung lösen können. Übermäßig ist eine Belastung danach schon dann, wenn sich ein solches externes Risiko verwirklicht, das nicht zu den normalen Vertragsrisiken gehört. Ob ein Risiko vorhersehbar ist, richtet sich nach dem Vertragstyp.552 Damit findet sich die hier vertretene Unterscheidung zwischen vertragsimmanenten und externen Risiken 553 auch bei Art. 1467 c.c. wieder: Für vertragsimmanente (oder aleatorische) Risiken haftet der Schuldner bis zur Grenze der (wirtschaftlichen) Unmöglichkeit;554 für alle anderen wird die Haftung ausgeschlossen, wenn die Störung auf außergewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zurückzuführen ist. Im Vergleich zum deutschen Recht ist auffällig, 549 Art. 1467 c.c. lautet: „Nei contratti a esecuzione continuata o periodica ovvero a esecuzione differita, se la prestazione di una delle parti è divenuta eccessivamente onerosa per il verificarsi di avvenimenti straordinari e imprevedibili, la parte che deve tale prestazione può domandare la risoluzione del contratto, con gli effetti stabiliti dall’articolo 1458. La risoluzione non può essere domandata se la sopravvenuta onerosità rientra nell’alea normale del contratto. La parte contro la quale è domandata la risoluzione può evitarla offrendo di modificare equamente le condizioni del contratto.“ 550 Roppo, Il contratto, S. 1021 ff. 551 Art. 1467 Abs. 2, 1469 c.c. („contratto aleatorio“). 552 Cass., 23.2.2001, n. 2661, Giur. it. 2001, 1824 (keine eccessiva onerosità bei vorhersehbaren Änderungen, wie bei Preissteigerung im Immobiliensektor bei Verzögerung einer erforderlichen Genehmigung); hierzu Corriero, Giur. it. 2001, 1824. 553 Dazu oben II. 2. insb. c) (S. 260 ff.). 554 Dazu Roppo, Il contratto, S. 1024 f.
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dass die Regelung des Art. 1467 c.c. bereits dann greift, wenn die Leistungsverpflichtung eine der Parteien außerordentlich belasten würde; der Grund für die Belastung ist unerheblich. Die Verhältnismäßigkeitskontrolle beschränkt sich damit auf die Prüfung, ob die versprochene Leistung im Vergleich zur Gegenleistung objektiv belastender geworden ist, die Vertragserfüllung also größeren Aufwand bedeutet, als dies bei Vertragsschluss von den Parteien angenommen worden war. 555 Sie erfasst damit Störungen des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses.556 c) Rechtsfolgen Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 1467 Abs. 1 c.c. vor, so kann die benachteiligte Partei Vertragsauflösung (risoluzione) verlangen.557 Der andere Teil kann dieses jedoch abwenden, wenn er dem Vertragspartner ein Angebot zur entsprechenden Änderung des Vertrags macht, um die übermäßige Belastung auf diese Weise abzumildern, Art. 1467 Abs. 3 c.c. Damit wird die Rechtsfolge des § 313 BGB umgekehrt: Dort ist zunächst eine Anpassung des Vertrags vorzunehmen; erst bei Unzumutbarkeit kommt eine Lösung der Bindung in Betracht.558 Das italienische Modell bedeutet, dass der belastete Vertragspartner aus eigenem Antrieb keine Vertragsanpassung erreichen kann; vielmehr ist er darauf angewiesen, dass der andere Teil ein solches Angebot auf Anpassung macht. Dazu wird er zunächst die (übermäßig belastende) eigene Leistung verweigern;559 dabei geht er das Risiko ein, dass der andere Teil daraufhin nach Art. 1453 Abs. 1 c.c. direkt Vertragsauflösung verlangt. Das Erfüllungsinteresse des Schuldners wird auf diese Weise nicht geschützt; das Gesetz gibt ihm keine Möglichkeit, sich die Gegenleistung (teilweise) zu erhalten.560 Hat der andere Teil ebenfalls ein Interesse an der (Sach-)Leistung, so kann er die in Art. 1467 Abs. 1 c.c. für den Regelfall angeordnete Rechtsfolge der Vertragsauflösung verhindern, wenn er die von ihm geschuldete Gegenleistung so 555 Macario, in: Trattato del contratto, S. 630 ff.; Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 264 ff., beide auch mit Nachweisen zu einer älteren Meinung, die nicht auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung abstellte, sondern allein auf einen Vergleich des Aufwandes für die Leistung bei Vertragsschluss und nach Eintritt der Störung. Danach fallen (inflationsbedingte) Entwertungen der Gegenleistung nicht unter Art. 1467 c.c. Diese Ansicht widerspricht jedoch dem Gedanken des Äquivalenzprinzips, der in Art. 1467 c.c. zum Ausdruck kommt. 556 Deutlich etwa Cass., Mass. Giur. It. 1990, I, 1, 163. 557 Zur risoluzione auch oben § 13 II. 2. a) bb) (S. 246 f.). 558 Oben III. (S. 263 ff.). 559 Die übermäßige Belastung kann entgegen dem Wortlaut des Art. 1467 c.c. auch einredeweise im Prozess geltend gemacht werden; sie stellt aber keinen allgemeinen Leistungsverweigerungsgrund dar, vgl. Roppo, Il contratto, S. 1027 ff. Der übermäßig belastete Schuldner muss selbst die Vertragsauflösung nach Art. 1467 c.c. betreiben. 560 Dazu Cass., 5.1.2000, n. 46, Giur. it., 2000, 2279, hierzu Torresi, Giur. it. 2000, 2279.
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anpasst, dass das Ungleichgewicht behoben wird. Deutlich wird an dieser Stelle die Parallele zur rescissione; auch hier hat der andere Teil die Möglichkeit, nach Art. 1450 c.c. das (in diesem Falle anfängliche) Ungleichgewicht zu beheben, indem für die Leistung marktübliche Konditionen geboten werden.561 Im Unterschied dazu muss bei nachträglichen Hindernissen kein „echtes“ Leistungsgleichgewicht hergestellt werden; es genügt, wenn ein vertretbares Ungleichgewicht weiterbesteht, das sich innerhalb einer gewissen Toleranzgrenze hält („tollerabile onerosità“).562 Mit anderen Worten: Das Angebot muss so beschaffen sein, dass die belastete Partei – wäre der Vertrag auch ursprünglich so ausgestaltet gewesen – in diesem Fall kein Recht auf Vertragsauflösung nach Art. 1467 c.c. gehabt hätte. Dies erklärt sich durch die unterschiedlichen Zwecke, die Art. 1450 c.c. einerseits und Art. 1467 Abs. 3 c.c. andererseits verfolgen: Im ersten Fall soll der Vertragsteil, der die Schwächesituation des Vertragspartners ausnutzt, nicht auch noch ein gutes Geschäft machen, indem er knapp unter die Grenze des ultra dimidium geht. Im zweiten Fall hingegen soll ausschließlich der benachteiligte Vertragspartner vor gewissen außergewöhnlichen Risiken geschützt werden.563 Ist das Angebot auf Anpassung unzureichend, weil es die Toleranzgrenze noch immer überschreitet, so geht es nach dem Wortlaut des Art. 1467 Abs. 3 c.c. ins Leere, mit der Folge, dass der Vertrag aufgelöst wird. Inzwischen scheint sich aber eine Ansicht durchzusetzen, die dem Richter hier ein Mitwirkungsrecht dahingehend zugesteht, dass ein Hinweis auf die ungefähre Beschaffenheit des Angebots gegeben wird.564 d) Die Lehre von der presupposizione Wegen der tatbestandlichen Beschränkung des Art. 1467 c.c. hat die italienische Rechtsprechung traditionell auch die Lehre Windscheids von der Voraussetzung565 (presupposizione) berücksichtigt566 und auf diese Weise an einer Gene-
561 Cass., 11.1.1992, n. 247, Corr. giur. 1992, 662 m. Anm. Di Majo (= Giur. it. 1993, 2018 m. Anm. Magni); Mirabelli, La rescissione del contratto, S. 61 ff. Zur Anpassung bei der rescissione näher bereits oben § 6 I. 2. (S. 73 ff.). 562 Macario, Revisione del contratto e obbligo di rinegoziare, in: Enciclopedia del diritto, unter 5. 563 Roppo, Il contratto, S. 1029 f. Zur Rechtsnatur des Angebots auf Anpassung Panuccio Dattola, L’offerta di riduzione ad equità, S. 39 ff., 89 ff. 564 Anders noch Horn, in: Gutachten und Vorschläge, S. 551, 621; hiergegen Macario, Revisione del contratto e obbligo di rinegoziare, in: Enciclopedia del diritto, Fn. 95. Siehe auch Amadio, Riv. dir. civ., 2006, 255, 268 f. m.w.N.; Volpe, La giustizia contrattuale, S. 194 ff. 565 Dazu oben I. 2. (S. 257 ff.). 566 Zum Verhältnis der presupposizione zu Art. 1467 c.c. Sacco, Riv. dir. comm., 1948, II, 163; siehe ferner Macario, in: Trattato del contratto, S. 546 ff.; Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 276 ff.
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ralklausel festgehalten, mit der atypische (anfängliche oder nachträgliche567) Störungen erfasst werden können.568 Die presupposizione bewegt sich im Grenzbereich zwischen den Bereichen Irrtum, Bedingung, Auslegung und der causa-Lehre;569 sie erfasst vor allem die nicht unter Art. 1467 c.c. fallenden Störungen des Verwendungszwecks. Hier ist die Konsequenz (bei unterschiedlicher dogmatischer Begründung) zumeist die Auflösung des Vertragsverhältnisses.570 Die Wurzel der Lehre von der presupposizione wird ähnlich wie bei Art. 1467 c.c. im Grundsatz von Treu und Glauben gesehen, der eine angemessene Verteilung der Risiken im Vertragsverhältnis zum Ziel hat.571 Dabei weist die Rechtsprechung stets darauf hin, dass die Lehre von der presupposizione ihre Akzeptanz durch den Gesetzgeber in Art. 1467 c.c. gefunden habe.572 Beide Institute gleichen sich auf der Tatbestandsseite immer mehr an; die richterliche Eingriffsbefugnis in den Vertrag ist gleichwohl (noch) auf Art. 1467 c.c. beschränkt.
3. England: frustration of contract Auch das englische Recht berücksichtigt die wesentliche Veränderung der dem Vertrag zugrunde liegenden Umstände, allerdings bestehen Unterschiede zum kontinentalen Recht vor allem in der Rechtsfolge. Die bloße impracticability, also die Leistungserschwerung bzw. Fälle der wirtschaftlichen Unmöglichkeit, entlastet den Schuldner nicht.573 Diese Haltung wird verständlich vor dem Hintergrund der Grundannahme des englischen Rechts, in dem die specific performance ohnehin als Ausnahme angesehen wird. 574 Ist die Naturalerfüllung übermäßig belastend, so wird der Schuldner sich auf die Leistung von Schadensersatz zurückziehen. Eine Einschränkung bei Fällen höherer Gewalt kennt das englische Recht in dieser Form nicht. Beachtlich sind jedoch grundlegende Änderungen vertragswesentlicher Umstände nach den Grundsätzen der frustration of contract.575 567
Cass., 13.5.1993, n. 5460. Ausführlich dazu jüngst Macario, in: Trattato del contratto, S. 517 ff.; siehe daneben Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 72 ff., 199 ff. Vgl. auch Cass., 25.5.2007, n. 12235. 569 Roppo, Il contratto, S. 1038 f.; zusammenfassend Alpa, Introduzione al diritto contrattuale europeo, S. 125 f. 570 Die Rechtsprechung rekurriert teilweise auf eine analoge Anwendung von Art. 1467 c.c., vgl. die Nachweise bei Roppo, Il contratto, S. 1039 ff. 571 Macario, in: Trattato del contratto, S. 549 ff.; Roppo, Il contratto, S. 1039 ff. 572 Zahlreiche Nachweise bei Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 234 ff., 257 f. 573 Grundlegend der Fall Davis Contractors Ltd. v. Fareham Urban District Council [1956] AC 696, HL; siehe dazu Treitel, Unmöglichkeit, „Impracticability“ und „Frustration“, S. 75 ff. sowie Schmidt-Kessel, Standards vertraglicher Haftung, S. 73 ff. mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung, die freilich eher uneinheitlich ist. 574 Dazu bereits oben § 12 I. 4. a) und c) (S. 208 f. bzw. S. 214 ff.). 575 Dazu insbesondere Treitel, Frustration and Force Majeure, Rn. 2–001 ff. (zur histori568
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a) Historische Entwicklung Den historischen Ausgangspunkt bildet die dem englischen Vertragsrecht zugrunde liegende Garantiehaftung des Schuldners.576 Das abgegebene Versprechen verpflichtet ihn zur Erfüllung oder zum Schadensersatz, auch wenn sich die Umstände zum Nachteil des Schuldners verändert haben. Dies wurde im oft zitierten Fall Paradine v. Jane aus dem Jahr 1647 entschieden:577 Hier wurde der Mieter eines Grundstücks zur Zahlung des Mietzinses verurteilt, obwohl „a certain German Prince, by name Prince Rupert, an alien born, enemy to the king and kingdom“ das Land besetzt hielt und das Grundstück für den beklagten Mieter dadurch unbenutzbar wurde. Das Gericht äußerte kein Verständnis für dieses vom Mieter nicht beherrschbare Ereignis und wies darauf hin, dass die vertragliche Verpflichtung absolut sei: „And therefore if the lessee covenant to repair a house, though it be burnt by lightning, or thrown down by enemies, yet he ought to repair it.“578 Die einzige Möglichkeit, diese strenge Haftung abzumildern, bestand nach dieser Entscheidung darin, eine entsprechende vertragliche Abrede aufzunehmen. Später ließen die Gerichte auch eine stillschweigende Bedingung (implied condition) genügen, dass eine Leistung dann nicht geschuldet sei, wenn die Erfüllung ohne Verschulden unmöglich wird.579 Parallel dazu entwickelte die Rechtsprechung in seerechtlichen Fällen eine andere Entlastungsmöglichkeit: Die frustration of the adventure.580 Hier ging es zumeist um die Risikotragung bei der Verzögerung der Lieferung durch Stürme, Krieg, fehlende Durchfahrtsgenehmigung o.ä. Auch hier wurde verbreitet ein implied term dahingehend angenommen, dass der Vertrag ohne unvorhergesehene Hindernisse durchgeführt werden könne.581 Später wurden die beiden Fallgruppen der impossibility und der frustration of the adventure zusammengeführt und unter dem Oberbegriff frustration of contract behandelt.582 schen Entwicklung); McKendrick, in: Chitty on Contracts, Rn. 23–001 ff.; Schmidt-Kessel, Standards vertraglicher Haftung, S. 45 ff.; Hammer, Frustration, S. 17 ff.; rechtsvergleichend auch Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 115 ff. 576 Zur Geschichte auch Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag, S. 172 ff. 577 (1647) Aleyn 26. 578 (1647) Aleyn 26, 27. 579 So zuerst in Taylor v. Caldwell (1863) 122 E.R. 309. Siehe dazu etwa Treitel, Unmöglichkeit, „Impracticability“ und „Frustration“, S. 20 ff.; Schmidt-Kessel, Standards vertraglicher Haftung, S. 77 ff. 580 Eine der ersten Entscheidungen ist Jackson v. Union Marine Insurance Co. Ltd. (1874) L.R. 10 C.P. 125. 581 Jackson v. Union Marine Insurance Co. Ltd. (1874) L.R. 10 C.P. 125. 582 So Lord Loreburn in F.A. Tamplin Steamship Co. Ltd. v. Anglo-Mexican Petroleum Products Ltd. [1916] 2 AC 397, 404, HL; ebenso Joseph Constantine Steamship Line Ltd. v. Imperial Smelting Corporation Ltd. (The Kingswood) [1942] AC 154, 168, HL (Viscount Maugham).
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Dabei wurde die Lehre von der implied condition rasch aufgegeben, da sie nicht erklären konnte, weshalb der hypothetische Parteiwille für den Fall einer Störung auf das sofortige Ende der Vertragsbeziehung gehen sollte.583 Vielmehr zeigt die Rechtspraxis, insbesondere die Verbreitung von Force-majeure-Klauseln, dass die von den Parteien regelmäßig getroffenen Regelungen wesentlich differenzierter sind.584 Nunmehr lautet die wesentliche Frage, ob die vertragliche Verpflichtung auch nach der Störung noch dieselbe ist oder aber ob sie „a radical change in the obligation“ zur Folge hat. Frustration ist immer dann gegeben, wenn der Schuldner sagen kann: „It was not this that I promised to do.“585 Der Begriff der Geschäftsgrundlage (foundation of contract) wurde zwar von der Rechtsprechung wiederholt verwendet,586 vom House of Lords aber schließlich als ungeeignet zurückgewiesen.587 Funktional handelt es sich bei der doctrine of frustration um eine Anwendung der clausula rebus sic stantibus, die über die Lehre von den implied terms, aber doch in beschränkter Art und Weise, Eingang in das englische Vertragsrecht gefunden hat.588 b) Voraussetzungen Einheitliche Voraussetzungen für die frustration of contract haben sich bislang nicht herauskristallisiert; zu vielfältig sind die Fallgestaltungen, zu wichtig ist die Beibehaltung von Flexibilität im Hinblick auf eine adäquate Behandlung der Störung. Fest steht, dass die frustration of contract nur dann eingreift, wenn ein nicht vorhersehbares,589 außerhalb des Machtbereichs der Parteien liegendes Ereignis die Umstände der Vertragsdurchführung so grundlegend verändert hat (significant change of circumstances), dass es sich um eine völlig andere 583
Denny Mott & Dickson Ltd. v. James B. Fraser & Co. Ltd. [1944] AC 265, 275, HL (Lord Wright). Für die Beibehaltung dieses Ansatzes aber Smith, Contract Theory, § 8.3.8 (S. 305 f.). Siehe zur Lehre von den implied terms Zimmermann, AcP 193 (1993), 121; SchmidtKessel, ZVglRWiss 96 (1997), 101. 584 Zu der dahingehenden Vertragspraxis Guest, in: Chitty on Contracts, Rn. 14–137 ff.; Schmidt-Kessel, Standards vertraglicher Haftung, S. 432 ff. 585 So die Formulierung von Lord Radcliffe in Davis Contractors Ltd. v. Fareham Urban District Council [1956] AC 696, 729; ähnlich Ocean Tramp Tankers Corp. v. V / O Sovfracht (The Eugenia) [1964] 2 QB 226, 238 (Lord Denning). 586 Vgl. etwa Krell v. Henry [1903] 2 KB 740, 748 ff., CA (Vaughan Williams LJ); F. A. Tamplin Steamship Co. Ltd. v. Anglo-Mexican Petroleum Products Ltd. [1916] 2 AC 397, 406, HL (Lord Loreburn) oder W. J. Tatem Ltd. v. Gamboa [1939] 1 KB 132, 138, KBD (Goddard J.). 587 National Carriers Ltd. v. Panalpina (Northern) Ltd. [1981] AC 675, 688 (Lord Hailsham), 693 (Lord Wilberforce); ablehnend auch etwa Smith, Contract Theory, § 9.4.1 (S. 372). 588 Zimmermann, AcP 193 (1993), 121, 134 ff. 589 Teilweise wird dieses Erfordernis nicht für wesentlich gehalten, so von Lord Denning in Ocean Tramp Tankers Corp. v. V / O Sovfracht (The Eugenia) [1964] 2 QB 226, 239, CA. Siehe dazu Treitel, Frustration and Force Majeure, Rn. 13–011.
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Kapitel 4: Verhältnismäßigkeit und in Vollzug gesetzter Vertrag
Leistung handelt als die vertraglich vereinbarte.590 Ob es sich dabei um eine griffigere Formulierung handelt als die deutsche Lehre von der Geschäftsgrundlagenstörung oder das italienische Konzept der eccessiva onerosità bzw. der presupposizione, mag an dieser Stelle offen bleiben. Alle drei Rechtsordnungen eröffnen den Gerichten so die Möglichkeit, im Einzelfall angemessen auf ein Vertragsungleichgewicht reagieren zu können. Im Einzelnen haben sich dabei in der englischen Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann.591 Bemerkenswert ist, dass die doctrine of frustration ein Sammelbecken verschiedener Leistungshindernisse geworden ist, die insbesondere die nachträgliche (vorübergehende oder endgültige) Unmöglichkeit, 592 nachträglich eintretende Rechtsverstöße (illegality),593 Beschaffungshindernisse594 oder Zweckstörungen595 erfasst. Sie vereint damit Vertragsstörungen, die nach deutschem Verständnis mit den Instituten der Unmöglichkeit und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geregelt werden. Sie bietet aber insbesondere keine Handhabe bei der bloßen Leistungserschwerung (hardship); eine Äquivalenzstörung als solche – auf welcher Seite des Vertrags auch immer – bedeutet noch keine frustration of contract.596
590 Davis Contractors Ltd. v. Fareham Urban District Council [1956] AC 696, 728 f., HL (Lord Radcliffe); National Carriers Ltd. v. Panalpina (Northern) Ltd. [1981] AC 675, 700, HL (Lord Simon); Treitel, Frustration and Force Majeure, Rn. 2–044 ff. Zusammenfassend Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, § 37 IV; siehe auch Smith, Contract Theory, § 9.4 (S. 371 ff.). 591 Vgl. zu den unterschiedlichen Fallgruppenbildungen McKendrick, in: Chitty on Contracts, Rn. 23–022 ff.; Schmidt-Kessel, Standards vertraglicher Haftung, S. 60 ff.; Hammer, Frustration, S. 17 ff. 592 Treitel, Unmöglichkeit, „Impracticability“ und „Frustration“, S. 20 ff.; in diesem Sinne auch Joseph Constantine Steamship Line Ltd. v. Imperial Smelting Corporation Ltd. (The Kingswood) [1942] AC 154, HL (hier wird allerdings die frustration als Unterfall der nachträglichen Unmöglichkeit angesehen). 593 Treitel, Frustration and Force Majeure, Rn. 8–001 ff.; Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 19–044 ff. 594 Treitel / Peel, Law of Contract, Rn. 19–056; Schmidt-Kessel, Standards vertraglicher Haftung, S. 71 ff. 595 So in den bekannten Krönungszugfällen, vgl. Krell v. Henry [1903] 2 KB 740, CA; zu dieser Fallgruppe Treitel, Unmöglichkeit, „Impracticability“ und „Frustration“, S. 91 ff. 596 Treitel, Unmöglichkeit, „Impracticability“ und „Frustration“, S. 75 ff.; ders., Frustration and Force Majeure, Rn. 6–020 ff. Siehe auch Goode, Commercial Law, S. 135 ff., der betont, dass die doctrine of frustration viel zu eng sei und es daher an den Parteien liege, das Risiko unvorhergesehener Umstände durch Hardship- und Force-majeure-Klauseln angemessen zu verteilen.
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c) Rechtsfolge Liegen die Voraussetzungen für die frustration of contract vor, so wird die vertragliche Bindung dadurch ipso iure und in der Regel ex nunc aufgehoben, ohne dass sich eine Partei darauf berufen müsste.597 Umgekehrt können die Parteien den Vertrag nicht wie geschlossen weitergelten lassen, vielmehr müssen sie, wenn sie an einer weiteren Bindung interessiert sind, erneut kontrahieren.598 Auf diese Weise wird das Risiko, das sich durch die Veränderung der Umstände realisiert hat, vom Schuldner auf den Gläubiger verlagert, ohne dass eine angemessene Aufteilung möglich wäre. Eine Vertragsanpassung steht nicht im Ermessen des Gerichts. Ein entsprechender Vorstoß von Lord Denning599 wurde vom House of Lords zurückgewiesen.600 Treffend daher die Feststellung von Kegel zur Praxis der englischen Gerichte: „Man operiert nicht ungern, aber scharf.“601 Nach dem traditionellen Common Law blieben alle vor dem Ereignis geleisteten Zahlungen unangetastet; lediglich die Verpflichtung zu weiteren Leistungen entfiel. Erst der Law Reform (Frustrated Contracts) Act 1943 ermöglichte eine flexiblere richterliche Verteilung der bereits erbrachten oder ausgetauschten Leistungen.602
4. PECL und DCFR a) Vorrang der Leistungspflicht Zunächst stellen die Grundregeln unmissverständlich klar, dass eine Veränderung der Umstände als solche nicht zu einer Veränderung der vertraglichen Verpflichtung führt, Art. 6:111 Abs. 1 PECL. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Kosten für die Leistung erhöht haben oder ob sich der Wert der Gegenleistung vermindert hat. Erst dann, wenn die vertragliche Verpflichtung übermäßig belastend wird (excessively onerous obligation), kommt eine Modifikation in Betracht, Art. 6:111 Abs. 2 PECL. Auch hier ist eine Neuverhandlungs-
597 Hirji Mulji v. Cheong Yue Steamship Co. Ltd. [1926] AC 497, 505, 509, HL (Lord Sumner); J. Lauritzen A.S. v. Wijsmuller B.V. (The Super Servant Two) [1990] 1 Lloyd’s Rep. 1, 8 (Lord Bingham). 598 J. Lauritzen A.S. v. Wijsmuller B.V. (The Super Servant Two) [1990] 1 Lloyd’s Rep. 1, 8, CA (Lord Bingham); Smith, Atiyah’s Introduction to the Law of Contract, S. 191 ff. 599 British Movietonews Ltd. v. London & District Cinemas Ltd. [1951] 1 KB 190, 202, CA (Lord Denning); in diesem Sinne auch Staffordshire A.H.A. v. South Staffordshire Waterworks Co. [1978] 1 WLR 1387, 1395, CA (Lord Denning). 600 British Movietonews Ltd. v. London & District Cinemas Ltd. [1952] AC 166, 185 (Lord Simon); wiederholt in Staffordshire A.H.A. v. South Staffordshire Waterworks Co. [1979] 1 WLR 203, HL. 601 Kegel, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag, S. 182. 602 Vgl. dazu Hellwege, Rückabwicklung, S. 254 ff.; Hammer, Frustration, S. 95 ff.
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pflicht mit dem Ziel der Vertragsanpassung vorgesehen anstatt einer Auflösung der Bindung. Die Vorschrift des Art. 6:111 Abs. 2 PECL stützt sich ausdrücklich auf das Vorbild von Art. 1467 c.c., soweit bei einer „eccessiva onerosità“ nicht mehr geleistet werden muss.603 Dabei drehen die PECL die Rechtsfolge bei der übermäßigen Leistungserschwerung im Vergleich zum italienischen Recht um und modifizieren sie zusätzlich: Zunächst sind die Parteien verpflichtet, in Verhandlungen über eine Änderung oder Aufhebung des Vertrags einzutreten. Erst wenn diese scheitern, so gibt Art. 6:111 Abs. 3 PECL dem Gericht die Möglichkeit der Vertragsaufhebung oder der Vertragsanpassung. Die Leistungspflicht entfällt in ihrer ursprünglichen Form erst dann, wenn die Änderung der Umstände zu einem „bedeutenden Vertragsungleichgewicht“ geführt hat.604 Die Schwelle liegt zwar unterhalb derjenigen der Unmöglichkeit, ist aber erst dann erreicht, wenn die Erfüllung der betroffenen Partei „exorbitante Kosten aufbürden würde“.605 Die Leistungsbefreiung betrifft nur nach Vertragsschluss eingetretene, für die Parteien nicht vorhersehbare Veränderungen der Umstände606 und gilt auch nur dann, wenn das Risiko, das sich verwirklich hat, nicht wegen einer (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Vereinbarung einer Partei zugewiesen ist.607 b) Vorrang der (parteilichen) Anpassung vor Aufhebung Eine wesentliche Innovation der PECL ist die Pflicht der Parteien zur Neuverhandlung, die durch die übermäßige Belastung einer Partei infolge der Umstandsänderung ausgelöst wurde. Sie beruht auf dem allgemeinen Grundsatz aus Art. 1:202 PECL, dass die Parteien eines Vertrags zur Zusammenarbeit verpflichtet sind, um dem Vertrag zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen. Auf dieser Grundlage trifft die Parteien die Pflicht, das Risiko einer unvorhersehbaren Änderung der Umstände, das durch die ursprüngliche Vereinbarung keiner Partei zugewiesen worden war, im Wege der Neuverhandlungen gerecht zu verteilen, um auf diese Weise doch noch das Vertragsziel zu erreichen. Diese Verhandlungslösung steht unter dem Postulat von Treu und Glauben; beide Par603
Kommentar A zu Art. 6:111 PECL. Kommentar B (i) zu Art. 6:111 PECL. Zum Problemkreis auch Lilleholt / Mikelsen, ERPL 2009, 573. 605 Kommentar B (i) zu Art. 6:111 PECL. 606 Aus diesem Grunde ist im Kommentar zu den PECL wiederholt vom Institut der imprévision die Rede, vgl. Kommentar A und B (i) zu Art. 6:111 PECL. Das Institut der imprévision wird in der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Behandlung von nicht vorhersehbaren Umstandsänderungen verwendet, siehe dazu die Nachweise oben bei Fn. 534. Im Kommentar zur inhaltsgleichen Vorschrift des Art. III.-1:110 DCFR wird hingegen ausschließlich der Begriff hardship verwendet. 607 So Art. 6:111 Abs. 2 lit. (a) bis (c) PECL. 604
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teien sind dazu verpflichtet, für einen zügigen Fortgang und die konstruktive Suche nach Lösungen zu sorgen. Art. 6:111 Abs. 3 Satz 2 PECL sanktioniert die Weigerung, in Verhandlungen einzutreten ebenso wie den treuwidrigen Abbruch von Verhandlungen mit einer Schadensersatzpflicht. Dabei erscheint es aus Sicht der nicht benachteiligten Partei nicht schwierig, sich durch geschickte Verhandlungstaktik einer Verhandlungslösung zu entziehen, ohne sich dadurch schadensersatzpflichtig zu machen. Der DCFR kennt mit Art. III.-1:110 DCFR eine Art. 6:111 PECL entsprechende Lösung für die Fälle der übermäßigen Belastung, definiert aber jene etwas ausführlicher, doch nur wenig präziser als „so onerous because of an exceptional change of circumstances that it would be manifestly unjust to hold the debtor to the obligation“ (Art. III.-1:110 Abs. 2 DCFR). Eine vorrangige Neuverhandlungspflicht beider Parteien kennt der DCFR indessen nicht; 608 Rechtsfolge der Störung ist stets die richterliche Anpassung bzw. Aufhebung des Vertrags. Dennoch taucht der Gedanke der Verhandlungslösung auf, und zwar in Form einer Verhandlungslast des Schuldners (Art. III.-1:110 Abs. 3 lit. d DCFR): Versucht der Schuldner bei Eintreten einer wesentlichen Umstandsänderung nicht, eine Vertragsanpassung im Verhandlungswege herbeizuführen, dann kann er keine gerichtliche Vertragsanpassung oder -aufhebung verlangen. Verweigert der andere Teil die Mitwirkung, so zieht dies keine Sanktionen nach sich. Scheitern die Verhandlungen, so hat das Gericht sowohl nach dem Konzept der PECL als auch nach dem DCFR ein weites Ermessen, die im Einzelfall angemessene Modifikation des Vertrags herbeizuführen, um das gestörte Vertragsgleichgewicht wieder herzustellen.609 Dies darf aber nicht dazu führen, dass den Parteien ein völlig neuer Vertrag aufgezwungen wird. Kann keine passende Modifikationslösung gefunden werden, so ist der Vertrag aufzuheben. c) Verhältnis zur Leistungserschwerung Eine ähnliche Regelung enthält Art. 8:108 i.V.m. Art. 9:102 Abs. 2 PECL für die der Unmöglichkeit gleichgestellten Fälle der Leistungserschwerung. Die PECL kennen daher vergleichbar dem modernisierten deutschen Recht zwei unterschiedliche Tatbestände für die Regelung übermäßig belastender vertraglicher Verpflichtungen. Dabei besteht ein Vorrang der Vertragsanpassung über Art. 6:111 PECL gegenüber der allgemeinen Leistungserschwerung nach Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL, da diese nur nach der Belastung des Schuldners 608 Kommentar C zu Art. III.-1:110 DCFR führt dies ausdrücklich auf die an der Parallelregelung in Art. 6:111 PECL geübte Kritik zurück; diese Regelung sei „undesirably complicated and heavy“. 609 Deutlich hier Kommentar D zu Art. 6:111 PECL; ähnlich Kommentar E zu Art. III.1:110 DCFR.
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fragt und unabhängig von der Art der Störungen greift. 610 Insofern ist Art. 6:111 PECL lex specialis. Die Abgrenzung zwischen beiden Tatbeständen nach Art des verwirklichten Risikos, wie sie in dieser Arbeit für das deutsche Recht vorgeschlagen wird,611 wird damit für die PECL obsolet, allerdings aber auf Kosten eines sehr weiten Tatbestandes der Leistungserschwerung in Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL. Trotzdem lässt die Formulierung von Art. 6:111 PECL erkennen, dass diese Vorschrift nur solche Störungen erfassen soll, die außerhalb des vertraglich übernommenen Risikos der benachteiligten Partei liegen. Deckt sich damit der Sache nach der Anwendungsbereich der Regel mit dem von § 313 Abs. 1 BGB, so bleiben aufgrund des Spezialitätsverhältnisses für die allgemeine Einrede der Leistungserschwerung aus Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL just diejenigen Fälle, die nach der hier vertretenen Auffassung unter § 275 Abs. 2 BGB fallen. Ein Wahlrecht zwischen Anpassung und Aufhebung, wie es etwa die Verfasser der UNIDROIT Principles intendieren und wie es im deutschen Recht auch teilweise für das Verhältnis von § 275 Abs. 2 BGB zu § 313 BGB vertreten wird,612 besteht nach den PECL nicht.613
§ 15. Zusammenfassende Würdigung Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat in der Phase der Invollzugsetzung des Vertrags durch die Schuldrechtsreform eine beachtliche positiv-rechtliche Anerkennung erfahren. Er setzt der Ausübung von Rechten Grenzen. Betroffen sind alle Arten von Ansprüchen – Primäranspruch, Nacherfüllungsanspruch und auch Sekundäranspruch – sowie Gestaltungsrechte, insbesondere Rücktritt und Kündigung. Was den Primäranspruch angeht, so setzt § 275 Abs. 2 BGB der Leistungspflicht eine Grenze dort, wo das Leistungsinteresse des Gläubigers weit weniger gewichtig ist als der Leistungsaufwand, den der Schuldner betreiben muss; § 275 Abs. 3 BGB setzt eine vergleichbare Schranke für ideelle Leistungshindernisse. Darin liegt weder eine allgemeine Einrede der Leistungserschwerung, noch statuiert der BGB-Gesetzgeber in § 275 Abs. 2 und 3 BGB eine absolute Opfergrenze, jenseits derer nicht mehr geleistet werden muss. Beide Leistungsverweigerungsrechte verlangen eine Abwägung zwischen den Belangen der 610
Vgl. Kommentar F zu Art. 9:102 PECL. Siehe oben II. 2., insbesondere unter c) (S. 260 ff.). 612 Nachweise oben Fn. 503. 613 Vgl. Art. 7.2.2. lit. b UNIDROIT Principles (Leistungserschwerung) im Verhältnis zu Art. 6.2.2 der UNIDROIT Principles, dort hardship genannt. Nach Kommentar Nr. 6 zu den UNIDROIT Principles steht den Parteien ein Wahlrecht zwischen beiden remedies zu; ebenso Vogenauer / Kleinheisterkamp / Schelhaas, Commentary on the UNIDROIT Principles, Art. 7.2.2 para. 31. 611
§ 15. Zusammenfassende Würdigung
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Vertragsparteien. Erst dann, wenn ein grobes Missverhältnis zwischen dem Leistungsinteresse des Gläubigers und den Schuldnerinteressen gegeben ist, entsteht eine Einrede gegen die bindende Wirkung der vertraglichen Abrede. Während § 275 Abs. 2 und 3 BGB damit als Ausnahmevorschriften zur nach § 241 Abs. 1 BGB bestehenden Leistungspflicht anzusehen sind, stellt sich die Situation im englischen Recht genau umgekehrt dar. Die Naturalerfüllung – specific performance – kommt dort nur ausnahmsweise in Betracht, so dass sich die Frage der Grenze rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten von vornherein umgekehrt stellt: Unter welchen Umständen kann der Gläubiger überhaupt Naturalerfüllung verlangen? Anders als in den kontinentalen Rechtsordnungen liegt es am Gläubiger, ein besonderes Interesse am Erhalt der Sache in natura darzulegen. Die Gewährung der specific performance liegt im Ermessen des Gerichts. Ungeachtet dieser Unterschiede weist die Ermessensentscheidung starke strukturelle Ähnlichkeiten mit der durch § 275 Abs. 2 und 3 BGB in Form einer Abwägungsentscheidung statuierten Grenze der Leistungspflicht auf; beide Modelle nähern sich gewissermaßen dem Kompromiss zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen von verschiedenen Seiten an. Die Existenz eines Nacherfüllungsanspruchs in Form einer Nachbesserung oder Nachlieferung des Schuldners ist historisch und vergleichend betrachtet keine Selbstverständlichkeit. Er gehört zu den zentralen Neuerungen des modernisierten deutschen Schuldrechts. Dahinter stehen die entsprechenden Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Dieser EG-Rechtsakt ist es auch, der das Nacherfüllungsverlangen unter die Einschränkung stellt, dass im Vergleich zwischen beiden Möglichkeiten der Nacherfüllung keine unverhältnismäßigen Kosten entstehen. Im deutschen Recht wurde diese Verhältnismäßigkeitsprüfung – richtlinienkonform – dahingehend erweitert, dass die Nacherfüllung insgesamt verweigert werden kann, wenn sie mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist. Für Schadensersatzansprüche enthält § 251 Abs. 2 BGB ebenfalls eine Grenze der Unverhältnismäßigkeit. Die Reichweite der dahinter stehenden, allgemeinen Wertung wird näher zu untersuchen sein. 614 Gesetzliche Gestaltungsrechte, die die Vertragsbindung vernichten wie Rücktritt und Kündigung, stehen unter einem Geringfügigkeitsvorbehalt: Eine nur unwesentliche Pflichtverletzung berechtigt in aller Regel nicht zu einer so gravierenden Sanktion wie der Lösung vom Vertrag. Paradigmatisch ist das Modell der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Nur äußerlich unterscheiden sich hiervon diejenigen Modelle, in denen nach dem Vorbild des CISG die Lösung vom Vertrag nur bei wesentlicher Vertragsverletzung möglich wird. Ob der Rücktritt von vornherein nur bei wesentlicher Pflichtverletzung gestattet wird, oder ob er ausnahmsweise bei Geringfügigkeit ausgeschlossen ist, berechtigt zu keiner unterschiedlichen dogmatischen Einschätzung: Beide Modelle beinhal614
Dazu unten §§ 22 und 23 (S. 384 ff. bzw. S. 419 ff.).
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ten Verhältnismäßigkeitsprüfungen, in denen freilich der Akzent durch das Wesentlichkeitserfordernis mehr auf der Vertragserhaltung liegt, bei der Geringfügigkeit hingegen eher die Möglichkeit des Rücktritts begünstigt wird. Alle untersuchten Rechtsordnungen kennen daneben die Möglichkeit der Modifikation des Vertrags bei nachträglich auftretenden Umständen, die ein Festhalten an der ursprünglichen Vereinbarung unzumutbar erscheinen lassen, heißen sie nun Wegfall der Geschäftsgrundlage, eccessiva onerosità sopravvenuta oder frustration of contract. Im Einzelnen bestehen dabei aber erhebliche Unterschiede, die weniger in den tatbestandlichen Voraussetzungen begründet sind, sondern eher in den Rechtsfolgen. Hier favorisieren das deutsche Recht und die PECL bzw. der DCFR einen Vorrang der Anpassung der Vertrags an die veränderten Umstände. Während § 313 BGB diese Aufgabe dem Richter zuweist, verweisen die PECL die Parteien zunächst darauf, die Anpassung durch Statuierung einer Neuverhandlungsobliegenheit selbst herbeizuführen. Umgekehrt geht das italienische Recht von einem Vorrang der Auflösung vor, lässt der davon betroffenen Partei aber die Möglichkeit der „Nachbesserung“, sodass wieder ein vertragliches Gleichgewicht hergestellt ist. Einen richterlichen Eingriff in das Vertragsgefüge sieht der italienische Codice civile indessen nicht vor; ist das Angebot des anderen Teils nicht ausreichend im Sinne einer Wiederherstellung des Vertragsgleichgewichts, so wird der Vertrag aufgelöst. Eine gewisse Extremposition nimmt das englische Recht ein, das bei Vorliegen der Voraussetzungen der frustration of contract von einer Nichtigkeit des Vertrags ipso iure ausgeht. Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist nicht daran gebunden, dass eine Partei die Position des „Schwächeren“ innehat. Ob eine Partei der anderen überlegen ist oder nicht, spielt keine Rolle. Dies kann selbstverständlich so sein, wie etwa bei der Kündigung des Arbeitgebers, die unter einem Wesentlichkeitsvorbehalt steht. Verallgemeinern lässt sich das nicht: Die Verhältnismäßigkeit begrenzt das Recht des („schwächeren“) Verbrauchers gegen den („stärkeren“) Unternehmer auf Nacherfüllung, sie schließt andererseits aber sein Rücktrittsrecht aus, wenn die Pflichtverletzung nur geringfügig war. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewissermaßen neutral, er dient der Austarierung situativ bestehender Interessenkonflikte ohne Ansehung der Rolle der jeweiligen Vertragspartei.
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Zweiter Teil
Verhältnismäßigkeit als übergreifender Rechtsgrundsatz des Vertragsrechts
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Kapitel 5
Die Struktur der Verhältnismäßigkeitskontrolle § 16. Verhältnismäßigkeit als begrenzender und ausgleichender Faktor Die Darstellung im ersten Teil hat gezeigt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht im Wesentlichen zwei Funktionen erfüllt: Er dient zum einen der Begrenzung von privatrechtlich vereinbarten Rechten und Pflichten, zum anderen dem Ausgleich gegenläufiger Interessen der Parteien des Vertrags. Beide Aspekte weisen Berührungspunkte auf, hat doch die Begrenzung einer „überschießenden“ Rechtsmacht der einen Seite gleichzeitig auch eine ausgleichende Wirkung. Doch ist die Trennung beider Funktionen im geltenden Recht klar angelegt: Mit der Anordnung einer Verhältnismäßigkeitskontrolle auf der Tatbestandsebene ist zunächst keine Aussage darüber getroffen, welche Folgen sich daraus ergeben.
I. Die Begrenzungsfunktion Die Funktion der Verhältnismäßigkeit als begrenzender Faktor zeigt sich auf verschiedenen Ebenen. Im ersten Teil erfolgte die Darstellung danach, wo die Verhältnismäßigkeitskontrolle ansetzt: Bereits bei der Gültigkeit des Vertrags selbst bzw. Teilen davon, oder erst bei der Ausübung vertraglicher Rechte. Es hat sich gezeigt, dass die Begrifflichkeiten schwanken, das Gesetz die Begriffe des „auffälligen“ oder „groben Missverhältnisses“, der „unangemessenen Benachteiligung“, der „unverhältnismäßigen Höhe“ oder der „unverhältnismäßigen Kosten“ verwendet, der Sache nach damit aber eine Gegenüberstellung verschiedener Positionen und Interessen verlangt. Allen Regelungen ist gemein, dass sie an die Verhältnismäßigkeitskontrolle eine Modifikation der vertraglich vereinbarten Rechtspositionen knüpfen. Diese besteht nicht zwingend darin, das „Unverhältnismäßige“ wieder „verhältnismäßig“ zu machen. Ist die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit, die in jedem Einzelfall unterschiedlich ausgestaltet sein kann, überschritten, so folgt daraus in jedem Fall aber eine Beschränkung der Rechtsmacht des Berechtigten. Man kann daher von einer Begrenzungs- oder Relativierungsfunktion der Verhältnis-
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Kapitel 5: Die Struktur der Verhältnismäßigkeitskontrolle
mäßigkeit sprechen, die zugunsten des von der Rechtsausübung Betroffenen wirkt.1
II. Die Ausgleichsfunktion Weniger selbstverständlich ist demgegenüber die Ausgleichsfunktion der Verhältnismäßigkeit. Darunter kann man gewissermaßen als Kehrseite zur Begrenzungsfunktion die Rückführung des Unverhältnismäßigen auf das rechte Maß verstehen. Die untersuchten Fälle haben jedoch gezeigt, dass keinesfalls ein dahingehender Automatismus besteht, im Gegenteil: Das Gesetz sanktioniert die Fälle der Unverhältnismäßigkeit regelmäßig mit der Unwirksamkeit der betreffenden rechtsgeschäftlichen Regelung oder des Teils davon. Dies zeigen etwa die §§ 138 Abs. 2, 307 Abs. 1, 275 Abs. 2 BGB: Das wucherische oder wucherähnliche Rechtsgeschäft ist nach der eindeutigen gesetzlichen Anordnung nichtig; die unangemessene Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist unwirksam; die Leistung kann vom Schuldner verweigert werden, wenn sie unverhältnismäßige Aufwendungen erfordert. Das Gesetz erfordert mithin nicht die Rückführung des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts auf das erträgliche Maß; es nimmt der anstößigen Klausel nicht nur den überschießenden Teil; es befreit den Schuldner von der Leistungspflicht insgesamt und bürdet ihm nicht etwa noch die Erbringung desjenigen Aufwandes auf, der vertraglich geschuldet wäre. Nur ausnahmsweise weicht das Gesetz von diesem Schema ab. Paradigmatisch hierfür ist die Herabsetzung der Vertragsstrafe nach § 343 BGB: Die unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafe kann vom Gericht auf Antrag auf ein angemessenes Maß herabgesetzt werden. Es hat sich gezeigt, dass die Begrenzungsund die Ausgleichsfunktion dabei nicht notwendig an denselben Maßstäben orientiert sind. 2 Die Herabsetzung der überhöhten Vertragsstrafe orientiert sich nicht notwendig an dem gerade noch angemessenen Betrag. Der Richter hat hier vielmehr in einer eigenständigen Abwägung einen Betrag festzusetzen, der die widerstreitenden Interessen zum Ausgleich bringt: Einerseits das legitime, von der Rechtsordnung anerkannte Interesse des Gläubigers an der Ausübung eines gewissen Drucks auf den Schuldner, andererseits aber auch maßgeblich dessen Schutz vor Belastungen, die er bei Vertragsschluss nicht absehen konnte. Auch bei Störungen der Geschäftsgrundlage sieht das Gesetz zunächst nicht die Vernichtung der vertraglichen Bindung, sondern in § 313 Abs. 3 BGB vielmehr deren Anpassung an die veränderten Umstände vor. Hierbei sind einerseits sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, um eine interes1 2
Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 189. Oben § 10 III. (S. 152 ff.).
§ 17. Öffentlichrechtliche Determinierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit? 287
sengerechte Lösung zu erzielen, andererseits gilt, dass die bestehende vertragliche Risikoverteilung nur so weit abgeändert werden darf, wie nötig, um die durch die Störung bedingte Verschiebung wieder zu beheben. Ob die unter den Begriff der geltungserhaltenden Reduktion gefassten Ausnahmen von der gesetzlich angeordneten Rechtsfolge der Nichtigkeit als Fälle der Ausgleichsfunktion des Verhältnismäßigkeitsprinzips angesehen werden können oder nicht, wurde oben offen gelassen.3 Ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch die gesetzliche Anordnung der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts bzw. eines Teils davon zu überwinden vermag, ist auch an dieser Stelle noch nicht zu entscheiden. Das hängt unter anderem davon ab, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rang über den einfachgesetzlichen Wertungen steht. Dem ist im Folgenden nachzugehen.
§ 17. Öffentlichrechtliche Determinierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit? Bei der Suche nach möglichen Erklärungen für die privatrechlichen Ausprägungen der Verhältnismäßigkeitskontrolle wird vielfach nicht im Privatrecht selbst angesetzt, sondern im öffentlichen Recht. Nachdem die Verhältnismäßigkeitskontrolle in diesem Rechtsgebiet eine beherrschende Stellung einnimmt, die grundsätzlich sämtliche Rechtsakte erfasst, scheint es nahe liegend, die privatrechtlichen Erscheinungsformen an der für das öffentliche Recht entwickelten Dogmatik auszurichten und den Geltungsgrund dort zu suchen. Dabei werden zwei Wege beschritten: Ein erster Ansatz geht vom Stufenbau der Rechtsordnung aus; er versucht zu begründen, warum und inwieweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als verfassungsrechtlich installierter Kontrollmechanismus auch im Privatrecht Anwendung findet (und finden muss). Hierauf ist sogleich zurückzukommen (unten II.). Ein zweiter Ansatz basiert auf der Prämisse, dass die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Privatrecht auf einer rechtsfortbildenden Übertragung des öffentlich-rechtlichen Prinzips auf das Privatrecht beruht und als solche einer Rechtfertigung bedarf (unten I.).
3 Oben § 5 III. 2. c) (S. 62 ff.) für die Wucherfälle sowie § 9 III. 3. a) (S. 129 ff.). für die AGB-Kontrolle.
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I. Übertragung der öffentlich-rechtlichen Dogmatik auf das Privatrecht? 1. Die Transformationsthese Beispielhaft für den zweitgenannten Ansatz steht die Arbeit von Bieder.4 An deren Anfang steht der Befund, dass „das Verhältnismäßigkeitsprinzip von nahezu allen Bereichen des Privatrechts Besitz ergriffen“ habe.5 Gemeint ist dabei immer das Verhältnismäßigkeitsprinzip i.w.S.6 Diese „Transformation“7 des Grundsatzes in das Privatrecht sieht Bieder als in hohem Maße begründungsbedürftig,8 da sie einen Akt der Rechtsfortbildung darstelle und in Konflikt mit spezifisch privatrechtlichen Konfliktlösungsinstrumenten wie insbesondere dem Grundsatz von Treu und Glauben, dem Verbot des Rechtsmissbrauchs oder die Grundsätze ergänzender Vertragsauslegung trete.9 Zutreffend unterstreicht die Arbeit, dass die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht eine Verhaltenssteuerung nach sich zieht: Privates Handeln wird nicht mehr von der Willkür des Einzelnen getragen, sondern unterliegt Schranken, die insbesondere in Bezug auf das Ultima-ratio-Prinzip gravierende Folgen haben, mithin die Grenzen der Privatautonomie verschieben, ja sogar überflüssig werden lassen.10 Bieder wendet sich daher gegen eine so verstandene, allgemeine „Transformation“ des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit i.w.S. vom öffentlichen Recht auf das Privatrecht.11 Diese will er nur dann zulassen, wenn eine dem Verhältnis Staat-Bürger vergleichbare Lage auch zwischen Privatrechtssubjekten vorliegt. Dabei geht es ihm aber nicht um Über-Unterordnungsverhältnisse, vielmehr sieht Bieder eine Parallele dann, wenn Private als Sachwalter fremder Interessen tätig werden; insoweit bestehe eine Analogie zu Handlungen des Staates, da auch dieser ausschließlich fremdnützig tätig werde.12 Bieder unterscheidet demnach zwi4 Bieder, Das ungeschriebene Verhältnismäßigkeitsprinzip als Schranke privater Rechtsausübung, S. 5 ff., 15 ff. Dieser Ansatz findet sich etwa auch bei Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 431, 435. 5 Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 5. 6 Deutlich etwa Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 12, 27. 7 Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 12, 27, 102, 108, 125 und öfter. 8 Vgl. Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 101: Es bestehe eine Vermutung, dass der Gebrauch privatautonomer Gestaltungsmacht legitim sei. Daher müsse nicht etwa die These von der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Privatrecht widerlegt werden, vielmehr sei umgekehrt die Einschränkung der Privatautonomie durch die Transformation rechtfertigungsbedürftig. 9 Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 5, 11, 15, 40. 10 Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 39 ff.; ebenso bereits etwa Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 114. 11 Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 15 ff., 27 ff., 101 ff. 12 Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 260.
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schen eigennützigen und fremdnützigen Tätigkeiten: Nur bei letzteren sei die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit i.w.S. gerechtfertigt, da die so bewirkte Verhaltenssteuerung keine Kollision mit der Individualsphäre des Adressaten herbeiführe. Dies wird am Beispiel der Treuhand exemplifiziert: Da der Treuhänder eigene Belange nicht über diejenigen des Treugebers stellen dürfe, sei die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zur Wahrung von dessen Interessen legitimiert.13 Bei eigennützigen Geschäften hingegen hält Bieder allenfalls den Teilgrundsatz der Verhältnismäßigkeit i.e.S. für anwendbar, diesbezüglich könne aber von einer umfassenden Geltung im gesamten Privatrecht gesprochen werden.14 Bieder kommt in seiner Untersuchung zum Ergebnis, dass ein Nachweis für die These der „Transformation“ des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in das Privatrecht nicht erbracht werden kann.
2. Die Notwendigkeit eines privatrechtlichen Begründungsansatzes Dieses Ergebnis stimmt mit dem hier vertretenen Ansatz durchaus überein. Gleichwohl erscheint es nicht sinnvoll, von einer „Transformation“ des Grundsatzes in das Privatrecht zu sprechen und Gründe zu suchen, die dafür oder dagegen sprechen. Das Privatrecht hat lange vor dem Aufkommen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Verwaltungs- und Verfassungsrecht eigenständige dogmatische Figuren entwickelt, die zur Lösung von Konflikten zwischen Privaten zur Anwendung kommen. Der Gedanke der (Un-)Verhältnismäßigkeit ist kein Fremdkörper im Privatrecht, sondern gehört zu den traditionellen Instrumentarien der Begrenzung von Leistungspflichten.15 Infolgedessen muss eine Strukturierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Privatrecht selbst beginnen; für eine „Transformation“ des Grundsatzes vom öffentlichen Recht auf das Privatrecht besteht jenseits der methodischen und dogmatischen Bedenken auch keine Notwendigkeit.16
13
Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 261 ff. Dazu noch unten bei Fn. 211. Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 183 ff. 15 Vgl. etwa Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 275; ders., in: FS Dieterich, S. 429, 433; siehe auch bereits Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 5. Aufl. 1879, Band 2, § 264, S. 59 zur Einschränkung der Leistungspflicht bei Unverhältnismäßigkeit. Näher dazu unten § 21 I. (S. 358 ff.). 16 Auch Mayer-Maly (ZfA 1980, 473, 475) geht offenbar von einem rein verfassungsrechtlichen Verständnis des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus, wenn er ausführt, es sei „etwas kunstvoll“, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Privatrecht gleichsam nachträglich in den Regelungen über Sachwehr und Sachnotstand (§§ 228, 904 BGB) sowie im richterlichen Mäßigungsrecht bei erhöhten Vertragsstrafen (§ 343 BGB) zu entdecken. Ähnlich Merten, in: FS Schambeck, S. 349, 364 f. 14
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Dies gilt selbst dann, wenn man – wie Bieder – den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht für apriorisch vorgegeben hält.17 Nichts spricht gegen die Entwicklung und Konturierung des Grundsatzes unter Zuhilfenahme privatrechtlicher Methodik. Man kann die Verhältnismäßigkeitsidee aber auch als ein allgemeines Postulat juristischen Denkens ansehen, die unabhängig vom Rechtsgebiet Geltung beansprucht, abhängig davon unterschiedliche Ausformungen erfährt und daher von vornherein keiner „Transformation“ vom öffentlichen Recht in das Privatrecht bedarf.18 Gegen einen „privatrechtlichen“ Ansatz spricht daher nicht, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit öffentlich-rechtlicher Prägung erst nach dem 2. Weltkrieg in der heute bekannten Form entwickelt worden ist. Es geht nicht um eine „Neuinterpretation“ der Normen des BGB als Ausprägungen dieses Prinzips.19 Der umgekehrte Zusammenhang ist zutreffend: Bereits die Tatsache, dass die Regelungen des BGB zeitlich vor der Entwicklung und Ausformung des Grundsatzes im öffentlichen Recht in Geltung waren, erfordert und legitimiert einen privatrechtlichen Begründungsansatz. Zwar sind viele der in dieser Arbeit untersuchten Normen erst durch die Schuldrechtsmodernisierung in das BGB eingefügt worden und damit nachkonstitutionelles Recht. Die Reform hat darin jedoch nur die durch richterliche Rechtsfortbildung auf der Grundlage von § 242 BGB geschaffenen Institute kodifiziert, so dass deren Regelungskern bereits im Grundsatz von Treu und Glauben angelegt ist.20 Das Privatrecht ist damit nicht auf den „Import“ des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus dem öffentlichen Recht angewiesen, sondern besitzt spezifische Konfliktlösungsmechanismen, die ihrerseits Ausprägungen der Verhältnismäßigkeitsidee sind. Somit bleibt die Frage, ob es nicht – außerhalb einer durch Rechtsfortbildung zu erfolgenden „Transformation“ des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vom öffentlichen Recht in das Privatrecht – der Stufenbau der Rechtsordnung ist, der für eine Geltung des „verfassungsrechtlichen“ Grundsatzes im Privatrecht sorgt.
17
Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 16 Fn. 77. Dazu insbesondere Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 43 ff.; Kunig, in: FS Prölss, S. 143, 150 f.; Vranes, AVR 47 (2009), 1, 14 f., 20 ff. (aus völkerrechtlicher Sicht). 19 So aber, ausgehend von der Prämisse der Transformationsthese Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 138: Dem historischen Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, er habe durch die Verwendung entsprechender Begriffe in den Normen des BGB zugleich das Verhältnismäßigkeitsprinzip im modernen Verständnis regeln wollen. Ähnlich Mayer-Maly, ZfA 1980, 473, 475: Es sei „etwas kunstvoll“, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Privatrecht gleichsam nachträglich in einigen positiv-rechtlichen Ausprägungen (§§ 228, 904 sowie 343 BGB) zu entdecken. 20 Zur Kardinalfunktion des § 242 BGB für die Verhältnismäßigkeitskontrolle unten § 22 (S. 384 ff.). 18
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II. Verfassungsrechtlich vermittelte Geltungskraft? Im Folgenden ist der Frage nachzugehen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Verankerung schon aus Gründen der Normenhierarchie im Privatrecht Geltung entfaltet, und wenn ja, welche Auswirkungen dies hat. Es ist weiter zu klären, ob es einen spezifisch verfassungsrechtlichen und einen spezifisch privatrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gibt.
1. Die Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im öffentlichen Recht Im öffentlichen Recht, zumal im Verfassungsrecht, ist die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als Beschränkung staatlicher Gestaltungsmacht anerkannt. Aus der Geltung des Gewaltmonopols ergibt sich, dass der Staat gegenüber dem Bürger nicht weiter gehen darf, als im Einzelfall zur Erreichung des verfolgten Zwecks erforderlich ist.21 Der historische Ursprung der Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips liegt gleichwohl nicht im Verfassungsrecht, sondern im Verwaltungsrecht.22 Namentlich die polizeiliche Generalklausel in § 10 II 17 des preußischen ALR diente als Ausgangspunkt für die Herausbildung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahren zu treffen, ist das Amt der Polizey.“ Aus der in dieser Norm enthaltenen Einschränkung („nöthige Anstalten“) hat das Preußische Oberverwaltungsgericht den Grundsatz der Erforderlichkeit, also des mildesten Mittels, entwickelt.23 Vom Polizeirecht aus dehnte sich der so verstandene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – auch unter dem Einfluss von Otto Mayer, der deren Charakter als verbindliche Rechtsschranke herausarbeitete24 – nach und nach auf das gesamte Verwaltungsrecht aus. 25 21 BVerfGE 19, 342, 348 f.; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 22; Merten, in: FS Schambeck, S. 349, 354 ff. 22 Eingehend zur Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert Remmert, Grundlagen des Übermaßverbotes, S. 8 ff.; vgl. auch d’Avoine, Die Entwicklung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, S. 69 ff.; Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 2 ff. Zur historischen Herleitung der Verhältnismäßigkeitsidee näher unten § 21 I. (S. 358 ff.). 23 Vgl. PrOVG, Urt. v. 10.4.1886 Az.: Rep. I.C. 155/85, PrOVGE 13, 424, 425 f.: Die angedrohte Schließung eines Geschäftslokals wegen unbefugten Spirituosenhandels sah das Gericht als „… weit über das erstrebte Ziel hinausgehendes Vorgehen“. 24 Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 267, wo die Verhältnismäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme bei der Abwehr von Störungen gefordert wird. 25 Vgl. zur Entwicklung Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 24 f.; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 2 ff.; Remmert, Grundlagen des Übermaßverbotes, S. 8 ff.
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Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete sich – auch unter naturrechtlichem Einfluss26 – zunehmend, wenn auch nicht terminologisch deutlich unterschieden, eine weitere Dimension des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit heraus: diejenige der Angemessenheit des Mittels. Diese Entwicklung lässt sich etwa in verschiedenen Polizeigesetzen der Nachkriegszeit feststellen, in denen die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne neben dem Grundsatz der Erforderlichkeit als Schranke polizeilicher Eingriffsbefugnisse normiert wird. 27 Terminologisch wurden jedoch anfangs beide Teilgrundsätze – ohne diese deutlich zu unterscheiden – unter den Oberbegriff der Verhältnismäßigkeit gefasst.28 Das Bundesverfassungsgericht greift seit den ersten Entscheidungen auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne) zurück; 29 von da an entwickelt sich der Grundsatz zu einem festen Bestandteil der verfassungsgerichtlichen Judikatur.30
2. Verfassungsrechtliche Grundlagen Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als allgemeiner Rechtsgrundsatz von Verfassungsrang angesehen.31 Umstritten ist indessen seine genaue Verortung im Grundgesetz.32 a) Ableitung aus der Wesensgehaltsgarantie? Vereinzelt wurde vorgeschlagen, das Gebot der Verhältnismäßigkeit aus der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG abzuleiten.33 Art. 19 Abs. 2 GG verbietet es, ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt anzutasten. Verbindungen zur Verhältnismäßigkeit bestehen durchaus, denn auch diese verbietet es im Ergebnis, ein Grundrecht so einzuschränken, dass nicht einmal dessen Kern übrig bleibt. Der eigentliche Regelungsbereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips 26
Vgl. etwa Coing, Die obersten Grundsätze des Rechts, S. 74 ff. Zur Entwicklung finden sich zahlreiche Nachweise bei Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 12 ff. 28 Kritisch mit Belegen Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 14 ff. 29 BVerfGE 3, 383, 399; seit der Entscheidung BVerfGE 7, 377, 405 ff. (Apothekenurteil) st. Rspr. Einschränkend Raue, AöR 131 (2006), 79, 90 ff., 97 ff., 114 ff., der den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.w.S. nur bei vorbehaltlos gewährten Grundrechten anwenden will. Bei den anderen Grundrechten trete Art. 19 Abs. 1 GG und insbesondere auch die „absolut zu interpretierende“ Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG an die Stelle der Verhältnismäßigkeit i.e.S. 30 Eingehend zur Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Grabitz, AöR 98 (1973), 568 ff.; Stern, in: FS Lerche, S. 165, 166 mit Fn. 4. 31 BVerfGE 19, 342, 348 f.; BVerfGE 71, 64, 65; st. Rspr. 32 Zu den verschiedenen Begründungsansätzen Dechsling, Verhältnismäßigkeit, S. 83 ff.; Stern, in: FS Lerche, S. 165, 171 ff.; Merten, in: FS Schambeck, S. 349, 357 ff., 365 ff. 33 So insbesondere von Krauss, Verhältnismäßigkeit, S. 47 ff.; vgl. in diese Richtung auch BGHZ 6, 270, 279; BGHZ 43, 196, 203. 27
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wird dadurch jedoch nicht hinreichend erfasst: Dieser liegt regelmäßig unterhalb der Schwelle der Wesensgehaltsgarantie.34 b) Verankerung im Rechtsstaatsprinzip? Die Rechtsprechung des BVerfG und eine starke Literaturmeinung leiten die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ab.35 Diese Begründung erscheint intuitiv eingängig, da das Rechtsstaatsprinzip auf die Verwirklichung der Gerechtigkeit des Staatshandelns gerichtet ist: Das Rechtsstaatsprinzip ist als offenes Prinzip scheinbar prädestiniert, Sitz einer so allgemeinen Schranke staatlichen Handelns wie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu sein. Gleichwohl birgt die Verortung in Art. 20 Abs. 3 GG die Gefahr einer petitio principi:36 Sieht man den Kern des materialen Rechtsstaatsprinzips im Gebot des gerechten Staatshandelns, 37 so bleibt die Aufgabe der Präzisierung des Begriffs der Gerechtigkeit. Dies wiederum mit der Verhältnismäßigkeit zu tun, könnte eine Scheinbegründung darstellen.38 Das Rechtsstaatsprinzip vereint eine Vielzahl von einzelnen Teilelementen, wie etwa den Grundsatz der Gewaltenteilung, das Gebot der Berechenbarkeit staatlichen Handelns und vor allem auch die Grundrechte. 39 Nachdem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Bereich des Verfassungsrechts typi-
34 Zur Kritik Merten, in: FS Schambeck, S. 349, 360; von Arnauld, JZ 2000, 276, 277; Raue, AöR 131 (2006), 79, 93 ff.; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 286; vgl. auch Kunig, in: FS Prölss, S. 143, 149. 35 BVerfGE 69, 1, 35; BVerfGE 81, 310, 338; BVerfGE 92, 272, 335; ebenso BGHZ 109, 306, 312 f.; BGHZ 118, 312. Die Literatur folgt – teils unter Kritik – überwiegend dem BVerfG, vgl. Stern, Handbuch des Staatsrechts, Band I, § 20 III 3 (S. 783 ff.) sowie IV 7 (S. 861 ff.); Maunz / Dürig / Herzog, Art. 20 GG Rn. VII 72; Sachs / Sachs, Art. 20 GG Rn. 146; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 286; Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 584; Bleckmann, JuS 1994, 177, 178 f. 36 Kritisch etwa Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 32; Schnapp, JuS 1983, 850, 852; Stern, in: FS Lerche, S. 165, 173 f.; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 253; Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 52 ff.; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 103 ff. sowie (auch in Bezug auf weitere Begründungsansätze) von Arnauld, JZ 2000, 276 ff. 37 So etwa Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 20 GG Rn. 58 ff.; ähnlich Stern, Handbuch des Staatsrechts, Band I, § 20 III 1 (S. 781); ders., in: FS Lerche, S. 165, 173; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 24 ff. 38 Vgl. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 32; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 350 ff.; Merten, in: FS Schambeck, S. 349, 367 ff.; Raue, AöR 131 (2006), 79, 108 ff.; Bleckmann, JuS 1994, 177, 178 (die Zuordnung zum Rechtsstaatsprinzip sei nur dann möglich, wenn man in diesem die Forderung nach materialer Gerechtigkeit sieht, die wiederum nur durch Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen erfolgen könne). Larenz, Richtiges Recht, S. 131, leitet das Übermaßverbot direkt „aus der Idee des Gerechten“ ab. Zur „materialen“ Dimension des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes näher unten § 21 (S. 357 ff.). 39 Maunz / Dürig / Herzog, Art. 20 GG Rn. VIII 3; Stern, Handbuch des Staatsrechts, Band I, § 20 III 4 (S. 789 ff.); Sachs / Sachs, Art. 20 GG Rn. 77.
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scherweise als Schranken-Schranke von Grundrechten wirkt, liegt es nahe, seine verfassungsrechtliche Verankerung zunnächst auch dort zu suchen.40 c) Verhältnismäßigkeit und Grundrechtskollisionen Das Bundesverfassungsgericht41 sieht den Geltungsgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips – neben dem Rechtsstaatsprinzip – in Übereinstimmung mit einer starken Literaturmeinung42 teilweise auch in den Grundrechten selbst. Hervorgehoben wird dabei insbesondere die durch Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit,43 die auf eine größtmögliche Freiheit des Einzelnen, auf dessen umfassende Entfaltung der Persönlichkeit gerichtet. Diese Sichtweise lenkt den Blick auf eine wichtige Einsicht: Die Funktion des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist es, die Art und Weise eines staatlichen Eingriffs in Grundrechte auf solche Maßnahmen zu beschränken, die zur Erreichung des hoheitlichen Ziels geeignet und erforderlich sind und den einzelnen nicht übermäßig belasten.44 Die bloße Existenz der Grundrechte bedingt deren möglichst weitgehende Geltung; Eingriffe bedürfen der Begründung.45 Es handelt sich um eine Regel-Ausnahme-Konstellation: Die Geltung des Grundrechts ist die Regel, dessen Einschränkung die begründungsbedürftige Ausnahme.46 Die Verhältnismäßigkeit fungiert gewissermaßen als Puffer, der die Grundrechte vor ungerechtfertigten Eingriffen schützt. Aus dieser Perspektive zeigt sich, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip formalen Charakter hat:47 Es sagt nichts über die zu vergleichenden Parameter aus; die materielle Wertung folgt vielmehr alleine aus dem Grundrecht, dessen Einschränkung in Rede steht.
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Es ist jedoch nicht falsch, das Rechtsstaatsprinzip insofern als materialen Sitz des verfassungsrechtlichen Gebots der Verhältnismäßigkeit anzusehen, als es selbst die Maxime der Gerechtigkeit des Staatshandelns versinnbildlicht. Siehe dazu noch unten § 24 (S. 440 ff.). 41 Vgl. BVerfGE 19, 342, 348 f. oder BVerfGE 65, 1, 44. 42 So insbesondere Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 354 ff.; Merten, in: FS Schambeck, S. 349, 372 ff.; Starck, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 285; Schlink, in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 2, S. 445, 448; ähnlich Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100 ff. (der diesen Ansatz grundsätzlich jedoch nicht im Sinne eines Ausschlusses anderer Herleitungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips, etwa aus dem Rechtsstaatsprinzip, verstanden wissen will). Kritisch dazu Klement, JZ 2008, 756, 761 f. 43 Vgl. nur BVerfGE 6, 32, 36 (Elfes); BVerfGE 80, 137, 152 m.w.N. (Reiten im Walde). 44 Vgl. etwa BVerfGE 7, 377, 407 (Apotheken-Urteil) sowie Bleckmann, JuS 1994, 177, 178. 45 Merten, in: FS Schambeck, S. 349, 374 ff. (der von einem prinzipiellen Vorrang der Freiheit spricht). 46 Kritisch zu dieser Begründung (sie setze voraus, was sie beweisen wolle) Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 32 ff. Lerche selbst sieht die Verkörperung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im „dirigierenden Teil“ der Verfassung als dessen Geltungsgrundlage an (a.a.O., S. 61 ff., 78 ff.). 47 So auch Sachs / Sachs, Art. 20 GG Rn. 155.
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Die Frage, ob dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlicher Rang zukommt,48 und wo er in diesem Fall zu verorten ist, scheint vor diesem Hintergrund nicht von entscheidender Bedeutung.49 Begreift man ihn als formalen Interpretationsmechanismus, mit dessen Hilfe Gehalt und Reichweite der Grundrechte im Kollisionsfall bestimmt werden kann, so handelt es sich um einen allgemeinen Denkansatz, nicht aber um ein (materiales) Verfassungsprinzip.50 Verfassungsrechtlicher Rang kommt streng genommen allein dem Gehalt der in Rede stehenden Grundrechte zu, nicht aber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies zeigt auch eine Parallele zum Gedanken der „praktischen Konkordanz“:51 Bei einem Konflikt zwischen zwei Grundrechtspositionen ist möglichst beiden so weit wie möglich zur Geltung zu verhelfen; man kann auch von einem in Bezug auf den materiellen Gehalt des Grundrechts bestehenden Optimierungsgebot sprechen.52 Dahinter steht nicht zuletzt der Gedanke der Einheit der Verfassung, der es verbietet, einen Verfassungsgrundsatz isoliert zu betrachten und seine Wechselwirkung mit anderen Gütern zu ignorieren. 53 Kern der praktischen Konkordanz ist eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Verfassungsgüter.54 Insoweit besteht eine Übereinstimmung mit der Verhält48 Vgl. auch das griechische Recht, das in Art. 25 Abs. 1 griech. Verf. den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich kodifiziert hat, dazu (aus privatrechtlicher Sicht) kritisch Georgiades, in: FS Westermann, S. 209, 222 ff. 49 Ähnlich Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 238 ff., der selbst von Gewohnheitsrecht ausgeht (a.a.O., S. 465); vgl. auch Dreier / Dreier, Vorbem. Rn. 145, der die Verortung der Verhältnismäßigkeit offen lässt, da „entscheidend und unstreitig ist, dass es sich um einen Grundsatz von Verfassungsrang handelt“. 50 In diesem Sinne vor allem H. Huber, ZSR 96, I (1977), 1, 17 ff.; zustimmend Zimmerli, ZSR 97, II (1978), 1, 22 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 53 f., 69 (nicht das Verhältnismäßigkeitsprinzip selbst, nur die mit dessen Hilfe interpretierten Normen haben Verfassungsrang); dezidiert auch Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 82 III (S. 655); ähnlich wohl auch die Position von Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 66 und von Scholz, NJW 1983, 705, 709 f. Kritisch hierzu Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 432 f. 51 Dazu Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 125 ff. (nach beiden Seiten hin schonendster Ausgleich); Hesse, Verfassungsrecht, § 2 Rn. 72. Das BVerfG hat sich dem angeschlossen, vgl. etwa BVerfGE 41, 29, 51 (Simultanschule). 52 Hesse, Verfassungsrecht, § 2 Rn. 72; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff.; Bleckmann, JuS 1994, 177, 178. Ebenso Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 64 ff. Der Sache nach auch Canaris, Systemdenken, S. 52 ff., 115 f., der die Funktionsweise von Prinzipien dadurch kennzeichnet, dass sie ihr konkretes Anwendungsfeld „erst in einem Zusammenspiel wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung finden“. Dem entspricht die Forderung nach Optimierung, vgl. ausdrücklich Canaris, Iustitia distributiva, S. 22 f.; Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 329 ff. Kritisch für den grundrechtlichen Kontext demgegenüber Raue, AöR 131 (2006), 79, 108, der darauf hinweist, dass manche Grundrechte (z.B. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) auch absoluten Schutz beinhalten. Dies spricht jedoch nicht grundsätzlich gegen den Optimierungsgedanken, vgl. auch unten bei Fn. 269. 53 BVerfGE 30, 1, 19 (Abhörurteil). 54 Stern, Handbuch des Staatsrechts, Band I, § 4 III 8 b (S. 133) sowie eingehend Band III / 2, § 84 IV (S. 814 ff.).
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nismäßigkeitsprüfung. Ein Unterschied liegt indessen darin, dass bei der praktischen Konkordanz die Kollision zweier gleichwertiger Güter zum Ausgleich gebracht werden muss, während bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein Rangunterschied insoweit besteht, als das Grundrecht durch eine Bestimmung des einfachen Rechts eingeschränkt wird. Rechtstechnisch sind beide Vorgänge jedoch vergleichbar.55 Man kann den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit daher als ein Metaprinzip bezeichnen, das als solches nur zur Steuerung der materiellen Verfassungsgrundsätze, insbesondere der Grundrechte, dient.56 Als solches ist er vergleichbar den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, deren Geltung auch im Verfassungsrecht unbestritten ist,57 die jedoch also solche keinen Verfassungsrang haben. Verfassungsrang hat allein die auszulegende Norm.
III. Verfassungsrecht und Privatrecht Wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie dargelegt, ein Regulativ bei Grundrechtskollisionen ist, dann könnte er von Verfassungs wegen zumindest mittelbar auch bei privatrechtsrelevanten Grundrechtskonflikten Geltung beanspruchen. Es stellt sich daher zunächst die Frage des Einflusses der Grundrechte auf das Privatrecht.
1. Die Auswirkungen der Grundrechte auf das Privatrecht Das noch unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung – trotz der in Art. 152 WRV ausdrücklich gewährleisteten Vertragsfreiheit – bestehende traditionelle Verständnis des Privatrechts als verfassungsfreier Raum58 wandelte sich in der Nachkriegszeit grundlegend. Die Verfassung steht im Rang über dem einfachen Recht. Dies ergibt sich aus der Verfassungs- und insbesondere der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). Aus dem Stufenbau der Rechtsordnung ergibt sich damit grundsätzlich die Geltung der Grundrechte auch für Normen des Privatrechts.59 55 Vgl. Larenz, Richtiges Recht, S. 131 (Geltung der Verhältnismäßigkeitsprinzips auch bei kollidierenden Grundrechten); Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100 ff. (Verhältnismäßigkeitsprinzip und Prinzipiencharakter bedingen sich gegenseitig) sowie Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 231, der vom Verhältnismäßigkeitsprinzip als der „Maxime optimierender Prinzipienabwägung selbst“ spricht. 56 Nicht ausgeschlossen ist damit die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit außerhalb des Grundrechtsbereichs. Siehe zum Ganzen näher unten § 18 II. (S. 330 ff.). 57 Vgl. nur Sachs / Sachs, Einf. Rn. 37 ff., 46 ff. 58 Dazu Diederichsen, in: Rangordnung der Gesetze, S. 39, 43; ders., JbItalR 10 (1997), S. 3, 5 f. 59 Vgl. nur Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 15; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 52. Grundsätzlich ablehnend zur Geltung der Grundrechte im Privatrecht aber Diederich-
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Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Grundrechte auch direkt im Verhältnis zwischen Privaten wirken. Diese ist zu verneinen.60 Diese so genannte Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte61 hat zu Recht keine Gefolgschaft gefunden62 und wird auch vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt.63 Gegen sie spricht bereits der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 GG, der als Normadressat klar die staatliche Gewalt und nicht den Bürger im Blick hat. Überdies zeigt die Regelung der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, dass der Verfassungsgeber regelmäßig deutlich macht, wann eine unmittelbare Geltung der Grundrechte bestehen soll. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der normative Gehalt der Grundrechte keine Bedeutung für privatrechtliche Rechtsverhältnisse hätte. Aus der Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die verfassungsrechtlichen Vorgaben folgt, dass die Normen des Privatrechts nicht so ausgestaltet werden dürfen, dass ihre Anwendung zu einer Missachtung grundrechtlicher Wertentscheidungen führt.64 Die Reichweite dieser Verpflichtung wurde und wird eingehend und kontrovers diskutiert.65 Herkömmlich spricht man von der (mittelbaren) Drittwirkung der Grundrechte; eine neuere Strömung lehnt diese Lehre ab und löst die Problematik über eine staatliche Schutzpflicht zur Sicherung des objektiven Gehalts der Grundrechte.66 Im Ergebnis besteht freilich zwischen beiden Ansichten weitgehende Einigkeit darüber, dass die grundrechtlichen Wertentscheidungen im Privatrechtsverkehr jedenfalls indirekt zur Geltung kommen, nämlich vor alsen, in: Rangordnung der Gesetze, S. 46 ff.; in diese Richtung auch Windel, Der Staat 37 (1998), 385, 406 ff. 60 Sachs / Höfling, Art. 1 GG Rn. 111. Im Gegensatz dazu wurde im griechischen Recht die (wohl unmittelbare) Drittwirkung in Art. 25 Abs. 1 griech. Verf. kodifiziert, vgl. Georgiades, in: FS Westermann, S. 209. 61 So vor allem Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht; Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 419 ff. sowie aus neuerer Zeit J. Hager, JZ 1994, 373. Anderer Begründungsansatz bei Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 14 ff. Ebenso anfangs das BAG, vgl. grundlegend BAGE 1, 185, 191 ff.; BAGE 4, 274, 276 ff., das sich jedoch später davon abgewandt hat, vgl. BAGE 47, 363, 374 f.; BAGE 48, 122, 138 f. 62 Gegen sie statt aller Dürig, in: FS Nawiasky, S. 158, 167 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 203 ff.; Stern, Handbuch des Staatsrechts, Band III / 1, § 76 II 5 (S. 1572 ff.). 63 BVerfGE 73, 261, 269 m.N. zu älteren Entscheidungen; BVerfGE 81, 242, 256 (Handelsvertreterentscheidung); BVerfGE 89, 214 (Bürgschaftsentscheidung). Ebenso die Rechtsprechung des BGH, vgl. BGH NJW 1986, 2944 m.w.N. sowie BGH NJW 1999, 1326. 64 Dies ist seit der Lüth-Entscheidung st. Rspr. des BVerfG: BVerfGE 7, 198, 205 ff. 65 Grundlegend Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157, in Bezug auf den nachträglich auftretenden Gewissenskonflikt bereits Bosch / Habscheid, JZ 1954, 213; aus neuerer Zeit eingehend dazu Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 141 ff.; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 21 ff., 57 ff. Vgl. aus privatrechtlicher Sicht vor allem Canaris, AcP 184 (1984), 201; ders., JZ 1987, 993, 1001; ders., JuS 1989, 161; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 65 ff.; J. Hager, JZ 1994, 373; zusammenfassend PWW / Prütting, Einl. Rn. 26. Kritisch gegenüber einem zu weitgehenden Einfluss des Verfassungsrechts auf das Zivilrecht insbesondere Zöllner, AcP 196 (1996), 1; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171; ders., JbItalR 10 (1997), S. 3. 66 Dazu unten 3. (S. 303 ff.).
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lem (aber nicht nur67) dort, wo der Gesetzgeber in offen formulierten Normen, insbesondere also in den Generalklauseln der §§ 138 Abs. 1, 242, 307, 826 BGB, Ventile geschaffen hat, die es erlauben, auf Änderungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu reagieren. Zu unterscheiden sind zwei Dimensionen der Drittwirkung:68 Der Einfluss der Grundrechte auf privatrechtliche Normen und deren Geltung in privatrechtlichen Rechtsgeschäften.
2. Unmittelbare Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers Nach Art. 1 Abs. 3 GG ist der Gesetzgeber an die Grundrechte, nach Art. 20 Abs. 3 GG an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Dies gilt grundsätzlich auch für die Schaffung von Privatrecht.69 Der Gesetzgeber hat damit die Pflicht, für eine angemessene Berücksichtigung der Grundrechtspositionen aller Teilnehmer des Privatrechtsverkehrs zu sorgen. Im Extremfall kann dies auch dazu führen, dass Normen des Privatrechts verfassungswidrig sind, nämlich dann, wenn sie Grundrechte der ihrem Anwendungsbereich unterfallenden Bürger einschränken, ohne dass dafür eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung bestünde.70 So hat das Bundesverfassungsgericht in der Handelsvertreterentscheidung den in § 90a Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. normierten Wegfall der Entschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter im Falle einer Kündigung des Unternehmers wegen schuldhaftem Fehlverhalten des Handelsvertreters für verfassungswidrig erklärt.71 Es hat im generellen Ausschluss des Anspruchs des Handelsvertreters auf Karenzentschädigung im Falle einer außerordentlichen Kündigung des Unternehmers einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG gesehen.72 Nach Ansicht des Gerichts findet „die undifferenzierte und vollständige Verweigerung einer Vergütung für jedwede Fallgestaltung und für die höchstmögliche Dauer der Karenzzeit von zwei Jahren keine sachliche Grundlage in den Besonderheiten einer vorzeitigen und verschuldeten Vertragsbeendigung“. Und weiter: „Eine solche Sanktion ist nicht erforderlich, um wettbewerbsrechtlichen Nachteilen des kündigenden Unternehmers zu begegnen; dem Handelsvertreter ist sie wegen ihrer einschneidenden Folgen vielfach unzumutbar; sie wirkt also in dieser Allgemeinheit unverhältnismäßig.“73 Das Bundesverfassungsgericht misst § 90a Abs. 2 67
Canaris, AcP 184 (1984), 201, 223. Deutlich Medicus, AcP 192 (1992), 35, 44. 69 BVerfGE 42, 143, 148; BVerfGE 96, 375, 398; BGHZ 88, 91, 95; BGH NJW 1985, 267; Canaris, JuS 1989, 161, 162; J. Hager, JZ 1994, 373, 374 ff. Sehr kritisch dazu Diederichsen, AcP 198 (1998), 171. 70 Dezidiert Canaris, JZ 1987, 993. 71 BVerfGE 81, 242. 72 BVerfGE 81, 242, 260 ff. 73 BVerfGE 81, 242, 262. 68
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Satz 2 HGB a.F. damit am Maßstab der Verfassung und sieht einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit des Handelsvertreters. Diese Entscheidung stieß verbreitet auf Zustimmung,74 ist aber auch kritisiert worden.75 An dieser Stelle sei nur ein Gesichtspunkt herausgegriffen: Das Verdikt des Verfassungsverstoßes setzt voraus, dass es keine Möglichkeit gibt, die Norm durch Auslegung oder Rechtsfortbildung verfassungskonform zu gestalten.76 Genau diese Prüfung hat das Bundesverfassungsgericht in der Handelsvertreterentscheidung unterlassen. So überrascht es, dass der durch § 90 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. bewirkte Verlust der Karenzentschädigung auch bei vorsätzlichem Verhalten des Handelsvertreters einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in seine Berufsfreiheit darstellen soll. Für nur fahrlässige Verstöße des Handelsvertreters wäre eine teleologische Reduktion der Norm in Betracht gekommen. Alternativ erscheint der Vorschlag plausibel, in der Vereinbarung eines entschädigungslosen Wettbewerbsverbots im Falle der außerordentlichen Kündigung wegen schuldhafter Vertragsverletzung im entschiedenen Fall eine Vertragsstrafe zu sehen, die nach § 343 BGB auf ein angemessenes Maß herabgesetzt werden kann.77 Auf diese Weise wäre das Verfassungsproblem von vornherein nicht entstanden. Dass dieser „privatrechtliche“ Weg gangbar ist und auch regelmäßig eingeschlagen wird, zeigt etwa eine Entscheidung des BGH zum Pflichtteilsentzug.78 Darin nahm der BGH Stellung zur Auslegung des § 2333 Nr. 2 BGB, der einen Pflichtteilsentzug bei vorsätzlicher körperlicher Misshandlung des Erblassers oder seines Ehegatten durch den Abkömmling zulässt. Ließe man hierfür bereits die Verwirklichung des Tatbestandes des § 223 StGB genügen, so begründete dies einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht des potentiellen Erben aus Art. 14, 6 Abs. 1 GG auf angemessene Beteiligung am Vermögen des Erblassers.79 Wie bereits das Reichsgericht forderte der BGH daher zusätzlich zur körperlichen Misshandlung eine Pietätsverletzung, d.h. „eine schwere Verletzung der dem Erblasser geschuldeten familiären Achtung“.80 Im Rahmen dieses ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals könne erst die im Einzelfall verfassungsrechtlich gebotene Abwägung der Schwere des dem Abkömmling vor74
Canaris, AP Nr. 15 zu Art. 12 GG; Wiedemann, JZ 1990, 695; Hermes, NJW 1990,
1764. 75
Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 77 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 64; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 9 f. 76 Vgl. Looschelders / W. Roth, JZ 1995, 1034, 1044 ff. am Beispiel der mietrechtlichen Kündigungsfrist des § 565 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. Zur verfassungskonformen Auslegung etwa BVerfGE 2, 266, 282; BVerfGE 19, 1, 5; Canaris, FS Kramer, S. 141; Lüdemann, JuS 2004, 27. 77 So der Vorschlag von Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 82 ff.; zustimmend Medicus, AcP 192 (1992), 35, 64 mit Fn. 103. 78 BGHZ 109, 306. 79 Dazu BGHZ 98, 226, 233. 80 BGHZ 109, 306, 312 f. m.w.N.
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geworfenen Vergehens und der Bedeutung der durch den Pflichtteilsentzug bewirkten „Verstoßung über den Tod hinaus“81 erfolgen. Wenn man sich nicht von vornherein gegen die vom BGH vorgenommene Bezugnahme auf das verfassungsrechtliche Übermaßverbot ausspricht,82 so zeigt die Entscheidung doch deutlich, dass die Mittel des Zivilrechts in jede Richtung auszuschöpfen sind, bevor die Verfassungswidrigkeit einer privatrechtlichen Norm angenommen werden kann. In eine ähnliche Richtung deutet eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur deliktischen Haftung Minderjähriger. 83 Das Gericht lehnte zwar eine Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des § 828 Abs. 2 BGB a.F. ab, da es sich hierbei um vorkonstitutionelles Recht handele. Es ließ aber erkennen, dass es die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der unbegrenzten Haftung Minderjähriger durchaus nicht für unbegründet halte.84 Doch habe das vorlegende Gericht den Normenkontrollantrag nicht hinreichend begründet (§ 80 Abs. 2 BVerfGG): Es habe sich nämlich „nicht ausreichend mit der Frage beschäftigt, welche einfachrechtlichen Möglichkeiten zur Korrektur der Minderjährigenhaftung zur Verfügung stehen“.85 Diesbezüglich wies das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass insbesondere eine Einschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 242 BGB nicht von vornherein ausgeschlossen sei.86 Diese wenigen Beispiele deuten darauf hin, dass der Gesetzgeber zwar auch im Bereich des Privatrechts an die Grundrechte gebunden ist, bei der Schaffung privatrechtlicher Normen aber in besonderem Maße einen Gestaltungsspielraum hat.87 Es gibt nicht die eine verfassungskonforme Lösung, sondern möglicherweise mehrere.88 Der Rechtsanwender hat sich zunächst an das einfache Gesetz zu halten und dieses auszulegen. Erst dann, wenn die so gefundene Lösung – ohne dass ein Spielraum für verfassungskonforme Alternativen bestünde 81 Dazu bereits BGHZ 94, 36, 43; BGH NJW 1989, 2054, 2055. Kritisch zum Begriff Leipold, JZ 1990, 700, 701 f. 82 So Leipold, JZ 1990, 700, 701 ff. 83 BVerfG NJW 1998, 3557; dazu Looschelders, VersR 1999, 141. Kritisch zuvor etwa Medicus, AcP 192 (1992), 35, 65 ff.; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 252 ff. Siehe in diesem Zusammenhang auch Canaris, JZ 1987, 993, 1001, der im Grundsatz der Totalreparation aus § 249 Abs. 1 BGB einen potentiellen Verstoß gegen das Übermaßverbot sieht; ebenso bereits Zülch, zitiert nach Becker, SchlHA 1977, 161, 165 sowie nun auch Bartelt, Beschränkung des Schadensersatzumfangs durch das Übermaßverbot?, S. 56 ff., 159 ff., 200 ff., der eine Lösung über eine wertende (das heißt demnach hier: verfassungskonforme) Schadenszurechnung im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität befürwortet. 84 BVerfG NJW 1998, 3557, 3558. 85 BVerfG NJW 1998, 3557, 3558. 86 Zustimmend Looschelders, VersR 1999, 141, 149 ff. Ebenso bereits Canaris, JZ 1987, 993, 1001 f.; ders., JZ 1990, 679, 681. 87 Ruffert (Vorrang der Verfassung, S. 49 ff.) und andere sprechen treffend von einem „Erkenntnisvorrang des Privatrechts“. 88 Deutlich Canaris, JuS 1989, 161, 163; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 67.
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– eine Verletzung grundrechtlicher Rechtspositionen beinhaltet, kann von einer Verfassungswidrigkeit der betreffenden Norm gesprochen werden. Nach der hier vertretenen Ansicht wäre es jedoch ungenau zu sagen, dass der Verstoß gegen die Verfassung aus dem Übermaßverbot resultiert, da dieses nur als Abwägungsmechanismus fungiert und keine materiellen Vorgaben für die Ausgestaltung des Privatrechts enthält: Die Verfassungswidrigkeit folgt ausschließlich aus dem Grundrechtsverstoß.89 Zu weit geht es daher auch, wenn die in § 105 BGB angeordnete Rechtsfolge der Nichtigkeit von Willenserklärungen von Geschäftsunfähigen für verfassungswidrig und nichtig angesehen und diese Rechtsfolge durch die in § 107 BGB angeordnete schwebende Unwirksamkeit ersetzt wird.90 So argumentiert namentlich Canaris, § 105 BGB greife „übermäßig“ in die Rechtsstellung des Geschäftsunfähigen ein und könne daher nicht als Schranke der allgemeinen Handlungsfreiheit herhalten: Zum Schutze des Minderjährigen sei die Totalnichtigkeit des Rechtsgeschäfts weder erforderlich noch angemessen, da die schwebende Unwirksamkeit diesen Schutz ebenso gut herbeizuführen imstande sei und weniger in die Rechte des Geschäftsunfähigen eingreife. Es ist jedoch zweifelhaft, ob aus der allgemeinen Handlungsfreiheit eine so präzise Rechtsfolge abgeleitet werden kann wie die schwebende Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts.91 Auch wenn man berücksichtigt, dass selbst dieses so allgemein formulierte Auffanggrundrecht ein Optimierungsgebot enthält,92 so gibt es zur Erreichung dieses Optimums doch nicht nur eine einzige „richtige“ Lösung.93 Die vom Gesetzgeber gewählte Totalnichtigkeit für Rechtsgeschäfte Geschäftsunfähiger schränkt deren Handlungsfreiheit zweifelsohne ein; es mag auch Fälle geben, in denen einzelne Geschäftsunfähige die Tragweite einer rechtlichen Handlung einzuschätzen vermögen und die Nichtigkeitsfolge daher im Einzelfall nicht passt. Dennoch ist die typisierende Regelung des § 105 BGB eine legitime Möglichkeit des Gesetzgebers, Rechtsklarheit zu schaffen.94 Führt die Totalnichtigkeit zu evident unangemessenen Ergebnissen, so hält das Zivilrecht selbst Mittel zur Korrektur bereit.95 Das verfassungs89
Vgl. dazu noch unten Fn. 269. Canaris, JZ 1987, 993, 996 ff. 91 Zur Kritik an diesem Ansatz vor allem Medicus, AcP 192 (1992), 35, 65 ff. (die Grenze dessen, was noch durch Auslegung aus der Verfassung hergeleitet werden kann und demjenigen, was dem Gesetzgeber überlassen werden muss, werde deutlich überschritten); Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 255 f.; Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 443 ff. 92 Zu Grundrechten als Optimierungsgeboten näher unten § 18 II. 1. (S. 331 ff.). 93 Das anerkennt auch Canaris selbst (JuS 1989, 161, 163). 94 Vgl. zu den verschiedenen Aspekten der Debatte die Beiträge von Ramm, JZ 1988, 489 und Wieser, JZ 1988, 493 sowie die Duplik von Canaris, JZ 1988, 494. 95 Siehe zu dem von Canaris (JZ 1987, 993, 996) genannten Beispiel eines im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB Geschäftsunfähigen, der einen Versicherungsvertrag abschließt und in der Folge auch die Prämien bezahlt, aber wegen der in § 105 Abs. 1 BGB angeordneten Nichtigkeit des Vertrags nicht vom Versicherungsschutz profitieren kann die Darstellung bei Diede90
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rechtlich zulässige Maß dürfte erst dann überschritten sein, wenn die vom Gesetzgeber vorgenommene Typisierung insgesamt nicht mehr zutrifft, etwa dann, wenn sich erweisen sollte, dass im Unterschied zum Jahr 1900 in der heutigen Zeit nun ein Großteil aller Sechsjährigen die rechtliche Tragweite ihres Tuns zu überblicken vermag und es daher keines sachlichen Grundes mehr für die Normierung der Geschäftsunfähigkeit bedarf. Insbesondere Hirschberg hat treffend darauf hingewiesen, dass die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht dazu führen darf, dass einfachrechtliche Wertungen ausgehebelt werden; dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um „geschlossene“ Normen handelt, die keiner Wertung zugänglich sind, wie dies etwa bei § 105 BGB der Fall ist.96 Stellte man diese Normen durchgängig unter das Postulat der („verfassungsrechtlichen“) Verhältnismäßigkeit, und ermächtigte bzw. verpflichtete man den Richter damit zu einer Verhältnismäßigkeitskontrolle jeder Norm des einfachen Rechts, so würde dadurch die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung unzulässigerweise verschoben: weg vom Gesetzgeber, hin zur Justiz. Formuliert der Gesetzgeber Normen mit geschlossenen Tatbeständen, dann schließt er damit (implizit) die Verhältnismäßigkeitskontrolle aus. So paradox dies auch klingt, der Gesetzgeber ist an den (verfassungsrechtlichen) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, muss seine Geltung aber auf der Ebene des einfachen Rechts wieder ausschließen, wenn er geschlossene Normen fomulieren will.97 Dieser Widerspruch ist es offenbar auch, der in Verbindung mit der „Verführungskraft des Verhältnismäßigkeitsprinzips“98 Anlass dazu gibt, als zu starr angesehene Wertungen des einfachen Gesetzgebers unter Verweis auf das (verfassungsrechtliche) Verhältnismäßigkeitsprinzip zu überwinden. Sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Wertungen von der Grundrechtsebene auf die Ebene des einfachen Gesetzes transportieren hilft, indem er die „Optimierung“ des Geltungsbereichs der Grundrechte anstrebt, dann muss dies nicht notwendigerweise in Bezug auf jede einzelne Norm des einfachen Rechts geschehen.99 Andernfalls wäre der zwingende Charakter dieser Normen in Frage
richsen, AcP 198 (1998), 171, 256, der u.a. eine Lösung über die Lehre von der feh lerhaften Gesellschaft in Erwägung zieht (dazu etwa Jauernig / Stürner, § 705 Rn. 19). 96 Instruktiv Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 224 ff. Anders offenbar Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 225 ff., 231, der am Beispiel der deliktischen Schadenshaftung dafürhält, dass „für krasse Verstöße gegen das ‚Verhältnismäßigkeitsprinzip‘, d.h. gegen die Maxime optimierender Prinzipienabwägung selbst“, eine Proportionalhaftung schon de lege lata eingreifen sein sollte. 97 Vgl. wiederum Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 220. 98 So Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 224. 99 Provokativ die Formulierung bei Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 224 (der eine solche Konsequenz freilich selbst ablehnt): Das einfache Recht sei durch die durchgängige Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durchweg „en quelque façon nulle“.
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gestellt: Der Gesetzgeber könnte nicht einen präzisen Tatbestand mit strikter Rechtsfolge anordnen, ohne dass nicht eine Verhältnismäßigkeitskontrolle diese hinfällig machen würde.100
3. Mittelbare Auswirkung auf Rechtsgeschäfte Von der direkten Wirkung der höherrangigen Verfassung auf die Normen des einfachen Privatrechts ist deren Einfluss auf das horizontale Rechtsverhältnis zweier Privatpersonen zu unterscheiden. Zur Bestimmung der Reichweite dieses Einflusses stehen sich die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte und die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten gegenüber.101 Beiden Ansichten ist gemeinsam die grundsätzliche Einsicht in die Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte auch im Bereich des Privatrechts. Die Frage, wie sich dieser Umstand auf private Rechtsverhältnisse auswirkt, wird jedoch unterschiedlich beantwortet. Es ist zu prüfen, ob auf der Grundlage dieser Ansichten ein Einfluss der „verfassungsrechtlichen“ Verhältnismäßigkeit auf private Rechtsverhältnisse begründbar ist. a) Die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte geht von der Prämisse aus, dass nur der Staat, nicht aber private Rechtssubjekte einer direkten Grundrechtsbindung unterliegen.102 Diese Bindung des Staates erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Schaffung privatrechtlicher Normen. Der so verstandene Einfluss der Grundrechte auf privatrechtliche Normen hat aber mittelbar zur Folge, dass privatrechtliche Rechtsverhältnisse von ihnen beeinflusst werden. Denn die Grundrechte sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur Abwehrrechte der Bürger gegen staatliche Eingriffe, sondern enthalten auch objektive Wertentscheidungen.103 Diese sind wiederum bei der Anwendung einfachen (Privat-)Rechts zu berücksichtigen, insbesondere dort, wo dieses durch die Generalklauseln offen für die Berücksichtigung solcher Wertentscheidungen ist.104 Auf der Grundlage dieser Prämisse könnte der Schluss nahe liegen, dass über die mittelbare Geltung der Grundrechte auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranken-Schranke Eingang in die Privatrechtsdogmatik fin100 In diesem Falle wären die Normen des einfachen Rechts für den Richter bloße „unverbindliche Entscheidungsvorschläge“, so Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 223. 101 Überblick bei Guckelberger, JuS 2003, 1151. 102 Vgl. etwa von Münch, in: von Münch / Kunig, Vorbem. vor Art. 1–19 GG Rn. 22 ff., 28 ff. Ablehnend zur Lehre von der mittelbaren Drittwirkung Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 7 ff.; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 230 ff. 103 Grundlegend hier die Lüth-Entscheidung des BVerfG, vgl. BVerfGE 7, 198, 205 ff. 104 BVerfGE 89, 214, 229; BVerfGE 103, 89, 100; BVerfG NJW 2006, 596, 598.
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det.105 Privatrechtliches Handeln stünde dann stets unter dem Postulat der („verfassungsrechtlichen“) Verhältnismäßigkeit. Ein solcher Ansatz ginge indessen zu weit, beachtet er doch nicht hinreichend, dass im Privatrechtsverkehr typischerweise alle Beteiligten Grundrechtsträger sind. Die Eingriffssituation, die das Verhältnis Staat-Bürger kennzeichnet, und die die Geltung der Freiheitsrechte der Bürger erst plausibel macht, liegt im Privatrechtsverkehr gerade nicht vor.106 Dies deckt sich auch mit der oben beschriebenen Erkenntnis, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seine Wirkung nur auf offene Normen zu entfalten vermag, nicht aber auf geschlossene: Gerade im Falle der Generalklauseln sind grundrechtliche Wertentscheidungen zu berücksichtigen, nicht jedoch bei der Auslegung einer nicht wertungsoffenen Norm. Auch vermag ein solcher Ansatz nicht zu erklären, warum es erst das Grundgesetz sein soll, das dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht zur Geltung verhilft, kam dieses Instrument doch bereits in vorkonstitutioneller Zeit zur Anwendung.107 b) Staatlicher Schutzauftrag und Privatrecht Einen etwas anderen Begründungsansatz verfolgt die neuere Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten: Danach erschöpft sich die Funktion der Grundrechte nicht in der Abwehr staatlicher Beschränkungen; vielmehr folgt aus ihnen auch eine Pflicht des Staates, die Bürger vor möglichen Beeinträchtigungen zu schützen.108 Dieser Schutzauftrag erstreckt sich auch auf mögliche Verletzungen durch andere Private: Der Staat muss auch insoweit die Grundrechte des Einzelnen schützen und vor Verletzung durch andere bewahren.109 Dieser grundrechtliche Schutz wird von den Fachgerichten durch Auslegung und Anwendung des Rechts konkretisiert. Eine verfassungsrechtliche Kontrolle der Beurteilung und Abwägung der jeweiligen Grundrechtspositionen kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann in 105 In diese Richtung etwa Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 118 f. oder Bartelt, Beschränkung des Schadensersatzumfangs durch das Übermaßverbot?, S. 162. 106 Im Ergebnis ebenso Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 104 ff. sowie H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 62 ff. 107 Dazu Schlink, in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 2, S. 445, 448; ebenso Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 106 Fn. 459 a.E. 108 Vgl. insbesondere Canaris, AcP 184 (1984), 201, 225 ff.; ders., JZ 1987, 993, 1001 f.; ders., JuS 1989, 161, 163; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 30 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 141 ff.; Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 332 ff.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 52 ff.; Stern, Handbuch des Staatsrechts, Band III / 1, § 76 III 4 (S. 1560 f.); Neuner, in: Grundrechte und Privatrecht, S. 159, 170 ff.; vgl. auch Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 441 f., der auf mögliche Konflikte der grundrechtlichen Schutzfunktion mit dem Gewaltenteilungsprinzip hinweist. Ablehnend zur Lehre von den Schutzpflichten insbesondere Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 11. 109 BVerfGE 103, 89, 100; BVerfG NJW 2006, 596, 598.
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Betracht, wenn „eine angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den Rechtsfall von einigem Gewicht sind“.110 Auch das Bundesverfassungsgerichts steht damit der Lehre von den Schutzpflichten nahe; wenn es etwa in der Handelsvertreterentscheidung ausführt,111 aus den Grundrechten folge ein „Schutzauftrag der Verfassung“, den „objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte in Fällen gestörter Vertragsparität mit den Mitteln des Zivilrechts Geltung zu verschaffen“.112 Eine Dimension der grundrechtlichen Schutzpflichten ist das namentlich von Canaris entwickelte Untermaßverbot:113 Dieses markiert die unterste Grenze staatlichen Nichteingriffs im Falle von Grundrechtskollisionen privater Rechtsträger. Einigkeit besteht bislang jedoch nur über die grundsätzliche Geltung des Untermaßverbotes; der Verlauf der Eingriffsschwelle ist aber weitgehend ungeklärt.114 Für die Frage der Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zwischen Privaten vermag die Lehre von den Schutzpflichten ebenfalls keine tragfähige Rechtfertigung zu bieten. Auf welche Weise der Staat seiner Schutzaufgabe nachkommt, schreibt die Verfassung nicht vor. Vielmehr ist die Erfüllung dieser Aufgabe im Wesentlichen eine Sache der Ausgestaltung des einfachen Rechts, bei der der Gesetzgeber wiederum – und das ist nach dem oben Gesagten selbstverständlich – die Grundrechte beachten muss.115 Eine weitergehende Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zwischen Privaten kann aus der Lehre von den Schutzpflichten daher nicht abgeleitet werden.116
110
Vgl. BVerfGE 18, 85, 93; BVerfG NJW 2006, 596, 598 m.w.N. BVerfGE 81, 242, 255. 112 Zur Einordnung der Entscheidung in der Nähe der Lehre von den Schutzpflichten Oeter, AöR 119 (1994), 529, 550 f. 113 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 228; ders., JuS 1989, 161, 163; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 43 ff. Siehe dazu auch Klein, JuS 2006, 960. 114 Dazu Schlink, in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 2, S. 445, 462 ff. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl. 2001, § 76 IV (S. 604), hält auch das Untermaßverbot für ein Teilprinzip der Verhältnismäßigkeit, nämlich als Gegenstück zum Übermaßverbot (bzw. den Grundsatz der Erforderlichkeit). „Wenn das Recht ein Ziel festlegt, muss es auch die notwendigen Mittel bereitstellen.“ Es liege im Privatrecht etwa den §§ 228, 904 oder auch §§ 683, 679 und 994 BGB zugrunde, komme aber auch dort zur Anwendung, wo es nicht ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist, etwa für die Handlungsrechte von Gesellschaftern und Miterben. Andere Akzentuierung nun in Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 82 IV (S. 656), wo diese Zusammenhänge als Teil des Effektivitätsgebots eingeordnet werden. 115 So insbesondere auch Canaris, AcP 184 (1984), 201, 227. 116 Ebenso im Ergebnis, allerdings mit anderen Konsequenzen, H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 68. Zu dessen Ansatz näher unten IV. (S. 311 ff.). 111
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Kapitel 5: Die Struktur der Verhältnismäßigkeitskontrolle
c) Kontrolle privatrechtlicher Gestaltungsmacht bei „strukturellem Ungleichgewicht“? Der Grundsatz der Privatautonomie und damit die Vertragsfreiheit unterfallen (jedenfalls117) der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG und sind damit verfassungsrechtlich geschützt.118 Damit nimmt das Grundgesetz nicht etwa eine überrechtlich bestehende Maxime auf; vielmehr erhalten privatrechtliche Abreden ihre Geltungswirkung erst aufgrund staatlicher Legitimation.119 Jede private Gestaltungsmacht beruht damit auf zwei Grundvoraussetzungen: Dem parteilichen Bindungswillen zum einen und der staatlichen Verbindlichkeitsanordnung zum anderen.120 Die Privatrechtsordnung konkretisiert und verwirklicht damit die grundrechtlich gewährleistete Privatautonomie.121 Gleichzeitig liegt in jeder privatrechtlichen Regelung, zumindest in jeder zwingenden Norm,122 ein Eingriff in die Vertragsfreiheit, da sie durch diese 117 Auch spezielle Grundrechte können die Vertragsfreiheit mit umfassen, so etwa eigentumsrelevante Vereinbarungen oder Erbverträge von Art. 14 Abs. 1 GG, Eheverträge von Art. 6 Abs. 1 GG oder Gesellschaftsverträge von Art. 9 Abs. 1 GG, vgl. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 14 ff. 118 Vgl. insbesondere BVerfGE 72, 155, 170; BVerfGE 81, 242, 254 ff.; BVerfGE 89, 214, 231 ff.; BVerfGE 103, 89, 100 f.; BVerfG NJW 2006, 596, 597 f.; Dreier / Dreier, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 38; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 18 ff.; Canaris, in: FS Lerche, S. 873, 874. Zu der darin liegenden Verwirklichung des freiheitlichen und des paternalistischen Modells Hofer, Vertragsfreiheit, S. 11 ff. 119 So die ganz vorherrschende Ansicht, vgl. eingehend Weller, Vertragstreue, S. 159 ff.; weiter Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 2 (S. 2); Remien, Zwingendes Vertragsrecht, S. 312 f.; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 16, 29 ff., 33; Cornils, Ausgestaltung der Grundrechte, S. 165 ff., 196 f.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 21 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 127 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 307; H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 27 ff. (vgl. aber S. 36, wo dem Vertrag eine apriorische Natur zugeschrieben wird). In diesem Sinne auch BVerfGE 89, 214, 231, indem es die Aufgabe des Staates betont, privatautonome Gestaltungen mit Bindungswirkung auszustatten und diesen durch geeignete rechtliche Instrumente auch zur Durchsetzung zu verhelfen. Dagegen vermögen diejenigen Ansichten, die unter Hinweis auf die Willensfreiheit eines Individuums von einer A-priori-Geltung der Vertragsfreiheit ausgehen (etwa Stern, VerwArch 49 (1958), 106, 121 ff., 127 ff.; Larenz, Richtiges Recht, S. 57; Calliess, JbJgZivRWiss 2000, S. 85, 93 ff., 106 f.), u.a. nicht zu erklären, warum das geltende Recht einer Partei die Lösung von einem Versprechen nicht ohne weiteres zugesteht, auch wenn ihr Wille nunmehr nicht mehr auf eine Bindung gerichtet ist. Zur Kritik Weller, Vertragstreue, S. 163 ff. m.w.N. 120 Vgl. etwa F. Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 49 ff.; ebenso H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 27 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, S. 8. So im Ergebnis auch diejenigen Autoren, die vorrangig auf den Parteiwillen als materialen Verpflichtungsgrund der Bindung abstellen, vgl. etwa Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 2 und 3 (S. 2, 4 f.); Picker, JZ 1987, 1041, 1044 mit Fn. 17; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 93 ff.; wohl auch Bernhard, Jura 2006, 801, 806 m.w.N. 121 Vgl. Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 1 (S. 1) (Privatrechtsordnung ist Korrelat zur Privatautonomie); Höfling, Vertragsfreiheit, S. 20 f. 122 Auch das dispositive Recht geht über seine Rolle als „Reserverechtsordnung“ insoweit
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Einengung der rechtlichen Handlungsmöglichkeit dem Einzelnen wieder ein Stück der Freiheit nimmt, die ihm gewährt wurde. Damit steht jede Norm des Privatrechts unter dem Postulat der Verhältnismäßigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat gleichwohl in seinen Entscheidungen zur Reichweite der Privatautonomie nicht direkt darauf Bezug genommen. Vielmehr hat es früher angesetzt: Den Gesetzgeber treffe eine Pflicht zur grundrechtskonformen Ausgestaltung der Privatrechtsordnung. Seine Aufgabe sei es, „der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben einen angemessenen Betätigungsraum [zu] eröffnen“.123 Nachdem die am Rechtsverkehr Beteiligten sämtlich dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG unterfallen, stelle sich ein Problem praktischer Konkordanz. In den Worten des BVerfG: „Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.“124 Die sich im Vertragsschluss äußernde Selbstbestimmung des Einzelnen schlage allerdings in Fremdbestimmung um, wenn „einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht [hat], daß er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann“.125 Das Bundesverfassungsgericht bescheinigt dem geltenden Privatrecht, dass der Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der am Rechtsverkehr Beteiligten grundsätzlich verfassungskonform gelöst ist. Es gehöre allerdings zu den Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts, für einen „Ausgleich gestörter Vertragsparität“ zu sorgen.126 Dies zeige sich an vielen Stellen im BGB, vor allem aber in den Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB. Das Bundesverfassungsgericht wertet vor allem § 138 Abs. 2 BGB als Paradigma der Sanktionierung von Ungleichgewichtslagen. Diese Generalklauseln seien von den Zivilgerichten so auszulegen, dass Verträge kein Mittel der Fremdbestimmung werden; ein Indikator hierfür ist dann gegeben, wenn der „Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen“ ist.127 Neben der Privatautonomie zieht das Gericht dabei insbesondere auch das Sozialstaatsprinzip heran (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG). Erweist sich dies als Ergebnis einer „strukturell ungleichen Verhandlungsstärke“ bzw. „struktureller Unterlegenheit“, so haben die Gerichte korrigierend einzugreifen. Dies soll jedoch nur bei „typisierbaren Fallgestaltungen“ gelten, nicht aber hinaus, als ihm als nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB „Leitbildfunktion“ für die AGB-Kontrolle zukommt. Vgl. auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 47. 123 BVerfGE 89, 214, 231. 124 BVerfGE 89, 214, 232; inhaltsgleich BVerfG NJW 1994, 2749, 2750; BVerfG NJW 1996, 2021. 125 BVerfGE 81, 242, 255; BVerfGE 89, 214, 232; BVerfGE 103, 89, 100 f.; BVerfG NJW 2006, 596, 598. Zu BVerfGE 103, 89 insbesondere Dauner-Lieb, AcP 201 (2001), 295. Vgl. auch Coester-Waltjen, in: FS 50 Jahre BGH, S. 985 sowie BGHZ 158, 81; BGH NJW 2005, 2386. 126 BVerfGE 89, 214, 233. 127 BVerfGE 89, 214, 234.
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schon bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts.128 Hier ergibt sich ein Modell der gestuften Kontrolle:129 Je schwerer die Störung der Privatautonomie wiegt, desto weitgehender erfolgt eine Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle des Vertragsinhalts und desto einschneidender ist die Sanktion. Dieses System verfolgt den Zweck, in Fällen gestörter Vertragsparität einen gerechteren Interessenausgleich herbeizuführen.130 Die Konsequenzen dieser Rechtsprechung sind im Schrifttum stark umstritten. Kritisiert wird besonders der Begriff des „strukturellen Ungleichgewichts“, der rechtlich schwer operationalisierbar ist.131 Bereits der Zusammenhang zwischen einem wie auch immer gearteten Ungleichgewicht zwischen den Parteien und dem für einen Vertragspartner nachteiligen Vertragsinhalt erscheint nicht zwingend, ist doch der Vertrag gerade das Medium, die notwendig bestehende Ungleichheit der einzelnen Rechtssubjekte wenigstens partiell auszugleichen.132 Das Kriterium der Imparität verkommt zum Schlagwort, das der Sache nach grundsätzlich bei jedem Vertrag eine Inhaltskontrolle rechtfertigt133 und damit weit in den Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers eingreift.134 Die beiden vom Bundesverfassungsgericht genannten Kriterien der ungewöhnlichen Belastung und des strukturellen Ungleichgewichts stellen gleichwohl keine Unbekannten dar: Sie finden sich in ähnlicher Form in § 138 Abs. 2 BGB, wo sich die erste Voraussetzung im auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung wiederfindet, die zweite in den verschiedenen Fallgruppen der Schwächesituation.135 Auch die AGB-Kontrolle in § 307 Abs. 1 BGB folgt einem ähnlichen Schema, als sie eine unangemessene Benachteili128
BVerfGE 89, 214, 232; BVerfG NJW 1996, 2021. Ähnlich auch die Überlegungen von Lieb, AcP 178 (1978), 207 ff. 130 Nach Hönn, JZ 1983, 677, 680, gehört die Kompensation gestörter Vertragsparität zu den Prinzipien des geltenden Rechts. Vgl. auch dens., Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 280 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 520. 131 Rittner, AcP 188 (1988), 101, 108 ff.; Wiedemann, JZ 1990, 695, 697; Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468; H. Roth, JZ 2004, 725 („schillernder Begriff der Ungleichgewichtslage“); Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff.; ders., Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes- und Richterstaat, S. 35 ff.; H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 74 ff. So auch bereits Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 236 ff. sowie Preis, Grundfragen, S. 283 ff., den das BVerfG indessen zur Abstützung der Entscheidung maßgeblich heranzieht. Differenzierend Hofer, Vertragsfreiheit, S. 14 ff.; Preis / Rolfs, DB 1994, 261. 132 Treffend noch immer die Charakterisierung von Sir Henry Sumner Maine, der die Entwicklung der Vertragsfreiheit aus dem feudalistisch geprägten Ständestaat als „movement from status to contract“ bezeichnete. Die aktuelle Gegenentwicklung insbesondere im europäisch determinierten Verbraucherschutzrecht, die einen stärkeren Schutz „schwächerer“ Gruppen verfolgt, wird daher auch als „movement from contract to status“ bezeichnet, vgl. Bruns, JZ 2007, 385, 394. 133 So ausdrücklich Wiedemann, JZ 1994, 411, 413; ähnlich Honsell, NJW 1994, 565, 566; kritisch gegenüber solche weitgehenden Tendenzen Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 5. 134 Depenheuer, ThürVBl 1996, 270, 272 f.; Isensee, in: FS Großfeld, S. 485, 503 ff., 507. 135 Siehe Canaris, AcP 200 (2000), 273, 296. Zu § 138 Abs. 2 BGB oben § 5 I. (S. 44 ff.). 129
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gung voraussetzt, gepaart mit der besonderen Situation des Stellens von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.136 Den verfassungsgerichtlichen Vorgaben zum strukturellen Ungleichgewicht kann durch eine entsprechende Auslegung des § 138 Abs. 1 BGB Rechnung getragen werden.137 Der Sache nach ist dies der Weg, den der BGH bei den Angehörigenbürgschaften beschreitet.138 Problematisch erscheint diesbezüglich aber die Begründung, dadurch werde der Schutz der Entscheidungsfreiheit des Bürgen verwirklicht: Zum einen kann die Entscheidung, zugunsten eines nahen Angehörigen zu bürgen, durchaus eine freie, rationale Willensentscheidung darstellen. Und zum anderen ist fehlende Freiwilligkeit beim Vertragsschluss der Sittenwidrigkeit bereits vorgelagert; sie ist eine Bedingung für die Gültigkeit des Vertrags selbst. Wenn es damit aber nicht um Schutz vor Ausbeutung, sondern den Schutz der Entschließungsfreiheit geht,139 ist es in diesen Fällen statt der Lösung über § 138 Abs. 1 BGB vorzugswürdig, dem benachteiligten Vertragspartner ein Lösungsrecht nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo über § 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 Satz 1 BGB zuzubilligen, sofern ein entsprechendes vorvertragliches Fehlverhalten vorliegt.140 Eine Verhältnismäßigkeitskontrolle für Rechtsgeschäfte von Verfassungs wegen folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts also nicht. Privatautonomie und Sozialstaatsprinzip gebieten eine Auslegung des einfachen Rechts dahingehend, dass alle Teilnehmer am Rechtsverkehr gleichermaßen selbstbestimmt agieren können. Die allgemeine Handlungsfreiheit wird nicht in ihrer abwehrrechtlichen Dimension verwendet, sondern – verstärkt durch den Rekurs auf das Sozialstaatsprinzip – als Verkörperung objektiver Wertentscheidungen.141 Soweit das Bundesverfassungsgericht die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den Grundrechtspositionen der Privatrechtssubjekte anmahnt, so liegt darin in der Sache nichts anderes als eine Güterabwägung, die – wie oben dargelegt142 – der Verhältnismäßigkeitsprüfung verwandt ist. Im hier interessierenden Bereich des Vertragsrechts besteht allerdings die grundlegend andere Konstellation, dass die Parteien wechselseitig auf ihre aus
136 Vgl. zu den verschiedenen Begründungsansätzen der AGB-Kontrolle oben § 8 II. (S. 100 ff.). 137 In diesem Sinne Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 40. 138 BGH NJW 2002, 744, 745. 139 Dazu, dass § 138 BGB dem Schutz des Benachteiligten vor Ausbeutung dient und weniger der Aufrechterhaltung von dessen Entscheidungsfreiheit zusammenfassend bereits oben § 7. 140 Vgl. Gutmann, in: New Features in Contract Law, S. 49, 61; Jansen, in: Störungen der Willensbildung bei Vertragsschluss, S. 125, 138 ff. Zweifelnd, ob diese Lösung den Anforderungen der Entscheidung des BVerfG entspricht: Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468. 141 Vgl. auch Sachs / Murswiek, Art. 2 GG Rn. 55b. 142 Siehe bei Fn. 54.
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den Grundrechten folgenden Freiheiten verzichten.143 Was die konkrete Ausgestaltung des Vertragsrechts ausgeht, so hat der Gesetzgeber, wie oft auch vom Bundesverfassungsgericht betont,144 einen weiten Gestaltungsspielraum. Hier dient grundsätzlich jede Norm der Verwirklichung des verhältnismäßigen Interessenausgleichs zwischen den Parteien. Nicht umsonst unterstreicht das Bundesverfassungsgericht, der Schutzauftrag der Grundrechte richte sich an den Richter, „der den objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte in Fällen gestörter Vertragsparität mit den Mitteln des Zivilrechts Geltung zu verschaffen hat“.145 Die Generalklauseln fungieren dabei gewissermaßen als zivilrechtliche Abwehrrechte gegen „übermäßige“ Eingriffe in die Grundrechtssphäre eines Bürgers durch einen anderen Bürger.146 d) Stärkere Grundrechtsbindung im Prozess? Zu klären ist abschließend, ob sich das Verhältnis von Grundrechten und Privatrecht anders darstellt, wenn es aus zivilprozessualem Blickwinkel beurteilt wird, man also den Akt der richterlichen Rechtsanwendung mit einbezieht. Der Richter ist ein Organ staatlicher Gewalt und als solches grundrechtsgebunden (Art. 1 Abs. 3 GG); sein Urteil stellt eine Ausübung von Hoheitsrechten dar. Folgt daraus eine unmittelbare Bindung an die Grundrechte und damit auch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil das Zivilurteil eine privatrechtliche Rechtsfolge für die Parteien bindend ausspricht und die Vollstreckbarkeit mit staatlicher Hilfe möglich macht?147 Zunächst unterscheidet sich die prozessuale Situation durch die Geltung der Verfahrensgarantien aus Art. 101 und 103 GG.148 Der Richter hat daneben auch die materiellen Grundrechte bei der Auslegung einfachen Rechts zu beachten und bei Friktionen so zu verfahren, dass eine verfassungskonforme Lösung herbeigeführt wird.149 Dabei hat der Richter jedoch zuvörderst anhand der vertraglichen Abrede bzw. den einschlägigen Regeln des Privatrechts zu ermitteln, welche Rechte und Pflichten zwischen den Parteien bestehen, und ob diese den Klageantrag rechtfertigen. Er hat die methodischen Instrumente der Auslegung und gegebenenfalls auch der Rechtsfortbildung so anzuwenden, dass der Wertgehalt der Grundrechte nicht missachtet 143
So bereits Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157, 158 ff.; vgl. auch Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 12. Etwa in BVerfGE 89, 214, 234. 145 BVerfGE 81, 242, 256; BVerfG NJW 2006, 596, 598. Hervorhebung durch den Verf. 146 So bereits Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157, 176. 147 So auf der Grundlage einer unmittelbaren Direktwirkung der Grundrechte Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 14 ff.; vgl. auch Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 330 ff.; Oeter, AöR 119 (1994), 529, 535. Kritisch Höfling, Vertragsfreiheit, S. 50 f. 148 Dazu Sachs / Höfling, Art. 1 GG Rn. 106. 149 Unterlässt er dies, so liegt darin möglicherweise ein Verfassungsverstoß, vgl. BVerfGE 89, 214, 234: „Ein Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie kommt aber dann in Betracht, wenn das Problem gestörter Vertragsparität gar nicht gesehen oder seine Lösung mit untauglichen Mitteln versucht wird.“ 144
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wird. Eine zusätzliche Grundrechtsprüfung im Sinne einer Ergebniskontrolle ist regelmäßig nicht veranlasst. Es kann bei der Prüfung eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses keine unterschiedliche Beurteilung rechtfertigen, ob die Rechtsanwendung im gerichtlichen Prozess erfolgt oder außerhalb, etwa im Rahmen eines Schiedsverfahrens.150 Davon zu unterscheiden ist die Pflicht des Richters zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG bei einer für verfassungswidrig gehaltenen, entscheidungserheblichen Norm: Auch eine Norm des Privatrechts kann, wie gesehen, zumindest theoretisch gegen die Verfassung verstoßen, weil sie unverhältnismäßig in die Grundrechte einer Partei eingreift. Nur insoweit kann der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch im Prozess auf das Privatrecht einwirken.151
IV. Angemessenheitskontrolle von Verfassungs wegen? 1. Der Ansatz von Hans Hanau Eine „Angemessenheitskontrolle von Verfassungs wegen“ hat Hans Hanau befürwortet.152 Hanau versucht zu begründen, dass es aus normlogischen Gründen kein spezifisch privatrechtlich verstandenes Verhältnismäßigkeitsprinzip geben könne, sondern dass im Grundsatz das gesamte Privatrecht am Maßstab der Grundrechte und damit am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen sei.153 Hanau sieht den Akt des Vertragsschlusses als Betätigung der positiven Vertragsfreiheit auf der einen und als Verzicht auf die negative Vertragsfreiheit auf der anderen Seite.154 Durch die so begründete Obligation erhalte der Gläubiger eine Art „Herrschaftsrecht“ über den Schuldner.155 Hanau geht weiter 150
Vgl. bereits Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157 f.; ebenso Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 180 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 8 mit Fn. 29; Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 253 mit Fn. 144; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 128 ff. Anders aber MüKo-BGB / Armbrüster, § 134 Rn. 34: Die Kündigung eines Arbeitgebers wegen Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einer Sekte verstoße nicht gegen Art. 4 GG, wohl aber die Entscheidung des Richters, „der im Prozess verkennt, dass eine derart begründete Kündigung dem Grundrechtsschutz zuwiderläuft“. 151 Vgl. Maunz / Dürig / Dürig, Art. 1 GG Rn. 121. In diesem Sinne auch die Handelsvertreterentscheidung, BVerfGE 81, 242, 255 ff., in der das BVerfG richtigerweise auf § 90a Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. als Prüfungsgegenstand abstellte (die Norm aber unzutreffend für verfassungswidrig erklärte, dazu oben 2. [S. 298 f.]). 152 H. Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht. Zu Herleitung und Struktur einer Angemessenheitskontrolle von Verfassungs wegen, 2004. 153 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 4 im Anschluss an Canaris, JuS 1989, 161 ff.; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 15. Kritisch zum Ansatz insoweit etwa Medicus, AcP 192 (1992), 35, 45 ff. 154 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 23 ff. 155 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 26 unter Verweis auf Savigny.
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von der Prämisse aus, dass die Privatautonomie keine apriorische Geltung hat, sondern „rechtlich präformiert“ ist, denn der private Wille benötige zur Rechtsverbindlichkeit den staatlichen Geltungsbefehl.156 Dadurch erlangten vertragliche Abreden Rechtsqualität, was ihnen ein heteronomes Element verleihe, das als potentieller Eingriff in die negative Vertragsfreiheit des Betroffenen angesehen werden könne.157 Dies hält Hanau nur dann für nicht gegeben, wenn „die staatlich vermittelte Rechtsqualität der privaten Abrede kein Zwangsmoment hinzufügt, das nicht bereits im vertraglichen Konsens enthalten ist“:158 Die Selbstbindung des Schuldners könne keinen Eingriff in seine grundrechtlich geschützte Freiheit begründen.159 Konsequenz für die aus dem Austauschvertrag resultierende (Rechts-)Folge ist deren umfassender „verfassungsrechtlich abgesicherte[r] Bestandsschutz vor nicht hinreichend konsentierter Änderung“.160 Im Ergebnis setzt Hanau damit staatliche und privat ausgeübte Macht strukturell gleich.161 Grundrechte sind aus dieser Perspektive stets Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, wenn dieser privatheteronome Gestaltungsmacht162 des Vertragspartners mit Geltungsbefehl ausstattet, dies folgerichtig nicht nur in Bezug auf die Ausgestaltung der Privatrechtsnormen, sondern auch und gerade bei der „daraus unmittelbar folgenden Ausstattung konkret-individuellen privaten Handelns mit Rechtsqualität“.163 Die Grundrechte wirken unmittelbar und direkt, aber nur zwischen Bürger und Staat; eine Drittwirkung gibt es damit nicht. Daraus folgt für Hanau eine umfassende Kontrolle der staatlichen Geltungsanordnung privater Gestaltungsbefugnisse: Liegt ein nicht ausreichend konsentierter Eingriff vor, so muss – vor allem mit Hilfe der zivilrechtlichen Generalklauseln – versucht werden, ein verfassungskonformes Ergebnis zu erzielen. Letztlich operiert Hanau damit gleichermaßen mit einem verfassungsrechtlichen wie mit einem genuin zivilrechtlichen Instrumentarium. Das erklärt sich auch daraus, dass für Hanau einfaches Privatrecht und Verfassungsrecht „dieselbe Freiheit zum Gegenstand haben“,164 mehr noch, die unmittelbare Grundrechtswirkung 156
H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 27 ff. H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 29 f. 158 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 32, 42, 45, 69, 139. Hier fehle der „Rechtserzeugungszusammenhang“. 159 Siehe auch Sachs, JuS 1995, 303, 307. 160 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 50. 161 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 59. 162 H. Hanau geht von einem denkbar weiten Begriff des Gestaltungsrechts aus (Verhältnismäßigkeit, S. 9 ff.). Dieses umfasse jegliche Rechtsausübung, die in die Freiheitssphäre eines anderen eingreift. 163 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 68. Ähnlich wohl auch Looschelders / W. Roth, JZ 1995, 1034, 1041 Fn. 69. 164 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 4, 44, 69 und öfter; ebenso Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 15. 157
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soll keine weitergehenden Konsequenzen haben als diese nicht ohnehin schon im System der Privatautonomie angelegt ist.165 Das Kontrollmodell, das Hanau entwirft, basiert auf der Grundunterscheidung zwischen paternalistischem und nicht-paternalistischem Freiheitsschutz.166 Der paternalistische Schutz167 greift von vornherein unabhängig davon, ob der Betroffene sich wirksam der Rechtsmacht des Vertrgspartners unterworfen hat. Zu einer Abwägung zwischen den Rechtspositionen der Beteiligten kommt es nicht.168 Im Zentrum stehen damit die Fälle des nicht-paternalistischen Schutzes, also die vom Betroffenen selbst gesetzten Grenzen seiner Bindung. Um diese zu ermitteln, „muss die im Moment des Vertragsschlusses nur abstrakt erteilte Ermächtigung so weit konkretisiert werden, daß die Grenzen der Unterwerfung unter die fremde Gestaltungsmacht erkennbar wird“.169 Dies geschieht anhand einer Auslegung der konkreten Vereinbarung, wobei der Grundsatz von Treu und Glauben für Hanau ein vertragsimmanentes Regulativ darstellt, das nicht nur kraft Anordnung in § 242 BGB gilt. Auch an dieser Stelle zeigt sich wieder die Übereinstimmung der Maßstäbe von Verfassung und einfachem Privatrecht. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitsvorbehalts müssen insbesondere Grundrechtseingriffe durch Gesetz geregelt werden. Nachdem die nicht konsentierte Ausübung von Gestaltungsmacht für Hanau wegen der staatlichen Geltungsanordnung einen Eingriff in die negative Vertragsfreiheit darstellt,170 kann diese nur gerechtfertigt werden, wenn sie gesetzlich erlaubt ist, etwa durch Normierung eines Kündigungsrechts. Ergibt sich die Eingriffsbefugnis aber nur aus Vertrag, so kommt eine Rechtfertigung wegen des Wesentlichkeitsvorbehalts für Hanau von vornherein nicht in Betracht.171 Für die verbliebenen Fälle172 wird die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Ausübung überschießender Gestaltungsmacht durch eine Angemessenheitskontrolle ermittelt, in der Gestaltungsinteresse des Gläubigers und Bestandsinteresse des Schuldners gegeneinander abgewogen werden. Das Modell Hanaus geht von der Geltung der grundrechtlichen Schutzdogmatik auch im Bereich des Privatrechts aus:
165
H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 69. H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 70 ff., 78 ff. 167 Zum Konzept eingehend Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 7 ff., 15 ff. 168 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 73. Die Frage, inwieweit in diesem Sinne „paternalistische“ Normen ihrerseits einen Eingriff in die positive Vertragsfreiheit darstellen (dazu bereits oben III. 2. [S. 298 ff.]), spielt dabei für Hanau keine Rolle. 169 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 79. 170 Anders aber die Rechtsprechung des BVerfG, vgl. Dieterich, RdA 2006, 62, 63. 171 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 86 ff. 172 H. Hanau spricht von „seltenen Ausnahmefällen“: Verhältnismäßigkeit, S. 89. 166
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„Bislang kategorial getrennte Bereiche entpuppen sich als Teile eines zusammenhängenden Kontrollspektrums mit abgestufter Kontrollintensität. Ob und Umfang der Kontrolle unterscheiden sich allein durch Ob und Umfang des Beitrags, den der Betroffene selbst zur Erzeugung der Rechtswirkung geleistet hat, der er nunmehr ausgesetzt ist.“173
2. Stellungnahme Verfassungsrecht und Privatrecht werden nach dem Konzept Hanaus eins; privatrechtliche Wertungen, insbesondere solche aus den Generalklauseln, sind inhaltsgleich in den grundrechtlichen Schutzbereichen enthalten. Sicher ist es zutreffend, dass die grundrechtlichen Wertungen mit den privatrechtlichen weitgehend übereinstimmen, ja deckungsgleich sind. Die Ausgestaltung dieser Wertungen im Einzelnen ist Aufgabe des Privatrechts. Dieses enthält ein breites Arsenal an Instrumenten zum Schutz des Betroffenen vor nicht konsentierten Eingriffen: Vor allem die Generalklauseln können – in Dürigscher Diktion – als „Abwehrrechte“ des Einzelnen gegen Übergriffe anderer Privater in die eigene Rechtssphäre gesehen werden.174 Diese sind offen für Wertungen und Einzelfallabwägungen, sie ermöglichen (im weitesten Sinne) eine Angemessenheitskontrolle. Wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird, liegt darin jedoch kein eigener privatrechtlicher Verhältnismäßigkeitsbegriff, der von einer verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit zu unterscheiden wäre,175 insofern ist Hanau zuzustimmen. Gleichwohl ist es irreführend, wenn Hanau davon spricht, dass ein privatrechtlich verstandenes Verhältnismäßigkeitsprinzip „nur (noch) engmaschiger ausfallen“ könnte als das verfassungsrechtliche.176 Diese Aussage wird nur dann verständlich, wenn man Hanaus Konzept folgt, dass ein einziger Kontrollmaßstab für Grundrechte und Privatrecht gleichermaßen existiert und dass daher jeglicher privatrechtliche Freiheitsschutz bereits aus den Grundrechten folgt. Aber auch dann wäre zu fragen, ein „noch engmaschigeres Kontrollinstrument“ im Bereich des Privatrechts nicht seinerseits einen Verstoß gegen die Privatautonomie darstellen würde. Vor allem aber macht Hanau nicht hinreichend deutlich, worin der eigentliche Gewinn der verfassungsrechtlichen Verortung der Kontrolle besteht. In der Konsequenz wäre danach jeder Vertrag vom Bundesverfassungsgericht daraufhin überprüfbar, ob ein wirksamer Verzicht auf die negative Vertragsfreiheit vorliegt.177 Neben diesem eher verfahrenstechnischen Gesichtspunkt schafft das Kontrollmodell Hanaus in Bezug auf die Kernfrage, wann genau eine überschießende Gestaltungsmacht vorliegt, wann also der Betroffene nicht 173 174 175 176 177
H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 141. Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157, 176. Dazu bereits Text oben bei Fn. 146. Dazu sogleich unten § 18 II. (S. 330 ff.). H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 4, 96. Kritisch zum Ansatz Hanaus daher auch Dieterich, RdA 2006, 62, 63.
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hinreichend in den Eingriff in seine Freiheitssphäre eingewilligt hat, keine präziseren Vorgaben als die herkömmliche Privatrechtsdogmatik.178 Der Verweis auf die „vertragsbegrenzende Auslegung“179 bzw. bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen die „Aufnahme einer Klausel in den rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen“, die erst den Bindungswillen für den Kunden herbeiführen soll,180 geht zwar insofern in die richtige Richtung, als der Vertrag Anknüpungspunkt für die Risikozuweisung zwischen den Parteien ist, vermag aber wiederum im Vergleich zu einer rein privatrechtlichen Bewältigung des Problems keinen wirklichen Fortschritt zu schaffen.181
V. Zwischenergebnis Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist fester Teil der grundrechtlichen Schrankendogmatik und als solcher vom Bundesverfassungsgericht anerkannt. Dort dient der Grundsatz vor allem der Beschränkung von staatlichen Eingriffen in Grundrechte. Überwiegend wird seine Geltung aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet. Vorzugswürdig erscheint es indessen, den Geltungsgrund der Verhältnismäßigkeitskontrolle jedenfalls für Fälle von Grundrechtskollisionen in den Grundrechten selbst zu sehen, die ihrer Natur nach möglichst umfassend nach Verwirklichung streben. Weil wegen der großen Reichweite des grundrechtlichen Schutzbereichs Eingriffe durch einfache Gesetze182 unvermeidlich sind, wird ein Mechanismus zum Ausgleich der widerstreitenden Interessen benötigt. Diese Aufgabe kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu, der sich insofern als bloßer Meta-Grundsatz ohne materiellen Gehalt erwiesen hat. Wegen Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG besteht eine unmittelbare Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte auch im Bereich des Privatrechts. Die Privatrechtsordnung muss so ausgestaltet sein, dass die Bürger ihre grundrechtlich garantierte Freiheit möglichst weitgehend verwirklichen können. Nachdem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke für Grundrechtsbeschränkungen wirkt, ist es theoretisch auch denkbar, dass eine privatrechtliche Norm „unverhältnismäßig“ ist, präziser, den Gehalt eines Grundrechts unverhältnismäßig einschränkt. Dem Privatrechtsgesetzgeber kommt aber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Verfassungsrechtlich wird nicht die „optimale“ Lösung des privatrechtlichen Interessenausgleichs gefordert, sondern nur eine vertret178
In diesem Sinne auch Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 108 Fn. 469. H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 79. 180 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 83. 181 Ebenso Dieterich, RdA 2006, 62, 63; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 108 Fn. 469. 182 Strukturell vergleichbar sind die Fälle von Kollisionen mit anderen Grundrechten, die in Wege praktischer Konkordanz zu lösen sind; dazu bereits oben bei Fn. 51. 179
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bare.183 Selbst wenn also eine privatrechtliche Norm eine einseitige Interessenlage schafft, so ist sie nicht schon deshalb „unverhältnismäßig“. Das geltende deutsche Privatrecht stellt mit den zivilrechtlichen Generalklauseln Instrumente bereit, auch im Einzelfall nicht schon durch spezielle privatrechtliche Normen zum Ausgleich gebrachte grundrechtliche Positionen angemessen berücksichtigen zu können.184 Im Verhältnis zwischen Privaten gelten die Grundrechte hingegen nicht unmittelbar. Die Annahme, die grundrechtliche Abwehrfunktion entfalte bei privatheteronomer Gestaltungsmacht im Ergebnis dennoch horizontale Wirkung, da jede privatrechtliche Rechtsausübung vermittels des staatlichen Geltungsbefehls die Qualität eines Hoheitsaktes habe, überzeugt nicht.185 Sie überfrachtet das Privatrecht mit verfassungsrechtlichen Wertungen und vermag überdies nicht darzulegen, warum nicht hinreichend konsentierte „Eingriffe“ Privater in die Rechte anderer nicht bereits mit den Instrumenten des Privatrechts zu verhindern sein sollen. Die Untersuchung des geltenden Rechts im 1. Teil dieser Arbeit hat gezeigt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Privatrecht, insbesondere im Schuldvertragsrecht, breite Verwendung findet. Insoweit kann man jedenfalls terminologisch trennen zwischen einem „verfassungsrechtlichen“ und einem „privatrechtlichen“ Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.186 Die Annahme, dass es nur einen verfassungsrechtlichen Grundsatz gebe, der über den Stufenbau der Rechtsordnung auch drohe, in das Privatrecht hineingetragen zu werden und dessen Wertungen zu konterkarieren,187 ist vor diesem Hintergrund zu eng. Es geht nicht so sehr um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (dieser ist auch ein privatrechtliches Phänomen), sondern eher um die Frage, wie die Grundrechte im Privatrecht wirken. Dies zeigt auch die rechtsvergleichende Umschau: Sowohl das italienische als insbesondere auch das englische Recht kennen eine Drittwirkung von Grundrechten nur im Ansatz;188 PECL und DCFR stehen als Modellgesetze völlig ohne verfassungsrechtlichen Bezugsrahmen. Wie gezeigt, kennen aber sämtliche Systeme in allen untersuchten Berei183 BVerfGE 89, 214, 234; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 67; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 252 ff.; Mayer-Maly, ZfA 1980, 473, 475, 483 ff. 184 Das ist die wesentliche Aussage der einschlägigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, siehe die Nachweise oben III. 2. (S. 298 ff.). 185 Zu diesem Ansatz von Hanau oben IV. (S. 311 ff.). 186 Siehe auch Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 222 ff., der nur aus Darstellungsgründen zwischen einfachrechtlichem und verfassungsrechtlichem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterscheidet. 187 Vgl. etwa Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 253. 188 Das Konzept der Drittwirkung von Grundrechten wird ganz vorrangig mit dem Vorbild des deutschen Rechts von der rechtsvergleichend orientierten Literatur behandelt; vgl. für das italienische Recht Nießen, Grundrechte und Privatrecht, S. 120 ff.; für das englische Recht sind insbesondere die (primär rechtsvergleichenden) Arbeiten von Markesinis hervorzuheben, vgl. beispielhaft Markesinis, 115 (1999) LQR 47.
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chen Ausprägungen der Verhältnismäßigkeit. Als Geltungsgrund der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht kann höherrangiges Recht in diesen Systemen damit aber nicht herangezogen werden. Auch dieser Befund spricht für einen von der Verfassung losgelösten Begründungsansatz. Der Unterschied zwischen verfassungsrechtlicher und privatrechtlicher Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zeigt sich besonders dann, wenn der Staat privatrechtlich tätig wird. Bei fiskalischem Handeln ist der Staat gewissermaßen einer doppelten Verhältnismäßigkeitskontrolle unterworfen: Einer privatrechtlichen, denn die spezifischen Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Privatrecht gelten auch für den Fall, dass der Staat Vertragspartner ist; daneben aber auch einer verfassungsrechtlichen: Der Staat ist bei der Geltendmachung privatvertraglich vereinbarter Rechte nicht nur an die allgemeine privatrechtliche Schranke des § 242 BGB gebunden.189 Er ist darüber hinaus verpflichtet, vor Ausübung des Rechts im Wege einer Ermessensentscheidung zu prüfen, ob und inwieweit das Recht geltend gemacht werden soll; dabei hat er den (verfassungsrechtlichen) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere auch den Grundsatz der Erforderlichkeit zu beachten.190 Ob diese Unterscheidung mehr als nur terminologische Bedeutung hat, muss noch geklärt werden. Bereits auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen lässt sich aber feststellen, dass es in Wahrheit nur einen einzigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gibt, der als solcher nur formalen Inhalt hat und unterschiedliche Ergebnisse erzielt je nachdem, welchen Konflikt zwischen zwei Rechtspositionen er löst.191 Diese Struktur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gilt es in den folgenden Abschnitten näher zu untersuchen.
189 BGHZ 153, 93, 106; BGH WM 2006, 300, 302; BGH WM 2006, 2046, 2047 sowie schon früher BGHZ 93, 372 m.w.N. 190 Die in der vorigen Fußnote genannten Urteile beziehen sich auf Verträge über Bauland zu günstigen Konditionen, die sog. „Einheimischenmodelle“. Der Sache nach handelt es sich dabei um Subventionen. Wird dabei, wie etwa im Fall BGH WM 2006, 2046, ein Wiederkaufsrecht zugunsten der öffentlichen Hand vereinbart, so kann dieses nicht schrankenlos ausgeübt werden. Der BGH (WM 2006, 2046, 2047 f.) führt dazu aus: „Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass der Staat einem Subventionsempfänger zur Sicherung der Zweckbindung der Subvention keine beliebigen Beschränkungen auferlegen darf. Die Beschränkungen müssen vielmehr geeignet und erforderlich sein, um den mit der Subvention zulässigerweise verfolgten Zweck für einen angemessenen Zeitraum sicherzustellen. Dient das in einem Grundstückskaufvertrag mit der öffentlichen Hand vereinbarte Wiederkaufsrecht der vertraglichen Absicherung von mit dem Verkauf verbundenen Zielen im Bereich der Wohnungsbau-, Siedlungs- oder Familienpolitik, müssen die Bindungen, denen der Käufer und seine Rechtsnachfolger hierdurch unterworfen werden, in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen.“ Im konkreten Fall hielt der BGH eine Geltendmachung des Wiederkaufsrechts 70 Jahre nach Vertragsschluss für unverhältnismäßig; es sei nicht erforderlich, um den Zweck der Subvention (nämlich den Bau eigengenutzter Einfamilienhäuser bei Vermeidung von Bodenspekulationen zu fördern) zu erfüllen. 191 So auch Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 231, 237.
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§ 18. Grundstrukturen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Privatrecht Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit die für das öffentliche Recht, insbesondere für das Verfassungsrecht feststehenden Einzelgrundsätze der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne auch im Zivilrecht zur Anwendung kommen. Dabei geht es nicht um eine rechtsfortbildende Transformation des Grundsatzes vom öffentlichen Recht auf das Privatrecht,192 sondern vielmehr darum, die Geltung der Teilgrundsätze im Privatrecht auf der Grundlage der im 1. Teil der Arbeit erfolgten Systematisierung nachzuweisen und deren Legitimation aufzuzeigen. Es wird nicht das (nicht erfolgsversprechende) Ziel verfolgt, die einzelnen Anwendungsbereiche durchgehend zu systematisieren und zu operationalisieren; vielmehr soll nur der Versuch unternommen werden, die Funktionsweise des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerade für das Schuldvertragsrecht zu veranschaulichen und auf diese Weise dessen Struktur zu ergründen.193 Es geht mithin um das „Wie“ der Wirkung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.194
I. Die Anwendung der Teilgrundsätze im Privatrecht Bereits der kurze historische Abriss der Entwicklung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Recht195 hat gezeigt, dass die in diesem Rechtsbereich heute allgemein vorgenommene Drei-Stufen-Prüfung eine moderne Entwicklung ist, die ihren Ausgangspunkt in einer bloßen Erforderlichkeitsprüfung hatte. Dabei beschreiben die Teilgrundsätze unterschiedliche Kontrollmodi, die sich bereits in ihrer Funktionsweise grundlegend voneinander unterscheiden. Während der Grundsatz der Erforderlichkeit (in Verbindung mit dem Grundsatz der Geeignetheit) eine strenge Zweck-Mittel-Prüfung vorschreibt, an deren Ende (nur, aber immerhin) eine einzige Handlungsoption – das mildeste Mittel – steht, lässt die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne regelmäßig Handlungsalternativen offen. Die Entscheidung geht hier lediglich darüber, ob das konkret gewählte Mittel verhältnismäßig ist. Im Gegensatz zur
192
Zur Ablehnung dieses Ansatzes bereits oben § 17 I. (S. 288 ff.). Vgl. in diesem Zusammenhang auch die grundsätzlichen Bedenken Hirschbergs (Verhältnismäßigkeit, S. 238 f.) gegenüber Versuchen einer zu weitgehenden Konkretisierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als „AntiNorm“ verlöre dann seinen Sinn. 194 Zur davon zu unterscheidenden Frage nach dem „Ob“ der Geltung noch unten Kap. 6 (S. 357 ff.). 195 Oben § 17 II. (S. 291 ff.). 193
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Erforderlichkeitsprüfung, die sich auf die Mittelauswahl beschränkt und dabei stets eine Handlungsmöglichkeit belässt,196 kann die Verhältnismäßigkeitskontrolle auch jedwedes Handeln verbieten, nämlich dann, wenn schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen. Diese unterschiedliche Zielrichtung ist es auch, die den Teilgrundsätzen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im eigentlichen Sinne eigenständige Bedeutung verleihen: Ein Teilgrundsatz kann ohne den jeweils anderen zur Anwendung kommen; eine zwingende Verklammerung zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne besteht nicht.197 Wegen der unterschiedlichen Kontrollrichtungen und Wirkungsweisen haben die Teilgrundsätze eigenständige Bedeutung; der Umfang ihrer Geltung im Privatrecht ist jeweils gesondert festzustellen.
1. Geeignetheit und die Erforderlichkeit der Mittelauswahl im Privatrecht a) Die Erforderlichkeit als „scharfe Entscheidungsregel“ Der (Teil-)Grundsatz der Erforderlichkeit beschränkt die Möglichkeiten des Handelnden: Er fragt, ob das mit der Handlung verfolgte Ziel auch mit milderen, also für den Betroffenen weniger einschneidenden Zielen erreichbar ist. Die Erforderlichkeitsprüfung setzt damit eine Zweck-Mittel-Relation voraus. Sie kommt immer dann zur Anwendung, wenn in die Rechte des von der Maßnahme Betroffenen eingegriffen wird. Dieser Eingriff ist nur dann legitimiert, wenn er nicht weiter geht als notwendig, um den damit verfolgten Zweck zu erreichen. Es handelt sich dabei um eine „scharfe Entscheidungsregel“, die den Einsatz des im konkreten Fall mildesten Mittels anordnet und somit den Einsatz aller weiteren Mittel verbietet.198 Eine Interessenabwägung findet nicht statt, ja es geht auf dieser Stufe noch nicht einmal um die Gewichtung der konkreten Interessen des Betroffenen, sondern ausschließlich um die Mittelauswahl. Lediglich zur Feststellung der Eingriffsintensität der verschiedenen zur Auswahl stehenden Mittel ist eine Beurteilung notwendig, in welchem Falle ein Eingriff die mildesten Konsequenzen hat.
196
Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 148; vgl. aber zu Einschränkungen a.a.O. S. 61 ff. Dies hat vor allem Hirschberg (Verhältnismäßigkeit, S. 47) nachgewiesen. Ebenso bereits Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 20 ff. m.w.N. Vgl. auch Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 448 ff.; Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 17 Fn. 1. 198 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 58, 246; ähnlich Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit, S. 73 f.; H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 117 f. 197
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aa) Keine allgemeine Geltung im Vertragsrecht Bereits hieran zeigen sich die begrenzten Anwendungsmöglicheiten des Grundsatzes der Erforderlichkeit im Bereich des Vertragsrechts: Zwar kann man in der Geltendmachung eines vertraglichen Rechts eine Beeinträchtigung der Freiheitssphäre des Schuldners sehen, liegt es doch in der Macht des Gläubigers, seinen Anspruch notfalls auch unter Zuhilfenahme der entsprechenden staatlichen Einrichtungen zwangsweise durchzusetzen.199 Unter diesem Blickwinkel läge eine Eingriffssituation vor, die (auch) eine Heranziehung des Grundsatzes der Erforderlichkeit rechtfertigen könnte. Die Besonderheit im Bereich des Vertragsrechts liegt indessen darin, dass der Schuldner dem „Eingriff“ in seine Sphäre durch den Vertragsschluss zuvor zugestimmt hat. Der Vertrag selbst legitimiert die Geltendmachung des vertraglichen Rechts. 200 Es gibt in diesem Sinne kein mildestes Mittel; dem Gläubiger stehen diejenigen Handlungsmöglichkeiten offen, die vertraglich vereinbart sind. Daher wäre es auch regelmäßig sinnwidrig, nach einer Zweck-Mittel-Relation zu fragen: Der Zweck der Geltendmachung ergibt sich bereits aus der vertraglichen Vereinbarung. Etwas anderes könnte sich nur dort ergeben, wo der „Eingriff“ von der vertraglichen Vereinbarung nicht gedeckt ist, oder dort, wo von vornherein keine solche Vereinbarung geschlossen wurde. Ließe man hypothetisch den Grundsatz der Erforderlichkeit als Schranke privatrechtlicher Rechtsausübung zu, so hätte dies gravierende Konsequenzen für die privatautonome Gestaltungsfreiheit: Nachdem die Erforderlichkeitsprüfung die Handlungsalternativen regelmäßig auf eine einzige reduziert, würde privatrechtliches Handeln, das gerade auf der freien Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Handlung basiert, über die Maßen reguliert – ein mit dem Grundsatz der Privatautonomie unvereinbarer Ansatz. 201 Die Anwendung des Grundsatzes der Erforderlichkeit würde auch dazu führen, dass die Interessen des Handlungsgegners denen des Handelnden einseitig vorgezogen werden, weil eben nur das schonendste Mittel eingesetzt werden darf. Raum für die Berücksichtigung der Belange des Handelnden besteht nur insoweit, als dieser den Zweck seines Handelns bestimmen und damit den Maßstab vorgeben könnte, der an die zu dessen Erreichung eingesetzten Mittel angelegt wird. 202
199 Vor allem hierauf basiert der Ansatz von H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 27 ff. (dazu oben § 17 IV. [S. 311 ff.]). 200 Ebenso im Ergebnis diesbezüglich H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 119, 121, der die Erforderlichkeit als Element der auf vertikale Situationen gemünzten iustitia protectiva sieht. 201 Dezidiert Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 50 ff.; ebenso bereits Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 289 f. Unklar Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 44, der aber an dieser Stelle nicht zwischen den Teilgrundsätzen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit i.e.S. differenziert und der Sache nach wohl nur letzteren meint. 202 Vgl. wiederum Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 52.
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Diese Einschätzung wird durch die Gesetzessystematik bestätigt: Ein Zwang zur Mittelauswahl wird nur dort ausgeübt, wo fremde Rechte im Rahmen der Selbsthilfe oder bei einer Notwehr- bzw. Notstandshandlung beeinträchtigt werden: Nach § 227 Abs. 2 BGB muss die Notwehrhandlung „erforderlich [sein], um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff […] abzuwenden“. Nach § 228 Satz 1 BGB ist eine Notstandshandlung nur dann gerechtfertigt, wenn sie „zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist“; nach § 904 Satz 1 BGB muss sie dazu „zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig“ sein. Die Selbsthilfe darf nach § 230 Abs. 1 BGB „nicht weiter gehen, als zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist“. In diesen Fällen besteht für die Handlung des Eingreifenden keine vertragliche Rechtfertigung. Zwar mag es sein, dass die Selbsthilfe zur Sicherung eines vertraglichen Rechts ausgeübt wird. Die vertragliche Vereinbarung als solche legitimiert jedoch den in der Selbsthilfe liegenden Eingriff nicht. In der Regel ist es dem Gläubiger verwehrt, selbst seine Forderungen durchzusetzen. In allen genannten Fällen hat der Handelnde typischerweise die Auswahl zwischen mehreren Mitteln, jedenfalls ist sein Handlungsspielraum nicht durch eine vertragliche Vereinbarung eingeschränkt. 203 Den Geltungsgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in diesem Bereich kann man in der Idee der iustitia vindicativa, der verhältnismäßigen Tatvergeltung, sehen; hier besteht eine gewisse Parallele zur Angemessenheit von Schuld und Strafe. 204 Historisch gesehen waren zivile und strafrechtliche Verfolgung von Straftaten nicht streng geschieden; so kannte das römische Recht die Privatverfolgung unter staatlicher Aufsicht. 205 Es ist unmittelbar einsichtig, dass bei Geltung von Privatrache und Tallionsprinzip ein Überschreiten der „Rachebefugnis“ durch unverhältnismäßige Sanktionen wiederum eine Privatrache der anderen Seite nach sich ziehen könnte. Nachdem die Privatrache vorrangig im öffentlichen Interesse zugelassen war und weniger den Zwecken der Genugtuung des Geschädigten diente, erscheint die Begrenzung auf das mildeste Mittel einleuchtend. In der Regel lässt das Gesetz dem privatautonom Handelnden aber grundsätzlich den größtmöglichen Spielraum bei der Mittelauswahl. 206 Die Grenze zieht § 226 BGB erst dort, wo die Rechtsausübung als Schikane anzusehen wäre, wenn der Gläubiger also keinerlei eigenes Interesse an der Geltendmachung seines subjektiven Rechts hat, sondern nur den Zweck verfolgt, dem
203 Eine Erforderlichkeitsprüfung wird daneben auch bei tatsächlichen Handlungen vorgenommen, die die Rechtsgüter anderer verletzen: So bei Notwehr und Notstand sowie bei „sozialadäquatem Handeln“ im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 1 UWG. Hier passt die Zweck-Mittel-Relation der Erforderlichkeitsprüfung. 204 Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 868, 872. 205 Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 875. 206 Ebenso Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 228.
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Schuldner Schaden zuzufügen und auf diese Weise seine privatautonome Gestaltungsmacht missbraucht. Die Mittelauswahl wird hingegen nicht kontrolliert; sobald ein berechtigtes Interesse für die Rechtsausübung auch nur mitbestimmend sein kann, scheidet der Schikanevorwurf aus. 207 Dies gilt auch für die Rechtsausübung in Sonderverbindungen, die nach § 242 BGB unzulässig ist, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt.208 Anders gewendet: Eine privatautonome Handlung innerhalb einer vertraglichen Beziehung ist immer „erforderlich“, trägt ihren Zweck in sich selbst. 209 Kein Anwendungsfall des Grundsatzes der Erforderlichkeit im hier verwendeten Sinne ist die Beschränkung des Ersatzes von Aufwendungen auf das „Erforderliche“ wie dies etwa in § 670 BGB vorgesehen ist. 210 Zwar ähneln diese Fälle der Verhältnismäßigkeitsprüfung insoweit, als zu beurteilen ist, ob die vom Beauftragten eingesetzten Mittel zur Erreichung des Auftragsziels notwendig waren und damit eine Zweck-Mittel-Relation zu beurteilen ist. Gleichwohl steht bei § 670 BGB eine Beurteilung aus Sicht des Auftragnehmers im Vordergrund; eine von ihm getätigte Aufwendung ist nicht schon dann nicht ersatzfähig, wenn es überhaupt ein den Auftraggeber ökonomisch weniger belastendes Mittel gegeben hätte. Vielmehr genügt es, wenn der Auftragnehmer bei verständiger Würdigung annehmen durfte, die Aufwendung sei notwendig. 211 Für die nicht geregelten Fälle der in fremdem Interesse getätigten Aufwendungen kann daher der Grundsatz der Erforderlichkeit als Zwang zum Einsatz des den Interesseninhaber am wenigsten belastenden Mittels nicht herangezogen werden. Vielmehr hat der Sachwalter nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wie er die Interessen des Auftraggebers am besten schützt. Der Maßstab hierfür ergibt sich aus der vertraglichen Abrede zwischen beiden Parteien. 212 207
RGZ 98, 15, 17; BGH NJW 1975, 1314; Petersen, Jura 2008, 759 f. Zur historischen Entwicklung HKK / Haferkamp, §§ 226–231 Rn. 20. 208 Vgl. BGH NJW 1991, 1289; Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 38. Rechtsmissbrauchsverbot und Verhältnismäßigkeitsprinzip hängen eng miteinander zusammen, vgl. dazu unten § 22 II. 3 c) (S. 408 f.). 209 Gleichwohl werden Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne oft vermischt, so etwa bei der Frage der Unangemessenheit einer Klausel bei der AGB-Kontrolle. Vgl. dazu bereits § 9 II. 2. c) bb) (S. 122 ff.). Zu weitgehend auch Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 82 III (S. 656), nach denen das Übermaßverbot auch im Privatrecht gelte: Ein Rechtsinhaber müsse auf die Rechtsausübung verzichten, wenn dadurch der Gegenseite unverhältnismäßige Nachteile zugefügt werden, wenn er sein Interesse auch auf weniger einschneidende Weise wahren kann. Dazu noch unten § 22 II. 2. c) aa) (3) (S. 398 f.). 210 Ein weiteres Beispiel bilden die „notwendigen Verwendungen“ in § 994 Abs. 1 Satz 1 BGB. Vergleichbar sind sämtliche Aufwendungen, die im Interesse Dritter vorgenommen werden, etwa im Rahmen von Treuhandverhältnissen. 211 Vgl. nur Jauernig / Mansel, § 670 Rn. 3 m.w.N. Siehe auch Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 83 IV (S. 656), die diese Fälle als Ausdruck der Maxime „ius ad finem dat ius ad media“ sehen. 212 Anders hier Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 259 ff., der die Verhältnismäßigkeit i.w.S.
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So ist es auch eher der Bereich der außervertraglichen Rechtsbeziehungen, etwa im Deliktsrecht, in dem Zweck-Mittel-Relationen rechtlich bedeutsam werden. 213 Eine nach § 826 BGB zum Ersatz verpflichtende, vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung liegt dann vor, wenn weder Mittel noch Zweck als solche anstößig sind, aber der Einsatz dieses ansich legitimen Mittels zur Erreichung des normalerweise unbedenklichen Zwecks im konkreten Fall und damit gerade die Kombination von Mittel und Zweck als sittenwidrig erscheint. 214 So kann es etwa liegen, wenn der durch die Handlung verursachte Schaden außer Verhältnis zu dem erstrebten Nutzen steht oder wenn der eingetretene Schaden sich zwar nicht vermeiden ließ, aber nicht durch schützenswerte Interessen des Schädigers gerechtfertigt war. 215 Auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit bei den so genannten Rahmenrechten in § 823 Abs. 1 BGB impliziert die Beurteilung einer solchen Zweck-MittelRelation:216 Ein Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist rechtswidrig, wenn er nicht mehr durch legitime Interessen des Handelnden gedeckt ist, wenn also etwa ein wegen wettbewerbswidriger Praktiken legitimerweise begonnener Boykott trotz Fortfalls dieses Grundes zur Bestrafung fortgeführt wird. 217 In ähnlicher Weise ist eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in einer Abwägung zwischen Eingriffszweck unter Berücksichtigung legitimer Interessen und der Schwere der Verletzung zu bestimmen. 218
bb) Ausnahme Vertragsbeendigung? Die Geltung des Grundsatzes der Erforderlichkeit wird demgegenüber insbesondere in Bezug auf Kündigungen vertreten. 219 Einen positivrechtlichen Anhaltspunkt bietet § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB, der ein allgemeines Abmahnerfordernis bei Kündigungen aus wichtigem Grund wegen Pflichtverletzung normiert. § 323 Abs. 3 BGB enthält eine vergleichbare Vorgabe für den Rücktritt vom gegenseitigen Vertrag. Die Existenz eines der Lösung vom Vertrag durch (und damit auch den Grundsatz der Erforderlichkeit) als generelle Schranke fremdnütziger Rechtspositionen sieht. 213 Eingehend dazu aus Sicht der Grundrechtswirkungen im Privatrecht Canaris, JuS 1989, 161, 167 ff. 214 BGH NJW 1992, 2821, 2822; BGH NJW 2000, 2810, 2811; Soergel / Hönn, § 826 Rn. 37 ff. 215 Vgl. etwa BGHZ 129, 136, 172 ff. (Girmes). 216 Streng genommen wird hier keine abwägende Gegenüberstellung von Mittel und Zweck gefordert, sondern eine Betrachtung der Zweck-Mittel-Relation unter Ausschluss von außerhalb dieser Relation liegenden Gesichtspunkten, vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 132 ff. Gleichwohl ist jedenfalls bei den Rahmenrechten anerkannt, dass die Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation für die Berücksichtigung weiterer Abwägungselemente offen ist (dies erkennt auch Hirschberg, a.a.O., S. 140, an). Zur vergleichbaren Situation bei der Anfechtung wegen Drohung nach § 123 Abs. 1 BGB Soergel / Hefermehl, § 123 Rn. 47 (auch hier Abwägung aller Umstände des Einzelfalles). 217 BGHZ 24, 200, 206. 218 BGHZ 31, 308, 313. 219 So für das Arbeitsrecht st. Rspr. des BAG, vgl. BAG NZA 2006, 980, 984; Staudinger / Preis (2002), § 626 Rn. 105; Schlachter, NZA 2005, 433, 435. Vgl. weiter etwa Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 130.
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Rücktritt oder Kündigung vorgeschalteten Abmahnerfordernisses könnte dahin verstanden werden, dass die Abmahnung deswegen der schärferen Sanktion der Vertragsbeendigung vorgeht, weil sie im Vergleich dazu als milderes Mittel anzusehen ist.220 Eine solche Sicht ist jedoch aus mehreren Gründen nicht zwingend. Zunächst ist bereits unklar, inwieweit die Abmahnung überhaupt als milderes Mittel, also als qualitatives Minus zur Vertragsbeendigung durch Kündigung oder Rücktritt angesehen werden kann. Das wäre nur dann der Fall, wenn der mit der Vertragsbeendigung verfolgte Zweck ebenso durch die bloße Abmahnung erreicht werden könnte. Selbst wenn man diesen Zweck darin sieht, dass weitere Pflichtverletzungen für die Zukunft verhindert werden (und nicht als Sanktion für die zurückliegende Pflichtverletzung), 221 so ist zweifelhaft, ob die Abmahnung ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Ziels darstellt. Die Verhinderung von weiteren Pflichtverletzungen vermag mit der Abmahnung nicht erreicht zu werden, diese kann per se nicht als milderes Mittel angesehen werden, da nur die Vertragsbeendigung jenes Ziel sicher zu erreichen vermag. 222 Auch scheint der Wortlaut der §§ 314 Abs. 2, 323 Abs. 3 BGB nicht eindeutig auf eine Erforderlichkeitsprüfung hinzudeuten. Die genannten Normen beschränken die Handlungsalternativen des rücktritts- bzw. kündigungswilligen Gläubigers nicht auf das mildeste Mittel, sondern schalten der eigentlichen Sanktion eine Abmahnung vor. Damit soll eine Warnfunktion erzielt werden; die Abmahnung soll den Schuldner auf die Pflichtverletzung und deren mögliche Konsequenzen hinweisen, ihm aber die gravierenden Konsequenzen der Vertragsbeendigung (noch) ersparen. Dahinter steht aber wiederum die allgemeine Erwägung, dass eine vertragliche Verpflichtung möglichst aufrechterhalten werden muss, dass Störungen also innerhalb der fortgeltenden Vertragsbeziehung behoben werden und die Aufhebung des Vertrags nur ausnahmsweise Konsequenz von parteilichem Fehlverhalten sein soll. 223 Diesen Gedanken verwirklicht das Schuldrecht an zahlreichen Stellen vor allem für längerfris220 Anders zum Darlehensrecht BGH WM 1978, 234, 235 f.: Ein Abmahnerfordernis der Bank besteht bei wesentlicher Pflichtverletzung des Kunden vor der Kündigung nicht; ein solches kann auch nicht aus Treu und Glauben abgeleitet werden. 221 Vgl. etwa BGH NJW 2008, 1303: Es sei Zweck der Abmahnung, „der anderen Vertragspartei ein bestimmtes, als Vertragsverletzung beanstandetes Fehlverhalten vor Augen zu führen, und zwar verbunden mit der Aufforderung, dieses Verhalten zur Vermeidung weiterer vertragsrechtlicher Konsequenzen aufzugeben oder zu ändern“. 222 Eingehend dazu Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 29 ff., 83 ff., 250 ff. Erst recht besteht bei ordentlichen Kündigungen keine allgemeine Erforderlichkeitsschwelle, die regelmäßig eine vorhergehende Abmahnung nach sich ziehen würde. Dies würde der Einführung eines vom Gesetz gerade nicht verlangten Kündigungsgrundes gleichkommen, vgl. Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 130 (der aber für die außerordentliche Kündigung gleichwohl von der Geltung des Grundsatzes der Erforderlichkeit ausgeht). 223 Ebenso Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 255; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 250 ff. Siehe zum Grundsatz der Vertragserhaltung bereits oben § 2 III. (S. 10 f.).
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tige Verträge; zentral ist dabei die Regelung der fundamentalen Störung der Geschäftsgrundlage: Hier entfällt die Vertragsbindung nicht ohne weiteres, sondern nach § 313 Abs. 3 BGB nur dann, wenn eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse einem Teil nicht zumutbar ist. 224 Dafür spricht auch die funktionale Parallele zwischen Abmahn- und Fristsetzungserfordernis in § 323 Abs. 1 BGB bzw. in § 314 Abs. 2 BGB: Auch im Falle einer nicht vertragsgemäßen Leistung kann der Gläubiger nicht sofort zurücktreten bzw. kündigen, sondern muss dem Schuldner eine Frist zur Nacherfüllung setzen. Eine Ausprägung des Grundsatzes der Erforderlichkeit kann darin bereits strukturell nicht gesehen werden.225 Plausibler erscheint es, sowohl Fristsetzungs- als auch Abmahnerfordernis als Bedingung einer Vertragsauflösung zu sehen, die das Prinzip der Aufrechterhaltung des Vertrags verkörpern und nicht ein Ultimaratio-Prinzip. 226 b) Die Geeignetheit als Vorstufe zur Erforderlichkeit Der Grundsatz der Geeignetheit beinhaltet die Prüfung, ob das eingesetzte Mittel den damit verfolgten Zweck überhaupt zu erreichen imstande ist. Untaugliche Mittel scheiden von vornherein aus; allerdings genügt es, wenn das eingesetzte Mittel auch nur teilweise zur Erreichung des Zwecks ausreicht. 227 Die Geeignetheit ist notwendiger Bestandteil des Grundsatzes der Erforderlichkeit:228 Wird ein nicht geeignetes Mittel eingesetzt, kann sich schon die Erforderlichkeitsprüfung nicht stellen. Nachdem die Erforderlichkeitsprüfung die Ermittlung mehrerer zur Zweckerreichung geeigneter Mittel voraussetzt, unter denen dann das mildeste zu wählen ist, kommt der Geeignetheitsprüfung in diesem Sinne keine eigenständige Bedeutung mehr zu.229 Es gilt daher das zum Grundsatz der Erforderlichkeit Gesagte: Im Bereich des Schuldvertragsrechts gilt es regelmäßig nicht, eine Zweck-Mittel-Relation 224
Dazu bereits oben § 14 III. (S. 263 ff.). Jedenfalls nicht als Ausprägung des Grundsatzes der Erforderlichkeit in regelförmiger Ausprägung. Davon zu unterscheiden ist die Einschätzung, die Vertragsbeendigung stelle immer das letzte Mittel der Reaktion auf Pflichtverletzungen dar und verkörpere damit das Ultima-ratio-Prinzip. Zur vergleichbaren Unterscheidung der Verhältnismäßigkeit eines Regelungskomplexes von der Verhältnismäßigkeit einer vertraglichen Vereinbarung oben § 3 II. 1. b) (S. 18 f.). 226 Selbst diejenigen Stimmen, die das Ultima-ratio-Prinzip zur Rechtfertigung des Abmahnerfordernisses heranziehen, berufen sich flankierend auf den „Rechtsgedanken, wonach der Gläubiger vor einer einseitigen Aufhebung des Vertrages dem Schuldner noch einmal die Folgen seines säumigen Verhaltens vor Augen führen soll“ sowie auf das Prognoseprinzip, vgl. BAG NZA 2006, 980, 984; Staudinger / Preis (2002), § 626 Rn. 105, 109 m.w.N. 227 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 54. 228 Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 346 mit Fn. 101; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 59 ff.; H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 118. 229 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 59, will daher nur noch „aus praktischen Gründen“ Erforderlichkeit und Geeignetheit trennen. 225
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zu überprüfen, so dass sich die Frage der Geeignetheit des Mittels dann nicht stellt. Die Art und Weise eines Eingriffs in die Sphäre des Vertragspartners ergibt sich aus der vertraglichen Vereinbarung; eine Mittelauswahl wird dem Handelnden nicht auferlegt.
2. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Die bisherige Untersuchung hat die Hypothese bestätigt, dass im Bereich des Vertragsrechts grundsätzlich nur der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, also der Gedanke der Angemessenheit, zur Anwendung kommt. Dieser dient dem Ausgleich konfligierender Interessen der Vertragsparteien. Er führt nicht zu einer Beschränkung bei der Auswahl der Mittel, vielmehr ist allein der (gegebenenfalls ergänzend auszulegende) Vertrag Maßstab für die Zulässigkeit der Ausübung von Rechten. Während der Grundsatz der Erforderlichkeit von einer Eingriffssituation gekennzeichnet ist, in der das Handeln zwar regelmäßig erlaubt ist, dem Handelnden aber wegen der Übergriffe in geschützte Sphären Beschränkungen in Bezug auf die Art und Weise des Einsatzes der Mittel auferlegt werden, lassen sich solche Gemeinsamkeiten bei der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne weniger prägnant darlegen. a) Schwierigkeiten bei der Systematisierung Die im ersten Teil dieser Arbeit untersuchten Fälle lassen sich nur schwer weiter systematisieren. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung kann die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts vernichten, wie das – in Verbindung mit anderen Faktoren – in § 138 Abs. 2 BGB der Fall ist. Sie kann daneben im Rahmen der Inhaltskontrolle von AGB nach §§ 307 ff. BGB zur Unwirksamkeit einzelner Teile einer vertraglichen Vereinbarung führen. Besonders häufig kommt die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Kontrolle der Rechtsausübung zur Anwendung. Zentral ist diesbezüglich die Vorschrift des § 275 Abs. 2 BGB, der die Grenze rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten dort markiert, wo der vom Schuldner zur Leistungserbringung erforderliche Aufwand das Gläubigerinteresse hieran wesentlich übersteigt; ähnliche Modelle enthalten die §§ 275 Abs. 3, 439 Abs. 3, 635 Abs. 3, 651c Abs. 2 Satz 2 BGB. Die Regelung über die Störung der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB knüpft ebenfalls an eine Situation an, in der das Festhalten an der vertraglich vereinbarten Leistungspflicht für den Schuldner Belastungen verursachen würde, die von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden. Geht es also bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Vertragsrecht um die Festlegung einer „Opfergrenze“? Kann aus den genannten Regelungen gefolgert werden, dass eine Verpflichtung zur Leistung stets dann entfällt, wenn sie zu unverhältnismäßigen Belastungen für den Schuldner führt?
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Damit wäre gleichzeitig zu viel und zu wenig über die Wirkung der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht ausgesagt. Zu viel deshalb, weil den genannten Normen zunächst noch kein allgemeiner Gedanke entnommen werden kann, die Verpflichtung des Schuldners auf eine „verhältnismäßige“ Leistungserbringung zu beschränken. Und zu wenig aus dem Grund, weil die Verhältnismäßigkeit etwa im Falle der AGB-Kontrolle keine Opfergrenze markiert, sondern bereits früher ansetzt: Hier genügt bereits eine unangemessene Benachteiligung des Kunden. Auch die so genannten Bagatellfälle230 lassen sich nicht mit dem Schutz des Schuldners vor unangemessenen Belastungen im Sinne einer Opfergrenze rechtfertigen. Betrachtet man den Geltungsgrund der Verhältnismäßigkeitskontrolle in den verschiedenen Fallgruppen, so lassen sich dementsprechend auch keine einheitlichen Anknüpfungspunkte feststellen. Die hier unter dem Begriff der Wirksamkeitskontrolle zusammengefassten Wucherfälle231 sehen die Verhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung nur als eines von mehreren Kriterien zur Beseitigung der vertraglichen Bindung. Dazu kommt regelmäßig eine Schwächesituation des Vertragspartners und deren Ausnutzung durch den Wucherer. Diese Trias an Voraussetzungen liegt § 138 Abs. 2 BGB zugrunde, sie findet sich aber auch in der rescissione nach Art. 1448 c.c. und der doctrine of unconscionability des englischen Rechts. Dass dies zum Kernbestand der europäischen Rechtsordnungen zählt, zeigt sich an der strukturgleichen Regelung des Art. 4:109 Abs. 1 PECL bzw. Art. II.-7:207 DCFR. Doch die Gemeinsamkeiten erschöpfen sich damit bereits: Es hat sich auch gezeigt, dass die verschiedenen Systeme den Wuchertatbestand unterschiedlich verorten: Das deutsche Recht sieht ihn als Unterfall der Sittenwidrigkeit, das italienische Recht und ähnlich auch die PECL und der DCFR hingegen als Fall der fehlerhaften Willensbildung. Auch das englische Recht sieht die doctrine of unconscionability eher in der Nähe der Fälle der undue influence, also ebenfalls im Bereich der nicht frei zustande gekommenen Willenserklärung. Der eigentliche Kern der Verhältnismäßigkeitskontrolle, die Abwägung der Umstände des Einzelfalles zur Ermittlung eines Vorranges konfligierender Interessen, wird im Bereich der Hauptleistungspflichten reduziert auf die Gegenüberstellung von Leistung und Gegenleistung. Selbst wenn man § 138 BGB als bewegliches System auffassen wollte, in dem mehrere Faktoren erst in ihrem Zusammenwirken das Sittenwidrigkeitsverdikt rechtfertigen, 232 so besteht doch die Prüfung nicht in der Gegenüberstellung verschiedener Interessen, sondern in der Konkretisierung des Begriffs der Sittenwidrigkeit in Abs. 1 bzw. der Erfüllung der verschiedenen Tatbestandsmerkmale in Abs. 2. Auch die in diesem Rahmen geforderte Gegen230 231 232
Dazu oben § 13 (S. 236 ff.). Eingehend dazu bereits oben § 5 (S. 43 ff.). Dazu oben § 5 II. 2 (S. 52 ff.).
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überstellung von Leistung und Gegenleistung zur Ermittlung eines groben Missverhältnisses als solche bedeutet noch keine Interessenabwägung im Sinne einer Verhältnismäßigkeitskontrolle. Dennoch ist es nicht falsch, § 138 BGB zu den „privatrechtlichen Übermaßverboten“ zu rechnen. 233 Eine echte Abwägung beinhaltet hingegen die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Kennzeichnend für die Unwirksamkeit einzelner Fomularklauseln ist der Umstand, dass der Kunde durch sie unangemessen benachteiligt wird; dies ist durch eine Abwägung der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Während im englischen und italienischen Recht eine derartige Inhaltskontrolle traditionell nicht vorgesehen war und das jetzige Recht lediglich die Klauselrichtlinie umsetzt, sich also auf den Schutz des Verbrauchers als Geltungsgrund beruft, existieren für das deutsche Recht verschiedene Begründungsansätze. Prominent ist hier der Ansatz, die AGB-Kontrolle als Ausgleich dafür zu sehen, dass der Konditionenwettbewerb mangels Transparenz und aufgrund zu hoher Informationskosten nicht funktionieren kann.234 Warum aber folgt dann eine Verhältnismäßigkeitskontrolle? Was verbindet diese mit den anderen hier erörterten Fällen? Die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der hier unter dem Begriff der Ausübungskontrolle zusammengefassten Regelungsbereiche weist ebenfalls keine durchgehenden Gemeinsamkeiten auf. Wenn es auch zutrifft, dass das subjektive Äquivalenzprinzip insoweit eine wichtige Rolle spielt, als es oftmals übergroße Abweichungen vom vertraglich vereinbarten Gleichgewicht sind, die eine Verhältnismäßigkeitskontrolle auslösen – so insbesondere in den Fällen des § 313 BGB235 –, so kann dies nicht durchgängig als Rechtfertigungsgrund dienen. Dies schon deshalb nicht, weil nicht jede Abweichung von der Äquivalenz die vertragliche Bindung zu relativieren geeignet ist. Die Schwelle, ab der der Schuldner dem Leistungsverlangen des Gläubigers den „Einwand der Unverhältnismäßigkeit“ entgegenhalten kann, ist vom Gesetz für viele einzelne Konstellationen gesondert geregelt. Noch ein Stück disparater wird die Anwendungsbreite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, wenn man die Fälle der Geringfügigkeit mit einbezieht, in denen die fehlende Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung als solche nicht
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So insbesondere Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 129 (der im Anschluss an Lerche den Begriff des Übermaßverbots als Oberbegriff für die Teilgrundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit i.e.S. ansieht). Vgl. auch Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 868; Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit, S. 7 f.; Stubbe, Verhältnismäßigkeit, S. 23; Groggert, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen Arbeitskampfrecht, S. 104, die § 138 BGB als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips sehen; hiergegen Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 42 (der Begriff des Missverhältnisses in § 138 Abs. 2 BGB beschreibe nur einen Proportionalitätswert zur Feststellung der Sittenwidrigkeit). 234 Dazu und zu den weiteren Begründungsansätzen oben § 8 II. 2. (S. 101 ff.). 235 Dazu oben § 14 I. 1. (S. 256 f.).
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als Auslöser für die Verhältnismäßigkeitskontrolle fungiert.236 Die Einschränkung des Rechts des Gläubigers zur Lösung vom Vertrag in den Fällen der §§ 323 Abs. 5 Satz 2, 281 Abs. 1 Satz 3 BGB folgt vielmehr aus dem Grundsatz der Vertragsbindung, die nicht schon wegen einer geringfügigen Pflichtverletzung in Frage gestellt werden soll. Wieder andere Erwägungen liegen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip im Rahmen des § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB oder auch bei den hier nicht im Mittelpunkt der Erörterung stehenden § 948 Abs. 2 BGB oder der §§ 228 Satz 1, 904 Satz 1 BGB zugrunde. Dies führt zu der Frage, ob der Geltungsgrund der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne im Vertragsrecht überhaupt auf diese Weise kategorisiert werden kann. Stellt man allein auf die zugunsten des von der Rechtsausübung Betroffenen wirkende „Relativierungstendenz“237 der Verhältnismäßigkeitskontrolle ab, so ist der damit verbundene Erkenntnisgewinn gleichwohl gering. Die entscheidende Frage, in welchen Fällen dessen Leistungspflicht relativiert wird, kann damit nicht beantwortet werden. b) Verhältnismäßigkeit als „Leerformel“? Nachdem sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer auch nur näherungsweisen Systematisierung unzugänglich zeigt, sondern im Gegenteil in einer großen Vielzahl verschiedenartiger Konstellationen Geltung erlangt, liegt es nahe, ihn als „Leerformel“ zu bezeichnen, allerdings in einem nicht negativ besetzten Sinne. Es handelt sich um ein formales Prinzip, das keinen eigenen materialen Inhalt aufweist, sondern diesen alleine durch die im konkreten Fall in Rede stehenden Werte und Interessen gewinnt.238 Weder sagt der Grundsatz etwas über die Konstellation aus, in denen er zur Anwendung kommt, noch darüber, welche Größen einander gegenübergestellt werden. Insoweit ist der Grundsatz tatsächlich „leer“, man könnte besser sagen: offen, und zwar für die konfliktspezifischen Größen, die in jedem Einzelfall variieren können. 239 Man kann den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit daher auch – wie im Verfassungsrecht – als Meta-Grundsatz bezeichnen, weil er eine Regel darüber enthält, wie konfligierende Grundsätze zu behandeln sind. Die Wirkung des Grundsatzes 236
Dazu bereits oben § 13 (S. 236 ff.). Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 189. 238 Vgl. eingehend Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 77 m.w.N. 239 In diesem Sinne auch A. Kaufmann, in: FS Richard Lange, S. 27, 33; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 86, 218; Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit, S. 89 f.; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 188; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 33 I (S. 283); Ress, in: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S. 5, 10 (aus Sicht des öffentlichen Rechts). Demgegenüber sieht etwa Larenz, Methodenlehre, S. 412, 423 f., 481 darin ein materiales Prinzip, das sich unmittelbar aus dem Gedanken der Gerechtigkeit ergebe. Beide Ansätze widersprechen sich jedoch nur scheinbar (siehe auch die verschiedenen Begründungsansätze bei Reuter, in: FS Böhm, S. 521, 549 f.). Dazu auch unten § 22 (S. 384 ff.). 237
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der Verhältnismäßigkeit hängt entscheidend von der rechtlichen Konstellation ab, in der die Abwägung ansteht. Zwei Faktoren müssen bei jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung feststehen: zum einen die jeweiligen Bezugsgrößen, also Werte oder Interessen, und zum anderen der Maßstab, also Grad des Missverhältnisses. 240 Aus anderem Blickwinkel kann man die Verhältnismäßigkeit daher als Methode der Vorbereitung von Wertentscheidungen ansehen. 241 Dass diese für alle Rechtsgebiete gilt, ist unmittelbar einsichtig. Dies bedeutet aber keinen Widerspruch zu der Einordnung der Verhältnismäßigkeit als Rechtsprinzip. Eine allgemeine Methode juristischer Argumentation kann gleichzeitig Rechtsprinzip sein.242 Mit der Einordnung als Prinzip wird gerade zum Ausdruck gebracht, dass die Verhältnismäßigkeit „gilt“. Diese „Geltung“ steht bei der Verhältnismäßigkeit außer Zweifel, wenn man sich die vielfältige Rezeption durch die Rechtspraxis vor Augen führt.243 Diese Offenheit macht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so vielseitig einsetzbar, aber auch so verführerisch. Es ist demnach notwendig, seine Anwendungsweise näher zu präzisieren.
II. Verhältnismäßigkeit als Ausgleich bei Interessenkollision Ein wesentlicher Anwendungsbereich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Verfassungsrecht wurde oben 244 in den Grundrechten selbst gesehen. Der Grundsatz wirkt als Kollisionsregel: Er bringt widerstreitende Interessen zum Ausgleich. Diese Legitmation kann – mit Einschränkungen – auch für das Privatrecht herangezogen werden.
240
Vgl. Canaris, JZ 2001, 499, 502. Näher zum Abwägungsvorgang unten § 19 (S. 347 ff.). So Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 82 III (S. 655); ebenso bereits Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 208, 213 ff.; H. Huber, ZSR 96, I (1977), 1, 19; Zimmerli, ZSR 97, II (1978), 1, 22 ff.; der Sache nach auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 53 f., 69; Kunig, in: FS Prölss, S. 143, 150; ähnlich auch Auffermann, Verhältnismäßigkeit, S. 16 ff., 65 ff., der den Grundsatz als überpositiven, im Naturrecht verankerten Rechtsgrundsatz ansieht. 242 Dazu eingehend Esser, Grundsatz und Norm, S. 107 ff. 243 Dieser Gesichtspunkt kann mit Esser (Grundsatz und Norm, S. 14 ff.) als Kriterium für die „Geltung“ eines Grundsatzes angesehen werden. 244 Unter § 17 II. 2. (S. 292 ff.). 241
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1. Das Prinzipien immanente Optimierungsgebot Die insbesondere von Alexy in Bezug auf die Grundrechte ausgearbeitete so genannte Prinzipientheorie teilt (Grundrechts-)Normen in Regeln und Prinzipien (gleichbedeutend ist die Einteilung in Grundsätze und Normen 245) ein. 246 Prinzipien oder Grundsätze können als leitende Gedanken einer möglichen oder bestehenden rechtlichen Regelung bezeichnet werden, sie sind nicht subsumierbar. 247 Sie haben ordnende Funktion und können im Einzelfall zu einer anderen Auslegung einer Regel führen.248 Weitergehend kann mit Larenz zwischen rechtssatzförmigen Prinzipien, etwa der Vertragsfreiheit, und offenen Prinzipien, aus denen sich überhaupt keine Rechtsfolge mehr ableiten lässt, etwa der Privatautonomie oder dem Grundsatz von Treu und Glauben, unterschieden werden. 249 Rechtssatzförmige Prinzipien sind nach Larenz stets auf offene Prinzipien zurückzuführen; die Grenzen sind fließend. Rechtssatzförmig ist danach etwa der „Grundsatz“ der Erforderlichkeit, da sich mit ihm konkrete Ergebnisse erzielen lassen, 250 nicht aber der Grundsatz der Angemessenheit, da dieser einen Beurteilungsspielraum impliziert. 251 Eine Regel hingegen enthält einen konkreten Rechtsanwendungsbefehl.
Dabei geht die Prinzipientheorie von einem qualitativen Unterschied zwischen beiden aus: Eine Norm ist entweder Regel oder Prinzip. 252 Regeln sind Normen, die „stets entweder nur erfüllt oder nicht erfüllt werden können“. 253 Prinzipien sind hingegen Normen, die „gebieten, dass etwas in einem relativ auf die 245 Dazu grundlegend Esser, Grundsatz und Norm, S. 3 f.; Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 22 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 474 ff.; ders., Richtiges Recht, S. 23. Zu den Unterschieden im Einzelnen Jakab, Rechtstheorie 2006, 49; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 33 (S. 283 ff.). 246 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. sowie bereits ders., in: Rechtstheorie, Beiheft 1 (1979), S. 59 ff. Alexy nimmt damit (ausdrücklich: Theorie der Grundrechte, S. 77 Fn. 27) einen Ansatz von Dworkin auf (Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 22 ff.). Ähnlich bereits Esser, Grundsatz und Norm, S. 39 ff. 247 Larenz, Richtiges Recht, S. 23. 248 Larenz, Methodenlehre, S. 474; Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 26. 249 Larenz, Methodenlehre, S. 479 f. 250 Larenz, Methodenlehre, S. 480, ebenso Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 37, 58, 246: „scharfe Entscheidungsregel“. Nach Larenz, Methodenlehre, S. 481 sind „[d]ie Grundsätze des schonendsten Mittels und der geringstmöglichen Einschränkung […] vor allem dort am Platz, wo jemand eine Einschränkung seiner Rechte um eines anderen, gleich- oder höherwertigen Gutes willen hinzunehmen hat, ein besonderes Opfer von ihm verlangt wird; das Prinzip der Verhältnismäßigkeit [i.e.S.] hat dagegen eine viel weitergehende Bedeutung zum Beispiel auch im Vertragsrecht“. 251 Anders aber Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100 mit Fn. 84, der die drei Teilgrundsätze der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage seiner Prinzipienlehre insgesamt als Regeln einstuft, da der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit selbst nicht gegen etwas anders abgewogen werden könne, sondern gefragt werde, ob die Teilgrundsätze erfüllt sind oder nicht. 252 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77. 253 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76.
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rechtlichen oder tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird“, sie enthalten demnach Optimierungsgebote.254 Bei der Kollision von Prinzipien ist demnach darauf zu achten, dass allen möglichst weitgehend zur Geltung verholfen wird. Im konkreten Kollisionsfall sind die betroffenen Prinzipien zu gewichten; auf dieser Grundlage wird nach einem Prozess der Abwägung eine Vorrangrelation hergestellt. Diese kann in einem anderen Kollisionsfall auf der Grundlage einer anderen Gewichtung unterschiedlich ausfallen. 255 Für Alexy ist dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus dem Prinzipiencharakter der Grundrechte deduzierbar. 256 Die Prinzipientheorie ist kritikwürdig, weil sich die strenge Zweiteilung in Regeln und Prinzipien so nicht aufrecht erhalten lässt – es gibt kaum eine Regelnorm, unter die einfach subsumiert werden kann, ohne dass dem Rechtsanwender ein Beurteilungsspielraum zustünde. 257 Vielmehr sind die Grenzen zwischen Regeln und Prinzipien fließend.258 Gleichwohl ergibt sich aus ihr, dass die möglichst weitgehende Entfaltung eines Prinzips die Regel ist, die Einschränkung mithin die Ausnahme. Man kann insoweit von einem materiellen Regel-Ausnahme-Verhältnis sprechen. 259 Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ist indessen auch bei so gestalteten Regel-Ausnahme-Verhältnissen nur dann 254 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75. Das Optimierungsgebot folge aus dem Grundsatz der Selbstbestimmung, vgl. Alexy, ARSP Beiheft 25 (1985), 15 ff. Zustimmend etwa Canaris, AcP 200 (2000), 273, 280. Darauf, dass Prinzipien keine Optimierungsgebote, sondern allenfalls Gegenstand von solchen sind, weist etwa Klement, JZ 2008, 756, 762 f. hin. 255 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77 ff. Ähnlich Bleckmann, JuS 1994, 177, 178 f. (Verhältnismäßigkeit als „kollisionsrechtliches Abwägungsgebot“ zwischen zwei Prinzipien). Kritisch zu diesem Ansatz (er führe zu einer Verwässerung der Konturen des Verhältnismäßigkeitsgebotes) Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht, S. 60 f. 256 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100 ff.; zustimmend Höfling, Vertragsfreiheit, S. 40. Dies gilt sowohl für den Grundsatz der Erforderlichkeit (der eine tatsächliche Wertung betrifft), als auch den der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (der eine rechtliche Wertung betrifft). Ähnlich Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 231, der die Verhältnismäßigkeit als „Maxime optimierender Prinzipienabwägung“ bezeichnet. 257 Siehe zur Kritik etwa Klement, JZ 2008, 756, 761 f. (die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit folge nicht aus dem Prinzipiencharakter der Grundrechte, sondern vielmehr verhalte es sich umgekehrt: Erst weil und soweit dieser Grundsatz gilt, werden die in ihn eingestellten Grundrechte zu Prinzipien). Klement kritisiert an der „Prinzipientheorie“ Alexys u.a. weiter, sie sei nicht normativ, sondern strukturbezogen, sage also nichts über den Inhalt der Grundrechte aus (S. 757). Die Prinzipientheorie erkläre zwar möglicherweise den tatsächlichen Umgang mit Grundrechtskollisionen, sage aber nicht, wann und warum eine solche Abwägung stattfinden solle (S. 761). Zur Kritik Klements an der Prinzipientheorie Sieckmann, JZ 2009, 557 (Schlusswort Klements in JZ 2009, 560). – Wenn man, wie hier vertreten, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als ein formales Prinzip sieht, das die Kollision zweier Rechtspositionen löst, sind in der Tat weitere Untersuchungen nötig, die den materiellen Gehalt der jeweiligen Rechtspositionen ermitteln, damit festgestellt werden kann, inwieweit überhaupt eine Kollision gegeben ist. Näher dazu Kap. 6 (S. 357 ff.). 258 Larenz, Methodenlehre, S. 480. 259 So von Arnauld, JZ 2000, 276, 278 f.
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angezeigt, wenn die Ausnahmenorm offen ausgestaltet ist, sie also keine abschließende Aufzählung der Ausnahmefälle enthält.260 Daraus folgt, dass die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gewissermaßen subsidiär ist, dieses also nur bei der Kollision von „Prinzipiennormen“ zur Anwendung kommt, nicht aber bei Regel-Normen, die durch Subsumtion zur Anwendung gebracht werden.261 Auf der Grundlage der Einordnung von Prinzipien als Träger von Optimierungsgeboten kann die Verhältnismäßigkeit losgelöst von konkreten Anwendungsbereichen oder Fallgruppen erklärt werden. Dieser Gedanke, der an der Funktion der Prinzipienoptimierung und somit „normtheoretisch“262 ansetzt, ist damit nicht auf den Grundrechtsbereich beschränkt. 263 Es stellt sich die Frage, ob dieser „normtheoretische“ Ansatz auch die privatrechtliche Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erklären kann.
2. Verallgemeinerungsfähigkeit des Ansatzes Normenkonflikte tauchen nicht nur im Grundrechtsbereich auf. Sie sind dort nur wegen der offenen Formulierung der Grundrechte besonders häufig anzutreffen; die Auflösung dieser Konflikte gewinnt daher in diesem Bereich besondere Bedeutung. Sieht man den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Abwägungsgebot bei Rechtsgüterkollisionen, so greift er auch dann ein, wenn verschiedene Interessen im Privatrecht kollidieren. Auch diesbezüglich besteht ein Optimierungsgebot. 264 Viele privatrechtliche Normen sind Ausdruck und Konkretisierung der Privatautonomie, konkreter: der Vertragsfreiheit. Sieht man den Vertrag als Mittel zur Verwirklichung dieser Freiheit, so ergibt sich daraus eine Regelannahme dergestalt, dass die vertragliche Verpflichtung Beachtung finden muss, Ausnahmen mithin so gestaltet werden müssen, dass die Regel nicht über Gebühr zurückgedrängt wird.
260 Siehe bereits die Nachweise bei und nach Fn. 96. Von Arnauld (JZ 2000, 276, 279 f.) spricht insoweit von einer dynamischen Ausnahmenorm. 261 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff.; ebenso von Arnauld, JZ 2000, 276, 279 f. 262 Der Begriff findet sich bei von Arnauld, JZ 2000, 276, 278 ff. 263 Vgl. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 98 ff., 158 ff. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann also auch im Bereich des Staatsorganisationsrechts zur Geltung kommen, etwa in Bezug auf die Grenze des Bundeszwangs nach Art. 37 GG, die unter dem Vorbehalt der Notwendigkeit steht, vgl. Sachs / Sachs, Art. 20 GG Rn. 147 sowie die Beispiele bei Kunig, in: FS Prölss, S. 143, 148; von Arnauld, JZ 2000, 276, 279 f. Eingehend zur Wirkungsweise des Verhältnismäßigkeitsprinzips außerhalb der Grundrechte Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht, S. 45 ff., 69 ff., 86 ff. Zur Geltung im Völkerrecht Vranes, AVR 47 (2009), 1, 27 ff. 264 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 30 ff.; zustimmend Bleckmann, JuS 1994, 177, 179; ähnlich Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 231. Der Gedanke der Pflicht zur Optimierung von Interessen klingt auch bereits an bei Hubmann, AcP 155 (1956), 85, 124.
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Im Bereich des Privatrechts werden typischerweise die widerstreitenden Interessen der Parteien durch Regel-Normen erfasst, für Interessenkonflikte bestehen also regelmäßig bereits gesetzliche Lösungsmechanismen. Diese sind offene oder verdeckte Konkretisierungen des Verhältnismäßigkeitsgebots: Offene Konkretisierungen liegen dann vor, wenn die Norm eine Abwägung im Einzelfall nicht mehr zulässt, diese vielmehr in typisierter Weise bereits vorgenommen wurde; man kann auch von geschlossenen Normen sprechen. Um verdeckte Konkretisierungen handelt es sich hingegen dann, wenn der Gesetzgeber dem Rechtsanwender durch eine entsprechend offene Formulierung den Auftrag gibt, die konkrete Sollensanordnung im Einzelfall erst zu präzisieren. 265 Die Struktur des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist damit grundsätzlich auch im Privatrecht normtheoretisch erklärbar. Er kommt aber nur insoweit zur Anwendung, als nicht schon ein gesetzlich angeordneter Ausgleich der widerstreitenden Interessen vorhanden ist, mithin also schon eine Konkretisierung der Verhältnismäßigkeit gegeben ist.266 Zu unterscheiden sind auch die verschiedenen Teilgrundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne: Nach Alexy betrifft der Grundsatz der Erforderlichkeit eine tatsächliche Wertung, während die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne auf eine rechtliche Wertung abzielt.267 Im Privatrecht wird regelmäßig nur letzteres relevant, sofern rechtlich relevante Handeln im Rahmen von Sonderverbindungen betrachtet werden. Denn die Privatautonomie lässt die Auswahl der Mittel gerade zu, zudem haben sich die Parteien vertraglich zu bestimmten Handlungsweisen verpflichtet. 268 Sieht man den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Konfliktlösungsmechanismus, wäre es ungenau, von der Einschränkung einer Rechtsposition durch die Verhältnismäßigkeit zu sprechen. Vielmehr verhält es sich so, dass eine Rechtsposition immer nur durch eine andere, gegenläufige Rechtsposition eingeschränkt werden kann. Fordern beide Positionen im zu entscheidenden Fall gleichermaßen Geltung, und liegt keine gesetzliche Konfliktlösung vor, so fordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Gewichtung und Abwä265 Vgl. Larenz, in: FS Klingmüller, S. 235 f. (Normergänzung durch den Richter). Dazu noch unten § 22 II. 3. (S. 405 ff.). 266 Ähnlich für das Verfassungsrecht auch Klement, JZ 2008, 756, 762. Missverständlich Bleckmann, JuS 1994, 177, 179 f., der zwar in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Ansicht darlegt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht auf den Grundrechtsbereich beschränkt ist und auch in Bezug auf einen Widerstreit privater Interessen greifen kann, diesen Konflikt aber offenbar ausschließlich mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.w.S. lösen will, und zwar unter Einschluss der Grundsätze der Geeignetheit und Erforderlichkeit. Dies trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Siehe zur eingeschränkten Geltung des Grundsatzes der Erforderlichkeit im Privatrecht bereits oben I. 1. (S. 319 ff.). 267 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 101 ff. 268 Dazu bereits oben I. 1. (S. 319 ff.).
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gung der jeweiligen Interessen im Einzelfall und ordnet dementsprechend für diesen Fall den Vorrang der einen oder der anderen Position an. Dass damit notwendig für diesen Einzelfall eine der beiden Positionen zurückstehen muss, also – bildlich gesprochen – auf der Optimierungsskala bei Null steht, spricht nicht grundsätzlich gegen die Existenz des Optimierungsgebots.269
3. Beispiele Die Funktionsweise des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht soll an zwei Beispielen erläutert werden, denen beide zentrale Bedeutung zukommt: der Einschränkung der Pflicht zum Ersatz des Schadens in natura in § 251 Abs. 2 BGB und dem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB. Bei beiden Normen handelt es sich um offene Konkretisierungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. 270 Dem Schadensrecht liegt der Grundsatz der Totalreparation durch Naturalrestitution zugrunde: Der Schädiger hat nach § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. § 251 Abs. 1 BGB macht hiervon nun eine zweifache Ausnahme: Zum einen entfällt die Pflicht zur Wiederherstellung in natura, wenn diese – aus welchen Gründen auch immer – unmöglich ist, zum andern dann, wenn sie „zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist“. Der Schuldner hat dann Geldersatz zu leisten. Begreift man die Pflicht zur Naturalrestitution als Prinzip oder als Regel, so sind die beiden genannten Alternativen des § 251 Abs. 1 BGB hiervon Ausnahmen, die aber ihrerseits wiederum subsumtionsfähige Rechtsregeln sind. 271 Eine weitere Ausnahme enthält § 251 Abs. 2 BGB:272 Der Schädiger hat dann die Möglichkeit, die Naturalrestitution durch eine Entschädigung in Geld zu ersetzen, wenn erstere nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist. Diese Ausnahme wird tatbestandlich nicht abschließend definiert; ihre Konkretisierung setzt keinen Auslegungsprozess voraus. Vielmehr erfordert der in § 251 Abs. 2 BGB normierte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen Abwägungsprozess, der sich nicht in der Gegenüberstellung bloßer geldwerter Größen erschöpft, sondern die verschiedenen Interessen gewichten und eine Vorrangrelation herstellen muss. Nicht entscheidend dafür ist, dass der Gesetzgeber ausdrücklich von „unverhältnismäßigen 269 Vgl. aber die Kritik von Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 167 ff. (Freiheitsrechte könnten ihrem Charakter nach überhaupt nicht abgewogen werden, da sie absoluten Geltungsanspruch entfalteten); ähnlich Klement, JZ 2008, 756, 758 f., 763. 270 Siehe auch unten § 22 II. 3. (S. 405 ff.). 271 Dies soll nicht verdecken, dass der Begriff der Unmöglichkeit und, mehr noch, die Wendung „zur Entschädigung nicht genügend“, als unbestimmte Rechtsbegriffe in hohem Maße ausfüllungs- und konkretisierungsbedürftig sind. Dies geschieht jedoch durch Auslegung und nicht durch Abwägung. 272 Dazu bereits oben § 12 II. 2. (S. 229 ff.).
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Aufwendungen“ spricht. Die Offenheit des Tatbestandes könnte auch auf andere Weise ausgedrückt werden, etwa durch den Begriff der „unangemessenen Aufwendungen“. § 251 Abs. 2 BGB bezieht sich allerdings nicht auf den Grundsatz der Totalreparation, insoweit besteht kein Regel-Ausnahme-Verhältnis und damit auch kein Verhältnismäßigkeitsvorbehalt zugunsten des Schuldners. 273 Ähnlich ist § 275 BGB strukturiert. Im Bereich des Vertragsrecht gilt der Grundsatz der Vertragsbindung; das Schuldverhältnis verpflichtet den Schuldner zur Erbringung der darin vereinbarten Leistung, § 241 Abs. 1 BGB. Dieser Primäranspruch erlischt nach § 275 Abs. 1 BGB, wenn die Leistung unmöglich ist. Was unter der Unmöglichkeit zu verstehen ist, muss wiederum durch Auslegung ermittelt werden. Eine Verhältnismäßigkeitskontrolle findet jedoch nicht statt, da der Begriff der Unmöglichkeit hinreichend präzise ist, indem er die Ausnahme vom Grundsatz der Erfüllungspflicht auf diesen einen Fall begrenzt. Anders wiederum die weitere Ausnahme des § 275 Abs. 2 BGB:274 Auch hier entfällt die Leistungspflicht, jedoch ist keine Unmöglichkeit erforderlich, sondern ein grobes Missverhältnis zwischen dem vom Schuldner zur Leistungserbringung notwendigen Aufwand und dem Interesse, das der Gläubiger daran hat. Hierin liegt eine Konkretisierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Wann ein grobes Missverhältnis vorliegt, kann nur durch Abwägung der durch § 275 Abs. 2 BGB vorgegebenen Belange ermittelt werden, nicht aber durch Auslegung.
III. Parallele Regelungskonzepte: Unverhältnismäßigkeit, Zumutbarkeit, Vernünftigkeit Teilweise wird versucht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu trennen insbesondere vom Verbot der Unverhältnismäßigkeit und vom Konzept der Zumutbarkeit. Es wird im Folgenden zu zeigen sein, dass die Begriffe weitgehend austauschbar sind. Neuerdings findet auch der aus dem ursprünglich aus dem Common Law stammende Begriff der Vernünftigkeit (reasonableness) in europäischen und internationalen Regelungswerken Verwendung. Auch hier ist eine Verwandtschaft zur Verhältnismäßigkeit zu untersuchen.
273 274
Vgl. Medicus, AcP 192 (1992), 35, 39. Dazu bereits oben § 12 I. 1. (S. 167 ff.).
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1. Verbot der Unverhältnismäßigkeit als eigenständiges Regelungskonzept? Rein sprachlich betrachtet handelt es sich bei dem Begriffspaar „Gebot der Verhältnismäßigkeit“ und „Verbot der Unverhältnismäßigkeit“ nur um die Umkehrung der jeweils anderen Aussage. Es fragt sich, ob darin mehr als eine sprachliche Variation desselben Prinzips liegt. 275 Teilweise wird zwischen beiden Begriffen scharf unterschieden. Jedenfalls im Privatrecht gelte kein Gebot der Verhältnismäßigkeit, sondern lediglich ein Verbot der Unverhältnismäßigkeit. Unter den Begriff der Verhältnismäßigkeit werden nur die Fälle der proportionalen Veränderung eines Wertes durch eine mathematische Rechenoperation gefasst, 276 also etwa die verhältnismäßige Herabsetzung des Kaufpreises bei der Minderung. 277 Das Gesetz verwendet im hier untersuchten Bereich die positive wie die negative Formulierung. Üblicherweise findet sich auf der Tatbestandsseite die negative Formulierung: Die Nacherfüllung kann verweigert werden, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist (§ 439 Abs. 3 Satz 1 BGB); die unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafe kann herabgesetzt werden (§ 343 Abs. 1 Satz 1 BGB); die unangemessen benachteiligende Formularklausel ist unwirksam (§ 307 Abs. 1 BGB) etc. Einige Normen verwenden die Angemessenheit auch auf der Tatbestandsseite: So hat der Urheber für die Überlassung von Nutzungsrechten Anspruch auf eine angemessene Vergütung, § 32 Abs. 1 Satz 3 UrhG;278 der Besteller eines Werks schuldet dem Werkunternehmer nach § 632 Abs. 2 BGB mangels Vereinbarung im Zweifel die übliche (also im Ergebnis die angemessene279) Vergütung; die Bezüge des Vorstands einer Aktiengesellschaft sind so festzusetzen, dass sie „in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen“, § 87 Abs. 1 AktG. 280 Freilich kann auch ein Abwägungsmaß vorgegeben sein, das den Grad des Missverhältnisses beschreibt: Die Eingriffsschwelle kann bereits bei einfacher Unverhältnismäßigkeit erreicht sein (§ 439 Abs. 3 275
Eingehend dazu auch Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 93 ff. Nach der hier verwendeten Terminologie handelt es sich um eine quantitative Verhältnismäßigkeitsprüfung, vgl. oben § 3 II. 3. b). (S. 22 f.). 277 So insbesondere Metzner, Verbot der Unverhält nismäßigkeit, S. 18 ff.; ebenso Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 150 ff. und im Ergebnis auch Groggert, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen Arbeitskampfrecht, S. 102 ff., 111 ff. (der allerdings nur § 826 BGB als Sitz des Verbots der Unverhältnismäßigkeit ansieht). 278 Hierzu Jacobs, NJW 2002, 1905, 1906 f. sowie Hofer, Vertragsfreiheit, S. 24 ff. 279 BGHZ 94, 98, 101; BGH NJW-RR 2000, 1560, 1562. 280 Zu den zivilrechtlichen Folgen bei Verstößen Säcker / Stenzel, JZ 2006, 1151 (§ 87 Abs. 1 AktG als Verbotsgesetz; Reduzierung des Vorstandsgehalts auf ein angemessenes Maß). Zur Herabsetzung der Vorstandsvergütung bei wesentlicher Verschlechterung der Vermögenslage des Unternehmens nach § 87 Abs. 2 AktG Weller, NZG 2010, 7; Koch, WM 2010, 49. 276
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BGB), oder aber erst bei einem groben Missverhältnis (§ 275 Abs. 2 BGB). 281 Die positive Formulierung wird dagegen seltener und überdies auf der Rechtsfolgenseite verwendet: Die überhöhte Vertragsstrafe ist auf ein angemessenes Maß herabzusetzen (§ 343 Abs. 1 Satz 1 BGB); der Aufsichtsrat ist zu einer angemessenen Herabsetzung der Vorstandsbezüge berechtigt, § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG. Was angemessen (bzw. verhältnismäßig ist), entscheiden die Parteien durch den Vertragsschluss selbst. Nur ausnahmsweise greift das Gesetz regulierend ein. In der Sache erweisen sich Gebot der Verhältnismäßigkeit und Verbot der Unverhältnismäßigkeit damit als zwei Seiten derselben Medaille. 282 Wenn man davon ausgeht, dass die Verhältnismäßigkeit der Auflösung von Regelungskonflikten dient, die zwischen einem Prinzip und einer Norm oder zwei Prinzipien bestehen, dann ergibt sich im Regelfall, dass das vorrangige Prinzip nicht über Gebühr eingeschränkt werden darf. Das Prinzip, das durch die Verhältnismäßigkeit eingeschränkt wird, ist im hier behandelten Bereich des Vertragsrechts regelmäßig das der vertraglichen Leistungspflicht. 283 Hier erfolgt ein Eingriff durch die Rechtsordnung erst dann, wenn die Festhaltung an der Vertragsbindung über Gebühr in das Recht eines anderen eingreift. Aus der Pflicht zur Prinzipienoptimierung folgt damit, dass nicht jeder Eingriff in das Recht eines anderen verhältnismäßig sein muss (für dessen Verhältnismäßigkeit spricht vielmehr eine Vermutung284), sondern dass ein Eingriff erst dann verboten ist, wenn er unverhältnismäßig ist. Sprachlich lässt sich auch dieser Zusammenhang unter das Gebot der Verhältnismäßigkeit fassen. Ohnehin steht unabhängig von der genauen Formulierung das Gebot umfassender Abwägung hinter dem Terminus (Un-)Verhältnismäßigkeit, so dass die richterliche Kontrollrichtung in allen Fällen dieselbe ist. 285 Dies bedeutet, dass das Verbot der Unverhältnismäßigkeit kein eigenständiges Konzept beinhaltet, sondern eine andere sprachliche Fassung des Grund281 Anders aber – allerdings bezogen auf staatliches Handeln – Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 95, der hier eine unterschiedliche Eingriffsschwelle dergestalt, dass eine behördliche Maßnahme zwar nicht in einem angemessenen Verhältnis zum mit ihr verfolgten Zweck steht, aber dennoch rechtmäßig ist, da sie nicht offensichtlich unangemessen ist, als „kaum denkbar“ ansieht. 282 Ebenso Preis, Prinzipien des Kündigungsrecht, S. 276; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 472. 283 Bei der Einschränkung des Rechts zur Lösung vom Vertrag bei Geringfügigkeit der Pflichtverletzung ist indessen nicht die Verpflichtung zur Leistung als bestimmendes Prinzip anzusehen, sondern gerade das Lösungsrecht. Dazu bereits oben § 13 II. 1. (S. 238 ff.). 284 Dazu bereits oben § 2 II. (S. 7 ff.). 285 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 96 f., sieht als mögliche Unterschiede nur die Kontrollkompetenz des Richters, die bei negativer Formulierung eingeschränkter sein soll, bei positiver Formulierung hingegen eine volle Überprüfung gestattet, oder eine andere Beweislastverteilung, hält dies aber nicht für zwingend. Dem folgend Dechsling, Verhältnismäßigkeit, S. 36; Stubbe, Verhältnismäßigkeit, S. 49 f.
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satzes der Verhältnismäßigkeit darstellt. Der richterliche Kontrollumfang bleibt gleich. Die Eingriffsschwelle kann sich jedoch je nach Regelungskontext verändern.
2. Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit Auch den Begriff der Zumutbarkeit meint man zunächst intuitiv von der Verhältnismäßigkeit abgrenzen zu können. Was jemandem zumutbar ist, scheint allein anhand einer Prüfung der aus dessen Sphäre kommenden Umstände zu ermitteln sein, während Kennzeichen der Verhältnismäßigkeitsprüfung gerade die Gegenüberstellung der Interessen beider Parteien ist. In der Tat wurde für das öffentliche Recht eine solche Position vertreten. 286 Der Gedanke der Unzumutbarkeit verbiete dem Staat, die seiner Gewalt Unterworfenen in einem unbilligen Maße schwerwiegend und außergewöhnlich zu belasten. 287 Wann dies der Fall ist, müsse anhand der Lage des vom Eingriff Betroffenen bestimmt werden. 288 Auch für § 275 Abs. 3 BGB wird in ähnlicher Weise vertreten, dass es eine absolute Unzumutbarkeitsschwelle gebe, jenseits derer es keine Abwägung mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers mehr geben könne.289 Eine solche Auffassung sieht sich mit dem Problem konfrontiert, die (angeblich absolute) Zumutbarkeitsschwelle festlegen zu müssen. Es dürfte jedoch schwer fallen, einen Katalog „unzumutbarer“ staatlicher Eingriffe oder vertraglicher Leistungspflichten abstrakt festzulegen. Vielmehr ist auch die Unzumutbarkeit immer relativ zu bestimmen: Um die Bedeutung eines staatlichen Eingriffs in die Sphäre des davon Betroffenen ermitteln zu können, muss zunächst die Art des Eingriffs und dessen Berechtigung untersucht werden;290 was für den Schuldner unzumutbar ist, kann nur anhand der konkreten vertraglichen Leistungspflicht und dem diesem entgegenstehenden (ideellen) Leis286 Lücke, (Un-)Zumutbarkeit, S. 55 ff.; ders., DÖV 1974, 769, 770 f. Die Geltung des Zumutbarkeitsgedankens im öffentlichen Recht ergebe sich aus einer analogen Anwendung von § 242 BGB. Ähnlich auch Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 76 ff.; Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 86 ff. m.w.N. Für das Zivilrecht folgt dieser Ansicht auch Wollschläger, Unzumutbarkeit als Rechtsgedanke, S. 69 f. (allerdings bezogen auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip i.w.S.). 287 BVerfG 39, 1, 46; Lücke, (Un-)Zumutbarkeit, S. 19 ff. 288 Lücke, (Un-)Zumutbarkeit, S. 56. 289 So Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 88. Unterhalb dieser Schwelle sieht auch Faust ein Abwägungserfordernis mit dem Gläubigerinteresse. Auch Graf (Vertrag und Vernunft, S. 130), hält dafür, dass bei der Unzumutbarkeit die Interessen des Gläubigers völlig außer Acht gelassen werden dürfen. 290 Bezeichnend etwa die Formulierung in BVerfGE 21, 150, 155: „[D]ie Einschränkung der Eigentümerbefugnisse muß zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und notwendig, sie darf nicht übermäßig belastend und deshalb unzumutbar sein“ (Hervorhebung vom Verf.). Der Begriff der Zumutbarkeit wird hier synonym zur Verhältnismäßigkeit i.e.S. verwendet.
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tungshindernis ermittelt werden. 291 Auf diese Weise findet jedoch wieder eine Interessenabwägung statt, wie sie für die Verhältnismäßigkeitsprüfung charakteristisch ist. 292 Die Analyse der Regelungen des Schuldvertragsrechts bestätigt diese Übereinstimmung:293 Es hat sich gezeigt, dass zwischen der Verhältnismäßigkeitsprüfung des § 275 Abs. 2 BGB und der Zumutbarkeitsprüfung des § 275 Abs. 3 BGB strukturell kein Unterschied besteht.294 Vielmehr geht es in beiden Fällen um die Frage, ob die Interessen des Schuldners höher zu bewerten sind als diejenigen des Gläubigers an der Leistungserbringung. Wenn auch im einen Fall die in materiell-wirtschaftlicher Hinsicht zu erbringenden Aufwendungen einzustellen sind und im anderen Fall die ideellen Rechtsgüter, 295 so ist dadurch kein eigenständiges Konzept der Zumutbarkeit zu begründen. 296 Dies zeigt etwa § 313 Abs. 1 BGB: Bei Störungen der Geschäftsgrundlage kann eine Vertragsanpassung nur dann verlangt werden, wenn ein Festhalten am Vertrag nicht zumutbar wäre. Auch hier ist eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles erforderlich, die insbesondere die vertragliche Risikoverteilung berücksichtigt. 297 Primär geht es dabei wie in § 275 Abs. 2 BGB um materiell-wirtschaftliche Interessen derjenigen Partei, die sich auf die Stö291 So bereits RGZ 101, 79, 83: Die „Zumutungsfrage“ sei „nicht einfach vom Standpunkte der Verhältnisse und Interessen der leistungspflichten Partei aus zu erledigen“. Vielmehr müssten „die beiderseitigen Verhältnisse im Ganzen ins Auge gefaßt werden“. Ebenso aus verfassungsrechtlicher Sicht Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, S. 79 f. (Zumutbarkeit als „untechnischer Verlegenheitsbegriff“ ohne spezifische (verfassungs- und grundrechtsbezogene) Funktion; Schlink, in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 2, S. 445, 451 ff. Eingehend dazu auch HKK / Schermaier, § 275 Rn. 41 f., 66. 292 Dieses Ergebnis erzielt denn auch Lücke, (Un-)Zumutbarkeit, S. 83 ff., unter Bezugnahme auf § 242 BGB, der die Berücksichtigung der Interessen des Eingreifenden fordere. Vgl. die Kritik von Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 100 f. 293 Weitere Normen des BGB, die die Zumutbarkeit erwähnen, sind: § 306 Abs. 3 BGB (Gesamtnichtigkeit des Vertrags, wenn ein Festhalten daran eine unzumutbare Härte bedeuten würde); § 308 Nr. 4 BGB (Unwirksamkeit eines einseitig vereinbarten Leistungsänderungsrechts in AGB, sofern dies nicht der anderen Seite zumutbar ist); § 440 Satz 1 BGB (Entbehrlichkeit der Fristsetzung bei Unzumutbarkeit der Nacherfüllung, ebenso § 636 BGB); § 637 Abs. 2 Satz 2 BGB (Entbehrlichkeit der Fristsetzung vor Selbstvornahme, falls Nacherfüllung unzumutbar); § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB (Ausgleichspflicht im Falle einer zu duldenden Immission bei unzumutbarer Beeinträchtigung); § 1565 Abs. 2 BGB (Ehescheidung vor Ablauf des Trennungsjahres, falls die Aufrechterhaltung eine unzumutbare Härte bedeuten würde; weitere Normen des Familienrechts verwenden den Begriff der Zumutbarkeit). 294 Vgl. oben § 12 I. 2. d) (S. 192 f.). Siehe auch oben § 13 III. (S. 251 ff.) zur Zumutbarkeitsprüfung bei außerordentlichen Kündigungen. 295 Grundlegend zum Begriff der ideellen Unzumutbarkeit Henssler, AcP 190 (1990), 538. 296 Anders Bornhagen, Die Zumutbarkeit als Rechtsgedanke im Arbeitsrecht, S. 37 f., 216 f., die jedenfalls für das Arbeitsrecht beide Konzepte trennen will. 297 Dies konzediert auch Bornhagen, Die Zumutbarkeit als Rechtsgedanke im Arbeitsrecht, S. 48. Zur Struktur der Abwägung bereits oben § 14 I., III. (S. 254 ff. bzw. S. 263 ff.).
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rung beruft. 298 Damit ist auch dem Zumutbarkeitsbegriff eine umfassende Interessenabwägung inhärent; 299 die ausdrückliche Erwähnung des Abwägungserfordernisses etwa in den §§ 275 Abs. 3, 626 Abs. 2 BGB ist damit rein deklaratorischer Natur. Was dem Einzelnen zumutbar ist, kann nicht alleine aus dessen Sphäre heraus bestimmt werden, sondern ist anhand eines objektivierten Maßstabes zu ermitteln. 300 Die uneinheitliche Verwendung beider Termini im BGB spricht dafür, keine scharfe Trennung zwischen Zumutbarkeit einerseits und Verhältnismäßigkeit andererseits vorzunehmen.301 Zu Recht wurde der Grundsatz der Zumutbarkeit als formales (oder regulatives) Prinzip bezeichnet, das erst durch die Auffüllung mit außerhalb des Begriffs der Zumutbarkeit liegenden, materialen Wertprinzipien seinen rechtlichen Gehalt erhält. 302 In sprachlicher Hinsicht bringt der Begriff der Zumutbarkeit besser zum Ausdruck, dass es um die Bewertung der Interessen des von der Rechtsausübung Betroffenen und deren Schutz geht; der Begriff der Verhältnismäßigkeit ist in dieser Hinsicht neutral. So wird der Begriff der (Un-)Zumutbarkeit oftmals zur Illustration oder Erläuterung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung verwendet. 303 Der BGH führte hierzu einmal aus: „Da [§ 251 Abs. 2 BGB] ein Ausfluß des Grundsatzes von Treu und Glauben ist, ist die Frage der Unverhältnismäßigkeit eine solche der Zumutbarkeit auf beiden Seiten“. 304 Gleichwohl ließe sich jede Zumutbarkeitsnorm auch unter Verwendung des Begriffs der Verhältnismäßigkeit um-
298 Vgl. Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 371 ff., der § 313 BGB und auch § 275 Abs. 2 BGB (in Abgrenzung zur ideellen Unzumutbarkeit des § 275 Abs. 3 BGB) als Fälle der „materiell-wirtschaftlichen Unzumutbarkeit“ bezeichnet. 299 Ebenso Hubmann, AcP 155 (1956), 85, 86 ff.; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 150 ff.; Stubbe, Verhältnismäßigkeit, S. 50 f.; Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 320 ff. Esser (in: summum ius, summa iniuria, S. 22, 29 f., 36) sieht im Begriff der Zumutbarkeit einen Beleg für die Orientierung am Individualschutz, wie es die § 242 BGB verkörpernde Billigkeit fordert. 300 Zu diesem Postulat auch Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 514 f. 301 Ebenso Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 100 f.; zustimmend Dechsling, Verhältnismäßigkeit, S. 9 ff.; Stubbe, Verhältnismäßigkeit, S. 51; Röthel, Normkonkretisierung, S. 232 ff. 302 Vgl. bereits Henkel, in: FS Mezger, S. 249, 308 (aus strafrechtlicher Sicht); ebenso aus privatrechtlicher Sicht Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 155 ff. 303 Vgl. etwa die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 den Zusammenhang wie folgt formuliert: „Eine Abhilfe gilt als unverhältnismäßig, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würde, die […] verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären.“ Die Umsetzungsnorm des § 439 Abs. 3 BGB verzichtet hingegen auf den Begriff der Unzumutbarkeit, ohne dass diesbezüglich eine inhaltliche Abweichung verbunden wäre. 304 BGH NJW 1970, 1180, 1181; vgl. auch BGHZ 59, 365, 368 sowie BGH NJW 2008, 3123, 3124 f., wo in Bezug auf die Einrede der Unverhältnismäßigkeit aus § 275 Abs. 2 BGB sowohl der Begriff der „Unverhältnismäßigkeit“, als auch derjenige der „Zumutbarkeitsgrenze“ verwendet wird.
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formulieren, ohne am Wertungsgehalt etwas zu verändern.305 Der umgekehrte Zusammenhang gilt nicht zwingend.306
3. Verhältnismäßigkeit und „Vernünftigkeit“ Der heute verwendete Begriff der Vernunft (bzw. seiner Ableitung „Vernünftigkeit“) geht auf die Aufklärung und insbesondere auf Kant zurück. Unter ihr wird die Fähigkeit des Menschen verstanden, aus individuellen Erfahrungen auf universelle Zusammenhänge zu schließen und dementsprechend zu handeln.307 Das BGB verwendet die Ausdrücke Vernunft, Vernünftigkeit oder vernünftig an keiner Stelle. Ganz anders internationale Regelungsinstrumente wie UN-Kaufrecht, Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, PECL oder DCFR. Hier findet der Begriff der reasonableness recht häufige, im Falle des DCFR fast sogar exzessive Verwendung.308 Was verbirgt sich dahinter? In der deutschen Version von Art. 1:302 PECL wird reasonableness mit „Angemessenheit, Vernünftigkeit“ übersetzt und folgendermaßen definiert: „Angemessenheit und Vernünftigkeit im Sinne dieser Grundregeln sind danach zu beurteilen, was Personen, die im Einklang mit den Geboten von Treu und Glauben handeln und sich in derselben Lage wie die Parteien befinden, als angemessen beziehungsweise vernünftig betrachten würden. Bei der Würdigung, ob etwas angemessen beziehungsweise vernünftig ist, sind insbesondere die Art und der Zweck des Vertrages, die Umstände des Einzelfalles und die Gebräuche und Gepflogenheiten der betroffenen Handelsbranchen und Berufe zu berücksichtigen.“
Diese Definition ist offenbar bewusst sehr weit gefasst worden, um dem Richter eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermöglichen.309 Nach Auffassung der Verfasser der PECL scheinen der Begriff der 305 Ähnlich im Ergebnis wohl auch Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 195 mit Fn. 902. – Die Übereinstimmung gilt nicht für den Grundsatz der Erforderlichkeit: Diesem ist gerade keine umfassende Interessenabwägung eigen, er dient allein der Kontrolle der Mittelauswahl. Daher wäre es verfehlt, im Rahmen einer Erforderlichkeitsprüfung auf Zumutbarkeitserwägungen abzustellen, vgl. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 301 ff.; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 216; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 174 f. (gegen die Auffassung von Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 74 ff., der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordere keine umfassende Interessenabwägung, sondern nur eine einseitige Wahrung der Mindestposition des Betroffenen im Sinne einer „Zumutbarkeit“). 306 Vgl. auch den Ansatz von Clérico, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, S. 223 ff., 246. 307 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 698 (Vernunft als „das ganze reine Erkenntnisvermögen“). 308 Eine Volltextsuche in der „Interim Outline Edition“ nach den Wörtern „(un)reasonable“ und „reasonably“ ergab über 400 Treffer. Bei den (allerdings gegenständlich viel beschränkteren) PECL ergab die Suche immerhin gut 80 Treffer. 309 Vgl. Kommentar B zu Art. 1:302 PECL. Der DCFR enthält in den vorangestellten Definitionen eine etwas andere Umschreibung von „reasonable“: „What is ‚reasonable‘ is to be
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reasonableness und seine Synonyme „zum Gemeingut der Rechtsordnungen zu zählen“,310 auch wenn die verschiedenen europäischen Rechtsordnungen mit wenigen Ausnahmen keine derartigen Definitionen enthalten.311 Daran ist sicher richtig, dass jede Rechtsordnung offene Begriffe und Generalklauseln verwendet, um auch im Einzelfall gerechte Ergebnisse erzielen zu können. Diese Rechtssetzungstechnik haben aber insbesondere die Verfasser des DCFR geradezu zum System erhoben.312 Die häufige Verwendung der reasonableness drückt zum einen den Kompromisscharakter aus, den ein Regelwerk mit transnationalem Geltungsanspruch notwendig in sich trägt; hier liegt es nahe, divergierende Wertentscheidungen offen zu lassen und auf das scheinbar objektive Kriterium der Vernünftigkeit zu rekurrieren. Zum anderen trägt dies dem Anspruch des Regelwerks Rechnung, Begrifflichkeiten zu verwenden, die nicht schon von mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen dogmatisch besetzt und daher der Gefahr einer einseitig an diesem Vorverständnis orientierten Interpretation ausgesetzt sind. Das Kriterium der reasonableness scheint hierzu vor diesem Hintergrund geradezu ideal geeignet. Was also unter der reasonableness zu verstehen ist, hängt vom jeweiligen Normkontext und den dahinter stehenden, möglicherweise konfligierenden Grundwertungen ab, die vom Rechtsanwender im konkreten Fall zum Ausgleich zu bringen sind.313 Das ist auch folgerichtig, denn ein europaweit einheitliches Konzept der „reasonableness“ ist nicht erkennbar, ja es existiert nicht einmal eine einheitliche deutsche Übersetzung für den Begriff. Das zeigt sich etwa am UN-Kaufrecht. In der (inoffiziellen314) deutschen Übersetzung wird der Begriff reasonable teils mit vernünftig übersetzt, teils mit angemessen, zumutbar, verhältnismäßig, oder auch mit ungebührlich. 315 Geschah dies aus rein praktischen Erwägungen, um dem deutschsprachigen Rechtsanwender vertraute Begrifflichkeiten zu präsentieren, oder wurde eine Chance zur Einführung eines neuen Regelungskonzepts vertan?
objectively ascertained, having regard to the nature and purpose of what is being done, to the circumstances of the case and to any relevant usages and practices.“ 310 Anmerkung zu Art. 1:302 PECL. Kritisch daher J. Schmidt, in: FS Großfeld, S. 1017, 1022. 311 Ein (allerdings in seiner tatbestandlichen Reichweite eng beschränktes) Beispiel ist der englische Unfair Contract Terms Act 1977, dazu oben § 9 IV. 2. b) (S. 141 ff.). 312 Vgl. dazu die Kritik von Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 536 f. 313 Darauf weisen die Verfasser der DCFR ausdrücklich in der Einleitung hin: von Bar / Clive, DCFR 2009 FE, Introduction Nr. 22. 314 Authentisch sind alleine die arabische, chinesische, englische, französische, russische und spanische Version, vgl. die Schlussformel zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980. 315 Vgl. J. Schmidt, in: FS Großfeld, S. 1017, 1027. Kritisch dazu Troiano, in: New Features in Contract Law, S. 375, 377.
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Das Konzept der reasonableness, wie es in PECL, DCFR und CISG verwendet wird, steht zunächst für den an eine Person gerichteten Verhaltensmaßstab.316 Es bezeichnet einen objektivierten Sorgfaltsmaßstab, der sich etwa daran zeigen kann, wie lang eine Frist zu bemessen ist, 317 wie eine Willenserklärung zu verstehen ist (etwa in Art. 8 Abs. 2 CISG318),319 ob eine Vertragspartei den der anderen durch eine Vertragsverletzung entstandenen Nachteil vernünftigerweise hätte vorhersehen können oder nicht (Art. 25 CISG)320 oder welche Qualität der Verbraucher bei einer Kaufsache angesichts öffentlicher Äußerungen des Verkäufers oder des Herstellers vernünftigerweise erwarten kann, sofern der Verkäufer davon vernünftigerweise nicht in Unkenntnis sein konnte, so Art. 2 Abs. 2 lit. d bzw. Abs. 3 VGKRL. In Bezug auf letztere Vorschrift ist auffällig, dass bei der Umsetzung in das deutsche Recht der Ausdruck „vernünftigerweise“ nicht übernommen wurde: § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB spricht schlicht von „Eigenschaften, die der Käufer … erwarten kann“. Auf den im Vernünftigen liegenden Sorgfaltsmaßstab weist aber deutlich der weitere Text der Norm hin, die auf das Kennen oder Kennenmüssen des Verkäufers von den öffentlichen Äußerungen, was auf die fahrlässige (und damit sorgfaltspflichtwidrige, vgl. § 122 Abs. 2 BGB) Unkenntnis von solchen Äußerungen hindeutet. Daneben wird der Begriff der reasonableness aber auch in einem anderen Sinne verwendet. Während die reasonable person321 in den beschriebenen Fäl316 Dies zeigt die Definition in Art. 1:302 PECL; weniger deutlich kommt der Personenbezug in Art. I.-1:104 DCFR zum Tragen. Inhaltlich ist indessen keine Änderung beabsichtigt, vgl. Kommentar zu Art. I.-1:104 DCFR. 317 Vgl. die Aufzählungen bei J. Schmidt, in: FS Großfeld, S. 1017, 1019 (zu den PECL) sowie bei Troiano, in: New Features in Contract Law, S. 375, 396 (zum CISG). 318 Unter Geltung des UN-Kaufrechts ist eine Willenserklärung so auszulegen, wie eine vernünftige Person sie aufgefasst hätte. Vgl. dazu die weiteren Beispiele bei Troiano, in: New Features in Contract Law, S. 375, 389 ff. Ein Unterschied zum „verständigen Dritten“ (§ 119 Abs. 1 BGB) ist nicht erkennbar. Vgl. auch die synonyme Verwendung von vernünftig und verständig bei Soergel / Lüderitz / Fenge, Art. 8 CISG Rn. 5. Weitere Nachweise zum Leitbild des verständigen Dritten bei Röthel, Normkonkretisierung, S. 196 ff. 319 Vgl. auch den Versuch von Graf, Vertrag und Vernunft, S. 64 ff., 119 ff. anhand des „Vernünftigen“ Maßstäbe für die ergänzende Vertragsauslegung zu erarbeiten. Hier wird vor allem eine ökonomische Perspektive eingenommen. Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz problematisch, denn die Auslegung eines Vertrags hat zum Ziel, den hypothetischen Willen der Vertragsparteien zu ermitteln, nicht aber den Willen eines rationalen Menschen in der Situation der Vertragsparteien. Dazu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 456 ff.; U. Huber, Leistungsstörungen, Band I, § 2 V 5 c (S. 57 ff.). 320 Hier scheint herkömmlicherweise der größte Anwendungsbereich der reasonableness zu liegen: Die (vor allem außervertragliche) Haftung ist auf dasjenige beschränkt, was bei der Anwendung einer „reasonable care“ hätte vermieden werden können. Grundlegend für das englische Recht ist der Produkthaftungsfall Donoghue v. Stevenson [1932] AC 562, 599, HL (Lord Atkin). 321 In der klassischen englischen Rechtsprechung ist selbstverständlich stets vom „reasonable man“ die Rede, vgl. etwa Donoghue v. Stevenson [1932] AC 562, 619 f., HL (Lord Macmillan).
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len eine der Vertragsparteien gewissermaßen substituiert und an ihrer Stelle den Maßstab für eine „vernünftige“ Entscheidung festlegt, dient die reasonableness auch dazu, in der Rolle eines neutralen Dritten Fragen des Vertragsgleichgewichts zu beurteilen. 322 Ein Beispiel ist der bereits behandelte Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL,323 der die Grenze des Naturalerfüllungsanspruchs bei „unreasonable expense or effort“ festlegt. Die deutsche Version der PECL übersetzt dies mit „unangemessenen Anstrengungen oder Kosten“. Wie steht die in diesem Sinne verwendete Vernünftigkeit nun zur Verhältnismäßigkeit? Steht dahinter ein eigenes Regelungskonzept und sollte dem dann größere Beachtung geschenkt werden? In der derzeitigen Praxis jedenfalls stellt sich die Unterscheidung als eine rein terminologische dar. In den PECL wird (un)reasonable in der zweiten Fallgruppe stets mit angemessen übersetzt; Art. 1:302 PECL zeigt, dass die Begriffe Vernüftigkeit und Angemessenheit synonym verwendet werden.324 Die mit der englischen gleich autoritative deutsche Version der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie verwendet für reasonable nicht nur den Terminus vernünftig, sondern auch den Begriff unzumutbar.325 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, der reasonableness bzw. dem „fachsprachlichen Neologismus“326 „vernünftig“ keine eigenständige, übergreifende Bedeutung beizumessen und diese vielmehr als Sammelbegriff zu sehen, der in die bekannten Konzepte überführt werden kann.327 Die Bezugnahme auf das Kri322 Zu diesen Fällen auch Troiano, in: New Features in Contract Law, S. 375, 398 f., 410 ff. Vernünftigkeit ist nach Troiano eine „Gleichgewichtskomponente“ innerhalb der Konzepte von Treu und Glauben und der Sorgfalt, nämlich als „Schnittpunkt zwischen kollidierenden Interessen“. Mit dem Konzept der equità (Billigkeit) decke sich die Vernünftigkeit allerdings fast vollständig. 323 Oben § 12 I. 4. d) aa) (S. 222 ff.). 324 Anders allerdings nunmehr Art. I.-1:104 DCFR; aus dem Kommentar zu dieser Vorschrift ergibt sich, dass zwischen den Konzepten von Treu und Glauben einerseits und reasonableness andererseits unterschieden werden soll. 325 Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 VGKRL wird die Passage aus der englischen Version der Richtlinie „if it imposes costs on the seller which … are unreasonable“ in der deutschen Version wiedergegeben mit „wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würden, die … unzumutbar wären“. 326 So J. Schmidt, in: FS Großfeld, S. 1017, 1027 Fn. 50. 327 Anders hier Troiano, La „ragionevolezza“ nel diritto dei contratti, S. 449 ff., 609 ff., sowie ders., in: New Features in Contract Law, S. 375, 416 ff., der sich jedenfalls de lege ferenda für eine kohärentere Verwendung der reasonableness und einschlägiger Übersetzungen ausspricht. Troiano schlägt die Vernüftigkeit als Maßstab für die Beurteilung des sog. normativen Gleichgewichts des Geschäfts vor, insbesondere bei der Klauselkontrolle. Ein ähnliches Instrument sei hier die Verhältnismäßigkeit bzw. Billigkeit, die aber als Ausgleich für gleichartige und quantitative Elemente diene, die Vernünftigkeit hingegen für ungleichartige und qualitative Elemente. Die Vernünftigkeit überschneide sich mit den Konzepten von Billigkeit und Treu und Glauben, habe aber einen eigenständigen Anwendungsbereich; sie sei auch wegen der fehlenden Verbindung mit bestehenden Inhalten nationaler Konzepte besonders geeignet für die europäische Rechtsvereinheitlichung. Vernünftigkeit ersetze aber die überkommenen Konzepte von Billigkeit, Treu und Glauben etc. nicht, da diese ethisch neu-
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terium der Vernünftigkeit kann demnach je nach Regelungskontext auch auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hindeuten.
IV. Fazit Das Verfassungsrecht schreibt keine allgemeine Angemessenheitskontrolle für das Privatrecht vor, mehr noch, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt kein Spezifikum des Verfassungsrechts dar, sondern lässt sich als Mechanismus zur Lösung von Interessenkonflikten verstehen – mögen diese verfassungsrechtlicher oder einfachgesetzlicher Art sein. Insofern ist es zutreffend, dass es keinen „verfassungsrechtlichen“ oder „privatrechtlichen“ Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gibt.328 Vielmehr hängt die Ausgestaltung der Verhältnismäßigkeitsprüfung davon ab, welche Interessen es sind, die sich gegenüberstehen und die mithilfe des Grundsatzes zum Ausgleich gebracht werden müssen. Nach der hier vertretenen Ansicht gibt es daher jedenfalls für nicht-fiskalisches Handeln bereits konzeptionell keine „doppelte“ Verhältnismäßigkeitskontrolle dergestalt, dass ein Rechtsgeschäft zunächst am Maßstab der „privatrechtlichen“ Verhältnismäßigkeit zu messen ist, und dann gegebenenfalls – oder stattdessen – noch einer „verfassungsrechtlichen“ Verhältnismäßigkeitskontrolle unterzogen wird.329 Vor diesem Hintergrund sieht die hier vertretene Lösung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Metaprinzip, das eine Interessenkollision durch Abwägung der verschiedenen Interessen auflöst.330 Als Metaprinzip kann es deshalb bezeichnet werden, weil es als solches keinen materiellen Gehalt hat,331 sondern diesen ausschließlich aus den durch es zum Ausgleich gebrachten Interessen,
tral sei, jene nicht. Positiv zu Troianos Ansatz Jayme, GPR 2008, 250. Zum Verhältnis von buona fede, proporzionalità und ragionevolezza auch Volpe, La giustizia contrattuale, S. 173 mit Fn. 301. 328 Im Ergebnis ist H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 95 f., daher zuzustimmen, wenn er dafürhält, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip „kein originär verfassungsrechtliches Prinzip“ ist und sich „[e]in als kategorial eigenständig verstandenes privatrechtliches Verhältnismäßigkeitsprinzip […] damit erledigt [hat]“. Nicht geteilt werden kann freilich Hanaus Folgerung, dass es auch im Vertragsrecht stets Grundrechtskonflikte sind, die das Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Ausgleich bringt. Siehe dazu bereits oben § 17 IV. (S. 311 ff.). Anders die Ansicht etwa von Canaris, AcP 184 (1984), 201, 209, der scharf zwischen dem verfassungsrechtlichen und dem privatrechtlichen Übermaßverbot trennt; ähnlich auch Le Gac-Pech, Proportion nalité, S. 15 ff. 329 Diese Konsequenz müssten die Vertreter der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte ziehen, vgl. die Kritik von Canaris, AcP 184 (1984), 201, 209. 330 Vgl. Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 252: „Verhältnismäßigkeit bedeutet Ausgewogenheit nach Abwägung.“ 331 Vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 77.
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Prinzipien oder Rechtsgüter bezieht. 332 Eine Kollision eines Prinzips mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist damit nicht möglich; es können immer nur zwei oder mehrere Prinzipien, Interessen oder Rechtsgüter kollidieren. 333 Die Begrenzung eines vertraglich begründeten Rechts folgt nicht aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern aus dem Umstand heraus, dass andere Interessen entgegenstehen, die im konkreten Fall Geltung beanspruchen können. Sieht das einfache Recht keine Regel vor, die den Konflikt zugunsten des einen oder des anderen Prinzips auflöst, so greift der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.334
§ 19. Verhältnismäßigkeit (i.e.S.) als Abwägungsmodell Nachdem jede Prüfung der Verhältnismäßigkeit eine Interessenabwägung notwendig macht, seien einige allgemeine Grundsätze dieses Vorgangs dargestellt. Die Systematisierung des Abwägungsvorgangs hat dabei notwendig fragmentarischen Charakter: Die Eigenart der Verhältnismäßigkeitskontrolle ist es gerade, keine Aussagen in inhaltlicher Hinsicht zu treffen, den Abwägungsvorgang also in Abhängigkeit von den dabei gegenüberzustellenden Größen zu gestalten.335
I. Abwägung im Recht Die Abwägung ist keineswegs nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich. Sie stellt eine ganz allgemeine Methode juristischer Entscheidungsfindung dar.336 Sie findet sich im Verfassungsrecht im Rahmen der Güterabwägung zwischen verschiedenen Grundrechten, sie wird im Prozess erfor332
Dazu näher unten § 22 (S. 384 ff.). Um ein Beispiel aus dem Recht der AGB zu verwenden: Bei der Bewertung der Totalnichtigkeit einer unangemessenen Klausel kollidieren also nicht Präventionsprinzip und Verhältnismäßigkeit (so aber Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 567 ff.), sondern Präventionsprinzip und legitime Interessen des Verwenders; diese Kollision könnte über die Verhältnismäßigkeit aufzulösen sein. Zum Problemkreis unten § 23 III. 1. b) (S. 432 ff.). 334 Dazu näher unten §§ 22 und 23 (S. 384 ff. bzw. S. 419 ff.). 335 Dazu, dass die Abwägung nicht das einzige Instrument des rationalen Ausgleichs gegenläufiger Interessen ist Jansen, in: Die Prinzipientheorie der Grundrechte, S. 39, 46 ff. (der u.a. die Effizienz als Kriterium rechtlicher Entscheidungen nennt). 336 Umfassend dazu jüngst Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 6 ff.; speziell für das öffentliche Recht auch Hofmann, Abwägung im Recht, der die Rationalisierung von Abwägungsentscheidungen mithilfe von numerischen Verfahren untersucht. Kritisch (aus rechtsstaatlicher Sicht) zum immer weiter vordringenden Abwägungserfordernis insbesondere Leisner, Der Abwägungsstaat, passim. Siehe weiter Jansen, Die Struktur der Gerechtigkeit, S. 112 f. zur Abwägung auch außerhalb des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit. 333
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derlich bei der Beweiswürdigung, sie kommt aber auch etwa im Rahmen der behördlichen Ermessenausübung zum Tragen. Kennzeichnend für den Abwägungsvorgang ist es, dass der Rechtsanwender vor der Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen steht und sich anhand rationaler Kriterien 337 für eine davon entscheiden muss, indem er Argumente sammelt, gewichtet und vergleicht.338 Das Gegenmodell wird allgemein in der Subsumtion gesehen:339 Diese bezeichnet den Vorgang, mit dem der Rechtsanwender anhand der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Norm für einen bestimmten Lebenssachverhalt eine konkrete Rechtsfolge ableitet. 340 Hier bestehen im Gegensatz zur Abwägung keine Entscheidungsalternativen; vielmehr ergibt sich eine Rechtsfolge in einem Wenn-dann-Satz zwingend aus dem Gesetz. Während sich bei der Subsumtion der Obersatz regelmäßig bereits aus dem Gesetz ergibt, hat der Rechtsanwender bei der Abwägung die einzelnen Abwägungsgesichtspunkte, die funktional den Tatbestandsmerkmalen entsprechen, erst für den Einzelfall zu ermitteln. Auch wenn sich beide Modelle damit grundlegend voneinander unterscheiden, lässt sich ein juristischer Entscheidungsfindungsprozess nicht ausschließlich dem Subsumtions- oder dem Abwägungsmodell zuordnen. Vielmehr werden auch im Rahmen des Subsumtionsvorgangs vielfach Abwägungsentscheidungen im Sinne einer wertenden Gegenüberstellung verschiedener Argumente erforderlich: Das erklärt sich daraus, dass die Zuordnung eines Sachverhalts zu einer Norm im Rahmen des traditionellen Justizsyllogismus oftmals eine Vielzahl von Denkoperationen notwendig macht, die von der Konkretisierung des Obersatzes durch Auslegung bzw. Fortbildung der möglicherweise offen formulierten Tatbestandsmerkmale über die Ermittlung des relevanten Lebenssachverhaltes durch Beweiswürdigung bis hin zur eigentlichen Subsumtion reichen.341 Die Konkretisierung des Obersatzes anhand der Vorgaben juristischer Methodik bedingt dabei eine Abwägung in rechtlicher Hinsicht, die die Entscheidung zwischen den möglicherweise differierenden Ergebnissen der ver337 Dazu, dass auch die Abwägungsentscheidung trotz des ihr inhärenten wertenden Elements rationalen Kriterien folgen muss, etwa Larenz, in: FS Klingmüller, S. 235, 236 ff.; Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 3 ff.; Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 248 ff., 254 f. Eingehend zum Rationalitätsbegriff der Abwägung Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 97 ff. 338 Vgl. Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 4, 57 auf der Grundlage des von ihm verwendeten weiten Abwägungsbegriffs. Ähnlich Hubmann, in: FS Schnorr von Carolsfeld, S. 173, 177; für die AGB-Kontrolle auch Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 107 ff. Der enge Abwägungsbegriff begreift hingegen nur die bei einer Prinzipienkollision erforderliche Güterabwägung als eigentliche Abwägung, vgl. insbesondere Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. 339 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 6; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 101. 340 Larenz, Methodenlehre, S. 271 ff. 341 Eingehend dazu Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 16 ff., 36 ff., 42 ff., 54 ff.; vgl. auch Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 248.
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schiedenen Auslegungsmethoden zum Gegenstand hat. Im Gegensatz dazu hat die Ermittlung des Untersatzes ein Tatsachenurteil zum Ziel. Die Subsumtion schließlich, die den präzisierten Obersatz mit dem Untersatz vergleicht, beinhaltet eine Wertung: Hier wird beurteilt, ob ein tatsächlicher Sachverhalt in die (noch immer abstrakten, aber dem konkreten Lebenssachverhalt bereits angenäherten) rechtlichen Regeln passt oder nicht.342 Die Abwägung weist damit große Ähnlichkeiten mit einem beweglichen System im Sinne Wilburgs auf.343 Dessen Kennzeichen ist es, dass eine Rechtsfolge durch einen aus mehreren „beweglichen“ Elementen bestehenden Tatbestand herbeigeführt werden kann, die nicht in jedem Falle in gleicher Intensität gegeben sein müssen; die stärkere Ausprägung eines Elements kann über die schwächere Ausprägung eines anderen hinweghelfen. 344 Auch innerhalb dieses „beweglichen“ Systems ist eine wertende Betrachtung vorzunehmen, die das Gewicht der einzelnen Elemente taxiert und die Auslösung der Rechtsfolge feststellt.345 Ein Unterschied kann indessen darin gesehen werden, dass die Elemente eines beweglichen Systems als Prämisse bereits festliegen müssen, 346 wohingegen die in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte jedenfalls von vornherein nicht exakt bestimmt werden (können).347 Das bewegliche System kann damit als eine besondere Form der Abwägung bezeichnet werden.
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Zur Unterscheidung zwischen diesen verschiedenen Stufen Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 54 ff. 343 Ebenso Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 106; allgemein zu Abwägungsprozessen als beweglichen Systemen G. Otte, Jahrbuch für Rechtstheorie und Rechtssoziologie 2 (1972), 301, 317 ff. 344 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts; ders., Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht; ders., AcP 163 (1964), 346 (dazu bereits oben § 5 II. 2. b). Aus der Fülle der Literatur hierzu etwa Canaris, Systemdenken, S. 74 ff.; Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, S. 61 ff.; F. O. Fischer, AcP 197 (1997), 589, 601 ff.; Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 330 ff.; Schilcher, in: FS Canaris, Band 2, S. 1299, 1301 ff. (in Bezug auf aktuelle Entwürfe zur Regelung des Schadensrechts, u.a. die Principles of European Tort Law – PETL, die dem Modell eines beweglichen Systems folgen). 345 Canaris, in: Das bewegliche System, S. 103, 104. Vgl. auch den Ansatz Enderleins (Rechtspaternalismus, S. 54 ff., 286 ff.), das bewegliche System zur Ermittlung unzulässiger Eingriffe in die Vertragsfreiheit fruchtbar zu machen. Kritisch zur „antipaternalistischen“ Grundthese Enderleins etwa Eckardt, JZ 1997, 86. 346 Dies soll nicht verdecken, dass auch ein bewegliches System offen für weitere Entwicklungen sein kann, vgl. Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, S. 14 (es könnten stets „neue Gesichtspunkte und Kräfte“ hinzutreten); Canaris, Systemdenken, S. 62 ff., 75 f.; ders., in: Das bewegliche System, S. 103, 104. 347 Vgl. Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 31.
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II. Grundsätze der Interessenabwägung im Privatrecht Sieht man die Abwägungsentscheidung damit als Sammeln, Gewichten und wertendes Gegenüberstellen von Argumenten, so stellt sich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne vor diesem Hintergrund auch im Bereich des Privatrechts als ein Anwendungsfall der allgemeinen Abwägungsentscheidung dar, der in den Grundstrukturen gleich aufgebaut ist.348
1. Die Abwägungselemente Auf der ersten Stufe sind die Elemente der Abwägungsentscheidung zusammenzustellen und zu gewichten, um so die Grundlage für die eigentliche Wertung zu schaffen.349 a) Auswahl Jede Abwägung ist naturgemäß eine Einzelfallentscheidung. Abstrakte Vorgaben hinsichtlich der Auswahl der abwägungsrelevanten Elemente haben sich daher auf wenige wesentliche Leitlinien zu beschränken; die eigentlichen Abwägungselemente sind konfliktspezifisch auszuwählen.350 Ausgangspunkt der Verhältnismäßigkeitskontrolle ist stets ein Konflikt zwischen zwei Positionen; diese müssen zum Ausgleich gebracht werden. Ziel des Auswahlvorganges muss es sein, die im Einzelfall berührten Interessen vollständig zu bestimmen.351 Dazu ist ein sachlicher Bezug zum zu entscheidenden Konflikt erforderlich.352 Anhaltspunkte dafür, welche Interessen der Parteien von der Rechtsordnung geschützt werden, ergeben sich insbesondere aus dem zwingenden Gesetzesrecht. Ist solches nicht vorhanden, sind die parteiliche Abrede und die vertrag348 So auch Stern, Handbuch des Staatsrechts, Band III / 2, § 84 IV 4 b, 5 (S. 819 ff.); Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 3, 9 f. (allerdings bezogen auf die verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeit und ohne Trennung zwischen den verschiedenen Teilgrundsätzen); ähnlich Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit, S. 87 f. Vgl. weiter Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 83 ff., 91, der zwischen der verfassungsrechtlichen Güterabwägung und der Verhältnismäßigkeitsprüfung nur sprachliche Unterschiede sieht; dem zustimmend Stubbe, Verhältnismäßigkeit, S. 43 ff. Anders wohl Larenz, in: FS Klingmüller, S. 235, 243 ff., der die Verhältnismäßigkeit (i.w.S.) innerhalb der Güterabwägung anwendet; ebenso Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 252 f. 349 Diese beiden Gesichtspunkte bezeichnet Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 107 ff. als „tatsächliche Station“. 350 So auch Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 197 ff. 351 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 59 (topische Argumentation). Die in der Rechtsprechung oft verwendete Formulierung ist die „Abwägung der gesamten Umstände des Einzelfalles“. Vgl. für § 242 BGB etwa BGH NJW 2005, 3783, 3786; für § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. etwa BGH NJW 1996, 3269. 352 Das Verbot der Berücksichtigung sachfremder Gesichtspunkte folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG, vgl. nur Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 59 f.
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liche Risikoverteilung heranzuziehen, hilfsweise auch das dispositive Gesetzesrecht. Oftmals gibt das Gesetz selbst vor, welche Interessen dabei Beachtung finden müssen und welche nicht. In diesem Falle ist die Abwägungsauswahl eingeschränkt. So beschränkt etwa § 275 Abs. 2 BGB die Lösung des Konflikts zwischen Gläubiger und Schuldner auf die Kriterien Leistungsinteresse des Gläubigers, Schuldneraufwand und Vertretenmüssen des Schuldners in Bezug auf das Leistungshindernis. Gleichzeitig zeigt aber die Bezugnahme auf den Inhalt des Schuldverhältnisses und den Grundsatz von Treu und Glauben, dass diese Aufzählung nicht abschließend ist, sondern dass weitere Interessen Berücksichtigung finden können, die sich aus der konkreten vertraglichen Vereinbarung ergeben.353 Die Auswahl der abwägungsrelevanten Gesichtspunkte ist dabei grundsätzlich nicht auf materielle Positionen beschränkt. Auch immaterielle Interessen sind mit einzubeziehen, sofern sie einen sachlichen Bezug zum Konflikt haben. Dies ergibt sich bereits aus der allgemeinen Vorgabe einer umfassenen Berücksichtigung aller Belange des Einzelfalles. Für das Vertragsrecht spricht hierfür auch die Wertung des § 241 Abs. 1 BGB: Ein Schuldverhältnis braucht sich nicht auf konkrete Vermögenswerte zu beziehen, es wird von der Rechtsordnung auch dann anerkannt, wenn es bloße immaterielle Positionen fixiert.354 Diese haben im Vertragsverhältnis damit ebenso ihren Platz wie materielle Positionen. Auch Grundrechte können bei der Abwägung Berücksichtigung finden. Dabei ist für den Normalfall zu berücksichtigen, dass sich gerade im Vertragsrecht regelmäßig auf beiden Seiten Grundrechtspositionen gegenüberstehen, die daraus abgeleiteten Rechtspositionen sich für den Abwägungsvorgang also gewissermaßen neutralisieren. Überdies kann ein Grundrecht bei der Abwägung nur dort eigenständiges Gewicht haben, wo nicht bereits eine einfachrechtliche Konkretisierung gegeben ist. Keine Berücksichtigung finden dagegen im Bereich des Privat- und insbesondere des Vertragsrechts öffentliche Belange, etwa die Auswirkung der konkreten Abwägung auf die Allgemeinheit. Privates Handeln muss sich grundsätzlich nicht an einer abstrakten Folgenprognose für die Allgemeinheit orientieren; im Unterschied zu staatlichem Handeln besteht keine Gemeinwohlbindung des Einzelnen.355 Eine Besonderheit kann dort bestehen, wo von privatem Handeln typischerweise eine bestimmte, abgrenzbare Gruppen von anderen Personen betroffen sind. Deren Interessen können in die Abwägung mit eingestellt werden. So geht der BGH im Bereich des Versicherungsvertragsrechts davon aus, dass der Versicherungsnehmer bei der Inanspruchnahme besonders teuerer und 353 354 355
Dazu bereits oben § 12 I. 1. b) (S. 172 ff.). Dazu die Nachweise bei Weller, Vertragstreue, S. 391 f. Ebenso für das Kündigungsrecht Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 237 ff.
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nicht unmittelbar lebensnotwendiger Behandlungen auch auf die Belange der Versichertengemeinschaft in angemessener Weise Rücksicht nehmen müsse. 356 b) Die Gewichtung der einzelnen Elemente Vor der eigentlichen Abwägung, also der wertenden Betrachtung der einzelnen Positionen, ist jedem Abwägungselement ein Gewicht beizumessen. 357 Es handelt sich dabei um eine Verfeinerung der Abwägungsbasis, indem die Bedeutung einzelner Elemente als hoch, anderer als gering eingestuft wird. Man kann dabei wiederum in zwei Schritten vorgehen:358 Eine Gewichtung kann zunächst abstrakt vorgenommen werden, also losgelöst vom konkreten Einzelfall. Diese abstrakte Gewichtung setzt die verschiedenen Abwägungselemente in eine Reihenfolge, in der der grundsätzliche Vorrang eines Gesichtspunkts gegenüber einem anderen oder der Gleichrang zweier Gesichtspunkte festgestellt wird. Eine weitergehende Präzisierung dieser Rangfolge in Form der Zuweisung einer exakten Wertigkeit zu jedem Abwägungselement, die den Abwägungsvorgang als mathematische Berechnung erscheinen lassen würde, scheitert daran, dass ein Maßstab für diesen Vorgang nicht existiert.359 Auch in dieser Station kann das Gesetz bereits Vorgaben machen, welche Gesichtspunkte bei der Abwägung besonders wichtig sind. Tut es das nicht, so ist von einem abstrakten Gleichrang aller Aspekte auszugehen. 360 Nicht zuletzt ist die Vorgabe, einen bestimmten Punkt nicht zu berücksichtigen, die Anweisung, diesem das Gewicht Null beizumessen.361 Auf der Grundlage dieser abstrakten Vorgewichtung ist dann vor dem Hintergrund des konkreten Falles zu klären, inwieweit ein Abwägungselement er356 BGHZ 99, 228, 235; BGH NJW 2005, 3783, 3785 (unverhältnismäßige Kosten einer In-vitro-Fertilisation). Darüber hinaus sind etwa im Arbeitskampfrecht wegen der möglicherweise gravierenden Folgen eines Streiks für die Allgemeinheit auch auf deren Belange Rücksicht zu nehmen, vgl. etwa Kreuz, Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht, S. 149 f. Für Einbeziehung der Grundrechte Dritter bei der Abwägung im Rahmen des § 275 Abs. 3 BGB Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 322 mit Fn. 11, 352 ff. 357 Der BGH (NJW 1985, 2585, 2587) spricht davon, dass das Gericht die „Bewertung der beiderseitigen Interessen abzuschätzen habe“. 358 Eingehend dazu Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 61 ff. 359 Ansätze zu einer Quantifizierung des Abwägungsvorgangs finden sich etwa bei Hubmann, in: FS Schnorr von Carolsfeld, S. 173, 179 ff. (kritisch dazu bereits Larenz, in: FS Klingmüller, S. 235, 247 f.; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 102 ff.) oder bei Alexy, in: GS Sonnenschein, S. 771, 777 ff. (zur verfassungsrechtlichen Güterabwägung). Eingehend und ablehnend dazu Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 65 ff., 72 ff. Positiv zu Alexys „Gewichtsformel“ etwa Bernal Pulido, ARSP 92 (2006), 195 (mit Modifikationen und Verfeinerungen). 360 Unzutreffend daher die Entscheidung BGH NJW 2008, 3122, in der dem Vertretenmüssen aus § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB abstrakt ein höherer Rang zugebilligt wird als den anderen Gesichtspunkten. Dazu bereits oben oben § 12 I. 1. b) cc) (3) (S. 180 ff.). 361 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 63.
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füllt wurde, wie sehr also etwa ein abwägungsrelevantes Rechtsgut oder Interesse beeinträchtigt wurde. Hier lässt sich mit groben Skaleneinteilungen arbeiten, etwa im Sinne von „leicht“, „mittel“ oder „schwer“. In manchen Fällen kann die jeweilige Beeinträchtigung auch konkret quantifiziert werden. Das ist im hier behandelten Bereich des Vertragsrechts recht häufig der Fall. So lässt sich etwa bei § 275 Abs. 2 BGB der vom Schuldner für die Leistungserbringung zu betreibende Aufwand exakt bemessen; gleiches gilt für die Kosten der Nacherfüllung in §§ 439 Abs. 3 Satz 1, 635 Abs. 3 BGB. Die Existenz eines exakten Zahlenwertes in der Abwägungsreihe darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, auch alle anderen Elemente in Zahlen umzuwandeln, um am Schluss eine mathematisch exakte Gegenüberstellung der Positionen zu erreichen. Dies wird bereits dann unmöglich, wenn – wie nach zutreffender Meinung etwa bei § 275 Abs. 2 BGB der Fall – auch immaterielle Interessen des Gläubigers an der Leistungserbringung zu berücksichtigen sind.362 Beispielhaft steht hier das bereits erwähnte „Dackelurteil“ des BGH:363 Bei der Frage, ob eine Nacherfüllung des o-beinigen Dackelwelpen in Form einer operativen Korrektur geschuldet war, berücksichtigte der BGH weder die Mangelbeseitigungskosten in Höhe von € 1000,– noch den Kaufpreis in Höhe von € 500,–; auch die durch die Operation erforderlichen Nachuntersuchungen wurden nicht in geldwerten Größen umgerechnet.364 Die Kombination aus abstrakter Vorgewichtung und konkretem Erfüllungsmaß bildet die Grundlage für den eigentlichen Abwägungsvorgang.
2. Der Abwägungsvorgang Der eigentliche Abwägungsvorgang besteht in einer wertenden Einschätzung des Rechtsanwenders auf der Grundlage der konkretisierten Abwägungselemente, welchen Interessen im konkreten Fall der Vorzug zu geben ist.365 Auch hier müssen Anstrengungen scheitern, das Abwägungsergebnis mathematisch durch eine Rechenoperation darzustellen, indem die entsprechend gewichteten Argumente auf beiden Seiten jeweils miteinander multipliziert und anschließend die auf beiden Seiten ermittelten Zahlwerte miteinander verglichen werden. Der so vermittelte Anschein der höheren Rationalität des Abwägungsvorganges verdeckt, dass die Gewichtung der einzelnen Abwägungspositionen wiederum eine wertende Einschätzung von deren Bedeutung voraussetzt, die 362
Dazu bereits oben § 12 I. 1. b) bb) (S. 174 ff.). BGHZ 163, 234. 364 Hinzu kam allerdings, dass die Operation als solche nicht geeignet war, den vertragsgemäßen Zustand herbeizuführen, die Leistungspflicht des Schuldners mithin unter diesen Umständen weniger weit ging. Siehe dazu bereits oben § 12 I. 1. b) cc) (4) (S. 182 ff.). 365 BGH NJW 1985, 2585, 2587. Ausführlich dazu Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 74 ff. 363
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durch Zahlenwerte regelmäßig nur unzureichend ausgedrückt werden kann. Diese Ungenauigkeit setzt sich notwendig bei der Ermittlung des Abwägungsergebnisses fort.366 In diesem wertenden Abwägungsvorgang hat der Rechtsanwender anhand der rational ermittelten Abwägungselemente eine Überzeugung vom Überwiegen einer Seite zu bilden.367 Diese Überzeugung von der Richtigkeit des Abwägungsergebnisses fordert etwa § 286 Abs. 1 ZPO bei der richterlichen Beweiswürdigung,368 sie ist aber auch für alle anderen Abwägungsvorgänge zu fordern.369
3. Der Abwägungsmaßstab Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Vertragsrecht wird regelmäßig die Entscheidung gefordert, ob der einen oder der anderen Seite der Vorzug zu geben ist.370 Ist der Rechtsanwender überzeugt vom Überwiegen der Argumente auf der einen Seite, so steht gleichwohl noch nicht fest, ob daraus auch die (Un-)Verhältnismäßigkeit folgt. Dies ist eine Frage des Abwägungsmaßes. Das Abwägungsmaß legt fest, ob ein einfaches Überwiegen der einen Seite genügt, oder ob ein auffälliges, grobes oder krasses Missverhältnis gefordert wird.371 Im Privatrecht kommen die unterschiedlichsten Maßstäbe zur Anwendung. Selbst dort, wo nur von „Unverhältnismäßigkeit“ o.ä. die Rede ist, können unterschiedliche Abwägungsmaßstäbe gemeint sein. So reicht es etwa im Rahmen des § 948 Abs. 2 BGB für die Annahme der Untrennbarkeit aus, wenn die für die Trennung erforderlichen Kosten das Interesse des Eigentümers an der Aufrechterhaltung der bisherigen Eigentumslage überwiegen: Das durch die Vermischung entstehende Miteigentum ist regelmäßig dem vorher jeweils bestehenden Alleineigentum gleichwertig, so dass der Rechtsverlust wenig einschneidend ist und die Vermeidung einer unökonomischen Trennung im Vordergrund steht.372 Im Rahmen der §§ 439 Abs. 3 Satz 1, 635 Abs. 3 BGB hingegen, wo ebenfalls von „unverhältnismäßigen Kosten“ die Rede ist, liegt die Schwelle hingegen deutlich höher: Im Unterschied zum Fall der Vermischung, 366 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 76 f.; ablehnend auch Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 205 m.w.N. 367 Zum Fall, dass für beide Seiten gleich starke Argumente sprechen sogleich unter 3. (S. 355). 368 Vgl. nur Zöller / Greger, § 286 ZPO Rn. 17 ff. 369 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 77 ff. 370 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 80 ff. bezeichnet diese als „binäre Abwägungsergebnisse“. 371 Dazu eingehend Röthel, Normkonkretisierung, S. 221 ff. (die von einem „Ausgewogenheitsmaßstab“ spricht). 372 Vgl. Soergel / Henssler, § 948 Rn. 2.
§ 20. Zusammenfassende Würdigung
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wo sich zwei gleichberechtige Interessen gegenüberstehen, stellt sich die Situation im Kauf- und Werkvertragsrecht grundlegend anders dar: Die Ausgangssituation ist hier der Anspruch des Gläubigers auf Nacherfüllung wegen der nicht vertragsgemäßen Leistung. Dieser Anspruch wird dann eingeschränkt, wenn dadurch unverhältnismäßige Kosten entstehen. Das Interesse des Gläubigers an der ordnungsgemäßen Erfüllung hat wegen der Wertung der §§ 433 Abs. 1 Satz 2, 633 Abs. 1 BGB, die den Schuldner zu einer sach- und rechtsmängelfreien Leistung verpflichten, bereits abstrakt einen hohen Stellenwert. Vor diesem Hintergrund genügt ein bloßes Überwiegen der durch die Nacherfüllungskosten beeinträchtigten Schuldnerinteressen gegenüber dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht.373 Noch einmal eine Stufe strenger ist dann das in § 275 Abs. 2 BGB geforderte, grobe Missverhältnis zwischen Leistungsinteresse des Gläubigers und Schuldneraufwand. Zur Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben ist wiederum auf die vertragliche Risikoverteilung zurückzugreifen. Die Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes wird etwa in § 313 Abs. 1 BGB ausdrücklich angeordnet, liegt aber auch § 275 Abs. 2 BGB zugrunde.374 Nachdem eine Vermutung für die „Verhältnismäßigkeit“ der vertraglichen Vereinbarung spricht, und damit auch die Ausübung eines vertraglichen Rechts den Anschein der Legitimität trägt, ist im Regelfall davon auszugehen, dass bei einer Kollision mit den Interessen des anderen Teils diese regelmäßig deutlich überwiegen müssen, damit die Abwägungsentscheidung zu dessen Gunsten ausfällt.375 Die bei Abwägungsentscheidungen grundsätzlich mögliche Pattsituation, in der kein Überwiegen einer Seite festgestellt werden kann, kommen bei den Verhältnismäßigkeitsfällen damit nicht vor:376 Stets ist ein (wie auch immer geartetes) Überwiegen der einen Seite erforderlich. Es gilt dabei einen Punkt zu ermitteln, an dem die Interessen der einen Seite gegenüber der anderen mit dem konkret erforderlichen Maß überwiegen; erst dann, wenn diese Schwelle überschritten wird, ist die Ausübung des Rechts unverhältnismäßig.
§ 20. Zusammenfassende Würdigung Ausgangspunkt der Betrachtung im vorliegenden Kapitel war die aus dem 1. Teil der Arbeit gewonnene Einsicht, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht eine begrenzende und ausgleichende Wirkung hat. Private Rechte, auf die der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirkt, können nicht 373
Näher bereits oben § 12 I. 3. b) bzw. c) aa) (S. 197 ff. bzw. S. 203 ff.). Siehe auch Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 203 ff. 375 Ebenso Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 203 f. und grundsätzlich auch H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 105. 376 Dazu Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 105 ff. 374
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Kapitel 5: Die Struktur der Verhältnismäßigkeitskontrolle
schrankenlos ausgeübt werden, sondern müssen dann zurücktreten, wenn andere Interessen höherrangig sind. Nur ausnahmsweise fordert das Postulat der Verhältnismäßigkeit auch einen Ausgleich im Sinne eines nur teilweisen Zurücktretens der einen Position gegenüber der anderen. Die Analyse der Verfassungsrechts hat gezeigt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dort als Instrument zum Ausgleich zwischen grundrechtlichen Rechtspositionen dient; insoweit kann er als Meta-Grundsatz bezeichnet werden, der keinen materialen Inhalt hat, sondern rein formaler Natur ist. Als solcher kommt er auch im Privatrecht zur Anwendung. Kennzeichnend ist hier ebenfalls dessen ausgleichende Funktion zwischen verschiedenen Rechtspositionen. Dahinter steht die Erwägung, dass jedes Prinzip, jedes Interesse und jedes Rechtsgut seiner Natur nach auf Optimierung angelegt ist, eine Einschränkung demnach Ausnahmecharakter haben muss und der Begründung bedarf. Ist die Ausnahme so offen gestaltet, dass sie die Regel zu verdrängen geeignet ist, so ist durch eine Verhältnismäßigkeitskontrolle im Einzelfall zu bestimmen, wie weit die Regel reicht, und ab wann sich die Ausnahme durchsetzt. Es gibt damit in dem hier beschriebenen formalen Sinn nicht einen „verfassungsrechtlichen“ und einen „privatrechtlichen“ Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vielmehr folgt die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Grundsatz derselben Struktur: Es handelt sich um eine Abwägungsentscheidung zwischen verschiedenen Rechtspositionen bzw. Interessen. Erst durch die Einstellung dieser Positionen wird der Grundsatz material aufgeladen. In diesem Sinne lässt sich auch sagen, dass es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gibt, sondern unendlich viele Ausprägungen je nach Anwendungsbereich. 377 Davon zu unterscheiden ist der Grundsatz der Erforderlichkeit. Dieser fordert keine Abwägungsentscheidung, sondern legt den Handelnden innerhalb einer vorgegebenen Zweck-Mittel-Relation auf eine einzige Handlungsalternative fest. Im Vertragsrecht spielt der Zweck der Geltendmachung von Rechten bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs regelmäßig keine Rolle, da der Vertrag die Legitimationsgrundlage für die betreffende Handlung ist und daher keine weitere Rechtfertigung für die Rechtsausübung notwendig wird. Der Grundsatz der Erforderlichkeit kann daher im Vertragsrecht keine allgemeine Geltung beanspruchen. Die im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle vorzunehmende Abwägungsentscheidung folgt in ihren Grundzügen in allen Anwendungsbereichen demselben Muster. Damit ist aber noch nicht geklärt, wo und warum ihre Anwendung legitimiert ist.378 Dieser Frage soll im folgenden Kapitel nachgegangen werden. 377
Vgl. auch Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 94. Ähnlich Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht, S. 57. 378
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Kapitel 6
Normative Wirkung und dogmatische Verortung Der Begründungsansatz, der die Fälle der Verhältnismäßigkeit auf der Basis eines Regel-Ausnahme-Modells erklärt, kann einige der Erscheinungsformen der Verhältnismäßigkeit im Vertragsrecht auf eine gemeinsame Struktur zurückführen. Er wirkt aber nicht normativ in dem Sinne, dass eine Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für einen bestimmten Fall auf seiner Grundlage gefordert werden kann. Die folgenden Überlegungen sollen daher den Versuch einer solchen normativen Erklärung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unternehmen. Dazu wird der Geltungsgrund einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unter rechtsethischen, aber auch unter ökonomischen Aspekten untersucht (§ 21). Auf dieser Grundlage wird dann der Versuch unternommen, die Wirkungsweise des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als Teil der Schrankenfunktion des Grundsatzes von Treu und Glauben herzuleiten (§ 22). Auf diese Weise kann die Reichweite der Verhältnismäßigkeitskontrolle insbesondere dort bestimmt werden, wo das Gesetz nicht bereits eine (deklaratorische) Verhältnismäßigkeitskontrolle angeordnet hat (§ 23).
§ 21. Verhältnismäßigkeit als Argument im rechtsphilosophischen Kontext Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass eine einheitliche Begründung „des“ Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kaum möglich erscheint. Zu disparat sind die Anwendungsbereiche, zu uneinheitlich die Auswirkungen des Prinzips. Treffend schreibt Wieacker: „Auch in den geschichtlichen Rechtsordnungen gibt es kein wohldefiniertes Kapitel ‚Verhältnismäßigkeit‘, das sich in den einschlägigen Handbüchern gleichsam aufschlagen und nachlesen ließe; Sitz und ‚Stellenwert‘ des Prinzips müssen vielmehr erst aus einer überwältigenden Datenmasse der rechtsphilosophischen Tradition und der vergangenen Rechtsordnungen herausgeschält werden.“1
1
FS R. Fischer, S. 867 f.
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Kapitel 6: Normative Wirkung und dogmatische Verortung
Dies leitet zu der Frage über, welche Legitimationsgrundlagen dem zugrunde liegen. 2 Für den Bereich des Vertragsrechts werden drei Ansätze verfolgt:3 Verhältnismäßigkeit als Synonym zur Gerechtigkeit schlechthin (unten I.); Verhältnismäßigkeit als Teil des Gebots gleichmäßiger Behandlung (unten II.) und schließlich Verhältnismäßigkeit als Ausdruck der Zweckrationalität des Rechts (unten III.).
I. Der Gedanke des Maßhaltens: Verhältnismäßigkeit als Gerechtigkeit Dem Gedanken des rechten Maßes kommt in der Tugendlehre des Aristoteles zentrale Bedeutung zu.4 Ihm ging es darum, Wege zu einem glücklichen Leben aufzuzeigen; das Glück sieht Aristoteles als Ziel allen menschlichen Strebens. 5 Nachdem der Mensch nicht alleine lebt, sondern in eine soziale Gemeinschaft integriert ist, sieht Aristoteles es als staatliche Aufgabe an, den Bürger zur Tugendhaftigkeit anzuleiten; die Tugendlehre bildet damit einen Teil der Staatslehre. Aristoteles teilt die Tugenden in zwei Gruppen ein: die verstandesmäßigen Tugenden (etwa Wissenschaft, Kunstfertigkeit und vor allem Klugheit) und die ethischen Tugenden (Tapferkeit, Besonnenheit, Sanftmut etc.). Erstere erwirbt man durch Belehrung, zweitere durch Erziehung und Gewohnheit. 6 Aristoteles sieht alle ethischen Tugenden als die Mitte zwischen zwei Extremen. So ist die Tapferkeit das rechte Maß zwischen Feigheit und Tollkühnheit, die Besonnenheit zwischen Zügellosigkeit und Gefühllosigkeit, die Sanftmut zwischen Schwächlichkeit und Jähzorn:7 „Wer vor allem davonläuft und sich fürchtet und nirgends ausharrt, wird ein Feigling. Wer überhaupt vor nichts Angst hat und auf alles losgeht, wird ein sinnloser Draufgänger. Wer sich in jeden Genuß stürzt und sich nichts versagt, wird haltlos, wer jeden meidet wie die Spießer, wird stumpfsinnig. So wird denn besonnenes und mannhaftes Wesen durch das Zuviel und das Zuwenig zerstört, dagegen bewahrt, wenn man der rechten Mitte folgt.“8
2 Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 874 spricht von verschiedenen „Quellströmen“, auf die sich die Maxime der Verhältnismäßigkeit zurückführen lasse. 3 Für andere Bereiche können noch weitere Begründungsansätze herangezogen werden, so der Gedanke der proportionalen Tatvergeltung für außervertragliche rechtswidrige Handlungen, vgl. Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 875 f. 4 Ähnlich bereits Solons Ausspruch „Nichts zu sehr“ oder „Nichts im Übermaß“. Zu Leben und Werk Solons Hönn, Solon. Staatsmann und Weiser; zum politischen Wirken Solons E. Wolf, in: FS Laun, S. 449. 5 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch I 5, 1097a. 6 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch II 1, 1103b. 7 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch II 7, 1107a–1108b. 8 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch II 2, 1104a, 20–24.
§ 21. Verhältnismäßigkeit als Argument im rechtsphilosophischen Kontext
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Es ist die Aufgabe der wichtigsten Verstandestugend, der Klugheit, die Mitte zwischen den Extremen zu wählen.9 Die insbesondere von Aristoteles ausgearbeitete Idee des Maßhaltens deutet direkt auf eine Verbindung der Verhältnismäßigkeit mit der Gerechtigkeitsidee selbst hin. In diese Richtung hat sich etwa Larenz ausgesprochen, der den Zusammenhang wie folgt ausdrückt: „In der Tat steht der Gedanke des ‚rechten Maßes‘ sowohl in der Ausübung von Rechten wie der Auferlegung von Pflichten und Lasten, des Ausgleichs einander widerstrebender Interessen auf der Linie ihrer geringstmöglichen Beeinträchtigung in einer nahen Beziehung zu dem Gedanken der Gerechtigkeit. Denn dieser meint im Grunde nichts anderes als eben das rechte Maß im Verhältnis der Menschen zueinander und zu den ihrer Verfügung unterliegenden Dingen.“10
Vielleicht sind es derart weite und allgemeine Aussagen, die die intuitive Attraktivität des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausmachen, ihn aber gleichermaßen auch in Misskredit gebracht haben.11 Verhältnismäßigkeit als Gerechtigkeit scheint nichts anderes zu heißen, als dass jede Entscheidung, die sich auf einen verhältnismäßigen Interessenausgleich richtet, das Postulat materieller Gerechtigkeit verwirklicht.12 Man muss kein Verhältnismäßigkeitsskeptiker sein, um dies als Illusion zu entlarven.13 Begreift man jede gesetzliche Norm als Positivierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit,14 dann ist auch jede darauf beruhende Entscheidung gerecht – eine wenig weiterführende Erkenntnis. Sieht man aber die im Einzelfall getroffene Verhältnismäßigkeitsprüfung als Verwirklichung materieller Gerechtigkeit, so liegt darin implizit auch eine Abwertung aller ohne diese Prüfung getroffenen Entscheidungen. Es liegt auf der Hand, dass diese Konsequenz unzutreffend wäre. Allenfalls, aber immerhin, kann die Verhältnismäßigkeit daher im Sinne einer Möglichkeit der Annä9
Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch II 6, 1106b-1107a. Larenz, Methodenlehre, S. 424; ähnlich ders., in: FS Klingmüller, S. 235, 247; H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 98. Hinweis auf diesen Zusammenhang auch bei Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit, S. 113 ff.; Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 13. 11 Vgl. die Nachweise oben § 1 (S. 1 ff.). 12 In diese Richtung gehen auch diejenigen Stimmen, die den Geltungsgrund der Verhältnismäßigkeit im – unterschiedlich definierten (dazu Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 198 ff.) – Naturrecht suchen. Vgl. etwa die Ansätze bei Coing, Die obersten Grundsätze des Rechts, S. 74 ff. (Ableitung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus dem materiellen Gerechtigkeitspostulat; er sieht hier auch die Wurzel des Äquivalenzprinzips); ders., Grundzüge der Rechtsphilosophie, 4. Aufl., S. 221 f.; v. Krauss, Verhältnismäßigkeit, S. 39 ff.; Oberle, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des polizeilichen Eingriffs, S. 38, 41; Auffermann, Verhältnismäßigkeit, S. 18 ff., 65 ff. Ablehnend etwa Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 49 f. Im Ergebnis gleichbedeutend ist die Aussage, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei ein überpositiver Rechtssatz. 13 Aus Sicht des öffentlichen Rechts insbesondere Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 39 ff.; aus Sicht des Privatrechts etwa G. Wagner, ZEuP 2007, 180, 201 f. 14 Vgl. etwa Reuter, in: FS Böhm, S. 521, 549. Weitere Nachweise oben § 1 (S. 1 ff.) 10
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herung an Gerechtigkeit verstanden werden – aber nicht der einzigen.15 Mit einer derart allgemeinen Gleichstellung von Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit ist allerdings noch wenig gewonnen.16 Führt man den Geltungsgrund der Verhältnismäßigkeit auf den Gedanken des rechten Maßes, der Gerechtigkeit selbst zurück, so bedarf es weiterer Konkretisierungen, damit das Verhältnismäßige operationalisierbar gemacht werden kann.17 Es bedarf demnach einer Differenzierung. Auch diese geht auf Aristoteles zurück.
II. Der Gleichheitssatz: Verhältnismäßigkeit als „erlaubte Ungleichheit“ Aristoteles differenziert in Bezug auf die iustitia universalis zwischen der iustitia distributiva, der austeilenden Gerechtigkeit, und der iustitia commutativa, der ausgleichenden Gerechtigkeit.18 Beide Gerechtigkeitsformen zielen auf die Wahrung der Gleichheit ab,19 aber in unterschiedlichen Beziehungen.
1. Iustitia distributiva: Gleichheit bei der Verteilung Die iustitia distributiva beherrscht die Verteilung von öffentlichen Gütern.20 Sie erfordert Gleichbehandlung, aber nur zwischen Gleichen: Wenn der Staat verteilt, dann muss nicht jeder Bürger gleich viel bekommen, sondern nur insoweit, als er an Würdigkeit vergleichbar ist. Wer weniger würdig ist, bekommt auch entsprechend weniger zugeteilt. Damit ist die austeilende Gerechtigkeit eine proportionale Gerechtigkeit; Aristoteles nennt es geometrische Proportion. 21 15
Dies konzediert auch Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 42. Dies sieht auch Larenz selbst (Methodenlehre, S. 424). Siehe weiter Stern, Handbuch des Staatsrechts, Band 1, § 20 IV 7 (S. 865); ders., in: FS Lerche, S. 165, 173 f., der ebenfalls „letztlich die Postulate der Gerechtigkeit, Güterabwägung und der Ausgewogenheit, des rechten Maßes“ hinter der Verhältnismäßigkeit sieht, aber auf deren schwere Konkretisierbarkeit hinweist. 17 So im Ergebnis auch Preis, Prinzipien des Kündigungsschutzes, S. 266 f., der bereits den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.w.S. als „Oberprinzip“ sieht, das unmittelbar der Gerechtigkeitsidee entspringt. 18 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V 5, 1130b-1131a. Die Begrifflichkeit kam erst im Mittelalter auf und geht auf Thomas von Aquin zurück. Teilweise wird die Bezeichnung iustitia correctiva verwendet, vgl. Honsell, FS Mayer-Maly, S. 287, 289. Zur Unterscheidung beider Gerechtigkeitsformen etwa Bien, in: Aristoteles: Nikomachische Ethik, S. 135, 150; Trude, Der Begriff der Gerechtigkeit in der aristotelischen Rechts- und Staatsphilosophie; R. Dreier, in: Einführung in das Recht, S. 95, 102 ff. Siehe auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 54 ff. 19 H. Otto, JZ 2005, 473, 474 f.; vgl. auch H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 98 ff. 20 Dazu Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 193 ff. 21 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V 7, 1131b. 16
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Zur Bestimmung der Gleichheit zwischen den von der Verteilung Begünstigten ist ein externes Kriterium erforderlich, das austauschbar ist. Aristoteles beschreibt es so: „Denn das Gerechte bei den Verteilungen muß nach einer bestimmten Angemessenheit 22 in Erscheinung treten; darin stimmen alle überein. Aber gerade unter dieser Angemessenheit verstehen nicht alle dasselbe: die Vertreter des demokratischen Prinzips meinen die Freiheit, die des oligarchischen den Reichtum oder den Geburtsadel und die Aristokraten den hohen Manneswert.“23
Dass der Gedanke der iustitia distributiva auch im römischen Recht großen Einfluss hatte, kommt in Ulpians Maxime ius suum cuique tribuere24 zum Ausdruck. Die Grundsätze der iustitia distributiva kommen nicht nur bei staatlichen Gütern zur Anwendung, sondern überall dort, wo Vorteile und Lasten auf die Mitglieder einer Gruppe zu verteilen sind.25 Auch hier gilt, dass bei gleicher „Würdigkeit“ der Mitglieder auch ein gleiches Teilhaberecht und umgekehrt eine gleiche Verpflichtung zur Übernahme von Lasten besteht. Dieses Proportionalprinzip verwirklicht etwa in Bezug auf die Verteilung von Überschuss bei der Auseinandersetzung die Vorschrift des § 734 BGB für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts: Die „Würdigkeit“ der Gesellschafter und damit die Höhe ihres Teilhaberechts bemisst sich nach dem Verhältnis ihrer Anteile. 26 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Vertragsrecht nicht die Domäne der iustitita distributiva ist. 27 Dies wird bereits sehr deutlich bei Aristoteles, der „im Bereich der vertraglichen Beziehungen von Mensch zu Mensch, der freiwilligen und der unfreiwilligen“ eine andere Form der Gerechtigkeit, die iustitia commutativa, als bestimmend ansieht.28 Treffend wurde die iustitia commutativa daher als „Gerechtigkeit ohne Ansehung der Person“ bezeichnet. 29 Ob dennoch 22 Andere verwenden den Begriff „Würdigkeit“, so die Übersetzungen von Olof Gigon und Eugen Rolfes; ebenso diejenige von Bien, in: Aristoteles: Nikomachische Ethik, S. 135, 154 f. 23 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V 6, 1131a. 24 D.1,1,1 § 1 (ebenso in Inst. 1,1,1): „Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi. Iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere.“ Vgl. auch die ähnliche Passage bei Thomas von Aquin, Summa theologiae, Secunda secundae, Quaestio LVIII, Art. 1 c: „Iustitiae est habitus secundum quem aliquis constanti et perpetua voluntate ius suum unicuique tribuit.“ Ähnlich auch die weitere Passage (Quaestio LVIII, Art. 11 c): „Proprius actus iustitiae nihil aliud est quam reddere unicuique quod suum est.“ Zur Bedeutung von Thomas von Aquin etwa Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 24 f. Siehe auch von der Pfordten, in: FS Starck, S. 99, 101 ff. 25 Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 4. Aufl., S. 218. 26 Vgl. bereits oben § 3 II. 3. b). Siehe auch Larenz, Richtiges Recht, S. 124 ff. 27 Honsell, FS Mayer-Maly, S 287, 291 ff., 295 ff. 28 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V 7, 1131b; dazu sogleich unter 2. (S. 362 ff.). 29 Vgl. Canaris, Iustitia distributiva, S. 11 m.w.N.; zustimmend Honsell, in: FS MayerMaly, S. 287, 294.
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distributive Elemente im Vertragsrecht eine Rolle spielen können oder sollen, ist Gegenstand einer fortwährenden Debatte. Im Grundsatz besteht Einigkeit, dass Verteilungsaufgaben vom öffentlichen Recht, insbesondere etwa vom Steuerrecht, übernommen werden müssen. Denn die Verteilungsgerechtigkeit kollidiert potentiell mit der Vertragsfreiheit; ein Marktteilnehmer muss sich gerade nicht zweckfinal verhalten, er kann auch irrational handeln und sich seine Vertragspartner aussuchen. Dies hat die Rechtsordnung zu respektieren.30 Dennoch sind in jüngerer Zeit immer weitere Ausnahmen geschaffen worden. Es handelt sich dabei um Normen, die politische Schutzerwägungen in das vertragliche Austauschverhältnis hineinbringen, etwa im Bereich des Arbeitnehmerschutzes,31 des Verbraucherschutzes32 oder verstärkt auch bei der Antidiskriminierungsgesetzgebung.33 Auch der DCFR sieht sich als Instrument der iustitia commutativa, akzeptiert aber distributive Elemente insbesondere dann, wenn sie zum Schutz des Verbrauchers erforderlich sind.34 Die Förderung einer auf Privatautonomie und Wettbewerb ausgerichteten Privatrechtsordnung (die also die kommutative Gerechtigkeit fördert), trägt wesentlich zur Erreichung von Verteilungsgerechtigkeit bei, indem sie den Bürgern einen leichten Zugang zu Gütern und Dienstleistungen ermöglicht. Die Einfügung distributiver Elemente in das Privatrecht muss daher Ausnahmecharakter haben.35
2. Iustitia commutativa: Gleichheit unter Gleichen Damit stehen die Rechtsbeziehungen zwischen Gleichgeordneten unter dem Postulat der iustitia commutativa. Aristoteles unterscheidet weiter zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Beziehungen:36 Als Beispiel für erstere nennt er 30 Dezidiert Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 287, 294 ff.; ebenso auch Canaris, Iustitia distributiva, S. 13 ff., 33, 73; ders., in: Law at the Turn of the 20th Century, S. 281, der jedoch einzelne Ausnahmen zulassen will. 31 Canaris, Iustitia distributiva, S. 35 ff., 63 ff., 78 ff. 32 Hiergegen grundsätzlich G. Wagner, ZEuP 2007, 180, 200 ff., 208 ff. (das Vertragsrecht sei ungeeignet zur Umverteilung, da sich jede entsprechende Maßnahme in entsprechend höheren Preisen auswirke und die Zielrichtung daher ins Gegenteil verkehre); positiv dagegen Hesselink, ERCL 2005, 44, 52. 33 Kritisch zum Regelungsziel des AGG exemplarisch Jauernig / Jauernig, Vorbem. AGG Rn. 4. 34 Von Bar / Clive / Schulte-Nölke, DCFR 2008 IE, Introduction Nr. 24. Kritisch dazu Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 534 f. 35 Canaris, Iustitia distributiva, S. 35 ff., nennt Mehrheitsbeschlüsse im Gesellschaftsrecht, Monopol- oder marktbeherrschende Unternehmen und das Arbeitsrecht als mögliche Anwendungsbereiche. Zur Ungeeignetheit des Vertragsrechts als Verteilungsmechanismus eingehend Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 273 ff., 283 ff. Zur ensprechenden Debatte um die Funktion des Vertragsrechts im anglo-amerikanischen Raum Zumbansen, 14 Ind. J. Global L. Stud. 191 (2007); zur „Contract Governance“ aus deutscher Sicht Möslein, JZ 2010, 72. 36 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V 5, 1131a.
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Kauf, Bürgschaft, Miete, Hinterlegung etc. und umreißt damit den Kernbereich dessen, was modern als Schuldvertragsrecht bezeichnet wird; als entscheidend sieht Aristoteles den beiderseitigen freien Willen der Parteien. Unfreiwillige Beziehungen entstehen hingegen durch Diebstahl, Ehebruch, Giftmischerei oder auch Misshandlung, Freiheitsberaubung und Totschlag, also durch unerlaubte Handlungen.37 Aufgabe der iustitia commutativa ist dabei der Ausgleich der durch die (freiwillige oder unfreiwillige) Handlung geschaffenen Ungleichheit, von Aristoteles arithmetische Proportionalität genannt.38 Im Unterschied zur iustitia distributiva, die die jeweilige persönliche Eigenschaft des Empfängers als Zuteilungskriterium ansieht, fordert die ausgleichende Gerechtigkeit eine Herstellung von Gleichheit ohne Ansehung der Person. Ob nun ein Armer einen Reichen getötet hat oder ein Reicher einen Armen: Der Ausgleich hat in beiden Fällen gleich auszusehen. Als Maßstab für den Ausgleich sieht Aristoteles das Geld.39 Betrachtet man die Bedeutung der iustitia commutativa im Bereich des Vertragsrechts, so entspricht ihr hier das (subjektive) Äquivalenzprinzip.40 Dieses fordert nicht die objektive Gleichheit von Leistung und Gegenleistung, es fordert nicht den gerechten Preis.41 Wenn Äquivalenz Gleichheit zwischen den parteilichen Leistungen meint, dann kann die Verhältnismäßigkeit dazu dienen, eine Abweichung davon zu beschreiben oder auch eine Grenze für deren Zulässigkeit festzulegen. Der einfachste Fall hiervon ist das Institut der laesio enormis, das die Ungleichheit – oder Unverhältnismäßigkeit – starr dahingehend konkretisiert, dass sie immer beim Doppelten des gemeinen Werts des Kaufgegenstandes anzusiedeln ist.42 37
Eine Unterscheidung zwischen (öffentlichem) Strafrecht und Privatrecht war damals nicht bekannt. 38 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V 7, 1132a. 39 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V 8, 1133a–1133b. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Fälle des strukturellen Ungleichgewichts nur schwer als Anwendungsbeispiele der iustitia commutativa deuten, da ein (Macht-)Ungleichgewicht zwischen den Parteien nach dem Konzept von vornherein keine Rolle spielt (siehe § 3 II. 2. b) – (S. 21). 40 Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 32 ff. Vgl. auch Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 877, der die iustitia commutativa im Sinne einer „Tauschgerechtigkeit“ sieht und demnach auf das materiale Äquivalenzprinzip abstellt. 41 Kritisch zum Begriff der Tauschgerechtigkeit Canaris, Iustitia distributiva, S. 11 mit Fn. 10 (er habe der bereits bei Thomas von Aquin festzustellenden Fehlinterpretation Vorschub geleistet, Aristoteles sei es um einen gerechten Preis gegangen). 42 Der mittelalterlichen Lehre vom iustum pretium (dazu bereits oben § 5 I. 1. – S. 45 ff.) lag die Vorstellung zugrunde, dass jedes Gut einen ihm eigenen Wert im Sinne eines objektiv angemessenen Preises habe. Nicht erst die laesio enormis markierte danach die Grenze des Anstößigen, sondern jede Abweichung vom iustum pretium. Verhältnismäßigkeit heißt in dieser extremen Haltung nichts anderes als Gleichheit. In diese Richtung auch heute noch Gordley, (1981) 69 California Law Review 1587, 1625, der jede Abweichung vom Marktpreis als Verletzung der iustitia commutativa sieht. Kritisch dazu Canaris, Iustitia distributiva, S. 18 mit Fn. 15; 57 ff.; zu Gordleys Ansatz auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 89 ff.
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Der heutige Wuchertatbestand verfeinert dies durch die Normierung des groben Missverhältnisses und überdies durch die Ankoppelung an den objektiven Maßstab der Sittenwidrigkeit. Eine vergleichsweise moderne Idee ist demgegenüber die Vorstellung, dass auch nachträgliche Änderungen der vertragswesentlichen Umstände über die clausula rebus sic stantibus und deren verschiedenen Nachfahren zu einem Abrücken von der vertraglichen Vereinbarung berechtigen können.43 Der Gedanke der iustitita commutativa kann auch auf vertragliche Nebenpflichten übertragen werden.44 Dies ist schon deshalb notwendig, weil die Betrachtung der Hauptleistungspflichten alleine zur Bestimmung der Austauschgerechtigkeit nicht ausreicht. Die zwischen den Parteien bestehende ungleiche Verteilung von Rechten und Pflichten ist in diesem Bereich nur schwerer zu bestimmen als bei den Hauptleistungspflichten. § 307 Abs. 1 BGB stellt hier auf eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners ab.
3. Verhältnismäßigkeit als Gleichheit? Kann vor diesem Hintergrund der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus der Geltung des Gleichheitssatzes heraus erklärt werden? Bezeichnet die Verhältnismäßigkeit diejenige Abweichung von der Gleichheit, die noch tolerabel ist? Etwa für Wieacker stammt die „letzte Rechtfertigung“ des Verhältnismäßigkeitsprinzips insoweit aus dem Gleichheitssatz, als „eine notwendige und allgemeine, also jeweils bestimmbare Proportion zwischen Sachverhalt und Rechtsfolge, Zustand und Abhilfe, Tat und Strafe schon aus dem Gleichheitsgrundsatz folgt, der seinerseits im Wesen der Rechtsnorm selbst als einer allgemeinen Regel begründet ist“.45 Die Gerechtigkeitskonzeption von Aristoteles, dessen Ideal vom rechten Maß, scheint Gleichheit und Verhältnismäßigkeit gleichermaßen zu umfassen. Denn Gleichheit impliziert auch hier nicht schematische Gleichbehandlung, sondern lässt einen Spielraum, der wiederum vom Kriterium der Verhältnismäßigkeit ausgefüllt werden kann.46 Wenn auch anzuerkennen ist, dass Gleich43
Dazu bereits oben § 14 (S. 254 ff.). Dazu ausführlich Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 81 ff., 107 ff. Im Ergebnis auch H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 123 f. 45 Vgl. Wieacker, FS. R. Fischer, S. 867, 877 (Hervorhebung im Original); zustimmend H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 116; dagegen Muller, ZSR 97, II (1978), 197, 211. Wieacker sieht aber wohl die iustitia commutativa als bloßen Unterfall der iustitia distributiva; ebenso etwa Radbruch, Rechtspilosophie, S. 122; H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 100. Dass beide Gerechtigkeitsformen aber nach dem aristotelischen Konzept gleichberechtigt sind, ergibt sich bereits daraus, dass die Austauschgerechtigkeit mindestens genauso fundamental das menschliche Dasein betrifft wie die ausgleichende Gerechtigkeit, vgl. Canaris, Iustitia distributiva, S. 26 ff. 46 Vgl. Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 34. 44
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heitssatz und Verhältnismäßigkeitspostulat unterschiedliche Bewertungselemente beinhalten und sich insoweit strukturell voneinander unterscheiden,47 so sind sie doch eng miteinander verwandt: Die Verhältnismäßigkeit stellt das zulässige Maß von Ungleichheit heraus, wo eine vollkommene Gleichheit nicht gefordert wird.48 So verlangt das Vertragsrecht keine exakte Gleichheit von Leistung und Gegenleistung, aber es verbietet eine übermäßige (und damit unverhältnismäßige) Ungleichheit.49 Damit erscheint es zutreffend, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit als grundlegende Gerechtigkeitspostulate50 und damit als zwei Seiten derselben Medaille zu bezeichnen.51
4. Die Behandlung der „Eingriffsfälle“ Es hat sich gezeigt, dass das Vertragsrecht primär die Domäne der iustitia commutativa ist und dass es hier das Äquivalenzprinzip ist, das die Gleichheit festlegt, die Verhältnismäßigkeit wiederum als Maßstab für Abweichungen hiervon dient. Wie sind nun aber die Fälle einzuordnen, in denen die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung, von vertraglichen Rechten und Pflichten, im Ausgangspunkt gegeben ist, die eine Partei jedoch durch die Geltendmachung eines vertraglichen Rechts in die Interessen der anderen eingreift? Die iustitia commutativa scheint hier keinen Ausgleich zu fordern, stellt sie doch primär auf das ursprüngliche Austauschverhältnis und dessen Äquivalenz ab. Insbeson47 Vgl. Lerche, Übermaß und Verfasssungsrecht, S. 29 ff., 40 ff.; im Ergebnis ebenso Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 122. 48 So Larenz, Richtiges Recht, S. 124 ff. (der Verhältnismäßigkeit als „relativierte Gleichheit“ bezeichnet); ähnlich H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 115, der eine „enge strukturelle Verwandtschaft“ zwischen Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz konstatiert. Perlingieri, Rass. dir. civ., 2001, 334, 339 sieht den Gleichbehandlungsgrundsatz, die Solidarität und die Vernunft als wesentliche Säulen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. 49 Perlingieri, Rass. dir. civ., 2001, 334, 347; ebenso Polidori, Rass. dir. civ., 2004, 686, 691 f. 50 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 111 ff., 208, bezeichnet den Gleichheitssatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip gemeinsam als oberste Grundsätze des Rechts. Er verweist insoweit auf Arnold Brecht, Politische Theorie, der Gleichheit und Verhältnismäßigkeit als universal und invariant geltende Gerechtigkeitspostulate und als die beiden abstraktesten und formalsten Denkkategorien ansieht, die dem menschlichen Rechtsdenken überhaupt zur Verfügung stehen und ihm insoweit „vorgegeben“ sind; ähnlich Larenz, Richtiges Recht, S. 124 ff. Auch das BVerfG hat den Gleichheitssatz als überpositiven Rechtsgrundsatz bezeichnet, vgl. BVerfGE 1, 208, 233 („Endlich gehört die Gleichheit vor dem Gesetz so sehr zu den Grundbestandteilen unserer verfassungsmäßigen Ordnung, daß auf den überpositiven Rechtsgrundsatz zurückgegriffen werden müßte, wenn der Gleichheitssatz nicht in Art. 3 GG geschriebenes Verfassungsrecht geworden wäre.“). 51 Gegen eine Vermengung von „gleichheitsbezogener Gerechtigkeit“ und Verhältnismäßigkeit Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 107 f. m.w.N. (aber nur aus verfassungsrechtlicher Perspektive und gegen den Ansatz, die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus dem Willkürverbot abzuleiten).
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dere Coing hat zur Behandlung dieser Fälle eine dritte Gerechtigkeitsform genannt, die iustitia protectiva.52 Diese diene der Beschränkung von Macht über andere Menschen, die ihrer Natur nach zum Missbrauch neige, und zwar durch die Zwecksetzung, aus der sich die konkrete Machtbefugnis rechtfertigt. Dies gelte nicht nur im Verhältnis Staat-Bürger, sondern überall dort, wo „Machtverhältnisse in den Bereich des Rechts treten“.53 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränke hier die Machtausübung auf dasjenige, was noch vom ursprünglichen Zweck gedeckt ist.54 Diese Konzeption soll auch dort gelten, wo ein Vertragspartner durch die Ausübung eines Gestaltungsrechts einseitig in die Sphäre der anderen Partei eingreifen kann.55 Insbesondere dort, wo der Eingriff nicht mehr durch das Einverständnis des Betroffenen legitimiert sei, greife das Prinzip des überwiegenden Interesses, das dem Eingreifenden die Argumentationslast dafür auferlege, dass die Rechtsausübung angemessen sei.56 So beifallswürdig der Ansatz ist, Macht auch dann zu beschränken, wenn sie zwischen Privaten ausgeübt wird, so schwierig bleibt in einem Vertragsverhältnis die Bestimmung dessen, wann eine privatheteronome Vereinbarung vorliegt, die die Ausübung eines Gestaltungsrechts als Machtentfaltung ansehen lässt. 57 Nach klassischer Zivilrechtsdiktion handelt es sich bei den so verstandenen Fällen der Machtausübung sämtlich um Probleme der Ausübungskontrolle, die der Schrankenfunktion von § 242 BGB unterfallen können.58
52 Grundlegend Coing, Die obersten Grundsätze des Rechts, S. 48; vgl. auch dens., Grundzüge der Rechtsphilosophie, 4. Aufl., S. 220 ff.; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 408. Ähnlich der Ansatz von Auffermann, Verhältnismäßigkeit, S. 72 ff., der in der Sache vergleichbar von der „sozialen Gerechtigkeit“ als weiterer Gerechtigkeitsform spricht und hierin die Legitimation der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht sieht. 53 Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 4. Aufl., S. 223. Für das Privatrecht nennt Coing das Verhältnis von Monopolist und Vertragsgegner sowie von Verein zu Mitglied. Vergleichbar wiederum Auffermann, Verhältnismäßigkeit, S. 89 f., 264, nach dem die Verhältnismäßigkeit zur Begrenzung der Beeinträchtigung von schützenswerten Interessen bei Vorliegen eines „Subordinationsverhältnisses“ diene. 54 Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 4. Aufl., S. 221. Auffermann, Verhältnismäßigkeit, S. 264 bezeichnet die Verhältnismäßigkeit als „Grundsatz der zurückhaltenden Machtausübung“. 55 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 102 f. 56 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 107 f. 57 Vgl. Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 108 Fn. 469; zum Konzept Hanaus bereits oben § 17 IV. (S. 311 ff.). Ablehnend zum Eingriffsgedanken als Rechtfertigung einer Verhältnismäßigkeitskontrolle im Gesellschaftsrecht Tettinger, Materielle Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluß, S. 107 ff. 58 Dazu näher unten § 22 sowie § 23 II. (S. 384 ff. bzw. S. 423 ff.).
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III. Verhältnismäßigkeit als Zweckrationalität Bislang wurde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter dem Aspekt der Vertragsgerechtigkeit betrachtet. Es wurde untersucht, inwieweit eine Verhältnismäßigkeitsprüfung einen gerechten Ausgleich zwischen den Parteien herbeizuführen imstande ist. Eine andere Perspektive ist demgegenüber diejenige, die die Verhältnismäßigkeit vor dem Hintergrund der Zweckrationalität des Rechts untersucht.59 Beide Perspektiven sind nicht identisch; erstere enthält eine rechtsethische Dimension, letztere nicht.60 Seit der Aufklärung hat der Gedanke Einzug in das rechtliche Denken gehalten, dass das Recht nützlich sein muss: der Gemeinschaft insgesamt und auch den einzelnen Individuen.61
1. Grundlagen a) Zweckbetrachtungen im Recht Die Willenstheorie Savignys und Windscheids basierte auf der Grundlage, dass der Einzelne von der Rechtsordnung einen Freiraum zugewiesen bekommt, innerhalb dessen sein Handeln rechtlich nicht kontrolliert wird: Dieser Freiraum ist das subjektive Recht. Savigny sieht das subjektive Recht als „die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht, und mit unserer Einstimmung herrscht“.62 Der Zweck der Rechtsausübung ist von diesem Standpunkt aus gesehen irrelevant, solange dadurch nicht die Rechte anderer Personen verletzt werden. Dieser Auffassung der Zweckfreiheit des subjektiven Rechts und seiner Ausübung trat insbesondere Rudolf von Jhering entgegen.63 Er hielt dafür, „daß der 59
Der Begriff geht auf Max Weber zurück; vgl. dazu Th. Raiser, JZ 2008, 853. Ebenso in Bezug auf den Grundsatz der Vertragstreue U. Huber, Leistungsstörungen, Band I, § 2 V 3 (S. 48 f.). 61 Zur Entwicklung insbesondere im 19. Jahrhundert Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 450 ff., 563 ff. Dass eine Einteilung des Rechts nach seinen Zwecken eine viel längere Tradition hat, zeigt bereits Ulpians klassischer Satz publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem (Ulp. inst. D. 1, 1, 1, 2 = Inst. 1, 1, 4), vgl. dazu Kaser, Das römische Privatrecht, Band 1, S. 197 f. Zum Spannungsverhältnis zwischen Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit auch von der Pfordten, in: FS Starck, S. 99, 101 ff. 62 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band I, S. 7; ähnlich Windscheid, Die actio des römischen Civilrechts, S. 3 (Zuweisung eines „Herrschaftskreises“, in dem „sein Wille Gesetz für die anderen Individuen ist“). 63 Dies soll nicht verdecken, dass auch den Vertretern der Willenstheorie Zweckdenken nicht fremd war, nur war es für sie nicht Teil der Definition des subjektiven Rechts, vgl. Windscheid / Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band I, § 37. Willenstheorie und Interessentheorie stellen daher nicht unvereinbare Gegensätze dar; dies zeigt die heute wohl vorherrschende Definition des subjektiven Rechts, die beide Elemente vereint, vgl. dazu nur Larenz / Wolf, AT, § 14 Rn. 11, wo das subjektive Recht unter Verweis auf Savigny als „eine dem einzelnen zwecks Befriedigung seiner Bedürfnisse durch die Rechtsordnung zuerkannte und 60
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Zweck der Schöpfer des gesamten Rechts ist, daß es keinen Rechtssatz gibt, der nicht einem Zweck, d.i. einem praktischen Motiv seinen Ursprung verdankt“.64 Diesen Zweck sah er in der „Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft“, also insbesondere die Gewährleistung der materiellen Grundlagen des menschlichen „Daseins“ wie Essen, Trinken, Kleidung, Wohnung.65 Zu den Lebensbedingungen gehört für Jhering aber auch das individuelle „Wohlsein“, nämlich „alles, was das Ziel des menschlichen Ringens und Strebens bildet: Ehre, Liebe, Tätigkeit, Bildung, Religion, Kunst, Wissenschaft“.66 Für Jhering war die Willensbetätigung – und mit ihr das subjektive Recht – demnach nicht Selbstzweck, sondern erfuhr ihre Rechtfertigung darin, dass sie dem individuellen Dasein oder Wohlsein, oder anders ausgedrückt, den Interessen des Inhabers nützte: „Kein Recht ist seiner selbst wegen oder des Willens wegen da, jedes Recht findet seine Zweckbestimmung und seine Rechtfertigung darin, daß es das Dasein oder Wohlsein fördert, kurz in dem Nutzen […].“67 Jhering fügt dem formalen Rechtsbegriff der Willenstheorie damit ein „substantielles Element“ hinzu: Recht ist für ihn ein „rechtlich geschützte[s] Interesse“. 68 Welches Interesse wiederum geschützt wird, liegt für Jhering im Ermessen des Gesetzgebers; dieser kann unterschiedliche Interessen je nach den bestehenden Lebensbedingungen verschieden stark schützen. 69 Wenn aber das Recht ausschließlich zweckdienlich ist, dann muss es sich auch daran messen lassen, inwieweit ein bestimmtes Ziel tatsächlich durch eine Regelung erreicht wird. Eine Regel darf daher nicht weiter gehen, als zur Erreichung des damit verfolgten Zwecks notwendig ist. Für die Ausübung eines vertraglich begründeten Rechts könnte dies bedeuten, dass das Recht dieses nur dann schützt, wenn ein Interesse an der Geltendmachung im konkreten Fall besteht. Diese Konsequenz zog Jhering indessen nicht: Hat der Gesetzgeber einmal die Berechtigung eines privaten Interesses grundsätzlich anerkannt, so muss nicht in jedem Einzelfall das Fortbestehen dieses Interesses nachgewiesen werden. Die interessenlose Geltendmachung von „ansich im Rechte gestatteten Befugnissen“ ist für Jhering nur da untersagt, wo das Gesetz sie ausdrücklich gesicherte Willensmacht oder gleichbedeutend eine Rechtsmacht […] als ein festes, der Person zugeeignetes Machtverhältnis, in dem ihr Wille herrscht“ umschrieben wird. Zu den beiden Ansätzen und ihren heutigen Ausprägungen Auer, AcP 208 (2008), 584, 593 ff. 64 Von Jhering, Der Zweck im Recht, Band I, S. V. Zum Begriff des Zwecks in Jherings Schriften und dessen Einordnung aus rechtsphilosophischer Sicht eingehend Pleister, Persönlichkeit, Wille und Freiheit im Werke Jherings, S. 221 ff. 65 Von Jhering, Der Zweck im Recht, Band I, S. 443. 66 Von Jhering, Der Zweck im Recht, Band I, S. 444 f. 67 Von Jhering, Geist des Römischen Rechts, 3. Teil, S. 350. 68 Von Jhering, Geist des Römischen Rechts, 3. Teil, S. 339. 69 Von Jhering, Geist des Römischen Rechts, 3. Teil, S. 343. Zu Jherings Interessentheorie aus heutiger Sicht G. Wagner, AcP 193 (1993), 319, 338 ff.; zu Jherings Hauptwerken „Geist“ und „Zweck“ eingehend Rückert, Rg 5 (2004), 128; Rg 6 (2005), 122.
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verbiete. Die „Sicherheit der Rechtsordnung […] würde preisgegeben, wenn die Geltendmachung der Rechte prinzipiell an den Nachweis des Interesses“ seitens des Rechteinhabers geknüpft wäre.70 Nur dann, wenn dem Rechteinhaber jedes Interesse an der Geltendmachung fehlt, kann der Schikaneeinwand greifen. 71 Dem dürfte die Auslegung des § 226 BGB durch das Reichsgericht entsprechen, das es für die Geltendmachung eines Rechts bereits genügen ließ, wenn hierfür irgendein legitimer Zweck zumindest mitbestimmend ist.72 Für das heute geltende Vertragsrecht wurde bereits dargelegt, dass Zweckbetrachtungen regelmäßig keine Rolle spielen: Die Ausübung eines vertraglich vereinbarten Rechts trägt ihren Zweck in sich selbst. Auch wenn das in § 226 BGB normierte Schikaneverbot als zu eng angesehen wurde – die Rechtsausübung ist unzulässig, wenn sie nur Schädigungszwecke verfolgt –, so wird sie doch als eine Fallgruppe des Rechtsmissbrauchs in § 242 BGB eingeordnet: Ein schutzwürdiges Eigeninteresse fehlt jedenfalls dann, wenn mit der Rechtsausübung nur vertragsfremde Zwecke verfolgt werden.73 b) Utilitarismus Jherings Zwecklehre weist enge Bezüge zum Utilitarismus auf.74 Diese philosophische Strömung, die insbesondere auf Jeremy Bentham und John Stuart Mill zurückgeht, basiert auf der Annahme, dass jedes menschliche Handeln auf die Vermeidung von Schmerz und die Steigerung von Freude ausgerichtet ist.75 Darauf basiert das Prinzip der Nützlichkeit (principle of utility), das zentral für den Utilitarismus ist: Nützlich ist eine Handlung dann, wenn sie der Steigerung des eigenen und auch des kollektiven Wohlbefindens zu dienen geeignet ist. Dies gilt gleichermaßen für individuelles wie für staatliches Handeln. Bentham drückt dies folgendermaßen aus: „A measure of government (which is but a particular kind of action, performed by a particular person or persons) may be said to be conformable to or dictated by the principle of utility, when … the tendency which it has to augment the happiness of the community is greater than any which it has to diminish it.“76
70
Jhering, JherJb. 32 (1893), 41, 68. Jhering, JherJb. 32 (1893), 41, 68. 72 RGZ 98, 15, 17; dazu bereits oben § 18 I. 1. a) aa) (S. 320 ff.). Zur Entwicklung eingehend HKK / Haferkamp, §§ 226–231, Rn. 12 ff. sowie § 242 Rn. 45 ff. 73 Siehe die Rechtsprechungsnachweise bei Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 38. Näher dazu auch unten bei Fn. 231. 74 Dazu auch Auer, AcP 208 (2008), 584, 596 ff. 75 So die berühmte Einleitung zu Benthams Hauptwerk (An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, Ch. I sec. I): „Nature has placed mankind under the governance of two sovereign masters, pain and pleasure. It is for them alone to point out what we ought to do, as well as to determine what we shall do“ (Hervorhebung im Original). 76 Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, Ch. I sec. VII. 71
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Nützlich ist also jede Handlung, die tendenziell die Wohlfahrt der Gemeinschaft insgesamt, die Bentham als Summe der individuellen Wohlfahrt aller Mitglieder sieht, steigert.77 Umgekehrt ist eine Handlung, die der Steigerung der so definierten Wohlfahrt nicht dient, aus dieser Sicht nicht nützlich und damit auch nicht erwünscht.78 Jede Handlung kann anhand des Kriteriums der Nützlichkeit beurteilt werden: Wirkt sie wohlfahrtssteigernd oder nicht? Wenn die Utilitätsthese Handlungen aber danach beurteilt, welche Folgen sie auslöst, so muss sie auch definieren, wann diese Folgen nützlich sind, also glückssteigernd. Die hierbei zwangsläufig entstehenden Schwierigkeiten bilden auch den Haupteinwand gegen die Utilitätsthese, einerseits wegen ihrer Unschärfe, andererseits deswegen, weil für sie nur das in der Summe aller entstehende Glück relevant ist und daher negative Auswirkungen auf einzelne Personen oder Gruppen insgesamt betrachtet möglicherweise nicht ins Gewicht fallen. 79
2. Ökonomische Analyse des Rechts Der Utilitarismus bildet ungeachtet der gegen ihn gerichteten Kritikpunkte die Grundlage für eine ökonomische Betrachtung des Rechts, deren Vielzahl von Einzelströmungen unter dem Begriff „Law and Economics“ zusammengefasst werden kann.80 Auch die ökonomische Analyse beurteilt eine Handlung anhand der durch sie ausgelösten Folgen. Eine Handlung wird immer relativ zu dem von ihr verfolgten Zweck gesehen. Im Gegensatz zum Utilitarismus benthamscher Prägung geht es der ökonomischen Analyse nicht um den Nutzen als Glückseligkeit, sie konzentriert sich alleine auf das in Geld messbare Vermögen der Marktteilnehmer, vermeidet also die Fragwürdigkeit des utilitaristischen Anspruchs, das individuelle Glück messen zu können. Vielmehr liegt es an jedem Marktteilnehmer selbst zu entscheiden, was für ihn von Nutzen ist. In Bezug auf das Vertragsrecht nimmt die ökonomische Analyse des Rechts eine liberale Grundhaltung ein: Einen funktionierenden Markt vorausgesetzt, beinhaltet der Vertrag für sie einen zwischen den (rationalen, nutzenmaximierenden)
77
Siehe Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 22 ff. Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, Ch. I sec. X. 79 Zur Kritik Rawls, A Theory of Justice, S. 19 ff.; Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 231 ff., 272 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 187 ff. m.w.N.; Unberath, Vertragsverletzung, S. 112. 80 Vgl. etwa Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 38 ff.; van Aaken, „Rational choice“ in der Rechtswissenschaft; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht; Kirchner, in: Europäische Methodenlehre, S. 23, 39. Dies soll nicht verdecken, dass viele Vertreter der ökonomischen Analyse den klassischen Utilitarismus ablehnen, vgl. Unberath, Vertragsverletzung, S. 127 f. mit Fn. 125. Zur Beziehung zwischen beiden Strömungen Behrens, in: Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, S. 35. 78
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Parteien optimalen Interessenausgleich, da diese selbst am besten ihre Interessen zu vertreten imstande sind.81 Die klassische ökonomische Analyse des Rechts geht davon aus, dass die einzelnen Marktteilnehmer rational handeln mit dem Ziel, ihren Eigennutz zu steigern, und dass der Zweck des Rechts in einer Steuerung dieses Verhaltens im Sinne einer effizienten Allokation knapper Ressourcen bestehe. 82 Transaktionskosten werden ausgeblendet. Zur Ermittlung der Effizienz rechtlicher Regeln werden zwei Wege befürwortet, die jeweils den homo oeconomicus betreffen, also auf der Annahme basieren, dass alle Marktteilnehmer informiert sind und auf der Basis dieser Information rational und nutzenmaximierend handeln.83 Ursprünglich wurde vor allem das sogenannten Pareto-Kriterium herangezogen: Die Veränderung eines sozialen Zustandes ist dann vorzugswürdig (Pareto-superior), wenn ihn mindestens eine Person vorzieht und alle anderen dem indifferent gegenüberstehen. Der Pareto-optimale Zustand ist dann erreicht, wenn das Ergebnis einer Güterallokation nicht mehr so verändert werden kann, dass niemand schlechter steht als vorher und mindestens eine Person besser.84 Es liegt auf der Hand, dass – je nach Größe und Diversität der Bezugsgruppe – eine Pareto-Effizienz nur sehr selten erreichbar ist. 85 Einen differenzierteren Effizienzmaßstab enthält das so genannten KaldorHicks-Kriterium: Danach ist ein Zustand dann besser als ein anderer, wenn ihn mindestens eine Person dem vorherigen vorzieht, auch wenn andere schlechter stehen, sofern die besser stehende Gruppe theoretisch im Stande wäre, die schlechter stehende zu kompensieren, und dann noch immer ein Restvorteil
81
Vgl. Smith, Contract Theory, S. 110; Unberath, Vertragsverletzung, S. 136 f.; E. Posner, 112 Yale L.J. 829, 863 (2003). 82 Vgl. nur Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 1; Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 117 f.; kritisch zum neoklassischen Modell etwa Kirchner, in: Europäische Methodenlehre, S. 31, 39 f. 83 Der neoklassische Ansatz wurde in vielerlei Hinsicht modifiziert, etwa durch den institutionenökonomischen Ansatz, hierzu Kirchner, in: Europäische Methodenlehre, S. 23, 40 ff. m.w.N. Prämissen sind u.a.: keine vollkommene Rationalität der Marktteilnehmer, systematisch unvollkommene Information, Existenz positiver Transaktionskosten. Im Ergebnis handelt es sich dabei um eine Variante der Güterabwägung (Kirchner, in: Europäische Methodenlehre, S. 43), wobei kein abstrakt-genereller, sondern ein individueller Maßstab gewählt wird. Aktuell diskutiert wird insbesondere der behavioristische Ansatz, der das Modell des homo oeconomicus nach kognitionspsychologischen Erkenntnissen modifiziert, dazu auch Korobkin / Ulen, 88 Cal. L. Rev. 1053 (2000); Eidenmüller, JZ 2005, 216. Vgl. zur Kritik auch Smith, Contract Theory, S. 119 ff. 84 Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 24 ff.; Grundmann / Hoerning, in: Ökonomische Analyse, S. 420, 426. 85 R. Posner, Economic Analysis of Law, S. 14; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 48 ff.
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bleibt.86 Im Gegensatz zum Pareto-Kriterium basiert die Kaldor-Hicks-Effizienz – insoweit ähnelt sie der Utilitätsthese – wieder auf der Annahme, dass der Nachteil, den eine Person erleidet, durch einen größeren Vorteil einer anderen ausgeglichen werden kann. Es sieht sich daher dem Vorwurf ausgesetzt, dass Effizienz auch dann angenommen wird, wenn eine Person dem Wohle der Gruppe „geopfert“ wird.87 Das Kaldor-Hicks-Kriterium hat im Bereich des hier untersuchten Vertragsrechts eine weitere Schwäche: Es ist kaum anzunehmen, dass ein rationaler, nutzenmaximierender Marktteilnehmer einer Veränderung zustimmen würde, die ihn bei einer ihn benachteiligenden Veränderung real entschädigungslos stellen würde.88 Für die hier verfolgten Zwecke wird daher auf der Basis des neoklassischen Modells das Pareto-Kriterium verwendet.
3. Effizienz der Verhältnismäßigkeit Die ökonomische Analyse des Vertragsrechts betrachtet die Folgen, die ein Vertrag und seine Durchführung unter Effizienzgesichtspunkten hat. Dies kann sie grundsätzlich unabhängig von der tatsächlichen normativen Ausgestaltung des geltenden Vertragsrechts tun. So kann etwa abstrakt gefragt werden, unter welchen Voraussetzungen der Bruch einer vertraglichen Verpflichtung ökonomisch gesehen effizient ist (efficient breach). Bewegt man sich aber innerhalb des durch das geltende Recht gesteckten Rahmens, so kann es nur darum gehen, die Effizienz der geltenden Regeln zu beurteilen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Auslegung einer Norm Effizienzkriterien folgen kann.89 Vorab sei bemerkt, dass die fehlende Geltung des Teilgrundsatzes der Erforderlichkeit im Vertragsrecht90 auch durch das ökonomische Prinzip unmittelbar einleuchtend erklärt wird: Geht man davon aus, dass es Ziel jedes rationalen Akteurs am Markt sein muss, mit möglichst geringem Aufwand das gesetzte Ziel zu erreichen bzw. mit den vorhandenen knappen Ressourcen einen möglichst weitgehenden Ertrag zu erzielen, so wird sich der homo oeconomicus von vornherein so verhalten, dass der Vertragszweck mit geringstmöglichem Aufwand erfüllt wird. Das Kennzeichen des Grundsatzes der Erforderlichkeit, der
86
Auf eine tatsächliche Kompensation kommt es hingegen nicht an (würde diese geleistet, dann wäre auch das Pareto-Kriterium erfüllt), vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 51 ff.; Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 31 ff. 87 Vgl. Unberath, Vertragsverletzung, S. 127 f., 151 f., 158 m.w.N. 88 Grundmann / Hoerning, in: Ökonomische Analyse, S. 420, 427, 431 Fn. 29; Weller, Vertragstreue, S. 349 ff. 89 Zur grundsätzlichen Kritik an den Prämissen und dem Geltungsanspruch der ökonomischen Analyse des Rechts schon früh Horn, AcP 176 (1976), 307; vgl. weiter Fezer, JZ 1986, 817, 821 ff.; dens., JZ 1988, 223 ff.; Rittner, JZ 2005, 668 ff. 90 Dazu oben § 18 I. 1. a) (S. 319 ff.).
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möglichst schonende Eingriff in die Rechte anderer, spielt aus diesem Blickwinkel keine Rolle.91 a) Effizienz des Vertragsbruchs Die Theorie des effizienten Vertragsbruchs (efficient breach) besagt, dass eine vertragliche Verpflichtung aus ökonomischer Sicht dann nicht erfüllt werden sollte, wenn sie zu einer Ressourcenverschwendung führt, also ineffizient ist.92 Dies soll einerseits dann der Fall sein, wenn die für den Schuldner entstehenden Kosten der Vertragserfüllung den dadurch beim Gläubiger generierten Nutzen übersteigen, etwa aufgrund gestiegener Beschaffungskosten.93 In diesem Fall verhilft der Vertragsbruch dem Schuldner zur Minimierung seines Verlustes. Andererseits wird ein Vertragsbruch bereits dann als effizient angesehen, wenn der Schuldner nach Vertragsschluss ein höheres Angebot für den Vertragsgegenstand erhält, sofern dieses ihm erlaubt, das Erfüllungsinteresse des Gläubigers zu befriedigen. In diesem Fall liege eine pareto-superiore Situation vor; zudem sei die Sache dorthin gelangt, wo sie den größten Nutzen stifte – nämlich zu demjenigen, der am meisten dafür zu bezahlen bereit ist.94 In dieser Konstellation dient der Vertragsbruch also zur Gewinnmaximierung. Auch wenn genau dasselbe Ergebnis dadurch erzielbar wäre, dass der Dritte das Gut dem Gläubiger zum höheren Preis abkauft,95 so brächte dies die Durchführung zweier Vertragsverhältnisse und damit höhere Transaktionskosten mit sich.96 Faktisch führt die Vertragsbruchlehre zu einer Durchbrechung des Naturalerfüllungsgrundsatzes: Dem Schuldner wird im Ergebnis ein Wahlrecht zuge91 Anders mag die Situation im öffentlichen Recht zu beurteilen sein: Hier wird der Grundsatz der Erforderlichkeit verbreitet als Ausprägung des ökonomischen Prinzips gesehen, vgl. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 22 f.; ebenso Auffermann, Verhältnismäßigkeit, S. 11; d’Avoine, Die Entwicklung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, S. 28 ff. Zur Pareto-Optimalität bei der Erforderlichkeitsprüfung eingehend Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 168 ff.; Dechsling, Verhältnismäßigkeit, S. 51 ff. 92 Stellvertretend für viele R. Posner, Economic Analysis of Law, S. 56. Das Problem des efficient breach stellt sich nur bei einem unvollkommenen Vertrag, also dann, wenn die negative Kosten-Nutzen-Bilanz den Parteien bei Vertragsschluss nicht bekannt ist; eine rational handelnde Partei würde einen solchen Vertrag in Kenntnis der Umstände von vornherein nicht abschließen. Allgemein zur ökonomischen Analyse des kontinentalen Vertragsrechts Hatzis, in: The Architecture of European Codes and Contract Law, S. 159. 93 Vgl. Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 456. 94 Dies liegt nach dem sog. Coase-Theorem in der Natur des Marktes: In einem perfekten Markt, so Coase, strebten die Güter (property rights) unabhängig von der anfänglichen Verteilung zu demjenigen Marktteilnehmer, dem sie den größten Nutzen stiften: Das ist derjenige, der den höchsten Preis dafür bezahlt; auf diese Weise werde notwendig in der Endallokation das Pareto-Optimum erreicht. Vgl. Coase, Journal of Law and Economics, 3 (1960), 1. Siehe dazu etwa Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 102 ff., dort auch Nachweise zur Kritik an den Prämissen des Modells von Coase. 95 So die Lösung nach der Coase’schen Auffassung, siehe Fn. 94. 96 R. Posner, Economic Analysis of Law, S. 61.
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standen zwischen der Erfüllung in Natur und dem Ersatz des positiven Interesses. Dieses wäre gebunden an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung dergestalt, dass die Kosten, die dem Schuldner durch die Vertragsdurchführung entstehen, dem für den Gläubiger daraus erwachsenden Nutzen gegenübergestellt werden. Die Notwendigkeit einer Abwägung bestünde nicht, da in den Kosten-NutzenVergleich ausschließlich quantifizierbare, in Geldwerten auszudrückende Größen eingestellt würden. Ein bloßes Überwiegen der Schuldnerkosten gegenüber dem Gläubigernutzen (also dem Erfüllungsinteresse) würde ausreichen, um die Naturalerfüllungspflicht hinfällig werden zu lassen. Mit dem geltenden deutschen Recht ist die Vertragsbruchtheorie indessen nicht vereinbar, wie insbesondere die Wertung der §§ 275 Abs. 2, 3 und 313 BGB zeigt: Die Anforderungen an die Leistungspflicht des Schuldners sind dort deutlich höher angesetzt als das die Vertragsbruchtheorie tut.97 Die bloße Pareto-Ineffizienz der Vertragsdurchführung oder gar ein bloßer negativer Saldo im Kosten-Nutzen-Vergleich genügt nicht zur Vernichtung der Primärleistungspflicht.98 Dies gilt jedenfalls für das Kaufrecht. Betrachtet man Dienstverträge, so ergibt sich im Ergebnis ein anderes Bild: Die Leistungspflicht aus § 241 Abs. 1 BGB besteht zwar; nach § 888 Abs. 3 ZPO sind aus einem Dienstvertrag persönlich zu erbringende Leistungspflichten jedoch nicht zwangsweise durchsetzbar. Gleiches gilt letztlich auch im Werkvertragsrecht: Zwar kann dort der Besteller gem. § 649 BGB, nicht aber der Unternehmer den Vertrag jederzeit kündigen; dennoch erfolgt bei Erfüllungsverweigerung eine Zwangsvollstreckung lediglich durch Gestattung der Ersatzvornahme (§ 887 Abs. 1 ZPO), verbunden mit einem Schadensersatzanspruch des Bestellers. Ist dieser geringer als dasjenige, was der Unternehmer infolge des Vertragsbruchs anderweitig verdienen kann, so liegt ein effizienter Vertragsbruch vor, der von der Rechtsordnung hingenommen wird.99
97 Eine Vielzahl anderer, auch ökonomischer Argumente spricht ebenfalls gegen die Vertragsbruchtheorie. Eingehend dazu mit Nachweisen U. Huber, Leistungsstörungen, Band I, § 2 V 4 (S. 49 ff.); Weller, Vertragstreue, S. 360 ff.; Martinek, AcP 209 (2009), 840, 844; im Grundsatz auch Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 551 ff. (allerdings mit der Ausnahme fungibler Güter). 98 Darüber hinaus kann sich die Verleitung zum Vertragsbruch auch als Verwirklichung eines Delikts nach § 826 BGB erweisen, auf dessen Grundlage dem Erstgläubiger gegen den Zweitgläubiger durch § 249 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Übereignung des Vertragsgegenstandes erwachsen kann, vgl. BGH NJW-RR 1999, 1186; MüKo-BGB / G. Wagner, § 826 Rn. 53 ff. 99 Zum Ganzen auch Kötz, Vertragsrecht, Rn. 774 ff.
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b) Effizienzorientierte Auslegung des geltenden Rechts? Sieht man die Verhältnismäßigkeit als ein Postulat des jeder Kosten-NutzenAnalyse inhärenten Zweckdenkens an, so liegt es nahe, das geltende Recht daraufhin zu untersuchen, inwieweit die dargelegten Effizienzkriterien verwirklicht wurden oder im Rahmen der Auslegung oder Rechtsfortbildung verwirklicht werden können. Die Frage nach der „Effizienz der Verhältnismäßigkeit“ ist zu präzisieren. Sie erfolgt hier in Bezug auf zentrale Normen des Vertragsrechts, in denen der Gesetzgeber eine Verhältnismäßigkeitskontrolle angeordnet hat. Darüber hinaus ist zu fragen, ob aus Effizienzgesichtspunkten bereits de lege lata eine Ausweitung der Verhältnismäßigkeitskontrolle zu befürworten wäre.100 Das Beispiel des effizienten Vertragsbruchs hat gezeigt, dass eine ökonomische Betrachtung des Vertragsrechts durchaus im Widerspruch zu den Wertungen des geltenden Rechts stehen kann. Diese Friktionen können vermieden werden, indem von vornherein das positive Recht zum Gegenstand der ökonomischen Analyse gemacht wird.101 Danach ist zu fragen, ob eine bestimmte Regelung effiziente Ergebnisse generiert; in normativer Hinsicht kann eine effiziente Auslegung gefordert werden. Hierbei ist von vornherein zu beachten, dass es sich bei der ökonomischen Analyse des Rechts um keine den traditionell anerkannten Auslegungsarten gleichgestellte Methode handelt: Die Auslegung einer Norm unter dem Aspekt der Effizienz kommt nur ausnahmsweise in Betracht, nämlich dann, wenn dies ohnehin deren telos entspricht.102 Dies wird nur in seltenen Fällen primäres Ziel einer gesetzlichen Regelung sein. Als Beispiel kann das UmweltHG angeführt werden, in dem der Gesetzgeber mit der Einführung eines Gefährdungshaftungstatbestandes für Schäden durch Umwelteinwirkungen bestimmter Anlagen ausdrücklich das Ziel der effizienten Ressourcenallokation verfolgt hat.103 Ist dies nicht der Fall, so beschränkt sich 100 Davon zu trennen ist die Frage, inwieweit eine breitere Anwendung der Verhältnismäßigkeit de lege ferenda zu befürworten wäre. Zu diesem Aspekt etwa Gomez, ERCL 2008, 89; Kieninger, in: FS Schäfer, S. 353 (ökonomische Betrachtung der europäischen Vertragsrechtsvereinheitlichung). 101 Zur ökonomischen Analyse der Verhältnismäßigkeit im französischen Vertragsrecht Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 418 ff. 102 Eingehend dazu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 463 ff.; Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 127 f., 135 f.; Grundmann, RabelsZ 66 (1997), 423, 430 ff.; für den gemeinschaftsprivatrechtlichen Kontext Grundmann / Riesenhuber, JuS 2001, 529, 532 f. 103 Siehe die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. Nr. 11/6454, S. 13; dazu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 453 f.; Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 146 ff. m.w.N. Am Rande sei erwähnt, dass auch bereits der BGB-Gesetzgeber, etwa im Bereich der Haftung für Wildschäden, umfangreiche ökonomische Erwägungen angestellt hat; dies kann jedoch nicht dazu führen, das gesamte Haftungsrecht nach Effizienzkriterien zu interpretieren, vgl. wiederum Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 149 ff.; weitere Nachweise bei U. Huber, Leistungsstörungen, Band I, § 2 V 5 a (S. 54 ff.).
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die ökonomische Analyse auf ihre Funktion als Gesetzgebungstheorie, die bei der Schaffung von Normen über eine Folgenabwägung Hilfestellung leisten kann.104 Bei zentralen Normen des Schuldrechts wird eine ökonomische Zwecksetzung teilweise als vom Gesetzgeber zumindest mitgewollt bezeichnet: Das modernisierte Schuldrecht orientiert sich in zentralen Bereichen an der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Der Reformgesetzgeber hat deren Regelungskonzept, das auf den Verbraucherkauf beschränkt ist, zum Modell für alle Verträge gemacht. Die Richtlinie wiederum hat die Harmonisierung des Verbraucherkaufrechts im Binnenmarkt zum Gegenstand. Dies impliziert das Regelungsziel der Verbesserung der Effizienz. Ließe man diesen marktorientierten Hintergrund bereits zur Anwendung ökonomischer Kriterien bei der Auslegung genügen,105 dann wäre das gesamte Schuldrecht einer ökonomischen Analyse zugänglich.106 Eine solche Sichtweise überzeichnet den ökonomischen Regelungszweck der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Hauptanliegen der durch die Richtlinie intendierten Rechtsangleichung ist die Stärkung des Vertrauens der Verbraucher in den grenzüberschreitenden Handel mit Waren und Dienstleistungen. Ausweislich deren 3. Erwägungsgrundes dient die Harmonisierung der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, die durch die uneinheitlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich des Verbraucherkaufs entstehen können. Damit ist jedoch weniger eine effizienzorientierte Zielrichtung der darin enthaltenen Regelungen impliziert; die Formulierung ist vielmehr als Hinweis zu verstehen, dass die Richtlinie die Vorgaben der Kompetenznorm des Art. 95 EG (nunmehr Art. 114 AEUV) erfüllt. Dies genügt nicht zur generellen Zulassung einer effizienzorientierten Auslegung. Zu fordern ist, dass eine konkrete Regel, zumindest aber der Regelungskontext,107 nach der Intention des Richtliniengebers die effiziente Allokation von Ressourcen zum Gegenstand hat.
104 Dazu wiederum Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 414 ff., 452 ff. („Effizienz als Politik des Gesetzes“); Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 122 f.; ebenso U. Huber, Leistungsstörungen, Band I, § 2 V 5 (S. 54 ff.). 105 Grundlegend zu einem solchen Ansatz Posner / Rosenfield (1977) 6 Journal of Legal Studies 83; siehe auch Grundmann, RabelsZ 66 (1997), 423, 430 ff. 106 In dieser Konsequenz wohl Grundmann / Riesenhuber, JuS 2001, 529, 532 f.; Schulze, JbJgZivRWiss 2001, S. 167, 180; dem folgend Kandler, Kauf und Nacherfüllung, S. 61. 107 Vgl. Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 127 f.
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c) Ökonomische Betrachtung zentraler Verhältnismäßigkeitskonstellationen aa) Wucher Eine Verhältnismäßigkeitskontrolle der Hauptleistungspflichten wurde im Wuchertatbestand (§ 138 Abs. 2 BGB) untersucht.108 Ein wucherisches Rechtsgeschäft ist sittenwidrig und damit nichtig. Zwingende Normen sind aus ökonomischer Sicht zwar grundsätzlich nicht sinnvoll, da sie den Inhalt des danach per se effizienten Vertrags zu verändern imstande sind. Gleichwohl kann im Einzelfall ein staatlicher Eingriff sinnvoll sein, wenn die Funktionsbedingungen des freien und rationalen Vertragsschlusses nicht gegeben sind.109 In einer der § 138 Abs. 2 BGB vorausgesetzten Schwächesituation ist eine rationale Entscheidung über den Vertragsschluss nicht möglich. Wucherische Verträge sind daher aus Sicht der ökonomischen Analyse ineffizient, da sie nicht durch den freien Willen der Parteien zustande gekommen sind. Weniger entscheidend ist mithin das grobe Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung.110 bb) Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Die Legitimation der Inhaltskontrolle für AGB wurde bereits auf ein diesbezüglich festzustellendes Marktversagen zurückgeführt.111 Da die Transaktionskosten zur Beurteilung des Inhalts der Vertragsbedingungen verschiedener Anbieter prohibitiv hoch sind und ein rationaler Verbraucher sich hierauf nicht einlassen wird, entsteht ein „Zitronenmarkt“112 für ineffiziente AGB, also solche, die einseitig zugunsten des Verwenders ausgestaltet sind. Die tatsächlich verwendeten AGB weichen damit von solchen Bedingungen ab, die ein „vollständiger“ Vertrag haben würde.113 Dieses Marktversagen gleicht der Gesetzgeber durch eine Inhaltskontrolle aus. Durch die Inkriminierung bestimmter Klauselgestaltungen entsteht ex ante ein Anreiz für den Verwender, seine AGB effizient zu gestalten; gleichzeitig schafft die Kontrolle Vertrauen des Kunden 108
Oben § 5 I. (S. 44 ff.). Zur Frage, wie und wann ein solcher rechtlicher Paternalismus ökonomisch gerechtfertigt ist, eingehend Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 360 ff., 374 ff.; siehe auch Engel, RabelsZ 67 (2003), 406, 409 f. 110 Etwas anderes gilt für die ökonomische Betrachtung einer reinen laesio enormis, wie sie etwa das österreichische Recht in Art. 934 ABGB kennt (dazu bereits oben § 5 I. 1. – S. 45 ff.).: Zu deren Ineffizienz in gewissen Konstellationen Grechenig, Journal für Rechtspolitik 2006, 14. 111 Siehe oben § 8 II. 2. d) (S. 104 f.); dort auch zu den Schwächen des Ansatzes. 112 Der Begriff stammt von Akerlof, 84 Quarterly Journal of Economics, 488 (1970) und bezog sich auf den Gebrauchtwagenmarkt. Diesbezüglich wäre eine Übersetzung mit „Gurkenmarkt“ wohl sinnvoller. 113 Vgl. zu diesem Maßstab Kötz, in: Allokationseffizienz, S. 189, 193 ff. Die AGB eines vollständigen Vertrags weisen die Risiken demjenigen zu, der sie am besten vermeiden bzw. versichern kann. Vgl. dazu die Übersicht bei Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 415. 109
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in den Markt.114 Die AGB-Kontrolle ist damit grundsätzlich auch aus ökonomischer Sicht zu befürworten. cc) Unverhältnismäßiger Leistungsaufwand Ist die vertraglich versprochene Leistung nur mit grob unverhältnismäßigem Aufwand zu erbringen, so gibt § 275 Abs. 2 BGB dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht.115 Dass die Nichtdurchführung des Vertrags bei unverhältnismäßigen Kosten dem ökonomischen Effizienzpostulat entspricht, liegt auf der Hand: Übersteigen diese Kosten das Erfüllungsinteresse des Gläubigers, so liegt keine Wohlfahrtssteigerung mehr vor.116 Fraglich ist jedoch, ob sich das in § 275 Abs. 2 BGB normierte, grobe Missverhältnis zwischen Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse mit dem Effizienzpostulat verträgt. Die Vertragsbruchtheorie besagt nämlich, dass die Nichterfüllung der Primärleistungspflicht davon abweichend bereits dann effizient ist, wenn die Kosten, die dem Schuldner durch die Erfüllung entstehen würden, das Erfüllungsinteresse des Gläubigers übersteigen.117 Es fragt sich daher, ob § 275 Abs. 2 BGB einer Auslegung zugänglich ist, die solche Effizienzerwägungen stärker berücksichtigt. Dies setzt nach dem oben Gesagten zunächst voraus, dass der Gesetzeszweck für eine solche Auslegung offen ist. Auf den ersten Blick scheint offensichtlich, dass die Norm der Vermeidung der Ressourcenvergeudung diene.118 Denn die Verwendung von Mitteln zur Erbringung einer Leistung, an der der Gläubiger ein im Vergleich dazu geringes Interesse hat, wirkt nicht wohlfahrtssteigernd. Eine nähere Analyse zeigt jedoch, dass dies nicht alleiniges, möglicherweise nicht einmal vorrangiges Ziel des gesetzlichen Regelung ist. § 275 Abs. 2 BGB regelt die Grenze der rechtsgeschäftlichen Leistungspflicht. Sie ist in erster Linie ein Instrument des Schuldnerschutzes.119 Das ergibt sich zunächst aus der Berücksichtigung des Verschuldens in § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB. Ginge es nur um die Vermeidung ineffizienter 114
Dazu Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 515. Eine eingehende Analyse des § 275 Abs. 2 BGB aus ökonomischer Sicht findet sich bei Köndgen, in: FS Schäfer, S. 275. 116 Vgl. Köndgen / v. Randow, in: Allokationseffizienz, S. 128 ff., die die bereits erbrachten, nun nutzlos gewordenen Aufwendungen des Schuldners (sunk costs) bei der Ermittlung der Schuldneraufwendungen nicht berücksichtigen. Zur vergleichbaren Argumentation im Rahmen der Auslegung des § 275 Abs. 2 BGB bereits oben § 12 I. 1. b) aa) (S. 173 f.). 117 Oben a) (S. 373 f.). 118 So Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 44, 47, 53; Eidenmüller, Jura 2001, 824, 832; Kötz, Vertragsrecht, Rn. 778. In diese Richtung auch MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 69; Grigoleit, Contratto impr. / Europa, 2004, 2, 920, 937, der aber auch andere Grundsätze mit heranzieht; ebenso Rösler, ERPL 15 (2007), 483, 494. 119 Vgl. Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 160. Dies sieht auch Faust (in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 44), stellt aber das Ziel der Vermeidung von Ressourcenverschwendung gleichwertig neben den Schuldnerschutz. 115
§ 21. Verhältnismäßigkeit als Argument im rechtsphilosophischen Kontext
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Leistungen, so hätte dieser Gesichtspunkt keine Relevanz.120 Betrachtet man die Norm aus Sicht des zur Leistung berechtigten Gläubigers, so ist sein Erfüllungsverlangen dann nicht angemessen, wenn er seine eigene Rechtsposition nur auf Kosten der Rechte des Schuldners durchsetzen kann. Darin kann man eine Nähe zum Rechtsmissbrauchsgedanken sehen.121 Jedenfalls aber erscheint die Durchsetzung der eigenen Rechte dann treuwidrig, wenn dem Vertragspartner dadurch ein das eigene Leistungsinteresse weit übersteigender Aufwand entstehen würde. Dafür spricht auch die Einredekonstruktion: Legte man ein rein ökonomisches Verständnis zugrunde, so spräche nichts dafür, die Durchführung des volkswirtschaftlich schädlichen Vertrags in die Hände des Schuldners zu legen. Wer den Zweck des § 275 Abs. 2 BGB darin sieht, die Verschwendung von Ressourcen zu verhindern, wird geneigt sein, das grobe Missverhältnis bereits dann anzunehmen, wenn der Schuldneraufwand größer ist als das Leistungsinteresse des Gläubigers.122 In der Tat hat etwa Faust vorgeschlagen, dem Schuldner auch bei Verschulden hinsichtlich des Leistungshindernisses bereits dann ein Leistungsverweigerungsrecht zuzusprechen, wenn der von ihm zu betreibende Aufwand 150 % des Gläubigerinteresses an der Leistung ausmache.123 Dies widerspricht dem § 275 Abs. 2 BGB innewohnenden Missbrauchsgedanken.124 Der Schuldner hätte es in der Hand, gegen einen „Aufschlag“ von 50 % vom Vertrag loszukommen. Auch wenn es angesichts der Vorgaben des § 275 Abs. 2 BGB nicht falsch ist, die in dessen Rahmen durchzuführende Verhältnismäßigkeitsprüfung als Kosten-Nutzen-Analyse zu bezeichnen,125 so darf dies nicht dazu führen, ausschließlich nach der Ineffizienz der Leistung zu fragen, oder diese auch nur als Leitlinie für die Auslegung heranzuziehen. Ein Treu und Glauben widersprechendes Erfüllungsverlangen ist stets auch ineffizient, der umgekehrte Zusammenhang gilt hingegen nicht.126 Hält man die Durchsetzbarkeit des Primäran120 Konsequent sieht MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 69 das Verschuldenserfordernis als „externen Umstand“. 121 So etwa Canaris, JZ 2001, 499, 505; Medicus, in: Das neue Schuldrecht, Kap. 3 Rn. 39; Maier-Reimer, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 291, 292; MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 70. 122 Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 47. Umgekehrt wäre es aus dieser Sicht volkswirtschaftlich schädlich, den Schuldner von der Leistungspflicht zu befreien, wenn das Leistungsinteresse des Gläubigers mindestens so groß ist wie der Schuldneraufwand. 123 Faust, in: Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 2 Rn. 68 (der aber durchaus sieht, dass den Prozentgrenzen „zwangsläufig etwas Willkürliches anhaftet“). 124 Kritisch auch AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 46; Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 557 (jedenfalls für nicht-fungible Güter). 125 So etwa MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 69, der den Zweck der Norm gleichwohl (auch) beim Rechtsmissbrauch ansiedelt. 126 Eine davon zu unterscheidende Frage ist es, ob eine rational handelnde Partei in einer Situation, in der der Vertragsbruch zwar effizient wäre, das Missverhältnis zwischen Schuld-
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spruchs (entgegen der Vertragsbruchtheorie127) grundsätzlich für effizient, weil sie den Marktakteuren Planungssicherheit und damit Vertrauen in den Markt gibt und auf diese Weise transaktionskostenmindernd wirkt,128 dann hat dies auch Konsequenzen für die Festlegung der Grenze der Leistungspflicht. Auch unter Effizienzgesichtspunkten kommt § 275 Abs. 2 BGB eine wichtige Bedeutung zu, da darin eine transaktionskostenminimierende Festlegung des mutmaßlichen Parteiwillens erfolgt ist.129 Hätten rational agierende Parteien vor Vertragsschluss etwa mit der Steigerung der Produktionskosten gerechnet, dann hätten sie sich unter Vereinbarung einer Entschädigungspflicht in Höhe des Erfüllungsinteresses auf eine bestimmte Grenze der Leistungspflicht geeinigt. Dass § 275 Abs. 2 BGB diese erst bei einem groben Missverhältnis ansetzt, wertet die Geltung des Primäranspruchs richtigerweise auf. Im Vergleich zu § 275 Abs. 2 BGB sind die für den Nacherfüllungsanspruch des Käufers bzw. Bestellers geltenden Parallelregelungen in §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB deutlicher auf die Berücksichtigung von Effizienzerwägungen zugeschnitten.130 Dies zeigt auch die Entstehungsgeschichte der Vorgängernorm, § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F.: In den Beratungen zum BGB wurde die Möglichkeit der Verweigerung der Nachbesserung bei unverhältnismäßigen Kosten damit gerechtfertigt, dass die Einrede einen in diesen Fällen sinnlosen Kostenaufwand verhindern könne.131 Diese Rechtfertigung kann auch auf § 439 Abs. 3 BGB übertragen werden.132 Damit sind die Normen nach dem oben Gesagten offen für ökonomische Argumente. Gleichzeitig können beide Normen aber – wie § 275 Abs. 2 BGB – auch auf das rechtsethisch fundierte Verbot des Rechtsmissbrauchs zurückgeführt werden: Der Käufer bzw. Besteller soll nicht seinen Anspruch auf Nacherfüllung dazu verwenden dürfen, den Verkäufer neraufwand und Gläubigerinteresse aber die Schwelle des § 275 Abs. 2 BGB nicht erreicht hat, nicht im Wege einer Verhandlungslösung mit dem Gläubiger versuchen würde, die Leistungspflicht gegen Aufteilung des durch den Vertragsbruch entstehenden (potentiellen) Mehrgewinns zwischen den Parteien aufzuheben. Eine solche Aufhebungslösung wäre – bezöge man anfallende Transaktionskosten nicht mit ein – effizient (und im Sinne des Ansatzes von Coase, dazu oben Fn. 94). Siehe dazu Eidenmüller, JZ 2005, 216, 222; Maultzsch, AcP 207 (2007), 530, 539 f. Dies gilt auch dann, wenn man § 275 Abs. 2 BGB als zwingend ansieht (oben § 12 I. 1. d) (S. 188 f.). 127 Dazu oben a) (S. 373 f.). 128 Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 397 ff.; Unberath, Vertragsverletzung, S. 232 ff.; Weller, Vertragstreue, S. 366 ff. 129 Unberath, Vertragsverletzung, S. 237 ff., 277 ff.; Köndgen, in: FS Schäfer, S. 275, 280 ff. 130 Vgl. aber Gomez, in: EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rn. 106, aus dessen Sicht beim vollständigen Vertrag ökonomisch eine bloße Minderung der sinnvollste Rechtsbehelf wäre. 131 Motive II, S. 481 f.; ähnliche Erwägungen wurden in Bezug auf den Ausschluss der Wandelung bei unerheblichen Mängeln (§ 634 Abs. 3 BGB a.F., jetzt allgemein § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB) angestellt. 132 Die Regierungsbegründung zu § 439 Abs. 3 BGB nimmt ausdrücklich Bezug auf § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F., vgl. BT-Drucks. Nr. 14/6040, S. 232.
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bzw. Werkunternehmer durch sinnlose Geltendmachung zu schikanieren, an der er kein schützenswertes Interesse hat.133 dd) Wegfall der Geschäftsgrundlage Der durch die Schuldrechtsmodernisierung neu geschaffene § 313 BGB kodifiziert die richterrechtlich gefestigte Möglichkeit, auf fundamentale Änderungen der Basis des Vertrags durch eine Anpassung an die Verhältnisse oder auch durch ein Rücktrittsrecht zu reagieren.134 Das darin kodifizierte Institut der Geschäftsgrundlage stellt sich als ein Instrument dar, Risiken, die die Parteien bei Vertragsschluss nicht gesehen haben oder auch nicht sehen konnten, nachträglich angemessen zu verteilen. Ökonomisch betrachtet zeigt sich die Vertragsanpassung als ein Weg, einen Vertrag, der sich als unvollständig herausgestellt hat, im Nachhinein effizient zu gestalten.135 Legt man den Maßstab des vollkommenen Vertrags an, so ist zu fragen, wie rational handelnde Parteien, die im Besitz sämtlicher zur Beurteilung möglicher Risiken notwendigen Informationen sind, diese im Vertrag verteilen.136 Auch die ökonomische Analyse lässt dabei die bestehende vertragliche Risikoverteilung unangetastet: Diese ist effizient, da ihr die parteiliche Vereinbarung zugrunde liegt. Nur auf die nicht verteilten Risiken kann sich der Blick richten.137 § 313 Abs. 1 BGB setzt die Schwelle für das Abrücken von der bestehenden vertraglichen Vereinbarung jedoch hoch an: Das Festhalten am Vertrag muss unzumutbar sein. Das ist nach der Rechtsprechung erst dann der Fall, wenn dies „zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde“.138 Wann dies der Fall ist, bestimmt sich wiederum anhand der vertraglichen Vereinbarung.139 Aus Sicht der ökonomischen Analyse wäre dieses Kriterium hingegen enger auszulegen: Es genügt bereits, dass sich ein von den Parteien nicht verteiltes Risiko realisiert. Die hohe Zumutbarkeitsschwelle lässt sich danach allenfalls mit der Einsparung von Transaktionskosten begrün133 In diesem Sinne U. Huber, Leistungsstörungen, Band I, § 2 V 5 a (S. 55). Staudinger / Peters / Jacoby (2008), § 635 Rn. 12 sehen in § 635 Abs. 3 BGB eine Ausprägung des Gedankens der Unzumutbarkeit. Ökonomisch lässt sich dieser Zusammenhang als opportunistisches Verhalten beschreiben, vgl. Gomez, in: EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rn. 108. 134 Dazu bereits oben § 14 I. (S. 254 ff.). 135 Zur Vorzugswürdigkeit der Vertragskorrektur aus ökonomischer Sicht Köhler, in: Allokationseffizienz, S. 148, 150 ff.; Eidenmüller, Jura 2001, 824, 829; zu der effizienten Gestaltung der Risikozuordnung Brockmeyer, Das Rechtsinstitut der Geschäftsgrundlage, S. 79 ff. 136 Vgl. dazu Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 436 ff. 137 § 313 BGB kann also nicht zur Herstellung der ökonomisch sinnvollsten Vertragskonstruktion dienen, vgl. Köhler, in: Allokationseffizienz, S. 148, 156 ff. 138 BGHZ 121, 378, 393; BGH NJW 1995, 47, 48. Auch hieran zeigt sich der hohe Stellenwert, den der Grundsatz der Vertragstreue im deutschen Recht hat, vgl. dazu Köhler, in: Allokationseffizienz, S. 148, 149 f. 139 Ebenso Köhler, in: Allokationseffizienz, S. 148, 152.
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den, die etwa durch Gerichtsverfahren entstehen können.140 Die Vertragsanpassung hat die Aufgabe, das gestörte Äquivalenzverhältnis wieder herzustellen. Auch dies ist ökonomisch sinnvoll, weil es dazu dient, Zufallsgewinne oder -verluste zu verhindern.141 d) Zusammenfassung Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dem zweckorientierten, dem ökonomischen Denken inhärent. Das Denken in Kosten-Nutzen-Strukturen kann als geradezu paradigmatisch für die ökonomische Analyse des Rechts angesehen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das geltende Recht, insbesondere die Normen, die Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips sind, deswegen auch zwingend ausschließlich nach Effizienzkriterien ausgelegt werden müssten. Wenn es auch im Einzelfall durchaus vorkommen kann, dass die Auslegung nach den klassischen Kriterien gleichzeitig Effizienzkriterien genügt – dass dies auch im geltenden deutschen Recht der Fall ist, haben die Beispiele gezeigt –, so ist diese meist zufällige Übereinstimmung durchaus begrüßenswert, aber kein Argument für eine normative Geltung der ökonomischen Analyse des geltenden Rechts.142 Sofern die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aber eine Abwägung erfordert, greift die Effizienzbetrachtung regelmäßig zu kurz. Welche Faktoren in die Abwägung einzustellen sind, ergibt sich aus dem Regelungskontext. Im Zweifel hat der Rechtsanwender eine umfassende Wertung anhand aller Gesichtspunkte des Einzelfalles vorzunehmen. Eine rein effizienzorientierte Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen trägt dem nicht hinreichend Rechnung.143 Sofern die ökonomische Analyse Vorschläge macht, die eine effiziente Haftungsregelung entgegen den Bestimmungen des geltenden Rechts vorsieht – etwa eine strikte Begrenzung des Erfüllungsinteresses auf den vorhersehbaren und vermeidbaren Schaden144 –, so hat dies allenfalls rechtspo140 So Schäfer / Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 439; Eidenmüller, Jura 2001, 824, 829. Dazu auch Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 137 ff. 141 Köhler, in: Allokationseffizienz, S. 148, 160. 142 Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 121 f. 143 Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 468 ff. Allgemein gegen eine „Ökonomisierung“ der Verhältnismäßigkeitsprüfung Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 232 ff. 144 Beispielsweise im englischen Recht ist dies seit der Leitentscheidung in Hadley v. Baxendale, 9 Exch. 341, 156 Eng. Rep. 145 (1854) geltendes Recht. Auch Art. 74 Satz 2 CISG verwirklicht diese Lösung. Im deutschen Recht wirkt das Kriterium der Adäquanz als vergleichbarer Regulator, ohne jedoch den strikten Vorhersehbarkeitsmaßstab zu erreichen. Dies erklärt sich auch daraus, dass die Haftung im CISG im Unterschied zum BGB verschuldensunabhängig ausgestaltet ist. Vgl. auch den Vorschlag von Gordley, Foundations of Private Law, S. 403 ff., statt der Vorhersehbarkeit das Kriterium der „disproportionality“ zu verwenden. Diese Ansicht wird wiederum auf die aristotelische Vorstellung einer Austauschgerechtigkeit gestützt, auf deren Grundlage die Haftung für übermäßige Schadensfolgen
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litische Bedeutung, ist aber für die Auslegung des geltenden Rechts nur von eingeschränkter Relevanz.
IV. Fazit: Der prozedurale Charakter der Verhältnismäßigkeit Die Idee der Verhältnismäßigkeit im Recht lässt sich nicht auf eine einzige Rechtfertigung stützen. Der Gedanke der Zweckrationalität des Rechts, der im Laufe des 20. Jahrhunderts eine gewisse Dominanz erreicht hat, liefert nur eine Teilbegründung, da nicht alle – und im Vertragsrecht gar nur wenige – Anwendungsbereiche des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit an eine Zweck-MittelRelation gebunden sind. Die ökonomische Analyse des Rechts als Anwendungsfall einer zweckorientierten Sichtweise des Rechts bietet eine in gewisser Hinsicht radikale, verhältnismäßigkeitsorientierte Sicht, die jedoch jedenfalls in der neoklassischen Variante mit dem geltenden Recht über weite Strecken unvereinbar ist. Wenn der Ausgangspunkt derjenige war, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als solcher rein formaler Natur ist, inhaltsleer und ohne materiellen Gehalt, so hat sich in den vorstehenden Ausführungen gezeigt, dass seine Geltung im Privatrecht eng mit der iustitia commutativa verwoben ist, dessen letzte Rechtfertigung damit auf die Idee des rechten Maßes, der Ausgewogenheit, und damit auf den Gedanken der (materialen) Gerechtigkeit selbst zurückzuführen ist. Die Verhältnismäßigkeit im hier verstandenen Sinne zeigt damit deutlich prozedurale Elemente: Sie zielt zwar letzten Endes, das heißt in ihrer konkreten Anwendung auf einen Rechtsfall, auf die Herstellung materialer (Einzelfall-) Gerechtigkeit,145 macht aber keine inhaltlichen Vorgaben an das zu erzielende Ergebnis.146 Dieses hängt allein von den Faktoren ab, die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestellt werden. Die Verhältnismäßigkeit stellt mit dem „unfair“ sei: „Disproportionality matters because allowing these damages would be unfair.“ Dieses Kriterium erscheint aber nicht geeignet, präzisere Einschränkungen der Haftungsfolgen herbeizuführen als die Vorhersehbarkeit. 145 Anders aber wohl Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 34 ff.: Es herrsche die Überzeugung vor, dass man Konsens durch Technik ersetzen, Werte aus Prozessen gewinnen könne. Werde die Verhältnismäßigkeit auf diese Weise gerechtfertigt, dann sei sie aber inhaltsleer und nicht auf Gerechtigkeit ausgerichtet. 146 Ähnlich auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 473 ff.; im Ergebnis wohl ebenso Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 86 m.w.N. oder auch Spendel, in: FS Radbruch, S. 68, 88, die den formalen Charakter des Grundsatzes, aber gleichzeitig dessen Ziel der (Einzelfall-)Gerechtigkeit betonen. In diesem Sinne kann jede prozedurale Theorie als materiale Theorie verstanden werden, nachdem sie auf die Erzielung eines gerechten Ergebnisses gerichtet ist (anders als rein formale Theorien, die das Ergebnis für irrelevant erachten), vgl. Auer, Materialisierung, S. 33 ff.
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Abwägungserfordernis aber ein Verfahren zur Verfügung, das auf die Erzielung ausgewogener und damit gerechter Ergebnisse gerichtet ist. Das so verstandene Konzept der Verhältnismäßigkeit kommt also nicht ohne materielle Komponenten aus, die von außen einwirken.147 Im Bereich des Vertragsrechts sind dies, wie im Folgenden darzulegen sein wird, insbesondere: das Äquivalenzprinzip, der Grundsatz der Vertragsbindung und der Grundsatz von Treu und Glauben.
§ 22. Materiale Komponenten der Verhältnismäßigkeit im Vertragsrecht Die offene Struktur des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit macht eine Unterscheidung danach erforderlich, auf welchen Teil der vertraglichen Pflicht er einwirkt (unten I.): das Verhältnis der Hauptleistungspflichten, dasjenige der Nebenleistungspflichten sowie schließlich den davon zu trennende Bereich der Ausübung von Rechten, also in der Phase nach Invollzugsetzung des Vertrags (unten II.). Die zentrale Rolle des Grundsatzes von Treu und Glauben zeigt sich auch in der rechtsvergleichenden Umschau (unten III.).
I. Verschiedene Wirkungsbereiche 1. Hauptleistungspflichten und Verhältnismäßigkeit Die Grundkonstellation der iustitia commutativa (und damit auch der Verhältnismäßigkeit) findet sich im Verbot wucherischer Verträge. Auch wenn die Parteien grundsätzlich frei sind, Leistung und Gegenleistung nach ihrem Gutdünken auszuhandeln, also etwa vom Marktpreis völlig abweichende Liebhaberpreise zu bezahlen oder auf eine Gegenleistung ganz zu verzichten, so setzt dies doch voraus, dass ein dahingehender freier Willensentschluss vorliegt. Ist dies der Fall, so geht die Rechtsordnung von einer (subjektiven) Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung aus. § 138 Abs. 2 BGB betrifft hingegen den Fall, dass gerade kein freier Willensentschluss vorlag, sondern dass der Vertrag unter Ausnutzung einer Schwächesituation zu besonders nachteilhaften Bedingungen geschlossen wurde. 147 Dies ist kennzeichnend für viele prozedurale Ansätze; vgl. für das Beispiel der iustitia commutativa (aber verallgemeinernd) Canaris, Iustitia distributiva, S. 50 ff., 58. Danach haben diese flankierenden materiellen Kriterien eine positive und eine negative Funktion. Die negative besteht in der Begrenzung der Vertragsfreiheit (etwa durch § 138 Abs. 2 BGB), die positive durch die Rolle des dispositiven Gesetzesrechts, das materielle Wertungen in das prozedurale Modell einbringt. Ähnlich bereits Larenz, Richtiges Recht, S. 79.
§ 22. Materiale Komponenten der Verhältnismäßigkeit im Vertragsrecht
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Die Verhältnismäßigkeit – in Form des groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung – wirkt hier unter zwei Besonderheiten: Zum einen ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei § 138 Abs. 2 BGB (und im Kern auch beim wucherähnlichen Geschäft) lediglich eines von drei Tatbestandsmerkmalen, die nach dem Wortlaut der Norm kumulativ vorliegen müssen: Hinzu kommen die Schwächesituation und deren Ausnutzung durch den Wucherer. Bereits hierdurch unterscheidet sich die Wirkungsweise von anderen Ausprägungen der Verhältnismäßigkeit, deren Charakteristikum darin besteht, dass eine bestimmte Rechtsfolge allein von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängt. Zum anderen erfordert die Bestimmung eines groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung bei einfach strukturierten und gesetzlich typisierten Verträgen lediglich eine Gegenüberstellung der vertraglichen Leistungspflicht mit dem dafür bestehenden Marktpreis. Die (Un-)Verhältnismäßigkeit kann dann durch einen schlichten Vergleich zweier Zahlenwerte ermittelt werden – die einfachste Form der Abwägung. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die von der Rechtsprechung vorgenommene Richtschnur, dass ein grobes Missverhältnis regelmäßig dann gegeben ist, wenn eine Abweichung um mehr als das Doppelte vom Marktpreis gegeben ist,148 jedenfalls nicht unter dem Aspekt der Verkürzung einer ansich vorzunehmenden Abwägungsentscheidung kritikwürdig.149 Als weitaus schwieriger kann sich die Bestimmung der jeweiligen Hauptleistungspflichten bei komplexeren Verträge erweisen, die aus einem ganzen Bündel von (Haupt-)Leistungspflichten bestehen. Bei der Ermittlung des Missverhältnisses sind neben den Leistungspflichten auch weitere Faktoren zu berücksichtigen, die sich insbesondere aus der vertraglichen Risikostruktur ergeben: Gegen ein Missverhältnis kann sprechen, wenn sich der Darlehensgeber für den Abschluss eines Kreditvertrags zwar exorbitant hohe Zinsen versprechen lässt, der Darlehensnehmer aber im Gegenzug keinerlei Sicherheiten zu stellen hat.150 In diesem Sinne kann auch die Ermittlung eines groben Missverhältnisses nur im Rahmen einer Abwägung vorgenommen werden.151 Im Bereich der Hauptleistungspflichten verbietet das Verhältnismäßigkeitsprinzip damit eine zu große Abweichung vom als angemessen Erachteten, aber nur dann, wenn eine Ausbeutungssituation gegeben war.152 Die bloße (auch 148 Zu den verschiedenen Fallgruppen Staudinger / Sack (2003), § 138 Rn. 179 ff.; AnwKBGB / Looschelders, § 138 Rn. 361 ff. 149 Wohl aber im Hinblick auf eine gewisse Willkür, die jeder dahingehenden Festlegung notwendig anhaftet. Siehe zur 100 %-Grenze beim Wucher oben § 5 I. 2. a) (S. 48 f.). Anders fällt die Beurteilung hingegen in Bezug auf die Vorschläge fester Wertgrenzen bei echten Abwägungsentscheidungen aus, so etwa bei § 275 Abs. 2 BGB; dazu oben § 12 I. 1. b) cc) (2) (S. 179 f.). 150 Vgl. z.B. OLG Köln NJW 1968, 1934, 1935. 151 Vgl. Soergel / Hefermehl, § 138 Rn. 74: Die beiderseitigen Leistungen sind „nach ihrem Wert gegeneinander abzuwägen“ (unter Verweis auf RG Recht 1915 Nr. 1286). 152 Siehe auch Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 783, der das Verhältnismäßigkeits-
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grobe) Unverhältnismäßigkeit der Gegenleistung genügt nach geltenden Recht nicht. Indessen hat die Rechtsprechung durch die immer weitere Aufweichung der Anforderungen an die Schwächesituation und deren Ausnutzung durch den Wucherer vor allem über das Institut des wucherähnlichen Geschäfts als Fallgruppe des § 138 Abs. 1 BGB der Sache nach eine reine Verhältnismäßigkeitskontrolle für Hauptleistungspflichten geschaffen. Diese Rechtsprechung konsequent fortgedacht, bedeutete, die besonderen Faktoren der Schwächesituation und der verwerflichen Gesinnung nur noch als Abwägungsfaktoren anzusehen, die zusammen mit dem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und möglichen weiteren Gesichtspunkten insgesamt das Sittenwidrigkeitsurteil rechtfertigen könnten, und nicht mehr als eigenständige (wenn auch vermutete) tatbestandliche Voraussetzungen.153 Der Sache nach steht der Vertragsschluss damit unter einem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt im Gewande der Sittenwidrigkeit.
2. Nebenleistungspflichten und Verhältnismäßigkeit Für Nebenleistungspflichten ist ein solcher Verhältnismäßigkeitsvorbehalt jedenfalls dann gesetzlich vorgeschrieben, wenn diese formularmäßig vereinbart wurden. § 307 BGB sanktioniert hier jede durch eine Klausel des Verwenders hervorgerufene unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners. Die Verhältnismäßigkeitskontrolle dient auch im Bereich der AGB der Verwirklichung der vertraglichen Äquivalenz, die sich nicht nur auf die Hauptleistungspflichten erstreckt, sondern auf den gesamten Vertrag mit allen seinen Rechten und Pflichten.154 Gleichwohl ist die Kontrolle von Nebenpflichten anders ausgestaltet als diejenige der Hauptleistungspflichten.155 Voraussetzung prinzip in Bezug auf die Hauptleistungspflichten überhaupt nicht angewendet wissen will, sondern dies alleine für die Domäne des § 138 BGB hält. Dem liegt eine wesentlich engere (öffentlich-rechtlich geprägte) Auffassung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zugrunde. 153 In dieser Konsequenz für bestimmte Fallgruppen namentlich Bork, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 1199; ders., JZ 2001, 1138, 1139. Zur Kritik hieran bereits oben § 5 II. 2. (S. 52 ff.). 154 In diesem Sinne wird die Äquivalenz verstanden etwa auch von Bartholomeyczik, AcP 166 (1966). 30, 31; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 35; Bydlinski, System und Prinzipien, S. 156 mit Fn. 165, 756 ff. (nach dem der Äquivalenzgedanke gerade bei krass ungleicher Risikoverteilung durch AGB seine größte Bedeutung erlangt hat); Canaris, AcP 200 (2000), 271, 285, 325 f. Zur Terminologie Staudinger / Olzen (2009), Einl. zum SchuldR Rn. 67. 155 Demgegenüber sieht Canaris (AcP 200 (2000), 271, 326) eine Übereinstimmung der Grundstrukturen der AGB-Kontrolle mit den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB. Die Parallele erscheint zweifelhaft: Um einen Gleichlauf mit der in § 138 Abs. 2 BGB vorausgesetzten Schwächesituation zu erreichen, würde diese Annahme voraussetzen, dass Geltungsgrund für die AGB-Kontrolle eine Beeinträchtigung der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit des Kunden ist. Canaris selbst rechtfertigt diese aber unter anderen wie hier mit dem Gesichtspunkt des Marktversagens (a.a.O., S. 321 ff.).
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für die AGB-Kontrolle ist nicht etwa eine tatsächlich bestehende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit, die der Schwächesituation des § 138 Abs. 2 BGB vergleichbar wäre.156 Vielmehr greift die Inhaltskontrolle unabhängig davon, ob der Kunde sich in voller Kenntnis der AGB zum Vertragsschluss entscheidet oder diesem keinerlei Beachtung schenkt. Die besondere Situation des Marktversagens im Bereich der AGB, mit der die Inhaltskontrolle gerechtfertigt werden kann,157 ist kein Tatbestandsmerkmal, sondern eine der Kontrolle vorgelagerte Rechtfertigung. Sie findet ihren Niederschlag nur im Merkmal des „Vorformulierens“ und des „Stellens“ der Vertragsbedingung in § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Anders als in § 138 Abs. 2 BGB ist die mit dem Verbot der unangemessenen Benachteiligung angeordnete Verhältnismäßigkeitskontrolle denn auch einziges Tatbestandsmerkmal der AGB-Kontrolle. Angesichts der Verschiedenartigkeit der vertraglichen Nebenpflichten wäre eine Gegenüberstellung verschiedener Nebenpflichten auch nicht sinnvoll. So ist die einzelne, im Rahmen der AGB-Kontrolle zu beurteilende Klausel zu messen am Maßstab des dispositiven Gesetzesrechts bzw. bei nicht geregelten Vertragstypen des Vertragszwecks. Da hier eine Vielzahl von Gesichtspunkten für eine unangemessene Benachteiligung des Kunden sprechen kann, ist eine Abwägung der Interessen des Verwenders an der Vereinbarung der Klausel und den Schutzinteressen des Kunden vorzunehmen. Der materiale Gerechtigkeitsmaßstab für die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei AGB ergibt sich damit letzten Endes aus dem Rechtsgeschäft selbst: Auch das dispositive Gesetzesrecht, das vorrangiger Bezugspunkt der Kontrolle ist, repräsentiert (allerdings aus Sicht des Gesetzgebers) dasjenige, was Vertragsparteien als angemessenen Interessenausgleich vereinbaren würden. Besteht keine diesbezügliche Norm, ist auf die Natur des Vertrags abzustellen.
3. Verhältnismäßigkeit und in Vollzug gesetzter Vertrag Den Erscheinungsformen der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Kontrolle der Hauptleistungspflichten und der in AGB vereinbarten Nebenleistungspflichten ist gemeinsam, dass sie einen gleichsam statischen Zustand beurteilen: Den Vertrag mit dem Inhalt, den er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hat. Die Verhältnismäßigkeitskontrolle beim in Vollzug gesetzten Vertrag betrifft hingegen eine Vielzahl von möglichen Fallkonstellationen, die bei der Ausübung von vertraglich begründeten Rechten entstehen und zu Interessenkolli156 Dazu bereits oben § 8 II. (S. 100 ff.). Dies soll nicht verdecken, dass die Hauptzielrichtung des § 138 Abs. 2 BGB der Schutz des Benachteiligten vor Ausbeutung ist, vgl. oben § 7 I. (S. 94 f.). Das zusätzliche Erfordernis der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit durch eine Schwächesituation zeigt jedoch, dass § 138 Abs. 2 BGB keine Äquivalenzkontrolle bezweckt. 157 Oben § 8 II. 2. d) (S. 104 f.).
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sionen führen; dem entspricht auch eine im Vergleich zur Inhaltskontrolle (von Haupt- von Nebenleistungen) weitaus diversifiziertere Ausübungskontrolle.158 In struktureller Hinsicht ist diesen Normen gemeinsam, dass sie ein RegelAusnahme-Verhältnis verkörpern.159 Im Folgenden wird dargelegt, dass sie in materieller Hinsicht im Spannungsfeld von Vertragsbindung und Grundsatz von Treu und Glauben stehen.
II. Verhältnismäßigkeit und Grundsatz von Treu und Glauben 1. Formaler Grundsatz und materiale Aufladung Der rein formale Charakter des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist es, der seine nahezu universelle Einsetzbarkeit ermöglicht. In inhaltlicher Hinsicht macht er keinerlei Vorgaben außer dem Postulat, dass konfligierende Rechtspositionen und Interessen durch Abwägung zum Ausgleich zu bringen sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat denn auch als solcher nichts zu tun mit rechtsethischen Verhaltensanforderungen wie dem Gebot von Treu und Glauben, dem Verbot des sittenwidrigen Verhaltens oder der Arglist.160 Setzt man sich zum Ziel, die Reichweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und damit dessen normative Geltung auszuloten, so ist eine Bezugnahme auf materiale Prinzipien unvermeidlich, um die nicht gesetzlich geregelten Fälle überhaupt erst fassbar zu machen und die uferlose Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einzuschränken.161 Im Bereich des Vertragsrechts handelt es sich dabei auf der einen Seite regelmäßig um das Interesse des einen Teils an der Erfüllung der vertraglichen Pflicht. Auf der anderen Seite steht die Position des Schuldners, der kraft rechtlichem Geltungsbefehl an die vertragliche Pflicht gebunden ist, aber möglicherweise durch die Rechtsausübung des Gläubigers eine Beeinträchtigung seiner Interessen gewärtigen muss, die ihrerseits ebenfalls durch die Rechtsordnung geschützt sind. Diesen potentiellen Konflikt zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen nimmt der Grundsatz von Treu und Glauben in den Blick.
158
Zu den Ausprägungen im positiven Recht oben § 12 (S. 167 ff.). Oben § 18 (S. 318 ff.). 160 Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 873. Auch Wieacker selbst (a.a.O., S. 874) sieht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aber in den modernen Gesetzbüchern in diesen materialen Prinzipien fortleben. 161 Zu den Gefahren, die entstehen, wenn diese materialen Aufladungen nicht offengelegt werden, Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 55 ff. m.w.N. 159
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2. Vertragsbindung und Grundsatz von Treu und Glauben Die Kardinalfunktion des Grundsatzes von Treu und Glauben für das gesamte Rechtsleben ist in Rechtsprechung162 und Lehre163 anerkannt und muss an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden. Es handelt sich dabei – und insoweit besteht eine Vergleichbarkeit zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – um eine offenes, ausfüllungsbedürftiges Prinzip, das in jedem Einzelfall der wertenden Konkretisierung bedarf.164 Sieht man § 242 BGB mit der ganz herrschenden Meinung als nicht-subsumtionsfähige Norm an,165 sondern als Verkörperung des Grundsatzes von Treu und Glauben, dann muss für die Zwecke der Untersuchung zwischen dem Grundsatz von Treu und Glauben und seiner Normierung in § 242 BGB nicht unterschieden werden.166 Dem entspricht es auch, wenn der BGH § 242 BGB als „Grundnorm“ des Vertragsrechts, als einheitliche Grundlage der Schuld selbst ansieht, auf die sich alle konkreten Normen zurückführen lassen.167 Darin kommt zum Ausdruck, dass bei der Auslegung des § 242 BGB das Tatbestandsprinzip verlassen wurde, das hinter der Norm stehende Prinzip vielmehr als Legitimation zur Rechtsfortbildung herangezogen wurde.168
162 Vgl. exemplarisch BGHZ 85, 39, 48 („der das gesamte Rechtsleben beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben“); BGHZ 120, 10, 22 („Der Grundsatz von Treu und Glauben ist als übergesetzlicher Rechtsgrundsatz allen Rechtsordnungen immanent […]“). 163 Stellvertretend Weber, JuS 1992, 631, der § 242 BGB als „königlichen Paragraphen“ bezeichnet. 164 Vgl. dazu nur Jauernig / Mansel, § 242 Rn 3. 165 Vgl. nur Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 126; Palandt / Grüneberg, § 242 Rn. 2; MüKo-BGB / G. H. Roth, § 242 Rn. 2; AnwK-BGB / Krebs, § 242 Rn. 2; Erman / Hohloch, § 242 Rn. 2. 166 Zur Unterscheidung zwischen Grundsatz von Treu und Glauben und Tatbestand des § 242 BGB etwa Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 65 ff. m.w.N. 167 Dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 527 f. 168 MüKo-BGB / G. H. Roth, § 242 Rn. 2. Diesbezüglich wird oft von der „Ermächtigungsfunktion“ des § 242 BGB gesprochen, vgl. Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 9. § 242 BGB wird vor diesem Hintergrund sogar teilweise als verzichtbar erachtet, so Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 133, 179, 182 ff. (die Norm enthalte keinerlei inhaltlich-informative Vorgaben). Zu Recht kritisch Zöllner, NJW 1999, 3240, 3241 f.; Fikentscher / Heinemann, Schuldrecht, Rn. 199, 204; Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 121 ff. Ablehnend gegenüber der Heranziehung von § 242 BGB als Ermächtigungsgrundlage für Rechtsfortbildung Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 167 f.; ebenso Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, S. 251 ff., 444; AnwK-BGB / Krebs, § 242 Rn. 8 (weil dies als Legitimation zur Umgehung der methodischen Vorgabe für die Rechtsfortbildung verwendet werden könne).
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a) Treu und Glauben als materiales Element Trotz seiner inhaltlichen Weite und Unbestimmtheit kann man sich bei der Konkretisierung des § 242 BGB zunächst vom Wortlaut aus bewegen.169 Das Element der Treue reflektiert dabei die „Rechtstugenden des Worthaltens, der Verlässlichkeit und Loyalität“;170 das Gegenstück des Glaubens bezeichnet das Verlassendürfen des anderen Teils auf ein am Treugedanken orientiertes Verhalten des Vertragspartners.171 In der Kombination beinhaltet der Grundsatz daher das Gebot, sich anständig und rücksichtsvoll zu verhalten und die Interessen des Vertragspartners zu achten.172 Das gilt nicht nur für die Leistungshandlung des Schuldners, sondern spiegelbildlich auch für das Verhalten des Gläubigers: Dieser darf die Leistung nur so fordern, wie es die Grundsätze von Treu und Glauben zulassen. In diesem Sinne enthält § 242 BGB ein rechtsethisches Prinzip.173 Hinzu tritt der Gesichtspunkt der Verkehrssitte, der als objektivierter Maßstab die in den beteiligten Kreisen üblichen Verhaltensweisen bezeichnet. Dieser ist dem Grundsatz von Treu und Glauben allerdings nachrangig; er hat lediglich eine Orientierungsfunktion bei der Präzisierung des Inhalts von Treu und Glauben.174 Angesichts des Wortlauts und der systematischen Stellung des § 242 BGB im Schuldrecht ist es plausibel, wenn für seine Anwendung ein (wie auch immer geartetes) Schuldverhältnis zwischen zwei oder mehreren Personen gefordert wird:175 Nur dann ist es gerechtfertigt, diesen die im Vergleich zu den allgemeinen deliktischen Sorgfaltspflichten erhöhten Verhaltensanforderungen von Treu und Glauben aufzuerlegen. Nachdem im hier untersuchten Bereich des Schuldvertragsrechts stets eine solche rechtsgeschäftliche Sonderverbindung gegeben ist, mag indessen dahin stehen, ob der Grundsatz – wie oft vertreten – bereits in Bezug auf jeden „qualifizierten sozialen Kontakt“ gilt.176
169 Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 140 ff.; MüKo-BGB / G. H. Roth, § 242 Rn. 9 ff.; Jauernig / Mansel, § 242 Rn 3; Heinrich, in: FS Laufs, S. 585. Kritisch etwa Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 137 ff. 170 Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 20 Fn. 39. 171 Zur historischen Bedeutung des Wortlauts eingehend Strätz, Treu und Glauben, S. 47 ff. 172 Larenz, Richtiges Recht, S. 85; ders., Schuldrecht I, § 10 I; AnwK-BGB / Krebs, § 242 Rn. 13. 173 Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 20 Fn. 39; Larenz, Methodenlehre, S. 421 ff.; Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 143; Erman / Hohloch, § 242 Rn. 3; Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 2. 174 Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 170; Heinrich, in: FS Laufs, S. 585, 588 f. 175 BGHZ 95, 274, 279; BGHZ 95, 285, 288; BGH NJW 2008, 1001, 1002 (gesetzliches Schuldverhältnis genügt); Fikentscher / Heinemann, Schuldrecht, Rn. 199; Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 125 ff. 176 Weber, JuS 1992, 631, 635; Palandt / Grüneberg, § 242 Rn. 3; Erman / Hohloch, § 242
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Aufgrund des offenen Charakters von § 242 BGB stellt sich – wie bei jeder Generalklausel – das Problem der tatbestandlichen Konkretisierung.177 Verbreitet werden vier verschiedene Funktionskreise unterschieden:178 Über die im Wortlaut des § 242 BGB angelegte Konkretisierungsfunktion regelt der Grundsatz von Treu und Glauben die Art und Weise der Leistung und präzisiert damit die in den §§ 243 ff. BGB geregelten Rechte und Pflichten des Schuldverhältnisses. Eng damit verbunden ist die Ergänzungsfunktion, die die Entstehung von weiteren Neben- und Schutzpflichten bewirken kann.179 Anerkannt ist daneben die Schranken- oder Kontrollfunktion des § 242 BGB, die das sogleich näher darzulegende Verbot unzulässiger Rechtsausübung beinhaltet.180 Die letzte Fallgruppe schließlich, die Korrekturfunktion, die eine Umgestaltung von Rechten und Pflichten herbeiführen kann, hat durch die Kodifikation der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB und bereits zuvor über die gesetzliche Regelung der AGB-Kontrolle ihre herkömmlichen Hauptanwendungsbereiche verloren. Im Vordergrund der nachfolgenden Ausführungen steht die Schrankenfunktion des Grundsatzes von Treu und Glauben. Sie verkörpert die materiale Komponente des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. b) Die Schrankenfunktion von § 242 BGB Keine Rechtsposition besteht uneingeschränkt. Jede Ausübung eines Rechts steht unter dem Vorbehalt, dass sie nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Ganz überwiegend wird angenommen, dass diese BeschränRn. 15. Auch die Rechtsprechung versteht inzwischen den Begriff der Sonderverbindung sehr weit, vgl. etwa BGH NJW 1996, 2724. 177 Zur Aufgabe der Generalklausel als Flexibilisierung und damit auch Stabilisierung eines Rechtssystems Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 476. Zur Bedeutung der römischrechtlichen Konkretisierungen der bona fides Schermaier, in: Good Faith in European Contract Law, S. 63 ff.; Zimmermann, Roman Law, Contemporary Law, European Law, S. 83 ff. Diese leben in § 242 BGB als Bestandteil gemeineuropäischer Rechtstradition weiter, dazu Zimmermann, JZ 2007, 1, 3 mit Fn. 34, 35. Zur methodischen Vorgehensweise bei der Konkretisierung von Generalklauseln eingehend Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 248 ff.; Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 670 ff.; Röthel, Normkonkretisierung, S. 124 ff.; Auer, Materialisierung, S. 102 ff. Zur Konkretisierung im europäischen Kontext Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 536 ff. und dazu am Beispiel der Klauselrichtlinie bereits oben § 9 I. 2. b) (S. 109 ff.). 178 So die gängige Einteilung in der Kommentarliteratur, vgl. Palandt / Grüneberg, § 242 Rn. 13 ff.; Erman / Hohloch, § 242 Rn. 17; Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 172 ff.; Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 5 ff. Abweichende Einteilung bei Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 20 ff. Ablehnend zur Einteilung nach Funktionskreisen (da diese keine Aussage zum normativen Gehalt des Grundsatzes von Treu und Glauben ermöglichten) Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 124 ff. 179 Konkretisierungs- und Ergänzungsfunktion können daher auch zusammengefasst werden, so Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 6. 180 Manche sprechen von Billigkeitsfunktion, vgl. AnwK-BGB / Krebs, § 242 Rn. 6.
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kung der Rechtsposition bereits inhärent ist, dieses mithin also von vornherein nur unter diesem Vorbehalt entsteht.181 Das bedeutet, dass bei jeder Rechtsausübung geprüft werden müsste, ob ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben vorliegt. Diese Prüfung fällt im Regelfall mit Selbstverständlichkeit zugunsten der Zulässigkeit der Rechtsausübung aus, so dass die Schrankenfunktion keiner ausdrücklichen Erwähnung bedarf.182 Wann eine Rechtsausübung unzulässig ist, ergibt sich im konkreten Einzelfall erst aus einer Gegenüberstellung der Interessen des Gläubigers an der Rechtsausübung und denjenigen des Schuldners an deren Verhinderung. Die Schrankenfunktion des Grundsatzes von Treu und Glauben bewirkt demnach Einzelfallgerechtigkeit durch Abwägung.183 c) Unzulässige Rechtsausübung und Verhältnismäßigkeit Üblicherweise werden die „Geringfügigkeit“ und die „Unverhältnismäßigkeit“ als Untergruppen des Verbots unzulässiger Rechtsausübung angesehen.184 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht an dieser Stelle im Gebot von Treu und Glauben auf. Nach dem bisher Gesagten ist diese Einordnung auch zutreffend:185 Wenn die ausgleichende Gerechtigkeit eine im Wesentlichen gegebene Entsprechung von Leistung und Gegenleistung fordert, dann muss dies 181 So genannte Innentheorie, in diesem Sinne BGHZ 30, 140, 145; BGH NJW-RR 2005, 619, 620; Palandt / Grüneberg, § 242 Rn. 38; MüKo-BGB / G. H. Roth, § 242 Rn. 63; AnwKBGB / Krebs, § 242 Rn. 6; Erman / Hohloch, § 242 Rn. 18, 101; Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 33. Die so genannte Außentheorie wird demgegenüber nur noch vereinzelt vertreten, vgl. etwa PWW / Schmidt-Kessel, § 242 Rn. 28. In der praktischen Auswirkung unterscheiden sich beide Ansichten nicht voneinander, vgl. Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 762 f.; Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 201. Zur historischen Entwicklung HKK / Haferkamp, § 242 Rn. 54. 182 Vgl. auch Riehm, Abwägungsmodelle, S. 29 f. 183 Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 4. 184 Palandt / Grüneberg, § 242 Rn. 53; Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 40; AnwK-BGB / Krebs, § 242 Rn. 88 ff.; Erman / Hohloch, § 242 Rn. 129 ff.; Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 264 ff., 279 f. 185 Ebenso Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 250 f. mit Fn. 15 (der „wenn auch vielleicht mit besonderen Einschränkungen“ eine inhaltliche Übereinstimmung von Verhältnismäßigkeit und Treu und Glauben sieht; letzterer sei allenfalls in sprachlicher Hinsicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterlegen); Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 192 ff., 197 (§ 242 BGB biete das „geeignete Einfallstor zur Integration des ungeschriebenen Proportionalitätsgrundsatzes in das Privatrecht“); Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit, S. 91 ff.; A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 105 („Verhältnismäßigkeitsprinzip als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben“); Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 37 ff.; CoesterWaltjen, JK 6/04, BGB § 661a / 1 (hier in Bezug auf § 661a BGB). Für eine Gleichsetzung (im Kontext des § 251 Abs. 2 BGB) auch BGH NJW 1970, 1180, 1181; BGHZ 59, 365, 368. Anders für das italienische Recht Perlingieri, Rass. dir. civ., 2001, 334, 350, der die normative Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aus dem Grundsatz selbst ableitet und nicht aus dem Gebot von Treu und Glauben.
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auch für die Durchführung des Vertrags gelten. Hier erfordert die Rücksichtnahme auf die Belange des anderen Teils eine Interessenabwägung, mithin eine Verhältnismäßigkeitsprüfung.186 § 242 BGB ist demnach als Generalklausel der Verhältnismäßigkeit zu sehen.187 Dieser Zusammenhang kann allenfalls dann zweifelhaft sein, wenn man den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – in öffentlich-rechtlicher Tradition – nur als Beschränkung von (tatsächlichen) Handlungen sieht.188 Wenn aber daneben ein „privatrechtliches Übermaßverbot“ nach § 242 BGB anerkannt wird, das eine Rechtsausübungskontrolle nach Billigkeitsmaßstäben enthalte, und weiter ein Verbot der Unverhältnismäßigkeit (§ 826 BGB), so beschränken sich die Unterschiede weitgehend auf terminologische Gesichtspunkte.189
Es sind also zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden: Einerseits diejenigen Fälle, in denen der Inhaber eines Rechts an dessen Ausübung nur geringes Interesse hat, oder anders gewendet, dem weitaus überwiegende Interessen des davon Betroffenen gegenüberstehen, und andererseits diejenigen Fälle, in denen die Rechtsausübung der Sanktion einer im Vergleich dazu geringfügigen Pflichtverletzung des anderen Teils dient. Beide Fälle werden oft zu Unrecht nicht auseinander gehalten: Während die erste Gruppe den Primäranspruch und seine Durchsetzung betrifft, geht es in der zweiten Gruppe vor allem um die Frage der Sekundäransprüche und -rechte. Auch terminologisch hat sich keine einheitliche Auffassung durchgesetzt: Die hier der ersten Gruppe zugeordneten Fälle werden teilweise unter der Rubrik „geringfügiges Eigeninteresse des Rechtsinhabers“ behandelt,190 teilweise auch als „Übermaßverbot“ bezeichnet.191 Umgekehrt wechseln die Begrifflichkeiten für die zweite Fallgruppe, diese wird teilweise als „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“192 oder als „Übermaßverbot“193 angesehen, teilweise aber als Fall der „Geringfügigkeit“;194 186
Nur zur Klarstellung sei noch einmal betont, dass dies nicht für den Grundsatz der Erforderlichkeit gilt, dazu nochmals unten aa) (4) (S. 399 ff.). Die Kritik von Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 277, die Zuordnung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu § 242 BGB sei „zu eng bzw. ungenau“, bezieht sich aber wohl vor allem auf diesen Gesichtspunkt. 187 Vgl. auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 476, der „Unverhält nismäßigkeit“ als Generalklausel wie Treu und Glauben, gute Sitten, Verkehrssitte etc. ansieht, dieser damit aber einen materialen Gehalt gibt, der ihr gerade nicht immanent ist, sondern ihr erst durch das Zusammenwirken mit anderen Grundsätzen verliehen wird. 188 In diese Richtung wohl Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 872; dezidiert auch Groggert, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen Arbeitskampfrecht, S. 111 ff., 127 ff. 189 So Groggert, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen Arbeitskampfrecht, S. 111 ff., 127 ff. 190 Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 264 ff. 191 Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 40; MüKo-BGB / G. H. Roth, § 242 Rn. 380 ff. 192 Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 279 f. 193 Erman / Hohloch, § 242 Rn. 129. 194 Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 40; MüKo-BGB / G. H. Roth, § 242 Rn. 376 ff.
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verwendet werden auch Kombinationen beider Begriffe.195 Manche Autoren sehen gar nur die zweite Fallgruppe als Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.196 Beide Fallgruppen gehören zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Ob eine Rechtsausübung unzulässig ist, richtet sich im Einzelfall nach einer Interessenabwägung. Nachdem dabei stets das Überwiegen einer Position vorausgesetzt wird, liegt es nahe, die unterlegene als „geringfügig“ zu bezeichnen – dies hat jedoch für beide Fallgruppen seine Berechtigung. Nachdem das Gesetz selbst in §§ 320 Abs. 2, 259 Abs. 3 BGB197 den Begriff der Geringfügigkeit verwendet, werden im Folgenden nur die Fälle der Rechtsausübung als Sanktion für eine Pflichtverletzung als solche der Geringfügigkeit gekennzeichnet. aa) Rechtsausübung bei geringfügiger Pflichtverletzung („Geringfügigkeitsfälle“) Als Geringfügigkeitsfälle kann man Konstellationen bezeichnen, in denen die Rechtsausübung als eine Reaktion auf ein geringfügiges Fehlverhalten des anderen Teils dahingehend eingeschränkt wird, dass sie nicht außer Verhältnis zum Ausmaß der Pflichtverletzung stehen darf. In der Rechtsprechung werden Geringfügigkeitsfälle zumeist unter dem Begriff des Übermaßverbotes gefasst.198 Dieses verbietet dem Gläubiger, ein geringfügiges Fehlverhalten des Schuldners mit einer einschneidenden Rechtsfolge zu sanktionieren. Oftmals betrafen die entschiedenen Fälle verspätete Zahlungen des Schuldners, auf die der Gläubiger mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses reagiert oder sich nicht mehr an ein Vergleichsangebot gebunden hält. Im Wesentlichen können zwei Fallgruppen unterschieden werden: 195
AnwK-BGB / Krebs, § 242 Rn. 88: „Geringfügige Interessenverletzung (Unverhältnismäßigkeit)“. 196 Erman / Hohloch, § 242 Rn. 129; PWW / Schmidt-Kessel, § 242 Rn. 42; AnwKBGB / Krebs, § 242 Rn. 88 ff.; im Ergebnis auch Palandt / Grüneberg, § 242 Rn. 53 f., der zwar Fälle der Geringfügigkeit und der Unverhältnismäßigkeit unterscheidet, aber beide Termini auf das Verhältnis von Pflichtverletzung und Reaktion anwendet. 197 Ist der Schuldner zur Rechenschaft verpflichtet, und besteht der Verdacht, dass die Angaben über die Einnahmen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht wurden, so hat der Schuldner auf Verlangen des Gläubigers zu Protokoll an Eides Statt zu versichern, dass er die Aufstellung nach bestem Wissen vollständig angefertigt hat, § 259 Abs. 2 BGB. Dasselbe gilt für die Verpflichtung zur Erteilung von Auskunft nach § 260 Abs. 2 BGB. Eine falsche Versicherung an Eides Statt kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (§ 156 StGB). Daher entfällt die Pflicht zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung in Angelegenheiten von geringer Bedeutung, §§ 259 Abs. 3, 260 Abs. 3 BGB. Die Geringfügigkeit der Angelegenheit kann sich dabei einerseits daraus ergeben, dass der beanstandete Mangel in der Aufstellung unbedeutend ist, andererseits aber auch daraus, dass die Angelegenheit insgesamt nur geringe Bedeutung hat, siehe Staudinger / Bittner (2009), § 259 Rn. 41. Das Gesetz verhindert damit, dass eine scharfe Sanktion in Bagatellfällen zur Anwendung kommen kann. 198 Deutlich die Unterscheidung in BGHZ 88, 91, 95.
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Die erste betrifft Vertragsverletzungen bei Dauerschuldverhältnissen, insbesondere Zahlungsrückstände, die zweite die Sanktion von Pflichtverletzungen bei sonstigen Rechtsverhältnissen. (1) Pflichtverletzungen bei Dauerschuldverhältnissen Die Parteien von Dauerschuldverhältnissen stehen in besonderem Maße unter der Verpflichtung, die gegenseitigen Pflichten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu erfüllen.199 Daraus erklärt sich, dass geringfügige Rückstände etwa bei Miet- oder Pachtverträgen selbst dann nicht zur Kündigung berechtigen, wenn dies vertraglich ausdrücklich vereinbart wurde. Vielmehr ist die schwerwiegende Folge der Beendigung des Vertrags nur bei mehrfacher erheblicher Verspätung möglich. 200 Ähnliches gilt im Arbeitsrecht: Der Arbeitnehmer darf die Erbringung seiner Arbeitsleistung nicht verweigern, wenn der Lohnrückstand verhältnismäßig geringfügig ist oder wenn dem Arbeitgeber dadurch ein unverhältnismäßig hoher Schaden entstehen kann. 201 Im Versicherungsvertragsrecht darf sich der Versicherer nicht auf seine Leistungsfreiheit berufen, wenn der Versicherungsnehmer nur geringfügig mit der Prämienzahlung im Rückstand ist. 202 Dabei ist die Geringfügigkeitsschwelle nicht auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen eine Partei mit der Zahlung im Rückstand ist; es kann sich auch um andere Vertragsverletzungen handeln. So hielt es das Reichsgericht für einen Verstoß gegen § 242 BGB, wenn die Verfallsklausel in einem Bierlieferungsvertrag bereits bei geringfügigen Verfehlungen des Gastwirts zur Fälligstellung der von der Brauerei ausgereichten Darlehen führen würde. 203 Regelmäßig ist die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses wegen Pflichtverletzung nur nach vorheriger Abmahnung zulässig, wenn es sich um ein geringfügiges Fehlverhalten handelt. 204 Diese von der Rechtsprechung entwickelte Einschränkung hat nun in § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzliche Ausprägung gefunden.205 Das Abmahnerfordernis bei der Kündigung ist hingegen, wie bereits dargelegt, keine Ausprägung des Grundsatzes der Erforderlichkeit, da dieses keine Ul199 Vgl. dazu insbesondere Oetker, Das Dauerschuldverhältnis, S. 289 ff.; LG Berlin NJW 1972, 1324. 200 RGZ 86, 334, 335; LG Berlin NJW 1972, 1324. Ähnlich hat das Reichsgericht für den Rückstand mit der Ratenzahlung beim Abzahlungskauf entschieden, RGZ 169, 140, 143. 201 BAG ZIP 1985, 302, 304 in einer Analogie zu § 320 Abs. 2 BGB. 202 BGHZ 21, 122, 136. 203 RGZ 152, 251, 258. Konkret ging es um die Verpflichtung zur Abnahme einer bestimmten Menge Bier. 204 RGZ 86, 334, 335; RGZ 169, 140, 143; BGH NJW 1992, 496, 497; BAG NZA 1992, 1030 f.; Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 40. 205 Eine funktionale Entsprechung findet das Abmahnerfordernis im Bereich des Rücktritts in der Notwendigkeit einer Fristsetzung nach § 323 Abs. 1 BGB bzw. vor allem bei Unterlassungsansprüchen in der Notwendigkeit einer Abmahnung in § 323 Abs. 3 BGB.
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tima-ratio-Zwecke verfolgt, sondern Ziel der Abmahnung ist die Aufrechterhaltung der vertraglichen Bindung ist. 206 Insbesondere im Bereich des Versicherungsrechts tritt bei geringfügigen, die Stellung eines Versicherers nicht beeinflussenden Verletzungen einer Offenlegungspflicht durch den Versicherten keine Leistungsfreiheit des Versicherers ein. 207 So enthielt § 71 Abs. 1 VVG a.F. als Sanktion für die Nichtanzeige einer Veräußerung des Versicherungsgegenstandes (Obliegenheitsverletzung) die Leistungsfreiheit des Versicherers. In diesem Fall führte der BGH eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch, da die Berufung des Versicherers auf seine Leistungsfreiheit Sanktionscharakter hat und die Norm dabei nicht nach dem Grad der Obliegenheitsverletzung unterschied.208 Der BGH führte dabei aus: „Nach dem das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben darf aber die Sanktion für einen Verstoß gegen § 71 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht außer Verhältnis zu dem Zweck dieser Vorschrift und der Schwere des Versehens stehen, das § 71 Abs. 1 Satz 2 VVG ahnden will. An dem das ganze Zivilrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck ist auch die gesetzliche Regelung in § 71 VVG zu messen.“209
Angesichts des Sanktionscharakters, den die Leistungsfreiheit des Versicherers bei einer (auch geringfügigen) Obliegenheitsverletzung des Versicherten hat, erscheint eine zurückhaltende Anwendung geboten. Der BGH legt § 71 VVG a.F. im Lichte der Generalklausel von Treu und Glauben nach § 242 BGB aus210 und führt in der Sache eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch, in der ein Übermaß an Sanktion für eine geringe Obliegenheitsverletzung vermieden wird.211 Das zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene reformierte VVG hat das Sanktionssystem für Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers dagegen modifiziert und die teilweise strengen Folgen des bisherigen Rechts abgemildert. Insbesondere führt eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers nach Art. 28 Abs. 2 VVG n.F. nicht mehr zum Wegfall, son206
Siehe dazu bereits oben § 18 I. 1. a) bb) (S. 323 ff.). BGHZ 52, 86, 90 ff. (die Entscheidung ist nur in Bezug auf die Frage der Beweislastverteilung überholt durch BGH NJW 2007, 1126); BGH NJW 1969, 1385, 1386. In beiden Fällen ging es um die Verletzung der in der damaligen Fassung von § 7 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AKB bestimmten Aufklärungspflicht durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort. Der BGH stufte diese Pflicht als „zivilrechtliche Strafbestimmung von außerordentlicher Schärfe“ ein und statuiert ein „Gebot der Verhältnismäßigkeit von Verstoß und Strafe“. In beiden Fällen hatte der Verstoß des Versicherungsnehmers keine nachteiligen Folgen für den Versicherer, da der Unfallhergang auch so aufgeklärt werden konnte. 208 BGHZ 100, 60, 63 ff. 209 BGHZ 100, 60, 64. 210 Siehe dazu allgemein Heiss, Treu und Glauben im Versicherungsvertragsrecht. 211 Genauso OLG Hamm NJW-RR 1992, 1121, 1122; LG Hannover Schaden-Praxis 1998, 477. Siehe auch BGHZ 130, 171, 176 ff. (Berufung des Versicherers auf fehlende Invaliditätsanzeige rechtsmissbräuchlich, wenn die Invalidität unstreitig ist). Zustimmend Prölss / Martin / Prölss, VVG, 27. Aufl., § 71 VVG Rn. 5. 207
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dern nur noch zur Berechtigung des Versicherers, seine Leistungspflicht „in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis“ zu kürzen.212 Die allgemeine Verhältnismäßigkeitskontrolle im Versicherungsvertragsrecht geht damit in der ausdrücklichen Normierung der gesetzlichen Regelung in § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG n.F. auf. 213 (2) Einschränkung des Zurückbehaltungsrechts aus § 273 BGB In besonderer Weise zeigt sich die Bedeutung der Geringfügigkeitsfälle bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB. Wenn das Gesetz in § 320 Abs. 2 BGB eine Verweigerung der Zurückbehaltung der Gegenleistung dann ausschließt, wenn der offene Rest der Gegenleistung verhältnismäßig geringfügig ist, 214 so steckt darin ein allgemeiner Rechtsgedanke, der nicht auf gegenseitige Verträge beschränkt ist. Die Möglichkeit der Zurückbehaltung der eigenen Leistung, solange die Gegenseite ebenfalls nicht leistet, folgt aus dem allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Vertragstreue. 215 Diese Verknüpfung wechselseitiger vertraglicher Pflichten geht so weit, wie die Zurückbehaltung der eigenen Leistung zur Sicherung der aus dem Vertrag folgenden Interessen geboten ist. Zur Schädigung des Vertragspartners darf das Zurückbehaltungsrecht nicht verwendet werden. Eine Grenze besteht daher dort, wo die ausgebliebene Gegenforderung im Verhältnis zur eigenen, zurückbehaltenen Leistung geringfügig ist. 216 212 Ähnliches bestimmt § 26 Abs. 1 Satz 2 VVG n.F. für den Eintritt des Versicherungsfalles nach grob fahrlässiger Gefahrerhöhung durch den Versicherungsnehmer. Vgl. demgegenüber die wesentlich enger gefasste Vorgängernorm in § 6 VVG a.F., die keine Verhältnismäßigkeitskontrolle enthielt, sondern die Leistungsfreiheit lediglich dann zuließ, wenn die Obliegenheitsverletzung ohne Folgen geblieben war. Zu diesem Kausalitätsprinzip Prölss / Martin / Prölss, VVG, 27. Aufl., § 6 VVG Rn. 104. 213 Ähnliche Einschätzung bei Palandt / Grüneberg, § 242 Rn. 84. Siehe auch die Regelung des § 192 Abs. 2 VVG, nach der der private Krankenversicherer zur Leistung insoweit nicht verpflichtet ist, „als die Aufwendungen für die Heilbehandlung oder sonstigen Leistungen in einem auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen“. Zur darin liegenden Ausprägung des „Übermaßverbotes“ Rogler, VersR 2009, 573. 214 Dazu bereits oben § 13 I. (S. 236 f.). 215 Plastisch BGH WM 1966, 115, 117: „[T]reuwidrig handelt, wer etwas fordert, ohne zugleich seine eigenen Verpflichtungen zu erfüllen.“ 216 BGH NJW 2004, 3484, 3485; BGH WM 1966, 115, 117 (dort auch Nachweise zur gleichlautenden reichsgerichtlichen Rechtsprechung); OLG Köln VRS 85, 243; OLGR Koblenz 2006, 754; MüKo-BGB / Krüger, § 273 Rn. 72; Jauernig / Stadler, § 273 Rn. 17; Palandt / Grüneberg, § 273 Rn. 17. Entsprechendes gilt für sämtliche spezielleren Ausprägungen des allgemeinen Zurückbehaltungsrechts aus § 273 BGB, so etwa neben der Einrede des nicht erfüllten Vertrages nach § 320 Abs. 2 BGB insbesondere für das Recht des Rechtsanwalts zur Verweigerung der Herausgabe der Handakten nach § 50 Abs. 3 BRAO; hier formuliert das Gesetz ausdrücklich die Einschränkung, dass die Ausübung dieses Rechts nach den Umständen nicht unangemessen sein darf. Der Sache nach handelt es sich dabei regelmäßig ebenfalls um Geringfügigkeitsfälle (dazu BGH NJW 1997, 2944).
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(3) Sonstige Fälle, insbesondere Rückstand bei Zahlungsaufschub Außerhalb der durch ein echtes Dauerschuldverhältnis herbeigeführten, besonderen vertraglichen Nähebeziehung ist die Rechtsprechung äußerst zurückhaltend mit der Einschränkung der Geltendmachung vertraglicher Rechte. Der BGH führte zwar aus, dass nach dem sogenannten „Übermaßverbot […] – als eine Auswirkung des Grundsatzes von Treu und Glauben – bestimmte schwerwiegende Rechtsfolgen in Fällen nur geringfügiger Vertragsverletzung nicht eintreten sollen“.217 Dies sei jedoch nicht dahin zu verstehen, dass die Berufung auf geringfügige Rechtsverstöße als solche schon missbräuchlich wäre. 218 Hinzukommen müssen also weitere Umstände, die dazu führen, dass ein von der Rechtsordnung eigentlich gebilligtes Tun im Einzelfall nicht mehr erlaubt ist. Das ist nicht bereits dann der Fall, wenn vertraglich vereinbarte Sanktionen die davon betroffene Partei hart treffen.219 Es ist legitim, die Auflösung eines Vertrags für den Fall einer Pflichtverletzung zu vereinbaren, um ein Druckmittel zur Verfügung zu haben. 220 Bei dessen Ausübung muss eine Partei nur ausnahmsweise auf die Belange des Rücktrittsgegners Rücksicht nehmen. Dabei besteht ein proportionaler Zusammenhang zwischen dem Grad der Pflichtverletzung und den Auswirkungen des Rücktrittsrechts: Je schwerer die Verfehlung des Rücktrittsgegners, um so weniger erscheint die Sanktion als ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. 221 Unerheblich ist hingegen, welche Motivation hinter der Ausübung des Rücktrittsrechts steht; hierbei kann es sich auch um bloß wirtschaftliche Erwägungen handeln. 222 Ein Zusammenhang dahingehend, dass die Sanktion stets in einem angemessenen Verhältnis zu der sie auslösenden Pflichtverletzung stehen muss, besteht daher in dieser Allgemeinheit nicht:223 Was angemessen ist, folgt primär aus den gesetzlichen Wertungen, die dem betreffenden Recht zugrunde liegen.
217 BGHZ 88, 91, 95 (dazu Haase, JR 1984, 105); BGH NJW 1985, 266, 267; BGH WM 1985, 876. 218 BGHZ 88, 91, 95; vgl. auch BGH NJW 1981, 2686, 2687. 219 Vgl. BGH NJW 1985, 266, 267. 220 BGH NJW 1980, 1043, 1044; BGH NJW 1981, 2686, 2687. 221 Verneint wurde ein Verstoß gegen das Übermaßverbot etwa in BGH NJW 1981, 2686, 2687; BGHZ 88, 91, 95; BGH NJW 1985, 266, 267. In all diesen Fällen war der Schuldner mit den vereinbarten Raten in Rückstand geraten, woraufhin der Gläubiger den Rücktritt vom Vertrag erklärt hatte. 222 So etwa in BGH NJW 1985, 266, 267, wo das Berufungsgericht das „unternehmerische Geschäftsgebaren“ des Gläubigers mit in die Abwägung einbezogen hatte und die Interessen des Schuldners an der Aufrechterhaltung des Vertrags höher bewertete als diejenigen des Gläubigers am Rücktritt. Der BGH trat dem entgegen. Vgl. auch die ähnlichen Erwägungen des House of Lords im Fall Co-operative Insurance Society v. Argyll Stores [1998] AC 1, 18 (dazu oben § 12 I. 4. c) – S. 214 ff.), die freilich in einem etwas anderen Zusammenhang stehen. 223 Vgl. etwa Palandt / Grüneberg, § 242 Rn. 54; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 39; offener wohl Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 40.
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Anders ist hingegen die Lage zu beurteilen, wenn der Gläubiger seinerseits dem rückständigen Schuldner zu verstehen gegeben hat, dass er trotz dessen Säumnis von den vertraglich vorgesehenen Sanktionen nicht Gebrauch machen werde. Ist ein derartiger Vertrauenstatbestand geschaffen worden – dies kann auch durch bloßes Dulden verspäteter Zahlungen geschehen –, so ist eine spätere Ausübung des Rücktrittsrechts treuwidrig.224 Damit zeitigt in diesen Fällen aber weniger das Übermaß der vertraglichen Sanktion für eine im Vergleich dazu geringfügige Pflichtverletzung den Missbrauchsvorwurf als vielmehr der Gedanke des widersprüchlichen Verhaltens. 225 (4) Beschränkung auf die schonendste Sanktion? Insbesondere Jürgen Schmidt hat vorgeschlagen, die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips von vornherein auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen das Recht einer Partei Sanktionsmöglichkeiten für Fehlverhalten des anderen Teils zur Verfügung stellt.226 Auf diese Weise sei „einem Teil der Ausuferungen zu begegnen, die bei der Annahme eines allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips im Zivilrecht zu erwarten wären“. 227 Der Sanktionsgedanke trage nicht weiter als zur Kompensation des Fehlverhaltens nötig. 228 Daraus ergibt sich für Schmidt eine dreifache Abstufung:229 Ein Fehlverhalten darf überhaupt nicht sanktioniert werden, wenn es sich nicht auf die Interessen des anderen Teils auswirkt. Wirkt es sich nur geringfügig aus, so hat eine weitreichende, schwerwiegende Reaktion im Regelfall ganz zu unterbleiben. Bei mehr als nur geringfügigen Beeinträchtigungen darf eine angemessene Sanktion erfolgen, zulässig ist aber nur das jeweils mildeste Mittel.230 224 BGH NJW 2003, 2448, 2449; ebenso bereits BGH NJW 1980, 1043, 1044. Ähnlich BGH NJW-RR 1988, 275 für eine Verfallsklausel, auf die sich eine Partei wegen der um einen Tag verspäteten Zahlung berief. Vgl. auch OLG Stuttgart MDR 2006, 378, 379; OLG München NJW-RR 2004, 1140, 1141 (Zahlungsrückstände bei sog. Druckvergleich). Beide Gerichte stützten sich neben der Geringfügigkeit der ausstehenden Raten vor allem auf fehlendes Verschulden des Schuldners in Bezug auf den Rückstand sowie darauf, dass die Pflichtverletzung vom Schuldner zunächst unbeanstandet geblieben war. 225 Deutlich die Unterscheidung in BGH NJW 1980, 1043, 1044. 226 Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 779 ff. 227 Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 779. 228 Zutreffend Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 779 (mit dem Hinweis auf das zivilrechtliche Schädigungsverbot). 229 Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 780 ff. 230 Vgl. auch den Ansatz von H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 106 ff., der zwischen dem Verbot des Unterliegens des Gestaltungsinteresses und dem Gebot des Überwiegens des Gestaltungsinteresses unterscheidet (zu diesem Ansatz, der auf einem abweichenden, verfassungsrechtlichen Verständnis der Verhältnismäßigkeit basiert, näher oben § 17 IV. – S. 311 ff.). Ersteres soll dann greifen, wenn ein Vertragspartner vom vertraglichen Pflichtenprogramm materiell („nach unten“) abweicht, wenn auch die Ausübung des Gestaltungsrechts vom Vertragswortlaut gedeckt ist. Letzteres ist einschlägig, wenn der Vertragspartner die konsen-
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Die erste Fallgruppe erscheint nicht als Anwendungsfall des Verhältnismäßigkeitsprinzips: Werden Interessen des Vertragspartners durch ein Verhalten des anderen Teils überhaupt nicht berührt, so entsteht im Regelfall schon von vornherein kein Sanktionsrecht. Ist dies aber dennoch der Fall, dann fehlt dem Rechtsinhaber jegliches Eigeninteresse an der Geltendmachung; die Ausübung dieses Sanktionsrechts erweist sich als Missbrauch einer formal bestehenden Rechtsposition.231 Das kann etwa der Fall sein, wenn mit der Rechtsausübung ausschließlich vertragsfremde Interessen 232 oder Drittinteressen 233 verfolgt werden. Die zweite und die dritte Fallgruppe können wohl nur schwer voneinander unterschieden werden. Ob ein Fehlverhalten vergleichsweise geringfügig ist oder nicht mehr nur geringfügig, kann für die Reaktionsmöglichkeit keine Unterscheidung rechtfertigen. In beiden Fallgruppen darf sich die Sanktion nicht als unverhältnismäßig erweisen. Umgekehrt besteht auch keine absolute Geringfügigkeitsgrenze, bei der die Rechtsausübung generell unzulässig ist. 234 Problematisch erscheint die von Schmidt befürwortete235 und von anderen Autoren geteilte236 Anwendung des Ultima-ratio-Grundsatzes auf die sanktionierende Reaktion. Wenn der vom Fehlverhalten Betroffene auf die schonendste Sanktion verwiesen wird, so setzt dies voraus, dass mehrere Sanktionsmöglichkeiten bestehen, die den Sanktionszweck gleich sicher erfüllen. Dass dies wiederum eine Wertungsfrage ist, wurde bereits dargestellt. 237 Überdies bestehen im Vertragsrecht Entscheidungsalternativen regelmäßig nur zwischen der Austierte Eingriffsermächtigung verlässt (etwa bei der Umgestaltung von Arbeitsverhältnissen, vgl. H. Hanau, a.a.O., S. 126, 128 f.). Nachdem dabei das Äquivalenzverhältnis verlassen werde, liege ein Eingriff vor, der die Anwendung des Grundsatzes der Erforderlichkeit rechtfertige. 231 So auch Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 260 ff. Hier besteht eine enge Beziehung zur Fallgruppe der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf Formnichtigkeit, vgl. etwa M. Stürner, ERPL 2005, 510, 512 ff. 232 Vgl. BGHZ 134, 325, 330: „Die Ausübung gesetzlicher oder vertraglicher Rechte ist ausnahmsweise nicht gestattet, wenn sie dem Zweck der Norm oder der getroffenen Vereinbarung eindeutig nicht entspricht sowie beachtliche Belange des anderen verletzt und der Berechtigte kein schutzwürdiges Interesse an der Durchsetzung des erhobenen Anspruchs hat.“ 233 Vgl. etwa BGH NJW 1983, 1735, 1736 (Rechtsmissbräuchlichkeit der Einziehung einer Forderung durch eine Bank, wenn dies nur dazu dient, den Zedenten in den Genuss von Sicherheiten zu bringen, die die Bank nicht ausgeschöpft hat); ähnlich BGH NJW 1981, 1600. 234 BGHZ 88, 91, 95; BGH WM 1985, 876, 877; Palandt / Grüneberg, § 242 Rn. 53; Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 280; AnwK-BGB / Krebs, § 242 Rn. 88. A.A. aber Buß, NJW 1998, 337, 343, der bereits de lege lata für Geltung einer allgemeinen Geringfügigkeitsschwelle eintritt. Aus der Entstehungsgeschichte des BGB ergibt sich immerhin, dass der Grundsatz minima non curat praetor jedenfalls für die Gewährleistung des Verkäufers für Sachmängel gelten sollte, siehe Motive II, S. 225 in Bezug auf § 381 Abs. 2 S. 2 BGB-E (entspricht § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.). 235 Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 782. 236 Vgl. etwa Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 280 a.E. 237 Oben § 18 I. 1. a) (S. 319 ff.).
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übung eines Rechts und deren Unterlassen. Im Ergebnis nehmen häufig aber auch die Befürworter des Ultima-ratio-Prinzips eine Abwägung der betroffenen Parteiinteressen vor. Auch bei Ablehnung des Ultima-ratio-Grundsatzes wird indessen die Berücksichtigung der Reaktionsmöglichkeiten des Rechtsinhabers nicht von vornherein ausgeschlossen: Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (i.e.S.) kann selbstverständlich eine Rolle spielen, ob es andere Möglichkeiten für den Gläubiger gibt, sein Ziel zu erreichen. Das Bestehen von Entscheidungsalternativen wird dabei jedoch nicht als „scharfe Entscheidungsregel“ verstanden, sondern nur als Abwägungsfaktor. 238 Damit kommt zum Ausdruck, dass die Zuweisung eines subjektiven Rechts an eine Person eine Freiheitssphäre beinhaltet, 239 die erst dann kontrolliert wird, wenn ein übermäßiger Eingriff in die Belange des anderen Teils gegeben ist, aber nicht schon bei der Mittelauswahl ansetzt.240 bb) Geltendmachung des Primäranspruchs bei überwiegenden Schuldnerinteressen („Unverhältnismäßigkeit“) Zu der zweiten Fallgruppe können diejenigen Konstellationen gerechnet werden, in denen das Interesse des Gläubigers an der Rechtsausübung im Verhältnis zu den Schuldnerinteressen wesentlich geringer sind. Auch hier können „Geringfügigkeitsfälle“ entstehen, etwa dann, wenn das Interesse des Gläubigers an der Naturalerfüllung nur marginal ist, dem aber ein weit höherer Schuldneraufwand gegenübersteht. Das ist aber nicht der entscheidende Punkt, denn Unverhältnismäßigkeit ist auch dann gegeben, wenn das Gläubigerinteresse an der 238 Vgl. BGH NJW 1985, 266, 267: „In Ausnahmefällen kann die Rechtsausübung freilich auch bei schwereren Vertragsverstößen unzulässig sein, wenn sie dem anderen Teil unverhältnismäßige Nachteile zufügt und auch weniger schwerwiegende Maßnahmen den Interessen des Berechtigten genügen.“ 239 Vgl. auch Staudinger / J. Schmidt (1995), § 242 Rn. 785. 240 Hier besteht eine Parallele zur Inhaltskontrolle von AGB (oben § 9 II. 2. – S. 117 ff.): Dort ist anerkannt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jedenfalls wegen der Bezugnahme auf den Grundsatz von Treu und Glauben im Tatbestand des § 307 BGB gilt. Entgegen missverständlichen Formulierungen in der Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 1997, 193, 195: Ziel der Inhaltskontrolle sei die Herstellung eines „angemessenen Interessenausgleichs“) besteht Einigkeit darüber, dass es nicht ein einziges „angemessenes“ Ergebnis bei der Klauselkontrolle geben kann (A. Fuchs, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 307 Rn. 96, 107 m.N.). Wenn befürwortet wird, Rechtseinschränkungen beim Vertragspartner seien strikt am Grundsatz der Erforderlichkeit auszurichten, dann aber zugelassen wird, dass sie durch ausgleichende Maßnahmen abgemildert werden müssen (Staudinger / Coester (2006), § 307 Rn. 98, 162 m.N.), so wird damit im Ergebnis keine Erforderlichkeitsprüfung durchgeführt, sondern eine Gesamtabwägung vorgenommen. Auch hier gilt, dass der negativ formulierte Begriff der Unangemessenheit in § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ernst zu nehmen ist (dazu Staudinger / Coester (1998), § 9 AGBG Rn. 73), denn es geht um einen Eingriff in die Privatautonomie, der auf ein Mindestmaß zu beschränken ist. Auch daraus folgt, dass ein strikter Grundsatz der Erforderlichkeit nicht gilt, sondern das Bestehen unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten des Verwenders nur im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen ist.
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Leistung groß ist, solange nur der Schuldneraufwand relativ hierzu gesehen außer Verhältnis steht. (1) Abschließende Regelung in § 275 Abs. 2 und 3 BGB? Diese Einschränkung von bestehenden Rechten hat die Rechtsprechung ursprünglich aus dem insbesondere in den §§ 251 Abs. 2, 633 Abs. 2 Satz 2241 BGB a.F. enthaltenen Rechtsgedanken entnommen. 242 Hierzu führte der BGH aus:243 „Aber auch ohnehin kann das Verlangen des Klägers wegen Unverhältnismäßigkeit unzumutbar und deshalb nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein. Den gesetzlichen Anhaltspunkt für eine solche Opfergrenze bieten die §§ 633 Abs. 2 Satz 2, 251 Abs. 2 BGB. Nach dem in diesen Vorschriften ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedanken kann das Verlangen nach Herstellung eines an sich gebotenen – auch eines vertraglich geschuldeten – Zustandes rechtsmißbräuchlich sein, wenn ihm der in Anspruch Genommene nur unter unverhältnismäßigen, billigerweise nicht zumutbaren Aufwendungen entsprechen könnte.“
Der Konflikt zwischen Leistungsinteresse des Gläubigers und entgegenstehenden Interessen des Schuldners hat durch die Schuldrechtsmodernisierung nun in § 275 Abs. 2 und 3 BGB eine ausdrückliche Regelung gefunden. Der Reformgesetzgeber nahm ausdrücklich Bezug auf die genannte Rechtsprechung; in den Leistungsverweigerungsrechten in § 275 Abs. 2 und 3 BGB drückt sich dieser Gedanke nunmehr in allgemeiner Form aus.244 Vor diesem Hintergrund fragt sich, ob der Rechtsprechung des BGH zur Unverhältnismäßigkeit nach Kodifizierung des § 275 Abs. 2 und 3 BGB noch eigenständige Bedeutung zukommt, oder ob jene Normen nicht vielmehr abschließende Regelungen für die Fälle der Leistungsverweigerung bei unzumutbarem Aufwand enthalten. Hier ist zu differenzieren nach der Art der in Rede stehenden Ansprüche. Recht unproblematisch stellt sich die Lage innerhalb des tatbestandlichen Anwendungsbereichs des § 275 Abs. 2 BGB dar. Nachdem die Norm eine Konkretisierung des allgemeinen Gedankens der Unverhältnismäßigkeit darstellt, ist für die Anwendung des dahinter stehenden allgemeinen Prinzips kein Raum, soweit § 275 Abs. 2 BGB reicht. 245 Dabei ist es unerheblich, ob man den Gedanken der Unverhältnismäßigkeit aus § 242 BGB ableitet, oder aus einer Gesamtanalogie der §§ 251 Abs. 2, 275 Abs. 2, 439 Abs. 3, 635 Abs. 3, 651c Abs. 2 BGB246 241
Entspricht § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB i.d.F. vom 31.12.2001. Zur Entwicklung bereits oben § 12 I. 1. a) (S. 168 ff.). 243 BGH NJW 1988, 699, 700. 244 Siehe zu dieser Regelungsabsicht des Gesetzgebers die Regierungsbegründung BTDrucks. 14/6040, S. 130. 245 Canaris, JZ 2001, 499, 505; Teichmann, BB 2001, 1485, 1487; Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 271; ebenso MüKo-BGB / Oetker, § 251 Rn. 35. 246 In diese Richtung tendierend (aber offen lassend) MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 71; kritisch Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 272. 242
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– auch diese Normen wiederum sind Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben. 247 § 275 Abs. 2 BGB entfaltet also innerhalb seines Anwendungsbereichs eine Sperrwirkung, die für die Leistungsverweigerung die Schwelle des groben Missverhältnisses aufstellt, und die nicht durch eine allgemeine Einrede der Unverhältnismäßigkeit unterlaufen werden kann.248 Es fragt sich, ob der allgemeine Gedanke der Unverhältnismäßigkeit im Bereich der Leistungspflichten neben der Neuregelung des § 275 Abs. 2 BGB überhaupt noch eigenständige Bedeutung hat. Dagegen könnte sprechen, dass der Gesetzgeber mit der Kodifizierung der Norm eine abschließende Regelung bezweckt hat, die die Schwelle für die Berechtigung zur Leistungsverweigerung eben erst beim groben Missverhältnis und damit höher als in den §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3, 651c Abs. 2 BGB ansetzt.249 Dieser gesetzlichen Systematik entspricht es eher, § 275 Abs. 2 BGB und die darin normierte Schwelle des groben Missverhältnisses als allgemeine Grenze der Unverhältnismäßigkeit anzusehen. 250 Die genannten anderen gesetzlichen Ausprägungen bilden Ausnahmevorschriften zu § 275 Abs. 2 BGB, die eine niedrigere Schwelle vorsehen und damit jedenfalls nicht geeignet sind, die Wertung des § 275 Abs. 2 BGB zu überspielen. In diese Richtung lässt sich auch die Judikatur des BGH interpretieren, der im Zusammenhang mit der Beschränkung des Herausgabeanspruchs aus § 1004 BGB nicht mehr auf den Rechtsgedanken des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB rekurriert, sondern ausdrücklich auf § 275 Abs. 2 BGB. 251 Ebenso hat der BGH in Bezug auf den Wiederherstellungsanspruch des Mieters entschieden: Dieser wird in Ermangelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung im Mietrecht nunmehr durch § 275 Abs. 2 BGB begrenzt. 252 Ungenau wäre es daher, aus § 275 Abs. 2 BGB und den §§ 251 Abs. 2, 439 Abs. 3, 635 Abs. 3, 651c Abs. 2 BGB insgesamt eine Grenze der Unverhältnismäßigkeit herzuleiten. 253 Dem steht ent247
Zu § 251 Abs. 2 BGB etwa BGHZ 59, 365, 368 m.w.N. Ebenso Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 272. 249 So BT-Drucks. 14/6040, S. 130. 250 So auch Grigoleit, Contratto impr. / Europa, 2004, 2, 920, 937 ff. 251 BGH NJW 2008, 3122, 3123. Hier führt der BGH aus: „Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat den Rückgriff auf den in § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB zum Ausdruck kommenden Grundsatz zur Beschränkung des Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB überflüssig gemacht. Die Beschränkung folgt nunmehr aus § 275 BGB.“ Genauso BGH NJW 2008, 3123, 3124 f. sowie BGH NZM 2010, 174, 175; dem zustimmend Jauernig / Jauernig, § 1004 Rn. 6. – Eine andere, hier nicht zu vertiefende Frage ist, ob die Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB auf dingliche Ansprüche aus systematischen Gründen überhaupt sinnvoll und geboten ist, dazu kritisch und mit Nachweisen Kolbe, NJW 2008, 3618 (für analoge Anwendung des § 912 BGB); Gsell, LMK 266937; ablehnend auch Baur / Stürner, Sachenrecht, § 12 Rn. 21. Generell für Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf den dinglichen Beseitigungsanspruch Bezzenberger, JZ 2005, 373, 375 ff. 252 BGH NJW 2005, 3284; ebenso BGH WuM 2010, 348, 349 f.; hierzu m.w.N. bereits oben § 12 I. 3. c) cc) (S. 205 ff.). 253 In diese Richtung etwa MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 71. 248
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gegen, dass die Normen jeweils unterschiedliche Schwellen festlegen, ab denen die Leistungspflicht nicht mehr besteht. 254 Unabhängig davon lassen sich alle diese Normen als Ausprägungen der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und von Treu und Glauben einordnen – nur eben mit unterschiedlicher tatbestandlicher Reichweite.255 Für persönlich zu erbringende Leistungen normiert § 275 Abs. 3 BGB ein gesondertes Leistungsverweigerungsrecht für ideelle Leistungshindernisse. 256 Innerhalb von dessen Anwendungsbereich ist ein Rückgriff auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip aus den genannten Gründen ausgeschlossen. (2) Allgemeines Verbot der unverhältnismäßigen Rechtsausübung? Ein Rückgriff auf das allgemeine Verbot der unverhältnismäßigen Rechtsausübung kann somit von vornherein neben § 275 Abs. 2 und 3 BGB nur dann in Betracht gezogen werden, wenn deren sachlicher Anwendungsbereich verlassen wird. 257 Denn die Stellung des § 275 BGB im allgemeinen Schuldrecht spricht für eine umfassende Geltung für sämtliche Leistungspflichten. 258 Der Rekurs auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip kommt daher neben diesen Vorschriften von vornherein nur bei nicht persönlich zu erbringenden Leistungspflichten in Betracht, und zwar dann, wenn das Leistungshindernis sich nicht aus materiellen, sondern aus ideellen Gründen ergibt.259 § 275 Abs. 3 BGB ist auf solche Fälle wegen der Beschränkung auf persönlich zu erbringende Leistungen nicht einschlägig. § 275 Abs. 2 BGB hingegen setzt tatbestandlich einen übermäßigen materiellen Schuldneraufwand voraus. 260 Dies steht nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Normierung der Unverhältnismäßigkeit: Auch der Gesetzgeber geht offenbar nicht davon aus, dass § 275 Abs. 2 und 3 BGB sämtliche Fälle abschließend regeln wollen. So verweist die Begründung zum Regierungsentwurf für die Fälle der Leistungsverweigerung wegen Gewissenskonflikts ausdrücklich auf eine Lösung nach § 313 BGB oder den Grundsatz von Treu und Glauben.261 Auch bei dem Rekurs auf das allgemeine 254 Ebenso Löhnig, ZGS 2005, 459, 461; Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 185 ff.; ähnlich bereits Stoll, JZ 2001, 589, 592, der 275 Abs. 2 DiskE-BGB für überflüssig hält, weil der damit verfolgte Regelungszweck bereits aus § 242 BGB folge. 255 AnwK-BGB / Magnus, § 251 Rn. 5 m.w.N.; im Ergebnis auch Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 189 sowie Stoll, JZ 2001, 589, 592. 256 Dazu bereits oben § 12 I. 2. (S. 189 ff.). 257 Dafür auch Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 273. 258 Vgl. BGH NJW 2008, 3122, 3123; BGH NJW 2008, 3123, 3124 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 1024, 1025; AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 3; Erman / Westermann, § 275 Rn. 2; MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 12. 259 So auch Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 273, 276. 260 Dazu bereits oben § 12 I. 1. a) (S. 168 ff.). 261 Daraus folgt indessen nicht die Unanwendbarkeit des § 275 Abs. 3 BGB auf diese Fälle, siehe dazu bereits oben § 12 I. 2. b) (S. 190 f.).
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Verhältnismäßigkeitsprinzip muss aber der von § 275 Abs. 2, 3 BGB vorgegebene, strenge Maßstab beachtet werden.262 Etwas anderes gilt aber im Bereich der Schadensersatzansprüche: Hier ist § 275 Abs. 2 BGB tatbestandlich nicht einschlägig, da diese Norm nur die primäre Leistungspflicht (mitsamt der im Rahmen der durch den Nacherfüllungsanspruch gegebenen Modifikationen und der vertraglichen Nebenpflichten) betrifft. 263 Hierfür setzt sie eine Grenze; nicht aber für die möglicherweise über die Verweisungsnorm des § 275 Abs. 4 BGB entstehenden Sekundäransprüche des Gläubigers. Für solche Ansprüche kann daher grundsätzlich weiterhin auf den Maßstab der Unverhältnismäßigkeit in § 251 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden.264 (3) Ergebnis Die Ausübung von Leistungsansprüchen steht damit unter dem allgemeinen Vorbehalt der Unverhältnismäßigkeit, wie er in § 275 Abs. 2, 3 BGB verkörpert ist. Für besonders gelagerte Konstellationen enthalten insbesondere die §§ 251 Abs. 2, 439 Abs. 3, 635 Abs. 3, 651c Abs. 2 BGB Spezialvorschriften mit abgesenkten Eingriffsschwellen. Nur für nicht persönlich zu erbringende Leistungspflichten kommt ein Rekurs auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip in Betracht, sofern das Leistungshindernis ideelle Gründe hat. Für die Verpflichtung zum Schadensersatz kommt hingegen der Rückgriff auf das in § 251 Abs. 2 BGB verkörperte, allgemeine Verbot der Unverhältnismäßigkeit weiterhin in Betracht.
3. Deklaratorische und konstitutive Verhältnismäßigkeitskontrolle Nach dem Gesagten zeigt sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht in zwei Formen: Wird ein potentieller Konflikt zwischen zwei Rechtspositionen ausdrücklich durch eine gesetzlich angeleitete Abwägung des Einzelfalles gelöst, so liegt darin eine deklaratorische Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Liegt hingegen ein solcher Konflikt vor, ohne dass der Gesetzgeber eine solche Interessenabwägung vorgesehen hätte, so stellt sich die Frage, ob dieser Konflikt damit abschließend vorentschieden
262 So im Ergebnis auch AnwK-BGB / Dauner-Lieb, § 275 Rn. 57 (für „vorsichtige Analogie“ zu § 275 Abs. 3 BGB); MüKo-BGB / Ernst, § 275 Rn. 109 (der § 313 direkt oder § 275 Abs. 3 BGB analog anwenden will); Staudinger / Looschelders / Olzen (2009), § 242 Rn. 274 f.; Canaris, in: FS Cian, S. 383, 411 f., der einen Rückgriff auf § 242 BGB befürwortet. 263 Palandt / Grüneberg, § 275 Rn. 3, 26; Bamberger / Roth / Unberath, § 275 Rn. 18. Zum Anwendungsbereich des § 275 BGB bereits oben § 12 I. 1. (S. 167 ff.). 264 Zur Rolle des § 251 Abs. 2 BGB als begrenzender Faktor von Sekundäransprüchen unten § 23 I. (S. 420 ff.).
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ist, oder ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dennoch zur Anwendung kommen kann: Dann könnte man von einer konstitutiven Geltung sprechen. 265 a) Deklaratorische Verhältnismäßigkeitskontrolle Deklaratorische Verhältnismäßigkeitsnormen haben vor allem durch die Schuldrechtsmodernisierung eine erhebliche Verbreitung im BGB gefunden.266 Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass der Gesetzgeber nicht abschließend normiert, wie ein Interessenausgleich auszusehen hat, sondern diese Entscheidung der wertenden Einschätzung des Rechtsanwenders überlassen hat. In diesen Normen wirkt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; dies aber nur deklaratorisch, weil der Gesetzgeber die Interessenabwägung bereits ausdrücklich angeordnet hat. Bei der Anwendung dieser Normen ist ein Rückgriff auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip weder erforderlich noch sinnvoll; es kann nichts zur Konkretisierung der offenen Norm beitragen.267 Vielmehr ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung in erster Linie durch die vom Gesetz genannten Abwägungskriterien determiniert; in zweiter Linie durch den Zweck der einschlägigen Norm. b) Konstitutive Verhältnismäßigkeitskontrolle? Wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als allgemeiner Rechtsgrundsatz angesehen wird, der auch im Schuldvertragsrecht gilt, dann fragt sich, inwieweit er auch dort zur Geltung kommt, wo der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich angeordnet hat, mit anderen Worten, wo die Verhältnismäßigkeitskontrolle konstitutiv wirken würde. Dies kann in zwei verschiedenen Konstellationen in Betracht kommen: Einmal kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dort wirken, wo zwar keine ausdrückliche (deklaratorische) Anordnung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt ist, eine Konfliktentscheidung aber dennoch offen geblieben ist: Hier wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Lückenfüllung eingesetzt. Ein Beispiel ist der gerade erörterte Fall der Verhältnismäßigkeitskontrolle bei ideellen Leistungshindernissen und nicht persönlich zu erbringender Leistung. 268 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Verhältnismäßigkeitskontrolle auch entgegen einer ausdrücklich gesetzlich angeordneten Konfliktentscheidung möglich ist. 269
265 Zur Unterscheidung auch Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 240. Vgl. weiter Bieder, Verhältnismäßigkeit, passim, der in Bezug auf die konstitutive Anwendung vom „ungeschriebenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ spricht. 266 Dazu oben § 12 (S. 167 ff.). 267 Vgl.auch Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 190. 268 Siehe oben 2. c) bb) (S. 401 ff.). 269 Dazu auch Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 191.
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aa) Lückenfüllung Dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Füllung gesetzlich offen gelassener Konfliktentscheidungen herangezogen werden kann und muss, ergibt sich bereits aus den vorangegangenen Ausführungen. Über den Grundsatz von Treu und Glauben wirkt die Verhältnismäßigkeit im gesamten Schuldvertragsrecht, allerdings in abgestufter Intensität. Je geringer die Regelungsdichte, desto eher kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Konkretisierung der vertraglichen Rechte und Pflichten herangezogen werden.270 Für das Schuldvertragsrecht impliziert dies insbesondere nach der Schuldrechtsmodernisierung eine starke Verringerung der Bedeutung des Grundsatzes in seiner konstitutiven Ausprägung. Insofern kann man durchaus davon sprechen, dass sich die (konstitutive) Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht vorrangig in seiner Wirkung als Missbrauchsschranke zeigt.271 bb) Durchbrechung gesetzlicher Wertungen? Demgegenüber ist fraglich, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geeignet ist, gesetzliche Wertungen zu durchbrechen, etwa ausdrücklich angeordnete Rechtsfolgen zu relativieren. Dieses Problem wurde bereits angedeutet bei der Problematik einer geltungserhaltenden Reduktion wucherischer Verträge oder unangemessener Formularklauseln. Ausgangspunkt muss die gesetzgeberische Entscheidung sein, eine Norm nicht abwägungsoffen zu gestalten, sondern eine bestimmte Rechtsfolge anzuordnen. Die Verhältnismäßigkeit ist in dieser Norm abschließend typisiert, die Interessenabwägung wurde bereits vorweggenommen. Eine solche Entscheidung des Gesetzgebers bewirkt Rechtssicherheit, indem generell und nicht erst in jedem Einzelfall das Ausmaß des rechtlichen Dürfens feststeht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann aus sich selbst heraus nicht dazu herangezogen werden, gesetzliche Wertungen zu überspielen, geschlossene Normen wieder abwägungsoffen zu machen.272 Die in diesem Sinne konstitutive Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stünde im Widerspruch zu der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative, einen Konflikt gerade nicht einzelfallabhängig, sondern im Sinne der gesetzgeberischen Voraussetzungen zu lösen. Sie stünde auch im Widerspruch zur Kompetenzverteilung im Rechts270 So auch Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 280 ff.; ders., in: FS Dieterich, S. 429, 436. 271 In diesem Sinne auch Metzner, Verbot der Unverhält nismäßigkeit, S. 59 ff.; Seiter, Streikrecht und Aussperrung, S. 150 Fn. 16; im Ergebnis auch Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 280 mit Fn. 168 (wodurch die scharfe Ablehnung insbesondere der Ansicht Metzners [Preis, a.a.O., S. 276], jedenfalls für das Schuldvertragsrecht wieder relativiert wird). Vgl. zum Rechtsmissbrauch noch einmal sogleich unten c) (S. 408 f.). 272 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 219 ff.; ähnlich Merten, in: FS Schambeck, S. 349, 362. Zu Anwendungsbeispielen unten § 23 III. (S. 430 ff.).
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staat, indem sie die Letztentscheidungsbefugnis von rechtlichen Interessenkonflikten vom Gesetzgeber auf den Richter übertragen würde.273 Man kann damit von einer Subsidiarität des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in dem Sinne sprechen, dass er stets nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn und soweit eine ausdrückliche oder implizite gesetzliche Konfliktlösung nicht vorhanden ist.274 c) Abgrenzung zum Rechtsmissbrauchsverbot Es wurde betont, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Bereich der Ausübung von vertraglichen Rechten generell nur als Missbrauchskontrolle wirkt. Damit ist er vom allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot275 abzugrenzen. Beide Konzepte überschneiden sich, sind aber nicht deckungsgleich. 276 aa) Unterschiedliche Anwendungsbereiche Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirkt wie dargelegt nicht nur im Bereich der Ausübungskontrolle, er reguliert auch vertragliche Haupt- und Nebenleistungspflichten. Er kann bereits greifen, wenn die Schwelle des Rechtsmissbrauchs nicht erreicht ist. 277 Dies zeigt sich etwa an § 439 Abs. 3 BGB: Das Beharren des Käufers auf der gewählten Art der Nacherfüllung erscheint angesichts der vertraglichen Pflicht zur mangelfreien Leistung nicht ohne weiteres als rechtsmissbräuchlich, nur weil dem Verkäufer dadurch hohe Kosten entstehen. Dennoch gewährt das Gesetz dem Verkäufer das Recht, die gewählte Art der Nacherfüllung zu verweigern. Auch im Bereich der AGB-Kontrolle greift die Verhältnismäßigkeit deutlich unterhalb der Schwelle des Rechtsmissbrauchs. Hier genügt bereits jede unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners. Das Verbot des (individuellen) Rechtsmissbrauchs besteht nur in Bezug auf die Geltendmachung von Rechten. Hier umfasst es aber nicht nur Verhältnismäßigkeitskonstellationen, sondern eine Vielzahl von weiteren Fallgruppen. So 273 Davon zu unterscheiden ist die durch § 242 BGB vermittelte Ermächtigungsfunktion, in deren Rahmen auch neue Rechtsinstitute geschaffen werden können, die wiederum eine verhältnismäßige Rechtsanwendung beinhalten. Das gilt insbesondere für die Rechtsprechung zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, aber auch für die von der Rechtsprechung vor Erlass des AGBG auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, vgl. BGHZ 22, 90, 97 ff. (wo ergänzend auch § 138 BGB herangezogen wurde). 274 So im Ergebnis auch Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 290 ff. 275 Zur Bedeutung des Rechtsmissbrauchsverbots im acquis communautaire Fleischer, JZ 2003, 865, 870 ff. 276 Lediglich terminologische Unterschiede konstatiert aus völkerrechtlicher Sicht Vranes, AVR 47 (2009), 1, 18 f. 277 Im Ergebnis ebenso H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 122; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 277.
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kann eine Rechtsausübung unzulässig sein im Falle des unredlichen Erwerbs der eigenen Rechtsstellung, 278 der Verletzung eigener Pflichten, 279 der Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr, 280 des venire contra factum proprium 281 oder der Verwirkung. 282 bb) Unterschiede in der Rechtsfolge Während der Rechtsmissbrauch regelmäßig dazu führt, dass der Inhaber einer Rechtsposition in dieser Konstellation an deren Ausübung gehindert ist, kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anstatt des Verbots die Rechtsausübung unter Modifikationen gestatten, er kann also den Bestand eines Rechts verändern. Beispiele sind die Herabsetzung einer unverhältnismäßigen Vertragsstrafe nach § 343 Abs. 1 BGB oder die Anpassung eines Vertrags bei Störung der Geschäftsgrundlage. cc) Gemeinsamkeiten Dagegen decken sich Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Rechtsmissbrauchsverbot, soweit sie die Ausübung von Rechtspositionen betreffen.283 Teilweise wird das Rechtsmissbrauchsverbot auch direkt auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gestützt. 284 Die zahlreichen gesetzlichen Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Schuldvertragsrecht haben zur Folge, dass dieses in konstitutiver Ausprägung in diesem Teilbereich des Privatrechts im Ergebnis nur als Missbrauchsschranke wirkt.
III. Rechtsvergleichende Betrachtung Der Grundsatz von Treu und Glauben im deutschen Privat- und insbesondere Vertragsrecht kann als normative Rechtfertigung für die Verhältnismäßigkeitskontrolle bei der Ausübung von vertraglichen Rechten herangezogen werden. 278
Vgl. nur BGH NJW-RR 2005, 743, 745 m.w.N. Zu dem so genannten Tu-quoque-Grundsatz vor allem Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 30 ff. 280 Zur Dolo-agit-Einrede etwa BGHZ 140, 218, 223. 281 Dazu nur Jauernig / Mansel, § 242 Rn. 48 ff. 282 Vgl. Kegel, in: FS Pleyer, S. 513. 283 Metzner, Verbot der Unverhält nismäßigkeit, S. 91 ff.; Seiter, Streikrecht und Aussperrung, S. 148 ff. (Ansatzpunkt ist eine Situation, in der eine Seite überschießende rechtlich verliehene Macht besitzt); Canaris, JZ 1987, 993, 1002 (für ruinöse Schadensersatzforderungen); ders., ZHR 143 (1979), 113, 130 f. (in Bezug auf die ordentliche Kündigung); ders., JZ 2001, 499, 504 mit Fn. 53. 284 In diese Richtung etwa EuGH, 14.11.1985, Rs. 299/84 – Neumann, Slg. 1985, 3663 (Rn. 27–33); vgl. auch Neville Brown, in: FS Henry G. Schermers, S. 511, 520 f.; kritisch Schmidt-Kessel, JbJgZivRWiss 2000, S. 65, 71. 279
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Rechtsvergleichend zeigt sich jedoch, dass diese Legitimationsgrundlage nicht in allen Rechtsordnungen gleichermaßen allgemeine Geltung beanspruchen kann. 285 Dies gilt insbesondere für das englische Recht (unten 2.) und mit Einschränkungen auch für das italienische, wo die Rechtsprechung trotz teilweise recht weitgehender Vorschläge in der Lehre noch recht zurückhaltend mit den im Codice civile enthaltenen Referenzen an buona fede und equità umgeht (unten 1.). 286 Das Gemeinschaftsprivatrecht hat wegen seines fragmentarischen Charakters nur eingeschränkte Aussagekraft für eine generelle Beurteilung der Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Eine sehr weitgehende Rolle kommt diesem Grundsatz hingegen in den PECL und dem DCFR zu (unten 3.).
1. Italien: buona fede und proporzionalità zwischen Theorie und Praxis a) Die eingeschränkte Bedeutung von Treu und Glauben Im italienischen Codice civile hat der Grundsatz von Treu und Glauben (buona fede bzw. correttezza) mehrfache Normierungen erfahren. Bereits für den vorvertraglichen Bereich regelt Art. 1337 c.c. die Pflicht der Parteien zu einem Treu und Glauben entsprechenden Verhalten. Im Bereich vertraglicher Beziehungen haben sich Gläubiger und Schuldner nach Art. 1175 c.c. „secondo le regole della correttezza“ zu verhalten; ein Vertrag ist nach Art. 1375 c.c. „nach Treu und Glauben auszuführen“. Den Geltungsgrund für buona fede und correttezza im Vertragsrecht sieht die Corte di Cassazione im Solidaritätsprinzip aus Art. 2 Cost.287 Im Gegensatz zur deutschen Rechtsprechung haben die italienischen Gerichte diese Generalklauseln indessen traditionell nicht als Hebel zu einer Korrektur der vertraglichen Leistungspflichten gesehen.288 Auch wenn Art. 1375 c.c. in Einzelfällen zur Begrenzung der missbräuchlichen Rechtsausübung herangezogen wird, 289 kann von einer echten Ausübungskontrolle nicht gesprochen
285 Vgl. demgegenüber die Einschätzung in BGHZ 120, 10, 22: „Der Grundsatz von Treu und Glauben ist als übergesetzlicher Rechtsgrundsatz allen Rechtsordnungen immanent […].“ 286 Siehe dazu (auch rechtsvergleichend) Ranieri, Rev. int. dr. comp. 1998, 1055; zusammenfassend auch ders., Stichwort „Treu und Glauben“, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band II, S. 1496 ff. 287 Cass., 15.11.2007, n. 23726; Cass., 15.3.2004, n. 5240, Foro it., 2004, I, 1397, 1401. Dazu auch Kindler, Einführung in das italienische Recht, § 4 Rn. 8 und § 10 Rn. 47 ff. 288 Erst in einem Grundsatzurteil vom 18.2.1986 (n. 960) hat die Corte di Cassazione anerkannt, dass aus Art. 1375 c.c. überhaupt Rechtspflichten folgen können. Siehe zum Ganzen auch Mengoni, JbItalR 10 (1997), S. 29, 36 ff. 289 Cass., 15.11.2007, n. 23726; Cass., 7.6.2006, n. 13345, Rep. Foro it., 2006, voce „contratto in genere“, n. 492.
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werden. Die Rechtsprechung ist noch immer gekennzeichnet von einem starken Formalismus in Bezug auf den einmal geschlossenen Vertrag. 290 b) Anerkennung eines principio di proporzionalità? Ein Teil der neueren italienischen Lehre tritt für die Anerkennung eines principio di proporzionalità ein. 291 Aus dem Zusammenwirken der gesetzlich geregelten Institute der rescissione in den Art. 763, 1447 ff. c.c., des Wucherverbotes, der eccessiva onerosità in Art. 1467 c.c. und der Herabsetzung der Vertragsstrafe in Art. 1384 c.c. mit den allgemeinen Grundsätzen der Solidarität (Art. 2 Cost.), der Vernunft und dem Gleichheitssatz wird eine Verallgemeinerung dahingehend vorgeschlagen, dass ein Vertragspartner aus einer Schwächesituation des anderen keine Vorteile gewinnen darf.292 Betont wird auch die Anerkennung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im europäischen Gemeinschaftsrecht; es gelte aber nicht nur im vertikalen Verhältnis zwischen Staat und Bürger, sondern auch in horizontalen Rechtsverhältnissen.293 Das so verstandene Verhältnismäßigkeitsprinzip soll Ungleichgewichtslagen (aller Art) kennzeichnen und gleichzeitig für einen Ausgleich sorgen – auf diese Weise soll es zu einem modernen Instrument der Vertragsgerechtigkeit werden, das gegen „opportunistische“ Verhaltensweisen eingesetzt werden kann. 294 Die Verhältnismäßigkeitskontrolle zielt dabei vor allem auf die Hauptleistungspflichten ab und weniger auf die konkrete Ausübung eines vertraglich begründeten Rechts. 295 Sie soll vor allem bei quantifizierbaren Größen zur Anwendung kommen; in Bezug auf eine Gegenüberstellung von nicht quantifizierbaren Größen wie Interessen oder Werten wird auf andere Instrumente wie die raggionevolezza (Vernunft) oder adeguatezza (Angemessenheit) ausgewichen. 296 Nur teilweise wird ein Bezug zum Grundsatz von Treu und Glauben als normative Grundlage hergestellt. 297 Das mag daran liegen, dass sich dieser
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Siehe dazu Astone, Riv. dir. civ., 2005, II, 603, 614. Vgl. insbesondere Perlingieri, Riv. crit. dir. civ. 2001, 223, 236 ff.; ders., Rass. dir. civ., 2001, 334, 337 ff. 292 Cipriani, Patto commissario e patto marciano, S. 174 ff.; Casucci, Sistema „proporzionale“ e principi di proporzionalità, S. 378 ff.; Volpe, La giustizia contrattuale, S. 88 ff.; Marucci, Rass. dir. civ., 2003, 213, 238 ff.; positiv auch Galgano, Il negozio giuridico, S. 546 ff.; Busnelli, Riv. dir. civ., 2001, I, 537. 293 Perlingieri, Riv. crit. dir. civ. 2001, 223, 237; ders., Rass. dir. civ., 2001, 334, 340; Marucci, Rass. dir. civ., 2003, 213, 238 f. 294 Volpe, La giustizia contrattuale, S. 229. 295 Galgano, Il negozio giuridico, S. 546 ff. 296 Zur Unterscheidung Perlingieri, Rass. dir. civ., 2001, 334, 341, 348 f.; Troiano, in: New Features in Contract Law, S. 375, 416 ff. Siehe dazu bereits oben § 18 III. 3. (S. 342 ff.). 297 In diese Richtung Busnelli, Riv. dir. civ., 2001, I, 537; ablehnend Perlingieri, Rass. dir. civ., 2001, 334, 350. 291
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Grundsatz im italienischen Recht im Unterschied zum deutschen nie als Generalklausel entwickelt hat, dass die Rechtsprechung darin keine Legitimation zu einem Eingriff in das Vertragsgefüge sieht. So liegt es nahe, von vornherein den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz selbst als normativen Ansatzpunkt für die Herstellung der Vertragsgerechtigkeit heranzuziehen. Überwiegend verhält sich die italienische Lehre jedoch zurückhaltend gegenüber einer Anerkennung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Vertragsrecht. 298 Dahinter steht die Sorge, dass ein allgemeines Verhältnismäßigkeitsprinzip die vertragliche Bindung übermäßig aufweichen würde. 299 Betont wird die Bedeutung einer gerechten Marktordnung, die ihrerseits Voraussetzung für einen fairen Vertragsschluss sei.300 Zu Recht wird vor allem Bestrebungen entgegengetreten, über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu einer Objektivierung der Austauschgerechtigkeit zu gelangen: Ein Missverhältnis der vertraglichen Leistungspflichten alleine genügt gerade nicht zur Modifikation der vertraglichen Bindung.301 Stets müssen weitere Umstände hinzutreten, um ein Einschreiten der Rechtsordnung zu rechtfertigen.302
2. England: Good Faith als Fremdkörper? Wer im englischen Recht nach Anhaltspunkten sucht, dass der Grundsatz von Treu und Glauben dort keineswegs zu den Skurrilitäten des kontinentalen Rechtsdenkens gezählt wird, wird bereits bei Lord Mansfield fündig. Dessen Dictum, der Gute Glauben sei als „governing principle … applicable to all contracts and dealings“,303 ist aber wohl nur schwerlich dahingehend zu interpretieren, dass darin ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des heutigen englischen Ver-
298 Macario, Adeguamento e rinegoziazione nei contratti a lungo termine, S. 146 f. (offener nun aber wohl ders., in: Studi Bianca, S. 181, 202); Vettori, Europa dir. priv., 2006, 53, 56; Lanzillo, Contratto impr., 1985, 309, 311; ders., La proporzione fra le prestazioni contrattuali, S. 73 ff.; Spoto, Il contratto e il potere correttivo del giudice, S. 235 f. 299 Vettori, Riv. dir. priv., 2005, 743, 754 ff. 300 Sacco, in: Il contratto, Band I, S. 26; ebenso Vettori, Riv. dir. priv. 2000, 21, 44. 301 Das ist aber die etwa bei Volpe, La giustizia contrattuale, S. 260 durchscheinende Tendenz. Ähnlich diejenigen Autoren, die die von der Rechtsprechung der Corte di Cassazione anerkannte Herabsetzung einer überhöhten Vertragsstrafe nach Art. 1384 c.c. ex officio als Zeichen einer Hinwendung zu einer stärkeren Berücksichtigung der Vertragsgerechtigkeit sehen, vgl. etwa Perlingieri, Rass. dir. civ., 2001, 334, 343; Rolli, Contratto impr., 2001, 611, 621 ff. und dazu bereits oben § 10 IV. 1. b) (S. 157 f.). 302 Lanzillo, La proporzione fra le prestazioni contrattuali, S. 77 ff., 259; Vettori, Riv. dir. priv., 2005, 743, 755 f. 303 Carter v. Boehm (1766) 3 Burr 1905, 1910 = 97 ER 1162, 1164. Der Fall ging um die Pflicht der Parteien eines Versicherungsvertrags, alle für die Risikoeinschätzung relevanten Tatsachen vor Vertragsschluss und während dessen Laufzeit offenzulegen.
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tragsrechts liege.304 Oft wird betont, dass das Gegenteil der Fall sei. 305 In dieser Pauschalität dürfte das indessen nicht zutreffen. Auch das Common Law kennt ethische Verhaltenspflichten der Vertragsparteien, die dem Grundsatz von Treu und Glauben ähnlich sind. Das zeigt sich am deutlichsten in der Equity-Rechtsprechung, die dem strengen Common Law ein flexibles Billigkeitsrecht entgegensetzte. Die Korrektur fand jedoch immer nur punktuell statt, so dass sich ein allgemeines Konzept des Good Faith nicht herausgebildet hat. 306 Das englische Recht operiert stattdessen mit den Begriffen der Fairness oder der reasonableness, wie bereits beispielhaft an der doctrine of unconscionability, der Klauselkontrolle und der specific performance gezeigt wurde.307 Dennoch hat die Umsetzung der Klauselrichtlinie mit ihrem an zentraler Stelle verankerten Grundsatz von Treu und Glauben für Diskussionen gesorgt, ob dadurch ein Fremdkörper, ein Legal Irritant, in das englische Recht eingeführt werde.308 Das House of Lords nimmt eine pragmatische Haltung ein. So führte Lord Bingham aus: „Good faith in this context is not an artificial or technical concept; nor, since Lord Mansfield was its champion, is it a concept wholly unfamiliar to British lawyers. It looks to good standards of commercial morality and practice.“309
Das englische Recht erweist sich demnach als flexibel genug, um den Grundsatz von Treu und Glauben punktuell zu integrieren. Deutliche Vorbehalte bestehen 304 Drastisch Farnsworth, in: Good Faith and Fault in Contract Law, S. 153, 154: Der Ausspruch Lord Mansfields markiere nur den Beginn des Abstiegs des Grundsatzes von Treu und Glauben in die Bedeutungslosigkeit. 305 Vgl. Interfoto Picture Library Ltd. v. Stiletto Visual Programmes Ltd. [1989] QB 433, 439, CA (Bingham LJ); Collins, Oxford Journal of Legal Studies 14 (1994), 229, 249; Atiyah, Law of Contract, S. 89 f., 212 f., 255, 315; Teubner, (1998) 61 MLR 11. Siehe demgegenüber die Darstellung bei Whittaker / Zimmermann, in: Good Faith in European Contract Law, S. 7, 39 ff., die aufzeigt, dass das englische Vertragsrecht stets Elemente von Treu und Glauben enthielt und noch enthält. 306 Interfoto Picture Library Ltd. v. Stiletto Visual Programmes Ltd. [1989] QB 433, 439, CA (Bingham LJ). Bezeichnend ist die Einschätzung von Lord Steyn, (1997) 113 LQR 433, dass eine übergreifende Doktrin von Treu und Glauben im englischen Recht unnötig sei, solange die Gerichte die „berechtigten Erwartungen“ der Parteien angemessen berücksichtigen. Dazu auch oben § 18 III. 3. (S. 342 ff.). 307 Zur unconscionability oben § 6 II. 3. (S. 84 ff.)., zum „reasonableness-test“ bei der Klauselkontrolle oben § 9 IV. 2. (S. 138 ff.), zum Kriterium der Fairness bei der Verurteilung zur Naturalerfüllung oben § 12 I. 4. c) (S. 214 ff.). Als weiteres Beispiel eines funktionalen Äquivalents des Grundsatzes von Treu und Glauben lässt sich die ergänzende Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der implied terms anführen, siehe dazu Zimmermann, AcP 193 (1993), 121; Schmidt-Kessel, ZVglRWiss 96 (1997), 101. Im Versicherungsvertragsrecht dient das Konzept der uberrima fides ähnlich dem Grundsatz von Treu und Glauben zur Begründung von Aufklärungspflichten, siehe dazu Schneider, Uberrima Fides – Treu und Glauben und vorvertragliche Aufklärungspflichten im englischen Recht. 308 So insbesondere Teubner, (1998) 61 MLR 11. 309 Director General of Fair Trading v. First National Bank plc [2002] 1 AC 481, 494.
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Kapitel 6: Normative Wirkung und dogmatische Verortung
jedoch gegen die Bestrebungen im Rahmen der europäischen Privatrechtsvereinheitlichung, vor allem durch den DCFR, den Grundsatz von Treu und Glauben zu einem allgemeinen Grundsatz des gesamten Vertragsrechts zu gestalten. Man befürchtet aufgrund dessen Weite und Unbestimmtheit eine wachsende Rechtsunsicherheit.310 Daher verwundert es nicht, wenn das Verhältnismäßigkeitsprinzip im englischen Privatrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz unbekannt ist.
3. Treu und Glauben als zentrales Element im Europäischen Vertragsrecht? a) Der acquis communautaire Das Sekundärrecht enthält nur vereinzelt Bezugnahmen auf den Grundsatz von Treu und Glauben. Dies ist aufgrund des bislang fragmentarischen Charakters der Harmonisierung im Bereich des Privatrechts nicht weiter verwunderlich. Im Kernbereich des Verbrauchervertragsrechts ist es jedoch die Klauselrichtlinie, die an zentraler Stelle den Grundsatz von Treu und Glauben zum Maßstab für die Unangemessenheit einer Formularklausel erhebt. 311 Verstanden wird darunter ausweislich des 16. Erwägungsgrundes zur Klauselrichtlinie im Wesentlichen die Pflicht des Verwenders zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Verbrauchers und zum loyalen und billigen Verhalten. Erwähnenswert ist daneben vor allem die Handelsvertreterrichtlinie,312 die in Art. 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 für die Parteien des Handelsvertretervertrags die Pflicht zum treugemäßen Verhalten normiert.313 Im Unterschied zur Klauselrichtlinie sind hier beide Parteien gleichermaßen Adressaten des Verhaltensmaßstabes von Treu und Glauben. Die Konkretisierung der wechselseitigen Treuepflichten in Art. 3 Abs. 2 und 4 Abs. 2 Handelsvertreter-RL gibt Aufschluss über den Inhalt der vertraglichen Pflichten beider Parteien, begründet aber kaum darüber hinausgehende Verhaltenspflichten. Es ist gerade kennzeichnend für den Handelsvertretervertrag, dass sich der Handelsvertreter für Vermittlung und Abschluss der ihm anvertrauten Geschäfte einsetzt (Art. 3 Abs. 2 Handelsvertreter-RL). Dass der Handelsvertreter dies nur „in angemessener Weise“ tun muss, dass er daneben nur „angemessenen Weisungen“ des Prinzipals nachzukommen hat, ist als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu sehen.314 Es ist als Indiz dafür zu werten, dass das hieraus folgende 310
Mance, [2007] EBLR 77, 94. Dazu bereits oben § 9 I. 2. b) (S. 109 ff.). 312 Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl. EG Nr. L 382 vom 31.12.1986, S. 17. 313 Näher mit weiteren Beispielen Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 401 ff. 314 Ebenso Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 404. 311
§ 22. Materiale Komponenten der Verhältnismäßigkeit im Vertragsrecht
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Abwägungsgebot der wechselseitigen Interessen dem Grundsatz von Treu und Glauben immanent ist. Im Anfang 2007 veröffentlichten Grünbuch „Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“315 wird festgestellt, das gemeinschaftliche Verbraucherschutzrecht enthalte keine allgemeine Verpflichtung, nach dem Gebot von Treu und Glauben bzw. der Fairness zu handeln. Die Einführung einer solchen Generalklausel befürwortet die Kommission, damit auf diese Weise Schutzlücken unter Rückgriff auf das allgemeine Prinzip geschlossen werden können, allerdings mit Tendenz zu einer nur einseitigen Bindung des Unternehmers an den Grundsatz.316 Der im Oktober 2008 vorgelegte Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Verbraucherrechte317 enthält hingegen keine derartige Generalklausel, sondern wiederholt lediglich sinngemäß den Inhalt des Art. 3 Abs. 1 Klauselrichtlinie. Dies zeigt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben zwar punktuelle Ausprägungen im Sekundärrecht erfahren hat, aber je nach Regelungskontext unterschiedliche Inhalte hat und daher jedenfalls derzeit nicht als allgemeines Prinzip angesehen werden kann. Dies wird durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigt: Der Gerichtshof sieht den Grundsatz von Treu und Glauben jedenfalls als selbstverständlichen Bestandteil der gemeinsamen Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten. Dies zeigt sich in der Entscheidung Messner / Krüger.318 Hier ging es um die Frage, ob Art. 6 Fernabsatzrichtlinie319 Regelungen des nationalen Rechts entgegensteht, die den Verbraucher bei Ausübung des ihm nach der Richtlinie zustehenden Widerrufsrechts Ersatzansprüchen für Nutzungen der Kaufsache aussetzt. Der EuGH bejahte dies grundsätzlich,320 machte aber gleichzeitig deutlich, dass der Schutzumfang der Fernabsatzrichtlinie nicht über dasjenige hinausgehe, was „zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts notwendig“ sei.321 Daraus zog er die Schlussfolgerung, dass die Richtlinie es den Mitgliedstaaten nicht verbietet, dem Verbraucher eine Verpflichtung zum Nutzungsersatz aufzuerlegen, wenn er die gekaufte Sache „auf eine mit den Grundsätzen des bür315
Vom 8.2.2007, KOM(2006) 744 endg. KOM(2006) 744 endg., S. 19 f. (unter 4.3). Dies widerspricht dem Konzept von Treu und Glauben als Maßstab für das Verhalten beider Parteien. Auch die Handelsvertreterrichtlinie geht von einer beiderseitigen Bindung aus. 317 Vom 8.10.2008, KOM(2008) 614. Zu Nachweisen aus dem überwiegend kritischen Schrifttum oben 1. Kapitel Fn. 189. 318 EuGH, 3.9.2009, Rs. C-489/07 – Messner / Krüger, NJW 2009, 3015 (Rn. 26). Siehe dazu u.a. Schinkels, ZGS 2009, 539; Faust, JuS 2009, 1049; Rott, ERPL 2010, 185. 319 Richtlinie 97/7/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG Nr. L 144 vom 4.6.1997, S. 19. 320 EuGH, 3.9.2009, Rs. C-489/07 – Messner / Krüger, NJW 2009, 3015 (Rn. 22 ff.). 321 EuGH, 3.9.2009, Rs. C-489/07 – Messner / Krüger, NJW 2009, 3015 (Rn. 25). 316
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Kapitel 6: Normative Wirkung und dogmatische Verortung
gerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat“.322 Ebenso bedeutsam für den vorliegenden Kontext ist jedoch die Anerkennung des Rechtsmissbrauchsverbots in der Rechtsprechung des EuGH.323 In den Rechtssachen Kefalas und Diamantis324 ging es jeweils um die Frage, inwieweit eine Aktionärsklage gegen eine Kapitalerhöhung durch die griechische Anstalt für Unternehmensneuordnung, die entgegen Art. 25 Abs. 1 der Zweiten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie,325 die dieses Recht allein der Hauptversammlung zubilligt, erfolgt war, nach griechischem Recht als rechtsmissbräuchlich erachtet werden durfte. Das vorliegende Gericht sah den Rechtsmissbrauch nach Art. 281 grZGB darin begründet, dass den klagenden Aktionären durch die Kapitalerhöhung kein Nachteil entstanden sei, weil dadurch ihre wirtschaftlichen Interessen gewahrt worden seien. Der EuGH entschied, dass eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift durch einen nationalen Gerichtshof einschränkend ausgelegt werden darf, wenn die Geltendmachung eines Rechts ansonsten missbräuchlich wäre. Ausdrücklich sieht der EuGH das Rechtsmissbrauchsverbot als allgemeines Rechtsprinzip der Gemeinschaft.326 Dieses dürfe aber nicht die praktische Wirksamkeit der betreffenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift einschränken.327 Insbesondere darf die Anwendung des Missbrauchsverbots durch ein nationales Gericht daher nicht dazu führen, dass der Zweck der gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift vereitelt wird. Das war in Bezug auf das Verfahren in der Sache Kefalas aber der Fall: Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie beinhaltet nach der Auslegung des EuGH auch das Recht der Hauptversammlung, gerade in der Krise über die Kapitalerhöhung zu entscheiden. Diese Vorschrift macht jedoch keine Vorgaben zur Rechtsfolge von Verstößen gegen sie. Folglich entscheidet das jeweilige nationale Recht über die Art und Weise der Sanktionsmöglichkeit. Das Gemeinschaftsrecht steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die eine Sanktion dann als rechtsmissbräuchlich verbietet, wenn der Aktionär „unter den verschiedenen Rechtsbehelfen, die für die Behebung einer durch einen Verstoß gegen diese Bestimmung entstandenen Lage 322
EuGH, 3.9.2009, Rs. C-489/07 – Messner / Krüger, NJW 2009, 3015 (Rn. 26). Dazu auch Ranieri, in: Die Europäisierung der Rechtswissenschaft, S. 129; Fleischer, JZ 2003, 865, 870 ff.; Baudenbacher, ZfRV 2008, 205 ff. 324 Grundlegend EuGH, 12.5.1998, Rs. C-378/96 – Kefalas, Slg. 1998, I-2843 (Rn. 20 f.); vgl. weiter EuGH, 23.3.2000, Rs. C-373/97 – Diamantis, Slg. 2000, I-1705 (Rn. 33 ff.); dazu Schmidt-Kessel, JbJgZRWiss 2000, S. 61. 325 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. EG Nr. L 26 vom 31.1.1977, S. 1. 326 EuGH, 12.5.1998, Rs. C-378/96 – Kefalas, Slg. 1998, I-2843 (Rn. 20). 327 EuGH, 23.3.2000, Rs. C-373/97 – Diamantis, Slg. 2000, I-1705 (Rn. 34). 323
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zur Verfügung stehen, denjenigen ausgewählt hat, der den berechtigten Interessen Dritter einen derart schweren Schaden zufügt, daß er offensichtlich unverhältnismäßig ist“.328 Unter diesen Voraussetzungen ist der effet utile der gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift nicht beeinträchtigt. Ein eigenständiges Rechtsmissbrauchsverbot hat der EuGH damit nicht begründet, es aber für selbstverständlich erachtet, dass nationale Rechtsordnungen dieses – bis zur Grenze der Beeinträchtigung des effet utile – gerade auch auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften anwenden. Am Beispiel des Widerrufsrecht nach der Fernabsatzrichtlinie zeigt der EuGH, dass dessen praktische Wirksamkeit insbesondere dann beeinträchtigt wäre, „wenn die Höhe eines Wertersatzes der in der vorstehenden Randnummer genannten Art außer Verhältnis zum Kaufpreis der fraglichen Ware stünde“. 329 b) PECL und DCFR Die PECL stellen die Vertragsfreiheit in Art. 1:102 PECL unter den Vorbehalt der Gebote von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs. Sie normieren weiter in Art. 1:201 PECL die Pflicht der Parteien, „im Einklang mit den Geboten von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs zu handeln“.330 Flankiert wird diese Regel, die zahlreiche Einzelausprägungen in den PECL erfahren hat, durch Art. 1:202 PECL, der eine Pflicht der Vertragsparteien zur gegenseitigen Zusammenarbeit postuliert, um dem Vertrag zur vollen Wirkung zu verhelfen. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist dabei als übergreifendes Prinzip für sämtliche dem Regelungsbereich der PECL unterfallenden Konstellationen konzipiert, er soll „allgemein anerkannte Standards der Anständigkeit, Fairness und Vernünftigkeit“ im Geschäftsverkehr durchsetzen helfen.331 Sehr deutlich ist die Anlehnung an § 242 BGB, wie er im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung zur Generalklausel ausgebaut wurde. Der DCFR hält an der zentralen Rolle des Grundsatzes von Treu und Glauben fest.332 Art. II.-1:102 Abs. 1 DCFR wiederholt die bereits in Art. 1:102 PECL enthaltene immanente Einschränkung der Vertragsfreiheit durch die
328
EuGH, 23.3.2000, Rs. C-373/97 – Diamantis, Slg. 2000, I-1705 (Rn. 43). EuGH, 3.9.2009, Rs. C-489/07 – Messner / Krüger, NJW 2009, 3015 (Rn. 27). Eine Bezugnahme auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im hier verstandenen Sinne liegt darin freilich nicht. Die vom EuGH angestellten Verhältnismäßigkeitserwägungen beziehen sich alleine auf den gemeinschaftsrechtlichen effet utile und dessen mögliche Einschränkungen durch Grundsätze des nationalen Rechts. Es geht demnach um das Verhältnis von nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht, nicht aber um den Ausgleich von parteilichen Interessen im horizontalen Vertragsverhältnis. 330 Genauso Art. 1.7 UNIDROIT Principles. 331 So ausdrücklich Kommentar B zu Art. 1:201 PECL. Siehe dazu auch Castronovo, Europa dir. priv., 2005, 589, 598. 332 Dazu auch Mekki / Kloepfer-Pelèse, ERCL 2008, 338; Dajczak, GPR 2009, 63. 329
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Kapitel 6: Normative Wirkung und dogmatische Verortung
Postulate von good faith and fair dealing. 333 Art. III.-1:103 Abs. 1 DCFR präzisiert die Pflicht der Parteien, die Gebote von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs zu beachten, auf die unterschiedlichen Stationen in der Abwicklung eines Vertrags: bei der Erfüllung bzw. dem Erfüllungsverlangen, der Geltendmachung oder Abwehr eines Rechtsbehelfs wegen Nichterfüllung und auch bei der Ausübung eines Rechts auf Vertragsbeendigung. Für den Bereich der Vertragsverhandlungen enthält Art. II.-3:201 Abs. 2 DCFR eine eigenständige Normierung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Damit wird ein objektiver Verhaltensmaßstab für die Vertragsparteien aufgestellt.334 Ohne Vorläufer in den PECL ist Art. III.-1:103 Abs. 3 DCFR,335 der festlegt, dass die Verletzung dieses an Treu und Glauben orientierten Verhaltensmaßstabes keine sofortigen Ansprüche wegen Nichterfüllung auslöst, sondern der treuwidrig handelnden Partei nur einen Anspruch, Rechtsbehelf oder eine Einrede abschneiden.336
4. Fazit Die Weiterentwicklung des Grundsatzes von Treu und Glauben als Dreh- und Angelpunkt des vertraglichen Pflichtenprogramms scheint unaufhaltsam. Insbesondere die Klauselrichtlinie transportiert einen im Ideal einheitlichen Maßstab337 von Treu und Glauben für die AGB-Kontrolle in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Das Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung bestehender Rechte ist zwar nicht ausdrücklich im Gemeinschaftsprivatrecht verankert, der EuGH hat es jedoch als allgemeinen Rechtsgrundsatz – unter dem Vorbehalt des effet utile – sogar insoweit akzeptiert, als dadurch gemeinschaftsrechtlich begründete Rechte eingeschränkt werden. Über diese Einzelausprägungen hinaus liegt die Basis für eine zentrale Verankerung des Grundsatzes von Treu und Glauben in den europäischen Vereinheitlichungsmodellen in des333 Sehr kritisch dazu Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 538, die in der Vorschrift ein mögliches (von den Verfassern des DCFR so wohl nicht beabsichtigtes) Einfallstor für eine allgemeine richterliche Preiskontrolle sehen. Ebenfalls kritisch Dajczak, GPR 2009, 63, 65 f. 334 Vgl. die entsprechende Definition von „Good faith and fair dealing“ in Art. I.-1:103 Abs. 1 DCFR (wortgleich wiederholt in den dem DCFR 2009 FE vorangestellten Definitionen; zu deren Verbindlichkeit Art. I.-1:108 DCFR). 335 Die Norm lautet: „Breach of the duty does not give rise directly to the remedies for nonperformance of an obligation but may preclude the person in breach from exercising or relying on a right, remedy or defence which that person would otherwise have.“ 336 Hesselink, ERCL 2008, 248, 267 f. befürchtet, dass damit die im Grundsatz von Treu und Glauben liegende Ermächtigungsfunktion beschnitten wird. Dagegen scheint diese Norm lediglich die Schrankenfunktion anzusprechen, nicht etwa auch die (mögliche) Befugnis der Gerichte, neue Pflichten zu schaffen. Eine solche Ermächtigung dürfte ohnehin auf die allgemeinere Norm des Art. II.-1:102 Abs. 1 DCFR gestützt werden müssen. 337 Zur Auslegung von Art. 3 Klausel-RL bereits oben § 9 I. 2. b) (S. 109 ff.).
§ 23. Einzelne Anwendungsbereiche
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sen mehr oder weniger stark sichtbaren, aber überall vorhandenen Verwurzelung in den einzelnen Rechtsordnungen.338 Überall dort, wo Rechte unter dem Vorbehalt der redlichen Ausübung stehen, wo der Grundsatz von Treu und Glauben also in seiner Schrankenfunktion wirkt, steht auch die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Rede: Die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Belange des Vertragspartners bedingt eine der Rechtsausübung vorgelagerte Interessenabwägung. Insoweit kann man bereits davon sprechen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein europaweit akzeptiertes Rechtsprinzip ist.339
§ 23. Einzelne Anwendungsbereiche einer konstitutiven Verhältnismäßigkeitskontrolle Die Einwirkung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf Schuldverträge hängt nach den bisherigen Ausführungen von mehreren Faktoren ab: (1) Um welche Art von Rechtsposition oder Rechtsverhältnis geht es? Das Verhältnismäßigkeitsprinzip kann sehr unterschiedlich wirken, je nachdem, ob es um die Beurteilung der Angemessenheit von vertraglich vereinbarten Leistungen, der Ausübung von vertraglichen Rechtspositionen oder der Sanktion von Pflichtverletzungen geht. (2) Inwieweit bestehen bereits gesetzliche Konkretisierungen des Grundsatzes? Dies hängt entscheidend vom einschlägigen (Teil-) Rechtsgebiet ab und ist für das in dieser Arbeit allein behandelte, dicht geregelte Schuldvertragsrecht ganz anders zu beurteilen als etwa für manche Bereiche des weniger stark durchnormierten Arbeits- oder Gesellschaftsrechts. Im Folgenden werden vier Problembereiche auf die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips hin untersucht: Die Maßgeblichkeit der primärrechtlichen Wertung für den Sekundäranspruch (unten I.), die Ausübung von Gestaltungsrechten (unten II.), die Begrenzung „überschießender“ Rechtsfolgen (unten III.) und schließlich die Begründung positiver Rechtspflichten (unten IV.).
338 Bemerkenswert ist dabei die große Übereinstimmung in den europäischen Rechtsordnungen in Bezug auf die Lösung von „hard cases“, wie dies die rechtsvergleichende Studie von Zimmermann / Whittaker (Good Faith in European Contract Law) deutlich zeigt: Nicht immer wird dabei auf Treu und Glauben rekurriert, aber die Ergebnisse weisen große Ähnlichkeit auf. Zusammenfassend dazu Whittaker / Zimmermann, in: Good Faith in European Contract Law, S. 653 ff.; siehe weiter Zimmermann, Roman Law, Contemporary Law, Civil Law, S. 173 ff. 339 So Canivet, ERPL 11 (2003), 50, 57; Le Gac-Pech, Proportionnalité, S. 20 ff. Hiervon scheint im Ansatz auch Riesenhuber auszugehen, der den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als „Grundwertung“ des Europäischen Vertragsrechts bezeichnet und diesen eng an das Prinzip von Treu und Glauben anbindet: Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 649; vgl. auch Rn. 938 ff.
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Kapitel 6: Normative Wirkung und dogmatische Verortung
I. Maßgeblichkeit der primärrechtlichen Wertung für den Sekundäranspruch Für den Primäranspruch wurde bereits dargelegt, dass mit § 275 Abs. 2 und 3 BGB diesbezüglich eine abschließende Regelung besteht, die einen Rekurs auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip ausschließt.340 Es ist nun zu klären, ob diese Wertung auch für die Sekundärebene zu beachten ist, ob also der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen möglicherweise wegen der berechtigten Leitungsverweigerung nach § 275 Abs. 4 BGB bzw. §§ 440, 437 Nr. 3 BGB bestehenden Schadensersatzanspruch der Höhe nach sperrt. Diese Problematik wurde in der Literatur insbesondere für das Werkvertragsrecht diskutiert.
1. Schadensersatz nach § 635 BGB a.F. Vor der Schuldrechtsmodernisierung war anerkannt, dass der Schadensersatzanspruch nach § 635 BGB a.F.341 durch das Postulat der Verhältnismäßigkeit begrenzt war, das aus dem in § 251 Abs. 2 BGB enthaltenen Rechtsgedanken abgeleitet worden war.342 Der Unternehmer war demnach zwar – Verschulden vorausgesetzt – einstandspflichtig für die durch die Mangelhaftigkeit des Werks verursachten (Mangel-)Schäden,343 dies aber nicht in unbegrenzter Höhe. Nicht schon der mangelbedingte Minderwert des Werks bildete die relevante Obergrenze der Ersatzpflicht, wohl aber der Gedanke der Verhältnismäßigkeit, so dass der Besteller nicht jede im Hinblick auf die Mangelbeseitigung getätigte Aufwendung auf den Unternehmer überwälzen konnte, dies jedenfalls dann nicht, „wenn der damit in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg oder Teilerfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür gemachten Geldaufwandes steht“.344
2. Übertragung auf das modernisierte Werkvertragsrecht Nunmehr ist der werkvertragliche Schadensersatzanspruch des § 635 BGB a.F. in einem Verweis ins allgemeine Schuldrecht aufgegangen, §§ 634 Nr. 4, 636 BGB, so dass die allgemeinen Rechtsbehelfe grundsätzlich auch für den Werk340
Oben § 22 II. 2. c) bb) (S. 401 ff.). Dazu etwa Peters, JZ 1977, 458. 342 Vgl. etwa BGHZ 59, 365, 367; BGH NJW 2006, 2912 sowie dazu bereits oben § 12 I. 1. a) mit Fn. 13 (S. 169). 343 Entfernte Mangelfolgeschäden wurden von der Rechtsprechung des BGH nicht mehr § 635 BGB a.F. zugerechnet, sondern als positive Vertragsverletzung angesehen, vgl. dazu etwa BGHZ 58, 85, 91; BGHZ 115, 32, 34 ff. 344 BGHZ 59, 365, 367 f. 341
§ 23. Einzelne Anwendungsbereiche
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vertrag gelten. Im Unterschied zum Kaufrecht345 steht dem Gläubiger beim Werkvertrag nach § 637 Abs. 1 BGB (in Anlehnung an § 633 Abs. 3 BGB a.F.) ein Selbstvornahmerecht zu, das ihm nachrangig346 zum Nacherfüllungsanspruch zur Verfügung steht; die zur Mangelbeseitigung erforderlichen Aufwendungen können vom Werkunternehmer ersetzt verlangt werden. Um die in § 635 Abs. 3 BGB normierten Grenzen der Nacherfüllungspflicht des Werkunternehmers nicht über diesen Aufwendungsersatzanspruch zu sprengen, sperrt der Einwand der Unverhältnismäßigkeit des zur Nacherfüllung erforderlichen Aufwandes aus § 635 Abs. 3 BGB auch den Aufwendungsersatzanspruch in § 637 Abs. 1 a.E. BGB. Könnte nun der Besteller diese Grenze aber durch die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches durchbrechen? Die durch die Selbstvornahme getätigten Aufwendungen ließen sich als kausal durch die Mangelhaftigkeit des Werks verursachten Schäden darstellen. Das Gesetz sieht keine ausdrückliche Beschränkung vor. Dies erhellt sich daraus, dass der Aufwendungsersatzanspruch verschuldensunabhängig besteht, während der Unternehmer auf Schadensersatz nur dann haftet, wenn er den Werkmangel zu vertreten hat. Diese unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung auf der Rechtsfolgenebene. 347 Der Schadensersatzanspruch tritt an die Stelle des Erfüllungsanspruchs; er zielt auf die Herbeiführung des vom Werkunternehmer geschuldeten Erfolgs. 348 Daher geht der Anspruch grundsätzlich auf Ersatz der Mangelbeseitigungskosten. 349 Dennoch entstünde ein Wertungswiderspruch, würde man den Unternehmer auch bei Verschulden unbegrenzt haften lassen: Das Recht zur Verweigerung der Nacherfüllung bei unverhältnismäßigen Kosten darf nicht dadurch entwertet werden, dass der Besteller über den Schadensersatzanspruch auch die für die Mangelbeseitigung entstehenden Kosten auf den Werkunternehmer abwälzen darf. Der Kern der zu § 635 BGB a.F. ergangenen Rechtsprechung muss auch auf die Nachfolgeregelung übertragen werden.350 Demnach kann der Unternehmer gegen die Schadensersatzforderung des Bestellers Unverhältnismäßigkeit einwenden, sofern die vom Besteller selbst oder durch einen von diesem eingeschalteten Dritten unternommenen Anstrengungen zur Beseitigung des Mangels in einem Missverhältnis zu dem damit erzielten Erfolg stehen. Entscheidende Berücksichtigung muss auch hier das Gläubigerinteresse am Erhalt 345 Dort hat sich der BGH in inzwischen ständiger Rechtsprechung gegen ein Recht des Käufers zur Selbstvornahme ausgesprochen, vgl. BGHZ 162, 219, 225 f.; BGH NJW 2005, 3211; BGH NJW 2006, 988; so bereits zuvor etwa Dauner-Lieb / Dötsch, ZGS 2003, 455, 457. 346 Dies ergibt sich aus dem Fristsetzungserfordernis in § 637 Abs. 1 HS. 2 BGB. 347 Vgl. BGHZ 59, 365, 366. 348 BGHZ 141, 63, 66. 349 BGH NJW-RR 1991, 1429; BGHZ 59, 365, 366. 350 Vgl. Jauernig / Mansel, § 636 Rn. 12.
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Kapitel 6: Normative Wirkung und dogmatische Verortung
eines mangelfreien Werks finden: Hat ein mangelbehaftetes Werk für den Besteller keinerlei Interesse, so steigt der Aufwand, der zur Beseitigung betrieben werden kann und somit auch vom Unternehmer zu tragen ist. Nimmt man die Systematik des Werkvertragsrechts ernst, so verhilft diese Begrenzung zu einem interessengerechten Ausgleich beider Positionen. Der Schadensersatzanspruch des Bestellers darf nicht dazu führen, die Wertungen der §§ 635 Abs. 3, 637 Abs. 1 BGB zu unterlaufen. Diese stellen dessen Anspruch auf Verschaffung eines mangelfreien Werks unter den Vorbehalt, dass dies mit einem (Zusatz-)Aufwand möglich ist, der im Verhältnis zum gläubigerseitigen Interesse an der Mangelfreiheit des Werks vertretbar erscheint. Könnte der Besteller nun die Grenze der Unverhältnismäßigkeit des § 635 Abs. 3 BGB durch die Geltendmachung von Schadensersatz umgehen, indem er die Mangelbeseitigungskosten in unbegrenzter Höhe liquidieren könnte, so wäre diese gesetzliche Wertung durchbrochen. Wegen der Abhängigkeit des Schadensersatzanspruchs vom Verschulden des Unternehmers erscheint es dabei vorzugswürdig, nicht die Grenze des § 635 Abs. 3 BGB analog auf den Schadensersatzanspruch anzuwenden, sondern in die Abwägung auch weitere Gesichtspunkte einzubeziehen, insbesondere das Gläubigerinteresse an der Mangelfreiheit des Werks.351 Dies lässt sich auf den in § 251 Abs. 2 BGB enthaltenen Rechtsgedanken stützen.352 Denn durch die Mangelbeseitigung hat der Besteller gewissermaßen selbst die (mit unverhältnismäßigen Kosten verbundene) Naturalrestitution bewirkt. Der Sekundäranspruch orientiert sich damit auch im Hinblick auf seine Begrenzung am Primäranspruch.
3. Übertragung auf den Schadensersatzanspruch aus §§ 275 Abs. 4, 280 ff. BGB? Diese für das Werkvertragsrecht gewonnene Wertung kann auf das allgemeine Leistungsstörungsrecht übertragen werden. Kann der Schuldner nach § 275 Abs. 2 oder 3 BGB die Erfüllung des Vertrags in natura verweigern, so steht dem Gläubiger zwar – Vertretenmüssen vorausgesetzt – nach §§ 275 Abs. 4, 280, 283 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Dieser ist darauf gerichtet, dem Gläubiger dasjenige in Geld zu verschaffen, auf das er in Natur wegen § 275 351 Ähnlich im Ergebnis die Formulierung von Busche (in: MüKo-BGB, § 634 Rn. 52), der dem Besteller nur Schadensersatz für diejenigen Aufwendungen zuspricht, die zur Mangelbeseitigung erforderlich sind. Besser erscheint es allerdings, umgekehrt eine Einschränkung für solche Posten zu formulieren, die unverhältnismäßig sind. 352 BGHZ 59, 365, 366; BGH NJW-RR 2005, 1039 f. MüKo-BGB / Busche, § 634 Rn. 52; Staudinger / Peters / Jacoby (2008), § 634 Rn. 154, s.a. § 635 Rn. 14. Dasselbe Ergebnis ließe sich auch erzielen, wenn man in der Eingehung der überhöhten Aufwendungen einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des Bestellers sieht, der nach § 254 Abs. 2 BGB anspruchsmindernd wirkt, vgl. Jauernig / Mansel, § 636 Rn. 12.
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BGB keinen Anspruch mehr hat. Damit entsprechen die Voraussetzungen denen des § 281 BGB: Der Gläubiger kann Schadensersatz statt der Leistung verlangen; der Schadensersatzanspruch tritt an die Stelle des Naturalerfüllungsanspruchs. Davon umfasst sind grundsätzlich auch diejenigen Aufwendungen, die der Gläubiger zur Überwindung des Leistungshindernisses tätigt oder durch einen Dritten tätigen lässt. Auf diese Weise jedoch würde der Schuldner im Ergebnis für die Überwindung des Leistungshindernisses haften, obwohl ihn gerade dieser Umstand zur Verweigerung der Naturalerfüllung berechtigte. Dieser Widerspruch zum Befreiungsgrund lässt sich über den Rechtsgedanken des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB dadurch beheben, dass der Schuldner nur für solche Aufwendungen des Gläubigers haftet, die nicht außer Verhältnis zum ursprünglichen Leistungsinteresse stehen. Hierdurch wird verhindert, dass die aus § 275 Abs. 2 BGB für die Primärebene folgende Wertung über die Sekundärebene wieder ausgehebelt wird.353 § 251 Abs. 2 BGB kann damit als „Komplementärnorm“ zu § 275 Abs. 2, 3 BGB bzw. den entsprechenden Schranken des Nacherfüllungsanspruchs in Bezug auf den Schadensersatzanspruch bezeichnet werden. Die Vorschrift beinhaltet die Wertung, dass Naturalrestitution nicht schrankenlos geschuldet wird.
II. Ausübung von Gestaltungsrechten Gestaltungsrechte geben dem Inhaber die Rechtsmacht, einseitig und ohne Mitwirkung des anderen Teils auf ein Rechtsverhältnis einzuwirken, es also zu begründen, umzugestalten oder zu beenden.354 Insoweit unterscheiden sie sich fundamental von den Ansprüchen: Diese begründen das Recht, von jemandem 353 So für den Schadensersatz nach § 281 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB MüKo-BGB / Ernst, § 281 Rn. 128 ff. (§ 251 Abs. 2 BGB sorge für eine „sachgemäße Begrenzung“ des Anspruchs auf Ersatz der Herstellungskosten); enger wohl Unberath, Vertragsverletzung, S. 281 (Haftung nur auf Wertdifferenz; Kosten der Leistung durch Dritte sind per se unverhältnismäßig). Siehe bereits Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 5. Aufl. 1879, Band 2, § 264, S. 59: „Ist dem Schuldner die Erfüllung nur mit unverhältnismäßigen Opfern möglich, so braucht er dem Gläubiger nicht das Interesse, sondern nur den wahren Sachwert leisten.“ Vergleichbar ist die Rechtslage in England, vgl. den Fall Ruxley Electronics and Construction Ltd. v. Forsyth [1996] AC 344, HL und dazu bereits oben Kap. 4 bei Fn. 290. Hier ist allerdings der Schadensersatzanspruch bereits vom Konzept her so gedacht, dass er das Erfüllungsinteresse des Gläubigers zu befriedigen vermag. Specific performance wird dann nicht gewährt, wenn der Schadensersatzanspruch ausreicht, um die Interessen des Gläubigers genauso zu befriedigen, als wenn der Vertrag in Natur erfüllt worden wäre, siehe The South African Territories Ltd. v. Wallington [1898] AC 309, HL; Beswick v. Beswick [1968] AC 58, 88, 90 f. (Lord Pearce), 102 (Lord Upjohn), HL. 354 Zum Begriff etwa Bötticher, Gestaltungsrecht, S. 3. Seckel, in: FG Koch, S. 205, 210 ff., definiert das Gestaltungsrecht „als das subjektive (konkrete) Privatrecht, dessen Inhalt […] die Macht zur Gestaltung konkreter Rechtsbeziehungen durch einseitiges Rechtsgeschäft [ist]“.
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ein Tun oder ein Unterlassen zu verlangen (§ 194 Abs. 1 BGB). Der Gläubiger kann den Anspruchsinhalt gerade nicht einseitig herbeiführen, sondern ist auf das Zutun des Schuldners angewiesen. Der Unterschied zeigt sich auch im materiellen Recht, etwa bei der Verjährung:355 Ansprüche unterliegen der Verjährung, Gestaltungsrechte nicht, sondern allenfalls Ausschlussfristen.356 Eine weite Fassung des Begriffs des Gestaltungsrechts, der jegliche Befugnis zur Gestaltung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse beinhaltet, also auch den Vertragsschluss als (zweiseitiges) Gestaltungsrecht ansieht,357 oder jedes rechtliche Können bezeichnen soll, das unmittelbar die Gestaltung einer fremden Rechtssphäre ermöglicht,358 verdeckt den unterschiedlichen Grad der Legitimation einer rechtsgeschäftlichen Handlung, der bei zweiseitigen im Unterschied zu einseitigen Handlungen gegeben ist.359 Preis hat verschiedene Anwendungsvoraussetzungen für die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei einseitigen privatrechtlichen Gestaltungsbefugnissen genannt:360 (1) Eine tatsächliche oder rechtliche Machtposition eines Rechtssubjekts. (2) Damit einher geht die ihm dadurch vermittelte Möglichkeit, eigene Interessen ohne Rücksicht auf die Gegeninteressen des Betroffenen durchzusetzen. (3) Je größer der von der Rechtsordnung vorgegebene Beurteilungsspielraum des Handelnden, desto weniger kann dieser Spielraum wieder durch die Vorgabe alternativer Maßnahmen eingeschränkt werden. (4) Von entscheidender Bedeutung sind Art und Umfang des gesetzlich angeordneten oder vertraglich vereinbarten Interessenausgleichs, der dem Eingriff vorausgeht. (5) Allgemein gilt: Je fundamentaler in einen Rechtskreis eingegriffen wird, umso gewichtiger müssen die Interessen des Handelnden sein, damit der Eingriff legitimiert ist. Bei den ersten beiden Bedingungen ergibt sich aus dieser Perspektive eine zum öffentlichen Recht vergleichbare Situation: Wie der Staat dem Bürger übergeordnet sei und einseitig in dessen Freiheitssphäre eingreifen könne, so gebe das Gestaltungsrecht auf der ansich bestehenden Gleichordnungsebene der einen Partei ebenfalls die Rechtsmacht, einseitig in die Interes355
Dazu etwa MüKo-BGB / Grothe, § 194 Rn. 4; AnwK-BGB / Mansel / Stürner, § 194
Rn. 3. 356 Vgl. etwa §§ 121 Abs. 2, 124 Abs. 3, 532 Satz 1 BGB; näher dazu Mansel / Budzikiewicz, Jura 2003, 1, 2. 357 Adomeit, Gestaltungsrechte, S. 11 ff., 21 ff., 35 ff.: Gestaltungsrecht als „Kompetenz zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts“; dem folgend Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit, S. 55 ff. 358 H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 15 ff.: Durch den Vertragsschluss erhalte der Begünstigte die Gestaltungsmacht, dem Vertragspartner vermittelt durch die mit staatlichem Zwang ausgestattete Vereinbarung eine Verhaltensnorm aufzuerlegen. Siehe daneben Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 131, der die §§ 251 Abs. 2, 633 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. als Konkretisierung des Übermaßverbotes bei „einseitiger Rechtsausübung“ ansieht, und den darin enthaltenen Rechtsgedanken insbesondere auf die Kündigung überträgt. 359 Kritisch auch Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 285 mit Fn. 187. 360 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 288 ff.; ders., in: FS Dieterich, S. 429, 446 f.
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sensphäre der anderen einzugreifen. Wegen dieser „überschießenden Rechtsmacht“ des Gestaltungsrechtsinhabers sei eine Begrenzung notwendig. 361 Dabei wird jedoch häufig nicht genügend beachtet, dass das Gestaltungsrecht entweder auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht, der Gestaltungsgegner also von vornherein dem Eingriff in seine Sphäre zugestimmt hat, oder aber im Falle der gesetzlichen Gestaltungsrechte regelmäßig ein Anknüpfungspunkt an das Vorverhalten des Gestaltungsgegners gegeben ist, sei es durch eine Pflichtverletzung wie beim Rücktritt (§ 323 Abs. 1 BGB) oder einer Störung der Vertrauensgrundlage bei der außerordentlichen Kündigung (§§ 314, 626 BGB). Zur Vermeidung von Missverständnissen sollte daher auch bei Gestaltungsrechten nicht von einem Über-Unterordnungsverhältnis gesprochen werden. Die Besonderheit bei der Ausübung von Gestaltungsrechten liegt also darin, dass dem Rechtsinhaber eine einseitige Zugriffsmöglichkeit auf die Freiheitssphäre des Vertragspartners verschafft wird: Dieser kann ohne dessen (zusätzliche) Einwilligung eine Verpflichtung begründen (so bei der Option), den Inhalt eines bestehenden Vertrags verändern (etwa beim einseitigen Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB), oder den Vertrag insgesamt aufheben (Anfechtung, Kündigung oder Rücktritt). Hier kann unterschieden werden zwischen gesetzlich bestehenden Gestaltungsrechten (Kündigung, Rücktritt o.ä.) und rechtsgeschäftlich vereinbarten Gestaltungsrechten (Option, Leistungsbestimmungsrecht).
1. Ausübung gesetzlich vorgesehener Gestaltungsrechte a) Kündigung Weil eine zeitlich unbeschränkte Bindung die Dispositionsfreiheit der Vertragspartner über Gebühr einschränken würde, kann jedes auf Dauer angelegte Schuldverhältnis beendet werden. Das Gesetz stellt hierzu die Kündigung als einseitiges Recht zur Vertragsbeendigung zur Verfügung. Zu unterscheiden sind dabei die ordentliche, nicht an einen Grund gebundene Kündigung (etwa die Kündigung des Dienstvertrags nach § 620 Abs. 2 BGB), die ordentliche und begründungsbedürftige Kündigung (ein Beispiel hierfür ist die Eigenbedarfskündigung im Mietrecht nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) sowie die außerordentliche Kündigung. Letztere ist stets an das Vorliegen eines wichtigen Grundes gebunden. Gerade in diesem Erfordernis des wichtigen Grundes, wie er etwa in 361 So etwa Metzner, Verbot der Unverhält nismäßigkeit, S. 51 ff. (in diesen Fällen bestehe ähnlich dem Verhältnis Bürger-Staat ein Über-Unterordnungsverhältnis); Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 285 ff.; vgl. auch dens., in: FS Dieterich, S. 429, 458: Die Zielrichtung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit sei „der Schutz vor Übermacht“. Ablehnend zur Annahme eines Über-Unterordnungsverhältnisses für das Arbeitsrecht Dey, Verhältnismäßigkeit, S. 47 ff.
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den §§ 543, 569, 626, 627, 651e BGB, § 89a Abs. 1 HGB normiert ist, kommt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (deklaratorisch) zum Ausdruck. 362 Einer gesonderten Anwendung des Grundsatzes bedarf es daher nicht.363 Dies gilt im Grundsatz auch für Gesellschaftsverträge:364 Nach §§ 133, 140 HGB kann ein Gesellschafter bei Vorliegen eines in seiner Person begründeten Grundes von der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Wegen seiner gravierenden Auswirkung für den betreffenden Gesellschafter wird der Ausschluss allgemein nur als äußerstes Mittel für zulässig erachtet. 365 Soweit in Bezug auf die außerordentliche Kündigung die Geltung des Grundsatzes der Erforderlichkeit angenommen wird,366 so erscheint dieser nicht geeignet, eine sinnvolle Regulierung der möglicherweise allzu einschneidenden Gestaltungswirkung herbeizuführen. Denn außer den Alternativen Ausübung oder Nichtausübung stehen dem Rechtsinhaber keine weiteren Mittel zur Verfügung, die im Sinne einer Ultimaratio-Betrachtung verglichen werden könnten. Vielmehr kann die Möglichkeit der alternativen Sanktionsmöglichkeit im Rahmen der zur Feststellung des Vorliegens eines wichtigen Grundes notwendigen Abwägung mit berücksichtigt werden, hier allerdings nicht zwingend als abwägungsentscheidender Faktor. 367 In § 314 Abs. 1 BGB hat die Schuldrechtsmodernisierung nun allgemeine Voraussetzungen für die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund eingefügt. Die Norm ähnelt § 626 Abs. 1 BGB, enthält aber eine bedeutsame Neuerung: Das Abmahnerfordernis wurde in § 314 Abs. 2 S. 1 BGB ausdrücklich kodifiziert. Richtigerweise kommt darin nicht etwa der Grundsatz der Erforderlichkeit zum Ausdruck; vielmehr wird wegen der Bedeutung der Kündigung und des Grundsatzes der Aufrechterhaltung der vertraglichen Bindung die Abmahnung zu Warnzwecken vorgeschaltet.368 Die Abmahnung ist nicht notwendig ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung, sondern oftmals ein aliud; hinter der Verpflichtung zur Abmahnung steht die Treuepflicht des Kündigungsberechtigten, der den Vertragspartner nicht mit der Vertrags362
Siehe dazu bereits oben § 13 III. (S. 251 ff.). Grundlegend zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Kündigungsrecht Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 256 ff., 294 ff., hier auch berechtigte Kritik an der teils unreflektierten Verwendung des Grundsatzes bzw. seiner verschiedenen Teilgrundsätze in Rechtsprechung und Lehre ohne hinreichende Anbindung an die gesetzlichen Vorgaben. 364 Vgl. Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 452 ff.; H. Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 129 ff.; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 31 ff. 365 Vgl. dazu etwa BGHZ 6, 113, 116; BGH NZG 2003, 625, 626; Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, § 5 I 3 c aa (S. 405); MünchHdb. GesR II / Piehler / Schulte, § 36 Rn. 43. Ähnliches gilt bei der Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis, vgl. BGHZ 51, 198, 203; oder beim Ausschluss aus der GmbH, vgl. BGHZ 16, 317, 322; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 35 IV 2 b (S. 1061). 366 Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 130 (dort Verbot des inciviliter agere genannt); ders., AcP 184 (1984), 201, 240; Voglis, Kreditkündigung, S. 97 ff. 367 Siehe bereits oben Text bei und nach Fn. 236. 368 Erman / Hohloch, § 314 Rn. 8; dazu bereits oben § 13 III. 2. (S. 252 f.). 363
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beendigung überraschen darf. Ginge man von der Geltung des Grundsatzes der Erforderlichkeit aus, so stellte die Abmahnung auch nur eines von mehrereren denkbaren im Vergleich zur Kündigung milderen Mitteln dar. Könnte also die Verhinderung weiterer Pflichtverletzungen auch anders als durch Abmahnung erreicht werden, etwa durch eine bloße Rüge oder auch durch ein Hinwegsehen über den Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten, dann wäre die Abmahnung nicht erforderlich – eine Konsequenz, die die Rechtsprechung in dieser Allgemeinheit zu Recht nicht gezogen hat,369 und die auch in Bezug auf § 314 Abs. 2 BGB verfehlt wäre.370 Sie könnte eine „Deeskalationsspirale“ milderer Mittel in Gang setzen, die den Entscheidungsspielraum des Kündigungsberechtigten entgegen dem Zweck des Kündigungsrechts stark einengen würde.371 Die ordentliche (nicht begründungsbedürftige) Kündigung steht hingegen nicht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Der kündigungsberechtigte Vertragspartner kann den Vertrag ohne Vorliegen besonderer Gründe einseitig beenden; die (Warn-)Funktion der Abmahnung wird hierbei durch unterschiedlich lange Kündigungsfristen372 übernommen. Ordentliche gesetzliche Kündigungstatbestände sind damit „geschlossene“ Normen, die auch nicht über die (konstitutive) Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit wieder abwägungsoffen gemacht werden könnten, da dies ansonsten der Einführung eines Kündigungsgrundes gleichkäme. 373 b) Rücktritt Der Rücktritt vom Vertrag ist wie die Kündigung ein Gestaltungsrecht. Im System des Leistungsstörungsrechts ist der Rücktritt als schärfste Reaktion auf Pflichtverletzungen des anderen Teils an besondere Voraussetzungen gebunden: Vorrangig sind die anderen Rechtsbehelfe, insbesondere hat der Schuldner ein Recht zur zweiten Andienung; dieses ergibt sich aus dem Erfordernis einer Fristsetzung bzw. einer Abmahnung in § 323 Abs. 1, 3 BGB.374 Aber auch dann, wenn beides nicht zur Vertragserfüllung geführt hat, kann der Gläubiger nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung nur ge369 Nach der Rechtsprechung des BAG ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwar auch auf die Abmahnung anzuwenden, vgl. BAG NZA 1995, 225, 227 f.; BAG NZA 1992, 690. Das bezieht sich allerdings auf die Umstände der Abmahnung, weniger auf deren Zulässigkeit selbst. Siehe dazu LAG Köln NZA-RR 1996, 204. Siehe andererseits aber ArbG Freiburg AiB 2003, 48, 49. 370 LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2006, 180. 371 Beispiel ArbG Freiburg AiB 2003, 48, 49 und dazu Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 52 ff. 372 Anders beim Auftrag, § 671 Abs. 1 BGB, wo wegen des persönlichen Vertrauensverhältnisses bzw. der Unentgeltlichkeit des Auftragsverhältnisses eine fristlose ordentliche Kündigung möglich ist. Einen Ausgleich bietet hier § 671 Abs. 2 BGB. 373 Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 130. 374 Dazu auch S. Lorenz, JbItalR 21 (2008), S. 43, 51 ff.
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ringfügig war.375 Diese gesetzliche Abstufung schließt einen Rückgriff auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip aus.
2. Ausübung vertraglich vereinbarter Gestaltungsrechte Es kann im Interesse einer oder beider Parteien liegen, sich im Vertrag einseitige Handlungsmöglichkeiten einräumen zu lassen. Deren Ausübung ist nicht an die (weitere) Zustimmung des Vertragspartners gebunden. Der Berechtigte kann vermittels dieser Handlungsbefugnis aus eigenem Entschluss heraus auf das Rechtsverhältnis einwirken, dieses begründen oder verändern. Beispiele sind etwa das Vorkaufsrecht (§§ 463 ff. BGB), das Wiederkaufsrecht (§§ 454 ff. BGB), das einseitige Leistungsbestimmungsrecht (§§ 315 ff. BGB) oder das gesetzlich nicht geregelte Optionsrecht. Im Unterschied zu den eben behandelten gesetzlichen Gestaltungsrechten liegt hier ein vertraglicher Konsens vor, der nicht nur den Vertrag als solchen, sondern auch die einseitige Handlungsmöglichkeit des anderen Teils umfasst. In dieser Einseitigkeit besteht – trotz des Konsenses – eine Gefahr für den vom Gestaltungsrecht Betroffenen. Während die gesetzlichen Gestaltungsrechte von vornherein auf einen angemessenen Interessenausgleich gerichtet sind, ist dies bei den vertraglich vereinbarten Handlungsrechten nicht notwendig in demselben Maße der Fall. Diesbezüglich ist die Richtigkeitsvermutung, die der vertraglichen Vereinbarung sonst zugrunde liegt, nicht gegeben.376 Es lässt sich also nicht vom Vorliegen eines vertraglichen Konsenses auf die Generaleinwilligung in jedwede Geltendmachung der Gestaltungsbefugnis schließen.377 Dass hier ein Bedürfnis nach Kontrolle besteht, zeigt insbesondere die Regelung des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts in § 315 BGB.378 Lassen die Parteien den Leistungsinhalt bei Vertragsschluss offen und übertragen sie dessen Festlegung einem der Vertragsschließenden, so ist dieser im Zweifel nicht völlig frei, sondern hat die Bestimmung nach billigem Ermessen auszuüben. Das Leistungsbestimmungsrecht unterscheidet sich von der konkludenten Einigung auf die übliche Gegenleistung, wie dies etwa die §§ 612, 632 BGB für den Dienst- und Werkvertrag vorsehen: Während in §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB jeweils die taxmäßige bzw. übliche Vergütung als vereinbart gilt und damit ein 375
Dazu oben § 13 II. 1. b) (S. 239 ff.). MüKo-BGB / Gottwald, § 315 Rn. 4; Staudinger / Rieble (2009), § 315 Rn. 32; Erman / J. Hager, § 315 Rn. 1. 377 So in Bezug auf das einseitige Leistungsbestimmungsrecht H. Hanau, ZIP 2006, 1281, 1283; anders wohl Ehricke, JZ 2005, 599, 601. 378 Eingehend zu den praktischen Anwendungsbereichen der Norm Kronke, AcP 183 (1983), 113, 114 ff. Zur (analogen) Anwendung des § 315 BGB auf einseitige Preisfestsetzungen in Gaslieferungsverträgen Ehricke, JZ 2005, 599; H. Hanau, ZIP 2006, 1281; Borges, DB 2006, 1199; ders., in: AGB im Spannungsfeld zwischen Kautelarpraxis und Rechtsprechung, S. 51. 376
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objektiver Maßstab anzulegen ist, gibt das Leistungsbestimmungsrecht dem Berechtigten einen Entscheidungsspielraum: Er braucht die Leistung im Zweifel nicht nach objektiven Kriterien zu bemessen, sondern ihm steht ein am Maßstab der Billigkeit auszurichtendes Ermessen zu;379 nur dann ist die Bestimmung für den anderen Teil bindend (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Wenn teilweise gesagt wird, der Begriff der Billigkeit erfordere eine Festlegung auf eine einzige „richtige“ Leistungsbestimmung,380 so stößt dies einerseits auf dieselben praktischen Schwierigkeiten, die sich bereits beim iustum pretium381 gezeigt haben, negiert andererseits den Unterschied, der zwischen dem „billigen Ermessen“ in § 315 Abs. 1 BGB und der gerichtlichen Festsetzung der Leistung nach „Billigkeit“ in § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB besteht.382 Richtig ist, dass das Kriterium der Billigkeit vom Berechtigten „eine Prüfung und Abwägung der objektiven wirtschaftlichen Interessenlage […] bei den beiden Vertragspartnern“383 erfordert, also letztlich auf die Erzielung von Einzelfallgerechtigkeit gerichtet ist.384 Der Berechtigte darf gerade nicht nur seine eigenen Interessen verfolgen, sondern muss die Belange des Vertragspartners mit in seine Abwägung einbeziehen. Im Zentrum der Abwägung steht der Vertragszweck.385 Innerhalb dieser Grenzen hat der Berechtigte jedoch die Wahl zwischen mehreren möglichen Alternativen. Das nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB zur Kontrolle der Ermessenausübung angerufene Gericht hingegen hat diesen Ermessensspielraum nicht; es kann nicht seine eigene Billigkeitsentscheidung anstelle derjenigen des Berechtigten setzen. 386 Nach einer immer wieder verwendeten Formulierung des BGH geht es bei der Prüfung der Frage, ob eine Preisbestimmung billigem Ermessen entspricht, nicht darum, einen „gerechten Preis“ von Amts wegen zu ermitteln.387 Lediglich dann, wenn die Grenze des Ermessensspielraums des Berechtigten überschritten ist, entsteht eine Entscheidungsbefugnis des Gerichts. 379
Staudinger / Rieble (2009), § 315 Rn. 299 („privates Rechtsfolgenermessen“). So insbesondere Kornblum, AcP 168 (1968), 450, 462 ff.; von Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 41 ff. 381 Dazu oben § 5 I. 1. (S. 45 ff.). 382 BGHZ 163, 119, 130; BGH NJW-RR 1991, 1248, 1249; Kronke, AcP 183 (1983), 113, 139 f.; MüKo-BGB / Gottwald, § 315 Rn. 29. 383 BGHZ 41, 271, 279; BGHZ 18, 149, 152. 384 Siehe auch Esser, in: summum ius, summa iniuria, S. 22, 29 f., 35, der die Billigkeit als auf Individualgerechtigkeit zielender „Gegenspieler zum Gesetz“ sieht, der insbesondere in § 242 BGB seinen Niederschlag gefunden habe und dort vor allem im Gedanken der „individuellen Zumutbarkeit“ zum Ausdruck komme. Zum Rechtsbegriff der Zumutbarkeit bereits oben § 18 III. 2. (S. 339 ff.). 385 BGH NJW-RR 2007, 56, 58. 386 BGHZ 41, 271, 280; BGH NJW-RR 1991, 1248, 1249; BGHZ 163, 119, 130; BGH NJW-RR 2007, 56, 57 f.; MüKo-BGB / Gottwald, § 315 Rn. 29 f., 51; Staudinger / Rieble (2009), § 315 Rn. 325; Erman / J. Hager, § 315 Rn. 21. 387 BGHZ 41, 271, 280; BGH NJW-RR 2007, 56, 57 f. 380
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Der Begriff des billigen Ermessens stimmt damit mit der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne überein:388 Beide sind formaler Natur; sie zielen auf eine Abwägung sachlich relevanter Gesichtspunkte, enthalten aber selbst keine Wertvorgaben – diese ergeben sich ausschließlich aus der Art des betroffenen Rechtsverhältnisses.389 Aus dem Gesagten ergibt sich aber gleichzeitig, dass der Berechtigte in der Mittelauswahl nicht dergestalt eingeschränkt ist, dass er stets nur das für den anderen Teil mildeste Mittel bzw. die für diesen am wenigsten belastende Leistungsbestimmung treffen muss.390
III. Begrenzung „überschießender“ Rechtsfolgen? Als eine „überschießende“ Rechtsfolge kann eine Konstellation bezeichnet werden, in der die Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten weiter geht als zur Sanktion dieses Verhaltens erforderlich. Solche Konstellationen wurden bereits bei der Anordnung der Totalnichtigkeit von wucherischen und wucherähnlichen Rechtsgeschäften durch § 138 BGB sowie bei der Unwirksamkeit von anstößigen Klauseln in Formularverträgen durch § 307 Abs. 1 BGB behandelt.391 Dahinter steht der Sanktions- oder Präventionsgedanke. Doch inwieweit trägt dieser die Totalnichtigkeit? Eine Alternative besteht darin, statt einer Anordnung der Totalnichtigkeit lediglich die „überschießenden“ Rechtsfolgen zu beseitigen. Paradigmatisch für dieses Modell ist die Herabsetzung der Vertragsstrafe nach § 343 BGB auf einen angemessenen Betrag. 392 Kann diese Norm als Anhaltspunkt dafür dienen, dass Rechtsfolge einer Unverhältnismäßigkeitskonstellation auch die Rückführung auf das Angemessene sein sollte? Zu unterscheiden sind hier gesetzlich angeordnete Rechtsfolgen (unten 1.) von vertraglich vereinbarten Nebenabreden (unten 2.).
388 So im Ergebnis auch Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 190 ff. m.w.N. Anders demgegenüber Wieacker, in: FS R. Fischer, S. 867, 873, der die Billigkeit als ein Instrument der Einzelfallgerechtigkeit, die Verhältnismäßigkeit aber als ein Rechtsgebot sieht, das „gerade auf die allgemeine Regelgerechtigkeit zielt, nicht auf eine opportunistische Fallgerechtigkeit“. 389 Von Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 32, 113 ff., 118 f.; Staudinger / Rieble (2009), § 315 Rn. 305 ff. Siehe auch Esser, in: summum ius, summa iniuria, S. 22, 36 f., der die aus der Ermessensnorm folgende Zweckbindung der richterlichen Korrekturkompetenz betont. 390 Ebenso Bieder, Verhältnismäßigkeit, S. 246 ff. 391 Zur geltungserhaltenden Reduktion bei wucherischen bzw. wucherähnlichen Verträgen oben § 5 III. 2. (S. 60 ff.); zur Parallelproblematik bei unangemessenen Formularklauseln oben § 9 III. 2. und 3. (S. 126 ff. bzw. S. 129 ff.). 392 Dazu bereits oben § 10 (S. 147 ff.).
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1. Gesetzlich angeordnete Rechtsfolgen a) Teilweise Aufrechterhaltung wucherischer Rechtsgeschäfte? Begreift man den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie er beim Wucher in § 138 Abs. 2 BGB und beim wucherähnlichen Geschäft in § 138 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommt, als eine Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung, so fragt sich, ob die geltungserhaltende Reduktion – unabhängig von ihrer dogmatischen Begründung – ebenfalls als ein Anwendungsfall der Verhältnismäßigkeit begriffen werden kann, in diesem Fall auf der Rechtsfolgenseite. Es hat sich gezeigt, dass die Verhältnismäßigkeitskontrolle auf der Tatbestandsseite im Kern zwei Größen miteinander vergleicht – bei § 138 BGB Leistung und Gegenleistung – und an diese Gegenüberstellung im Falle eines auffälligen Missverhältnisses die Rechtsfolge der Nichtigkeit knüpft. 393 Begreift man die verbreitet befürwortete geltungserhaltende Reduktion des Rechtsgeschäfts nun als Wiederherstellung der Verhältnismäßigkeit, dann würde diese auf der Rechtsfolgenseite dasjenige Ergebnis herstellen, das zuvor auf der Tatbestandsseite in Bezug auf das auffällige Missverhältnis, also gewissermaßen in negativer Hinsicht, festgestellt wurde. Es stellen sich dabei vor allem zwei Fragen: Ist eine solche Verhältnismäßigkeitskontrolle legitim, und wenn ja, auf welche Weise ist die Unverhältnismäßigkeit zu beseitigen? Dass eine Verhältnismäßigkeitskontrolle auf der Rechtsfolgenseite durchaus auch gesetzgeberisch angeordnet werden kann, zeigt die Herabsetzung der Vertragsstrafe in § 343 BGB,394 aber auch die Vertragsanpassung bei Störungen der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB.395 Nachdem § 138 BGB die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts anordnet, bedeutete eine auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestützte Herbeiführung einer angemessenen Rechtsfolge, also einer Reduzierung auf ein tolerables Maß, dessen konstitutive, also rechtsfortbildende und gesetzesübersteigende Anwendung. Damit würde eine Rechtsfolge herbeigeführt, die im internationalen Vergleich derzeit wohl favorisiert wird. Dies zeigt sich etwa an dem Institut der rescissione per lesione des italienischen Rechts, das in Art. 1450 c.c. der benachteiligenden Partei die Möglichkeit der Abwendung der Vernichtbarkeit des wucherischen Rechtsgeschäfts durch Angebot einer angemessenen Gegenleistung gibt. Art. 4:109 Abs. 2, 3 PECL sowie Art. II.-7:207 DCFR folgen diesem Modell: Hier steht der benachteiligten Partei ein Anfechtungsrecht zu; beide Parteien können aber eine gerichtliche Anpassung des Vertrags verlangen. Anders als im deutschen Recht dienen die genannten Instrumente nicht dem Schutz der guten Sitten, sondern vorrangig dem Schutz der Entscheidungsfreiheit des 393 394 395
Oben § 5 (S. 43 ff.). Dazu näher oben § 10 (S. 147 ff.). Dazu näher oben § 14 III. (S. 263 ff.).
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Benachteiligten bei ausbeuterischen Verträgen.396 Wird die Ausbeutungslage durch Anpassung behoben, so fehlt auch der Sanktionsgrund; das Rechtsgeschäft muss nicht wegen des im Wucher enthaltenen Sittenverstoßes vernichtet werden. Vor diesem Hintergrund fällt die Rechtfertigung einer geltungserhaltenden Reduktion wucherischer Rechtsgeschäfte im deutschen Recht durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schwer. Der Sittenverstoß lässt sich kaum durch eine Vertragsanpassung beseitigen, so dass die Vernichtung des Rechtsgeschäfts als Reaktion auf das anstößige Verhalten jedenfalls insoweit „verhältnismäßig“ erscheint, als die Schutzrichtung nicht dadurch ins Gegenteil verkehrt wird, dass die Nichtigkeit der bewucherten Partei zum Nachteil gereicht. Beispiele hierfür sind der Mietwucher oder der Lohnwucher: Hier beschert die Vernichtung des Rechtsgeschäfts dem Mieter bzw. dem Arbeitnehmer den Entzug jeglicher Rechte aus dem Vertrag.397 Dass die Entscheidung für die Totalnichtigkeit rechtspolitisch nicht zwingend ist, zeigen Art. 15:102 Abs. 3 PECL bzw. Art. II.-7:302 Abs. 2 und 3 DCFR, die bei einem Verstoß gegen zwingende Rechtsgrundsätze nicht stets die Totalnichtigkeit anordnen – diese kann sich nur aus dem Verbotsgesetz selbst ergeben –, sondern die Reaktion auf den Verstoß in das Ermessen des Gerichts stellt. Dessen Entscheidung muss in jedem Fall eine „angemessene und verhältnismäßige Antwort auf den Verstoß darstellen, bei der alle maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen sind“. Auch vor diesem Hintergrund erscheint der Sittenverstoß in der Regel als so gravierend, dass die Nichtigkeit von den genannten Ausnahmen abgesehen jedenfalls keine unverhältnismäßige Reaktion darstellt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist damit als solcher aus sich heraus nicht geeignet, die geltungserhaltende Reduktion wucherischer und wucherähnlicher Rechtsgeschäfte zu rechtfertigen. b) Geltungserhaltende Reduktion unwirksamer Formularklauseln? Eine formularmäßig vereinbarte Klausel, die den Kunden unangemessen benachteiligt, ist nach § 307 Abs. 1 BGB nichtig; der Vertrag im Übrigen bleibt aber nach § 306 Abs. 1 BGB wirksam. An die Stelle der nichtigen Klausel tritt nach § 306 Abs. 2 BGB dispositives Gesetzesrecht. Fehlen einschlägige Regelungen, etwa weil es sich um einen gesetzlich nicht geregelten Vertragstyp handelt, führt indessen die Totalnichtigkeit ähnlich wie bei wucherischen und wucherähnlichen Rechtsgeschäften zu einer Überkompensation des Fehlverhaltens des Verwenders, indem sie dem Kunden ungerechtfertigte Vorteile verschafft. Die Rechtsprechung hilft sich hier mit einer ergänzenden Vertragsauslegung, die Literatur befürwortet teilweise offen eine geltungserhaltende Reduktion. 398 396 397 398
Siehe zusammenfassend bereits oben § 7 I. (S. 94 f.). Siehe oben § 5 III. 2. (S. 60 ff.). Dazu oben § 9 III. (S. 125 ff.).
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Ob man sich nun den Befürwortern einer geltungserhaltenden Reduktion anschließt oder den vom BGH und einem Teil der Literatur beschrittenen Weg bevorzugt, so haben doch beide Lösungswege ein gemeinsames Anliegen: Die Missbräuchlichkeit der Klausel soll zwar sanktioniert werden, dies soll aber nicht zu unangemessenen Verwerfungen des Vertragsgefüges insgesamt führen. Der Eingriff in die privatautonome Gestaltungsfreiheit, die auch die Verwendung von Formularverträgen ermöglicht, muss auf ein erträgliches Maß beschränkt werden. Die methodische Vorgehensweise der beiden Ansichten unterscheidet sich zwar äußerlich, geht die Rechtsprechung doch zunächst von der Totalnichtigkeit der Klausel aus – sofern sie sich nicht als teilbar erweist399 – und füllt die so entstandene Lücke dann durch dispositives Gesetzesrecht, oder, falls solches nicht zur Verfügung steht, durch ergänzende Vertragsauslegung, wobei der Maßstab hier ein objektiv-generalisierender ist. Die Befürworter der geltungserhaltenden Reduktion setzen hingegen früher an, sie halten eine richterliche Rechtsfolgenrestriktion für zulässig, die von vornherein auf objektivierter Grundlage steht.400 Maßstab bei dieser Angemessenheitskontrolle ist dabei vorrangig das dispositive Recht bzw. die vertragliche „Vorregelung“.401 Begreift man die von der Rechtsprechung durchgeführte ergänzende Vertragsauslegung methodisch bereits als Rechtsfortbildung, die richterrechtliches, dispositives Gesetzesrecht schafft,402 so bestehen hier deutliche Berührungspunkte zur geltungserhaltenden Reduktion.403 Gemeinsam ist beiden Ansätzen weiterhin, dass sie eine überschießende Rechtsfolge ausgleichen wollen: Beließe man es bei der Nichtigkeit der Klausel, so verschöbe sich unter Umständen das Äquivalenzgefüge bei Abwesenheit einschlägiger dispositiver Reservenormen deutlich zugunsten des Kunden. Dies ließe sich nur mit einer Straf- oder Präventionsfunktion der Unwirksamkeitsfolge rechtfertigen. Canaris ist diesbezüglich für eine Beschränkung dieser Sanktion durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingetreten.404 Die überschießende Rechtsfolge der Totalnichtigkeit wird nach diesem Ansatz, sofern sie einen übermäßigen Eingriff in die Privatautonomie des Verwenders dar399
Dazu oben § 9 III. 2. b) (S. 127 f.). H. Roth, Vertragsänderung, S. 35 f. 401 Vgl. J. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung, S. 197 ff.; H. Roth, JZ 1989, 411, 418. 402 Dazu Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 338 ff.; Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 555 f. Anders etwa Larenz, NJW 1963, 737, 740, der zwar zugesteht, dass die ergänzende Vertragsauslegung ebenso wie das dispositive Gesetzesrecht dasjenige regelt, „was bei Verträgen dieser Art typischerweise durch den Vertragszweck gefordert wird“, aber dennoch beide Instrumente grundsätzlich voneinander unterscheidet. Eingehend zum Ganzen Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 392 ff. 403 Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 549 ff. Dies konzediert auch Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 332 f., 339. 404 Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 547 ff.; zustimmend Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 109 ff. 400
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stellt, auf ein angemessenes Maß zurückgeführt.405 Canaris sieht als Legitimationsgrundlage für diesen Ansatz eine Prinzipienkollision zwischen dem Präventionsprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die zu einem angemessenen Ausgleich im Sinne einer mittleren Lösung gebracht werden müsse.406 In diesem Zusammenhang spielt auch § 306 Abs. 3 BGB eine Rolle: Danach ist der Vertrag insgesamt nur dann unwirksam, wenn ein Festhalten an ihm auch unter Geltung des nach § 306 Abs. 2 BGB heranzuziehenden dispositiven Rechts eine unzumutbare Härte für eine Vertragspartei bedeuten würde. Im Zweifel soll der Vertrag aufrechterhalten werden; zu diesem Zwecke kann auch eine Anpassung zulässig und geboten sein.407 Der Gedanke der Verhältnismäßigkeit wurde im Zusammenhang mit der rückwirkenden Unwirksamkeit einer Klausel in einem Arbeitsvertrag, die dem Arbeitgeber den jederzeitigen Widerruf von übertariflichen Lohnbestandteilen ermöglichte, auch vom BAG zur Rechtfertigung einer Korrektur des § 306 Abs. 2 BGB herangezogen:408 Die Totalnichtigkeit der Klausel bedeute einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatautonomie, die durch eine ergänzende Vertragsauslegung behoben werden könne. Nur auf diese Weise werde „die unverhältnismäßige Rückwirkung des § 306 Abs. 2 BGB verfassungskonform abgemildert und dem Willen und den Interessen der Vertragsparteien angemessen Rechnung getragen“.409 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass es das aus der Verfassung abgeleitete Verhältnismäßigkeitsprinzip ist, das hier zur Anwendung kommt.410 Begreift man den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit indessen, wie hier vertreten, als Konfliktlösungsmechanismus, der nicht notwendig im Verfassungsrecht zu verorten ist, sondern als allgemeines Prinzip juristischen Denkens, das als solches auch im Privatrecht Anwendung findet, so besteht zwischen der geltungserhaltenden Reduktion und der Verhältnismäßigkeit jedenfalls kein Gegensatz mehr:411 Die geltungserhaltende Reduktion ist ein Mittel zum verhältnismäßigen Interessenausgleich zwischen Verwender und Kunden. Richtigerweise liegt indessen keine Kollision zwischen Präventionsprinzip und Verhältnismäßigkeits405 Auch H. Roth, JZ 1989, 411, 419 führt das „auch im Privatrecht zu beachtende Übermaßverbot“ als Stütze für die Zulässigkeit der geltungserhaltenden Reduktion an. Er sieht dieses als „offenes Prinzip“, das noch nicht regelförmig verdichtet ist, aber in der Entstehung begriffen. 406 Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 567 ff. Zur „Suche nach der Mitte“ als methodisches Problem F. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309. Siehe dazu auch unten Kap. 7 V. (S. 448 f.). 407 Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 556 f.; eingehend Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 345 ff. 408 BAG NJW 2005, 1820. 409 BAG NJW 2005, 1820, 1822. 410 H. Roth, Vertragsänderung, S. 74 unter Verweis auf Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 547 ff.; ebenso Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 109 ff. 411 Damit ist noch nicht die Frage beantwortet, ob die geltungserhaltende Reduktion mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt werden kann, dazu sogleich im Text.
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grundsatz vor, die es aufzulösen gälte: Vielmehr dient das Verhältnismäßigkeitsprinzip gerade als Meta-Prinzip, das seinerseits zur Konfliktlösung dient. Im Falle der Überkompensation von unangemessenen AGB liegt vielmehr ein Konflikt zwischen vertraglicher Äquivalenz und Präventionsprinzip vor; diese beiden Grundsätze können über das Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Ausgleich gebracht werden. Indessen liegen in § 306 BGB bereits gesetzgeberische Richtlinien für diesen Ausgleich vor, so dass es in der Tat nicht unproblematisch erscheint, zusätzlich auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip zurückzugreifen. Gegen die Lösung über das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird eingewandt, ihr komme lediglich eine „Appellfunktion für die Fallösung“ zu.412 Der Grundsatz bedürfe aufgrund seiner Weite und Unbestimmtheit erst der Konkretisierung, die durch Fallgruppenbildung vorgenommen werden könne;413 im Vergleich dazu sei die geltungserhaltende Reduktion jedoch „privatrechtsnäher“414 und leistungsfähiger als die Verhältnismäßigkeit. Weiterhin wird eingewandt, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde in Bezug auf die geltungserhaltende Reduktion in sein Gegenteil verkehrt, da er anders als sonst zugunsten desjenigen herangezogen wird, der von seiner Freiheit im Übermaß Gebrauch gemacht hat.415 Gegen den Rekurs auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip spricht unabhängig davon, dass das System der AGB-Kontrolle insbesondere auch auf der Rechtsfolgenseite mit § 306 BGB klare und interessengerechte Vorgaben macht. Der Verwender trägt danach das Risiko der Unwirksamkeit der Klausel; etwaige Nachteile sollen zu seinen Lasten gehen.416 Die in § 306 BGB getroffene Regelung stellt bereits eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips dar; die Existenz einer eindeutigen gesetzlichen Wertung spricht gegen einen weiteren Rückgriff auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.417
2. Vertraglich vereinbarte Nebenabreden Ebenso wie ein vertraglich vereinbartes Recht zur einseitigen Leistungsbestimmung kann auch die Vereinbarung einer Sanktion für ein bestimmtes Verhalten einschneidende Konsequenzen für die betroffene Partei haben. Für die parteilich vereinbarte Sanktion der Vertragsstrafe sieht § 343 BGB die richterliche Herabsetzung auf ein angemessenes Maß vor, wenn die Strafe unverhältnismäßig hoch ist.418 Gemeint ist damit, wie sich aus § 339 BGB ergibt, primär eine 412 413 414 415 416 417 418
So H. Roth, Vertragsänderung, S. 75. So der Ansatz von Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 552 ff. H. Roth, Vertragsänderung, S. 74. Preis, Grundfragen, S. 361. H. Schmidt, in: Ulmer / Brandner / Hensen, § 306 Rn. 15; Preis, Grundfragen, S. 360 ff. Ebenso Preis, in: FS Dieterich, S. 429, 457 ff. Ähnliche Regelungen finden sich in § 75c Abs. 1 Satz 2 HGB, in dem für die Herabset-
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Vertragsstrafe, die in der Zahlung einer Geldsumme besteht. Die ratio der Herabsetzung trifft aber auch auf atypische Strafabreden zu, etwa auf Verfallsklauseln, Verwirkungsklauseln o.ä. In diesen Fällen kann daher § 343 BGB analog angewendet werden.419 Von vergleichbarer Intensität für den Betroffenen sind nachvertragliche Wettbewerbsverbote. Hier enthält § 74a Abs. 1 HGB eine Teilregelung für das Recht des Handlungsgehilfen. Danach ist das Wettbewerbverbot insoweit unverbindlich, als es nicht zum Schutze eines berechtigten geschäftlichen Interesses des Prinzipals dient und wegen seiner räumlichen, zeitlichen oder gegenständlichen Reichweite „eine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Gehilfen enthält“. Ausdrücklich unberührt bleibt nach § 74a Abs. 3 HGB eine Kontrolle am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB. Die Rechtsprechung beschränkt sich außerhalb des Anwendungsbereichs von § 74a HGB auf eben diese Sittenwidrigkeitskontrolle, lehnt sich aber eng an die in dieser Norm enthaltenen Kriterien an. Der BGH hält nachvertragliche Wettbewerbseinschränkungen dann für zulässig, wenn sie in räumlicher, gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht das notwendige Maß nicht überschreiten. Eine geltungserhaltende Reduktion der zeitlichen Dauer des Wettbewerbsverbots auf maximal zwei Jahre nach dem Vorbild des § 74a Abs. 1 Satz 3 HGB kommt nur dann in Betracht, wenn das Verbot ausschließlich die zeitlichen Grenzen überschreitet; die Missachtung der gegenständlichen und räumlichen Grenzen dagegen hat stets die Nichtigkeit des Verbots zur Folge.420 Vor diesem Hintergrund hat sich Canaris für eine Verallgemeinerung des in den §§ 343 BGB, 74a Abs. 1 HGB enthaltenen Rechtsgedankens ausgesprochen.421 Dieser Ansatz ist jedenfalls für vertragliche Nebenabreden mit Sanktionscharakter, insbesondere für alle Arten von Wettbewerbsverboten, durchaus beifallswürdig. Denn damit wird von vornherein das Verdikt der Sittenwidrigkeit vermieden, das wegen des legitimen Anliegens des Wettbewerbsverbots unpassend sein mag. Soweit damit aber allgemein eine geltungserhaltende Reduktion im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB gerechtfertigt wird, bestehen hiergegen die bereits oben422 artikulierten Bedenken: Betrachtet man ein Rechtsgeschäft als sittenwidrig, so ist die Nichtigkeit nicht per se eine unverhältnismäßige Reaktion auf den Verstoß. Die §§ 343 BGB, 74 Abs. 1 HGB zeigen nur, dass bestimmte, besonders gefährliche und missbrauchsanfällige Nebenabrezung der Vertragsstrafe bei Handlungsgehilfen auf § 343 BGB verwiesen wird, sowie in § 655 BGB in Bezug auf die Anpassung des Mäklerlohns. Siehe zum Ganzen bereits oben § 10 (S. 147 ff.). 419 Vgl. nur MüKo-BGB / Gottwald, § 343 Rn. 5 ff. 420 BGH NJW 2000, 2584; BGH NJW 2005, 3061, 3062; MüKo-BGB / Armbrüster, § 138 Rn. 161. 421 Canaris, in: FS Steindorff, S. 519, 536 ff.; dazu auch Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 15 ff., 260 f. 422 Unter 1. a) (S. 431 f.).
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den einer besonderen Kontrolle unterzogen werden, ohne aber die grundsätzliche Legitimität der Vereinbarung in Frage zu stellen.
IV. Verhältnismäßigkeit als Argument zur Begründung positiver Rechtspflichten? Die Verhältnismäßigkeit wurde bisher gekennzeichnet als begrenzender, teilweise auch als ausgleichender Faktor. Der Grundsatz dient in erster Linie der Beschränkung von Rechten, indem er eine Grenze dort zieht, wo die Interessen anderer durch die Ausübung übermäßig eingeschränkt würden.423 Strukturell wird dies durch die Nähe zum Verbot des Rechtsmissbrauchs deutlich. Die Verhältnismäßigkeit kann daneben auch ausgleichend wirken, indem Rechtsmacht auf ein tolerables Maß beschränkt wird. Kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aber auch eine Rechtsposition erst begründen?
1. Die Ausgleichsfunktion Die Ausgleichsfunktion der Verhältnismäßigkeit, also die Rückführung zu weit gehender rechtlicher Befugnisse, wurde bereits als Ausnahmekonstellation gekennzeichnet.424 Sie wird vom Gesetz insbesondere angeordnet bei der Herabsetzung überhöhter Vertragsstrafen und bei der Vertragsanpassung bei Wegfall der Geschäftsgrundlage. Beide Fälle begründen zwar eine von der ursprünglichen Vereinbarung abweichende rechtliche Verpflichtung. Gleichwohl ist die modifizierte Verpflichtung nur als Minus zur vorher bestehenden Rechtsmacht anzusehen und nicht als Schaffung eines eigenständigen Rechts. Bei der Herabsetzung der Vertragsstrafe bestehen angesichts der quantitativen Beschränkung der Strafhöhe diesbezüglich keine Unklarheiten. Schwieriger zu beurteilen ist die Vertragsanpassung bei Wegfall der Geschäftsgrundlage. Welcher Ausgleich hier in Betracht kommt, entzieht sich einer pauschalen Beurteilung. Die schlichte Herabsetzung einer Leistungspflicht mag in manchen Fällen nicht auszureichen, um die gestörte Äquivalenz wieder herzustellen. Vor allem dann, wenn die Störung auf eine (ausnahmsweise beachtliche 425) Geldentwertung zurückzuführen ist, kann dies nur durch eine Erhöhung der Gegenleistung er423 Von einer „Relativierungstendenz“ spricht daher Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 189. Manche Autoren sprechen von vornherein nur von einem Verbot der Unverhältnismäßigkeit (so insbesondere die Ansätze von Metzner, Verbot der Unverhältnismäßigkeit und Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht). 424 Oben § 16 II. (S. 286 f.). 425 Wegen des im deutschen Recht geltenden Nominalprinzips (§§ 244, 245 BGB) fällt die normale Inflation grundsätzlich in den Risikobereich des Sachleistungsschuldners (und Geldgläubigers). Vgl. BGHZ 79, 187, 194; Jauernig / Mansel, § 245 Rn. 9.
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reicht werden.426 Auch bei Leistungserschwerungen auf der Beschaffungsseite, die nicht bereits § 275 Abs. 2 BGB unterfallen,427 kann die Vertragsanpassung zu einer Erhöhung der Gegenleistung führen. Liegt hierin ein Ansatz, aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit positive Rechtspflichten abzuleiten?
2. Schaffung neuer Rechtspflichten? a) Neuverhandlungspflichten Bereits an anderer Stelle wurde die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als Argument zur Begründung von Neuverhandlungspflichten bei Geschäftsgrundlagenstörungen abgelehnt.428 Erst dann, wenn man grundsätzlich die Existenz solcher Neuverhandlungspflichten oder -obliegenheiten bejaht, kommt eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips überhaupt in Betracht. In diesem Fall liegt es nahe, diese Pflicht (bzw. Obliegenheit) mit Eidenmüller unter das Postulat der Verhältnismäßigkeit zu stellen.429 Neuverhandlungen bei einer Geschäftsgrundlagenstörung werden von der Rechtsordnung danach nicht automatisch verlangt, sondern stehen unter dem Vorbehalt, dass sie einen legitimen Zweck verfolgen, dass also der Vertrag noch anpassungsfähig und auch „anpassungswürdig“ ist. Denn eine Neuverhandlungspflicht stelle insoweit einen Eingriff in die Privatautonomie dar, als sie in eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung eingreife.430 Dabei muss sich eine Neuverhandlungspflicht als (objektiv) erforderlich und als (subjektiv) zumutbar erweisen. Diese letzten beiden Kriterien werden dabei als „beweglich“ eingeordnet, mit der Folge, dass sie sich „gegenseitig kompensieren“ können.431 Bei einer dahingehenden Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist dessen Wirkung aber wiederum einschränkend; eine Begründung positiver Rechtspflichten vermag er nicht zu leisten. b) Kreditversorgungspflicht Insbesondere Canaris hat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – in Verbindung mit der Treuepflicht – dazu herangezogen, auch positive Rechtspflichten zu begründen. So könne insbesondere in der Krise des Darlehensnehmers eine Verpflichtung des Darlehensgebers bestehen, die Kreditlinie zu 426
So zu Erbbaurechtsverträgen mit langer Laufzeit BGHZ 119, 220, 222 ff. Zur Abgrenzung oben § 14 II. 2. (S. 260 ff.). 428 Oben § 14 III. 2. (S. 264 ff.). 429 Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 662 ff.; ihm folgend Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 220 mit Fn. 949. 430 Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 220. 431 Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 206 ff.; Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 220. 427
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erhöhen.432 Verpflichtungsgrund ist aber auch für Canaris nicht in erster Linie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sondern die aus § 242 BGB folgende Treuepflicht des Darlehensgebers: Diese weist eine Anspruchsstruktur auf, jener nicht.433 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dient damit nur zur Konkretisierung der eigentlich anspruchsbegründenden Treuepflicht. Ist man nicht bereits grundsätzlich gegen eine solche Kreditversorgungspflicht, weil dies einem Kontrahierungszwang gleichkomme und die gesetzliche Risikoverteilung im Darlehensrecht außer Kraft setze,434 so hängen deren Voraussetzungen von den Umständen des konkreten Falles ab, insbesondere davon, ob noch ausreichend Sicherheiten zur Verfügung stehen, wie hoch die Sanierungschancen des Kreditnehmers einzuschätzen sind, ob die Bank durch die Kreditverweigerung nennenswerte Vorteile erlangt und ob eine Kreditgewährung die Krise überwinden kann.435 Damit entspricht aber bereits die Anspruchsentstehung den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips: Erst die Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen im Einzelfall durch Abwägung kann eine auf Kreditgewährung gerichtete Treuepflicht zur Entstehung bringen. Weitergehende Vorgaben macht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht – er ist dem Grundsatz von Treu und Glauben insoweit inhärent. c) Freigabeanspruch bei nicht benötigten Sicherheiten Die Rechtsprechung des BGH gibt dem Sicherungsgeber bei nachträglicher Übersicherung einen ermessensunabhängigen Freigabeanspruch, der sich gegebenenfalls über eine ergänzende Vertragsauslegung aus der Treuhandnatur des Sicherungsvertrags ergibt.436 Der BGH setzt hier die den Freigabeanspruch auslösende Grenze der Übersicherung auf einen realisierbaren Wert von 110 % bzw. einen Nominalwert von 150 % der gesicherten Forderung fest. Dahinter steht die Wertung des § 237 Satz 1 BGB, der einer beweglichen Sache wegen des 432
Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 132 f.; ders., Bankvertragsrecht, Rn. 1272. Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 132. 434 Auf Berechtigung und Umfang der Pflicht zur Kreditgewährung auf der Grundlage von § 242 BGB kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Umfangreiche Nachweise zum Streitstand finden sich bei MüKo-BGB / K. P. Berger, vor § 488 Rn. 94 ff. (selbst ablehnend); Voglis, Kreditkündigung, S. 145 ff., 153 ff. (befürwortend auf der Grundlage des Vertrauens- und Sozialstaatsprinzips). Eine Kreditversorgungspflicht der Bank bejaht im Grundsatz Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 551 ff., 583 ff., auf der Grundlage von Kooperationspflichten der am Sanierungsverfahren Beteiligten; hieraus folge ein „Reorganisationsrecht“. Nach Ansicht des BGH steht es im Belieben der Bank, „ob sie ein notleidendes Unternehmen, dem sie Kredit gegeben hat, fallen lassen will“ (BGHZ 90, 381, 399; hier ging es jedoch um die Frage, ob eine Schadensersatzpflicht der Bank aus § 826 BGB gerade aus der Gewährung von Kredit an ein sanierungsbedürftiges Unternehmen folge). 435 Dazu Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 133 ff.; ders., Bankvertragsrecht, Rn. 1272. 436 Grundlegend BGHZ 137, 212, 225 f. (Freigabe bei revolvierenden Globalsicherheiten). 433
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Verwertungsrisikos nur bis zur Höhe von zwei Dritteln von deren Schätzwert ausreichenden Sicherungscharakter zubilligt.437 Auch hier gilt, dass der Freigabeanspruch aus der vertraglichen Abrede selbst folgt und nicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gestützt werden kann oder muss.438 d) Fazit Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist damit nicht geeignet, positive Rechtspflichten zu begründen. Sofern darauf rekurriert wird, ist der Geltungsgrund der betreffenden Rechtspflicht nicht das Verhältnismäßigkeitsprinzip, sondern ein dahinter stehendes materiales Prinzip, etwa die vertragliche Treuepflicht aus dem Kreditverhältnis; oder die Rechtspflicht ergibt sich aus einer (gegebenenfalls ergänzenden) Vertragsauslegung, beispielsweise aus der zwischen den Parteien getroffenen Sicherungsabrede.
§ 24. Zusammenfassung Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat seine Wurzel letzten Endes in der Idee vom rechten Maß und damit in der Gerechtigkeitsidee selbst. Auffällig ist die Parallelität der Begründungsansätze im Verfassungsrecht und im Privatrecht: Wenn die Wurzel des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rechtsstaatsprinzip gesehen wird,439 und diese Begründung wegen ihrer Zirkularität kritisiert wurde, so fällt nun auf, dass der materiale Begründungsansatz, der in diesem Kapitel herausgearbeitet wurde, dem funktional entspricht. Der Gedanke des Maßvollen, des Gerechten, des Mittleren, der dem Privatrecht inhärent ist, wurde als Äquivalent zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesehen. Daher ist es nicht falsch, das Rechtsstaatsprinzip insoweit als materialen Sitz des verfassungsrechtlichen Gebots der Verhältnismäßigkeit anzusehen, als es selbst die Maxime der Gerechtigkeit des Staatshandelns versinnbildlicht.440 Als Rechtfertigung alleine vermag es indessen nicht zu überzeugen. Denn die 437 Die Literatur stimmt der Entscheidung ganz überwiegend zu, vgl. die Nachweise bei MüKo-BGB / Oechsler, Anh. §§ 929–936 Rn. 31 f. 438 Kritiker der BGH-Rechtsprechung bevorzugen dagegen eine proportionale Herabsetzung nach Maßgabe des ursprünglichen Äquivalenzverhältnisses, vgl. Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 24 ff. Im italienischen Recht begründet Art. 2873 Abs. 2 c.c. für die Hypothek einen entsprechenden Anspruch des Sicherungsgebers auf proportionale Herabsetzung, sofern wenigstens ein Fünftel der Schuld getilgt ist. Wegen des darin zum Ausdruck kommenden allgemeinen Gedankens der Verhältnismäßigkeit wird eine Übertragung auf andere Sicherheiten befürwortet, vgl. Perlingieri, Rass. dir. civ. 2001, 334, 345 ff.; Volpe, La giustizia contrattuale, S. 95 mit Fn. 157. Ebenso im Grundsatz wohl Macario, in: Studi Bianca, S. 181, 202. Weitere Nachweise bereits oben in Fn. 291 ff. 439 Oben § 17 II. 2. b) (S. 293 f.). 440 So auch Stern, in: FS Lerche, S. 165, 173 f.
§ 24. Zusammenfassung
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Grundrechte geben weit präziser den Gerechtigkeitsgehalt der Freiheitsgarantien der Bürger gegenüber dem Staat wieder. Im Vertragsrecht besteht ein enger Zusammenhang zwischen Verhältnismäßigkeit und iustitia commutativa: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit markiert die Grenze dessen, was als Abweichung vom Gleichgewicht noch erlaubt ist. Nur beschränkte Legitimationswirkung kann hingegen im Vertragsrecht der Gedanke der Zweckrationalität des Rechts entfalten. Insbesondere die klassische ökonomische Analyse des Rechts stellt einseitig auf eine Kosten-NutzenBeziehung ab, auf die die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht notwendig beschränkt ist. Der eigentliche Bedeutungsgehalt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erschließt sich erst, wenn er im Zusammenhang mit materialen Rechtsprinzipien gesehen wird. Maßgeblich ist hier zunächst das Äquivalenzprinzip. Im Schuldvertragsrecht ist es daneben der Grundsatz von Treu und Glauben, der eine immanente Beschränkung der schuldrechtlichen Pflichtenbindung bewirkt und auf diese Weise dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen wesentlichen Anwendungsbereich schafft. Dies betrifft vor allem den Bereich der Ausübungskontrolle. Hier besteht eine großräumige Überdeckung mit den Grundsätzen des Rechtsmissbrauchs. Durch die Schuldrechtsmodernisierung hat der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine vielfältige Positivierung erfahren. Die damit verbundene Aufwertung bedingt gleichzeitig eine weitgehende Zurückdrängung des „konstitutiven“ Anwendungsbereichs des Prinzips. Zwar kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als allgemeiner Rechtsgrundsatz niemals vollständig verdrängt werden. Die vom Gesetzgeber vorgegebenen Ausprägungen im positiven Recht sind jedoch vorrangig zu beachten. Dies gilt vor allem deshalb, weil sie durchaus in unterschiedlicher Intensität auf Rechtspositionen einwirken, man führe sich nur den Gegensatz zwischen § 275 Abs. 2 BGB und etwa §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB vor Augen. Hier gilt es, differenziert vorzugehen und nach den einzelnen Wirkungsbereichen zu unterscheiden. Überall dort, wo der Gesetzgeber bereits eine Verhältnismäßigkeitskontrolle angeordnet hat, steht der Rechtsanwender lediglich vor der Aufgabe, Kriterien für die Abwägung zu ermitteln. Diese sind vorrangig aus dem Regelungskontext zu gewinnen. Am Beispiel der Gestaltungsrechte wurde dargelegt, dass der Grundsatz der Erforderlichkeit keine Bedingung für die Ausübung eines solchen Rechts ist. Im Falle von „geschlossenen“ Normen kommt grundsätzlich keine Verhältnismäßigkeitskontrolle in Betracht. Am Beispiel der geltungserhaltenden Reduktion wurde dargelegt, dass vorrangig die gesetzlichen Wertungen zu beachten sind, mithin das Verhältnismäßigkeitsprinzip als solches nicht dazu geeignet ist, etwa die Anordnung der Totalnichtigkeit eines sittenwidrigen Vertrags oder einer unangemessenen Klausel in einem Formularvertrag zu durchbrechen.
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Kapitel 7
Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse I. Verhältnismäßigkeit als Rechtsprinzip 1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der auch im Privatrecht gilt. Seiner Struktur nach ist der Grundsatz ein formales Prinzip, das die Kollision verschiedener Rechtsgüter, Werte und Interessen auflöst, ohne dass damit bereits eine inhaltliche Aussage verbunden wäre.1 Indem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den Ausgleich widerstreitender Interessen anstrebt, geht er aber letztlich auf die Idee vom rechten Maß zurück und zielt auf diese Weise auf die Herstellung von (materialer) Gerechtigkeit. 2 Aus dieser Perspektive kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Instrument prozeduraler Gerechtigkeit bezeichnet werden: Er liefert ein Verfahren, das auf die Erzielung von inhaltlich richtigen Ergebnissen gerichtet ist, ohne jedoch für diese Ergebnisse selbst materiale Wertungen vorzugeben.3 2. Auf einer derartigen Abstraktionsebene ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als allgemeines, strukturbildendes Rechtsprinzip anzusehen. Als solches dient es im Schuldvertragsrecht als Leitlinie zur Ausgestaltung rechtlicher Regeln, als Grundmuster des vertraglichen Interessenausgleichs. Das Schuldvertragsrecht wird vom Grundsatz der subjektiven Äquivalenz beherrscht: Es besteht eine Vermutung dafür, dass die jeweiligen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien gleichwertig sind, dass der durch den Vertrag getroffene Interessenausgleich damit verhältnismäßig ist.4 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt insoweit ein Komplementärprinzip zum Äquivalenzgrundsatz dar, als er die zulässigen Abweichungen von der Gleichheit der vertraglichen Leistungen beschreibt.5 Aus diesem Blickwinkel kann jede privatrechtliche Norm, jeder Regelungszusammenhang als eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verstanden werden. So stellen sich beispielsweise die Rechtsbehelfe des Leistungsstörungsrechts als ein System der abgestuften, mithin verhältnismäßigen Reaktion auf Fehlverhalten des Schuldners dar. In dieser Abstufung, an deren 1 2 3 4 5
§ 18 II. (S. 330 ff.). § 21 II. (S. 360 ff.). § 21 II. 4. (S. 365 f.). § 2 II. (S. 7 ff.). § 21 II. 2. (S. 362 ff.).
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Spitze zunächst das Recht des Schuldners zur zweiten Andienung steht, die Auflösung des Vertrags aber erst das letzte Mittel ist, spiegelt sich der Gedanke der Austauschgerechtigkeit wider und damit der insoweit deckungsgleiche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
II. Verhältnismäßigkeit als Abwägungsaufgabe 1. Von der Verhältnismäßigkeit als strukturbildendes Prinzip grundsätzlich zu trennen sind diejenigen Fälle, in denen der Gesetzgeber dem Rechtsanwender offen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgibt. 6 Hier wird eine Entscheidung nicht abstrakt durch Normierung fester Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen getroffen, sondern ist vom Richter auf einer oder auf beiden Ebenen in einer Wertung im Einzelfall erst zu ermitteln. Das Prinzip der verhältnismäßigen Rechtsanwendung wird dabei im Einzelfall vom Richter konkretisiert. Man kann insoweit von einer deklaratorischen Verhältnismäßigkeitskontrolle sprechen.7 Der diesen Positivierungen inhärente Einzelfallbezug verleiht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Vielgestaltigkeit, aufgrund derer vielfach konstatiert wurde, dass es den einen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gebe, sondern nur verschiedene Ausprägungen davon.8 Daran ist richtig, dass die Wirkungsweise des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Vertragsrecht nicht einheitlich zu erfassen ist, sondern dass vielmehr nach den verschiedenen Regelungszusammenhängen getrennt werden muss: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirkt ganz unterschiedlich je nachdem, ob er im Bereich der Hauptleistungspflichten, der Nebenpflichten oder in Bezug auf den in Vollzug gesetzten Vertrag Platz greift.9 2. Ungeachtet dieser Unterschiede haben alle Ausprägungen der Verhältnismäßigkeit eine Gemeinsamkeit: Sie erfordern eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen beider Vertragspartner. Diese bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmende Abwägungsaufgabe ist strukturell vergleichbar mit anderen Abwägungsvorgängen, wie sie etwa bei der richterlichen Beweiswürdigung oder der behördlichen Ermessenausübung erforderlich werden.10 Dabei ist es unerheblich, welche Terminologie der Gesetzgeber verwendet: Die Begriffe der Angemessenheit, des Missverhältnisses, der Unverhältnismäßigkeit, der Zumutbarkeit oder auch der Vernünftigkeit (reasonableness) 6 Ähnliche Unterscheidung bei Medicus, AcP 192 (1992), 35, 37. Vgl. auch Stern, in: FS Lerche, S. 165, 175, der zwischen der Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und seiner Anwendbarkeit unterscheidet. 7 § 22 II. 3. (S. 405 ff.). 8 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 94; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 281; Merten, in: FS Schambeck, S. 349, 365; Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 128 ff. 9 § 21 (S. 357 ff.). 10 § 19 (S. 347 ff.).
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drücken allenfalls sprachliche Nuancierungen aus, sind aber sämtlich Ausprägungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, da in ihnen eine wertende Gegenüberstellung verschiedener Interessen verlangt wird.11 3. Effizienzerwägungen können bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung durchaus eine Rolle spielen. Die Abwägung darf jedoch nicht allgemein auf eine Kosten-Nutzen-Analyse reduziert werden. Dies ist nur in denjenigen Fällen möglich, in denen die Effizienz als „Politik des Gesetzes“ feststeht.12 4. Stets bewirkt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Relativierung bestehender Rechte, er bewirkt eine Einschränkung, teilweise auch eine Modifikation von Rechtspositionen.13 Positive Rechtspflichten vermag der Grundsatz hingegen nicht zu begründen.14
III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip im öffentlichen Recht und im Privatrecht 1. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt im öffentlichen Recht und insbesondere im Verfassungsrecht eine dominierende Rolle zu. Er dient der Anbindung staatlichen Handelns an damit verfolgte, legitime Zwecke. Grundrechtsdogmatisch wirkt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Regulator für hoheitliche Eingriffe in Freiheitsbereiche der Bürger: Er verhilft dem diesen Freiheitsrechten inhärenten Optimierungsgebot zur Geltung, indem er den Ausgleich bei Konflikten mit anderen Rechtsgütern herbeiführt. Insofern folgt seine Anwendung bereits aus den Grundrechten selbst.15 Begreift man aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Streben nach materialer Gerechtigkeit, so liegt seine Wurzel im Rechtsstaatsprinzip.16 2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne, wie er im öffentlichen Recht und insbesondere im Verfassungsrecht herangezogen wird, hat eine andere Wirkungsweise als im Privatrecht und speziell im Vertragsrecht.17 Die Interessenlage – Subordinationsverhältnis und staatliche Gemeinwohlbindung dort, (formale) Gleichordnung und Privatautonomie hier – unterscheidet sich in beiden Rechtsbereichen fundamental, so dass eine rechtsfortbildende Übertragung des öffentlich-rechtlich verstandenen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit seiner Trias aus Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne auf das Privatrecht wenig gewinnbringend er-
11 12 13 14 15 16 17
§ 18 III. (S. 336 ff.). § 21 II. 3. (S. 364 f.). § 16 (S. 285 ff.). § 23 IV. (S. 437 ff.). § 17 II. 2. c) (S. 294 ff.). § 24 (S. 440 ff.). § 17 (S. 287 ff.).
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scheint.18 Innerhalb der vertraglichen Bindung herrscht von vornherein ein anderer Maßstab als dies in der öffentlich-rechtlich geprägten Eingriffsdogmatik zum Ausdruck kommt. Jede Bezugnahme auf eine Ungleichgewichtslage zwischen Privatrechtssubjekten als allgemeiner Auslöser für eine Verhältnismäßigkeitskontrolle sieht sich vor die Aufgabe gestellt, praktikable Kriterien für den Machtüberschuss einer Seite zu formulieren. Eine schlichte Übertragung der für das öffentliche Recht entwickelten Dogmatik des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf das Privatrecht kommt damit nicht in Betracht. Auch aus rechtsvergleichendem Blickwinkel erscheint eine von öffentlichrechtlichen Kriterien losgelöste privatrechtliche Dogmatik des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorzugswürdig, da der Einfluss des Verfassungsrechts auf das Privatrecht in anderen Rechtsordnungen weit weniger dominant angesehen wird und diese normenhierarchische Betrachtung überdies in Bezug auf die verschiedenen Rechtsvereinheitlichungsprojekte von vornherein ausscheidet. 3. Die Struktur der Verhältnismäßigkeitskontrolle im öffentlichen Recht und im Privatrecht weist jedoch insoweit eine Gemeinsamkeit auf, als sie in beiden Gebieten zur Regulierung der Beschränkung von Rechtspositionen dient: Die Verhältnismäßigkeitskontrolle beschreibt regelmäßig ein Regel-AusnahmeVerhältnis, in dem die Ausübung eines Rechts die Regel ist, die nur bei Vorliegen weit überwiegender Interessen eingeschränkt wird. Dabei ist die Ausnahme insoweit dynamisch, als sie keine fest umrissenen Bereiche bezeichnet, sondern die Zurückdrängung des Regelinteresses von einer Höherbewertung der Interessen des von der Ausübung Betroffenen im Einzelfall abhängig macht.19
IV. Besonderheiten der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht 1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirkt im Schuldvertragsrecht als begrenzender und ausgleichender Faktor. 20 Dies betrifft zunächst die Hauptleistungspflichten. Die deutsche Rechtsprechung hat sich vom tatbestandlich (zu) engen Wucherparagraphen mehr und mehr gelöst und das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung ganz in den Mittelpunkt gerückt. 21 Eine allgemeine Verhältnismäßigkeitskontrolle der Hauptleistungspflichten folgt daraus indessen nicht, da auch das wucherähnliche Geschäft insoweit der Tatbestandsstruktur folgt, als es zumindest dem Grundsatz nach eine Ausbeutungssituation fordert. Die weiteren mit in die Untersuchung einbezogenen Rechtsordnungen knüpfen ebenfalls an ein Missverhältnis der Hauptleistungspflichten an.22 18 19 20 21 22
§ 17 I. (S. 288 ff.). § 18 II. (S. 330 ff.). § 16 (S. 285 ff.). § 5 (S. 43 ff.). § 6 (S. 64 ff.).
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Im Bereich der Nebenpflichten verwirklichen die §§ 307 ff. BGB für Formularverträge eine Verhältnismäßigkeitskontrolle, die im Bereich der §§ 308, 309 BGB weitgehend typisiert ist und in § 307 BGB im Begriff der unangemessenen Benachteiligung enthalten ist. 23 Die Klauselrichtlinie hat insoweit erstmals eine gemeinschaftsweite Inhaltskontrolle geschaffen. Eine Sonderstellung nimmt das Vertragsstrafenversprechen ein, das wegen seiner besonderen Gefahr für den Schuldner in § 343 BGB auch bei Individualvereinbarung einer richterlichen Herabsetzung unterliegt; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirkt hier ausnahmsweise als ausgleichender Faktor. 24 Eine Verallgemeinerung dieses Ansatzes, wie er insbesondere für das italienische Recht vertreten wird, 25 kommt jedoch nur für vertragliche Nebenabreden mit Sanktionscharakter in Betracht.26 2. Die Grundsätze der Geeignetheit und Erforderlichkeit, die im öffentlichen Recht Teil des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne sind, können im Privatrecht – und insbesondere im Schuldvertragsrecht – keine allgemeine Geltung beanspruchen. 27 Sie sind auf die Beurteilung einer Zweck-Mittel-Relation angelegt und setzen die Existenz mehrerer Handlungsalternativen voraus. Die Handlungsmöglichkeiten im Vertragsverhältnis basieren dagegen auf einer privatautonomen Vereinbarung. Diese verpflichtet zwar zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Teils, enthält aber keine Vorgaben, stets nur das für den anderen Teil am wenigsten belastende Mittel zu wählen. Privatrechtsimmanent ist somit nur das im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum Ausdruck kommende Abwägungserfordernis.28 Hinter diesem steht der das gesamte Privatrecht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben, aus dem eine jeder Rechtsposition immanente Schranke resultiert.29 Wegen der überragenden Bedeutung des Grundsatzes der Vertragsbindung in jedem Vertragsrechtssystem ist dessen Durchbrechung erst ab der Schwelle der Missbräuchlichkeit zugelassen. a) Missbräuchlich wegen Unverhältnismäßigkeit ist die Rechtsausübung zum einen dann, wenn sie sich als übermäßige Reaktion auf ein geringfügiges Fehlverhalten des Vertragspartners erweist. Auch unter dem Gesichtspunkt der Austauschgerechtigkeit dürfen Pflichtverletzungen sanktioniert werden; die Sanktion trägt damit den Charakter der Regel, die Einschränkung bildet die Ausnahme dazu – sie steht unter dem Vorbehalt der Geringfügigkeit.30 23 24 25 26 27 28 29 30
§ 9 (S. 105 ff.). § 10 (S. 147 ff.). § 10 IV. 1. (S. 155 ff.). § 23 II. 2. (S. 428 ff.). § 18 I. 1. (S. 319 ff.). § 18 I. 2. (S. 326 ff.). § 22 II. (S. 388 ff.). „Geringfügigkeitsfälle“, § 13 (S. 236 ff.) sowie § 22 II. 2. c) aa) (S. 394 ff.).
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b) Zum anderen kann ein Rechtsmissbrauch auch dann gegeben sein, wenn sich die Ausübung eines Rechts nicht als Reaktion auf eine Pflichtverletzung zeigt, sondern eine Leistungspflicht betrifft. 31 Die Schuldrechtsmodernisierung hat mit § 275 Abs. 2 BGB ein entsprechendes Leistungsverweigerungsrecht geschaffen. Diese nicht abdingbare Norm32 gehört dogmatisch nicht zum Recht der Unmöglichkeit, sondern ist eine besondere Ausprägung des Rechtsmissbrauchsverbots.33 Sie konkretisiert damit den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und beinhaltet eine umfassende Regelung für sämtliche Leistungspflichten. Leges speciales hierzu sind insbesondere die auf den Nacherfüllungsanspruch des Käufers bzw. Bestellers anwendbaren §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB.34 c) Abzugrenzen von § 275 Abs. 2 BGB ist die in § 313 BGB geregelte Vertragsanpassung bei Störung der Geschäftsgrundlage.35 Wenn auch in beiden Normen eine Abwägung der Parteiinteressen zu erfolgen hat – im Falle des § 313 BGB ergibt sich diese aus dem Kriterium der Zumutbarkeit –, so betrifft § 313 BGB im Unterschied zu § 275 Abs. 2 BGB ausschließlich die Verwirklichung solcher Risiken, die die Geschäftsgrundlage und damit außerhalb der vertraglichen Risikostruktur liegende Umstände betreffen.36 Ob ein Risiko vertraglich übernommen ist oder zur Geschäftsgrundlage gehört, ist durch (notfalls ergänzende) Auslegung zu ermitteln. 3. Von der in § 275 Abs. 2 BGB (und in anderen Normen) enthaltenen deklaratorischen Einwirkung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist dessen konstitutive Geltung zu unterscheiden: Darunter sind diejenigen Fälle zu verstehen, in denen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Korrektur bestehender gesetzlicher Wertungen herangezogen werden soll. 37 Aufgrund der vielfachen Positivierungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch die Schuldrechtsmodernisierung bleibt hierfür nur wenig Raum: Für sämtliche Fälle der übermäßigen Leistungserschwerung enthält § 275 Abs. 2 und 3 BGB eine abschließende Regelung. Nur bei nicht persönlich zu erbringenden Leistungspflichten kommt ein Rückgriff auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip in Betracht, und zwar dann, wenn das Leistungshindernis sich nicht aus materiellen, sondern aus ideellen Gründen ergibt.38 Die Wertung des Leistungsverweigerungsrechts auf der Primärebene setzt sich auch auf der Sekundärebene fort.39 31 32 33 34 35 36 37 38 39
„Übermaßfälle“, § 12 (S. 167 ff.) sowie § 22 II. 2. c) bb) (S. 401 ff.). § 12 I. 1. d) (S. 188 f.). § 12 I. 1. c) (S. 185 ff.). § 12 I. 3. (S. 193 ff.). § 14 (S. 254 ff.). § 14 II. 2. (S. 260 ff.). § 22 II. 3. b) (S. 406 ff.). § 22 II. 3. b). aa) (S. 407). § 23 I. (S. 420 ff.).
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Die Durchbrechung einer gesetzlich angeordneten Rechtsfolge ist demgegenüber nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen. Die Rechtsfigur der geltungserhaltenden Reduktion nichtiger Rechtsgeschäfte oder unwirksamer Formularklauseln lässt sich nicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stützen.40 Insbesondere die §§ 343 BGB, 74a HGB bieten keinen Ansatzpunkt für eine Verallgemeinerung, dass auf der Rechtsfolgenseite stets eine Wiederherstellung des angemessenen Maßes erfolgen muss. 4. Rechtsvergleichend ergibt sich, dass die Verhältnismäßigkeitskontrolle vielfältige funktionale Äquivalente besitzt, die Rolle des Verhältnismäßigkeitsprinzips jedoch insbesondere im italienischen und noch mehr im englischen Recht deutlich eingeschränkter ist als im deutschen Recht. Das ist wesentlich auf die in diesen Rechtsordnungen im Vergleich zum deutschen Recht weit weniger dominante Rolle des Grundsatzes von Treu und Glauben zurückzuführen.41 Die Entwicklung im europäischen Vertragsrecht deutet hingegen auf eine wichtige Stellung des Prinzips von Treu und Glauben und mit ihm auch des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im weiteren Prozess der Harmonisierung hin.42
V. Verhältnismäßigkeit als „Streben nach der Mitte“ 1. Im europäischen Vergleich kann eine Tendenz festgestellt werden, die auch durch die Schuldrechtsreform bestätigt wurde, sowohl auf legislatorischer als auch auf judikativer Ebene „mittlere“ Lösungen zu suchen und durch Bezugnahme auf offene Formulierungen wie Verhältnismäßigkeit, Billigkeit oder Angemessenheit einen gerechten Ausgleich im Einzelfall zu ermöglichen.43 Dieses „Streben nach der Mitte“ entspricht geradezu paradigmatisch der Idee der Verhältnismäßigkeit. Diese ist durch die ihr inhärente Interessenabwägung darauf angelegt, immer mittlere Lösungen zu finden.44 Besonders augenscheinlich ist dies beim DCFR, der durch die sehr häufige Verwendung von Begriffen wie reasonable o.ä. die Einzelfallabwägung – überspitzt formuliert – geradezu zum System erhoben hat.45 Dies ist zunächst mit einem Verlust an Rechtssicherheit
40
§ 23 III. (S. 430 ff.). § 22 III. 1. und 2. (S. 410 ff.). 42 § 22 III. 3. (S. 414 ff.). 43 Ähnlich Perlingieri, Rass. dir. civ., 2001, 334, 353. Eingehend zum „Streben nach mittleren Lösungen“ Bydlinski, AcP 204 (2004), 309. Nach Esser (in: summum ius, summa iniuria, S. 22, 31 f.) liegt darin möglicherweise eine Konsequenz der durch die Aufklärung herbeigeführten Bewusstseinswende, dass das Recht dem Einzelnen zu dienen habe und nicht umgekehrt. 44 Kritisch dazu Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 235 ff. 45 Kritisch auch Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, 529, 537; Weller, JZ 2008, 764, 772; S. Lorenz, JbItalR 21 (2008), S. 43, 59. 41
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verbunden.46 Je mehr einzelfallbezogene Entscheidungen ein Gesetz enthält, je weniger klare Wertungen vorhanden sind, desto mehr schwinden die für die Rechtsfindung gerade im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle benötigten Bezugspunkte. Pointiert ausgedrückt: Was verhältnismäßig ist, ergibt sich nicht aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Darüber hinaus hat die immer stärkere gesetzliche Verankerung der Verhältnismäßigkeit eine Delegation von Entscheidungsgewalt vom Gesetzgeber auf den Richter zur Folge, der im Extremfall den Gewaltenteilungsgrundsatz berühren kann.47 2. Rechtspolitisch kommt es demnach darauf an, feste Tatbestandsbildung und generalklauselförmige Offenheit in sinnvoller Weise zu vereinen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheint eine Art Mittelstellung zwischen beiden Extremen einzunehmen, indem er einerseits dem Rechtsanwender regelmäßig die bei der Abwägung mit einzubeziehenden Gesichtspunkte vorgibt und damit dem Tatbestandsmodell folgt, andererseits aber im Einzelfall eine unterschiedliche Gewichtung der relevanten Faktoren erlaubt und damit eine generalklauselartige Weite des Entscheidungsrahmens beinhaltet.48 Die Attraktivität des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die in seiner nahezu universellen Anwendbarkeit liegt, bedingt gleichzeitig auch seine wesentliche Schwäche: Den Verlust an Rechtssicherheit durch das Streben nach Einzelfallgerechtigkeit.
46 Zum „Preis der Billigkeit“ eindringlich Gernhuber, in: summum ius, summa iniuria, S. 205. 47 Vor dem Hintergrund der Beherrschung immer weiterer Teile der Rechtsordnung durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat Hirschberg bereits 1979 in Bezug auf die weitere Entwicklung gerade auch für das Privatrecht die (resignative?) Prognose aufgestellt: „Es kommt, wie’s kommt“ (Verhältnismäßigkeit, S. 186). 48 Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 80 ff. in Bezug auf das bewegliche System, das er als mittlere Lösung zwischen Tatbestandsbildung und Generalklausel sieht.
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Sachregister Abmahnung 252–253, 323–325, 395–396, 425–427 Abwägung 4, 11, 22–23, 67, 93, 180–182, 280–281, 347–356, 443–444, 446–449 – bei § 251 Abs. 2 BGB 169–170, 232–233 – bei § 275 Abs. 2 BGB 172–185 – bei § 275 Abs. 3 BGB 190–192 – bei § 138 Abs. 1 BGB 58 Fn. 102 – billiges Ermessen 428–430 – Effizienzorientierung 382–383 – Faktoren 330 – geringfügige Pflichtverletzung 240, 244, 247, 248 – Geschäftsgrundlage 263–264 – Grundsatz der Erforderlichkeit 319, 400–401 – Klauselkontrolle 113, 122–125, 137, 141, 162–163, 328 – Klauselrichtlinie 109, 137 – Kündigung 252–253 – Mitverschulden 229 – Nacherfüllungsanspruch 198–200, 203–205, 206 – Prinzipienkollision 331–336 – specific performance 218–221 – Treu und Glauben 392–394 – Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 195 – Verfassungsrecht 295–296, 301, 309 – Vertragsstrafe 153–154 Abwägungsentscheidung 347–355 Abwägungsmaßstab 192, 354–355 Abwägungsvorgang 172, 233 Fn. 358, 252 Fn. 460, 335, 347–348, 351, 353–354, 443 AGB-Kontrolle 98–105, 105–125, 133–147, 149–150, 308–309, 326–328, 377–378, 386–387, 391, 401 Fn. 240, 408, 418, 435, 446 – Codice civile 133–138
– Codice del consumo 134–138, 156 Fn. 353 – DCFR 143–147 – Einbeziehungskontrolle (siehe dort) – englisches Recht 139–143 – ergänzende Vertragsauslegung (Abgrenzung) 128–130, 432–433 – geltungserhaltende Reduktion 125–126, 129–132, 138, 143, 163, 407, 432–435 – Graue Liste 108–111, 113, 136, 145–146 – Hauptleistungspflichten 105–108, 124, 144, 387 – Klauselrichtlinie 102, 107–112, 131–132, 133, 141–143, 163, 414–415 – Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit 116–117 – Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit 113–116 – Legitimation 100–105 – Lückenfüllung 125–129, 432–435 – Marktversagen 104–105, 377, 387 – PECL 143–147 – Rechtsfolge 125–126, 137–138, 143, 146–147 – Teilbarkeit einer Klausel 127–128 Alexy, Robert 331–334 Allgemeine Geschäftsbedingungen (siehe AGB-Kontrolle) Anfechtung 88–91, 96, 143, 146–147, 245, 425, 431 Angemessenheit 12–15, 22–23, 92–93, 443–444 – AGB-Kontrolle (siehe dort) – Angemessenheitskontrolle 311–315, 346 – Beitreibungskosten bei Zahlungsverzug 227–229 – der Vertragsstrafe 152–154
500
Sachregister
– PECL 342, 345 – siehe auch Verhältnismäßigkeit Aristoteles 13, 358–364 Aquin, Thomas von 45–46, 257, 360 Fn. 18, 361 Fn. 24, 363 Fn. 41 Äquivalenzprinzip 9–10, 44, 68, 77, 119, 256–257, 271 Fn. 555, 363, 365, 384, 441 – Objektives 10, 44 – Subjektives 9–10, 77, 119, 256, 328, 363 Äquivalenzvermutung 7–10 Atiyah, Patrick S. 80 Aufhebungsklage (Italien) 70 Ausbeutung 49–51, 55 Fn. 87, 59, 69, 90, 94–97, 309, 385, 432, 445 Ausübungskontrolle 37, 120 Fn. 130, 147, 162, 212, 236, 308, 328, 366, 388, 393, 408, 410, 441 avoidance of contract (siehe auch Vertragsaufhebung) 88, 90–91 Bagatellgrenze 236–254 Bentham, Jeremy 369–370 Bewegliches System 56–59, 93, 231, 327, 349 Bieder, Marcus 2 Fn. 12, 20 Fn. 108, 288–290, 323 Fn. 212 Canaris, Claus-Wilhelm 131, 188, 301, 386 Fn. 155, 433–435, 436, 438–439 causa 67, 75, 76, 273 CISG (siehe UN-Kaufrecht) clausola penale 155–158, 164, 411, 412 Fn. 301 Codice civile 25, 64, 68, 73, 133–135, 137, 155, 209–210, 212, 245–246, 253, 269, 282, 410 Codice del consumo 134–138, 211–212, 245 Common law 11, 26, 37, 80–81, 87, 208–209, 215–216, 221, 225–226, 277, 336, 413 „Contraente debole“ 77–79 – siehe auch inequality of bargaining power – siehe auch strukturelles Ungleichgewicht contratto di subfornitura (Zuliefervertrag) 78–79, 96, 214
culpa in contrahendo 76–77, 245, 309 Dauerschuldverhältnis 11, 215, 251–253, 395–397, 398 – Abmahnung 395–396 – Kündigung 11, 15, 252–253, 425–427 DCFR (siehe Draft Common Frame of Reference) Denning, Lord 86, 96, 277 Devlin, Lord 80 dispositives Recht 103–104, 118–120, 122, 125–126, 128, 138, 162, 262, 270, 306 Fn. 122, 351, 384, 387, 432–434 Dispositivität des § 275 Abs. 2 BGB 188–189 Draft Common Frame of Reference (DCFR) 27–28, 30–34, 88–94, 143–147, 161–162, 221–226, 230, 250–251, 277–280, 316, 327, 342–344, 362, 414, 417–418, 431–432, 448 Drittwirkung der Grundrechte 2, 296–298, 303–304, 312, 316 Dunlop v. New Garage (House of Lords) 158–160 duress (siehe economic duress) eccessiva onerosità sopravvenuta 38, 68, 210, 213, 269–272, 276, 278, 282, 411 economic duress 80–81, 86–87 efficient breach (siehe Effizienter Vertragsbruch) Effizienter Vertragsbruch 220 Fn. 302, 373–374 – und PECL 224–225 Effizienz 370–376, 378, 380, 382–383, 444 – als Auslegungsmaxime 375–376 – der AGB-Kontrolle 377–378 – der Verhältnismäßigkeit 372–383 – des Wegfalls der Geschäftsgrundlage 381–382 – des Wucherverbots 377 – von § 275 Abs. 2 378–381 Eidenmüller, Horst 438 Einbeziehungskontrolle (von AGB) 133–135, 138 Entscheidungsfreiheit 44, 50, 69, 95–96, 309, 387, 431 – und Ausbeutungsschutz 94–97
Sachregister
Erforderlichkeit (Grundsatz) 14–15, 18–20, 23–24, 123–124, 163, 291–292, 317, 319–325, 334, 372–373, 395–396, 425–427, 441, 444–446 – Abmahnung (siehe dort) – als „scharfe Entscheidungsregel“ 14, 123, 319 – als Teilgrundsatz der Verhältnismäßigkeit i.w.S. 14–15, 318–320 – bei der Klauselkontrolle 123–124, 163, 401 Fn. 240 – historische Verwendung 291–292 – keine Abwägung 342 Fn. 305, 356 – Geltung im Privatrecht 319–325, 356, 444–446 – ökonomische Analyse 372–373 – Rechtssatzförmigkeit 331 – Schranke der Rechtsausübung 399–401 – Vertragsstrafe 152–153 Ergänzende Vertragsauslegung 125–132, 288, 432–434, 439–440 – und AGB-Kontrolle 128–130, 132, 432–434 – und Treu und Glauben 413 Fn. 307 – Verhältnis zum dispositiven Recht 262 Fn. 510 – Vernunft als Maßstab 344 Fn. 319 Erhaltungspflicht der Mietsache 205–207 Ermessen 56, 87, 90, 93, 154–157, 208, 215–221, 235, 248, 277, 279, 317, 322, 428–430, 432, 439, 443 – Abwägung 347–349 – bewegliches System 56, 231 – Equity 87, 208 – Leistungsbestimmungsrecht 428–430 – richterliches 37–38, 277, 279 – specific performance 215–221, 281 – Vertragsstrafe 154–157 esatto adempimento (Naturalerfüllung) 211 Equity 80–81, 84, 87–88, 160, 208, 215–216, 220, 413 Fastrich, Lorenz 123 Flume, Werner 5, 8 Freigabeanspruch (Sicherheiten) 439–440
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frustration of contract 38, 273–277, 282 Geeignetheit (Grundsatz) 14–15, 18–20, 23–24, 318–326, 334 Fn. 266, 444–446 – als „scharfe Entscheidungsregel“ 14 – als Teilgrundsatz der Verhältnismäßigkeit i.w.S. 14–15, 318 – Geltung im Privatrecht 325–326 Geltungserhaltende Reduktion – und Allgemeine Geschäftsbedingungen (siehe AGB-Kontrolle) – und Gemeinschaftsrecht 131–132 – und Verhältnismäßigkeit 36–37, 131, 163, 287, 430–435, 441, 448 – und Wucher 60–64, 87, 91, 96–97, 431–432 gemeineuropäisches Privatrecht 28–34 Gemeinsamer Referenzrahmen (siehe auch DCFR) 30–34 Gemeinschaftsprivatrecht 27–28 Generalklausel 4, 133, 135, 260, 291, 298, 303–310, 312–316, 389–394, 410–412, 415, 417, 449 – § 138 Abs. 1 BGB 51–52, 56–58 – AGB-Kontrolle 105, 108–111, 117–125, 140, 142 – im DCFR 343 – Drittwirkung der Grundrechte 296–298, 303–304, 307, 310 – Treu und Glauben 389–405 gerechter Preis (siehe iustum pretium) Geringfügigkeit 38, 196–197, 236–254, 280–282, 328–329, 338 Fn. 283, 392–401, 446 – Bagatellgrenze (Fallgruppen) 236–245 – Bagatellgrenze (England) 247–249 – Bagatellgrenze (Italien) 245–247 – Treu und Glauben 394–401 – Verbrauchsgüterkauf 195–197 – Zurückbehaltungsrecht 397 Gesamtabwägung (siehe Abwägung) Geschäftsgrundlage 254–280 – Abgrenzung zu § 275 Abs. 2 BGB 189, 260–263, 447 – englisches Recht (siehe frustration of contract) – italienisches Recht (siehe eccessiva onerosità)
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Sachregister
– Störung bzw. Wegfall 9–10, 175, 189, 254–259, 263–266, 286–287, 324–325, 431, 447 – Vertragsaufhebung 266, 278 – Vertragsanpassung 175 Fn. 48, 263–266, 278–279, 286–287, 431, 437, 447 Gestaltungsrecht 252, 280–281, 312 Fn. 162, 366, 399 Fn. 230, 423–430, 441 – Begriff 423–425 – gesetzliches 425–428 – Kündigung 425–427 – Rücktritt 427–428 – vertraglich vereinbartes 428–430 Grotius, Hugo 257 Grundrechte 1–2, 293–316, 330–333, 347, 351, 441, 444 – Drittwirkung (siehe dort) – Kollision 330–333 – und Privatrecht 296–298, 300, 302–305, 309–312, 314–316, 330 – und Verhältnismäßigkeitsprinzip 294–296 Hanau, Hans 2 Fn. 12, 20 Fn. 106, 311–315, 346 Fn. 328, 399 Fn. 230, 424 Fn. 358 hardship 225, 268, 276, 278 Fn. 606 – PECL 225 Hirschberg, Lothar 19 Fn. 102, 302, 318 Fn. 193, 323 Fn. 216, 338 Fn. 281 und Fn. 285, 365 Fn. 50, 392 Fn. 185, 449 Fn. 47 Hoffmann, Lord 216, 219 imprévision 267, 278 Fn. 606 inequality of bargaining power 86–87, 96 – siehe auch „contraente debole“ – siehe auch „strukturelles Ungleichgewicht“ Inhaltskontrolle 83, 98–105, 162–163, 308, 377–378, 401 Fn. 240 – AGB-Kontrolle (siehe dort) – Entwicklung 98–100 – Individualvereinbarung 98, 100, 446 – Vertragsstrafe 147, 150, 162 Interessenabwägung (siehe Abwägung)
iustitia commutativa 79 Fn. 234, 360–365, 383–384, 441 iustitia distributiva 360–362, 363 iustitia protectiva 320 Fn. 200, 365–366 iustum pretium 45–46, 106, 363 Fn. 42, 429 – siehe auch laesio enormis Jessel, Lord 138 Jhering, Rudolf von 367–369 Kardinalpflichten 120 Kaufmann, Arthur 24 Kegel, Gerhard 277 Klauselkontrolle (siehe AGB-Kontrolle) Klauselrichtlinie 102, 107–112, 131–132, 133, 141–143, 163, 414–415 – siehe auch AGB-Kontrolle Klauselverbote 112–117, 134–137 – mit Wertungsmöglicheit 112, 116–117 – ohne Wertungsmöglichkeit 112–116 – siehe auch AGB-Kontrolle Kreditversorgungspflicht 438–439 Kreditwucher 50, 57, 62 laesio enormis 44–47, 49, 52–55, 59, 65, 72, 79, 90, 363, 377 Fn. 110 – siehe auch rescissione Larenz, Karl 331, 359 „Leerformel“ 329–330, 346–347 Lenel, O. 258 Leisner, Walter 4, 383 Fn. 145 Leistungserschwerung 167–189 – Abgrenzung zu § 313 BGB 189, 260–263, 447 – DCFR 221–226, 279–280 – Dispositivität des § 275 Abs. 2 BGB 188–189 – dogmatische Einordnung des § 275 Abs. 2 BGB 185–188 – Einrede des § 275 Abs. 2 BGB 167–189, 378–381 – England 214–221 – Gläubigerinteresse 168, 174–176 – grobes Missverhältnis 176–185 – historische Entwicklung 168–172 – Italien 209–214 – Judikatur zu § 275 Abs. 2 BGB 182–185
Sachregister
– PECL 221–226, 279–280 – Rechtsvergleich 208–227 – Schuldneraufwand 167, 173–174 – siehe auch eccessiva onerosità – siehe auch hardship Lindacher, Walter 152 liquidated damages clause 158–160 – siehe auch clausola penale – siehe auch Vertragsstrafe Lloyd’s Bank Ltd. v. Bundy (Court of Appeal) 86 Lohnwucher 61, 432 Marktpreis 48, 79 Fn. 234, 384–385 – siehe auch iustum pretium – siehe auch laesio enormis Materialisierung 9 Mietwucher 61–62, 432 milderes Mittel 18, 123–124, 324, 426 – siehe auch Abmahnung – siehe auch Erforderlichkeit Mill, John Stuart 369 Mirabelli, Giuseppe 65 Missverhältnis 22, 43–60, 64–69, 84–86, 108, 111, 118, 137, 176–182, 204, 285, 330, 336–338, 377–381, 385–386, 403, 412, 421, 443, 445 – auffälliges 16, 21, 44, 47–53, 57, 66, 94, 154, 285, 308, 354, 397 Fn. 213, 431 – grobes 50, 52–54, 57–58, 67, 176–185, 192–193, 199, 204, 207, 255, 268, 281, 285, 328, 336, 338, 354–355, 364, 377–380, 385, 403 Nacherfüllung 115–116, 182–183, 186, 193–205, 207, 237, 239, 242, 250, 253, 266, 281–282, 325, 337, 353, 355, 380–381, 408, 421 – beim Stückkauf 202 – DCFR 222, 224 – England (siehe auch specific performance) 218, 247 – Italien (siehe auch esatto adempimento) 211, 246 – Kaufrecht 167, 197–198, 202, 207, 211, 218, 380, 447 – PECL 222, 224 – Rechtsnatur 167, 227, 237, 447
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– Reisevertragsrecht 205 – Unverhältnismäßigkeit 167, 195, 197–198, 202, 204, 207, 213, 281, 421 – Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 195, 197, 212, 218, 281, – Vorrang 195, 196, 212, 242, 250 – Werkvertragsrecht 167, 204, 207, 213, 214 Fn. 269, 218, 237, 380, 421, 447 Nacherfüllungsanspruch (siehe Nacherfüllung) Naturrecht 15, 45–46, 292, 359 Fn. 12 Näheverhältnis 81–82, 84 – siehe auch undue influence Neuverhandlungspflicht 264–266, 267 Fn. 534, 278–279, 438 – PECL 278–279 – Verhältnismäßigkeit 438 Nichtigkeit 60, 125–126, 287, 301 – Anfechtungsmodell der PECL 91, 93, 146, 431–432 – Sittenwidrigkeit 60–66, 70, 74–75, 83, 157, 431–432, 436 – siehe auch AGB-Kontrolle – siehe auch geltungserhaltende Reduktion Oertmann, Paul 258–259 ökonomische Analyse 40, 370–372, 376, 381–383, 441 „Opfergrenze“ 171, 174, 184–185, 188, 192, 206–207, 234, 280, 326–327, 402 Optimierungsgebot 295, 301, 331–335, 444 pacta sunt servanda 5, 7, 132, 167, 172, 250, 254, 267 – siehe auch Vertragsbindung Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen 113–114, 116–117 PECL (siehe Principles of European Contract Law) penalty clause 158–161 Preis, Ulrich 424 presupposizione 38, 269, 272–273, 276 Primäranspruch 167, 175, 204, 208, 227, 237, 261, 280–281, 380, 393, 420 – Durchsetzbarkeit 208–209 – Grenzen 167–193, 401–405
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Sachregister
– Leistungsverweigerung (siehe dort) – Nacherfüllungsanspruch 222, 224 – siehe auch Nacherfüllung Principles of European Contract Law (PECL) 29–30, 33–34, 88–93, 95–97, 143–147, 161–162, 171, 221–227, 250–251, 277–280, 327, 342, 344–345, 417–418, 431–432 Prinzip – Verhältnismäßigkeit als 290, 329–330, 388 – und Grundsatz 331 – und Regel 331–333, 335 – siehe auch Optimierungsgebot Privatautonomie 5–6, 17, 88, 172, 288, 306–309, 311, 313–314, 320, 331, 333–334, 362, 433–434, 438, 444 proportionale Herabsetzung 22–23, 256–257, 337 Proportionalhaftung 231 Proportionalverfahren 9–10, 22–23, 156 Pufendorf, Samuel von 257 Raiser, Ludwig 102 reasonable(ness) 224 Fn. 319, 230, 342–346, 413, 443–444, 448 – reasonableness (Unfair Contract Terms) 140–142 Rechtsmissbrauch (Verbot) 17, 102–103, 170, 185–190, 226, 288, 356, 369, 379–380, 408–409, 416–417, 437, 441, 447 – Gemeinschaftsrecht 416–417 – und Verhältnismäßigkeit 408–409 Rechtsvergleichung 25–26, 28 Remedy-Konzept 226–227 Rescissione per lesione 65–75, 94, 272, 327, 411, 431 Ressourcenverschwendung 371–373, 378–381 „Richtigkeitschance“ (siehe Richtigkeitsgewähr) Richtigkeitsgewähr 7–8, 100, 256 riduzione della penale 155–158 – ex officio 157–158, 164 Roppo, Vincenzo 67, 79 Fn. 232
„Sandhaufentheorem“ 58–59 Savigny, Friedrich Carl von 367 Schadenspauschalierung 105 – und Vertragsstrafe 149, 153, 156, 161, 164 – siehe auch Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen Schmidt, Jürgen 399–401 Schmidt-Rimpler, Walter 7–8 Schutz des Schwächeren 21, 77–79, 94–96, 101–102, 282 – siehe auch „contraente debole“ – siehe auch inequality of bargaining power – siehe auch „strukturelles Ungleichgewicht“ Schwächesituation 95–96, 308–309, 327–328, 384–387, 411 – beim Wucher 47–51, 52–55, 57–59, 377 – bei der rescissione 65, 272 – bei der unconscionability 84–85 – PECL und DCFR 87–89 Sittenwidrigkeit 51–59, 83, 85–86, 117–118, 327–328, 364, 386, 436 – Bürgschaftsentscheidung des BVerfG 306–310 – Rechtsfolge 60, 63–64 – Vertragsstrafe 149–150 – siehe auch Generalklausel – siehe auch Schutz des Schwächeren specific performance 11, 208–209, 214–220, 227, 273, 281, 413, 423 Fn. 353 „Streben nach der Mitte“ 448–449 „Strukturelles Ungleichgewicht“ 21, 77 Fn. 224, 96, 306–310, 363 Fn. 39 – siehe auch „contraente debole“ – siehe auch inequality of bargaining power Teilnichtigkeit (Wucher) 63–64, 74–75 Totalnichtigkeit (siehe Nichtigkeit) Totalreparation 230–235, 300 Fn. 83, 335–336 Transparenzgebot (AGB) 121, 142, 144 Treu und Glauben 233, 236, 288, 290, 313, 331, 341–342, 345 Fn. 322, 324 und 327; 351, 379, 388–405, 409–419, 439, 441, 446, 448
Sachregister
– im Rahmen des § 275 Abs. 2 BGB 172, 176–177, 180 – Codice del consumo 136 – DCFR 417–418 – englisches Recht 220, 412–414 – Gemeinschaftsrecht 414–417 – italienisches Recht 273, 410–411 – Klauselkontrolle 99, 107 Fn. 56, 108–109, 118–120, 122–125, 128–129, 163, 408 Fn. 273 – Klauselkontrolle (England) 142 – Mietrecht 206 – Neuverhandlungspflicht 265, 278–279 – PECL 223, 250, 278–279, 342, 417–418 – und Verhältnismäßigkeit 388–405 – Vertragsanpassung (PECL) 91–92 – siehe auch Generalklausel Übermaßverbot 15 Fn. 81, 23 Fn. 122, 220 Fn. 301, 346 Fn. 328, 397 Fn. 213, 424 Fn. 358, 434 Fn. 405 – privatrechtliches 24 Fn. 124, 305 Fn. 114, 322 Fn. 209, 328, 393–394, 398 – verfassungsrechtliches 300–301 Ultima-ratio-Prinzip (siehe Erforderlichkeit) ultra dimidium 49, 66, 69–70, 75, 77, 272 – siehe auch rescissione UN-Kaufrecht (CISG) 170–171, 187, 222 Fn. 308, 242–243, 249–250, 253. 268, 342–343, 344, 382 Fn. 144 – als Vorbild für die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 239, 250, 281–282 Unangemessene Benachteiligung 112–113, 117–125, 154, 163, 285, 327, 364, 386–387, 408, 446 undue influence 81–84, 86–88, 327 Unfair Contract Terms Act 1977 (UCTA) 139–143 – reasonableness-test 140, 142, 163 Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations (UTCR) 139, 141–143 unconscionability 36, 80, 84–88, 95, 327, 413 Unionsprivatrecht 27 Fn. 143 – siehe auch Gemeinschaftsprivatrecht Unverhältnismäßigkeit 10, 24 Fn. 124, 58,
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168–171, 186, 243 Fn. 407, 285–286, 337–339, 354–355, 378–381, 393, 401–405, 446 – absolute 200 Fn. 194, 202 – relative 205 – Klauselkontrolle 112–117 – Nacherfüllungsverlangen 193–207, 213, 218, 245, 247 – Naturalerfüllung (PECL/DCFR) 222–225 – Naturalrestitution 232–234 – und Geschäftsgrundlagen 255 – Vertragsstrafenabrede 150, 152–154 – Zumutbarkeit 192–193 – Zurückbehaltungsrecht 236 – siehe auch Verhältnismäßigkeit Unzumutbarkeit 258, 266, 271, 339–342 – Dauerschuldverhältnis 251–253 – Einrede des § 275 Abs. 3 BGB 189–193, 225, 253, 263 Fn. 511, 339 – der Nacherfüllung 201–202 – siehe auch Zumutbarkeit usura 64, 70 Fn. 174, 73–75 Utilitarismus 369–370 Verbraucherschutz 108, 198 Fn. 181, 308 Fn. 132, 362, 415 – AGB-Kontrolle 101–102 – Richtlinien 33–34 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (VGKRL) 27, 193–197, 238–239, 253, 281, 341 Fn. 303, 342, 344–345, 376 – Umsetzung Deutschland 197–200, 239–243 – Umsetzung England 218, 247–248 – Umsetzung Italien 211–212, 245 – Umsetzungsmängel Deutschland 200–202 – Vorbild des UN-Kaufrechts 249–250 Verhältnismäßigkeit – als Abwägungsmodell (siehe auch Abwägung) 347–355, 443–444, 446 – als „Leerformel“ (siehe dort) – als Metaprinzip 296, 346–347 – Begriff 23–24 – formaler Charakter 388–389 – Geltung im Verfassungsrecht 292–296, 311–315, 440–441, 444
506
Sachregister
– im Arbeitsrecht 2, 14–16, 19 Fn. 102, 21, 395, 419, 425 Fn. 361 – im Gesellschaftsrecht 14–16, 366 Fn. 57, 419 – im öffentlichen Recht 1–4, 14–15, 19–21, 23–24, 287–317, 444–445 – Maßstab für Klauselkontrolle 111–112, 123–125, 162–165, 328, 386–387 – materiale Komponenten 384–409 – philosophische Verwendung 13–14, 357–384 – Prinzipientheorie (Alexy) 331–333 – prozeduraler Charakter 383–384 – „qualitative“ 13, 22 – „quantitative“ 13, 22–23, 221, 241, 337 Fn. 276 – rechtsvergleichende Betrachtung 25–34, 409–419 – sprachliche Verwendung 12–13 – Teilgrundsätze 14–15, 18–19, 23–24, 123, 289, 292, 318–330, 334, 372 – „Transformation“ aus dem Verfassungsrecht 19–21, 288–290 – Treu und Glauben (siehe auch dort) 388–409 Verhältnismäßigkeitskontrolle 20–23, 35 – Ausübung vertraglicher Rechte 166–282, 387–388 – deklaratorische 405–406, 426, 443, 447 – Hauptleistungspflichten 43–97, 384–386 – konstitutive 405–409, 419–440, 441, 447 – Nebenpflichten 98–165, 386–387 vernünftig (siehe reasonable) „Vernünftigkeit“ 342–346, 417, 443–444 – siehe auch reasonableness Vertragsaufhebung/Vertragsauflösung 194–197, 210, 212, 238–240, 245–251, 271–272 – bei geringfügiger Pflichtverletzung 238–243, 246–247 – PECL 90–91, 250–251, 278 – rescissione 70 – ultima ratio 266 – siehe auch Vertragserhaltung
Vertragsanpassung 96–97, 164–165, 254–280, 381–382, 431–432, 437–438, 447 – PECL 91–92 – rescissione 70–73 – Wegfall der Geschäftsgrundlage 263–266 Vertragsbindung 5–7, 10–11, 40, 132, 248, 251, 253–254, 256–257, 266–280, 281, 325, 329, 336, 338, 446 – und Treu und Glauben 389–405 – siehe auch pacta sunt servanda Vertragserhaltung 10–11, 64, 214, 238 Fn. 384, 242, 266, 281–282, 324–325, 395–396, 426 Vertragsfreiheit 5–10, 68–69, 77, 87, 102–103, 105, 107, 122–123, 133, 138–139, 154, 296, 306–310, 311–314, 331, 333, 362, 417–418 Vertragsstrafe 147–162 Abgrenzung zur Schadenspauschalierung 114 Fn. 92, 149 – clausola penale 155–158, 164, 411, 412 Fn. 301 – Herabsetzung 98–99, 147, 149–153, 155–157, 161–162, 164, 286, 299, 337–338, 409, 411, 430–431, 435–437 – liquidated damages clause 158–159 – penalty clause 158–161, 164 Vertragsungleichgewicht (contractual imbalance) 85, 276, 278 Vertragszweck 17–18, 120–121, 163, 253, 372, 387, 429 VOB/B 129 Wagner, Gerhard 3 Wilburg, Walter 56, 59, 231, 349 Windscheid, Bernhard 257–258, 269, 272, 367, 423 Fn. 353 Wirksamkeitskontrolle 36, 84, 94, 98, 149, 327 Wucher 10, 16, 44–51, 58–62, 85–86, 88–89, 286, 327–328, 364, 384–386, 407, 431–432, 445 – § 138 Abs. 2 BGB 44–51 – auffälliges Missverhältnis (siehe Missverhältnis, auffälliges) – Ausbeutung (siehe dort)
Sachregister
– England (siehe auch unconscionability) 80, 85–86, 327 – Italien (siehe auch usura) 64–67, 70 Fn. 174, 73–75, 77 Fn. 218, 94, 157, 327, 411, 431 – ökonomische Analyse 377 – Rechtsfolge 60–64, 96–97 – Schwächesituation (siehe dort) wucherähnliches Geschäft 9–10, 51–59, 63, 84, 86, 131, 286, 385–386, 430–432, 445 – Rechtsfolge 60–64, 96–97 – siehe auch Sittenwidrigkeit
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Zahlungsverzug 150, 227–229, 233–234 – Richtlinie 28, 227–229, 233–234 Zuliefervertrag (Italien) (siehe contratto di subfornitura) Zumutbarkeit 2, 22, 192, 207, 252, 264, 336, 339–342, 381–382, 429 Fn. 384, 443, 447 – siehe auch Unzumutbarkeit Zurückbehaltungsrecht 115 Fn. 94, 397 Zweck-Mittel-Relation 17–18, 319–325, 356, 383, 446 Zweckrationalität 367–370