Der europäische Gerichtsstand bei Konzerninsolvenzen 9783161521683, 9783161519826

International zuständig für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaates der Europäischen

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
§ 1 Einleitung
A. Das Problem
B. Der rechtliche Rahmen
C. Das Ziel und der Gang der Untersuchung
I. Das Ziel der Untersuchung
II. Der Gang der Untersuchung
§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes
A. Einführung
B. Die Verknüpfung von Zuständigkeit und Insolvenzrecht
I. Vereinheitlichtes Kollisionsrecht
1. Grundsatz der lex fori concursus
2. Regelungsumfang der lex fori concursus
3. Sonderanknüpfungen
II. Vereinheitlichtes Sachrecht
III. Fazit
C. Universalität und Verfahrenseinheit
I. Das Universalitätsprinzip
1. Vom Territorialitäts- zum Universalitätsprinzip
2. Die Geltung des Universalitätsprinzips
3. Der Gehalt des Universalitätsprinzips
II. Die Ausschließlichkeit des Hauptinsolvenzverfahrens
1. Die Anerkennung der Verfahrenseröffnung
2. Das Prioritätsprinzip
a) Verwerfungskompetenz der Gerichte anderer Mitgliedstaaten
aa) Der Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO
bb) Die Argumente gegen die Prüfungskompetenz
(1) Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens
(2) Die Singularität des Hauptinsolvenzverfahrens
(3) Ungerechtfertigter Eingriff in fremde Hoheitsrechte und praktische Erwägungen
(4) Zusammenfassung und Zwischenergebnis
b) Versagung der Anerkennung im Inland nach Art. 26 EuInsVO (ordre public)
aa) Ordre public-Verstoß durch unrichtige Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit?
(1) Wortlaut
(2) Wille des Normgebers
(3) Folgenbetrachtung
(4) Schlussfolgerungen
bb) Ordre public-Verstoß durch unterbliebene Prüfung der internationalen Zuständigkeit?
(1) Die Abgrenzung von Gebrauch und Missbrauch des gegenseitigen Vertrauens
(2) Der Fall der Hans Brochier Ltd.: Eröffnung eines out of court-appointment
(3) Bewertung der Anerkennungsverweigerung wegen unterbliebener Zuständigkeitsprüfung
(4) Fazit
cc) Ergebnis
3. Zusammenfassung
III. Die Beschränkung des Hauptinsolvenzverfahrens durch Territorialverfahren
1. Die Durchbrechung der Verfahrenseinheit
2. Die Voraussetzungen für die Eröffnung von Territorialverfahren
3. Charakteristika der Territorialverfahren
4. Die Koordination der Verfahren
5. Das Sekundärinsolvenzverfahren in der Gesellschaftsinsolvenz
a) Die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren am „eigentlichen“ Interessenmittelpunkt
b) Zwingend liquidierender Charakter des Sekundärinsolvenzverfahrens?
c) Ergebnis der Auslegung und Schlussfolgerung
6. Zusammenfassung
D. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verordnung
E. Der Gerichtsstand für insolvenzbezogene Annexverfahren
F. Schlussfolgerung
§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand
A. Der Konzern und seine Insolvenz
I. Der Begriff des Konzerns
1. Die Vielgestaltigkeit des Konzerns
2. Der Konzern in Europa
a) Der Fehlschlag einer umfassenden gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung
b) Die fragmentarische Regelung in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen
c) Der Konzern im deutschen Recht
3. Der Konzernbegriff für die Zwecke dieser Arbeit
II. Der Begriff der Konzerninsolvenz
III. Zusammenfassung
B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes
I. Die bestmögliche Gläubigerbefriedigung
II. Die Senkung der Transaktionskosten durch eine geringere Anzahl von Beteiligten
1. Die Identität des Insolvenzgerichts
2. Die Identität des Insolvenzverwalters
a) Die Vorteile einer Bestellung derselben Person zum Insolvenzverwalter
b) Die Entbehrlichkeit der Bestellung verschiedener Personen zum Insolvenzverwalter
III. Die Einheitlichkeit der lex fori concursus
1. Die Erhöhung der Befriedigungsquote
2. Die Sanierungsfreundlichkeit moderner Insolvenzrechte
a) England
b) Italien
c) Frankreich
d) Spanien
e) Deutschland
f) Fazit
IV. Unzumutbarkeit der einheitlichen Zuständigkeit für die Gläubiger?
1. Die Erhöhung der Transaktionskosten
a) Die Kosten vor der Verfahrenseröffnung
aa) Das Informationsdefizit der Gläubiger
bb) Die Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes
cc) Die fehlende Rechtssicherheit bei der Auslegung des Interessenmittelpunktes
dd) Fazit
b) Die Kosten ab der Verfahrenseröffnung
aa) Die Kenntnis von der Verfahrenseröffnung
bb) Die Anmeldung von Forderungen
cc) Die geographische Distanz zu dem Insolvenzforum
dd) Die Sprachbarriere
ee) Fazit
2. Die Geltung einer fremden lex fori concursus
a) Das Vertrauen in die Anwendbarkeit des sachnächsten Insolvenzrechts
b) Der schwache Schutz des Vertrauens durch die EuInsVO
aa) Das fehlende Paradigma der grenzüberschreitenden Konzerninsolvenz
bb) Die programmierte Enttäuschung von Vertrauen
(1) Die Vertrauensinvestition des Gläubigers
(2) Die Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes
cc) Die Sachgerechtigkeit der lex fori concursus
(1) Die Sachgerechtigkeit als Maßstab für das anwendbare Insolvenzrecht
(2) Die Effizienz des Verfahrens als Maßstab der Sachgerechtigkeit
(3) Die hinreichende Vergleichbarkeit der mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte
c) Fazit
V. Zusammenfassung
C. Die Untauglichkeit bisheriger Lösungsversuche
I. Die Ebene mehrerer Hauptinsolvenzverfahren
1. Vereinbarungen über den Insolvenzgerichtsstand
2. Kooperation zwischen den Hauptinsolvenzverwaltern
a) Analoge Anwendung der Kooperationspflichten aus Art. 31 EuInsVO?
b) Insolvenzverwaltungsverträge
c) Protocols
d) Fazit
II. Die Tochtergesellschaft als Niederlassung
1. Das Erfordernis eines Hauptinsolvenzverfahrens über denselben Schuldner
2. Die Niederlassung kraft Rechtsscheins
3. Zusammenfassung
III. Ergebnis
D. Die Zulässigkeit eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes
I. Die Unterscheidung zwischen materiellem und prozessualem Konzerninsolvenzrecht
II. Das Schweigen der EuInsVO zum Konzerninsolvenzverfahrensrecht
III. Verbot eines einheitlichen Gerichtsstandes für Konzerngesellschaften?
1. Das Schweigen der EuInsVO zu Konzerninsolvenzen
2. Die vermeintliche Absage des EuGH an einen Konzerninsolvenzgerichtsstand
a) Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Eurofood
b) Die Bedeutung des Urteils für den Konzerninsolvenzgerichtsstand
aa) Keine Vorgabe einer Leitlinie durch den EuGH
bb) Die suggestive Vorlagefrage des Supreme Court of Ireland
c) Zusammenfassung
E. Fazit
§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners
A. Einführung
I. Der allgemeine Maßstab des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO
II. Die normativen Grundlagen
III. Die Auslegung des Interessenmittelpunktes im Überblick
1. Der Ort der werbenden Tätigkeit
2. Der Verwaltungsort
a) Der effektive Verwaltungssitz
b) Der Ort der strategischen Leitungsentscheidungen
3. Die Möglichkeiten für eine Klärung der internationalen Zuständigkeit
IV. Der weitere Gang der Untersuchung
B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO
I. Die Interessen des Schuldners
1. Die vielfältigen Erscheinungsformen der Interessen
2. Die Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen Tätigkeiten
a) Die Entwicklung vom Geschäftszentrum zum Interessenmittelpunkt
b) Die Konkretisierung der wirtschaftlichen Tätigkeiten
c) Die Irrelevanz des Belegenheitsortes des Vermögens
3. Zusammenfassung
II. Der Belegenheitsort der Interessen
1. Der Ort der Interessenverwaltung
a) Die Unergiebigkeit des Verordnungstextes
b) Die Manifestation der Interessen durch Verwaltung
c) Die Vorläufer der EuInsVO und des EuInsÜ
d) Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eurofood: ein Bekenntnis zur Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit?
aa) Die Entkräftung der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO bei fehlender Tätigkeit in dem Mitgliedstaat des satzungsmäßigen Sitzes
bb) Das Beispiel der Briefkastenfirma: ein Argument für die Relevanz der werbenden Tätigkeit?
cc) Die Widersprüchlichkeit des Urteils bei Relevanz der werbenden Tätigkeit
dd) Die weitgehende Identität des Urteils mit den Schlussanträgen des Generalanwalts
e) Zwischenergebnis
2. Die Erkennbarkeit des Insolvenzforums für Dritte
a) Die Bedeutung der Erkennbarkeit
aa) Die Gründe für das Erfordernis der Erkennbarkeit
bb) Das Erfordernis der Erkennbarkeit als Argument für die Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit
cc) Offene Fragen
b) Die Anforderungen an die Dritten
c) Der Maßstab der Erkennbarkeit
aa) Konkret-subjektive oder abstrakt-objektive Erkennbarkeit?
(1) Der unterschiedliche Erkenntnishorizont der Dritten
(2) Die potentielle Vertrauensinvestition
bb) Der Maßstab für die abstrakt-objektive Erkennbarkeit
d) Der Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit
e) Die geschützten Dritten
f) Das Bezugsobjekt der Erkennbarkeit
aa) Das Verhältnis des Verwaltungsortes zu der Erkennbarkeit des Insolvenzforums
bb) Der Verwaltungsort als Bezugsobjekt
g) Zusammenfassung
3. Das Entscheidungskriterium „hauptsächlich“
a) Die Erforderlichkeit eines Entscheidungskriteriums
b) Mehrere Zentren, aber nur ein Mittelpunkt
c) Der Gegenstand des Entscheidungskriteriums
d) Die Anwendung des Entscheidungskriteriums
e) Die Unergiebigkeit des Entscheidungskriteriums für den Verwaltungsort
f) Zusammenfassung
4. Die Gewöhnlichkeit oder Üblichkeit der Interessenverwaltung
5. Zwischenergebnis
III. Die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO
1. Die Bedeutung für den Konzerninsolvenzgerichtsstand
2. Der Meinungsstand über den Gehalt der Vermutung
a) Vermutung
b) Zweifelsregel
aa) Uneingeschränkte Amtsermittlungspflicht
bb) Eingeschränkte Amtsermittlungspflicht
3. Auseinandersetzung
a) Das Schweigen des Normgebers
b) Der Gesamtverfahrenscharakter der Insolvenz
c) Das Schweigen des EuGH zu der Bedeutung der Vermutung
d) Die Erkennbarkeit des satzungsmäßigen Sitzes
4. Ergebnis
IV. Zusammenfassung
§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz
A. Grund und Gegenstand der weiteren Untersuchung
B. Die Berichte zum Entwurf von 1980 und zum Istanbuler Übereinkommen
I. Das Istanbuler Übereinkommen von 1990
II. Der Entwurf für ein Europäisches Insolvenzübereinkommen von 1980
III. Fazit
C. Der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht
I. Die mitgliedstaatlichen Gesellschaftskollisionsrechte
II. Die allgemein anerkannte Anknüpfungsformel und ihre Anwendung in der Praxis
III. Die Sitztheorie als Schutztheorie
IV. Die effektive Umsetzung der grundlegenden Entscheidungen
1. Der erste Schritt: Die Maßgeblichkeit der grundlegenden Entscheidungen
2. Der zweite Schritt: Die effektive Umsetzung dieser Entscheidungen
V. Zusammenfassung
D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz
I. Identität zwischen Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz?
1. Die Dominanz der Sitztheorie in den Anfängen des europäischen Insolvenzrechts
2. Die Anknüpfung an den satzungsmäßigen Sitz
a) Ein Kompromiss zwischen Sitz- und Gründungstheorie?
aa) Die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts unter der Gründungstheorie
bb) Die Ausführungen Lemonteys zum satzungsmäßigen Sitz
b) Ein Zugeständnis an die eingeschränkte Bestimmbarkeit des effektiven Verwaltungssitzes?
3. Der unterschiedliche Wortlaut
4. Die autonome Auslegung des Gemeinschaftsrechts
II. Weitgehend gleiche Auslegung von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz?
1. Der wünschenswerte Gleichlauf von Gesellschafts- und Insolvenzstatut
a) Die uneinheitliche Qualifikation des Gläubigerschutzrechts
b) Die Auswirkungen der Niederlassungsfreiheit auf die Sitztheorie
c) Das mitgliedstaatliche Gesellschaftskollisionsrecht
d) Fazit
2. Dieselbe ratio der Anknüpfungen?
a) Der Gläubigerschutz als gemeinsames Anliegen
b) Die unterschiedliche Schutztechnik
c) Die unterschiedliche Schutzrichtung
d) Die unterschiedliche Schutzstärke
e) Fazit und Zwischenergebnis
E. Ergebnis
§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO
A. Die Bilanz
B. Eigener Vorschlag
I. Der Inhalt der Anknüpfungsformel
II. Die Vorteile der hier vorgeschlagenen Anknüpfungsformel
1. Die Erleichterung der Begründung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes
2. Der einheitliche Maßstab der Auslegung
3. Die Interessengerechtigkeit der einheitlichen Zuständigkeit bei Erkennbarkeit
4. Die Wahrung des gesetzgeberischen Willens
5. Die Entschärfung des Entscheidungskriteriums „hauptsächlich“
C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage
I. Der körperschaftliche Schwerpunkt am Ort der großen Richtlinien-Entscheidungen
1. Die Farblosigkeit des Verwaltungsbegriffes
2. Das international-privatrechtliche Prinzip der engsten Verbindung
3. Das Handlungszentrum als engste Verbindung
4. Der erste Schritt des effektiven Verwaltungssitzes als Ausdruck des Handlungszentrums
II. Die Irrelevanz der Umsetzung in laufende Geschäftsführungsakte (zweiter Schritt der Sitztheorie)
1. Die Argumente für eine Identität des Verwaltungsortes mit dem effektiven Verwaltungssitz
2. Auseinandersetzung
a) Die Bildung grenzüberschreitender Konzerne als Motiv für den zweiten Schritt der Sitztheorie
b) Die vermeintliche Praxistauglichkeit der Übernahme des effektiven Verwaltungssitzes
c) Die vermeintliche Erkennbarkeit des effektiven Verwaltungssitzes
d) Die Prämisse der engsten Verbindung am effektiven Verwaltungssitz
e) Die Verhinderung von forum shopping
3. Fazit
D. Die Indizien für den Konzerninsolvenzgerichtsstand
I. Die Indizien für die einheitliche Verwaltung
1. Der Aufbau und die Organisation eines Konzerns
2. Der Auftritt als Konzern
II. Die Indizien für die Erkennbarkeit der einheitlichen Verwaltung
1. Das Handelsregister und der Bundesanzeiger
2. Die Internetseiten der Gesellschaften
3. Die Üblichkeit der Beteiligung an Vertragsverhandlungen
E. Die Konsequenz: ein einheitlicher Gerichtsstand
I. Der weite Anwendungsbereich der Anknüpfungsformel
II. Der Begriff des Konzerninsolvenzgerichtsstandes als Beschreibung eines Phänomens
III. Die Irrelevanz einer konzernrechtlichen Verbindung
1. Die Unvereinbarkeit eines konzernrechtlichen Elements mit der Einheitlichkeit der Auslegung
2. Die vermeintliche Unangemessenheit des einheitlichen Gerichtsstandes
a) Der Schutz des Vertrauens der Gläubiger
b) Die Angemessenheit der Insolvenzrechtsordnung
IV. Zusammenfassung
F. Ergebnis
§ 7 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
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Der europäische Gerichtsstand bei Konzerninsolvenzen
 9783161521683, 9783161519826

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 277 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:

Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann

Ulrich M. Wolf

Der europäische Gerichtsstand bei Konzerninsolvenzen

Mohr Siebeck

Ulrich M. Wolf, geboren 1977; Studium der Rechtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum; 2002–04 Referendariat am Landgericht Dortmund; seit 2008 Rechtsanwalt; Schwerpunkt der Tätigkeit: Beratung börsennotierter Aktiengesellschaften.

e-ISBN 978-3-16-152168-3 ISBN 978-3-16-151982-6 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb. dnb.de abrufbar. © 2012 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.

Meinem Vater

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2011 von der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde für die Veröffentlichung noch einmal sprachlich überarbeitet. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Ende Mai 2012 nachgetragen werden. Mein erster Dank gebührt meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Ursula Stein, an deren Lehrstuhl ich drei Jahre lang als wissenschaftlicher Assistent tätig sein durfte und den ganz überwiegenden Teil der Dissertation anfertigen konnte. Herrn Dekan Prof. Dr. Horst-Peter Götting, LL.M., danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Basedow, LL.M., für die Aufnahme meiner Dissertation in die Studienreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht. Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle auch Herrn Prof. Dr. Matthias Lehmann, D.E.A., LL.M., J.S.D., Herrn Dr. Constantin Köster, LL.M., und Frau Lydia-Kathrin Thrun, insbesondere für die gemeinsame Zeit an der Technischen Universität Dresden. Den zuständigen Partnern meines Arbeitgebers, der Noerr LLP, danke ich dafür, mich vorübergehend von meiner beruflichen Tätigkeit freigestellt und mir hierdurch die Fertigstellung der Dissertation ermöglicht zu haben. Ein ganz besonderer Dank geht an meine wunderbare Ehefrau Joana Bendoraityte-Wolf, die immer an mich geglaubt hat. Mein größter Dank aber gilt meinem Vater, dem Obersteiger Werner Berthold Wolf, der es mir ermöglicht hat, den Weg zu beschreiten, den ich heute gehe, und dem es leider nicht mehr vergönnt war, die Fertigstellung der Dissertation zu erleben. Ihm ist diese Arbeit gewidmet. Frankfurt am Main, im Juni 2012

Ulrich M. Wolf

Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht

§ 1 Einleitung ............................................................................................1 A. Das Problem ..........................................................................................1 B. Der rechtliche Rahmen ..........................................................................2 C. Das Ziel und der Gang der Untersuchung ..............................................5 § 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes .....................7 A. B. C. D. E. F.

Einführung ............................................................................................7 Die Verknüpfung von Zuständigkeit und Insolvenzrecht .......................8 Universalität und Verfahrenseinheit ....................................................14 Die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verordnung....................50 Der Gerichtsstand für insolvenzbezogene Annexverfahren..................52 Schlussfolgerung .................................................................................53

§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand ...................55 A. B. C. D. E.

Der Konzern und seine Insolvenz ........................................................55 Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes .................................64 Die Untauglichkeit bisheriger Lösungsversuche ..................................90 Die Zulässigkeit eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes.....................99 Fazit ..................................................................................................107

§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners .....109 A. Einführung ........................................................................................109 B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ................................................................................120 § 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz ...........................165 A. Grund und Gegenstand der weiteren Untersuchung ...........................165 B. Die Berichte zum Entwurf von 1980 und zum Istanbuler Übereinkommen ................................................................................167 C. Der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht..........170

X

Inhaltsübersicht

D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz .................................................................................180 E. Ergebnis ............................................................................................197 § 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO ..................199 A. Die Bilanz .........................................................................................199 B. Eigener Vorschlag .............................................................................200 C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage...............................................................................205 D. Die Indizien für den Konzerninsolvenzgerichtsstand .........................217 E. Die Konsequenz: ein einheitlicher Gerichtsstand...............................221 F. Ergebnis ............................................................................................226 § 7 Zusammenfassung............................................................................227

Literaturverzeichnis................................................................................233 Sachverzeichnis......................................................................................251

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

§ 1 Einleitung ............................................................................................1 A. Das Problem ..........................................................................................1 B. Der rechtliche Rahmen ..........................................................................2 C. Das Ziel und der Gang der Untersuchung ..............................................5 I. Das Ziel der Untersuchung .............................................................5 II. Der Gang der Untersuchung ...........................................................5 § 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes .....................7 A. Einführung ............................................................................................7 B. Die Verknüpfung von Zuständigkeit und Insolvenzrecht .......................8 I. Vereinheitlichtes Kollisionsrecht....................................................9 1. Grundsatz der lex fori concursus ................................................9 2. Regelungsumfang der lex fori concursus ..................................10 3. Sonderanknüpfungen ................................................................11 II. Vereinheitlichtes Sachrecht ..........................................................12 III. Fazit .............................................................................................13 C. Universalität und Verfahrenseinheit ....................................................14 I. Das Universalitätsprinzip .............................................................14 1. Vom Territorialitäts- zum Universalitätsprinzip .......................14 2. Die Geltung des Universalitätsprinzips.....................................16 3. Der Gehalt des Universalitätsprinzips.......................................16 II. Die Ausschließlichkeit des Hauptinsolvenzverfahrens..................17 1. Die Anerkennung der Verfahrenseröffnung ..............................17 2. Das Prioritätsprinzip.................................................................19 a) Verwerfungskompetenz der Gerichte anderer Mitgliedstaaten ..............20 aa) Der Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO .................................21 bb) Die Argumente gegen die Prüfungskompetenz ............................23 (1) Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens .........................23 (2) Die Singularität des Hauptinsolvenzverfahrens ......................25 (3) Ungerechtfertigter Eingriff in fremde Hoheitsrechte und praktische Erwägungen ...............................................26 (4) Zusammenfassung und Zwischenergebnis .............................28 b) Versagung der Anerkennung im Inland nach Art. 26 EuInsVO (ordre public) ...........................................................................29

XII

Inhaltsverzeichnis aa) Ordre public-Verstoß durch unrichtige Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit? ...........................................29 (1) Wortlaut ........................................................................30 (2) Wille des Normgebers ......................................................31 (3) Folgenbetrachtung ...........................................................32 (4) Schlussfolgerungen ..........................................................33 bb) Ordre public-Verstoß durch unterbliebene Prüfung der internationalen Zuständigkeit? ...........................................33 (1) Die Abgrenzung von Gebrauch und Missbrauch des gegenseitigen Vertrauens .............................................33 (2) Der Fall der Hans Brochier Ltd.: Eröffnung eines out of court-appointment ...................................................34 (3) Bewertung der Anerkennungsverweigerung wegen unterbliebener Zuständigkeitsprüfung ..................................36 (4) Fazit .............................................................................37 cc) Ergebnis .............................................................................37

3. Zusammenfassung ....................................................................39 III. Die Beschränkung des Hauptinsolvenzverfahrens durch Territorialverfahren ............................................................40 1. Die Durchbrechung der Verfahrenseinheit................................40 2. Die Voraussetzungen für die Eröffnung von Territorialverfahren ..................................................................42 3. Charakteristika der Territorialverfahren ...................................43 4. Die Koordination der Verfahren ...............................................43 5. Das Sekundärinsolvenzverfahren in der Gesellschaftsinsolvenz .............................................................44 a) Die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren am „eigentlichen“ Interessenmittelpunkt .........................................45 b) Zwingend liquidierender Charakter des Sekundärinsolvenzverfahrens? ..............................................................................47 c) Ergebnis der Auslegung und Schlussfolgerung .................................49

6. Zusammenfassung ....................................................................49 D. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verordnung....................50 E. Der Gerichtsstand für insolvenzbezogene Annexverfahren..................52 F. Schlussfolgerung .................................................................................53 § 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand ...................55 A. Der Konzern und seine Insolvenz ........................................................55 I. Der Begriff des Konzerns .............................................................55 1. Die Vielgestaltigkeit des Konzerns...........................................55 2. Der Konzern in Europa .............................................................56 a) Der Fehlschlag einer umfassenden gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung ........................................................................56

Inhaltsverzeichnis

XIII

b) Die fragmentarische Regelung in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen .......................................................................57 c) Der Konzern im deutschen Recht ..................................................60

3. Der Konzernbegriff für die Zwecke dieser Arbeit.....................61 II. Der Begriff der Konzerninsolvenz ................................................62 III. Zusammenfassung ........................................................................63 B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes .................................64 I. Die bestmögliche Gläubigerbefriedigung .....................................64 II. Die Senkung der Transaktionskosten durch eine geringere Anzahl von Beteiligten .................................................65 1. Die Identität des Insolvenzgerichts ...........................................65 2. Die Identität des Insolvenzverwalters .......................................66 a) Die Vorteile einer Bestellung derselben Person zum Insolvenzverwalter ..............................................................66 b) Die Entbehrlichkeit der Bestellung verschiedener Personen zum Insolvenzverwalter ..............................................................67

III. Die Einheitlichkeit der lex fori concursus.....................................69 1. Die Erhöhung der Befriedigungsquote......................................69 2. Die Sanierungsfreundlichkeit moderner Insolvenzrechte ..........69 a) England ...................................................................................70 b) Italien .....................................................................................71 c) Frankreich ...............................................................................72 d) Spanien ...................................................................................73 e) Deutschland .............................................................................74 f) Fazit .......................................................................................74 IV. Unzumutbarkeit der einheitlichen Zuständigkeit für die Gläubiger?.........................................................................75 1. Die Erhöhung der Transaktionskosten ......................................75 a) Die Kosten vor der Verfahrenseröffnung .........................................76 aa) Das Informationsdefizit der Gläubiger ......................................76 bb) Die Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes ...........................76 cc) Die fehlende Rechtssicherheit bei der Auslegung des Interessenmittelpunktes ....................................................77 dd) Fazit ..................................................................................78 b) Die Kosten ab der Verfahrenseröffnung ..........................................78 aa) Die Kenntnis von der Verfahrenseröffnung ................................78 bb) Die Anmeldung von Forderungen ............................................79 cc) Die geographische Distanz zu dem Insolvenzforum .....................79 dd) Die Sprachbarriere ................................................................80 ee) Fazit ..................................................................................82

2. Die Geltung einer fremden lex fori concursus ..........................82 a) Das Vertrauen in die Anwendbarkeit des sachnächsten Insolvenzrechts .........................................................................82 b) Der schwache Schutz des Vertrauens durch die EuInsVO ...................82

XIV

Inhaltsverzeichnis aa) Das fehlende Paradigma der grenzüberschreitenden Konzerninsolvenz .................................................................82 bb) Die programmierte Enttäuschung von Vertrauen .........................83 (1) Die Vertrauensinvestition des Gläubigers .............................83 (2) Die Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes ......................83 cc) Die Sachgerechtigkeit der lex fori concursus ..............................85 (1) Die Sachgerechtigkeit als Maßstab für das anwendbare Insolvenzrecht ................................................................85 (2) Die Effizienz des Verfahrens als Maßstab der Sachgerechtigkeit .......................................................86 (3) Die hinreichende Vergleichbarkeit der mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte ...............................................................88 c) Fazit .......................................................................................89

V. Zusammenfassung ........................................................................89 C. Die Untauglichkeit bisheriger Lösungsversuche ..................................90 I. Die Ebene mehrerer Hauptinsolvenzverfahren..............................90 1. Vereinbarungen über den Insolvenzgerichtsstand .....................90 2. Kooperation zwischen den Hauptinsolvenzverwaltern..............91 a) Analoge Anwendung der Kooperationspflichten aus Art. 31 EuInsVO? .................................................................91 b) Insolvenzverwaltungsverträge ......................................................92 c) Protocols .................................................................................93 d) Fazit .......................................................................................94

II. Die Tochtergesellschaft als Niederlassung....................................94 1. Das Erfordernis eines Hauptinsolvenzverfahrens über denselben Schuldner .........................................................95 2. Die Niederlassung kraft Rechtsscheins .....................................97 3. Zusammenfassung ....................................................................98 III. Ergebnis .......................................................................................98 D. Die Zulässigkeit eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes.....................99 I. Die Unterscheidung zwischen materiellem und prozessualem Konzerninsolvenzrecht .................................................................99 II. Das Schweigen der EuInsVO zum Konzerninsolvenzverfahrensrecht .............................................................................99 III. Verbot eines einheitlichen Gerichtsstandes für Konzerngesellschaften? ..............................................................100 1. Das Schweigen der EuInsVO zu Konzerninsolvenzen ............100 2. Die vermeintliche Absage des EuGH an einen Konzerninsolvenzgerichtsstand ..............................................102 a) Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Eurofood .........................102 b) Die Bedeutung des Urteils für den Konzerninsolvenzgerichtsstand .....103 aa) Keine Vorgabe einer Leitlinie durch den EuGH ........................104 bb) Die suggestive Vorlagefrage des Supreme Court of Ireland ..........105 c) Zusammenfassung ...................................................................107

Inhaltsverzeichnis

XV

E. Fazit ..................................................................................................107 § 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners .....109 A. Einführung ........................................................................................109 I. Der allgemeine Maßstab des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ..................109 II. Die normativen Grundlagen........................................................110 III. Die Auslegung des Interessenmittelpunktes im Überblick ..........112 1. Der Ort der werbenden Tätigkeit ............................................113 2. Der Verwaltungsort ................................................................114 a) Der effektive Verwaltungssitz ....................................................115 b) Der Ort der strategischen Leitungsentscheidungen ..........................116 3. Die Möglichkeiten für eine Klärung der internationalen Zuständigkeit..........................................................................117 IV. Der weitere Gang der Untersuchung ...........................................119 B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ................................................................................120 I. Die Interessen des Schuldners ....................................................120 1. Die vielfältigen Erscheinungsformen der Interessen ...............120 2. Die Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen Tätigkeiten .............120 a) Die Entwicklung vom Geschäftszentrum zum Interessenmittelpunkt ...121 b) Die Konkretisierung der wirtschaftlichen Tätigkeiten ......................123 c) Die Irrelevanz des Belegenheitsortes des Vermögens .......................124 3. Zusammenfassung ..................................................................125 II. Der Belegenheitsort der Interessen .............................................125 1. Der Ort der Interessenverwaltung ...........................................125 a) Die Unergiebigkeit des Verordnungstextes ....................................125 b) Die Manifestation der Interessen durch Verwaltung ........................126 c) Die Vorläufer der EuInsVO und des EuInsÜ ..................................127 d) Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eurofood: ein Bekenntnis zur Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit? ............127 aa) Die Entkräftung der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO bei fehlender Tätigkeit in dem Mitgliedstaat des satzungsmäßigen Sitzes ..................................................127 bb) Das Beispiel der Briefkastenfirma: ein Argument für die Relevanz der werbenden Tätigkeit? ...............................128 cc) Die Widersprüchlichkeit des Urteils bei Relevanz der werbenden Tätigkeit ......................................................128 dd) Die weitgehende Identität des Urteils mit den Schlussanträgen des Generalanwalts .............................................................129 e) Zwischenergebnis ....................................................................130

2. Die Erkennbarkeit des Insolvenzforums für Dritte..................130 a) Die Bedeutung der Erkennbarkeit ................................................130 aa) Die Gründe für das Erfordernis der Erkennbarkeit .....................130

XVI

Inhaltsverzeichnis bb) Das Erfordernis der Erkennbarkeit als Argument für die Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit .................................132 cc) Offene Fragen ...................................................................133 b) Die Anforderungen an die Dritten ...............................................133 c) Der Maßstab der Erkennbarkeit ..................................................134 aa) Konkret-subjektive oder abstrakt-objektive Erkennbarkeit? .........135 (1) Der unterschiedliche Erkenntnishorizont der Dritten .............135 (2) Die potentielle Vertrauensinvestition .................................136 bb) Der Maßstab für die abstrakt-objektive Erkennbarkeit ................136 d) Der Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit ........................137 e) Die geschützten Dritten .............................................................139 f) Das Bezugsobjekt der Erkennbarkeit ............................................141 aa) Das Verhältnis des Verwaltungsortes zu der Erkennbarkeit des Insolvenzforums ...........................................................141 bb) Der Verwaltungsort als Bezugsobjekt .....................................142 g) Zusammenfassung ...................................................................143

3. Das Entscheidungskriterium „hauptsächlich“ .........................144 a) Die Erforderlichkeit eines Entscheidungskriteriums ........................144 b) Mehrere Zentren, aber nur ein Mittelpunkt ....................................145 c) Der Gegenstand des Entscheidungskriteriums ................................145 d) Die Anwendung des Entscheidungskriteriums ................................147 e) Die Unergiebigkeit des Entscheidungskriteriums für den Verwaltungsort .............................................................148 f) Zusammenfassung ...................................................................149

4. Die Gewöhnlichkeit oder Üblichkeit der Interessenverwaltung..............................................................................149 5. Zwischenergebnis ...................................................................152 III. Die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO .....................153 1. Die Bedeutung für den Konzerninsolvenzgerichtsstand ..........153 2. Der Meinungsstand über den Gehalt der Vermutung ..............153 a) Vermutung .............................................................................154 b) Zweifelsregel ..........................................................................155 aa) Uneingeschränkte Amtsermittlungspflicht ................................155 bb) Eingeschränkte Amtsermittlungspflicht ...................................156 3. Auseinandersetzung................................................................157 a) Das Schweigen des Normgebers .................................................157 b) Der Gesamtverfahrenscharakter der Insolvenz ................................159 c) Das Schweigen des EuGH zu der Bedeutung der Vermutung .............160 d) Die Erkennbarkeit des satzungsmäßigen Sitzes ...............................161 4. Ergebnis .................................................................................162 IV. Zusammenfassung ......................................................................162

Inhaltsverzeichnis

XVII

§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz ...........................165 A. Grund und Gegenstand der weiteren Untersuchung ...........................165 B. Die Berichte zum Entwurf von 1980 und zum Istanbuler Übereinkommen ................................................................................167 I. Das Istanbuler Übereinkommen von 1990 ..................................167 II. Der Entwurf für ein Europäisches Insolvenzübereinkommen von 1980.....................................................................................168 III. Fazit ...........................................................................................170 C. Der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht..........170 I. Die mitgliedstaatlichen Gesellschaftskollisionsrechte ................170 II. Die allgemein anerkannte Anknüpfungsformel und ihre Anwendung in der Praxis............................................................171 III. Die Sitztheorie als Schutztheorie ................................................175 IV. Die effektive Umsetzung der grundlegenden Entscheidungen ....177 1. Der erste Schritt: Die Maßgeblichkeit der grundlegenden Entscheidungen ......................................................................177 2. Der zweite Schritt: Die effektive Umsetzung dieser Entscheidungen ............................................................178 V. Zusammenfassung ......................................................................180 D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz .................................................................................180 I. Identität zwischen Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz? ........................................................................181 1. Die Dominanz der Sitztheorie in den Anfängen des europäischen Insolvenzrechts ...........................................181 2. Die Anknüpfung an den satzungsmäßigen Sitz .......................182 a) Ein Kompromiss zwischen Sitz- und Gründungstheorie? ..................182 aa) Die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts unter der Gründungstheorie ..................................................183 bb) Die Ausführungen Lemonteys zum satzungsmäßigen Sitz ............184 b) Ein Zugeständnis an die eingeschränkte Bestimmbarkeit des effektiven Verwaltungssitzes? ...............................................185

3. Der unterschiedliche Wortlaut ................................................186 4. Die autonome Auslegung des Gemeinschaftsrechts ................187 II. Weitgehend gleiche Auslegung von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz?................................................187 1. Der wünschenswerte Gleichlauf von Gesellschaftsund Insolvenzstatut.................................................................188 a) Die uneinheitliche Qualifikation des Gläubigerschutzrechts ..............188 b) Die Auswirkungen der Niederlassungsfreiheit auf die Sitztheorie .......188 c) Das mitgliedstaatliche Gesellschaftskollisionsrecht .........................190 d) Fazit .....................................................................................192

XVIII

Inhaltsverzeichnis

2. Dieselbe ratio der Anknüpfungen?..........................................192 a) Der Gläubigerschutz als gemeinsames Anliegen .............................192 b) Die unterschiedliche Schutztechnik .............................................193 c) Die unterschiedliche Schutzrichtung ............................................194 d) Die unterschiedliche Schutzstärke ...............................................195 e) Fazit und Zwischenergebnis .......................................................197 E. Ergebnis ............................................................................................197 § 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO ..................199 A. Die Bilanz .........................................................................................199 B. Eigener Vorschlag .............................................................................200 I. Der Inhalt der Anknüpfungsformel .............................................200 II. Die Vorteile der hier vorgeschlagenen Anknüpfungsformel .......201 1. Die Erleichterung der Begründung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes ........................................................201 2. Der einheitliche Maßstab der Auslegung ................................202 3. Die Interessengerechtigkeit der einheitlichen Zuständigkeit bei Erkennbarkeit ...................................................................203 4. Die Wahrung des gesetzgeberischen Willens..........................204 5. Die Entschärfung des Entscheidungskriteriums „hauptsächlich“ ......................................................................205 C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage...............................................................................205 I. Der körperschaftliche Schwerpunkt am Ort der großen Richtlinien-Entscheidungen........................................................206 1. Die Farblosigkeit des Verwaltungsbegriffes ...........................206 2. Das international-privatrechtliche Prinzip der engsten Verbindung ..........................................................206 3. Das Handlungszentrum als engste Verbindung .......................207 4. Der erste Schritt des effektiven Verwaltungssitzes als Ausdruck des Handlungszentrums.....................................208 II. Die Irrelevanz der Umsetzung in laufende Geschäftsführungsakte (zweiter Schritt der Sitztheorie).............................210 1. Die Argumente für eine Identität des Verwaltungsortes mit dem effektiven Verwaltungssitz .......................................210 2. Auseinandersetzung................................................................210 a) Die Bildung grenzüberschreitender Konzerne als Motiv für den zweiten Schritt der Sitztheorie ..........................................210 b) Die vermeintliche Praxistauglichkeit der Übernahme des effektiven Verwaltungssitzes ................................................212 c) Die vermeintliche Erkennbarkeit des effektiven Verwaltungssitzes .....212 d) Die Prämisse der engsten Verbindung am effektiven Verwaltungssitz ......................................................................214

Inhaltsverzeichnis

XIX

e) Die Verhinderung von forum shopping .........................................216 3. Fazit .......................................................................................217 D. Die Indizien für den Konzerninsolvenzgerichtsstand .........................217 I. Die Indizien für die einheitliche Verwaltung ..............................218 1. Der Aufbau und die Organisation eines Konzerns ..................218 2. Der Auftritt als Konzern .........................................................218 II. Die Indizien für die Erkennbarkeit der einheitlichen Verwaltung.................................................................................219 1. Das Handelsregister und der Bundesanzeiger .........................219 2. Die Internetseiten der Gesellschaften .....................................219 3. Die Üblichkeit der Beteiligung an Vertragsverhandlungen .....220 E. Die Konsequenz: ein einheitlicher Gerichtsstand...............................221 I. Der weite Anwendungsbereich der Anknüpfungsformel.............221 II. Der Begriff des Konzerninsolvenzgerichtsstandes als Beschreibung eines Phänomens.............................................222 III. Die Irrelevanz einer konzernrechtlichen Verbindung..................223 1. Die Unvereinbarkeit eines konzernrechtlichen Elements mit der Einheitlichkeit der Auslegung ....................................223 2. Die vermeintliche Unangemessenheit des einheitlichen Gerichtsstandes.......................................................................224 a) Der Schutz des Vertrauens der Gläubiger ......................................224 b) Die Angemessenheit der Insolvenzrechtsordnung ...........................225 IV. Zusammenfassung ......................................................................225 F. Ergebnis ............................................................................................226

§ 7 Zusammenfassung............................................................................227

Literaturverzeichnis................................................................................233 Sachverzeichnis......................................................................................251

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis a.A. anderer Ansicht ABl. Amtsblatt ABlEG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ABlEU Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz a.E. am Ende AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AG Amtsgericht/Die Aktiengesellschaft AktG Aktiengesetz Anm. Anmerkung AO Abgabenordnung Art. Artikel BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BayObLGZ Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen BB Betriebs-Berater Bearb. Bearbeiter BFH Bundesfinanzhof BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BT-Drucks. Bundestags-Drucksache bzw. beziehungsweise DB Der Betrieb ders. derselbe dies. dieselbe(n) DStR Deutsches Steuerrecht DZWIR Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht ECFR European Company and Financial Law Review EG EG-Vertrag (in der Fassung seit dem Vertrag von Amsterdam) EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch EG-Dok. EG-Dokument EGInsO Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EheGVO Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1347/2000 Einl. Einleitung

XXII EuGH EuGVÜ

EuGVVO

EuInsÜ EuInsVO EWiR EWR EWS EuZW f./ff. FAZ Fn. FS GA GmbHG h.M. Hrsg. InsO IPRax JuS JZ KG KStG KTS LG lit. Ltd. m.w.N. NJW NJW-RR Nr. NZG NZI OGH OLG RabelsZ RGZ RIW Rn. Rs. S. Sec. Slg. u.a.

Abkürzungsverzeichnis Europäischer Gerichtshof Übereinkommen von Brüssel über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 1968 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäisches Übereinkommen über bestimmte internationale Aspekte des Konkurses Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Festschrift Generalanwalt Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung herrschende Meinung Herausgeber Insolvenzordnung Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts Juristische Schulung Juristen-Zeitung Kammergericht Körperschaftsteuergesetz Zeitschrift für Insolvenzrecht – Konkurs Treuhand Sanierung Landgericht (Deutschland)/Landesgericht (Österreich) litera Limited mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungs-Report Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht Oberster Gerichtshof (Österreichs) Oberlandesgericht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer Rechtssache Seite Section Sammlung und andere

Abkürzungsverzeichnis Unterabs. U.S. vgl. Vorb. WM z.B. ZEuP ZGR ZHR ZInsO ZIP ZVglRWiss ZZP

Unterabsatz United States vergleiche Vorbemerkung Wertpapier-Mitteilungen zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozeß

XXIII

§ 1 Einleitung § 1 Einleitung

A. Das Problem A. Das Problem

In Zeiten wirtschaftlicher Krisen haben Insolvenzen Hochkonjunktur. Die Hoffnung, große Konzerne wären dank ihrer Finanzkraft vor dem Bankrott gefeit, ist spätestens seit der Finanzkrise Makulatur.1 Schwierig zu bewältigen sind Insolvenzen verbundener Gesellschaften nicht nur wegen ihres wirtschaftlichen Ausmaßes, sondern auch wegen ihrer Internationalität, die auf die Globalisierung wirtschaftlicher Tätigkeit und das Zusammenwachsen des europäischen Binnenmarktes zurückzuführen ist. So ermöglichen die mit der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit gewonnene Rechtsformwahlfreiheit2 und verschiedene Sekundärrechtsakte wie die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung3 Gesellschaftsgründern und bereits bestehenden Gesellschaften grundsätzlich, für ihr Unternehmen eine beliebige der zahlreichen mitgliedstaatlichen Rechtsformen zu wählen, ohne Rücksicht darauf nehmen zu müssen, ob ein Bezug zu der Rechtsordnung besteht, deren Gesellschaftsform genutzt wird. Die gemeinschaftsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit gestattet es den Unternehmen, ihre Vermögen gemeinschaftsweit zu streuen. Und je enger Europa zusammenwächst, desto häufiger werden auch Gläubiger verschiedener Nationalitäten an dem Insolvenzverfahren ein und desselben Unternehmens beteiligt sein. Die zahlreichen Probleme einer internationalen Insolvenz rühren darüber hinaus auch aus dem Gegenstand des Insolvenzrechts her, das das gesamte Privatrecht durchdringt. Die öffentlich-rechtliche Natur des Insolvenzrechts wirft weiter die Frage auf, ob sein Geltungsbereich auf das 1 Ob diese in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gehegte Hoffnung jemals berechtigt war, erscheint fragwürdig; Vallender, in: FS Runkel, S. 373. Vgl. weiter auch die großen Namen der Konzerne, die bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts insolvent wurden, bei Haas, in: Gottwald, InsRHdb, § 91 Rn. 3; dort auch zu der Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland (Rn. 1–3) und Westeuropa (Rn. 4–8). 2 Vgl. Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, Köln 2004. 3 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABlEU Nr. L 310 vom 25.11.2005, S. 1.

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§ 1 Einleitung

Territorium des Staates beschränkt ist, dessen Gesetzgebungsorgane es verabschiedet haben, oder ob es über diese Grenzen hinaus wirkt. Der Gesamtverfahrenscharakter der Insolvenz legt es nahe, das gesamte Vermögen eines Schuldners und sämtliche seine Gläubiger in einem einzigen Verfahren zu erfassen. Doch wie verträgt sich dies mit dem Geltungsanspruch anderer Rechtsordnungen, die ebenfalls von der Insolvenz der Gesellschaft betroffen sind? Welches Gericht ist international zuständig? Soll das Insolvenzgericht verschiedene Rechtsordnungen parallel anwenden? Wodurch sollten die Gläubiger gehindert sein, in anderen Staaten ebenfalls ein Insolvenzverfahren eröffnen zu lassen? Und wie wäre der Konflikt zwischen mehreren Insolvenzverfahren zu lösen? Im ungünstigsten Fall eröffnet jeder Staat sein eigenes Insolvenzverfahren, dessen Geltung auf sein Territorium beschränkt bleibt.

B. Der rechtliche Rahmen B. Der rechtliche Rahmen

Die mit der Verfahrens- und Rechtsvielfalt verbundene Beeinträchtigung des europäischen Binnenmarktes wurde bereits zu Beginn der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erkannt.4 Mehrere Versuche, das Problem über ein völkervertragliches Übereinkommen zu lösen, kamen jedoch entweder nicht über das Stadium von Entwürfen hinaus oder scheiterten an politischen Ränkespielen: Auf eine Note der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 22. Oktober 19595 hin beschloss der Ausschuss der ständigen Vertreter der damaligen Vertragsstaaten am 8. Februar 1960, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen wegen der vielschichtigen Probleme in einem besonderen Übereinkommen zu regeln.6 Die daraufhin eingerichtete Arbeitsgruppe für das Konkursrecht erarbeitete den Vorentwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren vom 16. Februar 1970.7 Im Jahre 1980 wurde ein nur geringfügig überarbeiteter Entwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren erstellt,8 der von

4

Böhle-Stamschräder, KTS 1964, 65 (66); vgl. zur Geschichte des europäischen Insolvenzrechts statt vieler Virgós/Schmit, Nr. 1–5; Keggenhoff, S. 5–16; Pannen/Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Einleitung Rn. 1–13. 5 Vgl. Großfeld, ZIP 1981, 925 (927). 6 Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (319). 7 EG-Dok.-3327/XIV/1/70-D, abgedruckt bei Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 3 ff. 8 EG-Dok.-III/D/72/80-DE, abgedruckt bei Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 45 ff.

B. Der rechtliche Rahmen

3

einem ausführlichen Bericht9 begleitet wurde. Der auf dieser Grundlage entwickelte Revidierte Entwurf eines Übereinkommens der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren aus dem Sommer 198410 fand jedoch nicht die Zustimmung aller Vertragsstaaten. Vielmehr wurde im März 1986 beschlossen, das Projekt bis auf Weiteres ruhen zu lassen.11 Die im Jahre 1989 wieder aufgenommenen Arbeiten führten dann zu dem Europäischen Insolvenzübereinkommen vom 23. November 1995 (EuInsÜ).12 Für die hier interessierende Anknüpfung der internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Interessenmittelpunkt des Schuldners konnte es auf eine vergleichbare Regelung in dem sogenannten Istanbuler Übereinkommen13 aus dem Jahre 1990 zurückgreifen, das von dem Europarat initiiert, jedoch nicht von der erforderlichen Zahl an Vertragsstaaten ratifiziert worden war.14 Die Ratifizierung des EuInsÜ wiederum scheiterte an politischen Animositäten im Zusammenhang mit dem Importverbot für britisches Rindfleisch während der BSE-Krise und einem Streit über den Status Gibraltars.15 Erst mit dem Beginn des neuen Jahrtausends und unter dem durch den Vertrag von Amsterdam16 geänderten konstitutionellen Rahmen der Europäischen Union gelang es, das EuInsÜ inhaltlich nahe-

9

Bericht über das Übereinkommen über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren von Jacques Lemontey, abgedruckt bei Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 ff.; kritisch hierzu: Thieme, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 213 (259 bis 261). 10 Abgedruckt bei Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 417 ff.; vgl. hierzu Thieme, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 465 ff. 11 Thieme, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 465 (476); Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (321). 12 Abgedruckt bei Stoll, Vorschläge und Gutachten, S. 3 ff. 13 Europäisches Übereinkommen über bestimmte internationale Aspekte des Konkurses vom 5. Juni 1990. Der Text kann unter http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/ Html/136.htm abgerufen werden (9.6.2012). Der englische Text ist zugänglich unter http://conventions.coe.int/treaty/en/Treaties/Html/136.htm (9.6.2012). Der Bericht findet sich – in englischer Fassung – unter http://conventions.coe.int/treaty/en/Reports/Html/ 136.htm (9.6.2012). 14 Es wurde zwar von acht Staaten unterzeichnet, aber lediglich von Zypern und somit nicht, wie erforderlich, von mindestens drei Staaten ratifiziert. Seit dem Inkrafttreten der EuInsVO gilt es als überholt; vgl. Rossbach, S. 13; Spahlinger, S. 231. 15 Vgl. statt vieler Pannen/Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Einleitung Rn. 10 m.w.N. 16 Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl. Nr. C 340 vom 10.11.1997, S. 308.

4

§ 1 Einleitung

zu unverändert als Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO)17 nach Art. 249 EG (nunmehr Art. 288 AEUV) zu verabschieden. Das Konzept der EuInsVO besteht im Kern darin, grundsätzlich nur ein einziges Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Schuldners zuzulassen. Dieses unterliegt dem Recht des Verfahrensstaates, erstreckt sich in seinen Wirkungen auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet und ist von den Gerichten der anderen Mitgliedstaaten zu respektieren. Zum Dreh- und Angelpunkt und zur Gretchenfrage des europäischen Insolvenzrechts wurde die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Sie richtet sich nach dem in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO verankerten Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen oder auch „centre of main interests“ (COMI) des Schuldners und ist der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Die EuInsVO ist ein Meilenstein für den europäischen Binnenmarkt. Wesentliche Elemente ihrer Konzeption und insbesondere auch der Begriff des Interessenmittelpunktes finden sich darüber hinaus auch in dem UNCITRAL-Modellgesetz für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren wieder,18 das bereits von zahlreichen Staaten adaptiert worden ist19 und dem Interessenmittelpunkt auch über die Grenzen des europäischen Binnenmarktes hinaus Bedeutung verschafft. Der „Sündenfall“ der EuInsVO, der zugleich den Anlass für die vorliegende Untersuchung bildet, besteht jedoch darin, dass sie keine besonderen Regelungen für Konzerninsolvenzen vorsieht und somit ausgerechnet dem Prototypen20 der grenzüberschreitenden Insolvenz keine Aufmerksamkeit schenkt. Unter dem Regime der EuInsVO besteht vielmehr ein unkoordiniertes Nebeneinander der Insolvenzverfahren verbundener Unternehmen, das in der Praxis zu der internationalen Zuständigkeit unterschiedlicher Gerichte, der Bestellung zahlreicher Insolvenzverwalter sowie insgesamt zu Reibungsverlusten und hohen Transaktionskosten führt. Die sich aufdrängende und weiterhin weitgehend ungeklärte Frage lautet daher, ob und unter welchen Voraussetzungen der Interessenmittelpunkt verbundener Unternehmen identisch ist, so dass ihre Insolvenzverfahren vor den Gerichten desselben Staates eröffnet werden können. Die Auseinandersetzung in der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft um die vorzugswürdige Auslegung des In17

Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, ABlEU Nr. L 160 vom 30.6.2000, S. 1. Zu den Abweichungen gegenüber dem EuInsÜ, vgl. Wimmer, ZInsO 2001, 97 (98 f.). 18 Abgedruckt in ZIP 1997, 2224 ff. Der englische Text ist unter www.uncitral.org/ pdf/english/texts/insolven/insolvency-e.pdf abrufbar (9.6.2012). 19 Vgl. www.uncitral.org/uncitral/en/uncitral_texts/insolvency/1997Model_status.html (9.6.2012) sowie ausführlich für die USA: Rüfner, ZIP 2005, 1859. 20 Paulus, EWiR 2004, 493 (494); Mankowski, NZI 2004, 450 (452); Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 1 Rn. 133; ähnlich Oberhammer, KTS 2009, 27 (63).

C. Das Ziel und der Gang der Untersuchung

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teressenmittelpunktes begann schon kurz nach dem Inkrafttreten der EuInsVO.21 Erledigt hat sie sich bis heute nicht. Insbesondere hat das Urteil in der Rechtssache Eurofood IFSC Ltd. (kurz: Eurofood),22 in dem der EuGH sich zu der Auslegung des Interessenmittelpunktes bei einer Gesellschaftsinsolvenz äußern konnte, nicht die erhoffte Klärung gebracht. Auch die jüngeren Entscheidungen des EuGH bieten keine klare Leitlinie.23

C. Das Ziel und der Gang der Untersuchung C. Das Ziel und der Gang der Untersuchung

I. Das Ziel der Untersuchung Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, die Voraussetzungen zu konkretisieren, unter denen ein Gericht für die Eröffnung über das Insolvenzverfahren eines verbundenen Unternehmens international zuständig ist. Das Schweigen der EuInsVO zu Konzerninsolvenzen zwingt zwar zu einem rein schuldnerbezogenen Ansatz, der die wirtschaftliche Verbundenheit von Gesellschaften grundsätzlich außer Acht zu lassen hat. Doch soll andererseits gerade dem häufig auftretenden Phänomen der Konzernierung Tribut gezollt werden. Die Gratwanderung zwischen der an den Interessen des Rechtsverkehrs orientierten Auslegung des Interessenmittelpunktes und dem Bedürfnis für einen einheitlichen Gerichtsstand für verbundene Unternehmen wird letztlich zu einem Plädoyer für einen einheitlichen Gerichtsstand führen, der jedoch anderen Voraussetzungen als denen der Konzernierung unterliegt. II. Der Gang der Untersuchung In einem ersten Teil sind die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes und das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand zu untersuchen. Erst wenn klar ist, wie wichtig der Interessenmittelpunkt für die Bewältigung der Insolvenz ist, kann beurteilt werden, ob es einen einheitlichen Insolvenzgerichtsstand für verbundene Gesellschaften geben sollte. Dazu ist es erforderlich, die Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes darzustellen (§ 2). Besondere Aufmerksamkeit verdient insoweit die „automa-

21

Hiermit angesprochen ist die Insolvenz der Enron Directo Sociedad Limitada; vgl. hierzu Braun, NZI 2004, Heft 1, V, sowie Diederichsen/Kömpf, Comp. Law Yearbook of Int. Bus. 2005, 235 (239 f.). 22 EuGH Slg. 2006, I-3813 = ZIP 2006, 907 = NZI 2006, 360 – Eurofood; vgl. hierzu näher § 3 D III 2 sowie § 4 B II 1 d). 23 EuGH ZIP 2011, 2153 = NZI 2011, 990 mit kritischer Anm. Mankowski – Interedil; EuGH NZG 2012, 150 – Rastelli Davide./.Hidoux.

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§ 1 Einleitung

tische Anerkennung“24 der Eröffnungsentscheidung, die dem Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten gewissermaßen europäische Rechtskraft verleiht (§ 2 C.). Anschließend ist zu klären, ob ein Konzerninsolvenzgerichtsstand grundsätzlich sinnvoll und unter dem Regime der Verordnung – auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eurofood – überhaupt zulässig und erforderlich ist (§ 3). In einem zweiten Teil wird untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Konzerninsolvenzgerichtsstand unter dem Regime der EuInsVO existiert. Dazu werden der Interessenmittelpunkt und die zu ihm vertretenen Ansichten analysiert (§ 4). Gesondert untersucht werden anschließend der historische Kontext der Verordnung und die Rechtslage im europäischen Gesellschaftskollisionsrecht (§ 5), weil eine Identität des Interessenmittelpunktes mit dem effektiven Verwaltungssitz des europäischen Gesellschaftskollisionsrechts naheliegt. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, wird ein vermittelnder Ansatz vorgestellt, der einen einheitlichen Gerichtsstand ermöglicht, ohne den Erkenntnissen zur Auslegung des Interessenmittelpunktes zuwiderzulaufen (§ 6). Abschließend werden die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse in Thesen zusammengefasst (§ 7).

24 Der Begriff der automatischen Anerkennung bezeichnet die Anerkennung von Rechts wegen. Der Begriff der „automatischen“ Anerkennung erscheint zwar aus sprachlicher Sicht fragwürdig und wird auch nicht in dem Normtext der EuInsVO genannt. Doch wird er in den Erwägungsgründen (22) und (24) der EuInsVO und in weiten Teilen der rechtswissenschaftlichen Diskussion verwendet, weshalb auf ihn auch im Folgenden zurückgegriffen wird.

§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes § 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

A. Einführung A. Einführung

Die herausragende Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes erschließt sich erst, wenn man sich seine zentrale Funktion in der EuInsVO vergegenwärtigt. Rechtssubjekte sind regelmäßig auch Schuldner. Werden sie insolvent, wird über ihr Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet, das – je nach dem Ziel des Verfahrens – zur Sanierung des Schuldners oder zu einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger führen soll. Die rechtlichen Beziehungen eines Schuldners beschränken sich jedoch selten auf das Gebiet nur eines Staates. In welchem Staat darf, soll oder muss das Verfahren dann eröffnet werden? Welches Recht wird angewendet und wie weit reicht es in territorialer Hinsicht? Dürfen mehrere Verfahren eröffnet werden und wie werden sie koordiniert? Ohne eine staatenübergreifende Regelung könnten die Gerichte jedes der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu berufen sein, das Insolvenzverfahren zu eröffnen, nur weil z.B. der Schuldner in ihrem Staatsgebiet einen Regenschirm hat liegen lassen oder ein Gläubiger dort seinen Urlaub verbringt. Selbst wenn die einzelnen Verfahren sich in ihren insolvenzrechtlichen Wirkungen auf das Vermögen beschränkten, das sich im Staat der jeweiligen Verfahrenseröffnung befindet, blieben eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger oder eine Sanierung des Schuldners unerreichbar, weil das Vermögen des Schuldners nach seiner Belegenheit aufgeteilt würde. Ein findiger Schuldner könnte die territoriale Beschränkung der Wirkungen der Insolvenzverfahren und ihre fehlende Koordination gar dazu missbrauchen, den Großteil seines Vermögens vor der Verfahrenseröffnung in eine ihm günstige Jurisdiktion zu verbringen (forum shopping) und dadurch dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen. Die Europäische Insolvenzverordnung soll diesen Missstand beenden und für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes sorgen,1 indem sie die Wirksamkeit und Effizienz grenzüberschreitender Insolvenzverfah-

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Erwägungsgrund (2).

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

ren verbessert2 und forum shopping verhindert.3 Unter dem Regime der Verordnung gibt es daher grundsätzlich nur ein einziges Insolvenzverfahren über das Vermögen desselben Schuldners. Es kann ausschließlich in dem Staat eröffnet werden, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat.4 Dieses „Hauptinsolvenzverfahren“5 unterliegt dem Insolvenzrecht des Staates der Verfahrenseröffnung,6 erstreckt sich in seinen Wirkungen auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet und wird in allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt.7 Dreh- und Angelpunkt der Verordnung ist daher die internationale Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, deren rechtliche Bedeutung im Folgenden näher dargestellt wird.

B. Die Verknüpfung von Zuständigkeit und Insolvenzrecht B. Die Verknüpfung von Zuständigkeit und Insolvenzrecht

Die Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes zeigt sich bereits in der Verknüpfung der internationalen Zuständigkeit8 mit dem anwendbaren Insolvenzrecht. Anders als ihr Name vermuten lässt, vereinheitlicht die EuInsVO nicht die Insolvenzsachrechte der einzelnen Mitgliedstaaten.9 Ein solcher Rechtsakt scheiterte schon an den noch zu großen Unterschieden zwischen den nationalen Insolvenzrechten10 und wäre auch nicht mit dem Subsidiari-

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Erwägungsgrund (8). Erwägungsgrund (4). 4 Erwägungsgrund (12); Virgós/Schmit, Nr. 15. 5 Näher dazu unter § 2 C II. 6 Vgl. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO. 7 Vgl. Art. 16 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 EuInsVO sowie zur automatischen Anerkennung ausführlich unten § 2 C II. Ausgenommen vom Anwendungsbereich der Verordnung ist lediglich Dänemark, das sich ebenso wie das Vereinigte Königreich und Irland auf der Grundlage von Art. 69 EG die Anwendbarkeit von Rechtsakten, die wie die EuInsVO auf dem Vierten Titel des EG beruhen, vorbehalten und sich anders als die beiden Letztgenannten in dem entsprechenden Protokoll nicht für eine Anwendbarkeit der EuInsVO entschieden hat; vgl. die Erwägungsgründe (32) und (33). Der Vertrag von Lissabon bietet Dänemark jedoch die Möglichkeit, sich sinngemäß für die opt in-Regelung zu entscheiden, die schon bislang für das Vereinigte Königreich und Irland galt; vgl. Art. 7 des Protokolls Nr. 22 (über die Position Dänemarks) zum Vertrag von Lissabon in Verbindung mit dem Anhang zu diesem Protokoll, ABlEU Nr. C 115 vom 9.5.2008, S. 299; ebenso Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1 (25). 8 Die örtliche Zuständigkeit zu regeln, bleibt hingegen dem nationalen Recht überlassen; Erwägungsgrund (15). 9 Huber, ZZP 114 (2001), 133 (136); ders., in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 1 Rn. 15; Vogler, S. 77. 10 Erwägungsgrund (11); Gottwald, S. 14 (zum EuInsÜ); Martini, ZInsO 2002, 905 (906). 3

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täts-11 und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip12 aus Art. 5 Abs. 2 und 3 EG (nunmehr Art. 5 EU) vereinbar gewesen. Sinn und Zweck der Verordnung ist es vielmehr lediglich, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen,13 für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes zu sorgen,14 forum shopping zu verhindern15 sowie die Effizienz und Wirksamkeit grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu verbessern.16 I. Vereinheitlichtes Kollisionsrecht Die EuInsVO enthält daher kaum unmittelbar geltendes Sachrecht,17 sondern in erster Linie Kollisionsrecht. Welches nationale Insolvenzrecht zur Anwendung kommt, ergibt sich aus den Art. 4 ff. EuInsVO. Nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen grundsätzlich das Insolvenzrecht des Mitgliedstaates, in dem das Verfahren eröffnet wird. Maßgeblich ist somit die lex fori concursus, ohne dass zwischen materiell- und verfahrensrechtlichen Fragen unterschieden wird.18 1. Grundsatz der lex fori concursus Zu einem effizienten grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren kann die Verweisung in Art. 4 Abs. 1 EuInsVO nur führen, weil sie entgegen dem international-privatrechtlichen Grundsatz aus Art. 3a Abs. 1 EGBGB keine Gesamt-, sondern eine Sachnormverweisung ist.19 Weiterverweisungen auf das Recht anderer Staaten sind deshalb ausgeschlossen. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO, der das Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates für anwendbar erklärt,20 und aus dem Erläuternden 11 Erwägungsgrund (5); Smid, in: FS Geimer, S. 1215 (1218); Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky, Vorbemerkung zur EuInsVO Rn. 24. 12 Erwägungsgrund (6); Becker, ZEuP 2002, 287 (289); Smid, DZWIR 2004, 397 (399). 13 Erwägungsgrund (1). 14 Erwägungsgrund (2). 15 Erwägungsgrund (4). 16 Erwägungsgrund (8). 17 Dazu sogleich unter § 2 B II. 18 Erwägungsgrund (23); Virgós/Schmit, Nr. 90; Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 4 Rn. 1 und 7; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (550); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1615); Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 4 Rn. 9 m.w.N. 19 Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 4 Rn. 2; Herchen, S. 198; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (151); ders., EuZW 2002, 490 (492); MünchKommBGB/Kindler, Art. 4 EuInsVO Rn. 1; Kolmann, S. 275; Morscher, S. 29; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (329); Virgós, Insider’s View, Nr. 33. 20 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 4 Rn. 2; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (549); Haas, in: FS Gerhardt, S. 319 (325); Smid, Dt. und Eur. Int. InsR, Art. 4 EuInsVO Rn. 1.

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Bericht zum EuInsÜ,21 der hierunter das innerstaatliche Recht mit Ausnahme der Vorschriften seines Internationalen Privatrechts versteht.22 Das anwendbare Recht folgt mithin der internationalen Zuständigkeit. Handelte es sich bei Art. 4 EuInsVO hingegen um eine Gesamtverweisung, wären Rück- und Weiterverweisungen möglich. Der innereuropäische Entscheidungseinklang23 und die Ziele der Verordnung, für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes sowie für effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu sorgen,24 könnten dann kaum erreicht werden. 2. Regelungsumfang der lex fori concursus Wie weit der Anwendungsbereich der lex fori concursus reicht, zeigt der nicht abschließende25 Katalog des Art. 4 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO, der der Erleichterung der Auslegung26 und der Abgrenzung zu anderen Statuten dient.27 Er verdeutlicht, wie bedeutend die Eröffnungsentscheidung für das anwendbare Recht ist. Das Insolvenzstatut ist unter anderem maßgeblich für die Insolvenzfähigkeit des Schuldners (lit. a), für die Zugehörigkeit von Gegenständen zur Masse (lit. b), für die Befugnisse des Schuldners und des Verwalters (lit. c) sowie für die Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Aufrechnung28 (lit. d). Es regelt, wie sich die Verfahrenseröffnung auf laufende Verträge (lit. e) und auf noch nicht anhängige Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt (lit. f). Die lex fori concursus bestimmt weiter, welche Forderungen als Insolvenzforderungen an21 Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren von Miguel Virgós und Etienne Schmit, abgedruckt in: Stoll, Vorschläge und Gutachten, S. 32 ff.; im Folgenden auch kurz der „Erläuternde Bericht“. Der Erläuternde Bericht zum EuInsÜ ist als bedeutende Interpretationshilfe für die EuInsVO weitgehend anerkannt; vgl. MünchKommBGB/Kindler, Vor Art. 1 EuInsVO Rn. 13; Deyda, S. 33; Wimmer, ZInsO 2001, 97 (97 f.); ders., ZInsO 2005, 119 (121); Schmiedeknecht, S. 101; Vallender, KTS 2005, 283 (288 mit Fn. 31); Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Einleitung Rn. 42 m.w.N.; a.A. Bezelgues, S. 124. 22 Virgós/Schmit, Nr. 87. 23 Haas, in: FS Gerhardt, S. 319 (325); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (550). 24 Erwägungsgründe (2) und (8). 25 Vgl. „insbesondere“ in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO; Becker, ZEuP 2002, 287 (304); Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 4 Rn. 9; MünchKommBGB/ Kindler, Art. 4 EuInsVO Rn. 14; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 4 Rn. 12. 26 Virgós/Schmit, Nr. 91; Virgós, Insider’s View, Nr. 35; Haß/Herweg, in: Geimer/ Schütze, EuInsVO, Art. 4 Rn. 9; Virgós/Garcimartín, Nr. 121. 27 Kolmann, S. 275 f. 28 Streitig ist, ob damit nur die verfahrensrechtliche Zulässigkeit der Aufrechnung im Insolvenzverfahren oder auch die materiellen Voraussetzungen einer Aufrechnungsmöglichkeit gemeint sind; vgl. MünchKommBGB/Kindler, Art. 4 EuInsVO Rn. 22–28; Haß/ Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 4 Rn. 30–32.

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zumelden und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Verfahrenseröffnung entstehen (lit. g). Sie ist maßgeblich für die Anmeldung, Prüfung und Feststellung der Forderungen (lit. h) und entscheidet über die Verteilung des Erlöses, den Rang der Forderungen, die Rechte bestimmter Gläubiger (lit. i) sowie darüber, welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen (lit. m). Das Insolvenzstatut regelt die Voraussetzungen und Wirkungen der Verfahrensbeendigung (lit. j) sowie die Rechte der Gläubiger nach Verfahrensbeendigung (lit. k). Schließlich ist es auch für die Kostenlast maßgeblich (lit. l). Die Auflistung in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO kann nur einen oberflächlichen Eindruck davon vermitteln, welche Sachverhalte dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung unterliegen. Über die dort genannten Tatbestände hinaus regelt die lex fori concursus insbesondere auch, unter welchen Voraussetzungen ein Insolvenzverfahren zu eröffnen und wer befugt ist, die Eröffnung zu beantragen.29 Sie ist grundsätzlich maßgeblich für das Insolvenzeröffnungsverfahren,30 für die Rechtsmittel gegen die Eröffnungsentscheidung31 und für die Verfahrensgrundsätze des Insolvenzgerichts.32 Auch unterliegen ihr die Bestellung33 und die Haftung34 des Insolvenzverwalters. Die lex fori concursus regelt kurzum grundsätzlich, wie das Insolvenzverfahren zu eröffnen, durchzuführen und zu beenden ist, Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO. 3. Sonderanknüpfungen Ausnahmen von dem Grundsatz der lex fori concursus sieht die EuInsVO zwar insoweit vor, als sie dingliche Rechte Dritter (Art. 5), die Aufrechnungsbefugnis des Gläubigers (Art. 6) und den Eigentumsvorbehalt (Art. 7) nach näherer Maßgabe der genannten Bestimmungen von den Wirkungen der lex fori concursus unberührt lässt.35 Sonderanknüpfungen gibt es dar29

Virgós/Schmit, Nr. 90. EuGH ZIP 2006, 907 (909 f.), Nr. 51 – Eurofood; Eidenmüller, in: Eidenmüller, § 9 Rn. 9; einschränkend: Kourouvani, S. 104 f. 31 Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (561), der hierin einen Mangel der EuInsVO sieht; Schwerdtfeger/Schilling, DZWIR 2005, 370. 32 Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457). Dass die internationale Zuständigkeit von Amts wegen zu ermitteln ist, folgt dagegen richtigerweise schon unmittelbar aus der EuInsVO; vgl. ausführlich unten § 4 B III. 33 Virgós/Schmit, Nr. 90. 34 Paulus, ZIP 2002, 729 (734); Rossbach, S. 212; Virgós/Garcimartín, Nr. 123; zweifelnd: Heiderhoff, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 31 Rn. 9 m.w.N. zu beiden Ansichten. 35 Die entsprechenden Rechtshandlungen können nach Art. 5 Abs. 4, Art. 6 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 3 jeweils in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 lit. m) gleichwohl nichtig, an30

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über hinaus für Verträge über unbewegliches Vermögen (Art. 8), für kapitalmarktrechtliche Abwicklungs- und Zahlungssysteme (Art. 9), für Arbeitsverträge (Art. 10) und für bestimmte eintragungspflichtige Rechte des Schuldners (Art. 11) sowie – wenn auch nur für bestimmte Gegenstände und nur bei Entgeltlichkeit – für den Schutz des Dritterwerbers (Art. 14). Eine Sonderanknüpfung für das Verfahrensrecht enthält weiter Art. 15 EuInsVO, nach dem für eine Rechtsstreitigkeit, die bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anhängig war, das Recht ihres Verfahrensstaates anwendbar bleibt. Bei Art. 13 EuInsVO handelt es sich endlich um eine Art von Einrede,36 nach der die Nichtigkeit, Anfechtbarkeit und relative Unwirksamkeit von Handlungen, die die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen, ausnahmsweise und entgegen Art. 4 Abs. 2 lit. m) EuInsVO nicht der lex fori concursus unterliegen. Viele dieser Ausnahmen von dem Grundsatz, nach dem die Wirkungen des Insolvenzverfahrens dem Recht des Verfahrensstaates unterliegen, mögen regelmäßig eingreifen und den Anwendungsbereich der lex fori concursus einschränken. Sie ändern jedoch nichts daran, dass der in Art. 4 EuInsVO niedergelegte Grundsatz weiterhin ein echter Grundsatz ist, der nur ausnahmsweise durchbrochen wird. Die Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes vermögen die Sonderanknüpfungen nicht wesentlich zu schmälern.37 Festhalten lässt sich daher: Anwendbar ist nach Art. 4 EuInsVO das Insolvenzrecht des Staates, der für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens international zuständig ist. II. Vereinheitlichtes Sachrecht Die Europäische Insolvenzverordnung beschränkt sich nicht darauf, das Insolvenzkollisionsrecht der Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen, sondern schafft auch einheitlich geltendes Sachrecht. Doch tut sie dies nur, soweit dies von der Ermächtigungsgrundlage aus Art. 61 lit. c), Art. 65 lit. a) dritter Spiegelstrich EG (nunmehr Art. 81 Abs. 1 und 2 AEUV) gedeckt und zur Erreichung ihrer Ziele erforderlich ist. Insolvenzsachrechtliche Vorschriften finden sich daher nur vereinzelt. So definiert die Verordnung in ihrem Art. 2 zahlreiche Begriffe und schützt über ihren Art. 24 den Gläubiger in seinem Vertrauen auf die befreiende Wirkung einer Leistung an den Schuldner, sofern jenem die Er-

fechtbar oder relativ unwirksam sein, wenn die lex fori concursus dies vorsieht und sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. 36 Näher dazu Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 13 Rn. 13 ff.; Prager/ Keller, NZI 2011, 697 ff. 37 Gottwald, S. 31; wohl auch Weller, IPRax 2004, 412 (414).

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öffnung des Insolvenzverfahrens nicht bekannt war.38 Den in Art. 20 Abs. 2 EuInsVO verankerten Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung wahrt sie unter anderem, indem sie dem Insolvenzverwalter einen von dem nationalen Insolvenzrecht unabhängigen und somit autonomen39 Anspruch auf Herausgabe dessen gibt, was ein Gläubiger nach der Verfahrenseröffnung erlangt hat.40 Weitaus zahlreicher sind die insolvenzverfahrensrechtlichen Regelungen der Verordnung. Zu ihnen gehören neben der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 EuInsVO das Kapitel II der Verordnung (Art. 16–26) über die Anerkennung von Insolvenzverfahren,41 das Kapitel III (Art. 27– 38) über sogenannte Sekundärinsolvenzverfahren42 und das Kapitel IV (Art. 39–42) über die Unterrichtung der Gläubiger und die Anmeldung ihrer Forderungen. III. Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in einer grenzüberschreitenden Insolvenz das anwendbare Insolvenzrecht der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO unterliegt, weil die Verordnung diese Kollisionsregel in Art. 4 Abs. 1 EuInsVO aufstellt, selbst kaum unmittelbar geltendes Insolvenzsachrecht schafft und Ausnahmen von dem Grundsatz der lex fori concursus nur in beschränktem Maße vorsieht. Besonderes Augenmerk verdienen die autonomen Regelungen der Verordnung zum Insolvenzverfahrensrecht, die den Grundsatz der lex fori concursus zwar teilweise einschränken (dazu C. III.), die Bedeutung des Gerichtsstandes vor allem aber erheblich stärken (dazu C. II.) und deshalb im Folgenden näher untersucht werden.

38 Erwähnenswert ist darüber hinaus Art. 12 EuInsVO, nach dem gewerbliche Schutzrechte mit gemeinschaftsweiter Geltung nur in ein Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO einbezogen werden können. Zur Bedeutung des Hauptinsolvenzverfahrens, siehe unten § 2 C. 39 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 20 Rn. 20 a.E.; Gruber, in: Geimer/ Schütze, EuInsVO, Art. 20 Rn. 6 m.w.N. 40 Das Recht des Insolvenzverwalters aus Art. 18 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO, Gegenstände in den Verfahrensstaat schaffen zu lassen, ist dagegen nur deklaratorischer Natur, weil es sich bereits aus dem Zusammenspiel der Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 4, 16 und 17 ergibt; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 18 Rn. 9; Gruber, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 18 Rn. 3. 41 Dazu sogleich unter § 2 C II. 42 Näher dazu unter § 2 C III.

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

C. Universalität und Verfahrenseinheit C. Universalität und Verfahrenseinheit

Von immenser Bedeutung ist die Anknüpfung des Insolvenzrechts an das Recht des Verfahrensstaates vor allem deshalb, weil sich die Wirkungen der lex fori concursus auf das gesamte Gebiet erstrecken, in dem die Verordnung anwendbar ist (dazu I.). Würden trotz dieser „Universalität“ mehrere Insolvenzverfahren eröffnet, käme es unausweichlich zu Konflikten. Unter dem Regime der Europäischen Insolvenzverordnung gibt es daher über das Vermögen eines Schuldners grundsätzlich nur ein einziges und von Rechts wegen in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennendes Insolvenzverfahren (dazu II.). Dieses „Hauptinsolvenzverfahren“ kann nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nur in dem Staat eröffnet werden, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat.43 Ausnahmen von der universellen Geltung der lex fori concursus und dem Grundsatz der Verfahrenseinheit sind nur in begrenztem Umfang vorgesehen (dazu III.) I. Das Universalitätsprinzip 1. Vom Territorialitäts- zum Universalitätsprinzip Aus dem hoheitlichen Charakter44 der Verfahrenseröffnung wurde früher der Schluss gezogen, dass das Insolvenzverfahren nur das Vermögen des Schuldners erfasst, das sich in dem Gebiet der Verfahrenseröffnung befindet.45 Diese territoriale Beschränkung ermöglicht es Schuldnern, ihr Vermögen vor der Verfahrenseröffnung zu großen Teilen in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates zu schaffen und auf diese Weise der Verwertung zu entziehen.46 Die Gläubiger müssen ihrem Schuldner „hinterherlaufen“ und in jedem Staat, in dem sich Vermögen des Schuldners befindet, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen. Das ist nicht nur mühsam und teuer.47 Verteilt der Schuldner sein Vermögen geschickt, kann das Insolvenzverfahren mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Insolvenzmasse schlimmstenfalls in keinem Staat eröffnet werden, weil der Bewertungsmaßstab für den Eröffnungsgrund bei einer territorialen Beschränkung des Verfahrens auch nur das Vermögen sein kann, das sich auf dem Territorium des Verfahrensstaates befindet.48 Aber selbst wenn es den 43

Erwägungsgrund (12). Flessner, in: FS Heinsius, S. 111 (112); Spahlinger, S. 48; Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221 (223); Kolmann, S. 7; ausführlich zu den Argumenten für und gegen das Territorialitätsprinzip: Aderhold, S. 43–63; ferner Wimmer, ZIP 1998, 982 (983 f.). 45 Carstens, S. 8; Kolmann, S. 7. 46 Carstens, S. 8. 47 Ehricke, in: Aufbruch nach Europa, S. 337 (341); Torz, S. 34. 48 Carstens, S. 9 m.w.N. 44

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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Gläubigern gelänge, in allen Staaten, in denen sich Vermögen des Schuldners befindet, Insolvenzverfahren eröffnen zu lassen, führten die Unterschiede zwischen den nationalen Insolvenzrechten und die fehlende Abstimmung49 zwischen den zahlreichen Verfahren dazu, dass lokale Gläubigergruppen je nach der Belegenheit des schuldnerischen Vermögens Vor- oder Nachteile hätten. Die Folge wäre eine ungerechte, weil ungleichmäßige Gläubigerbefriedigung.50 In dem Rechtsraum der Europäischen Union dürfte die prinzipielle territoriale Beschränkung des Insolvenzverfahrens daher schon gegen Art. 12 EG (nunmehr Art. 18 AEUV) und die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten verstoßen.51 Für das deutsche internationale Insolvenzrecht wurde sie von dem BGH in der KnäckbäckEntscheidung im Jahre 1985 aufgegeben.52 Die mit der territorialen Beschränkung des Insolvenzverfahrens verbundenen Nachteile lassen sich mit dem Universalitätsprinzip weitgehend vermeiden, weil das Insolvenzverfahren unter seinem Regime regelmäßig das gesamte schuldnerische Vermögen unabhängig von seiner Belegenheit erfasst.53 Die Verwertung der Insolvenzmasse richtet sich dann nach einheitlichen Regeln, die für alle Gläubiger gelten. Das dient nicht nur der Rechtssicherheit und der Effizienz54 von grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, sondern wahrt auch den Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung.55 Weil der Schuldner sein Vermögen dem Verfahren nicht entziehen kann, indem er es vor der Verfahrenseröffnung in einen anderen Mitgliedstaat verbringt, wird ein wesentlicher Anreiz für ein forum shopping genommen.56 Das gesamte Vermögen des Schuldners zu erfassen, ist auch nur konsequent, da auch die Leistungsfähigkeit des Schuldners nicht davon abhängt, wo sich sein Vermögen befindet.57 Endlich kann die Sanierung des Schuldners wirtschaftlich sinnvoller sein als die Liquidation seines Vermögens. Möglich ist erstere regelmäßig aber nur, wenn in der Insolvenz das gesamte Vermögen des Schuldners erfasst wird und für die Sanierung zur Verfügung steht.58

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Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (284). Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (302 mit Fn. 21); Carstens, S. 8. 51 Carstens, S. 9 m.w.N. 52 BGHZ 85, 256 = NJW 1985, 2897. 53 Der konkrete Umfang der Beschlagnahmewirkung bleibt freilich der lex fori concursus vorbehalten; vgl. unter § 2 C I 3. 54 Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (282). 55 Torz, S. 31; Wimmer, ZIP 1998, 982 (983). 56 Vgl. Erwägungsgrund (4). 57 Carstens, S. 9. 58 Wimmer, ZIP 1998, 982 (983); Torz, S. 31 f. 50

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

2. Die Geltung des Universalitätsprinzips Das Universalitätsprinzip wird nicht ausdrücklich in der Europäischen Insolvenzverordnung genannt. Dass es unter dem Regime der Verordnung gilt, ergibt sich aber aus einzelnen Vorschriften. Es folgt vor allem aus Art. 17 Abs. 1 EuInsVO,59 wonach das Hauptinsolvenzverfahren grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten die Wirkungen entfaltet, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt. Das Hauptinsolvenzverfahren wirkt mithin – anders als unter dem Territorialitätsprinzip – über das Gebiet des Eröffnungsstaates hinaus. Auch beschränken sich die sogenannten Sekundärinsolvenzverfahren,60 die nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO eröffnet werden, gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO ausdrücklich auf das Vermögen, das im Staat der Verfahrenseröffnung belegen ist. Das Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO enthält im Umkehrschluss diese territoriale Beschränkung nicht.61 Die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens zeigt sich weiter in den grenzüberschreitenden Befugnissen des Hauptinsolvenzverwalters, der nach Art. 18 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO das Recht hat, die zur Masse gehörenden Gegenstände aus dem Gebiet des Mitgliedstaates entfernen zu lassen, in dem sie sich befinden. Dieses Recht beschränkt sich insbesondere auch nicht darauf, nachträglich in das Ausland verschaffte Gegenstände zurückzuholen. Eine derartige Einschränkung ist in Art. 18 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO nur für den Verwalter des Sekundärinsolvenzverfahrens vorgesehen. Die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens lässt sich weiter auch aus Art. 19 EuInsVO ableiten,62 wonach verlangt werden kann, dass der Nachweis der Bestellung zum Verwalter in die Amtssprache des Mitgliedstaates übersetzt wird, in dem der Verwalter handeln will. Erstreckte sich das Verfahren nicht auch auf das Vermögen außerhalb des Staates der Verfahrenseröffnung, wäre diese Bestimmung weitgehend überflüssig.63 3. Der Gehalt des Universalitätsprinzips Der schillernde Begriff der Universalität erfordert es, ihn zu präzisieren. Insbesondere die in Art. 17 Abs. 1 EuInsVO angeordnete Ausdehnung der Wirkungen des Verfahrens auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet verführt zu der Annahme, dass die Universalität des Verfahrens und seiner Wirkungen stets die Beschlagnahme des gesamten Vermögens des Schuldners bedeutet. Doch ist die Verordnung nach Art. 1 Abs. 1 EuInsVO auch dann 59

Huber, ZZP 114 (2001), 133 (147). Dazu § 2 C III. 61 Herchen, ZInsO 2004, 825. 62 Smid, in: FS Geimer, S. 1215 (1231). 63 Huber, ZZP 114 (2001), 133 (147). 60

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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anwendbar, wenn die Beschlagnahme nur einen Teil des Vermögens des Schuldners erfasst. Die in Art. 17 Abs. 1 EuInsVO angeordnete Ausdehnung der Wirkungen des Verfahrens führt daher nicht zwingend zu der umfassenden Beschlagnahme des Vermögens.64 In welchem Umfang es in Beschlag genommen wird, ist vielmehr eine materielle Wirkung des Insolvenzverfahrens, die der lex fori concursus unterliegt.65 Aber auch die aufgrund der lex fori concursus möglicherweise gegenständlich beschränkte Wirkung der Beschlagnahme folgt für Vermögen, das im Ausland belegen ist, nicht allein aus dem Universalitätsprinzip. Zwischen dem räumlichen Geltungsanspruch des Verfahrens und der Anerkennung seiner Wirkungen außerhalb des Eröffnungsstaates ist vielmehr zu unterscheiden. Während die Anerkennung und ihre Wirkungen in den Art. 16 f. EuInsVO geregelt sind, bedeutet Universalität lediglich, dass der Eröffnungsbeschluss des Insolvenzverfahrens extraterritoriale Geltung beansprucht.66 Seine Wirkungen sollen auch über das Gebiet des Eröffnungsstaates hinaus gelten.67 Ob sie auch im Ausland eintreten, ist hingegen eine Frage der Anerkennung.68 Diese Unterscheidung wird auch durch den Erwägungsgrund (12) gestützt, nach dem das Hauptinsolvenzverfahren „universale Geltung [hat] mit dem Ziel, das gesamte Vermögen des Schuldners zu erfassen“. Bedeutete Universalität mehr als den extraterritorialen Geltungsanspruch, hätte es dieser Zielsetzung nicht bedurft. II. Die Ausschließlichkeit des Hauptinsolvenzverfahrens 1. Die Anerkennung der Verfahrenseröffnung Geltung verschafft wird der Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens, indem der Eröffnungsbeschluss nach Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird. Ebenso werden nach Art. 17 Abs. 1 EuInsVO alle Wirkungen, die die lex fori concursus dem Verfahren 64 Ungenau daher Virgós/Schmit, Nr. 19; Großfeld, ZIP 1981, 925; Potthast, S. 3 f.; Flessner, in: FS Heinsius, S. 111 (112); Ehricke, ZIP 2005, 1104 (1105); Lorenz, S. 32; anders Herchen, ZInsO 2004, 61 (63), nach dem die gemeinschaftsweite Beschlagnahmewirkung der lex fori concursus von der EuInsVO vorausgesetzt werde. Ob die Beschlagnahmewirkung der lex fori concursus sich räumlich auf das gesamte Geltungsgebiet der EuInsVO erstreckt, sagt aber noch nichts über darüber aus, auf welche Gegenstände sich die Beschlagnahmewirkung bezieht. 65 Böhle-Stamschräder, KTS 1964, 65 (75); Reinhart, NZI 2009, 201 (206); Tschernig, S. 159; Paulus, EWS 2002, 497 (499), mit dem Hinweis in Fn. 12, dass der vollständige Haftungsbeschlag nach österreichischem Insolvenzrecht nicht selbstverständlich ist. 66 Herchen, ZInsO 2004, 61 (62); Paulus, DStR 2005, 334; Morscher, S. 11 m.w.N.; Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221 (224). 67 Virgós/Schmit, Nr. 73 und 84. 68 Anders Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (280 f.), der unter Universalität die Anerkennung im Ausland versteht; differenzierend: Trunk, S. 10, und Spahlinger, S. 50.

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

beilegt, in dem gesamten Geltungsgebiet der Verordnung anerkannt, „ohne daß es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten bedürfte“. Die Wirkungen, die das Recht des Verfahrensstaates dem Insolvenzverfahren verleiht, dehnen sich vielmehr von Rechts wegen auf das Gemeinschaftsgebiet aus.69 Die Anerkennung tritt ipso iure ein;70 weder kann noch muss der Anerkennungsstaat mitwirken.71 Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die Eröffnungsentscheidung nach Art. 21 EuInsVO öffentlich bekannt gemacht oder nach Art. 22 EuInsVO in ein öffentliches Register eingetragen wird.72 Diese Vorschriften dienen lediglich der Publizität und – im Hinblick auf die befreiende Wirkung einer Leistung an den Schuldner nach der Verfahrenseröffnung – dem Vertrauensschutz.73 Die geringen Anforderungen der Verordnung an die automatische Anerkennung der Verfahrenseröffnung sind nicht unproblematisch. So erscheint es zweifelhaft, ob ein Insolvenzverfahren auch dann als Hauptinsolvenzverfahren anzuerkennen ist, wenn die Eröffnungsentscheidung nicht auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO Bezug nimmt und sich auch im Übrigen nicht aus ihr ergibt, dass es sich bei dem eröffneten Verfahren um ein Hauptinsolvenzverfahren handelt.74 Die wohl herrschende Meinung lehnt eine Anerkennung in diesen Fällen – wenn auch mit unterschiedlicher Begründung75 – ab. Aus dem Verordnungstext folgt das Erfordernis einer Bezugnahme auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nur mittelbar. So müssen z.B. die 69

Die Rede ist daher von einem Modell der Ausdehnung; Virgós/Schmit, Nr. 153. Virgós/Schmit, Nr. 152; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (561); Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (209). 71 AG Duisburg DZWIR 2003, 435; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 16 Rn. 16; Balz, ZIP 1996, 948 (951); Virgós, Insider’s View, Nr. 63. 72 Erwägungsgrund (29); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (564); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (146 f.); OLG Wien NZI 2005, 56 (58). 73 Balz, ZIP 1996, 948 (952). 74 Eindeutig Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (448), die die Eröffnungszuständigkeit in diesem Fall als nicht konsumiert ansehen; ihnen folgend Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3458); im Ergebnis ebenso Adam, S. 78, und wohl auch Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (210). Smid, in: FS Geimer, S. 1215 (1227), und Becker, ZEuP 2002, 287 (304), finden den Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO dagegen wichtig und hilfreich, ohne aber auf die Folgen seines Fehlens einzugehen; a.A. High Court Dublin ZIP 2004, 1223 (1226); Kemper, in: Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rn. 26. Vgl. ferner die Nachweise in § 2 Fn. 78. 75 Das Erfordernis der Bezugnahme auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO wird vor allem aus Art. 21 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO hergeleitet, der einen Hinweis auf die Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO jedoch nur für den zwar regelmäßig gegebenen, für die automatische Anerkennung aber nicht zwingend erforderlichen Fall verlangt, dass der Eröffnungsbeschluss öffentlich bekannt gemacht wird; Balz, ZIP 1996, 948 (949 mit Fn. 10); Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (339 f.); Herchen, S. 40 f.; ders., ZInsO 2004, 61 (65); Vallender, KTS 2005, 283 (301). Wessels, S. 175, argumentiert dagegen mit der Gesamtkonzeption der Verordnung. 70

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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Befugnisse des Verwalters aus Art. 18 EuInsVO, deren Reichweite sich danach richtet, ob es sich um ein nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnetes Hauptinsolvenzverfahren oder um ein in seinen Wirkungen territorial begrenztes Verfahren76 handelt, bei der Eröffnung des Verfahrens feststehen.77 Die Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO muss daher zumindest konkludent aus dem Eröffnungsbeschluss folgen.78 Das ist jedoch regelmäßig der Fall. 2. Das Prioritätsprinzip Als in der Praxis problematisch hat sich vielmehr der Fall erwiesen, in dem das eröffnende Gericht die internationale Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zwar in Anspruch nimmt, tatsächlich aber nicht zuständig ist. Fraglich ist, ob auch in diesem Fall das Hauptinsolvenzverfahren von Rechts wegen anzuerkennen ist. Zu klären ist mit anderen Worten, ob bereits die schlichte Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO die Wirkungen der Art. 16 f. EuInsVO auslöst, obwohl der Interessenmittelpunkt des Schuldners in einem anderen Staat liegt. Bejaht man dies, gelangt man zu einem Prioritätsprinzip, unter dem die zeitlich erste Eröffnungsentscheidung grundsätzlich auch dann ipso iure gemeinschaftsweit anzuerkennen ist, wenn das Gericht seine internationale Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Wie die meisten der in dieser Arbeit zu behandelnden Probleme stellt sich diese Frage bei jeder Insolvenz, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Ihre Brisanz zeigt sich jedoch vor allem in der Konzerninsolvenz,79 weil sich bei einem einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Konzerngesellschaften viele Beteiligte vor den Kopf gestoßen fühlen könn76

Dazu unten § 2 C III. Balz, ZIP 1996, 948 (949 mit Fn. 10); Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (339); Herchen, S. 40 f., ders., ZInsO 2004, 61 (65). 78 Pannen/Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Art. 16 Rn. 20; Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 13; ähnlich ders., ZIP 2003, 1725 (1727), der eine Überprüfbarkeit der internationalen Zuständigkeit für den Fall erwägt, in dem das eröffnende Gericht „die europäische Dimension nicht erkannt und evidentermaßen ein rein nationales Verfahren zu eröffnen beabsichtigt hat“; so wohl auch AG Köln NZI 2004, 151 (152); entsprechend dürften auch Virgós/Schmit, Nr. 152, zu verstehen sein, nach denen gegebenenfalls „beiläufig“ geprüft werden kann, „ob die Entscheidung im Rahmen des Übereinkommens getroffen wurde“; enger Herchen, ZInsO 2004, 61 (65), und ihm folgend Adam, S. 81, nach denen die schlichte Nennung des Art. 3 EuInsVO nicht genügen soll. A.A. Gruber, in: Geimer/ Schütze, EuInsVO, Art. 16 Rn. 11, nach dem das Verfahren auch dann als Hauptinsolvenzverfahren anzuerkennen ist, wenn sich die Entscheidung noch nicht einmal konkludent auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO stützt, weil auch in diesem Fall nicht ausgeschlossen sei, dass die internationale Zuständigkeit tatsächlich bestand. 79 Näher zu dem Begriff „Konzerninsolvenz“ unter § 3 A II. 77

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ten.80 Insbesondere die Gläubiger von Tochter- und Enkelgesellschaften haben möglicherweise mit einem anderen Insolvenzforum gerechnet. Und auch die Gerichte anderer Mitgliedstaaten, die sich für international zuständig halten, könnten sich von der Verfahrenseröffnung im Ausland überrumpelt fühlen. Fragt man sich daher, auf welche Weise Rechtsschutz vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaates als dem des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens möglich erscheint, so sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: Der ausländische Eröffnungsbeschluss kann entweder vollständig verworfen oder die Anerkennung seiner Wirkungen können ihm im Inland versagt werden. a) Verwerfungskompetenz der Gerichte anderer Mitgliedstaaten Denkbar wäre zum einen, dass die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten die internationale Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts prüfen dürfen. Mit einer „Prüfung“ im Wortsinne wäre freilich noch nichts gewonnen. Gemeint ist vielmehr, dass die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten befugt sein könnten, die Eröffnungsentscheidung des ersten Gerichts zu verwerfen.81 Das Gericht des Mitgliedstaates, in dem der Interessenmittelpunkt des Schuldners tatsächlich liegt, könnte seinen Eröffnungsbeschluss dann an die Stelle des ersten Eröffnungsbeschlusses setzen. Das zweite bzw. neue Hauptinsolvenzverfahren hätte konsequenterweise alle Wirkungen, die ihm nach den Art. 16 f. EuInsVO zukommen, und würde seinerseits gemeinschaftsweit gelten. Unklar ist, welche Rechtswirkungen der erste Eröffnungsbeschluss in diesem Fall noch entfalten kann. Bei einer Verwerfungskompetenz im engeren Sinne müsste man ihn als aufgehoben betrachten. Der neue Eröffnungsbeschluss träte mithin vollständig an die Stelle des alten. Denkbar ist es aber auch, die Verwerfungskompetenz darauf zu beschränken, dem ersten Eröffnungsbeschluss jedenfalls ab Eröffnung des zweiten Hauptinsolvenzverfahrens seine extraterritorialen Wirkungen abzusprechen, ihm also seine gemeinschaftsweite Geltung zu versagen. Weil ein Hauptinsolvenzverfahren unter dem Regime der Verordnung aber gemeinschaftsweite Geltung haben soll,82 kann das zuerst eröffnete Verfahren dann kein Hauptinsolvenzverfahren mehr sein. 80 Zu der Frage, ob dies allein bereits gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand spricht, vgl. § 3 B IV. 81 Zu einer Versagung der extraterritorialen Wirkungen des Eröffnungsbeschlusses im Inland wegen einer Verletzung des ordre public, vgl. unten § 2 C II 2 b). 82 Argumentieren ließe sich zwar, dass der extraterritoriale Geltungsanspruch eine Frage der jeweiligen lex fori concursus ist. Dem Ausdehnungsmodell der Art. 16 f. EuInsVO lässt sich jedoch entnehmen, dass die Europäische Insolvenzverordnung von dem extraterritorialen Geltungsanspruch der lex fori concursus ausgeht; vgl. Herchen,

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Unabhängig von diesem Folgeproblem bestünde die Maßnahme der Gerichte anderer Mitgliedstaaten darin, ein weiteres Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu eröffnen. Diesen Weg beschritten das AG Düsseldorf 83 und das französische Tribunal de Commerce de Pontoise,84 die jeweils Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen der in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Tochtergesellschaften des ISA/Daisytek-Konzerns eröffneten, obwohl der englische High Court of Justice Leeds bereits einige Wochen zuvor Hauptinsolvenzverfahren über diese Gesellschaften eröffnet hatte.85 Der Justizstreit mit dem englischen Gericht endete damit, dass die außerhalb Englands ergangenen Eröffnungsentscheidungen – in Deutschland nach einem Richterwechsel, in Frankreich in der zweiten Instanz – aufgehoben wurden.86 Bedenkt man, wie bedeutend die internationale Zuständigkeit wegen der gemeinschaftsweiten Geltung der lex fori concursus ist und wie zweifelhaft es anmutet, ein Insolvenzverfahren anerkennen zu müssen, obwohl das eröffnende Gericht international nicht zuständig war, so erscheinen die Eröffnungsentscheidungen des deutschen und des französischen Gerichts durchaus nachvollziehbar. Ob sie auch richtig waren, ist eine andere Frage. aa) Der Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO Eine Prüfungs- oder Verwerfungskompetenz rechtlich zu begründen, fällt schon deswegen schwer, weil die Verordnung keine Regelungen zu Kompetenzkonflikten enthält.87 Anders als Art. 27 EuGVVO schließt sie die Prüfung der internationalen Zuständigkeit durch die Gerichte anderer Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich aus. Doch ist eine ausdrückliche Regelung zum Vorrang der zuerst ergangenen Entscheidung nur erforderlich, wenn ZInsO 2004, 61 (63). Entsprechend dürfte sich aus der Verordnung auch die Pflicht für den nationalen Gesetzgeber ergeben, seine Insolvenzverfahren – soweit nicht bereits geschehen – mit extraterritorialem Geltungsanspruch auszustatten. 83 AG Düsseldorf ZIP 2003, 1363 mit zustimmender Anm. Mankowski, EWiR 2003, 767. 84 Vgl. die Anm. der Redaktion zu der Entscheidung des Cour d’appel Versailles in ZIP 2004, 377. 85 High Court of Justice Leeds ZIP 2003, 1362. Die Begründung der Entscheidungen findet sich unter ZIP 2004, 963 (englisch), und NZI 2004, 219 (deutsch). 86 AG Düsseldorf NZI 2004, 269; Cour d’appel Versailles ZIP 2004, 377 = Recueil Dalloz 2003, 2352. Art. 102 § 4 Abs. 2 EGInsO, wonach bis zur Einstellung des Verfahrens bereits eingetretene Wirkungen grundsätzlich bestehen bleiben, findet keine Anwendung, wenn das zweite Hauptinsolvenzverfahren in Kenntnis des ersten Hauptinsolvenzverfahrens eröffnet wurde; BGH ZIP 2008, 1338 (1340) und 2029 (2032). 87 Herchen, ZInsO 2004, 61 (63), meint, das Prioritätsprinzip aus Art. 102 § 3 Abs. 1 EGInsO herleiten zu können, der sich jedoch nur an die deutschen Gerichte richtet; dagegen meint Mankowski, RIW 2004, 587 (598), dass aus dieser Vorschrift eine Überprüfungsmöglichkeit folge.

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grundsätzlich mehrere Gerichte für dasselbe Verfahren zuständig sind.88 Dies trifft auf die EuGVVO mit ihren allgemeinen und besonderen Gerichtsständen zu, aber eben nicht auf die EuInsVO, die von vornherein davon ausgeht, dass ausschließlich die Gerichte des Staates international zuständig sind, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat.89 Da nach der Konzeption der Verordnung jeder Schuldner nur einen Interessenmittelpunkt haben kann,90 können auch nur die Gerichte eines Mitgliedstaates international zuständig für seine Insolvenz sein. Bei zutreffender Auslegung von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO kann es daher nicht zu Kompetenzkonflikten kommen, so dass eine ausdrückliche Regelung für Kompetenzkonflikte im Text der Verordnung aus der Sicht des Normgebers entbehrlich war.91 Aus Art. 27 EuGVVO lässt sich folglich auch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass die internationale Zuständigkeit unter dem Regime der EuInsVO von den Gerichten der anderen Mitgliedstaaten geprüft werden dürfte.92 Der einzige Ansatzpunkt für eine Verwerfungskompetenz der Gerichte anderer Mitgliedstaaten besteht in dem Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO, nach dem nur die Eröffnungsentscheidung eines nach Art. 3 zuständigen Gerichts anerkannt wird.93 Doch ergibt sich daraus allenfalls, dass eine ausländische Eröffnungsentscheidung außerhalb des Verfahrensstaates möglicherweise nicht anerkannt werden muss, nicht aber, dass die Gerichte anderer Mitgliedstaaten befugt wären, eine Eröffnungsentscheidung auch mit Wirkung für den Staat der Verfahrenseröffnung zu verwerfen. Eine Kompetenz zur umfassenden Verwerfung der Eröffnungsentscheidung des Gerichts eines anderen Mitgliedstaates ist rechtlich mithin nicht begründbar. Zulässig erscheint es lediglich, den Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO so auszulegen, dass die Eröff88

Carstens, S. 87. Erwägungsgrund (12), Virgós/Schmit, Nr. 79; Mankowski, KTS 2009, 453 (457 f.). 90 BGH NZI 2012, 377 (378); Adam, S. 47; Attinger, S. 37 f.; Balz, ZIP 1996, 948 (949); Carstens, S. 48; Deyda, S. 57; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 3 EuInsVO Rn. 3; Homann, S. 90; Kemper, in: Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rn. 5; Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 131 (135); Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 16; HamburgerKommInsO/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rn. 2; Virgós/Garcimartín, Nr. 55; Vogler, S. 123; Wimmer, ZInsO 2001, 97 (99); ders., ZInsO 2005, 119 (121); a.A. Kolmann, S. 284; Herchen, ZIP 2005, 1401; MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 29; zweifelnd: Paulus, EuInsVO, Einl. Rn. 40. 91 Virgós/Schmit, Nr. 79; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (143); Carstens, S. 87; Homann, S. 90; Morscher, S. 21. 92 A.A. Mankowski, RIW 2004, 587 (598). 93 So ausdrücklich Mankowski, EWiR 2003, 767 (768); ders., EWiR 2003, 1239 (1240); ders., RIW 2004, 587 (598); ders., RIW 2005, 561 (574); ders., BB 2006, 1753 (1755 f.); ohne Begründung im Ergebnis ebenso Trunk, S. 361; missverständlich Smid, DZWIR 2003, 397 (400) einerseits und (401) andererseits. 89

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nungsentscheidung eines international unzuständigen Gerichts jedenfalls außerhalb des Eröffnungsstaates keine Wirkungen entfaltet. Verworfen würden mit anderen Worten lediglich die extraterritorialen Wirkungen des Eröffnungsbeschlusses. Entfaltet das Verfahren aber keine universellen Wirkungen, kann es nicht als Hauptinsolvenzverfahren qualifiziert werden. Der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens durch das tatsächlich zuständige Gericht stünde dann nichts im Wege. bb) Die Argumente gegen die Prüfungskompetenz (1) Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens Dieser Lesart des Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO ist der EuGH in der Rechtssache Eurofood mit der ganz herrschenden Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur jedoch entgegengetreten.94 Der EuGH verweist auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, der ausdrücklich in dem dritten Satz des Erwägungsgrundes (22) genannt wird.95 Auch betont der Erläuternde Bericht zum EuInsÜ, dass das Regelungswerk auf dem Grundsatz des Gemeinschaftsvertrauens und des favor recognitionis beruht.96 Positive Kompetenzkonflikte über die Eröffnung mehrerer Hauptinsolvenzverfahren sollen nach den klaren Worten des Erwägungsgrundes 94

EuGH ZIP 2006, 907 (909), Nr. 42 – Eurofood; OGH Wien NZI 2005, 465 (466); OLG Wien NZI 2005, 56 (58); Adam, S. 81 f.; Attinger, S. 150 f.; Bachner, ECFR 2006, 310 (316 f.); Becker, ZEuP 2002, 287 (304); Carstens, S. 92; Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (340); Dammann, Recueil Dalloz 2005, 1779 (1781); Duursma/DuursmaKepplinger, DZWIR 2003, 447 (449); Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 28 und Art. 16 Rn. 15; Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457); Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (646); Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221 (224); Gottwald/Kolmann, in: Gottwald, InsRHdb, § 130 Rn. 51; Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 32; Haubold, IPRax 2003, 34 (39); Herchen, ZIP 2005, 1401 (1401 m.w.N. in Fn. 2); ders., ZInsO 2004, 61 (63 f.); Huber, in: FS Heldrich, S. 679 (681 und 692); ders., EuZW 2002, 490 (495); ders., ZZP 114 (2001), 145 (146 f.); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1613); Kolmann, S. 283; Konecny, in: Smid, Neue Fragen, S. 106 (117 f.); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (545); Leipold, in: Stoll, Vorschläge und Gutachten, S. 185 (191 f.); Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (210); Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (287); Martinez Ferber, S. 77; Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker, § 17 Rn. 40; Morscher, S. 22; Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (762); Paulus, EuInsVO, Art. 16 Rn. 8; Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 88; Rossbach, S. 162 f.; Schwerdtfeger/Schilling, DZWIR 2005, 370; Smid, Dt. und Eur. Int. InsR, Art. 16 EuInsVO Rn. 5; Smid, DZWIR 2003, 397 (401); Virgós, Insider’s View, Nr. 26; Virgós/Schmit, Nr. 220; Weller, ZHR 169 (2005), 570 (576); ders., IPRax 2004, 412 (417); Wessels, S. 177; Wimmer, ZInsO 2001, 97 (99); a.A. wohl Stadtgericht Prag ZIP 2005, 1431. 95 EuGH ZIP 2006, 907 (909) Nr. 39 – Eurofood; ebenso z.B. AG Köln NZI 2004, 151 (152); Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (558 f.); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (144); Herchen, ZInsO 2004, 61 (63); Schilling, S. 97; a.A. Mankowski, RIW 2004, 587 (598). 96 Virgós/Schmit, Nr. 147.

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

(22) gelöst werden, indem das zuerst eröffnete Verfahren anerkannt und keiner Prüfung unterzogen wird.97 Dass sich das Wort „sollte“ durch den gesamten Erwägungsgrund zieht und damit den Anschein einer unverbindlichen Empfehlung erweckt, steht dem nicht entgegen, weil die Verordnung damit stets zwingende Regelungen meint.98 Argumentieren ließe sich zwar, dass der Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung dem Wortlaut des Erwägungsgrundes (22) vorgeht.99 Dafür spricht, dass sich der Wortlaut einer Verordnung im Zweifel gegen ihre Erwägungsgründe durchsetzt.100 Doch stützt sich das Wortlautargument hier lediglich auf das Wort „zuständiges“, während der Erwägungsgrund (22) der automatischen Anerkennung im Allgemeinen sechs, und der Lösung positiver Kompetenzkonflikte im Besonderen immerhin noch zwei Sätze widmet. Ein Zweifel, der den Vorrang des Wortlauts des Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO begründen könnte, besteht daher nicht. Der Verordnungsgeber hat in dem Erwägungsgrund (22) vielmehr hinreichend klargestellt, wie er Kompetenzkonflikte gelöst sehen will. Das in dem Erwägungsgrund (22) propagierte gegenseitige Vertrauen ist auch nicht etwa ein singuläres Phänomen der EuInsVO, sondern vielmehr ein allgemeines Prinzip des Gemeinschaftsrechts,101 das auch der EuGVVO102 und der EheGVO103 zugrunde liegt und auf Art. 10 EG104 (nunmehr Art. 4 Abs. 3 EU) beruht. Ob dieses Vertrauen immer gerechtfertigt ist, kann und muss hier nicht geklärt werden.105

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Erwägungsgrund (22), Sätze 5 und 6. Herchen, ZIP 2005, 1401 (1403); ders., ZInsO 2004, 61 (63); Schilling, S. 98; Virgós/Garcimartín, Nr. 48; a.A. im Zusammenhang mit dem Interessenmittelpunkt: Adam, S. 45. 99 Mankowski, RIW 2004, 587 (598). Entgegenhalten lässt sich, dass die Erwägungsgründe im Amtsblatt der EG vor Art. 1 der Verordnung abgedruckt sind und als offizieller Bestandteil der Verordnung normative Aussagekraft haben; so Schmiedeknecht, S. 101; ähnlich Vogler, S. 82 mit Fn. 199. 100 MünchKommBGB/Kindler, Vor Art. 1 EuInsVO Rn. 13; Moss/Fletcher/Isaacs, Rn. 2.26. 101 Carstens, S. 90 f. 102 Erwägungsgründe (16) und (17) der EuGVVO. 103 Erwägungsgrund (21) der EheGVO. 104 Carstens, S. 91; Wessels, S. 173. 105 Kritisch insofern: Saenger/Klockenbrink, EuZW 2006, 363 (365); Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (645). Der EuGH verlangt, dass das Gericht seine internationale Zuständigkeit ordentlich prüft, um das gewährte Vertrauen zu rechtfertigen. Er stellt jedoch keine Abhilfe zur Verfügung für den Fall, dass das Gericht seiner Prüfungspflicht nicht nachkommt; vgl. EuGH ZIP 2006, 907 (909), Nr. 41 – Eurofood. 98

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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(2) Die Singularität des Hauptinsolvenzverfahrens Hinzufügen muss man den knappen Ausführungen des EuGH, dass das Prioritätsprinzip auch die zwingende Folge der Singularität des Hauptinsolvenzverfahrens ist, die sich aus einzelnen Normen der Verordnung ergibt.106 So kann nach Art. 3 Abs. 3 EuInsVO jedes nach Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens eröffnete weitere Verfahren nur ein sogenanntes Sekundärinsolvenzverfahren sein.107 Mehr als ein Hauptinsolvenzverfahren kann es mithin nicht geben.108 Ein weiteres Argument für das Prioritätsprinzip folgt aus Art. 16 Abs. 2 EuInsVO, wonach die Anerkennung eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens nicht der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO entgegensteht. Die Eröffnung eines weiteren Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist im Umkehrschluss nicht möglich.109 In all diesen Normen kommt zwar lediglich zum Ausdruck, dass es nur ein und nicht mehrere Hauptinsolvenzverfahren geben kann. Ob das zuerst eröffnete Hauptinsolvenzverfahren in jedem Fall als solches anzuerkennen ist, ergibt sich allein hieraus nicht. Doch ist der erste Eröffnungsbeschluss nun einmal in der Welt. Die Existenz von mehr als einem Hauptinsolvenzverfahren ließe sich daher nur vermeiden, wenn das zweite Gericht die Eröffnungsentscheidung des ersten Gerichts vollständig, also auch mit Wirkung für den Staat der Verfahrenseröffnung, verwerfen dürfte. Dass sich eine derart weitgehende Verwerfungskompetenz mit dem Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO jedoch nicht begründen lässt, ist bereits dargelegt worden.

106 Weniger überzeugend ist es dagegen, das Prioritätsprinzip mit einer weit verbreiteten Meinung damit zu begründen, dass die gemeinschaftsweite Beschlagnahmewirkung des ersten Eröffnungsbeschlusses jeder weiteren Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens mangels Masse die Grundlage entziehe; so aber Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (290); Herchen, S. 39; ders., ZInsO 2004, 61 (63); ders., ZIP 2005, 1401 (1403 und 1404); Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (648); Adam, S. 232; Carstens, S. 88 f. Ein zweites Hauptinsolvenzverfahren wäre nicht zwingend masselos, weil es der jeweiligen lex fori concursus überlassen bleibt, in welchem Umfang das Vermögen des Schuldners in Beschlag genommen wird oder für eine Verfahrenseröffnung zur Verfügung stehen muss; so auch Homann, S. 36 f.; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (144). 107 Näher dazu unter § 2 C III 2. 108 Herchen, ZIP 2005, 1401 (1402); ders., ZInsO 2004, 61 (63); Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (7); Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (644); Heneweer, S. 138. 109 Huber, ZZP 114 (2001), 133 (145); ders., in: FS Heldrich, S. 679 (682); ders., in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (7); Herchen, ZIP 2005, 1401 (1402); ders., ZInsO 2004, 61 (63).

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

(3) Ungerechtfertigter Eingriff in fremde Hoheitsrechte und praktische Erwägungen Eine Verwerfungskompetenz wäre darüber hinaus ein massiver Eingriff in fremde Hoheitsrechte, der sich allein mit dem Wort „zuständiges“ in Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO nicht rechtfertigen ließe. Anders als im Europäischen Zivilverfahrensrecht betrifft die Anerkennung der ausländischen Entscheidung im Insolvenzrecht nicht ein bereits abgeschlossenes, sondern ein laufendes Verfahren mit einer potentiell immens großen Zahl von Beteiligten.110 Das hieraus folgende Bedürfnis nach Rechtssicherheit kann nicht befriedigt werden, wenn den Gerichten anderer Mitgliedstaaten eine Verwerfungskompetenz zustünde. Das verwerfende Gericht, das international zuständig zu sein meint, könnte nicht überzeugend begründen, warum es seine internationale Zuständigkeit besser beurteilen kann als das erste Gericht. Und selbst wenn die Verwerfungskompetenz auf die extraterritoriale Wirkung der Verfahrenseröffnung beschränkt würde, so wäre nicht nachvollziehbar, warum die Gerichte anderer Mitgliedstaaten hieran gebunden sein sollen, zumal sie möglicherweise der Ansicht sind, dass das zuerst eröffnende Gericht seine internationale Zuständigkeit zu Recht bejaht hat. Dass das Gericht eines Mitgliedstaates ihnen vorschreiben könnte, das von dem Gericht eines anderen Mitgliedstaates eröffnete Insolvenzverfahren nicht anzuerkennen, wäre aberwitzig. Mit einer Verwerfungskompetenz wäre auch wenig gewonnen, weil die Gerichte anderer Mitgliedstaaten sie konsequenterweise ebenfalls für sich in Anspruch nehmen könnten.111 Das Verfahren könnte endlos in die Länge gezogen werden, zumal keine einheitliche Frist existiert, binnen derer die Gerichte anderer Mitgliedstaaten entscheiden müssten.112 Die Rechtsbehelfsfristen anzuwenden, die das Recht des Mitgliedstaates vorsieht, des110

Untauglich ist auch der Versuch, das Prioritätsprinzip aus Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO herzuleiten; so aber Leipold, in Stoll, Vorschläge und Gutachten, S. 185 (192); Herchen, ZInsO 2004, 61 (65); ders., ZIP 2005, 1401 (1404): Weil der Vollstreckung sonstiger insolvenzbezogener, also nicht die Verfahrenseröffnung selbst betreffender Entscheidungen nach dieser Norm entgegengehalten werden könne, dass das Gericht international unzuständig war, soll die internationale Zuständigkeit für den Eröffnungsbeschluss im Umkehrschluss nicht überprüfbar sein. Doch ist die Prämisse, die dieser Argumentation zugrunde liegt, falsch, weil die internationale Zuständigkeit auch bei der Vollstreckung sonstiger insolvenzbezogener Entscheidungen nicht überprüft werden darf; vgl. Virgós/Schmit, Nr. 192, sowie EuGH NZI 2010, 156 – MG Probud Gdynia. Darüber hinaus ist die Regelung in Art. 25 EuInsVO von vornherein als Argument ungeeignet, weil die Norm nur die Vollstreckung betrifft, die Verfahrenseröffnung aber nicht vollstreckt zu werden braucht; ähnlich Smid, DZWIR 2003, 397 (401 f.). 111 So auch Knof, ZInsO 2007, 629 (635). 112 Kritisch zu dem Fehlen verfahrensrechtlicher Bestimmungen in der EuInsVO: Bufford, NJILB 27 (2007), 351 (411 f.).

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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sen Gericht die Eröffnungsentscheidung verwirft, wäre nicht hinnehmbar, weil der Mitgliedstaat mit den längsten Fristen dann bestimmen könnte, wie lange dem Insolvenzverfahren nachträglich seine Grundlage entzogen werden kann. Stattdessen die Fristen anzuwenden, die für den vergleichbaren Rechtsbehelf im Staat der Verfahrenseröffnung vorgesehen sind, erscheint fragwürdig, weil dieser Eröffnungsentscheidung – und damit auch der Anwendbarkeit der entsprechenden Rechtsordnung nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO – die Rechtmäßigkeit gerade abgesprochen wird. Ohne einen gemeinschaftsrechtlichen Rahmen für eine Prüfung der Eröffnungsentscheidung ist eine Verwerfungskompetenz daher nicht handhabbar.113 Zwar wird befürchtet, dass die strikte Geltung des Prioritätsprinzips ein forum shopping provoziert114 und der „Usurpation Tor und Tür geöffnet“ werden.115 Es drohten vorschnelle und unnötige Insolvenzanträge sowie Eigenanträge bei einem im Verfahren selbst langsam arbeitenden, aber schnell eröffnenden Gericht.116 Auch werde die innere Berechtigung der Anerkennung, die in ihrer Konzentrationswirkung liege, verfehlt, wenn die bloße Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO genügt.117 Doch unterstellen diese Bedenken dem eröffnenden Gericht von vornherein eine unrichtige Entscheidung. Der Grundsatz muss aber lauten, dass das eröffnende Gericht seine internationale Zuständigkeit ordentlich geprüft hat,118 weil der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens aus dem Erwägungsgrund (22) andernfalls konterkariert würde.119 Ein unnötiger oder vorschneller Insolvenzantrag wird daher mangels eines Insolvenzgrundes regelmäßig nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens führen.120 Eröffnet ein Gericht zwar schnell das Verfahren, arbeitet es im Übrigen aber langsam, so ist dies hinzunehmen. Mit der internationalen Zuständigkeit hat dies nichts zu tun. Dasselbe gilt für die Konzentrationswirkung des von Rechts wegen anzuerkennenden Hauptinsolvenzverfahrens, die gerade auch dann erreicht wird, wenn ein unzuständiges Gericht das Verfahren eröffnet. 113

In den Art. 55–60 des Entwurfes für ein Europäisches Insolvenzübereinkommen aus dem Jahre 1970 und in den Art. 61–66 des Entwurfes für ein Europäisches Insolvenzübereinkommen aus dem Jahre 1980 war jeweils ein Widerspruchsverfahren vorgesehen. Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit war hiervon jedoch ausdrücklich ausgenommen. 114 Smid, DZWIR 2003, 397 (401). 115 Mankowski, RIW 2004, 587 (597); ders., EWiR 2003, 1239 (1240). 116 Mankowski, RIW 2004, 587 (597); ders., EWIR 2003, 1239 (1240). 117 Mankowski, RIW 2004, 587 (598 f.); ders., EWiR 2003, 767 (768). 118 EuGH ZIP 2006, 907 (909) Nr. 41 – Eurofood. 119 Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (210). 120 Nicht zu unterschätzen ist auch, dass der Geschäftsführer gegenüber der GmbH nach § 43 GmbHG haftet, wenn er den Insolvenzantrag verfrüht stellt; Frege, NZI 2006, 545 (546).

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

Weiter entspricht der Verzicht auf eine Prüfung der internationalen Zuständigkeit durch die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates dem Bedürfnis, in der Insolvenz des Schuldners möglichst zügig eine verbindliche Entscheidung herbeizuführen, die zu Rechtssicherheit und somit zu effizienten Verfahren führt. Auf dem Gebiet des Insolvenzrechts erweist sich die strikte Geltung des Prioritätsprinzips deshalb als einzig handhabbare Lösung.121 Der Einwand, dass nur Legitimität die von dem Erwägungsgrund (2) geforderte Effizienz vermittele,122 verfängt nicht. (4) Zusammenfassung und Zwischenergebnis Ein denkbarer Weg, gegen die unrichtige Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO vorzugehen, besteht darin, ein weiteres Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen, das den ersten Eröffnungsbeschluss entweder vollständig ersetzt oder ihm zumindest seine extraterritorialen Wirkungen nimmt. Doch lässt sich eine derartige Verwerfungskompetenz nicht begründen. Sie folgt auch nicht aus dem Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens aus dem Erwägungsgrund (22) gebietet vielmehr, davon auszugehen, dass das eröffnende Gericht seine internationale Zuständigkeit gewissenhaft geprüft und zutreffend bejaht hat. Den Gerichten anderer Mitgliedstaaten ist es folglich verwehrt, ein weiteres Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen, das das erste vollständig ersetzt. Da unter dem Regime der Verordnung über das Vermögen jedes Schuldners nur ein einziges Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden kann, können die Gerichte anderer Mitgliedstaaten auch kein weiteres Hauptinsolvenzverfahren eröffnen, das den Bestand des ersten Eröffnungsbeschlusses unangetastet ließe, in seinen Wirkungen aber mit ihm konkurrierte. Eine Verwerfungskompetenz wäre darüber hinaus auch aus praktischer Sicht ungeeignet für die Lösung von Kompetenzkonflikten, weil kein gemeinschaftsrechtlicher Verfahrensrahmen hierfür existiert und jedes Gericht für sich in Anspruch nehmen könnte, international zuständig zu sein. Die hieraus folgende Rechtsunsicherheit wäre mit dem Ziel der Verordnung, für wirksame und effiziente grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu sorgen, unvereinbar.

121

So schon Houin, KTS 1961, 177 (180); Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (187); Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 33; Potthast, S. 98; Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (291); Herchen, ZInsO 2004, 61 (64); Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (645). 122 So Mankowski, RIW 2004, 587 (599).

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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b) Versagung der Anerkennung im Inland nach Art. 26 EuInsVO (ordre public) Nachdem dargelegt worden ist, warum den Gerichten anderer Mitgliedstaaten keine Verwerfungskompetenz eingeräumt werden kann, bleibt zu prüfen, ob der unrichtigen Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO dadurch begegnet werden kann, dass das im Ausland eröffnete Hauptinsolvenzverfahren unangetastet bleibt, ihm aber die Anerkennung seiner Wirkungen im Inland versagt wird. Der rechtliche Ansatzpunkt für diesen Weg ist der ordre public aus Art. 26 EuInsVO, wonach ein Mitgliedstaat ein Insolvenzverfahren nicht anerkennen muss, soweit dies zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung unvereinbar ist. Eine vergleichbare Regelung findet sich in vielen Rechtsakten der Europäischen Union, so z.B. auch in Art. 34 Nr. 1 EuGVVO. Seine Berechtigung als „Notanker“ findet der ordre public jeweils darin, dass das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten noch nicht grenzenlos ist.123 aa) Ordre public-Verstoß durch unrichtige Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit? Die Rechtsprechung124 und die ganz herrschende Lehre125 sprechen sich gleichwohl dagegen aus, einem Eröffnungsbeschluss bereits deshalb die Anerkennung seiner Wirkungen im Inland zu versagen, weil dem eröffnenden Gericht die internationale Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO fehlt.

123

Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (567). OGH Wien NZI 2005, 465 (466); OLG Wien NZI 2005, 56 (58) mit zustimmender Anm. Paulus; AG Düsseldorf NZI 2004, 269 (270); Cours d’appel Versailles ZIP 2004, 377. 125 Adam, S. 86; Attinger, S. 157; Carstens, S. 94; Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177 (180 f.); Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 26 Rn. 1; Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457); Gruber, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 26 Rn. 5; Haubold, IPRax 2003, 34 (39); Herchen, ZIP 2005, 1401 (1404 m.w.N. in Fn. 41); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (146); Laukemann, RIW 2005, 104 (106 f.); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (568); Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (211); Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (287); Martinez Ferber, S. 78; Morscher, S. 27 f.; MünchKommBGB/Kindler, Art. 16 EuInsVO Rn. 10; Paulus, ZIP 2003, 1725 (1727); Sabel, NZI 2004, 126 (127); Smid, Dt. und Eur. Int. InsR, Art. 16 EuInsVO Rn. 10; Vallender, KTS 2005, 283 (298 und 317); Virgós/Schmit, Nr. 202; Virgós, Insider’s View, Nr. 71; Virgós/Garcimartín, Nr. 402. Kritisch bezüglich des insoweit identischen Verständnisses des ordre public im Europäischen Zivilverfahrensrecht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK: Piekenbrock, IPRax 2000, 364 (365). 124

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

(1) Wortlaut Nach dem Wortlaut des Art. 26 EuInsVO können Mitgliedstaaten die Anerkennung des Eröffnungsbeschlusses verweigern, soweit die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaates unvereinbar ist.126 Das Ergebnis, das gegen den ordre public verstoßen soll, ist hier die automatische Anerkennung der Eröffnung und der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens, das von einem international unzuständigen Gericht eröffnet wurde. Dass die Anerkennung des Hauptinsolvenzverfahrens eines unzuständigen Gerichts und die damit verbundene Geltung des ausländischen Insolvenzrechts per se gegen den ordre public verstoßen soll, lässt sich jedoch nicht begründen.127 Offensichtlich ist der Verstoß darüber hinaus nur, wenn er sich dem verständigen Rechtsanwender unmittelbar als solcher erschließt.128 Hieran wird es in der Regel schon deshalb fehlen, weil die unrichtige Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auch für den verständigen Rechtsanwender nicht ohne weiteres klar ist. Dann fällt es jedoch schwer zu begründen, warum die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die mit ihr verbundenen Folgen offensichtlich nicht mit der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaates vereinbar sein sollen. Der Wortlaut des Art. 26 EuInsVO zwingt darüber hinaus zu einer differenzierten Sichtweise: Nur „soweit“ das Ergebnis mit seiner öffentlichen Ordnung unvereinbar wäre, kann sich ein Mitgliedstaat weigern, den Eröffnungsbeschluss anzuerkennen. Zulässig und gegebenenfalls erforderlich ist es daher, lediglich einzelnen Verfahrenswirkungen die Anerkennung zu versagen, nicht aber dem ganzen Verfahren.129 Entgegenhalten könnte man dieser Argumentation allenfalls, dass sich der Inhalt des ordre public nach nationalem Recht richtet. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Ergebnis offensichtlich unvereinbar mit der öffentlichen Ordnung eines Mitgliedstaates ist, könnte sich daher einer Beurteilung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber entziehen. Doch behält der 126 Das Erfordernis, dass das Ergebnis mit der öffentlichen Ordnung unvereinbar sein muss, betonen zu Recht Virgós/Schmit, Nr. 204; Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Art. 26 Rn. 12; Laukemann, IPRax 2012, 207. 127 Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (450); Knof, ZInsO 2007, 629 (633 und 634); Heneweer, S. 142. 128 OLG Wien NZI 2005, 56 (59); OLG Innsbruck ZIP 2008, 1647 (1649); MünchKommBGB/Kindler, Art. 16 EuInsVO Rn. 17; Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Art. 26 Rn. 13; Virgós/Garcimartín, Nr. 404; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 26 Rn. 3; Kemper, ZIP 2001, 1609 (1614). 129 Virgós/Schmit, Nr. 209; Gruber, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 26 Rn. 6; Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Art. 26 Rn. 15; MünchKommBGB/Kindler, Art. 26 EuInsVO Rn. 24; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 26 Rn. 10; Moss/Fletcher/Isaacs, Rn. 8.327; Knof, ZInsO 2007, 629 (635).

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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EuGH sich vor, über die gemeinschaftsrechtlichen Grenzen zu wachen, binnen derer der ordre public-Vorbehalt ausgeübt werden kann.130 Der EuGH hat sich zwar bisher nicht ausdrücklich zu der Frage äußern müssen, ob die fälschliche Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit eine Verletzung des ordre public darstellen kann. Doch ist zu erwarten, dass er sich neben dem bereits dargestellten Wortlautargument auch von den folgenden Erwägungen leiten lassen wird, die gegen eine Verletzung des ordre public sprechen. (2) Wille des Normgebers Nach dem Erläuternden Bericht darf die internationale Zuständigkeit des Eröffnungsstaates durch die Gerichte anderer Mitgliedstaaten nicht überprüft werden.131 Ebenso konnte schon der in den Entwürfen zu einem Europäischen Insolvenzübereinkommen vorgesehene Widerspruch gegen die automatische Anerkennung der Eröffnungsentscheidung zwar auf eine Verletzung des ordre public, aber gerade nicht auf die fehlende internationale Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts gestützt werden.132 Dass die Europäische Insolvenzverordnung die unrichtige Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit nicht ausdrücklich zu einem Umstand erklärt, der nicht im Rahmen des ordre public geltend gemacht werden kann, lässt jedoch nicht den Umkehrschluss zu, dass die internationale Unzuständigkeit des eröffnenden Gerichts ein hinreichender Grund wäre, das Verfahren nicht anzuerkennen. Die Verordnung sieht vielmehr überhaupt kein Widerspruchsverfahren mehr vor. Im Vergleich zu den Entwürfen ist der Grundsatz der automatischen Anerkennung mithin sogar noch stärker ausgeprägt. Wie der Normgeber die Problematik unter dem Regime der Verordnung gelöst sehen will, ergibt sich erneut aus dem Erwägungsgrund (22). Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gebietet, einer Eröffnungsentscheidung nicht allein deshalb die Anerkennung zu versagen, weil das Gericht nicht international zuständig war. Die zulässigen Gründe für eine Nichtanerkennung sollten vielmehr auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt sein.133 Die Entscheidung des zuerst eröffnenden Gerichts sollte in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden; diese sollen die Entscheidung dieses Gerichts keiner Überprüfung unterziehen dürfen.134 Der ordre public ist vor diesem Hintergrund eng auszulegen, weil der Grund130

Adam, S. 83; Attinger, S. 160; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 26 Rn. 11 mit Fn. 42; Virgós/Garcimartín, Nr. 404. 131 Virgós/Schmit, Nr. 202. 132 Vgl. Art. 56 Nr. 2 lit. b) des Entwurfes von 1970 und Art. 62 Nr. 2 lit. b) des Entwurfes von 1980. 133 Erwägungsgrund (22), Satz 4. 134 Erwägungsgrund (22), Satz 6.

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

satz der automatischen Anerkennung andernfalls ausgehöhlt würde.135 Selbst wenn man der, an dem Wortlaut orientierten Argumentation nicht folgt, scheitert ein Verstoß gegen den ordre public wegen einer unrichtigen Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit mithin jedenfalls an der historischen Auslegung. (3) Folgenbetrachtung Begründet man den Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Anerkennungsstaates allein mit der fehlenden internationalen Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts, stellt sich weiter die Frage, wohin das führen soll. Ein weiteres Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen, das im Inland belegen ist, können die Gerichte des Anerkennungsstaates wegen des Prioritätsprinzips und der Singularität des Hauptinsolvenzverfahrens nicht eröffnen.136 Aber auch ein in seinen Wirkungen territorial begrenztes Verfahren kann nur eröffnet werden, wenn die Voraussetzungen der Verordnung nach Art. 3 Abs. 2 und 4 EuInsVO hierfür vorliegen.137 Das beruht darauf, dass die Verordnung auch dann anwendbar ist, wenn das Hauptinsolvenzverfahren nicht anerkannt wird. Kann nach der Verordnung kein Territorialverfahren eröffnet werden, bliebe das im Inland belegene Vermögen des Schuldners zwar von der Beschlagnahme durch die lex fori concursus des Hauptinsolvenzverfahrens verschont, könnte aber auch nicht von einem anderen Verfahren erfasst werden. Dieses Ergebnis ist insbesondere dann nicht sinnvoll, wenn der Schuldner sowohl nach dem Insolvenzrecht des Eröffnungs- als auch nach dem des Anerkennungsstaates materiell insolvent ist. Für den gewieften Schuldner könnte der zu weit verstandene ordre public ein interessantes Instrument zum forum shopping werden: Stellt er in einem unzuständigen Mitgliedstaat einen Eigenantrag, der zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens führt, und erkennen die Gerichte des „eigentlich“ international zuständigen Mitgliedstaates die Eröffnungsentscheidung nicht an, bliebe – je nach Belegenheit – ein erheblicher Teil des Vermögens von der Beschlagnahme verschont. Bei insgesamt 26 unzuständigen Foren gäbe es einen großen Gestaltungsspielraum für Manipulationen, die zu weitaus größeren wirtschaftlichen Verwerfungen führten als die Geltung einer lex fori concursus, die bei zutreffender Beurteilung der internationalen Zuständigkeit nicht zur Anwendung gelangt wäre. Das zeigt, dass die fehlende internationale Zuständigkeit allein kein hinreichender Grund sein kann, das wirksam eröffnete Verfahren nicht anzuerkennen.

135 Virgós/Schmit, Nr. 204; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 26 Rn. 11; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (567). 136 Carstens, S. 96 f.; a.A. Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Art. 26 Rn. 27. 137 Näher dazu unten § 2 C III 2.

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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(4) Schlussfolgerungen Festzuhalten ist, dass allein die unrichtige Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit die öffentliche Ordnung eines Mitgliedstaates nicht verletzen kann. Unbeachtlich für den ordre public ist es daher erst recht, wenn das eröffnende Gericht seine Entscheidung nicht begründet hat.138 Erwogen wird zwar, die Berufung auf den ordre public dann zuzulassen, wenn die internationale Zuständigkeit „grob falsch“ beurteilt wurde.139 Doch entstünden dann Randunschärfen, die der Rechtssicherheit abträglich wären, die mit dem Erwägungsgrund (22) und der automatischen Anerkennung bezweckt werden.140 Wo die Grenze zwischen einer schlicht falschen und einer grob falschen Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit liegt, lässt sich kaum beurteilen. Den Gerichten der Anerkennungsstaaten die Kompetenz einzuräumen, dies zu prüfen, führte zu einer Ausuferung des ordre public, die gerade vermieden werden soll. Es erscheint daher vorzugswürdig, in Verstößen gegen die Zuständigkeitsordnung grundsätzlich keine Verletzung des ordre public zu sehen.141 bb) Ordre public-Verstoß durch unterbliebene Prüfung der internationalen Zuständigkeit? (1) Die Abgrenzung von Gebrauch und Missbrauch des gegenseitigen Vertrauens Fraglich ist, ob die Unzuständigkeit des eröffnenden Gerichts für den ordre public des Anerkennungsstaates auch dann unbeachtlich ist, wenn es seine internationale Zuständigkeit überhaupt nicht geprüft hat. Die automatische Anerkennung und das aus ihm folgende Prioritätsprinzip beruhen auf dem gegenseitigen Vertrauen, das nur gerechtfertigt ist, wenn es nicht miss138 OGH Wien NZI 2005, 465 (466); OLG Wien NZI 2005, 56 (59); OLG Innsbruck ZIP 2008, 1647 (1650); Knof, ZInsO 2007, 629 (635); Probst, S. 262; a.A. AG Nürnberg ZIP 2007, 81 (82) mit insoweit zustimmender Anm. Duursma-Kepplinger, EWiR 2007, 81 (82). Für deutsche Insolvenzgerichte folgt eine derartige Begründungspflicht aus Art. 102 § 2 EGInsO; vgl. Wehdeking, DZWIR 2003, 133 (135 f.); Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 8. 139 So Kolmann, S. 289; Leipold, in: Stoll, Vorschläge und Gutachten, S. 185 (192); diese Unterscheidung ablehnend: Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457); Sabel, NZI 2004, 126 (127); Knof, ZInsO 2007, 629 (634); Schilling, S. 100. 140 Gruber, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 26 Rn. 5; Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Art. 26 Rn. 18; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (449 f.); Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505 (508); Schwerdtfeger/Schilling, DZWIR 2005, 370. 141 OGH Wien NZI 2005, 465 (466); OLG Wien, NZI 2005, 56 (58). Anders ist dies freilich dann zu beurteilen, wenn die Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit nicht auf einer unrichtigen Rechtsanwendung, sondern auf einer unrichtigen Tatsachengrundlage beruht; vgl. Weller, ZGR 2008, 835 (853); Eidenmüller, KTS 2009, 137 (143 f.); a.A. Laukemann, IPRax 2012, (211).

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

braucht wird. Der EuGH betont daher, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte ihre internationale Zuständigkeit gewissenhaft zu prüfen und die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten das Ergebnis dieser Prüfung ungeachtet seiner Richtigkeit hinzunehmen haben.142 Nicht anzuerkennen ist eine Entscheidung folglich dann, wenn das in dem Erwägungsgrund (22) vorausgesetzte gegenseitige Vertrauen missbraucht wurde, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn ein Gericht seine internationale Zuständigkeit bewusst zu Unrecht bejaht hat.143 Weniger klar ist dagegen, was zu gelten hat, wenn das Vertrauen zwar nicht missbraucht, aber auch nicht in Anspruch genommen wurde. Übertragen auf die Aussage des EuGH in der Rechtssache Eurofood bedeutet dies: Ist die Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit nicht immer dann, sondern auch nur dann zu respektieren, wenn sie gewissenhaft geprüft wurde? Auf den ersten Blick handelt es sich hierbei lediglich um ein Scheinproblem, weil der Insolvenzrichter in der Regel schon wegen der Rechtsunsicherheit, die mit der Auslegung des Interessenmittelpunktes in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO verbunden ist, bemüht sein dürfte, seine Kollegen aus den anderen Mitgliedstaaten von der eigenen Zuständigkeit zu überzeugen, indem er sie eingehend prüft und ausführlich begründet. Und tatsächlich zeigt sich beim Blick in die zahlreichen Eröffnungsentscheidungen unter dem Regime der Verordnung, dass das Insolvenzgericht regelmäßig möglichst viele Argumente aufführt, die für seine internationale Zuständigkeit sprechen sollen. Fehlenden Begründungs- und Prüfungseifer kann man den Insolvenzgerichten mithin nicht attestieren. (2) Der Fall der Hans Brochier Ltd.: Eröffnung eines out of court-appointment Doch zeigt die Praxis, dass auch die vollständig unterbliebene Prüfung der internationalen Zuständigkeit kein theoretisches Problem ist: So eröffnete der High Court of Justice London das Hauptinsolvenzverfahren über das

142

EuGH ZIP 2006, 907 (909), Nr. 41 f. – Eurofood. Ähnlich im Hinblick auf Art. 6 EMRK: OLG Wien NZI 2005, 56 (60); a.A. für die nicht willkürliche, aber bewusst unrichtige Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit: Gruber, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 16 Rn. 12, der auf die vermeintlich entsprechende Rechtslage unter Art. 35 Abs. 3 EuGVVO verweist. Doch lässt sich die bewusst unrichtige nicht sinnvoll von der willkürlichen Entscheidung abgrenzen, zumal der Richter in beiden Fällen das Recht beugt. Darüber hinaus hat der EuGH in der Rechtssache Krombach (EuGH Slg. 2000, I-1935 = NJW 2000, 1853), auf die sich die Literatur im Zusammenhang mit der Rechtslage unter Art. 35 Abs. 3 EuGVVO beruft, für Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ nur entschieden, dass die Inanspruchnahme eines exorbitanten Gerichtsstandes nicht gegen den ordre public verstößt. Ob der EuGH auch eine bewusst unrichtige Entscheidung für nicht überprüfbar hält, folgt daraus nicht. 143

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Vermögen der Hans Brochier Ltd.,144 ohne seine internationale Zuständigkeit geprüft zu haben. Das Amtsgericht Nürnberg berief sich auf Art. 26 EuInsVO und verweigerte der Entscheidung die Anerkennung.145 Nachvollziehbar werden die Geschehnisse erst, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es sich bei dem von den Geschäftsführern der Schuldnerin in England beantragten Verfahren um ein out of court-appointment handelte, bei dem der Antragsteller selbst bestimmt, wer zum Insolvenzverwalter bestellt werden soll.146 Der Antragsteller füllt hierfür lediglich ein zweiseitiges Formblatt aus, in dem er unter anderem angibt, dass das zu eröffnende Verfahren ein Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO sei, weil der Interessenmittelpunkt des Schuldners im Antragsstaat liege.147 Die Beteiligung des Gerichts erschöpft sich darin, die Eröffnung des Verfahrens und die Bestellung des Verwalters zu bestätigen. Seine internationale Zuständigkeit prüft es nicht.148 Die Entscheidung des Amtsgerichts Nürnberg erscheint vor diesem Hintergrund einer Erschleichung der internationalen Zuständigkeit verständlich.149

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Bei der Schuldnerin handelte es sich ursprünglich um eine deutsche Gesellschaft, deren Anteile auf eine englische Limited übertragen wurden. Anschließend wurde das gesamte Vermögen der Geselllschaft im Wege der Anwachsung auf die Limited übertragen. Ziel dieser „Migration“ nach England war es, die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO zu nutzen und über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am satzungsmäßigen Sitz zu der Anwendbarkeit des englischen Insolvenzrechts zu gelangen; ausführlich zu dem Ablauf der Migration: Ballmann, BB 2007, 1121 (1121 f.); zur Chronologie des gerichtlichen Geschehens: Knof, ZInsO 2007, 629 (632), sowie Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (23 f.). 145 AG Nürnberg ZIP 2007, 81. Das AG Nürnberg stützte seine Entscheidung neben der unterbliebenen Prüfung der internationalen Zuständigkeit weiter darauf, dass die Eröffnung auf wahrheitswidrigen Angaben der Antragsteller beruhe und nicht begründet worden sei und dass der Insolvenzverwalter nicht unabhängig sei; kritisch hierzu: Duursma-Kepplinger, EWiR 2007, 81 (82); Knof, ZInsO 2007, 629 (634 f.). 146 Der wahre Grund für die Versagung der Anerkennung dürfte darin zu sehen sein, dass – abgesehen von dem satzungsmäßigen Sitz der Schuldnerin – alles für eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte sprach. Doch war sich das Amtsgericht Nürnberg ausweislich seiner Begründung bewusst, dass es der Verfahrenseröffnung nicht allein deshalb die Anerkennung versagen konnte. 147 Dieses Formblatt mit der Bezeichnung „2.9B“ ist unter www.insolvency.gov.uk/ forms/englandwalesforms.htm zugänglich (9.6.2012). Weiter erklärt der Antragsteller an Eides statt, dass alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen erfolgen, doch hat dieser Schutzmechanismus im konkreten Fall offenbar versagt; Kebekus, ZIP 2007, 84 (85 f.). 148 Paulus, EWiR 2007, 175 (176); Mankowski, EWiR 2007, 177 (178); Knof, ZInsO 2007, 629 (631). 149 Ablehnend: Andres/Grund, NZI 2007, 137 (141); Paulus, NZI 2008, 1 (3).

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

(3) Bewertung der Anerkennungsverweigerung wegen unterbliebener Zuständigkeitsprüfung Geht man für die Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage davon aus, dass die automatische Anerkennung der ausländischen Entscheidung nur dann gerechtfertigt ist, wenn das gegenseitige Vertrauen aus dem Erwägungsgrund (22) auch tatsächlich in Anspruch genommen wurde,150 hätte das Amtsgericht Nürnberg dem englischen Eröffnungsbeschluss zu Recht die Anerkennung versagt. Problematisch hieran erscheint, dass die unterbliebene Prüfung ihren Ursprung bereits in der englischen Rechtslage hat.151 Wirft man dem eröffnenden Gericht vor, seine internationale Zuständigkeit dem englischen Insolvenzrecht entsprechend nicht geprüft zu haben, könnte konsequenterweise jedem out of court-appointment die Anerkennung verweigert werden, obwohl es sich bei ihm um eine Unterart der administration handelt, die im Anhang A152 der EuInsVO aufgeführt und somit ein Insolvenzverfahren im Sinne des Art. 2 lit. a) EuInsVO ist.153 Es wirkt widersprüchlich, einem Verfahrenstyp einerseits die Fähigkeit der Anerkennung als Hauptinsolvenzverfahren zuzusprechen, das konkrete Verfahren aber wegen Umständen nicht anzuerkennen, die ihm immanent sind. Aus der fehlenden Prüfung der internationalen Zuständigkeit in einem out of court-appointment mag man daher den Schluss ziehen, dass dieser Verfahrenstyp in einem System des gegenseitigen Vertrauens keinen Platz hat und aus dem Anhang A der EuInsVO herausgenommen werden sollte.154 Solange dies nicht geschieht, stellt sich jedoch die Frage, wie mit diesem und vergleichbaren Verfahrenstypen umzugehen ist. Kann sich allein aus der Eigenart des out of court-appointment kein ordre public-Verstoß ergeben, so ist dem englischen Insolvenzrichter gleich150

In diese Richtung: Kebekus, ZIP 2007, 84 (87). Andres/Grund, NZI 2007, 137 (141); Knof, ZInsO 2007, 629 (633). 152 Die Anhänge A, B und C der EuInsVO wurden durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 210/2010 des Rates vom 25. Februar 2010 als Anhänge I, II und III unter Beibehaltung ihrer Bezeichnung als Anhänge A, B und C integriert. 153 Dafür: Kebekus, ZIP 2007, 84 (87); dagegen: Knof, ZInsO 2007, 629 (635); Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (25 f.); Weller, ZGR 2008, 835 (852); anders Schilling, S. 32, der davon ausgeht, dass die out of court-administration nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, weil das Verfahren nicht von einem Gericht eröffnet werde und die Anwendbarkeit der EuInsVO in Sec. 8 (7) Insolvency Act 1986 nur für die administration, wie sie vor der Schaffung des out of court-appointment existierte, ausdrücklich angeordnet worden sei. Doch versteht die Verordnung unter einem Gericht nach Art. 2 lit. d) EuInsVO und dem Erwägungsgrund (10) jede nach nationalem Recht zuständige Stelle. Darüber hinaus wird das Verfahren aus formalrechtlicher Sicht weiterhin von einem Gericht eröffnet. Auch scheint der englische Gesetzgeber von der Anwendbarkeit der EuInsVO auszugehen; andernfalls hätten die Angaben zu ihr in dem Formblatt keinen Sinn. 154 Dafür: Deyda, S. 52 mit Fn. 163; Kebekus, ZIP 2007, 84 (87). 151

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wohl vorzuwerfen, dass er die besonderen Anforderungen verkannt hat, die Art. 3 Abs. 1 EuInsVO an ihn stellt.155 Die Verordnung nimmt zwar in Kauf, dass der Insolvenzrichter zu einem falschen Ergebnis kommt, wenn er seine internationale Zuständigkeit prüft. Dies kann sie jedoch nur, weil sie auf der Prämisse beruht, dass ein Insolvenzrichter oder eine staatliche Stelle die internationale Zuständigkeit geprüft hat.156 Das Vertrauen, das die Verordnung in die Gerichte der Mitgliedstaaten hat, ist keine Einbahnstraße. Fehlt wie im Fall des englischen out of court-appointment sogar ein Mindestmaß an Prüfung, gibt es auch keinen Grund, warum das Verfahren gemeinschaftsweit anerkannt werden sollte.157 (4) Fazit Im Ergebnis braucht die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens dann nicht in allen anderen Mitgliedstaaten von Rechts wegen anerkannt zu werden, wenn das eröffnende Gericht seine internationale Zuständigkeit nicht geprüft hat. Ob dies einen ordre public-Verstoß im Sinne des Art. 26 EuInsVO begründet, kann dahingestellt bleiben, weil die Wirkungen der automatischen Anerkennung durch die Verfahrenseröffnung in diesen Fällen von vornherein nicht ausgelöst werden. Ob das Verfahren gleichwohl im Inland anzuerkennen ist, bleibt allein eine Frage des mitgliedstaatlichen internationalen Insolvenzrechts. cc) Ergebnis Der ordre public-Vorbehalt ist eng auszulegen, weil die gemeinschaftsweite Anerkennung der Eröffnungsentscheidung und ihrer Wirkungen ein bedeutendes Element der Verordnung ist, das die Wirksamkeit und Effizienz grenzüberschreitender Insolvenzverfahren gewährleistet. Verstöße gegen die Zuständigkeitsordnung sind daher grundsätzlich nicht geeignet, die öffentliche Ordnung des anerkennenden Mitgliedstaates zu verletzen. Keine Frage einer Verletzung des ordre public, sondern der Anwendbarkeit der Vorschriften zur Anerkennung in den Art. 16 ff. EuInsVO liegt dagegen vor, wenn die Prüfung der internationalen Zuständigkeit vollständig unterbleibt. Weil in diesen Fällen kein Vertrauen in Anspruch genommen wird, braucht es auch nicht gewährt zu werden. Die Anerkennung versagen müssen wird man darüber hinaus Eröffnungsentscheidungen, in denen das Gericht seine internationale Zuständigkeit bewusst zu Unrecht bejaht hat. Die hierdurch entstehenden Abgrenzungsschwierigkeiten zu einer schlicht oder grob unrichtigen Inanspruchnahme der internationalen 155

Duursma-Kepplinger, EWiR 2007, 81 (82); näher dazu unter § 4 B III. Vgl. näher unten § 4 B III. 157 A.A. Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (26). 156

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Zuständigkeit sind hinzunehmen, weil andernfalls auch Verfahren anzuerkennen wären, die gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. In der Praxis dürfte sich dieses Problem freilich nicht stellen, weil das Gericht, das einer ausländischen Eröffnungsentscheidung die Anerkennung versagt, aufgrund des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens nicht nur Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Eröffnungsentscheidung haben, sondern vielmehr davon überzeugt sein müsste, dass sich das eröffnende Gericht seiner Unzuständigkeit bewusst war. Dies wiederum scheidet regelmäßig dann aus, wenn das eröffnende Gericht seine Entscheidung begründet hat. Schutzlos sind die Beteiligten bei einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit gleichwohl nicht. Sofern die Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts zweifelhaft ist, sollten die beteiligten Gerichte zunächst miteinander kommunizieren,158 um die Sach- und Rechtslage zu klären, anstatt mit dem Vorschlaghammer des ordre public zu hantieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist erneut der Fall der Hans Brochier Ltd.: Als dem englischen Gericht klar wurde, dass der Interessenmittelpunkt der Schuldnerin tatsächlich in Deutschland lag, hob es das Hauptinsolvenzverfahren auf.159 Notfalls können und müssen die Beteiligten im innerstaatlichen Rechtsweg gegen die Eröffnungsentscheidung vorgehen,160 der bis zu

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Misslich ist insoweit, dass Art. 31 EuInsVO lediglich eine Kooperationspflicht der Verwalter begründet. Eine Kooperationspflicht der Insolvenzgerichte soll sich aus der EuInsVO nicht herleiten lassen; Ehricke, ZIP 2007, 2395 (2401); Vallender, KTS 2008, 59 (66 f.); ders., in: FS Lüer, S. 479 (480 f.); Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417 (418). Dies hindert die Insolvenzgerichte freilich nicht, freiwillig miteinander zu kommunizieren. So fragte das AG Köln vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die in Luxemburg gegründete Holding der PIN-Gruppe das örtlich zuständige Gericht, ob das Verfahren dort bereits anhängig sei; AG Köln NZI 2008, 257 (259). Bemerkenswert ist auch ein Beschluss des High Court of Justice London, mit dem das Gericht den Insolvenzverwaltern gestattete, möglicherweise zu der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens berechtigte Gerichte anderer Mitgliedstaaten mit der Bitte anzuschreiben, sie vor einer solchen Verfahrenseröffnung zu konsultieren und möglichst von ihr abzusehen; High Court of Justice London NZI 2009, 450 mit kritischer Anm. Mankowski; vgl. auch Kübler, in: FS Wellensiek, S. 795 (806). Zu weiteren Beispielen der Kooperation zwischen den Gerichten, vgl. Vallender, in: FS Lüer, S. 479 (482–484). Zu den Grenzen der Kommunikation zwischen den Gerichten, vgl. Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417; vgl. auch § 348 Abs. 2 InsO. 159 Vgl. Knof, ZInsO 2007, 629 (632). 160 EuGH ZIP 2006, 907 (909), Nr. 43 – Eurofood; Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (287); Virgós/Garcimartín, Nr. 402; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (450). Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (211), rät hiervon ab, weil die Erfolgsaussichten gering seien; das ist nicht nachvollziehbar. Kübler, in: FS Gerhardt, S. 529 (560), befürchtet, dass das Beschwerdegericht nur Rechtsfehler überprüfen darf und an die Beweiswürdigung des eröffnenden Gerichts gebunden ist. Martinez Ferber, S. 78, schlägt zur Vereinfachung für ausländische Gläubiger vor, nicht nur die mitgliedstaatlichen Verfahrensvor-

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einer Vorlage an den EuGH führen kann.161 Zulässig ist der ordre publicEinwand daher in der Regel allenfalls dann, wenn die Verfahrensordnung des Eröffnungsstaates keinen Rechtsbehelf bereithält oder der Beteiligte keine Möglichkeit hatte, ihn wahrzunehmen, weil ihm kein rechtliches Gehör gewährt wurde.162 Darüber hinaus kommen bei einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit auch Ansprüche aus Staatshaftung in Betracht,163 zumal in Deutschland das Spruchrichterprivileg aus § 839 Abs. 2 BGB für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gilt.164 3. Zusammenfassung Die automatische Anerkennung des Eröffnungsbeschlusses und seiner Wirkungen in allen Mitgliedstaaten stellt ein „Herzstück“165 der EuInsVO dar, das der Universalität der lex fori concursus Geltung verschafft. Hat ein mitgliedstaatliches Gericht ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet und dabei die internationale Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO für sich in Anspruch genommen, so sind die Gerichte anderer Mitgliedstaaten hieran gebunden, weil ein striktes Prioritätsprinzip gilt.166 Der Verordnungsgeber schriften über die Rechtsbehelfe anzuwenden, die die lex fori concursus zur Verfügung stellt; das erscheint nicht praktikabel. 161 Virgós/Schmit, Nr. 202; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (571–573). Seit dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages und der hiermit einhergehenden Aufhebung des Art. 68 EG sind die mitgliedstaatlichen Gerichte auch dann vorlagebefugt, wenn sie nicht letztinstanzlich entscheiden. 162 Andres/Grund, NZI 2007, 131 (141); Knof, ZInsO 2007, 629 (635 f.); die Ausschöpfung des Rechtsweges im Erststaat vor einer Berufung auf den ordre public fordernd: Hess/Laukemann, in: FS Wellensiek, S. 813 (818); Laukemann, IPRax 2012, 207 (210 ff.). 163 Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (452 f.); MünchKommBGB/ Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 51. 164 BGH NJW 1959, 1085. 165 Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (560). 166 Die sich anschließenden Fragen, (i) ob bereits die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters eine Eröffnungsentscheidung im Sinne der EuInsVO ist (bejahend: GA Jacobs, Schlussanträge vom 27.9.2005, ZIP 2005, 1878 (1879), Nr. 50 – Eurofood; Wimmer, ZInsO 2005, 119 (126 f.); zustimmend für den deutschen Insolvenzverwalter: Pannen/Riedemann, EWiR 2005, 725 (726); allgemein verneinend dagegen: Adam, S. 146; Carstens, S. 88; AG Mönchengladbach NZI 2004, 383; zweifelnd: Konecny, in: Smid, Neue Fragen, S. 106 (119); differenzierend zwischen starkem und schwachen Insolvenzverwalter: Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (646); Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (15); OLG Innsbruck NZI 2008, 700 (702); AG Köln NZI 2009, 133 (135); und (ii) ob Rückwirkungsfiktionen des nationalen Rechts, die den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung auf denjenigen der Antragstellung zurückdatieren, gemeinschaftsrechtlich beachtlich sind (bejahend: GA Jacobs, Schlussanträge vom 27.9.2005, ZIP 2005, 1878 (1882), Nr. 91 – Eurofood; zustimmend wohl: Saenger/Klockenbrink,

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hat sich bewusst gegen eine Überprüfbarkeit der internationalen Zuständigkeit des zuerst eröffnenden Gerichts durch die Gerichte anderer Mitgliedstaaten entschieden. Entscheidend ist nicht – etwas polemisch ausgedrückt –, wo der Interessenmittelpunkt des Schuldners tatsächlich liegt, sondern allein, dass ein Gericht ihn in Anspruch genommen hat.167 Der Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes tut dies keinen Abbruch. Ein Regelwerk, das wie die EuInsVO auf gegenseitigem Vertrauen beruht, wird nur dann Bestand haben, wenn die Beteiligten sich des ihnen gewährten Vertrauens würdig erweisen.168 Dazu müssen sie nicht nur den Grundsatz der automatischen Anerkennung respektieren, sondern sich auch um eine einheitliche Auslegung des Insolvenzgerichtsstandes bemühen. Letzteres gilt erst recht für Konzerninsolvenzen, bei denen besonders heftig um die internationale Zuständigkeit gerungen wird. III. Die Beschränkung des Hauptinsolvenzverfahrens durch Territorialverfahren 1. Die Durchbrechung der Verfahrenseinheit Die Verknüpfung von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Insolvenzrecht sowie der Grundsatz der Verfahrenseinheit, der aus der ausschließlichen Zuständigkeit in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO und dem Prioritätsprinzip folgt, erfahren Ausnahmen. In materiell-rechtlicher Hinsicht wird die Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes dadurch eingeschränkt, dass die lex fori concursus nicht gilt, soweit Sonderanknüpfungen eingreifen. Sie sind bereits im Überblick dargestellt worden und haben für die Konzerninsolvenz keine spezifische Relevanz, derentwegen sie hier näher zu untersuchen wären. Von weitaus größerem Interesse für den Insolvenzgerichtsstand ist eine verfahrensrechtliche Besonderheit, die seine Bedeutung schmälert. Aus dem Prioritätsprinzip und der ausschließlichen Zuständigkeit für das EuZW 2006, 363 (366); verneinend alle anderen: Adam, S. 147–149; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (902); Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177 (183); Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457); Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (650); Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 36 f.; Herchen, ZIP 2005, 1401 (1403 f.); ders., ZInsO 2004, 825 (829); Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (12); Konecny, in: Smid, Neue Fragen, S. 106 (119); Mankowski, RIW 2005, 561 (574); ders., BB 2006, 1753 (1757); Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 89 f.; Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 14; Smid, DZWIR 2004, 397 (410 f.); Wimmer, ZInsO 2005, 119 (120 und 127)) können in dieser Arbeit nicht behandelt werden, weil sie ihren Rahmen sprengen würden und die Untersuchung des Konzerninsolvenzgerichtsstandes nicht bereichern. 167 OLG Wien NZI 2005, 56 (58); Mankowski, RIW 2005, 561 (574); Vallender, KTS 2005, 283 (317). 168 Ähnlich Attinger, S. 153 f.; zweifelnd an der Praxis: Mankowski, KTS 2009, 453 (457).

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Hauptinsolvenzverfahren folgt grundsätzlich, dass es nur ein gemeinschaftsweit geltendes Insolvenzverfahren geben kann. Das universell wirkende und von Rechts wegen anzuerkennende Hauptinsolvenzverfahren führt zum Grundsatz der Verfahrenseinheit, für den sich der Verordnungsgeber aus guten Gründen entschieden hat: Gibt es nur ein Insolvenzverfahren, muss nur ein Gericht die Vermögens- und Rechtsverhältnisse des Schuldners überwachen. Der Insolvenzverwalter braucht sich nicht mit Kollegen aus anderen Ländern auseinanderzusetzen;169 eine Koordination von Verfahren, die in verschiedenen Staaten anhängig sind, entfällt.170 Sprachprobleme sind dadurch weitgehend ausgeschlossen.171 Weil nur eine Vermögensmasse zu bilden ist, können die Gläubiger gleichmäßig befriedigt werden.172 Auch ist die Sanierung eines Unternehmens regelmäßig nur „aus einer Hand“ möglich.173 Zusammengefasst eignet sich die Verfahrenseinheit grundsätzlich am besten dazu, Reibungsverluste zu vermeiden und die Kosten zu minimieren.174 Sie wird daher besonders gut dem in dem Erwägungsgrund (8) propagierten Ziel der Verordnung gerecht, für effiziente grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu sorgen. Doch ist die Verfahrenseinheit nicht frei von Nachteilen. So können sich auch bei ihr Sprachprobleme ergeben, denen der ausländische Insolvenzverwalter nicht gewachsen ist. Weiter befürchtete der Normgeber, dass die Insolvenz in nur einem Verfahren bei besonders umfangreichen Vermögen kaum zu bewältigen sein könnte, weshalb das Hauptinsolvenzverfahren durch weitere Verfahren unterstützt werden müsse.175 Darüber hinaus wollte er die Anwendbarkeit der lex fori concursus des Hauptinsolvenzverfahrens bestimmten ausländischen Gläubigern nicht zumuten.176 Das gemeinschaftsweit geltende Hauptinsolvenzverfahren kann daher durch weitere Insolvenzverfahren eingeschränkt werden, die sich räumlich und gegenständlich177 auf das Vermögen beschränken, das in dem Gebiet des

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Ehricke, ZIP 2005, 1104 (1105). Spahlinger, S. 273; Ludwig, S. 147. 171 Ehricke, ZIP 2005, 1104 (1106). 172 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (99). 173 Laut, S. 141; Reinhart, S. 148. 174 Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (302); Ehricke, ZIP 2005, 1104 (1105 f.); Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (5); Laut, S. 141; Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (99); Ludwig, S. 147. 175 Virgós/Schmit, Nr. 33; vgl. zu weiteren Fallgestaltungen, in denen die Eröffnung eines Parallelverfahrens sinnvoll sein kann: Reinhart, NZI 2009, 201 (205). 176 Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (282); grundsätzlich kritisch zu einem besonders geschützten Interesse inländischer Gläubiger: Reinhart, S. 280 f. 177 Duursma-Kepplinger, NZI 2003, 87 (90); ungenau: Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (326) („räumlich“). 170

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Verfahrensstaates belegen ist, und daher Territorialverfahren178 genannt werden. 2. Die Voraussetzungen für die Eröffnung von Territorialverfahren Die Europäische Insolvenzverordnung kennt zwei Arten von Territorialverfahren. Wurde bereits ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, ist jedes anschließend eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen desselben Schuldners ein Sekundärinsolvenzverfahren, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 EuInsVO. Ein vor dem Hauptinsolvenzverfahren eröffnetes Verfahren, das selbst kein Hauptinsolvenzverfahren ist, bezeichnet die Verordnung dagegen als Partikularinsolvenzverfahren, Art. 3 Abs. 4 EuInsVO. Es wird zu einem Sekundärinsolvenzverfahren, sofern später ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wird, Art. 36 EuInsVO. Beide Verfahrenstypen – das Sekundär- und das Partikularinsolvenzverfahren – können nur eröffnet werden, wenn der Interessenmittelpunkt des Schuldners in einem anderen Mitgliedstaat liegt, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO. Erforderlich ist weiter, dass der Schuldner in dem Staat des zu eröffnenden Territorialverfahrens eine Niederlassung betreibt, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO.179 Darunter versteht die Verordnung gemäß Art. 2 lit. h) EuInsVO jeden Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt. Weil nur ein gemeinschaftsweit geltendes Hauptinsolvenzverfahren geeignet ist, die Ziele der Verordnung zu erreichen, ist ein von ihm unabhängiges Partikularinsolvenzverfahren nur unter zwei weiteren, alternativ möglichen – aber einander nicht ausschließenden – Voraussetzungen zulässig. Kann kein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden, z.B. weil der Schuldner unter der für das Hauptinsolvenzverfahren geltenden lex fori concursus nicht insolvenzfähig ist, gewährleistet Art. 3 Abs. 4 lit. a) EuInsVO, dass unter dem Regime der Verordnung zumindest ein Territorialverfahren eröffnet werden kann.180 Nach Art. 3 Abs. 4 lit. b) EuInsVO ist ein Partikularinsolvenzverfahren darüber hinaus zulässig, falls ein Gläubiger es beantragt, der seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich die betreffende Niederlassung befindet, oder dessen Forderung auf einer sich aus dem Betrieb dieser Nieder178 Teilweise werden sie auch als Parallelverfahren bezeichnet; so bei Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (9). Dieser Begriff ist ungenau, weil ein Partikularverfahren (dazu sogleich im Text) gerade kein (parallel anhängiges) Hauptverfahren voraussetzt. 179 Zusätzlich erforderlich ist, dass sich der Interessenmittelpunkt des Schuldners im Geltungsgebiet der Verordnung befindet, weil die EuInsVO nur dann anwendbar ist (siehe § 2 D). 180 Das ist im Ergebnis eine Sonderanknüpfung der Insolvenzfähigkeit; Dawe, S. 200. Vgl. weiter EuGH ZIP 2011, 2415 – Zaza Retail.

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lassung ergebenden Verbindlichkeit beruht. Für den Gegenstand dieser Arbeit spielen Partikularinsolvenzverfahren keine Rolle. Sie werden daher im Folgenden nicht näher untersucht. 3. Charakteristika der Territorialverfahren Territorialverfahren unterliegen ebenso wie das Hauptinsolvenzverfahren ihrer jeweiligen lex fori concursus. Das ergibt sich schon aus Art. 4 Abs. 1 EuInsVO und wird für das Sekundärinsolvenzverfahren noch einmal in Art. 28 EuInsVO klargestellt.181 Die Eröffnungsbeschlüsse werden ebenfalls ipso iure nach Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO anerkannt. Soweit hieraus ein Konflikt mit dem Hauptinsolvenzverfahren entsteht, lösen die Art. 16 Abs. 2 sowie Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 EuInsVO ihn zugunsten des Territorialverfahrens, das trotz des Hauptinsolvenzverfahrens anerkannt werden muss und dessen Wirkungen in den anderen Mitgliedstaaten nicht in Frage gestellt werden dürfen, also gemeinschaftsweit anzuerkennen sind.182 Insofern wirken auch Territorialverfahren universell.183 Ihr grundlegender Unterschied zu dem Hauptinsolvenzverfahren besteht in der räumlich-gegenständlichen Beschränkung ihrer Wirkungen. Während das Hauptinsolvenzverfahren das gesamte schuldnerische Vermögen unabhängig von seiner Belegenheit erfassen soll, beschränken Territorialverfahren sich nur auf das Vermögen, das sich bei ihrer Eröffnung184 in dem Verfahrensstaat befindet, Art. 3 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO. Für das Sekundärinsolvenzverfahren ist dies noch einmal ausdrücklich in Art. 27 Satz 3 EuInsVO geregelt. 4. Die Koordination der Verfahren Die potentielle Vielfalt der Verfahren wirft die Frage nach ihrem Verhältnis und ihrer Koordination auf. Das Hauptinsolvenzverfahren ist einerseits dominant,185 weil ohne es – mit Ausnahme des Partikularinsolvenzverfahrens – grundsätzlich kein Territorialverfahren eröffnet werden kann. Das Sekundärinsolvenzverfahren erfüllt ihm gegenüber primär eine Hilfsfunk-

181 Heiderhoff, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 28 Rn. 1; MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 1. 182 Virgós/Schmit, Nr. 146 f.; Homann, S. 52. 183 Homann, S. 52. 184 MünchKommInsO/Reinhart, Art. 27 EuInsVO Rn. 23; MünchKommBGB/Kindler, Art. 27 EuInsVO Rn. 26. 185 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 31 Rn. 1; Staak, NZI 2004, 480 (481).

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

tion.186 Das kommt insbesondere darin zum Ausdruck, dass Überschüsse, die im Sekundärinsolvenzverfahren erzielt werden, an das Hauptinsolvenzverfahren abzuführen sind, Art. 35 EuInsVO.187 Die Dominanz des Hauptinsolvenzverfahrens zeigt sich auch in den Befugnissen des Hauptinsolvenzverwalters. Er kann verlangen, dass die Verwertung der Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens ausgesetzt wird, und vorschlagen, auf welche Weise das Sekundärinsolvenzverfahren beendet werden soll, Art. 33 f. EuInsVO. Darüber hinaus kann nur er beantragen, ein möglicherweise auf die Sanierung des Schuldners ausgerichtetes Partikularinsolvenzverfahren in ein Liquidationsverfahren umzuwandeln, Art. 37 EuInsVO. Das Hauptinsolvenzverfahren hat andererseits insofern zurückzustehen, als es die Wirkungen des Sekundärinsolvenzverfahrens zu respektieren hat, Art. 17 Abs. 2 EuInsVO. Weil seine eigenen Wirkungen durch diejenigen des Sekundärinsolvenzverfahrens überlagert und suspendiert werden, ist das Hauptinsolvenzverfahren zugleich untergeordnet. Die Koordinationsprobleme, die sich hieraus ergeben, sind nur rudimentär in den Art. 31 ff. EuInsVO geregelt.188 Danach sind die Verwalter vor allem verpflichtet, sich gegenseitig zu unterrichten und zusammenarbeiten.189 5. Das Sekundärinsolvenzverfahren in der Gesellschaftsinsolvenz Ein besonderes Problem im Zusammenhang mit Sekundärinsolvenzverfahren folgt aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO, nach dem jedes von ihnen ein Liquidationsverfahren sein muss. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass eine Niederlassung nicht mehr separat saniert werden kann, wenn das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde.190 Jedenfalls weil die Abstimmung des Hauptinsolvenzverfahrens mit einem Sekundärsanierungsverfahren äußerst schwierig sei, soll das Sekundärinsolvenzverfahren die Liquidation verfolgen.191

186 Virgós/Schmit, Nr. 33; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 27 Rn. 11; Ehricke, in: Aufbruch nach Europa, S. 337 (343); Gottwald, S. 27; Ludwig, S. 156 f.; Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (298); Spahlinger, S. 294. 187 Ausführlich zu Verwertungs- und Verteilungsfragen im Verhältnis von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren: Beck, NZI 2006, 609, und NZI 2007, 1. 188 Ehricke, WM 2005, 397 (398). 189 In der Praxis soll es um die Kooperation der Verwalter eher schlecht bestellt sein; so Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 517 (519). 190 Virgós/Schmit, Nr. 221. 191 Virgós/Schmit, Nr. 221.

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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a) Die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren am „eigentlichen“ Interessenmittelpunkt Für die Insolvenzpraxis wäre ein zwingend liquidierender Charakter des Sekundärinsolvenzverfahrens äußerst problematisch. Verfolgt der Hauptinsolvenzverwalter eine Sanierung des Unternehmens, könnte jedes Sekundärinsolvenzverfahren zum Stolperstein werden, weil das Vermögen, das in seinem Staat belegen ist, dem Hauptinsolvenzverfahren entzogen würde und nicht mehr für eine Sanierung zur Verfügung stünde. Besonders misslich ist dies, wenn sich im Staat des Sekundärinsolvenzverfahrens der überwiegende Teil des Vermögens befindet. Eine besondere Note erhält das Sekundärinsolvenzverfahren, wenn ein Gläubiger es dazu nutzt, sich mittelbar gegen die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens im Ausland zu wehren.192 Wie bereits dargelegt wurde, müssen die Gerichte anderer Mitgliedstaaten die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens im Ausland von Rechts wegen anerkennen.193 Dies hindert jedoch nicht die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat, in dem sich nach Auffassung des Antragstellers der Interessenmittelpunkt der Gesellschaft befindet, an dem das Hauptinsolvenzverfahren mithin „eigentlich“ hätte eröffnet werden müssen und an dem sich möglicherweise der überwiegende Teil des Vermögens des Schuldners befindet. Zwar ist es auf den ersten Blick widersprüchlich, die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens erfolgreich an dem „wahren“ Interessenmittelpunkt beantragen zu können, obwohl es gerade nicht an dem Interessenmittelpunkt, sondern nur dort eröffnet werden kann, wo der Schuldner eine Niederlassung im Sinne des Art. 2 lit. h) EuInsVO hat. Dementsprechend herrschten zunächst Zweifel, ob das angerufene Insolvenzgericht in diesen Fällen das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnen muss. Durchgesetzt hat sich jedoch die – zwar nicht recht zufriedenstellende, aber rechtlich wohl zutreffende – Ansicht, dass die in Art. 2 lit. h) EuInsVO vorausgesetzte wirtschaftliche Aktivität von nicht vorübergehender Art, die den Einsatz von Personal und Vermögen voraussetzt, auch oder sogar erst recht bei dem Betriebsteil vorliegt, den man vor der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nicht als Niederlassung, sondern als Hauptsitz der Gesell-

192 Vorgeschlagen wird dies unter anderem von Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (451), sowie Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (211). Zu dem Erpressungspotential, das mit der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens verbunden ist, vgl. ausführlich Deyda, S. 190 ff.; ferner Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (31 f.). 193 Ausführlich oben § 2 C II.

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

schaft angesehen und an dem man vielleicht den Interessenmittelpunkt verortet hätte.194 Bei einem einheitlichen Insolvenzgerichtsstand für alle Konzerngesellschaften potenziert sich dieses Problem. Besteht ein Konzern z.B. aus einem Dutzend in verschiedenen Mitgliedstaaten inkorporierten und dort tätigen Gesellschaften, führt ein einheitlicher Gerichtsstand dazu, dass die Hauptinsolvenzverfahren über sämtliche Gesellschaften ungeachtet ihres satzungsmäßigen oder tatsächlichen Sitzes oder der Belegenheit ihres Vermögens in demselben Staat eröffnet werden. De lege lata nicht verhindern lässt sich, dass die Betriebsstätten der Gesellschaften, an denen sich häufig auch der satzungsmäßige und tatsächliche Sitz sowie ein großer Teil des Vermögens der jeweiligen Gesellschaft befinden wird, in den jeweiligen Mitgliedstaaten als Niederlassungen im Sinne des Art. 2 lit. h) EuInsVO anzusehen sind und folglich dort Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden können, die dem Hauptinsolvenzverfahren einen nicht unerheblichen Teil des Vermögens entziehen. Eine erfolgreiche Sanierung des Konzerns wird hierdurch erheblich erschwert.195 Geradezu fatal wäre es aber, wenn das in den Sekundärinsolvenzverfahren erfasste Vermögen, das durchaus das gesamte Vermögen der einzelnen Gesellschaften darstellen kann, zwingend zu liquidieren wäre.196 Äußerst virulent ist daher die Frage, ob das Sekundärinsolvenzverfahren zwingend in der Liquidation des von ihm erfassten Vermögens enden muss.

194 AG Köln NZI 2004, 151 (152 f.); AG Düsseldorf NZI 2004, 269 (271); LG Klagenfurt NZI 2004, 677 (Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens am Sitz der Gesellschaft); Adam, S. 97; Heneweer, S. 144 f.; Herchen, ZInsO 2004, 825 (829); Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (27); Kemper, in: Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rn. 30; Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Art. 2 Rn. 68 f. sowie Art. 27 Rn. 25 f.; Sabel, NZI 2004, 126 (127); Vallender, KTS 2005, 283 (302); Weller, ZHR 169 (2005), 570 (587). 195 Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (300); Laut, S. 141 ff.; Gottwald, S. 43 f.; Flessner, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 403 (405); Kübler, in: FS Wellensiek, S. 795 (795 f.). Als Verteidigungsstrategie herausgebildet hat sich die Beantragung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren; vgl. AG Köln NZI 2004, 151; MeyerLöwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195; Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (30 f.); Reinhart, NZI 2012, 304 (311); zweifelnd: Beck, NZI 2006, 609 (618). 196 So Carstens, S. 115; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (451); Martini, ZInsO 2002, 905 (909); Smid, Dt. und Eur. Int. InsR, Art. 3 EuInsVO Rn. 25; Virgós, Insider’s View, Nr. 21, 78; Vogler, S. 145 mit Fn. 493; Probst, S. 178; wohl auch Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (642 und 651; anders aber in 649); Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 280 (284); Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (331 f.) und Lorenz, S. 40; im Ergebnis auch Rossbach, S. 238, trotz der im Text folgenden Bedenken; differenzierend: Schmiedeknecht, S. 151, und Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 27 Rn. 77; für eine Aufhebung des Liquidationsgebots: Kübler, in: FS Wellensiek, S. 795 (811).

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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b) Zwingend liquidierender Charakter des Sekundärinsolvenzverfahrens? Für einen zwingend liquidierenden Charakter des Sekundärinsolvenzverfahrens sprechen der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO und der Erläuternde Bericht zum EuInsÜ, nach dem kein Sekundärinsolvenzverfahren mit dem Ziel der Reorganisation oder Sanierung des Schuldners eröffnet werden kann; das Ziel bestehe vielmehr in der Liquidation des Schuldnervermögens.197 Jedoch heißt es an anderer Stelle, dass das Sekundärinsolvenzverfahren lediglich zur Liquidation führen können muss.198 Weiter sollen Liquidationsverfahren nach der Legaldefinition in Art. 2 lit. c) EuInsVO zwar zur Liquidation des Schuldnervermögens führen, doch können sie ausdrücklich auch in einem Vergleich oder in einer anderen, die Insolvenz des Schuldners beendenden Maßnahme enden. Der Anhang B der Verordnung, in dem die nationalen Insolvenzverfahrenstypen aufgeführt sind, die für ein Liquidationsverfahren nach Art. 2 lit. c) EuInsVO in Betracht kommen, führt daher unter anderem auch das deutsche Insolvenzverfahren auf, das neben der Liquidation auch die Sanierung des Schuldners ermöglicht.199 Dass die Ausrichtung auf eine Liquidation in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO nicht prinzipiell gemeint sein kann, zeigt sich auch in einzelnen Vorschriften des Kapitels III der Verordnung, das die Sekundärinsolvenzverfahren näher regelt. So gestattet Art. 34 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO ausdrücklich, dass das Sekundärinsolvenzverfahren durch einen Sanierungsplan beendet wird.200 Auch das Schicksal eines Partikularinsolvenzverfahrens, das gemäß Art. 36 EuInsVO ab der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens den Regeln eines Sekundärinsolvenzverfahrens unterliegt, spricht gegen eine zwingende Liquidation im Sekundärinsolvenzverfahren. War das Partikularinsolvenzverfahren – was die Verordnung zulässt – auf die Sanierung des Schuldners ausgerichtet, so kann der Hauptinsolvenzverwalter es zwar in ein Liquidationsverfahren umwandeln. Er muss dies aber nicht tun. Ob ein Sekundärinsolvenzverfahren bei strenger Lesart des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO zwingend liquidierenden Charakter hat, hinge mithin davon ab, ob das Verfahren zunächst ein Partikularinsolvenzverfahren war oder nicht. Diese Unterscheidung wäre nicht nachvollziehbar.201 197

Virgós/Schmit, Nr. 221. Virgós/Schmit, Nr. 64. 199 BT-Drucks. 12/2443 S. 90 f.; Deyda, S. 231; Ehricke, in: Aufbruch nach Europa, S. 337 (340 mit Fn. 17). 200 Ebenso Heneweer, S. 146; Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (537); Weller, ZHR 169 (2005), 570 (588); Torz, S. 136 f.; Vormstein, S. 167 f. 201 Paulus, EuInsVO, Einl. Rn. 101; MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 75. 198

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

Auch müssen die Gründe in Zweifel gezogen werden, die für eine Ausgestaltung des Sekundärinsolvenz- als Liquidationsverfahren angeführt werden. Zwar mag es zutreffen, dass eine Niederlassung nicht mehr separat sanierbar ist, wenn das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde. Doch ist schon fragwürdig, ob die separate Sanierung einer Niederlassung überhaupt jemals als Verfahrensziel in Betracht kommt. Das Rechtssubjekt des Insolvenzverfahrens ist nicht die Niederlassung, sondern der Schuldner. Das Territorialverfahren beschränkt sich zwar auf das Vermögen, das in dem Staat der Niederlassung belegen ist. Doch führt dies nicht zur Insolvenzfähigkeit der Niederlassung. Darüber hinaus ist nur schwer nachvollziehbar, warum die Sanierungsfähigkeit der Niederlassung – genauer: der Einsatz des in dem Staat der Niederlassung belegenen Vermögens zur Sanierung des Schuldners – generell unterbunden wird, obwohl es doch möglich erscheint, dass das Hauptinsolvenzverfahren ebenfalls auf eine Sanierung ausgerichtet ist. Die Handlungsmöglichkeiten der Insolvenzverwalter von vornherein zu beschneiden, lässt sich auch gerade nicht mit drohenden Abstimmungsschwierigkeiten zwischen dem Haupt- und einem Sekundärsanierungsverfahren begründen. Wäre dies die Sorge des Verordnungsgebers gewesen, hätte es nähergelegen, die Kooperationspflichten der Verwalter konkreter auszugestalten. Ausreichend wäre es auch gewesen, die Ausrichtung des Sekundärinsolvenzverfahrens auf eine Sanierung nur für den Fall zu untersagen, in dem das Hauptinsolvenzverfahren die Liquidation verfolgt. Warum der Verordnungsgeber nicht derart differenzierte, sondern einer Sanierung im Sekundärinsolvenzverfahren grundsätzlich ablehnend gegenüberstand, erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte. Die Verordnung befindet sich faktisch auf dem Stand des Jahres 1995, in dem das nahezu identische Europäische Insolvenzübereinkommen entworfen wurde. Eine Sanierung des Schuldnervermögens wurde seinerzeit noch nicht als eine der Liquidation gleichwertige oder ihr gar vorzugswürdige Option wahrgenommen.202 Die Verfasser des Europäischen Insolvenzübereinkommens zweifelten sogar, ob Sanierungsverfahren überhaupt in den Anwendungsbereich des Regelwerkes fallen sollten.203 Da das Hauptinsolvenzverfahren nach ihren Vorstellungen mithin jedenfalls in der Regel auf die Liquidation des Vermögens ausgerichtet war, lag es für sie nahe, den Anwendungsbereich von Sekundärinsolvenzverfahren, die das Hauptinsolvenzverfahren unterstützen sollen, von vornherein auf eine Liquidation zu beschränken. Dieser Ausschluss einer Sanierung im Sekundärinsolvenzverfahren ist je-

202

Vgl. dagegen den Trend zur Sanierung in einigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unter § 3 B III 2. 203 Virgós/Schmit, Nr. 51.

C. Universalität und Verfahrenseinheit

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doch überholt, seit die Vorbehalte gegen eine Sanierung im Insolvenzverfahren weitgehend weggefallen sind. c) Ergebnis der Auslegung und Schlussfolgerung Die veränderte rechtspolitische Haltung zu Sanierungsverfahren allein mag kein hinreichender Grund sein, über den Willen des Normgebers hinwegzugehen, nach dem das Sekundärinsolvenzverfahren auf eine Liquidation ausgerichtet sein soll. Doch kann dies nicht uneingeschränkt gelten, weil der Anhang B der Verordnung zu den Liquidationsverfahren im Sinne des Art. 2 lit. c) EuInsVO auch Verfahrenstypen zählt, die nicht zwingend in der Liquidation enden. Genügen muss es daher, wenn das Sekundärinsolvenzverfahren in der Liquidation enden kann.204 Keine Bedeutung hat Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO folglich für Staaten wie Deutschland, deren Insolvenzrecht nicht strikt zwischen sanierenden und liquidierenden Verfahren unterscheidet.205 Ein Insolvenzplan nach §§ 217 ff. InsO muss daher – auch soweit er eine Niederlassung des Schuldners betrifft – nicht auf eine Liquidation ausgerichtet sein.206 Auch die Eigenverwaltung ist zulässig,207 zumal sie in der Liquidation enden kann.208 6. Zusammenfassung Die gemeinschaftsweiten Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens werden durch potentiell zahlreiche Territorialverfahren eingeschränkt, deren 204 AG Köln NZI 2004, 151 (153); Deyda, S. 231; Duursma-Kepplinger/Duursma/ Chalupsky, Art. 27 Rn. 75; Ehricke, EWS 2002, 101 (107); Ehricke/Ries, JuS 2003, 313 (319); Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (13); Gottwald, S. 43; Heneweer, S. 147; Herchen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 27 Rn. 84; Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 3 Rn. 114; Kolmann, S. 331; Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (305 und 307); Morscher, S. 48 mit Fn. 310; Paulus, EWS 2002, 497 (502 f.); ders., EuInsVO, Einl. Rn. 100; Spahlinger, S. 330; Virgós/Garcimartín, Nr. 327; Wimmer, ZInsO 2005, 119 (124); wohl auch Wunderer, WM 1998, 793 (800); a.A. wohl Kemper, in: Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rn. 36. 205 Wimmer, ZIP 1998, 982 (989); MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 64; HamburgerKommInsO/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rn. 43. 206 MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 64; MünchKommInsO/Reinhart, Art. 27 EuInsVO Rn. 21; Paulus, NZI 2001, 505 (514 f.); Wimmer, ZInsO 2005, 119 (124); ohne weitere Argumente zweifelnd an der Zulässigkeit des Insolvenzplanverfahrens: Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195 (196); Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 517 (518). 207 AG Köln NZI 2004, 151 (153); Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 125; Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195 (197 f.); Vallender, KTS 2005, 283 (311 f.); Weller, ZHR 169 (2005), 570 (592 f.); kritisch aber: Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (540); Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528 (540); Heneweer, S. 164–170. 208 Uhlenbruck, in: Uhlenbruck, § 270 Rn. 14; MünchKommInsO/Wittig/Tetzlaff, § 270 Rn. 50.

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

Wirkungen sich auf das im Zeitpunkt ihrer Eröffnung in dem Verfahrensstaat belegene Vermögen beschränken und die im Übrigen dieselben Eigenschaften wie das Hauptinsolvenzverfahren besitzen. Insbesondere sind auch sie von Rechts wegen gemeinschaftsweit anzuerkennen und unterliegen ihrer jeweiligen lex fori concursus. Entsprechend verschränkt ist ihr Verhältnis zu dem Hauptinsolvenzverfahren: Einerseits können Territorialverfahren mit Ausnahme von Partikularverfahren nicht eröffnet werden, sofern kein Hauptinsolvenzverfahren existiert; sie dienen in erster Linie dazu, das Hauptinsolvenzverfahren zu unterstützen. Andererseits sind Territorialverfahren gegenüber dem Hauptinsolvenzverfahren insoweit vorrangig, als sie dessen Wirkungen in ihrem jeweiligen Geltungsbereich überlagern. Für die Praxis relevant sind in erster Linie Territorialverfahren, die nach einem Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden. Diese sogenannten Sekundärinsolvenzverfahren können nur in den Staaten eröffnet werden, in denen der Schuldner eine Niederlassung betreibt, bei der es sich wegen der weit gefassten Legaldefinition in Art. 2 lit. h) EuInsVO auch um den „eigentlichen Hauptsitz“ oder „wahren Interessenmittelpunkt“ handeln kann. Zwingend in der Liquidation enden müssen Sekundärinsolvenzverfahren entgegen einer verbreiteten Meinung jedoch nicht.

D. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verordnung D. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verordnung

Der Insolvenzgerichtsstand ist nicht nur für die Eröffnungszuständigkeit und das anwendbare Insolvenzrecht, sondern auch dafür maßgeblich, ob die Europäische Insolvenzverordnung überhaupt anwendbar ist. Unter das Regime der EuInsVO fällt eine Insolvenz nur, wenn sich der Interessenmittelpunkt des Schuldners in dem Geltungsgebiet der Verordnung befindet.209 Darüber hinaus muss ein grenzüberschreitender Bezug existieren, weil rein nationale Sachverhalte den Europäischen Binnenmarkt nicht beeinträchtigen können und die EuInsVO andernfalls von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 65 lit. b) EG (nunmehr Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV)210 nicht gedeckt wäre.211 Unklar ist, wie der grenzüberschreitende Bezug beschaffen sein muss. Insoweit ist zwischen der Qualität des Bezuges und der Qualität der Grenzüberschreitung zu unterscheiden. 209

Erwägungsgrund (14). Waren Maßnahmen unter der Ermächtigungsgrundlage des Art. 65 lit. b) EG nur dann zulässig, „soweit“ sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind, sind sie nunmehr zulässig, „insbesondere wenn“ sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind. Die Binnenmarktbezug ist mithin nicht mehr Voraussetzung, sondern nur noch Regelbeispiel; Dutta, EuZW 2010, 530 (531). Auf die EuInsVO wirkt sich diese Änderung nicht aus. 211 Herchen, ZInsO 2003, 742 (744); Konecny, in: Smid, Neue Fragen, S. 106 (109). 210

D. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verordnung

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Wie der Bezug selbst beschaffen sein muss, ergibt sich weder aus der EuInsVO noch aus dem EuInsÜ, dessen Entwürfen oder den dazugehörenden Materialien.212 Im Hinblick auf den Zweck der Verordnung, für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes zu sorgen, dürfen die Anforderungen an ihre Anwendbarkeit nicht zu hoch angesetzt werden.213 Ausreichend ist ein Auslandsbezug jedenfalls dann, wenn die Verordnung an ihn Vorschriften anknüpft, die auf das Recht eines anderen Staates verweisen,214 wenn ein Gläubiger im Ausland wohnt215 oder wenn sich Vermögen oder Verbindlichkeiten des Schuldners im Ausland befinden.216 Zusammengefasst folgt der grenzüberschreitende Charakter der Insolvenz mithin aus einem internationalen Bezug der betroffenen Rechtsverhältnisse, der beteiligten Personen oder der Belegenheit von Vermögen.217 Nicht abschließend geklärt ist weiter, welche Qualität die Grenzüberschreitung haben muss. Gemeint ist, ob der grenzüberschreitende Bezug zu irgendeinem Staat218 genügt oder ob ein Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat219 bestehen muss.220 Der EuGH hat diese Frage bisher nur für das 212

Herchen, ZInsO 2003, 742 (744). Huber, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 1 Rn. 16; Paulus, NZI 2001, 501 (508 f.); Schmiedeknecht, S. 174; Herchen, ZInsO 2003, 742 (744); Adam, S. 25; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (136). 214 Huber, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 1 Rn. 16 ; ders., ZZP 114 (2001), 133 (136); Herchen, ZInsO 2003, 742 (744); Lorenz, S. 20. 215 AG Hamburg NZI 2009, 343 (344 m.w.N.); Adam, S. 25; Carstens, S. 5; Homann, S. 16; Huber, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 1 Rn. 16; Smid, in: FS Geimer, S. 1215 (1224); Wehdeking, DZWIR 2003, 133; so schon Houin, KTS 1961, 177 (179); a.A. Paulus, EuInsVO, Einl. Rn. 60. 216 Flessner, in: FS Heinsius, S. 111 (111 f.); Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (299); Carstens, S. 5; Adam, S. 25. 217 Homann, S. 16 m.w.N. 218 Gottwald/Kolmann, in: Gottwald, InsRHdb, § 130 Rn. 10; Haß/Herweg, in: Geimer/ Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 11; Haubold, IPRax 2003, 34 (35); Herchen, ZInsO 2003, 742 (744–747); ders., ZInsO 2004, 825 (830); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (138); ders., EuZW 2002, 490 (491); Konecny, in: Smid, Neue Fragen, S. 106 (110 f.); Ludwig, S. 43; Virgós/Garcimartín, Nr. 26. 219 Adam, S. 29; Carstens, S. 35; Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (333) (für das EuInsÜ); Duursma-Kepplinger, NZI 2003, 87; Duursma-Kepplinger/Duursma; IPRax 2003, 505 (506); Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 1 Rn. 3; Eidenmüller, in: Eidenmüller, § 9 Rn. 8; ders., IPRax 2001, 2 (5); Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221 (222); Keggenhoff, S. 61–64; Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker, § 17 Rn. 10; MünchKommBGB/Kindler, Art. 1 EuInsVO Rn. 28; Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 1 Rn. 120; Rossbach, S. 18; Smid, DZWIR 2003, 397 (402 f.); Torz, S. 28; Vallender, KTS 2005, 283 (285); wohl auch Becker, ZEuP 2002, 287 (292), und Ehricke/Ries, JuS 2003, 313. 220 Entgegen Sabel/Schlegel, EWiR 2003, 367 (368) – ihnen folgend Vogler, S. 79 f., sowie Konecny, in: Smid, Neue Fragen, S. 106 (110), und Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 1 Rn. 116 mit Fn. 127 – hat der High Court of Justice Chancery Division Companies 213

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

europäische Zivilverfahrensrecht entschieden. Für die Anwendbarkeit des EuGVÜ – und somit im Ergebnis auch der EuGVVO – sei ein Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat nicht erforderlich.221 Ob sich dieses Urteil auf die EuInsVO übertragen lässt, mag dahingestellt bleiben. In der Insolvenzpraxis dürfte sich die Frage nach dem Erfordernis eines grenzüberschreitenden Bezuges zu einem anderen Mitgliedstaat regelmäßig nicht stellen, weil dort – anders als im Zivilverfahrensrecht – nicht ein einzelnes Rechtsverhältnis, sondern alle vermögensrechtlichen Beziehungen des Schuldners erfasst werden. Zumindest ein Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat wird daher regelmäßig existieren. Die Frage nach der Anwendbarkeit der Europäischen Insolvenzverordnung verdichtet sich damit auf die Frage, in welchem Staat sich der Interessenmittelpunkt befindet. Die Bedeutung der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO kann vor diesem Hintergrund gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

E. Der Gerichtsstand für insolvenzbezogene Annexverfahren E. Der Gerichtsstand für insolvenzbezogene Annexverfahren

Wie bedeutend der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist, zeigt sich letztlich auch in der Diskussion um die Frage, welches Gericht für sogenannte insolvenzbezogene Annexverfahren international zuständig sein soll, die in einem engen inneren Zusammenhang mit der Insolvenz des Schuldners stehen.222 Ob sich die internationale Zuständigkeit für diese Annexverfahren aus nationalem Recht,223 aus den Zuständigkeitsvorschrif-

Court (Justice Lloyd) in der Rechtssache BRAC Rent-A-Car in ZIP 2003, 813, nicht entschieden, dass die EuInsVO auch dann anwendbar ist, wenn Bezüge nur zu Drittstaaten bestehen, sondern lediglich, dass die EuInsVO auch dann anwendbar ist, wenn die insolvente Gesellschaft in einem Drittstaat gegründet wurde. Bezüge zu anderen Mitgliedstaaten bestanden im konkreten Fall nämlich zu Spanien und Italien; vgl. Carstens, S. 35; Herchen, ZInsO 2003, 742 (745); Krebber, IPRax 2004, 540 (542). 221 EuGH Slg. 2005, I-1383 = NJW 2005, 2979 – Owusu. 222 Der Begriff des insolvenzbezogenen Annexverfahrens lässt sich kaum definieren; Carstens, S. 103; vgl. näher MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 87 ff.; Trunk, S. 114–118; Kemper, in: Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rn. 22; Haas, NZG 1999, 1148 (1150 ff.); Haubold, IPRax 2002, 157; Rossbach, S. 214, nennt Insolvenzanfechtungsklagen, Herausgabeklagen, Schadensersatzklagen, Feststellungsklagen, Aus- und Absonderungsklagen und Klagen gegen die Masse aus vom Insolvenzverwalter geschlossenen Verträge als Beispiele; enger Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 27; vgl. auch Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 114, sowie Weller, ZGR 2008, 835 (846 mit Fn. 79); ferner EuGH ZIP 2012, 1049. 223 So wohl de Christofaro, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 39 (47–51); vgl. ferner die Nachweise bei Willemer, S. 61 in Fn. 18.

F. Schlussfolgerung

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ten der EuGVVO224 oder aber aus einer analogen Anwendung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO225 ergibt, ist streitig.226 Die Problematik kann schon wegen ihres Umfangs hier nicht behandelt werden. Jedenfalls für die Insolvenzanfechtungsklage hat der EuGH den Streit zugunsten einer analogen Anwendung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entschieden.227 Die Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes erhöht sich hierdurch noch weiter.

F. Schlussfolgerung F. Schlussfolgerung

Die Untersuchung der rechtlichen Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes hat gezeigt, dass die internationale Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, die an den Interessenmittelpunkt des Schuldners anknüpft, der Dreh- und Angelpunkt der Verordnung ist, weil sich nach ihr die Anwendbarkeit der Verordnung und das anwendbare Insolvenzrecht richten, dessen Geltungsbereich sich gemeinschaftsweit ausdehnt. Der Grundsatz der automatischen Anerkennung, der auf dem gegenseitigen Vertrauen beruht, das in dem Erwägungsgrund (22) verankert ist, steht hierzu in einem ambivalenten Verhältnis: Einerseits stärkt er die Bedeutung des Interessenmittelpunktes, weil dieser mit Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens für alle Mitgliedstaaten verbindlich festlegt wird. Andererseits entwertet er ihn insofern, als nicht entscheidend ist, ob das eröffnende Gericht nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO international zuständig war, sondern nur, dass es sich für zuständig gehalten hat. Das ist bemerkenswert, weil hierin ein zentrales Anliegen des europäischen Gesetzgebers zum Ausdruck kommt: Die Wirksamkeit und die Effizienz des grenzüberschreitenden Insolvenzverfahrens sind ihm im Zweifel wichtiger als die zutreffende Beurteilung der internationalen 224 OLG Frankfurt ZIP 2006, 769; Rossbach, S. 223 f.; MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 89; differenzierend: Thole, ZIP 2006, 1383 (1386 f.). 225 Carstens, S. 110; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 25 Rn. 36–43; Gruber, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 25 Rn. 30; Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 23; MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 85; Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 110; Paulus, RabelsZ 70 (2006), 458 (469); Strobel, S. 265 f.; Virgós/Schmit, Nr. 77; Virgós, Insider’s View, Nr. 29; Weller, ZHR 169 (2005), 570 (577); ders., IPRax 2004, 412 (415); ders., S. 277 ff.; Willemer, S. 101 f.; Zeuner/ Elsner, DZWIR 2008, 1 (5). 226 Vgl. näher Willemer, Vis attractiva concursus und die Europäische Insolvenzverordnung, insbesondere S. 60 bis 102; Strobel, Die Abgrenzung zwischen EuGVVO und EuInsVO im Bereich insolvenzbezogener Einzelentscheidungen; Lorenz, Annexverfahren bei Internationalen Insolvenzen. 227 EuGH Slg. 2009, I-767 = NJW 2009, 2189 (2190), Nr. 28 – Deko Marty Belgium. Der BGH hat die örtliche Zuständigkeit des deutschen Instanzgerichts folgerichtig aus einer entsprechenden Anwendung des Art. 102 § 1 EGInsO hergeleitet; BGH NJW 2009, 2215 (2216).

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§ 2 Die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes

Zuständigkeit. In welchem Mitgliedstaat sich das Gericht befindet, das sich für zuständig erklärt und damit sein Insolvenzrecht zur Anwendung bringt, ist ihm – überspitzt ausgedrückt – weniger wichtig. Die geringen Voraussetzungen, unter denen Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden können, ändern nichts an dieser Beurteilung. Indem sie dem Hauptinsolvenzverfahren einen Teil seines Vermögens entziehen, schmälern sie die Bedeutung des Interessenmittelpunktes zwar. Doch geschieht dies unabhängig davon, ob das Gericht des Hauptinsolvenzverfahrens seine Zuständigkeit zu Recht angenommen hat. Die Existenz von Sekundärinsolvenzverfahren bedeutet daher keine Abkehr von dem Grundsatz, nach dem Effektivität und Effizienz wichtiger sind als inhaltliche Richtigkeit. Das bedeutet nicht, dass es gleichgültig wäre, wie man den Interessenmittelpunkt auslegt. Doch zeigt es, wie bedeutend die Effizienz des Insolvenzverfahrens für den europäischen Insolvenzgerichtsstand ist. Hierauf wird zurückzukommen sein.

§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand § 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

Nachdem die rechtliche Bedeutung des Insolvenzgerichtsstandes nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO herausgearbeitet wurde, stellt sich die Frage, ob ein Konzerninsolvenzgerichtsstand de lege lata möglich und erstrebenswert ist. Dazu muss vorab geklärt werden (A.), welche Eigenschaften einen Konzern auszeichnen (I.) und unter welchen Voraussetzungen eine Konzerninsolvenz (II.) vorliegt. Müßig wäre die Diskussion um einen Konzerninsolvenzgerichtsstand, wenn er nicht wirtschaftlich sinnvoll wäre (B.). Anschließend stellt sich die Frage, ob bereits andere Möglichkeiten existieren, die mit der Konzerninsolvenz verbundenen Probleme ebenso gut in den Griff zu bekommen (C.) und ob ein Konzerninsolvenzgerichtsstand unter dem Regime der EuInsVO überhaupt zulässig ist (D.).

A. Der Konzern und seine Insolvenz A. Der Konzern und seine Insolvenz

I. Der Begriff des Konzerns 1. Die Vielgestaltigkeit des Konzerns Das Recht hinkt der Wirklichkeit häufig hinterher. Statt ex ante alle Sachverhaltskonstellationen zu erfassen, erweist es sich oft als lückenhaft und unzureichend, um die Probleme zu lösen, die sich aus dem grundsätzlich grenzenlosen Gestaltungsspielraum der Handelnden ergeben. Das Konzernrecht ist hierfür ein typisches Beispiel: Die Existenz der juristischen Person ist allgemein anerkannt und regelmäßig ausführlich geregelt. Nur rudimentär oder überhaupt nicht normiert ist dagegen das Phänomen, dass diese juristischen Personen wirtschaftlich miteinander verflochten sein können.1 An ihrer rechtlichen Selbständigkeit ändert dies nichts.2 Faktisch lässt sich jedoch kaum von Selbständigkeit reden, wenn ein Rechtssubjekt von einem anderen abhängig ist, etwa weil es mit letzterem einen Beherrschungs-, Gewinnabführungs- oder sonstigen Unternehmensvertrag ge1 2

Dazu sogleich unter § 3 A I 2 b). Vgl. § 15 AktG.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

schlossen hat,3 in ein anderes eingegliedert ist4 oder weil die Mehrheit seiner Anteile von einer anderen Gesellschaft gehalten wird.5 Gemein ist all diesen Konstellationen, dass die Beherrschung durch ein anderes Unternehmen zu Fremdbestimmung und Interessenkonflikten führen kann. Ist die Gesellschaft in ihren Entscheidungen aber nicht mehr frei, droht sie zum Spielball des Konzerninteresses zu werden, das von dem herrschenden Unternehmen bestimmt wird. In einer solchen Situation sind neben der abhängigen Gesellschaft regelmäßig auch ihre Minderheitsgesellschafter und Gläubiger schutzbedürftig.6 Unter welchen Voraussetzungen wem auf welche Weise konkret Schutz zu gewähren ist, hängt aber nicht nur von der konzernrechtlichen Gestaltung, sondern auch von der situations- oder rechtsgebietsspezifischen Gefährdungslage ab.7 So bestehen etwa für die Zwecke der Rechnungslegung, des Kapitalmarktrechts oder der Konzernbildungskontrolle ganz verschiedene Gründe, die eine gesetzliche Regelung der Konzernierung erforderlich erscheinen lassen und eine rechtliche Konkretisierung des Phänomens „Konzern“ erschweren. 2. Der Konzern in Europa a) Der Fehlschlag einer umfassenden gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung Die Vielgestaltigkeit der konzernrechtlichen Erscheinungsformen und die Abhängigkeit des erforderlichen Schutzes von der rechtsspezifischen Gefährdungslage erschweren eine Definition des Konzerns. Einer Vereinheitlichung des Konzernrechts auf europäischer Ebene haben darüber hinaus rechtspolitische Gründe wie die Mitbestimmung entgegengestanden. Die Neunte gesellschaftsrechtliche Richtlinie8 zur Angleichung des Konzernrechts ist nie in Kraft getreten und gilt als gescheitert.9 Die Kommission der Europäischen Union hat ihr Vorhaben, das Konzernrecht umfassend zu harmonisieren, im Rahmen ihres Aktionsplans vom 21.5.2003 aufgegeben.10 Auch das Statut der Europäischen Gesellschaft11 enthält keine mate3

Vgl. §§ 291–310 AktG. Vgl. §§ 319–327 AktG. 5 Vgl. §§ 311–318 AktG. 6 Hommelhoff, in: Lutter, Konzernrecht im Ausland, S. 55 (61). 7 Hopt, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 279 (282 f.). 8 (Zweiter) Vorentwurf einer Neunten Richtlinie (Konzernrechtsrichtlinie) von 1984, abgedruckt in ZGR 1985, 446 ff. 9 Habersack/Verse, § 4 Rn. 1; KK-AktG/Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 132 m.w.N. in Fn. 422. 10 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, KOM/2003/0284 endgültig. 4

A. Der Konzern und seine Insolvenz

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riell-konzernrechtlichen Regelungen.12 Die im Jahre 1998 vom Forum Europaeum Konzernrecht – einer aus namhaften Rechtswissenschaftlern bestehenden Kommission – unterbreiteten Vorschläge für eine Vereinheitlichung des europäischen Konzernrechts13 können daher allenfalls die Grundlage für eine rechtsgebietsspezifische Angleichung konzernrechtlich relevanter Vorschriften werden,14 wie sie das Bilanzrecht mit der Siebenten Richtlinie über den konsolidierten Abschluss15 und das Übernahmerecht mit der Übernahmerichtlinie16 bereits erfahren haben. Eine umfassende Harmonisierung des allgemeinen Konzernrechts auf europäischer Ebene aber steht nicht zu erwarten.17 b) Die fragmentarische Regelung in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Die Rechtslage im Europäischen Binnenmarkt bleibt unübersichtlich.18 Betrachtet man die mitgliedstaatlichen Regelungen, mit denen das Phänomen verbundener Unternehmen erfasst wird, so ist der Befund ernüchternd: Die 11

Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABlEU Nr. L 294 vom 10.11.2001, S. 1. 12 Hommelhoff, AG 2003, 179 (179 f.); Jaecks/Schönborn, RIW 2003, 254; KK-AktG/ Koppensteiner, Vorb. § 291, Rn. 131; Engert, ZVglRWiss 104 (2005), 444. 13 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672–772; vgl. hierzu Hopt, in: Aufbruch nach Europa, S. 17, sowie Fleischer, AG 1999, 350. 14 Lutter, BB 2004, I; Bayer, BB 2004, 1 (8). 15 Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983, ABlEG Nr. L 193 vom 18.7.1983, S. 1. 16 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABlEU Nr. L 142 vom 30.4.2004, S. 12; die konzernrechtliche Relevanz ergibt sich daraus, dass das Pflichtangebot als ein Instrument der Konzerneingangskontrolle verstanden werden kann; vgl. Jaecks/Schönborn, RIW 2003, 254 (258). 17 UNCITRAL erarbeitet derzeit einen Legislative Guide on Insolvency Law, der in seinem dritten Teil unverbindliche Empfehlungen an die teilnehmenden Staaten vorsieht, wie sie ihr Insolvenzrecht gestalten können, um Konzerninsolvenzen zu bewältigen. Der Leitfaden und die zu ihm gehörenden Arbeitspapiere finden sich unter www.uncitral.org/ uncitral/en/commission/working_groups/5Insolvency.html (9.6.2012). Danach soll unter einem Konzern die Verbindung zweier oder mehrerer Unternehmen zu verstehen sein, die entweder auf Kontrolle oder auf erheblichem Anteilsbesitz beruht; vgl. hierzu auch Paulus, ZGR 2010, 270 (272 ff.). Für ein Verständnis des Konzerns im Sinne des § 290 HGB, soweit diese Vorschrift auf Gemeinschaftsrecht beruht: Hirte, ZIP 2008, 444 (446); Paulus, ZGR 2010, 270 (284); Thesenpapier der Arbeitsgruppe Europa der ARGE Insolvenz und Sanierung im Deutschen Anwaltverein vom 14.9.2011, ZInsO 2011, 1788; kritisch: K. Schmidt, KTS 2010, 1 (12). 18 Vgl. auch Lübking, S. 26–28, sowie die UNCITRAL-Arbeitspapiere A/CN.9/ WG.V/WP.90 und A/CN.9/WG.V/WP.92, die unter der in der vorstehenden Fußnote genannten Internetadresse zugänglich sind.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

meisten Rechtsordnungen haben auf eine umfassende Kodifikation des Konzernrechts bisher verzichtet.19 Sie reagieren auf die Gefahren, die sich aus einer Konzernierung ergeben, eher situationsbezogen20 mit den Mitteln des „einfachen“ Gesellschaftsrechts.21 Ein allgemeines Konzernrecht existiert in den meisten Mitgliedstaaten nicht.22 Völlig offenbleibt damit, was im Europäischen Binnenmarkt unter einem Konzern zu verstehen ist. Welche Rechtsform müssen die Beteiligten besitzen, um Teil eines Konzerns sein zu können? Können nur Kapitalgesellschaften einen Konzern bilden,23 genügt es, dass das herrschende Unternehmen diese Voraussetzung erfüllt,24 kommt es auf die Rechtsform der Gesellschaft grundsätzlich nicht an, solange die Gesellschaft hinreichend rechtlich verselbständigt ist,25 und kann vielleicht sogar eine natürliche Person ein Unternehmen sein?26 Liegt ein Konzern nur vor, wenn das herrschende Unternehmen seine Macht tatsächlich ausübt, oder bereits dann, wenn es seine Macht ausüben könnte? Äußerst unklar ist auch, worauf sich die Macht des herrschenden Unternehmens gründen muss, die den Anlass für eine Regelung des Konzernphänomens darstellt. Ein Vertrag, durch den sich ein Unternehmen der Leitung eines anderen unterstellt oder sich verpflichtet, seinen gesamten Gewinn abzuführen, ist gewiss geeignet, eine konzerntypische Gefähr-

19

Hommelhoff, in: Lutter, Konzernrecht im Ausland, S. 55 (57 und 63); Überblick bei KK-AktG/Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 115–127. Einen – wenn auch nicht mehr ganz aktuellen – Überblick über die Kodifikation in zahlreichen Mitgliedstaaten bieten Lutter (Hrsg.), Konzernrecht im Ausland (1994), und Mestmäcker/Behrens (Hrsg.), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich (1991), sowie unter besonderer Berücksichtigung des Kapitalmarktrechts Hommelhoff/Hopt/Lutter (Hrsg.), Konzernrecht und Kapitalmarktrecht (2001). 20 Hommelhoff, in: Lutter, Konzernrecht im Ausland, S. 55 (58); vgl. auch KK-AktG/ Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 115–127. 21 Hommelhoff, ZGR 1992, 121 (129); Hommelhoff, in: Lutter, Konzernrecht im Ausland, S. 55 (69); Habersack/Verse, § 4 Rn. 16. 22 Hommelhoff, ZGR 1992, 121 (126); zu den wenigen Ausnahmen und Teilkodifikationen, vgl. KK-AktG/Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 115–127. Kodifikationen gibt es z.B. in Portugal, vgl. Pinto Robeiro, in: Mestmäcker/Behrens, S. 203–215; Lutter/Overrath, in: Lutter, Konzernrecht im Ausland, S. 229 (231–233); KK-AktG/Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 116 m.w.N., sowie in Tschechien, vgl. KK-AktG/Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 119, und darüber hinaus in Ungarn und Slowenien, vgl. MünchKommAktG/ Altmeppen, Einl. zu §§ 291 ff. Rn. 31. Zum italienischen Konzernrecht, vgl. auch Hartl, NZG 2003, 667 (668 f.). 23 Lutter/Overrath, in: Konzernrecht im Ausland, S. 229 (232) (Portugal); KK-AktG/ Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 116 (Portugal). 24 Prentice, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 99 (Großbritannien). 25 Skog, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 211 (214) (Schweden). 26 Vgl. Doralt/Kalss, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 177 (179 f.) (Österreich); Ruiz Peres, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 243 (245) (Spanien).

A. Der Konzern und seine Insolvenz

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dungslage herbeizuführen.27 Gilt dies aber auch dann, wenn die Abhängigkeit weniger unternehmensvertraglicher und nicht gesellschaftsrechtlicher, sondern vielmehr faktischer Natur ist, z.B. weil ein Unternehmen sein Produkt nur an einen einzigen Abnehmer verkauft und deshalb darauf angewiesen ist, dass die Vertragsbeziehung nicht beendet wird?28 Die gesellschaftsrechtlich vermittelte faktische Beherrschung wirft zahlreiche weitere Fragen auf: Welche Anforderungen sind etwa an die Stimmenmehrheit zu stellen, mit der das herrschende das Schicksal des abhängigen Unternehmens bestimmen kann? Muss jenes in der Lage sein, die Führungsorgane des abhängigen Unternehmens zu bestellen und abzuberufen? Genügt – sofern letzteres etwa nur mit einer Zweidrittel- oder noch höheren Mehrheit möglich sein sollte – allgemein die absolute Mehrheit aller Stimmrechte und muss insoweit berücksichtigt werden, dass bei einem hohen Streubesitz regelmäßig weniger als die Hälfte der Stimmrechte erforderlich ist, um die Entscheidungen eines Unternehmens beeinflussen zu können?29 Beschränkt sich ein Konzern auf jeweils zwei Rechtssubjekte oder werden auch mehrstufige Verhältnisse erfasst?30 Wie wird die mittelbare Abhängigkeit im mehrstufigen Konzern dem herrschenden Unternehmen zugerechnet?31 Und setzt ein „Konzern“ überhaupt eine „einheitliche Leitung“ der Unternehmen, eine „Kontrolle“ oder zumindest „Abhängigkeit“32 voraus? Es wäre vermessen, all diese Fragen beantworten zu wollen, obwohl hierüber in Jahrzehnten europäischer Rechtsetzungsbemühungen keine Einigung erzielt werden konnte. Festzuhalten bleibt, dass das europäische Konzernrecht ein unübersichtlicher, multinationaler Flickenteppich ist: Der Konzern existiert regelmäßig nur als Phänomen, nicht aber als Gegenstand von Normen.

27 Doch ist der Beherrschungsvertrag des deutschen Konzernrechts den meisten Rechtsordnungen unbekannt; KK-AktG/Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 130. 28 Fasciani, ECFR 2007, 195 (198) (Italien); Kindler, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 123 (126) (Italien); Guyon, in: Lutter, Konzernrecht im Ausland, S. 76 (77) (Frankreich); anders dagegen die h.M. in Deutschland, vgl. KK-AktG/Koppensteiner, § 17 Rn. 59 m.w.N. zu beiden Ansichten. 29 Helms, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 69 (70 f.) (Frankreich); Kindler, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 123 (125 f.) (Italien). 30 Doralt/Kalss, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 177 (179) (Österreich); Ruiz Peres, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 243 (245) (Spanien). 31 Zu den Rechtsvermutungen im spanischen Recht, vgl. Ruiz Peres, in: Hommelhoff/ Hopt/Lutter, S. 243 (248–251). 32 Vgl. Rescigno, in: Mestmäcker/Behrens, S. 339 (343) (Italien).

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

c) Der Konzern im deutschen Recht Das deutsche Recht mit seinen allgemeinen Regelungen über verbundene Unternehmen in den §§ 15 bis 22 AktG und seinen besonderen Vorschriften in den §§ 291 ff. AktG bildet insoweit eine Ausnahme.33 Während die §§ 15 bis 19 AktG definieren, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen miteinander verbunden sind, begegnen die §§ 291 ff. AktG den Gefahren, die sich daraus ergeben. Einen Konzern bilden Unternehmen gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG nur, wenn sie unter der einheitlichen Leitung eines herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind. Die einheitliche Leitung äußert sich z.B. in einer einheitlichen Finanzplanung.34 Einheitliche Leitung liegt nach § 18 Abs. 1 Satz 2 AktG vor allem immer dann vor, wenn zwischen zwei Unternehmen ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag besteht oder das eine in das andere eingegliedert ist; die einheitliche Leitung wird widerleglich vermutet, wenn ein Unternehmen von einem anderen abhängig ist, § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG. Die Abhängigkeit wird nach § 17 Abs. 2 AktG ihrerseits vermutet, wenn ein Unternehmen im Mehrheitsbesitz eines anderen steht, wobei dieser nach § 16 Abs. 1 AktG sowohl durch Anteilsals auch durch Stimmenmehrheit vermittelt werden kann. Abhängig ist ein Unternehmen mithin bereits dann, wenn ein anderes Unternehmen seinen beherrschenden Einfluss ausüben kann, § 17 Abs. 1 AktG. Ob dies unmittelbar oder mittelbar geschieht, die Beherrschung also in einem zwei- oder mehrstufigen Verhältnis möglich ist, ist unerheblich, §§ 17 Abs. 1, 16 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 AktG. Miteinander verbunden sind Unternehmen endlich bereits dann, wenn jedes mindestens ein Viertel der Anteile des anderen hält, § 19 Abs. 1 Satz 1 AktG. Für den erforderlichen Schutz vor den Gefahren, die sich aus der wirtschaftlichen Verbundenheit ergeben, unterscheidet das deutsche Recht weiter zwischen dem Vertragskonzern, dem faktischen Konzern und der Eingliederung. Auf die Bestimmungen der §§ 291 ff. AktG braucht hier jedoch nicht näher eingegangen zu werden, weil für den Begriff des Konzerninsolvenzgerichtsstandes allein interessiert, unter welchen Voraussetzungen es für die Zwecke der Insolvenz sinnvoll ist, von der Konzernierung einer insolventen Gesellschaft auszugehen. Die §§ 291 ff. AktG können zu der Beantwortung dieser Frage schon deshalb nichts beitragen, weil sie sich auf den Konzern als „lebendiges“ Wesen beziehen. Ihre Anwendbarkeit setzt mithin grundsätzlich die Solvenz der beteiligten Gesellschaf33

Darüber hinaus verfügt auch Portugal über ein kodifiziertes Konzernrecht, das sich an das Konzernrecht Brasiliens anlehnt; vgl. KK-AktG/Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 128. 34 BGHZ 107, 7 (20) = NJW 1989, 1800 (1803) – Tiefbau; BGHZ 115, 187 (191) = NJW 1991, 3142 (3143) – Video; Emmerich/Habersack, § 4 Rn. 15.

A. Der Konzern und seine Insolvenz

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ten voraus. Die besonderen Probleme der Insolvenz verbundener Unternehmen erfassen sie nicht. Weiter korrespondiert das besondere Konzernrecht der §§ 291 ff. AktG mit dem allgemeinen Konzernrecht der §§ 15 ff. AktG. Die beiden Normenkomplexe stehen miteinander in Wechselwirkung. Auch die allgemeinen Regeln über den Konzern im deutschen Aktiengesetz sind – trotz ihrer generalisierenden Formulierung – anhand der Schutzzwecke der spezielleren Vorschriften auszulegen.35 Man mag daher durchaus vertreten, dass die Definition des Konzerns im deutschen Recht für den Konzernbegriff im Rahmen einer Konzerninsolvenz überhaupt keine Aussagekraft besitzt. Ob man daher strikt zwischen dem Konzerngesellschafts- und dem Konzerninsolvenzrecht unterscheiden muss, obwohl die beiden Rechtsgebiete jedenfalls im Hinblick auf den Gläubigerschutz auch sich überschneidende Schutzzwecke aufweisen, kann jedoch dahingestellt bleiben. Die Vorstellungen des deutschen Gesetzgebers über die Charakteristika eines Konzerns können wegen der fehlenden Einigkeit über den Konzernbegriff auf europäischer Ebene und des weitgehenden Fehlens konzernrechtlicher Vorschriften in den anderen Mitgliedstaaten ohnehin allenfalls ein Anhaltspunkt sein. 3. Der Konzernbegriff für die Zwecke dieser Arbeit Doch ist fraglich, ob es überhaupt sinnvoll ist, einen Konzernbegriff für die Zwecke dieser Arbeit festzulegen. Einerseits müsste sich diese Definition von den mitgliedstaatlichen Vorstellungen lösen, weil die Verordnung als gemeinschaftsrechtlicher Akt autonom auszulegen ist.36 Andererseits enthält die Verordnung ganz bewusst keine konzernspezifischen Bestimmungen.37 Aus ihr lässt sich daher auch kein autonomer Konzernbegriff herleiten, der über die Fälle hinausgeht, in denen derselbe Gerichtsstand für verbundene Gesellschaften existiert. Unter welchen Voraussetzungen die Hauptinsolvenzverfahren über rechtlich selbständige, wirtschaftlich jedoch – in welcher Weise auch immer – verbundene Gesellschaften zu eröffnen sind, ist wiederum allein eine Frage der Auslegung des Interessenmittelpunktes. Mit der konzerninsolvenzspezifischen Zuständigkeit unter dem Regime der EuInsVO verhält es sich so wie mit der Konzernproblematik in vielen mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechten: Die Enthaltsamkeit des Regelwerkes dient dazu, das Konzernphänomen möglichst flexibel und interessengerecht handhaben zu können, ohne durch strikte

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BGHZ 69, 334 = NJW 1978, 104 – VEBA/Gelsenberg. Virgós/Garcimartín, Nr. 45; MünchKommBGB/Kindler, Vor Art. 1 EuInsVO Rn. 13; Wessels, S. 173. 37 Virgós/Schmit, Nr. 76. 36

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

Definitionen eingeschränkt zu sein.38 Es erscheint vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, für die Zwecke dieser Arbeit einen eigenen Konzernbegriff zu entwickeln. II. Der Begriff der Konzerninsolvenz Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Konzerninsolvenz. Insofern geht es nicht um die Anforderungen an die Insolvenzreife der einzelnen Konzerngesellschaften. Da jede von ihnen rechtlich selbständig ist, richtet sich der Eintritt der Insolvenz jeweils nach dem für sie maßgeblichen Insolvenzrecht, das sich wiederum nach der internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestimmt. Zu klären ist vielmehr, ob von einer Konzerninsolvenz gesprochen werden kann, wenn nur eines oder mehrere, aber jedenfalls nicht alle der potentiell zahlreichen Konzernunternehmen insolvent sind. Müßig wäre diese Überlegung, wenn die Insolvenz eines Konzernunternehmens stets mit der Insolvenz der übrigen einherginge.39 Doch besteht eine derartige Schicksalsgemeinschaft allenfalls im Vertragskonzern, in dem die Solvenzgarantie aus § 302 Abs. 1 AktG, sofern eine solche überhaupt existiert,40 freilich nur die abhängigen Gesellschaften schützt. Nicht ausgeschlossen ist somit, dass zwar das herrschende Unternehmen insolvent ist, nicht aber das abhängige.41 In dem viel häufigeren Fall des faktischen Konzerns wird es zu einem „Domino-Effekt“42 allenfalls dann kommen, wenn das herrschende Unternehmen insolvent wird,43 zumal hier ohnehin keine Pflicht zwischen den Unternehmen besteht, für das jeweils andere finanziell einzustehen. Nicht ausgeschlossen ist somit auch hier, dass zwar das herrschende Unternehmen insolvent ist, nicht aber das abhängige. Die Frage, ob die Insolvenz eines einzelnen verbundenen Unter-

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Hommelhoff, ZGR 1992, 121 (135). In diese Richtung, insbesondere bei Insolvenz der Muttergesellschaft: Ehricke, S. 457; ders., ZInsO 2002, 393 (394); ders., DZWIR 1999, 353 m.w.N. in Fn. 2. 40 Ob aus § 302 Abs. 1 AktG eine Solvenzgarantie folgt, wonach das herrschende Unternehmen verpflichtet ist, einen Jahresfehlbetrag der Tochter auszugleichen, ist umstritten; dafür: MünchKommAktG/Altmeppen, § 302 Rn. 36 m.w.N., sowie aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum Vormstein, S. 150 f.; dagegen die wohl h.M., vgl. KK-AktG/ Koppensteiner, § 302 Rn. 57 m.w.N. 41 Freilich dürfte die Insolvenz der Mutter regelmäßig zu der Insolvenz auch der Tochter führen; Kübler, ZGR 1984, 560 (587). 42 Ehricke, S. 457; Schilling, S. 58; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849 (1850). 43 Schmiedeknecht, S. 183. Dass die Insolvenz der Konzernmutter nicht alle abhängigen Unternehmen mitreißen muss, zeigt die Insolvenz des US-amerikanischen Autozulieferers Delphi, der neben der Muttergesellschaft auch seine 38 inländischen, aber keine seiner ausländischen Gesellschaften betraf; vgl. FAZ vom 10. Oktober 2005, S. 16. 39

A. Der Konzern und seine Insolvenz

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nehmens als Konzerninsolvenz zu bezeichnen ist, stellt sich somit durchaus. Doch ist es kaum möglich, dem Begriff der Konzerninsolvenz einen festen Gehalt zu geben. Solange nicht klar ist, unter welchen Voraussetzungen eine Gesellschaft einem Konzern angehört, lässt sich auch nicht beurteilen, ob die Insolvenz dieser Gesellschaft eine Konzerninsolvenz ist. Und selbst wenn über den Konzernbegriff Klarheit herrschte, wäre eine Definition der Konzerninsolvenz wenig ergiebig, weil dieser Begriff nicht als Ansatzpunkt für rechtliche Normen dient, sondern lediglich ein Phänomen beschreibt.44 Entscheidend ist jedoch nicht die Begrifflichkeit, sondern der materielle Konflikt, den allein der Interessenmittelpunkt aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO lösen kann. Ob die Insolvenz einer Gesellschaft eine „Konzerninsolvenz“ ist oder nicht, spielt für die internationale Insolvenzeröffnungszuständigkeit keine Rolle, weil der einheitliche Gerichtsstand für alle verbundenen Gesellschaften nicht an ein bestimmtes Konzernverhältnis anknüpft, sondern nur an ein bestimmtes Verständnis des Interessenmittelpunktes. Ob sämtliche oder nur einzelne Gesellschaften des Konzerns insolvent sind, ist irrelevant. Die Bezeichnung einer Insolvenz als Konzerninsolvenz vermag insbesondere nichts darüber zu sagen, ob ein Konzerninsolvenzgerichtsstand vorliegt. Soweit im Folgenden dennoch von der Konzerninsolvenz die Rede ist und unter ihr auch die Insolvenz nur eines einzelnen verbundenen Unternehmens verstanden wird, geschieht dies nur, weil auch diese Konstellation üblicherweise als Konzerninsolvenz bezeichnet wird.45 III. Zusammenfassung Unter welchen Voraussetzungen ein so genannter Konzerninsolvenzgerichtsstand vorliegt, hängt nicht davon ab, ob nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben ein Konzern vorliegt, sondern ob die Auslegung des Interessenmittelpunktes zu einer einheitlichen Zuständigkeit für mehrere Gesellschaften führt. Es ist daher durchaus möglich, dass aus gesellschaftsrechtlicher Sicht kein Konzern vorliegt, aus insolvenzrechtlicher Sicht aber ein einheitlicher Insolvenzgerichtsstand (und somit ein „Konzerninsolvenzgerichtsstand“) besteht. Der Konzerninsolvenzgerichtsstand ist – wie auch in vielen Rechtsordnungen der Konzern – kein rechtlicher Ansatzpunkt, sondern nur ein tatsächliches Phänomen. Für den Begriff der Konzerninsolvenz gilt dasselbe.

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Das verkennt Frind, ZInsO 2008, 614; wie hier: Knof/Mock, ZInsO 2008, 499 (499 f.). 45 Vgl. etwa Adam, S. 115; Deyda, S. 27; Schmiedeknecht, S. 181.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes

I. Die bestmögliche Gläubigerbefriedigung Zu klären ist, ob ein Konzerninsolvenzgerichtsstand überhaupt sinnvoll wäre. Die Diskussion um die einheitliche Insolvenzeröffnungszuständigkeit entspringt nicht allein rechtstheoretischen Überlegungen, sondern in erster Linie wirtschaftlichen Bedürfnissen.46 Die Interessen der Beteiligten, ein Insolvenzverfahren an einem bestimmten Ort zu eröffnen, sind vielfältig. Während Richtern unterstellt wird, aus Prestigegründen bedeutende Verfahren an sich zu ziehen,47 sind die Motive der übrigen Beteiligten in der Regel recht profan: Es geht um Geld.48 Insolvenzverwalter leben von der Insolvenz anderer. Dasselbe gilt für Rechtsanwälte, die insbesondere von Kleingläubigern in der Regel nur dann beauftragt werden, wenn sie am Ort des Insolvenzverfahrens tätig sind.49 Die Mitglieder der Leitungsorgane der insolventen Gesellschaften wollen möglichst im Amt bleiben,50 und Schuldner sind häufig geneigt, ihre Besitztümer dem Zugriff ihrer Gläubiger zu entziehen. Letztere wiederum sind verständlicherweise daran interessiert, das Beste – bzw. das Meiste – aus der Insolvenz ihres Schuldners herauszuholen. Doch soll das Insolvenzverfahren nicht zu einem Kampf der Gläubiger ausarten, sondern zumindest in der Regel auch zu einer geordneten, gleichmäßigen und möglichst ertragreichen Gläubigerbefriedigung führen.51 In der Konzerninsolvenz lässt sie sich möglicherweise am besten über einen einheitlichen Gerichtsstand für alle Konzerngesellschaften erreichen, weil die einheitliche internationale Zuständigkeit die Kosten auf ein Minimum beschränken und eine bestmögliche Liquidation oder Sanierung ermöglichen könnte.52 Zu prüfen ist aber auch, ob den Gläubigern durch einen einheitlichen Gerichtsstand Nachteile entstünden und wie erheblich sie wären.

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Eidenmüller, ZGR 2006, 467 (474). Klöhn, KTS 2006, 259 (264 f.); ders., RIW 2006, 568 (569). 48 Klöhn, RIW 2006, 568 (569); Eidenmüller, ZGR 2006, 467 (471). 49 Klöhn, RIW 2006, 568 (569). 50 Klöhn, RIW 2006, 568 (570). 51 Vgl. § 1 Satz 1 InsO. 52 Grundsätzlich eine einheitliche Zuständigkeit befürwortend daher: Braun, NZI 2004, Heft 1, V (VI); Keggenhoff, S. 181–184; Vallender, in: FS Runkel, S. 373 (374). 47

B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes

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II. Die Senkung der Transaktionskosten durch eine geringere Anzahl von Beteiligten 1. Die Identität des Insolvenzgerichts Sind die Gerichte nur eines Staates für die Insolvenzverfahren über alle Konzerngesellschaften international zuständig, sind deutlich weniger Personen an den Verfahren beteiligt, als dies ohne die einheitliche Zuständigkeit der Fall wäre. Geht man davon aus, dass nur ein Gericht örtlich für sämtliche Verfahren zuständig ist,53 konzentriert sich die Zuständigkeit für die Konzerninsolvenz in der Hand eines Insolvenzrichters. Nur ein Insolvenzgericht muss sich in die häufig komplizierten Konzernstrukturen hineindenken,54 um den Fall rechtlich und wirtschaftlich angemessen zu erfassen. Ein Kooperationsbedarf mit anderen, regelmäßig anderssprachigen Insolvenzgerichten sowie die mit der Korrespondenz verbundenen Kosten entfallen.55 Widersprüchliche oder nicht hinreichend aufeinander abgestimmte Entscheidungen sowie Reibungsverluste, die das Verfahrensziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung beeinträchtigen könnten, sind praktisch ausgeschlossen.56 Die Identität des Insolvenzgerichts ist daher grundsätzlich ein sinnvoller Beitrag, die Effizienz von Konzerninsolvenzen zu verbessern.57 Folgerichtig wird auf mitgliedstaatlicher Ebene über die Einführung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes diskutiert.58

53 Das ist immer dann der Fall, wenn die Anknüpfung aus § 3 Abs. 1 InsO zu derselben Gemeinde führt wie die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt oder wenn im Inland keine örtliche Zuständigkeit aus § 3 Abs. 1 InsO besteht; vgl. näher Frind, in: Pannen, EuInsVO, Art. 102 § 1 EGInsO Rn. 3; Deyda, S. 140–142. 54 Ehricke, S. 462; ders., DZWIR 1999, 353 (354 f.); Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528 (537); Bufford, NJILB 27 (2007), 351 (408); Vallender, in: FS Runkel, S. 373 (379). 55 Ehricke, S. 462. 56 Ehricke, DZWIR 1999, 353 (355); Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528 (537); Keggenhoff, S. 182. 57 Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 46; Eidenmüller, KTS 2009, 137 (149); de Christofaro, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 39 (71); Bufford, NJILB 27 (2007), 351 (407 f.); Vallender, in: FS Runkel, S. 373 (379); Probst, S. 150; grundsätzlich ebenso Vormstein, S. 205; für das nationale Recht schon Mertens, ZGR 1984, 542 (557); Kübler, ZGR 1984, 560 (592); Westpfahl, Börsen-Zeitung vom 26. September 2007, S. 2; ablehnend zu der anders gelagerten Frage einer verfahrensrechtlichen Verbindung: Holzer, NZI 2007, 432. 58 Einen Konzerninsolvenzgerichtsstand auf nationaler Ebene schlägt etwa Vallender, in: FS Runkel, S. 373 (391), vor. Vgl. auch Hirte, ZIP 2008, 444; Westpfahl/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 1 (7); Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849 (1851 bis 1853).

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

2. Die Identität des Insolvenzverwalters a) Die Vorteile einer Bestellung derselben Person zum Insolvenzverwalter Dieselben Vorteile lassen sich bei der Person des Insolvenzverwalters erzeugen.59 Wird für alle Verfahren einer Konzerninsolvenz derselbe Verwalter bestellt, bleibt die wirtschaftliche Einheit des Konzerns auch in der Insolvenz gewahrt.60 Kraft seiner umfassenden Verfügungsbefugnis kann der Verwalter den Konzern „aus einer Hand“ sanieren61 oder verwerten. Viele Köche würden dagegen – bildlich gesprochen – den Brei verderben. Besonders deutlich zeigte sich dies in der Insolvenz des AEG-Konzerns,62 in der für die Konzernmutter sowie für die Tochtergesellschaften Küppersbusch, Neff und Zanker jeweils verschiedene Insolvenzverwalter eingesetzt wurden. Weil sich die Tochterunternehmen dem Sanierungskonzept der Muttergesellschaft widersetzten und in der Insolvenz eigene Wege gingen, wurde das wirtschaftliche Potential des Konzerns nicht optimal genutzt.63 Doch nicht nur die Sanierung einzelner Teile des Konzerns wird scheitern, wenn sie zwischen den verschiedenen Insolvenzverwaltern streitig ist. Die Personenvielfalt steht vielmehr auch der bestmöglichen Vermögensverwertung im Wege.64 Dies zeigt sich an dem Beispiel eines Konzerns, dessen Gesellschaften arbeitsteilig ein einziges Produkt herstellen. Der Gesamtwert des Konzerns ist dann höher als die Summe der einzelnen Vermögenswerte. Eine separate Verwertung wäre wirtschaftlich wenig sinnvoll,65 ließe sich aber in der Regel nur vermeiden, wenn ausschließlich ein Verwalter zuständig wäre. Dass ein und dieselbe Person zum Insolvenzverwalter für die Hauptinsolvenzverfahren sämtlicher insolventer Konzernhauptgesellschaften bestellt wird, ist zwar auch bei einem einheitlichen Gerichtsstand nicht zwingend, zumindest aber möglich.66 Obliegt die Bestellung dagegen den Gerichten verschiedener Staaten, ist die Identität des

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Deyda, S. 145; Ehricke, S. 465; ders., DZWIR 1999, 353 (356); Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528 (540 f.); Paulus, ZIP 2005, 1948 (1951); Rotstegge, S. 98; Vallender, in: FS Runkel, S. 373 (379). Für eine Identität des Insolvenzverwalters sprechen sich grundsätzlich auch die Empfehlungen des UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law aus; vgl. Paulus, ZGR 2010, 270 (277 f.). 60 Ehricke, DZWIR 1999, 353 (354); Kögel/Loose, ZInsO 2006, 17 (19). 61 Flessner, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 403 (405). 62 Ausführlich hierzu: Kübler, ZGR 1984, 560 (562–570). 63 Kübler, ZGR 1984, 560 (569 f.). 64 Graf/Wunsch, DZWIR 2002, 177 (178); Kögel/Loose, ZInsO 2006, 17 (19). 65 Vgl. auch die Beispiele bei Vormstein, S. 22, und Paulus, NZI 2006, Heft 8, VII (VII f.). 66 Kögel/Loose, ZInsO 2006, 17 (22); Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 280 (283); Knof/ Mock, ZInsO 2008, 499.

B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes

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Verwalters für alle Insolvenzverfahren wenn nicht schon rechtlich,67 so doch faktisch ausgeschlossen.68 b) Die Entbehrlichkeit der Bestellung verschiedener Personen zum Insolvenzverwalter Problematisch an der Personenidentität könnte sein, dass dieselbe Person für verschiedene Vermögensmassen tätig würde.69 Insbesondere in Konzernkonstellationen drohen Interessenkonflikte, die einer Bestellung derselben Person zum Verwalter verschiedener Insolvenzmassen entgegenstehen könnten. Verdeutlichen lässt sich die Problematik an einem einfachen Beispiel:70 Das abhängige Unternehmen verkauft eine Sache an seine Konzernmutter. Noch bevor der Vertrag abgewickelt wird, eröffnet ein deutsches Gericht das Insolvenzverfahren über beide Gesellschaften und bestellt ein und dieselbe Person zum Insolvenzverwalter. Der Verwalter hat nach § 103 Abs. 1 InsO ein Wahlrecht, ob er den Vertrag erfüllen möchte oder nicht. Er wäre hier jedoch nicht handlungsfähig, weil er auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts tätig würde und seine Erklärung daher in analoger Anwendung des § 181 BGB unwirksam wäre,71 sofern er nicht ausnahmsweise vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit ist.72 Das Problem des Insichgeschäfts und des Interessenkonflikts73 stellt sich bei einer (deutschen)74 Konzerninsolvenz wegen der wirtschaftlichen 67

Vallender, KTS 2005, 283 (310 f.). Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195 (197); Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (96). 69 Weitere Argumente gegen eine Personenidentität sind potentielle Sprachprobleme, räumliche Entfernung und fehlende Vertrautheit mit lokalen Gebräuchen; Vallender, KTS 2005, 283 (311). Doch können lokale Gebräuche kein ernsthaftes Hindernis darstellen. Distanzprobleme lassen sich mit modernen Kommunikationsmitteln lösen; Ehricke, S. 465 f.; ders., DZWIR 1999, 353 (356); Vormstein, S. 227 f.; Keggenhoff, S. 184. Was bleibt, sind potentielle Sprachprobleme, die für sich gesehen jedoch nicht von vornherein einer Personenidentität des Insolvenzverwalters entgegenstehen sollten. 70 Weitere konzernbezogene Beispiele finden sich bei Graf/Wunsch, DZWIR 2002, 177 (177 f.); Kögel/Loose, ZInsO 2006, 17 (17 f.). Zu denken ist auch an die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen oder die Erhebung von Einwänden aus dem Eigenkapitalersatzrecht; Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (96). 71 Die analoge Anwendung folgt daraus, dass der Insolvenzverwalter nach h.M. nicht Vertreter, sondern Partei kraft Amtes ist; RGZ 80, 416 (418); BGHZ 113, 262 = NJW 1991, 982 (983); Graf/Wunsch, DZWIR 2002, 177 (178); Kögel/Loose, ZInsO 2006, 17 (19). 72 Dazu ausführlich: Kögel/Loose, ZInsO 2006, 17 (19–22); von einer Befreiung ex lege ausgehend: Hirte, ZIP 2008, 444 (446). 73 Die Übergänge zwischen ihnen sind fließend; Graeber/Pape, ZIP 2007, 991 (993). 74 Unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Mitteln andere Rechtsordnungen derartige Interessenkonflikte behandeln, kann hier nicht untersucht werden. 68

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

Verbundenheit der Konzerngesellschaften in vielfältiger Weise. Doch ist zweifelhaft, ob dies ein hinreichender Grund ist, die Bestellung ein und derselben Person zum Insolvenzverwalter für alle Konzerngesellschaften generell abzulehnen.75 Etwaige Interessenkonflikte lassen sich bewältigen, indem punktuell76 ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt wird,77 der nicht etwa den Weisungen des Insolvenzverwalters unterworfen ist, sondern seine vom Insolvenzgericht genau umschriebenen Befugnisse78 eigenverantwortlich wahrnimmt.79 Die Rechtsfigur des Sonderinsolvenzverwalters ist zwar nicht gesetzlich normiert. Doch lässt sich daraus nichts gegen sie herleiten,80 zumal eine ausdrückliche Regelung anlässlich der Insolvenzrechtsreform im Jahre 1999 nur deshalb für überflüssig gehalten wurde,81 weil der Sonderinsolvenzverwalter seit jeher allgemein anerkannt ist.82 Zwar ist richtig, dass regelmäßig allein der Insolvenzverwalter einen konkreten Interessenkonflikt erkennen kann und das Insolvenzgericht darauf angewiesen ist, dass er ihn anzeigt. Seine andernfalls drohende persönliche Haftung aus § 60 Abs. 1 InsO83 ist jedoch eine hinreichende Sanktion mit Präventivwirkung.84 Der Bestellung derselben Person zum Insolvenzverwalter für alle insolventen Konzerngesellschaften stehen somit keine durchschlagenden Be75 So aber OLG Celle NZI 2001, 551 (553); tendenziell ebenso Reinhart, S. 292, und Vormstein, S. 239 und 251; wie hier dagegen: Lüke, ZIP 2004, 1693 (1695), sowie ausführlich HamburgerKommInsO/Frind, § 56 Rn. 41a; Scheel, S. 40 f.; differenzierend: Rotstegge, S. 113. 76 Graf/Wunsch, DZWIR 2002, 177, zählen Konzerninsolvenzen ausdrücklich zu den Fällen punktueller Interessenkollisionen. 77 Deyda, S. 149 f.; Ehricke, S. 467 f.; ders., DZWIR 1999, 353 (357); FK-InsO/ Jahntz, § 56 Rn. 54 f.; Westpfahl/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 1 (6 sowie 7 f.); im Grundsatz ebenso Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528 (541); Graeber/Pape, ZIP 2007, 991 (992 m.w.N. in Fn. 1); Paulus, ZGR 2010, 270 (286); Empfehlung 233 des UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law; Rotstegge, S. 113 und 205, der darauf hinweist, dass Interessenkonflikte bei einer Sanierung deutlich seltener auftreten als bei einer Liquidation; zweifelnd: Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 280 (286). Zu der Zulässigkeit und den Grenzen der Einschaltung einer Person aus der verwaltereigenen Sozietät: Jacoby, ZIP 2005, 1060. 78 Lüke, ZIP 2004, 1693 (1696). 79 Lüke, ZIP 2004, 1693 (1696); Graf/Wunsch, DZWIR 2002, 177 (181); Graeber/ Pape, ZIP 2007, 991 (994 und 997). 80 Ausführlich: Graf/Wunsch, DZWIR 2002, 177 (179–181); MünchKommInsO/ Graeber, § 56 Rn. 153 m.w.N. 81 BT-Drucks. 12/7302, S. 162. 82 BGH DZWIR 2007, 216 (217); Graeber/Pape, ZIP 2007, 991 (991 f.); Kübler, ZGR 1984, 560 (571) m.w.N. 83 Vgl. BGHZ 113, 262 = NJW 1991, 982 (985). 84 Zweifelnd: Lüke, ZIP 2004, 1693 (1695), und wohl auch Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (643).

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denken entgegen. Zwar dürften die Interessenkonflikte, die die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters erforderlich machen, proportional zu der wirtschaftlichen Verflechtung der Konzernunternehmen steigen. Doch wiegt der Vorteil, dass sich grundsätzlich nur eine Person in die komplexen Konzernstrukturen eindenken, Zahlungsströme rekonstruieren und – ganz allgemein – sich informieren muss, diesen Nachteil mehr als auf.85 Die Bestellung derselben Person zum Verwalter über alle insolventen Konzernunternehmen wird daher überwiegend befürwortet.86 Möglich ist sie in einer grenzüberschreitenden Konzerninsolvenz nur bei einem einheitlichen Insolvenzgerichtsstand. III. Die Einheitlichkeit der lex fori concursus 1. Die Erhöhung der Befriedigungsquote Der einheitliche Gerichtsstand wirkt sich neben den eher verfahrensrechtlichen Aspekten der Zuständigkeit nur eines Gerichts und der Bestellung nur einer Person zum Insolvenzverwalter auch aus materiell-rechtlichen Gründen positiv auf die Sanierung oder Verwertung des Schuldnervermögens aus. Wie bereits dargelegt wurde, ist das Insolvenzrecht des Staates anwendbar, in dem das Verfahren eröffnet wurde.87 Der vielleicht größte Vorteil eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes besteht daher darin, dass er zwingend zu einer Identität der in den zahlreichen Verfahren anwendbaren Insolvenzrechte führt. Auch sie ermöglicht eine bessere Verwertung oder Sanierung88 der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns, während unter dem Regime verschiedener Insolvenzrechte vor allem eine Sanierung zu scheitern droht. 2. Die Sanierungsfreundlichkeit moderner Insolvenzrechte Die aus der Vielfalt der Insolvenzrechte resultierenden Schwierigkeiten bei der Sanierung des Unternehmens sind umso misslicher, als schon seit längerem ein Umdenken bei den Zielen des Insolvenzverfahrens zu erkennen ist. Die klassische Liquidation des Schuldnervermögens ist nicht mehr en 85

Einen weitgehenden Verlust der mit der Personenidentität gewonnenen Vorteile befürchtet dagegen Vormstein, S. 242. 86 LG Potsdam ZInsO 2005, 893 (895); Oberhammer, KTS 2009, 27 (66); HamburgerKommInsO/Frind, § 56 Rn. 41a; differenzierend: Graeber, NZI 2007, 265 (269), der eine ständige Interessenkollision des Konzerninsolvenzverwalters befürchtet, die Vorteile der Personenidentität aber gleichwohl nutzen will, indem mit der Bestellung des Konzerninsolvenzverwalters für jedes Hauptinsolvenzverfahren zugleich ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt wird. Ökonomischer erscheint es dagegen, Sonderinsolvenzverwalter nur dann einzusetzen, wenn dies notwendig ist. 87 Vgl. § 2 B. 88 Bufford, NJILB 27 (2007), 351 (408).

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

vogue und wird zunehmend von der Ansicht verdrängt, dass es für alle Beteiligten wirtschaftlich sinnvoller ist, den Schuldner zu sanieren.89 a) England Besonders deutlich kommt dies im englischen Insolvenzrecht zum Ausdruck, das sogar der Förderung von Unternehmertum dienen soll.90 Die Sanierung ist seit dem Enterprise Act 2002 91 das primäre Verfahrensziel; liquidiert werden kann das Vermögen des Schuldners nur hilfsweise.92 Als ein besonders flexibles Instrument der Sanierung soll sich das Company Voluntary Arrangement erwiesen haben,93 das dem Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO ähnelt, ihm jedoch in mehreren Punkten überlegen ist. Seine Hauptvorteile bestehen darin, das Abstimmungsverfahren der Gläubigerversammlung zu vereinfachen, ihre Entscheidungsbefugnisse zu stärken und im Gegenzug die Einflussmöglichkeiten des Insolvenzgerichts und des Schuldners zu minimieren. So sind in der Gläubigerversammlung nur ungesicherte Gläubiger stimmberechtigt, die über die Gläubigerversammlung informiert wurden oder in ihr anwesend sind. Die Stimmwertigkeit richtet hat sich nach der Höhe der Forderung; die Bildung von Gläubigergruppen nach § 222 InsO und das daraus folgende, zerstückelte Regime erforderlicher Stimmenmehrheiten nach den §§ 243 ff. InsO entfällt. Anders als nach § 247 InsO kann der Schuldner einem Sanierungsvorschlag nicht wirksam widersprechen, weil dieser bereits dann als angenommen gilt, wenn die Gläubigerversammlung ihm zustimmt. Der Beschluss bindet alle stimmberechtigten Gläubiger, zu denen auch diejenigen zählen, die nicht in der Versammlung anwesend waren, aber stimmberechtigt gewesen wären.94 Das Gericht braucht den Beschluss nicht zu bestätigen und kann ihn nur überprüfen, wenn er angefochten wird, wozu es jedoch selten 89

Paulus, NZG 2006, 609 (610 f.); Menjucq, ECFR 2008, 135 (136); vgl. auch Riewe, NZI 2009, 717 (719) (Ungarn); dies., NZI 2010, 134 (135) (Rumänien); grundsätzlich kritisch: Mertens, ZGR 1984, 542 (543–545). 90 Paulus, DStR 2005, 334 (335). 91 Im Internet abrufbar unter www.legislation.gov.uk/ukpga (9.6.2012). 92 Ehricke/Köster/Müller-Seils, NZI 2003, 409 (413); Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 469 (470); Meyer-Löwy/Poertzgen/de Vries, ZInsO 2005, 293 (295); Schilling, DZWIR 2006, 143 (145); MünchKommInsO/Schlegel, Länderbericht England und Wales, Rn. 21 ff. Im Juni 2009 wurden weitere Maßnahmen zur Diskussion gestellt, die die Sanierung von Unternehmen weiter erleichtern sollen; vgl. Schillig, in: Kindler/Nachmann, Länderbericht England und Wales, Rn. 14. 93 Windsor/Müller-Seils/Burg, NZI 2007, 7; ausführlich zu diesem Verfahrenstyp: Müller-Seils, S. 136 ff., sowie Schillig, in: Kindler/Nachmann, Länderbericht England und Wales, Rn. 277–286; ferner Rumberg, RIW 2010, 358 (363–366); Piekenbrock, ZVglRWiss 108 (2009), 242 (249–253); Weller, ZGR 2008, 835 (839–842). 94 Windsor/Müller-Seils/Burg, NZI 2007, 7 (10).

B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes

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komme.95 Aus rechtspolitischer Sicht mag das Company Voluntary Arrangement fragwürdig erscheinen, weil es keinem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger unterliegt, sondern inhaltlich nur insofern beschränkt ist, als es Gläubiger nicht unfair benachteiligen darf.96 Ungeachtet dessen ist das Company Voluntary Arrangement wegen seiner hohen Flexibilität offenbar nicht nur bei Schuldnern, sondern auch bei Gläubigern beliebt.97 b) Italien In Italien erfährt die Sanierung großer Unternehmen besondere Aufmerksamkeit.98 So ermöglichte schon die Legge Prodi aus dem Jahre 1979 die Außerordentliche Verwaltung von Großunternehmen in der Krise.99 Die Legge Prodi war nur auf Großunternehmen anwendbar100 und sollte diese über eine Sanierung davor bewahren, zerschlagen zu werden.101 Sie war jedoch wenig erfolgreich und berücksichtigte nicht hinreichend die Bedürfnisse der Gläubiger.102 Nachdem der EuGH sie wegen ihrer konkreten Ausgestaltung als verbotene Beihilfe im Sinne des Art. 4 lit. c) EGKSVertrag bewertet hatte,103 erließ der italienische Gesetzgeber eine neue Legge Prodi.104 Diese verfolgt ebenfalls die Sanierung großer Unternehmen und ist bereits dann anwendbar, wenn der Schuldner mindestens 200 Arbeitnehmer beschäftigt.105 Die Sanierung ist nach diesem Gesetz kein Selbstzweck, sondern soll die nationale Wirtschaft vor den Auswirkungen umfangreicher Insolvenzen schützen.106 Im Zuge der gewaltigen Insolvenz des Parmalat-Konzerns wurde weiter die nach dem italienischen Indus95

Vgl. dagegen die Pflicht des deutschen Insolvenzgerichts, den Insolvenzplan unter den Voraussetzungen des § 231 InsO zurückzuweisen, und das Erfordernis, ihn nach § 248 InsO zu bestätigen. 96 Vgl. dagegen den Gleichbehandlungsgrundsatz in § 226 InsO. 97 Windsor/Müller-Seils/Burg, NZI 2007, 7; zu weiteren Vorteilen des englischen Insolvenzrechts: Knof, ZInsO 2007, 629 (630); Andres/Grund, NZI 2007, 137 (138); Vallender, NZI 2007, 129 (131). 98 Flessner, in: FS Raiser, S. 827 (831); Paulus, DStR 2005, 334 (335); Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (543). 99 Gesetz Nr. 95 vom 3. April 1979; deutsche Übersetzung in ZIP 1981, 1395 ff. 100 Vgl. näher Aderhold, S. 193 f. 101 Kindler, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 123 (137). 102 Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (544). 103 EuGH Slg. 1998, I-7907 = EWS 1999, 28 – Ecotrade. 104 Gesetz Nr. 270 vom 8. Juli 1999, „amministrazione straordinaria delle grandi imprese in stato di insolvenza“. 105 Kindler, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 123 (137); Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (544 mit Fn. 5). Nach Moser, in Jahn/Sahm, S. 238, musste das Unternehmen mindestens 300 Arbeitnehmer beschäftigen. 106 Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (543).

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

trieminister benannte Legge Marzano erlassen,107 die ein Sonderverfahren für Großunternehmen einführt, die mindestens 500 Arbeitnehmer beschäftigen und Verbindlichkeiten in Höhe von nicht weniger als 300 Millionen Euro haben.108 Es zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es nicht durch ein Gericht, sondern durch den Industrieminister eröffnet und überwacht wird.109 Von diesen besonderen Verfahren für Großunternehmen abgesehen, zielen die jüngeren Änderungen des italienischen Insolvenzrechts auch ganz allgemein darauf ab, das Verfahren als einen gemeinsamen Versuch aller Beteiligten zu organisieren, Auswege aus der Krise zu finden, die nicht primär in die Zerschlagung des Unternehmens münden müssen, sondern auch eine Sanierung zum Ziel haben können.110 c) Frankreich Das Ziel, den Schuldner als Wirtschaftsteilnehmer am Leben zu erhalten, verfolgt auch das französische Insolvenzrecht.111 Das Verfahren dient dort primär dazu, das Unternehmen und die Arbeitsplätze zu schützen.112 Die Befriedigung der Gläubiger ist nur ein zweitrangiges Verfahrensziel.113 Um wirtschaftliche Schwierigkeiten bereits im Vorfeld der Insolvenz bewältigen zu können, hat der französische Gesetzgeber im Jahre 2005 neben einigen insolvenzrechtlichen Vorverfahren mit der procédure de sauvegarde auch ein „präventives Insolvenzverfahren“ eingeführt,114 das er im Jahre

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Gesetz Nr. 39 vom 18. Februar 2004. Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (544 f.); vgl. ausführlich Kindler/Conow, in: Kindler/Nachmann, Länderbericht Italien, Rn. 302 ff.; nach Riera/Wagner, EWiR 2004, 597 (598), mussten mindestens 1000 Arbeitnehmer betroffen sein und die Verbindlichkeiten mindestens eine Milliarde Euro betragen. Diese Anforderungen wurden später durch Gesetz vom 28. Januar 2005 auf 500 Arbeitnehmer und 500 Millionen Euro gesenkt; vgl. Bufford, NJILB 27 (2007), 351 (363). 109 Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (545). Ob die damit verbundenen Einflussmöglichkeiten der Politik erstrebenswert sind, mag hier dahingestellt bleiben. 110 Kindler/Conow, in: Kindler/Nachmann, Länderbericht Italien, Rn. 4. 111 Für die ab 1985 geltende Rechtslage: Aderhold, S. 187–192; zur aktuellen Rechtslage: Flessner, KTS 2010, 127 (129–137); Ulrich/Poertzgen/Pröm, ZInsO 2006, 64, sowie Delzant/Ehret, ZInsO 2009, 990; vgl. auch Dammann, NZI 2009, 502, sowie ausführlich Piekenbrock, ZVglRWiss 108 (2009), 242 (253–262), und Drukarczyk, in: FS Wellensiek, S. 761 ff. 112 Flessner, in: FS Heinsius, S. 111 (124); ders., in: FS Raiser, S. 827 (830); ders., KTS 2010, 127 (130); Paulus, DStR 2005, 334 (335); Weber, in: Jahn/Sahm, S. 166. 113 Weber, in: Jahn/Sahm, S. 166. 114 Loi n° 2005-845 du 26 juillet 2005 de Sauvegarde des Entreprises; vgl. Dammann/ Undritz, NZI 2005, 198 (199 f.); Dammann, RIW 2006, 16 (18 f.); Ulrich/Poertzgen/ Pröm, ZInsO 2006, 64 (68 f.). 108

B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes

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2008 noch einmal novelliert hat.115 Befindet sich der Schuldner in unüberwindlichen Schwierigkeiten und ordnet das Insolvenzgericht auf seinen Antrag hin die procédure de sauvegarde an, behält er wie bei der Eigenverwaltung nach deutschem Recht seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und wird vom Insolvenzverwalter lediglich überwacht.116 Binnen einer Beobachtungsperiode, die bis zu sechs Monate dauern und einmal verlängert werden kann, handelt der Schuldner mit dem Insolvenzverwalter und den wichtigsten Gläubigern den Sanierungsplan aus, der der Zustimmung einer Mehrheit von zwei Dritteln der in der Abstimmung vertretenen Forderungen bedarf117 und über den abschließend das Insolvenzgericht entscheidet.118 Erstmals angewendet wurde die procédure de sauvegarde in der Insolvenz des Eurotunnel-Konzerns.119 d) Spanien Das Insolvenzrecht Spaniens gestattet – auch als Reaktion auf die Sanierungsfreundlichkeit anderer europäischer Insolvenzrechte120 – eine Liquidation des Vermögens erst, wenn ein Vergleich aussichtslos oder gescheitert ist.121 Einen Anreiz, das Insolvenzverfahren rechtzeitig einzuleiten und eine Sanierung zu ermöglichen, schafft es mit der „freiwilligen Insolvenz“ (concurso voluntario): Beantragt der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, bevor ein Gläubiger dies tut, behält er in der Regel seine Verfügungsbefugnis und wird vom Insolvenzgericht oder -verwalter lediglich überwacht,122 was erneut an die Eigenverwaltung nach deutschem Recht erinnert. Der spanische Gesetzgeber hat darüber hinaus erkannt, dass 115

Vgl. Piekenbrock, ZVglRWiss 108 (2009), 242 (256 f.); Flessner, KTS 2010, 127 (135 f.); Drukarczyk, in: FS Wellensiek, S. 761 (766–771). 116 Dammann/Undritz, NZI 2005, 198 (200); Dammann, RIW 2006, 16 (19); Ulrich/ Poertzgen/Pröm, ZInsO 2006, 64 (69); zu jüngeren Modifikationen der procédure de sauvegarde: Delzant/Ehret, ZInsO 2009, 990. 117 Piekenbrock, ZVglRWiss 108 (2009), 242 (261 mit Fn. 164); Flessner, KTS 2010, 127 (136). 118 Dammann/Undritz, NZI 2005, 198 (201); Dammann, RIW 2006, 16 (19 f.); Ulrich/ Poertzgen/Pröm, ZInsO 2006, 64 (69); Piekenbrock, ZVglRWiss 108 (2009), 242 (260). Nach Flessner, KTS 2010, 127 (136), kann die Beobachtungsperiode zweimal verlängert werden. 119 Tribunal de Commerce de Paris, Recueil Dalloz 2006, 2329 mit Anm. Dammann/ Podeur. 120 Lieder, in: Smid, Neue Fragen, S. 139 (142). 121 Gesetz 22/2003 vom 9. Juli 2003, in Kraft getreten am 1. September 2004, „Ley Concursal“; vgl. Lieder, in: Smid, Neue Fragen, S. 139 (142); Fries/Steinmetz, in: Kindler/Nachmann, Länderbericht Spanien, Rn. 74; MünchKommInsO/Volz/Oliver, Länderbericht Spanien, Rn. 17. Zur unübersichtlichen Rechtslage vor der Reform, vgl. Lieder, in: Smid, Neue Fragen, S. 139 (140 f.), und Carballo Piñeiro, RIW 2006, 505. 122 Lieder, in: Smid, Neue Fragen, S. 139 (143).

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

es sich bei der Insolvenz nicht nur um ein juristisches, sondern vor allem um ein wirtschaftliches Problem handelt, weshalb der Insolvenzrichter durch ein Verwaltungsorgan unterstützt wird, dem neben einem Rechtsanwalt und einem Gläubiger auch ein Wirtschaftsprüfer angehört.123 Einfacher und ökonomischer wird das Verfahren weiter dadurch, dass sich die Beteiligung der Gläubigerversammlung darauf beschränkt, dem Vergleichsplan zuzustimmen.124 Bemerkenswert ist endlich, dass die internationale und örtliche Zuständigkeit im autonomen internationalen Insolvenzrecht Spaniens mit dem Wortlaut der entsprechenden Vorschriften der EuInsVO nahezu identisch ist und in Art. 10 Abs. 4 Ley Concursal darüber hinaus auch einen in der Verordnung vermissten Konzerninsolvenzgerichtsstand vorsieht.125 e) Deutschland Das deutsche Insolvenzrecht scheint demgegenüber geradezu sanierungsfeindlich zu sein. Es verfolgt nach § 1 Satz 1 InsO allein die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger, während der Erhalt von Unternehmen kein eigenständiges Verfahrensziel sein soll.126 Doch hat der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung der Insolvenzordnung im Jahre 1999 von dem streng auf die Liquidation des Schuldnervermögens ausgerichteten Ansatz der Konkursordnung Abstand genommen. Erreicht werden kann die Befriedigung der Gläubiger nunmehr ausdrücklich auch durch die Sanierung des Schuldners, wofür vor allem das Insolvenzplanverfahren nach den §§ 217 ff. InsO und die Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO zur Verfügung stehen.127 Auch das deutsche Insolvenzrecht sieht somit Verfahren vor, die eine Sanierung des Schuldners ermöglichen.128 f) Fazit Wagt man, nach diesem notwendigerweise äußerst kursorischen Überblick über die bedeutendsten mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte ein Fazit zu 123

Lieder, in: Smid, Neue Fragen, S. 139 (144). Lieder, in: Smid, Neue Fragen, S. 139 (144). 125 Vgl. die Übersetzung des Art. 10 Ley Concursal bei Lieder, in: Smid, Neue Fragen, S. 139 (146 f.). 126 BT-Drucks. 12/2443, S. 109. Ausführlich zu den politischen Hintergründen der Formulierung in § 1 InsO: Flessner, KTS 2010, 127 (142 f.). 127 BT-Drucks. 12/2443, S. 91; Ehricke, ZInsO 2002, 393 (395 f.); Keller, Rn. 1624 sowie 1628; Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 55; Uhlenbruck, NZI 1999, 41 (44); Vallender, NZI 2007, 129 (136). Ein plastisches Beispiel aus der Praxis schildert Piepenburg, NZI 2004, 231, mit der Insolvenz von Babcock Borsig. 128 Vgl. darüber hinaus das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), BGBl. I 2011, 2582. 124

B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes

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ziehen, so fällt es eindeutig aus: Ungeachtet der vielfältigen Unterschiede zwischen den Insolvenzrechtsordnungen129 lässt sich ein Trend zur Sanierung feststellen.130 Das Recht folgt einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, die auf der Erkenntnis beruht, dass die Zerschlagung des Schuldnervermögens regelmäßig zu einer verschwindend geringen Befriedigung der Gläubiger führt. Wirtschaftlich sinnvoller für alle Beteiligten ist häufig die Fortführung des Unternehmens unter dem Schutz des Insolvenzverfahrens, weil die Gläubiger zwar später, dafür aber in der Regel höher befriedigt werden. Das Insolvenzverfahren nach chapter 11 des U.S.-amerikanischen bankruptcy code mag als Vorbild für diese Entwicklung gedient haben.131 IV. Unzumutbarkeit der einheitlichen Zuständigkeit für die Gläubiger? 1. Die Erhöhung der Transaktionskosten Die einheitliche Zuständigkeit eines Insolvenzgerichts ist nicht frei von Nachteilen. Geht man davon aus, dass die einzelnen Konzerngesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten tätig sind und Verbindlichkeiten vor allem gegenüber dort ansässigen Gläubigern begründen, führt die einheitliche Zuständigkeit der Gerichte nur eines Staates regelmäßig dazu, dass mehr Gläubiger an einem aus ihrer Sicht ausländischen Verfahren teilnehmen müssen, als dies ohne die einheitliche Zuständigkeit der Fall wäre. Den Gläubigern drohen mithin im Zweifel höhere Transaktionskosten. Doch bedeutet dies nicht zwingend, dass die höheren Kosten für die Gläubiger unzumutbar wären und einen Konzerninsolvenzgerichtsstand aus wirtschaftlicher Sicht unsinnig erscheinen ließen. Vielmehr ist abzuwägen, ob dieser Nachteil des Konzerninsolvenzgerichtsstandes einer einheitlichen Zuständigkeit für die Insolvenzverfahren verbundener Gesellschaften von vornherein entgegensteht. Zu unterscheiden sind insoweit die Zeiträume vor und nach der Verfahrenseröffnung.

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Hierzu gehören vor allem die starke Position der Gläubiger unter dem englischen Insolvenzrecht einerseits und ihre eher schwach ausgeprägten Einflussmöglichkeiten nach dem französischen und spanischen Recht andererseits. 130 Besonders „in Mode“ scheinen an das französische Recht angelehnte, vorinsolvenzliche Verfahren zu sein, die es bereits in Belgien, Griechenland Italien und Österreich gebe, über die der Gesetzgeber in den Niederlanden diskutiere und die sogar weltweit auf dem Vormarsch seien; so Flessner, KTS 2010, 127 (128 f.). Die Präferenz für vorinsolvenzliche Verfahren zur Unternehmenserhaltung beruht freilich weniger auf wissenschaftlichen Erkenntnissen als vielmehr auf politischen Motiven; vgl. Flessner, KTS 2010, 127 (137 f.). 131 So für das deutsche Insolvenzplanverfahren; BT-Drucks. 12/2443, S. 105; Keller, Rn. 1627 m.w.N.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

a) Die Kosten vor der Verfahrenseröffnung aa) Das Informationsdefizit der Gläubiger Gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand ließe sich einwenden, dass den Gläubigern unzumutbare Informationskosten aufgebürdet würden. Liegt der Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft nur – oder jedenfalls auch – deshalb an einem bestimmten Ort, weil sie mit einer anderen Gesellschaft verbunden ist, müssten die Gläubiger sich über die Art und die Intensität dieser Verbindung informieren, um den Gerichtsstand ihrer Schuldnerin vorhersehen zu können. Dies könnte nicht hinnehmbar sein – nicht nur, weil die internationale Zuständigkeit dazu führt, dass die Gläubiger an einem fremdsprachigen Verfahren in einem Staat teilnehmen müssen, von dessen Zuständigkeit sie sonst nicht ausgegangen wären, sondern vor allem deshalb, weil die internationale Zuständigkeit auch das anwendbare Insolvenzrecht determiniert. Bleibt aber unklar, welches Insolvenzrecht anzuwenden ist, wissen die Gläubiger unter anderem nicht, welche Insolvenzgründe für ihren Schuldner gelten, wo sie einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen können und wie gut ihre Befriedigungsaussichten sein werden. Das Risiko, einem nicht vertrauten Insolvenzrecht unterworfen zu sein, könnten Gesellschaftsgläubiger vor allem auf ihre Schuldnerin abwälzen, indem sie deren Kreditbedingungen verschlechtern, sich also z.B. Sicherheiten bestellen lassen, die nach den Art. 5 und 7 EuInsVO von dem Insolvenzrecht des Verfahrensstaates unberührt bleiben. Das Problem drohte sogar gesamtwirtschaftliche Ausmaße anzunehmen, wenn Kreditgeber die zusätzlichen Kosten, mit denen sie bei einem unvorhergesehenen Insolvenzforum rechnen, auf alle Schuldner verteilen, indem sie deren Kreditbedingungen verschlechtern.132 Als Ergebnis dieser Quersubventionierung erhielten Gesellschaften möglicherweise keinen Kredit mehr, obwohl sie kreditwürdig sind. bb) Die Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes Einem Konzerninsolvenzgerichtsstand könnte dieser Einwand jedoch allenfalls dann entgegenstehen, wenn die vorstehenden Informationskosten im Vorfeld der Insolvenz nur bei der einheitlichen Zuständigkeit entstünden. Das Problem der Gläubiger, keine Klarheit über den Insolvenzgerichtsstand zu haben, ist jedoch kein spezifisches Problem der Konzerninsolvenz, sondern beruht vielmehr darauf, dass der Interessenmittelpunkt ihres Schuldners wandelbar ist.133 Maßgeblich ist nicht, wo der Interes132 Klöhn, KTS 2006, 259 (264); ders., RIW 2006, 568 (572); ebenso im Hinblick auf das Modell der Verfahrenseinheit: Ludwig, S. 150. 133 Ebenso Weller, ZGR 2008, 835 (848). Näher dazu unten sogleich unter § 3 B IV 2 b) bb).

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senmittelpunkt bei Vertragsschluss liegt, sondern wo er bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens – genauer: bei Stellung des Antrages auf Eröffnung des Verfahrens – verortet wird.134 Anders als die Entwürfe zum EuInsÜ135 enthält die EuInsVO auch keine sogenannte période suspecte, binnen derer eine Veränderung der tatsächlichen Umstände, die den Interessenmittelpunkt ausmachen, unbeachtlich bliebe. Die Unsicherheit über das zuständige Insolvenzforum ist dem geltenden Recht somit inhärent. Verstärkt wird sie noch durch das strikte Prioritätsprinzip, nach dem die internationale Zuständigkeit des zuerst eröffnenden Gerichts von den Gerichten anderer Mitgliedstaaten nicht geprüft werden darf.136 cc) Die fehlende Rechtssicherheit bei der Auslegung des Interessenmittelpunktes Die Unsicherheit der Gläubiger beruht auch nicht etwa allein auf ihrer fehlenden Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die den Interessenmittelpunkt ausmachen, sondern liegt vielmehr bereits darin begründet, dass die Voraussetzungen unklar sind, die den Interessenmittelpunkt begründen. Diese Rechtsunsicherheit ist ebenfalls kein konzernspezifisches Problem. Man stelle sich nur die folgende Regelung vor: „Bilden Gesellschaften einen Konzern im Sinne des § 18 AktG, so befindet sich ihr Interessenmittelpunkt am Interessenmittelpunkt der herrschenden Gesellschaft.“ Existierte eine solche Bestimmung, bliebe zwar problematisch, wo der Interessenmittelpunkt der herrschenden Gesellschaft liegt. Im Hinblick auf alle anderen Konzerngesellschaften bestünde ein Informationsbedürfnis der Gläubiger aber nur insofern, als ihre Konzernzugehörigkeit im Sinne des § 18 AktG zu klären wäre. Unklar sind die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts und das anwendbare Insolvenzrecht mithin nicht etwa, weil die EuInsVO die Konzerninsolvenz nicht ausdrücklich regelt, sondern weil sie nicht hinreichend präzisiert, was unter dem Interessenmittelpunkt zu verstehen ist.

134

EuGH Slg. 2006, I-701 = NZI 2006, 153 = ZIP 2006, 188 – Susanne StaubitzSchreiber; AG Celle NZI 2005, 410; AG Hamburg NZI 2006, 120 (121); Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 16 m.w.N.; Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (34); Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 131 (139); Mankowski, NZI 2005, 368 (369); Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 84; Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 15; Virgós/Garcimartín, Nr. 68; Weller, ZIP 2009, 2029 (2031); Wiedemann, ZInsO 2007, 1009 (1016); a.A. Court of Appeal (Civil Division) NZI 2005, 571 (Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung); anders wohl auch Weller, IPRax 2004, 412 (416), der auf die Insolvenzreife abstellt; vgl. näher § 4 B II 2 d). 135 Vgl. den jeweiligen Art. 6 Abs. 1 der Entwürfe von 1970, 1980 und 1984. 136 Vgl. § 2 C II 2.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

dd) Fazit Das Informationsdefizit der Gläubiger im Vorfeld der Verfahrenseröffnung ist kein konzernspezifisches Problem, sondern eine Folge der allgemeinen Rechtsunsicherheit, die bei der Auslegung des Interessenmittelpunktes aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO besteht. Die Wandelbarkeit des Anknüpfungskriteriums verstärkt dieses Problem ebenso wie die automatische Anerkennung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO. All dies mag dazu führen, dass die Verordnung ihre Ziele, forum shopping zu verhindern137 und den Gläubigern ein im Vorhinein für sie erkennbares Insolvenzforum ihres Schuldners zur Verfügung zu stellen,138 nicht erreichen kann.139 Ein taugliches Argument gegen einen einheitlichen Gerichtsstand für verbundene Gesellschaften ist dies jedoch nicht. b) Die Kosten ab der Verfahrenseröffnung Die Konzentration der Zuständigkeit für die Insolvenzverfahren sämtlicher Konzerngesellschaften könnte weiter im Verfahren selbst zu höheren Kosten für die Gläubiger führen, die sich in der Regel über ihre Rechte und das Verfahren informieren, in irgendeiner Form – möglicherweise gar vor Ort – an ihm teilnehmen und vor allem in einer fremden Sprache mit dem Gericht und dem Verwalter kommunizieren müssen. Welche Rechte und Obliegenheiten oder gar Pflichten die Gläubiger haben, hängt von der lex fori concursus ab und kann hier in Anbetracht von über zwei Dutzend mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht umfassend behandelt werden.140 Die folgende Darstellung der Kosten, die den Gläubigern ab der Verfahrenseröffnung entstehen, bleibt daher notwendigerweise relativ abstrakt und zieht nur gelegentlich exemplarisch das deutsche Insolvenzrecht heran. aa) Die Kenntnis von der Verfahrenseröffnung Teilnehmen können die Gläubiger an dem Insolvenzverfahren nur, wenn sie von ihm erfahren. Art. 40 EuInsVO verpflichtet das Insolvenzgericht und den Verwalter daher, alle bekannten Gläubiger, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Verfahrenseröffnung ansässig sind, unverzüglich von der Verfahrenseröffnung zu benachrichtigen. Nur im Übrigen – also insbesondere für die Gläubiger, die im Verfahrensstaat leben – gilt inso-

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Erwägungsgrund (4). Vgl. § 4 B II 2. 139 Ebenso Oberhammer, KTS 2009, 27 (35); Eidenmüller, KTS 2009, 137 (149). 140 Vgl. zu den Rechten der Gläubiger nach deutschem Recht die Übersicht bei Keller, Rn. 435–439. 138

B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes

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weit die lex fori concursus.141 Sieht sie keine Unterrichtungspflicht vor, können die ausländischen Gläubiger gegenüber den inländischen im Vorteil sein.142 Einen Nachteil im Hinblick auf die Kenntnis von der Verfahrenseröffnung erleiden ausländische Gläubiger durch einen Konzerninsolvenzgerichtsstand aber in keinem Fall. bb) Die Anmeldung von Forderungen Wurde das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet, müssen die im Inland lebenden Gläubiger ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anmelden, § 174 InsO. Für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gläubiger existiert mit Art. 41 EuInsVO eine spezielle Sachnorm, die das deutsche Insolvenzrecht verdrängt,143 inhaltlich aber nicht von ihm abweicht.144 Insbesondere darf die lex fori concursus an die Forderungsanmeldung ausländischer Gläubiger keine Anforderungen stellen, die über diejenigen hinausgehen, die in Art. 41 EuInsVO genannt werden.145 Auch insoweit entstehen den Gläubigern durch die einheitliche Zuständigkeit der Gerichte nur eines Staates – abgesehen von höheren, aber vernachlässigenswerten Kommunikationskosten – also keine Nachteile. cc) Die geographische Distanz zu dem Insolvenzforum Augenscheinlich einer der größten Nachteile eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes besteht darin, dass mutmaßlich viele Gläubiger geographisch weiter von dem Insolvenzforum ihres Schuldners entfernt sind, als dies ohne die einheitliche Zuständigkeit der Fall wäre. Die höheren Reisekosten könnten Gläubiger davon abhalten, von ihren Möglichkeiten zur Einflussnahme auf das Verfahren Gebrauch zu machen. Dieses Problem einer größeren geographischen Distanz besteht aber nur, wenn die Gläubiger sich tatsächlich in den Verfahrensstaat begeben müssen, um ihre Rechte wahrzunehmen. Ob und zu welchen Anlässen sie das müssen – zu denken ist vor allem an die Gläubigerversammlung146 und den Termin, in dem die angemeldeten Forderungen geprüft werden147 – hängt von der lex fori con141

Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 40 Rn. 1; Heiderhoff, in: Geimer/ Schütze, EuInsVO, Art. 40 Rn. 1. 142 MünchKommBGB/Kindler, Art. 40 EuInsVO Rn. 2. 143 MünchKommBGB/Kindler, Art. 41 EuInsVO Rn. 1. 144 Heiderhoff, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 41 Rn. 1. 145 Virgós/Schmit, Nr. 273; Heiderhoff, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 41, Rn. 1; Kemper, ZIP 2001, 1609 (1620). 146 Sie wird, soweit sie von dem Insolvenzgericht geleitet wird, im Verfahrensstaat stattfinden; vgl. für das deutsche Recht § 76 Abs. 1 InsO. 147 Vgl. für das deutsche Recht § 176 InsO. Misslich ist insoweit, dass die wohl h.M. die Anwesenheit des Gläubigers oder zumindest eines Vertreters in dem Termin verlangt

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

cursus ab. Ungeachtet deren Bestimmungen ist jedoch zu bedenken, dass moderne Kommunikationsmittel – allen voran das Internet – die persönliche Anwesenheit heutzutage entbehrlich erscheinen lassen.148 Den Zweck, den die Anwesenheitspflicht verfolgt – namentlich die Feststellung der Identität der Verfahrensbeteiligten und die Möglichkeit zur unmittelbaren Kommunikation mit ihnen –, erfüllen auch Videokonferenzen. Auf diese Weise kann z.B. auch der griechische Gläubiger ohne großen Aufwand aktiv an einem Verfahren in Irland teilnehmen. Erforderlich ist allein, dass die Mitgliedstaaten die rechtlichen Grundlagen hierfür schaffen und ihre Insolvenzgerichte mit den technischen Vorrichtungen ausstatten.149 dd) Die Sprachbarriere Abschreckend könnte für viele Gläubiger jedoch die Sprachbarriere wirken.150 Die Gläubiger können ihre Forderungen nach Art. 42 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO zwar form- und fristgerecht151 in der Amtssprache des Staates anmelden,152 in dem sie ansässig sind. Fordert man sie jedoch nach Art. 42 Abs. 2 Satz 3 EuInsVO auf, eine Übersetzung beizubringen, haben sie auch die Kosten hierfür zu tragen.153 Darüber hinaus erfolgt die gesamte weitere Korrespondenz mit dem Gericht und dem Verwalter grundsätzlich in der Gerichtssprache des Verfahrensstaates. Soweit dies die Gläubiger nicht bereits davon abhält, ihre Rechte ebenso umfassend wahrzunehmen wie in einem inländischen Verfahren, haben sie jedenfalls Übersetzungskosten zu tragen, die zumindest für Kleingläubiger erdrückend wirken dürften. Insund einen schriftlichen Widerspruch des Gläubigers für unzulässig hält; vgl. statt vieler FK-InsO/Kießner, § 176 Rn. 11. 148 Vgl. für die virtuelle Stimmabgabe in einer Hauptversammlung die Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABlEU Nr. L 184 vom 14.7.2007, S. 17, sowie § 118 Abs. 1 und 2 AktG. 149 Inwieweit dies bei insolvenzbezogenen Annexverfahren möglich sein wird, bei denen sich die Verfahrensteilnahme nicht in eher technischen Vorgängen wie der Abstimmung in der Gläubigerversammlung oder dem Bestreiten einer Forderung in dem Prüfungstermin erschöpft, kann hier dahingestellt bleiben. Dieses Problem betrifft nicht die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 EuInsVO einen Konzerninsolvenzgerichtsstand enthält, sondern ob die Norm auch den Gerichtsstand für insolvenzbezogene Annexverfahren festlegt; vgl. hierzu oben § 2 E. 150 Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (643). 151 Balz, ZIP 1996, 948 (955); Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 42 Rn. 7; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (571). 152 Das nach Art. 42 Abs. 1 EuInsVO zu verwendende Formblatt findet sich in sämtlichen Amtssprachen der Europäischen Union auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Justiz unter www.bmj.bund.de (9.6.2012). 153 Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (535); offen Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 42 Rn. 10–14, a.A. Mankowski, NZI 2011, 887 (891).

B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes

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besondere Arbeitnehmern könnte es faktisch unmöglich sein, aktiv am Verfahren teilzunehmen. Doch ist diese faktische Benachteiligung einzelner Gläubigergruppen kein zwingendes Argument gegen eine einheitliche Zuständigkeit. Stellte man allein auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis des Gläubigers mit der geringsten Forderung ab, fänden sich immer Gläubiger, für die sich eine Teilnahme am Insolvenzverfahren wegen des damit verbundenen Aufwandes nicht lohnt. Konzerninsolvenzen zeichnen sich aber regelmäßig dadurch aus, dass es eine Reihe institutioneller Gläubiger gibt, die die Kostenlast von Übersetzungen ohne weiteres schultern können und dies in Anbetracht ihrer hohen Forderungen, die häufig im Millionenbereich liegen, auch würden. Typisch für eine Konzerninsolvenz ist zwar auch, dass zahlreiche Arbeitnehmer betroffen sein können. Ihre Fälle sind jedoch regelmäßig ähnlich. Denkbar erscheint es daher, für alle Arbeitnehmer derselben Konzerngesellschaft eine Übersetzung anzufertigen, deren Kosten von sämtlichen Arbeitnehmern gemeinsam getragen werden. In Erinnerung zu rufen ist weiter, dass der Konzerninsolvenzgerichtsstand es überhaupt erst ermöglicht, die Sprachbarriere zwischen den Gerichten und Insolvenzverwaltern zu überwinden.154 Die Zahl der Gerichte und Insolvenzverwalter ist zwar deutlich kleiner als die der Gläubiger; ihr Informations- und Kommunikationsbedürfnis ist jedoch ungleich größer. Darüber hinaus existiert die Sprachbarriere der Gläubiger praktisch in jeder grenzüberschreitenden Insolvenz, weil es regelmäßig mindestens einen Gläubiger gibt, der die Sprache des Insolvenzforums nicht beherrscht. Der Konzerninsolvenzgerichtsstand verstärkt dieses Problem voraussichtlich zwar, weil durch ihn die Zahl der Gläubiger steigt, die an einem aus ihrer Sicht ausländischen Verfahren teilnehmen. Wie stark aber dieser Effekt genau ist, lässt sich im Vorhinein nicht ermitteln. Bekannt ist dagegen, dass die uneinheitliche Zuständigkeit für die einzelnen Konzerngesellschaften zu der Beteiligung vieler Insolvenzgerichte und zu der Bestellung mindestens ebenso vieler Verwalter führt. Ohne einen Konzerninsolvenzgerichtsstand würde das Sprachproblem mithin nur auf eine andere Ebene verlagert. Treffen würde es mit den Insolvenzgerichten und -verwaltern ausgerechnet diejenigen Beteiligten, auf deren möglichst problemlose Kommunikation es in der Insolvenz besonders ankommt. Die Sprachenvielfalt in Europa ist deshalb ebenfalls kein durchschlagendes Argument gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand.

154

Vgl. § 3 B II.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

ee) Fazit Soweit den Gläubigern im Insolvenzverfahren höhere Transaktionskosten drohen, werden diese durch die Vorteile der einheitlichen Zuständigkeit mehr als aufgewogen. Im Ergebnis stehen daher auch die Kosten, die den Beteiligten ab der Verfahrenseröffnung entstehen, einem Konzerninsolvenzgerichtsstand nicht von vornherein entgegen. 2. Die Geltung einer fremden lex fori concursus a) Das Vertrauen in die Anwendbarkeit des sachnächsten Insolvenzrechts Die Vorbehalte gegen den Konzerninsolvenzgerichtsstand rühren nicht nur aus den Unannehmlichkeiten her, die die Verfahrenseröffnung im Ausland vielen Gläubigern bereitet. Als Hauptproblem wird vielmehr die Geltung der lex fori concursus erachtet, die als überraschend oder unangemessen empfunden wird. Ist die Schuldnerin z.B. eine in Griechenland gegründete und nahezu ausschließlich dort tätige Gesellschaft, deren Gläubiger ausnahmslos Griechen sind und deren Verbindlichkeiten größtenteils in Griechenland unter griechischem Recht begründet wurden, wirkt es in der Tat befremdlich, wenn das Insolvenzverfahren gleichwohl in Irland eröffnet würde und irisches Insolvenzrecht gälte, nur weil die Schuldnerin von einer Gesellschaft abhängig ist, die dort ihren Interessenmittelpunkt hat. Die Geltung ausländischen Insolvenzrechts käme für die Gläubiger möglicherweise überraschend. Nimmt man weiter an, dass sich auch das gesamte Vermögen der Schuldnerin in Griechenland befindet, scheint es auch unangemessen zu sein, irisches Insolvenzrecht anzuwenden. b) Der schwache Schutz des Vertrauens durch die EuInsVO aa) Das fehlende Paradigma der grenzüberschreitenden Konzerninsolvenz Bevor man sich mit der vorstehend dargestellten Problematik näher auseinandersetzt, ist darauf hinzuweisen, dass das zuvor genannte Beispiel extrem ist. In der Praxis hat ein verbundenes Unternehmen regelmäßig auch Gläubiger und Vermögen – vornehmlich in der Form von Bankkonten – im Ausland. Die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft unterliegen nur selten ausnahmslos einer Rechtsordnung. Auch beschränkt sich die Tätigkeit vieler Gesellschaften nicht auf einen Staat. Die Bedenken gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand relativieren sich daher, wenn man das Beispiel variiert. Firmiert die griechische Gesellschaft etwa in einer Weise, die auf ihre Zugehörigkeit zu der irischen Konzernmutter eindeutig hinweist, gibt die Konzernmutter Zahlungsgarantien für ihre Tochter ab, kommt der bei weitem wichtigste Gläubiger der Schuldnerin aus Irland und befindet sich dort auch ein nicht unbeträchtli-

B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes

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cher Teil des Vermögens der Tochtergesellschaft, wären die Vorbehalte, dort auch ihren Insolvenzgerichtsstand zu verorten, weitaus geringer. Die Einwände, die dem Konzerninsolvenzgerichtsstand entgegengehalten werden, sind daher stets mit dem Vorbehalt zu versehen, dass jede Insolvenz andere Merkmale aufweist. Die Konzerninsolvenz mag der Prototyp der grenzüberschreitenden Insolvenz sein; einen Prototypen der Konzerninsolvenz gibt es dagegen nicht. Dies ist zu berücksichtigen, wenn im Folgenden die Anwendbarkeit eines angeblich unangemessenen Insolvenzrechts und das angeblich enttäuschte Vertrauen der Gläubiger in die Anwendung des inländischen Insolvenzrechts diskutiert werden. bb) Die programmierte Enttäuschung von Vertrauen (1) Die Vertrauensinvestition des Gläubigers Vertraglicher Gläubiger wird man, indem man Vertrauen in seinen Schuldner investiert. Diese Vertrauensinvestition ist auch wünschenswert, weil ohne sie keine Rechtsgeschäfte getätigt würden. Doch trägt der Gläubiger das Risiko, dass seine Investition fehlschlägt. Einen Anreiz dafür, das Risiko gleichwohl einzugehen, hat er nur, wenn das Recht einen Rahmen schafft, vereinbarte Rechte durchsetzen zu können. Diesen Schutz zu gewährleisten, ist auch die Aufgabe des Insolvenzrechts. Doch ist in grenzüberschreitenden Sachverhalten vorab problematisch, welche Rechtsordnung überhaupt anwendbar ist. Ob oder unter welchen besonderen Bedingungen einem Gläubiger der Schutz, den ein nationales Insolvenzrecht gewährt, für seine Vertrauensinvestition genügt, kann er nur entscheiden, wenn er weiß, welches Insolvenzrecht gilt. Vor diesem Hintergrund betont der Erläuternde Bericht zum EuInsÜ zu Recht, dass der Insolvenzgerichtsstand – und die damit verbundene Anwendung des Insolvenzrechts des Verfahrensstaates – im Zeitpunkt der Vertrauensinvestition vorhersehbar sein muss.155 Doch gewährleistet das geltende Recht diesen Schutz nicht. Vielmehr ist der Verordnung geradezu immanent, dass der Gläubiger in seinem Vertrauen enttäuscht wird. Dies ist im Folgenden darzulegen. (2) Die Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes Ein Grundkonflikt jeder international-privatrechtlichen Anknüpfung besteht darin, dass der Gesetzgeber sich zwischen einem starren und einem flexiblen Anknüpfungskriterium entscheiden muss. Starre Anknüpfungen schaffen Rechtssicherheit, weil sie zu einer Versteinerung des anwendbaren Rechts führen. Problematisch sind sie insofern, als sie veränderten Ver155

Vgl. Virgós/Schmit, Nr. 75.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

hältnissen nicht gerecht werden und zu der Anwendbarkeit eines Rechts führen können, das zu dem maßgeblichen Zeitpunkt als nicht mehr sachgerecht erachtet wird. Würde das auf Gesellschaften anwendbare Insolvenzrecht z.B. an das Recht des Staates angeknüpft, in dem die Gesellschaft gegründet wurde,156 wäre das größtmögliche Maß an Rechtssicherheit erreicht. Weil die Gesellschaft nur einmal gegründet werden kann, wäre jederzeit eindeutig, welches Insolvenzrecht anzuwenden ist. In einem europäischen Binnenmarkt, der auch Gesellschaften Freizügigkeit gewährt,157 könnte es jedoch wenig sachgerecht sein, wenn das Insolvenzrecht des Gründungsstaates angewendet wird, obwohl sich das gesamte Vermögen des Schuldners in einem anderen Staat befindet. Das Insolvenzrecht dieses zweiten Staates anzuwenden, erschiene zwar zweckmäßig. Doch ermöglichte die flexible Anknüpfung an den Belegenheitsort des Vermögens dem Schuldner, es kurzfristig in das Ausland zu schaffen und die Anwendbarkeit eines anderen Insolvenzrechts herbeizuführen. Die Ziele der Rechtssicherheit und der Sachgerechtigkeit lassen sich am besten mit flexiblen Anknüpfungen erreichen, die sich jedoch nicht ohne weiteres ändern lassen, sich also durch eine gewisse Trägheit auszeichnen. Diesen Weg wollte offenbar auch der Verordnungsgeber mit dem Interessenmittelpunkt gehen. Einerseits lassen sich die tatsächlichen Umstände, die zu einer Verlegung des Interessenmittelpunktes führen, nicht so leicht verändern wie z.B. der Belegenheitsort von Vermögen. Andererseits bleibt das Anknüpfungskriterium wandelbar. Die Wandelbarkeit der Anknüpfung ist im Insolvenzrecht jedoch besonders problematisch, weil das Insolvenzstatut – anders als z.B. das Vertragsstatut – nicht nur ein einzelnes Rechtsverhältnis erfasst, das zu einem bestimmten Zeitpunkt begründet wurde, sondern einheitlich alle bereits begründeten und noch nicht vollständig abgewickelten vermögensbezogenen Rechtsverhältnisse. Unberücksichtigt bleibt, wann und unter welchen Umständen der einzelne Gläubiger Vertrauen in den Schuldner investiert hat, obwohl die Vorhersehbarkeit des Insolvenzrechts von entscheidender Bedeutung für seine Vertrauensinvestition war. Die Gleichgültigkeit des Insolvenzkollisionsrechts gegenüber dem Entstehungszeitpunkt einer Forderung wird umso problematischer, je größer der Zeitraum zwischen der ersten und der letzten Forderung ist, die begründet werden, bevor der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wird. Das beruht darauf, dass mit der Länge dieses Zeitraums auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich die tatsächlichen Umstände geändert haben, die den Inte156 So der Vorschlag von Eidenmüller, ZGR 2006, 467 (469 f.); ders., KTS 2009, 137 (158 f. und 160); kritisch: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 14 mit Fn. 26. 157 Vgl. Art. 43, 48 EG (nunmehr Art. 49, 54 AEUV).

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ressenmittelpunkt ausmachen. Hätte in dem oben angeführten Beispiel die Gesellschaft ein Jahr vor dem Eintritt der Insolvenz ihren Geschäftsbetrieb nach Bulgarien verlegt und dort mehr Verbindlichkeiten gegenüber bulgarischen Gläubigern angehäuft, als sie vor ihrem Umzug gegenüber griechischen Gläubigern begründet hatte, wären die griechischen Gläubiger von der Anwendbarkeit des bulgarischen Insolvenzrechts überrascht. Und selbst wenn sie von den veränderten Umständen erführen, wäre es für sie zu spät, weil sie ihre Vertrauensinvestition bereits getätigt haben, für Anpassungen des Vertragsverhältnisses auf die Mitwirkung ihres Schuldners angewiesen sind und eine nach dem Zeitpunkt der Forderungsbegründung unterscheidende Anknüpfung des Insolvenzstatuts mit dem Gesamtverfahrenscharakter des Insolvenzverfahrens weder vereinbar noch praktikabel wäre. Die Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes ist mithin ein grundlegendes Problem. Eine période suspecte, binnen derer eine Veränderung der Umstände, die den Interessenmittelpunkt ausmachen, unbeachtlich bliebe, mag de lege ferenda wünschenswert sein.158 Sie beugt jedoch lediglich einem kurzfristigen forum shopping des Schuldners vor. Grundlegende Abhilfe könnte auch sie nicht schaffen. Mit einem wandelbaren Anknüpfungskriterium allen Vertrauensinvestitionen gerecht zu werden, obwohl sie zu verschiedenen Zeitpunkten und unter unterschiedlichen Umständen erfolgen, gleicht der Quadratur des Kreises. Weil es letztlich allein auf die Sachlage zu einem bestimmten Zeitpunkt ankommt,159 steht das Vertrauen einzelner Gläubiger in die Anwendbarkeit eines bestimmten Insolvenzrechts von vornherein unter einem schwachen Schutz. cc) Die Sachgerechtigkeit der lex fori concursus (1) Die Sachgerechtigkeit als Maßstab für das anwendbare Insolvenzrecht Fraglich bleibt, ob über den Konzerninsolvenzgerichtsstand ein Insolvenzrecht zur Anwendung käme, dessen Geltung unangemessen ist. Beantwortet werden kann diese Frage nur, wenn feststeht, was als sachgerecht anzusehen ist. Es liegt nahe, das Insolvenzrecht des Staates anzuwenden, in dem sich der überwiegende Teil des Schuldnervermögens befindet und in dem sich die Mehrzahl der Gläubiger aufhält, weil Insolvenzrecht vor allem Vermögensrecht ist und ein geographisch den Gläubigern nahes Insol-

158

Mehrere mitgliedstaatliche Rechtsordnungen sehen einen derartigen Unbeachtlichkeitszeitraum vor; vgl. de Christofaro, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 39 (61 f.); Eidenmüller, KTS 2009, 137 (150 mit Fn. 41); Rumberg, RIW 2010, 358 (362). Gegen eine solche Frist: Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (900); Reinhart, NZI 2012, 304 (306); im Ergebnis ebenso Eidenmüller, KTS 2009, 137 (159). 159 Anders Klöhn, KTS 2006, 259 (279), der auch vergangene Tätigkeiten des Insolvenzschuldners für die Zuständigkeitsprüfung berücksichtigen möchte.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

venzverfahren grundsätzlich zu geringeren Transaktionskosten führt. Jedoch ist das Vermögen – vor allem wenn es nicht in körperlicher Form, sondern als Forderung existiert – zu flüchtig, als dass es ein geeignetes Anknüpfungskriterium sein könnte. Und dass die höheren Transaktionskosten der Gläubiger, die durch die Teilnahme an einem ausländischen Verfahren entstehen, durch die Vorteile des einheitlichen Gerichtsstandes mehr als aufgewogen werden, wurde bereits dargelegt.160 Ob die Anwendbarkeit einer lex fori concursus sachgerecht ist, bestimmt sich daher nicht nach der geographischen Nähe des Forums zu dem Vermögen und den Gläubigern des insolventen Schuldners, sondern vor allem danach, wie gut sie dazu geeignet ist, dem Verfahrenszweck zu dienen. Die Anwendbarkeit desselben Insolvenzstatuts für die Insolvenz sämtlicher Konzerngesellschaften ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich sachgerecht, weil das Insolvenzverfahren regelmäßig der Haftungsverwirklichung dient und diese sich am besten erreichen lässt, wenn nur ein Insolvenzrecht das gesamte Konzernvermögen erfasst.161 Für Konzerninsolvenzen konnte der Verordnungsgeber, der die Effizienz grenzüberschreitender Insolvenzen steigern,162 also das Verfahren optimieren und die Befriedigung der Gläubiger verbessern wollte, dies nur deshalb nicht ausdrücklich festhalten, weil er ihnen gegenüber blind war. Das System der Verordnung, das Insolvenzstatut an die internationale Zuständigkeit anzuknüpfen und das Verfahren mit gemeinschaftsweit anzuerkennender Wirkung auszustatten, beruht auf der Überlegung, dass dies die effizienteste Lösung für grenzüberschreitende Insolvenzen ist. Die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens, also die einheitliche Geltung der lex fori concursus für das gemeinschaftsweit belegene Vermögen des Schuldners, ist ein wesentlicher Pfeiler dieser Konstruktion. Überträgt man ihn auf Konzerninsolvenzen, so ist die Identität der Insolvenzstatute sämtlicher Konzerngesellschaften die konsequente Fortführung des Effizienzgedankens. Die einheitliche Zuständigkeit bei einer Konzerninsolvenz lässt sich daher durchaus auch als vom Geiste der Verordnung getragen ansehen. (2) Die Effizienz des Verfahrens als Maßstab der Sachgerechtigkeit Entgegenhalten mag man dieser Argumentation, dass die Europäische Insolvenzverordnung nicht nur auf der Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens, sondern vor allem auf einem bestimmten Verständnis des Interessenmittelpunktes aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO fußt. Die Verordnung gibt sich mit anderen Worten nicht damit zufrieden, dass irgendein nationales 160

Vgl. § 3 B IV 1. Vgl. § 3 B III 1. 162 Erwägungsgrund (8). 161

B. Die Vorteile eines einheitlichen Gerichtsstandes

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Insolvenzrecht gemeinschaftsweit gilt, sondern will, dass ein ganz bestimmtes angewendet wird. Um welches Insolvenzrecht es sich hierbei handelt, folgt aus der Auslegung des Interessenmittelpunktes. Weil dieser für jede Konzerngesellschaft separat zu ermitteln ist, könnte der soeben gefundene Schluss, nach dem das Einheitsstatut über alle Konzerngesellschaften dem Geiste der Verordnung entspricht, fehlerhaft sein. Einzuräumen ist diesem Einwand, dass das anwendbare Insolvenzrecht der internationalen Zuständigkeit folgt und nicht umgekehrt. Warum die lex fori concursus anzuwenden ist, unterliegt daher zumindest auch Motiven, derentwegen die internationale Zuständigkeit an den Interessenmittelpunkt anknüpft. Zu diesen Motiven gehört neben einem möglichst effizienten Insolvenzverfahren jedenfalls auch die Erkennbarkeit des potentiellen Insolvenzforums.163 Wären dagegen die Effizienz und die bestmögliche Gläubigerbefriedigung der alleinige Maßstab für das anwendbare Recht, hätte der Verordnungsgeber die Anknüpfung der internationalen Zuständigkeit nach diesen Gesichtspunkten ausgestalten müssen. Dass die größtmögliche Effizienz des Insolvenzverfahrens nicht allein maßgeblich für den Interessenmittelpunkt sein kann, bedeutet jedoch nicht, dass sie für die internationale Zuständigkeit nicht relevant wäre. Der Verordnungsgeber ging davon aus, dass die meisten Gläubiger und der überwiegende Teil des schuldnerischen Vermögens sich in der Regel an dem Interessenmittelpunkt des Schuldners befinden.164 Das Verfahren an diesem Ort unter dem dort geltenden Insolvenzrecht durchzuführen, erschien ihm auch deshalb sachgerecht, weil es dort am effizientesten durchzuführen sein dürfte.165 Dass diese Effizienz in einer Konzerninsolvenz ohne eine einheitliche Zuständigkeit aber nicht gewährleistet ist, wurde jedoch bereits dargelegt.166 Darüber hinaus soll hier nicht ein einheitlicher Gerichtsstand für verbundene Gesellschaften in jeder denkbaren Konstellation propagiert werden. Dass allein die konzernrechtliche Verbundenheit insolventer Gesellschaften die einheitliche Zuständigkeit und das einheitliche Insolvenzstatut für die Insolvenzverfahren sämtlicher Konzerngesellschaften nicht zu begründen vermögen, folgt bereits aus dem schuldnerbezogenen Konzept der Verordnung, wurde durch den EuGH167 bestätigt und wird hier auch nicht 163

Vgl. § 4 B II 2 a). Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 12; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (448); Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (898); Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 12; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (543); MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 14; Probst, S. 55; Vogler, S. 122; Weller, ZHR 169 (2005), 570 (578); Wimmer, ZInsO 2005, 119 (121). 165 Erwägungsgrund (8). 166 Vgl. § 3 B II. 167 EuGH ZIP 2006, 907 – Eurofood; näher dazu unter § 3 D III 2. 164

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vertreten. Maßgeblich für die internationale Zuständigkeit und mittelbar für das anwendbare Insolvenzrecht bleibt allein Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Die gedankliche Analogie von der Universalität der lex fori concursus eines einzelnen Hauptinsolvenzverfahrens zu der universellen Geltung desselben Insolvenzstatuts für die Hauptinsolvenzverfahren aller verbundenen Unternehmen ist vielmehr unter dem Gesichtspunkt zu sehen, dass die Effizienz des Verfahrens ein fundamentales Bedürfnis ist, dessentwegen die Verordnung überhaupt geschaffen wurde.168 Dass die bestmögliche Gläubigerbefriedigung als Bestandteil eines möglichst effizienten Verfahrens vor allem über einen Konzerninsolvenzgerichtsstand zu erreichen ist, wurde bereits hinlänglich dargelegt.169 Die Anwendbarkeit einer für potentiell viele Gläubiger fremden Insolvenzrechtsordnung ist somit kein hinreichender Grund, sie für nicht sachgerecht zu erachten. (3) Die hinreichende Vergleichbarkeit der mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte Dass der Verordnungsgeber in der Anwendbarkeit eines für potentiell viele Gläubiger fremden Insolvenzrechts kein besonderes Problem gesehen hat, zeigt sich auch darin, dass er den Interessenmittelpunkt zwar einerseits zu dem Dreh- und Angelpunkt der Verordnung erkoren, seine korrekte Verortung andererseits aber hinter den Grundsatz der automatischen Anerkennung hat zurücktreten lassen. Der Verordnungsgeber hat sich bewusst für das Prioritätsprinzip entschieden, weil nur so die Wirksamkeit und Effizienz des grenzüberschreitenden Insolvenzverfahrens gewährleistet ist. Er nahm damit in Kauf, dass eine Rechtsordnung zur Anwendung kommt, deren Sachnähe zweifelhaft sein kann, weil das Gericht den Interessenmittelpunkt falsch verortet und die ihm zugrundeliegenden Wertungen verkennt. In der Abwägung mit dem anwendbaren Insolvenzrecht hat er der automatischen Anerkennung jedoch den Vorzug gegeben. Die Effizienz des Insolvenzverfahrens war ihm mithin wichtiger als die Sachnähe des anwendbaren Insolvenzrechts. Hierauf einlassen konnte sich der Verordnungsgeber nur, weil die Geltung jeder lex fori concursus zumindest als hinnehmbar erschien. Die mittlerweile 27 mitgliedstaatlichen Insolvenzrechtsordnungen mögen nicht gleichwertig im Wortsinne sein. Doch sind sie hinreichend vergleichbar. Nur diese Prämisse rechtfertigt aus rechtspolitischer Sicht den Anerkennungsautomatismus des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO.170 Soweit der Verord168

Ähnlich Eidenmüller, KTS 2009, 137 (149 f.); aus Effizienzgesichtspunkten einen einheitlichen Gerichtsstand grundsätzlich befürwortend auch: Probst, S. 150 und 180. 169 Vgl. § 3 B I bis III. 170 Implizit ebenso Weller, ZGR 2008, 835 (853); ähnlich Hess/Laukemann, in: FS Wellensiek, S. 813 (817); Laukemann, IPRax 2012, 207 (208).

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nungsgeber die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung ausnahmsweise doch für unabdingbar hielt, hat er dies in den Sonderanknüpfungen der Art. 5 bis 15 EuInsVO zum Ausdruck gebracht.171 c) Fazit Der einheitliche Gerichtsstand für die Insolvenz miteinander verbundener Unternehmen führt tendenziell zu einer größeren Zahl von Gläubigern, deren Rechte und Pflichten in der Insolvenz ihres Schuldners einem aus ihrer Sicht fremden Insolvenzrecht unterliegen. Das Vertrauen der Gläubiger in die Anwendbarkeit eines bestimmten Insolvenzrechts steht jedoch von vornherein unter einem schwachen Schutz, weil der Interessenmittelpunkt, über den das Insolvenzrecht angeknüpft wird, ein wandelbares Anknüpfungskriterium ist. Darüber hinaus lässt sich aus der automatischen Anerkennung der Eröffnungsentscheidung folgern, dass die Wirksamkeit und die Effizienz des Insolvenzverfahrens höher einzustufen sind als die Geltung des mutmaßlich sachnächsten Insolvenzrechts. Die Anwendbarkeit derselben lex fori concursus in sämtlichen Hauptinsolvenzverfahren verbundener Unternehmen sorgt für besonders effiziente Insolvenzverfahren und ist insofern regelmäßig sachgerecht. Die Anwendbarkeit eines für viele Gläubiger ausländischen Insolvenzrechts in der Konzerninsolvenz ist daher kein Argument gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand. V. Zusammenfassung Die Einheitlichkeit des Insolvenzgerichtsstandes für alle Konzerngesellschaften vereinfacht die einzelnen Insolvenzverfahren, weil für sie dasselbe Insolvenzrecht gilt, nur ein Insolvenzgericht zuständig ist und dieselbe Person zum Insolvenzverwalter bestellt werden kann. Der einheitliche Gerichtsstand spart Zeit und vor allem Kosten, die andernfalls durch Reibungsverluste entstünden, und erhöht über die einheitliche Geltung desselben Insolvenzrechts für mehrere Insolvenzverfahren zugleich die Befriedigungsaussichten der Gläubiger und die Wahrscheinlichkeit, das jeweilige Verfahrensziel der lex fori concursus zu erreichen. Zusammengefasst setzt sich in dem einheitlichen Gerichtsstand das makroökonomische Ziel der Verordnung, über eine Vereinheitlichung des europäischen Insolvenzkolli-

171

Nicht zum Ausdruck kommt eine solche Wertung des Gesetzgebers dagegen in der Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen. Denn auch sie werden ebenso wie das Hauptinsolvenzverfahren von Rechts wegen anerkannt, ohne dass es darauf ankommt, ob das eröffnende Gericht seine internationale Zuständigkeit zutreffend beurteilt hat.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

sionsrechts für effizientere Insolvenzverfahren zu sorgen,172 mikroökonomisch auf der Ebene des Konzerns fort.173 Die Nachteile, die ein Konzerninsolvenzgerichtsstand aufweisen kann, stehen seiner Zweckmäßigkeit jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen. Interessenkonflikte des für alle Insolvenzverfahren bestellten Insolvenzverwalters können durch Sonderinsolvenzverwalter gelöst werden. Soweit die einheitliche Zuständigkeit zu höheren Transaktionskosten führt, wird dies durch die weitaus besseren Befriedigungsaussichten kompensiert. Die Geltung eines für viele Gläubiger ausländischen lnsolvenzrechts nimmt die Verordnung in Kauf, indem sie der automatischen Anerkennung des Eröffnungsbeschlusses den Vorrang vor der zutreffenden Beurteilung der internationalen Zuständigkeit einräumt.

C. Die Untauglichkeit bisheriger Lösungsversuche C. Die Untauglichkeit bisheriger Lösungsversuche

Zweifel an der Erforderlichkeit eines einheitlichen Gerichtsstandes für die Eröffnung der Insolvenzverfahren über die Vermögen verbundener Unternehmen bestünden, sofern andere Wege existierten, den Herausforderungen der Konzerninsolvenz zumindest gleichwertig zu begegnen. Zu unterscheiden sind insoweit Lösungsversuche, die auf der Ebene mehrerer Hauptinsolvenzverfahren ansetzen (I.), und solche, die die Kooperationspflichten der Verwalter von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 31 EuInsVO nutzen wollen (II.). I. Die Ebene mehrerer Hauptinsolvenzverfahren 1. Vereinbarungen über den Insolvenzgerichtsstand Ein denkbarer Ansatz, den Abstimmungsbedarf zwischen den zahlreichen Insolvenzverfahren, -verwaltern und auch -rechten zu vermeiden, besteht darin, einen Konzerninsolvenzgerichtsstand zu vereinbaren.174 Die soeben beschriebenen Vorteile einer einheitlichen Zuständigkeit ließen sich so schon im Vorfeld der Insolvenz sichern. Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die im Internationalen Zivilprozessrecht gang und gäbe ist, wäre im Internationalen Insolvenzrecht jedoch kaum erfolgversprechend, weil der Charakter des Insolvenzverfahrens als Gesamtverfahren das Einverständnis sämtlicher Gläubiger erforderte und es praktisch unmöglich erscheint, dass 172

Erwägungsgrund (8). Im Ergebnis ebenso Keggenhoff, S. 186. 174 De lege lata scheitert dieser Ansatz schon daran, dass der Insolvenzgerichtsstand aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ausschließlich ist und daher nicht zur Disposition der Beteiligten steht. 173

C. Die Untauglichkeit bisheriger Lösungsversuche

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alle Gläubiger demselben Gerichtsstand zustimmen.175 Verweigert sich nur einer von ihnen einer Gerichtsstandsvereinbarung, gibt es keinen einheitlichen Gerichtsstand. Die Idee, über eine Gerichtsstandsvereinbarung zu einem Konzerninsolvenzgerichtsstand zu kommen, ist daher ungeachtet der Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung nicht praxistauglich. 2. Kooperation zwischen den Hauptinsolvenzverwaltern a) Analoge Anwendung der Kooperationspflichten aus Art. 31 EuInsVO? Da sich die Eröffnung der Hauptinsolvenzverfahren über die Vermögen der einzelnen Gesellschaften in verschiedenen Staaten nicht verhindern lässt, bleibt nur die Alternative, sie nachträglich zu koordinieren. Eine Kooperationspflicht der Verwalter verschiedener Insolvenzverfahren sieht die Verordnung in ihrem Art. 31 nur für das Verhältnis von Haupt- und Sekundärinsolvenzverwaltern vor.176 Zwar ließe es sich erwägen, die Vorschrift auf das Verhältnis mehrerer Hauptinsolvenzverwalter analog anzuwenden.177 Sinnvoll wäre eine Kooperationspflicht zwischen den Hauptinsolvenzverwaltern schon deshalb, weil ohne eine konzertierte Aktion eine Konzerninsolvenz nicht optimal verwaltet werden kann und die wünschenswerte Kooperation zwischen den Verwaltern wohl nicht gelebt wird.178 Doch fehlt es bereits an der für die Analogie erforderlichen Planwidrigkeit der Regelungslücke, weil Konzerninsolvenzen bewusst nicht geregelt wurden.179 Die Kooperation von Hauptinsolvenzverwaltern, die eine Konzerninsolvenz bewältigen müssen, ist daher keine Rechtspflicht, die sich mit einer analogen Anwendung des Art. 31 EuInsVO begründen ließe. Die analoge Anwendung des Art. 31 EuInsVO auf das Verhältnis mehrerer Hauptinsolvenzverwaltern würde darüber hinaus zwangsläufig die Frage aufwerfen, in welchen Fällen eine Kooperationspflicht überhaupt existiert. Dass sie nur bei einer hinreichenden konzernrechtlichen Verbindung bestehen kann, wird unausgesprochen vorausgesetzt. Wie diese Verbindung konkret auszusehen hat, ergibt sich aber weder aus Art. 31 EuInsVO noch aus anderen Vorschriften der Verordnung. Hergestellt werden könnte sie erst und allein durch den einheitlichen Gerichtsstand, der auch aufgrund einer hinreichenden konzernrechtlichen Verbindung das Ergebnis der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO sein kann. Besteht aber eine 175

Vgl. statt vieler Mankowski, ZIP 2010, 1376 (1377) m.w.N. Ehricke, WM 2005, 397 (398 f.); MünchKommInsO/Ehricke, Internationales Konzerninsolvenzrecht, Rn. 5. 177 Unklar Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (96), die eine analoge Anwendung zunächst befürworten, im Ergebnis aber ablehnen. 178 Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 517 (519). 179 Virgós/Schmit, Nr. 76; das betonen auch Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (96), die darin jedoch kein Hindernis sehen. 176

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

einheitliche internationale Zuständigkeit, ist eine Pflicht zur Kooperation zwischen den Hauptinsolvenzverwaltern überflüssig, weil das Insolvenzgericht dieselbe Person zum Hauptinsolvenzverwalter für sämtliche Konzerninsolvenzverfahren bestellen kann und ein gegenseitiger Unterrichtungsund Abstimmungsbedarf dann von vornherein nicht entsteht. Unklar wäre auch, welche konkreten Kooperationspflichten die Verwalter treffen. Die rudimentäre Regelung in Art. 31 EuInsVO ist kaum geeignet, für klare Verhältnisse zu sorgen. Kommt es zwischen den Hauptinsolvenzverwaltern zum Streit über ihre untereinander bestehenden Rechte und Pflichten, wird dieser zwangsläufig auf dem Rücken der Gläubiger ausgetragen. Eine Personenidentität des Hauptinsolvenzverwalters ist daher einer Kooperationspflicht aus Art. 31 EuInsVO vorzuziehen. b) Insolvenzverwaltungsverträge Wenn die Hauptinsolvenzverwalter nicht rechtlich verpflichtet sind, miteinander zu kooperieren, so bleibt die Frage, wie sie zusammenarbeiten können, wenn sie dies wollen. Teilweise wird vorgeschlagen, dass die Verwalter sogenannte Insolvenzverwaltungsverträge schließen sollen.180 Über die Natur dieser Prozessverträge,181 ihre potentiellen Vertragsparteien182 sowie das auf sie anwendbare Recht183 ist noch vieles unklar.184 Die Vorteile solcher Vereinbarungen liegen auf der Hand: Die Vertragsparteien könnten Unstimmigkeiten, die durch das Regime zahlreicher Insolvenzrechte entstehen, glätten, soweit die anwendbaren Insolvenzrechte dies zulassen. Vor allem aber könnten sie ihre Maßnahmen aufeinander abstimmen und sich – wegen der bindenden Wirkung des Insolvenzverwaltungsvertrages – aufeinander verlassen. Begrüßenswert an diesem Weg ist, dass die Insolvenzverwalter jedenfalls miteinander kommunizieren. Insolvenzverwaltungsverträge weisen jedoch auch gravierende Nachteile auf. So schlägt die inhaltliche Gestaltungsfreiheit, über die die Verwalter bei Abschluss des Vertrages verfügen, ab seiner Wirksamkeit in ihr Gegen180 Grundlegend: Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3 (10 ff.); ders., ZHR 169 (2005), 528 (542–544); Ehricke, in: Aufbruch nach Europa, S. 337 (356 ff.); Rotstegge, S. 217 ff.; ausführlich: Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, Bielefeld 2004. 181 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3 (12 f.); Wittinghofer, S. 121 ff.; Ehricke, WM 2005, 397 (402); ders., ZIP 2005, 1104 (1112). 182 Nach Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528 (544), sollen auch die Gerichte Parteien des Vertrages sein können; zweifelnd: Vallender, KTS 2005, 283 (323); ders., KTS 2008, 59 (64–66). Jedenfalls müsse sich ein Insolvenzrichter darüber im Klaren sein, dass ein entsprechender Vertrag ihn persönlich bindet und zu erheblichen Haftungsrisiken führt; so Vallender, in: FS Lüer, S. 479 (490). 183 Vgl. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528 (564 f.); Wittinghofer, S. 342 ff. 184 Ehricke, WM 2005, 397 (402 f.).

C. Die Untauglichkeit bisheriger Lösungsversuche

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teil um. Der Insolvenzverwalter kann auf kurzfristige Änderungen der Lage nicht mehr flexibel und im Interesse der von ihm verwalteten Masse reagieren, weil er sich vertraglich gebunden hat.185 Eine umfassende und sinnvolle Regelung aller Unwägbarkeiten im Vorhinein dürfte dagegen regelmäßig schon an dem Zeitaufwand, den Kosten und der fehlenden Vorhersehbarkeit der potentiell relevanten Umstände scheitern. So kann die gut gemeinte Absprache den Verwalter in ein Dilemma führen: Hält er sich trotz einer veränderten Sachlage an den Vertrag, droht er schadensersatzpflichtig zu werden. Bricht er ihn, haftet er möglicherweise gegenüber seinem Vertragspartner.186 Ein besonnener Insolvenzverwalter wird dieses Risiko nicht eingehen und daher im Zweifel keine derartige Vereinbarung treffen. Hierin kommt zugleich das Hauptproblem jeglicher Absprachen zwischen Insolvenzverwaltern zum Ausdruck: Sie beruhen auf Freiwilligkeit. Ohne eine nötigenfalls erzwingbare Zusammenarbeit der beteiligten Entscheidungsträger lässt sich die notwendige Koordination der Hauptinsolvenzverfahren jedoch nicht sicherstellen.187 c) Protocols Derselben Kritik sind auch die sogenannten protocols ausgesetzt,188 soweit sie nicht nur unverbindlich sind, sondern verbindlichen Charakter haben.189 Bei ihnen handelt es sich um Formulare,190 in denen die beteiligten Insolvenzverwalter191 ein aufeinander abgestimmtes Vorgehen festlegen. Der Entscheidungsspielraum der Insolvenzverwalter bleibt nur unbeschränkt und ihre Haftungsfreiheit nur gesichert, wenn die Absprachen unverbindlich sind. Ob dies über protocols, allgemein unverbindliche Absprachen oder einen Verwalterkodex192 geschieht, ist zweitrangig. Für die Koordination rechtlich unabhängiger Hauptinsolvenzverfahren sind solche Absprachen in jedem Fall wenig geeignet, weil sie sich leicht in einem Lippenbekenntnis erschöpfen. Ihre fehlende Verbindlichkeit, die ihr Vorteil gegenüber Insolvenzverwaltungsverträgen ist, ist somit zugleich ihr größter Nachteil.193

185

Ehricke, WM 2005, 397 (402); Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (97). Ehricke, WM 2005, 397 (403); Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (97). 187 Ehricke, WM 2005, 397 (399 f.); Schmiedeknecht, S. 201. 188 Ehricke, WM 2005, 397 (403). 189 Beides ist möglich nach Ehricke, in: Aufbruch nach Europa, S. 337 (360 f.). 190 Paulus, NZI 2001, 501 (507). 191 Gegen eine Beschränkung auf die Verwalter: Paulus, NZI 2001, 501 (507); Schmiedeknecht, S. 205. 192 Dafür: Ehricke, WM 2005, 397 (404 f.), mit dem Hinweis, dass es sich nur um eine „second-best-Lösung“ handelt. 193 Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (97). 186

94

§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

d) Fazit Absprachen zwischen den Insolvenzverwaltern der Hauptinsolvenzverfahren über die Vermögen verbundener Unternehmen liegen im Interesse der Gläubiger von Konzerngesellschaften, sind sinnvoll sind und können die Erfolgschancen einer Konzerninsolvenz verbessern. Eine rechtlich durchsetzbare Kooperationspflicht der Hauptinsolvenzverwalter einer Konzerninsolvenz folgt aus der EuInsVO jedoch nicht. Soweit die Hauptinsolvenzverwalter gleichwohl miteinander kooperieren wollen, befinden sie sich in einem Dilemma: Bleibt die Absprache unverbindlich, ist sie im Fall eines Konflikts wenig wert. Ist sie dagegen verbindlich, sind die Insolvenzverwalter nicht mehr flexibel, und die Vereinbarung wird zur Haftungsfalle. Ohne eine gesetzliche Regelung ist daher kaum zu erwarten, dass die Konzerninsolvenz über Absprachen zwischen den Hauptinsolvenzverwaltern ebenso gut gemeistert wird wie mit der Bestellung derselben Person zum Hauptinsolvenzverwalter in sämtlichen Konzerninsolvenzverfahren. Letztere ist jedoch nur realistisch, wenn ein einheitlicher Gerichtsstand existiert. II. Die Tochtergesellschaft als Niederlassung Die fehlenden Koordinationsmöglichkeiten auf der Ebene mehrerer Hauptinsolvenzverfahren erscheinen umso misslicher, als der Verordnungsgeber das Bedürfnis für eine Koordination verschiedener Verfahren grundsätzlich erkannt und sie in den Art. 31 ff. EuInsVO zumindest rudimentär für das Verhältnis von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren geregelt hat.194 Für die Konzerninsolvenz ließen sich diese Bestimmungen fruchtbar machen, wenn das Insolvenzverfahren über eine Tochtergesellschaft als Sekundärinsolvenzverfahren ihrer Muttergesellschaft qualifiziert werden könnte.195 Dazu müsste es sich bei der Tochtergesellschaft um eine Niederlassung der Muttergesellschaft im Sinne der EuInsVO handeln.

194

Vgl. auch Erwägungsgrund (20). In diese Richtung: Paulus, NZI 2001, 505 (510); ders., ZIP 2002, 729 (730); ders., EWS 2002, 497 (501); unter engen Voraussetzungen auch: Bezelgues, S. 214 ff.; Gottwald, S. 22; Virgós/Garcimartín, Nr. 62; offen hierfür auch: Dawe, S. 146; ablehnend dagegen die ganz h.M.: Adam, S. 140 f.; Deyda, S. 39; Duursma-Kepplinger/Duursma/ Chalupsky, Art. 1 Rn. 50 sowie Art. 27 Rn. 25 f.; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (448); Duursma-Kepplinger/Duursma, IPRax 2003, 505 (509); Ehricke, EWS 2002, 101 (104 ff.); Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3458); ders., IPRax 2001, 2 (4 mit Fn. 17); Herchen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 27 Rn. 28; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (143); Konecny, in: Smid, Neue Fragen, S. 106 (121); Lorenz, S. 40; Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Art. 2 Rn. 60 ff.; Rossbach, S. 237; Smid, DZWIR 2004, 397 (399 f.); Vallender, KTS 2005, 283 (303); Vallender/Deyda, NZI 2009, 825 (829); Vogler, S. 167. 195

C. Die Untauglichkeit bisheriger Lösungsversuche

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1. Das Erfordernis eines Hauptinsolvenzverfahrens über denselben Schuldner Eine Niederlassung ist nach Art. 2 lit. h) EuInsVO jeder Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt. Ein abhängiges Konzernunternehmen erfüllt diese Voraussetzungen wie jede andere Gesellschaft ohne weiteres, zumal es auf die in Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ (nunmehr: EuGVVO) für eine Niederlassung vorausgesetzte Weisungsabhängigkeit196 für den Niederlassungsbegriff der EuInsVO gerade nicht ankommt.197 Die Definition der Niederlassung in Art. 2 lit. h) EuInsVO steht der Einordnung einer Tochtergesellschaft als Niederlassung ihrer Muttergesellschaft mithin nicht entgegen. Doch beruht der Verzicht auf die Weisungsabhängigkeit für den Niederlassungsbegriff in der EuInsVO lediglich auf einem politischen Kompromiss.198 Im Gesetzgebungsverfahren war umstritten, ob Sekundärinsolvenzverfahren nur unter den engen Voraussetzungen eröffnet werden können, die Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ (nunmehr: EuGVVO) an die Niederlassung stellt, oder ob bereits die Belegenheit von Vermögen hierfür ausreichen sollte.199 Zu keiner Zeit zweifelhaft war dagegen, dass über einen selbständigen und insolvenzfähigen Rechtsträger kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden kann, das dem Hauptinsolvenzverfahren eines anderen Rechtsträgers zugeordnet ist.200 Allein der im Vergleich zu dem EuGVÜ weite Niederlassungsbegriff der EuInsVO lässt daher nicht den Schluss zu, dass rechtlich selbständige Unternehmen eine Niederlassung im Sinne der EuInsVO sein können. Gegen eine Einordnung von Tochtergesellschaften als Niederlassungen ihrer Muttergesellschaften spricht weiter, dass nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO ein Insolvenzgrund für die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens nur deshalb nicht zu prüfen ist, weil die Insolvenzreife der Gesellschaft bereits bei der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens geprüft 196 Der EuGH verlangt die „Aufsicht und Leitung“ durch das Stammhaus, EuGH Slg. 1976, I-1497, Nr. 20/22 – de Bloos/Bouyer, und konkretisiert dies dahingehend, dass das Stammhaus befugt sein muss, der Niederlassung Weisungen zu erteilen, EuGH Slg. 1981, I-819, Nr. 12 – Blanckaert und Willems/Trost. 197 Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (299); Vogler, S. 150; im Ergebnis ebenso DuursmaKepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 63; Riedemann, in: Pannen, EuInsVO, Art. 2 Rn. 47 f.; Virgós/Garcimartín, Nr. 296; a.A. Dawe, S. 146 mit Fn. 99. 198 Virgós/Schmit, Nr. 70; Dawe, S. 143 f.; Deipenbrock, EWS 2001, 113 (118); Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (299). 199 Virgós/Schmit, Nr. 70; Ehricke, EWS 2002, 101 (105); Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (299); Wimmer, ZIP 1998, 982 (985); ausführlich: Dawe, S. 142–145. 200 Attinger, S. 52; Ehricke, EWS 2002, 101 (105); MünchKommInsO/Ehricke, Internationales Konzerninsolvenzrecht, Rn. 23.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

wurde.201 Genügte die Prüfung eines Insolvenzgrundes für das Hauptinsolvenzverfahren der Muttergesellschaft, um im Anschluss ein Sekundärinsolvenzverfahren über eine ihrer Tochtergesellschaften zu eröffnen, könnte das Insolvenzverfahren über diese Tochtergesellschaft eröffnet werden, obwohl sie gar nicht insolvent ist.202 Dies ist nicht im Sinne des Verordnungsgebers. Dass die Vermögensmassen verschiedener Schuldner in jeglicher Hinsicht getrennt bleiben, zeigt sich auch in Art. 32 Abs. 1 EuInsVO, wonach jeder Gläubiger seine Forderung in dem Haupt- und in dem Sekundärinsolvenzverfahren anmelden kann.203 Bei einem Sekundärinsolvenzverfahren über eine Tochtergesellschaft, das dem Hauptinsolvenzverfahren der Muttergesellschaft zugeordnet ist, konkurrierten regelmäßig Gläubiger miteinander, die sich verschiedene Schuldner ausgesucht haben.204 Eine derartige Vermischung der Vermögensmassen sieht die Verordnung nicht vor.205 Konzerninsolvenzen lassen sich daher unter dem Regime der Verordnung nicht dadurch bewältigen, dass Tochtergesellschaften als Niederlassungen von Muttergesellschaften behandelt und über erstere Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden, die den Hauptinsolvenzverfahren letzterer zugeordnet sind. Paulus führt zwar weiter an, dass die strikte Trennung der Rechtsträgerschaft für einzelne Rechtsfragen ohnehin nicht durchgehalten wird.206 So werde eine Schwestergesellschaft im Insolvenzrecht teilweise als nahestehende Person im Sinne des § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO angesehen und soll unter bestimmten Voraussetzungen auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage für die Schulden einer anderen Schwestergesellschaft haften.207 Darüber hinaus sei es üblich, eine Beihilfe, die rechtswidrig einer Gesellschaft gewährt wurde, notfalls von ihrer Muttergesellschaft zurückzuverlangen.208 Diesen Beispielen ist gemein, dass Vermögensschiebungen von einem Rechtsträger zu einem anderen bei wirtschaftlicher Einheit der Rechtsträger unter bestimmten Voraussetzungen nicht hingenommen werden sollen. Anders als bei der Qualifikation einer Tochtergesellschaft als Niederlassung ihrer Muttergesellschaft wird die Rechtsträgerschaft jeder einzelnen Gesellschaft in diesen Fällen aber gerade nicht ignoriert. Die materiell201

MünchKommInsO/Ehricke, Internationales Konzerninsolvenzrecht, Rn. 23. Ähnlich Vormstein, S. 166 f. 203 MünchKommInsO/Ehricke, Internationales Konzerninsolvenzrecht, Rn. 23; Carstens, S. 112. 204 Ehricke, S. 471 f.; ders., EWS 2002, 101 (105); Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 42; Schmiedeknecht, S. 194; Vormstein, S. 167. 205 Vogler, S. 167 f.; allgemein ablehnend: Ehricke, DZWIR 1999, 353 (358 f.). 206 Paulus, EuInsVO, Einl. Rn. 45 f. mit weiteren Nachweisen. 207 Paulus, EuInsVO, Einl. Rn. 45. 208 Paulus, ZIP 2002, 729 (730); ders., EWS 2002, 497 (500); gegen dieses Argument: Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281 (282). 202

C. Die Untauglichkeit bisheriger Lösungsversuche

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rechtliche Frage, ob ein Konzernunternehmen für ein anderes haftet, ist daher wenig ergiebig für die verfahrensrechtliche Frage, ob über das Vermögen einer abhängigen Gesellschaft ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden kann, das keinem Hauptinsolvenzverfahren derselben Konzerngesellschaft zugeordnet ist. 2. Die Niederlassung kraft Rechtsscheins Diskutiert wird weiter, ob nicht zumindest in den Fällen, in denen die Tochtergesellschaft wie eine Betriebsabteilung der Muttergesellschaft geführt wird, eine „faktische“ Niederlassung vorliegt, über die ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden kann, das dem Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen der Muttergesellschaft zugeordnet ist.209 Den Ansatzpunkt hierfür bildet die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache SAR Schotte/Parfums Rothschild SARL, in der es um den Gerichtsstand der Niederlassung aus Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ ging: Eine französische Tochtergesellschaft entfaltete ihre Tätigkeiten in Deutschland über ihre dort ansässige Muttergesellschaft. Beide Gesellschaften hatten dieselbe Geschäftsführung und – abgesehen von dem Rechtsformzusatz – dieselbe Firma. Auch schloss die deutsche Muttergesellschaft Verträge im Namen der französischen Tochtergesellschaft. Weil die Muttergesellschaft lediglich eine Niederlassung der französischen Tochtergesellschaft zu sein schien, stellte sich die Frage, ob für eine Streitigkeit aus einem Rechtsverhältnis mit der französischen Tochtergesellschaft die Gerichte am Ort ihrer vermeintlichen Niederlassung in Deutschland international zuständig waren. Der EuGH entschied, dass Dritte sich auf diesen Rechtsschein verlassen dürfen.210 Der Gerichtsstand der Niederlassung aus Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ war damit eröffnet, obwohl es sich bei der vermeintlichen Niederlassung der Tochtergesellschaft tatsächlich um den Sitz der Muttergesellschaft handelte. Interessant für die Bewältigung von Konzerninsolvenzen wäre dieser Ansatz von vornherein nur, wenn er eine hinreichende Zahl von Fällen erfasst. In der Praxis liegen die Voraussetzungen für eine Qualifikation der Tochtergesellschaft als Niederlassung ihrer Muttergesellschaft kraft Rechtsscheins aber regelmäßig schon deshalb nicht vor, weil die Tochtergesellschaft unter ihrem eigenen Namen firmiert.211 Ein Rechtsschein, der die fehlende rechtliche Selbständigkeit der Tochtergesellschaft vortäuscht, besteht dann nicht.

209

Ehricke, EWS 2002, 101 (105 f.); Virgós, Insider’s View, Nr. 28; ablehnend: Adam, S. 140; Schmiedeknecht, S. 199; Vormstein, S. 168. 210 EuGH, Slg. 1989, I-4905 = NJW 1988, 625. 211 Ehricke, EWS 2002, 101 (106); Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 43; Vormstein, S. 168.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

Doch selbst wenn die Voraussetzungen für einen Rechtsschein ausnahmsweise vorliegen, ließe sich die Entscheidung des EuGH nicht auf die hier interessierende Frage übertragen, ob ein Sekundärinsolvenzverfahren über eine Tochtergesellschaft eröffnet werden kann, wenn kein Hauptinsolvenzverfahren über diese Tochter-, sondern nur eines über ihre Muttergesellschaft eröffnet wurde. Dort ging es ausschließlich um die internationale Zuständigkeit. Hier führte der Rechtsschein dagegen auch dazu, die Trennung der Vermögensmassen, die verschiedenen Rechtssubjekten wegen ihrer rechtlichen Selbständigkeit zugeordnet sind, aufzuheben.212 Die Folge wäre eine Vermögensvermischung wie bei der substantive consolidation des U.S.-amerikanischen Rechts,213 die dem schuldnerbezogenen Konzept der Europäischen Insolvenzverordnung widerspricht. 3. Zusammenfassung Eine Tochtergesellschaft kann nach der Konzeption der EuInsVO nicht als Niederlassung des herrschenden Unternehmens behandelt werden, weil die Verordnung einem strikten Prinzip unterliegt, nach dem über jedes Rechtssubjekt ein eigenes Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen ist. Die für das Verhältnis von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren bestehenden Kooperationspflichten aus den Art. 31 ff. EuInsVO lassen sich für die Problematik der Konzerninsolvenz daher nicht fruchtbar machen. III. Ergebnis Die Versuche, die Koordinationsprobleme, die sich bei der Eröffnung von Hauptinsolvenzverfahren über die Vermögen verbundener Gesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten stellen, über die Vereinbarung eines Insolvenzgerichtsstandes, über eine Kooperation zwischen den Verwaltern von Hauptinsolvenzverfahren oder über eine Qualifikation einer Tochtergesellschaft als Niederlassung der Muttergesellschaft zu lösen, sind untauglich. Zu konstatieren ist daher, dass ein Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand besteht. Im Folgenden ist daher zu untersuchen, ob er unter dem Regime der Verordnung grundsätzlich zulässig ist.

212 213

Ehricke, EWS 2002, 101 (106). Vgl. § 3 D I.

D. Die Zulässigkeit eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes

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D. Die Zulässigkeit eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes D. Die Zulässigkeit eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes

I. Die Unterscheidung zwischen materiellem und prozessualem Konzerninsolvenzrecht Die Auseinandersetzung mit einem Konzerninsolvenzgerichtsstand erfordert, die Problematik weiter abzugrenzen. Denkbar erscheint es, die Probleme der Konzerninsolvenz auf materieller Ebene in den Griff zu bekommen. Vor allem bei Konzernen, die wirtschaftlich besonders eng miteinander verflochten sind, mag es sinnvoll erscheinen, die den einzelnen Gesellschaften zugeordneten Vermögensmassen zusammenzuführen. Wie Erfahrungen aus den USA zeigen, könnte eine derartige substantive consolidation die Sanierung des gesamten Konzerns erleichtern.214 Äußerst problematisch an einem derart weitgehenden materiellen Konzerninsolvenzrecht ist jedoch, dass der Grundsatz der getrennten Vermögensmassen durchbrochen würde.215 Die Zusammenlegung des gesamten Konzernvermögens benachteiligte die Gläubiger, die mit dem finanziell besser positionierten Konzernunternehmen kontrahiert haben. In der Insolvenz konkurrierten sie mit Gläubigern, die sich ein anderes, noch höher verschuldetes Konzernunternehmen als Vertragspartner ausgesucht haben. Ob eine Vermischung der Vermögensmassen in der Insolvenz dennoch sinnvoll erscheint, ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. II. Das Schweigen der EuInsVO zum Konzerninsolvenzverfahrensrecht Die EuInsVO kennt nicht nur kein materielles Konzerninsolvenzrecht, sie schafft auch kein Konzerninsolvenzrecht auf prozessualer Ebene. Ein Beitrag, grenzüberschreitende Konzerninsolvenzen zu bewältigen, bestünde darin, die Verfahren aller verbundenen Unternehmen zusammenzufassen.216 Vorbilder sind die joint administration nach dem U.S.-amerikanischen217 oder die außerordentliche Verwaltung nach dem italienischen218 sowie – unter engen Voraussetzungen – nach dem französischen Recht.219 Die 214

Paulus, ZIP 2005, 1948 (1953 f.). Ehricke, DZWIR 1999, 353 (358 f.); Sester, ZIP 2005, 2099 (2100) mit weiteren Argumenten. Sieht die lex fori concursus eine derartige Konsolidation vor, soll sie gleichwohl zulässig sein; Virgós/Garcimartín, Nr. 62. 216 Zu den Vor- und Nachteilen: Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (642 f.); Paulus, ZIP 2005, 1948 (1953–1955); vgl. auch Vormstein, S. 18 ff. 217 Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 72; Scheel, S. 5 ff.; Vormstein, S. 46 ff. 218 Kindler, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, S. 123 (137); Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (561); Bezelgues, S. 35 ff. 219 Vgl. dazu Rivinius, S. 38–40 sowie S. 166; ferner Bezelgues, S. 22 ff. In Deutschland wird die Verbindung der Verfahren dagegen abgelehnt von Holzer, NZI 2007, 432. 215

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

EuInsVO geht diesen Weg nicht, sondern folgt vielmehr strikt dem Grundsatz „ein Schuldner – ein Vermögen – ein Verfahren“.220 Diese Entscheidung des Verordnungsgebers ist zu respektieren. Die über eine einheitliche Zuständigkeit hinausgehende Verbindung der Insolvenzverfahren verschiedener Schuldner soll daher ebenfalls nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. III. Verbot eines einheitlichen Gerichtsstandes für Konzerngesellschaften? 1. Das Schweigen der EuInsVO zu Konzerninsolvenzen Zu untersuchen ist vielmehr allein, ob und unter welchen Voraussetzungen die Insolvenzverfahren über mehrere oder sämtliche Konzerngesellschaften vor den Gerichten ein und desselben Staates eröffnet werden können. Ein ausdrückliches Verbot, auf diese Weise zu einem Konzerninsolvenzgerichtsstand zu gelangen, enthält die EuInsVO nicht, zumal ihr Prinzip „ein Schuldner – ein Vermögen – ein Verfahren“ durch die einheitliche Zuständigkeit nicht angetastet wird. Die Annahme einer Identität der internationalen Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO für Konzerngesellschaften stellt auch keine Umgehung der gesetzgeberischen Absicht dar, keinen Konzerninsolvenzgerichtsstand zu kodifizieren.221 Erstens fehlt er in der Verordnung nicht etwa deshalb, weil der Verordnungsgeber sich bewusst gegen ihn entschieden hätte.222 Der Verordnungsgeber kapitulierte vielmehr lediglich vor den Problemen, die es bereitet hätte, sich auf einen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Konzerngesellschaften zu einigen,223 was vor dem Hintergrund fehlender Einigkeit über den Konzernbegriff in Europa verständlich erscheint.224 Zweitens erfasst die Verordnung – jedenfalls theoretisch – durchaus auch Konzerninsolvenzen, weil sich die Insolvenzfähigkeit des Schuldners gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. a) EuInsVO nach der lex fori concursus bestimmt. Ist der Konzern als solcher nach ihr insolvenzfähig, gibt es nur ein Insolvenz220 Allerdings stehe sie einer Verfahrenskonsolidation nicht entgegen, sofern die lex fori concursus sie vorsehe; Virgós, Insider’s View, Nr. 28; Virgós/Garcimartín, Nr. 62. 221 Eine legislative Maßnahme befürwortet gleichwohl Mankowski, RIW 2004, 587 (597). 222 A.A. Weller, ZHR 169 (2005), 570 (581), nach dem „die EuInsVO einen einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand bewusst nicht eröffnen will“. Richtig ist, dass die Konzerninsolvenz bewusst nicht geregelt wurde. Ob und unter welchen Voraussetzungen das Schweigen des Verordnungsgebers zu einer einheitlichen internationalen Zuständigkeit führen kann, folgt hieraus jedoch nicht. 223 MünchKommInsO/Ehricke, Internationales Konzerninsolvenzrecht, Rn. 21; Ehricke, EWS 2002, 101 (102); Schmiedeknecht, S. 186; vgl. zu den Schwierigkeiten einer gesetzlichen Festlegung auch ausführlich Vallender/Deyda, NZI 2009, 825 (831 ff.). 224 Vormstein, S. 161.

D. Die Zulässigkeit eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes

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verfahren über den gesamten Konzern.225 Gestattet die Verordnung dies, ist es aber erst recht möglich, die Insolvenzverfahren über die einzelnen Gesellschaften in demselben Mitgliedstaat zu eröffnen. Zwar wird teilweise vertreten, dass der europäische Gesetzgeber einen Konzerninsolvenzgerichtsstand gar nicht habe statuieren können, weil dies nicht nur mit erheblichen Eingriffen in die nationalen Insolvenzrechte verbunden wäre, sondern auch nachdrückliche gesellschaftsrechtliche Folgen zeitigen würde, die von dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gedeckt wären.226 Doch wird über einen Konzerninsolvenzgerichtsstand nicht in nationale Insolvenzrechte eingegriffen. Der Gerichtsstand regelt lediglich die internationale Zuständigkeit und mittelbar auch das anwendbare Insolvenzrecht. Dass Art. 65 lit. b) EG (nunmehr Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV) den europäischen Gesetzgeber ermächtigt, das Kollisionsrecht zu vereinheitlichen, steht außer Frage. Nicht nachvollziehbar ist darüber hinaus, inwieweit ein Konzerninsolvenzgerichtsstand gesellschaftsrechtlich relevant sein soll. Müßig ist die vorgenannte Argumentation endlich insofern, als der europäische Gesetzgeber bislang auch keinen Konzerninsolvenzgerichtsstand kodifiziert hat. Wo sich der Interessenmittelpunkt jeder einzelnen Konzerngesellschaft befindet und demnach das Hauptinsolvenzverfahren über ihr Vermögen zu eröffnen ist, muss zwar für jede Gesellschaft gesondert geprüft werden. Befinden sich die Interessenmittelpunkte verschiedener Konzerngesellschaften jedoch in demselben Staat, verbietet die EuInsVO keineswegs, die Verfahren dort zu eröffnen.227 Nicht ohne weiteres konstatieren lässt sich daher, die EuInsVO erfasse Konzerninsolvenzen nicht.228 Richtig ist vielmehr, dass die EuInsVO keine besonderen Regelungen enthält, um den Bedürfnissen der Beteiligten bei Konzerninsolvenzen gerecht zu werden.229 Der Verordnungsgeber wollte keinen besonderen Konzerninsolvenzgerichtsstand schaffen – deswegen hat er es auch nicht getan. Die Folgerung, dass es bereits aufgrund dieses Schweigens im Ergebnis keinen einheitli225

Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (4); ders., ZHR 169 (2005), 528 (561); Morscher, S. 18; Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 1 Rn. 134; Vogler, S. 170; Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 280 (282); vgl. auch Virgós/Schmit, Nr. 74. Nach anderer Auffassung würde die Wirkungserstreckung auf das Vermögen aller Gesellschaften wegen der Vermögensvermischung gegen den ordre public verstoßen; so MünchKommInsO/Ehricke, Internationales Konzerninsolvenzrecht, Rn. 6. Deyda, S. 67, sieht in der Behandlung eines Konzerns als Schuldner einen Verstoß gegen das schuldnerbezogene Konzept der Verordnung. 226 So Smid, DZWIR 2004, 397 (399); ihm folgend Lieder, in: Smid, Neue Fragen, S. 139 (148). 227 Attinger, S. 107; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (898 f.); Moss/Fletcher/ Isaacs, Rn. 8.89. 228 So aber Deipenbrock, EWS 2001, 113 (116); Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (643). 229 Balz, ZIP 1996, 948 (949); Virgós/Schmit, Nr. 76; Virgós/Garcimartín, Nr. 62.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

chen Insolvenzgerichtsstand für alle Konzerngesellschaften geben kann, ist jedoch unrichtig.230 Entscheidend ist allein, wo der Interessenmittelpunkt jeder einzelnen Gesellschaft liegt. 2. Die vermeintliche Absage des EuGH an einen Konzerninsolvenzgerichtsstand a) Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Eurofood Fraglich ist weiter, ob die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eurofood231 als generelles Verbot eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes zu verstehen ist.232 Bei der Eurofood IFSC Ltd. handelte es sich um eine 1997233 in Irland gegründete Tochtergesellschaft der italienischen Parmalat-Gruppe.234 Ihre Tätigkeit erschöpfte sich darin, einen Teil der Gruppe zu finanzieren,235 indem sie Anleihen ausgab und das auf diese Weise eingenommene Kapital an andere Konzerngesellschaften weiterleitete.236 Eurofood beschäftigte in Irland keine Arbeitnehmer237 und verfügte – abgesehen von ihrem „Sitz“ in einer irischen Anwaltskanzlei – über keine Büroräume.238 Die Sitzungen des vierköpfigen Verwaltungsrats wurden zwar in Irland gehalten. Die beiden irischen Geschäftsführer waren jedoch sogenannte non-executives; allein die beiden italienischen Geschäftsführer, die stets telefonisch zugeschaltet wurden, konnten Entscheidungen treffen.239 Die italienische Konzernmutter, die sämtliche Anteile an Eurofood hielt, leitete nicht nur vollständig deren Geschäftspolitik, sondern gab für die von Eurofood ausgegebenen Anleihen auch eine Zahlungsgarantie ab.240

230

So auch Bezelgues, S. 122 f.; Carballo Piñeiro; RIW 2006, 505 (506 f.); Herchen, ZInsO 2004, 825 (826); Huber, in: FS Heldrich, S. 679 (682); Vormstein, S. 179 und 203; a.A. Konecny, in: Smid, Neue Fragen, S. 106 (115). 231 EuGH Slg. 2006, I-3813 = ZIP 2006, 907 = NZI 2006, 360 – Eurofood. 232 In diese Richtung: Kammel, NZI 2006, 334 (338), sowie Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (90 und 91); wie hier dagegen: Bezelgues, S. 175 ff.; Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505 (507); Paulus, NZG 2006, 609 (612). 233 Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (552). 234 Ausführlich zu der Geschichte des Parmalat-Konzerns und seiner Insolvenz: Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (539–549); ferner Bufford, NJILB 27 (2007), 351 (361 ff.). 235 Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (553). 236 Riera/Wagner, EWiR 2004, 597. 237 Bufford, NJILB 27 (2007), 351 (364). 238 Riera/Wagner, EWiR 2004, 597. 239 Riera/Wagner, EWiR 2004, 597; Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (552). 240 Riera/Wagner, EWiR 2004, 597.

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In dem Justizstreit zwischen den italienischen241 und den irischen242 Gerichten um die internationale Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren über das Vermögen von Eurofood legte der Supreme Court of Ireland dem EuGH unter anderem eine Frage vor, die das Verhältnis der Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO zu der Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens betrifft.243 Der EuGH entschied, dass der Interessenmittelpunkt im Hinblick auf den Erwägungsgrund (13) auszulegen sei244 und die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO, nach der eine Gesellschaft ihren Interessenmittelpunkt am satzungsmäßigen Sitz hat, daher nur entkräftet werden könne, „wenn objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll“.245 Allein die Leitungsmacht der Muttergesellschaft könne die Vermutung nicht widerlegen, sofern die Gesellschaft in ihrem Gründungsstaat ihrer Tätigkeit nachgeht.246 b) Die Bedeutung des Urteils für den Konzerninsolvenzgerichtsstand Das Urteil ist eine klare Absage an einen Konzerninsolvenzgerichtsstand, der allein auf der einheitlichen Leitung von Gesellschaften beruht.247 Man muss den EuGH aber beim Wort nehmen: Allein die potentielle oder tatsächlich ausgeübte Leitungsmacht über eine Gesellschaft determiniert nicht ihren Interessenmittelpunkt.248 Nichts anderes meinte auch Generalanwalt Jacobs, der die Kontrolle durch die Muttergesellschaft nicht für ein 241 Tribunale Civile di Parma ZIP 2004, 1220 mit Anm. Riera/Wagner, EWiR 2004, 597; Tribunale Civile di Parma ZIP 2004, 2295 mit Anm. Bauer/Schlegel, EWiR 2004, 1181. 242 High Court Dublin ZIP 2004, 1223 mit Anm. Herweg/Tschauner, EWiR 2004, 599. 243 Supreme Court of Ireland NZI 2004, 505 mit Anm. Herweg/Tschauner, EWiR 2004, 973. 244 EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 32 – Eurofood; kritisch zu der Bedeutung, die das Gericht den Erwägungsgründen beimisst: Bufford, NJILB 27 (2007), 351 (383). 245 EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 34 – Eurofood. 246 EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 36 f. – Eurofood. 247 So auch FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 3 EuInsVO Rn. 14; Hess/Laukemann/ Seagon, IPRax 2007, 89 (90); Mankowski, BB 2006, 1753 (1754); MünchKommBGB/ Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 22; MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 30; Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 41; Rumberg, RIW 2010, 358 (361); Thole, ZEuP 2007, 1137 (1142); Weller, ZGR 2008, 835 (855); Oberhammer, KTS 2009, 27 (31); Eidenmüller, KTS 2009, 137 (158); Bufford, NJILB 27 (2007), 351 (352). 248 So auch Attinger, S. 109; Bayer/Schmidt, BB 2008, 454 (460); de Christofaro, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 39 (56 f.); Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (898); Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (90); HamburgerKommInsO/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rn. 13; Weller, ZGR 2008, 835 (857).

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

ausreichendes Argument hielt, die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO als entkräftet anzusehen, nach der die Gesellschaft ihren Interessenmittelpunkt an ihrem satzungsmäßigen Sitz hat. 249 aa) Keine Vorgabe einer Leitlinie durch den EuGH Schwierig erscheint es jedoch, dem Urteil des EuGH über diese Negativabgrenzung hinaus weitere Aussagen abzuringen. So hat das Gericht nicht entschieden, dass die Leitungsmacht „jedenfalls dann kein objektives und für Dritte feststellbares Anzeichen [sei], wenn das Tochterunternehmen im Gründungsstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet“.250 Der EuGH hat sich nicht dazu geäußert, inwieweit Leitungsmacht ein für Dritte feststellbares Element ist, zumal er hiernach auch gar nicht gefragt worden war.251 Ähnlich fragwürdig ist die Folgerung einiger Kommentatoren, die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO könne „allenfalls“252 dann durch Leitungsmacht widerlegt werden, wenn das Tochterunternehmen am satzungsmäßigen Sitz überhaupt keiner Tätigkeit nachgeht. Soweit der EuGH sich zu einer derartigen „Briefkastenfirma“ äußert, führt er sie lediglich – wie sich aus der Formulierung „insbesondere“253 ergibt – als ein Beispiel an, in dem die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO widerlegt sein kann. Daraus mag man folgern, dass die Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens über eine Briefkastenfirma ein Umstand sein kann, der zur Widerlegung der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO führt. Dass umgekehrt aber die Leitungsmacht kein relevanter Umstand für den Interessenmittelpunkt einer abhängigen Gesellschaft ist, wenn diese in ihrem Gründungsstaat einer Tätigkeit nachgeht, folgt daraus nicht.254 Zumindest ungenau ist es daher auch, aus den Ausführungen des EuGH zu schließen, dass die Tätigkeit der Gesellschaft „ausschlaggebend“255 für 249 GA Jacobs, Schlussanträge vom 27.9.2005, ZIP 2005, 1878 (1884), Nr. 110 – Eurofood. 250 So aber Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505 (506); ähnlich Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (643). 251 Das verkennen Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (643); GA Jacobs, Schlussanträge vom 27.9.2005, ZIP 2005, 1878 (1885), Nr. 121 – Eurofood, wies gerade darauf hin, dass aus der Vorlagefrage nicht hervorgeht, ob die Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens im konkreten Fall erkennbar war. 252 So Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (643); Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505 (506); ähnlich Arrondissementsgericht Amsterdam ZIP 2007, 492 (494); wie hier dagegen: AG Köln NZI 2008, 257 (260); Paulus, NZG 2006, 609 (612 f.); ders., NZI 2008, 1 (2). 253 EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 35 – Eurofood. 254 AG Köln NZI 2008, 257 (260); Knof, ZInsO 2007, 629 (632); Saenger/ Klockenbrink, EuZW 2006, 363 (364); Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (11); de Christofaro, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 39 (58). 255 So Kammel, NZI 2006, 334 (336); im Ergebnis wohl ebenso Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 41, Rn. 45 mit Fn. 118 sowie Rn. 49; Wiedemann, ZInsO 2007,

D. Die Zulässigkeit eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes

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ihren Interessenmittelpunkt sei. Bemerkenswerterweise hat der EuGH gerade dies nicht entschieden, sondern sich viel zurückhaltender geäußert. Entscheidend ist für ihn allein die Feststellbarkeit objektiver Umstände für Dritte, die zu Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit bei der Ermittlung der internationalen Zuständigkeit führen soll.256 Die erhoffte Richtschnur für eine Auslegung des Interessenmittelpunktes in Konzernverhältnissen gibt der EuGH nicht.257 bb) Die suggestive Vorlagefrage des Supreme Court of Ireland Wie vorsichtig dem Urteil des EuGH Aussagen abgerungen werden müssen, wird klar, wenn man sich die suggestive und enge Fragestellung des vorlegenden Gerichts vergegenwärtigt:258 Der Supreme Court of Ireland wollte wissen, ob für den Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat als ihre Muttergesellschaft registriert ist und die „der Verwaltung ihrer Interessen gewöhnlich und für Dritte feststellbar […] am Ort ihres Registersitzes nachgeht“,259 die in der soeben zitierten Passage genannten Umstände oder aber die Leitungsmacht der Muttergesellschaft maßgeblich ist. Bedenkt man, dass die zitierte Passage fast wörtlich dem Erwägungsgrund (13) der EuInsVO entspricht, der nach seinem eigenen Wortlaut den Interessenmittelpunkt präzisiert, so könnte man die Vorlagefrage fast für eine Farce halten. Indem der Supreme Court of Ireland dem EuGH vorgab, dass die Eurofood IFSC Ltd. ihre Interessen gewöhnlich und für Dritte erkennbar an ihrem satzungsmäßigen Sitz verwaltet, beantwortete er die Frage nach ihrem Interessenmittelpunkt praktisch selbst. Auf die so gestellte Vorlagefrage konnte der EuGH gar nicht anders antworten, als er es tat.260 1009 (1013); wie hier dagegen: Knof, ZInsO 2007, 629 (632); Paulus, NZG 2006, 609 (612 f.). 256 EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 33 – Eurofood. 257 Bayer/Schmidt, BB 2008, 454 (460); Mankowski, BB 2006, 1753 (1754); Poertzgen, FAZ vom 14. Juni 2006, S. 23; Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505 (507); Saenger/ Klockenbrink, EuZW 2006, 363 (364); Thole, ZEuP 2007, 1137 (1142); dies schon vor dem Urteil prophezeiend: Eidenmüller, ZGR 2006, 467 (479 f.); Bufford, NJILB 27 (2007), 351 (385); entsprechend offen wird die Auslegung des Interessenmittelpunktes nach Schmidt, ZIP 2007, 405 (409), auch weiterhin in Frankreich diskutiert. 258 Kritisch auch: Bachner, ECFR 2006, 310 (314); Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505 (507); Schilling/Schmidt, ZInsO 2006, 115 (116); Thole, ZEuP 2007, 1137 (1141 f.). 259 So die Übersetzung in NZI 2004, 505, die deutlich näher an der im Original in DZWIR 2005, 60 (64), abgedruckten Vorlagefrage ist als die Übersetzung in DZWIR 2005, 60. 260 Bachner, ECFR 2006, 310 (314); Heneweer, S. 127; Thole, ZEuP 2007, 1137 (1142); Vallender/Deyda, NZI 2009, 825 (830). Bezeichnend sind auch die Ausführungen des Generalanwalts Jacobs, der zwar die Ansicht des italienischen Insolvenzverwalters für überzeugend hielt, dass es für den Interessenmittelpunkt allein auf den Ort der head

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

Er konnte von vornherein nicht widerspruchsfrei entscheiden, dass die in der zitierten Passage der Vorlagefrage genannten Umstände hinter der Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens zurückzustehen haben, obwohl jene – dem vorlegenden Gericht zufolge – exakt den Anforderungen entsprechen, die der Erwägungsgrund (13) an den Interessenmittelpunkt stellt. Dies gilt umso mehr, als die Verordnung zum Konzern – und somit auch zu etwaiger Leitungsmacht – schweigt. Der EuGH war in zweifacher Hinsicht gebunden: Erstens kann er grundsätzlich nur Auslegungsfragen beantworten, die ihm auch gestellt werden. Über die für den Justizstreit zwischen den italienischen und den irischen Gerichten entscheidende Frage, ob die Eurofood IFSC Ltd. am Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes gewöhnlich und für Dritte erkennbar der Verwaltung ihrer Interessen in Irland nachging, konnte der EuGH nicht entscheiden, weil die Vorlagefrage des Supreme Court of Ireland hiervon bereits ausging. Vor diesem Hintergrund erübrigte es sich, etwas über das Verhältnis des Erwägungsgrundes (13) zu der Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens auszuführen. Die entscheidende Frage, ob es einen Konzerninsolvenzgerichtsstand etwa schon deshalb nicht geben kann, weil der Erwägungsgrund (13) auf den Ort abstellt, an dem die Gesellschaft ihre Interessen verwaltet, wurde dem EuGH nicht gestellt. Die Vorlagefrage war vielmehr so formuliert, als ob die Leitungsmacht eines herrschenden Unternehmens von vornherein keine Rolle für den Interessenmittelpunkt einer abhängigen Gesellschaft spielen kann. Zweitens kann der EuGH nur Auslegungsfragen beantworten. An die Fakten, von denen das vorlegende Gericht ausgeht, ist er gebunden. Das ist insofern misslich, als es sich bei dem Interessenmittelpunkt um ein sehr faktensensitives bzw. -sensibles Anknüpfungskriterium handelt.261 Auch aus diesem Grund ist die Entscheidung in Eurofood wenig ergiebig. Interessant wäre vielmehr eine Antwort des EuGH auf die Frage gewesen, ob Leitungsmacht überhaupt ein Umstand ist, der für den Interessenmittelpunkt des abhängigen Unternehmens relevant sein kann. Bejaht man dies, würde man gerne weiter wissen, welches Gewicht der Leitungsmacht bei der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO und des Erwägungsgrundes (13) zukommt. Um auf diese Fragen eine Antwort von dem EuGH zu erhalten, office functions und nicht auf deren Erkennbarkeit ankomme, dies jedoch für unerheblich erachtete, weil das vorlegende Gericht bereits davon ausgehe, dass die Verwaltungstätigkeiten von Irland aus ausgeübt würden; vgl. GA Jacobs, Schlussanträge vom 27.9.2005, ZIP 2005, 1878 (1884), Nr. 114 – Eurofood. 261 GA Jacobs, Schlussanträge vom 27.9.2005, ZIP 2005, 1878 (1885), Nr. 125 – Eurofood; Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (549) „ambiguity of the concept“, „vagueness of the notion“; Eidenmüller, ZGR 2006, 467 (475); ders., KTS 2009, 137 (139 f.); Weller, ZGR 2008, 835 (848); Schwemmer, NZI 2009, 355 (357); Virgós/Garcimartín, Nr. 47; ähnlich Wessels, S. 159 und 188.

E. Fazit

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hätte das vorlegende Gericht jedoch alle tatsächlichen und potentiell relevanten Umstände mit in die Vorlagefrage aufnehmen müssen und sie nicht selbst einer rechtlichen Wertung unter- und damit zugleich der Entscheidung durch den EuGH entziehen dürfen, wie der Supreme Court of Ireland es bedauerlicherweise getan hat. c) Zusammenfassung Festzuhalten ist, dass der EuGH sich keineswegs gegen einen einheitlichen Gerichtsstand verbundener Unternehmen ausgesprochen hat. Indem er betont, dass allein die Leitungsmacht der Muttergesellschaft die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO jedenfalls dann nicht zu widerlegen vermag, wenn die Tochtergesellschaft ihrer Tätigkeit in dem Staat ihrer Registrierung nachgeht, gibt er vielmehr zu erkennen, dass dies durchaus anders sein könnte, wenn weitere Umstände hinzutreten.262 Abgesehen von dem Beispiel einer Briefkastenfirma schweigt er jedoch zu den konkreten Kriterien, anhand derer sich der Interessenmittelpunkt bestimmen ließe. Wie stark ausgeprägt die Tätigkeit der Tochtergesellschaft in dem Staat ihrer Registrierung sein muss, damit die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO unwiderlegt bleibt, ist ebenso unklar wie das Gewicht, das der Leitungsmacht der Muttergesellschaft bei der Ermittlung des Interessenmittelpunktes einer Tochtergesellschaft zukommt. Der beschränkte Gehalt seines Urteils ist dem EuGH nicht vorzuwerfen, weil er durch die suggestive Formulierung der Vorlagefrage ohnehin in seiner Entscheidung eingeschränkt war und vielleicht auch nicht Vorgaben aufstellen wollte, die den Besonderheiten der vielgestaltigen Konzernphänomene möglicherweise nicht gerecht würden.263

E. Fazit E. Fazit

Für insolvente Gesellschaften, die einem wirtschaftlichen Verbund angehören, enthält die Europäische Insolvenzverordnung keine speziellen Vorschriften. Ohne einen legislativen Akt lässt sich das Problem der Konzerninsolvenz daher nur mit den Mitteln lösen, die die Verordnung für einfache Gesellschaftsinsolvenzen zur Verfügung stellt. Die Vorschriften, die das Verhältnis von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren regeln, lassen sich nicht nutzen, weil ihre Anwendung auf das Verhältnis von Mutter- und 262

Knof/Mock, ZIP 2006, 911 (914); Paulus, NZG 2006, 609 (612 m.w.N. in Fn. 9); Vallender/Deyda, NZI 2009, 825 (830). 263 Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505 (507), erwägen wenig überzeugend, dass der EuGH vielleicht auch keine neue Diskussion über frühere Eröffnungsentscheidungen auslösen wollte.

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§ 3 Das Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand

Tochtergesellschaften gegen das Prinzip der Verordnung verstieße, über jeden Schuldner ein eigenes Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen. Für die Bewältigung von Konzerninsolvenzen wünschenswert, aber nicht ausreichend, erscheint eine intensive Kooperation der Beteiligten, insbesondere der potentiell zahlreichen Insolvenzverwalter. Sie lässt sich jedoch nicht erzwingen und ist in der Verordnung nur rudimentär geregelt. Besser geeignet und ökonomisch sinnvoller ist die Bündelung sämtlicher Hauptinsolvenzverfahren in demselben Gerichtsstand, weil dies Reibungsverluste minimiert und spart Kosten spart, da die einheitliche Zuständigkeit die Zahl der Beteiligten auf ein Minimum reduziert und zu der einheitlichen Anwendung nur einer Insolvenzrechtsordnung führt. Die einheitliche Zuständigkeit für die Hauptinsolvenzverfahren verbundener Unternehmen wird auf diese Weise am ehesten dem Ziel der Verordnung gerecht, für effiziente grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu sorgen. Das Schweigen der Verordnung zu Konzerninsolvenzen steht dem nicht entgegen. Die Verordnung enthält zwar bewusst keinen einheitlichen Gerichtsstand für Konzerngesellschaften, verbietet aber auch nicht, dass die Auslegung des Interessenmittelpunktes für jede einzelne Gesellschaft im Ergebnis zu derselben internationalen Zuständigkeit und somit zu einem Konzerninsolvenzgerichtsstand führt.

§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners § 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

A. Einführung A. Einführung

I. Der allgemeine Maßstab des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO Nachdem herausgearbeitet wurde, dass ein Konzerninsolvenzgerichtsstand wirtschaftlich sinnvoll1 und unter dem Regime der EuInsVO grundsätzlich zulässig2 ist, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Insolvenzverfahren aller Gesellschaften eines Konzerns an demselben Ort eröffnet werden können. Die rechtliche Selbständigkeit der Gesellschaften darf dabei nicht außer Acht gelassen werden. Allein mit dem Argument, dass mehrere Unternehmen miteinander verbunden sind, lässt sich kein Konzerninsolvenzgerichtsstand begründen.3 Sofern insoweit Zweifel bestanden haben sollten, hat der EuGH sie mit seiner Entscheidung in der Rechtssache Eurofood ausgeräumt. Verfehlt wäre es daher, für die Auslegung der Interessenmittelpunkte der Mutter- und ihrer Tochtergesellschaften unterschiedliche Kriterien anzulegen. Mit einer derart differenzierenden, konzernspezifischen Auslegung des Interessenmittelpunktes gelangte man zwar zu einem Konzerninsolvenzgerichtsstand. Doch würde die Entscheidung des Verordnungsgebers missachtet, das Konzernphänomen nicht gesondert zu regeln und die Insolvenz eines jeden Rechtsträgers denselben Regelungen zu unterwerfen. Die Prämisse der folgenden Überlegungen hat daher zu sein, dass auch für die Tochtergesellschaft die allgemeinen Auslegungskriterien des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gelten. Unter welchen Voraussetzungen ein Konzerninsolvenzgerichtsstand existiert, ist daher allein an Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu messen.

1

§ 3 B. § 3 D. 3 Herchen, ZInsO 2004, 825 (826). 2

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

II. Die normativen Grundlagen Art. 3 Abs. 1 EuInsVO lautet: „Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, daß der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.“

Der Interessenmittelpunkt des Schuldners ist der Dreh- und Angelpunkt der Europäischen Insolvenzverordnung. Nur wenn er in ihrem Geltungsgebiet liegt, ist sie überhaupt anwendbar.4 Er bestimmt mittelbar das Insolvenzrecht, das ausschließlich in dem Mitgliedstaat zu eröffnen ist, in dem er liegt, und dessen Wirkungen sich auf das gesamte Vermögen des Schuldners ausdehnen, das sich im Geltungsgebiet der Verordnung befindet.5 Darüber hinaus ist er jedenfalls auch maßgeblich für die internationale Zuständigkeit für Insolvenzanfechtungsklagen.6 In Anbetracht dieser überragenden Bedeutung des Interessenmittelpunktes überrascht es, dass der europäische Gesetzgeber ihn nicht näher bestimmt.7 Zwar wurde in dem Gesetzgebungsverfahren diskutiert, ihn in Art. 2 lit. i) EuInsVO zu definieren, anstatt ihn lediglich in dem Erwägungsgrund (13) zu konkretisieren.8 Nach der ursprünglich vorgesehenen Definition sollte es sich bei dem Interessenmittelpunkt um den Ort handeln, von dem aus der Schuldner hauptsächlich Geschäftsbeziehungen unterhält sowie andere wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt und zu dem er deshalb die engsten Beziehungen unterhält.9 Gesetz geworden ist dies jedoch nicht.10 4

§ 2 D. § 2 B und C. 6 § 2 E. 7 Carstens, S. 43; Adam, S. 45; Moss/Fletcher/Isaacs, Rn. 3.11. 8 Ausführlich zur Gesetzeshistorie: Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (549–553). Vgl. auch die entsprechende Empfehlung des Europäischen Parlaments vom 15. November 2011 an die Kommission (A7-0355/2011). 9 Stellungnahme des Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten vom 28.1.2000 (Verfasserin: Margot Keßler), in: Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt vom 23.2.2000 (Berichterstatter: Kurt Lechner) (A5-0039/2000). Kübler weist darauf hin, dass auf das Merkmal der Erkennbarkeit bewusst verzichtet werden sollte, ohne dies jedoch zu belegen; Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (553). 10 Die luxemburgische Delegation kritisierte, dass damit auf den Schwerpunkt des Vermögens abgestellt werde und nicht, wie von ihr favorisiert, auf die Aktivitäten des Schuldners oder die Verwaltung seines Vermögens; vgl. GA Kokott, Schlussanträge vom 10.3.2011, ZIP 2011, 918 (923), Nr. 62 mit Fn. 28 – Interedil. Nach Carstens, S. 117, hielt der damalige Berichterstatter eine Unterrichtung des Europäischen Parlaments über die Streichung des von diesem gebilligten Art. 2 lit. i) nicht für angezeigt. 5

A. Einführung

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Konkretisiert wird der Interessenmittelpunkt vielmehr lediglich in dem Erwägungsgrund (13).11 Nicht übernommen wurde jedoch die ursprünglich vorgesehene Formulierung, nach der mit dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ein Ort bezeichnet wird, zu dem der Schuldner regelmäßig die engsten Beziehungen unterhält, an dem sich seine vielfältigen Geschäftsbeziehungen konzentrieren, an dem zumeist der Schwerpunkt seines Vermögens belegen ist und der auch den Gläubigern bestens bekannt sei.12 Stattdessen handelt es sich bei dem Interessenmittelpunkt nach dem Erwägungsgrund (13) um den Ort, „an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und [der]13 damit für Dritte feststellbar ist“. Das in das Zitat eingefügte Pronomen fehlt auch in der englischen Fassung,14 nicht aber in der französischen und der spanischen. Zurückzuführen sein dürfte diese redaktionelle Ungenauigkeit auf eine unbedachte Übernahme der entsprechenden Passage des Erläuternden Berichts, nach der der Interessenmittelpunkt der Ort ist, „an dem der Schuldner üblicherweise – und damit für Dritte erkennbar – der Verwaltung seiner Interessen nachgeht“.15 Die sprachlich extrem weite Formulierung in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnet einen großen Interpretationsspielraum. Das ist nicht zuletzt deshalb misslich, weil sich die geringe Regelungsdichte, die aus der sprachlichen Weite resultiert, bei den Materialien – wenn auch weniger in qualitativer als vielmehr in quantitativer Hinsicht – fortsetzt. Obwohl der Interessenmittelpunkt das zentrale Element der Verordnung ist, wird sein Gehalt nur durch einen einzigen der insgesamt 33 Erwägungsgründe präzisiert, der darüber hinaus nur aus einem Satz besteht. Nicht viel besser verhält es sich mit dem Erläuternden Bericht zum EuInsÜ, der sich auf über einhundert Seiten und in 324 Nummern mit der Auslegung und den Hintergründen des Übereinkommens beschäftigt, dem Interessenmittelpunkt jedoch nur eine einzige Nummer widmet,16 die auf einer halben Seite Platz findet. 11 Virgós/Garcimartín, Nr. 48, meinen, dass es sich hierbei um eine Legaldefinition handelt; ebenso wohl EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 33 – Eurofood; a.A. High Court of Justice London NZI 2007, 361, 363; Moss/Fletcher/Isaacs, Rn. 8.76; Keggenhoff, S. 130; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646. 12 Vgl. die Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland – dem Rat am 26. Mai 1999 vorgelegt – im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren, ABl. Nr. C 221 vom 3.8.1999, S. 8. 13 Das Pronomen fehlt; wie hier: Carstens, S. 44. 14 Dort heißt es: „The ‚centre of main interests‘ should correspond to the place where the debtor conducts the administration of his interests on a regular basis and is therefore ascertainable by third parties.“ 15 Virgós/Schmit, Nr. 75. In der englischen Fassung heißt es: „[…] the place where the debtor conducts the administration of his interests on a regular basis and is therefore ascertainable by third parties.“ 16 Es handelt sich um die soeben zitierte Nr. 75.

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

Mit dem Bericht zu dem Entwurf eines Europäischen Insolvenzübereinkommens aus dem Jahre 1980 und dem Bericht zu dem Istanbuler Übereinkommen von 1990 existieren zwar weitere Materialien, die grundsätzlich für die Auslegung des Interessenmittelpunktes fruchtbar gemacht werden können.17 Zu beachten ist insoweit jedoch, dass der Entwurf von 1980 den Interessenmittelpunkt in seiner nunmehr konkret geltenden Ausgestaltung noch nicht enthielt und das Istanbuler Übereinkommen lediglich eine parallele Entwicklung darstellt, die aus der Feder eines anderen Gesetzgebers stammt.18 III. Die Auslegung des Interessenmittelpunktes im Überblick Die Knappheit der normativen Grundlagen führt dazu, dass ein weiter Spielraum bei der Auslegung des Interessenmittelpunktes besteht, der auch entsprechend genutzt wird. Die seit dem Inkrafttreten der EuInsVO im Jahre 2002 unter ihrem Regime ergangenen Entscheidungen sind kaum mehr überschaubar.19 Eine einheitliche Linie hat sich bislang nicht herauskristallisiert.20 Die Insolvenzgerichte folgen bei der Ermittlung des Interessenmittelpunktes keinen festen Kriterien. Entscheidend ist häufig vielmehr eine Gemengelage ganz verschiedener Umstände, von denen die Gerichte auf diejenigen abstellen, mit denen sie ihre internationale Zuständigkeit begründen können.21 Positiv gewendet bemühen sie sich darum, das aus 17

Vgl. § 1 B. Näher zu beiden unter § 5 B. 19 Vgl. die Übersichten bei Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Anhang A zu Art. 3; HamburgerKommInsO/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rn. 73 ff.; Lüer, in: Uhlenbruck, Art. 3 EuInsVO Rn. 12 ff.; MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 8 ff.; ferner die Zusammenfassungen und Analysen der Rechtsprechung bei Diederichsen/Kömpf, Comp. Law Yearbook of Int. Bus. 2005, 235 (239–253); Martinez Ferber, S. 31–74; Keggenhoff, S. 53–112; Probst, S. 60–88; vgl. auch die Übersicht zu den von der Rechtsprechung angelegten Kriterien bei Deyda, S. 75–80. 20 So das zutreffende Ergebnis der Analyse z.B. bei Diederichsen/Kömpf, Comp. Law Yearbook of Int. Bus. 2005, 235 (254 f.); Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 131 (132 f.). Bezeichnend ist die Entscheidung des AG Hamburg NZI 2009, 343 (344), das auf eine Subsumtion verzichtete, indem es seine internationale Zuständigkeit schlicht damit begründete, dass „die Geschäftsräumlichkeiten, sämtliche Arbeitnehmer, die operative Tätigkeit und die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin“ sich in seinem Gerichtsbezirk befanden. Nach Thole, ZEuP 2007, 1137 (1151), bildet die Entscheidung des EuGH in Eurofood nicht den Schlusspunkt, sondern erst den Beginn einer Rechtsprechung zum Europäischen Insolvenzrecht. Ob die jüngeren Entscheidungen des EuGH in Interedil (ZIP 2011, 1953) und Rastelli Davide./.Hidoux (NZG 2012, 150) praktische Hilfe bei der Auslegung des Interessenmittelpunktes leisten, erscheint zweifelhaft; unklar z.B. BGH NZG 2012, 153 (154), wonach der Ort maßgeblich sei, an dem „die Entscheidungen getroffen und die Tätigkeiten entfaltet worden sind“. 21 Die Folge sind Kataloge von Indizien, vgl. etwa Adam, S. 125–131, der sich jedoch selbst für keinen der im Folgenden dargestellten Auslegungsansätze entscheiden mag, 18

A. Einführung

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ihrer Sicht im konkreten Fall angemessene eigene Insolvenzforum für zuständig zu erklären. Aus dogmatischer Sicht ist die Mehrzahl dieser Entscheidungen jedoch relativ unergiebig. Ihre tragenden Gründe und die ihnen zugrundeliegenden Sachverhalte hier wiederzugeben, wäre daher wenig hilfreich. Versucht man, die Rechtsprechung und auch die Rechtswissenschaft zu Art. 3 Abs. 1 EuInsVO trotz der recht unübersichtlichen Lage zu systematisieren, so lassen sich im Wesentlichen drei Ansichten unterscheiden. 1. Der Ort der werbenden Tätigkeit Nach einer Auffassung ist der Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft der Ort, an dem sie ihrer werbenden Tätigkeit nachgeht.22 Teilweise wird diese Auffassung auch als business activity theory23 bezeichnet oder auf das operative Geschäft24 abgestellt, ohne dass damit etwas anderes gemeint wäre.25 International zuständig sind danach die Gerichte des Staates, in dem die Gesellschaft am Markt auftritt. Maßgeblich sei vor allem, wo die Gesellschaft mit Dritten Geschäfte abschließt oder wo sie ihre Kunden hat.26 Von S. 133 f. und 178; vgl. auch die Vielfalt der potentiell relevanten Umstände bei FK-InsO/ Wenner/Schuster, Art. 3 EuInsVO Rn. 6. 22 LG Duisburg NZI 2007, 475; AG Hamburg NZI 2006, 120; AG Mönchengladbach NZI 2004, 383 (384) mit Anm. Lautenbach; Supreme Court of Ireland NZI 2004, 505 (509); High Court of Justice London Chancery Division ZIP 2003, 813; Gottwald/Kolmann, in: Gottwald, InsRHdb, § 130 Rn. 23; Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (90); Huber, in: FS Heldrich, S. 679 (691); Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (207 f.); MünchKommGmbHG/Weller, Einl. Rn. 322; Schilling, S. 87; Schmittmann/Hesselmann, ZInsO 2008, 957 (961); Schwemmer, NZI 2009, 355 (356); Weller, ZHR 169 (2005), 570 (582); ders., IPRax 2004, 412 (415); wohl auch Herchen, ZInsO 2004, 825 (827); de Christofaro, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 39 (41); wohl ebenso Ehricke, EWS 2002, 101 (103), nach dem es sich bei dem „Ort, an dem die Geschäfte getätigt werden“ jedoch um den „Ort des Sitzes der Hauptniederlassung“ handeln soll; vgl. auch die Nachweise bei Deyda, S. 82 mit Fn. 382. 23 AG Mönchengladbach ZIP 2012, 383 (384); Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 45; HamburgerKommInsO/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rn. 70; Probst, S. 94; Weller, ZGR 2008, 835 (855); Poertzgen/Adam, FAZ vom 13. Juli 2005, S. 21; Poertzgen, FAZ vom 14. Juni 2006, S. 23. 24 Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (549 f.), der ferner zwischen Handelsunternehmen und Produktionsbetrieben unterscheidet; ihm folgend Wimmer, ZInsO 2005, 119 (122 f.); FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 3 EuInsVO Rn. 6; ähnlich MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 35; dagegen: Deyda, S. 122. 25 Soweit sich gelegentlich die Annahme findet, dass die business activity theory an den effektiven Verwaltungssitz anknüpft, verdeutlicht dies, dass das Konzept des Interessenmittelpunktes häufig nicht gedanklich durchdrungen wird, sondern ihm nur eine vage Vorstellung zugrunde liegt, die sich auf einen wie auch immer zu präzisierenden Schwerpunkt bezieht. 26 AG Mönchengladbach NZI 2004, 383 (384).

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besonderer Bedeutung soll auch die Lage der Betriebs- und Vertriebsstätten sein.27 Aber auch der Einsatzort von Mitarbeitern und ein Bankkonto sollen Indizien für die werbende Tätigkeit der Gesellschaft und ihren Interessenmittelpunkt darstellen.28 Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eurofood wird teilweise als Argument für die Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit interpretiert.29 Zu einem einheitlichen Insolvenzgerichtsstand für sämtliche Konzerngesellschaften kommt diese Ansicht regelmäßig nicht, weil eine konzernierte Gesellschaft – wenn auch nicht zwingend, so doch häufig – den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in einem anderen nationalen Markt als ihre Schwester-, Tochter- oder Muttergesellschaft hat. So kann es z.B. sein, dass ein international agierender Konzern in jedem Staat, in dem er sein Produkt vertreiben möchte, eine Vertriebsgesellschaft gründet, deren Tätigkeit sich auf diesen Staat beschränkt. International zuständig für die Insolvenz dieser Gesellschaften wären dann jeweils die Gerichte des Staates, in dem die Gesellschaften hauptsächlich tätig sind und mithin am Markt auftreten.30 Im Extremfall würden die Hauptinsolvenzverfahren über die Vertriebsgesellschaften also in 27 verschiedenen Staaten eröffnet – mehr Mitgliedstaaten hat die Europäische Union zurzeit nicht. Ob dem europäischen Binnenmarkt hiermit gedient wäre, muss in Anbetracht der Reibungsverluste, zu denen der Koordinationsbedarf zwischen diesen Verfahren führt,31 bezweifelt werden. Wie wenig sinnvoll dieses Ergebnis aus ökonomischer Sicht sein kann, zeigt sich darüber hinaus an dem Beispiel eines Konzerns, dessen Gesellschaften gemeinsam ein einziges Produkt herstellen und deren wirtschaftlicher Zusammenhang durch die gemeinschaftsweit zerstreute Insolvenzeröffnungszuständigkeit auseinander gerissen würde. 2. Der Verwaltungsort Nach anderer Auffassung kommt es nicht auf den Ort der werbenden Tätigkeit, sondern auf denjenigen an, von dem aus die Gesellschaft verwaltet wird. Doch scheiden sich die Geister, wo dieser Ort liegt. Das Problem, den Verwaltungsort einer Gesellschaft zu bestimmen, liegt darin, dass konzernierte Gesellschaften aufgrund ihrer rechtlichen Selbständigkeit 27

Wimmer, ZInsO 2005, 119 (122 f.); Weller, ZGR 2008, 835 (856). AG Mönchengladbach NZI 2004, 383 (384); einschränkend: AG Mönchengladbach ZIP 2012, 383 (385); vgl. ferner Schmittmann/Hesselmann, ZInsO 2008, 957 (961). 29 So Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (90); Kammel, NZI 2006, 334 (336 und 338); Wiedemann, ZInsO 2007, 1009 (1013); wohl auch Wittwer, ZEuP 2007, 829 (852); gewisse Tendenz auch bei MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 16. 30 Ein ähnliches Beispiel findet sich bei Paulus, NZI 2006, Heft 8, VII (VII f.). 31 Vgl. § 3 B. 28

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zwar über ein eigenes, theoretisch und rechtlich unabhängiges Leitungsorgan verfügen, praktisch und faktisch aber regelmäßig der Leitung der Muttergesellschaft unterstehen. Wo man die Verwaltung einer Gesellschaft verortet, hängt deshalb davon ab, welchem Gewicht man der rechtlichen Selbständigkeit im Verhältnis zur wirtschaftlichen Abhängigkeit beimisst. a) Der effektive Verwaltungssitz Der überwiegende Teil der deutschen Rechtswissenschaft betont die rechtliche Selbständigkeit der konzernierten Unternehmen und setzt den Interessenmittelpunkt des europäischen Insolvenzrechts mehr oder minder mit dem effektiven Verwaltungssitz des Gesellschaftskollisionsrechts gleich.32 Weil es nach diesem Kriterium für den Verwaltungsort einer Gesellschaft – so viel sei für das bessere Verständnis der einzelnen Ansichten vorweggenommen – auf den Ort ankommt, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden,33 gelangt auch diese Ansicht in der Regel nicht zu einem einheitlichen Insolvenzgerichtsstand. Denn auch wenn die strategi32 Borges, ZIP 2004, 733 (737); Carstens, S. 64 und 69; Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 24 f.; Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457); ders., in: Eidenmüller, § 9 Rn. 11; Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221 (224); Geyrhalter/Gänßler, NZG 2003, 409 (413); Gottwald, S. 19 f.; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (141); Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 23; Kolmann, S. 284; Lach, S. 186 und 193; Laukemann, RIW 2005, 104 (107); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (544); Ludwig, S. 25 f.; Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (288); Mankowski, NZI 2004, 450 (451); Morscher, S. 20; Müller, NZG 2003, 414 (415); MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 139, sowie Art. 3 EuInsVO Rn. 16; MünchKommInsO/Ehricke, Internationales Konzerninsolvenzrecht, Rn. 25; Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 27; ders., NZI 2001, 501 (507); Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505 (506); Riegger, ZGR 2004, 510 (526); Rossbach, S. 160; Rotstegge, ZIP 2008, 955 (959); Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183 (184); Smid, Dt. und Eur. Int. InsR, Art. 3 EuInsVO Rn. 12; ders., DZWIR 2003, 397 (399); Vallender, ZGR 2006, 425 (429); ders., KTS 2005, 283 (286) (der allerdings auf S. 293 auf die zentralen – gemeint sind wohl die wesentlichen – Geschäftsführungsmaßnahmen und nicht auf deren Umsetzung abstellt); Virgós/Garcimartín, Nr. 46 und 60, die den effektiven Verwaltungssitz unter Nr. 56 aber dort verorten, wo die Entscheidungen auf höchster Ebene getroffen werden, und nicht ausdrücklich auf die Umsetzung abstellen; Vogler, S. 137, die allerdings auf S. 169 auf das operative Geschäft abstellt; Weller, ZGR 2008, 835 (857); ders., ZIP 2009, 2029 (2031 m.w.N. in Fn. 33); wohl auch Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (647); Kemper, in: Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rn. 11; Konecny, in: Smid, Neue Fragen, S. 106 (115); aus der Rechtsprechung: AG Hamburg ZIP 2007, 1767 (1768). 33 BGHZ 97, 269 (272) = NJW 1986, 2194 (2195); BayObLGZ 1985, 272 (280); KG NJW 1989, 3100 (3101); OLG Hamm NJW-RR 1995, 469 (470 f.); OLG Hamm RIW 1997, 236 (237); OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1124; OLG Frankfurt NJW 1990, 2204 (2204 f.); OLG Hamburg RIW 1988, 816; OLG Oldenburg NJW 1990, 1422; LG Essen NJW 1995, 1500 (1501).

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schen Leitungsentscheidungen über die Geschäftspolitik des Konzerns an dem Verwaltungsort der Konzernmutter fallen, so müssen sie doch von dem Leitungsorgan der abhängigen Gesellschaft in die kleine Münze der täglichen Verwaltungsentscheidungen umgesetzt werden. Geschieht dies aber – wie im Regelfall – in einem anderen Staat, liegt dort der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft. b) Der Ort der strategischen Leitungsentscheidungen Zu einem Konzerninsolvenzgerichtsstand gelangt man dagegen, wenn man für den Verwaltungsort der Gesellschaft eine faktische oder wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde legt und auf den Ort abstellt, an dem der gesamte Organismus „Konzern“ seinen Willen bildet. Dort sitzt der mind of management, dort werden die head office functions ausgeübt.34 Gemeint ist jeweils der Ort, an dem die strategischen Leitungsentscheidungen des Konzerns getroffen werden, also über die Geschäfts-, Vertriebs-, Personalund Finanzpolitik aller verbundenen Unternehmen entschieden wird.35 Vor allem die nicht-kontinentaleuropäischen Gerichte haben angenommen, dass der Interessenmittelpunkt einer abhängigen Gesellschaft an dem Verwaltungssitz ihrer Konzernmutter liegt.36 Die Anknüpfung an den mind of management zollt dem Umstand Tribut, dass die Muttergesellschaft über ihre Leitungsmacht die Art und den Umfang der Geschäftstätigkeit ihrer Tochtergesellschaften bestimmen kann und dies regelmäßig auch tut, zumal abhängige Gesellschaften regelmäßig lediglich dazu dienen, die Interessen des herrschenden Unternehmens zu verfolgen und nicht selten allein aus haftungs- oder steuerrechtlichen Gründen von ihm gegründet oder erworben werden. Das herrschende Unternehmen steuert die konzerninterne Verteilung der liquiden Mittel und verlangt teilweise sogar, dass jegliche Ausgaben und Personalentscheidungen der abhängigen Gesellschaft nur in Absprache mit ihm zu treffen sind.

34 High Court of Justice Leeds NZI 2004, 119 (121); High Court of Justice Birmingham NZI 2005, 467 mit Anm. Penzlin/Riedemann; Moss/Fletcher/Isaacs, Rn. 8.81 ff.; vgl. zu den Begrifflichkeiten Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 36; Virgós/Garcimartín, Nr. 55; Weller, ZHR 2005, 570 (572). 35 Vgl. zu den Indizien unter diesem Ansatz im Einzelnen die Übersicht bei Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 39. 36 High Court of Justice Leeds NZI 2004, 119 (121 f.); High Court of Justice Birmingham NZI 2005, 467. Der High Court of Justice London hat sich im Nachgang zu der Entscheidung des EuGH in Eurofood ausdrücklich von dem mind of management-Ansatz distanziert, ZIP 2009, 1776 (1777); vgl. ferner Schilling, S. 75 m.w.N.; Sympathien für diesen Ansatz lässt auch Vormstein, S. 191 f. und 194 f., erkennen, der jedoch zwischen der rechtlichen und der faktischen einheitlichen Zuständigkeit unterscheidet, ohne dass erkennbar würde, worin der Unterschied bestehen soll; vgl. dort S. 210–220.

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Der mind of management-Ansatz führt nicht stets zu einem Konzerninsolvenzgerichtsstand. Sofern der Konzern nicht hinreichend zentralistisch verwaltet wird, ist für die einheitliche Zuständigkeit wenig Raum. Doch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen für einen einheitlichen Insolvenzgerichtsstand vorliegen, unter dem mind of management-Ansatz deutlich größer als unter den beiden anderen Ansichten. 3. Die Möglichkeiten für eine Klärung der internationalen Zuständigkeit Die genannten Ansichten stehen sich in der Insolvenzpraxis nicht wie feste Lager gegenüber. Vielmehr haben sich auch kontinentaleuropäische Gerichte bereits des mind of management-Ansatzes bedient,37 während Gerichte aus dem angelsächsischen Rechtskreis gerade nicht auf den Ort der strategischen Leitungsentscheidungen abgestellt haben.38 Zu dieser uneinheitlichen Auslegung des Interessenmittelpunktes kommt es vor allem deshalb, weil das Anknüpfungskriterium äußerst unbestimmt ist und sehr stark von den Umständen des Einzelfalls abhängt.39 Auch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Eurofood hat insoweit nur wenig Klärung gebracht.40 37 AG München NZI 2004, 450 mit Anm. Mankowski; AG Offenburg NZI 2004, 673 mit Anm. Pannen/Riedemann, EWiR 2005, 73; AG Siegen NZI 2004, 673 mit Anm. Mankowski, EWiR 2005, 175; AG Köln NZI 2008, 257 (260); Tribunale Civile di Parma ZIP 2004, 2295; Tribunal de Commerce Nanterre, Urteil vom 15.2.2006 PCL 2006J00174, EWiR 2006, 207; Tribunal de Commerce Paris vom 2.8.2006 – Eurotunnel, vgl. hierzu Schmidt, ZIP 2007, 407 (408), sowie Attinger, S. 265–270; wohl auch AG Weilheim ZIP 2005, 1611; vgl. auch die umfassenden Nachweise bei Oberhammer, KTS 2009, 27 (31 mit Fn. 11) sowie bei Probst, S. 88 mit Fn. 327; zur Entwicklung der Auslegung des Interessenmittelpunktes in Frankreich, vgl. Dammann, in: Pannen, EuInsVO, Länderbericht Frankreich, Rn. 19–21. 38 High Court Dublin ZIP 2004, 1223; ausdrückliche Abkehr gar in High Court of Justice London ZIP 2009, 1776. 39 Vgl. die Nachweise in Fußnote 261 zu § 3 und ferner die jüngeren Entscheidungen des EuGH, die in der folgenden Fußnote dargestellt sind. 40 So gelangte das Tribunal de Commerce Paris trotz der und sogar unter ausdrücklicher Berufung auf die Eurofood-Entscheidung des EuGH zu einem Konzerninsolvenzgerichtsstand; vgl. Schmidt, ZIP 2007, 407 (408); AG Köln NZI 2008, 257 (260). Auch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Interedil (ZIP 2011, 2153) erscheint wenig geeignet, klare Verhältnisse zu schaffen: Indem der EuGH einerseits unter Heranziehung seiner Entscheidung in der Rechtssache Eurofood betont, dass der Verwaltungsort maßgeblich sei (Nr. 47–51), andererseits aber zu den für die Widerlegung der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO relevanten und in einer wertenden Gesamtbetrachtung aus Gläubigerspektive zu berücksichtigenden Faktoren auch alle Orte zählt, „an denen die Schuldnergesellschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, und alle Orte, an denen sie Vermögenswerte besitzt, sofern diese Orte für Dritte erkennbar sind“ (Nr. 52), gibt er der Insolvenzpraxis Steine statt Brot und unterminiert er die Bemühungen um eine handhabbare Leitlinie für die Auslegung des Interessenmittelpunktes. Inwieweit sich der EuGH im Einklang mit den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott vom 10.3.2011 befin-

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Das Problem des Konzerninsolvenzgerichtsstandes lässt sich vor diesem Hintergrund auf zwei Wegen in den Griff bekommen. Denkbar ist zum einen eine legislative Maßnahme, mit der das Schweigen der Verordnung zu Konzerninsolvenzen gebrochen wird.41 Der Gesetzgeber könnte sich eindeutig gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand entscheiden, der zurzeit das Ergebnis der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO sein kann. Er könnte sich auch zu einem einheitlichen Gerichtsstand für alle Konzerngesellschaften bekennen, müsste hierfür jedoch präzisieren, unter welchen Voraussetzungen er vorliegt.42 Berücksichtigt man die Misserfolge des europäischen Gesetzgebers bei seinen Versuchen, das Konzernrecht auf europäischer Ebene zu kodifizieren, sollte man besser nicht auf einen gesetzgeberischen Akt vertrauen.43 Solange der Gesetzgeber nicht tätig det (ZIP 2011, 918), ist unklar, weil die Generalanwältin – anders als der EuGH – hervorgehoben hat, dass die genannte Gesamtbetrachtung der Ermittlung des Ortes dient, an dem die Gesellschaft ihre Interessen verwaltet (Nr. 75). Wenig hilfreich ist es auch, wenn der EuGH unter Heranziehung seiner Entscheidung in der Rechtssache Interedil weiter einerseits ausführt, dass zur Widerlegung der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO erforderlich ist, „dass mit einer Gesamtbeurteilung aller relevanten Anhaltspunkte der Nachweis gelingt, dass sich das tatsächliche Verwaltungs- und Kontrollzentrum“ in einem anderen Mitgliedstaat als dem des satzungsmäßigen Sitzes befindet, andererseits aber nicht klarstellt, welche Anhaltspunkte hierfür im Einzelnen in Betracht kommen; vgl. EuGH NZG 2012, 150 (153), Nr. 39 – Rastelli Davide./.Hidoux. 41 Eidenmüller plädiert trotz der Vorteile, die mit der Verfahrenskonzentration verbunden sind, gegen eine Änderung der EuInsVO in Richtung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes (ZHR 169 (2005), 528 (562 f.)) und schlägt vor, de lege ferenda allein auf den Satzungssitz abzustellen (so schon Gottwald, S. 21), um einen Gleichlauf mit dem Gesellschaftsstatut zu erreichen; kritisch hierzu: Attinger, S. 285–288; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 14 mit Fn. 26, sowie Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (36). Klöhn, KTS 2006, 259 (282 ff.), schlägt dagegen ein bewegliches System der Zuständigkeit vor, das sich an den zu erwartenden Verfahrenskosten orientiert. Der Bericht des Europäischen Parlaments vom 17. Oktober 2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts (A7-0355/2011) empfiehlt, die Konkretisierung des Interessenmittelpunktes in Erwägungsgrund (13) in den Katalog der Definitionen in Art. 2 EuInsVO aufzunehmen und, „[w]ann immer die Organisations-/Eigentümerstruktur es erlaubt“, das Insolvenzverfahren in dem Mitgliedstaat zu eröffnen, in dem sich die „Hauptverwaltung der Gruppe“ befindet. In einem Thesenpapier der Arbeitsgruppe Europa der ARGE Insolvenz und Sanierung im Deutschen Anwaltverein vom 14. September 2011 (ZInsO 2011, 1788) wird vorgeschlagen, immer dann, wenn die Voraussetzungen für eine bilanzielle Konsolidierung vorliegen, für die Insolvenzverfahren der Tochterunternehmen eine einheitliche Insolvenzeröffnungszuständigkeit des Gerichts anzunehmen, das bereits das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mutterunternehmens eröffnet hat. 42 Hieran dürfte der in der vorstehenden Fußnote dargestellte Vorschlag des Europäischen Parlaments im Ergebnis scheitern. 43 Pessimistisch auch Deyda, S. 99; Reinhart, NZI 2012, 304 (310 f.); vgl. auch die Diskussionsvorschläge, die dargestellt werden bei Paulus, NZI 2012, 297 (300–302), und Reinhart, NZI 2012, 304.

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wird, erscheint es daher notwendig, den zweiten Weg zu gehen und zu eruieren, ob und unter welchen Voraussetzungen Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eine einheitliche Zuständigkeit für die Insolvenzverfahren verbundener Unternehmen vorsieht. IV. Der weitere Gang der Untersuchung Analysiert man den Gehalt des Interessenmittelpunktes aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, so bietet es sich an, mit dem ersten Satz der Vorschrift zu beginnen. Die einzelnen Elemente des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen sind eingehend zu untersuchen (dazu B.). Zu klären ist, was die EuInsVO unter den Interessen des Schuldners versteht (dazu I.) und wo diese sich für die Zwecke der Verordnung manifestieren (dazu II.). Erst danach kann untersucht werden, welche Bedeutung Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO hat, nach dem bei Gesellschaften bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass sich ihr Interessenmittelpunkt an ihrem satzungsmäßigen Sitz befindet (dazu III.). Der Wortlaut dieser Vorschrift und der aus ihm möglicherweise folgende Charakter einer Vermutung legen es zwar nahe, mit ihr zu beginnen. Greift die Vermutung ein, könnte man sich zunächst auf die Frage beschränken, unter welchen Voraussetzungen der Beweis des Gegenteils erbracht ist. Erst wenn er gelingt, müsste man sich mit Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO auseinandersetzen. Diese ökonomisch wirkende Verfahrensweise setzt jedoch ein bestimmtes Verständnis des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO voraus. Doch ist umstritten, ob es sich bei der Bestimmung um eine Vermutung im Rechtssinne oder nur um eine „Zweifelsregel“ handelt. Diese Frage lässt sich auch nicht im Vorhinein klären, weil ihre Beantwortung maßgeblich von der Regelung der internationalen Zuständigkeit als Ganzes abhängt. Der zweite Satz des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO wird daher erst nach dem ersten untersucht. Als erforderlich wird es sich erweisen, den historisch-systematischen Zusammenhang darzustellen, in dem die Verordnung und ihre Vorläufer entwickelt wurden (§ 5). Eine autonome Auslegung des Interessenmittelpunktes, die so weit geht, dass sie andere, mit dem europäischen Insolvenzrecht zusammenhängende und daher mit ihm vergleichbare Rechtsbereiche außer Acht lässt, griffe zu kurz. Erst der ausführliche Blick auf die Entwicklung und den Stand des europäischen Gesellschaftskollisionsrechts ermöglicht es, den Gehalt des Interessenmittelpunktes zu konkretisieren (§ 6).

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

I. Die Interessen des Schuldners 1. Die vielfältigen Erscheinungsformen der Interessen Betrachtet man den Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO isoliert, lässt sich die internationale Zuständigkeit kaum zuverlässig ermitteln, weil die Phänomene, die sich unter den Begriff der Interessen subsumieren lassen, unerschöpflich sind.44 Beabsichtigt etwa ein Unternehmen, in einem bestimmten Staat tätig zu werden, hat es ein erhebliches Interesse, dort erfolgreich zu sein. Ob dieses Interesse aber für die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens relevant sein kann, erscheint fraglich. Auf keinen Fall genügen kann z.B. das Interesse eines Schuldners, nur in einem bestimmten, besonders sonnigen Staat einem Insolvenzverfahren ausgesetzt zu sein.45 Dem verständigen Juristen erschließt sich das von selbst, weil dem forum shopping, dem die Verordnung einen Riegel vorschieben möchte,46 sonst Tür und Tor geöffnet wären. Aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich die Unerheblichkeit ideeller Interessen indes nicht. Auch der Erwägungsgrund (13) erhellt die Rechtslage nur geringfügig. Entscheidend für die internationale Zuständigkeit ist nach ihm nicht, wo der Schuldner seine Interessen hat, sondern wo er sie verwaltet oder genauer: wo er ihrer Verwaltung nachgeht. Welche Interessen gemeint sind, ergibt sich daraus nicht. Relevant für die internationale Zuständigkeit scheinen sie jedenfalls nur dann zu sein, wenn der Schuldner sie verwaltet. Die sich anschließende Frage lautet, was unter der Verwaltung von Interessen zu verstehen ist. Zu dem extrem dehnbaren Begriff der Interessen gesellt sich mithin der ebenso auslegungsbedürftige Begriff der Verwaltung. 2. Die Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen Tätigkeiten Weitaus hilfreicher ist die historische Auslegung. So sind nach dem Erläuternden Bericht zum EuInsÜ unter Interessen „nicht nur Handels-, gewerbliche oder berufliche, sondern allgemein wirtschaftliche Tätigkeiten“ 47 zu verstehen. Die Interessen des Schuldners sind demnach identisch mit sei44

Carstens, S. 47; Attinger, S. 37. Vgl. das Beispiel von Becker, ZEuP 2002, 287 (300). 46 Vgl. Erwägungsgrund (4). 47 Virgós/Schmit, Nr. 75. Bemerkenswert ist, dass es in der englischen Originalfassung „general economic activities“ heißt, was mit „allgemeine wirtschaftliche Tätigkeiten“ hätte übersetzt werden müssen. 45

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nen wirtschaftlichen Tätigkeiten. Doch wirft der Erläuternde Bericht, indem er auf die wirtschaftlichen Tätigkeiten abstellt, zugleich weitere Fragen auf. a) Die Entwicklung vom Geschäftszentrum zum Interessenmittelpunkt Da der Erläuternde Bericht mit den wirtschaftlichen Tätigkeiten des Schuldners ein Anknüpfungskriterium vorgibt, das sprachlich enger ist als der äußerst allgemeine Begriff der Interessen, verwundert es, dass der Verordnungsgeber die internationale Zuständigkeit nicht direkt an die wirtschaftlichen Tätigkeiten des Schuldners, sondern an seinen Interessenmittelpunkt angeknüpft hat. Anders gewendet: Weil der Begriff der Interessen deutlich weiter als derjenige der wirtschaftlichen Tätigkeiten ist, kann man anzweifeln, dass sich die Interessen des Schuldners für die Zwecke der Verordnung in seinen wirtschaftlichen Tätigkeiten erschöpfen. Fraglich ist mit anderen Worten, ob die Begriffe „Interessen“ und „wirtschaftliche Tätigkeiten“ in ihrer Bedeutung identisch sind oder ob die wirtschaftlichen Tätigkeiten nur einen – wenn auch bedeutenden – Ausschnitt der Interessen darstellen, die für die internationale Zuständigkeit relevant sind. In welchem Verhältnis die Interessen des Schuldners zu seinen wirtschaftlichen Tätigkeiten stehen, zeigt die Entwicklung des europäischen Insolvenzrechts: In den drei Entwürfen für ein Europäisches Insolvenzübereinkommen wurde die internationale Zuständigkeit in Art. 3 Abs. 1 noch an das Geschäftszentrum des Schuldners angeknüpft, bei dem es sich nach der in allen Entwürfen nahezu identischen Legaldefinition in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 um den Ort handelte, an dem der Schuldner seine Hauptinteressen verwaltet bzw. wahrnimmt.48 Die Parallele zu dem Interessenmittelpunkt, wie er nunmehr in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO existiert und durch den Erwägungsgrund (13) konkretisiert wird, ist offensichtlich. Die Verfasser der Entwürfe wollten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das Geschäftszentrum sollte das Zentrum der gewerblichen Tätigkeit des Schuldners darstellen und zugleich die teilweise erheblich voneinander abweichenden Anknüp-

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Das Merkmal des Geschäftszentrums lehnte sich – wenn auch sprachlich leicht abgewandelt – an Texte an, die das Institut für internationales Recht 1864 in Paris und 1902 in Brüssel ausgearbeitet hatte. In der Praxis war es aus dem französisch-italienischen Abkommen über die Vollstreckung gerichtlicher Urteile in Zivil- und Handelssachen, dem französischen-österreichischen Abkommen über die Anerkennung und die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und öffentlichen Urkunden auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechts und aus dem französischen Handelsrecht bekannt; Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (114); Thieme, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 213 (227).

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

fungsmerkmale der nationalen Rechte berücksichtigen.49 Ob das überhaupt möglich ist, wenn z.B. eine Insolvenzrechtsordnung die gewerbliche Tätigkeit des Schuldners für irrelevant für seinen Insolvenzgerichtsstand erachtet, ist eine unbeantwortete und müßige Frage. Die Schwierigkeiten bei der einheitlichen Auslegung des Geschäftszentrums haben die Verfasser jedenfalls vorhergesehen und mit der Legaldefinition in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 der Entwürfe zu entschärfen versucht. Dort haben sie zwar den Begriff der Interessen verwendet. Der Ausdruck „Geschäfte“ sollte in der Legaldefinition aber nur deshalb vermieden werden, weil er „zu sehr an eine kaufmännische oder gewerbliche Tätigkeit denken läßt“.50 Die Verfasser der Entwürfe wollten mithin den Eindruck vermeiden, dass das Übereinkommen nur auf Kaufleute anwendbar sein könnte. Ihre Bedenken speisten sich aus dem seinerzeit geltenden französischen Recht, unter dem Nichtkaufleute nicht insolvenzfähig waren.51 Indem die Verfasser der Entwürfe auf die Interessen des Schuldners und nicht auf seine Geschäfte abstellten, verzichteten sie jedoch lediglich auf die Gewerblichkeit seiner Tätigkeit. Das Übereinkommen sollte auch auf Nichtkaufleute anwendbar sein.52 Eine Abkehr von dem wirtschaftlichen Bezug der Umstände, die für die internationale Zuständigkeit in Betracht kommen, war damit jedoch nicht verbunden. Der naheliegende Schritt, die internationale Zuständigkeit nicht mehr an das Geschäftszentrum, sondern an den Interessenmittelpunkt anzuknüpfen, erfolgte erst, nachdem dieser Begriff in dem Istanbuler Übereinkommen von 1990 geschaffen worden war, in dessen Art. 4 er freilich nur die Anerkennungszuständigkeit regelte. Die Entwicklung des europäischen Insolvenzrechts bis zu der Europäischen Insolvenzverordnung zeigt, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff der Interessen keineswegs auf deren wirtschaftlichen Bezug verzichten wollte. Vielmehr sollte lediglich ein Anknüpfungsmerkmal geschaffen werden, für das es auf die Gewerblichkeit der Tätigkeiten nicht ankommt. Eine inhaltliche Erweiterung gegenüber dem Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeiten sollte dies nicht bedeuten. Relevant für die internationale Zuständigkeit sind daher ausschließlich die wirtschaftlichen Tätigkeiten des Schuldners.53 49

Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (113 f.). Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (115). 51 Vgl. Dammann/Undritz, NZI 2005, 198. Dies gilt auch weiterhin in Belgien; vgl. Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 13 f. In Italien muss der Schuldner zumindest Kleinunternehmer sein; vgl. Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 13 f. m.w.N. Vgl. allgemein zur Insolvenzfähigkeit in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen die Übersicht bei Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 14. 52 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (103); Fletcher, in: FS Hanisch, S. 89 (101); Chalupsky, in: Baudenbacher, S. 297 (336). 53 Vgl. statt vieler Carstens, S. 48. 50

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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b) Die Konkretisierung der wirtschaftlichen Tätigkeiten Fraglich bleibt, was unter den wirtschaftlichen Tätigkeiten zu verstehen ist.54 Eine Antwort sucht man in den Materialien vergeblich. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als unter den wirtschaftlichen Tätigkeiten jedes Handeln des Schuldners zu verstehen, das Teil seines „Wirtschaftens“ ist. Hierzu gehören neben rechtsgeschäftlichen Tätigkeiten wie dem Abschluss von Verträgen auch rein faktische Betätigungen wie der Betrieb von Maschinen oder von außen kaum erkennbare Vorgänge wie die Aufstellung einer Bilanz. Es erscheint nicht geboten, das Wirtschaften von Schuldnern für die Zwecke der EuInsVO auf ihr operatives Geschäft oder etwa den Rahmen zu begrenzen, der bei Gesellschaften von ihrem Unternehmensgegenstand gedeckt ist.55 Eingrenzen lässt sich der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeiten allenfalls über den Lebenssachverhalt, den die Europäische Insolvenzverordnung regelt. Weil Insolvenzrecht Vermögensrecht ist, können für die internationale Eröffnungszuständigkeit nur Interessen maßgeblich sein, die einen vermögensrechtlichen Bezug aufweisen. Ausgeschlossen sind folglich rein ideelle Interessen.56 Doch kann diese Abgrenzung für die hier interessierenden Insolvenzen von rechtsfähigen Gesellschaften regelmäßig dahingestellt bleiben, weil Unternehmen – etwas zugespitzt ausgedrückt – keine Hobbys haben und ihre Interessen daher regelmäßig wirtschaftlicher Natur sind.57 Auch das eingangs erwähnte Interesse einer Gesellschaft, in einem bestimmten Staat erfolgreich zu sein, ist folglich wirtschaftlicher Natur. Für den Insolvenzgerichtsstand ist dieses Interesse gleichwohl ohne Belang, solange es nicht mit einer Tätigkeit verbunden ist. Umgekehrt liegt zwar eine Tätigkeit vor, aber eben keine wirtschaftliche, wenn der Schuldner ein Delikt begeht. Verursacht z.B. der Geschäftsführer einer GmbH einen Schaden, den die GmbH wegen der Zurechnung aus der analogen Anwendung von § 31 BGB zu ersetzen hat, handelt es sich hierbei nicht um eine wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft. Verhandelt der Geschäftsführer dagegen mit dem Schadensgegner über die Schadenshöhe, liegt insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit vor. 54

Rentabilität ist selbstverständlich nicht gemeint. Das Adjektiv „wirtschaftlich“ sollte nur eine inhaltliche Erweiterung gegenüber den Handels-, gewerblichen und beruflichen Tätigkeiten darstellen, nicht aber nur solche Tätigkeiten beschreiben, die sich lohnen. 55 A.A. wohl Deyda, S. 117. 56 So auch Carstens, S. 47; a.A. MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 17. 57 Für Gesellschaften mit ideeller Zwecksetzung wie etwa gemeinnützige Kulturförderungsgesellschaften mag dies nicht zutreffen. Doch ist auch für ihren Interessenmittelpunkt allein die Verwaltung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten maßgeblich.

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

c) Die Irrelevanz des Belegenheitsortes des Vermögens Die Maßgeblichkeit wirtschaftlicher Tätigkeiten zwingt zu einer weiteren Einsicht: Unerheblich für die internationale Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist auch, wo sich das Vermögen des Schuldners befindet.58 Zwar mag dem Vermögen eines Schuldners regelmäßig sein größtes Interesse gelten. Auch wird der Interessenmittelpunkt eines Schuldners in vielen Fällen mit dem Ort identisch sein, an dem sich der überwiegende Teil seines Vermögens befindet. Für eine Anknüpfung an den Belegenheitsort des Vermögens spricht weiter, dass das in diesem Staat anwendbare Insolvenzrecht das sachnächste sein kann. Das ist jedoch nicht zwingend so und trifft jedenfalls dann nicht zu, wenn der Schuldner sein Vermögen kurz vor der Verfahrenseröffnung in einen Staat verschafft, dessen Insolvenzrecht ihm besonders zusagt. Dieses forum shopping, das regelmäßig zu Lasten der Gläubiger geht, will die Verordnung gerade verhindern.59 Die Unerheblichkeit des Vermögens für die Ermittlung des Interessenmittelpunktes lässt sich auch mit diesem Ziel der Verordnung begründen. Doch ist es gar nicht erforderlich, die Vermeidung von forum shopping als Argument zu bemühen. Der Ort, an dem sich das Vermögen des Schuldners befindet, ist vielmehr schon deshalb unbeachtlich, weil für die internationale Zuständigkeit nur Tätigkeiten des Schuldners relevant sind und es sich bei der Eigenschaft von Vermögen, einem Rechtssubjekt und dem Gebiet eines Staates zugeordnet zu sein, für sich gesehen um keine Tätigkeit handelt. Schon im Ansatz verfehlt ist daher auch die Frage, ob für die internationale Zuständigkeit nur auf das Passiv- oder auch auf das Aktivvermögen des Schuldners abzustellen sei.60 Richtigerweise kommt es überhaupt nicht auf das Vermögen, sondern allein auf die Tätigkeiten des Schuldners an. Dass aus diesen Tätigkeiten Forderungen und Verbindlichkeiten entstehen, Eigentum begründet wird und verloren geht, mithin Vermögen geschaffen und vernichtet wird, ist bloß ein Reflex. Das Aktiv- und Passivvermögen des Schuldners ist lediglich Folge und Ausdruck seiner Tätigkeit, aber kein selbständiger Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Ob der Belegenheitsort des Vermögens eines von zahlrei58 Ebenso Klöhn, NZI 2006, 383, 385; Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (768); grundsätzlich auch Deyda, S. 122; a.A. LG Leipzig ZInsO 2006, 378, das seine internationale Zuständigkeit auch darauf stützte, dass die von der Schuldnerin verwalteten Grundstücke in Deutschland liegen. Auch das italienische Corte di cassazione stellte offenbar auch auf die Belegenheit des Vermögens ab; vgl. Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538 (551 mit Fn. 23). Vgl. ferner Adam, S. 127; Herchen, ZInsO 2004, 825 (826 und 828); Martinez Ferber, S. 22; Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505 (507); Schilling, S. 91. 59 Erwägungsgrund (4); Rossbach, S. 158. Zweifel an der Schädlichkeit eines forum shopping äußert Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (36). 60 So aber Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (647).

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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chen Indizien sein kann, das im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung für die Ermittlung des Interessenmittelpunktes herangezogen werden kann,61 kann hier dahingestellt bleiben, weil es jedenfalls für sich gesehen nicht geeignet ist, den Interessenmittelpunkt zu begründen. Ein Konzerninsolvenzgerichtsstand am Interessenmittelpunkt der Muttergesellschaft lässt sich daher nicht etwa damit begründen, dass sie alle Anteile an ihrer Tochtergesellschaft hält.62 Erstens bliebe zu klären, an welchem Ort die virtuellen Eigentumsrechte an einer Gesellschaft überhaupt belegen sind.63 Zweitens vermag das Vermögen der Muttergesellschaft nichts über den separat zu ermittelnden Interessenmittelpunkt der rechtlich selbständigen Tochtergesellschaft auszusagen. Selbst wenn das Vermögen ein Umstand wäre, der für den Interessenmittelpunkt relevant ist, so handelte es sich bei den Eigentumsrechten der Muttergesellschaft doch ausschließlich um ihr Vermögen, nicht aber um Vermögen der Tochtergesellschaft. Unergiebig sind die Vermögensverhältnisse, die sich aus der Konzernierung ergeben, darüber hinaus drittens, weil der Ort des Vermögens aus den genannten Gründen von vornherein irrelevant ist. 3. Zusammenfassung Unter den Interessen des Schuldners versteht die Verordnung seine wirtschaftlichen Tätigkeiten. Der sprachlich weite Begriff der Interessen wurde nur gewählt, um den Anwendungsbereich der Anknüpfung nicht auf gewerbliches oder gar kaufmännisches Handeln zu beschränken. Doch ist auch der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit weit zu verstehen. Er umfasst alle Tätigkeiten, sofern sie nicht deliktsrechtlicher Natur sind oder mit ihnen ideelle Interessen verfolgt werden. Wo sich das Vermögen des Schuldners befindet, ist irrelevant. II. Der Belegenheitsort der Interessen 1. Der Ort der Interessenverwaltung a) Die Unergiebigkeit des Verordnungstextes Wo sich die Interessen des Schuldners bzw. seine wirtschaftlichen Tätigkeiten für die Zwecke der Verordnung manifestieren, ist die entscheidende Frage für die Auslegung des europäischen Insolvenzgerichtsstandes. Über61 So EuGH ZIP 2011, 2153 (2157), Nr. 52 – Interedil; GA Kokott, Schlussanträge vom 10.3.2011, ZIP 2011, 918 (923 f.), Nr. 69 f. – Interedil; vgl. auch die differenzierende Anm. von Mankowski, NZI 2011, 994 (994 f.). 62 Paulus, EWS 2002, 497 (500); Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (898). 63 Paulus, EWS 2002, 497 (500); verkannt von AG Mönchengladbach ZIP 2012, 383 (385).

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

tragen auf den bereits aufgeworfenen Streitstand lautet sie: Manifestieren sich die Interessen des Schuldners an dem Ort seiner werbenden Tätigkeit oder dort, von wo aus er seine Interessen verwaltet? Im zweiten Fall wäre weiter zu untersuchen, ob der Interessenmittelpunkt dem effektiven Verwaltungssitz entspricht oder ob dem mind of management-Ansatz der Vorzug gebührt. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO ist insoweit unergiebig. Wo eine Gesellschaft ihren Interessenmittelpunkt „hat“, ist ja gerade die Frage. Zwar gilt bei Gesellschaften nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO bis zum Beweis des Gegenteils der satzungsmäßige Sitz als Interessenmittelpunkt. Wodurch sich der Interessenmittelpunkt nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO, der gerade nicht an dem satzungsmäßigen Sitz liegt, gegenüber anderen Orten auszeichnet, ergibt sich daraus aber nicht. b) Die Manifestation der Interessen durch Verwaltung Nach dem Erwägungsgrund (13) und dem Erläuternden Bericht zum EuInsÜ ist der Ort maßgeblich, an dem der Schuldner „der Verwaltung seiner Interessen nachgeht“.64 Auf den Ort, an dem die Gesellschaft am Markt auftritt, also vor allem ihre Geschäfte abschließt, kann es demnach nicht ankommen. Dass der Erläuternde Bericht weiter die Interessen des Schuldners mit Tätigkeiten gleichsetzt, die nicht verwaltet, sondern „ausgeübt“ werden,65 ist allein dem allgemeinen Sprachgebrauch geschuldet, weil dem Begriff der Tätigkeiten etwas Aktives immanent ist und es daher näherliegt, mit ihm das Verb „ausüben“ statt „verwalten“ zu verwenden. Ein Widerspruch innerhalb des Erläuternden Berichts oder gar eine von dem Erwägungsgrund (13) abweichende Anknüpfung ist damit nicht verbunden. Zwar könnte man daran denken, dass es auf die einzelnen Orte ankommt, an denen der Schuldner tätig ist, und nicht auf den Ort, an dem er seine Tätigkeiten verwaltet. Der Erläuternde Bericht stützt diese Auslegung aber gerade nicht, weil es nach seinem klaren Wortlaut nicht etwa auf den Ort ankommt, an dem der Schuldner seine Tätigkeiten ausübt, sondern auf denjenigen, von dem aus (!) die Tätigkeiten ausgeübt werden. Dass damit der Ort der verwaltenden oder leitenden Tätigkeit gemeint ist, kommt noch deutlicher in der englischen Fassung zum Ausdruck, in der es im Zusammenhang mit dem Wort „hauptsächlich“ heißt: „The expression ‚main‘ serves as a criterion for the cases where these interests include activities of different types which are run from different centres“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Der Ort, an dem die Gesellschaft am Markt auftritt, determiniert demnach nicht den Mittelpunkt ihrer Interessen.

64 65

Virgós/Schmit, Nr. 75. Vgl. Virgós/Schmit, Nr. 75 Abs. 3 Satz 2.

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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c) Die Vorläufer der EuInsVO und des EuInsÜ Ebenso war schon nach dem Bericht zu dem Entwurf des Europäischen Insolvenzübereinkommens von 1980 der Verwaltungsort maßgeblich und nicht etwa der Ort, an dem sich einzelne Interessen des Schuldners materialisieren.66 Dies kommt auch in dem Erläuternden Bericht zum Istanbuler Übereinkommen von 1990 zum Ausdruck, nach dem die Vermutung zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes insbesondere dann widerlegt sein sollte, wenn die Entscheidungen der Gesellschaft an einem anderen Ort getroffen werden.67 Das Istanbuler Übereinkommen regelt zwar nur die Anerkennungszuständigkeit, ist nicht geltendes Recht und darüber hinaus auch von einem anderen Normgeber verfasst worden. Insoweit mag man bezweifeln, inwieweit es überhaupt für die Auslegung des Interessenmittelpunktes herangezogen werden kann. Seine Vorbildfunktion für die Europäische Insolvenzverordnung und seine inhaltliche Nähe zu ihr sind jedoch unbestreitbar. d) Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eurofood: ein Bekenntnis zur Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit? aa) Die Entkräftung der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO bei fehlender Tätigkeit in dem Mitgliedstaat des satzungsmäßigen Sitzes Fraglich ist, ob der EuGH den entgegengesetzten Standpunkt eingenommen und die werbende Tätigkeit des Schuldners für maßgeblich erachtet hat. Der EuGH führte in seiner Entscheidung zu Eurofood aus, dass die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO, nach der sich der Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft an ihrem satzungsmäßigen Sitz befindet, widerlegt sein könnte, wenn es sich bei der Gesellschaft um eine sogenannte Briefkastenfirma handelt, die in dem Gebiet des Mitgliedstaates, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht, und dass jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft dort ihrer Tätigkeit nachgeht, allein die Leitungsmacht der Muttergesellschaft nicht ausreicht, die Vermutung zu entkräften.68 Einige Kommentatoren erblicken hierin eine Bestätigung der Auffassung, wonach die werbende Tätigkeit maßgeblich für den Interessenmittelpunkt ist.69 Sollte diese Ansicht zutreffen, könnte das 66

Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (115). Vgl. Nr. 27 des Berichts zum Istanbuler Übereinkommen. 68 EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 36, 37 – Eurofood. 69 So Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (90); Kammel, NZI 2006, 334 (336 und 338); Wiedemann, ZInsO 2007, 1009 (1013); Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (10); Probst, S. 201; Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 27 und 44; HamburgerKommInsO/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rn. 12; a.A. Deyda, S. 95; Weller, ZGR 2008, 835 (857). Einzuschränken ist dieser Schluss von vornherein insofern, als der 67

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

aus den Materialien und der Gesetzgebungsgeschichte der EuInsVO gewonnene Ergebnis, nach dem es auf den Ort der werbenden Tätigkeit nicht ankommt, jedenfalls für die Praxis hinfällig sein. bb) Das Beispiel der Briefkastenfirma: ein Argument für die Relevanz der werbenden Tätigkeit? Doch ist fraglich, ob der EuGH meint, dass die werbende Tätigkeit der Gesellschaft maßgeblich für ihren Interessenmittelpunkt sein soll. Dafür könnte sprechen, dass er die Briefkastenfirma als Beispiel für einen Fall heranzieht, in dem die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO nach der etwas verklausulierten Formulierung des EuGH widerlegt sein kann, wenn „in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am [...] satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll“.70 Offen ließ das Gericht, welche Lage die Vermutung zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes widerspiegeln soll. Hierzu muss geklärt werden, wodurch Briefkastenfirmen sich auszeichnen, weil das an ihnen Charakteristische den Ausnahmefall darstellt, der zu der Widerlegung der Vermutung führt und im Umkehrschluss zeigt, auf welcher Annahme die Vermutung beruht. Zeichnen sich Briefkastenfirmen dadurch aus, dass sie in dem Staat ihrer Inkorporation keinem operativen Geschäft nachgehen, so ist gerade das Fehlen werbender Tätigkeit der Grund dafür, warum die Vermutung widerlegt sein kann. Die Vermutung würde demnach darauf beruhen, dass eine Gesellschaft ihrer werbenden Tätigkeit in der Regel in dem Mitgliedstaat nachgeht, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet. Der EuGH hätte mit der „Tätigkeit“, der die Gesellschaft (nicht) nachgeht, dann in der Tat ihre werbende Tätigkeit gemeint. Doch kann unter einer Briefkastenfirma auch ein Unternehmen verstanden werden, das nicht in seinem Gründungsstaat verwaltet wird. Zwar wird es dort regelmäßig auch keiner werbenden Tätigkeit nachgehen. Ob aber die Verwaltungstätigkeit oder die werbende Tätigkeit außerhalb des Gründungsstaates charakteristisch für die Briefkastenfirma ist, bleibt offen, weil der Begriff nicht definiert ist. cc) Die Widersprüchlichkeit des Urteils bei Relevanz der werbenden Tätigkeit Gegen ein Bekenntnis des EuGH zu der Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit spricht vor allem, dass weder die Vorlagefrage des Supreme Court of Ireland noch die Schlussanträge des Generalanwalts sich zu der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft äußerten. Sie problematisierten nur, EuGH die werbende Tätigkeit ausweislich der genannten Passage allenfalls als einen, nicht aber den einzigen Faktor erachtet. 70 EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 34 f. – Eurofood.

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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wo die Gesellschaft der Verwaltung ihrer Interessen, nicht aber, wo sie ihrer Tätigkeit nachging. Nach den einleitenden Worten des EuGH zu der Vorlagefrage ging es vielmehr darum, welches Gewicht der Interessenverwaltung im Verhältnis zu der Leitungsmacht zukommt.71 Der EuGH betonte auch, wie wichtig die Definition des Interessenmittelpunktes in dem Erwägungsgrund (13) sei, nach der es sich um den Ort handelt, an dem der Schuldner der Verwaltung seiner Interessen nachgeht72 und sprach erst zu dem Ende seiner Ausführungen plötzlich nicht mehr von der „Verwaltung der Interessen“, sondern von der „Tätigkeit“, der die Gesellschaft nachgeht.73 Sollte der EuGH damit die werbende Tätigkeit gemeint haben, hätte er sich in Widerspruch zu seiner eigenen Argumentation gesetzt. dd) Die weitgehende Identität des Urteils mit den Schlussanträgen des Generalanwalts Wahrscheinlicher ist es, dass der EuGH mit der Tätigkeit der Gesellschaft allein ihre Verwaltungstätigkeit meinte. Dafür spricht auch die weitgehende Identität des Urteils mit den Schlussanträgen des Generalanwalts, die beide über den Gegenstand der Vorlagefrage hinausgehen.74 Der Supreme Court of Ireland wollte lediglich wissen, ob dann, wenn a) die Mutter- und die Tochtergesellschaft ihren Registersitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben, b) die Tochtergesellschaft der Verwaltung ihrer Interessen gewöhnlich und für Dritte feststellbar an dem Ort ihres Registersitzes nachgeht und c) die Muttergesellschaft Leitungsmacht hat und ausübt, die unter b) oder die unter c) genannten Umstände den Interessenmittelpunkt ausmachen.75 Diese alternative Formulierung setzt bereits voraus, dass die Leitungsmacht kein Umstand sein kann, der die Anforderungen des Erwägungsgrundes (13) erfüllt. Welche Bedeutung die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes hat, konnte keine Rolle spielen, weil die Gesellschaft nach der Vorlagefrage des Supreme Court of Ireland dort im Einklang mit den Voraussetzungen des Erwägungsgrundes (13) der Verwaltung ihrer Interessen nachging und die beiden Sätze des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO mithin zu der internationalen Zuständigkeit ein und desselben Mitgliedstaates führten. Dass sich der EuGH trotzdem zu der Leitungsmacht als einen potentiellen Faktor und ihrem Verhältnis zu der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO äußerte, ist darauf zurückzuführen, dass er sich offenbar an den 71

EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 27 – Eurofood. EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 32 f. – Eurofood. 73 EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 35–37 – Eurofood. 74 Vgl. GA Jacobs, Schlussanträge vom 27.9.2005, ZIP 2005, 1878 (1885), Nr. 126 – Eurofood, einerseits, und EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 37 – Eurofood, andererseits. 75 Supreme Court of Ireland NZI 2004, 505. 72

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

Schlussanträgen des Generalanwalts orientierte. Dieser hatte die Vorlagefrage dahingehend umformuliert, ob die Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO allein durch die Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens widerlegt werden kann, wenn die abhängige Gesellschaft der Verwaltung ihrer Interessen gewöhnlich und für Dritte feststellbar in dem Staat ihres Registersitzes nachgeht.76 Der EuGH übernahm diese Formulierung weitgehend. Der Unterschied in dem Urteil des EuGH zu den Schlussanträgen des Generalanwalts besteht lediglich darin, dass das Gericht nicht von der Verwaltung der Interessen spricht, der die Gesellschaft in ihrem Registerstaat nachgeht, sondern von ihrer Tätigkeit. Ob diese sprachliche Ungenauigkeit ein Versehen oder eine Gedankenlosigkeit war, lässt sich nicht nachvollziehen. e) Zwischenergebnis Festzuhalten ist, dass der Interessenmittelpunkt der Ort ist, an dem die Gesellschaft verwaltet wird. Ob dies an dem effektiven Verwaltungssitz des internationalen Gesellschaftsrechts oder an einem anderen, in seinem Gehalt noch zu präzisierenden Verwaltungssitz geschieht, ist hiermit nicht entschieden. Ein Konzerninsolvenzgerichtsstand bleibt daher ein denkbares Ergebnis der Auslegung des Interessenmittelpunktes. Allein für die Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit scheint dagegen kein Raum zu bleiben, zumal sie durch das Urteil des EuGH in Eurofood nach der hier vertretenen Auffassung gerade nicht gestützt wird. Dass sie dennoch zahlreiche Anhänger hat, liegt an der Prämisse, die der Anknüpfung an den Verwaltungsort zugrunde liegt und die im Folgenden zu untersuchen ist. 2. Die Erkennbarkeit des Insolvenzforums für Dritte a) Die Bedeutung der Erkennbarkeit aa) Die Gründe für das Erfordernis der Erkennbarkeit Soweit vorstehend ausgeführt worden ist, dass es nach dem Erwägungsgrund (13) und dem Erläuternden Bericht zum EuInsÜ auf den Ort ankomme, an dem der Schuldner seine Interessen verwaltet, ist dies unvollständig. Beide Quellen erschöpfen sich nicht darin, auf den Verwaltungsort abzustellen, sondern gehen vielmehr übereinstimmend davon aus, dass dieser Ort für Dritte erkennbar ist. Für das genaue Verständnis der entscheidenden Passagen ist es sinnvoll, sich den jeweiligen Text noch einmal vor Augen zu führen: Nach dem Erwägungsgrund (13) ist der Interessenmittelpunkt der Ort, „an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner 76 Schlussanträge GA Jacobs, Schlussanträge vom 27.9.2005, ZIP 2005, 1878 (1883), Nr. 108 – Eurofood.

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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Interessen nachgeht und [der] damit für Dritte feststellbar ist“. Nach dem Erläuternden Bericht liegt er dort, wo „der Schuldner üblicherweise – und damit für Dritte erkennbar – der Verwaltung seiner Interessen nachgeht“. Den Grund für das Erfordernis der Erkennbarkeit nennt der Erläuternde Bericht: Weil die Insolvenz ein konkretes Risiko ist, müssen die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Insolvenzrecht an einen Ort geknüpft werden, den die potentiellen Gläubiger des betreffenden Schuldners kennen, damit sie die rechtlichen Risiken im Insolvenzfall kalkulieren können.77 Dieser Vertrauensschutz leuchtet einerseits ein. Dass er andererseits wegen der Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes und der automatischen Anerkennung der Eröffnungsentscheidung kaum gewährleistet wird, wurde bereits ausführlich erörtert.78 Diese im Zusammenhang mit dem Bedürfnis für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand geäußerte Kritik, wonach der Interessenmittelpunkt und die Konzeption der EuInsVO wenig geeignet sind, den Schutz des Vertrauens zu gewährleisten, ändert jedoch nichts daran, dass es sich bei der Erkennbarkeit des Insolvenzforums um ein Kernelement des Interessenmittelpunktes handelt,79 das zu analysieren ist, weil aus ihm etwas für oder wider einen Konzerninsolvenzgerichtsstand folgen könnte. Ob sich das Erfordernis der Erkennbarkeit der Umstände, die den Interessenmittelpunkt nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO ausmachen, darüber hinaus auch aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO herleiten lässt, nach dem bis zum Beweis des Gegenteils der Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft an ihrem satzungsmäßigen Sitz liegt, kann an dieser Stelle offenbleiben. Dafür spricht zwar, dass der satzungsmäßige Sitz einer Gesellschaft über das Handelsregister leicht zu erkennen ist80 und es folgerichtig erscheint, dass die Vermutung aus Satz 2 nur durch ebenfalls erkennbare Umstände widerlegt werden kann.81 Diese Argumentation setzt jedoch bereits ein bestimm77

Virgós/Schmit, Nr. 75. Kaum weiter hilft es, dass es sich bei dem Interessenmittelpunkt nach Virgós, Insider’s View, Nr. 25, um den Ort handeln soll, an dem Personen, die mit dem Schuldner in rechtsgeschäftlichen Kontakt treten, nach „Kreditinformationen“ suchen würden. Kritisch zum Reflexionsniveau des Erläuternden Berichts: Oberhammer, KTS 2009, 27 (35). 78 Vgl. oben § 3 B IV 1 a) sowie § 3 B IV 2. 79 Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (553); Attinger, S. 37; Bachner, ECFR 2006, 310 (314); a.A. Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 280 (284), die in dem Erfordernis der Erkennbarkeit lediglich ein „Korrektiv“ erblicken. 80 Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177 (179); Mankowski, NZI 2004, 450 (451); Adam, S. 122; Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (551); Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (207); Deyda, S. 56; zweifelnd aber: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 23; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (544); kritisch auch: Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (288). 81 Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (551); ihm zustimmend: Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (207), sowie Keggenhoff, S. 145, und Schilling, S. 64.

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

tes Verständnis der Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO voraus. Ob es sich bei ihr aber überhaupt um eine Vermutung handelt und ob die leichte Feststellbarkeit des satzungsmäßigen Sitzes der Grund für die Existenz des Satzes 2 ist, wird noch zu prüfen sein.82 Erkennbar soll der Interessenmittelpunkt nach einer Auffassung deshalb sein müssen, weil sich an ihm der überwiegende Teil des Vermögens des Schuldners befinden dürfte.83 Letzteres mag im Regelfall zutreffen und führt zu der grundsätzlich wünschenswerten Anwendbarkeit der Rechtsordnung, in deren Geltungsgebiet sich der überwiegende Teil der Insolvenzmasse befindet. Dies darf aber nicht dazu führen, das Vermögen des Schuldners unbewusst oder indirekt als Anknüpfungspunkt heranzuziehen.84 Der Ort, an dem sich das Vermögen des Schuldners befindet, muss für die Anknüpfung irrelevant sein, weil das unerwünschte forum shopping andernfalls besonders leicht durchzuführen wäre. Ihn durch die Hintertür als Kriterium einzuführen, widerspräche – obwohl der Interessenmittelpunkt durchaus auch (!) auf der vorgenannten tatsächlichen Vermutung beruht – dem Verordnungstext, dem Willen des Gesetzgebers und auch dem Sinn und Zweck der Regelung, der in den Erwägungsgründen zum Ausdruck kommt.85 Die Identität des Interessenmittelpunktes mit dem Ort des Vermögens ist lediglich ein Reflex, der zwar wünschenswert, aber weder zwingend ist noch von der Verordnung vorausgesetzt wird. Der Grund für das Erfordernis der Erkennbarkeit ist vielmehr ausschließlich die Vertrauensinvestition des Gläubigers, der das in der Insolvenz anwendbare Recht vorhersehen können soll. bb) Das Erfordernis der Erkennbarkeit als Argument für die Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit Besonders relevant für die Analyse des Konzerninsolvenzgerichtsstandes ist das Erfordernis der Erkennbarkeit, weil es zu der Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit führen könnte. Kommt der Erkennbarkeit des Interessenmittelpunktes das entscheidende Gewicht zu, ohne dass es zugleich oder zumindest in gleichem Maße auf den Ort ankommt, von dem aus die Gesellschaft verwaltet wird, könnte der Interessenmittelpunkt an dem 82

Vgl. unten § 4 B III. Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 12; MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 14. 84 Vgl. § 4 B I 2 c). Wohl a.A. EuGH ZIP 2011, 2153 (2157), Nr. 52 – Interedil; GA Kokott, Schlussanträge vom 10.3.2011, ZIP 2011, 918 (923 f.), Nr. 69 f. – Interedil. 85 Die Erwägungsgründe werden überwiegend nicht für die historische, sondern für die teleologische Auslegung herangezogen; Kropholler, in: Aufbruch nach Europa, S. 583 (592); Hess, IPRax 2006, 348 (357); MünchKommBGB/Kindler, Vor Art. 1 EuInsVO Rn. 13; a.A. Smid, Dt. und Eur. Int. InsR, Vor Art. 1 EuInsVO Rn. 14. 83

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Schwerpunkt der werbenden Tätigkeit zu verorten sein. Dafür spricht erstens, dass der Auftritt einer Gesellschaft am Markt in der Regel leicht erkennbar ist. Wo sie für ihre Produkte wirbt, Verträge schließt und Kunden hat, ist für den Rechtsverkehr feststellbar, weil dieses Verhalten stets nach außen gerichtet ist. Zweitens dient das Insolvenzverfahren auch dazu, den Markt von insolventen Gesellschaften zu reinigen, der aber nur dort geschützt werden muss, wo die Gesellschaft auf ihm auftritt.86 Darüber hinaus sei drittens mit der Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit besonders gut das unerwünschte forum shopping zu verhindern, weil sich die zahlreichen rechtsgeschäftlichen Verbindungen, die eine Gesellschaft begründet hat, nicht ohne weiteres in einen anderen Staat verlegen lassen.87 cc) Offene Fragen Scheinen sich die Ziele, die mit der Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt verfolgt werden, mithin besonders gut mit der Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit verfolgen zu lassen, so werfen der teilweise voneinander abweichende und größtenteils identische Wortlaut des Erwägungsgrundes (13) und des Erläuternden Berichts für die Auslegung des Interessenmittelpunktes und damit auch des Konzerninsolvenzgerichtsstandes doch einige Fragen auf. So ist zu klären, welche Anforderungen an die Dritten im Zusammenhang mit der Erkennbarkeit des Interessenmittelpunktes zu stellen sind (dazu b), welcher Maßstab für die Erkennbarkeit des Interessenmittelpunktes gilt (dazu c) und welchen Zeitpunkt das Insolvenzgericht für die Beurteilung seiner internationalen Zuständigkeit zugrunde zu legen hat (dazu d). Zu prüfen ist weiter, für wen das Insolvenzforum erkennbar sein muss (dazu e) und in welchem Verhältnis das Erfordernis der Erkennbarkeit zu der Anknüpfung an den Verwaltungsort steht (dazu f). b) Die Anforderungen an die Dritten Betrachtet man den teilweise voneinander abweichenden Wortlaut des Erwägungsgrundes (13) und der Nr. 75 des Erläuternden Berichts, so stellt sich die Frage, ob „feststellbar“ und „erkennbar“ dasselbe bedeuten oder nicht. Aufgeworfen und in dem zweiten Sinne beantwortet wurde sie von Keggenhoff, der darauf hinweist, dass Feststellbarkeit dem Dritten mehr abverlangt als bloße Erkennbarkeit.88 Das ist insofern richtig, als dem Begriff der Erkennbarkeit etwas aus sich heraus Offensichtliches anhaftet, während der Begriff der Feststellbarkeit eine gewisse Aktivität desjenigen 86

MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 721. Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (207); Schwemmer, NZI 2009, 355 (356). 88 Keggenhoff, S. 171. 87

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

zu erfordern scheint, der sich über einen Umstand informieren will. Die Brisanz dieser sprachlichen Unterscheidung liegt darin, dass Erkennbarkeit mit Vorsehbarkeit gleichgesetzt werden kann, also eine ex ante-Sicht meint. Feststellbar sind Umstände dagegen – nicht nur, aber auch – nachträglich, also aus einer ex post-Sicht. Aus dieser sprachlichen Abweichung zwischen den Erwägungsgründen und dem Erläuternden Bericht etwas zu folgern, erscheint jedoch schon deshalb verfehlt, weil sie in der englischen Fassung keine Entsprechung findet. Dort wird an beiden Stellen das Wort „ascertainable“ verwendet, das sich z.B. mit den Wörtern „bestimmbar“, „ermittelbar“ oder auch „feststellbar“ übersetzen lässt. Aus dem voneinander abweichenden Wortlaut der deutschen Fassungen der Erwägungsgründe und des Erläuternden Berichts lässt sich mithin nicht schließen, dass dem Dritten ein Maß an Nachforschungen abverlangt werden kann, das über die bloße Erkennbarkeit hinausgeht.89 Mit dem Zweck des Erwägungsgrundes (13), den Gläubiger in seiner zu einem bestimmten Zeitpunkt getätigten Vertrauensinvestition zu schützen, wäre es insbesondere nicht vereinbar, aus der Formulierung „feststellbar“ in dem Erwägungsgrund (13) zu schließen, dass es genügt, wenn der Gläubiger den Interessenmittelpunkt nach dem Vertragsschluss feststellen konnte. Die Begriffe „feststellbar“ und „erkennbar“ können daher synonym verwendet werden,90 wobei zu betonen ist, dass es nach dem Sinn und Zweck des Erfordernisses der Erkennbarkeit auf den Zeitpunkt der Vertrauensinvestition und mithin auf eine ex ante-Sicht ankommt. c) Der Maßstab der Erkennbarkeit Zu untersuchen ist weiter, welcher Maßstab für das Kriterium der Erkennbarkeit gilt. Zu klären ist erstens, auf wessen Sicht es für die Erkennbarkeit ankommt, und zweitens, unter welchen Voraussetzungen ein Umstand als erkennbar gilt. Beides ist strikt von der noch nicht abschließend beantworteten Frage zu trennen, welche Umstände den Interessenmittelpunkt überhaupt ausmachen und erkennbar sein müssen.91

89

So aber Keggenhoff, S. 171, der dies jedoch zugleich wieder einschränkt. Die hier vertretene Ansicht bedeutet nicht, dass dem Schuldner keine Nachforschungen zumutbar wären; doch lässt sich die Zumutbarkeit solcher Nachforschungen nicht aus dem unterschiedlichen Wortlaut des Erwägungsgrundes (13) und des Erläuternden Berichts herleiten; vgl. zum Maßstab der Erkennbarkeit näher sogleich unter § 4 B II 2 c). 90 So auch Attinger, S. 45 f.; Herchen, ZInsO 2004, 825 (826). 91 Dies verkennt Huber, in: FS Heldrich, S. 678 (690).

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aa) Konkret-subjektive oder abstrakt-objektive Erkennbarkeit? (1) Der unterschiedliche Erkenntnishorizont der Dritten Einfach wäre die Prüfung der Erkennbarkeit für das Insolvenzgericht, wenn es auf den Erkenntnishorizont des Gläubigers abstellen könnte, der die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Dieser will sein Vertrauen in die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestätigt sehen und kann zeitnah die Umstände mitteilen, die seiner Auffassung nach die Zuständigkeit des von ihm angerufenen Gerichts begründen. Einzubeziehen in die Prüfung der internationalen Zuständigkeit hätte das Gericht die jeweiligen, für den Interessenmittelpunkt maßgeblichen Umstände nur, soweit sie für den Gläubiger erkennbar waren, der den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt. Ungeeignet ist dieser Maßstab der konkreten oder subjektiven Erkennbarkeit jedoch zumindest dann, wenn der Schuldner einen Eigenantrag stellt und mithin kein konkreter Gläubiger vorhanden ist, dessen Sicht herangezogen werden könnte. Aber auch bei einem Gläubigerantrag wäre eine konkret-subjektive Sichtweise problematisch: Auf die Sicht des Gläubigers mit dem weitesten Erkenntnishorizont abzustellen, weil dieser am ehesten den Interessenmittelpunkt dort verorten würde, wo er bei allwissender Betrachtung liegt, wäre nicht hinnehmbar, weil nicht alle Gläubiger diesen weiten Erkenntnishorizont haben, aber grundsätzlich gleichermaßen schutzwürdig in ihrem Vertrauen auf die Zuständigkeit des Insolvenzforums sind. Ebenso wenig kann die Sicht des Gläubigers mit dem engsten Erkenntnishorizont maßgeblich sein, weil andere Gläubiger, die auf einer viel breiteren Erkenntnisgrundlage von einem anderen Interessenmittelpunkt ausgegangen waren, durch die limitierende Wirkung des Erkenntnishorizonts dieses Gläubigers in ihrem Vertrauen enttäuscht würden. Auf den Erkenntnishorizont aller Gläubiger abzustellen, ist schon aus praktischen Gründen nicht möglich.92 Stellt man für die Erkennbarkeit der Umstände, die den Interessenmittelpunkt auszeichnen, aber auf einen einzelnen Gläubiger ab, gelangt man stets zu unbilligen Ergebnissen, zumal der Interessenmittelpunkt wandelbar ist, der Zeitpunkt der Vertrauensinvestition dagegen nicht. So können Gläubiger zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit dem Schuldner kontrahiert haben, jeweils zu Recht von einem bestimmten Insolvenzforum ausgegangen sein und sämtlich in ihrem Vertrauen enttäuscht werden, wenn der Interessenmittelpunkt des Schuldners später wiederum woanders liegt. Auf die subjektive Sicht eines oder mehrerer Gläubiger kann es daher nicht ankommen. 92

Keggenhoff, S. 153; Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (557). Ungelöst bliebe auch, wie das Insolvenzgericht damit umzugehen hätte, dass die Dritten voneinander abweichende Kenntnisse und Erkenntnismöglichkeiten haben.

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

(2) Die potentielle Vertrauensinvestition Der Gesamtverfahrenscharakter des Insolvenzverfahrens zwingt vielmehr dazu, die Erkennbarkeit des Interessenmittelpunktes abstrakt-objektiv zu beurteilen.93 Dafür sprechen neben den Argumenten, die soeben gegen eine konkret-subjektive Erkennbarkeit vorgebracht wurden, auch die Materialien zur Europäischen Insolvenzverordnung, die den Plural verwenden, wenn sie von den Dritten oder den Gläubigern sprechen, und damit zu erkennen geben, dass es nicht auf den Erkenntnishorizont einer einzelnen Person ankommt.94 Der Erläuternde Bericht zum EuInsÜ spricht darüber hinaus von den „potentiellen“ Gläubigern. Seine Formulierung, nach der der Interessenmittelpunkt erkennbar sein müsse, damit die potentiellen Gläubiger die rechtlichen Risiken im Insolvenzfall berechnen können,95 ist zwar insofern ungenau, als es nicht auf die Risiken im, sondern für den Insolvenzfall ankommt. Bei Vertragsschluss ist ja keineswegs sicher, dass der Schuldner insolvent wird. Und nach der Verfahrenseröffnung hat es für die Gläubiger wenig Sinn, ihr rechtliches Risiko zu berechnen, da sie sich ihren Schuldner bereits ausgesucht haben und die Anwendbarkeit eines etwaig ungewünschten Insolvenzrechts hinnehmen müssen. Auf die potentiellen Gläubiger abzustellen, wirkt darüber hinaus insofern irreführend, als nur diejenigen Personen geschützt werden müssen, die tatsächlich Gläubiger geworden sind. Das Wort „potentiell“ hat gleichwohl seine Berechtigung, weil es klarstellt, dass nicht die Sicht eines bestimmten Gläubigers, sondern diejenige eines Dritten maßgeblich ist, der sich entscheiden muss, ob er mit dem Schuldner kontrahieren und die mit dessen Insolvenz verbundenen Risiken eingehen will. Kommt es mithin aber auf die Sicht eines fiktiven Dritten an, so muss der Prüfungsmaßstab abstrakt-objektiv sein, weil eine fiktive Person keinen konkreten Erkenntnishorizont hat. bb) Der Maßstab für die abstrakt-objektive Erkennbarkeit Aus der Maßgeblichkeit der abstrakt-objektiven Erkennbarkeit folgt, dass ein Gläubiger, der den Interessenmittelpunkt seines Schuldners beurteilen möchte, seine Kenntnisse über die hierfür relevanten Umstände ausblenden muss, soweit sie über das hinausgehen, was abstrakt-objektiv erkennbar war. Doch ist fraglich, unter welchen Voraussetzungen die Umstände, die den Interessenmittelpunkt auszeichnen, als abstrakt-objektiv erkennbar zu erachten sind. Nach einer teilweise vertretenen Auffassung ist der Interes93 EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 33 – Eurofood; Heneweer, S. 118 f.; Keggenhoff, S. 154; Probst, S. 192; Schilling, S. 64; Vallender, KTS 2005, 283 (293 und 295). 94 Erwägungsgrund (13); Virgós/Schmit, Nr. 75. 95 Virgós/Schmit, Nr. 75.

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senmittelpunkt abstrakt erkennbar, wenn alle Gläubiger ihn anhand der Tatsachen lokalisieren können, die dem Gericht im Rahmen der Verfahrenseröffnung mitgeteilt werden.96 Doch kann es nicht richtig sein, nur die dem Gericht bei Verfahrenseröffnung mitgeteilten Tatsachen heranzuziehen, weil sie erstens stets von der subjektiven Sicht des Antragstellers geprägt sind, der regelmäßig nur das vorträgt, was das Gericht am ehesten dazu bewegen dürfte, seine internationale Zuständigkeit genauso zu beurteilen wie er selbst, und weil es zweitens mit dem Amtsermittlungsgrundsatz, der in dem deutschen Recht in § 5 Abs. 1 InsO verankert ist und sich darüber hinaus auch aus der Verordnung herleiten lässt,97 nicht vereinbar wäre, den Interessenmittelpunkt allein aufgrund ausdrücklich mitgeteilter Tatsachen zu beurteilen. Wie schwierig der abstrakt-objektive Maßstab zu präzisieren ist, zeigt sich an zwei extremen Positionen. Einerseits muss abstrakte Erkennbarkeit weniger sein als Allwissenheit, weil es den Gläubigern unmöglich und unzumutbar wäre, sämtliche für den Interessenmittelpunkt relevanten Umstände über ihren Schuldner in Erfahrung zu bringen. Die Transaktionskosten würden erheblich steigen und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigen, während der Schutz, den die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt gewähren soll, zur Farce würde. Der Maßstab der objektiven Erkennbarkeit darf andererseits auch nicht so niedrig angesetzt werden, dass ein Gläubiger sich einer Einsicht verschließen kann, die sich ihm geradezu aufdrängt. In seinem Vertrauen auf die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung ist er dann nicht mehr schutzwürdig. Der Maßstab der abstrakten Erkennbarkeit des Interessenmittelpunktes verdichtet sich somit zu der Frage, inwieweit es den Gläubigern zugemutet werden kann, sich über den Interessenmittelpunkt zu informieren. Dieses Maß einer Nachforschungs- oder Erkundigungspflicht des Gläubigers lässt sich nur schwer präzisieren. Ausschlaggebend sollte sein, welche Umstände bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennbar sind.98 d) Der Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit Fraglich ist weiter, welchen Zeitpunkt das Insolvenzgericht für die Beurteilung seiner internationalen Zuständigkeit zugrunde zu legen hat. Zu klären ist mit anderen Worten, zu welchem Zeitpunkt die Umstände, die den 96

Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (557); Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505 (507); Adam, S. 124. 97 Herchen, ZInsO 2004, 61 (63); vgl. auch § 4 B III 3. 98 Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (555); ähnlich, aber wohl zu eng, High Court of Justice London ZIP 2007, 1776 (1778 – Nr. 70): „What is ascertainable by third parties is what is in the public domain, and what they would learn in the ordinary course of business with the company.“

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

Interessenmittelpunkt ausmachen, erkennbar sein müssen. Der EuGH hat entschieden, dass ein Gericht, das international zuständig war, als der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde, unter dem Regime der Europäischen Insolvenzverordnung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch dann international zuständig bleibt, wenn der Schuldner seinen Interessenmittelpunkt zwischen der Antragstellung und der Eröffnung des Verfahrens in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates verlegt.99 Andernfalls drohte ein forum shopping des Schuldners und wäre das Ziel der Verordnung gefährdet, für effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu sorgen.100 Hat der Schuldner dagegen bereits vor Antragstellung sämtliche Tätigkeiten (einschließlich etwaiger Abwicklungs- oder sonstiger Verwaltungstätigkeiten) eingestellt, so kommt es für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit richtigerweise auf diesen Zeitpunkt an.101 Dass grundsätzlich der Zeitpunkt der Antragstellung und gegebenenfalls der vorgehende Zeitpunkt der Einstellung jeglicher Tätigkeit maßgeblich ist, entspricht auch der ganz herrschenden Meinung und soll hier nicht in Frage gestellt werden.102 Für diese Ansicht spricht unter anderem auch, dass der Erläuternde Bericht zum EuInsÜ auf die „potentiellen“ Gläubiger abstellt. Es kommt daher insbesondere nicht darauf an, ob zu dem Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich ein Dritter erwägt, Gläubiger des Schuldners zu werden.103 Das Insolvenzgericht, das seine internationale Zuständigkeit prüft, hat dies vielmehr zu unterstellen. Dem Argument, dass die Maßgeblichkeit der werbenden Tätigkeit für den Interessenmittelpunkt 99

EuGH NZI 2006, 153 (153 f.), Nr. 24, 29 – Susanne Staubitz-Schreiber. Das Gericht eines Mitgliedstaates, in dessen Gebiet der Interessenmittelpunkt liegt und in dem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde, bleibt daher auch für weitere Eröffnungsanträge zuständig, die vor rechtskräftiger Erledigung des ersten Antrages bei ihm eingehen; BGH NZI 2006, 364; kritisch: HamburgerKommInsO/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rn. 31; Kemper, in: Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rn. 15. 100 EuGH NZI 2006, 153 (153), Nr. 25 f. – Susanne Staubitz-Schreiber. 101 EuGH ZIP 2011, 2153 (2157), Nr. 58 – Interedil; BGH NZG 2012, 153 (154 f.). 102 AG Celle NZI 2005, 410; AG Hamburg NZI 2006, 120 (121); Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 16 m.w.N.; Huber, in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, S. 3 (34); Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 131 (139); Mankowski, NZI 2005, 368 (369); MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 33; Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 84; Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 15; Virgós/Garcimartín, Nr. 68; Weller, ZIP 2009, 2029 (2031); Wiedemann, ZInsO 2007, 1009 (1016); a.A. Court of Appeal (Civil Division) NZI 2005, 571 (Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung); anders wohl auch Weller, IPRax 2004, 412 (416), der auf die Insolvenzreife abstellt. 103 So wohl auch Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 131 (137). A.A. Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 22a, der auf die bestehenden Gläubiger abstellt. Das verkennt, dass sie ihr Vertrauen bereits zu einem früheren Zeitpunkt investiert haben und dass sich die für die internationale Zuständigkeit maßgeblichen Umstände seitdem geändert haben können.

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besonders geeignet sei, das unerwünschte forum shopping zu verhindern,104 ist damit aber weitgehend die Grundlage entzogen. Da es nur darauf ankommt, wo sich der Interessenmittelpunkt des Schuldners im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. bei Einstellung jeglicher Tätigkeit befindet, können rechtsgeschäftliche Verbindungen, die in der Vergangenheit begründet wurden, einer Verlegung des Interessenmittelpunktes nicht entgegenstehen. Sie stellen lediglich ein Indiz dar, das gegen eine Verlegung des Interessenmittelpunktes spricht. e) Die geschützten Dritten Wenig erörtert wird die Frage, wer die Dritten im Sinne des Erwägungsgrundes (13) sind, für die der Ort erkennbar sein muss, an dem die Gesellschaft gewöhnlich der Verwaltung ihrer Interessen nachgeht. Geschützt werden sollen nach dem Erläuternden Bericht die „potentiellen Gläubiger“, für die der Gerichtsstand – und damit verbunden das anwendbare Insolvenzrecht – erkennbar sein soll, damit sie die „rechtlichen Risiken im Insolvenzfall“ berechnen können.105 Gemeint sein können mit den Gläubigern nur Personen, die im Vorhinein das Risiko abwägen, sich unter bestimmten Voraussetzungen auf einen Schuldner einzulassen. Nur sie sind schutzwürdig, weil sie Vertrauen in ihren Schuldner investieren. Dritte im Sinne des Erwägungsgrundes (13) sind daher nur Personen, deren Gläubigerstellung auf einem Rechtsgeschäft beruht.106 Erkennbar sein müssen die Umstände, die den Interessenmittelpunkt ausmachen, mithin für die Vertragspartner der Gesellschaft, zu denen nicht nur ihre Kreditgeber, Lieferanten und die Abnehmer ihres Produkts oder ihrer Dienstleistung, sondern auch ihre Arbeitnehmer gehören, weil sie alle Vertrauen in ihren Schuldner investieren.107 Abzulehnen ist dagegen der Vorschlag Carstens’, den Begriff des Dritten über den Wortlaut des Erwägungsgrundes (13) und die Formulierung des Erläutenden Berichts hinaus auch auf den Schuldner selbst auszudeh104

Vgl. § 4 B II 2 a) bb) a.E. Virgós/Schmit, Nr. 75. 106 Dieses Rechtsgeschäft wird der Dritte in der Regel, muss er aber nicht zwingend mit dem Schuldner geschlossen haben, um dessen Interessenmittelpunkt es geht. Besteht, wie z.B. bei einem Forderungserwerb durch Zession, kein direkter Kontakt zwischen dem Schuldner und dem neuen Gläubiger, so genügt es, dass die Schuldnerstellung des späteren Insolvenzschuldners auf einem Rechtsgeschäft des Gläubigers bzw. Zessionars mit dem Zedenten beruht. 107 Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 22b; Herchen, ZInsO 2004, 825 (827), ist darin zuzustimmen, dass auch Behörden und Berufsverbände als schutzwürdige Dritte in Betracht kommen; ebenso Klöhn, KTS 2006, 259 (276). Doch kann dies nur gelten, soweit auch sie Vertrauen investieren. Zu eng dagegen Deyda, S. 116–119, der den Kreis der Dritten davon abhängig macht, welchen Unternehmensgegenstand die Gesellschaft hat. 105

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nen, weil das eigene Insolvenzforum auch für ihn wichtig sei.108 Zwar ist auch der Schuldner selbst daran interessiert, seinen eigenen Interessenmittelpunkt zu kennen.109 Doch sind die Tatsachen, die den Interessenmittelpunkt ausmachen, dem Schuldner bestens bekannt. Seine Zweifel über das eigene Insolvenzforum beruhen nicht auf einem Informationsdefizit, also der Unkenntnis tatsächlicher Umstände, sondern allenfalls auf der Rechtsunsicherheit über die Auslegung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Darüber hinaus fällt der Schuldner auch nicht in den Schutzbereich des Erwägungsgrundes (13), weil er kein Vertrauen in sich selbst investiert. Auf dieses Erfordernis zu verzichten und schlicht auf die Erkennbarkeit des Insolvenzforums um ihrer selbst willen abzustellen, würde den Zweck der Anknüpfung überdehnen. Erkennbar soll der Insolvenzgerichtsstand nur deshalb sein, weil sich das anwendbare Insolvenzrecht nach ihm richtet und das Vertrauen in die Anwendbarkeit des Insolvenzstatuts geschützt werden soll. Fraglich ist weiter, ob für die Erkennbarkeit des Interessenmittelpunktes zwischen den gesellschaftsinternen und den gesellschaftsexternen Gläubigern zu unterscheiden und nur auf letztere abzustellen ist.110 Diese Unterscheidung wäre dann gerechtfertigt, wenn andernfalls zu befürchten stünde, dass den gesellschaftsinternen Gläubigern gegenüber den gesellschaftsexternen Gläubigern ein Vorteil entstünde. Dieser Vorteil könnte darauf beruhen, dass die gesellschaftsinternen Gläubiger in der Regel einen besseren Zugang zu den Informationen über die Umstände haben, die den Interessenmittelpunkt der Gesellschaft begründen. Einen Vorteil könnten sie hieraus allerdings nur dann ziehen, wenn das Insolvenzgericht diesen Informationsvorsprung bei der Beurteilung seiner internationalen Zuständigkeit berücksichtigen dürfte. Dass dem nicht so ist, weil das Insolvenzgericht bei der Prüfung seiner internationalen Zuständigkeit auf die abstrakt-objektive Sicht eines fiktiven Dritten im Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen hat, wurde jedoch bereits dargelegt. Ein Grund, für die Erkennbarkeit des Interessenmittelpunktes zwischen den gesellschaftsinternen und den gesellschaftsexternen Gläubigern zu unterscheiden, besteht daher nicht. 108

Carstens, S. 50; ihm folgend Adam, S. 48; ebenso Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (899). 109 Relevant ist dies vor allem für die Frage, ob und wo das Leitungsorgan einer Gesellschaft einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen muss, sofern man die Insolvenzantragspflicht insolvenzrechtlich qualifiziert und sie als von dem Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO erfasst ansieht; vgl. zu der Problematik Leithaus/Riewe, NZI 2008, 598. Nach dem AG Köln NZI 2005, 564, kann die Antragspflicht auch in einem anderen Mitgliedstaat erfüllt werden; ebenso MünchKommBGB/ Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 4. 110 Arrondissementsgericht Amsterdam ZIP 2007, 492 (494); Rotstegge, ZIP 2008, 955 (961); ablehnend: Paulus, EWiR 2007, 143 (144).

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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Für beide gilt vielmehr derselbe Maßstab der abstrakt-objektiven Erkennbarkeit. f) Das Bezugsobjekt der Erkennbarkeit aa) Das Verhältnis des Verwaltungsortes zu der Erkennbarkeit des Insolvenzforums Fraglich bleibt, welche Umstände die internationale Zuständigkeit ausmachen. Der Erwägungsgrund (13) und die entsprechende Passage des Erläuternden Berichts knüpfen sie zwar an den Ort an, an dem der Schuldner seine Interessen verwaltet, führen jedoch weiter aus, dass der Interessenmittelpunkt „damit“ erkennbar sei, und werfen so die Frage nach dem Verhältnis von Verwaltungsort und Erkennbarkeit auf. Für den Konzerninsolvenzgerichtsstand ist diese Verknüpfung aus dem folgenden Grund bedeutsam: Plädiert man für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand und versteht man unter der Verwaltung den Ort, an dem die großen Richtlinien-Entscheidungen der Unternehmensleitung getroffen werden, wird man sich mit Recht darauf berufen, dass jedenfalls die verbundenen Gesellschaften eines zentralistisch organisierten Konzerns alle von demselben Ort aus verwaltet werden. Die Befürworter einer Identität des effektiven Verwaltungssitzes mit dem Interessenmittelpunkt werden demgegenüber einwenden, dass dieser Ort in der Regel nicht erkennbar sei, der effektive Verwaltungssitz hingegen schon.111 Die Verknüpfung des Verwaltungsortes mit der Erkennbarkeit des Insolvenzgerichtsstandes ist darüber hinaus das Einfallstor für die Befürworter der werbenden Tätigkeit, die in der Regel leicht erkennbar ist. Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, wie bedeutend die Erkennbarkeit des Insolvenzforums im Verhältnis zu der Anknüpfung an den Verwaltungsort ist und welche Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Für einen Vorrang des Verwaltungsortes könnte sprechen, dass er in den entsprechenden Passagen jeweils zuerst genannt wird und die Erkennbarkeit des Interessenmittelpunktes durch das Wort „damit“ eher wie ein Anhängsel wirkt. Vorwerfen könnte man dem Verordnungsgeber daher, dass er ausdrücklich und ausschließlich auf die Erkennbarkeit des Insolvenzforums hätte abstellen können und müssen, wenn sie ihm wichtiger als die Anknüpfung an den Verwaltungsort gewesen wäre. Doch würde diese Argumentation verkennen, dass es sich bei der Erkennbarkeit des Insolvenzgerichtsstandes um das zentrale Element der Anknüpfung handelt, das die Gläubiger in ihrer Vertrauensinvestition schützen soll. Das Wort „damit“

111 Davon, dass der effektive Verwaltungssitz „generell erkennbar“ ist, geht z.B. Deyda, S. 121, aus.

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betont dies eher noch einmal.112 Warum die Verordnung gleichwohl den Verwaltungsort für maßgeblich erklärt, zeigt sich, wenn man die internationale Zuständigkeit ohne ihn zu bestimmen versucht. Die Erkennbarkeit des Insolvenzforums ist für sich gesehen kein handhabbares Kriterium; sie braucht ein Bezugsobjekt. Der Interessenmittelpunkt selbst kann diese Funktion nicht erfüllen, weil er das Ergebnis der Zuständigkeitsprüfung ist und nicht zugleich ihr Ausgangspunkt sein kann. bb) Der Verwaltungsort als Bezugsobjekt Als erkennbares Bezugsobjekt geeignet sind grundsätzlich zahlreiche Umstände wie z.B. der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft – an den freilich in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO angeknüpft wird und der damit für Satz 1 nicht in Betracht kommt – oder etwa der Rechtsformzusatz, mit dem die Gesellschaft im Rechtsverkehr auftritt. Ebenfalls denkbar erscheint es, auf die werbende Tätigkeit der Gesellschaft abzustellen. Doch verkennen die zahlreichen Anhänger dieses Ansatzes, dass sich der Verordnungsgeber ausdrücklich für den Verwaltungsort als den Umstand entschieden hat, der erkennbar sein soll. Mit dem Wortlaut des Erwägungsgrundes (13) und des Erläuternden Berichts und dem klar in ihnen zum Ausdruck gekommenen Willen des Verordnungsgebers ist die Anknüpfung an die werbende Tätigkeit nicht vereinbar. Die Erwägungsgründe und erst recht der Erläuternde Bericht zum EuInsÜ gehören zwar nicht zu dem Wortlaut der Verordnung. Insofern ließe sich argumentieren, dass der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO bei einer Anknüpfung an die werbende Tätigkeit der Gesellschaft durchaus eingehalten und die Grenze der Auslegung nicht überschritten werde. Eine derart formalistische Argumentation würde indes die allgemein anerkannte Bedeutung des Erläuternden Berichts für die Auslegung der Verordnung zu gering schätzen. Sie würde darüber hinaus nicht den Erwägungsgründen gerecht, die – anders als andere Gesetzesmateralien wie etwa die Berichte verschiedener Ausschüsse – nicht teilweise mühsam recherchiert werden müssen, sondern vielmehr dem Verordnungstext beigefügt, ja ihm sogar vorangestellt werden,113 weil der Verordnungsgeber in ihnen alles erläutert, was ihm für das Verständnis der Verordnung wichtig erscheint. Diese Gesetzestechnik mag man kritisieren,114 weil etwas, das wichtig erscheint, besser Teil des Verordnungstextes werden sollte. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Verordnungsgeber den Interessenmittelpunkt als einen wie 112

Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (207 mit Fn. 26). Das beruht auf Art. 253 EG (nunmehr Art. 296 AEUV); die Voranstellung hervorhebend: Vallender, KTS 2005, 283 (288); vgl. auch Attinger, S. 43 f.; Schmiedeknecht, S. 101; Vogler, S. 82 mit Fn. 199. 114 Oberhammer, KTS 2009, 27 (28). 113

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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auch immer näher zu definierenden Verwaltungsort verstanden wissen wollte. Warum der Erwägungsgrund (13) entgegen einem Entwurf der Verordnung nicht in einem Art. 2 lit. i) in den Katalog der Legaldefinitionen aufgenommen und nicht mit Gesetzeskraft ausgestattet wurde, ist nicht nachvollziehbar und stellt keinen hinreichenden Grund dar, die Eröffnungszuständigkeit an die werbende Tätigkeit des Schuldners anzuknüpfen. Dafür wäre vielmehr ein Akt des Verordnungsgebers erforderlich, mit dem er seinen früheren Willen ausdrücklich revidiert. Ob dies sinnvoll wäre, braucht hier nicht untersucht zu werden, weil die Anknüpfung an die werbende Tätigkeit einer einheitlichen Eröffnungszuständigkeit regelmäßig entgegenstünde und diese Arbeit sich darauf beschränkt, den Konzerninsolvenzgerichtsstand im Rahmen der geltenden, nicht aber einer etwaigen zukünftigen Rechtslage zu eruieren. g) Zusammenfassung Die Anknüpfung der internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Interessenmittelpunkt des Schuldners dient dem Schutz seiner rechtsgeschäftlichen Gläubiger. Diese sollen im Zeitpunkt ihrer Vertrauensinvestition das potentielle Insolvenzforum und somit das anwendbare Insolvenzrecht vorhersehen können. Erheblich eingeschränkt wird dieser Schutzgedanke durch die Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes und den Gesamtverfahrenscharakter der Insolvenz. Weil Gläubiger zu verschiedenen Zeitpunkten und unter unterschiedlichen Umständen mit ihrem Schuldner kontrahieren, muss das eröffnende Gericht den Interessenmittelpunkt aus einer abstrakt-objektiven Sicht im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. der Einstellung jeglicher Tätigkeit beurteilen, obwohl dies zur Folge hat, dass das Ergebnis der Zuständigkeitsprüfung den Erwartungen jedes einzelnen Gläubigers zuwiderlaufen kann. Als Bezugsobjekt für die Erkennbarkeit des Insolvenzforums hat sich der Verordnungsgeber für den Verwaltungsort des Schuldners entschieden. Auf den Schwerpunkt der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft kommt es daher nicht an. Maßgeblich ist nicht wo, sondern von wo aus der Schuldner seine wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübt.115 Ob die Annahme des Verordnungsgebers zutrifft, dass dieser Ort erkennbar ist, hängt maßgeblich davon ab, was unter dem Verwaltungsort zu verstehen ist. Die weiter offene Frage lautet mithin, ob es sich bei ihm um den effektiven Verwaltungssitz des europäischen Gesellschaftskollisionsrechts, den mind of management oder ein Drittes handelt.

115

Virgós/Garcimartín, Nr. 50 f.

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

3. Das Entscheidungskriterium „hauptsächlich“ Hilfreich für die Beantwortung der Frage, ob es sich bei dem Verwaltungsort im Sinne der Verordnung um den effektiven Verwaltungssitz oder um den mind of management handelt, könnte das Adjektiv „hauptsächlich“ in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO sein. Hierzu ist es sinnvoll, sich den nur kleinen Unterschied zwischen den beiden Ansätzen erneut zu vergegenwärtigen: Während der mind of management einer Gesellschaft dort liegt, wo die großen Richtlinien-Entscheidungen getroffen werden, befindet sich ihr effektiver Verwaltungssitz dort, wo diese Entscheidungen in die kleine Münze der täglichen Verwaltungsentscheidungen umgesetzt werden.116 Im Sinne des mind of management-Ansatzes ließe sich daher fragen, ob das Wort „hauptsächlich“ möglicherweise deshalb gewählt wurde, weil die wichtigen Leitungsentscheidungen und nicht ihre Umsetzung maßgeblich sein sollten. Dazu muss geklärt werden, welche Funktion das Adjektiv erfüllt und worauf es sich bezieht. a) Die Erforderlichkeit eines Entscheidungskriteriums Produziert eine Gesellschaft z.B. verschiedene Gegenstände in verschiedenen Ländern und unterhält sie dort Betriebsmittel, Niederlassungen und Kundenbeziehungen, so hat sie vielfältige Interessen, die nicht gleichermaßen in die Ermittlung des Interessenmittelpunktes einfließen können. Insbesondere kann man sie nicht einfach zählen und ihren Mittelpunkt dort annehmen, wo sich die meisten befinden.117 Es bedarf daher eines Kriteriums, das darüber entscheidet, welche Interessen für den Insolvenzgerichtsstand maßgeblich sind. 118 Der Verordnungsgeber hat dieses Bedürfnis erkannt und den Ort zu dem Interessenmittelpunkt erklärt, an dem der Schuldner seine „hauptsächlichen“ Interessen hat. Der Erläuternde Bericht zum EuInsÜ will dieses Adjektiv ausdrücklich verstanden wissen „als Entscheidungskriterium für den Fall, dass diese Interessen verschiedenartige

116

Näher zum effektiven Verwaltungssitz unter § 5 C. Unrichtig ist es auch, auf diejenige Gläubigergruppe abzustellen, die im Hinblick auf die Forderungshöhe am stärksten von der Insolvenz des Schuldners betroffen ist; so aber Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457); dagegen: Weller, IPRax 2004, 412 (416); Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (647 f.); Klöhn, KTS 2006, 259 (284); Schilling, S. 84; Schilling/Schmidt, ZInsO 2006, 113 (117); Wiedemann, ZInsO 2007, 1009 (1011). Den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung muss man hierfür nicht bemühen. Richtigerweise kann es auf verschiedene Gläubigergruppen schon deswegen nicht ankommen, weil nicht auf die bestehenden, sondern auf potentielle Gläubiger abzustellen ist, die in dem Zeitpunkt, der für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit maßgeblich ist, mit dem Schuldner kontrahieren wollen; vgl. oben § 4 B II 2 c). 118 Virgós/Schmit, Nr. 75; Carstens, S. 48; Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221 (224). 117

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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Tätigkeiten beinhalten, die von verschiedenen Zentren aus ausgeübt werden“.119 b) Mehrere Zentren, aber nur ein Mittelpunkt Auszuräumen ist insoweit eine sprachliche Ungereimtheit. Zumindest verwirrend ist, dass der Schuldner unter dem Regime der Verordnung zwar nur einen Interessenmittelpunkt,120 nach der zitierten Passage des Erläuternden Berichts aber mehrere Tätigkeitszentren haben kann. Die Wörter „Zentrum“ und „Mittelpunkt“ sind zwar nicht zwingend synonym zu verstehen. Doch liegt es nahe, sie mit derselben Bedeutung zu versehen, zumal in der englischen Fassung für beides das Wort „centre“ verwendet wird. Auflösen lässt sich dieser Widerspruch nur, indem man – wenn auch sprachlich zweifelhaft – von der tatsächlichen Existenz mehrerer Zentren, zugleich aber von der rechtlichen Existenz nur eines Interessenmittelpunktes im Sinne des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ausgeht.121 Dies führt zu der weiteren Frage, was mit den Zentren gemeint ist. Um verschiedene Orte innerhalb desselben Staates kann es sich bei ihnen nicht handeln, weil die örtliche Zuständigkeit von der Verordnung gerade nicht geregelt wird.122 Unter den Zentren sind daher vielmehr die verschiedenen Staaten zu verstehen, in denen der Schuldner seine Tätigkeiten verwaltet, weil nur dies dem Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entspricht, die internationale Zuständigkeit zu regeln. c) Der Gegenstand des Entscheidungskriteriums Unklar ist weiter, ob das Entscheidungskriterium nur auf die verschiedenartigen Tätigkeiten oder auch auf die verschiedenen Zentren anzuwenden ist, ob es also darum geht, bestimmte Interessen aufgrund ihrer Art oder aufgrund ihres Ortes für hauptsächlich zu erachten, wobei in Erinnerung zu rufen ist, dass mit den verschiedenen Orten nur verschiedene Staaten gemeint sein können. Doch kann das Adjektiv „hauptsächlich“ richtiger119

Virgós/Schmit, Nr. 75. Adam, S. 47; Attinger, S. 37 f.; Balz, ZIP 1996, 948 (949); Carstens, S. 48; Deyda, S. 57; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 3 EuInsVO Rn. 3; Homann, S. 90; Kemper, in: Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rn. 5; Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 131 (135); Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 16; HamburgerKommInsO/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rn. 2; Virgós/Garcimartín, Nr. 55; Vogler, S. 123; Wimmer, ZInsO 2001, 97 (99); ders., ZInsO 2005, 119 (121); a.A. Kolmann, S. 284; Herchen, ZIP 2005, 1401; MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 29; zweifelnd: Paulus, EuInsVO, Einl. Rn. 40. 121 Virgós/Garcimartín, Nr. 55; Adam, S. 47; Wessels, S. 161. 122 Erwägungsgrund (15). 120

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

weise nicht auf die verschiedenen Tätigkeitsorte anzuwenden sein, weil es sich in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO nur auf die Interessen des Schuldners bezieht, bei denen es sich nicht um Orte, sondern um seine wirtschaftlichen Tätigkeiten handelt. Es beschreibt lediglich, wie diese Tätigkeiten beschaffen sein müssen, um ausschlaggebend für den Interessenmittelpunkt zu sein. Auch kann das Entscheidungskriterium nicht sinnvoll auf den Ort der Interessen angewendet werden, weil kein Grund dafür ersichtlich ist, einen bestimmten Ort allein wegen seiner Eigenschaft als Ort für wichtiger als einen anderen zu erachten. Wo die hauptsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten für die Zwecke der Verordnung belegen sind, wo mit anderen Worten der Schuldner seinen Interessenmittelpunkt im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO „hat“, vermag das Adjektiv „hauptsächlich“ nicht zu klären, weil es sich nur auf die Arten der Interessen bezieht, nicht aber auf die Orte, an denen sie sich manifestieren. Die zitierte Passage des Erläuternden Berichts, wonach es sich bei dem Adjektiv „hauptsächlich“ um ein Entscheidungskriterium für den Fall handelt, dass die Interessen verschiedenartige Tätigkeiten beinhalten, die von verschiedenen Zentren aus ausgeübt werden, steht hierzu nicht in Widerspruch, sondern stützt das vorstehend dargestellte Verständnis des Entscheidungskriteriums sogar, weil es nur anwendbar sein kann, wenn der Schuldner Interessen in verschiedenen Staaten hat. Übt er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten von nur einem Staat aus, stellt sich von vornherein kein Abgrenzungsproblem, weil der Interessenmittelpunkt nur die internationale, nicht aber die örtliche Zuständigkeit regelt. Dass der Schuldner seine Interessen „von verschiedenen Zentren aus“123 verwaltet, ist mithin lediglich die Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Entscheidungskriteriums. Deutlicher zum Ausdruck kommt das in der englischen Originalfassung des Erläuternden Berichts,124 in der es heißt: „The expression ‚main‘ serves as a criterion for the cases where these interests include activities of different types which are run from different centres.“ Weil vor dem Relativpronomen „which” kein Komma steht, handelt es sich bei dem von ihm eingeleiteten Nebensatz um einen Defining Relative Clause, also einen definierenden Nebensatz, ohne dessen Existenz der Sinn des beschriebenen Hauptsatzes unvollständig wäre. Unvollständig wäre der Sinn des Hauptsatzes ohne den Nebensatz hier, weil in dem ohne ihn geregelten Fall die Interessen des Schuldners ausnahmslos in demselben Staat lägen, so dass es des Entscheidungskriteriums nicht bedürfte.

123 124

Virgós/Schmit, Nr. 75. Der Text ist abgedruckt bei Moss/Fletcher/Isaacs unter Appendix 2.

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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d) Die Anwendung des Entscheidungskriteriums Fraglich ist weiter, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten des Schuldners wegen ihrer Art als hauptsächlich zu erachten sind. Die Erwägungsgründe und der Erläuternde Bericht schweigen hierzu.125 Sofern die rechtswissenschaftliche Literatur die Bedeutung des Adjektivs „hauptsächlich“ nicht völlig unerörtert lässt, beschränkt sie sich zu großen Teilen darauf, unter Wiedergabe des Erläuternden Berichts auf seine Funktion als Entscheidungskriterium hinzuweisen, ohne es zu präzisieren.126 Die einzelnen Interessen müssen offenbar gewichtet werden, um einen Schwerpunkt zu ermitteln.127 Teilweise heißt es auch, dass sowohl der Umfang als auch die Wichtigkeit der Interessen berücksichtigt werden müssen.128 Wie das konkret zu geschehen hat, bleibt jedoch im Dunkeln. Lediglich die Reihenfolge der Prüfung ist logisch vorgegeben. So kann der Umfang einer Tätigkeit nur insoweit herangezogen werden, als es um gleichartige Tätigkeiten geht, die in verschiedenen Staaten ausgeübt werden, weil andernfalls sprichwörtlich Äpfel mit Birnen verglichen würden. Wenig gewonnen wäre etwa mit der Erkenntnis, dass der Umsatz des Schuldners im Mitgliedstaat A mit einhundert Millionen Euro am größten war und sein wichtigster Gläubiger, der ihm ein Darlehen in Höhe von zehn Millionen Euro gewährt hat, seinen Sitz im Mitgliedstaat B hat. Die Zahlen allein sagen nichts darüber aus, welche Art von Tätigkeit hauptsächlich ist. Doch gerade die Frage, auf welche Art von Tätigkeit sich das Entscheidungskriterium bezieht, bleibt offen. So ist z.B. unklar, ob die Wichtigkeit einer wirtschaftlichen Tätigkeit sich durch ihr finanzielles Volumen oder die Anzahl der von ihr betroffenen Personen auszeichnet. In der ersten Variante wären die Kreditverhandlungen mit den Großgläubigern entscheidend. In der zweiten läge es nahe, das operative Geschäft des Schuldners, also seine werbende Tätigkeit, für hauptsächlich zu erachten; doch erscheint es auch denkbar, bei einer hinreichend großen Zahl an Beschäftig125

Geradezu entlarvend nichtssagend ist auch die vergleichbare Passage des Berichts von Lemontey zu dem Entwurf von 1980, wo es zur Erläuterung des Begriffes „Hauptinteressen“ heißt: „In dem Fall, dass der Schuldner mehrere Tätigkeiten mit verschiedenen Verwaltungszentren ausübt, kommt es auf das Zentrum an, das mit den Hauptinteressen zusammenhängt“; Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (115). 126 So z.B. Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 13; Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221 (224); MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 17; Vogler, S. 125; Vormstein, S. 176. 127 High Court of Birmingham NZI 2005, 467 (467 f.); Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 20a; Virgós/Garcimartín, Nr. 55; Carstens, S. 48, der im Weiteren jedoch verkennt, dass das Adjektiv „hauptsächlich“ nicht den Schwerpunkt der Verwaltung, sondern nur denjenigen der wirtschaftlichen Tätigkeiten beschreibt; näher dazu sogleich unter § 4 B II 3 e). 128 High Court of Birmingham NZI 2005, 467 (467 f.); Virgós/Garcimartín, Nr. 55.

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

ten auf ihren Einsatzort abzustellen. Weil der Gesetzgeber nicht präzisiert hat und möglicherweise auch gar nicht präzisieren wollte, welche Interessen für hauptsächlich zu erachten sind, und weil sich dem Adjektiv auch kein Zweck beilegen lässt, der über seine Funktion als Entscheidungskriterium hinausgeht, bleibt nichts anderes übrig, als es flexibel zu handhaben.129 Auf diese Weise soll nicht etwa der Beliebigkeit das Wort geredet werden. Es wäre grundsätzlich wünschenswert, wenn klar wäre, wie das Entscheidungskriterium anzuwenden ist, zumal es der Rechtssicherheit regelmäßig abträglich ist, wenn sich der Gehalt einer Norm nicht konkretisieren lässt. Doch drohte die Grenze der Auslegung überschritten zu werden, wollte man in den Begriff „hauptsächlich“ mehr hineininterpretieren, als vorstehend eruiert wurde. Dieser Zustand ist auch nicht unbedingt beklagenswert. Bedenkt man, wie zahlreich die Interessen des Schuldners, wie vielfältig die im Einzelfall zu berücksichtigenden Umstände und wie komplex die Sachverhalte häufig sind, kann das Schweigen der Verordnung und ihrer Verfasser zu einer Präzision des Entscheidungskriteriums nur als Kapitulation vor der unlösbaren Aufgabe verstanden werden, Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit hinreichend miteinander zu vereinen. In diesem Spannungsverhältnis sollte das Adjektiv „hauptsächlich“ daher als ein flexibles Instrument angewendet werden, das es der Rechtsprechung als der letztlich entscheidenden, den jeweiligen Fall einer sinnvollen Lösung zuführenden Instanz überlässt, dem Entscheidungskriterium im konkreten Fall einen bestimmten Gehalt zu geben. e) Die Unergiebigkeit des Entscheidungskriteriums für den Verwaltungsort Für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand lässt sich die Flexibilität des Entscheidungskriteriums gleichwohl allenfalls mittelbar nutzen, weil letztlich nicht entscheidend ist, wo, sondern von wo aus die hauptsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten ausgeübt werden. Maßgeblich bleibt der Ort, an dem sie verwaltet werden. Das Entscheidungskriterium „hauptsächlich“ kann nur klären, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten, nicht aber welche Verwaltungstätigkeiten für maßgeblich zu erachten sind.130 International zuständig sind die Gerichte des Staates, in dem der Schuldner seine hauptsächlichen Interessen verwaltet, nicht aber diejenigen des Staates, in dem der Schuldner seine Interessen hauptsächlich verwaltet. Entscheidend bleibt somit, was die Verordnung unter dem Verwaltungsort versteht. Weil sich dies mit dem Adjektiv „hauptsächlich“, das sich nicht auf die Verwal129 Ähnlich Keggenhoff, S. 137, und Vogler, S. 125, die keinen bestimmten Interessen einen Vorrang einräumen, sondern eine Gesamtschau aller Umstände für maßgeblich erachten. 130 Das übersehen z.B. Virgós/Garcimartín, Nr. 55.

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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tung, sondern auf die wirtschaftlichen Tätigkeiten bezieht, nicht klären lässt, lässt sich aus ihm auch nichts für oder wider ein bestimmtes Verständnis des Interessenmittelpunktes herleiten – sei es als Synonym für den effektiven Verwaltungssitz, sei es als mind of management im Sinne der Befürworter eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes. f) Zusammenfassung Verwaltet der Schuldner seine wirtschaftlichen Tätigkeiten von verschiedenen Staaten aus, ist fraglich, in welchem von ihnen sein Interessenmittelpunkt nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO liegt. Indem das Adjektiv „hauptsächlich“ bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten des Schuldners für bedeutender als andere erklärt, soll es ermöglichen, einen der in den verschiedenen Staaten liegenden Verwaltungsorte für maßgeblich zu erachten. Der Interessenmittelpunkt liegt in dem Staat, in dem der Schuldner diese „hauptsächlichen“ Tätigkeiten verwaltet. Ob in einem Staat mehrere Verwaltungsorte existieren, ist hierfür irrelevant; sie können zusammengefasst und als Einheit angesehen werden, weil Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nur die internationale, nicht aber die örtliche Zuständigkeit regelt. Nicht geregelt wurde, wodurch sich die hauptsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten auszeichnen, wie also das Entscheidungskriterium anzuwenden ist. Das Schweigen der Verordnung hierzu lässt sich nur dahingehend interpretieren, dass jede inhaltliche Einschränkung bewusst vermieden werden sollte. Das Kriterium sollte flexibel gehandhabt werden, um möglichst interessengerechte Ergebnisse zu erzielen, die den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht werden. Für die Frage, ob der Interessenmittelpunkt dem effektiven Verwaltungssitz des Gesellschaftskollisionsrechts oder dem mind of management entspricht, gibt das Adjektiv „hauptsächlich“ nichts her, weil es sich nur auf die wirtschaftlichen Tätigkeiten und nicht auf den Verwaltungsort bezieht. 4. Die Gewöhnlichkeit oder Üblichkeit der Interessenverwaltung Welche Interessen entscheidend für den Interessenmittelpunkt sind, ist unergiebig für die Frage, wo diese Interessen verwaltet werden. Hilfreich für die Konkretisierung des Verwaltungsortes könnte es aber sein, dass es nach dem Erwägungsgrund (13) und dem Erläuternden Bericht für den Interessenmittelpunkt auf den Ort ankommt, an dem der Schuldner seine Interessen „gewöhnlich“131 bzw. „üblicherweise“132 verwaltet.133 Hierin könn131

Erwägungsgrund (13). Virgós/Schmit, Nr. 75. 133 Die Begriffe sind bedeutungsidentisch, zumal es in der englischen Fassung jeweils heißt: „on a regular basis“. 132

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

te ein Ansatzpunkt für eine Identität des Interessenmittelpunktes mit dem effektiven Verwaltungssitz des Gesellschaftskollisionsrechts bestehen, weil unter letzterem der Ort verstanden wird, an dem der Schuldner seine großen Richtlinien-Entscheidungen in die kleine Münze der „täglichen“ Verwaltungsentscheidungen umsetzt. Doch ist fraglich, ob die Gewöhnlichkeit und Üblichkeit des Verwaltungshandelns den Zweck verfolgt, einen Gleichlauf mit dem effektiven Verwaltungssitz zu erzeugen. Welche Funktion die Gewöhnlichkeit und Üblichkeit erfüllt, wird klarer, wenn man sie weglässt. Der Interessenmittelpunkt ist ein wandelbares Anknüpfungskriterium. Das Anknüpfungsergebnis ändert sich, wenn sich die tatsächlichen Umstände ändern, die der Anknüpfung zugrunde liegen. Zu nicht allseits befriedigenden Ergebnissen führt dies insofern, als die Anknüpfung nur den Zustand berücksichtigen kann, in dem sie sich bewähren muss. Für den Insolvenzgerichtsstand aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bedeutet dies, dass es allein darauf ankommt, wo sich der Interessenmittelpunkt im Zeitpunkt der Antragstellung befindet.134 Dies ist misslich, weil die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt das Vertrauen der Gläubiger in die Anwendbarkeit eines bestimmten Insolvenzrechts schützen soll.135 Ob dieses Ziel bei einem Gesamtverfahren, in dem Gläubiger miteinander konkurrieren, deren Rechtsbeziehungen zu dem Schuldner zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten begründet wurden, überhaupt möglich ist, kann hier dahingestellt bleiben. Nicht hinnehmbar würde die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung jedoch, wenn sie dem Schuldner ermöglichte, seinen Interessenmittelpunkt kurz vor der Verfahrenseröffnung und ohne jegliche Hindernisse zu verlegen, um auf diese Weise die Anwendbarkeit eines ihm genehmen Insolvenzrechts zu erreichen. Dieses forum shopping soll ausdrücklich verhindert werden.136 Um forum shopping zu verhindern, bedarf es daher eines zusätzlichen Kriteriums, das der Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes eine gewisse Trägheit verleiht. Die Entwürfe zu einem Europäischen Insolvenzübereinkommen sahen in ihrem jeweiligen Art. 6 Abs. 1 hierfür eine sogenannte période suspecte vor, wonach Umstände, die sich auf die internationale Zuständigkeit auswirken, unbeachtlich bleiben sollten, wenn sie nicht mindestens sechs Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintraten. Warum die Verfasser des Europäischen Insolvenzübereinkommens und der Verordnungsgeber diese Regelung für entbehrlich hielten, ergibt sich aus den Materialien nicht. Für nicht erforderlich wurde eine vergleichbare Bestimmung möglicherweise deshalb gehalten, 134

Vgl. näher § 4 B II 2 d). Virgós/Schmit, Nr. 75. 136 Erwägungsgrund (4). 135

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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weil man glaubte, die gewünschte Trägheit des Anknüpfungskriteriums durch die Gewöhnlichkeit oder Üblichkeit der Interessenverwaltung erreichen zu können, zumal mit diesen Worten klargestellt werden sollte, dass das der internationalen Zuständigkeit zugrundeliegende Anknüpfungskriterium eine gewisse Kontinuität und Schwere aufweisen soll.137 Der Verzicht auf eine starre, formale Frist leuchtet auch ein, weil nicht nachvollziehbar wäre, warum die Verlegung des Interessenmittelpunktes nur deshalb unbeachtlich sein soll, weil die Frist noch nicht vollständig abgelaufen ist.138 Entscheidend sollte vielmehr sein, ob der Schuldner seinen Interessenmittelpunkt materiell in einen anderen Staat verlegt hat.139 Der Verordnungsgeber hat der Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes mithin zwar nicht freien Lauf gelassen, sie im Vergleich zu den Entwürfen der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts aber gestärkt. Soll in der Üblichkeit oder Gewöhnlichkeit mithin eine nicht näher bestimmte Dauer der Interessenverwaltung an einem bestimmten Ort zum Ausdruck kommen,140 so scheiden als Interessenmittelpunkt diejenigen Orte aus, von denen aus der Schuldner seine Geschäfte nur gelegentlich oder ausnahmsweise verwaltet. Die Adverbien „gewöhnlich“ und „üblicherweise“ erfüllen mithin ähnlich wie das Adjektiv „hauptsächlich“ die Funktion eines Entscheidungskriteriums. Verwaltet der Schuldner seine hauptsächlichen Interessen von verschiedenen Orten aus, so ist derjenige sein Interessenmittelpunkt, an dem er dies normalerweise tut. Für die Frage, ob es sich bei diesem Ort um den effektiven Verwaltungssitz oder den Ort der strategischen Leitungsentscheidungen handelt, ist auch hiermit nichts gewonnen.

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Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (115); Virgós/Garcimartín, Nr. 52; Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 12. Obermüller, KTS 2009, 27 (36), spricht dagegen dem Erfordernis der Erkennbarkeit diese Funktion zu. 138 Eidenmüller, KTS 2009, 137 (159), gibt zu bedenken, dass jede starre Frist willkürlich wäre. Obermüller, KTS 2009, 27 (36), will der Verfahrenseröffnung im Einzelfall wegen Rechtsmissbrauchs die Anerkennung versagen. 139 Virgós/Garcimartín, Nr. 69. Nach MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 52 ff., soll die Verlegung des Interessenmittelpunktes im Einzelfall wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlich sein. Wurde der Interessenmittelpunkt aber materiell verlegt – sei es auch mit dem Ziel, ein günstigeres Insolvenzrecht nutzen zu können –, lässt sich dem auch nicht mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs begegnen; vgl. AG Köln NZI 2008, 257 (260); Schwemmer, NZI 2009, 355 (358); Weller, ZIP 2009, 2029 (2033). 140 Ebenso Adam, S. 47 f.; Attinger, S. 44; Carstens, S. 49; Virgós/Garcimartín, Nr. 52; Frind, ZInsO 2008, 363 (365), der vorschlägt, auf den Zeitraum der insolvenzrechtlichen Krisenvermutung in §§ 130, 131 InsO abzustellen; gegen ein Verständnis der Gewöhnlichkeit als zeitliche Kompenente: Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (899).

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

5. Zwischenergebnis Ob ein Konzerninsolvenzgerichtsstand bereits unter dem geltenden Recht existiert, bleibt offen, weil die Verordnung einerseits auf den Ort abstellt, an dem der Schuldner seine Interessen verwaltet, andererseits aber nicht klarstellt, was unter dem Begriff „Verwaltung“ zu verstehen ist. Zwar legt die teleologische Auslegung durchaus nahe, die internationale Zuständigkeit an den Schwerpunkt der werbenden Tätigkeit anzuknüpfen. Zu diesem Ort besteht eine enge Verbindung, weil die Gesellschaft dort am Markt auftritt und Verträge mit Gläubigern schließt, die in der Regel dort ansässig sind. Sinnvoll wäre die internationale Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates, weil dieser Ort für die Mehrzahl der Gläubiger relativ leicht erkennbar und die Erkennbarkeit des Insolvenzforums der Gedanke ist, der hinter der Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt steht. Begreift man das Insolvenzrecht als Marktbereinigungsrecht,141 so erscheint es darüber hinaus folgerichtig, das Insolvenzrecht des Staates anzuwenden, dessen Markt primär betroffen ist. Ob unter diesen Gesichtspunkten eine Anknüpfung an den Schwerpunkt des operativen Geschäfts des Schuldners de lege ferenda sinnvoll wäre, braucht hier nicht allgemein beantwortet zu werden, weil dies nicht Gegenstand dieser Arbeit ist, und kann speziell für die Konzerninsolvenz verneint werden, weil eine einheitliche Zuständigkeit bei Konzerngesellschaften, die in verschiedenen Mitgliedstaaten tätig sind, dann ausgeschlossen wäre. De lege lata stehen einer Anknüpfung an den Ort der werbenden Tätigkeit jedenfalls der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO und die Gesetzgebungsgeschichte entgegen, nach denen das Bezugsobjekt der Erkennbarkeit nicht die wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners, sondern die Verwaltung dieser Tätigkeit ist. Wo der Schuldner seine Interessen verwaltet, lässt sich mit der Verordnung und ihren Materialien nicht abschließend klären.142 Das Entscheidungskriterium „hauptsächlich“ hebt nur bestimmte Interessen des Schuldners hervor, sagt jedoch nichts über den Ort aus, von dem aus sie verwaltet werden. Auch dass dieser Ort von gewisser Dauer sein muss, hilft bei der Auslegung des Verwaltungsortes nicht weiter. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob es sich bei dem Verwaltungsort um den effektiven Verwaltungssitz oder den Sitz der Konzernzentrale handelt. Zu konstatieren bleibt daher, dass eine Auslegung des Interessenmittelpunktes als Ort der strategischen Leitungsentscheidungen grundsätzlich zulässig erscheint, sofern dieser Ort erkennbar ist.

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So MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 721. Im Ergebnis ebenso GA Kokott, Schlussanträge vom 10.3.2011, ZIP 2011, 918 (923), Nr. 62 – Interedil. 142

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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III. Die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO 1. Die Bedeutung für den Konzerninsolvenzgerichtsstand Ist nach der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO ein Konzerninsolvenzgerichtsstand möglich, so bleibt zu klären, welche Bedeutung die Vermutung in Satz 2 hat. Weil verbundene Gesellschaften ihren satzungsmäßigen Sitz regelmäßig jeweils in verschiedenen Staaten haben, stellt sich die Frage, inwieweit die Regelung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO, nach der bei Gesellschaften und juristischen Personen bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass sie ihren Interessenmittelpunkt am Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes haben,143 einer einheitlichen Zuständigkeit entgegensteht. Je schwerer die Vermutung wiegt, desto schwieriger gelangt man zu einem Konzerninsolvenzgerichtsstand und umgekehrt. 2. Der Meinungsstand über den Gehalt der Vermutung Welche Bedeutung der Vermutung zukommt und wie sie zu handhaben ist, ist streitig. Die Diskussion zu ordnen, fällt nicht leicht, weil es ihr teilweise an terminologischer Klarheit fehlt.144 Dasselbe Problem stellt sich bei Autoren, die die Vorschrift als Sachnorm des europäischen Insolvenzrechts bezeichnen, hiermit jedoch Unterschiedliches meinen.145 Versucht 143 Ausführlich zu dem Verständnis des „satzungsmäßigen Sitzes“ in verschiedenen Rechtsordnungen: Probst, S. 98–116. 144 Bezeichnend hierfür ist Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (205): Danach bedeutet die Widerleglichkeit der Vermutung, dass die Amtsermittlungspflicht bestehen bleibe. Doch habe das Gericht seine Zuständigkeit aus Satz 1 restriktiv zu handhaben und im Zweifel auf die Vermutung aus Satz 2 zurückzugreifen (S. 208 und 213). Nach Ludwig, S. 25, handelt es sich um eine bloße Vermutungsregel, die nicht von der Amtsermittlungspflicht befreit. Unklar ist auch Martinez Ferber, S. 18 f., der von einer rechtlichen Vermutung ausgeht, die den Amtsermittlungsgrundsatz einschränkt, weil dieser nur dann eingreife, wenn ein Anlass für einen Zweifel an einer Identität von Interessenmittelpunkt und Satzungssitz besteht. Nach Kourouvani, S. 272, handelt es sich um eine gesetzliche Vermutung, die die Beweislast umkehre, das Insolvenzgericht aber nicht von seiner autonomen Amtsermittlungspflicht befreie. Nach Kemper, in: Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rn. 17, gilt zwar – sofern die lex fori ihn vorsieht – der Amtsermittlungsgrundsatz, doch soll er nicht schon bei Anhaltspunkten für ein Abweichen des Verwaltungssitzes vom Satzungssitz eingreifen, weil die Vermutung in Satz 2 nur mit dem Beweis des Gegenteils entkräftet werden kann. Das übersieht, dass die Voraussetzungen, unter denen die Amtsermittlungspflicht eingreift, nicht vom Ergebnis der Zuständigkeitsprüfung abhängen können. 145 Vgl. Herchen, ZInsO 2004, 825 (826) einerseits, und Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457 mit Fn. 18) andererseits. Richtigerweise verweist Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO für den Gehalt der Vermutung nicht auf die lex fori; vielmehr handelt es sich bei der Bestimmung um eine autonom auszulegende Sachnorm, weil andernfalls eine einheitliche Handhabung der „Vermutung“ nicht gewährleistet wäre; vgl. ausführlich hierzu Probst,

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

man, die Diskussion zu ordnen, so lassen sich jedenfalls drei Ansichten unterscheiden.146 Gemein ist ihnen die Auseinandersetzung um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das angerufene Gericht den Interessenmittelpunkt nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO trotz der Regelung in Satz 2 von Amts wegen ermitteln muss. a) Vermutung Nach einer Auffassung handelt es sich bei Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO um eine widerlegliche Vermutung im Rechtssinne.147 Die Vorschrift fingiere nicht, dass sich der Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft zwingend an ihrem satzungsmäßigen Sitz befindet. Vielmehr könne er nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO auch an einem anderen Ort liegen. Doch genüge es anders als bei einer rein tatsächlichen Vermutung nicht, die Grundlage der Vermutung zu erschüttern, also hinreichend gewichtige Anhaltspunkte darzulegen und zu beweisen, aufgrund derer nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass der Interessenmittelpunkt an dem satzungsmäßigen Sitz liegt. Erforderlich ist nach dieser Ansicht vielmehr der Beweis des Gegenteils, also die Überzeugung des Gerichts, dass der Interessenmittelpunkt in einem anderen Staat als dem des satzungsmäßigen Sitzes liegt.148 Den Beweis zu führen hat nach dieser Auffassung der Beteiligte, der die Vermutung widerlegen will.149

S. 121–148. Das lässt sich systematisch auch daraus ableiten, dass die Zuständigkeitsnorm in Art. 3 EuInsVO nicht der Kollisionsnorm in Art. 4 EuInsVO unterliegt. 146 Nach anderer Auffassung lassen sich sogar vier Konzepte unterscheiden; Kourouvani, S. 73–89. 147 High Court of Justice Leeds NZI 2004, 219 (221); AG München NZI 2004, 450; High Court of Justice London ZIP 2009, 1776 (1777), Nr. 63; Oberhammer, KTS 2009, 27 (36); Herchen, ZInsO 2004, 825 (826); Carstens, S. 69; Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (288 f.); Mankowski, NZI 2004, 450 (451); wohl auch Virgós/Garcimartín, Nr. 58 f. (anders aber in Nr. 65: Amtsermittlung); Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (115 f.); Schmittmann/Hesselmann, ZInsO 2008, 957 (960). 148 Brenner, EWiR 2003, 925 (926); Leipold, in: Stoll, Vorschläge und Gutachten, S. 185 (191). 149 GA Jacobs, Schlussanträge vom 27.9.2005, ZIP 2005, 1878 (1885), Nr. 122 – Eurofood; High Court of Justice Leeds NZI 2004, 219 (221), Nr. 12; Herchen, ZInsO 2004, 825 (826); Schröder, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 299 (300); Wessels, S. 171. Doch meinen manche, dass nur die Gesellschaft überhaupt berechtigt sei, den Beweis zu führen (so Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (115 f.), der sich jedoch widerspricht, wenn er ausführt, dass das Gericht den Interessenmittelpunkt „erforderlichenfalls auch von Amts wegen“ ermitteln kann), während andere gerade der Gesellschaft dieses Recht absprechen, weil es gegen den Grundsatz des venire contra factum proprium verstieße (so Großfeld, ZIP 1981, 925 (928); kritisch hierzu: Carstens, S. 68 f.).

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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Eine Pflicht des Insolvenzgerichts, den Interessenmittelpunkt der Gesellschaft von Amts wegen zu ermitteln, folgt nach dieser Auffassung weder aus der Verordnung selbst noch aus dem Insolvenzrecht des Verfahrensstaates. Das Gericht am satzungsmäßigen Sitz dürfe sich vielmehr für zuständig halten, bis der Beweis seiner Unzuständigkeit erbracht ist. Umgekehrt dürften alle anderen mitgliedstaatlichen Gerichte sich nicht für zuständig erklären, bis dem beweisbelasteten Beteiligten der Beweis gelungen ist, dass der Interessenmittelpunkt nicht am satzungsmäßigen Sitz liegt, sondern in einem anderen Staat. Soweit die über Art. 4 EuInsVO anwendbare lex fori eine Amtsermittlungspflicht vorsieht, werde sie durch Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO verdrängt.150 b) Zweifelsregel Nach der herrschenden Meinung ist Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO keine Vermutung im Rechtssinne. Eine nach dem Insolvenzrecht des Verfahrensstaates bestehende Pflicht, den Interessenmittelpunkt von Amts wegen zu ermitteln, wird von der Vorschrift mithin nicht generell verdrängt.151 Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO sei vielmehr nur eine „Zweifelsregel“, bei der jedoch umstritten ist, in welchem Verhältnis sie zu einer etwaigen Amtsermittlungspflicht steht. aa) Uneingeschränkte Amtsermittlungspflicht Nach einer Auffassung besteht die Amtsermittlungspflicht stets und unbeschränkt.152 Nur wenn das Insolvenzgericht den Interessenmittelpunkt nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen kann, befinde er sich im Zweifel 150

In diese Richtung: Herchen, ZInsO 2004, 825 (826). BGH NZI 2008, 121; Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 11; vgl. auch die Nachweise in den folgenden Fußnoten. Soweit hierfür auf § 5 Abs. 1 InsO zurückgegriffen wird, verkennt dies jedoch, dass die Pflicht zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit von Amts wegen richtigerweise autonom und mithin unabhängig davon besteht, ob die lex fori sie vorsieht; wie hier: Gottwald/Kolmann, in: Gottwald, InsRHdb, § 130 Rn. 19; Deyda, S. 52 f.; Kourouvani, S. 229 f. 152 Borges, ZIP 2004, 733 (737); Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (448); FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 3 EuInsVO Rn. 9; Gottwald, S. 21; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (141); ders., EuZW 2002, 490 (492); Kolmann, S. 285; Lorenz, S. 20; Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker, § 17 Rn. 26; dies., NZI 2003, 442 (444); MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 28; MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 5; Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 33; Smid, Dt. und Eur. Int. InsR, Art. 3 EuInsVO Rn. 13; ders., DZWIR 2003, 397 (399); Virgós, Insider’s View, Nr. 25 f.; Weller, IPRax 2003, 520 (521); Wiedemann, ZInsO 2007, 1009 (1010). Nach dem High Court of Justice Leeds ZIP 2004, 1769 (1771) mit kritischer Anm. Westpfahl/Wilkens, EWiR 2004, 847 (848), ist der Satzungssitz nur einer von vielen Faktoren, die in die Ermittlung des Interessenmittelpunktes einzubeziehen sind. 151

156

§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO an dem satzungsmäßigen Sitz der Gesellschaft.153 Die Bedeutung der Vorschrift erschöpft sich hiernach darin, die objektive Beweislast zu verteilen und sie dem Antragsteller aufzubürden, wenn er seinen Antrag nicht vor einem Gericht des Staates stellt, in dem die Gesellschaft ihren Satzungssitz hat.154 bb) Eingeschränkte Amtsermittlungspflicht Nach anderer Auffassung ist Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO eine Zweifelsregel in doppelter Hinsicht: Zum einen bestimme sie den Interessenmittelpunkt für den Fall, in dem das Insolvenzgericht ihn trotz amtswegiger Ermittlung nicht feststellen kann. Insoweit deckt sie sich mit der zuvor genannten Auffassung. Im Unterschied zu dieser bestehe eine Amtsermittlungspflicht aber nur dann, wenn das Gericht Zweifel habe, dass der Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft sich an ihrem satzungsmäßigen Sitz befindet.155 Anders ausgedrückt überlagere Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO die Amtsermittlungspflicht, die erst eingreife, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Interessenmittelpunkt nicht am Satzungssitz liegt.156 Die „Zweifelsregel“ betrifft mithin zwei verschiedene Aspekte: Erstens lösen nur Zweifel die Amtsermittlungspflicht aus, zweitens liegt der Interessenmittelpunkt im Zweifel am satzungsmäßigen Sitz. Geringste Zweifel sollen genügen157 und liegen bereits dann vor, wenn der Antrag auf die Er-

153 Gottwald/Kolmann, in: Gottwald, InsRHdb, § 130 Rn. 19; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (141); Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 36; Klöhn, NZI 2006, 383 (384); Ludwig, S. 26; Mock/Schildt, NZI 2003, 444; MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 28; MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 5; Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rn. 33; Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 26; Vormstein, S. 177. 154 Klöhn, NZI 2006, 383 (384); Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (767 f.); Vallender, KTS 2005, 283 (295). 155 BGH NZG 2012, 153 (154); Deyda, S. 54; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 25; Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457); ders., in: Eidenmüller, § 9 Rn. 12; Herchen, ZInsO 2004, 825 (826); Huber, in: FS Heldrich, S. 679 (680 und 690); Keggenhoff, S. 143; Vallender, NJW 2012, 1633 (1634); Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829 (831); Vogler, S. 139. 156 Adam, S. 52; Attinger, S. 42; Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457 mit Fn. 18); Ganter, NZI 2012, 201 (202 f.); Vogler, S. 139; Moss/Fletcher/Isaacs, Rn. 3.13; ähnlich Mankowski, NZI 2004, 450 (451), der die „strukturierende Kraft“ der Vermutung betont; wohl auch Probst, S. 146 f., die freilich ausgehend von der Maßgeblichkeit der Gründungstheorie im Geltungsgebiet der Niederlassungsfreiheit meint, dass die Vermutung in Satz 2 den „Regelfall“ darstelle und nur im Missbrauchsfall widerlegt werden könne; ebenda S. 190 f. und 193. Enger Heneweer, S. 113, nach dem die Amtsermittlungspflicht erst dann eingreife, wenn das Gericht es für überwiegend wahrscheinlich hält, dass der Interessenmittelpunkt nicht am satzungsmäßigen Sitz liegt. 157 Vallender, KTS 2005, 283 (290 und 294); Keggenhoff, S. 143.

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

157

öffnung des Insolvenzverfahrens in einem anderen Staat als dem des satzungsmäßigen Sitzes gestellt wird.158 3. Auseinandersetzung a) Das Schweigen des Normgebers Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO, nach dem der Interessenmittelpunkt „bis zum Beweis des Gegenteils“ am satzungsmäßigen Sitz der Gesellschaft liegt, könnte für eine Vermutung im Rechtssinne und gegen die Anwendbarkeit des Amtsermittlungsgrundsatzes sprechen. Doch ist nicht ersichtlich, warum nicht auch das Gericht in der Lage sein sollte, den Beweis zu erbringen.159 Der Wortlaut allein ist daher wenig ergiebig. Aus historischer Sicht fällt auf, dass die Vermutung bereits in den Entwürfen zu einem Europäischen Insolvenzübereinkommen160 sowie in dem Istanbuler Übereinkommen von 1990161 vorgesehen war, in den Berichten zu ihnen aber kaum erörtert wird.162 Geradezu widersprüchlich ist insbesondere der Bericht Lemonteys zu dem Entwurf für ein Europäisches Insolvenzübereinkommen aus dem Jahre 1980, in dem er einerseits erläutert, dass der Gegenbeweis „nötigenfalls“163 von der Gesellschaft geführt werde, andererseits aber betont, dass das Geschäftszentrum – also der Interessenmittelpunkt – so wichtig sei, dass es „erforderlichenfalls auch von Amts wegen […] zu beachten ist“.164 Für das Verständnis der Vermutung wenig hilfreich ist auch der weitere Hinweis Lemonteys, dass mit ihr andere Ziele verfolgt würden als bei der Anerkennung von Gesellschaften,165 weil sich hieraus nicht schließen lässt, welche Ziele mit der Vermutung in dem Europäischen Insolvenzübereinkommen verfolgt werden sollten. Warum die Vermutung zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes überhaupt existiert, ist so unklar, dass sie von einigen Autoren als Hinwendung zur Gründungstheorie des Gesellschaftskollisionsrechts verstanden166 und 158

Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 25. Adam, S. 52; Heneweer, S. 112; Vogler, S. 138; a.A. Carstens, S. 68. 160 Vgl. den jeweiligen Art. 3 Abs. 2 Satz 2. 161 Vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 des Istanbuler Übereinkommens. 162 So stellt der Bericht zu dem Istanbuler Übereinkommen unter seiner Nr. 27 lediglich klar, dass die Vermutung widerleglich ist: „This presumption may be refuted“. 163 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (115). 164 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (116). 165 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (114). 166 Herchen, S. 38; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (141); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (544 mit Fn. 77); Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (288); Rossbach, S. 160; Schilling, S. 49; zweifelnd: Adam, S. 132. Soweit Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (647), die im Gesellschaftskollisionsrecht von der Geltung der Gründungstheorie ausgehen, meinen, dass mit der Anknüpfung an den Satzungssitz ein Gleichlauf mit dem Gesellschaftsstatut erreicht werden sollte, ist dies doppelt schief: Zum einen wäre das nur dann der Fall, wenn 159

158

§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

von anderen geradezu konträr als Argument für ein Verständnis des Interessenmittelpunktes als effektiven Verwaltungssitz der Sitztheorie herangezogen wird.167 Teilweise wird zwar vertreten, dass an den satzungsmäßigen Sitz angeknüpft werde, um die Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden, die die Auslegung des Gesellschaftssitzes bei Art. 53 Abs. 1 EuGVÜ bereitete.168 Dieses Problem besteht jedoch nicht mehr, seit das EuGVÜ von der im Dezember 2000 verabschiedeten EuGVVO abgelöst wurde, die im März 2002 in Kraft trat und den Sitz einer Gesellschaft in ihrem Art. 60 Abs. 1 nunmehr alternativ an ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung anknüpft. Warum dies für die EuInsVO, die zwar schon im Mai 2000 verabschiedet wurde, aber erst im Mai 2002 in Kraft trat, nicht berücksichtigt wurde, ist nicht nachvollziehbar.169 Eine Klarstellungsfunktion kann die Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO zwar immer noch insofern erfüllen, als sie von den in Art. 60 Abs. 1 EuGVVO genannten Varianten ausschließlich den satzungsmäßigen Sitz für relevant erklärt. Doch erklärt dies nicht, warum die Vermutung ausgerechnet an ihn anknüpft und wie sie zu handhaben ist. Auch der Erläuternde Bericht zum EuInsÜ trägt mit der Annahme, dass der Ort des satzungsmäßigen Sitzes gewöhnlich dem Hauptsitz entspricht,170 wenig zur Auslegung bei. Dass der Bericht hier anstelle des Interessenmittelpunktes von dem Hauptsitz des Schuldners spricht, mag für das Verständnis des ersten Satzes der Anknüpfung in Art. 3 Abs. 1 relevant sein. Für Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO folgt hieraus jedoch nur die Selbstverständlichkeit, dass die Vermutung auf einer Annahme beruht, die typisch ist. Auffällig, aber ähnlich unergiebig, ist auch die sprachliche Abweichung der Verordnung von dem Erläuternden Bericht, der nicht von dem „Beweis“, sondern von dem „Nachweis“ des Gegenteils spricht.171 Hieraus irgendetwas abzuleiten, erscheint jedoch schon deshalb verfehlt, weil dieser Unterschied in der englischen Fassung nicht besteht.172

starr an den Satzungssitz aus Satz 2 und nicht an den Interessenmittelpunkt aus Satz 1 angeknüpft würde. Zum anderen bestimmte sich zu dem Zeitpunkt, zu dem das EuInsÜ und die nahezu wortgleiche EuInsVO entwickelt wurden, das Gesellschaftsstatut überwiegend gerade nicht nach der Gründungs-, sondern nach der Sitztheorie. 167 MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 14; Moss/Fletcher/Isaacs, Rn. 3.12; Gottwald, S. 19 f. 168 Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 11. 169 Kritisch auch: Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (544). 170 Virgós/Schmit, Nr. 75. 171 Virgós/Schmit, Nr. 75. 172 Dort heißt es in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO „in the absence of proof to the contrary“ und in Nr. 75 des Erläuternden Berichts „unless proved to the contrary“.

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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b) Der Gesamtverfahrenscharakter der Insolvenz Entscheidend für das vorzugswürdige Verständnis der Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO als Zweifelsregel ist, dass die Pflicht zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit und zur Ermittlung des Interessenmittelpunktes von Amts wegen eine Notwendigkeit ist. Die Ansicht, die Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO als Vermutung begreift, muss konsequenterweise den Beibringungsgrundsatz für anwendbar halten und gelangt damit zu untragbaren Ergebnissen. Wird der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens an dem satzungsmäßigen Sitz gestellt, erfahren jedenfalls die Gläubiger, die keinen Antrag gestellt haben, von dem Insolvenzverfahren regelmäßig erst, wenn es bereits eröffnet wurde. Sie auf den innerstaatlichen Rechtsweg zu verweisen, erscheint wenig befriedigend, zumal auch in der zweiten Instanz der Beibringungsgrundsatz zu gelten hätte und Dritte enttäuscht werden könnten, die mit der Eröffnungsentscheidung der ersten Instanz zufrieden waren. Unbefriedigend ist die Geltung des Beibringungsgrundsatzes aber auch dann, wenn der Antrag nicht an dem satzungsmäßigen Sitz, sondern in einem anderen Staat gestellt wird, weil auch in dieser Konstellation die Gläubiger, die keinen Antrag gestellt haben, mangels Kenntnis von der Antragstellung faktisch nicht darlegen und beweisen können, dass der Interessenmittelpunkt in einem anderen Staat liegt, während der Antragsteller nur vortragen würde, was seine Ansicht stützt.173 Für den Schutz der Gläubiger ist es daher zwingend geboten, die internationale Eröffnungszuständigkeit von Amts wegen zu ermitteln.174 Eine Vermutung im Rechtssinne stellt Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO daher nicht auf.175 Fraglich bleibt, ob es sich bei der Norm um eine einfache oder um eine doppelte Zweifelsregel handelt. Folgt man der zweiten Auffassung und lässt man bereits geringste Zweifel die Amtsermittlungspflicht auslösen, dürften sich in der Praxis nur selten Unterschiede ergeben. Doch zeigt auch hier ein einfaches Beispiel, dass die Auffassung, die eine Amtsermitt173

Adam, S. 52. Gottwald, S. 20 f.; Gottwald/Kolmann, in: Gottwald, InsRHdb, § 130 Rn. 19; Herchen, ZInsO 2004, 825 (826). Das Bedenken von Mankowski, KTS 2009, 453 (465), dass es zu einer Zuständigkeitsusurpation kommen kann, wenn das Gericht seine internationale Zuständigkeit bejaht, weil es sie nach nationalem Recht nicht zu prüfen hat, entfällt dann. 175 Wenig sinnvoll wäre eine echte Vermutung darüber hinaus, wenn von vornherein klar ist, dass der Interessenmittelpunkt in einem von zwei Staaten liegt, in denen sich nicht der satzungsmäßige Sitz befindet, jedoch nicht bewiesen werden kann, in welchem der beiden Staaten er liegt. In diesem Fall auf den satzungsmäßigen Sitz zurückzugreifen, kann von der Vorschrift nicht gewollt sein; Virgós/Garcimartín, Nr. 59; ähnlich Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 131 (139), der für die Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO verlangt, dass im Staat des Satzungssitzes Verwaltungsstrukturen vorhanden sind. 174

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

lungspflicht des Insolvenzgerichts nur bei Zweifeln an der Identität des Interessenmittelpunktes aus Satz 1 und des satzungsmäßigen Sitzes aus Satz 2 annimmt, der „Vermutung“ zu viel Gewicht beimisst. Stellt etwa der Geschäftsführer einer Gesellschaft einen Eigenantrag bei einem Gericht an dem satzungsmäßigen Sitz und verschweigt er, dass sich ihr Interessenmittelpunkt nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO im Ausland befindet, kann das Gericht keine Zweifel haben, die es veranlassen, den Interessenmittelpunkt von Amts wegen zu ermitteln. Bei sogenannten Scheinauslandsgesellschaften, die abgesehen von dem Gründungsakt keinen Bezug zu dem Staat haben, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz oder ihr registered office befindet, ermöglichte die in einem doppelten Sinne verstandene Zweifelsregel daher ein forum shopping, das die Verordnung gerade verhindern will. Auch vermag nur eine unbeschränkte Amtsermittlungspflicht Kompetenzkonflikte weitgehend zu vermeiden.176 Die Befürworter der „doppelten Zweifelsregel“ müssen sich darüber hinaus fragen lassen, wie sie geringste oder begründete Zweifel von den Konstellationen abgrenzen wollen, in denen kein Zweifel an einem identischen Ergebnis der Anknüpfung an die beiden Sätze des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO besteht. Als schlagendes Argument für eine uneingeschränkte Pflicht des Insolvenzgerichts, seine internationale Zuständigkeit und mithin den Interessenmittelpunkt von Amts wegen zu ermitteln, ist schließlich anzuführen, dass sich das Prioritätsprinzip, also die automatische Anerkennung der Eröffnungsentscheidung und ihrer Wirkungen im gesamten Geltungsgebiet der Verordnung, andernfalls nicht rechtfertigen ließe. Eine Zweifelsregel kann Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO daher nur insofern sein, als sie den satzungsmäßigen Sitz für den Fall zum Interessenmittelpunkt erklärt, in dem letzterer nicht festgestellt werden kann.177 c) Das Schweigen des EuGH zu der Bedeutung der Vermutung Fraglich ist, ob die Entscheidung des EuGH in Eurofood oder die leichte Erkennbarkeit des satzungsmäßigen Sitzes gegen die unbeschränkte Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes sprechen. So wird teilweise vertreten, dass der EuGH in Eurofood die Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO gestärkt habe.178 Gefragt worden war der EuGH unter anderem, ob der Interessenmittelpunkt einer abhängigen Gesellschaft allein wegen 176

Wiedemann, ZInsO 2007, 1009 (1010). Ob auch die den Insolvenzrichter sonst möglicherweise treffende Amtshaftung die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes erzwingt (so Smid, DZWIR 2003, 397 (399); ders., Dt. und Eur. Int. InsR, Art. 3 EuInsVO Rn. 13), erscheint zweifelhaft, weil die Vermutung, wenn sie als solche zu verstehen wäre, der Verletzung einer Amtspflicht entgegenstehen dürfte. 178 High Court of Justice London ZIP 2009, 1776 (1773), Nr. 63; Bezelgues, S. 104 f. 177

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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der Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens identisch mit dessen Interessenmittelpunkt ist, obwohl die abhängige Gesellschaft ihre Interessen für Dritte erkennbar in dem Staat verwaltete, in dem sie registriert war.179 Der EuGH berief sich auf den Erwägungsgrund (13) und entschied, dass nur objektive und für Dritte feststellbare Umstände geeignet sind, die Vermutung zu entkräften oder zu widerlegen.180 Gestärkt hat er die Vermutung damit zwar gegenüber dem reinen mind of management-Ansatz, der die in dem Erwägungsgrund (13) vorausgesetzte Erkennbarkeit der Verwaltung außer Acht lässt. Zu der hier interessierenden Frage, um was für eine Art von Vermutung es sich handelt und wie sie zu handhaben ist, hat sich der EuGH dagegen nicht geäußert. Erstens war er hierzu nicht gefragt worden. Und zweitens konnte dies auch nicht entscheidungserheblich sein, weil die Gesellschaft nach den Vorgaben des vorlegenden Gerichts ihre Interessen für Dritte erkennbar an dem Ort verwaltete, an dem sie registriert war181 und die internationale Zuständigkeit nach den beiden Sätzen des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO mithin in demselben Staat lag, so dass es auf die Bedeutung der Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO nicht ankommen konnte. Wie sie zu handhaben ist, wenn Umstände vorliegen, die für Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO relevant sind und zu der internationalen Zuständigkeit eines anderen Staates als dem des satzungsmäßigen Sitzes führen, lässt sich aus der Entscheidung des EuGH in Eurofood mithin nicht ableiten.182 d) Die Erkennbarkeit des satzungsmäßigen Sitzes Schon vor und somit unabhängig von der Entscheidung des EuGH vertraten einige Autoren, dass der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO besonderes Gewicht zukommen müsse, weil der satzungsmäßige Sitz relativ leicht feststellbar sei und die Anknüpfung an ihn daher den Gläubigern in besonderem Maße ermögliche, den Insolvenzgerichtsstand und das anwendbare Insolvenzrecht vorherzusehen und die rechtlichen Risiken für den Insolvenzfall zu berechnen.183 Diese Argumentation verkennt, dass der Interessenmittelpunkt ein wandelbares und die Erkennbarkeit des Insolvenzforums kein eigenständiges 179

Vgl. § 3 D III 2 a). EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 34 – Eurofood. Bemerkenswerterweise heißt es unter Nr. 34 und 36 „entkräften“, unter Nr. 37 dagegen „widerlegen“. 181 Der Registersitz soll unter dem Regime der Verordnung dem satzungsmäßigen Sitz entsprechen; Virgós/Garcimartín, Nr. 60; vgl. näher § 5 D I 2 a) aa). 182 Im Ergebnis ebenso Bufford, NJIBL 27 (2007), 351 (385 f.). 183 Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177 (179); Mankowski, NZI 2004, 450 (451); Adam, S. 122; Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (551); Lüer, in: FS Greiner, S. 201 (207); aus der Zeit nach der Entscheidung des EuGH: Deyda, S. 56. 180

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§ 4 Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners

Anknüpfungskriterium ist. Unabhängig von der Frage, ob der Satzungssitz leicht erkennbar ist,184 hat sich der Gesetzgeber gerade nicht dafür entschieden, die Insolvenzzuständigkeit starr an ihn anzuknüpfen. Vielmehr hat er sie mit der Widerleglichkeit der Vermutung unter den Vorbehalt gestellt, dass der wandelbare Interessenmittelpunkt aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO nicht von ihm abweicht. Die Erkennbarkeit des Insolvenzforums ist zwar auch unter Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO ein wichtiges Element. Doch bleibt nach dem Erwägungsgrund (13) entscheidend, wo die Gesellschaft erkennbar verwaltet wird. Geschieht dies nicht an dem satzungsmäßigen Sitz, fällt der Grund für die Anknüpfung an ihn weg, weil die Vermutung in Satz 2 gerade auf der Annahme beruht, inhaltlich dem zu entsprechen, was unter Satz 1 gilt. Nichts anderes drückte der EuGH in Eurofood aus, als er sagte, dass die Vermutung widerlegt sei, wenn objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, „dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am […] satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll“.185 Mit der etwaig leichten Erkennbarkeit des satzungsmäßigen Sitzes lässt sich mithin nicht begründen, dass der Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO besonderes Gewicht zukommen muss. 4. Ergebnis Das Insolvenzgericht hat den Interessenmittelpunkt des Schuldners unter dem Regime der Verordnung von Amts wegen zu ermitteln. Die Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO ist lediglich eine Zweifelsregel für den Fall, in dem sich der Interessenmittelpunkt nicht feststellen lässt. Einem einheitlichen Insolvenzgerichtsstand für verbundene und in verschiedenen Staaten gegründete Unternehmen steht die Vorschrift mithin nicht entgegen. IV. Zusammenfassung Der Interessenmittelpunkt aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO knüpft die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und mit ihr das anwendbare Insolvenzrecht an den Mitgliedstaat an, vom dem aus die Gesellschaft ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten verwaltet. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass alle rechtsgeschäftlichen Gläubiger diesen Ort erkennen können, so dass sie das Insolvenzforum ihres 184

Kritisch insofern: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 23; Leible/ Staudinger, KTS 2000, 533 (544); Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (288). Die Zweifel hieran schwinden freilich, wenn man unter dem Satzungssitz auch den Registersitz versteht; so Virgós/Garcimartín, Nr. 60. 185 EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 34 – Eurofood.

B. Der Interessenmittelpunkt des Schuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

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Schuldners vorhersehen und die mit der Geltung der lex fori concursus verbundenen rechtlichen Risiken berechnen können, die sie eingehen, wenn sie sich auf ihren Schuldner einlassen und dieser insolvent wird. Verwaltet eine Gesellschaft ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten von verschiedenen Staaten aus, so sollen diejenigen Tätigkeiten entscheidend sein, die als „hauptsächlich“ zu erachten sind. Weil die Verordnung keine Anhaltspunkte dafür bereithält, welche Arten von Tätigkeiten hauptsächlich sind, kann dieses Entscheidungskriterium flexibel gehandhabt werden. Der Gefahr eines ungezügelten forum shopping durch eine kurzfristige Verlegung des Verwaltungsortes wirkt die Verordnung entgegen, indem sie die internationale Eröffnungszuständigkeit an den Ort anknüpft, an dem die Gesellschaft ihre Interessen gewöhnlich oder üblicherweise verwaltet. Einem Konzerninsolvenzgerichtsstand steht die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt jedenfalls nicht generell entgegen, weil sich aus der Verordnung und ihren Materialien nicht ergibt, wodurch sich die Verwaltung einer Gesellschaft auszeichnet. Auch die Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes spricht nicht gegen eine einheitliche Zuständigkeit, weil sie nur eingreift, wenn der Interessenmittelpunkt der Gesellschaft nicht ermittelbar ist. Die bislang offengebliebene und entscheidende Frage lautet, was unter der „Verwaltung“ im Sinne der EuInsVO zu verstehen ist. Ordnet man diese Frage in den bereits dargestellten Meinungsstreit ein, bleibt mithin unklar, ob der Verwaltungsort unter der EuInsVO mit dem effektiven Verwaltungssitz des Gesellschaftskollisionsrechts gleichzusetzen ist oder ob Raum für einen einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand besteht. Zu berücksichtigen bleibt in jedem Fall, dass der Verordnungsgeber von der Erkennbarkeit des Insolvenzforums ausging.

§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz § 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

A. Grund und Gegenstand der weiteren Untersuchung A. Grund und Gegenstand der weiteren Untersuchung

Die Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO hat ergeben, dass ein Konzerninsolvenzgerichtsstand durchaus zulässig ist, zumal aus der Verordnung nicht folgt, dass der Interessenmittelpunkt identisch wäre mit dem effektiven Verwaltungssitz des Gesellschaftskollisionsrechts. Bereits mit diesem Zwischenergebnis ließe sich gut vertreten, jedenfalls für bestimmte Fälle zu einer einheitlichen internationalen Zuständigkeit für die Insolvenz verbundener Gesellschaften zu gelangen. Doch wäre die Untersuchung des Konzerninsolvenzgerichtsstandes unvollständig, wenn nicht untersucht würde, warum der Interessenmittelpunkt nicht schlicht dem effektiven Verwaltungssitz entsprechen soll. Erstens handelt es sich bei ihm um ein bekanntes und erprobtes Anknüpfungskriterium. Zweitens ist nicht auszuschließen, dass mit ihm dieselben Zwecke verfolgt werden wie mit der Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt. Eine inhaltliche Identität mit dem effektiven Verwaltungssitz wäre dann naheliegend und könnte einem Konzerninsolvenzgerichtsstand entgegenstehen. Erforderlich ist es daher, den Gegenstand der Untersuchung auf das Gesellschaftskollisionsrecht und die historische Entwicklung des europäischen Insolvenzrechts zu erweitern. Soweit der Interessenmittelpunkt aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO vorstehend auch historisch ausgelegt wurde, beschränkte sich die Analyse größtenteils auf den Erläuternden Bericht zum Europäischen Insolvenzübereinkommen von 1995, weil es sich bei ihm um den nahezu identischen Vorläufer zu der Europäischen Insolvenzverordnung handelt und die wenigen Materialien zu der Verordnung selbst äußerst spärlich sind.1 Sinnvoll erscheint es daher, den historisch-systematischen Gesamtzusammenhang der seit 2002 geltenden Regelung in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO zu vergegenwärtigen. Gemeint ist damit zweierlei: Aus historischer Sicht ist zu berücksichtigen, dass bereits seit den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts an einer europäischen Lösung 1

Vgl. § 4 A II.

166

§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren gearbeitet wurde. Zwar änderte sich die Anknüpfung der internationalen Zuständigkeit zumindest in sprachlicher Hinsicht, weshalb wir heute nicht mehr von dem Geschäftszentrum, sondern von dem Interessenmittelpunkt sprechen. Doch erscheint es geboten, die recht knappen Aussagen des Erläuternden Berichts zu dem Europäischen Insolvenzübereinkommen zum Anlass zu nehmen, auch die Entwürfe aus den Jahren 1970, 1980 und 1984 in die Untersuchung einzubeziehen. Relevant ist insoweit allein der Bericht von Lemontey zu dem Entwurf von 1980,2 der sich auf immerhin knapp fünf Seiten der internationalen Zuständigkeit widmet. Ebenfalls zu einer historischen Auslegung im weiteren Sinne zu zählen ist die Einbeziehung des Istanbuler Übereinkommens des Europarates von 1990, das zwar nicht umgesetzt und durch das Inkrafttreten der Verordnung überflüssig wurde, aus dem jedoch der Begriff des Interessenmittelpunktes stammt.3 Aus systematischer Sicht ist es erforderlich, den Blick über den Tellerrand des europäischen Insolvenzrechts hinaus auf das europäische Gesellschaftskollisionsrecht zu richten. Da der Interessenmittelpunkt dem effektiven Verwaltungssitz entsprechen könnte, ist zu untersuchen, wo letzterer liegt und warum er dort verortet wird. In einem Gesamtzusammenhang zu sehen sind diese historischen und systematischen Untersuchungen endlich, weil Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ebenso wie jede andere Norm ein Produkt ihrer Zeit und der zu ihr herrschenden Umstände und Rechtslage ist. Ein zwingendes Argument für die Existenz eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes unter dem Regime der Verordnung – so viel sei vorweggenommen – wird sich hieraus nicht herleiten lassen, weil auch ihre Vorläufer und das Gesellschaftskollisionsrecht keine konzernspezifischen Regelungen enthalten. Doch könnte es sein, dass die als bequem erscheinende Annahme einer Identität des Interessenmittelpunktes mit dem effektiven Verwaltungssitz nicht zutrifft und die Analyse mittelbar weiteres Argumentationsmaterial zugunsten einer einheitlichen internationalen Zuständigkeit für die Insolvenzverfahren verbundener Gesellschaften zutage fördert.

2

Bericht über das Übereinkommen über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren von Jacques Lemontey, abgedruckt in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 ff. Der Vorentwurf von 1970 knüpfte die Zuständigkeit noch nicht an den Ort an, an dem der Schuldner seine Hauptinteressen verwaltet, sondern an denjenigen, an dem er sie wahrnimmt. Dies ist überholt und daher für diese Arbeit irrelevant. Der Revidierte Entwurf von 1984 sah gegenüber dem Entwurf von 1980 keine Änderungen vor, die die internationale Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 betreffen, und kann deshalb hier ebenfalls außer Betracht bleiben. 3 Vgl. § 1 B.

B. Die Berichte zum Entwurf von 1980 und zum Istanbuler Übereinkommen

167

B. Die Berichte zum Entwurf von 1980 und zum Istanbuler Übereinkommen B. Die Berichte zum Entwurf von 1980 und zum Istanbuler Übereinkommen

I. Das Istanbuler Übereinkommen von 1990 Art. 4 Abs. 1 des Istanbuler Übereinkommens von 1990 entspricht von seinem Wortlaut her weitgehend Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, der seit 2002 in Kraft ist und auf die wortgleiche Formulierung des EuInsÜ von 1995 zurückgeht. Das Istanbuler Übereinkommen knüpft die internationale Zuständigkeit mithin ebenfalls an den Interessenmittelpunkt an und ist darüber hinaus – soweit ersichtlich – das erste Regelwerk, das diesen Begriff verwendet. Der Bericht zu dem Übereinkommen präzisiert den Interessenmittelpunkt jedoch nur mittelbar, indem er klarstellt, dass die Vermutung, nach der dieser sich an dem satzungsmäßigen Sitz befindet,4 widerlegt sein könne, wenn die Entscheidungen der Geschäftsleitung an einem anderen Ort getroffen werden.5 Da die wesentlichen Entscheidungen einer abhängigen Gesellschaft jedenfalls in zentralistisch organisierten Konzernen in der Regel von der Geschäftsleitung der herrschenden Gesellschaft getroffen werden, erscheint es durchaus möglich, dass die Verfasser des Istanbuler Übereinkommens den Interessenmittelpunkt einer abhängigen Gesellschaft an demjenigen der Konzernmutter verortet hätten. Doch kann diese Annahme nicht mehr als eine gewagte Spekulation sein, weil der Bericht zu dem Übereinkommen, das ebenso wie die Verordnung ein schuldnerbezogenes Konzept verfolgt,6 sich an keiner Stelle zu der Insolvenz verbundener Gesellschaften äußert. Es ist daher nicht bekannt, wie die Verfasser des Istanbuler Übereinkommens das Anknüpfungskriterium in einer Konzerninsolvenz hätten verstanden wissen wollen. Darüber hinaus ist grundsätzlich fraglich, inwieweit die Auslegung des Interessenmittelpunktes unter dem Istanbuler Übereinkommen geeignet ist, überhaupt etwas für das Verständnis desselben Begriffes unter dem Regime der Verordnung beizutragen. Die Vorbildfunktion des Interessenmittelpunktes aus Art. 4 Abs. 1 des Istanbuler Übereinkommens und die inhaltliche Ähnlichkeit dieses Kriteriums mit der Anknüpfung in Art. 3

4

Der Bericht spricht von dem registered office; vgl. hierzu näher § 5 D I 2 a) aa). Unter Nr. 27 des nur in englischer Sprache vorliegenden Berichts heißt es: „This presumption may be refuted. This might be the case where it is proved that the entity’s management decisions are taken elsewhere“. 6 Art. 4 Abs. 1 spricht von „debtors“ sowie „companies and legal persons“; der Bericht spricht im Zusammenhang mit der Vermutung in Art. 4 Abs. 1 Satz 2 darüber hinaus von „corporate entities“, was mit dem Begriff der Kapitalgesellschaften möglicherweise zu eng übersetzt würde, jedenfalls aber keinen Schluss auf konzernrechtliche Erwägungen zulässt. 5

168

§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

Abs. 1 EuInsVO sind offensichtlich und unbestritten.7 Doch ist unklar, auf welchem Weg das Anknüpfungskriterium Eingang in das EuInsÜ und die EuInsVO gefunden hat und wie eng die Verfasser des Istanbuler Übereinkommens mit denen des EuInsÜ zusammengearbeitet haben.8 Es liegt daher nahe, dass lediglich der Begriff aus dem Istanbuler Übereinkommen entlehnt wurde, nicht aber sein Gehalt übernommen werden sollte. II. Der Entwurf für ein Europäisches Insolvenzübereinkommen von 1980 Die Verfasser des Entwurfes für ein Europäisches Insolvenzübereinkommen von 1980 wollten unter dem Geschäftszentrum den Ort verstanden wissen, an dem der Schuldner seine Interessen verwaltet, und meinten damit den Ort, von dem aus die Gesellschaft geleitet wird, von dem aus mit anderen Worten Entscheidungen für sie getroffen werden.9 Der Begriff der Verwaltung statt dem der Leitung wurde – ähnlich wie bei dem Begriff der Interessen – nur deshalb gewählt, weil er hinreichend neutral erschien, um neben Gesellschaften und juristischen Personen auch natürliche Personen zu erfassen.10 Das Geschäftszentrum einer abhängigen Gesellschaft sollte trotz der Maßgeblichkeit des Entscheidungsortes gleichwohl offenbar nicht an dem ihrer Muttergesellschaft liegen. Ausschlaggebend für das Geschäftszentrum einer Tochtergesellschaft sollte ausdrücklich nicht sein, von wo aus sie angewiesen wird, ihre Geschäfte in einer bestimmten Weise zu führen, sondern von wo aus sie selbst ihre Geschäfte leitet und verwaltet.11 Der Verfasser des Berichts zu dem Entwurf meinte, dass das Geschäftszentrum bei Gesellschaften mit dieser Auslegung der Anknüpfung unter den Konkursrechten mehrerer Vertragsstaaten entspreche bzw. ihnen sehr nahekomme.12 Als ein Bekenntnis zu einer Identität des Geschäftszentrums mit dem effektiven Verwaltungssitz können diese Ausführungen nicht verstanden werden, weil sie sich stets nur auf das Insolvenz-, nicht aber das Gesellschaftsrecht der damaligen Vertragsstaaten beziehen. Soweit die Anknüpfung an das Geschäftszentrum inhaltlich mit derjenigen an den effektiven Verwaltungssitz übereinstimmt, ist dies mithin eher ein Zufall, zumal mit 7 Vgl. etwa Adam, S. 44; Fletcher, in: FS Hanisch, S. 89 (101); Gottwald, S. 19 f.; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 3 EuInsVO Rn. 2. 8 Angeblich „deckt“ (Arnold, IPRax 1986, 133 (136)) sich der Interessenmittelpunkt mit dem Geschäftszentrum und ist mit ihm „abgestimmt“ (Arnold, ZIP 1984, 1144 (1150)) bzw. ist dem Istanbuler Übereinkommen „entlehnt“ (Morscher, S. 20); ähnlich Virgós, Insider’s View, Nr. 25: „inspired“. 9 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (114). 10 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (114). 11 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (114). 12 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (115).

B. Die Berichte zum Entwurf von 1980 und zum Istanbuler Übereinkommen

169

dem Interessenmittelpunkt ein ganz neues Anknüpfungskriterium geschaffen werden sollte.13 Zu klären ist, ob die Aussage, nach der es für das Geschäftszentrum einer Tochtergesellschaft nicht auf den Ort ankommen sollte, von dem aus sie angewiesen wird, gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand unter dem Regime der Verordnung spricht. Gegen eine einheitliche Zuständigkeit könnte dies deshalb sprechen, weil gerade der Umstand, dass abhängige Gesellschaften faktisch von dem herrschenden Unternehmen geleitet werden, ein Argument für eine einheitliche Zuständigkeit darstellt. Doch ist unklar, wie der Bericht zu verstehen ist. Darin wird ausgeführt, dass der Ort, an dem die Aktionäre wohnen und ihre Weisungen gegenüber der Tochtergesellschaft erteilen, irrelevant für das Geschäftszentrum dieser Gesellschaft sein müsse.14 Das ist in mehrfacher Hinsicht schief oder zumindest klärungsbedürftig. So ist unklar, ob der Bericht, indem er den Wohnort der Aktionäre erwähnt, nur explizit diesen Ort als denkbares Geschäftszentrum ausschließen will oder ob er weiter davon ausgeht, dass die Aktionäre ihre Weisungen an die Tochtergesellschaft von ihrem Wohnort aus erteilen. Zwar ist denkbar, dass Entscheidungen auch dort getroffen werden, doch wird es in der Regel einen gemeinsamen Entscheidungsort geben, der nicht dort liegt, wo die Aktionäre wohnen. Nicht nachvollziehbar ist weiter, warum der Bericht einerseits abstrakt und im Plural von den Aktionären spricht und andererseits konkret von der Tochtergesellschaft. Ging es dem Berichtsverfasser darum, einen Konzerninsolvenzgerichtsstand auszuschließen, hätte es nahegelegen, von den Weisungen der Muttergesellschaft oder zumindest – im Singular – des Aktionärs zu sprechen. Angesichts dieser Ungereimtheiten ist der Bericht kritisch zu beurteilen.15 Das einzige Argument, das aus ihm gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand ableitet werden kann, besteht darin, dass er den Begriff der Tochtergesellschaft verwendet und ausführt, dass es für ihr Geschäftszentrum auf den Ort ankomme, an dem sie „das Zentrum der Leitung und Verwaltung ihrer Geschäfte hat“16 (Hervorhebung durch den Verfasser). Inwieweit die Verfasser des Entwurfes von 1980 die Problematik der Konzerninsolvenz überhaupt erfasst und in ihre Überlegungen einbezogen haben, muss in Anbetracht der Knappheit dieser Ausführungen offenbleiben.

13 So ausdrücklich Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (113 f.); Vorbild war der Begriff des centre d’affaires; Böhle-Stamschräder, KTS 1964, 65 (73); kritisch: Thieme, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 213 (227 mit Fn. 64). 14 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (114). 15 So auch Thieme, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 213 (259 bis 261). 16 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (114).

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

Weil der Entwurf von 1980 nicht umgesetzt wurde, kann der Bericht von Lemontey auch nicht dasselbe Gewicht bei der Auslegung der Verordnung wie der Erläuternde Bericht von Virgós und Schmit zum Europäischen Insolvenzübereinkommen von 1995 haben, das zwar ebenfalls nicht von allen Vertragsstaaten ratifiziert wurde, aber inhaltlich mit der Verordnung weitgehend übereinstimmt. Der Erläuternde Bericht zum EuInsÜ von 1995 wiederholt die in dem Bericht von 1980 möglicherweise zum Ausdruck kommende Ablehnung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes jedoch gerade nicht, sondern führt lediglich aus, dass Konzerninsolvenzen nicht besonders geregelt werden. Das ist bemerkenswert, weil die Verfasser des EuInsÜ von 1995 die Konzernproblematik erkannt hatten und gleichwohl nicht an die Haltung des Berichts von 1980 anknüpften. Indem die Verfasser des EuInsÜ sich zu der Problematik des Insolvenzgerichtsstandes bei Konzernen enthalten, nehmen sie vielmehr eine flexible Auslegung des Interessenmittelpunktes in Kauf, die zu einer einheitlichen Zuständigkeit für verbundene Gesellschaften führen kann. III. Fazit Aus dem Istanbuler Übereinkommen von 1990 und dem Entwurf für ein Europäisches Insolvenzübereinkommen von 1980 sowie den zu ihnen verfassten Berichten folgt weder, dass die internationale Zuständigkeit an ein Kriterium anknüpft, das mit dem effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft identisch wäre, noch dass ein Konzerninsolvenzgerichtsstand unter dem Regime der EuInsVO ausgeschlossen ist. Um ermitteln zu können, ob der Interessenmittelpunkt aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gleichwohl dem effektiven Verwaltungssitz entspricht, ist es daher erforderlich, das aus dem Internationalen Gesellschaftsrecht bekannte Anknüpfungskriterium darzustellen. Anschließend ist zu eruieren, ob es vorzugswürdig erscheint, den Interessenmittelpunkt ebenso auszulegen wie den effektiven Verwaltungssitz.

C. Der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht C. Der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht

I. Die mitgliedstaatlichen Gesellschaftskollisionsrechte Die EuInsVO harmonisiert mit ihrem Art. 4 und mittelbar mit ihrem Art. 3 Abs. 1 das europäische Insolvenzkollisionsrecht. Das europäische Gesellschaftskollisionsrecht ist dagegen bisher nicht vereinheitlicht worden.17

17 Zur Rechtsangleichung im Europäischen Gesellschaftsrecht, vgl. MünchKommBGB/ Kindler, IntGesR, Rn. 32 ff.

C. Der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht

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Die kollisionsrechtliche Frage,18 nach welchem Recht eine Gesellschaft „entsteht, lebt und vergeht“,19 beantworten vor allem die Sitz- und die Gründungstheorie.20 Nach der Sitztheorie, die in Belgien und Frankreich entwickelt wurde,21 ist das Gesellschaftsrecht des Staates auf die Gesellschaft anzuwenden, in dem sie ihren effektiven Verwaltungssitz hat.22 Dagegen ist nach der aus England stammenden Gründungstheorie,23 die sich vor allem im anglo-amerikanischen Rechtskreis durchgesetzt hat,24 das Gesellschaftsrecht des Staates anzuwenden, in dem die Gesellschaft wirksam gegründet wurde.25 Für die hier zu untersuchende Frage, ob der Insolvenzgerichtsstand aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO dem effektiven Verwaltungssitz entspricht, spielt die Gründungstheorie zunächst keine Rolle. Sie ist daher nur heranzuziehen, soweit dies dem Verständnis des effektiven Verwaltungssitzes dient. II. Die allgemein anerkannte Anknüpfungsformel und ihre Anwendung in der Praxis Nach der auf Sandrock zurückgehenden Anknüpfungsformel,26 der die Rechtsprechung seit einer Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1986 folgt, befindet sich der effektive Verwaltungssitz einer Gesellschaft an dem Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmenslei18 Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 18, spricht von der „quaestio famosa“, ebenso ders., RabelsZ 31 (1967), 1. 19 BGHZ 25, 134 (144). Für sämtliche dieser Fragen ist das Gesellschaftsstatut umfassend maßgeblich. 20 Die zahlreichen differenzierenden Lehren interessieren hier nicht; vgl. die Übersichten bei Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 34–37; Spahlinger, in: Spahlinger/Wegen, Rn. 64–72; Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 11–15; MünchKommBGB/ Kindler, IntGesR, Rn. 387–419; Panthen, S. 45–88; Grothe, S. 64–76. 21 Großfeld, in: FS Westermann, S. 199 (203–215); Martinez Ferber, S. 87; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 420; anders Grothe, S. 43 („in Deutschland und Frankreich“); ausführlich zu der Anknüpfung an den Sitz im französischen Recht: Pohlmann, S. 44 ff. 22 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 420; Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 4. 23 Großfeld, in: FS Westermann, S. 199 (200–203); Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 31; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 359; Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 7. 24 Behrens, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Einl. B, Rn. B 38; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 360, vgl. auch die Nachweise dort unter Rn. 487 f.; Michalski/ Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 7. 25 Je nach Ausgestaltung der konkreten Anknüpfung ist entweder der Ort der Gründung oder derjenige des Registers maßgeblich, in das die Gesellschaft eingetragen ist; vgl. Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 (289 f.); Hofmeister, WM 2007, 868 (869). 26 Sandrock, in: FS Beitzke, S. 669 (684).

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

tung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. 27 Die deutsche Rechtswissenschaft, hat sich dem, soweit sie der Sitztheorie folgt, grundsätzlich angeschlossen.28 Doch erweist sich die Feststellung des effektiven Verwaltungssitzes in der Praxis trotz der langen und relativ konkreten Anknüpfungsformel ähnlich wie bei dem Interessenmittelpunkt als schwierig, weil die Erkenntnismöglichkeiten der Gerichte häufig beschränkt sind. Die Gerichte verfügen regelmäßig nicht über sämtliche Informationen, die für die Beurteilung des effektiven Verwaltungssitzes relevant sind, und versuchen daher notgedrungen, ihn über eine Reihe von Indizien festzustellen. Die Kasuistik, die sich hieraus entwickelt hat, ist unübersichtlich, weil die zahlreichen potentiellen Indizien in Wechselwirkung zueinander stehen und von den Gerichten unterschiedlich gewichtet werden. So begnügen manche Gerichte sich mit einem einzigen Indiz, während andere dasselbe Indiz nicht für allein ausschlaggebend oder jedenfalls dann für weniger relevant halten, wenn andere Indizien vorliegen.29 27 BGHZ 97, 269 (272) = NJW 1986, 2194 (2195); BayObLGZ 1985, 272 (280); KG NJW 1989, 3100 (3101); OLG Hamm NJW-RR 1995, 469 (470 f.); OLG Hamm RIW 1997, 236 (237); OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1124; OLG Frankfurt NJW 1990, 2204 (2204 f.); OLG Hamburg RIW 1988, 816; OLG Oldenburg NJW 1990, 1422; OLG Hamburg ZIP 2007, 1108 (1110); LG Essen NJW 1995, 1500 (1501). 28 Vgl. nur Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 228. Ein Teil der Rechtswissenschaft versteht unter dem effektiven Verwaltungssitz den Ort, an dem die für das Tagesgeschäft zuständigen Mitglieder des Leitungsorgans regelmäßig tätig werden (so z.B. MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 456; Spahlinger, in: Spahlinger/Wegen, Rn. 83; Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 72). Die Vertreter dieser Auffassung bedienen sich damit einer Wendung aus der steuerrechtlichen Rechtsprechung, ohne hiermit eine inhaltliche Änderung gegenüber der Anknüpfungsformel des BGH zu verbinden. Das ist in doppelter Hinsicht zweifelhaft. Erstens ist fragwürdig, ob sich hier inhaltlich eine Parallele zum Steuerrecht, namentlich zu den Tatbestandsmerkmalen der Geschäftsleitung und obergeschäftlichen Leitung in § 1 Abs. 1 KStG und § 10 AO ziehen lässt (dafür: BayObLGZ 1985, 272 (279 f.); Ebenroth, S. 369 f.; Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979), 315 (323 f.); Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 678 (679); MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 461 m.w.N. in Fn. 881; kritisch: Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 229; Panthen, S. 285–291; Kieser, S. 64–68), obwohl derselbe Begriff, der in verschiedenen Gesetzen verwendet wird, nicht notwendigerweise dasselbe meint und hier noch nicht einmal Begriffsidentität besteht. Zweitens verkennen die Vertreter dieser Auffassung, dass ihre Anknüpfungsformel inhaltlich von derjenigen des BGH abweicht, weil ersterer die Maßgeblichkeit der grundlegenden Richtlinien-Entscheidungen fehlt. Da jedoch nicht erkennbar ist, dass sich die Vertreter dieser Auffassung der Abweichung bewusst wären, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie in der Sache etwas anderes als der BGH vertreten. Teilweise wird auch explizit auf den Ort abgestellt, an dem die Leitungsorgane ihre Weisungen erteilen (und nicht darauf, wo diese ihre Wirkungen entfalten); so Ebenroth/Eyles, DB Beilage 2/88, S. 1 (5), sowie Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979), 315 (324). 29 Vgl. auch Bungert, IPRax 1998, 339 (340 sowie 346 f.).

C. Der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht

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Bereits die Adressangabe in Kontoeröffnungsunterlagen30 soll ebenso ein Hinweis auf den effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft sein wie ihr satzungsmäßiger Sitz31 oder ihre Anschrift,32 sofern sie zur Ladung geeignet ist.33 Umgekehrt liege kein effektiver Verwaltungssitz vor, wenn unter der angegebenen Adresse oder Telefonnummer niemand zu erreichen ist.34 Für einen effektiven Verwaltungssitz spreche oder sei sogar zwingend erforderlich,35 dass die Gesellschaft ein Büro hat,36 das zwar einerseits nicht mit hinreichenden Personal- und Sachmitteln ausgestattet sein müsse,37 andererseits aber allein nicht genüge, wenn die geschäftliche Aktivität an einem anderen Ort liegt.38 Wo die für die Geschäftsleitung zuständigen Personen wohnen oder sich aufhalten, wird für die Ermittlung des effektiven Verwaltungssitzes zwar nicht als ausreichend39 oder nicht entscheidend40 erachtet, regelmäßig aber als Indiz herangezogen,41 das umso bedeutender wird, je weniger Umstände sich für den effektiven Verwaltungssitz ermitteln lassen.42 Weniger relevant sei der Wohnort der Geschäftsführer dagegen, wenn die Gesellschaft ihre Geschäfte in einem anderen Staat tätigt.43 Die (fehlende)44 Geschäftstätigkeit der Gesellschaft wird somit ebenfalls als Indiz herangezogen.45 Problematisch ist insoweit, was unter der Geschäftstätigkeit zu verstehen ist und an welchem Ort sie sich manifestiert. Dass es hierfür nicht auf den Zweck des Geschäfts ankommen kann, zeigen zwei sich widersprechende Entscheidungen, in denen das OLG Frankfurt den effektiven Verwaltungssitz einmal an dem Ort der Kapitalbeschaffung und einmal an dem Ort der Kapitalanlage annahm.46 Aber auch auf die Quantität oder Qualität einzelner Entschei30

OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1124 (1125). OLG Frankfurt IPRax 1986, 373 (374). 32 OLG Frankfurt NJW 1964, 2355 (2356); OLG Frankfurt NJW 1990, 2204 (2205). 33 OLG Hamm RIW 1997, 236 (237). 34 OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1124 (1125); LG Rottweil IPRax 1986, 110 (111). 35 OLG Frankfurt NJW 1964, 2355 (2356). 36 BayObLGZ 1985, 272 (280); OLG Frankfurt NJW 1990, 2204 (2205); OLG Hamm RIW 1997, 236 (237). 37 BFH BB 1999, 1416; OLG Hamm NJW-RR 1995, 469 (471). 38 OLG Hamm NJW-RR 1995, 469 (471). 39 OLG München NJW 1986, 2197 (2198). 40 OLG Frankfurt IPRax 1986, 373 (374); OLG Hamburg RIW 1988, 816. 41 BayObLG NZG 2002, 828 (829); OLG Frankfurt NJW 1964, 2355 (2356); OLG Frankfurt NJW 1990, 2204 (2205); OLG Hamburg RIW 1988, 816; OLG Köln DB 1999, 38 (39); OLG München NJW-RR 1995, 703 (704). 42 OLG Köln DB 1999, 38 (39); OLG München NJW-RR 1995, 703 (704). 43 OLG Frankfurt IPRax 1986, 373 (374). 44 OLG Oldenburg NJW 1990, 1422 (1423). 45 OLG Frankfurt IPRax 1986, 373 (374); OLG Köln DB 1999, 38 (39). 46 OLG Frankfurt IPRax 1986, 373 (374) (Beschaffung), einerseits und NJW 1990, 2204 (2205) (Anlage), andererseits. 31

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

dungsakte oder gar der Geschäfte komme es nicht an.47 Entscheidend sei auch nicht der Ausführungsort einzelner wichtiger Geschäfte,48 sondern von wo aus sie angebahnt und abgewickelt würden.49 Weil sich gerade dieser Ort häufig nicht feststellen lässt, hat eine Reihe weiterer Indizien Eingang in die Rechtsprechung gefunden. So soll die Währung des Aktienkapitals50 ebenso ein Indiz sein wie die Anzahl der Zeugen, die bereit wären (sic!), den Verwaltungssitz zu bestätigen.51 Für die Frage, wo eine auf den Cayman Islands gegründete Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz hatte, sollte auch eine Stellungnahme des Bundesamtes der Finanzen relevant sein können.52 Der Austausch der Verwaltungsgesellschaft wurde als Indiz für einen effektiven Verwaltungssitz herangezogen;53 eine übertrieben komplexe Organisationsstruktur stehe nicht der Annahme entgegen, dass dort tatsächlich Geschäftsführungsakte vorgenommen werden.54 Weitgehende Einigkeit besteht wohl darüber, dass der Ort der Betriebsstätten keine Rolle spielt,55 weil er zu unstet56 ist und dort keine unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden.57 Der Überblick über die Rechtsprechung zeigt, dass die von ihr herangezogenen Indizien mit der Definition des effektiven Verwaltungssitzes nur wenig zu tun haben und sie ihre eigene Anknüpfungsformel nicht konsequent anwendet. Insbesondere konkretisiert die Rechtsprechung nicht, welche grundlegenden Entscheidungen umgesetzt werden, wie dies geschieht und was unter „laufenden“ Geschäftsführungsakten zu verstehen ist.58 Vor diesem Hintergrund darf man bereits bezweifeln, ob mit einem synonymen

47

OLG Hamm NJW-RR 1995, 469 (471); OLG München NJW 1986 2197 (2198). OLG München NJW 1986, 2197 (2198); OLG Hamm NJW-RR 1995, 469 (471), das gleichwohl auf den Finanzierungsort der Geschäfte der Gesellschaft abstellte (S. 471 f.). 49 BayObLG NZG 2002, 828 (829); OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1124 (1125). 50 LG Rottweil IPRax 1986, 110 (111). 51 OLG Hamm RIW 1997, 236 (237). 52 OLG Hamm RIW 1997, 236 (238). 53 OLG Hamm RIW 1997, 236 (238). 54 OLG Hamm RIW 1997, 236 (237). 55 RGZ 92, 73 (74); BayObLGZ 1985, 272 (280); Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498 (512 f.); Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 72; Spahlinger, in: Spahlinger/ Wegen, Rn. 88; andererseits deutet das OLG Frankfurt IPRax 1986, 373 (374), an, dass es einen Betrieb im Inland für die Subsumtion des effektiven Verwaltungssitzes herangezogen hätte. 56 Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 72. 57 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 457; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 226. 58 Spahlinger, in: Spahlinger/Wegen, Rn. 83. 48

C. Der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht

175

Verständnis von effektivem Verwaltungssitz und Interessenmittelpunkt überhaupt etwas gewonnen wäre.59 III. Die Sitztheorie als Schutztheorie Wenn hier aber zu untersuchen ist, ob der Interessenmittelpunkt dem effektiven Verwaltungssitz entspricht, so kann man sich nicht darauf zurückziehen, dass letzterer in der Praxis nur schwer zu ermitteln ist und deshalb als Blaupause für den Interessenmittelpunkt ungeeignet sein könnte. Erforderlich erscheint es vielmehr, die ratio zu erläutern, die der Sitztheorie zugrunde liegt, um die beiden Anknüpfungskriterien miteinander vergleichen zu können. Dass der effektive Verwaltungssitz in der Praxis ähnlich schlecht handhabbar ist wie der Interessenmittelpunkt, sagt mit anderen Worten noch nichts darüber aus, ob die beiden Anknüpfungskriterien dasselbe bezwecken und deshalb möglicherweise synonym zu verstehen sind. Die Sitztheorie will über den effektiven Verwaltungssitz – wie grundsätzlich jede andere international-privatrechtliche Anknüpfung auch – die Rechtsordnung zur Anwendung bringen, die am besten geeignet erscheint, den Konflikt zu lösen, dessentwegen sich überhaupt die Frage nach der anwendbaren Rechtsordnung stellt. Am besten geeignet zur Lösung des Konflikts erscheint grundsätzlich die Rechtsordnung, zu der das Rechtsverhältnis oder der Lebenssachverhalt die engste Verbindung aufweist. Soziale Konflikte, in denen Gesellschaften involviert sind, rühren vor allem aus ihrer Tätigkeit her und bestehen vornehmlich mit ihren Gläubigern, Gesellschaftern und den von ihr abhängigen Gesellschaften.60 Die Gründungstheorie, die das Gesellschaftsstatut dem Recht des Staates unterstellt, in dem die Gesellschaft wirksam gegründet wurde, sieht die Funktion des Gesellschaftsrechts primär darin, die Rechtsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern zu regeln, und meint, den Gründungsgesellschaftern überlassen zu können, welcher Rechtsordnung sie sich unterwerfen möchten. Der Sitztheorie liegt die Befürchtung zugrunde, dass die durch die Gründungstheorie gewährte Freiheit, für die Gesellschaft eine ausländische Rechtsform zu wählen, dazu missbraucht werden könnte, die Gesellschaft in einem Staat zu gründen, dessen Gesellschaftsrecht die Gläubiger nicht hinreichend schützt. Nicht hinnehmbar erscheint dies vor allem dann, wenn die Gesellschaft in einem anderen Staat als dem ihrer Gründung tätig ist und sich folglich der Verdacht aufdrängt, dass die ausländische Rechtsform nur gewählt wurde, um die Anwendbarkeit inländi59

Gleichwohl soll der effektive Verwaltungssitz jedenfalls in der Regel bestimmbar sein; so Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 46. Für die Frage, wo der Verwaltungssitz zu verorten ist, hilft diese Erkenntnis nicht weiter. 60 Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1 (22 f.); MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 421; weiter Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498 (513).

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

scher Gläubigerschutzvorschriften zu vermeiden. Anstatt diese Schutzvorschriften im Einzelfall über Sonderanknüpfungen anzuwenden, schützt die Sitztheorie die inländischen Gläubiger, indem sie an das Gesellschaftsrecht des Staates anknüpft, in dem die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz hat.61 Warum dies die Sitztheorie zu einer Schutztheorie62 macht, mit der ein Staat seine gesellschafts- und ordnungspolitischen Wertungen durchsetzen kann, wird erst verständlich, wenn man bedenkt, dass die Sitztheorie im Zusammenspiel mit dem Sachrecht ausländische Rechtsformen vom inländischen Markt fernhält und inländische Rechtsformen an ihn bindet.63 Verlegt eine im Ausland gegründete Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in einen Staat, der der Sitztheorie folgt, wird aus kollisionsrechtlicher Sicht des Zuzugsstaates sein Gesellschaftsrecht anwendbar. Weil die Gesellschaft aber in aller Regel nicht die inländischen Gründungsvorschriften für Kapitalgesellschaften eingehalten hat, kann sie dort allenfalls als Personen(handels)gesellschaft behandelt werden.64 Die Sitztheorie sanktioniert die fehlende Identität der Staaten, in denen die Gesellschaft gegründet und verwaltet wird, folglich im Ergebnis auf sachrechtlicher Ebene, indem sie das Privileg der auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung entfallen lässt.65 Ausländische Kapitalgesellschaften, die ihren effektiven Verwaltungssitz in einen Staat der Sitztheorie verlegen wollen, werden praktisch gezwungen, sich in einer inländischen Rechtsform neu zu gründen. Dasselbe Problem stellt sich, wenn eine Gesellschaft, die unter dem Regime der Sitztheorie gegründet wurde, ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Staat verlegen will. Folgt der Zuzugsstaat der Sitztheorie, wird aus kollisionsrechtlicher Sicht des Zuzugs- und des Wegzugsstaates das Gesellschaftsrecht des Zuzugsstaates anwendbar, dessen Gründungsvorschriften in aller Regel aber nicht ein-

61

Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979), 315 (338). BayObLGZ 1992, 113 (115); Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498 (512); ders., in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Einl. B, Rn. B 16; Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 677; Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 5; MünchKommGmbHG/Weller, Einl. Rn. 325; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 21; Wiedemann, in: FS Kegel, S. 187 (197); vgl. auch BGH NJW 1967, 36 (38). 63 Inwieweit dies auch unter dem Regime der gemeinschaftsrechtlichen Niederlassungsfreiheit und der zu ihr ergangenen Rechtsprechung des EuGH gilt, bedarf im Rahmen der hier anzustellenden historisch-systematischen Untersuchung keiner vertiefenden Betrachtung; vgl. aber unten § 5 D II 1 b). 64 BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 (291) – Trabrennbahn; BGHZ 151, 204 = NJW 2002, 3539. 65 MünchKommGmbHG/Weller, Einl. Rn. 328. 62

C. Der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht

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gehalten sein werden. Auf diese Weise zwingt die Sitztheorie dazu, inländische Rechtsformen vom Inland aus zu verwalten.66 Nicht ohne weiteres ersichtlich ist, warum ausgerechnet der Ort, an dem die Gesellschaft verwaltet wird, eine besondere Verbindung zu den inländischen Gläubigern schafft, deren Schutz die Sitztheorie bezweckt. Näherläge es, das Gesellschaftsrecht des Staates für anwendbar zu erklären, in dem die Gesellschaft den Schwerpunkt ihrer gewerblichen Tätigkeit hat, weil sich dort in der Regel die Mehrzahl ihrer Gläubiger befindet. Als schwierig erwiese es sich jedoch, diesen Schwerpunkt zu ermitteln. Ihn z.B. über die Anzahl der in allen Staaten getätigten Rechtsgeschäfte oder des dort erzielten Umsatzes bestimmen zu wollen, ist nicht praktikabel, zumal sich dieser Ort sehr leicht ändern67 und zu den dargestellten kollisionsrechtlichen Problemen führen kann, auf die die Geschäftsleitung keinen hinreichenden Einfluss hätte. Wo die Gesellschaft sich hauptsächlich wirtschaftlich betätigt, ist daher nicht entscheidend.68 Die Sitztheorie geht vielmehr von der weiteren Annahme aus, dass sich der Schwerpunkt der gewerblichen Tätigkeit und damit die Mehrzahl der von ihr betroffenen Personen dort befindet, wo die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz hat.69 Trifft diese Annahme nicht zu, weil die Gesellschaft von einem anderen Ort aus verwaltet wird als dem, an dem sie tätig ist, bleibt gleichwohl der Verwaltungsort maßgeblich. IV. Die effektive Umsetzung der grundlegenden Entscheidungen 1. Der erste Schritt: Die Maßgeblichkeit der grundlegenden Entscheidungen Die ebenso wie bei dem Interessenmittelpunkt entscheidende Frage lautet, was genau unter dem Verwaltungsort zu verstehen ist. Dazu ist es erforderlich, die Entstehungsgeschichte der Anknüpfungsformel nachzuzeichnen. Nach einem frühen Vorschlag Sandrocks handelt es sich bei dem Verwaltungsort um den Ort, an dem das oberste Verwaltungsorgan der Gesell66

Folgt der Zuzugsstaat dagegen der Gründungstheorie, führt die Gesamtverweisung zu einer Rückverweisung auf das Recht des Wegzugsstaates, die angenommen würde. Ob eine Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes möglich ist, hängt dann vom Gesellschaftssachrecht ab; vgl. instruktiv Kindler, Der Konzern 2006, 811 (813 f.). 67 Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 72. 68 OLG Oldenburg NJW 1990, 1422 (Außenwirkung irrelevant); Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 72 mit Nachweisen zur Gegenansicht in Fn. 230. 69 BGH NJW 1967, 36 (38); BGH EuZW 2000, 412 (413); BayObLGZ 1992, 113 (115); Behrens, RabelsZ 52 (1988) 498 (513); Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1 (22 f.); Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 4; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 421; Spahlinger, in: Spahlinger/Wegen, Rn. 35; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 20 und 40.

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

schaft die Mehrheit seiner grundlegenden Entscheidungen über „die ‚großen‘ Richtlinien der Produktions-, Absatz-, Personal- usw. Politik“ trifft.70 Entscheidend ist mit anderen Worten der Ort der Willensbildung, an dem das zuständige Organ Wesentliches beschließt.71 Die Rechtsprechung stellt dementsprechend auf den tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung ab,72 bei dem es sich um den Schwerpunkt des körperschaftlichen Lebens der Gesellschaft73 handelt, weil an ihm die grundlegenden Entscheidungen getroffen werden,74 und der dort liegt, „wo die Willensbildung des Leitungsorgans erfolgt und von wo aus die wesentlichen Geschäfte geführt werden“.75 Entscheidend sei „der Ort des Ausübens des zentralen Managements, der Kontrolle über die Gesellschaft [und] der Erteilung der Weisungen durch die Geschäftsleitung“.76 Legt man diese Ausführungen zugrunde, scheint eine Identität von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz sogar für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand zu sprechen. 2. Der zweite Schritt: Die effektive Umsetzung dieser Entscheidungen Maßgeblich ist nach der gängigen Anknüpfungsformel jedoch nicht, wo die grundlegenden Entscheidungen getroffen, sondern wo sie effektiv in „laufende“ Geschäftsführungsakte bzw. „in die kleine Münze der täglichen

70

Sandrock, in: FS Beitzke, S. 669 (683). Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 677 (678); a.A. Panthen, S. 299: „Abgabe von Willenserklärungen“. Ungenau ist insoweit die von Teilen der Rechtswissenschaft vorgeschlagene Formel, nach der es auf den Ort ankomme, an dem die für das Tagesgeschäft zuständigen Mitglieder des Leitungsorgans regelmäßig tätig werden. Sie unterschlägt, dass Tätigkeiten nur insoweit relevant sein können, als sie grundlegende Entscheidungen betreffen, und kann nicht erklären, warum sekundäre Verwaltungstätigkeiten wie die Buchhaltung, das Aufbewahren von Akten oder die Abwicklung von Steuerangelegenheiten außer Acht bleiben müssen (vgl. LG Essen NJW 1995, 1500 (1501); Freitag, NZG 2000, 357 (358); MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 457). Man kann die auf das Tagesgeschäft abstellende Anknüpfungsformel zwar vertreten, sie aber nicht als Fortführung oder gar nur Umformulierung der h.M. begreifen, die deshalb an den körperschaftlichen Schwerpunkt der Gesellschaft anknüpft, weil sie dort den Schwerpunkt ihrer gewerblichen Tätigkeit vermutet. Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 677 (678), kritisieren zu Recht, dass man die Form über den Geist stellte, wenn es allein auf den Verwaltungsapparat ankäme. 72 BFH IPRax 1993, 248 (249). 73 OLG München NJW 1986, 2197 (2198); OLG Köln ZIP 2007, 935; MünchKommGmbHG/Weller, Einl. Rn. 320. 74 BGHZ 97, 269 = NJW 2194 (2195); KG NJW 1989, 3100 (3101); LG Essen NJW 1995, 1500. 75 OLG München NJW 1986, 2197 (2198); OLG Köln ZIP 2007, 935. 76 OLG München NJW 1986, 2197 (2198); andererseits soll nach BGH WM 1979, 692 (693), gerade nicht entscheidend sein, wo die herrschenden Personen ihre Weisungen erteilen. 71

C. Der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht

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Verwaltungsentscheidungen“77 umgesetzt werden. Der Ort der internen Willensbildung wird nicht nur als zu unstet erachtet, um als Anknüpfungskriterium zu dienen.78 Er bereitete darüber hinaus in Konzernrechtsverhältnissen Schwierigkeiten: Bestimmte sich das Gesellschaftsstatut allein nach dem Ort, an dem der Wille einer Gesellschaft gebildet wird, wäre jedenfalls bei zentralistisch organisierten Konzernen das Gesellschaftsstatut der Konzernmutter auch auf ihre Tochtergesellschaften anwendbar, weil deren wesentlichen Entscheidungen von den Leitungsorganen des herrschenden Unternehmens getroffen werden.79 Problematisch wäre dies, weil abhängige Gesellschaften häufig in anderen Staaten gegründet werden und regelmäßig nur die dort geltenden Gründungsvoraussetzungen beachten, nicht aber diejenigen, die sie unter dem Gesellschaftsstatut der Konzernmutter einhalten müssten. Unter der Sitztheorie könnten die abhängigen Gesellschaften mithin nicht wirksam in der Rechtsform entstehen, in der sie entstehen sollen.80 Neben dieser spezifisch konzernrechtlich motivierten Funktion dient das Erfordernis einer Umsetzung der grundlegenden Entscheidungen aber auch dazu, die Richtigkeit des Erfahrungssatzes der Sitztheorie aufrechtzuerhalten, nach dem sich die meisten der von der Tätigkeit einer Gesellschaft betroffenen Personen an dem Sitz der Hauptverwaltung befinden. Weil sich die Mehrzahl der Gläubiger einer abhängigen Gesellschaft häufig gerade nicht in dem Staat befindet, in dem die Konzernmutter ihre Verwaltungszentrale hat, soll das Gesellschaftsstatut nicht an diesen Ort, sondern an einen „eigenen“ Verwaltungssitz der abhängigen Gesellschaft angeknüpft werden. Effektiv verwaltet im Sinne der Sitztheorie wird eine Gesellschaft daher dort, wo die grundlegenden Entscheidungen die verwaltungsinterne Sphäre gewöhnlicherweise oder mit hinreichender Regelmäßigkeit verlassen und nach außen wirken.81 Dies zollt dem Umstand Tribut, dass – bildlich gesprochen – der Kopf und die Hände einer Gesellschaft sich nicht zwangsläufig an demselben Ort befinden. Die Konzernmutter trifft zwar häufig alle wesentlichen Entscheidungen für die Tochtergesellschaft – der „Kopf“ der abhängigen Gesellschaft befindet sich mithin an dem Verwaltungssitz des herrschenden Unternehmens. Weil gesellschaftliche Machtwirkung 77

Sandrock, in: FS Beitzke, S. 669 (683). BayObLGZ 1985, 272 (280); OLG Hamburg MDR 1976, 402; Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 72; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 456. 79 Behrens, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Einl. B, Rn. B 19. 80 Koppensteiner, S. 124 f., weist zu Recht darauf hin, dass das Erfordernis der Umsetzung der Verwaltungsentscheidungen bei Tochtergesellschaften, die im Ausland gegründet wurden, kurioserweise zu einer Annäherung an die Gründungstheorie führt. 81 BayObLG NJW-RR 1999, 401; ähnlich Kieser, S. 91 f.; so wohl auch MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 456. 78

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

aber nicht tatsächliche Verwaltung ist,82 geschieht allein durch den Beschluss des herrschenden Unternehmens noch nichts, solange er nicht von den „Händen“ der abhängigen Gesellschaft umgesetzt wird, die sich dort befinden, wo die zuständigen Organe ihre geschäftsführende Tätigkeit entfalten.83 V. Zusammenfassung Der Begriff des effektiven Verwaltungssitzes ist das Anknüpfungskriterium, mit dem die Sitztheorie kollisionsrechtlich das Gesellschaftsstatut bestimmt. Die ratio der Anknüpfung besteht darin, die Rechtsordnung für anwendbar zu erklären, in deren Geltungsgebiet sich die Mehrzahl der Personen befindet, die von der Existenz und der Tätigkeit der Gesellschaft betroffen sind. Zu ihnen zählen vor allem die Gläubiger. Sie werden geschützt, indem das Gesellschaftsrecht angewendet wird, das ihnen vertraut ist, weil es in dem Staat gilt, in dem sie leben. Im Zusammenspiel mit anderen Rechtsordnungen, die der Sitztheorie folgen, und dem jeweils anwendbaren Sachrecht zwingt das Erfordernis eines Verwaltungssitzes in dem Gründungsstaat Gesellschaften mittelbar, sich der Rechtsformen derjenigen Rechtsordnung zu bedienen, in deren Geltungsgebiet sie tätig sein wollen. Die Sitztheorie kann zwar nicht rechtlich verhindern, dass eine ausländische Gesellschaft im Inland tätig ist, tut dies aber faktisch, indem ausländischen Kapitalgesellschaften das Privileg der beschränkten Haftung genommen wird, wenn sie die inländischen Gründungsvorschriften nicht einhalten. Entscheidend für die Anknüpfung unter der Sitztheorie ist gleichwohl nicht, auf welchem nationalen Markt die Gesellschaft auftritt und den Schwerpunkt ihrer gewerblichen Tätigkeit hat, sondern in welchem sie verwaltet wird und ihr körperschaftlicher Schwerpunkt liegt. Dies beruht auf der Annahme, dass eine Gesellschaft dort tätig ist, wo sie verwaltet wird. Verwaltet wird sie nach allgemeiner Ansicht an dem Ort, an dem ihre Leitungsorgane die grundlegenden Entscheidungen umsetzen.

D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz

Die Ähnlichkeit des Interessenmittelpunktes mit dem effektiven Verwaltungssitz ist offensichtlich. Beide knüpfen an den Verwaltungsort der Gesellschaft an. Es liegt daher nahe, sie synonym zu verstehen, um für die 82 83

Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 230. Kieser, S. 98–101.

D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz

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bisher unbeantwortet gebliebene Frage, wodurch sich der Verwaltungsort im Sinne der EuInsVO auszeichnet, die Auslegung des effektiven Verwaltungssitzes heranziehen zu können. Dieses seit vielen Jahrzehnten bekannte Anknüpfungskriterium des Gesellschaftskollisionsrechts hat sich in der Praxis zwar als schwer handhabbar erwiesen. Doch steht das einem synonymen Verständnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz nicht entgegen. Klargestellt sei noch einmal, dass ein Konzerninsolvenzgerichtsstand bei einer Identität der beiden Anknüpfungskriterien regelmäßig ausscheidet, weil die grundlegenden Entscheidungen einer Gesellschaft in der Regel zwar von der Konzernzentrale getroffen, nicht aber in demselben Staat umgesetzt werden. I. Identität zwischen Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz? 1. Die Dominanz der Sitztheorie in den Anfängen des europäischen Insolvenzrechts Für ein Verständnis des Interessenmittelpunktes im Sinne des effektiven Verwaltungssitzes spricht, dass die meisten Mitgliedstaaten der Sitztheorie folgten, als die Europäische Insolvenzverordnung – ursprünglich noch als Übereinkommen – diskutiert und entworfen wurde. Als der Vorentwurf zu einem Europäischen Insolvenzübereinkommen aus dem Jahre 1970 erarbeitet wurde, galt die Sitztheorie in Belgien,84 Frankreich,85 Luxemburg86 und Deutschland. Lediglich die Niederlande folgten wohl87 der Gründungstheorie,88 während Italien nur an das Gründungsrecht der Gesellschaft an-

84 Die einseitige Kollisionsnorm in Art. 197 des Gesetzes über die Handelsgesellschaften vom 30.11.1935 wurde als allseitige verstanden; Behrens/Behrens, Rn. B 49; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 511; Rigaux, S. 140 f. (Nr. 102). 85 Art. 3 des Gesetzes Nr. 66/537 vom 24.7.1966 über die Handelsgesellschaften, der nach Mayer, Rn. 1037, auf eine ungenaue Rezeption der französischen Rechtsprechung zurückgeht; Behrens/Behrens, Rn. F 50; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 511 mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung in Fn. 1094. 86 Die einseitige Kollisionsnorm in Art. 159 des Gesetzes über Handelsgesellschaften vom 10.8.1915 wird als allseitige verstanden; Behrens/Behrens, Rn. L 48; ders., RIW 1986, 590 (592); Putz, in: Hirte/Bücker, § 8 Rn. 32 (aber Vermutung zugunsten des Satzungssitzes). 87 So Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 157. Die Unsicherheit über die Anknüpfung in den Niederlanden dürfte darauf zurückzuführen sein, dass das Internationale Privatrecht der Niederlande bis zu dem Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts durch richterliche Rechtsfortbildung geprägt war; vgl. Boele-Woelki, IPRax 1995, 264. 88 Behrens/Gotzen, Rn. NL 55; Grothe, S. 32 f.; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 509; zu der seit 1998 geltenden Rechtslage: Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 (301–303).

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

knüpfte,89 sofern ihr Verwaltungssitz oder der Schwerpunkt ihrer gewerblichen Tätigkeit nicht in Italien lag.90 Zu dem Zeitpunkt des Entwurfes von 1980 waren neben Dänemark, dessen „Registrierungstheorie“ 91 der Sitztheorie92 zugeordnet wird, zwar mit dem Vereinigten Königreich und Irland zwei Staaten beigetreten, die eindeutig der Gründungstheorie folgen.93 Doch war die Anknüpfung der internationalen Insolvenzzuständigkeit in der Zwischenzeit kaum verändert worden. Erheblichen Einfluss hatte die Aufnahme der Staaten, die der Gründungstheorie folgten, mithin nicht. Bis zum Jahre 1995, in dem das Europäische Insolvenzübereinkommen ausgearbeitet wurde, waren den Europäischen Gemeinschaften außerdem Griechenland,94 Portugal95 und Spanien96 beigetreten, die sämtlich der Sitztheorie folgten.97 2. Die Anknüpfung an den satzungsmäßigen Sitz a) Ein Kompromiss zwischen Sitz- und Gründungstheorie? Ein weiteres Argument für die Identität des effektiven Verwaltungssitzes mit dem Interessenmittelpunkt aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO könnte darin liegen, dass die Vorschrift in ihrem Satz 2 eine Vermutung zugunsten 89 Hieran hat sich durch die Reform des italienischen Internationalen Privatrecht im Jahre 1995 nichts Wesentliches geändert; Behrens/Kronke, Rn I 52; Kindler, RabelsZ 61 (1997), 227 (282); Pocar, IPRax 1997, 145 (160); vgl. zur Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts in Italien aber auch Mucciarelli, ECFR 2005, 512, 519 ff. 90 Behrens/Kronke, Rn. I 52; Kindler, RabelsZ 61 (1997), 227 (282 f.); Pesce, RIW 1995, 977 (981); Pocar, IPRax 1997, 145 (160); ungenau daher Grothe, S. 32. 91 Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 (306). 92 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 511. Nach Behrens/Carsten, Rn. DK 49, deute die Anknüpfung an den Registrierungsort auf eine Entwicklung von der Sitz- zur Gründungstheorie hin, doch bleibe der inländische Verwaltungssitz für die Eintragung erforderlich. 93 Behrens/Behrens, Rn. GB/NI/EI 59; Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 (287 ff.); MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 509. 94 Behrens/Digenopoulos, Rn. GR 51; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 511. 95 Behrens/Rau, Rn. P 55; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 511; Steiger, S. 261 f. 96 Behrens/Keil, Rn. E 51; Cabanas Trejo/Vestweber, ZVglRWiss 95 (1996), 444 (446); MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 511; a.A. Steiger, S. 168 f., nach dem das spanische Gesellschaftskollisionsrecht der gespaltenen Anknüpfung des italienischen Gesellschaftskollisionsrechts entspricht, also grundsätzlich der Gründungstheorie folgt und an den tatsächlichen Sitz nur anknüpft, soweit dieser im Inland liegt; differenzierend auch: Krupski, ZVglRWiss 96 (1997), 406. 97 Dass der Beitritt von Schweden, Finnland und Österreich zum 1.1.1995 noch Einfluss auf das Übereinkommen vom 23.11.1995 hatte, erscheint ausgeschlossen, weil die Arbeiten an dem Übereinkommen 1989 angestoßen wurden und von 1991 bis 1995 dauerten; vgl. Virgós/Schmit, Nr. 1.

D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz

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des satzungsmäßigen Sitzes aufstellt. Die Anknüpfung in den beiden Sätzen des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO könnte einen Kompromiss zwischen der Sitz- und der Gründungstheorie darstellen.98 Das setzt freilich voraus, dass die Anknüpfung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO derjenigen unter der Gründungstheorie entspricht. aa) Die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts unter der Gründungstheorie Doch knüpft die Gründungstheorie das Statut einer Gesellschaft nicht an ihren satzungsmäßigen Sitz an, sondern an den Ort ihrer Inkorporation.99 Beide sind nicht zwingend identisch, weil eine Gesellschaft sich denknotwendig nicht identitätswahrend in einem anderen Staat neu gründen, den in ihrer Satzung niedergelegten Sitz – unabhängig von seiner kollisionsrechtlichen Relevanz und vorbehaltlich sachrechtlicher Beschränkungen – theoretisch aber ändern kann, ohne ihre Identität zu verlieren.100 Soweit der Gründungstheorie gleichwohl das Verständnis beigelegt wird, dass sie auf den satzungsmäßigen Sitz abstellt, beruht dies auf einer unzulässigen Gleichsetzung des Gründungsortes mit dem registered office der unter ihrem Regime gegründeten Gesellschaften.101 Dass dies verfehlt ist, wird klar, wenn man neben der in Großbritannien und Irland begründeten Gründungstheorie auch das Sachrecht dieser Rechtsordnungen betrachtet. So muss zwar auch eine unter dem britischen Recht gegründete Gesellschaft einen satzungsmäßigen Sitz haben und in ein Register eingetragen werden. Anders als in dem kontinental-europäischen Recht kommt in dem satzungsmäßigen Sitz jedoch kein körperschaftlicher Schwerpunkt der Gesellschaft zum Ausdruck. Die Wahl eines satzungsmäßigen Sitzes soll vielmehr nur festlegen, wo die Gesellschaft ihr registered office hat.102 Dieses kann nicht mit dem satzungsmäßigen Sitz im kontinental-europäischen Sinne gleichgesetzt werden, weil es vornehmlich als inländische Adresse für Zustellungen und für die Einsichtnahme in offizielle Doku98

Probst, S. 183 f.; Gottwald/Kolmann, in: Gottwald, InsRHdb, § 130 Rn. 16; a.A. Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 12; MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 14. 99 Behrens/Behrens, Rn. GB/NI/EI 59; ebenso Kaulen, IPRax 2008, 389 (392), für die USA. „Die“ Gründungstheorie gibt es genaugenommen nicht, sondern nur verschiedene Varianten von ihr; vgl. ausführlich Hoffmann, ZVglRWiss 101 (202), 283, sowie zu den in Betracht kommenden Anknüpfungsmomenten: MünchKommGmbHG/Weller, Einl. Rn. 333. 100 Behrens/Behrens, Rn. GB/NI/EI 16; ausdrücklich auf den Unterschied zwischen Gründungstheorie und „Satzungssitztheorie“ hinweisend: Hoffmann, ZIP 2007, 1581 (1585). 101 Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 (292 ff.). 102 Behrens/Behrens, Rn. GB/NI/EI 59; vgl. auch Kasolowsky/Schall, in: Hirte/ Bücker, § 4 Rn. 9 und 16.

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

mente der Gesellschaft dient.103 Für das Kollisionsrecht hat der Satzungssitz im britischen Recht keine Bedeutung.104 Das britische Kollisionsrecht knüpft das Gesellschaftsstatut auch nicht etwa an das registered office an. Dieses wird vielmehr erst relevant, wenn bereits feststeht, dass das britische Gesellschaftsrecht anwendbar ist,105 und dient dann dazu, die Gesellschaft einer der drei britischen Jurisdiktionen England, Schottland und Wales zuordnen zu können.106 Eine kollisionsrechtliche Anknüpfung geht damit nicht einher, weil das Gesellschaftssachrecht für alle drei Rechtsordnungen gleich ist.107 Wenn dem registered office in den Staaten, die der Gründungstheorie folgen, aber keine kollisionsrechtliche Funktion zukommt, kann es auch nicht mit dem satzungsmäßigen Sitz im Sinne der EuInsVO gleichgesetzt werden.108 Insofern ist die Anknüpfung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO kein Argument für eine Identität von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz. bb) Die Ausführungen Lemonteys zum satzungsmäßigen Sitz Gegen einen Kompromiss zwischen der Sitz- und der Gründungstheorie könnten auch die Ausführungen Lemonteys in seinem Bericht zu dem Entwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren von 1980 sprechen. Danach verfolge die Vermutung zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes andere Ziele als bei der Anerkennung von Gesellschaften, weswegen für das Geschäftszentrum bewusst nicht die Kriterien des Art. 58 EWGV109 herangezogen worden seien, die durch die allgemeinen Programme vom 18.12.1961 über die Aufhebung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit110 und den freien Dienstleistungsverkehr111 ergänzt worden sind.112 Bemerkenswert ist, dass die Folgen einer Anknüpfung an die Sitztheorie seinerzeit gemeinschaftsrechtlich im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit aus Art. 58 EWGV für unproblematisch erachtet wurden. Die beiden allgemeinen Programme von 1961 sollten die Sitztheorie stärken. Nach ihnen sollten Gesellschaften, die ihren effektiven Verwaltungssitz in einem Vertragsstaat der Europäischen 103

Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 (293); Probst, S. 107. Behrens/Behrens, Rn. GB/NI/EI 59. 105 Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 (293). 106 Das irische Gesellschaftsrecht sieht keine entsprechende Bestimmung vor, weil es von vornherein nur für eine Rechtsordnung Geltung beansprucht; Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 (294). 107 Behrens/Behrens, Rn. GB/NI/EI 2. 108 Fragwürdig daher Virgós/Garcimartín, Nr. 60. 109 Die Norm ist identisch mit Art. 48 EG (nunmehr Art. 54 AEUV). 110 ABlEG Nr. 2 vom 15.01.1962, S. 36–45. 111 ABlEG Nr. 2 vom 15.01.1962, S. 32–35. 112 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (114). 104

D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz

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Gemeinschaft hatten, auch dann in den Genuss der Niederlassungsfreiheit kommen, wenn sie in einem Drittstaat gegründet wurden. Daraus etwas für oder wider ein Verständnis des Interessenmittelpunktes als effektiven Verwaltungssitz abzuleiten, wäre jedoch reine Spekulation, weil Lemontey nicht klarstellt, welche „anderen“ Ziele das Insolvenzübereinkommen mit der Vermutung verfolgt. b) Ein Zugeständnis an die eingeschränkte Bestimmbarkeit des effektiven Verwaltungssitzes? Lässt sich die Vermutung zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes mithin nicht als Kompromiss zwischen der Sitz- und der Gründungstheorie auffassen, so ist damit noch nicht gesagt, dass mit dem Interessenmittelpunkt nicht doch der effektive Verwaltungssitz gemeint ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO könnte auch ein Zugeständnis an die Ausgestaltung der Sitztheorie in den verschiedenen Mitgliedstaaten sein. So ist in Deutschland streitig, ob eine tatsächliche Vermutung, also ein Erfahrungssatz, dafür spricht, dass sich der effektive Verwaltungssitz an dem satzungsmäßigen Sitz befindet.113 Die Rechtsprechung bejaht dies114 und wird von einem Teil der Literatur unterstützt,115 der sich jedoch nicht einig ist, ob der Erfahrungssatz immer dann nicht zutrifft, wenn der Gründungsstaat der Gründungstheorie folgt, weil die Gesellschaft dann von vornherein keinen Grund habe, ihren effektiven Verwaltungssitz in dem Gründungsstaat zu haben,116 oder ob er nur dann nicht zutrifft, wenn die Gesellschaft in einem notorischen steuer- und gesellschaftsrechtlichen „Oasenstaat“ gegründet wurde,117 während ein anderer Teil der Literatur den geschilderten Erfahrungssatz vollständig ablehnt, weil der effektive 113

Ausdrücklich von einer echten Vermutung, die zu einer Umkehr der Beweislast führt, geht allein das OLG München NJW 1986, 2197 (2198) aus. Der BGH vertritt dies in BGHZ 97, 269 = NJW 1986, 2194, entgegen Bungert, DB 1995, 963, und ders., in IPRax 1998, 339 (341), wohl nicht, weil er dann in dem konkreten Fall unsinnigerweise eine Vermutung zu Lasten der ohnehin beweispflichtigen Partei aufgestellt hätte; so mit Recht MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 478; dagegen auch: Travers, S. 178; Werner, S. 75. 114 OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1124 (1125); OLG Hamm NJW-RR 1995, 469 (470) (für das Grundbuchverfahren); OLG Oldenburg NJW 1990, 1422; LG Rottweil IPRax 1986, 110 (111); offengelassen von OLG Frankfurt NJW 1990, 2204 (2205); OLG Hamm RIW 1997, 236 (238); vgl. aber OLG Thüringen DB 1998, 1178. 115 Bungert, DB 1995, 963 (964); ders., IPRax 1998, 339 (344); Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 78; MünchKommGmbHG/Weller, Einl. Rn. 322; von der Seipen, IPRax 1986, 91 (93). 116 Freitag, NZG 2000, 357 (359); Travers, S. 188 f. sowie 194 f.; so auch OLG Thüringen DB 1998, 1178. 117 Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 78; Travers, S. 189 f.; Werner, S. 93 f.

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

Verwaltungssitz ein wandelbares Anknüpfungskriterium ist und der Umstand, wo er sich bei Gründung der Gesellschaft im Gründungsstaat befand, daher nicht darüber aussage, wo er sich später befindet.118 Auch in anderen Rechtsordnungen hat der satzungsmäßige Sitz eine kollisionsrechtliche Funktion. So werden in Frankreich, Spanien und Portugal Dritte in ihrem Vertrauen auf die Anwendbarkeit des über den satzungsmäßigen Sitz berufenen Gesellschaftsstatuts dadurch geschützt, dass sie dieses Anknüpfungskriterium wählen können, oder dadurch, dass die Gesellschaft sich ihnen gegenüber nicht auf ihren tatsächlichen Sitz berufen kann, wenn er vom Satzungssitz abweicht.119 In Frankreich120 und Luxemburg121 besteht darüber hinaus eine Vermutung, dass sich der effektive Verwaltungssitz an dem Satzungssitz befindet. Doch ist nicht hinreichend klar, ob es sich um echte Rechtsvermutungen oder lediglich um den Erfahrungssatz handelt, von dem auch die wohl herrschende Meinung in Deutschland ausgeht. War mithin bekannt, dass sich der effektive Verwaltungssitz nur schwer ermitteln lässt, könnte der Normgeber die Schwierigkeiten, die es bereitet, den Interessenmittelpunkt zu bestimmen, vorhergesehen und mit der Vermutung zugunsten des Satzungssitzes zu entschärfen versucht haben. Das muss nicht, kann aber bedeuten, dass er die Anknüpfung in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO wie diejenige an den effektiven Verwaltungssitz verstanden wissen wollte. 3. Der unterschiedliche Wortlaut Gegen ein identisches Verständnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz könnte die unterschiedliche Wortwahl bei der Anknüpfung sprechen. Der Verordnungsgeber ging davon aus, dass jeder seine Interessen verwaltet.122 Für die Zwecke des Insolvenzstatuts hätte er daher auch bei natürlichen Personen auf ihren „Verwaltungssitz“ abstellen können. Doch ist das juristische Denken bei natürlichen Personen traditionell weniger einem Verwaltungssitz als vielmehr ihrem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort verhaftet, weil ihr Lebensschwerpunkt typischerweise an einem dieser Orte liegt. Bei natürlichen Personen auf ihren 118 Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 676 (681); MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 471; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 237; Werner, S. 55. 119 Vgl. Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 66/537 (Frankreich); Art. 7 Abs. 2 des Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 23.3.1995 (Spanien); Art. 3 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzesdekrets Nr. 262/86 vom 2.9.1986 (Gesetzbuch der Handelsgesellschaften) (Portugal). 120 Batiffol/Lagarde, Nr. 194 (S. 338). 121 Putz, in: Hirte/Bücker, § 8 Rn. 32. 122 Vgl. Virgós/Garcimartín, Nr. 50; Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 93 (114), spricht dagegen davon, dass jeder sein „Vermögen“ verwaltet.

D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz

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„Verwaltungssitz“ abzustellen, hätte künstlich gewirkt. Die unterschiedliche Wortwahl der Anknüpfungen im europäischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht ist daher lediglich dem Umstand geschuldet, dass sich der persönliche Anwendungsbereich der Europäischen Insolvenzverordnung auch auf natürliche Personen erstreckt, und spricht daher weder für noch gegen ein identisches Verständnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz. 4. Die autonome Auslegung des Gemeinschaftsrechts Die Argumente, die dafür sprechen, dass der Normgeber mit dem Interessenmittelpunkt den effektiven Verwaltungssitz meinte, sind relativ vage. Es erscheint schlicht bequem, für die Auslegung des nur schwer bestimmbaren Interessenmittelpunktes den effektiven Verwaltungssitz heranzuziehen. Gegen eine Identität der beiden Anknüpfungskriterien spricht ungeachtet ihrer Ähnlichkeit jedoch, dass der Interessenmittelpunkt ein autonom auszulegendes Anknüpfungskriterium des sekundären Gemeinschaftsrechts ist.123 Der Verordnungsgeber wollte und konnte auch nur ein autonom auszulegendes Anknüpfungskriterium schaffen.124 Dagegen gibt es keinen vereinheitlichten Begriff des effektiven Verwaltungssitzes. Dieser ist vielmehr stets nach der lex fori auszulegen.125 Die Präzisierung des effektiven Verwaltungssitzes durch die Rechtsprechung und die Rechtswissenschaft in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen mag kaum unterscheidbar sein. Vollkommen einheitlich und somit identisch ist der effektive Verwaltungssitz in den verschiedenen Mitgliedstaaten jedoch nicht. Eine Identität des Interessenmittelpunktes mit dem effektiven Verwaltungssitz ist daher ausgeschlossen. II. Weitgehend gleiche Auslegung von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz? Ist der Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft mit ihrem effektiven Verwaltungssitz mithin nicht identisch, so könnten die beiden Anknüpfungskriterien gleichwohl so ähnlich sein, dass sie in der Regel zu identischen Anknüpfungsergebnissen führen. Sinnvoll wäre eine weitgehend identische Auslegung, wenn sie zu einem Gleichlauf von Gesellschafts- und Insolvenzstatut führte oder den beiden Anknüpfungskriterien dieselbe ratio zugrunde läge.

123

Vgl. statt vieler EuGH ZIP 2006, 907 (908), Nr. 31 – Eurofood. Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (899). 125 Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rn. 74; Spahlinger, in: Spahlinger/ Wegen, Rn. 80; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 226. 124

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

1. Der wünschenswerte Gleichlauf von Gesellschafts- und Insolvenzstatut a) Die uneinheitliche Qualifikation des Gläubigerschutzrechts Weil das Gläubigerschutzrecht keine Materie ist, die ausschließlich und eindeutig dem Gesellschafts- oder dem Insolvenzrecht zugeordnet werden könnte, ist die international-privatrechtliche Qualifikation zahlreicher Gläubigerschutzelemente wie etwa der Insolvenzantragspflicht, der Insolvenzverschleppungshaftung, des Eigenkapitalersatzrechts und des existenzvernichtenden Eingriffes schwierig.126 Da sie vor allem davon abhängt, wie das einzelne Element in das Gesamtsystem des Gläubigerschutzes eingebettet ist, können auf den ersten Blick miteinander vergleichbare Gläubigerschutzelemente verschiedener Rechtsordnungen auf den zweiten Blick durchaus voneinander abweichende Funktionen erfüllen und daher unterschiedlich zu qualifizieren sein. Die hieraus resultierenden Normenhäufungen und -mängel ließen sich weitgehend vermeiden, wenn das Gesellschafts- und das Insolvenzstatut identisch wären, weil die gläubigerschützenden Elemente regelmäßig diesen beiden Rechtsgebieten zuzuordnen sind und durch die identische Anknüpfung die einheitliche Geltung eines Gläubigerschutzsystems gewährleistet würde. Die Abgrenzung zwischen dem Gesellschafts- und dem Insolvenzstatut wäre dann entbehrlich. Unter diesem Gesichtspunkt könnte ein weitgehend identisches Verständnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz sinnvoll sein. b) Die Auswirkungen der Niederlassungsfreiheit auf die Sitztheorie Ein derartiges Verständnis des Interessenmittelpunktes wäre jedoch dann nicht geboten, wenn sich der wünschenswerte Gleichlauf von Gesellschafts- und Insolvenzstatut mit ihm nicht erreichen ließe. Das ist dann der Fall, wenn sich das Gesellschaftsstatut in dem Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten nicht nach dem effektiven Verwaltungssitz bestimmt. Dies wiederum hängt nicht allein davon ab, ob die mitgliedstaatlichen Gesellschaftskollisionsrechte der Sitztheorie folgen, sondern auch davon, ob und inwiefern die etwaig geltende Sitztheorie durch die gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsfreiheit aus Art. 43, 48 EG (nunmehr Art. 49, 54 AEUV) überlagert wird.

126 Vgl. BGH NJW 2011, 3784 (3786 f.); Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106; Borges, ZIP 2004, 733; Bitter, WM 2004, 2190; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474; ders., NJW 2005, 1618; von Hase, BB 2006, 2141; Hirte/Mock, ZIP 2005, 474; U. Huber, in: Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307; Kuntz, NZI 2005, 424 (426 ff.); Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker, § 17 Rn. 66 ff.; Schumann, DB 2004, 743; Ulmer, KTS 2004, 291; vgl. auch die Übersicht bei Pannen, in: Pannen, EuInsVO, Art. 4 Rn. 77–102.

D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz

189

So hat der EuGH in seinen Entscheidungen zu den Rechtssachen Centros,127 Überseering128 und Inspire Art 129 die Anwendung bestimmter inländischer Vorschriften auf Gesellschaften, die in einem anderen Mitgliedstaat gegründet wurden, für nicht vereinbar mit der Niederlassungsfreiheit erachtet.130 Ob und inwieweit diese Entscheidungen der Niederlassungsfreiheit einen kollisionsrechtlichen Gehalt zusprechen, der zu der Anwendbarkeit des Gründungsstatuts der Gesellschaft führt, ist umstritten und braucht hier nicht näher dargestellt zu werden.131 Aus den vorstehenden Entscheidungen folgt jedenfalls, dass ein Mitgliedstaat den Zuzug einer Gesellschaft, also die Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in das Inland, unter dem Regime der Niederlassungsfreiheit hinzunehmen hat und ihn nicht dadurch behindern darf, dass er auf die Gesellschaft inländische Vorschriften des Gesellschaftsrechts anwendet, die bei einer Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz grundsätzlich zur Anwendung berufen wären. Zwar hat der EuGH später in der Rechtssache Cartesio entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates nicht entgegenstehe, die es einer nach dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaft verwehren, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Eigenschaft als Gesellschaft des nationalen Rechts des Mitgliedstaates zu behalten, nach dessen Recht sie gegründet wurde.132 Der EuGH hat mit dieser Entscheidung jedoch lediglich seine Rechtsprechung aus der Rechtssache Daily Mail bestätigt, wonach die Niederlassungsfreiheit den Gesellschaften, die unter dem Regime eines Mitgliedstaates gegründet wurden, nur eine Zuzugs-, aber keine Wegzugsfreiheit gewährt.133 Eine Abkehr von seiner Rechtsprechung, dass ein Mitgliedstaat sein Gesellschaftsrecht nicht auf eine Gesellschaft anwenden darf, die wirksam in einem anderen Mitgliedstaat gegründet wurde und nunmehr durch Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in das Inland zugezogen ist, besteht darin nicht. Soweit das mitgliedstaatliche Recht keine Beschränkungen vorsieht, genießen Gesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet 127

EuGH Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 – Centros. EuGH Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614 – Überseering. 129 EuGH Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331 – Inspire Art. 130 Instruktiver Überblick bei Habersack/Verse, § 3 Rn. 1 ff. 131 Vgl. Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474 (478–482); Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159; Weller, IPRax 2009, 202 (204–206); MünchKommGmbHG/Weller, Einl. Rn. 355 mit Fn. 1371; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 136 ff. 132 EuGH Slg. 2008 I-9641 = NJW 2009, 569 – Cartesio. 133 EuGH Slg. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186 – Daily Mail; vgl. Leible/Hoffmann, BB 2009, 58; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545; Kindler, IPRax 2009, 189 (191); Paefgen, WM 2009, 529; Sethe/Winzer, WM 2009, 536. 128

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

wurden, mithin gemeinschaftsweite Mobilität. Das Gesellschaftsstatut am neuen effektiven Verwaltungssitz darf nicht angewendet werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es strenger ist als das Gründungsstatut. Bleibt es bei dem Zuzug einer Gesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz in das Inland verlegt, mithin aber bei der Anwendbarkeit des ausländischen Gesellschaftsstatuts, kann eine weitgehende Identität zwischen dem effektiven Verwaltungssitz und dem Interessenmittelpunkt nicht den grundsätzlich wünschenswerten Gleichlauf zwischen dem Gesellschafts- und dem Insolvenzstatut bewirken. c) Das mitgliedstaatliche Gesellschaftskollisionsrecht Ein Gleichlauf von Gesellschafts- und Insolvenzstatut wäre mit einer weitgehend gleichen Auslegung des effektiven Verwaltungssitzes und des Interessenmittelpunktes ungeachtet der vorstehenden Ausführungen darüber hinaus nur dann zu erreichen, wenn die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen für das Gesellschaftskollisionsrecht an den effektiven Verwaltungssitz anknüpften. Dies ist jedoch, ohne dass es geboten wäre, an dieser Stelle näher auf die einzelnen mitgliedstaatlichen Gesellschaftskollisionsrechte einzugehen, nur teilweise der Fall. So folgt die Rechtsprechung in Deutschland im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den EWR-Staaten – wenn nicht als zwingende Folge der Niederlassungsfreiheit, so doch jedenfalls als Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH – nunmehr der Gründungstheorie.134 Die Sitztheorie wird dagegen nur noch im Verhältnis zu Drittstaaten angewendet.135 Die Geltung der Gründungstheorie entspricht wohl auch dem Willen des deutschen Gesetzgebers, der im Zuge der Reform des Gesellschaftsrechts durch das MoMiG136 die §§ 5 Abs. 2 AktG und 4a Abs. 2 GmbH aufgehoben hat. Nach diesen Bestimmungen hatte der Satzungssitz einer AG und einer GmbH dort zu sein hat, wo sie einen Betrieb hat, wo sich ihre Geschäftsleitung befindet oder wo ihre Verwaltung geführt wird. Die kollisionsrechtliche Bedeutung dieser Gesetzesänderung erschließt sich erst mit der Gesetzesbegründung, wonach die Aufhebung der beiden Vorschriften den in Deutschland gegründeten Gesellschaften den Wegzug, also die iden134

BGHZ 164, 148 = NJW 2005, 3351. BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 – Trabrennbahn; OLG Hamburg ZIP 2007, 1108; a.A. aufgrund sektorieller Abkommen für die Schweiz: OLG Hamm AG 2007, 332 (333) (Vorinstanz zu BGHZ 178, 192); für die einheitliche Geltung der Gründungstheorie auch im Verhältnis zu Drittstaaten, vgl. die Nachweise bei OLG Hamburg ZIP 2007, 1108 (1110), sowie AG Ludwigshafen ZIP 2006, 1507. 136 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen, BGBl. I 2008, 2026. 135

D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz

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titätswahrende Verlegung ihres Verwaltungssitzes in das Ausland, und ausländischen Gesellschaften die Gründung deutscher Tochtergesellschaften ermöglichen soll, die vom Ausland aus verwaltet werden.137 Hauptverwaltung und Satzungssitz sollen auseinanderfallen dürfen, um ein level playing field mit Auslandsgesellschaften zu schaffen.138 Das gelingt freilich nur, wenn der Gesetzgeber nicht nur die freie Wahl des Verwaltungssitzes ermöglicht, sondern auch das Gesellschaftskollisionsrecht ändert.139 Soweit nicht bereits die Aufhebung der §§ 5 Abs. 2 AktG und 4a Abs. 2 GmbHG zu einer Änderung des deutschen Gesellschaftskollisionsrechts führt, dürfte sie jedenfalls durch eine Reform des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts erreicht werden. Nach dem hierzu vorgestellten Referentenentwurf,140 der auf den Vorschlag des Deutschen Rates für IPR vom 9. Februar 2006 zurückgeht und zugleich als Vorbild für eine gemeinschaftsweite Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts dienen soll, ist das Statut einer Gesellschaft zukünftig an das Recht des Staates anzuknüpfen, in dem sie in ein öffentliches Register eingetragen ist,141 wobei der Rat davon ausgeht, dass dies in der Regel an dem Satzungssitz geschieht.142 Hilfsweise soll das Recht des Staates maßgeblich sein, nach dem die Gesellschaft erkennbar organisiert ist.143 Auf den effektiven Verwaltungssitz soll es dagegen ausdrücklich nicht mehr ankommen.144

137

BT-Drucks. 16/6140, S. 29. BT-Drucks. 16/6140, S. 29. 139 Hoffmann, ZIP 2007, 1581 (1582); kritisch zu der Umsetzung des gesetzgeberischen Anliegens: Flesner, NZG 2006, 641 (642), und Kindler, Der Konzern 2006, 811 (816), sowie ders., IPRax 2009, 189 (198), die darauf hinweisen, dass die genannten Vorschriften nicht die Sitztheorie kodifizierten, weshalb ihre Aufhebung wenig geeignet sei, die schon vor ihrer Einführung geltende Sitztheorie aufzugeben; ablehnend auch Paefgen, WM 2009, 529 (531); vgl. auch MünchKommGmbHG/Weller, Einl. Rn. 379– 386. 140 Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen; abgedruckt bei Sonnenberger/Bauer, RIW 2006, Beilage 1 zu Heft 4, sowie bei Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, Tübingen 2007; vgl. hierzu auch Wagner/Timm, IPRax 2008, 81 (84 ff.); Schneider, BB 2008, 566. Dass der Referentenentwurf weiterverfolgt würde, ist nicht ersichtlich, zumal er auch nicht mehr auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Justiz verfügbar ist. 141 Art. 2 Abs. 1 des Vorschlags für eine EG-Verordnung und Art. 10 Abs. 2 des Vorschlags für das EGBGB, Beilage 1 zu Heft 4/2006, S. 1 (3 und 4). 142 Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu Heft 4/2006, 1 (8). 143 Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Vorschlags für eine EG-Verordnung und Art. 10 Abs. 3 Satz 1 des Vorschlags für das EGBGB. 144 Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu Heft 4/2006, 1 (8). 138

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

d) Fazit Festzuhalten bleibt, dass der effektive Verwaltungssitz im Gesellschaftskollisionsrecht nicht mehr maßgeblich ist und über ihn auch nicht der gewünschte Gleichlauf mit dem Insolvenzstatut herstellt werden kann. Den Interessenmittelpunkt als weitgehend identisch mit dem effektiven Verwaltungssitz zu verstehen, ist unter diesem Gesichtspunkt nicht sinnvoll. Die rechtliche Bedeutungslosigkeit des effektiven Verwaltungssitzes für das Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bedeutet jedoch nicht, dass die Motive, die dem effektiven Verwaltungssitz zugrunde liegen, nicht dieselben sein könnten wie diejenigen, derentwegen das Insolvenzstatut an den Interessenmittelpunkt anknüpft. Zu untersuchen ist daher, ob die Erwägungen, die für eine Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz sprechen, auch für den Interessenmittelpunkt gelten. 2. Dieselbe ratio der Anknüpfungen? a) Der Gläubigerschutz als gemeinsames Anliegen Ist es für einen Gleichlauf von Gesellschafts- und Insolvenzstatut nicht förderlich, unter dem Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz zu verstehen, könnte den beiden Anknüpfungskriterien gleichwohl derselbe Schutzgedanke zugrunde liegen, der zu einem weitgehend synonymen Verständnis führen könnte. Dafür spricht, dass beide Anknüpfungskriterien zumindest auch die Gläubiger der Gesellschaft schützen sollen. Da die Sitztheorie ausländische Gesellschaften vom inländischen Markt fernhält, können die Gläubiger darauf vertrauen, dass sie größtenteils mit inländischen Rechtsformen in Kontakt kommen, auf die der den Gläubigern bekannte Schutz des inländischen Gesellschaftsrechts anwendbar ist. Der Interessenmittelpunkt schützt die Gläubiger dadurch, dass er erkennbar sein muss und ihnen so ermöglicht, das anwendbare Insolvenzrecht vorherzusehen. Auch der Grundgedanke der Anknüpfungen ist ähnlich, weil sowohl dem effektiven Verwaltungssitz als auch dem Interessenmittelpunkt die Annahme zugrunde liegt, dass sich bei ihnen die Mehrzahl der betroffenen Personen und der überwiegende Teil des Gesellschaftsvermögens befinden.145

145

Für den Interessenmittelpunkt: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 12; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (448); Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (898); Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 12; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (543); MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 14; Probst, S. 55; Vogler, S. 122; Weller, ZHR 169 (2005), 570 (578); Wimmer, ZInsO 2005, 119 (121); für den effektiven Verwaltungssitz: Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498 (513). Teilweise heißt es auch, beiden Anknüpfungskriterien liege die verobjektivierte Wahrnehmung geschäft-

D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz

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Zu klären ist, ob diese identische Prämisse der beiden Anknüpfungskriterien auf denselben Motiven beruht. Das Gesellschaftssachrecht regelt neben dem Gläubigerschutz unter anderem zahlreiche organisationsrechtliche Fragen, für die das Recht am körperschaftlichen Schwerpunkt am besten geeignet erscheint. Gläubigerschützende Vorschriften enthält das Gesellschaftsrecht vor allem – in Deutschland z.B. in Form der Kapitalaufbringung und -erhaltung146 – insofern, als es rechtsformabhängige Garantien schafft, die das Konzept der beschränkten Haftung als tragfähig erscheinen lassen. Das Insolvenzverfahren dient dagegen in erster Linie dazu, den Markt von insolventen Gesellschaften zu reinigen und die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen. Insolvenzrecht ist daher vor allem Vermögensrecht. Der Gläubigerschutz des gemeinschaftsrechtlichen Insolvenzkollisionsrechts besteht in erster Linie darin, das in der Insolvenz anwendbare Recht vorhersehbar zu machen. Das Gesellschaftssachrecht und das Insolvenzkollisionsrecht regeln mithin Verschiedenes und verhalten sich lediglich wie zwei sich teilweise überschneidende Kreise, deren Schnittmenge der Gläubigerschutz ist. b) Die unterschiedliche Schutztechnik Auch könnte sich die Technik, mit der die beiden Anknüpfungen ihr jeweiliges Schutzziel erreichen, unterscheiden. Das oberste Gebot der insolvenzrechtlichen Anknüpfung ist die Erkennbarkeit des Insolvenzforums und des anwendbaren Insolvenzrechts für die Gläubiger. Der Verwaltungsort dient nur als Mittel zum Zweck.147 Die Erkennbarkeit des Insolvenzforums deshalb zu dem allein maßgeblichen Kriterium für die Anknüpfung zu erklären, ginge zwar zu weit. So wird der Verwaltungsort nicht nur ausdrücklich in dem Erwägungsgrund (13) und dem Erläuternden Bericht genannt sowie als Bezugsobjekt der Erkennbarkeit benötigt. Vielmehr dient er auch dazu, der Prämisse der Anknüpfung gerecht zu werden, nach der das Recht des Staates anwendbar sein soll, in dem sich die Mehrzahl der Gläubiger und der überwiegende Teil des Vermögens befinden.148 Dieses Motiv der Anknüpfung an den Verwaltungsort bedeutet gleichwohl nicht, dass er für licher Aktivitäten zugrunde; so MünchKommInsO/Ehricke, Internationales Konzerninsolvenzrecht, Rn. 1. 146 Das englische Recht setzt dagegen stärker auf Publizitätspflichten, deren Nichtbeachtung nicht nur zur Löschung der Gesellschaft führen, sondern auch strafrechtlich verfolgt werden kann; vgl. Zimmer/Naendrup, ZGR 2007, 789 (792–795 sowie 797–799). 147 Vgl. § 4 B II 2 f) bb). 148 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 12; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (448); Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 12; Leible/ Staudinger, KTS 2000, 533 (543); MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 14; Probst, S. 55; Vogler, S. 122; Weller, ZHR 169 (2005), 570 (578); Wimmer, ZInsO 2005, 119 (121).

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

die Zwecke der Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt wichtiger wäre als die Erkennbarkeit des Insolvenzforums. Mit dem effektiven Verwaltungssitz verhält es sich geradezu umgekehrt. Entscheidend ist, wo die Gesellschaft verwaltet wird, weil hierin ihr körperschaftlicher Schwerpunkt zum Ausdruck kommt, der die Anwendung des inländischen Gesellschaftsrechts erfordert. Da unter dem Verwaltungsort der Ort verstanden wird, an dem Entscheidungen effektiv umgesetzt werden, dürfte er auch häufig erkennbar sein. Ausdrücklich vorausgesetzt wird die Erkennbarkeit des effektiven Verwaltungssitzes jedoch weder in der gängigen Anknüpfungsformel, noch ist sie ein wesentliches Element seiner Konzeption.149 Der effektive Verwaltungssitz und der Interessenmittelpunkt unterscheiden sich mithin auch in ihrer Schutztechnik. c) Die unterschiedliche Schutzrichtung Die unterschiedliche Schutztechnik wirft die Frage auf, ob die beiden Anknüpfungen dieselbe Schutzrichtung aufweisen. Die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt verfolgt in erster Linie den Schutz der einzelnen Gläubiger. Jeder von ihnen soll erkennen können, welches Insolvenzrecht in der Insolvenz des Gläubigers anwendbar ist. Der Schutz, der durch die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt vermittelt werden soll, greift mithin auf mikroökonomischer Ebene. Irgendeinen makroökonomischen Schutz bezweckt die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt dagegen nicht. Soweit die Gläubiger dadurch geschützt werden, dass insolvente Gesellschaften vom Markt verschwinden und ihr Vermögen gemeinschaftsweit in Beschlag genommen wird, geschieht dies vielmehr über die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens und seine automatische Anerkennung. Dem Interessenmittelpunkt lässt sich ein gesamtwirtschaftliches Schutzelement auch nicht mit dem Argument beilegen, dass die Verordnung – und mit ihr die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens und seine automatische Anerkennung – nur anwendbar ist, wenn der Interessenmittelpunkt in ihrem Geltungsgebiet liegt. Diese Funktion des Interessenmittelpunktes hat nichts mit seinem konkreten Gehalt zu tun. Dies wird deutlich, wenn man die internationale Zuständigkeit nicht an den Interessenmittelpunkt, sondern an ein anderes Kriterium anknüpft. Auch dann wäre die Verordnung samt Universalität und automatischer Anerkennung des Hauptinsolvenzverfahrens anwendbar, wenn das Anknüpfungskriterium in dem Geltungsgebiet der Verordnung liegt. Somit bleibt es dabei, dass die Erkennbarkeit des Interessenmittel149 Käme es dagegen vor allem auf die Erkennbarkeit des anwendbaren Gesellschaftsrechts an, läge es näher, an das Gründungsstatut anzuknüpfen, weil der Gründungsstaat und sein Gesellschaftsrecht über den Rechtsformzusatz der Gesellschaft regelmäßig leicht erkennbar sind.

D. Das Verhältnis von Interessenmittelpunkt und effektivem Verwaltungssitz

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punktes sich an den einzelnen Gläubiger richtet. Der durch ihn bewirkte Schutz kann daher als mikroökonomisch bezeichnet werden kann. Die Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz dient in erster Linie dazu, ausländische Rechtsformen vom inländischen Markt fernzuhalten, indem ihnen die Anerkennung versagt wird, wenn sie vom Inland aus verwaltet werden. Die wirtschaftliche Betätigung einer ausländischen Gesellschaft im Inland lässt sich hierdurch zwar nicht verhindern, solange die Gesellschaft von ihrem Gründungsstaat aus verwaltet wird. Weil Inländer ihre Gesellschaft regelmäßig nur vom Inland aus verwalten können, wird es ihnen jedoch faktisch untersagt, sich einer ausländischen Rechtsform zu bedienen. Mit der Sitztheorie kann der Staat daher seine ordnungspolitischen Wertungen im Gesellschaftsrecht im Inland durchsetzen. Der Schutz, den die Sitztheorie leistet, ist insofern makroökonomischer Natur. Über den gesamtwirtschaftlichen Effekt, fremde Gesellschaftsformen mittelbar von dem eigenen Markt fernzuhalten, wird zwar auch jeder einzelne inländische Gläubiger geschützt, weil er tendenziell eher mit inländischen Rechtsformen in Kontakt kommen wird, die dem inländischen Gesellschaftsrecht unterliegen. Die Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz führt also durchaus auch dazu, dass die Gläubiger auf die Anwendbarkeit eines bestimmten Gesellschaftsrechts vertrauen können. Auch lässt sich schwerlich bestreiten, dass die Sitztheorie gerade dazu dient, die Gläubiger durch die Anwendbarkeit des inländischen Gesellschaftsrechts zu schützen. Dieser mikroökonomische Schutz der Gläubiger ist jedoch nur die Folge oder ein Reflex des makroökonomischen Schutzes. Der effektive Verwaltungssitz ist anders als der Interessenmittelpunkt nicht auf Dritte ausgerichtet, sondern beschreibt nur den körperschaftlichen Schwerpunkt der Gesellschaft, der die Anwendbarkeit des inländischen Gesellschaftsrechts erfordert. Die Schutzrichtungen der Anknüpfungen unterscheiden sich folglich ebenfalls voneinander.150 d) Die unterschiedliche Schutzstärke Sind mithin die Schutztechnik und die Schutzrichtung der beiden Anknüpfungen jeweils verschieden, stellt sich endlich noch die Frage, wie stark der jeweils von ihnen geleistete Schutz ist. Kurioserweise schützt der Interessenmittelpunkt die einzelnen Gläubiger, obwohl er gerade ihren Schutz bezweckt, nur unzureichend. Der Interessenmittelpunkt kann nicht nur besonders leicht verlegt werden, weil er ein ausgesprochen faktensensitives Anknüpfungskriterium ist. Seine Verlegung führt darüber hinaus – abgesehen von einem neuen Insolvenzstatut – zu keinen unmittelbaren Folgen, die die Gesellschaftsorgane von ihr abhalten könnten. Die Gesellschaft 150

A.A. – aber ohne hinreichende Auseinandersetzung – Lach, S. 186.

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

muss ihre Interessen zwar gewöhnlich, also mit einer gewissen Dauer, an einem bestimmten Ort verwalten.151 Im Übrigen aber gibt es keine besonderen Schutzmechanismen wie etwa eine période suspecte, die den insolvenzrechtlichen Umzug in eine andere Jurisdiktion erschweren könnten. Im Gegenteil fördert der Grundsatz der automatischen Anerkennung mittelbar sogar den Umzug, indem er ihn zwar nicht erleichtert, aber den Rechtsschutz der Gläubiger einschränkt und auf diese Weise dazu beiträgt, dass die erste Eröffnungsentscheidung bestehen bleibt. Unvollkommen ist der Schutz der Gläubiger darüber hinaus von vornherein insofern, als er mit der Erkennbarkeit des Insolvenzforums einerseits an jedem einzelnen von ihnen ansetzen will, wegen des Gesamtverfahrenscharakters des Insolvenzverfahrens andererseits aber auf einen fiktiven Dritten im Zeitpunkt des Insolvenzantrages abstellen muss.152 Der Interessenmittelpunkt kann seine Schutzfunktion mithin gerade deshalb nur unzureichend erfüllen, weil er auf den einzelnen Gläubiger ausgerichtet ist und allzu leicht sanktionslos verlegt werden kann. Dies ist umso misslicher, als die Bestimmung des Insolvenzforums und des anwendbaren Insolvenzrechts wegen des Gesamtverfahrenscharakters des Insolvenzverfahrens statusähnliche Wirkung hat. Der Gläubigerschutz durch den effektiven Verwaltungssitz ist demgegenüber stärker, obwohl die Ausgangssituation ähnlich ist. So kommt auch der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts statusähnliche Wirkung zu, weil es eine große Zahl an Gläubigern betrifft. Der effektive Verwaltungssitz ist faktisch auch nicht weniger schwer zu verlegen als der Interessenmittelpunkt. Zieht die Gesellschaft aus ihrem Gründungsstaat weg, führt der Wechsel des Gesellschaftsstatuts unter dem ausschließlichen Regime der Sitztheorie jedoch dazu, dass die Gesellschaft nicht mehr in der Rechtsform anerkannt wird, in der sie gegründet wurde.153 Der regelmäßig hiermit einhergehende Verlust der auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung ist die Sanktion des neuen Gesellschaftsstatuts, die in der Regel jeder Gesellschafter vermeiden will. Die makroökonomische Funktion des effektiven Verwaltungssitzes, zuziehenden Gesellschaften die Anerkennung zu verweigern, führt mit anderen Worten dazu, dass das Gesellschaftsstatut faktisch versteinert. Die für den Gläubigerschutz potentiell 151

Erwägungsgrund (13); Virgós/Schmit, Nr. 75; MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 14; Moss/Fletcher/Isaacs, Rn. 8.104. 152 Vgl. näher § 4 B II 2 d). 153 Es ist daran zu erinnern, dass sich die Verordnung faktisch auf dem Stand des Jahres 1995 befindet. Für die Frage, ob den Anknüpfungen an den effektiven Verwaltungssitz und an den Interessenmittelpunkt dieselbe ratio zugrunde liegt, ist daher die seinerzeit geltende Rechtslage maßgeblich. Die durch die Rechtsprechung des EuGH im Jahre 1999 in der Rechtssache Centros eingeleitete Wende im gemeinschaftsrechtlichen Gesellschaftsrecht hat insoweit folglich außer Acht zu bleiben.

E. Ergebnis

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schädlichen Folgen eines unvorhergesehenen Wechsels des Gesellschaftsstatuts werden so im Ergebnis vermieden. Mit dem Anknüpfungskriterium des effektiven Verwaltungssitzes gelingt es daher deutlich besser als mit demjenigen des Interessenmittelpunktes, die Gläubiger zu schützen. e) Fazit und Zwischenergebnis Das sowohl mit dem Interessenmittelpunkt als auch mit dem effektiven Verwaltungssitz verfolgte Anliegen, die Gläubiger zu schützen, und die den beiden Anknüpfungskriterien identische Prämisse, zu der Anwendbarkeit der Rechtsordnung zu führen, in deren Geltungsgebiet sich der überwiegende Teil des Vermögens der Gesellschaft und die Mehrheit der von ihr betroffenen Dritten befinden, sind kein hinreichender Grund, die beiden Anknüpfungskriterien weitgehend identisch auszulegen, zumal die Technik, Richtung und Stärke des Schutzes, den die beiden Anknüpfungskriterien aufweisen, verschieden sind. Der Interessenmittelpunkt muss nach der Konzeption der Europäischen Insolvenzverordnung erkennbar sein und knüpft hierfür eher zufällig an den Verwaltungsort der Gesellschaft an. Der mit dieser Anknüpfung beabsichtigte Schutz des Vertrauens jedes einzelnen Gläubigers in die Anwendbarkeit eines vorhersehbaren Insolvenzrechts steht jedoch auf tönernen Füßen, weil der Interessenmittelpunkt sanktionslos verlegt werden und daher nicht die Erwartungen aller Gläubiger erfüllen kann. Der effektive Verwaltungssitz, für den allein der Verwaltungsort der Gesellschaft, nicht aber seine Erkennbarkeit maßgeblich ist, schützt die Gläubiger nicht nur besser, sondern vor allem anders. Indem die Sitztheorie Gesellschaften die Anerkennung versagt, wenn sie nicht von ihrem Gründungsstaat aus verwaltet werden, zwingt sie Inländer faktisch dazu, sich inländischer Rechtsformen zu bedienen. Sie schafft auf diese Weise einen makroökonomischen Schutz, dessen mikroökonomische Komponente – nämlich der Schutz der inländischen Gläubiger durch die Anwendbarkeit des inländischen Gesellschaftsrechts – eher ein Reflex ist. Eine weitgehend gleiche Auslegung des Interessenmittelpunktes und des effektiven Verwaltungssitzes ist mithin auch unter dem Gesichtspunkt der ratio der beiden Anknüpfungskriterien nicht geboten. Ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen den beiden Anknüpfungskriterien, der zu einem weitgehend identischen Verständnis führen müsste, besteht nicht.

E. Ergebnis E. Ergebnis

Die eingangs gestellte Frage, ob der Interessenmittelpunkt aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO dem effektiven Verwaltungssitz des Gesellschaftskollisionsrechts entspricht, ist zu verneinen. Die erweiterte historische Ausle-

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§ 5 Der historisch-systematische Gesamtzusammenhang

gung hat lediglich gezeigt, dass die internationale Insolvenzzuständigkeit stets an den Verwaltungsort der Gesellschaft anknüpfte. Sie hat dagegen nicht ergeben, dass damit ihr effektiver Verwaltungssitz gemeint ist. Aus praktischer Sicht darf auch bezweifelt werden, ob mit einem identischen Verständnis der Anknüpfungskriterien etwas gewonnen wäre, da sich der effektive Verwaltungssitz in der Praxis ähnlich schwer bestimmen lässt wie der Interessenmittelpunkt. Nach der Wende im europäischen Gesellschaftskollisionsrecht zugunsten der Gründungstheorie wäre es auch wenig hilfreich, den Interessenmittelpunkt wie den effektiven Verwaltungssitz der Sitztheorie zu verstehen, weil der an sich wünschenswerte Gleichlauf des Insolvenzstatuts mit dem Gesellschaftsstatut auf diesem Wege nicht mehr hergestellt werden kann. Einer aus historischer Sicht naheliegenden Identität der beiden Anknüpfungskriterien steht darüber hinaus zwingend entgegen, dass der Interessenmittelpunkt als Teil eines Gemeinschaftsrechtsaktes autonom auszulegen ist, während sich der konkrete Gehalt des effektiven Verwaltungssitzes nach der lex fori richtet. Den Interessenmittelpunkt und den effektiven Verwaltungssitz gleichwohl zumindest weitgehend identisch auszulegen, ist nicht geboten, weil sie trotz der Identität der ihnen zugrundeliegenden Prämisse die Gläubiger auf verschiedene Weise schützen. Insbesondere das Verhältnis zwischen dem Verwaltungsort und seiner Erkennbarkeit ist unterschiedlich ausgestaltet. Der vermeintliche Zusammenhang zwischen dem effektiven Verwaltungssitz der Sitztheorie des Gesellschaftskollisionsrechts und dem Interessenmittelpunkt des Insolvenzkollisionsrechts besteht nicht. Mit der bequemen Idee einer weitgehenden Identität mit dem effektiven Verwaltungssitz kann man sich bei der Auslegung des Interessenmittelpunktes mithin nicht begnügen. Positiv gewendet bedeutet dies, dass der Konzerninsolvenzgerichtsstand ein zulässiges Ergebnis der Auslegung des Interessenmittelpunktes aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bleibt.

§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO § 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

A. Die Bilanz A. Die Bilanz

Da die Verordnung keine besonderen Regelungen für Konzerninsolvenzen enthält, gelangt man zu einem einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand für alle verbundenen Unternehmen nur, wenn die für jede Gesellschaft separat durchzuführende Prüfung der internationalen Zuständigkeit zu demselben Ergebnis führt. Dieses wirtschaftlich häufig wünschenswerte Ergebnis1 lässt sich unter dem Regime der Verordnung nur erreichen, wenn für jede der insolventen Gesellschaften die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO und des Erwägungsgrundes (13) vorliegen. Ob eine einheitliche Zuständigkeit möglich ist, ist daher eine Frage der Auslegung. Die Analyse des Interessenmittelpunktes2 hat ergeben, dass die drei bedeutendsten Ansätze, mit denen das Anknüpfungskriterium der internationalen Zuständigkeit konkretisiert wird, entweder nicht mit der Verordnung vereinbar oder aber zumindest wenig sachdienlich sind. So setzt sich die Ansicht, die den Schwerpunkt der werbenden Tätigkeit für maßgeblich hält, über den Wortlaut des Erwägungsgrundes (13) hinweg, der unter dem Interessenmittelpunkt ausdrücklich den Ort versteht, an dem die Gesellschaft verwaltet wird. Der reine mind of management-Ansatz stellt zwar gerade auf diesen Aspekt ab, vernachlässigt jedoch, dass dieser Ort nach dem Erwägungsgrund (13) auch erkennbar sein muss.3 Und auch die Ansicht, die unter dem Interessenmittelpunkt den effektiven Verwaltungssitz versteht, kann nicht überzeugen, weil sie nach der Wende im gemeinschaftsrechtlichen Gesellschaftskollisionsrecht einen Gleichlauf von Insolvenz- und Gesellschaftsstatut nicht mehr herbeiführen kann, die vermeintlichen Gemeinsamkeiten der beiden Anknüpfungskriterien überspannt und einem Konzerninsolvenzgerichtsstand regelmäßig entgegenstünde. Letzteres ist vor allem deshalb misslich, weil die Europäische Insolvenzverord1

Vgl. § 3. Vgl. §§ 4 und 5. 3 Vgl. statt vieler Oberhammer, KTS 2009, 27 (31); Eidenmüller, KTS 2009, 137 (158). 2

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

nung für effizientere Insolvenzverfahren sorgen will4 und die einheitliche internationale Zuständigkeit häufig wirtschaftlich sinnvoll wäre. Dieses unbefriedigende Ergebnis hat – neben der Enthaltsamkeit der Verordnung gegenüber Konzerninsolvenzen – zwei Ursachen: Erstens stellt die Verordnung nicht klar, was unter der Verwaltung einer Gesellschaft zu verstehen ist. Der Verordnungsgeber mag hierfür bestimmte Tätigkeiten oder auch nur eine abstrakte Idee vor Augen gehabt haben. Mitgeteilt hat er seine Gedanken leider nicht. Zweitens verknüpft die Verordnung den Verwaltungsort mit der Erwartung, dass dieser erkennbar sei. Auf die Erkennbarkeit des Insolvenzforums kann für die Auslegung des Interessenmittelpunktes auch nicht verzichtet werden, weil sie in dem Erwägungsgrund (13) ausdrücklich genannt wird und der in ihr zum Ausdruck kommende Schutz der Gläubiger das Kernelement der Anknüpfung schlechthin ist. Doch stellt sich die Frage, ob eine wie auch immer geartete Verwaltung erkennbar ist und wie sich diese beiden Elemente der Anknüpfung vereinen lassen.

B. Eigener Vorschlag B. Eigener Vorschlag

I. Der Inhalt der Anknüpfungsformel Keine der herkömmlichen Konkretisierungen des Interessenmittelpunktes aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO führt zu befriedigenden Ergebnissen, weil sie entweder zu dezentralisierten und damit ineffizienten Insolvenzverfahren über die Vermögen insolventer Konzerngesellschaften führen oder das schutzwürdige Interesse der Gläubiger vernachlässigen, das Insolvenzforum ihres Schuldners vorhersehen zu können. Daher erscheint es sinnvoll, einen neuen Ansatz zu entwickeln. Vorgeschlagen wird hier, den Interessenmittelpunkt ähnlich wie bei dem reinen mind of management-Ansatz als den Ort zu verstehen, an dem die wesentlichen Entscheidungen der Unternehmensführung fallen, die Maßgeblichkeit dieses Ortes aber unter den Vorbehalt zu stellen, dass die Gläubiger ihn erkennen können. International zuständig sind nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO mit anderen Worten die Gerichte des Staates, in dem die großen Richtlinien-Entscheidungen über die Geschäfts-, Finanz-, Personal-, Produktions- und Absatzpolitik getroffen werden, sofern dieser Ort für potentielle Gläubiger erkennbar ist. Entscheidend sind mithin die Umstände, die den „ersten Schritt“ der Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz ausmachen.5 Ist dieser Ort nicht hinreichend erkennbar, 4 5

Erwägungsgrund (2). Vgl. § 5 C IV 1.

B. Eigener Vorschlag

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bleibt es bei der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes. Für die hier vorgeschlagene Anknüpfungsformel spricht, dass sie die Begründung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes erleichtert (dazu II. 1.), ohne den einheitlichen Maßstab für die Auslegung des Interessenmittelpunktes für alle Gesellschaftsinsolvenzen zu beeinträchtigen (dazu II. 2.). Sie ist interessengerecht, weil unter ihrem Regime die Erkennbarkeit des Insolvenzforums für die Gläubiger das oberste Gebot bleibt (dazu II. 3.). Darüber hinaus entspricht sie nicht nur weitgehend dem Willen des Gesetzgebers (dazu II. 4.), sondern vermag auch die Anwendung des Entscheidungskriteriums „hauptsächlich“ zu entschärfen (dazu II. 5.). II. Die Vorteile der hier vorgeschlagenen Anknüpfungsformel 1. Die Erleichterung der Begründung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes Der offensichtlichste Vorteil der hier vorgeschlagenen Formel gegenüber einer Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz oder den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit besteht darin, dass sie die Begründung eines einheitlichen Insolvenzgerichtsstandes für verbundene Unternehmen erleichtert und dadurch dem Ziel der Verordnung gerecht wird, für möglichst effiziente Verfahren zu sorgen.6 Sie teilt diesen Vorteil mit dem reinen mind of management-Ansatz, weist aber nicht dessen Schwäche auf, weil die Erkennbarkeit des Insolvenzforums anders als bei diesem eine eigenständige Voraussetzung der Anknüpfung bleibt. Die Insolvenzverfahren über Konzerngesellschaften sind mithin nicht bereits allein deshalb von den Gerichten desselben Staates zu eröffnen, weil die Unternehmen miteinander verbunden sind und zentral verwaltet werden. Das gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand vorgebrachte Argument, er missachte den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, keinen derartigen einheitlichen Gerichtsstand zu schaffen, geht ins Leere. Es trifft schon bei dem reinen mind of management-Ansatz nicht zu, weil auch dieser nur dann zu einer einheitlichen Zuständigkeit führt, wenn die Konzerngesellschaften zentral verwaltet werden, was eine Tatsachenfrage des Einzelfalls ist. Noch weniger kann die vermeintliche Missachtung des gesetzgeberischen Willens die hier vorgeschlagene Anknüpfungsformel dis6 Zu ähnlichen Ergebnissen dürfte Deyda, S. 130 f., gelangen, der von einer einheitlichen Insolvenzzuständigkeit ausgeht, wenn die Tochtergesellschaft am Sitz der Muttergesellschaft verwaltet wird, ihr Unternehmen außerhalb des Konzerns nicht ohne wesentliche Änderungen wirtschaftlich sinnvoll fortführen könnte und die Gläubiger, die im Zusammenhang mit ihrem Unternehmensgegenstand mit ihr in Kontakt kommen, dies erkennen können.

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

kreditieren, weil diese durch das weitere Erfordernis der Erkennbarkeit der zentralen Verwaltung weitaus seltener als der mind of management-Ansatz zu einer einheitlichen Insolvenzeröffnungszuständigkeit führt. Dass aber die einheitliche Zuständigkeit als Ergebnis der Auslegung ohne weiteres zulässig ist, wurde bereits dargelegt.7 2. Der einheitliche Maßstab der Auslegung Indem die hier vorgeschlagene Anknüpfungsformel einen einheitlichen Gerichtsstand für verbundene Unternehmen nur erleichtert, ihn aber nicht erzwingt, wahrt sie den (freilich ebenso auf die anderen Ansätze zutreffenden) Grundsatz, dass der Interessenmittelpunkt nach einheitlichen Auslegungsmaßstäben zu ermitteln ist. Die Anknüpfungsformel kann mit anderen Worten auch dann angewendet werden, wenn die Gesellschaft nicht Teil eines Konzerns ist. Auch dann ist der Interessenmittelpunkt der Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensführung in erkennbarer Weise getroffen werden. Vorgeschlagen wird hier mithin nicht etwa ein „echter“ oder besonderer Konzerninsolvenzgerichtsstand, der in der Tat dem Willen des Gesetzgebers widerspräche,8 sondern vielmehr eine für alle Gesellschaften und somit allgemein geltende Konkretisierung des Gerichtsstandes, die nur im Einzelfall zu einer einheitlichen Zuständigkeit führt. Ihre Flexibilität erlangt die hier vorgeschlagene Formel, indem sie nicht an einem bestimmten Verständnis der Konzernierung ansetzt, sondern an dem Umstand, dass Gesellschaften häufig von einem bestimmten Ort aus verwaltet werden, den sie mit anderen Gesellschaften teilen. Dieses Phänomen mag vielen Gesellschaften gemein sein, die möglicherweise gerade deshalb oder wegen eines anderen Umstandes als Teil eines Konzerns angesehen werden. Die einheitliche Verwaltung dient hier jedoch nicht dazu, den Konzern zu determinieren. Ob die zentrale Leitung mehrerer Gesellschaften zu ihrer Konzernierung führt, braucht nicht entschieden zu werden. Wodurch sich ein Konzern auszeichnet, der aus Gesellschaften besteht, die unter verschiedenen Rechtsordnungen gegründet wurden, ist für die internationale Insolvenzzuständigkeit irrelevant. Für den einheitlichen Gerichtsstand spielt es keine Rolle, ob und inwiefern die insolventen Gesellschaften als miteinander verbunden anzusehen sind. Die Gretchenfrage des europäischen Konzernrechts stellt sich mithin nicht. Die einheitliche Konkretisierung des Interessenmittelpunktes für alle Gesellschaftsinsolvenzen führt dazu, dass von vornherein keine konzernspezifischen Probleme im Zusammenhang mit der internationalen Zustän7 8

Vgl. § 3 D. Vgl. Virgós/Schmit, Nr. 76.

B. Eigener Vorschlag

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digkeit für das Insolvenzverfahren entstehen können. Etwaige Folgefragen, die der einheitliche Gerichtsstand aufwirft,9 erweisen sich vielmehr als konstruktionelle Schwächen der Europäischen Insolvenzverordnung, nicht aber als Probleme des Interessenmittelpunktes aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Mit der sogenannten Konzerninsolvenz haben sie nichts zu tun, zumal dieser Begriff keine rechtliche Funktion erfüllt, sondern lediglich beschreibt, dass die internationale Zuständigkeit für verschiedene Gesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen zu demselben Forum führt. 3. Die Interessengerechtigkeit der einheitlichen Zuständigkeit bei Erkennbarkeit Die Anknüpfung an den für Dritte erkennbaren Ort der großen RichtlinienEntscheidungen ist auch interessengerecht. Wie bereits ausführlich erörtert wurde, ist die einheitliche Zuständigkeit regelmäßig sinnvoll, weil sie Reibungsverluste vermeidet, die Kosten minimiert und so letztlich der Maximierung der Insolvenzmasse dient, die den Gläubigern zugute kommt.10 Die einheitliche Zuständigkeit dürfte in der Regel auch im Interesse der einzelnen Konzerngesellschaften liegen, weil sie ihre Sanierungschancen regelmäßig erhöht. Aus rechtspolitischer Sicht angreifbar ist der Konzerninsolvenzgerichtsstand nur insofern, als die Gläubiger sich mit ihm nicht einverstanden erklären werden, wenn sie ihn nicht vorhersehen konnten. Die unerwartete Anwendbarkeit eines fremden Insolvenzrechts ist das Hauptargument gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand, der auf dem reinen mind of management-Ansatz beruht. Gerade in diesem Punkt schafft der hier vertretene Ansatz jedoch Abhilfe, indem er den Interessenmittelpunkt nur dann an dem Ort der wesentlichen Richtlinien-Entscheidungen verortet, wenn dieser Ort erkennbar ist. Die hier vorgeschlagene Anknüpfung schafft auf diese Weise einen Ausgleich zwischen der grundsätzlich erstrebenswerten einheitlichen Zuständigkeit und dem schutzwürdigen Interesse der Gläubiger, das in der Insolvenz ihres Schuldners anwendbare Recht vorhersehen und das damit verbundene Risiko berechnen zu können. Anders als die Anknüpfungen an den effektiven Verwaltungssitz oder den Schwerpunkt der werbenden Tätigkeit, deren Befürworter ebenfalls mit der Erkennbarkeit des Insolvenzforums argumentieren, wirkt der hier vertretene Ansatz aber nicht einseitig zu Lasten eines einheitlichen Gerichtsstandes. Unter der hier vorgeschlagenen Formel ergibt sich vielmehr ein differenziertes Bild: Der Konzerninsolvenzgerichtsstand existiert immer – aber 9

Zu denken ist etwa an die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren; vgl. § 2 C III. Vgl. § 3 B.

10

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

regelmäßig auch nur – dann, wenn die grundlegenden Richtlinien-Entscheidungen der einzelnen Gesellschaften in demselben Staat getroffen werden und dieser Ort für die Gläubiger erkennbar ist. Entscheidend ist insofern lediglich, dass die Gläubiger erkennen können, wo die Entscheidungen ihrer Schuldnerin getroffen werden. Unerheblich ist dagegen, ob die Gläubiger feststellen können, dass in demselben Staat auch die Unternehmensführung einer mit der Schuldnerin verbundenen Gesellschaft ihre Entscheidungen trifft. Diese konzernspezifische Frage spielt für den Insolvenzgerichtsstand keine Rolle. Gibt es keine einheitliche Unternehmensführung, sondern treffen die Leitungsorgane der einzelnen Gesellschaften die wesentlichen Entscheidungen erkennbar in verschiedenen Staaten, so bleiben diese Orte für die internationale Insolvenzzuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO maßgeblich. Die Anknüpfung führt dann nicht zur einheitlichen Zuständigkeit. Außer Acht für die internationale Insolvenzzuständigkeit einer Gesellschaft bleibt der Ort, an dem die Unternehmensführung ihre wesentlichen Entscheidungen trifft, nur dann, wenn er für die Gläubiger nicht erkennbar ist. In diesem Fall greift die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO zugunsten des satzungsmäßigen Sitzes ein, der für die Gläubiger in der Regel feststellbar ist. Das Ziel der Verordnung, die Gläubiger über das Kriterium der Erkennbarkeit des Insolvenzforums zu schützen, bleibt somit in jedem Fall gewahrt. Auch erhält die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO, deren Bedeutung sich richtigerweise in einer Zweifelsregel erschöpft,11 unter dem hier vertretenen Ansatz einen größeren und angemesseneren Anwendungsbereich als unter den anderen Ansätzen, unter denen sie regelmäßig nicht zum Zuge kommt. Nebenbei schafft der hier vertretene Ansatz für die Unternehmensführung darüber hinaus einen Anreiz, den Ort der wesentlichen RichtlinienEntscheidungen transparent zu gestalten, wenn sie die Vorteile des Konzerninsolvenzgerichtsstandes im Interesse der verbundenen Gesellschaften nutzen will. 4. Die Wahrung des gesetzgeberischen Willens Die vorgeschlagene Konkretisierung des Interessenmittelpunktes steht – anders als die Theorie der werbenden Tätigkeit und der reine mind of management-Ansatz – auch nicht im Widerspruch zu dem Willen des Gesetzgebers, der in dem Erwägungsgrund (13) und der Nr. 75 des Erläuternden Berichts zum Ausdruck kommt. Die Verknüpfung der Verwaltung mit ihrer Erkennbarkeit wird dort zwar als selbstverständlich vorausgesetzt, was aus dem Wort „damit“ folgt. Wie die Analyse des Interessenmit11

Vgl. § 4 B III.

C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage

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telpunktes gezeigt hat,12 ist jedoch nicht ersichtlich, ob der Gesetzgeber sich überhaupt Gedanken darüber gemacht hat, inwieweit die Verwaltung einer Gesellschaft erkennbar ist, zumal er noch nicht einmal klargestellt hat, was genau unter der „Verwaltung“ zu verstehen ist. Das Wort „damit“ könnte auch entfernt und durch ein schlichtes „und“ ersetzt werden. 5. Die Entschärfung des Entscheidungskriteriums „hauptsächlich“ Endlich vermag der hier vorgeschlagene Ansatz auch die Probleme bei der Konkretisierung des Entscheidungskriteriums „hauptsächlich“ abzuschwächen. Das Entscheidungskriterium selbst ist zwar kein Argument für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand. Umgekehrt hilft der hier zu einem Konzerninsolvenzgerichtsstand vertretene Ansatz aber, das Entscheidungskriterium zu entschärfen. Welche Interessen oder wirtschaftlichen Tätigkeiten wichtiger als andere sein sollen, wird weniger relevant, wenn als Verwaltungsort der Ort der grundlegenden Unternehmensentscheidungen angesehen wird, weil jedenfalls alle wichtigen – und somit potentiell „hauptsächlichen“ – wirtschaftlichen Tätigkeiten in der Regel von dort aus gesteuert werden.

C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage

Offenbleiben zwei Fragen: Erstens ist zu begründen, warum der Verwaltungsort nach dem hier vertretenen Ansatz ausgerechnet der Ort sein soll, an dem die großen Richtlinien-Entscheidungen getroffen werden. Zweitens ist zu klären, warum der hier vertretene Ansatz sich nur dieses ersten Schrittes des effektiven Verwaltungssitzes bedient und nicht auch seinen zweiten mitgeht, warum er also nicht auf den Ort abstellt, an dem die großen Richtlinien-Entscheidungen in die kleine Münze der täglichen Verwaltungsentscheidungen umgesetzt werden. Fraglich bleibt mit anderen Worten, ob es nicht vorzugswürdig ist, unter dem Verwaltungsort einer Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz zu verstehen, sofern dieser erkennbar ist.

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Vgl. § 4 B II 2.

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

I. Der körperschaftliche Schwerpunkt am Ort der großen Richtlinien-Entscheidungen 1. Die Farblosigkeit des Verwaltungsbegriffes Bei welchen Vorgängen oder Phänomenen es sich um die Verwaltung einer Gesellschaft handelt, ist die Gretchenfrage des europäischen Insolvenzgerichtsstandes. Der Begriff der Verwaltung ist so schwammig und unpräzise, dass er von den großen Richtlinien-Entscheidungen über die Abwicklung des täglichen Geschäfts bis zu sogenannten sekundären Verwaltungstätigkeiten reicht. Die großen Richtlinien-Entscheidungen lassen sich weiter unterteilen in die strategische Ausrichtung der Gesellschaft sowie in die gesamte Finanz-, Personal-, Vertriebs- und Geschäftspolitik. Die Abwicklung des täglichen Geschäfts besteht in erster Linie darin, diese grundlegenden Entscheidungen in die Tat umzusetzen, und entspricht dem, worauf die Sitztheorie für den effektiven Verwaltungssitz abstellt. Zu den sekundären Verwaltungstätigkeiten zählen z.B. die Buchführung, die Personalverwaltung und das Rechnungswesen. Die zahlreichen Erscheinungsformen dessen, was naturgemäß als Verwaltung angesehen werden kann, weiter zu kategorisieren, wäre wenig ergiebig, zumal aus rein sprachlicher Sicht keinem einzelnen dieser Aspekte der Vorrang eingeräumt werden kann. Der Begriff der Verwaltung ist insofern ähnlich farblos wie derjenige der Interessen. 2. Das international-privatrechtliche Prinzip der engsten Verbindung Ausgefüllt werden kann der recht farblose Verwaltungsbegriff nur, wenn man sich seine Funktion in der Verordnung vergegenwärtigt. Der Verwaltungsort ist neben seiner Erkennbarkeit eines der beiden wesentlichen Elemente des Interessenmittelpunktes, der neben dem Gerichtsstand vor allem auch das anwendbare Insolvenzrecht bestimmt. Da dies den Interessenmittelpunkt zu einem Teil des Internationalen Privatrechts macht, das regelmäßig dem Prinzip der engsten Verbindung folgt, muss auch der Verwaltungsort diesem Prinzip gerecht werden.13 Die Konkretisierung des Verwaltungsortes muss daher einem Schwerpunkt der Gesellschaft entsprechen, der es rechtfertigt, die Gesellschaft dem dort geltenden Insolvenzrecht zu unterwerfen. Die Grundidee der Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt und somit auch an den Verwaltungsort ist mithin, das Forum für zuständig und das Insolvenzrecht für anwendbar zu erklären, das am sachnächsten ist.14 13 Im Ergebnis ebenso Probst, S. 55; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 12; Ehricke, EWS 2002, 101 (103); Kourouvani, S. 219. 14 Adam, S. 44; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 12; Ehricke, EWS 2002, 101 (103); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1615); Leible/Staudinger, KTS 2000,

C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage

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3. Das Handlungszentrum als engste Verbindung Bei natürlichen Personen geschieht dies in der Regel, indem das anwendbare Recht an ihre Staatsangehörigkeit,15 ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt anknüpft. Dies ist auch unter dem Regime der Verordnung nicht anders, weil unter dem Interessenmittelpunkt natürlicher Personen grundsätzlich entweder ihr gewöhnlicher Aufenthalt16 oder ihr Wohnsitz17 zu verstehen ist.18 Gemein ist diesen Kriterien, dass in ihnen ein Schwerpunkt zum Ausdruck kommt, der die Anwendbarkeit des dort geltenden Rechts als angemessen erscheinen lässt, weil eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass die Rechtsbeziehungen einer natürlichen Person vornehmlich in dem Staat bestehen, dem sie angehört, in dem sie wohnt oder in dem sie sich für gewöhnlich aufhält. Bei Gesellschaften und juristischen Personen grundsätzlich anders zu verfahren, ist nicht angezeigt, weil auch sie von ihrer Gründung bis zu ihrer Beendigung zahlreiche Rechtsbeziehungen eingehen, für die – soweit es sich nicht um singuläre Fragen wie die für einen konkreten Vertrag oder ein konkretes Delikt maßgebliche Rechtsordnung handelt – im Grundsatz nur ein Statut gelten kann. Doch lassen sich ihre Staatsangehörigkeit, ihr Wohnsitz oder gar ihr gewöhnlicher Aufenthalt nicht ermitteln, weil es sich bei ihnen um Erfindungen oder Geschöpfe des Rechts und somit fiktive Gebilde handelt. Anders als natürliche Personen verfügen sie über keinen Körper, der sich räumlich beschreiben lässt. Gerade deshalb ist fraglich, wodurch sich ihr Schwerpunkt auszeichnet, der die Anwendung eines bestimmten Insolvenzrechts rechtfertigt. Denkbar erscheint es, eine Parallele zu den natürlichen Personen zu ziehen und die Körperlosigkeit von Gesellschaften zu überwinden, indem man 533 (543); Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 20; Vogler, S. 120; Vormstein, S. 176; Wimmer, ZInsO 2005, 119 (121); ebenso Keggenhoff, S. 155, der zwischen der engsten Verbindung und der Sachnähe unterscheidet; a.A. Carstens, S. 50 f., nach dem Art. 3 Abs. 1 EuInsVO primär ein erkennbares Insolvenzforum schaffen soll und die Anwendbarkeit der lex fori concursus sich in einem Reflex erschöpfe. 15 Vgl. etwa Art. 25 Abs. 1 EGBGB. 16 AG Köln NZI 2009, 133 (134 m.w.N.); Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, EuInsVO, Art. 3 Rn. 10; Mankowski, NZI 2005, 368 (369 m.w.N. in Fn. 22); Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 24; Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 21. 17 AG Celle NZI 2005, 410; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 20 m.w.N.; Virgós/Schmit, Nr. 75 (freilich doppeldeutig: „gewöhnliche Wohnsitz“); Wimmer, ZInsO 2001, 97 (99); vgl. auch die Nachweise bei Mankowski, NZI 2005, 368 (369 in Fn. 23). 18 Für Kaufleute, Gewerbetreibende und Selbständige dürfte dagegen als geklärt anzusehen sein, dass an den Ort ihrer wirtschaftlichen oder gewerblichen Tätigkeit angeknüpft wird; so BGH ZInsO 2009, 1955; MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 40 ff.; Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 22, sowie Lüer, in: Uhlenbruck, Art. 3 EuInsVO Rn. 10.

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

auf ihr personales Substrat oder ihr gegenständliches Vermögen abstellt. So könnte ihr Schwerpunkt in dem Staat liegen, dem das Leitungsorgan angehört oder in dem es wohnt oder sich für gewöhnlich aufhält. Möglich ist es auch, auf ihre Betriebsstätte abzustellen, weil auch hierin ein körperlicher Bezug zu einem Staat zum Ausdruck kommt. Beide Ansätze würden indes verkennen, dass die Anknüpfung bei natürlichen Personen nur scheinbar auf die körperliche Präsenz in einem bestimmten Territorium abstellt. Tatsächlich dient der körperliche Bezug, den Anknüpfungskriterien wie der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt aufweisen, nur dazu, das Handlungszentrum natürlicher Personen greifbar zu machen, das die Anwendung eines bestimmten Statuts rechtfertigt. Das zeigt sich besonders gut bei der soeben angesprochenen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Leitungsorgans einer Gesellschaft. Weil diese Person auch ein „Privatleben“ hat, also nicht nur ein Leitungsorgan ist, ist ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort wenig ergiebig für die Frage, wo das Handlungszentrum der Gesellschaft liegt und welche Rechtsordnung in ihrer Insolvenz anzuwenden ist. Auf die körperliche Präsenz einer Person oder ihres Vermögens kommt es daher nicht an.19 Eine Anknüpfung an das personale Substrat der Gesellschaft oder ihr gegenständliches Vermögen wäre nur eine vermeintliche Parallele zu der Anknüpfung bei natürlichen Personen. Diese Anknüpfungsgegenstände dienen lediglich dazu, das Handlungszentrum einer natürlichen Person räumlich beschreiben zu können. Die Maßgeblichkeit des Ortes, an dem sich das Handlungszentrum befindet, fällt bei den üblichen Anknüpfungsgegenständen für natürliche Personen nur deshalb nicht auf, weil Geist und Körper bei ihnen untrennbar miteinander verbunden sind. Deshalb kann auf ihre körperliche Präsenz abgestellt werden. Bei Gesellschaften ist das nicht möglich, weil sie keinen Körper haben. 4. Der erste Schritt des effektiven Verwaltungssitzes als Ausdruck des Handlungszentrums Die Körperlosigkeit von Gesellschaften erfordert es, das anwendbare Recht an ihren Verwaltungsort anzuknüpfen, der das Handlungszentrum der Gesellschaft und somit ihren Schwerpunkt bildet. Die entscheidende Frage, welche Facetten des mannigfaltigen Verwaltungsbegriffes den Geist und mithin den körperschaftlichen Schwerpunkt der Gesellschaft ausmachen, ist nicht neu. Sie stellte sich schon für die Sitztheorie des Gesellschaftskollisionsrechts, die den effektiven Verwaltungssitz konkretisieren musste. Es liegt daher nahe, sich für den Verwaltungsbegriff unter der EuInsVO an demjenigen der Sitztheorie zu orientieren: nicht etwa, weil die Anknüp19

So auch Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (448).

C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage

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fungskriterien aufgrund eines historisch-systematischen Zusammenhanges identisch oder zumindest weitgehend synonym zu verstehen wären,20 sondern weil es jeweils darum geht, einen körperschaftlichen Schwerpunkt festzulegen. Darüber hinaus wurde der Verwaltungsbegriff unter der Sitztheorie über Jahrzehnte von der Rechtswissenschaft geformt, so dass die dort gewonnenen Erkenntnisse über das, was die Verwaltung einer Gesellschaft auszeichnet, auch für den Interessenmittelpunkt fruchtbar gemacht werden könnten. Problematisieren ließe sich die Heranziehung der Sitztheorie insofern, als sie in Deutschland jedenfalls mit einer Reform des Gesellschaftskollisionsrechts bedeutungslos werden werden dürfte21 und, soweit sie Gesellschaften am Zuzug hindert, in Europa infolge der Entscheidungstrias des EuGH zur Niederlassungsfreiheit in den bereits erwähnten Rechtssachen Centros, Überseering und Inspire Art zu gemeinschaftswidrigen Folgen führt. Ob das Handlungszentrum einer Gesellschaft weiterhin an ihrem Verwaltungsort liegt, erscheint vor diesem Hintergrund zweifelhaft. Stattdessen könnte es nun vielmehr in dem Staat zu verorten sein, in dem die Gesellschaft gegründet wurde oder in dessen Register sie eingetragen ist. Zweifel an der Tauglichkeit des effektiven Verwaltungssitzes, den körperschaftlichen Schwerpunkt einer Gesellschaft zu bestimmen, lassen sich mit den vorstehenden Erwägungen jedoch nicht begründen, weil die Wende im europäischen und auch im deutschen Gesellschaftskollisionsrecht allein der Niederlassungsfreiheit und der Mobilität von Gesellschaften geschuldet ist. Die Abkehr vom effektiven Verwaltungssitz enthält dagegen keine inhaltliche Aussage darüber, wo das Handlungszentrum einer Gesellschaft liegt. Es gibt den effektiven Verwaltungssitz noch; es soll für die Zwecke des Gesellschaftskollisionsrechts – jedenfalls im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nur nicht mehr auf ihn ankommen. Zieht man den effektiven Verwaltungssitz für die Zwecke des Interessenmittelpunktes aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO heran, so kann nicht deutlich genug betont werden, dass nach dem ersten Schritt unter der Sitztheorie eine Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz dort hat, wo die großen Richtlinien-Entscheidungen getroffen werden. Bei zentral verwalteten Konzernen gelangt man mithin – vorbehaltlich der Erkennbarkeit die-

20

Dass dem nicht so ist, wurde bereits dargelegt; vgl. § 5 D. Vgl. den Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, abgedruckt bei Sonnenberger/Bauer, RIW 2006, Beilage 1 zu Heft 4, sowie bei Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, Tübingen 2007, der freilich nicht mehr auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Justiz verfügbar ist und wohl nicht umgesetzt werden wird. 21

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

ses Ortes – recht häufig zu einem einheitlichen Insolvenzgerichtsstand für alle Konzerngesellschaften. II. Die Irrelevanz der Umsetzung in laufende Geschäftsführungsakte (zweiter Schritt der Sitztheorie) 1. Die Argumente für eine Identität des Verwaltungsortes mit dem effektiven Verwaltungssitz Doch stellt die Anknüpfungsformel der Sitztheorie in einem zweiten Schritt darauf ab, wo die großen Richtlinien-Entscheidungen in die kleine Münze der täglichen Verwaltungsentscheidungen umgesetzt werden. Die jahrzehntelange Entwicklung dieser Anknüpfung im Gesellschaftskollisionsrecht legt es nahe, sie auch für das internationale Insolvenzrecht heranzuziehen. Es könnte inkonsequent sein, den zweiten Schritt des effektiven Verwaltungssitzes für die Zwecke des Interessenmittelpunktes nicht mitzugehen, obwohl beide Anknüpfungskriterien den körperschaftlichen Schwerpunkt der Gesellschaft abbilden sollen. Den effektiven Verwaltungssitz für die Zwecke der Insolvenzzuständigkeit heranzuziehen, könnte auch in praktischer Hinsicht sinnvoll sein, weil die umfangreiche Rechtsprechung zu den Indizien, die auf ihn schließen lassen, vollständig übernommen werden könnte. Der effektive Verwaltungssitz gilt weiter zumindest in der Regel als erkennbar und entspräche – die Richtigkeit dieser Annahme unterstellt – damit noch besser als der hier vorgeschlagene Ansatz dem Wortlaut des Erwägungsgrundes (13) und des Erläuternden Berichts, die von einer generellen Erkennbarkeit des Verwaltungsortes ausgehen. Auch könnte sich der Ort der wesentlichen Leitungsentscheidungen als zu unstet erweisen, als dass auf ihn abgestellt werden könnte, ohne die Gefahr eines forum shopping heraufzubeschwören. Für das richtige Verständnis der folgenden Ausführungen ist noch einmal daran zu erinnern, dass hier nicht eine Identität des Interessenmittelpunktes mit dem effektiven Verwaltungssitz geprüft wird, die bereits verneint wurde. Der Gegenstand der Prüfung ist vielmehr die Frage, ob unter dem Interessenmittelpunkt nicht der effektive Verwaltungssitz zu verstehen sein sollte, sofern letzterer tatsächlich erkennbar ist. Dieses zusätzliche, ausdrückliche Erfordernis der Erkennbarkeit ist nicht Teil der für den effektiven Verwaltungssitz allgemein üblichen Anknüpfungsformel. 2. Auseinandersetzung a) Die Bildung grenzüberschreitender Konzerne als Motiv für den zweiten Schritt der Sitztheorie Um zu klären, ob es inkonsequent wäre, den zweiten Schritt der Anknüpfung unter der Sitztheorie für die Zwecke des Insolvenzgerichtsstandes

C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage

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nicht mitzugehen, ist es erforderlich, sich die Gründe zu vergegenwärtigen, derentwegen es im Gesellschaftskollisionsrecht nicht allein auf die großen Richtlinien-Entscheidungen, sondern auf ihre Umsetzung ankommen soll. Internationale Konzerne zeichnen sich regelmäßig dadurch aus, dass sie aus Gesellschaften bestehen, die in verschiedenen Staaten gegründet wurden und zentralistisch verwaltet werden. Unter dem Regime eines effektiven Verwaltungssitzes, der das Gesellschaftsstatut an den Ort anknüpft, an dem die großen Richtlinien-Entscheidungen getroffen werden, können solche grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen nicht wie beabsichtigt entstehen, weil die abhängigen Gesellschaften außerhalb ihres Gründungsstaates nicht in der Rechtsform anerkannt würden, unter deren Regime sie gegründet wurden.22 Das beruht darauf, dass das Gesellschaftsstatut der ausländischen Tochtergesellschaften stets demjenigen der inländischen Konzernmutter entspräche, jene das unter diesem Statut geltende Gründungsrecht aber in aller Regel nicht beachtet haben. Die einheitliche Geltung desselben Statuts, die mit dem Konzerninsolvenzgerichtsstand für die Zwecke des Insolvenzrechts gerade erreicht werden soll, führte im Gesellschaftsrecht dazu, dass den Gesellschaften die Anerkennung versagt werden müsste. Jedenfalls auch vor diesem Hintergrund ist die Anknüpfung an den Ort zu sehen, an dem die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen nicht getroffen, sondern umgesetzt werden: Die Bildung grenzüberschreitender Konzerne sollte ermöglicht werden.23 In verschiedenen Staaten gegründete Gesellschaften sollten einheitlich verwaltet werden können, ohne Gefahr zu laufen, nicht in der Rechtsform anerkannt zu werden, in der sie gegründet wurden. Dieses Motiv für den zweiten Schritt der Anknüpfung unter der Sitztheorie offenbart, dass er für die Zwecke des Konzerninsolvenzgerichtsstandes nicht zwingend mitgegangen werden muss. Indem für den effektiven Verwaltungssitz in einem zweiten Schritt auf den Ort abgestellt wird, an dem die wesentlichen Leitungsentscheidungen effektiv umgesetzt werden, soll nicht etwa der körperschaftliche Schwerpunkt dort verortet, sondern sollen vielmehr die fatalen Folgen der Sitztheorie für die Bildung von Konzernen vermieden werden. Für die Zwecke des Insolvenzgerichtsstandes ist dies irrelevant, weil es im Insolvenzrecht – anders als im Gesellschaftsrecht – nicht darum geht, die Konzerngesellschaften in ihrer jeweiligen Rechtsform anzuerkennen. Darüber hinaus ist die Ergänzung der Anknüpfung unter der Sitztheorie um ihren zweiten Schritt, soweit sie dazu 22

Dass diese Rechtsfolge nicht mehr eintritt, seit der EuGH in ihr eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit erblickt, ist für die Zwecke der Untersuchung unerheblich, weil die Motive, die hinter der Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz stehen, hiervon unberührt bleiben. 23 Grothe, S. 44.

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

diente, die Anerkennung von im Ausland gegründeten und im Inland verwalteten Gesellschaften zu gewährleisten, seit der Rechtssache Überseering jedenfalls für die Europäische Union ohnehin obsolet geworden, da der EuGH in dieser Entscheidung aus dem Jahre 2002 es für unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit aus Art. 43, 48 EG (nunmehr Art. 49, 54 AEUV) erklärt hat, wenn eine Gesellschaft, die wirksam in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gegründet wurde, in den anderen Mitgliedstaaten nicht anerkannt wird.24 Insoweit gibt es mithin keinen Grund mehr, auf den Ort der Umsetzung abzustellen. b) Die vermeintliche Praxistauglichkeit der Übernahme des effektiven Verwaltungssitzes Auch das Argument, dass eine Identität des Verwaltungssitzes der EuInsVO mit demjenigen der Sitztheorie die Rechtsanwendung vereinfachen könnte, vermag nicht zu überzeugen. Der effektive Verwaltungssitz war zwar über viele Jahrzehnte das einzige und ist auch weiterhin ein Anknüpfungskriterium des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts. Doch ist es der Rechtsprechung trotz zahlreicher Gelegenheiten nicht gelungen, unterhalb der allgemein gehaltenen Anknüpfungsformel feste Kriterien aufzustellen, die den effektiven Verwaltungssitz eindeutig bestimmbar gemacht hätten.25 Die unübersichtliche, ja teilweise sogar widersprüchliche Kasuistik ähnelt insofern derjenigen zum Interessenmittelpunkt. Dass eine Übernahme der Kriterien der Rechtsprechung zum effektiven Verwaltungssitz die Auslegung des Interessenmittelpunktes vereinfachen würde, ist mithin kein stichhaltiges Argument. c) Die vermeintliche Erkennbarkeit des effektiven Verwaltungssitzes Zweifelhaft erscheint auch, ob der effektive Verwaltungssitz regelmäßig erkennbar ist und deshalb zugleich der Verwaltungsort sein sollte, der den Interessenmittelpunkt ausmacht. Schon die schiere Menge der Indizien, die nach der Rechtsprechung für den effektiven Verwaltungssitz sprechen,26 zeigt, dass er nicht generell und ohne weiteres festzustellen ist. Zu hinterfragen ist aber auch die bislang angenommene Prämisse, nach der er jedenfalls in der Regel erkennbar sein dürfte. Soweit das mitgliedstaatliche Sachrecht keine Beschränkungen vorsieht, müssen Gesellschaften nicht von einem bestimmten Staat aus verwaltet werden. Dann gibt es auch keinen Anreiz für die Geschäftsleitung, in einem bestimmten Staat Geschäftsräume und eine Verwaltungsorganisation 24

EuGH Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614 – Überseering. Vgl. § 5 C II. 26 Vgl. § 5 C II. 25

C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage

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zu unterhalten. Schon aus diesem Grunde dürfte es in der Regel schwer fallen, den effektiven Verwaltungssitz ohne weiteres festzustellen. Neben der Mobilität des Verwaltungssitzes erschwert weiter die fortschreitende Körperlosigkeit des Rechtsverkehrs die Feststellung eines Verwaltungsortes. So lässt sich dank des Internets nahezu der gesamte Geschäftsverkehr elektronisch abwickeln. In dem Maße, in dem die Digitalisierung des Rechtsverkehrs Büroräume und papiergebundene Unterlagen entbehrlich macht, fehlt der Gesellschaft aber auch das Körperliche, das für den Rechtsverkehr erkennbar ist. Für den einzelnen Unternehmer, der sich einer Rechtsform seines Heimatstaates bedient und hauptsächlich in eben diesem Staat tätig ist, mögen diese Erwägungen nicht ausnahmslos zutreffen. Insbesondere wird er regelmäßig über eine Betriebsstätte und Angestellte verfügen und Geschäftsräume einrichten. Und natürlich besteht außerhalb des Verkehrs mit dem Registergericht auch keine Pflicht, sich moderner Kommunikationsmittel wie des Internets zu bedienen. Doch darf nicht außer Acht bleiben, dass die unabhängige Gesellschaft in der Praxis die Ausnahme darstellt. Die Mehrheit der Kapitalgesellschaften ist Teil eines Konzerns. Die Antwort auf die Frage, inwieweit der effektive Verwaltungssitz einer Gesellschaft wirklich erkennbar ist, hat diesen Umstand zu berücksichtigen. Bei vielen Konzerngesellschaften handelt es sich um reine Zweckgesellschaften,27 die nicht dauerhaft operativ tätig sein sollen, sondern entweder für ein bestimmtes Vorhaben eingesetzt werden, oder dazu dienen, die Steuerlast zu senken. Weil sie entweder aufgrund ihres beschränkten Zwecks nur wenige Geschäfte tätigen oder ohnehin nur zur Steuerersparnis in einer Konzernstruktur eingesetzt werden, ist eine eigene Verwaltungsstruktur zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch entbehrlich. Überflüssig sind dann insbesondere eigene Geschäftsräume. Allenfalls existiert noch eine Büroanschrift, die nach nationalem Recht zwingend vorhanden sein muss. Ein Beispiel hierfür ist die bereits mehrfach angesprochene Insolvenz der Eurofood IFSC Ltd.:28 Die Gesellschaft wurde bewusst unter dem irischen Recht gegründet, um Steuervorteile zu nutzen. Sie beschäftigte in Irland keine Arbeitnehmer und verfügte – abgesehen von ihrem „Sitz“ in einer irischen Anwaltskanzlei – über keine Büroräume. Die Eurofood IFSC Ltd. diente dem Parmalat-Konzern allein als Finanzierungsvehikel, indem sie Anleihen ausgab und die Einnahmen der Konzernmutter zur Verfügung stellte. Diese Wertpapieremissionen erfolgten von der Gründung der Gesellschaft im Jahre 1998 bis zur Insolvenz im Jahre 2004 jedoch nur zweimal und ließen sich daher kaum als Tagesgeschäft bezeichnen. 27 28

In der Praxis werden sie häufig als special purpose vehicles bezeichnet. Vgl. § 3 D III 2.

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

Derartige Gesellschaften existieren zwar, nehmen aber nicht oder kaum am Wirtschaftsleben teil. Zwar ist nur schwer einzuschätzen, wie groß ihr Anteil an allen Gesellschaften ist. Je größer ein Konzern aber ist, desto mehr wird es von ihnen geben. Selbst wenn es möglich sein sollte, bei ihnen überhaupt etwas wie einen „effektiven“ Verwaltungssitz festzulegen, so wird er für den Rechtsverkehr häufig nicht erkennbar sein. Die Prämisse, wonach der effektive Verwaltungssitz generell oder zumindest regelmäßig erkennbar ist, trifft somit nicht zu. d) Die Prämisse der engsten Verbindung am effektiven Verwaltungssitz Zu prüfen ist weiter, ob für den Interessenmittelpunkt deshalb auf die Umsetzung der wesentlichen Leitungsentscheidungen abzustellen ist, weil hierin die engste Verbindung zu der Rechtsordnung eines Staates zum Ausdruck kommen könnte. Knüpfte die Sitztheorie allein an den Staat an, in dem die wesentlichen Leitungsentscheidungen fallen, könnte insbesondere in zentralistisch verwalteten Konzernen ein Gesellschaftsstatut zur Anwendung berufen sein, das keinen besonderen Bezug zu der Existenz und Tätigkeit der abhängigen Gesellschaft aufweist, weil sich ihre Gläubiger und ihr Vermögen in einem anderen Staat befinden. Die Anknüpfung würde dann nicht dem international-privatrechtlichen Grundsatz der engsten Verbindung gerecht. Um dies zu verhindern, erklärt die Sitztheorie den Ort für maßgeblich, an dem die wesentlichen Leitungsentscheidungen effektiv umgesetzt werden. Fraglich ist, ob dieses Motiv für den zweiten Schritt der Anknüpfung unter der Sitztheorie auch für die Zwecke des Insolvenzgerichtsstandes mitgegangen werden muss. Dafür spricht, dass auch über die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt das Recht des Staates angewendet werden soll, in dem sich in der Regel der überwiegende Teil des Vermögens des Schuldners befinden dürfte.29 Doch ist zweifelhaft, ob diese dem effektiven Verwaltungssitz zugrundeliegende Prämisse in einem weitgehend grenzenlosen Europa, in dem Gesellschaften vorbehaltlich mitgliedstaatlicher Wegzugsbeschränkungen nicht mehr von dem Staat aus verwaltet werden müssen, nach dessen Recht sie gegründet wurden, noch zutrifft. Die mit der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit eingeleitete Entkoppelung von Verwaltung und Tätigkeitsschwerpunkt führt dazu, dass die Mehrzahl der Gläubiger und der überwiegende Teil des Gesellschaftsvermögens deutlich seltener an dem Ort vorzufinden sein werden, in dem irgendwelche Ver29

Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rn. 12; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447 (448); Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (898); Leible/ Staudinger, KTS 2000, 533 (543); MünchKommBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 14; Kindler, in: Kindler/Nachmann, § 2 Rn. 12; Probst, S. 55; Vogler, S. 122; Weller, ZHR 169 (2005), 570 (578); Wimmer, ZInsO 2005, 119 (121).

C. Die Konkretisierung des Begriffes „Verwaltung“ als Gretchenfrage

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waltungstätigkeiten ausgeübt werden. Das gilt für die großen RichtlinienEntscheidungen und ihre Umsetzung gleichermaßen und trifft vor allem bei verbundenen Unternehmen zu. Insofern lässt sich bezweifeln, ob eine wie auch immer zu konkretisierende Verwaltungstätigkeit geeignet ist, einen Schwerpunkt abzubilden, der zu der Anwendung der Rechtsordnung führt, mit der die Gesellschaft am engsten verbunden ist. Zwar knüpft der Interessenmittelpunkt ungeachtet der vorstehenden Zweifel an der Geeignetheit des Anknüpfungskriteriums nun einmal an die Verwaltung der Gesellschaft an. Ein wesentlicher Unterschied zu dem Gesellschaftskollisionsrecht besteht jedoch insofern, als der Interessenmittelpunkt nicht nur das anwendbare Insolvenzrecht bestimmt, sondern zu einem Insolvenzverfahren führt, das samt seinen Wirkungen in dem gesamten Geltungsgebiet der Europäischen Insolvenzverordnung automatisch anerkannt wird. Die Sitztheorie beschränkt sich dagegen darauf, eine bestimmte Rechtsordnung für maßgeblich zu erklären, deren Wirkungen auf deren Geltungsgebiet beschränkt bleiben und sich allenfalls mittelbar oder reflexartig auf andere Rechtsordnungen auswirken. Hierin kommt ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Interessenmittelpunkt und dem effektiven Verwaltungssitz zum Ausdruck. So können sich unterscheidende Kollisionsrechte zu einer Zersplitterung des anwendbaren Rechts und zu einer voneinander abweichenden rechtlichen Einordnung ein und desselben Unternehmens in verschiedenen Staaten führen. Die potentiell drastischen Folgen der fehlenden Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts wurden erst durch die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Überseering und Inspire Art gemildert. Rechtfertigen ließ sich die bis dahin unbefriedigende Rechtslage nur mit dem Ziel, über die Anwendbarkeit eines bestimmten Gesellschaftsstatuts diejenigen zu schützen, die mutmaßlich am stärksten von der Existenz und Tätigkeit der Gesellschaft betroffen sind. Zwar ist es auch ein Motiv der Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt, diejenigen durch die Anwendbarkeit des sachnächsten Insolvenzrechts zu schützen, die von der Insolvenz ihres Schuldners betroffen sind. Doch beschränkt sich die Bedeutung des Interessenmittelpunktes nicht auf einen Staat, sondern erstreckt sich auf den gesamten europäischen Binnenmarkt. Die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt soll letztlich allen Gläubigern in der Europäischen Union dienen, weshalb sich das Verfahren mit seinen Wirkungen von Rechts wegen gemeinschaftsweit erstreckt. Das ist bei der Auslegung des Interessenmittelpunktes zu berücksichtigen. Mindestens ebenso schwer wie die Anwendung des sachnächsten Insolvenzrechts wiegt das aus dem Erwägungsgrund (2) und seiner Gesamtkonzeption folgende Ziel der Verordnung, für wirksame und effiziente grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu sorgen.

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

Ein zwingendes Argument für eine Interpretation des Verwaltungsortes der EuInsVO als den Ort, an dem die wesentlichen Entscheidungen der Unternehmensleitung gefällt werden, folgt hieraus zwar nicht. Vertretbar bleibt mithin auch eine Auslegung des Interessenmittelpunktes im Sinne des effektiven Verwaltungssitzes, sofern dieser tatsächlich erkennbar ist. Doch lässt der in der Europäischen Insolvenzverordnung angelegte Effizienzgedanke die hier vertretene Ansicht vorzugswürdig erscheinen, weil sie eine einheitliche Zuständigkeit für verbundene Unternehmen und die Nutzung der mit ihr verbundenen Vorteile ermöglicht. e) Die Verhinderung von forum shopping Gegen eine Anknüpfung an den Ort der großen Richtlinien-Entscheidungen könnte letztlich sprechen, dass dieser Ort weniger stet ist als derjenige, an dem diese Entscheidungen effektiv in „laufende“ Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. Dem forum shopping könnte mit anderen Worten Tür und Tor geöffnet werden, wenn es für die Verlegung des Interessenmittelpunktes genügte, kurz vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens öffentlich zu verkünden, dass die wesentlichen Entscheidungen nunmehr in einem bestimmten Staat gefällt würden. Einem derart plumpen Versuch des forum shopping stünde jedoch entgegen, dass es auf den Ort ankommt, an dem die Unternehmensführung „gewöhnlich“ bzw. „üblicherweise“ ihre wesentlichen Beschlüsse fasst. Entscheidend ist, dass der Verwaltungsort materiell verlegt wurde. Was genau darunter zu verstehen ist, muss der Rechtsprechung und dem Einzelfall überlassen bleiben. Als grobe Leitlinie kann die in den Entwürfen zum EuInsÜ vorgesehene période suspecte dienen, wonach Verlegungen des Interessenmittelpunktes binnen eines Zeitraums von weniger als sechs Monaten vor der Verfahrenseröffnung unbeachtlich sein sollten.30 Vollständig verhindern lässt sich das forum shopping darüber hinaus ohnehin nicht, weil der Interessenmittelpunkt ein wandelbares Anknüpfungskriterium ist. Die Inanspruchnahme eines anderen Insolvenzforums und die Anwendbarkeit des mit ihm verbundenen Insolvenzrechts kann die Verordnung dank der Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens und seiner automatischen Anerkennung jedoch in Kauf nehmen. Ob das forum shopping darüber hinaus einen Wettbewerb um das „beste“ Insolvenzrecht darstellt, das einen Beitrag zur Optimierung der Insolvenzrechtsordnungen leistet,31 mag hier dahingestellt sein.

30 31

Vgl. den jeweiligen Art. 6 Abs. 1 der Entwürfe von 1970, 1980 und 1984. Vgl. Eidenmüller, KTS 2009, 137 (140); kritisch: Thole, ZEuP 2007, 1137 (1150).

D. Die Indizien für den Konzerninsolvenzgerichtsstand

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3. Fazit Der zweite Schritt der Anknüpfung unter der Sitztheorie, nach der der effektive Verwaltungssitz nicht an den Ort anknüpft, an dem die großen Richtlinien-Entscheidungen getroffen werden, sondern an den Ort, an dem diese Entscheidungen in „laufende“ Geschäftsführungsakte umgesetzt werden, muss für die Zwecke der Europäischen Insolvenzverordnung nicht mitgegangen werden. Das der konkreten Ausgestaltung des effektiven Verwaltungssitzes zugrundeliegende Motiv, grenzüberschreitende Unternehmensverbindungen zu ermöglichen, ist für die Zwecke des Insolvenzrechts irrelevant. Wenig gewonnen wäre auch mit der Übernahme der zu der Ermittlung des effektiven Verwaltungssitzes ergangenen Rechtsprechung, weil sie wenig konsistent ist. In einem europäischen Binnenmarkt, in dem auch Gesellschaften Freizügigkeit genießen, trifft darüber hinaus die Prämisse der Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz, einen körperschaftlichen Schwerpunkt der Gesellschaft abzubilden, häufig nicht mehr zu. Auch ist der effektive Verwaltungssitz infolge der fortschreitenden Digitalisierung des Rechtsverkehrs nicht mehr generell erkennbar. Soweit der effektive Verwaltungssitz endlich besser als eine Anknüpfung an den Ort der großen Richtlinien-Entscheidungen geeignet erscheint, ein forum shopping der Unternehmensleitung zu verhindern, übersieht dies, dass auch der Interessenmittelpunkt nur dann erfolgreich verlegt werden kann, wenn die Verlegung von einer gewissen Dauer ist. Bestehen mithin keine überzeugenden Gründe, unter dem Interessenmittelpunkt den im konkreten Fall erkennbaren effektiven Verwaltungssitz zu verstehen, so bedeutet dies zwar nicht, dass unter jenem zwingend der erkennbare Ort der großen Richtlinien-Entscheidungen zu verstehen wäre. Doch entspricht eine Auslegung des Interessenmittelpunktes im letztgenannten Sinne am ehesten dem übergeordneten Ziel der Verordnung, für effiziente grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu sorgen, weil die hier vertretene Konkretisierung des Interessenmittelpunktes häufiger zu der einheitlichen Zuständigkeit für die Insolvenzen verbundener Gesellschaften führen wird als andere Anknüpfungsformeln, die sich ebenfalls in den Grenzen der Auslegung bewegen.

D. Die Indizien für den Konzerninsolvenzgerichtsstand D. Die Indizien für den Konzerninsolvenzgerichtsstand

Die entscheidende Frage in der Insolvenzpraxis wird lauten, ob das Gericht zu der Ansicht gelangt, dass der Ort der großen Richtlinien-Entscheidungen hinreichend erkennbar war. Nur dann ist die Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO widerlegt und ein einheitlicher Gerichtsstand bei zentraler Verwaltung möglich. Weil es für die Erkennbarkeit des Interes-

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

senmittelpunktes auf eine abstrakt-objektive Sicht ankommt, wird es unvermeidlich sein, Indizien heranzuziehen. Zu unterscheiden sind insoweit Indizien, die auf den Ort hinweisen, an dem die großen RichtlinienEntscheidungen getroffen werden, und Indizien, die für eine hinreichende Erkennbarkeit dieses Ortes sprechen. Möglich ist auch, dass ein und derselbe Umstand ein Indiz für beides sein kann. I. Die Indizien für die einheitliche Verwaltung 1. Der Aufbau und die Organisation eines Konzerns Ein gewichtiges Argument für eine einheitliche Verwaltung verschiedener Gesellschaften liegt in der personellen Verflechtung auf der Leitungsebene. Sind einzelne oder gar sämtliche Mitglieder der Geschäftsführung einer Gesellschaft mit denen einer anderen Gesellschaft identisch, spricht einiges dafür, dass die Gesellschaften einheitlich verwaltet werden. Relevant ist auch, ob der Unternehmensgegenstand einer Gesellschaft bereits darauf beschränkt ist, einem anderen Unternehmen zu dienen,32 weil dies im Zweifel bedeutet, dass letzteres die grundlegenden Entscheidungen auch für die Gesellschaft trifft. Kaum bestreiten lässt sich die zentrale Verwaltung darüber hinaus bei einer besonders starken Einbindung einer Gesellschaft in die Struktur eines Konzerns. So dürfte bei einem Unternehmensvertrag oder einer Eingliederung nicht mehr nur ein Indiz, sondern bereits zumindest eine tatsächliche Vermutung für die zentrale Verwaltung der Gesellschaften sprechen.33 Auch die Gründung einer Gesellschaft und der Erwerb bzw. das Bestehen einer Mehrheitsbeteiligung sind Indizien für eine einheitliche Verwaltung. 2. Der Auftritt als Konzern Neben dem Aufbau und der Organisation der Gesellschaften gibt es für die einheitliche Verwaltung auch eine Reihe von Indizien, die auf dem Auftritt als Konzern beruhen.34 So ist eine nahezu gleich oder zumindest doch sehr ähnlich lautende Firma ein starker Hinweis darauf, dass die Gesellschaften zentral verwaltet werden. In ihr kommt eine gemeinsame corporate identity zum Ausdruck,35 die sich auch in dem Internetauftritt und dem Erscheinungsbild der schriftlichen Korrespondenz zeigt. Je größer die Gemein-

32

Ähnlich Deyda, S. 130 f. A.A. Deyda, S. 114 f., der jedoch zu stark auf die Frage abstellt, ob und inwieweit die hierdurch vermittelte Leitungsmacht in der Insolvenz fortbesteht. 34 Vgl. auch Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 21. 35 Deyda, S. 127 f.; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825 (830 f.). 33

D. Die Indizien für den Konzerninsolvenzgerichtsstand

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samkeiten hier sind,36 desto wahrscheinlicher erscheint eine zentrale Verwaltung. Ein bedeutendes Indiz sind insofern die Internetseiten der Unternehmen. Sind sie über ein gemeinsames Portal erreichbar oder zumindest ähnlich aufgebaut, bedienen sie sich desselben Designs, insbesondere derselben Farben, Grafiken und Symbole, liegt eine einheitliche Verwaltung der Gesellschaften nahe. Entsprechend wahrscheinlich ist eine gemeinsame Verwaltung vor allem auch dann, wenn die Gesellschaften über dieselben Büroräume und dieselbe Anschrift verfügen. Daneben können auch die Vertragsverhandlungen zwischen einer Gesellschaft und Dritten auf eine einheitliche Verwaltung hindeuten, so etwa z.B. wenn die Vertragsverhandlungen zumindest teilweise von einem anderen Unternehmen geführt werden, es für die Gesellschaft Patronatserklärungen abgibt37 oder es interne Zustimmungsvorbehalte für Rechtsgeschäfte der Gesellschaft vorsieht, die ihr im Innenverhältnis nur einen geringen eigenverantwortlichen bzw. unternehmerischen Entscheidungsspielraum belassen.38 II. Die Indizien für die Erkennbarkeit der einheitlichen Verwaltung 1. Das Handelsregister und der Bundesanzeiger Weitaus schwieriger als die Ermittlung des zentralen Verwaltungsortes wird dem Insolvenzgericht in der Regel die Feststellung fallen, ob dieser Ort abstrakt-objektiv erkennbar ist. Von ganz entscheidender Bedeutung sind daher Medien, die sich an die Öffentlichkeit richten oder ihr zumindest ohne großen Aufwand zugänglich sind. Was in ihnen mitgeteilt wird, ist nicht nur für einen engen Kreis, sondern für praktisch jedermann erkennbar. Hinreichend erkennbar sind daher alle Umstände, die in öffentlichen Registern oder Bekanntmachungsblättern kundgetan werden. Zu ihnen zählen vor allem das Handelsregister und der Bundesanzeiger. 2. Die Internetseiten der Gesellschaften Zu hinterfragen ist, ob auch die Internetseiten der Gesellschaften zu diesen Medien zählen sollten. Dagegen spricht auf den ersten Blick, dass die Ge36

Das gilt freilich nur, sofern die Ähnlichkeit nicht selbstverständlich ist. Nutzen verbundene Gesellschaften in ihrer schriftlichen Korrespondenz dieselbe, allgemein übliche Schriftart, sagt dies mithin nichts über die zentrale Verwaltung aus. Anders liegt es dagegen, wenn die Schriftart ungewöhnlich ist. 37 Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (644). 38 In Konsortialkreditverträgen lässt sich der Kreditgeber darüber hinaus üblicherweise zusichern, dass der Interessenmittelpunkt am Satzungssitz liegt und der Kreditnehmer den Interessenmittelpunkt nicht ohne Zustimmung des Kreditgebers ändern wird; vgl. Hamilton/Hair, in: Pannen, EuInsVO, Länderbericht Großbritannien, Rn. 78; Eidenmüller, KTS 2009, 137 (148); vgl. auch zu den Gestaltungsmöglichkeiten im Einzelnen Mankowski, ZIP 2010, 1376 (1379 ff.).

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sellschaften in der Gestaltung dieser Seiten relativ frei sind. Passen sie ihren Internetauftritt aneinander an, könnten sie somit selbst die Bedingungen festlegen, unter denen möglicherweise eine einheitliche Zuständigkeit anzunehmen wäre. Insbesondere könnten dem Schreckgespenst des forum shopping Tür und Tor geöffnet werden, wenn die Gesellschaften über eine Erklärung im Internet darauf hinweisen, dass sie einheitlich von einem bestimmten Ort aus verwaltet werden, und auf diese Weise einen Konzerninsolvenzgerichtsstand begründen. Doch wäre dem Interesse der Gläubiger gerade damit besonders gut gedient, weil das Internet besonders leicht zugänglich ist. Gestattet man den verbundenen Unternehmen, über eine derartige Erklärung an die Öffentlichkeit einen gemeinsamen Interessenmittelpunkt festzulegen, können die Gläubiger dies erkennen und ihr Risiko in der Insolvenz ihres Schuldners berechnen. Darüber hinaus liegt es ohnehin in der Hand des Unternehmens, seinen eigenen Interessenmittelpunkt festzulegen, da seine Organe selbst darüber entscheiden, von wo aus es verwaltet wird. Die Wandelbarkeit ist dem Interessenmittelpunkt mit anderen Worten ohnehin immanent. Einzuschränken ist die Relevanz der Umstände, die auf den Internetseiten veröffentlicht werden, nur insoweit, als sie zu der Anwendbarkeit eines willkürlich gewählten Insolvenzrechts führten, ausgesprochen kurzfristig erfolgten oder irgendwo auf den Internetseiten „versteckt“ würden. Die gegen einen derartigen Missbrauch erforderlichen Schutzmechanismen bestehen jedoch bereits. So kann eine Erklärung an die Öffentlichkeit nur bewirken, dass eine angebliche Verlegung des Interessenmittelpunktes erkennbar wird. Dies ändert nichts daran, dass der in der Erklärung genannte Staat auch tatsächlich derjenige sein muss, von dem aus die Gesellschaft verwaltet wird. Allein die Erklärung an die Öffentlichkeit, dem Insolvenzrecht eines bestimmten Staates zu unterliegen, vermag dies nicht zu bewirken. Gegen kurzfristige Verlegungen des Interessenmittelpunktes schützt weiter das Erfordernis der Gewöhnlichkeit oder Üblichkeit der Interessenverwaltung. Und hält das Unternehmen eine für den Interessenmittelpunkt relevante Information auf ihren Internetseiten nicht an prominenter Stelle vor, so ist dieser Hinweis eben nicht hinreichend erkennbar. Gegen die Relevanz der Internetseiten einer Gesellschaft für die Frage, ob ihr Interessenmittelpunkt erkennbar ist, bestehen somit keine durchgreifenden Bedenken. 3. Die Üblichkeit der Beteiligung an Vertragsverhandlungen In den vorstehend genannten Medien kommen nahezu alle Indizien zum Ausdruck, die für die Ermittlung des Verwaltungsortes relevant sind. Allein zu den Umständen der Vertragsverhandlungen, die ebenfalls den Schluss auf eine einheitliche Verwaltung zulassen, findet sich nichts im

E. Die Konsequenz: ein einheitlicher Gerichtsstand

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Handelsregister, im Bundesanzeiger in vergleichbaren Plattformen wie dem Unternehmensregister oder auf den Internetseiten der Gesellschaft. Soweit das Insolvenzgericht nicht bereits auf der Grundlage der übrigen Indizien davon überzeugt ist, dass die großen Richtlinien-Entscheidungen der Gesellschaften in erkennbarer Weise in einem bestimmten Staat gefällt werden, bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu ermitteln, ob ein Unternehmen üblicherweise und mithin in zahlreichen Fällen in dem geschilderten Umfang an den Vertragsverhandlungen einer Gesellschaft beteiligt ist. Ist das Gericht davon überzeugt, dass das Unternehmen sich regelmäßig einschaltet, so ist dies in der Regel auch für die Gläubiger erkennbar. Einer Einbeziehung der Umstände von Vertragsverhandlungen in die Ermittlung des Interessenmittelpunktes einer Gesellschaft steht dann nichts entgegen.

E. Die Konsequenz: ein einheitlicher Gerichtsstand E. Die Konsequenz: ein einheitlicher Gerichtsstand

I. Der weite Anwendungsbereich der Anknüpfungsformel Wendet man die hier vorgeschlagene Anknüpfungsformel an, so wirft dies die weitere Frage auf, ob die Anknüpfungsformel um das Tatbestandsmerkmal einer wie auch immer gearteten konzernrechtlichen Verbindung erweitert werden muss. Verzichtet man auf ein besonderes konzernrechtliches Element wie etwa die durch den Anteilsbesitz vermittelte Abhängigkeit, so führt die hier vorgeschlagene Anknüpfungsformel auch dann zu einem einheitlichen Gerichtsstand rechtlich selbständiger Unternehmen, wenn sie lediglich Teil eines Netzwerkes oder Hybrids sind. Bei solchen Netzwerken und Hybriden handelt es sich um soziale Institutionen eigener Art, die von der Rechtsordnung nicht als Gesellschaft eingeordnet werden und deren Grundlagen und Wirkungen entweder nicht auf einem Vertrag beruhen oder sich nicht allein in vertraglichen Beziehungen erschöpfen.39 Plastisch darstellen lässt sich dies an dem Beispiel von Franchisesystemen: Der Franchisegeber trifft typischerweise alle wesentlichen Entscheidungen, bestimmt die gesamte Geschäftspolitik, gibt regelmäßig auch einen einheitlichen Auftritt der Franchisenehmer nach außen vor40 und erzeugt auf diese Weise den Eindruck, dass es sich bei den Franchisenehmern um Niederlassungen oder Teile eines Konzerns handelt, obwohl die einzelnen Unternehmen jedenfalls nach dem deutschen Konzernverständnis nicht miteinander verbunden sind.41 39

Vgl. Teubner, ZHR 165 (2001), 550, 554. Man denke nur an Unternehmen wie McDonald’s. 41 Z.B. werden werden fast 80 % der McDonald’s-Restaurants in Deutschland von Franchisenehmern betrieben; vgl. www.mcdonalds.de/unternehmen/franchise/franchise modell.html (9.6.2012). 40

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Die Frage, ob die hier vorgeschlagene Anknüpfungsformel um das Erfordernis einer konzernrechtlichen Verbindung erweitert werden muss, enthält genaugenommen zwei Fragestellungen, die voneinander zu unterscheiden sind. Erstens ist zu klären, ob in terminologischer Hinsicht von einem Konzerninsolvenzgerichtsstand gesprochen werden kann, obwohl nach dem gesellschaftsrechtlichen Verständnis kein Konzern vorliegt. Bejaht man dies, ist zweitens zu prüfen, ob es sachlich angemessen ist, einen einheitlichen Gerichtsstand für mehrere Gesellschaften mit der hier vorgeschlagenen Anknüpfungsformel auch dann anzunehmen, wenn die Gesellschaften keine konzernrechtliche Verbindung aufweisen. II. Der Begriff des Konzerninsolvenzgerichtsstandes als Beschreibung eines Phänomens Die Frage, ob ein einheitlicher Gerichtsstand nur zulässig oder sinnvoll ist, wenn ein konzernrechtliches Element vorliegt, ist von der rein terminologischen Frage zu unterscheiden, unter welchen Voraussetzungen man von einem Konzerninsolvenzgerichtsstand spricht. Wie bereits dargelegt wurde,42 ist es nicht möglich, für die Ermittlung des Interessenmittelpunktes einen bestimmten Konzernbegriff zugrunde zu legen, weil der Begriff des Konzerns auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene – abgesehen von speziellen Materien – nicht vereinheitlicht ist und auch die Europäische Insolvenzverordnung keine besonderen Regeln für Konzerne enthält. Das Schweigen des europäischen Gesetzgebers erzwingt einen offenen Konzernbegriff, der sich in der Beschreibung eines Phänomens erschöpft und an den keine Rechtsfolgen geknüpft werden. Verbundene Unternehmen, ein Konzern, eine Konzerninsolvenz und ein Konzerninsolvenzgerichtsstand im Sinne dieser Arbeit liegen daher immer dann vor, wenn die Anknüpfung der internationalen Zuständigkeit von Gesellschaften zu demselben Ergebnis führt. Das ist immer dann der Fall, wenn die Verwaltungsorgane einer Gesellschaft in erkennbarer Weise auch über die großen Richtlinien-Entscheidungen einer anderen Gesellschaft bestimmen. Der Begriff der verbundenen Unternehmen, der Konzernbegriff und alle von ihm abgeleiteten Wortschöpfungen wie insbesondere der Konzerninsolvenzgerichtsstand dienen hier mithin nur dazu, das Phänomen zu beschreiben, dass infolge einer einheitlichen Verwaltung die Gerichte desselben Mitgliedstaates für die Insolvenz mehrerer Gesellschaften international zuständig sind. Wenn insolvente Gesellschaften hier als verbundene Unternehmen oder Konzerngesellschaften, wenn Insolvenzen hier als Konzerninsolvenzen und wenn die Identität des Insolvenzgerichtsstandes als Konzerninsolvenz42

Vgl. § 3 A.

E. Die Konsequenz: ein einheitlicher Gerichtsstand

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gerichtsstand bezeichnet werden, so dient dies mithin nur der terminologischen Griffigkeit, die auf einer typisierten Betrachtungsweise beruht: Üblicherweise liegt bei der einheitlichen Zuständigkeit auch ein konzernrechtliches Element vor; notwendig ist dies jedoch nicht. So gesehen schafft das Ergebnis der Anknüpfung, wenn es zu einem einheitlichen Gerichtsstand führt, für die Zwecke der Insolvenzeröffnung einen zuständigkeitsrechtlichen Konzernbegriff, dessen Bedeutung sich jedoch darin erschöpft, die einheitliche internationale Zuständigkeit für die Eröffnung von Hauptinsolvenzverfahren über die Vermögen rechtlich selbständiger Gesellschaften zu beschreiben. III. Die Irrelevanz einer konzernrechtlichen Verbindung 1. Die Unvereinbarkeit eines konzernrechtlichen Elements mit der Einheitlichkeit der Auslegung Die davon getrennt zu untersuchende Frage lautet, ob es sinnvoll ist, wenn die Anknüpfungsformel auch dann zu einem einheitlichen Gerichtsstand führt, wenn kein konzernrechtliches Element vorhanden ist. Doch ließe sich ebenso umgekehrt die Frage stellen, welcher Umstand als hinreichendes Konzernelement anzusehen wäre, das die Begründung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes rechtfertigte. So erscheint es nicht begründbar, dass für die Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Interessenmittelpunktes etwa ausgerechnet das in Deutschland bestehende Verständnis einer Konzernierung durch rechtlich vermittelte Abhängigkeit maßgeblich sein soll. Denkbar erscheint es zwar, jeglichen die Annahme eines Konzerns begründenden Umstand für ausreichend zu erachten, sofern er nur unter der Rechtsordnung zumindest eines Mitgliedstaates einen Konzern begründet. Doch kennen, wie bereits dargelegt wurde,43 die meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kein allgemeines Konzernrecht. Folglich gibt es in ihnen auch keine Voraussetzungen, die als kleinster gemeinsamer Nenner für die Annahme eines Konzerns herangezogen werden könnten. Gegen die Erweiterung der hier vorgeschlagenen Anknüpfungsformel um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal einer konzernrechtlichen Verbindung spricht mithin, dass es unter den Mitgliedstaaten keinen Konsens darüber gibt, unter welchen Voraussetzungen ein Konzern vorliegt. Etwas anderes könnte dann gelten, wenn sich das Erfordernis eines wie auch immer gearteten konzernrechtlichen Elements aus der Europäischen Insolvenzverordnung selbst herleiten ließe. Doch ist nicht ersichtlich, dass dies mit dem Wortlaut, der Systematik, der Gesetzgebungsgeschichte oder dem Sinn und Zweck der Verordnung begründbar wäre. Im Gegenteil ermöglicht die Verordnung gerade dadurch, dass sie zu der Insolvenz ver43

Vgl. § 3 A I 2 b).

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bundener Unternehmen schweigt, nicht nur einen einheitlichen Gerichtsstand bei Konzernen, sondern auch einen einheitlichen Gerichtsstand bei nicht verbundenen Unternehmen. Bildlich gesprochen ist die Verordnung auf dem konzernrechtlichen Auge blind; sie sieht nur voneinander unabhängige Gesellschaften. Erweiterte man die Anknüpfungsformel um das Erfordernis einer konzernrechtlichen Verbindung, käme es daher immer zu einem Bruch mit dem Grundsatz, dass für die Auslegung des Interessenmittelpunktes ein einheitlicher Maßstab zu gelten hat. Ein Vorteil der hier vorgeschlagenen Anknüpfungsformel besteht gerade darin, auf sämtliche Konstellationen und mithin unabhängig von einer konzernrechtlichen Verbindung anwendbar zu sein. 2. Die vermeintliche Unangemessenheit des einheitlichen Gerichtsstandes Zu prüfen bleibt somit die Frage, ob die Anwendung der hier vorgeschlagenen Anknüpfungsformel ohne die Erweiterung um eine konzernrechtliche Verbindung zu nicht tragfähigen Ergebnissen führt. Denkbar ist dies unter zwei Gesichtspunkten: Erstens könnte das Vertrauen der Gläubiger in die Anwendbarkeit eines bestimmten Insolvenzrechts enttäuscht werden. Zweitens könnte die Anwendbarkeit der Insolvenzrechtsordnung, die über die hier vorgeschlagene Anknüpfungsformel zur Anwendung berufen ist, unangemessen sein. a) Der Schutz des Vertrauens der Gläubiger Doch ist zweifelhaft, ob die hier vorgeschlagene Anknüpfungsformel zu der Anwendbarkeit einer Insolvenzrechtsordnung führt, mit der die Gläubiger nicht gerechnet haben. Im Beispiel des Franchisesystems könnten Gläubiger überrascht sein, dass der Franchisenehmer, den sie für ein Konzernunternehmen oder gar nur eine Niederlassung des Franchisegebers hielten, dem Insolvenzrecht des Mitgliedstaates unterliegt, in dem der Franchisegeber die wesentlichen Verwaltungsentscheidungen auch für die Franchisenehmer trifft. Doch dürfte das Gegenteil zutreffen: Die Gläubiger gehen infolge des äußeren Erscheinungsbildes gerade bei einem Franchisesystem davon aus, dass das Insolvenzrecht des Staates anwendbar ist, dem der Franchisegeber unterliegt. Auf die Anwendbarkeit des Insolvenzrechts am Ort der vermeintlichen Niederlassung oder am Sitz der vermeintlichen Konzerngesellschaft vertrauen sie gerade nicht. Sofern Gläubiger dies doch tun, könnten sie dieses Vertrauen allein auf den Schwerpunkt der werbenden Tätigkeit stützen, der für den Interessenmittelpunkt jedoch unerheblich ist. Ob zwei Gesellschaften konzernrechtlich miteinander verbunden oder lediglich Teile eines hybriden Netzwerkes sind, ist den Gläubigern gleich und kann es ihnen unter dem hier vertretenen Ansatz auch sein. Sofern die

E. Die Konsequenz: ein einheitlicher Gerichtsstand

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großen Richtlinien-Entscheidungen im Rahmen eines wie auch immer gearteten Netzwerkes in erkennbarer Weise von einer Gesellschaft getroffen werden, ist ihr Interessenmittelpunkt zugleich der Interessenmittelpunkt der übrigen Mitglieder des Netzwerkes. Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz nur insofern, als es sich bei den Mitgliedern des Netzwerkes ebenfalls um Gesellschaften handeln muss.44 b) Die Angemessenheit der Insolvenzrechtsordnung Soweit die Frage aufgeworfen wird, ob die einheitliche Insolvenzzuständigkeit für mehrere Gesellschaften ohne konzernrechtliche Verbindung zu der Anwendung eines Insolvenzstatuts führt, das als unangemessen zu erachten sein könnte, ist dem ebenso wie bei einer konzernrechtlichen Verbindung der Gesellschaften entgegenzuhalten, dass es kein generell vorzugswürdiges Insolvenzsachrecht gibt. Vielmehr ist es allein die Identität des Insolvenzsachrechts, die vorzugswürdig sein kann und dies regelmäßig dann ist, wenn sich in der Insolvenz mit der einheitlichen Zuständigkeit die bereits dargelegten Synergieeffekte nutzen lassen. Dies wiederum muss nicht, kann aber auch in hybriden Netzwerken wie Franchisesystemen der Fall sein. IV. Zusammenfassung Die hier vorgeschlagene Anknüpfungsformel, wonach der Interessenmittelpunkt an dem Ort liegt, an dem die wesentlichen Richtlinien-Entscheidungen der Gesellschaft getroffen werden, sofern dieser Ort erkennbar ist, kann zu einem einheitlichen Gerichtsstand für mehrere Gesellschaften führen. Begriffe wie der Konzerninsolvenzgerichtsstand und die Konzerninsolvenz beschreiben nur das Phänomen, dass ein Gericht wegen der einheitlichen Verwaltung mehrerer Gesellschaften für die Insolvenzverfahren dieser Gesellschaften international zuständig ist. Eine wie auch immer geartete konzernrechtliche Verbindung ist nicht erforderlich. Die einheitliche Zuständigkeit für die Insolvenz mehrerer Gesellschaften ist auch dann möglich und angemessen, wenn die Gesellschaften lediglich Teil eines Netzwerkes sind.

44 Im mitgliedstaatlichen Kontext kritisch gegenüber der Einbeziehung von Netzwerken in den einheitlichen Gerichtsstand: Vallender, in: FS Runkel, S. 373 (381).

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§ 6 Der Konzerninsolvenzgerichtsstand unter der EuInsVO

F. Ergebnis F. Ergebnis

Der Konzerninsolvenzgerichtsstand lässt sich unter dem geltenden Recht nicht zwingend begründen, weil der Begriff der Verwaltung, an den der Interessenmittelpunkt anknüpft, zu schwammig ist. Jegliche Versuche, ihn aus der Verordnung selbst oder aus ihrem historisch-systematischen Kontext heraus zu konkretisieren, sind zum Scheitern verurteilt, soweit sie nach einer eindeutigen und unangreifbaren Präzisierung streben. Der hier vorgeschlagene Ansatz, unter dem Interessenmittelpunkt den Ort zu verstehen, an dem erkennbar die großen Richtlinien-Entscheidungen der Unternehmensleitung getroffen werden, nutzt den von der Verordnung eröffneten Interpretationsspielraum zugunsten einer effizienten Bewältigung grenzüberschreitender Insolvenzen, ohne das zentrale Anliegen der Verordnung zu vernachlässigen, den Rechtsverkehr über das Erfordernis der Erkennbarkeit des Insolvenzforums zu schützen. Der hier vertretetene Ansatz kann zu der einheitlichen internationalen Zuständigkeit für die Insolvenzen verschiedener Gesellschaften führen und leistet auf diese Weise einen Beitrag für den von der Insolvenzpraxis ersehnten Konzerninsolvenzgerichtsstand.

§ 7 Zusammenfassung § 7 Zusammenfassung § 7 Zusammenfassung

1. Die „Universalität“ des Hauptinsolvenzverfahrens, das ausschließlich in dem Staat eröffnet werden darf, in dem sich der Interessenmittelpunkt des Schuldners befindet, besteht allein darin, dass das über den Grundsatz der lex fori concursus zur Anwendung berufene Insolvenzrecht des Verfahrensstaates extraterritoriale Geltung beansprucht, also über die territorialen Grenzen seines räumlichen Anwendungsbereichs hinaus gelten soll. Ob seine Wirkungen auch außerhalb des Verfahrensstaates eintreten, ist eine Frage der Anerkennung. 2. Insolvenzverfahren, die unter dem Regime der Europäischen Insolvenzverordnung eröffnet werden, werden samt den Wirkungen, die ihnen das Recht das Verfahrensstaates beilegt, ipso iure im gesamten Geltungsgebiet der Verordnung anerkannt. Das daraus folgende Prioritätsprinzip beruht auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, der in dem Erwägungsgrund (22) festgehalten ist. Die Gerichte anderer Mitgliedstaaten dürfen die Entscheidung des eröffnenden Gerichts weder verwerfen noch dürfen sie sich bei einer unrichtigen Inanspruchnahme der internationalen Insolvenzzuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO – von Missbräuchen abgesehen – auf den ordre public aus Art. 26 EuInsVO berufen. Entscheidend ist nicht, ob das eröffnende Gericht international zuständig war, sondern dass es die internationale Zuständigkeit geprüft und für sich in Anspruch genommen hat. Rechtsschutz haben die Beteiligten grundsätzlich vor den Gerichten des Staates der Verfahrenseröffnung zu suchen. 3. Sobald ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde, kann ein Sekundärinsolvenzverfahren, dessen Wirkungen sich auf das bei Verfahrenseröffnung im Verfahrensstaat belegene Vermögen beschränken und das eine Niederlassung des Schuldners im Sinne des Art. 2 lit. h) EuInsVO voraussetzt, de lege lata auch dort eröffnet werden, wo der „wahre Interessenmittelpunkt“ einer Gesellschaft liegt und deshalb ein Hauptinsolvenzverfahren hätte eröffnet werden müssen. Zwingend liquidierenden Charakter muss das Sekundärinsolvenzverfahren nicht haben; es genügt, dass es in der Liquidation enden kann.

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§ 7 Zusammenfassung

4. Die einheitliche internationale Zuständigkeit für die Insolvenzverfahren verbundener Unternehmen ist ein sinnvoller Beitrag zur Bewältigung grenzüberschreitender Insolvenzen, weil sie die Effizienz des Verfahrens steigert, indem sie die Zahl der Beteiligten auf der Seite der Insolvenzgerichte und -verwalter auf ein Minimum reduziert, und hierdurch das zwischen ihnen bestehende Kommunikationsbedürfnis verringert. Darüber hinaus führt die einheitliche Zuständigkeit zu der Anwendbarkeit ein und derselben Insolvenzrechtsordnung für alle Konzerngesellschaften, wodurch vor allem eine Sanierung der insolventen Gesellschaften erleichtert wird, für die ein gewisser Trend in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen besteht. Die im Zweifel höheren Transaktionskosten der Gläubiger stehen einem Konzerninsolvenzgerichtsstand nicht entgegen. So beruhen sie im Vorfeld der Insolvenz schon nicht auf der einheitlichen Zuständigkeit, sondern auf der Unsicherheit über die Auslegung des Interessenmittelpunktes sowie auf seiner Wandelbarkeit. Im Insolvenzverfahren selbst entstehen den Gläubigern höhere Transaktionskosten lediglich insoweit, als die Distanz zum Insolvenzforum des Schuldners mutmaßlich wächst und sie möglicherweise an einem fremdsprachigen Verfahren teilnehmen müssen. Das bei einem Konzerninsolvenzgerichtsstand vermeintlich enttäuschte Vertrauen in die Anwendbarkeit eines bestimmten Insolvenzrechts kann vernachlässigt werden, weil es aufgrund der Wandelbarkeit des Interessenmittelpunktes und der „automatischen“ Anerkennung des Hauptinsolvenzverfahrens ohnehin kaum geschützt ist. Wichtiger als die Richtigkeit der Eröffnungsentscheidung sind die Effektivität und Effizienz des Insolvenzverfahrens, zumal das Insolvenzverfahren gemeinschaftsweit wirkt und die Gemeinsamkeiten zwischen den mitgliedstaatlichen Insolvenzrechten größer sind als ihre Unterschiede. Ob das Vertrauen der Gläubiger in die Anwendbarkeit eines bestimmten Insolvenzrechts bei einem Konzerninsolvenzgerichtsstand überhaupt enttäuscht wird, hängt darüber hinaus davon ab, unter welchen Voraussetzungen die einheitliche Zuständigkeit besteht. 5. Für den einheitlichen Insolvenzgerichtsstand besteht ein Bedürfnis, weil etwaige Vereinbarungen zwischen den beteiligten Insolvenzgerichten und -verwaltern zur Koordination von Hauptinsolvenzverfahren, die in verschiedenen Mitgliedstaaten eröffnet wurden, nicht erzwungen werden können und auch nicht zu denselben Vorteilen wie die einheitliche Zuständigkeit führen. Nicht zulässig ist es, eine Tochtergesellschaft als Niederlassung der Muttergesellschaft zu behandeln, um auf diesem Wege die Kooperationspflichten der Verwalter von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren aus den Art. 31 ff. EuInsVO zu nutzen. Das Sekundärinsolvenzverfahren über

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das Vermögen der Tochtergesellschaft wäre dann dem Hauptinsolvenzverfahren der Muttergesellschaft zugeordnet, was zu einer Vermischung der Vermögensmassen führte und dem Konzept der Verordnung zuwiderliefe, über jeden Rechtsträger ein eigenes Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen. 6. Das Schweigen der Europäischen Insolvenzverordnung zu Konzerninsolvenzen bedeutet lediglich, dass es keine besonderen Regeln für sie gibt. Zulässig und möglich bleibt es, dass die Auslegung des Interessenmittelpunktes zu einem einheitlichen Insolvenzgerichtsstand für verbundene Gesellschaften führt. Auch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Eurofood ist kein Argument gegen einen Konzerninsolvenzgerichtsstand, weil das Gericht die Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens zwar nicht als den entscheidenden, aber doch als einen grundsätzlich relevanten Faktor für die Ermittlung des Interessenmittelpunktes einer abhängigen Gesellschaft erachtet hat. 7. Die internationale Insolvenzzuständigkeit knüpft in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO an den weiten Begriff der Interessen an, um den Eindruck zu vermeiden, dass nur gewerbliche Tätigkeiten relevant sein könnten. Zu den relevanten Interessen zählen sämtliche wirtschaftliche Tätigkeiten, während ideelle Interessen und deliktisches Verhalten ebenso unerheblich sind wie der Ort, an dem sich das Vermögen des Schuldners befindet. Entscheidend ist, wo der Schuldner seine Interessen verwaltet, nicht aber, wo der Schwerpunkt seiner werbenden Tätigkeit oder seines operativen Geschäfts liegt. 8. Die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens setzt voraus, dass der Ort, an dem der Schuldner seine Interessen verwaltet, für Dritte erkennbar ist. Inwieweit dies der Fall ist, richtet sich nach dem objektiven Empfängerhorizont. Maßgeblich ist grundsätzlich die Sicht eines potentiellen Gläubigers im Zeitpunkt der Antragstellung. Die Erkennbarkeit des Insolvenzforums ist das maßgebliche Element der Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt. Der Verwaltungsort dient lediglich als Bezugsobjekt der Erkennbarkeit. 9. Das Adjektiv „hauptsächlich“ in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO dient als Entscheidungskriterium für die verschiedenen wirtschaftlichen Tätigkeiten des Schuldners. Dass der Schuldner seine wirtschaftlichen Tätigkeiten in verschiedenen Staaten verwaltet, ist nicht der Gegenstand, sondern eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Entscheidungskriteriums. Für den Konzerninsolvenzgerichtsstand ist das Entscheidungskriterium nur mittelbar relevant, weil es sich nur auf bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten bezieht, nicht aber auf bestimmte Verwaltungstätigkeiten.

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10. Das Erfordernis der Gewöhnlichkeit bzw. Üblichkeit der Interessenverwaltung soll das forum shopping einschränken und kompensiert das Fehlen einer sogenannten période suspecte, also eines Zeitraums vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, binnen dem eine Veränderung der Umstände, die den Interessenmittelpunkt ausmachen, für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit außer Betracht bleibt. Der Ort, an dem der Schuldner seine hauptsächlichen Interessen verwaltet, ist nur dann sein Interessenmittelpunkt, wenn er von hinreichender Dauer ist. 11. Die Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO, nach der sich der Interessenmittelpunkt einer Gesellschaft bis zum Beweis des Gegenteils an ihrem satzungsmäßigen Sitz befindet, ist lediglich eine Zweifelsregel für den Fall, dass sich der Interessenmittelpunkt aus Satz 1 nicht feststellen lässt. Das Insolvenzgericht hat seine internationale Zuständigkeit wegen des Gesamtverfahrenscharakters des Hauptinsolvenzverfahrens und seiner gemeinschaftsweit anzuerkennenden Wirkungen unabhängig von der lex fori von Amts wegen zu ermitteln. 12. Der effektive Verwaltungssitz des Gesellschaftskollisionsrechts kann nicht identisch mit dem Interessenmittelpunkt sein, weil ersterer durch das mitgliedstaatliche Internationale Privatrecht geprägt ist, während letzterer ein autonomer Begriff des Gemeinschaftsrechts ist. Auch ein weitgehend synonymes Verständnis der beiden Anknüpfungskriterien ist trotz ihrer Ähnlichkeit nicht geboten, weil sie eine unterschiedliche Schutztechnik, -richtung und -stärke aufweisen. Darüber hinaus ließe sich der grundsätzlich wünschenswerte Gleichlauf von Gesellschafts- und Insolvenzstatut mit einem weitgehend synonymen Verständnis der beiden Anknüpfungskriterien nicht mehr erreichen, weil der effektive Verwaltungssitz der Sitztheorie im Gesellschaftskollisionsrecht infolge der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit weitgehend an Bedeutung verloren hat. 13. Die herkömmlichen Ansätze für die Konkretisierung des Interessenmittelpunktes sind nicht mit der Verordnung vereinbar, weil sie entweder nicht auf die Verwaltung der Interessen abstellen (so bei der werbenden Tätigkeit) oder das Erfordernis der Erkennbarkeit des Insolvenzforums außer Acht lassen (so beim mind of management), oder führen jedenfalls in der Konzerninsolvenz nicht zu befriedigenden Ergebnissen, weil sie der einheitlichen Zuständigkeit regelmäßig entgegenstehen (so beim effektiven Verwaltungssitz).

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14. Vorgeschlagen wird hier daher, unter dem Interessenmittelpunkt den Ort zu verstehen, an dem die wesentlichen bzw. unternehmenspolitischen Richtlinien-Entscheidungen der Gesellschaft getroffen werden, sofern dieser Ort erkennbar ist. Die Begründung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes wird auf diese Weise erleichtert, ohne das Interesse der Gläubiger an einem erkennbaren Insolvenzforum zu vernachlässigen. Ist nicht hinreichend erkennbar, wo die großen Richtlinien-Entscheidungen der Unternehmensleitung getroffen werden, bleibt es bei der Vermutung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO. Diese Lösung schafft bei Konzerninsolvenzen einen Ausgleich zwischen dem schutzwürdigen Vertrauen der Gläubiger in die Anwendbarkeit eines bestimmten Insolvenzrechts und dem Ziel der Verordnung, für effiziente grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu sorgen. 15. Die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt führt unter dem hier vorgeschlagenen Ansatz auch dann zu einem einheitlichen Gerichtsstand, wenn die insolventen Gesellschaften lediglich Teil eines Netzwerkes oder Hybrids sind. Eine wie auch immer geartete konzernrechtliche Verbindung zwischen den Gesellschaften ist für die Begründung eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes nicht erforderlich. Der Begriff des Konzerninsolvenzgerichtsstandes beschreibt lediglich das Phänomen, dass mehrere Gesellschaften in demselben Staat ihren Insolvenzgerichtsstand haben, weil die für sie wesentlichen Entscheidungen in erkennbarer Weise ebendort getroffen werden.

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Sachverzeichnis Sachverzeichnis Sachverzeichnis Anerkennung siehe auch Prioritätsprinzip – automatische 5 f., 17 f. – Widerspruchsverfahren 31 Anerkennungsstaat 18, 30 Anerkennungszuständigkeit 122, 127 Anknüpfung siehe auch lex fori concursus und Sonderanknüpfungen – flexible 83, 84 – Gesellschaftsrecht 171 – Insolvenzrecht 9 – starre 83, 162 Annexverfahren, insolvenzbezogene 52 f. anwendbares Recht siehe lex fori concursus und Sonderanknüpfungen Ausdehnungsmodell siehe Anerkennung ausländisches Insolvenzrecht 70 ff. Auslegung – autonome 61, 187, 198 – lex fori 187, 198 bankruptcy code 75 Betriebsstätte 46, 174, 208 Binnenmarkt – grenzüberschreitender Bezug 50 ff. – reibungsloses Funktionieren 7, 51 Briefkastenfirma 104, 128 Bundesanzeiger 219 business activity theory siehe werbende Tätigkeit Cartesio 189 centre of main interests siehe Interessenmittelpunkt Centros 189, 209 chapter 11 siehe bankruptcy code COMI siehe Interessenmittelpunkt Company Voluntary Arrangement 70 f. concurso voluntario 73 corporate identity 218

Daily Mail 189 Domino-Effekt 62 effektiver Verwaltungssitz 115 f., 170 ff., 180 ff., siehe auch Sitztheorie – Indizien 173 f. Eigenkapitalersatz 188 Eigenverwaltung 46, 49, 74 Einheitsgerichtsstand siehe Gerichtsstand, einheitlicher engste Verbindung 175, 206 f., 214 f. Erläuternder Bericht 9 f., 111 EuInsVO 3 f. – Ermächtigungsgrundlage 12, 50 – Eröffnung des Anwendungsbereichs 50 ff. – Geltungsgebiet 8, 50 EuInsÜ 3 – Entwurf 2 f., 121 f., 168 ff. – Vorentwurf 2, 166, 181 Eurofood 23 f., 102 ff., 127 ff. existenzvernichtender Eingriff 188 Firma 218 Forderungsanmeldung 79, 96 forum shopping 7, 216 Franchise siehe Netzwerk Gerichtsstand, einheitlicher siehe auch Insolvenzeröffnungszuständigkeit und Konzerninsolvenzgerichtsstand – Anknüpfung (Vorschlag) 200 f. – Diskussionsvorschläge 65, 118 – Indizien 217 ff. – Nachteile 75 ff. – vereinbarter 90 f. – Vorteile 64 ff. – Zulässigkeit 100 ff. Gesamtverweisung 10, 177

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Sachverzeichnis

Geschäftszentrum 121 f., 168 f. Gesellschaftskollisionsrecht siehe Internationales Gesellschaftsrecht Gesellschaftsstatut 171, siehe auch Internationales Gesellschaftsrecht Gläubigerbefriedigung – bestmögliche 64 – gleichmäßige 13, 15 Gläubigerperspektive 135 ff. Gläubigerschutz 188, 192 f. Gläubigerversammlung 70, 79 Gründungstheorie 171, 175, 181 f., 183 f. Handelsregister 219 Handlungszentrum 207 ff. Hans Brochier Ltd. 34 ff. Hauptinsolvenzverfahren 8, 16 ff., 40 f., 43 f. – Singularität 25 head office functions siehe mind of management Hybrid siehe Netzwerk Informationsdefizit – der Gläubiger 76 – des Schuldners 140 Insolvenzanfechtungsklage 53 Insolvenzantrag – des Gläubigers 135 – des Schuldners 135, 160 Insolvenzantragspflicht 140, 188 Insolvenzeröffnungszuständigkeit siehe auch Gerichtsstand, einheitlicher – Ausschließlichkeit 8 – Beurteilungszeitpunkt 137 ff. – örtliche 8, 53 – Prüfung siehe Prioritätsprinzip und ordre public Insolvenzfähigkeit 10, 42 – Konzern 100 – Nichtkaufleute 122 – Niederlassung 48 Insolvenzgericht – Identität 65 – Kooperation 38, 65 Insolvenzgerichtsstand siehe Insolvenzeröffnungszuständigkeit Insolvenzplan 49, 74 Insolvenzrisiko 83, 131

Insolvenzstatut siehe lex fori concursus und Sonderanknüpfungen Insolvenzverfahren – Gesamtverfahrenscharakter 136, 159 – präventives 72 Insolvenzverschleppung 188 Insolvenzverwalter – Identität 66 – Kooperation 91 ff. Insolvenzverwaltungsvertrag 92 Inspire Art 189, 209, 215 Interedil 117 f. Interessen – der Verfahrensbeteiligten 64 – des Schuldners 120 ff. – hauptsächliche 144 ff. Interessenkonflikt 67 f. Interessenmittelpunkt – Amtsermittlung 155 ff. – Definition 110, 118, 121 f., 129 – eigener Vorschlag 200 ff. – Erkennbarkeit 130 ff. – Faktensensitivität 106 – Meinungsstand 113 f. – Rechtsprechung 112 – Schutzrichtung 194 – Schutzstärke 195 – Schutztechnik 193 – Verlegung 139, 163, 216 f. – Vermutung siehe Satzungssitz, Vermutung – Wandelbarkeit 76 f., 83 ff., 150 f. Interessenverwaltung siehe auch Verwaltungsort – Gewöhnlichkeit 149 ff. Internationales Gesellschaftsrecht 170 ff. – Reform 191, 209 Internationale Zuständigkeit siehe Insolvenzeröffnungszuständigkeit Internet 218 ff. Istanbuler Übereinkommen 3, 167 f. joint administration 99 Kompetenzkonflikt 21 ff. Konzern 55 ff. Konzerninsolvenz 62 f. Konzerninsolvenzgerichtsstand 63, 222 f., siehe auch Gerichtsstand, einheitlicher Konzerninsolvenzverfahrensrecht 99 f.

Sachverzeichnis Kooperation – Gerichte 38 – Hauptinsolvenzverwalter 91 ff. Kosten 65 f., 75 ff. – Übersetzung 80 Legge Marzano 72 Legge Prodi 71 Leitung, einheitliche 60 Leitungsentscheidungen siehe mind of management Leitungsmacht 103 ff., 127 ff. lex fori concursus 85 ff. – Beschlagnahmewirkung 15, 17, 25 – extraterritorialer Geltungsanspruch 17, 20 – Gegenstand 9 ff., 99 f. Ley Concursal 74 Liquidationsverfahren 44 ff., 69 ff. Marktbereinigung 133, 152, 193 mind of management 116 f. Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen siehe Interessenmittelpunkt MoMiG 190 Netzwerk 221 Niederlassung 42, 44 ff., 94 ff. Niederlassungsfreiheit 188 ff., 209 Normenhäufung, Normenmangel 188 Oasenstaat 185 öffentliche Ordnung siehe ordre public operative Tätigkeit siehe werbende Tätigkeit ordre public 28 ff. out of court-appointment 34 ff. Partikularinsolvenzverfahren 42 Patronatserklärung 219, siehe auch Zahlungsgarantie période suspecte 77, 150 Prioritätsprinzip 19 ff. procédure de sauvegarde 72 f. protocols 93 Rechtsformzusatz 97, 142 Rechtsschein 97 f. registered office 183 f. Registersitz 161, siehe auch Satzungssitz

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Registrierungstheorie 182, siehe auch Gründungstheorie Reorganisation 47 Richtlinien-Entscheidungen 178, 206 Rückverweisung 10, siehe auch Weiterverweisung Sachnormverweisung 9 Sanierung 45 ff., 69 ff. Satzungssitz 182 ff. – Vermutung 104 ff., 127 ff., 153 ff. Scheinauslandsgesellschaft 160, siehe auch Briefkastenfirma Sekundärinsolvenzverfahren 42 ff., 94 ff. Sitz siehe auch Satzungssitz – EuGVVO 158 Sitztheorie 130 ff. – Schutztheorie 175 f. Sonderanknüpfungen 11 f. Sonderinsolvenzverwalter 68 special purpose vehicle siehe Zweckgesellschaft Sprache 80 f. Subsidiaritätsprinzip 8 f. substantive consolidation 99 territoriale Beschränkung 1 f., 7, 26, 48 Territorialität 14 f., 41 Territorialverfahren 40 ff. Tochtergesellschaft – als Niederlassung 94 ff. Transaktionskosten siehe Kosten Überseering 189, 209, 212, 215 UNCITRAL 57, 66, 68 – Modellgesetz 4 Universalität 14 ff. Unternehmensregister 221 verbundene Unternehmen siehe Konzern Verfahrenseinheit 40 f. Verfahrenskoordination 43 f., 91, 93, 94 Verfahrensverbindung 65, 99 f. Verhältnismäßigkeitsprinzip 9, 101 Vermögen – Irrelevanz 124 f., 132 – Vermischung 96 Vertragsstaaten 2 f., 170 Vertrauen – gegenseitiges siehe Prioritätsprinzip

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Sachverzeichnis

– Investition 83 ff., 134 ff. Verwaltung – sekundäre Verwaltungstätigkeiten 178, 206 – Willensbildung 178 Verwaltungsort 114 ff. – eigener Vorschlag 205 ff. – Erkennbarkeit 141 ff. Vorlagebefugnis 39 Weiterverweisung 9 f. werbende Tätigkeit 113 f.

Wirkungserstreckung siehe Anerkennung Wirtschaftliche Tätigkeiten siehe Interessen des Schuldners Zahlungsgarantie 82, 102, siehe auch Patronatserklärung Zuständigkeit siehe Insolvenzeröffnungszuständigkeit Zustimmungsvorbehalt 219 Zweckgesellschaft 213 Zweifelsregel 155 ff.