Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach evangelischem und katholischem Kirchenrecht: Eine Untersuchung der staatskirchenrechtlichen, kirchenrechtlichen und rechtstheologischen Bezüge der Kirchenmitgliedschaft [1 ed.] 9783428490691, 9783428090693

Im Zentrum der vorliegenden Münsteraner Dissertation steht der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft im Bereich der Evangelis

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German Pages 290 Year 1997

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Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach evangelischem und katholischem Kirchenrecht: Eine Untersuchung der staatskirchenrechtlichen, kirchenrechtlichen und rechtstheologischen Bezüge der Kirchenmitgliedschaft [1 ed.]
 9783428490691, 9783428090693

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Matthias Haß

Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach evangelischem und katholischem Kirchenrecht

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der RechtswissenschaftIichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 109

Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach evangelischem und katholischem Kirchenrecht Eine Untersuchung der staatskirchenrechtlichen, kirchenrechtlichen und rechtstheologischen Bezüge der Kirchenmitgliedschaft

Von

Matthias Haß

Duncker & Humblot • Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Haß, Matthias: Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach evangelischem und katholischem Kirchenrecht: eine Untersuchung der staatskirchenrechtlichen, kirchenrechtlichen und rechtstheologischen Bezüge der Kirchenmitgliedschaft I von Matthias Haß. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 109) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09069-1 NE:GT

D6 Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-09069-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

9

Vorwort Das Kirchenmitgliedschaftsrecht hat durch einige neuere gerichtliche Entscheidungen, darunter auch Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzhofes, wieder an Aktualität für die staatskirchenrechtliche Wissenschaft gewonnen. Die außerordentliche Vielseitigkeit dieses Rechtsgebietes, das nicht nur staatskirchenrechtliche, sondern auch kirchenrechtliche und rechtstheologische Probleme aufwirft, hat mein Interesse an diesem Thema geweckt. Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 1995/1996 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen worden. Die Überarbeitung für den Druck habe ich im wesentlichen zum Ende des Jahres 1995 abgeschlossen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis zu diesem Zeitpunkt eingearbeitet, im Anschluß daran erschienene Literatur konnte nicht mehr berücksichtigt werden. So konnte ich die Arbeit von Wolfgang Bock (Das für alle geltende Gesetz und die kirchliche Selbstbestimmung, Tübingen 1996) leider nicht mehr aufnehmen. Danken möchte ich in erster Linie meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dirk Ehlers für die Betreuung und Begleitung meiner Arbeit. Zu danken ist vor allem auch Herrn Prof. Dr. Berthold Kupisch, der mir bei meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an seinem Institut in jeder Hinsicht den notwendigen Freiraum für die Arbeit an meiner Dissertation gelassen hat. Ferner danke ich dem Evangelischen Zentralarchiv in Berlin. Gedankt sei auch den vielen Mitarbeitern der Evangelischen Landeskirchen, die mir nicht nur bei der Beschaffung der landeskirchlichen Gesetzestexte, sondern auch durch zahlreiche weiterführende Hinweise behilflich gewesen sind. Für die Aufnahme der Dissertation in die Schriftenreihe "Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft" bedanke ich mich bei den Herausgebern. Auch den Mitarbeitern des Verlages Duncker & Humblot danke ich für die freundliche und jederzeit hilfsbereite Betreuung. Besonderer Dank gilt schließlich vor allem meinen Eltern, ohne deren vielfältige Förderung diese Arbeit keinesfalls entstanden wäre. Münster, im Januar 1997 Matthias Haß

Inhaltsverzeichnis Einleitung .................................................. 17

Erster Teil

Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Anknüpfung des staatlichen Rechts an das kirchliche Mitgliedschaftsrecht

22

A. Das Kirchenmitgliedschaftsrecht als eigene Angelegenheit der Kirchen nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs.3 S.l WRV ....................... 24 I.

Verhältnis von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs.3 S.l WRV zum Grundrecht nach Art. 4 Abs.l und 2 GG ........................ 25

11. "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig" ............................................ 29 1. Die Heranziehung des kirchlichen Selbstverständnisses zur Ermittlung der "eigenen Angelegenheiten" ........................ 34 2. Eigene Lösung ...................................... 36 3. Mitgliedschaftsrecht - eigene Angelegenheit der Kirchen?

....... 37

III. "Innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" ............ 38 1. Die Interpretation der Schrankenklausel des Art. 137 Abs.3 S.1 WRV in der staatskirchenrechtlichen Diskussion ............... 39

2. Kirchliches Selbstverständnis und Schrankenklausel . . . . . . . . . . . . . 48 3. Eigene Lösung ...................................... 51

8

Inhaltsverzeichnis 4. Das Mitgliedschaftsrecht innerhalb der Schranken des "für alle geltenden Gesetzes" (Art. 140 GG i.V.m. 137 III I WRV) ..... . .. 53

B. Die staatskirchenrechtlichen Grundprinzipien im Bereich des Kirchenmitgliedschaftsrechts ........................................... 58 I.

Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs.1 und 2 GG) .. . ........ 58 1. Negative religiöse Vereinigungsfreiheit ....................... 59 a) Normzusammenhang .................................. 60 b) Schutzbereich der negativen religiösen Vereinigungsfreiheit ....... 65 2. Negative religiöse Finanzierungsfreiheit ....................... 67

11. Sonstige Grundrechte ................................... . .. 70 1. Art. 9 Abs.l GG ........................ . ........... . .. 71 2. Art. 2 Abs.1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

III. Grundrechtsmündigkeit .................................... 72

IV. Bestimmtheitsgrundsatz und Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Steuerrecht ............................................. 74

Zweiter Teil Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach evangelischem Kirchenrecht

78

A. Grundlagen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts .............. 80

I.

Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Mitgliedschaftsrecht . . . 80 I. Kirchenmitgliedschaftsrecht und evangelisches Kirchenverständnis .... 81 2. Bedeutung der Ekklesiologie für das evangelische Kirchenmitgliedschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Inhaltsverzeichnis

9

11. Die Bedeutung des theologischen Kirchenbegriffs für das evangelische Kirchenmitgliedschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Unterscheidung von theologischem und juristischem Kirchenmitgliedschaftsverständnis ................................... 91 2. Das Problem des "vereinsrechtlichen" Mitgliedschaftsverständnisses ....93 3. Verfassungsmäßigkeit der staatlichen Anknüpfung an das innerkirchliche Recht ....................................... 97 a) Kirchenmitgliedschaft und "Mitgliedschaft im Kirchensteuerverband" ............................................. 97 b) Erforderlichkeit eines staatlichen Kircheneintrittsrechts .......... 99 B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft im geltenden evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrecht ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 100 I.

Territorialprinzip und Personalitätsprinzip ...................... 100

11. Kirchenmitgliedschaft und Verhältnis zu EKD, Landeskirche und Kirchengemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 103 I. Gemeindemitgliedschaft und Kirchenmitgliedschaft

103

2. Einzelmitgliedschaft in der EKD? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 105 3. Einzelmitgliedschaft in sonstigen kirchlichen Gliederungen ........ 105 III. Anwendungsbereich des EKD-Kirchengesetzes über die Kirchenmitgliedschaft v. 1O.1l.l976 ............................... 106 1. Allgemeine Voraussetzungen und sachlicher Anwendungsbereich des EKD-KMitgliedG .................................. 107 2. Verhältnis zwischen EKD-KMitgliedG und den fortgeltenden gliedkirchlichen Bestimmungen ............................... 107 3. Fortgeltung der Mitgliedschaftsvereinbarung von 1969/1970 . . . . . . .. 114 4. Rückwirkung des EKD-KMitgliedG ........................ 118

10

Inhaltsverzeichnis IV. § I Abs.1 EKD-KMitgliedG ................................ 120 I. Tatbestandsvoraussetzungen .............................. 120 2. Bedeutung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen und Verhältnis der Voraussetzungen zueinander ...................... 121 V. Taufe ("getauft") ........................................ 123 1. Rechtscharakter der Taufe und kirchenrechtliche Relevanz für die Kirchenzugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 124 a) Die historische Entwicklung der Taufe als (mitgliedschaftsbegründender) Rechtsakt ................................ 125 b) Die gegenwärtige kirchenrechtliche Bedeutung der Taufe ........ 128 2. Taufe als konstitutive Voraussetzung der Kirchenmitgliedschaft

132

3. Rechtsstellung der Ungetauften in den Gliedkirchen der EKD ...... 134 4. Spannungen zwischen kirchlichem Taufrecht und staatlichem Recht

135

a) Kirchliches Taufrecht und Regelung der gesetzlichen Vertretung im staatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 135 b) Verhältnis von Religionsmündigkeit und Geschäftsfähigkeit bei der Begründung der Kirchenmitgliedschaft .................. 137 c) Anfechtung der Zustimmung zur Taufe durch die Eltern ........ 138 VI. Bekenntnis ("evangelisch") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 139 I. Bekenntnis und Kirchenmitgliedschaftsrecht

139

2. Erwachsenentaufe ..................................... 146 3. Kindertaufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 146 VII. Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt ........................ 147

Inhaltsverzeichnis

11

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs im evangelischen Kirchenmit-

gliedschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 150 I.

Bedeutung eines subjektiven Elementes des Erwerbstatbestandes

151

1. Die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an die Taufe: BVerfG v. 31.3.1971 (BVerfGE 30, 415) ..................... 151 2. Erfordernis einer Willenserklärung zur Begründung der Kirchenmitgliedschaft: BVerwG v. 7.9.1965 (BVerwGE 21, 330) .......... 153 3. Berücksichtigung des Freiwilligkeitsprinzips bei der Begründung der Kirchenmitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 159 4. Rechtscharakter der Taufe und Grundsatz der steuerrechtlichen Tatbestandsmäßigkeit ................................... 161 11. Automatischer Wechsel der Gliedkirchenzugehörigkeit durch Verlegung des Wohnsitzes ................................... 162 1. Ausgangspunkt: § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG .................. 163

a) Unterlassen eines votum negativum nach § 8 Abs.l S.2 ......... 165 b) Zustimmung des Kirchenmitglieds bei erstmaliger Begründung der Kirchenmitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 167 2. Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs.l und 2 EKD-KMitgliedG

169

a) § 9 Abs.1 EKD-KMitgliedG

169

b) § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG

171

3. Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG

173

a) Kollision mit dem Verbot der Zwangsmitgliedschaft

177

aa) Die Position von Obermayer

177

bb) Die Gegenposition ................................ 177 cc) BVerwG - Urt. v. 12.4.1991

......................... 179

12

Inhaltsverzeichnis dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 181 (I) Bekenntnisvergleich .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 181 (2) Mitgliedschaftsrechtliche Bedeutung der Leuenberger Konkordie ................................... 190 (3) Meldebehördliche Angabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193 (4) Votum negativum ....... . . . ... . ....... . . . . . . . ... 197 b) Verfassungskonforme Auslegung ... . ..................... 203 c) Zulässigkeit der Verwertung der meldebehördlichen Angabe durch kirchliche Behörden ............................. 205 III. Rechtsfragen des Kirchenübertritts ........... . ............... 210 1. "Grundrecht auf Konfessionswechsel" ....................... 211 2. Verhältnis von Kirchenübertritt und Kirchenaustritt . . . . . . . . . . . . .. 211 a) Verfassungsmäßigkeit einer staatlichen Forderung nach vorherigem Kirchenaustritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 211 b) Ersetzung des Kirchenaustritts durch zwischenkirchliche Übertrittsvereinbarungen? ................................. 213 c) Gegenwärtige Bedeutung von Übertrittsvereinbarungen ......... 215 d) § 13 EKD-KMitgliedG ............ . . . . . ............... 216 3. Begründung der Kirchenmitgliedschaft durch Kirchenübertritt

217

4. Kirchenübertritt und innerkirchlicher automatischer Wechsel der Gliedkirchenzugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 IV. Der Wiedereintritt in die Kirche ............................. 220 I. Rechtliche Normierung des Wiedereintritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 2. Der konkludent erklärte Wiedereintritt in die Kirche ............ . 223

Inhaltsverzeichnis a) Zulässigkeit des konkludenten Wiedereintritts

13

223

b) Beachtlichkeit von Mängeln der konkludenten Willenserklärung ... 228

v. Erwerb der Gemeindezugehörigkeit und Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten "in besonderen Fällen" ......................... 230 I. U mgemeindung innerhalb einer EKD-Gliedkirche . . . . . . . . . . . . . . . 231

2. Erwerb der Gemeindezugehörigkeit in einer anderen Landeskirche

232

3. Wahrnehmung von Kirchenmitgliedschaftsrechten "in besonderen Fällen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . .. 236

Dritter Teil

Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach katholischem Kirchenrecht

239

A. Grundstrukturen des katholischen Kirchenmitgliedschaftsrechts

239

I.

Entwicklung des Kirchenmitgliedschaftsrechts seit dem CIC von 1917

240

11. Rechtslage nach dem neuen CIC von 1983

241

1. Theologischer Mitgliedschaftsbegriff

241

2. Juristische Mitgliedschaft

243

a) can. 96 CICIl983 ................. . . . ...... . ........ 243 b) Erwerb der Konfessionszugehörigkeit ...................... 243 c) Wohnsitz ......................................... 244 3. Zulässigkeit der Anknüpfung des staatlichen Rechts an das katholische Kirchenmitgliedschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 245 a) Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Kirchensteuerrecht ...... 245

14

Inhaltsverzeichnis b) Grundrechte ....................................... 246 III. Der Mitgliedschaftsbegriff der KMAO ......................... 247

B. Voraussetzungen des Mitgliedschaftserwerbs im einzelnen .............. 248 I.

Taufe........................... . ................. . .. 248 I. Das kanonische Taufrecht nach dem CIC von 1983 . . . . . . . . . . . . .. 248 2. Einzelfragen des kanonischen Taufrechts

249

a) can. 868 § I CIC/1983 ................................ 249 b) can. 868 § 2 CIC/1983 ................................ 250 c) Rechtsstellung der Ungetauften .......................... 250 II. Bekenntnis

251

III. Wohnsitz ........................... . . . . . ... . ......... 252 IV. Zuzug von katholischen Kirchenmitgliedem aus dem Ausland ........ 252 Zusammenfassung und Ergebnis der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . 254 Anhang . .................................................. 256

I.

Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft, das kirchliche Meldewesen und den Schutz der Daten der Kirchenmitglieder (Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft) vom 10. November 1976) - Auszug - . .. 256

II. Anordnung über das kirchliche Meldewesen (Kirchenmeldewesenanordnung - KMAO) - Auszug - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 262 Literaturverzeichnis

265

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ......................... .288

Abkürzungsverzeichnis

AAS

Acta Apostolicae Sedis

AB\. EKD

Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland

ACK

Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen

ArchKathKR

Archiv für Katholisches Kirchenrecht

AO

Abgabenordnung (AO 1977) vom 16.3.1976 (BGB\. I, 613)

BayKGliedG

Gesetz über die Kirchengliedschaft der Evangelisch-Luthe-

BSLK

Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche

rischen Landeskirche in Bayern (herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, seit der 2. Auflage 1952 unverändert). CA

Augsburgische Konfession von 1530 (Confessio Augu-

CIC

Codex Iuris Canonici

CR

Corpus Reformatorum

Drucks.

Drucksache

DuD

Datenschutz und Datensicherung (Zeitschrift)

stana)

EFG

Entscheidungen der Finanzgerichte

EKD-GO

Grundordnung der EKD vom 13.7.1948 (AB\. EKD 1948, 233)

EKD-KMitgliedG

Kirchengesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland über die Kirchenmitgliedschaft, das kirchliche Meldewesen und den Schutz der Daten der Kirchenmitglieder vom 10. November 1976 (AB\. EKD 1976,389).

EKU

Evangelische Kirche der Union

Evang.

Evangelisch

EV.-Iuth.

Evangelisch-lutherisch

EV.-ref.

Evangelisch-reformiert

EvStL

Evangelisches Staatslexikon, 3. Auflage 1987, hrsg. v. R. Herzog, H. Kunst, K. Schlaich, W. SchneemeJcher.

16

Abkürzungs verzeichni s

EvTh

Evangelische Theologie (Zeitschrift)

GO

Grundordnung

KABI.

Kirchliches Amtsblatt

KGO

Kirchengemeindeordnung

KiAustrG

Kirchenaustrittsgesetz

KirchE

Entscheidungen in Kirchensachen

KiStG

Kirchensteuergesetz

KO

Kirchenordnung

KMKMVO

Rechtsverordnung der Nordelbischen Kirche über das Kirchenbuch- und Meldewesen sowie zur Kirchenmitgliedschaft vom 17. Februar 1989 (ABI. EKD 1989,265)

KV

Kirchenverfassung

LK

Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa vom 16.3.1973 (Leuenberger Konkordie)

MK

Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici

NEK

Nordelbische Evang.-Luth. Kirche

Nieders.

Niedersachsen (Bundesland)

OFD

Oberfinanzdirektion

OKR

Oberkirchenrat

ÖAKR

Österreichisches Archiv für Kirchenrecht

prOVG

Preußisches Oberverwaltungsgericht

Rd.-Vfg.

Rundverfügung

RGG

Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage, hrsg. v. K. Galling, Tübingen 1957-1965.

TRE

Theologische Realenzyklopädie, hrsg. v. G. Krause u. G. Müller. BerlinlNew York, 1977 ff.

VollzBek

Vollzugsbekanntmachung

WA

D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd.

ZevKR

Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht

I-58, Weimar 1883 ff.

Die hier nicht verzeichneten Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis von Hildebert Kirchner (Abkürzungen für Juristen, 2. Auflage, Berlin - New York 1993).

Einleitung Das Recht der Kirchenmitgliedschaft gilt als eine der schwierigsten Materien des Kirchenrechts. I Wie in kaum einem anderen Rechtsgebiet des Kirchenrechts treffen in diesem Bereich theologische Fragestellungen wie vor allem Fragen der Ekklesiologie, der Taufe und des evangelischen Bekenntnisstandes mit innerkirchenrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Fragen, vor allem des Kirchensteuerrechts, Melde- und Datenschutzrechts, zusammen. Gerade der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft2 berührt daher neben kirchenrechtlichen und theologischen Fragen in erheblichem Umfang auch staatskirchenrechtliche Probleme. Mehr noch als der seit langem diskutierte Verlust der juristischen Mitgliedschaft durch Kirchenaustritt 3 nach staatlichem Recht stellt der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft eine für das staatliche wie für das kirchliche Recht gleichennaßen bedeutsame Angelegenheit dar. Zugleich ist der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft ein Prüfstein für die theologische Legitimation des Kirchenrechts insgesamt, weil das Kirchenmitgliedschaftsrecht nur im Hinblick auf die Mitgliedschaft in einer bestimmten Kirche und deshalb hinreichend nur auf dem Hintergrund der kirchlichen Ekklesiologie zu verstehen ist. Die folgende Untersuchung versucht daher auch, eine interdisziplinäre Verbindung zwischen der notwendigen theologischen Grundlegung der Kirchenmitgliedschaft und der Beschreibung der wichtigsten Rechtsprobleme des geltenden Kirchenmitgliedschaftsrechts zu schaffen. Weil die Kirchenmitgliedschaft einerseits nach kirchlichem Recht begründet wird, andererseits aber auch für einige Gebiete des staatlichen Rechtskreises, vor allem im Schul- und Kirchensteuerrecht, entscheidende Tatbestandsvoraussetzung ist, entstehen durch die Fortentwicklung des Kirchenmitgliedschaftsrechts

I Vgl. die Ausführungen von OKR Dr. Hofmann bei der Einbringung des EKDKMitgliedG auf der 5. Tagung der 5. Synode der EKD v. 7.11.-11.11.1976 in Braunschweig, Berichte der Synode, Heft 28, 265 f. 2 Vgl. bereits Oeschey, AöR 55 (1929), 1-80. 3 Vgl. dazu den Überblick bei Axel v. Campenhausen in: HdbStKR Bd. 1, 2. Auf!. 1994,777-785; ferner Engelhardt, Austritt aus der Kirche; ders., DVBl. 1969, 18-20. 2 Haß

18

Einleitung

immer wieder kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Streitfragen, mit denen sich Rechtsprechung und Rechtslehre auseinanderzusetzen haben. Aus diesem Grund ist auch das Mitgliedschaftsrecht, insbesondere die EinzeIthemen Erwerb und Verlust der Kirchenmitgliedschaft, ein wichtiger Gegenstand für das staatskirchenrechtliche Schrifttum4 wie auch für die Rechtsprechung 5 geworden. Dennoch fehlt in der Literatur bisher eine grundlegende Untersuchung des geltenden Kirchenmitgliedschaftsrechts mit staatskirchenrechtlichem Schwerpunkt. 6 Die beiden großen Kirchen haben in den letzten 20 Jahren eine durchgreifende Veränderung der Rechtslage im Bereich des Mitgliedschaftsrechts erlebt. So hat die evangelische Kirche das EKD-Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft, das kirchliche Meldewesen und den Schutz der Daten der Kirchenmitglieder vom 10.11.19767 (im folgenden: EKD-KMitgliedG) beschlossen, das am 1.1.1978 in Kraft getreten ist. Die katholische Kirche hat mit der Promulgation des neuen Codex Iuris Canonici (CIC) im Jahre 1983 eine grundlegende Neuordnung erfahren, die sich auch auf die Grundstrukturen des katholischen Kirchenmitgliedschaftsrechts ausgewirkt hat. Die kirchenrechtliche Problematik der Kirchenmitgliedschaft ist bereits am Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiges Thema der Rechtswissenschaft ge-

4 VgI. die Zusammenstellung von Meinhold (Hrsg.), Das Problem der Kirchengliedschaft heute (1979). 5 VgI. nur OVG Lüneburg, Vrt. v. 4.5.1988 - 13 OVG A 64/86 (KirchE 26, 101) und Vrt. v. 28.7.1988 - 13 OVG A 30/87 (KirchE 26, 184) sowie BVerwG Vrt. v. 12.4. 1991 - 8 C 62188 (ZevKR 36 (1991), 403; zuletzt FG Düsseldorf Vrt. v. 14.4.1994 I K 292190 Ki - (EFG 1994, 1071), vgI. dazu BFH Vrt. v. 18.1.1995 - I R 89/94 - = ZevKR 40 (1995),354. 6 So beschränkt sich die Sammlung von Meinhold (Fn. 4) auf wichtige kirchenrechtliche Arbeiten der Nachkriegszeit, die vor allem den innerkirchlichen und ekklesiologischen Aspekt des Themas behandeln. Die einzige genuin staatskirchenrechtliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik von Bäcker (Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht, 1980) beschränkt sich auf eine Erörterung des Mitgliedschaftsrechts aus Sicht der Kirchensteuerpraxis und berücksichtigt lediglich die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des neuen EKD-Kirchengesetzes über die Kirchenmitgliedschaft, das kirchliche Meldewesen und den Schutz der Daten der Kirchenmitglieder v. 10.11.1976. Aus diesem Grund ist der an einer aktuellen staatskirchenrechtlichen Orientierung über das Mitgliedschaftsrecht Interessierte auf die knappe Darstellung von Axel v. Campenhausen (Die staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: HdbStKR Bd. 1,2. Auflage 1994,755-775) verwiesen. 7 Kirchenmitgliedschaftsgesetz der EKD vom 10.11.1976 (ABI. EKD, S. 389 ff.).

Einleitung

19

wesen. So kann der Beginn der Erörterung des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft spätestens mit den kontroversen Erörterungen von Brauns und Mejer9 angesetzt werden. Einen weiteren Markstein in dieser Entwicklung stellen die umfangreichen Abhandlungen von Schoen lO und Oeschey ll dar, die den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft in den evangelischen Landeskirchen nach der Rechtslage der nach Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung erlassenen Kirchenverfassungen zum Gegenstand haben. 12 Die grundlegenden Streitfragen des Kirchenmitgliedschaftsrechts haben den zweifachen Verfassungswechsel in Deutschland von 1919 und 1949 zunächst unverändert überdauert. Zurückgehend auf das zunehmende Interesse an einer allgemeinen theoretischen Grundlegung des Kirchenrechts 13 in der Nachkriegszeit hat sich die Kirchenrechtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem mit den theologischen Bezügen des Mitgliedschaftsrechts beschäftigt. 14 Kann die kirchenrechtliche Erforschung des Kirchenmitgliedschaftsrechts auf eine durchaus längere Tradition zurückblicken, so ist die staatskirchenrechtliche Problematik des Kirchenmitgliedschaftsrechts dagegen erst durch die Kirchensteuerurteile des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Dezember 1965 15 in das Blickfeld der Rechtswissenschaft gerückt worden. Mit der Feststellung, daß die "früheren Landeskirchen nicht mehr den Rechtscharakter von Gebietskörperschaften [haben] mit der Macht, jemanden, der in ihr Gebiet eintritt, einseitig ohne Rücksicht auf ihren Willen einzugliedern"16, begann der grundrechtliehe Aspekt der individuellen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs.l und 2 GG als mögliche Schranke der staatlichen Anerkennung des kirchlichen Mitgliedsrechts in

S

Braun, ZKR 21 (1886),401; ders., ZKR 22 (1889),322. Mejer, ZKR 22 (1889), 21l. 10 Schoen, VerwArch 31 (1925), 113-160. 11 Oeschey, AöR 55 (1929), 1-80. 12 Neben Schoen und Oeschey ist vor allem die umfassende Darstellung von Mess, AöR N.F. 10 (1926), 1-123, zu nennen. 13 Zur Grundlagendebatte im evangelischen Kirchenrecht vgl. Wehrhahn, Der Stand des Methodenproblems in der evangelischen Kirchenrechtslehre, ZevKR 1 (1951),55-80; Zusammenfassung der Debatte bei Steinrnüller. (Lit.). 14 Vgl. vor allem die Beiträge von Liermann, Srnend, Dornhois, Grundrnann und Brunotte in der von Meinhold herausgegebenen Sammlung (FN. 4). 15 BVerfG - Urt. v. 14.12.1965 (vor allem BVerfGE 19,206 ff., außerdem BVerfGE 19,226 ff.; 19,242 ff.; 19,248 ff.; 19,253 ff.; 19,268 ff.). 16 BVerfG - Urt. v. 14.12.1965 - 1 BvR 413,416/60 = BVerfGE 19,206 (217). 9



20

Einleitung

das Bewußtsein der Rechtslehre zu treten. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und ihre Gliedkirchen sahen sich in Reaktion auf diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einer gesamtkirchlichen Kodifikation des Kirchenmitgliedschaftsrechts veranlaßt 17, die zunächst mit der Vereinbarung der Gliedkirchen der EKD über die Kirchenmitgliedschaft von 1970 18 und schließlich in dem heute geltenden Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft, das kirchliche Meldewesen und den Schutz der Daten der Kirchenmitglieder vom 10. November 1976 (im folgenden: EKD-KMitgliedG) erfolgt ist. Die gliedkirchliche Vereinbarung über das Mitgliedschaftsrecht in der EKD von 1970 und das neue EKD-KMitgliedG von 1976 bedeuten einen erheblichen Einschnitt in der neueren Entwicklung des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts. Mit dem Inkrafttreten des EKD-KMitgliedG am 1.1.1978 schien das Problem des Mitgliedschaftserwerbs im Geltungsbereich des EKD-Gesetzes zumindest für den Bereich der kirchlichen Verwaltungspraxis geklärt. In der Tat sind durch das EKD-Gesetz zahlreiche wichtige, bisher ungeklärte Fragen beantwortet worden, so z.B. die Frage der Begründung der Kirchenmitgliedschaft von religionsunmündigen Kindern, deren Taufe nicht in einer zu einer EKDGliedkirche gehörenden Kirchengemeinde stattgefunden hat. 19 Inzwischen hat sich jedoch auch gezeigt, daß das EKD-Gesetz offenbar nicht nur Regelungslücken aufweist, sondern auch in mancher Hinsicht neue staatskirchenrechtliche Probleme aufgeworfen hat. Im Mittelpunkt der gegenwärtigen Diskussion steht vor allem die automatische Eingliederung Zuziehender, insbesondere bei Zuzug aus dem Ausland. 20 In kirchenrechtlicher Hinsicht sind die Entwicklung des Kirchenübertrittsverfahrens sowie die neuen Vereinbarungen zwischen den EKD-Gliedkirchen über den "Erwerb der Kirchenmitgliedschaft in besonderen

17 Vgl. die amtliche Begründung des Gesetzentwurfes des Rates der EKD vom 23./24. Mai 1975 (Drucksache IIII14 der 4. Tagung der 5. Synode der EKD in Freiburg 1975, hier S. 7 f.). 18 ABI. EKD 1970, 2. Vgl. zu der Vereinbarung ausführlich Wendt, ZevKR 16 (1971),23-37 = Meinhold, Kirchengliedschaft, 221-236. 19 Vgl. nunmehr § 6 Abs.2 EKD-KMitgliedG. 20 Vgl. dazu zuletzt umfassend Rausch, ZevKR 36 (1991), 337, 349 ff. Die Aktualität speziell dieses Themas wird auch hervorgehoben durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts v. 12.4. 1991 (Az.: 8 C 62/88) = ZevKR 36 (1991), 403 ff.; außerdem durch das finanzgerichtliche Verfahren FG Düsseldorf Urt. v. 14.4.1994 - 1 K 292/90 Ki = EFG 1994, 1071 einschließlich der in diesem Verfahren ergangenen Revisionsentscheidung des Bundesfinanzhofes, BFH Urt. v. 18.1.1995 (Az.: I R 89/94) = ZevKR 40 (1995),354 ff.

Einleitung

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Fällen" hervorzuheben. Gerade die beiden letztgenannten Rechtsinstitute zeigen, daß das Kirchenmitgliedschaftsrecht wie kaum ein anderes Gebiet des kirchlichen Rechts einem beständigen Wandel unterworfen ist und daher der fortwährenden Begleitung durch die Kirchenrechtslehre bedarf.

Erster Teil

Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Anknüpfung des staatlichen Rechts an das kirchliche Mitgliedschaftsrecht Das ungebrochen starke Interesse der Staatskirchenrechtswissenschaft an der Ausgestaltung des Mitgliedschaftsrechts durch die Kirchen geht auf die besondere rechtliche Bedeutung des Kirchenmitgliedschaftsrechts zurück. Einerseits gestalten die Kirchen innerkirchlich ihr Mitgliedschaftsrecht in eigener Verantwortung nach ihrem jeweiligen theologischen Selbstverständnis aus, andererseits ist das von kirchlichen Gesetzgebungsorganen erlassene Mitgliedschaftsrecht auch in die staatliche Rechtsordnung integriert, indem der staatliche Gesetzgeber auf das kirchliche Mitgliedschaftsrecht in einigen Fällen unmittelbar Bezug nimmt. Das wichtigste Beispiel für ein solches Zusammenwirken von staatlichem und kirchlichem Recht stellt das Kirchensteuerrecht dar, das in den Landeskirchensteuergesetzen geregelt ist. Die staatlichen Kirchensteuergesetze knüpfen die Kirchensteuerpflicht unmittelbar an die Mitgliedschaft in der jeweiligen besteuernden Kirche l (Beispiel:

l Baden-Württenberg: § 3 Gesetz über die Erhebung von Steuern durch öffentlichrechtliche Religionsgemeinschaften (Kirchensteuergesetz - KiStG-) v. 18.12.1969 (GVBI. 1970, 1) in der Fassung v. 15.6.1978 (GVBI. S.370), zuletzt geändert durch Gesetz v. 9.7.1991 (GVBI. 470); Bayern: Art. 2 I Gesetz über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, religions- und weltanschauliche Gemeinschaften (- Kirchensteuergesetz KirchStG -) v. 15.3.1967 (GVBI. S. 317), zuletzt geändert durch Gesetz v. 21.3.1991 (GVBI. S. 80); Berlin: § 2 I Gesetz über die Erhebung von Steuern durch öffentlichrechtliche Religionsgemeinschaften im Land Berlin (Kirchensteuergesetz - KiStG) in der Neufassung v. 28.12.1989 (GVBI. 1990,458); Brandenburg: § 5 Gesetz zur Regelung des Kirchensteuerwesens v. 31.8.1990 (BStBI. 1990 1,717; gilt gern. Art. 9 Abs.5 des Einigungsvertrages als Landesrecht); Bremen: § 4 Gesetz über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, andere Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften in der Freien Hansestadt Bremen (Kirchensteuergesetz - KiStG-) in der Fassung v. 10.1.1978 (GVBI. S. 59), zuletzt geändert durch Gesetz v. 18.9.1990 (GVBI. S. 297); Hamburg: § 2 Kirchensteuergesetz v. 15.10.1973 in der Fassung v. 31.1.1977 (BStBI.

Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

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§ 3 Abs.l Kirchensteuergesetz Nordrhein-Westfalen 2 : "Kirchensteuerpflichtig sind alle Angehörigen der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der §§ 8 und 9 der Abgabenordnung im Land Nordrhein-Westfalen haben."3) Auf eine eigene staatliche Regelung des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft, soweit sie für das staatliche Recht von Bedeutung ist, haben die Kirchensteuergesetze der Länder jedoch verzichtet. Die (staatlichen) Landeskirchensteuergesetze knüpfen vielmehr an den Mitgliedschaftsbegriff der kirchlichen Gesetzgebung an und verweisen direkt auf den Mitgliedschaftsbegriff des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts. Diese Regelungstechnik ist deshalb staatskirchenrechtlich von besonderem Interesse, weil sich die Frage nach den verfassungsrechtlichen Beschränkungen für die Anerkennung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts durch den staatlichen Gesetzgeber stellt.

1977 I, 195), zuletzt geändert durch Gesetz v. 21.1.1991, (GVBI. S. 21); Hessen: § I Gesetz über die Erhebung von Steuern durch die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Lande Hessen (Kirchensteuergesetz) v. 12.2.1986 (GVBI. S. 90), zuletzt geändert durch Gesetz v. 20.11.1991 (GVBI. S. 339); Mecklenburg- Vorpommem: s. Brandenburg; Niedersachsen: § 2 I Gesetz über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, andere Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften (Kirchensteuerrahmengesetz - KiStRG-) in der Neufassung v. 10.7.1986 (GVBI. S. 281); Nordrhein-Westfalen: § 3 Gesetz über die Erhebung von Kirchensteuern im Land NordrheinWestfalen (Kirchensteuergesetz - KiStG-) in der Fassung v. 22.4.1975 (GVBI. S. 439), zuletzt geändert durch Gesetz v. 17.12.1985 (GVBI. S. 766); Rheinland-Pfalz: § 4 I Landesgesetz über die Steuern der Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften (Kirchensteuergesetz-KiStG-) v. 24.2.1971 (GVBI. S. 59), zuletzt geändert durch Gesetz v. 23.10.1990 (GVBI. S. 309); Saarland: § 3 Saarländisches Kirchensteuergesetz (KiStG-Saar) in der Fassung v. 1.6.1977, zuletzt geändert durch Ges. v. 13.12.1985 (GVBI. 1986, 26); Sachsen: s. Brandenburg; Sachsen-Anhalt: s. Brandenburg; Schleswig-Holstein: § 1 I Gesetz über die Erhebung von Kirchensteuern im Lande Schleswig-Holstein (Kirchensteuergesetz - KiStG-) in der Fassung v. 18.8.1975 (GVBI. S. 220), zuletzt geändert durch Gesetz v. 16.12.1985 (GVBI. S. 435); Thüringen: s. Brandenburg. Zur Rechtslage in den neuen Bundesländern vgl. Engelhardt, Die Kirchensteuer in den neuen Bundesländern, 7; Giloy/König, Kirchensteuerrecht, 5; Spliesgart, NVwZ 1992, 1155-1161. 2 KiStG NW i.d.F. der Bek. v. 22. April 1975 (GV. NW 1975,438), zuletzt geändert durch Gesetz v. 17.12.1985 (GV. NW 1985,766). 3 Das Gesetz spricht (wie im Kirchensteuerrecht allgemein üblich) nicht von "Kirchenmitgliedern", sondern von "Angehörigen" der Kirchen. Gemeint ist Kirchenmitgliedschaft im juristischen Sinne, weil die Kirchen nur ihre "Mitglieder" der Besteuerung unterwerfen dürfen.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Im folgenden Abschnitt sollen die allgemeinen und besonderen verfassungsrechtlichen Vorgaben für die staatliche Anerkennung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts beschrieben werden. Die Untersuchung des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft nach evangelischem (Zweiter Teil) und katholischem Kirchenrecht (Dritter Teil) sowie der damit verbundenen einzelnen rechtlichen Probleme wird sich daran anschließen.

A. Das Kirchenmitgliedschaftsrecht als eigene Angelegenheit der Kirchen nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S.l WRV Ob überhaupt und inwieweit Schranken für die kirchliche Regelungsbefugnis auf dem Gebiet des Mitgliedschaftsrechts bestehen. ist eine Frage, die nur anhand der exakten Subsumtion unter die einschlägigen Verfassungsnormen entschieden werden kann. Das Staatskirchenrecht ist Teil des allgemeinen Verfassungsrechts und findet als solches seine normative Grundlage in den sog. kirchenpolitischen (oder auch kirchenverfassungsrechtlichen4) Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung, die das Grundgesetz durch die in Art. 140 GG getroffene Regelung übernommen hat. Den wichtigsten Ansatzpunkt für die Frage nach den verfassungsrechtlichen Beschränkungen der Anknüpfung des staatlichen Rechts an innerkirchliches Mitgliedschaftsrecht vermitteln die durch Art. 140 GG inkorporierten 5 kirchenpolitischen Artikel 136 - 139 sowie 141 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, der sog. Weimarer Reichsverfassung (WRV). Besondere Bedeutung für das Kirchenmitgliedschaftsrecht hat dabei insbesondere Art. 137 Abs.3 S.l WRV, aus dem das sog. Selbstbestimmungsrecht der Kirchen abgeleitet wird:

4 Der Begriff "kirchenverfassungsrechtlich" ist terminologisch insofern nicht ganz zutreffend, als die Artikel 136-139 und 141 WRV nicht nur die Kirchen. sondern überhaupt jede Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft betreffen. Dennoch wird der Begriff hier entsprechend einem Vorschlag von Obermayer in einem historisch-formellen Sinne gebraucht, und zwar aufgrund der Tatsache, daß die Kirchen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften politisch und soziologisch gesehen immer noch den größten Stellenwert besitzen (Obermayer, Bonner Kommentar, Art. 140 Rdnr. 68). 5 Zum Begriff der "Inkorporation" kritisch Hoffmann in: Festschrift für Obermayer, 33 ff.

A. Kirchenmitgliedschaft und Art. 140 GG i.V.m. 137 III I WRV

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Art. 137 Abs.3 S.I WRV: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes."

Aus dieser nach einer berühmten Formulierung von J. Heckel als "lex regia des deutschen Staatskirchenrechts"6 bezeichneten Rechtsnorm ergibt sich eine Reihe von Kompetenzen, die in der Literatur zusammenfassend als das "Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften" bezeichnet werden. Das Schrifttum zu Umfang und Schranken der kirchlichen Selbstbestimmung ist inzwischen kaum noch überschaubar.7

I. Verhältnis von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs.3 S.l WRV zum Grundrecht nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Das Verhältnis des (durch Art. 140 GG in das Grundgesetz aufgenommenen) Art. 137 Abs. 3 S.l WRV zu dem Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit des Art. 4 GG, insbesondere zu der in Art. 4 Abs. 2 GG verbürgten Freiheit der Religionsausübung, ist noch nicht geklärt. Diese Frage ist keineswegs nur von theoretischer Bedeutung, weil die Zuordnung kirchlicher Selbstbestimmung zum Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs.1 und 2 GG) weitaus stärkeren Schutz vor staatlichen Eingriffen als in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV vorgesehen bedeutet. Für das Kirchenmitgliedschaftsrecht und damit für unsere Fragestellung hat dieses Problem erhebliche Bedeutung, weil der Schutzbereich des schrankenlosen Grundrechts der Religionsfreiheit in weitaus geringerem Maße dem staatlichen Regelungszugriff unterliegt als die institutionelle Gewährleistung des Art.

6 Johannes Heckei, Festgabe für E. Kaufmann (1950), 83, 85 = ders., Das blinde, undeutliche Wort "Kirche", 307-328 (hier 310); ähnlich Martin Heckel, ZevKR 12 (1966/ 1967), 34 f. Anm. 7 = Ges. Aufs. I, 366, 397 f.; kritisch zu dieser Bezeichnung Werner Weber, Festschrift für E. R. Huber, 181, 192. 7 Allgemein zur Funktion des Art. 140 GG/137 Abs.3 WRV: Hesse, HdbStKR Bd.l, 2. Auf!. 1994, 521-559; Hoffmann, Festschrift für Obermayer, 33 ff.; Britz, ArchKathKR 149 (1980), 87 ff.; Schlief(Lit.); Jurina, Rechtsstatus; Scheuner, Gestaltung und Grenzen kirchlicher Autonomie, I ff.; Martin Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, 5-48; Bock, 538 ff.; vgl. zur historischen Entwicklung des Art. 137 Abs.3 WRV ferner Zwirner, ZRG Kan. Abt. 73 (1987), 210 ff.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

140 GG /137 Abs.3 S. 1 WRV. Für die Schranken des Kirchenmitgliedschaftsrechts fällt damit bereits hier eine entscheidende Weichenstellung. Vor allem Von Listl wird die Auffassung vertreten, daß dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften gern. Art. 137 Abs. 3 WRV allenfalls deklaratorische Bedeutung gegenüber dem Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs.l und 2 GG zukomme 8. Folgt man dieser Ansicht, so kann jede Verletzung der kirchlichen Selbstbestimmung als Verletzung der Religionsausübungsfreiheit des Art. 4 Abs.2 GG im Wege der Verfassungsbeschwerde gerügt werden. Listl begründet seine Ansicht im wesentlichen damit, daß die durch Art. 4 Abs. 2 geschützte Religionsausübung der Kirchen geradezu voraussetze, daß diese ihre eigenen Angelegenheiten unabhängig Von staatlicher Einflußnahme ordnen könnten. 9 Aus diesem Grunde sei der gesamte Bereich kirchlicher Selbstbestimmung bereits der Freiheit der Religionsausübung (Art. 4 Abs.2 GG) zugeordnet. Diese Ansicht gründet im wesentlichen auf jener extensiven Auslegung des Art. 4 Abs.2 GG, die vor allem das Bundesverfassungsgerichts in seiner Rechtsprechung seit der sog. "Lumpensammler"-Entscheidung lO gefördert hat. Das BVerfG betont seitdem in ständiger Rechtsprechung, daß Art. 4 Abs.l und 2 nicht nur als Individualgrundrecht, sondern auch als ein kollektives Grundrecht zu verstehen ist. 11 Dies werde insbesondere durch die Formulierung des Art. 4 Abs.2 GG klargestellt. An dieser Ansicht ist zutreffend, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit seinem Wesen nach einen kollektiven Aspekt enthält und daß dieses kollektive Element zumindest in erster Linie in Art. 4 Abs.2 GG seinen Ausdruck findet. 12 Der Rückgriff auf die etwas konturenschwache extensive Interpretation der Religionsfreiheit ist jedoch nicht

8 Listl in: HdbStKR Bd.l, 2. Auf). 1994,439-479; vgl. auch Maunz in: MaunzlDürig, GG, Art. 140 Rdnr. I f.; wohl auch Schlief, 216 f.; mißverständlich Starck in: v. Mangoldtl Klein, GG, Art. 4 Rdnr. 32 (Art. 137 Abs.3 ist "nur eine Ausprägung des zu voller Tragweite aktualisierten Grundrechts der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs.1 und 2").

9 Listl, a.a.O., 439, 444 f.

10 BVerfG - Beschl. v. 16.10.1968 - I BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236: "Da die "Religionsausübung" zentrale Bedeutung für jeden Glauben und jedes Bekenntnis hat, muß dieser Begriff gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv ausgelegt werden" (a.a.O., 246). Die extensive Auslegung des Art. 4 Abs. 2 GG geht vermutlich auf einen Aufsatz von Scheuner in: DÖV 1967,585,590, zurück (vgl. BVerfGE 24, 236, 241). 11 BVerfG, a.a.O.; ferner BVerfG Beschl. v. 21.9.76 - 2 BvR 350175 = BVerfGE 42, 313, 322; vgl. auch Herzog in: MaunzlDürig, GG, Art. 4 Rdnr. 93. 12 Offengelassen kann hier deshalb, ob Art. 4 Abs.2 GG nur die kollektive Religionsfreiheit schützt (so Obermayer in: Bonner Kommentar, Art. 140 GG Rdnr. 60).

A. Kirchenmitgliedschaft und Art. 140 GG i.V.m. 137 III I WRV

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zwingend erforderlich, um die Religionsfreiheit auch auf die Kirchen zu erstrecken. Die kollektive Seite des Art. 4 Abs.1 und 2 GG kann jedenfalls für die bei den großen Kirchen bereits aus Art. 19 Abs.3 GG geschlossen werden 13, weil die Religionsfreiheit auf die Kirchen als juristische Personen in ihrer Eigenschaft als Zusammenschluß der Gläubigen ihrem Wesen nach anwendbar ist. I4 In jedem Fall - dies dürfte heute allgemein anerkannt sein - schützt Art. 4 Abs.1 und 2 GG auch die kollektive Religionsausübung. 1S Enthält Art. 4 Abs.1 und 2 GG eine kollektive Gewährleistungsebene, so kann tatsächlich der erwähnte Schluß naheliegen, daß den in das Grundgesetz aufgenommenen Weimarer Kirchenartikeln, insbesondere Art. 137 Abs.3 S.l WRV, kein eigenständiger Regelungsgehalt, sondern lediglich eine deklaratorische Funktion zukommt. Diese Ansicht wird jedoch der vielschichtigen Problemlage, die aus der Inkorporation der Weimarer Artikel in das Grundgesetz erwachsen ist, nicht gerecht. Art. 137 Abs.3 S.l WRV ist (durch Art. 140 GG in das Grundgesetz aufgenommenes) vollgültiges Verfassungsrecht. I6 Für die Selbständigkeit der Vorschrift gegenüber dem Grundrechtsteil, insbesondere der in Art. 4 Abs.1 und 2 GG geschützten Religionsfreiheit, spricht neben der Schrankendivergenz auch die unterschiedliche inhaltliche Struktur der beiden Normen. I7 Art. 4 Abs.1 GG ist ein Grundrecht ohne Gesetzesvorbehalt, während das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften als institutionelle Gewährleistung dem qualifizierten Schrankenvorbehalt des Art. 137 Abs.3 S.l, 2.Hs. WRV ("innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes") unterworfen ist. Die spezifischen Schranken religionsgesellschaftlicher Selbstbestimmung wären bedeutungslos, wenn man Art. 137 Abs.3 S.l WRV mit Art. 4 Abs.l und 2 GG einfach unterschiedslos gleichsetzen wollte: die von der Verfassung ausdrücklich

13

35.

Vgl. z. B. Bertermann, MDR 1966,881,885; Hermann Weber, Grundprobleme,

14 Zur Grundrechtsberechtigung der Kirchen vgl. auch Bethge, Grundrechtsberechtigung juristischer Personen, 78 ff. IS Kritisch allerdings Wieland, Der Staat 28 (1986), 323, 324 ff. 16 BVerfGE 19,206, 219; Maunz in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 Rdnr. 2; H. D. Jarass in: larasslPieroth, GG, Art. 140 Rdnr. I. 17 Vgl. Jurina, Rechtsstatus, 51 ff.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

an die "allgemeinen Gesetze" gebundene kirchliche Selbstbestimmung würde in einem schrankenlosen Grundrecht aufgehen. 18 Über die Schrankendivergenz hinaus ist auch die unterschiedliche Struktur der Normen zu beachten. So ist es geboten, die institutionelle Dimension des Art. 137 Abs. 3 S.l WRV (Kompetenzzuordnung von innerkirchlicher Normsetzung, Organisation und Verwaltungs tätigkeit) genauer gegenüber der grundrechtlichen Dimension des Art. 4 Abs.l und 2 abzuheben. Art. 137 Abs.3 WRV steHt einen Grundsatz der Rechtsetzungskompetenzen von Staat und Kirche auf, während es in Art. 4 Abs.l und 2 GG zuallererst um den grundrechtlichen Schutz individueller Freiheit handelt. 19 Daraus ist zu schließen, daß die beiden Regelungsbereiche jedenfalls nicht völlig deckungsgleich sein können. Dies zeigt auch ein vom OLG Hamburg entschiedener FaIl 20 , der die Formgebundenheit der Übereignung kirchlicher Grundstücke zum Gegenstand hatte: Wenn die Übereignung kirchlicher Grundstücke auch Teil des kirchlichen Selbstbestimmungrechts gern. Art. 137 Abs.3 S.l WRV/ 140 GG ist, so ist die Frage der Formgebundenheit der Grundstücksübereignung nicht schon deshalb im Sc:hutzbereich der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs.l und 2 GG zu verorten, weil es sich um die Übereignung kirchlicher Grundstücke handelt. Konsequent hat das OLG Hamburg daher eine Beeinträchtigung des Art. 4 Abs.1 und 2 GG in diesem Fall nicht angenommen. Nicht in jeder Betätigung der Kirchen im Bereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gern. Art. 137 Abs.3 S.I WRV ist somit - das beweist der Fall der Übereignung kirchlicher Grundstücke - notwendig eine Form kollektiver Religionsausübung enthalten (es sei denn, das Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit wird in Anlehnung an Listl derartig überdehnt, daß

18 Vg!. auch Hollerbach, Essener Gespräche, 144; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, 74 u. Fn. 76. 19 Freilich darf der Erkenntnisgewinn aus der strukturellen Unterscheidung zwischen Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV und Art. 4 Abs.l und 2 GG nicht überschätzt werden, wie dies zuletzt bei Wieland (Der Staat 28, 1986, 323, 327 f.) geschehen ist. Wieland trennt zu schematisch zwischen der Kompetenzregelung Art. 137 Abs.3 WRV / 140 GG einerseits und dem Grundrecht Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und kommt so zu einem gegenüber Listl genau entgegengesetzten Ergebnis, daß die kirchliche Selbstbestimmung nicht durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt sei (vg!. die heftige Kritik von Listl an Wieland in: HdbStKR Bd. 1,2. Aufl. 1994,439,445 Fn. 12). 20 OLG Hamburg, Besch!. v. 21.6.1982 = NJW 1983,2572. Konsequent trennt auch das BVerfG in einem Beschluß vom 1.9.1980 (NJW 1983,2571) das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gern. Art. 137 Abs.3 S. 1 WRV von der Grundrechtsbetätigung im Rahmen des Art. 4 Abs.1 und 2 GG; die Verfassungsbeschwerde wird zu Recht als unzulässig verworfen, obwohl das kirchliche Selbstbestimmungsrecht 'berührt ist.

A. Kirchenmitgliedschaft und Art. 140 GG i.V.m. 137 III 1 WRV

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man jeder Betätigung einer Religionsgemeinschaft eine grundrechtIich relevante religiöse Funktion zugesteht). Wenn sich grundrechtliche Religionsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG sowie kirchliche Selbstbestimmung gern. Art. 140 GGI 137 Abs.3 S.l WRV auch in weiten Teilen überschneiden, so sind diese Vorschriften dennoch nicht deckungsgleich. Das Beispiel der Grundstücksübereignung zeigt anschaulich, daß die Vorschriften in einem Zusammenhang gegenseitiger Ergänzung stehen, ohne dabei jedoch in ihrem Regelungsgehalt identisch zu sein. 21 Aus der Zuordnung einer Materie zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgesellschaften folgt also keineswegs automatisch deren Einordnung in den Schutzbereich des Art. 4 Abs.l und 2 GG.

11. "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig" Art. 140 GG I 137 Abs.3 S.l WRV schützt die Religionsgesellschaften (die Kirchen sind selbstverständlich Religionsgesellschaften i.S. des Art. 137 Abs.3 WRV) in der Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten. Der Begriff der selbständigen "Ordnung" erfaßt die eigenständige Aufstellung abstrakter Normen, der Begriff der selbständigen "Verwaltung" meint die konkrete Anwendung der von den kirchlichen Organen erlassenen Gesetze und Verordnungen. 22 Diese beiden Begriffe sind ohne große Schwierigkeiten zu definieren. Probleme wirft hingegen seit der Weimarer Zeit die Bestimmung des genauen Umfangs der "Angelegenheiten" der Religionsgesellschaften auf. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften beschränkt sich schon nach dem Wortlaut der Vorschrift auf "ihre Angelegenheiten". Hierzu sind nur die sog. eigenen Angelegenheiten der Religionsgesellschaften zu zählen, die von den staatlichen und den sog. gemeinsamen Angelegenheiten unterschieden werden.

21 Axel v. Campenhausen, HbStR Bd. VI, Rdnr. 391 ff.; vgl. auch Herzog in: MaunzlDürig, GG, Art. 4 Rdnr. 28; Ehlers, ZevKR 32 (1987),159; Hesse in: HdbStKR Bd.l, 2. Auf]. 1994, 524 ff.; ähnlich jetzt auch BVerfG Beschl. v. 14.5.86 - 2 BvL 19/84 = BVerfGE 72,278,289, wonach Art. 140 GG /137 Abs.3 WRV der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG "die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt." 22 Vgl. Hesse, a.a.O., 521, 535 ff.; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, 76.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Das kirchliche Mitgliedschaftsrecht wird ganz überwiegend ohne nähere Begründung den "eigenen Angelegenheiten" der Religionsgesellschaften zugeordnet. 23 Ein solches Vorgehen wird der Fragestellung und der damit gleichzeitig verbundenen Weichenstellung für die verfassungsrechtlichen Einzelprobleme des Kirchenmitgliedschaftsrechts nicht gerecht. Gerade das Kirchenmitgliedschaftsrecht weist eine eigentümliche MittelsteIlung zwischen kirchlichem und staatlichem Recht auf, die in der Vergangenheit zu Mißverständnissen bei der Subsumtion unter Art. 137 Abs.3 S.l WRV/ 140 GG geführt hat, und zwar vor allem deshalb, weil das kirchliche Mitgliedschaftsrecht durch die Einbeziehung in den staatlichen Rechtskreis im Kirchensteuerrecht über eine zweifache rechtliche Bedeutung verfügt. Das spezifische Problem, das aus diesem rechtlichen "Doppelcharakter" des Mitgliedschaftsrechts erwächst, hat dann schließlich auch zu der fragwürdigen Formulierung geführt, daß zwischen einer Kirchenmitgliedschaft nach kirchlichem Recht einerseits und einer Mitgliedschaft nach staatlichem Recht andererseits als zwei unterschiedlichen Rechtsverhältnissen zu unterscheiden sei. 24 Eine vorbehaltlose Zuordnung des Mitgliedschaftsrechts zu den "eigenen Angelegenheiten" der Kirchen ohne Rücksicht auf die damit verbundene verfassungsrechtliche Weichenstellung ist also nicht möglich, wenn man derartige Mißverständnisse ausschließen will. Erforderlich ist vielmehr eine eindeutige Abgrenzung der Regelungskompetenzen von Staat und Kirche und damit eine präzise Definition dessen, was unter den "eigenen Angelegenheiten" der Religionsgesellschaften zu verstehen ist, um dann anschließend in einem weiteren Schritt über die Zuordnung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts zu diesen "eigenen Angelegenheiten" entscheiden zu können. Der Inhalt des sog. Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften gern. Art. 137 Abs.3 S.l WRV/ 140 GG ist immer noch Gegenstand einer verfassungsdogmatischen Grundsatzdebatte, obwohl die umfangreiche Literatur zum

23 Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rdnr. 43; ders. in: HdbStKR Bd. 1, 2. Aufl. 1994,755 f.; Maunz in: Maunz-Dürig, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 38; Rausch, ZevKR 36 (1991), 343. 24 Pirson, Festschrift für E. Ruppel, 277, 296 (vgl. zu dieser Ansicht auch die Ausführungen unten im 2. Abschnitt dieser Untersuchung); ähnlich auch die von Pirson betreute Kölner Dissertation von Bäcker, 10 f.

A. Kirchenmitgliedschaft und Art. 140 GG i.V.m. 137 III I WRV

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Teil bis weit in die Weimarer Zeit zurückreicht. 25 Mitursächlich für diese unbefriedigende Ausgangslage ist die mit zahlreichen Fragwürdigkeiten belastete staatskirchenrechtliche Rechtsprechung des BVerfG, die bisher noch keine konsensfahige Gesamtkonzeption für den eminent wichtigen Bereich der eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften bietet und nicht einmal eine auch nur im Ansatz erkennbare einheitliche Linie aufweist. 26 Am Anfang der staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht der Versuch, den Begriff der "eigenen Angelegenheiten" der Kirchen nach inhaltlichen Kriterien zu bestimmen. Nach einer vielfach anzutreffenden Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, die auch in der Literatur zahlreiche Anhänger gefunden hat, soll die Unterscheidung von kirchlichen und staatlichen Angelegenheiten danach erfolgen, "was der Natur der Sache oder der Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheit der Kirchen anzusehen ist."27 Diese wenig aussagekräftige Formel hat tautologischen Charakter, sie ist nicht mehr als ein "funktionsloses Schlagwort" .28 "Natur der Sache" und "Zweckbeziehung" sind ausfüllungsbedürftige Begriffe, die ihrerseits einen zu definierenden Maßstab voraussetzen, also eine Bewertung, aus der sich ergibt, was im Einzelfall der "Natur der Sache" und der "Zweckbeziehung" ent-

25 Anschütz, HdbDStR 11, 675 ff.; Ebers, Staat und Kirche, 292 f. Überblick zum Streit zwischen Ebers und Anschütz über die Reichweite der "eigenen Angelegenheiten" bei Hesse in: HdbStKR Bd. I, 2. Aufl. 1994, 538 ff. 26 Die Rechtsprechung des BVerfG zum kirchlichen Selbstbestimmungrecht (Art. 140 GG 1 137 Abs.3 WRV) wird äußerst kritisch von Wieland, Der Staat 25 (1986), 321353, nachgezeichnet. Zur neueren Entwicklung vg!. auch Martin Heckel, Festschrift für P. Lerche, 213 ff.; Geiger, ZevKR 28 (1981), 156. Axel v. Campenhausen, AöR 112 (1987), 623, 635, sieht die staatlichen Gerichte metaphorisch auf der Suche nach einem Weg zwischen der "Scylla einer neuen geistlichen Immunität und der Charybdis einer neuen Staatsaufsicht"; vg!. ders. in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 140/Art. 137 WRV Rdnr.238. 27 BVerfG Besch!. v. 17.2.65 - 1 BvR 732/64 = BVerfGE 18, 385, 387; 42,312, 334; BVerfG NJW 1983, 2569 und NJW 1983,2571. Diese Formulierung des BVerfG geht auf Ebers zurück (Staat und Kirche, 258); vg!. auch Hesse in: HdbStKR Bd.l, 2. Aufl. 1994, 538 f. 28 Müller, Juristische Methodik, 38, 101 ff.; die von Müller vertretene Normbereichsanalyse ist der Konzeption der "Natur der Sache" allerdings nicht unähnlich, vg!. Larenz, Methodenlehre, 323; ferner Dreier, Zum Begriff "Natur der Sache", der die Diskussion der Nachkriegszeit zusammenfaßt.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

spricht. 29 Das Abgrenzungsproblem wird nur auf eine andere Ebene verlagert, ohne daß man der Problem lösung nur einen Schritt näher kommt. In der staatskirchenrechtlichen Literatur ist aus diesem Grund schon frühzeitig ein ergänzender Maßstab für die notwendige Abgrenzung von staatlichen und kirchlichen Aufgaben gefordert worden. So hat Martin Heckel die Ansicht vertreten, daß die "Kirche ... selbst nach Art. 137 III WV/ 140 GG" bestimmen soll, "was zu ihren Angelegenheiten gehört."30 Diese Meinung hat sich, wenn auch in abgeschwächter Fonn, bis heute im Schrifttum gehalten. 3) Die Entscheidung darüber, was als "eigene Angelegenheit" der Kirchen anzusehen ist, soll zur Disposition der Kirchen stehen: bei der Beurteilung dieser Frage soll "der Standpunkt der Kirche maßgeblich" sein. 32 Diese Ansicht führt nun im Ergebnis dazu, daß die Religionsgesellschaften eigenständig über die Reichweite ihrer Kompetenz (mit-)entscheiden können (Kompetenz-Kompetenz). Es ist mehr als zweifelhaft, ob den Religionsgesellschaften nach dem Grundgesetz eine solche Kompetenz- Kompetenz darüber zusteht, was als "eigene Angelegenheit" nach Art. 137 Abs.3 S. I WRV i.V.m. 140 GG anzusehen ist. Kraft einer derartigen Definitionsmacht könnten die Religionsgesellschaften ihr Selbstbestimmungsrecht nahezu unbegrenzt in Bereiche ausdehnen, die dem Rechtsetzungsmonopol des Staates vorbehalten sind. 33 Die verbindliche Interpretation des ersten Halbsatzes des Art. 137 Abs.3 S.I WRV wird dadurch inhaltlich beliebig und dem jeweiligen Ennessen der Religionsgesellschaften anheimgestellt, was wiederum dazu führt, daß die Lösung von Konflikten zwischen staatlichem und kirchlichem Regelungsanspruch auf die

29 Kritik am Begriff der "Natur der Sache" und der Verknüpfung dieser Rechtsfigur mit derInterpretation des Art. 137 Abs.3 WRV übt auch Jurina, Rechtsstatus, 6l. 30 Martin Heckei, VVDStRL 26 (1968), 41; ebenso Hesse in: HdbStKR Bd.l, 2. Aufl. 1994, 521, 542 f. 3) Vgl. Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht 78 ff.; Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/Art.137 WRV, Rdnr. 30; Jürgens, 29; Christoph, ZevKR 34 (1989), 420 Fn. 90. 32 Axel v. Campen hausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 30 m.w.N. 33 Zum Problem vgl. Jsensee, Freiheitsrechte, 7, 35 ff., 64 ff.; Geiger, ZevKR 26 (1981), 159; Herzog in: MaunzlDürig, GG, Art. 4 Rdnr. 104 f.

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Ebene der Schrankenklausel rückt 34, deren Problematik nun keineswegs geringer einzuschätzen ist als die Definiton der "eigenen Angelegenheiten". Ebensowenig kann die etwas modifizierte neuere Ansicht überzeugen, daß die Konkretisierung des Verfassungsbegriffs der "eigenen Angelegenheiten" im Einzelfall weder dem Staat noch den Kirchen allein zuzubilligen sei. 35 Es handelt sich dabei um ein Auslegungsmodell, das den Religionsgesellschaften zumindest gleichberechtigte Mitsprache bei der Bestimmung der Reichweite ihrer eigenen Rechtsetzungskompetenz einräumt. Dieser Vorschlag ist auf das koordinationsrechtliche Denken der Nachkriegszeit36 zurückzuführen. Noch mehr als in anderen Bereichen stößt die Koordinationstheorie jedoch gerade im Bereich der Verfassungsinterpretation auf grundlegende Bedenken. Das Modell der Koordination setzt Gleichrangigkeit voraus. Gleichrangigkeit von Staat und Kirche liegt dort vor, wo sich Staat und Kirche mit gleichen Rechten auf gleicher Rechtsebene gegenüberstehen, wie dies unter anderem bei Konkordaten und Kirchenverträgen der Fall ist. Die Auslegung des Verfassungsgesetzes ist Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit37 , nicht des von einer Rechtseinwirkung jeweils Betroffenen. Wenn vielfach die These zu finden ist, daß staatliche Neutralität zwingend den "Verweis auf den Maßstab des jeweiligen Grundrechtsträgers" erfordere38 , kann dies im übrigen schon deshalb nicht überzeugen, weil es sich hier um ein grundsätzliches Problem der Verfassungsinterpretation

34 Die Verlagerung von Konflikten über die Reichweite der kirchlichen Selbstbestimmung auf die Schrankenklausel wird z. B. von Hesse, der den Kirchen die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten überlassen will, durchaus eingeräumt (HdbStKR Bd.l, 2. Aufl. 1994, 543 Fn. 74). 35 Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 140/Art. 137 WRV, Rdnr. 30; Jürgens, 28 f. Kritisch hingegen Pirson, ZevKR 38 (1993), 375. 36 Die Koordinationstheorie hat vor allem in der älteren katholischen Kirchenrechtslehre, die von einer Gleichordnung von Staat und Kirche ausging, großen Einfluß ausgeübt: Albrecht, Koordination von Staat und Kirche; im evangelischen Bereich wurde die K.-theorie vor allem von Grundmann, ÖAKR 13 (1962), 281, 294, vertreten. Das Modell der Koordination ist - wenn auch mit Abschwächungen - prägend für das gesamte Staatskirchenrecht nach 1945 geworden (vgl. die Darstellung von Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 140 Rdnr. 11 f., 14). Auf den Zusammenhang der Koordinationstheorie mit der Zwei-Gewalten-Lehre des Papstes Gelasius I. (492-496) und der Zwei-Schwerter-Lehre der kaiserlichen Publizistik weist Quaritsch, Der Staat 1 (1962), 296 Fn.94 hin. 37 Noch heute beachtlich die Ausführungen von Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 45 ff. 38 So Schlaich, Neutralität, 204. 3 Haß

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

handelt, das der Auslegung jeder Verfassungsnorm prinzipiell innewohnt. 39 Schon die erforderliche einheitliche Auslegung des Verfassungs gesetzes schließt es aus, eine Verfassungs norm je nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft unterschiedlich auszulegen.

1. Die Heranziehung des kirchlichen Selbstverständnisses zur Ermittlung der "eigenen Angelegenheiten"

Hintergrund dieser Streitigkeiten um die Berücksichtigung des kirchlichen Selbstverständnisses bei der Auslegung des Art. l37 Abs.3 WRV ist die grundsätzliche Frage, in welchem Maße das kirchliche Selbstverständnis Bedeutung für die Aufgabe der Verfassungsinterpretation erlangen kann. 40 Das kirchliche Selbstverständnis wird von der Rechtsprechung und weiten Teilen des Schrifttums im Bereich des Art. l37 Abs.3 S. 1 WRV in zweifacher Weise herangezogen: Zum einen zur Bestimmung der "eigenen Angelegenheiten", zum anderen als Korrektiv für die Auslegung der Schrankenklausel. Diese beiden Funktionen sind strikt zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang ist zunächst die erstgenannte Funktion von Interesse. Die Bezugnahme auf das kirchliche Selbstver~ ständnis für die Bestimmung des Regelungsbereichs stößt kaum auf Bedenken, wenn das kirchliche Selbstbestimmungsrecht des Art. l37 Abs.3 S.l WRV nur als Freiheitsrecht begriffen wird. Das subjektive Freiheitsverständnis des Freiheitsträgers ist grundsätzlich zu beachten. Es kann jedoch nicht allein ausschlaggebend sein, wo es nicht mehr um Freiheit per se geht, sondern um die nach der Verfassung rechtlich geschützte Freiheit des einzelnen. Was als Freiheit verfassungsrechtlich geschützt ist, muß einer objektiven, alle rechtlich relevanten Interessen einbeziehenden Betrachtung nach einem neutralen Maßstab vorbehalten bleiben. Diese Überlegung gilt in umso stärkerem Maße für Art. l37 Abs.3 S.l WRV, der nicht nur als Freiheitsrecht der Kirchen, sondern auch als Regelung der legislativen und exekutiven Kompetenzen von Staat und Kirche verstanden werden muß. Als Kompetenzregelung kann Art. l37 Abs. 3 S.l WRV nicht einmal teilweise dem Selbstverständnis der Kirchen überantwortet werden. Die verfassungsrechtliche Bestimmung der eigenen Angelegenheiten, d.h. die Auslegung eines Verfassungs begriffs, kann keine Frage des immer

A.A. Schia ich, Neutralität, 205 Anm. 315. Allgemein zu dieser Frage vgl. die neueren Arbeiten von Isak (Lit.), Höfling, 21 ff. und Morlok, 431 ff.; grundlegend Isensee, Freiheitsrechte, 60 ff. 39 40

A. Kirchenmitgliedschaft und Art. 140 GG i.V.m. 137 111 1 WRV

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notwendig subjektiven Selbstverständnisses der Kirchen sein. Der Begriff der "eigenen Angelegenheiten" der Religionsgemeinschaften ist Bestandteil einer Norm des staatlichen Verfassungsrechts. Über die Auslegung dieser Norm können die Religionsgemeinschaften folglich ebensowenig entscheiden wie über die Auslegung jedes anderen Verfassungbegriffs. 41 Die Verfassungsinterpretation hat sich mithin nicht nach einem (welchem?) kirchlichen Selbstverständnis zu richten, sondern die Auslegung der Verfassung hat im Gegenteil umfassend die diesem Selbstverständnis entgegenstehenden Rechte Dritter, vor allem Grundrechte, nach Maßgabe des Art. 137 Abs.3 WRV mit den kirchlichen Interessen in Ausgleich zu bringen. Aus dieser Feststellung folgt denknotwendig, daß Art. 137 Abs.3 WRV i.V.m. 140 GG und das darin verbürgte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften wie jedes andere Verfassungsrecht allein aus einem staatlich-neutralen Verständnis heraus begriffen werden kann. Genau in diesem Sinne "hat der religiös-neutrale Staat grundsätzlich verfassungsrechtliche Begriffe nach neutralen, allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten zu interpretieren. ,,42 Die isolierte Heranziehung des Selbstverständnisses der Religionsgesellschaften bei der Auslegung der eigenen Angelegenheiten des Art. 137 Abs.3 WRV i.V.m. 140 GG kann aus diesem Grund als verfassungsrechtliche Auslegungsmethode nicht überzeugen und ist daher abzulehnen. Das kirchliche Eigenverständnis kann nicht als Ersatz an die Stelle des staatlichen Verfassungsverständnisses treten. Es kann vielmehr nur dann entscheidungserheblich werden, wenn nicht andere höherwertige Verfassungsgüter entgegenstehen. 43 Das kirchliche Selbstverständnis ersetzt keine verfassungsrechtliche Auslegungsmethode, sondern dieses Selbstverständnis ist als eine Voraussetzung für jede kirchliche Selbstbestimmung durch Art.l37 Abs.3 S.l WRV mitgeschützt. Sofern kein Konsens von Staat und Kirche über die Reichweite ihrer eigenen Angelegenheiten besteht, hat nicht etwa das staatliche Verfassungsverständnis44 , sondern das kirchliche Selbstverständnis zurückzustehen.

41 42 43 44 3"

Vgl. Jurina, Rechtsstatus, 61 f. BVerfGE 24, 236, 246 f. Vgl. Obermayer, ZevKR 27 (1982), 266 f. So jedoch Hesse in: HdbStKR Bd.l, 2. Auf). 1994,543.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen 2. Eigene Lösung

Wenn nicht auf die Definition der "eigenen Angelegenheiten" überhaupt verzichtet werden solI, so muß man nach materielIen Kriterien suchen, die eine objektivierbare Entscheidung darüber ermöglichen, wie die den ReligionsgeselIsc haften vorbehaltenen Angelegenheiten gegenüber staatlichen Zugriffen auf diesen Bereich abzugrenzen sind. An konstruktiven Vorschlägen für eine solche Abgrenzung fehlt es keineswegs. So solI den ReligionsgeselIschaften nach einer älteren Formulierung von H. Quaritsch als eigene Angelegenheit "jener dem neuzeitlichen Staat fremde Bereich" zuzuweisen sein, der "nach Inhalt und Wesen vom Bekenntnis durchwaltet" ist und seine "Gestalt durch den VolIzug des überirdischen Auftrags"45 der Kirchen gewinnt. Diese Formulierung erscheint heute anachronistisch und ist wohl weder präzise genug noch auch nur annähernd justitiabel, um als Lösung der vorliegenden Aufgabe der Verfassungsinterpretation einen ernstzunehmenden Beitrag leisten zu können. 46 Doch ist darin immerhin eine positive Grundidee enthalten: Die Abgrenzung der Kompetenzen von Staat und Kirche muß sich an der Kompetenzordnung47 der Verfassung orientieren. Nach der dem Art. 137 Abs.3 WRV zugrunde liegenden VorstelIung ist einerseits die Bekenntnis- und Religionshoheit grundsätzlich ebenso aus der staatlichen Regelungs- und Entscheidungsgewalt ausgegliedert wie andererseits die staatliche Regelungs- und Entscheidungsgewalt durch das Grundgesetz auf weltliche Angelegenheiten begrenzt wird. 48 Die Verfassung unterscheidet also zwischen staatlichen und kirchlichen Angelegenheiten. Deshalb ist bei der Zuordnung der jeweils in Frage stehenden Materie danach zu fragen, ob ein Bezug zur Wahrnehmung staatlicher Aufgaben oder ein Bezug zu kirchlich-religiösen Belangen, d.h. hier konkret zur Freiheit der kolIektiven Religionsausübung, besteht. Eine eigene Angelegenheit der Kirchen liegt daher zweifelsfrei dann vor, wenn es sich um die Wahrnehmung kirchlichreligiöser Aufgaben handelt. In den nicht seltenen Fällen der Überschneidung von staatlichen und religiösen Gegenständen ist - sofern es sich nicht um eine

45 Quaritsch, Der Staat 1 (1962), 295; die Definition wird übernommen von lurina,Rechtsstatus, 62. 46 Das Zitat aus dem Aufsatz von Quaritsch, Der Staat 1 (1962), 295, ist zudem einem Passus entnommen, der die abzulehnende sog. Bereichslehre entwickelt (vgl. dazu ausführlicher unten). 47 Zum Problem vgl. auch Schambeck, Rechtstheorie 16 (1985), 163 ff. 48 Vgl. Emst-Wolfgang Böckenförde, Staat - Gesellschaft - Kirche, 43.

A. Kirchenmitgliedschaft und Art. 140 GG i.V.m. 137 III I WRV

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gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche handelt - eine Abwägung zwischen den staatlichen und den kirchlich-religiösen Belangen erforderlich, um eine zweifelsfreie Zuordnung im konkreten Einzelfall zu ermöglichen, wobei in eine solche Abwägungsentscheidung neben den Interessen der Allgemeinheit auch die vom Staat zu schützenden entgegenstehenden Rechte Dritter einzubeziehen sind. Nur und allein in diesem begrenzten Sinn hat sich der Staat denn auch auf die staatlichen, "die jeweils betroffenen Religionsgemeinschaften auf die geistlichen Kompetenzen und Maßstäbe zu beschränken."49

3. Mitgliedschaftsrecht - eigene Angelegenheit der Kirchen?

In dieser Weise ist nunmehr auch das kirchliche Mitgliedschaftsrecht zu beurteilen. Bei der Regelung der Frage, wer nach innerkirchlichem Recht Mitglied der Kirche sein soll, ist kein Bezug zur Wahrnehmung staatlicher Aufgaben zu erkennen. Es handelt sich daher ersichtlich nicht um eine staatliche, sondern um eine eigene Angelegenheit der Kirchen, wenn und so~eit die innerkirchliche Wirksamkeit der Mitgliedsregelung in Rede steht. Insofern besteht weitgehendes Einvernehmen in Rechtsprechung und Literatur. Irritationen entstehen jedoch dann, wenn das staatliche Recht an kirchliches Recht unmittelbar anknüpft. In diesem Fall geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Kirchenmitgliedschaft nach kirchlichem Recht staatskirchenrechtliche Anerkennung finden kann. Es mag zunächst zweifelhaft erscheinen, staatlich sanktioniertes kirchliches Mitgliedschaftsrecht als eigene Angelegenheit der Kirche zu begreifen. Eben dies ist allerdings unbedingt notwendig, wenn man nicht den Fehler begehen will, das Mitgliedschaftsrecht in zwei unterschiedliche Rechtsverhältnisse, nämlich eine Mitgliedschaft nach kirchlichem Recht und eine Mitgliedschaft nach staatlichem Recht, zu spalten. so Das Mitgliedschaftsrecht kann also nicht dadurch zu einer staatlichen

49 Martin Heckei, Festschrift für P. Lerche, 213, 227; ders., JZ 1994,425,426 f. Martin Heckel sieht in dieser von ihm vorgeschlagenen "Maßstabsregelung" den "Schlüs-

sel zur Lösung der komplizierten staatskirchenrechtlichen Spezialprobleme in aUen Sondergebieten des Staatskirchenrechts" (ders. in: Festschrift für P. Lerche, 227). Diese ein wenig konturenarme "Maßstabsregel" durchzieht fast das gesamte Werk von Martin Heckei, so bereits in Staat - Kirche - Kunst, 8, 10, 173 ff. Gerade in dem extrem umstrittenen Bereich des Art.137 Abs.3 WR V hat dieser Ansatz nur einen geringen heuristischen Wert. SO Gegen Pirson, Festschrift für E. Ruppel, 296.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Angelegenheit werden, daß der Staat die kirchliche Regelung als auch für sich verbindlich akzeptiert (es fehlt im übrigen auch an einem erkennbaren staatlichen Interesse an der Statuierung eines staatlichen Kirchenmitgliedschaftsrechts). Der Staat macht sich in der Bezugnahme auf kirchliches Recht vielmehr die eigenverantwortliche Regelung der Religionsgesellschaften zueigen und erkennt sie als Regelung der "eigenen Angelegenheiten" auch für den staatlichen Bereich an, soweit sich das Mitgliedschaftsrecht innerhalb der Schranken des "für alle geltenden Gesetzes" hält. An der Einordnung des Mitgliedschaftsrechts als eigene Angelegenheit vermag diese Regelungstechnik nichts zu ändern. Damit ist festgestellt, daß das Mitgliedschaftsrecht der Religionsgesellschaften zu den "eigenen Angelegenheiten" der Kirchen gern. Art. 140 GGI 137 Abs. 3 WRV zu zählen ist, die diese nach ihrem jeweiligen theologischen Selbstverständnis regeln können. 51

III. "Innerhalb der Schranken des rDr alle geltenden Gesetzes"52 Mit der Zuordnung des Kirchenmitgliedschaftsrechts zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen ist jedoch noch keine Entscheidung über die verfassungsrechtlichen Grenzen der kirchlichen Rechtsetzung auf dem Gebiet des Kirchenmitgliedschaftsrechts getroffen worden. Die Reichweite der Geltung der Schrankenklausel des Art. 140 GGI 137 Abs.3 S.l WRV für den Bereich des Kirchenmitgliedschaftsrechts wird nicht einheitlich beantwortet. Die im Schrifttum zu findende Fragestellung53 , ob die Kirchen in der Regelung des Kirchenmitgliedschaftsrechts beschränkt oder gar völlig frei sind54, läßt sich nur aufgrund

51 Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 140/137 WRV, Rdnr. 43. 52 Zum folgenden vgl. Wemer Weber, Festschrift für E.-R. Huber, 181 ff.; Hering, Festschrift für R. Jahrreiß, 87 ff.; vgl. zum Diskussionsstand der Weimarer Zeit die Erlanger Dissertation aus dem Jahr 1929 von Scheuer (Lit.). 53 Vgl. z.B. Bäcker, Kirchenmitgliedschaft, 6 ff. 54 Die These vollkommener kirchlicher Gestaltungsfreiheit im Bereich des Mitgliedschaftsrechts wird zumeist mit einer These von Pirson in seinem Aufsatz "Kirchliches Recht in der weltlichen Rechtsordnung" (Festschrift für E. Ruppel, 277, 294) in Verbindung gebracht. Doch h.mdelt es sich dabei eher um ein Mißverständnis. Pirson hat in dem genannten Aufsatz seine These einer kirchlichen und einer staatlichen Mitgliedschaft als zweier unterschiedlicher Rechtsverhältnisse begründet (a.a.O., 296). Nur für die erstere - dies ergibt sich aus dem Zusammenhang der Äußerung - wird kirchliche Gestaltungsfreiheit in Anspruch genommen. Dies nimmt der These Pirsons vieles von

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einer exakten Bestimmung der Schranken kirchlicher Selbstbestimmung im Bereich der sog. eigenen Angelegenheiten des Art. 140 GG 1137 Abs. 3 S.l WRV beantworten.

1. Die Interpretation der Schrankenklausel des Art. 137 Abs. 3 S.l WRV in der staatskirchenrechtIichen Diskussion

Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften nach Art. 137 Abs. 3 S.l WRV/140 GG ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Aus dem 2. Halbsatz ergibt sich als Schranke des religionsgesellschaftlichen Selbstbestimmungsrechts das "für alle geltende Gesetz", eine Schranke, die äußerlich in Formulierung und Regelungstechnik der Schrankenklausel des Art. 5 Abs. 2 GG entspricht. Hier wie dort geht es dem Verfassungsgeber um eine wechselseitige Optimierung der einander widerstreitenden Verfassungsgüter. Art. 137 Abs. 3 S.l WRV 1 140 GG soll die Unabhängigkeit der Religionsgesellschaften garantieren und diese in Einklang mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaß an staatlicher Regelung des Rechts der Religionsgesellschaften bringen. Die Auslegung dieser Schrankenklausel hat bereits den unterschiedlichsten Deutungsversuchen in der Literatur widerstanden und stellt die staatskirchenrechtliche Lehre immer noch vor erhebliche Schwierigkeiten. Das umfangreiche Schrifttum reicht bis in die Weimarer Zeit zurück. Nach einer berühmt gewordenen Formulierung von Johannes Heckel soll das "für alle geltende Gesetz" jedes "für die Gesamtnation als politische Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz" sein. 55 Diese Formel wurde zunächst auch von der Rechtsprechung aufgenommen 56 , hat sich allerdings insgesamt nicht durchsetzen können. Im wesentlichen spricht gegen diese sog. HeckeIsche Formel, daß sich unter Berufung auf staatliche Notwendigkeiten nahezu jeder staatliche Eingriff rechtfertigen läßt, wie die einschlägigen Gesetze nach 1933 im übrigen auch gezeigt haben. Außerdem zeigt die unbestrittene Geltung von wichtigen einfachgesetzlichen (z.B. polizei- oder bauordnungsrechtlichen) Normen deutlich, daß die Beihrer vermeintlichen Radikalität und rückt diese Äußerung eher in die Nähe der sog. Bereichslehre (s.u.). 55 Johannes Heckei, VerwArch 37 (1932), 284 = ders., Gesammelte Aufsätze (1964), 590-593. 56 BGH Urt. v. 17.12.1956 - III ZR 89/55 = BGHZ 22,387,388.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

deutung eines Gesetzes für den Gesamtstaat kaum ein tauglicher Maßstab für dessen allgemeine Geltung sein kann. Auch verfassungstheoretisch erscheint die Formulierung nicht tragfähig: Schrankensetzende Funktion kommt nach der neueren Verfassungsdogmatik schließlich nicht nur den Interessen der Allgemeinheit ("Gesamtnation"!) zu, sondern auch entgegenstehenden individuellen Grundrechten Dritter. 57 Die Heckeische Formel wird den Anforderungen der modernen Verfassungsrechtsdogmatik daher nicht gerecht. Sie kann aus heutiger Sicht die Schrankenklausel des Art. 137 Abs.3 S.l WRV nicht befriedigend erklären und ist deshalb abzulehnen. Außerordentlich fragwürdig ist auch ein weiterer Lösungsversuch, der in der Literatur zahlreiche Anhänger gefunden hat und zumeist als "Bereichslehre"58 bezeichnet wird. Diese Ansicht hat vor allem in der Rechtsprechung des Bundesverfasssungsgerichts 59 große Bedeutung erlangt. Die von der Bereichslehre durchgeführte Trennung zwischen einem geistlichen und einem weltlichen Rechtsbereich geht auf die überkommene Unterscheidung zwischen "ius in sacra" und "ius circa sacra" zurück. 60 Nach der Bereichslehre soll innerhalb des Kreises der eigenen Angelegenheiten des Art. 137 Abs. 3 S.l WRV/ 140 GG wiederum unterschieden werden zwischen nur innerkirchlichen Maßnahmen ohne unmittelbare Rechtswirkung für den "weltlichen Rechtsbereich" sowie andererseits kirchlichen Maßnahmen, die den nur-geistlichen Bereich über-

57 Nach der berühmten Formulierung in BVerfGE 28, 243, 261 (Besch!. v. 26.5.1970 - I BvR 83, 244, 345/ 69) sind "kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte ... mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen." Vg!. ferner u.a. BVerfG Besch!. v. 19.10.71 - 1 BvR 387/65 = BVerfGE 32, 98, 108; Besch!. v. 8.2.77 -1 BvR 329/71 -,217,2237/73,199,217/74 = BVerfGE44, 37, 50; zum Problem vg!. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 72, 317 ff.; Alexy, Grundrechte, 107 f. 58 Vg!. zur "Bereichslehre" die grundlegenden Äußerungen von Hennann Weber, Grundprobleme, 43 ff.; ders., NJW 1983, 2541, 2551 f.; ders. in: HdbStKR Bd.l, 2. Aufl. 1994, 573, 575 f. 59 BVerfGE 18, 385, 387 f.; 42, 312, 334, 72, 278, 289; vg!. BVerwGE 87, 115, 125. 60 Vg!. Quaritsch, Der Staat 1 (1962),289,295 Fn.91; ferner Martin Heckel, Art. "ius circa sacra", EvStL, 3. Auflage 1987, 1408 ff.

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schreiten und Auswirkungen au~ den "weltlich-rechtlichen" Bereich haben. 61 Es wird damit zwischen einem Innen- und einem Außenbereich der eigenen Angelegenheiten unterschieden. Innerkirchlich sollen die Religionsgesellschaften dabei frei von jeder Bindung an staatliches Recht sein62 und nur außerhalb des innerkirchlichen Rechtskreises soll die Schrankenklausel des Art. 137 Abs.3 S.l WRVI 140 GG eingreifen. Die Bereichslehre hat auch und gerade für das Kirchenmitgliedschaftsrecht Bedeutung erlangt. Für das Kirchenmitgliedschaftsrecht wird auf der Grundlage der Bereichslehre die Ansicht vertreten, daß die Kirchen in der Ausgestaltung ihres Mitgliedschaftsrechts überhaupt keinen rechtlichen Bindungen unterliegen 63 , oder es wird zumindest für ein nur innerkirchlich wirkendes Mitgliedschaftsrecht die Bindung an die für alle geltenden Gesetze abgelehnt. 64 Die Interpretation der Schrankenklausel durch die Bereichslehre ist in der Literatur in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt worden. 65 Gegen die Bereichslehre bestehen im wesentlichen folgende Bedenken: Eine exakte Bereichstrennung ist nicht möglich, weil kirchliche Maßnahmen kaum einmal nur innerkirchliche Wirkung haben. 66 Dies gilt nun gerade für das Kirchenmitgliedschaftsrecht, das ein klassisches Beispiel für die Ausstrahlung kirchlichen Rechts in die staatliche Rechtsordnung darstellt. Die Exemtion der kirchlichen Angelegenheiten aus der staatlichen Rechtsordnung und die damit verbundene Freistellung von gesetzlichen Bindungen im

61 BVerfGE 18, 385, 387 f.; 42, 312, >34; 72, 278, 289; Quaritsch, Der Staat 1 (1962), 294 f.; Pirson, Festschrift für E. Ruppel, 306; Hermann Weber, Grundprobleme, 45; ders., HdbStKR Bd.l, 2. Aufl. 1994,575 f.; Badura, Schutz von Religion und Weltanschauung, 77. 62 So wörtlich BVerfGE 72, 278, 289: "Bei rein innerkirchlichen Angelegenheiten kann ein staatliches Gesetz für die Kirche überhaupt keine Schranke ihres Handeins bilden." (!) Ähnlich die Formulierung bei Hermann Weber in: HdbStKR Bd. I, 2. Aufl. 1994, 573, 576. 63 Pirson, Festschrift für E. Ruppel, 294. 64 Bäcker, Kirchenmitgliedschaft, 8 f.; vom Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 30,415 (422) ausdrücklich offengelassen. 65 Jurina, Rechtsstatus, 45 ff.; Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 128; Ehlers, ZevKR 27 (1982), 282 f.; ders., JuS 1989,364, 368 f.; Wieland, Der Staat 25 (1986), 328 f.; Kästner, Staatliche Justizhoheit, 85 ff.; Martin Heckei, Festschrift für P. Lerche, 220 ff.; Hesse in: HdbStKR Bd.l, 2. Aufl. 1994, 521, 529 f. 66 Martin Heckei, Festschrift für P. Lerche, 221.

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innerkirchlichen Bereich verstößt auch eklatant gegen den insofern eindeutigen Wortlaut des Art. 137 Abs.3 S.I WRV, der weder einen Innen- und Außenbereich der eigenen Angelegenheiten kennt noch die Erstreckung der Schrankenklausel im Sinne der Bereichslehre unterscheidet, sondern im Gegenteil gerade die uneingeschränkte Geltung der Schrankenklausel festgelegt hat. Schließlich überzeugt die Freistellung der Religionsgesellschaften von der Bindung an staatliche Gesetze im Innenbereich kaum, weil selbst im innersten Bereich der religiösen Selbstbestimmung, so z.B. in der Sakramentenverwaltung, mindestens eine Bindung an die Strafgesetze des Staates besteht. 67 Die Geltung der allgemeinen Gesetze wird von der sog. Bereichslehre gegen den ausdrücklichen Verfassungstext teilweise, nämlich für den sog. Innenbereich, schlichtweg außer Kraft gesetzt. Aus diesem Grund ist die Bereichslehre abzulehnen. Der Bereichslehre kommt eine andere Auffassung nahe, weIche die kirchliche Rechtsetzungsbefugnis auf die "Autonomie" der Kirchen zurückführt, die aus dem Status der Kirchen als öffentlich-rechtliche Körperschaft gern. Art. 137 Abs.5 WRV/ 140 GG abgeleitet wird. 68 Diese Auffassung erlangt Bedeutung für die Auslegung der Schrankenklausel des Art. 137 Abs.3 S.I WRV dadurch, daß zwischen "eigenständigem" (Art. 140 GG/ 137 Abs.3 WRV) und "autonomem" (Art. 140 GG/ 137 Abs.5 WRV) Kirchenrecht unterschieden wird und eine weitgehend reduzierte Kontrollbefugnis staatlicher Gerichte im Bereich des eigenständigen Kirchenrechts, also im Bereich der eigenen Angelegenheiten der Religionsgesellschaften angenommen wird. 69 Diese Ansicht vermag zwar in sich schlüssig den Geltungsanspruch kirchenrechtlicher Normen für die staatliche Rechtsordnung aus einer originären, nicht vom Staat abgeleiteten autonomen Rechtsetzungsgewalt zu erklären70 , denn der Korporationsstatus ver-

67 Ehlers, ZevKR 27 (1982), 284. Beachtlich ist jedoch immerhin der Vorschlag von Schlaich, Neutralität, 177 Anm. 215, das "forum internum" über Art. 19 Abs.2 GG als unantastbaren Wesensgehalt der Kirchenfreiheit zu schützen. Dies scheitert a\lerdings daran, daß die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG nur auf Grundrechte anwendbar ist. 68 Axel v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 95 ff., 139 f.; ders., AöR 112 (1987), 623,627; ders. in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 140 GG /137 WRV Rdnr. 175. 69 Axel v. Campenhausen, a.a.O., Art. 140/137 WRV Rdnr. 231 f., 236. 70 Die schon staatsrechtlich fragwürdige Ansicht, daß den Kirchen eine originäre Eigenrechtsmacht (vgl. zuletzt Martin Heckel, JZ 1994,425,426: "Die Rechtsgewalt der Kirchen ... fußt originär auf ihrem theologischen Fundament") zukommt, stellt auch die evangelische Kirchenrechtstheorie vor erhebliche konstruktive Probleme. Anders als etwa die Begründung des kanonischen Rechts durch die kanonistische Lehre von der "societas perfecta" ist die Eigenart des evangelischen Kirchenrechts nicht darin begründet, daß die

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mittelt die Befugnis, öffentlich-rechtliche Gestaltungsformen zu nutzen 71. Andererseits gerät dieser Erklärungsversuch zumindest im Ergebnis unversehens in die Nähe der Bereichslehre, weil nun eine Unterscheidung zwischen "autonomem" kirchlichem Recht (mit Wirkung für die staatliche Rechtsordnung) und "eigenständigen" kirchlichen Rechtsnormen (mit nur innerkirchlicher Wirkung) erforderlich ist. 72 Außerdem ist zu fragen, ob der mißverständliche Begriff der kirchlichen "Autonomie"73 logisch zwingend die Geltung für das staatliche Recht zu begründen vermag. Kennzeichen des autonom erlassenen Rechts im staatlichen Bereich (kommunale Selbstverwaltung, Vereinsautonomie, Hochschulen) ist gerade, daß die Geltung auf den Innenbereich des korporativen Verbandes beschränkt bleibt. Deshalb ist es nicht schlüssig, wenn ausgerechnet durch den Begriff "Autonomie" das Hinausgreifen des Kirchenrechts über das innerkirchliche Recht hinaus in die staatliche Rechtsordnung begründet werden soll.1 4 Die Reichweite der eigenen Angelegenheiten nach Art. 137 Abs. 3 S.l WRV wird jedenfalls nicht durch den Körperschaftsstatus der Kirchen nach Art. 137 Abs. 5 WRV erweitert.1 5 Die inhaltliche Nähe zu der sog. Bereichslehre zeigt sich vollends in der Feststellung, daß die Staatsgewalt "im Hinblick auf diesen selbstbestimmten

Kirche ekklesiologisch als "souveräner Verband" mit originärer "Eigenrechtssetzungsmacht" verstanden wird. Für eine solche These existiert im evangelischen Bereich keine theologische Grundlage, vgl. dazu auch Schlaich, ZevKR 28 (I983), 337, 343. 71 Kästner, Staatliche Justizhoheit, 119; Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldtl Klein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 175 (dort allerdings mit problematischer Bezugnahme auf die "Autonomie" der Kirchen). 72 Pirson, ZevKR 38 (I993), 377. 73 Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 176. Mit dem Begriff "Autonomie" werden in der Literatur die unterschiedlichsten Sachverhalte bezeichnet, vgl. z. B. Grethlein, ZevKR 24 (I979), 271-315; Scheuner, Gestaltung und Grenzen kirchlicher Autonomie, 1 ff.; Sauter, 34 ff.; Axel v. Campenhausen in: Festschrift für G. ehr. v. Unruh, 977-990 (= ders., Ges. Schriften, 56 ff.). Die juristische Verwendung dieses Begriffs geht wohl auf die Erfahrungen des Kirchenkampfes und die Vorarbeiten der Dialektischen Theologie zurück und soll die kirchliche Rechtsetzung von der "ganz anders gearteten" staatlichen Rechtsetzung abgrenzen; dies ist theologisch verständlich, hat aber die staatskirchenrechtliche Diskussion der letzten Jahrzehnte eher behindert (vgl. auch Schlaich, ZevKR 28 (I983), 337, 344). 74 Pirson, ZevKR 38 (1993), 376 f.; nach Schlaich, ZevKR 28 (I983), 337, 346, bedarf die These von der kirchlichen "Eigenständigkeit als vorstaatlicher, originärer, vom Staat bloß anerkannter Rechtsetzungsfreiheit ... einer gewissen Relativierung." 75 Ehlers, ZevKR 32 (1987), 165.

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Bereich der Autonomie nicht tätig werden" dürfe.1 6 Hierin tritt deutlich die Gefahr des Autonomiebegriffs und der mit ihm verbundenen Konnotationen des allgemeinen Verwaltungsrechts zutage: Im staatlichen Bereich verleiht der Staat die Autonomie als derivative Staatsgewalt mit der Folge, daß der Gesetzgeber seinen Regelungszugriff auf den autonomen Bereich des Selbstverwaltungsträgers aufgibt. Die mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Körperschaften nehmen unter Aufsicht des Staates Staataufgaben wahr. Als Ausgleich dafür behält sich der Staat die Rechtsaufsicht vor. 77 Im Gegensatz zu den genannten öffentlich-rechtlichen Körperschaften des staatlichen Rechtskreises soll die kirchliche Eigengewalt jedoch gerade originär und nicht vom Staat abgeleitet zu verstehen sein. Die Kirchen unterliegen zudem keineswegs irgendeiner staatlichen Kirchenhoheit. 78 Ebensowenig kann andererseits von einem "autonomem", hoheitlichen Eingriffen des Staates entzogenen Bereich kirchlicher Selbstbestimmung die Rede sein, der zudem in Art. 137 Abs.3 S.l WRV überhaupt keinen Rückhalt hat. Der Autonomiebegriff birgt jedenfalls die Gefahr einer unzulässigen Gleichsetzung mit sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des allgemeinen Verwaltungsrechts. Es ist daher mißverständlich, die "Autonomie" der religiösen Verbände zum Angelpunkt der Kompetenzabgrenzung von Staat und Kirche zu wählen, weil die eigenständige spezifische staatskirchenrechtliche Stellung der Kirchen in der Religions verfassung des Grundgesetzes dabei nicht hinreichend zum Ausdruck kommt. 79 Auch erscheint es angesichts der durch den Körperschaftsstatus der Kirchen gern. Art. 137 Abs. 5 WRV verursachten Spannungen innerhalb des staatskirchenrechtlichen Systems 80 bedenklich, die Legitimation des Kirchen-

76 Badura, Staatsrecht, L 46/ S. 607; kritisch Ehlers, ZevKR 38 (1993), 380. 77 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 491; Achterberg , Allgemeines VerwaItungsrecht, § 11 Rdnr. 1 ff.; kritisch zur Verwendung des Autonomiebegriffs im Staatskirchenrecht auch Hesse in: HdbStKR Bd.l, 2. Auf!. 1994, 521 Fn.l. 78 Die Problematik des Körperschaftsbegriffs zeigt sich u.a. in der Korrelatentheorie der Weimarer Zeit. Zur Unterscheidung von staatlich verliehener und kirchlicher Autonomie vgl. Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, 72. 79 Gegen Schlaich, Neutralität, 167, der die Unterscheidung zwischen kirchlicher und "allgemeiner" Autonomie aufheben will zugunsten eines umfassenden Autonomiebegriffs. Die von Schlaich vorgeschlagene Definition der Autonomie als "Freiheitlichkeit im Sinne der Eigengesetzlichkeit und Eigenständigkeit des Sachbereichs, der jeweils eigenen Rationalität" schafft in ihrer Unverbindlichkeit eher neue Probleme. 80 Vgl. dazu Schmidt-Eichstaedt (Lit.). .

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rechts ausgerechnet auf den Körperschaftsstatus zu gründen.B 1 Die Unterscheidung von autonomem und sonstigem Kirchenrecht führt im übrigen in die Nähe der sog. Bereichslehre 82 und weist die entsprechenden, bereits dort benannten Mängel in gleicher Weise auf. Die Verwendung des Begriffs der Autonomie im Staatskirchenrecht ist mit der allgemeinen Bedeutung des Begriffs nicht vereinbar.B 3 Die Bezeichnung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts als "Autonomie der Kirchen" ist daher kritisch zu hinterfragen; als Grundlage für eine Neuinterpretation der umstrittenen Schrankenklausel des Art. 137 Abs.3 S. I WRV überwiegen jedenfalls die Gefahren, die in der Verwendung des Autonomiegedankens liegen, deren praktischen Nutzen um ein vielfaches. Nur wenig mehr zum Verständnis der Schrankenklausel des Art. 137 Abs.3 S.I WRV trägt die neuere Formulierung des BVerfG im bremischen Mandatsstreit bei, wonach Schrankengesetze all jene Gesetze seien, "die für jede Religionsgesellschaft dieselbe Bedeutung haben wie für den Jedermann."84 Diese sog. Sonderrechtstheorie ist bereits in der Literatur der Weimarer Zeit vertreten worden. 85 Zu Recht wurde schon damals unter Hinweis auf bestehende Sondergesetze darauf hingewiesen, daß der Erlaß von Gesetzen, die sich ausschließlich gegen Religionsgesellschaften oder einzelne von ihnen richten, keineswegs unzulässig ist. Zahlreiche Gesetze, so die Kirchenaustrittsgesetze der Länder, die Friedhofsgesetze, die Regelung der Zivilehe u.a.m. treffen die Kirchen gezielt und erheblich härter als den "Jedermann", ohne daß heute noch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser einzelnen Gesetze bestehen. 86 Die vom BVerfG im bremischen Mandatsstreit gewählte Lösung kann für die Auslegung des Art. 137 Abs. 3 WRV / 140 GG deshalb nicht überzeugen.

81 Kritik an einer derartigen Überschätzung des Art. 137 Abs.5 WRV übt auch Kästner, Staatliche lustizhoheit, 118 ff., 140 ff. 82 Pirson, ZevKR 38 (1993), 377 ff. 83 Vgl. Hesse in: HdbStKR Bd.l, 2. Auf!. 1994,521 Fn.l. 84 BVerfGE 42,312,334. 85 Vgl. Anschütz, Verfassung des Deutschen Reiches, 636. 86 Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 129; Kritik an der "ledermann"-Formel üben auch Hesse in: HdbStKR Bd.l, 2. Auflage 1994, 555 Fn.112; Wieland, Der Staat 25 (1986), 331; Hollerbach in: HdbStR Bd. VI (1989), § 138 Rdnr.l18; Obermayer, ZevKR 27 (1982), 266 ("orakelhafte Feststellung"); Ehlers, ZevKR 32 (1987), 169.

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Tatsächlich hat das BVerfG später in der St. Marien-Entscheidung87 weniger die Geltung für den "Jedennann" als vielmehr die Notwendigkeit einer Güterabwägung in den Mittelpunkt der Verfassungsinterpretation gestellt. Das BVerfG stellt fest, "daß über die fonnalen Maßstäbe des »für alle geltenden Gesetzes« hinaus sich je nach der Gewichtung der Berührungspunkte staatlicher und kirchlicher Ordnung für die staatliche Rechtsetzungsbefugnis bestimmte materielle Grenzen ergeben."gg Das Gericht sucht in dieser Entscheidung nur noch am Rande nach einem formalen Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob ein "für alle geltendes Gesetz" vorliegt. Die Entscheidung zieht vielmehr eine materielle Grenze, deren Kernargument die ebenfalls aus der Rechtsprechung zu Art. 5 Abs.2 GG bekannte "Wechselwirkung" ist. Im Mittelpunkt steht dabei die - grundsätzlich durchaus sachgerechte - Abwägung zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und dem jeweiligen Schrankenzweck. Außerdem soll bei der Begrenzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts durch ein "für alle geltendes Gesetz" dem "Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht beizumessen"g9 sein. Diese neuere Rechtsprechung des BVerfG fordert zu Widerspruch auf. Die gesamte Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Judikatur zu dieser Zentralnonn des Staatskirchenrechts zeigt deutlich, daß der Versuch, einen fonnalen Maßstab für die allgemeine Geltung eines Gesetzes zu gewinnen, aus Sicht des BVerfG gescheitert ist. 90 Dies hat dazu geführt, das materielle Kriterium der erforderlichen Güterabwägung als Ersatz für das nun offensichtlich fehlende fonnale Kriterium heranzuziehen und die fonnale Ebene zu eliminieren. Die Allgemeinheit eines Gesetzes wird nur noch durch die erforderliche Abwägungsentscheidung hinterfragt; die Schranke des Art. 137 Abs.3 WRV / 140 GG wird auf eine bloße Güterabwägung reduziert. Diese Argumentation kommt der von R. Smend entwickelten Ansicht nahe, daß ein allgemeines Gesetz bereits dann 87 BVerfG - Besch!. v. 25.3.1980 - 2 BvR 208/76 = BVerfGE 53,366. 88 BVerfG, a.a.O., 404. 89 BVerfG a.a.O., 401; Besch!. v. 13.12.83 - 2 BvL 13, 14, 15/82 = BVerfGE 66,

1, 22. Das kirchliche Selbstverständnis wird in besonderer Weise zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts herangezogen, vg!. BVerfG NJW 1986,367, 369. 90 Noch weitgehender ist die Ansicht von Starck in: v. Münch, GG, Art. 4 Rdnr. 79, der feststellt, "die vom Grundgesetz vorgenommene Wertung religiöser Interessen durch Art. 4 Abs.1 und 2" verbiete (!) "ein formales Verständnis des Begriffs »für alle geltendes Gesetz«."

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vorliege, wenn das in dem betreffenden Gesetz geschützte Rechtsgut höherrangig als das eingeschränkte Verfassungs gut ist. 91 Der Gesetzesvorbehalt wird so zur bloßen "Leerformel". Die Prüfung der al1gemeinen Geltung eines Gesetzes entwickelt sich auf diese Weise zu einer ausgedehnten Verhältnismäßigkeitsprüfung bei gleichzeitigem Rationalitätsverlust durch die Aufgabe des formalen Maßstabs für die Prüfung der al1gemeinen Geltung des in Frage stehenden Gesetzes. 92 Dieses Vorgehen ist nun weder verfassungsrechtlich noch rechtsdogmatisch sonderlich überzeugend. Die Fortentwicklung dieser Rechtsprechung hat denn auch zu der zweifelhaften These geführt, daß das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nur noch durch die "Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs.l GG) sowie in dem Begriff der "guten Sitten" (§ 138 Abs.l BGB) und des ordre public (Art. 30 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben"93, eingeschränkt werden könne. Es ist nicht ersichtlich, mit weIcher verfassungsdogmatisch einigermaßen haltbaren Begründung diese Behauptung belegt werden soll. Das BVerfG geht in dieser Entscheidung 94 von der unausgesprochenen Voraussetzung aus, daß dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ein besonderer Verfassungsrang zukommt, der nur Eingriffe zugunsten von Verfassungsgütern von überragender Bedeutung ("dringende Gründe des al1gemeinen Wohls"95) zuließe. Ein derartiger besonders

Smend, VVDStRL 4 (1928), 44 ff., 52 u. Leits. 2 a, 2 b. 92 Mit abweichender Begründung, aber ebenso kritisch zu dieser Entscheidung auch der Verfassungsrichter Geiger, ZevKR 26 (1981), 156, 169 ff., der zu Recht darauf hinweist, daß "bei einer anderen Gewichtung der "Berührungspunkte staatlicher und kirchlicher Ordnung" das Güterabwägungsprinzip auch zu einem ganz anderen Ergebnis für die staatliche Rechtsetzungsbefugnis und die ihr gezogenen materiellen Grenzen hätte führen können ... " (171).In dem St.-Marien-Beschluß (BVerfGE 53, 366) führt das BVerfG im übrigen nicht einmal die dort geforderte Abwägung fehlerlos durch (vgl. Morlok, 436, der völlig zu Recht das Fehlen der notwendigen "Abwägungsfeinarbeit" moniert). 93 BVerfG - Beschl. v. 4.6.1985 - 2 BvR 1703,1718/83,2 BvR 856/84 = BVerfGE 70, 138, 168 = NJW 1986,367,369. Der zitierte ordre public ist jetzt durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts v. 25.7.1986 (BGBI. I, 1142) in Art. 6 EGBGB geregelt. 94 BVerfG, a.a.O. 95 So bereits in der Entscheidung BVerfGE 53, 366, 407; vgl. BVerfGE 70, 138, 168. Vgl. Hollerbach in: HdbStR Bd. VI (1989), § 138 Rdnr. 118, der die Schrankenklausel als "ordre-public-Klausel" bezeichnet. Aufschlußreich ist auch die Begründung von Hollerbach, daß der Staat "wie jeder anderen Rechtsordnung gegenüber" sich nur auf den "ordre public" berufen könne (ebd.). Diese Ausführungen zeigen die Gefahren, 91

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herausgehobener Verfassungsrang gegenüber anderen Verfassungsgütern findet jedenfalls in dieser vom BVerfG behaupteten pauschalen Weise - keinen Rückhalt in der Verfassung. Diese Argumentation birgt zudem die Gefahr, daß die generell notwendige Abwägungsentscheidung im Einzelfall unter dem Hinweis auf den besonderen Verfassungsrang des kirchlichen Selbstbestimmungsrecht in der Sache nicht mehr stattfindet. Die Position der Religionsgesellschaften wird ohne daß dies der Verfassung zu entnehmen ist - bereits so hoch veranschlagt, daß die Entscheidung schon vor Beginn der eigentlichen Abwägung feststeht. 96 Daß dieses Vorgehen noch "bewährten Prinzipien der Verfassungsinterpretation" entspricht, muß jedenfalls bezweifelt werden. 97 2. Kirchliches Selbstverständnis und Schrankenklausel

Bedenklicher noch stimmt allerdings die Aufnahme von zweifelhaften rechtlichen Kategorien wie "kirchliches Eigenverständnis" oder "an die Kirchen zu stellende Erwartungen" in die Argumentation der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Interpretation der Schrankenklausel. Schon in der Entscheidung zum Bremischen Mandatsstreit war das BVerfG zu dem bedenklichen Ergebnis gekommen, daß es für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer kirchenrechtlichen Regelung allein darauf ankomme, "daß die Kirche diese Regelung als von ihrem Selbstverständnis gefordert für nötig hält."98 Das kirchliche Selbstverständnis soll demnach nicht nur für den Gewährleistungs-

die von der Diskussion um Begriffe wie Eigenart, Eigenständigkeit und Autonomie des Kirchenrechts ausgehen. Die Kirchen sind der Staatsgewalt ebenso wie jeder Staatsbürger (aber auch nicht mehr) unterworfen, ohne daß von einer anderen im Sinne einer nicht einschränkungslos an das Grundgesetz gebundenen "Rechtsordnung" überhaupt die Rede sein kann. 96 Hier zeigt sich die Gefahr, die in einem zu pauschalen Abwägungsverständnis liegt. Abwägung kann nicht bedeuten, eine (kardinale oder ordinale) Wertrangordnung herzustellen, bei der die Wertigkeit der abzuwägenden Rechtsgüter von Beginn an feststeht (so aber das BVerfG seit BVerfGE 53, 366). Weil die Abwägung als Ausgleich von konkret vorliegenden Kollisionen fungieren soll, muß die Entscheidung vielmehr in jedem Einzelfall in einer Zuordnung der betroffenen Rechtsgüter neu gesucht werden. Vgl. allgemein zum Problem Bemhard Schlink, Abwägung, 128 ff.; ausführliche Zusammenfassung der Abwägungsproblematik bei Alexy, Grundrechte, 138 ff.; grundlegend und kritisch Emst-Wolfgang Böckenförde, Wertbegründung des Rechts. 97 Gegen Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, 88 und Jürgens, 29; wie hier (wenn auch mit abweichender Begründung) Wieland, Der Staat 25 (1986), 347. 98 BVerfGE 42,312,334.

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bereich, d.h. den Umfang der eigenen Angelegenheiten (s.o.), sondern auch für die verfassungsrechtlichen Grenzen der Schrankenklausel maßgeblich sein. Gerade diese problematische Formulierung hat in der kirchennahen Literatur großen Anklang gefunden. 99 Dies darf jedoch nicht über die Fragwürdigkeit der hier vom BVerfG getroffenen Aussagen hinwegtäuschen. "Kirchliches Eigenverständnis" und "Anforderungen an die Kirchen" sind methodische Kategorien, die feste Konturen vermissen lassen. IOO Außerdem ist es mehr als bedenklich, das Eigenverständnis zweifach - nämlich bei der Definition der eigenen Angelegenheiten und bei der Auslegung der Schrankenklausel - heranzuziehen. IOI Die Kirchen bestimmen, wenn man dieser Rechtsprechung folgt, "qua Selbstverständnis auch über die Einschränkbarkeit ihrer Freiheit" 102 die verfassungsrechtliche Kompetenz-Kompetenz geht auf die Kirchen über. Das BVerfG übersieht offensichtlich den - durchaus denkbaren - Fall, daß dem kirchlichen Eigenverständnis das staatliche Verständnis der Norm entgegenstehen könnte. Die Möglichkeit dieses immerhin nicht theoretischen Kollisionsfalles wird nicht bedacht. In diesem Zusammenhang geht es nur fehl, wenn man die Letztentscheidungskompetenz über das, was zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen zählt, den Kirchen nach deren eigenem Selbstverständnis überläßt und dies auch noch mit der Begründung, eine durch staatliche Gerichte geführte Interpretation laufe "auf einen höchst relativen, einseitig nach Maßgabe der staatlichen Gewalt existierenden Schutz" der Kirchen hinaus. 103 Diese Ansicht verdeckt geradezu, worum es bei dieser Auseinandersetzung eigentlich geht: nämlich um die Frage nach der Kompetenz-Kompetenz, die entweder den Kirchen oder dem Staat zustehen kann. Diese Frage muß ganz eindeutig zugunsten des Staates beantwortet werden, an dessen Entscheidung die

99 Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rdnr. 133, doch gesteht v. Campen hausen durchaus zu, daß dieses "hervorragende" Ergebnis

nicht "über die dogmatischen Schwächen dieser Rechtsprechung hinwegtäuschen" könne (a.a.O., Rdnr. 238). Kritisch zu dieser Entscheidung auch der (damalige) Verfassungsrichter Geiger, ZevKR 26 (1981), 156, 161. 100 Obermayer, ZevKR 27 (1982), 267; über diesen negativen Eindruck kann auch der Interpretationsversuch von Morlok, der in seiner Hagener Habilitationsschrift "Selbstverständnis als Rechtskriterium" (1993) die Berücksichtigung von subjektiven Selbstverständnissen zu systematisieren versucht, insgesamt nicht hinwegtäuschen. 101 Wie land, Der Staat 25 (1986), 321, 336. 102 Morlok, 391 Fn. 68. 103 Geiger, ZevKR 26 (1981), 156, 161. 4 Haß

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Staatsorgane und alle im Staat existierenden Gruppen gebunden sind. 104 Die gegenteilige Ansicht führt dazu, daß die Interpretation der Verfassung denjenigen gesellschaftlichen Gruppen zufällt, die durch die Verfassung nicht nur berechtigt, sondern auch in ihren Rechten eingeschränkt werden, wo diese mit öffentlichen, d.h. staatlichen Interessen kollidieren. Der Vorrang eines interessenübergreifenden Verfassungsverständnisses gegenüber den Interessen einzelner gesellschaftlicher Gruppen ist notwendiges Merkmal jeder religiösweltanschaulich neutralen Staatlichkeit. 105 Schließlich fordert der Grundsatz der demokratischen Volkssouveränität, daß auch die Verfassungsinterpretation keinesfalls einzelnen nicht demokratisch legitimierten gesellschaftlichen Kräften überlassen wird. 106 Zwar kann die Berücksichtigung des "kirchlichen Eigenverständnisses" als Folge der grundrechtlichen Verbürgung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gern. Art. 4 Abs.l GG sowie der Freiheit der Religionsausübung des Art. 4 Abs.2 GG geboten sein. 107 Gerade diese Berufung auf die kollektive Religionsausübungsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG stößt jedoch dann auf evidente Grenzen, wenn die Grundrechtsausübung zu Nachteilen oder Rechtsunsicherheiten für Dritte führt, deren Rechte zu schützen der bekenntnisneutrale Staat in gleichem Maße verpflichtet ist. 108 Die verfassungsmäßige Ordnung sowie die Integrität der Rechte aller Staatsbürger bilden nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung eine selbstverständliche Schranke für die Grund-

104 In dieser Letztentscheidungszuständigkeit des Staates sieht earl Schmitt, Politische Theologie. 11. das Wesen der Souveränität. In dieser Weise ist auch das bekannte Diktum: "Souverän ist. wer über den Ausnahmezustand entscheidet" zu verstehen. Gemeint ist (auch) die Konfliktsituation in der Verfassungsinterpretation. Hierauf weist Werner Böckenförde. Kritik Rudolph Sohms. 177 Fn. 993. völlig zu Recht hin. 105 Vgl. Quaritsch. der sich auf J. Bodin (Livres de la Republique. 1.4, c.7) beruft: "Seit Jean Bodin 1576 die summa potestas dem Monarchen zusprach ...• gehört die Möglichkeit des "letzten Wortes" zum Wesen der (neuzeitlichen) Staatlichkeit" (Der Staat 1. 1962. 298). 106 Vgl. Häberle. Verfassungsinterpretation. 121 ff. Andernfalls löste sich (nach einer Formulierung von Hennann Weber, Religionsgemeinschaften, 36) der Staat "in eine Gewaltenvielzahl auf. in der eine letzte Entscheidung nicht mehr möglich ist." Vgl. hierzu auch Obermayer in: Bonner Kommentar. Art. 140 Rdnr. 85. 107 Dies bestreitet allerdings Wie land. 327, der zu Unrecht die Grundrechtsberechtigung der Kirchen hinsichtlich Art. 4 Abs.l und 2 GG grundsätzlich in Frage gestellt sehen möchte. Diese Forderung steht im Widerspruch zu der gesamten Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs.l und 2 GG. 108 Obennayer. ZevKR 27 (1982). 267.

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rechtsausübung der Religionsgemeinschaften, ohne daß hierbei das "Eigenverständnis der Kirchen" irgendeine hervorgehobene Bedeutung erlangt. Die St. Marien-Entscheidung des BVerfG erweckt hingegen den trügerischen Eindruck, daß das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen besonderen, nicht näher definierten Schranken unterliege lO9 oder noch bedenklicher: daß dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ein besonderer Verfassungsrang zukomme, der nur zugunsten höchstrangiger Verfassungsgüter llO beschränkt werden kann. Die allgemein anerkannten verfassungsimmanenten Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung und der entgegenstehenden Rechte Dritter geraten so aus dem Blick, daß eine Interpretation der Schrankenklausel, die sich an dem Primat eines interessenübergreifenden Verfassungsverständnisses orientiert, erschwert wird. I II Deshalb kann der Auslegung des Art. 137 Abs. 3 S.l WRV in der St. MarienEntscheidung des BVerfG nicht gefolgt werden.

3. Eigene Lösung

Um eine wirklich tragfähige Lösung für diese Problemstellung zu gewinnen, ist auf die Argumentation des Gerichts in der bereits erwähnten "JedermannFormel", die das BVerfG im bremischen Mandatsstreit l12 entwickelt hat, zurückzukommen. Diese Formel hat sich als untauglich im Hinblick auf das Verbot der Sondergesetze erwiesen, sie kann jedoch immerhin als Ausgangspunkt für die Suche nach einem formalen Maßstab für die allgemeine Geltung eines Gesetzes dienen. Wenn man nicht gänzlich auf einen formalen Maßstab verzichten will, bietet sich eine Lösung an, die an die Interpretation der Schrankenklausel des Art. 5 Abs.2 GG anknüpft, wobei die grundlegende Unterscheidung zwischen dem Grundrecht des Art. 5 Abs.l GG und der institutionell gewähr-

109 Vgl. hierzu die eindringliche Warnung des dissentierenden Verfassungsrichters Rottmann (BVerfGE 53, 416 ff.), es gehe in der Entscheidung E 53, 366 "nicht um das verfassungsmäßige Recht der Selbstorganisation der Kirchen, sondern um die Erhaltung eines bisher rechtsfreien Raumes undurchsichtiger Entscheidungs- und Organisationsprozesse einzelner religiöser Vereine um seiner selbst willen." Diese Ansicht wird von Obermayer, ZevKR 27 (1982), 267, zustimmend aufgenommen. 110 So ausdrücklich BVerfGE 70, 138, 168. 111 So kommentiert Wie land, Der Staat 25 (1986), 321, 340, die Entscheidung BVerfGE 70, 138: "Von der Bindung der Religionsgemeinschaften an das für alle geltende Gesetz bleibt kaum etwas, maßgeblich ist primär das kirchliche Selbstverständnis." 112 BVerfGE 42,312,334. 4*

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

leisteten Kirchenfreiheit die natürliche Grenze für eine solche Analogie bildet. Die "Jedennann-Fonnel" greift allerdings zu kurz, weil sie auch jene Gesetze ausschließt, die auf legitime Weise der Besonderheit der Religionsgesellschaften Rechnung tragen und gezielt deren Freiheit einengen sollen wie z.B. die staatlichen Gesetze über den Austritt aus Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts (Problematik der Sondergesetze ). Deshalb muß diese Fonnulierung modifiziert werden, und zwar in dem Sinne, daß das Kriterium der Allgemeinheit eines Gesetzes nicht auf den Träger des Rechtsguts, das Subjekt (Kirche bzw. "Jedennann"), sondern auf das eingeschränkte Rechtsgut, also auf die selbständige Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen, bezogen wird. Als allgemeines Gesetz ist dann zunächst einmal jedes Gesetz anzusehen, das nicht gezielt allein auf die Einschränkung des durch Art. 137 Abs. 3 S.l WRV /140 GG geschützten Rechtsgutes, d.h. konkret gegen die Ausübung der kirchlichen Selbstbestimmung, gerichtet ist. 1I3 Dieser Lösungsansatz berücksichtigt auch das Problem des Verbotes von Sondergesetzen. So sind die Gesetze der Länder über den Austritt aus Religionsgemeinschaften hiernach als "allgemeine Gesetze" anzusehen, da sie nicht primär auf die Einschränkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts abzielen; sondern im religiös und weltanschaulich neutralen Staat die Ausübung der Freiheit, keine Religion zu haben (sog. negative Religionsfreiheit), gewährleisten sollen und nur und allein in diesem Zusammenhang unweigerlich auf kirchliche Rechte einwirken. Mit der Feststellung, daß ein "allgemeines" bzw. ein "für alle geltendes" Gesetz vorliegt, ist im übrigen noch keine abschließende Entscheidung über dessen Verfassungs mäßigkeit getroffen. Das in Art. 137 Abs. 3 WRV geschützte Rechtsgut der kirchlichen Selbstbestimmung ist mit dem jeweiligen Schrankenzweck unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Übennaßverbotes in Ausgleich zu bringen. Für den Fall der Kollision von verfassungsrechtlich geschützten, gegenläufigen Rechtsgütern wird dieser Ausgleich regulär im Wege einer Abwägungsentscheidung vollzogen. 114 Ein Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist daher nur zulässig, soweit es zur Wahrung der

113 Ehlers, ZevKR 27 (1982), 285; ähnlich die Lösung von Bock, 538 ff., der auf der Grundlage der Sonderrechtstheorie zu Art. 5 Abs.2 GG für die Schrankenklausel des Art. 137 Abs.3 Satz 1 WRV in "Verbot des rechtsgutbezogenen Eingriffs" sowie ein "Verbot rechtsgutbezogener Eingriffsvoraussetzungen" entwickelt (542). 114 Vgl. im einzelnen zum Zusammenhang zwischen Abwägung und einer allgemeinen Prinzipien- und Werttheorie die Ausführungen bei Alexy, Grundrechte, 125 ff., 143 ff.

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Integrität staatlicher Interessen sowie zum Schutz der Grundrechtspositionen Dritter unerläßlich ist. Der St. Marien-Entscheidung des BVerfG kann also wenigstens insoweit zugestimmt werden, als der Gesetzgeber der Wechselwirkung von kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Schranken zweck durch eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Güterabwägung Rechnung zu tragen hat. 115 Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist auf diesem Wege mit den widerstreitenden Verfassungsgütern im Wege der praktischen Konkordanz in Übereinstimmung zu bringen. 116 Die somit im Vergleich mit Art. 5 Abs.2 GG gewonnene Lösung verklammert den fonnalen Maßstab und die notwendige inhaltliche Abwägung zu einer einheitlichen Auslegungsmethode, die durchaus Parallellen in der Verfassungsdogmatik aufweist. Dennoch muß dieser Ansatz insofern problematisch bleiben, als der Kreis der allgemeinen Gesetze fonnal immer noch bedenklich weit gezogen wird. Die entscheidende Kontrollebene bleibt deshalb auch bei diesem Lösungsversuch die inhaltliche Güterabwägung im konkreten Einzelfall, die von der fonnalen Ebene sorgsam zu unterscheiden ist. Es handelt sich bei dem Schrankenvorbehalt des Art. 137 Abs. 3 S.l WRV / 140 GG jedoch keineswegs um eine bloße "Leerfonnel". Gezielte Eingriffe des Staates in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften sind nämlich - und dies beweist den eigenständigen Wert einer fonnalen Betrachtung - schon als solche ausgeschlossen, ohne daß es in diesem Fall überhaupt noch auf eine Güterabwägung ankommt. 117

4. Das Mitgliedschaftsrecht innerhalb der Schranken des "für alle geltenden Gesetzes" (Art. 140 GG i.V.m. 137 III 1 WRV)

Das kirchliche Mitgliedschaftsrecht unterliegt als eigene Angelegenheit der Kirchen dem Schrankenvorbehalt des Art. 137 Abs.3 WRV / 140 GG. Wegen des bereits erwähnten rechtlichen Doppelcharakters des Mitgliedschaftsrechts, der sich aus der staatlichen Anknüpfung an innerkirchliches Mitgliedschaftsrecht ergibt, bestehen jedoch bei der Auslegung der Schrankenklausel für das Mitgliedschaftsrecht einige spezifische Probleme. Nach der hier vertretenen

Vgl. Ehlers, ZevKR 27 (1982), 285. Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 18. Auflage 1991, Rdnr. 317 ff. 1I7 Vgl. Wendt in: v. Münch, GG, Art. 5 Rdnr.76, zu der entsprechenden Problematik der Schrankenklausel in Art. 5 Abs.2 GG. 115

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Auffassung unterliegt auch das nur innerkirchlich wirkende Mitgliedschaftsrecht wie jedes andere kirchliche Recht der Schrankenklausel des "für alle geltenden Gesetzes" 118 (dies ergibt sich zwangsläufig aus der Ablehnung einer Unterscheidung zwischen geistlichen und weltlichen Angelegenheiten im Sinne der sog. Bereichslehre). Staatliche Beschränkungen, die sich gegen ein nur innerkirchlich wirkendes Mitgliedschaftsrecht richten, sind aber schon deswegen kaum denkbar, weil das rein innerkirchliche Mitgliedschaftsrecht in der Praxis nur selten mit staatlichen Rechtssätzen kollidieren wird. Selbst wenn ein solcher Kollisionsfall vorliegen sollte, wird die dann erforderliche Güterabwägung im Regelfall den staatlichen Eingriff zugunsten der Kirchenfreiheit ausschließen. Aus diesem Grund ist die Bindung kirchlicher Selbstbestimmung an die Schrankenklausel hinsichtlich der rein innerkirchlichen Rechtsetzung in der Praxis kaum von Bedeutung. Das darf allerdings nicht dazu führen, daß mit der sog. Bereichslehre die Freiheit der Kirchen von jeder Gesetzesbindung im innerkirchlichen "Bereich" behauptet wird. Immerhin sind - wenn auch zunächst nur theoretisch - Kollisionsfalle denkbar, in denen die Abwägung zugunsten der staatlichen Eingriffsbefugnis ausfällt, so z.B. bei einem Verstoß innerkirchlicher Maßnahmen gegen Strafgesetze des Staates. Anders stellt sich jedoch die Lage dar, wenn staatliches Recht unmittelbar an innerkirchliches Mitgliedschaftsrecht anknüpft und die Wirkung des kirchlichen Rechts sich dadurch unmittelbar auf das staatliche Recht ausweitet. Der praktisch bedeutsamste Fall der staatlichen Anknüpfung an das Kirchenmitgliedschaftsrecht ist das Kirchensteuerrecht, das in den Kirchensteuergesetzen der Länder geregelt ist. Hier stellt sich in besonderer Weise die Frage, ob und inwieweit das kirchliche Mitgliedschaftsrecht am staatlichen Recht, vor allem an den Grundrechten, zu messen ist. Diese Fragestellung ist streng zu unterscheiden von der Frage der internen (oder auch innerkirchlichen) Grundrechtsbindung der Kirchen, soweit sie lediglich aufgrund ihrer internen Kirchengewalt gegenüber ihren Mitgliedern tätig

118 Das BVerfG hat diese Frage in BVerfGE 30, 415, 422 ausdrücklich unbeantwortet gelassen.

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werden. Dieser meist unter dem Begriff "Grundrechte in der Kirche"119 erörterte Problemkreis kann hier ausgeklammert werden. 120 Die hier zu stellende Frage wird unter der Bezeichnung "Grundrechtsbindung der Kirchen" verhandelt und betrifft die Frage, ob die Kirchen Grundrechtsadressaten sind. 121 Diese Frage ist, sofern die Kirchen von staatlich verliehenen Hoheitsrechten Gebrauch machen (Friedhofsrecht, Kirchensteuerrecht I22 ), ohne größere Schwierigkeiten zu bejahen. 123 Das Kirchenmitgliedschaftsrecht zählt jedoch nicht zu dieser Fall gruppe , weil das Mitgliedschaftsrecht als eigene Angelegenheit der Kirchen zunächst einmal nur das interne Verhältnis zwischen den Kirchen und ihren Mitgliedern regeln soll. Eine unmittelbare Bindung des Kirchenmitgliedschaftsrechts an den staatlichen Grundrechtskatalog besteht daher mangels Ausübung von staatlicher Hoheitsgewalt nicht. Die Grundrechte erlangen aber für das Kirchenmitgliedschaftsrecht jeweils dort Bedeutung, wo das staatliche Kirchensteuerrecht an das Bestehen der Kirchenmitgliedschaft nach (inner-)kirchlichem Recht anknüpft. Die Länder bzw. die jeweiligen Finanzämter als zuständige Behörden ziehen die Kirchenmitglieder im Auftrag der Kirche zur Kirchensteuer heran. Kirchensteuerpflichtig ist nach staatlichem Recht, wer Mitglied der betreffenden steuererhebenden Kirche ist. 124 Diese Frage beantwortet wiederum das innerkirchliche Mitgliedschaftsrecht. Der Staat überläßt somit indirekt den Kirchen die Definitionsmacht, eine Festlegung nach kirchlichem (Mitgliedschafts-)Recht

119 Vgl. zu dieser Frage Pirson, ZevKR 17 (1972), 358 ff.; Ehnes, ZevKR 34 (1989),382 ff.; Zacher, Festschrift für K. Obermayer, 325 ff.; Aymans, ArchKathKR 149 (1980), 389 ff. 120 Nach zutreffender Ansicht ist die Grundrechtsbindung der Kirchen im Bereich der internen Kirchengewalt abzulehnen; vgl. dazu neben den bereits genannten Autoren Hermann Weber in: HdbStKR Bd. I, 2. Aufl. 1994, 579; Pirson, ZevKR 17 (1972), 358 ff.; Rüfner, Essener Gespräche 7 (1972), 9 ff.; Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldtl Klein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 134. 121 Hennann Weber, a.a.O., 573; Rüfner in: HdbStR Bd. V, 548; vgl. bereits Hesse, Festschrift für W. Weber, 447 ff. 122 Noch ungeklärt ist allerdings die Frage, ob im Fall des Kirchensteuereinzugs ein Beleihungsverhältnis vorliegt, vgl. dazu einerseits Knack-Möllgaard, VwVfG, 3. Aufl. 1989, § 2 Rdnr. 1.2.; andererseits Meyer-Teschendorf, Essener Gespräche 15 (1981),9, 17 ff. 123 So auch Hermann Weber, a.a.O., 573, 579; für das Kirchensteuerrecht: BVerfGE 19,206,215 f.; für das Friedhofsrecht: BVerwGE 25, 264, 269. 124 Vgl. die entsprechenden Bestimmungen der Landeskirchensteuergesetze (Nachweise in Fußnote 1).

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Erster Teil: VerfassungsrechtIiche Grundlagen

zu treffen, wer aufgrund staatlichen Rechts (Landeskirchensteuergesetze) zur Kirchensteuer heranzuziehen ist. Kirchliches Recht und staatliches Recht greifen ineinander und bilden gemeinsam das Kirchensteuerrecht. Bei der Besteuerung wirken Staat und Kirche somit zusammen. 125 Der Staat hat die Durchsetzung der kirchlichen Steuerpflicht durch die Bereitstellung der Mittel des Verwaltungszwangs übernommen und wirkt insofern bei der Besteuerung als einer hoheitlichen Tätigkeit mit den Kirchen zusammen. 126 Das Kirchenmitgliedschaftsrecht bestimmt den Personenkreis der Kirchensteuerschuldner und wird so zur Grundlage des staatlichen Einzugsverfahrens. Bei der Bestimmung des Kreises der Kirchensteuerschuldner machen die Kirchen somit von staatlichen Befugnissen insofern Gebrauch, als der Staat den Kirchen die kirchensteuerrechtliche Aufgabe der Bestimmung des Schuldners überlassen hat. 127 Zieht der Staat Nichtmitglieder zur Kirchensteuer heran, so behandelt er diese gegen deren Willen als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft. Hierin liegt eine Verletzung der Grundrechte des Nichtmitglieds, und zwar - je nach Sachlage eine Verletzung der sog. negativen Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) oder der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs.l GG).128 Es ist dem Staat aus diesem Grunde nach dem Grundgesetz untersagt, Nichtmitglieder der kirchlichen Besteuerung zu unterwerfen. 129 Anderes gilt für die Kirchen: Ihnen ist es prinzipiell nicht verboten, Kirchenmitglieder aufgrund innerkirchlichen Mitgliedschaftsrechts auch gegen deren Willen als Mitglieder zu behandeln (ein Beispiel dafür ist die kirchenrechtliche Unmöglichkeit des Kirchenaustritts nach katholischem Kirchenrecht). Andererseits kann den Kirchen gegenüber Mitgliedern, die in zulässiger Weise von ihrer negativen Religionsfreiheit durch Kirchenaustritt Gebrauch machen wollen, von staatlicher Seite keine hoheitliche Gewalt eingeräumt werden. Es ist dem Staat deshalb untersagt, ein kirchliches Mitgliedschaftsrecht mit Wirkung für das staatliche

125 Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 191. 126 Axel v. Campenhausen, a.a.O., Rdnr. 135 m.w.N. Der Einzug der Kirchensteuer gehört folglich zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirchen, vgl. Busse, 155; Marre in: HdbStKR Bd. 1,2. Aufl. 1994, 1110 f.; Axel v. Campenhausen, a.a.O., Rdnr. 190 f.; vgl. auch BVerfGE 19,206,217 und neuerdings BVerfGE 73,388,399. 127 Axel v. Campenhausen, a.a.O., Rdnr. 135. 128 Dazu ausführlich unten Abschnitt B.I.2. 129 BVerfGE 19, 206 (Leitsatz 3).

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Recht zu übernehmen, das gegen die allgemeinen Gesetze verstößt. Nicht das Kirchenmitgliedschaftsrecht ist deshalb an die staatliche Grundrechte gebunden, sondern die staatliche Anwendung des Kirchenmitgliedschaftsrechts im Kirchensteuereinzugsverfahren unterliegt der Grundrechtsbindung (Art. lAbs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG). In dieser Weise wird die Schrankenklausel des Art. 137 Abs.3 S. I WRV auch für das kirchliche Mitgliedschaftsrecht zur Geltung gebracht. 130 Ein kirchliches Mitgliedschaftsrecht, das gegen geltendes Verfassungsrecht verstößt, darf unabhängig von dieser Frage jedenfalls im staatlichen Bereich nicht angewendet und daher auch nicht zur Grundlage des staatlichen Kirchensteuereinzugsverfahrens gemacht werden. Da insofern ganz allein auf den staatlichen Anwendungsakt abzustellen ist, kann nicht danach unterschieden werden, ob die verfassungswidrige Rechtsnonn, um deren Anwendung es geht, von staatlichen oder von kirchlichen Organen erlassen worden ist. Die Pflicht und die Berechtigung des Staates, ein kirchliches Mitgliedschaftsrecht für den staatlich-weltlichen Bereich anzuerkennen, besteht also nur in den Schranken des "für alle geltenden Gesetzes" gern. Art. 140 GG / 137 Abs. 3 S.l WRV.131 Sofern sich der Staat an der Durchsetzung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts beteiligt (und nur dann!), ist dieses kirchliche Recht somit an den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an hoheitliches Handeln zu stellIen sind, zu messen. Aus diesem Grund sind die Kirchen bei der Gestaltung ihres Mitgliedschaftsrechts jedenfalls insofern zur Respektierung der Grundrechte verpflichtet, falls dieses Mitgliedschaftsrecht Geltung im weltlich-staatlichen Bereich haben soll.132 Verstößt das kirchliche Mitgliedschaftsrecht gegen Grundrechte, so kann die betreffende Nonn des Mitgliedschaftsrechts allerdings nicht für nichtig erklärt werden, weil die innerkirchliche Wirksamkeit damit

130 Ob die Grundrechte und/oder sonstiges kollidierendes Verfassungsrecht bereits den Schutzbereich des Art. 137 Abs.3 S.I WRV begrenzen oder lediglich schranken setzende Funktion für das kirchliche Selbsbestimmungsrecht besitzen, braucht hier nicht entschieden zu werden. Für eine Begrenzung des Schutzbereichs spricht sich z.B. Ehlers, ZevKR 32 (1987), 163 aus: "Nicht zu den eigenen Angelegenheiten der Kirche gehört es ferner, Personen gegen deren Willen (mit Wirkung für das staatliche Recht) als Mitglieder in Anspruch zu nehmen." 131 Axel v. Campenhausen, a.a.O., Rdnr. 43. 132 Nur in diesem Sinne hat die Formulierung "Grundrechtsbindung der Kirchen" (Jurina, Rechtsstatus, 154) für den Bereich der eigenen Angelegenheiten eine Berechtigung.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

keineswegs in Frage gestellt sein muß.I33 Dies ist letztlich darauf zurückzuführen, daß die Geltung von Grundrechten im Verhältnis zwischen der Kirche und ihren Mitgliedern verneint werden muß und daß deshalb die Grundrechte auch in diesem Teilbereich nur die Frage der staatlichen Anwendung des Mitgliedschaftsrechts regeln können. Ein Verfassungsverstoß zieht als Rechtsfolge lediglich nach sich, daß der Staat auf die verfassungswidrige Norm des Kirchenrechts keinen Bezug mehr nehmen darf und sie unangewendet lassen muß. In diesem Fall kommt es zu dem bekannten "Auseinanderfallen" von kirchlichem und staatlichem Mitgliedschaftsbegriff, wobei der staatliche Begriff notgedrungen nach anderen Maßstäben als die kirchliche Mitgliedschaft gefaßt werden muß. Die verfassungsrechtliche Beurteilung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts entscheidet deshalb unmittelbar über die Zulässigkeit der Anwendung mitgliedschaftsrechtlicher Bestimmungen in der staatlichen (vor allem der kirchensteuerrechtlichen) Verwaltungspraxis. Auf diese Weise erklärt sich die hohe praktische Bedeutung der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Kirchenmitgliedschaftsrechts.

B. Die staatskirchenrechtlichen Grundprinzipien im Bereich des Kirchenmitgliedschaftsrechts Wenn staatliches Recht an innerkirchliches Mitgliedschaftsrecht anknüpft, ist die Gestaltungsmöglichkeit der Mitgliedschaft durch die Kirchen nach Art. 137 Abs.3 S. 1 WRV / 140 GG durch die allgemeinen Gesetze, und hier vor allem durch die Grundrechte des einzelnen Kirchenmitglieds beschränkt. 134 Andernfalls kann das Mitgliedschaftsrecht zwar innerkirchlich, jedoch nicht im staatlichen Rechtskreis seine Geltung entfalten (s.o.).

I. Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs.l und 2 GG) Als dem kirchlichen Mitgliedschaftsrecht entgegenstehendes Grundrecht kommt dabei primär das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gern. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (auch als Religionsfreiheit bezeichnet) in Betracht. Zur

133 Link, ÖAKR 1971, 311. Im übrigen ist es schon fraglich, durch welche (staatliche ?) Instanz das kirchliche Recht für nichtig erklärt werden sollte. 134 BVerwG v. 7.9.1965 = BVerwGE 21, 330, 333.

B. Staatskirchenrechtliche Grundprinzipien

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Festlegung der Schranken des Kirchenmitgliedschaftsrechts ist eine sachgerechte und sachbezogene Schutzbereichsdefinition der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG erforderlich. Im folgenden soll deshalb der Schutzbereich der Religionsfreiheit genauer untersucht werden, um die grundrechtlichen Grenzen des in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gern. Art. 140 GG/ Art. 137 Abs. 3 S.I WRV erlassenen Kirchenmitgliedschaftsrechts zu bestimmen.

1. Negative religiöse Vereinigungsfreiheit

Eine tragende Rolle in der Rechtsprechung der vergangenen Jahre zum Kirchenmitgliedschaftsrecht kommt der Frage nach den Grenzen der Zulässigkeit einer Zwangsmitgliedschaft im religiösen Bereich zu. 135 Nahezu die gesamte rechtliche Problematik des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts nimmt ihren Ausgang von der Fragestellung, in weIchem Maße die Kirchen in der Ausgestaltung ihres Mitgliedschaftsrechts als Grundlage der Besteuerung ihrer Mitglieder durch entgegenstehende Grundrechte Dritter eingeschränkt werden. Im Bereich des Kirchenmitgliedschaftsrechts hat die Diskussion über die Grenzen einer Zwangsmitgliedschaft im religiösen Bereich inzwischen nahezu eine Schlüsselfunktion erlangt. 136 Deshalb ist im folgenden insbesondere der Frage nachzugehen, ob es ein absolutes Verbot von Zwangsmitgliedschaften im religiösen Bereich gibt. 137 Als Schranke von Zwangsmitgliedschaften im religiösen Bereich kommt zunächst das Recht, keiner religiösen Vereinigung angehören zu müssen (sog. negative religiöse Vereinigungsfreiheit) in Betracht. Die grundrechtliche Gewährleistung der sog. negativen religiösen Vereinigungsfreiheit ist heute allgemein anerkannt insofern, als dem Recht, eine Religion oder Weltanschauung zu besitzen und einer entsprechenden Vereinigung anzugehören, das entgegengesetzte Recht, darauf auch verzichten zu können, als

135 Vgl. die beiden kirchensteuerrechtlichen Leitentscheidungen BVerfGE 19,206 und BVerfGE 30, 415. 136 Vgl. vor allem Obermayer, NVwZ 1985,77-81. 137 Obermayer, a.a.O., 78, leitet ein derartiges absolutes Verbot von Zwangsmitgliedschaften im religiösen Bereich aus Art. 140 GG I 137 Abs.1 WRV sowie Art. 4 Abs.1 und 2 GG 'ab.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Korrelat gegenübersteht. Noch nicht abschließend geklärt ist allerdings, weIcher Vorschrift des Grundgesetzes dieses Recht zugeordnet werden muß. 138

a) Normzusammenhang An die negative Vereinigungsfreiheit im staatlichen Bereich knüpft die klassische Kontroverse an, ob die Zwangsmitgliedschaft in Körperschaften des öffentlichen Rechts durch Art. 9 Abs.l GG beschränkt wird. Das BVerfG hat dies bekanntermaßen in ständiger Rechtsprechung seit der Entscheidung zum Großen Erftverband 139 verneint und die negative Vereinigungsfreiheit für den staatlichen Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs.l GG zugewiesen. Das Gericht begründet diese Ansicht in einem Umkehrschluß damit, daß die negative Vereinigungsfreiheit nicht weiterreichen könne als die positive. Eine positive Freiheit des Einzelnen zur Vereinigung in öffentlich-rechtlichen Verbänden sei jedoch begriffslogisch ausgeschlossen. Ist aber die positive Vereinigungsfreiheit zu öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht durch Art. 9 Abs.l GG geschützt, so kann Art. 9 Abs.l GG nach Auffassung des BVerfG auch kein Schutz vor der Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden als Teilaspekt der negativen Vereinigungsfreiheit entnommen werden. Die Literatur ist der Auffassung des BVerfG überwiegend gefolgt. 140 Nach dieser - allerdings nicht unbestrittenen 141 Auffassung - fällt der Schutz der negativen Vereinigungsfreiheit also der allgemeinen Handlungsfreiheit gern. Art. 2 Abs.l GG als sedes materiae zu. Diese inzwischen fast schon klassisch zu nennende Kontroverse geht jedoch an der speziellen staatskirchenrechtlichen Problematik des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts weitgehend vorbei. Aus der Sicht des Staatskirchenrechts ist als Grenze der kirchlicher Gestaltungsmöglichkeiten des Mitgliedschaftsrechts vor

138 Herzog, Art. "Glaubens-, Bekenntnis- und Gewissensfreiheit", in: EvStL, 3. Auflage 1987, Sp. 1166. 139 BVerfGE Urt. v. 29.7.1959 - 1 BvR 394/58 = BVerfGE 10,89, 102. 140 Vgl. z.B. läkel, DVBI. 1983, 1133, 1135; Merten in: HdbStR Bd. VI, 798 f.; v. Münch, GG, Art. 9 Rdnr. 52; Starck in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 2 Rdnr. 90; larass, Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rdnr. 4. 141 Kritisch zur vorherrschenden Ansicht Damkowski, DVBI. 1978,229 ff.; Mronz, 66 ff.; v. Mutius, VerwArch 64 (1973), 81, 82 f.'; ders., Jura 1984, 193, 196 f.; Laubinger, VerwArch 74 (1983), 263, 278; Scholz, Koalitionsfreiheit, 272 ff.; Pierothl Schlink, Grundrechte, Rdnr. 819. Zusammenfassung des Streitstandes bei Etzrodt, 42 ff.

B. Staatskirchenrechtliche Grundprinzipien

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allem die Freiheit des einzelnen von Bedeutung, nicht gegen seinen Willen von einer Religionsgemein·schaft als deren Mitglied vereinnahmt zu werden. Diese Freiheit vor religiöser Vereinnahmung weist evidente Bezüge zum Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) auf. Die Kirchen sind zwar Körperschaften des öffentlichen Rechts, doch ist im Hinblick auf ihren besonderen religiösen Charakter vor allem die religiöse Zielsetzung ausschlaggebend. Die Besonderheiten der Religionsgemeinschaften gegenüber allen anderen Personenvereinigungen, das religiöse Proprium, sind im Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG angesiedelt. 142 Im Hinblick auf die Diskussion der Zwangsmitgliedschaft im allgemeinen Staatsrecht ist daher folgender Unterschied zu bedenken: Zwar ist den Kirchen und großen Religionsgemeinschaften der Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen (Art. 140 GG iV.m. 137 Abs. 5 WRV), so daß insofern durchaus eine Parallele zu dem Problem der öffentlich-rechtlichen Zwangsmitgliedschaften im allgemeinen Staatsrecht besteht. Aus dem Körperschaftsstatus der Kirchen allein kann jedoch nicht die rechtliche Gleichbehandlung mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften geschlossen werden. Es handelt sich bei den Kirchen nach heute nahezu einhelliger Ansicht um "öffentlich-rechtliche Körperschaften sui generis" 143, weil die Kirchen grundsätzlich nicht hoheitlich in Anwendung öffentlich-rechtlicher Rechtsnormen tätig werden und auch weder dem Staat als ein Teil des Staates eingegliedert noch sonst staatlicher Kirchenhoheit in irgendeiner Weise unterworfen sind. l44 Wenn die Kirchen also weder direkt noch auch nur mittelbar in Ausübung staatlicher Gewalt handeln l45 , so verbietet sich eine rechtliche Gleichsetzung mit den öffentlichrechtlichen Körperschaften des allgemeinen Verwaltungsrechts von selbst. Die grundrechtliehe Lösung des Problems der Zwangsmitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft kann deshalb nicht in einer Analogie zu den Körperschaften des öffentlichen Rechts im staatlichen Hoheitsbereich gesucht werden.

142 Württenberger, ZevKR 19 (1971), 67, 72. 143 Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/Art. 137 WRV Rdnr. 149 m.w.N.; zuletzt Kästner, Staatliche lustizhoheit, 118; a.A. Schmidt-Eichstaedt, 75. 144 BVerfGE 30, 415, 428; im Anschluß daran auch Axel v. Campenhausen, a.a.O., Rdnr. 149. Schon Anschütz nennt den "religionsgesellschafttliche(n) Wirkungskreis nicht Stück, sondern Gegenstück des staatlichen Wirkungskreises." (Die Verfassungs-Urkunde

für den Preuß. Staat, Bd.l, 300). 145 Mißverständlich formuliert insofern Mronz, 72.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

Als Schlußfolgerung daraus ergibt sich daher die Unangemessenheit aller derjenigen Auffassungen, welche die negative religiöse Vereinigungsfreiheit - in Analogie zu der entsprechenden Problematik der Zwangsmitgliedschaft im staatlichen Bereich - einem der beiden Grundrechte aus Art. 2 Abs.l GG bzw. Art. 9 Abs. 1 GG zuordnen wollen. Diese Auffassungen verfehlen die spezifisch staatskirchenrechtliche Problematik der Fragestellung und setzen die Religionsgesellschaften auf unzulässige Weise mit sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts gleich. Scheidet eine dem allgemeinen Staatsrecht entsprechende Lösung des Problems öffentlich-rechtlicher Zwangsmitgliedschaften im religiösen Bereich somit aus, so ist nach dem allgemeinverfassungsrechtlichen Grundsatz der Spezialität l46 zu fragen, ob die (negative) Freiheit, einer Religionsgemeinschaft fernbleiben zu können, nicht einer spezielleren Norm des Staatskirchenrechts zugeordnet werden kann. Als solche spezielleren Normen bieten sich hier einerseits Art. 4 Abs.l und 2 GG sowie andererseits Art. 140 GG / Art. 137 Abs.2 WRV an. Das Verhältnis zwischen Art. 4 Abs.l und 2 GG und den durch Art. 140 GG inkorporierten Artikeln der Weimarer Verfassung wird mißverstanden, wenn man diese Normen gegeneinander ausspielen oder etwa ein Rangverhältnis der Normen untereinander herstellen wollte. 147 Die gesamte Entstehungsgeschichte des Art. 140 GG148 belegt, daß Art. 4 Abs.l und 2 GG sowie Art. 140 GG gleichberechtigt sind und hinsichtlich ihrer jeweiligen Regelungsbereiche in einem Verhältnis gegenseitiger Ergänzung stehen. 149 Bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates war noch in der dritten Lesung des Hauptausschusses die religiöse Vereinigungsfreiheit im späteren Art. 4 Abs.l GG als Satz 2 ausdrücklich garantiert. 1SO Dieser Satz

146 Vgl. z. B. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 301. 147 Dies verkennt Bäcker, Kirchenmitgliedschaft, 14. 148 Zur Entstehungsgeschichte des Art. 140 GG vgl. Badura in: HdbStKR Bd. 1,2. Aufl. 1994, 211, 236 ff. 149 Axel v. Campenhausen in: HdbStR Bd. VI, § 136 Rdnr. 35; ders. in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 9; Badura in: HdbStKR Bd.l, 2. Aufl. 1994,211,241 f.; vgl. BVerfGE 19,206,219; 53, 366,400; zur Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs.l und 2 GG vgl. Kästner, JöR 27 (1978), 239 (275 ff.); zum Verhältnis des Art. 4 Abs.l und 2 GG zu den inkorporierten Weimarer Kirchenartikeln vgl. oben Abschnitt A.1. 150 In der 24. Sitzung des Grundsatzausschusses v. 23.11.1948 wurde auf Vorschlag des Abgeordneten v. Mangoldt folgender Satz 2 in Art. 7 Abs.l (später 4 Abs.l GG) eingefügt "Das Recht der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemein-

B. Staatskirchenrechtliche Grundprinzipien

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2 ist erst zur vierten Lesung des Hauptausschusses gestrichen worden, und zwar allein deshalb, weil Art. 140 GG auch den Art. 137 Abs.2 WRV einbezog und auf diesem Weg eine Doppelgewährleistung vermieden werden sollte. 151 Die räumliche Trennung der Vorschriften innerhalb der insoweit kaum überzeugenden Systematik des Grundgesetzes ist insofern allein historisch bzw. redaktionell bedingt. Schließlich kommt hinzu, daß auch das Grundrecht der Religionsfreiheit in Art. 4 Abs.1 und 2 GG einen kollektiven Aspekt der Religionsausübung einschließt (s.o.). Dies folgt für die beiden großen Kirchen schon aus Art. 19 Abs.3 GG, der die Grundrechte allgemein auf inländische juristische Personen erstreckt. 152 In diesem Zusammenhang ist es daher nicht notwendig, der bereits erwähnten extensiven Auslegung des Art. 4 Abs.1 und 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht 153 zu folgen, um auch die Religionsausübung im Rahmen religiös-weltanschaulicher Vereinigungen unter dieses Grundrecht fassen zu können. Daß die Kirchen als Vereinigungen grundrechtsberechtigt im Hinblick auf Art. 4 Abs.1 und 2 GG sein können, ist im Ergebnis nahezu unbestritten. 154 Dies ist im übrigen von eminenter Tragweite für die verfassungsprozessuale Stellung der Kirchen im Verfassungsbeschwerdeverfahren. Die kollektive Seite der Religionsausübung in Art. 4 Abs.1 und 2 wird demnach durch die Weimarer Kirchenartikel, hier vor allem durch den in das Grundgesetz einbezogenen Art. 137 Abs.2 WRV ergänzt, ohne daß eine genaue Trennung der beiden Vorschriften durchgeführt werden kann. Die genannten Vorschriften bilden (nach einer allerdings etwas diffusen Formulierung des Bundesverfas-

schaften wird anerkannt." Vgl. hierzu die Nachweise bei v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR, N.F., Bd.l, 76. 151 v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR, N.F., Bd.l, S. 78 f.; ParI. Rat., HA-Prot., 57. Sitzung v. 4.5.1949, 745. 152 Vgl. die Stellungnahme der Abgeordneten Bergsträßer und Eberhard zum Antrag der CDU/CSU, des Zentrums und der DP in der ersten Lesung des Hauptausschusses am 8.12.1948, die sich gegen die Aufnahme besonderer kirchenpolitischer Artikel ausgesprochen haben, da die Kirchen und Religionsgemeinschaften bereits durch das Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 7, später Art. 4 GG) geschützt seien, vgl. v. Doemming/ FüßleinIMatz. a.a.O., 901. 153 BVerfG Beschl. v. 16.10.1968 - 1 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236, 244. 154 Herzog in: MaunzlDürig, GG, Art. 4 Rdnr. 40; Starck in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 4 Rdnr. 31; Axel v. Campenhausen in: HbStR Bd. VI Rdnr. 417; Bethge, Grundrechtsberechtigungjuristischer Personen, 78 ff.; BVerfGE 19,129,132 (st. Rspr., vgl. zuletzt BVerfGE 70, 138, 160 f.); kritisch jedoch Wieland, Der Staat (1986), 323, 327 f.

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Erster Teil: Verfassungsreehtliehe Grundlagen

sungsgerichts) insoweit zusammen ein "organisches Ganzes"155 und sind demzufolge aufeinander abgestimmt zu interpretieren. Es spricht deshalb alles dafür, der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zu folgen, wonach Art. 4 Abs. I und 2 GG "sich für die Gewährleistung der religiösen Vereinigungsfreiheit auf Art. 140 GGI 137 Abs.2 WRV bezieht und sie in dessen normativem Gehalt mitumfaßt." 156 Mit der Unterscheidung zwischen religiöser Vereinigungsfreiheit gern. Art. 4 Abs.1 und 2 GG sowie allgemeiner negativer Vereinigungsfreiheit aus Art. 2 Abs.1 bzw. 9 Abs.l GG ist gleichzeitig festgestellt, daß eine Zwangsmitgliedschaft im religiösen Bereich anderen Schranken unterliegt als eine öffentlichrechtliche Zwangsmitgliedschaft im staatlichen Bereich (nämlich - unabhängig von dem skizzierten Meinungsstreit - weder den Schranken des Art. 2 Abs.l noch des Art. 9 Abs.l GG). Kann eine Zwangsmitgliedschaft im staatlichen Bereich - so die überwiegende Ansicht - durch das öffentliche Interesse an der Erfüllung legitimer Aufgaben l57 gerechtfertigt sein, so entfällt eine solche Rechtfertigung im religiösen Bereich gänzlich. Zwangsmitgliedschaften im religiösen Bereich können notwendig nur religiösen Sonderinteressen dienen. Hierin liegt nach den bisherigen Ausführungen keine ausreichende Rechtfertigung, um die religiöse Vereinigungsfreiheit des einzelnen auch nur teilweise einzuschränken. Es ist im religiösen Bereich - und dies ist ein eminent wichtiger Unterschied zu den öffentlich-rechtlichen Zwangsmitgliedschaften im allgemeinen Staatsrecht - mithin keine Rechtfertigung für die zwangsweise einseitige Eingliederung in eine Religionsgemeinschaft zu erkennen. Daraus ergibt sich folgerichtig als eine außerordentlich wichtige Schranke des Kirchenmitgliedschaftsrechts, daß eine religiöse Zwangsmitgliedschaft absolut unzulässig und

ISS BVerfG Besehl. v. 25.3.1980 - 2 BvR 208176= BVerfGE 53,366,400; Beschl. v. 4.6.1985 - 2 BvR 1703, 1718/83,2 BvR 856/84 = BVerfGE 70, 138, 167 und die überwiegende Kommentarliteratur, vgl. Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rdnr. 27; Starck in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 4 Rdnr. 78; ferner Maunz in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rdnr. 7; Axel v. Campen hausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/ 137 WRV Rdnr. 17; ders., in: HdbStR Bd. VI Rdnr. 391; Jarass, Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rdnr. 2; (für die Weimarer Reichsverfassung bereits Anschütz, Weimarer Reichsverfassung, 632); a.A. Preuß in: Alternativkommentar, GG, Art. 4 Rdnr. 20 (Art. 137 Abs.2 WRV lex specialis gegenüber Art. 4 GG). 156 BVerfG Beschl. v. 5.2.1991 - 2 BvR 263/86 = BVerfGE 83, 341, 355 = NJW 1991, 2623, 2624; vgl. bereits BVerfG Beschl. v. 21.9.1976 - 2 BvR 350175 - = BVerfGE 42, 312, 332). 157 BVerfG - Beschl. v. 18.12.1974 - 1 BvR 430/65 und 259/66 = BVerfGE 38, 281, 297 ff.; vgl. Jarass, JarasslPieroth, GG, Art. 2 Rdnr. 22.

B. Staatskirchenrechtliche Grundprinzipien

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nicht etwa noch von der ergänzenden Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängig ist. 158

b) Schutzbereich der negativen religiösen Vereinigungsjreiheit Ist die Zuordnung der sog. negativen religiösen Vereinigungsfreiheit zu Art. 4 Abs.1 und 2 GG damit geklärt, so ist nun der Schutzbereich im Hinblick auf die speziellen Anforderungen des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts zu präzisieren. Damit stellt sich die Frage, ob Art. 4 Abs.1 und 2 GG lediglich die freie Wahl des Bekenntnisses schützt oder darüber hinaus auch die freie Wahl der Zugehörigkeit zu einer bestimmten kirchlichen Institution. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes aus dem Jahr 1962 159 , wonach für die Kirchensteuerpflicht nicht die kirchenrechtliche Mitgliedschaft, sondern die Bekenntniszugehörigkeit entscheidend sein soll 160, wird in der Literatur vielfach als Beleg für die These herangezogen, daß der automatische Wechsel der gliedkirchlichen Zugehörigkeit grundrechtlich irrelevant sei, wenn dieser Wechsel zwischen Kirchen eines "verwandten" Bekenntnisses erfolge. 161 Folgt man dieser Auffassung, so wäre selbst die zwangsweise einseitige Eingliederung in eine (dem Bekenntnis des Betroffenen) bekenntnis"verwandte" Kirche zulässig, weil dadurch nur die kirchenrechtliche Zugehörigkeit, nicht aber die Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis tangiert wird. Diese Frage ist also von weitreichender Bedeutung für das gesamte evangelische Kirchenmitgliedschaftsrecht. Sie bildet die Grundlage für die vor-

158 A.A. offensichtlich Meyer, ZevKR 33 (1988), 320 Fn.31, der die Prüfung verlangt, ob darin einer (religiösen) Zwangsmitgliedschaft, "insbesondere in der Pflicht zur Beitragszahlung, liegende Grundrechtseingriff verhältnismäßig ist", und sich hierbei auf BVerfGE 38, 281, 301 ff. beruft. Diese Entscheidung (Urt. v. 18.12.1974 - 1 BvR 430/65 und 259/66) hat die Zwangsmitgliedschaft in einer Arbeitnehmerkammer zum Gegenstand, eine Entscheidungalso, die mithin nicht auf eine Zwangsmitgliedschaft im religiösen Bereich übertragbar ist und das besondere, aus Art. 4 Abs.1 und 2 GG abzuleitende grundrechtliche Verbot jeder Zwangsmitgliedschaft im religiösen Bereich vernachlässigt. 159 BFH Urt. v. 23.2.1962 - VI 270/60 U = BFHE 75, 29, 31. 160 Die Entscheidung des BFH steht im Widerspruch zu der nachfolgenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit der Entscheidung BVerfGE 19,206, in der ausdrücklich betont wird, daß die Kirchensteuer eine Steuer der Kirchenmitglieder im Sinne der juristischen Kirchenmitgliedschaft ist. 161 Rausch, ZevKR 36 (1991), 337, 352, 355. 5 Haß

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

herrschende Ansicht, daß die Feststellung der Bekenntnisverwandtschaft die Annahme einer verfassungswidrigen religiösen Zwangsmitgliedschaft selbst dann ausschließt, wenn ein zuziehendes evangelisches Kirchenmitglied aus dem Ausland ohne dessen Zustimmung in die an seinem neuen Wohnsitz bestehende EKD-Gliedkirche eingegliedert wird. 162 Die Fragestellung bezieht sich auf die Reichweite des Schutzbereichs der in Art. 4 Abs.1 und 2 GG gewährleisteten Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses. Unbestritten wird durch das Grundrecht des Art. 4 GG die freie Entscheidung über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (z.B. römisch-katholisches oder evangelisch-lutherisches bzw. evangelischreformiertes Bekenntnis) geschützt. Entscheidend ist jedoch, ob die Bekenntnisfreiheit auch die freie Entscheidung über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Landeskirche bzw. Religionsgemeinschaft des formal gleichen Bekenntnisses um faßt. Es stellt sich mithin die Frage, ob Art. 4 Abs.l und 2 GG nicht nur "die zwangsweise Zuführung zu einem bestimmten Bekenntnis, sondern auch die zwangsweise Eingliederung in eine bestimmte kirchliche Körperschaft gleich welchen Bekenntnisses" 163 verbietet. 164 Diese Frage läßt sich durch eine genaue Festlegung des Schutzbereichs des Art. 4 Abs.l und 2 GG lösen. Wenn die Freiheit der Wahl einer kirchlichen Körperschaft durch Art. 4 Abs.l und 2 GG geschützt sein soll, so muß die zwangsweise Eingliederung in eine solche Körperschaft für die Ausübung der Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses in irgendeiner Weise relevant sein. Sofern also mit der zwangsweisen Zuführung zu einer kirchlichen Körperschaft eine Veränderung des bisherigen Glaubens- und Bekenntnisstandes herbeigeführt wird, liegt damit grundsätzlich ein Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit vor. Dieses Ergebnis legt im übrigen auch die Formulierung des BVerfG nahe, daß nach Art. 4 Abs.l und 2 GG jedermann "über sein Bekenntnis und seine Zugehörigkeit zu einer Kirche, die durch dieses Bekenntnis bestimmt ist, selbst und frei von staatlichem Zwang entscheiden"165 kann. Ob im konkreten Einzelfall eine rechtswidrige Verletzung des Art. 4 Abs.l und 2 GG vorliegt, muß die jeweilige Einzelfallprüfung nachweisen. Der enge Zusam-

162 Vgl. dazu ausführlich 2. Teil, C.II.3.a). 163 Obermayer, NVwZ 1985,79 u. Anm. 19 (in ausdrücklicher Ablehnung der o.g. Entscheidung des BFH (BFHE 75, 29, 31); ähnlich bereits ders., NJW 1970, 1646. 164 Rausch, ZevKR 1991,337,351 f., verneint dies, ohne jedoch inhaltlich auf die Kritik Obermayers einzugehen. 165 BVerfGE 30, 415, 423 (Hervorhebung d.V.).

B. Staatskirchenrechtliche Grundprinzipien

67

menhang von Bekenntnis und Landeskirchentum l66 deutet jedenfalls darauf hin, daß ein Wechsel der Landeskirche durchaus grundrechtsrelevant für die Ausübung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit werden kann. 167

2. Negative religiöse Finanzierungsfreiheit

Neben dem grundrechtlichen Ve.rbot einer religiösen Zwangsmitgliedschaft soll das Kirchenmitgliedschaftsrecht einer weiteren Beschränkung durch die Grundrechte unterliegen. Sofern die Kirchenmitgliedschaft die tatbestandliehe Grundlage für die Kirchensteuerpflicht nach den Landeskirchensteuergesetzen bildet, wird die Heranziehung von Kirchenmitgliedern zur Kirchensteuer nach einer weitverbreiteten Ansicht zusätzlich durch die Schranke des sog. Grundrechts der religiösen Finanzierungsfreiheit begrenzt. Die selbständige Garantie der religiösen Finanzierungsfreiheit als Teilbereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG ist erstmals von Friedrich Klein vertreten worden. 168 Nach Klein soll die (von ihm) sogenannte religiöse Finanzierungsfreiheit vor der unberechtigten Heranziehung des einzelnen zu allen "Arten von Geld- und Sachleistungen ... zugunsten irgendeiner Religion oder Weltanschauung" 169 schützen und darunter versteht Klein vor allem den Schutz vor unberechtigter Heranziehung zu Kirchensteuern. Diese sog. religiöse Finanzierungsfreiheit verursacht einige Spannungen in der herkömmlichen Grundrechtsdogmatik. Der Begriff der Finanzierungsfreiheit suggeriert zunächst, daß es sich dabei um ein einheitliches Grundrecht außerhalb des Grundrechtskatalogs handelt. In Literatur und Rechtsprechung besteht deshalb keine Einigkeit über den grundrechtlichen Schutz der religiösen Finanzierungsfreiheit. Die Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Kirchensteuersachen seit dem 14. Dezember 1965 170 zeigt zwar

Vgl. Ratschow, Art. "KonfessionlKonfessionalität" in: TRE 19,419 ff. 167 Obermayer, NJW 1970, 1645 f. 168 Klein in: v. Mangoldt/Klein, 2. Auflage 1957, 11/3, S. 216 (im Anschluß an Klein, Die Verfassungswidrigkeit der Erhebung einer Ortskirchensteuer von juristischen 166

Personen (Kirchenbausteuer) im Gebiet des ehemaligen Landes Baden, Rechtsgutachten 1954, S. 270 ff.). 169 Ebd. 170 Vgl. die acht Urteile des BVerfG v. 14.12.1965 im 19. Band der offiziellen Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 19,206 ff.; 19,226 ff.; 19,242 ff.; 19,248 ff.; 19,253 ff.; 19,268 ff.; 19,282 ff.; 19,288 ff.). s'

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

die eminent wichtige Bedeutung der religiösen Finanzierungsfreiheit als ein maßgeblicher Kontrollrnaßstab des Kirchensteuerrechts l71 , jedoch ohne eine genauere Vorstellung über die einzelnen Voraussetzungen dieses Grundrechts zu vermitteln. Spätestens mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur badischen Ortskirchensteuer l72 ist die religiöse Finanzierungsfreiheit zu einem wichtigen Schauplatz der Diskussion des Verhältnisses zwischen Art. 2 Abs.l GG und den speziellen Freiheitsrechten geworden 173. Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob die sog. religiöse Finanzierungsfreiheit der Glaubensfreiheit oder der allgemeinen Handlungsfreiheit zuzuordnen ist. In Literatur und Rechtsprechung sind beide Ansichten zu finden. 174 Zur Beantwortung dieser Frage ist eine Betrachtung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Ortskirchensteuer-Entscheidung zum Verhältnis zwischen Art. 2 Abs.l GG und den übrigen Grundrechten zweckdienlich. Das BVerfG hat den Schutz der religiösen Finanzierungsfreiheit bestätigt, allerdings in der Entscheidung zur badischen Ortskirchensteuer dieses Recht dem Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs.l GG zugeordnet. 175 Die religiöse Finanzierungsfreiheit wird vom BVerfG nicht als ein Teil der Glaubensfreiheit definiert, sondern allgemein auf das Grundrecht zurückgeführt, nur "auf Grund solcher Rechtsvorschriften zu Steuern herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind und deshalb zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören." 176 Die Anwendung des Art. 2 Abs.l neben Art. 4 Abs.l und 2 GG begründet das Gericht damit, daß die besonderen Grundrechtsnormen die Anwendung von Art. 2 Abs.1 GG nur ausschließen, "soweit eine Verletzung dieses Grundrechts

171 Vgl. Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtJKlein, GG, Art. 1401 137 WRV Rdnr. 193. 172 BVerfGE 19,206. 173 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 301 u. Anm. 31. 174 Für Art. 4 GG vor allem Jarass, larasslPieroth, GG, Art. 4 Rdnr.ll; Starck in: v. MangoldtJKlein, GG, ArtA Rdnr. 22; BVerfGE 44,37 = NIW 1977, 1279; BVerfGE 73,388 = NIW 1987,943 = DVBl. 1987, 129 = ZevKR 1988,73; für Art. 2 GG vor allem: BVerfGE 19,206,215 f.; 19,226,237; 19,253,257; 19,268,273; differenziert je nach Art der Beeinträchtigung Preuß in: Alternativkommentar, GG, Art. 4, Rdnr. 21 f. (Nachbesteuerung im Rahmen des Art. 4 GG, Kirchensteuerpflicht hingegen allgemein im Rahmen des Art. 2 Abs.l zu prüfen). 175 BVerfGE 19, 206, 215 f. 176 A.a.O., S. 216.

B. Staatskirchenrechtliche Grundprinzipien

69

und einer besonderen Grundrechtsnorm unter demselben sachlichen Gesichtspunkt in Betracht kommt."I77 Dadurch werden die Aussagen der Elfes-Entscheidung l78 über die Subsidiarität des Art. 2 Abs.l GG im Ergebnis eingeschränkt. Hervorzuheben ist, daß das Gericht die Verletzung der individuellen Glaubensfreiheit des Kirchensteuerschuldners als Eingriff in Art. 4 Abs.l und 2 GG von einer Verletzung des Art. 2 Abs.l GG unterscheidet, die dann vorliegen soll, wenn ein staatlicher Akt "mit der durch das Grundgesetz festgelegten Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche" unvereinbar ist. 179 Auf diese Weise wird die Verletzung des objektiv-rechtlichen Verfassungsgrundsatzes der Trennung von Staat und Kirche (Art. 140 GG /137 Abs.l WRV) konsequent versubjektiviert und dadurch zu einer individuellen, im Wege der Verfassungsbeschwerde rügbaren Grundrechtsverletzung. Die Ortskirchensteuerentscheidung enthält einige erwägenswerte Überlegungen zum Verhältnis zwischen Art. 2 Abs.l GG und den besonderen Freiheitsgrundrechten. Eine Grundrechtskonkurrenz und speziell ein Fall der Subsidiarität kann in der Tat nicht vorliegen, wenn keine Überschneidung der Schutzbereiche der Art. 4 Abs.l und 2 GG und Art. 2 Abs.l GG vorliegt. Es gilt ganz allgemein der Grundsatz, daß Art. 2 Abs.l GG nicht zur Anwendung kommt, soweit der Schutzbereich eines speziellen Freiheitsgrundrechts betroffen ist. 180 Kommt es also maßgeblich auf die Reichweite des einzelnen Freiheitsgrundrechts an 181 , so findet Art. 2 Abs.l GG folglich immer dann Anwendung, wenn der Schutzbereich eines speziellen Freiheitsgrundrechts nicht berührt ist. Diese Erwägungen können auf die vorliegende Fragestellung übertragen werden. Ein einheitliches Grundrecht, das den einzelnen vor der Heranziehung zu finanziellen Leistungen zugunsten einer Religionsgemeinschaft schützt l82 , kann dem Grundgesetz, insbesondere dem Grundrecht der Religionsfreiheit, nicht entnommen werden. Der Begriff der religiösen Finanzierungsfreiheit ist in

177 A.a.O., S. 206 (Leitsatz 2 des Gerichts). 178 BVerfG Urt. v. 16.1.1957 - 1 BvR 253/56 = BVerfGE 6, 32, 37. 179 BVerfGE 19,206,225. 180 BVerfG Besch!. v. 21.10.81 - 1 BvR 52/81 = BVerfGE 58, 358, 363; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rdnr. 88; Starck in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 2 Rdnr. 35. 181 Kunig, a.a.O., Rdnr. 89. 182 Diese irrtümliche Auffassung legt die Formulierung von Klein (FN. 168) jedoch nahe.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

dieser Allgemeinheit schlichtweg irreführend und kann auch nicht pauschal dem Normbereich des Art. 4 Abs.l und 2 GG zugeordnet werden. Die Freiheit, von der verfassungswidrigen Heranziehung zu finanziellen Leistungen an eine Religionsgemeinschaft verschont zu werden, ist vielmehr nur dann verfassungsrechtlich geschützt, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich eines bestimmten Grundrechts im konkreten Einzelfall nachgewiesen werden kann. Ein Eingriff in Art. 4 Abs.l und 2 GG setzt in diesem Fall voraus, daß die finanzielle Leistungspflicht in einem konkreten Zusammenhang mit einem Glaubens, Gewissens- oder Bekenntnisakt steht. 183 Eine von diesem konkreten Glaubenszusammenhang abgelöste darüberhinausgehende grundsätzliche Freiheit, nicht zu einer verfassungswidrigen Kirchensteuer herangezogen zu werden, kann jedenfalls nicht dem Schutzbereich des Art. 4 Abs.l und 2 GG entnommen werden. Eine solche grundsätzliche Freiheit von der Belastung mit einer verfassungswidrigen Steuer kann nur im Rahmen des Art. 2 Abs.l GG Bedeutung erlangen, und zwar, soweit die Voraussetzungen im einzelnen gegeben sind, auch in Verbindung mit einer Verletzung des Verhältnisses von Staat und Kirche (vor allem des Trennungsgrundsatzes gern. 140 GG/137 Abs.l WRV). Zur sog. negativen religiösen Finanzierungsfreiheit kann somit festgehalten werden, daß diese kein in sich konsistentes Grundrecht darstellt und die klassIsche Grundrechtsprüfung keineswegs überflüssig macht, sondern vielmehr in zahlreiche Einzelgewährleistungen zerfällt, die verschiedenen Grundrechten (vor allem Art. 4 Abs.1 und 2 GG sowie Art. 2 Abs.l GG) zu entnehmen sind. Die einzige Gemeinsamkeit dieser Einzelgarantien, die den Oberbegriff der religiösen Finanzierungsfreiheit rechtfertigen kann, ist die Tatsache, daß diese Einzelgarantien jeweils unter bestimmten Voraussetzungen den Schutz vor unberechtigter Heranziehung zu finanziellen Leistungen an die Religionsgemeinschaften gewährleisten. Eine religiöse Finanzierungsfreiheit in dem oben erwähnten abstrakten Sinn kann dem Grundgesetz nicht entnommen werden.

11. Sonstige Grundrechte Als sonstige dem kirchlichen Mitgliedschaftsrecht entgegenstehende Grundrechte bedürfen schließlich noch Art. 9 Abs.1 GG sowie Art. 2 Abs.l GG der

183 Dies ist z.B. bei der sog. Nachbesteuerung der Fall: Preuß in: Alternativkommentar, GG, Art. 4 Rdnr. 21.

B. Staatskirchenrechtliche Grundprinzipien

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besonderen Erwähnung. Diese Grundrechte werden häufig in Zusammenhang mit der negativen religiösen Vereinigungsfreiheit gebracht.

I. Artikel 9 Abs.1 GG

Art. 9 Abs.l GG gewährleistet mit der Vereinigungsfreiheit das Recht, "sich zu beliebigen Zwecken mit anderen in Vereinen, Verbänden und Assoziationen aller Art zusammenzuschließen.'oI84 Im Zusammenhang mit einer Untersuchung zum kirchlichen Mitgliedschaftsrecht stellt sich jedoch allein die Frage, ob die Vereinigungsfreiheit den einzelnen vor der zwangs weisen Vereinnahmung durch eine Religionsgemeinschaft schützt. Zur Beantwortung dieser Frage kann weitgehend auf die obigen Ausführungen zur sog. negativen religiösen Vereinigungsfreiheit verwiesen werden. Die negative religiöse Vereinigungsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG mit Art. 140 GG /137 Abs.2 WRV geht der allgemeinen Vereinigungsfreiheit gern. Art. 9 Abs.l GG als lex specialis vor. 18S Schon durch die unterschiedlichen Geltungsbereiche der bei den Grundrechte (Art. 9 Abs.l gilt nur für Deutsche) ist eine Idealkonkurrenz hier ausgeschlossen.1 86 Ferner handelt es sich bei den beiden großen Kirchen um Körperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG / 137 Abs.5 WRV). Eine Anwendung des Art. 9 Abs.l GG ist hier erheblichen Zweifeln ausgesetzt, wenn man der herrschenden Lehre im Hinblick darauf folgt, daß die Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden nicht durch Art. 9 Abs.l begrenzt wird. Auch wenn man der herrschenden Ansicht hier nicht folgen will, schließt die Zuordnung der religiösen Vereinigungsfreiheit zu Art. 4 Abs.l und 2 GG eine weitere Zuordnung zu Art. 9 Abs.l GG aus.

184 BVerfG Beschl. v. 18.12.74 - 1 BvR 430/65, 259/66 = BVerfGE 38, 281, 303. 185 Es liegt ein echtes Spezialitätsverhältnis vor: Löwer, in: v. Münch, GG, Art. 9 Rdnr. 31; Maunz in: MaunzlDürig, GG, Art. 1401137 WRV Rdnr. 8; Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldt/ Klein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 17; ders. in: HdbStR Bd. VI, § 136 Rdnr. 89; differenzierend Zippelius in: Bonner Kommentar, Art. 4 Rdnr. 114 ("keine Spezialität im strengen Sinne"); ähnlich Herzog in: MaunzIDürig, GG, Art. 4 Rdnr. 97; a.A. Strätz, NJW 1971,2196. 186 Axel v. Campen hausen in: HdbStR Bd. VI, § 136 Rdnr. 89; a.A. Herzog in: MaunzIDürig, GG, Art. 4 Rdnr. 96.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

2. Artikel 2 Abs.l GG

Nicht ganz so eindeutig ist die Bedeutung des Art. 2 Abs.l GG für das kirchliche Mitgliedschaftsrecht. Entsprechend seiner Struktur als allgemeine Handlungsfreiheit steht Art. 2 Abs.1 GG den speziellen Freiheitsrechten als subsidiärer Auffangtatbestand gegenüber. 187 Im Regelfall tritt die Vorschrift deshalb hinter die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs.l und 2 GG zurück. Doch kann Art. 2 Abs.l GG Bedeutung erlangen, wenn der Schutzbereich eines speziellen Freiheitsrechts nicht einschlägig ist. In diesem Fall schützt Art. 2 Abs.l GG vor jedem staatlichen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des einzelnen, der nicht im Einklang mit der verfassungsmäßigen Ordnung steht. Art. 2 Abs.l GG wird aufgrund der großen Bedeutung von objektiven Verfassungsprinzipien im Staatskirchenrecht immer wieder zur Konstruktion eines Grundrechts auf verfassungsmäßiges Handeln des Staates herangezogen, wobei die erforderliche Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht vielfach in den Hintergrund tritt. Auf diese Weise bekommen die staatskirchenrechtlichen Verfassungsgrundsätze einen subjektiv-rechtlichen Inhalt. Eine Verletzung des Gebotes der Trennung von Staat und Kirche (Art. 140 GG /137 Abs.l WRV) kann grundrechtlich relevant und im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. 188

IH. Grundrechtsmündigkeit Das Problem der Grundrechtsmündigkeit 189 stellt sich für das Kirchenmitgliedschaftsrecht in besonderer Weise, weil die Kirchenmitgliedschaft im Fall der Kindertaufe bereits im frühen Kindesalter erworben wird, so daß die Kirchensteuerpflicht ebenfalls im frühen Kindesalter beginnen kann. 190 Abzulehnen ist die Auffassung, daß die Ausübung von Grundrechten erst ab

187 Kunig, in: v. Münch, GG, Art. 2 Rdnr. 88. 188 Vgl. BVerfGE 19,206 zur badischen Ortskirchensteuer. 189 Vgl. dazu zusammenfassend v. Mutius, Jura 1987, 272 ff. 190 Vgl. BFH Urt. v. 4.5.1983 - 11 R 180179 = BFHE 138,303 = NJW 1983,2604, nachgehend BVerfG Beschl. v. 30.11.1983 - 1 BvR 1016/83 = NJW 1984,969.

B. Staatskirchenrechtliche Grundprinzipien

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einem bestimmten Alter geschützt ist. 191 Eine solche generelle Einschränkung der Grundrechtsausübung kann dem Grundgesetz nicht entnommen werden. Die Grundrechte gewähren (soweit dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist) vielmehr dem Minderjährigen von der Geburt an umfassenden Grundrechtsschutz. 192 So ist z.B. auch der Minderjährige gleich welchen Alters durch Art. 2 Abs.l GG vor der Heranziehung zu einer rechtswidrigen Kirchensteuer geschützt. Der uneingeschränkte Grundrechtsschutz des Minderjährigen ist jedoch abhängig von der Reichweite des jeweiligen Normbereichs. 193 Entscheidende Bedeutung für die Kontrolle des Kirchenmitgliedschaftsrechts kommt der Religionsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG zu. Gerade der Schutz der Religionsfreiheit des Minderjährigen ist problematisch, zum einen wegen der möglichen Kollision mit dem religiösen Erziehungsrecht der Eltern 194 (Art. 6 Abs. 2 GG, Art. 7 Abs.2 GG), zum anderen, weil die Erfassung einer religiösen Überzeugung von Minderjährigen auf altersbezogene grundsätzliche Schwierigkeiten stößt. 195 Im Zusammenhang mit dem Kirchenmitgliedschaftsrecht stellt sich insbesondere die Frage, ob der Taufe im frühen Kindesalter die individuelle Religionsfreiheit des Minderjährigen nach Art. 4 Abs.l und 2 GG entgegenstehen kann. Diese Frage gehört zum Bereich der religiösen Kindererziehung. Im Fall der Kindertaufe ist vorrangig nach der Fähigkeit des Minderjährigen zur Bildung einer religiösen Überzeugung zu fragen. Bei der Kindertaufe, sofern sie im Säuglingsalter stattfindet, ist davon auszugehen, daß der Täufling nicht die Fähigkeit zur Erkenntnis eines bestimmten Glaubens bzw. einer religiösen Überzeugung haben kann. l96 Eine Verletzung der Religionsfreiheit des Kindes ist im Fall der Säuglingstaufe daher ausgeschlossen. Die Eltern des Kinders treffen die Entscheidung über die Taufe des Kindes in Ausübung der elterlichen Sorge nach den Vorschriften des Reichsgesetzes über die religiöse Kinderer-

191 Gegen v. Mutius, Jura 1987, 272 ff.; v. Münch in: v. Münch/Kunig, GG, Vorbem. Art. 1 Rdnr. 11; Dürig in: MaunzlDürig, GG, Art. 19 Rdnr. 16. 192 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 285; Starck in: v. MangoldtJ Klein, GG, Art. 1 Rdnr. 163; Jarass, Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rdnr. 10. 193 Zum Begriff des Normbereichs vgl. vor allem Müller, Juristische Methodik, 270 ff. (kritisch zu Müllers "Theorie der sachlichen Reichweite" vor allem Alexy, 280 ff.) und Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 46, 69, 310. 194 Vgl. dazu Jestaedt in: HdbStKR Bd. 2, 2. Aufl. 1995, 371 ff. 195 Vgl. Zippelius in: Bonner Kommentar (Drittbearb. 1989), Art. 4 GG Rdnr. 68. 196 BVerfGE 30, 415, 424; vgl. Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtJKlein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 80.

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Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

ziehung v. 15.7.1921 (RKEG).197 Zu einer Kollision zwischen der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs.1 und 2 GG) des Minderjährigen und dem elterlichen Erziehungsrecht (Art. 6 Abs.2 und 7 Abs.2 GG) kann es in diesem Fall nicht kommen. Eine Kollision der Grundrechte des Kindes mit denen der Eltern ist jedoch mit zunehmendem Alter des Kindes denkbar. Im Fall einer solchen Kollision kann eine Abwägung der (mit steigendem Alter zunehmenden) eigenen Interessen des Minderjährigen gegen das zurücktretende Elternrecht erforderlich werden. Der Gesetzgeber hat in § 5 RKEG die erforderliche gesetzliche Regelung dieser Konfliktlage getroffen. Für eine Verletzung von Grundrechten des Kindes oder der Eltern durch § 5 RKEG gibt es keine Anhaltspunkte. 198 Mangels einer religiösen Überzeugung des Kindes selbst entscheiden die Erziehungsberechtigten des Kindes bei der Kindertaufe in Ausübung des Sorgerechts über die religiöse Erziehung des Kindes sowie die Taufe entsprechend der in § 5 RKEG getroffenen Regelung. Eine Verletzung der Religionsfreiheit durch die Taufe kommt im Kindesalter nicht in Betracht.

IV. Bestimmtheitsgrundsatz und Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Steuerrecht Die wichtigste Beschränkung für die Anknüpfung des staatlichen Kirchensteuerrechts an innerkirchliches Taufrecht ist der Bestimmtheitsgrundsatz oder genauer: der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Steuerrecht. Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs.1 GG) verlangt Vorhersehbarkeit, Meßbarkeit und Nachprüfbarkeit staatlichen HandeIns. Aus dem Rechtsstaatsprinzip wird deshalb herkömmlich das Gebot der ausreichenden Bestimmtheit von Rechtsvorschriften abgeleitet. 199 Dieser Grundsatz gilt aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes in gleicher Weise für grundrechtseinschränkende Rechtsnormen. 2oo Allgemeiner rechtsstaatIicher und grundrechtIicher Bestimmtheitsgrundsatz überschneiden sich in weiten Teilen, so daß eine Trennung dieser

197 RGBI. 1921,393. 198 Zippelius in: Bonner Kommentar, Art. 4 GG Rdnr. 68. 199 BVerfG Beschl. v. 26:9.78 - 1 BvR 525177 ~ BVerfGE 49, 168, 181; Beschl. v. 3.11.82 - I BvR 210/79 = BVerfGE 62,169, 183; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, 396 ff. 200 BVerfG Beschl. v. 9.5.89 - I BvL 35/86 = BVerfGE 80, 137, 161.

B. Staatskirchenrechtliche Grundprinzipien

75

weitgehend identischen Grundsätze kaum fruchtbar erscheint20I , wenn auch im grundrechtlichen Bereich zusätzlich die Geltung des Vorbehaltes des Gesetzes nach der Wesentlichkeitstheorie zu beachten ist. 202 Der Bestimmtheitsgrundsatz besagt, daß Rechtsvorschriften so bestimmt "zu fassen sind, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist."203 Im Steuerrecht wird der Bestimmtheitsgrundsatz zumeist als Grundsatz der "Tatbestandsmäßigkeit des Steuerrechts" gekennzeichnet, wonach die steuerbegründende Norm nach Inhalt, Zweck und Ausmaß soweit bestimmt sei muß, "daß die Steuerlast meßbar und in gewissem Umfang voraussehbar und berechenbar wird."204 Dieser Grundsatz der "Tatbestandsmäßigkeit" des Steuerrechts 205 bildet nun die Verbindungslinie zum Problem der staatlichen Bezugnahme auf kirchliches Mitgliedschaftschaftsrecht. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Steuerrecht gilt auch für kirchliche Rechtsnormen, wenn und soweit diese maßgeblichen Einfluß auf die Besteuerung haben. Weil die kirchliche Mitgliedschaftsregelung in das staatliche Kirchensteuerrecht integriert ist, unterliegt die einzelne Mitgliedschaftsregelung insoweit den Anforderungen, die auch an staatliches Steuerrecht zu steHen sind, weil sich erst aus der kirchlichen Mitgliedschaftsregelung ergibt, wer besteuert wird. 206 Mangelnde Bestimmtheit ist das Hauptproblern, das sich im Zusammenhang mit der Anknüpfung des staatlichen Rechts an innerkirchliches Mitgliedschaftsrecht wie an kirchliche Rechtsnormen überhaupt steHt. Die Bezugsnormen des kirchlichen Rechts sind dem Grundsatz rechtsstaatlicher Bestimmtheit und Normenklarheit unterworfen, sofern sie in die staatliche Rechtsordnung inkorporiert sind und damit als Rechtsgrundlage hoheitlichen HandeIns des Staates herangezogen werden können. Hieraus ergibt sich ein maßgebliches Problem der staatlichen Bezugnahme auf innerkirchliches Recht. Gerade wenn das kirchliche Recht in einem verfassungsrechtlich garantierten Bereich

201 Jarass, larasslPieroth, GG, Art. 20 Rdnr. 38; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, 397 ff.; BVerfG Beschl. v. 6.6.89= BVerfGE 62, 169, 182 f. 202 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 11; zur Unterscheidung von steuerrechtlicher Tatbestandsmäßigkeit und Gesetzesvorbehaltsprinzip vgl. z.B. Papier, Finanzrechtliche Gesetzesvorbehalte, 153 ff. 203 BVerfG Beschl. v. 26.9.78 - 1 BvR 525177= BVerfGE 49, 168, 18l. 204 BVerfG Beschl. v. 10.10.61 - 2 BvL 1/59 = BVerfGE 13, 153, 160; für das Kirchensteuerrecht vor allem BVerfGE 19, 253, 267; vgl. BVerfGE 49, 343, 362; 73,

388,400.

205 Zum Begriff der Tatbestandsmäßigkeit vgl. Tipke/Kruse, AO, § 3 Rdnr. 25 ff.; kritisch Vogel in: HdbStR Bd. IV, § 87 Rdnr. 69. 206 BVerfG Beschl. v. 23.10.1986 - 2 BvL 7,8/84 = BVerfGE 73, 388, 400.

76

Erster Teil: Verfassungsrechtliche Grundlagen

kirchlicher Selbstbestimmung erlassen wird, stellt sich die Frage, ob die Interpretation dieser Normen in einem Verfahren vor staatlichen Gerichten überhaupt zulässig ist oder ob nicht schon die Norminterpretation selbst bereits einen unzulässigen Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht des Art. 140 GG /137 Abs. 3 S.l WRV bedeutet. Dieses Problem stellt sich besonders in der Frage des Rechtsschutzes in kirchlichen Angelegenheiten, wenn es um die Bindung staatlicher Gerichte an die Intentionen des kirchlichen Normgebers geht. 207 Andererseits muß jede Begrenzung gerichtlicher Prüfungskompetenzen in diesem Bereich zu einem deutlichen Verlust an rechtsstaatlicher Normenklarheit führen. Es dürfte kaum zulässig sein, den Eintritt von Rechtsfolgen im staatlichen Wirkungskreis von der alleinigen Definition kirchlicher Rechtsetzungsorgane abhängig zu machen. Deshalb können Rechtsfolgen im weltlichen Bereich nur dann an kirchliche Rechtsnormen geknüpft werden, wenn das kirchliche Recht in vollem Maße der Überprüfung durch staatliche Gerichte nach säkularen Maßstäben unterliegt. Das Gebot der Normenklarheit verlangt demnach von den Kirchen die Beachtung der gleichen Maßstäbe, denen das staatliche Recht unterliegt, wenn der Geltungsanspruch für das staatliche Recht berechtigt sein soll. Ein kirchliches Mitgliedschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage des Steuerver fahrens gegenüber den Kirchenmitgliedern herangezogen wird, muß deshalb eindeutig und durch staatliche Gerichte nachprüfbar ergeben, wer Mitglied der Kirche und damit steuerpflichtig ist. Andernfalls kann der Staat nicht mit seinen Zwangsmitteln zum Einzug der Kirchensteuer berechtigt sein und muß sich konsequent jeder Mitwirkung an einer solchermaßen begründeten Kirchensteuer verweigern. Die Forderung nach genügender rechtsstaatlicher Bestimmtheit muß gerade bei einem Rechtsgebiet wie dem Kirchenmitgliedschaftsrecht, das stark von theologischen Vorstellungen geprägt ist, auf Widerstand stoßen. So wird folgerichtig gegen das verfassungsrechtliche Postulat der eindeutigen Festlegung der kirchlichen Mitgliedschaft vor allem deren theologische Selbständigkeit ange-

207 Dieses Problem stellt sich auf dem Gebiet' des Kirchenmitgliedschaftsrechts insbesondere bei der Definition des "evangelischen" Bekenntnisstandes (vgl. 2. Teil,

B.VI.).

.

B. Staatskirchenrechtliche Grundprinzipien

77

führt. 208 Diese Ansicht ist insofern fragwürdig, als ein theologisierendes und rechtlich konturenlose's Kirchenmitgliedschaftsrecht kein tauglicher Anknüpfungspunkt für staatliches Recht sein kann. Theologie und Staatskirchenrecht stehen hier in einem unauflöslichen Widerstreit, der an verschiedenen Stellen der rechtlichen Diskussion als ein wiederkehrendes Moment festgestellt werden kann. 209 Abgesehen davon, daß .gegen eine derartige Entgegensetzung von Theologie und Recht nicht nur juristische, sondern auch rechtstheologische Zweifel bestehen, muß das Kirchenmitgliedschaftsrecht den staatlichen Maßstab achten, wenn es Wirkung für den staatlichen Bereich entfalten soll. Andernfalls bleibt das kirchliche Recht in seiner Geltung auf den innerkirchlichen Rechtskreis beschränkt. 210

208 Smend in: Meinhold, Kirchengliedschaft, 42, 45. Auf Smend bezieht sich Huber, in: Lienemann-Perrin, 507. 209 Dies ist insbesondere bei der ideologisch geprägten Diskussion um ein verbandsbzw. vereinsrechtliches Verständnis der Kirchen (dazu unten Abschnitt A.I1.2.) festzustellen. 210 Vgl. oben Abschnitt A.I1I.4.

Zweiter Teil

Die Begründung der Kirchenmitgliedschaft nach evangelischem Kirchenrecht Nach der Behandlung des grundlegenden verfassungsrechtlichen Rahmens des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts sollen in den beiden folgenden Abschnitten der Untersuchung die wichtigsten Probleme des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft erörtert werden. Für den evangelischen Bereich wird das bereits mehrfach erwähnte EKD-Gesetz über die Kirchenmitgliedschaft von 1976 im Mittelpunkt der Betrachtung stehen (Zweiter Teil), während für das römisch-katholische Mitgliedschaftsrecht die durch den neuen Codex Iuris Canonici von 1983 geschaffene Rechtslage zu berücksichtigen ist (Dritter Teil). Der Schwerpunkt dieser Untersuchung wird dabei auf dem EKD-Recht liegen. Denn im evangelischen Kirchenrecht stellen sich aufgrund der organisatorischen Selbständigkeit der einzelnen Landeskirchen einige Rechtsfragen in ganz anderer Weise als im katholischem Bereich. Ein Beispiel für diesen Umstand ist die umstrittene Regelung des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG, die vorwiegend den Zuzug evangelischer Kirchenmitglieder aus dem Ausland betrifft. Der Zuzug von Kirchenmitgliedern aus dem Ausland ist eine Rechtsfrage, die sich wegen der rechtlichen Organisation der römisch-katholischen Kirche als einer staatengrenzüberschreitenden Institution für das katholische Kirchenrecht in dieser Form kaum stellt. Dennoch bietet ein Vergleich mit der in den römisch-katholischen Diözesen der Bundesrepublik geltenden Rechtslage wertvolle Erkenntnisse. Dies gilt insbesondere für die - beiden Großkirchen gemeinsamen - staatskirchenrechtlichen Grundfragen wie z.B. die Zulässigkeit der Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an das Sakrament der Taufe.! Im nun folgenden Teil wird zunächst eine Klärung der wichtigsten theologischen und kirchenrechtlichen Grundlagen des evangelischen Mitgliedschaftsrechts notwendig sein. Anschließend ist der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach dem heute geltenden Recht zu untersuchen.

I Vgl. dazu ausführlich unten Abschnitt C.I.1.

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

79

Das Kirchenmitgliedschaftsrecht im evangelischen Bereich ist nur auf der Basis seiner theologischen und historischen Voraussetzungen verständlich. Gerade diese Voraussetzungen sind es jedoch, die heute in Frage gestellt werden. So ist die territoriale Organisation der Landeskirchen als Grundlage der automatischen mitgliedschaftsrechtlichen Erfassung Zuziehender nicht nur theologischen Zweifeln, sondern zunehmend auch kirchen- und - vor allem - staatskirchenrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Gilt nach einer Ansicht das Parochialrecht2 der korporierten Religionsgemeinschaften als ein auch heute noch selbstverständliches Element des Körperschaftsstatus gern. Art. 140 GG I 137 Abs. 5 WRV3, so steht nach anderer Ansicht den Kirchen jedenfalls gegenüber Angehörigen anderer Kirchen "ein Parochialrecht im Sinne einer einseitigen Eingliederung Zuziehender" unter der Geltung des Grundgesetzes nicht mehr zu. 4 Es ist evident, daß die Auseinandersetzung um die Fortgeltung und Reichweite der kirchlichen Parochialrechte erhebliche Konsequenzen für die Beurteilung der automatischen Eingliederung Zuziehender nach geltendem Kirchenrecht nach sich ziehen muß. Derartige Streitigkeiten können jedoch nur gelöst werden, wenn die historischen Voraussetzungen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts genau bedacht werden. Die Kirchenmitgliedschaft steht inmitten einer Fülle historischer und theologischer Rahmenbedingungen. Eine Analyse der wichtigsten dieser Rahrnenbedingungen ist erforderlich, um das Verständnis des evangelischen Mitgliedschaftsrechts zu ermöglichen. Neben der Untersuchung von Territorialprinzip und Personalitätsprinzip als den tragenden Elementen des geltenden Kirchenmitgliedschaftsrechts soll vor allem die historische Entwicklung der Taufe zu einem mitgliedschaftsbegründenden Rechtsakt genauer betrachtet werden.

2 Zum Inhalt des Parochialrechts vgl. z.B. Hermann Weber, Religionsgemeinschaften, 11 0 f. 3 Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtIKlein, GG, Art. 1401137 WRV Rdnr. 177. 4 Engelhardt, NVwZ 1992,239 (240).

80

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

A. Grundlagen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts I. Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Mitgliedschaftsrecht Eine juristische Untersuchung des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts sieht sich zunächst vor besondere methodische Probleme gestellt. Anders als das katholische stellt das evangelische Mitgliedschaftsrecht den Juristen vor erhebliche Schwierigkeiten, die auf den ungeklärten KirchenbegrifP der protestantischen Theologie zurückgehen. Wie kaum ein anderes Gebiet des Kirchenrechts schließt das Recht der Kirchenmitgliedschaft in erheblichem Maße auch theologische (konkret: ekklesiologische) Implikationen ein. Vom Kirchenmitgliedschaftsrecht kann nicht in abstracto gesprochen werden, ohne daß der Bezug zu der Mitgliedschaft in einer bestimmten Kirche und damit zu den fundamentalen theologischen Voraussetzungen des Kirchenrechts hergestellt wird. Kirchenrechtliche Aussagen über die Mitgliedschaft in der Kirche sind entscheidend von einer vorgängigen Verständigung über die Begriffe "Mitgliedschaft" und "Kirche" in ihrem Bezug zueinander abhängig. Mitgliedschaft in einer konkreten Kirche ist demnach nur dann sinnvoII zu erfassen, wenn in der gebotenen Weise vom Kirchenverständnis der betreffenden Kirche ausgegangen wird. Zum zweiten folgt aus der Formulierung des Themas "Erwerb der Kirchenmitgliedschaft" die Notwendigkeit einer vorgängigen Absteckung des Untersuchungsbereichs. Dies beinhaltet eine VerhäItnisbestimmung von Theologie einerseits und Recht andererseits, d.h. eine Abgrenzung des juristischen vom theologischen Untersuchungsbereich. Der theologische Aspekt der Kirchenmitgliedschaft kann trotz des rein juristischen Charakters der FragesteIIung nicht völlig ausgeklammert werden, weil einzelne theologische Topoi wie Taufe oder evangelischer Bekenntnisstand auch vom Staatskirchenrecht rezipiert worden sind. Weil das Kirchenmitgliedschaftsrecht als eigene Angelegenheit der Kirchen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht des Art. 137 Abs. 3 WRV unterliegt,

5 Vgl. den Versuch einer Zusammenfassung der Grundzüge protestantischer Ekklesiologie von Kühn (Lit.), ferner Pannenberg, 125 f.; vgl. zu den rechtstheologischen Implikationen des Kirchenmitgliedschaftsrechts auch Wendt, Die Rechtsstellung des Gemeindeglieds, 21 ff.

A. Grundlagen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts

81

muß der theologische Mitgliedschaftsbegriff nach dem Selbstverständnis der Kirchen den Ausgangspunkt der kirchenrechtlichen wie auch der staatskirchenrechtlichen Einordnung der Kirchenmitgliedschaft bilden. Zunächst ist deshalb das kirchliche Mitgliedschaftsrecht nach dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche zu entwickeln, um in einem zweiten Schritt das evangelische Kirchenmitgliedschaftsrecht und seine Stellung im Gesamtzusammenhang der staatlichen Rechtsordnung zu betrachten.

1. Kirchenmitgliedschaftsrecht und evangelisches Kirchenverständnis

Eine theoretische Grundlegung des Kirchenmitgliedschaftsrechts ist in mehrfacher Hinsicht notwendig. Üblicherweise wird in der Kirchenrechtswissenschaft zwischen geistlich-theologischer "Gliedschaft" in der universalen Kirche Jesu Christi einerseits und juristischer "Mitgliedschaft" in einer Partikularkirche andererseits unterschieden. 6 In dieser Unterscheidung von juristischer Mitgliedschaft und geistlicher Gliedschaft tritt das ungelöste Problem des doppelten Kirchenbegriffs deutlich in Erscheinung, weil der Begriff der geistlichen ebenso wie der Begriff der juristischen Mitgliedschaft nach der Verknüpfung mit einer institutionellen Entsprechung, der geistlichen bzw. der juristischen Kirche, verlangt. Das Verhältnis von Kirchenmitgliedschaft und Kirchenverständnis wird daher als Fragestellung festzuhalten sein. Eng damit verknüpft ist die Frage nach der rechtstheologischen Legitimation einer juristischen Definition von Kirchenmitgliedschaft im Hinblick auf die Tatsache, daß die Kirchenmitgliedschaft zugleich im Kernbereich des theologischen Selbstverständnisses der Kirche anzusiedeln ist. Diese Problematik hat W. Huber im Anschluß an R. Smend7 dahingehend formuliert, daß sich allgemein "die Mitgliedschaft in der Kirche [... ] gegen alle umfassenden und abschließenden Regelungen"g sperrt. Nach

6 Z.B. Link, Art. "Kirchengliedschaft. B. Juristisch" in: EvStL, 3. Auflage 1987, 1598. Der juristisch fragwürdige Begriff "Gliedschaft" sollte der theologischen Sprache vorbehalten bleiben und wird auch im Sinne einer "geistlichen Gliedschaft" (die von der juristischen "Mitgliedschaft" unterschieden werden soll) verwendet. Leider ist die Gesetzessprache dieser Linie nicht gefolgt: Einige Kirchenverfassungen sprechen von "Gliedschaft", wo juristische "Mitgliedschaft" gemeint ist, vgl. z.B. das Gesetz über die Kirchengliedschaft in der Ev.-Luth. Landeskirche Bayerns v. 10.11.1965 (KABI. 179). 7 Smend in: Meinhold, Kirchengliedschaft, 42, 45. g Huber, in: Lienemann-Perrin, 507. 6 Haß

82

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Huber, der sich wie zuvor bereits Smend auf das berühmte Diktum von Sohm9 bezieht, würde "ein Kirchenmitgliedschaft begründendes und abgrenzendes kirchliches Mitgliedschaftsrecht [... ] mit dem Wesen der reformatorischen Kirchen in Widerspruch stehen."10 Das geltende Kirchenmitgliedschaftsrecht versucht jedoch gerade dies, nämlich eine die Kirchenmitgliedschaft begründende und nach außen hin abgrenzende abschließende Regelung zu schaffen. Es stellt sich daher die Frage, ob das geltende Kirchenmitgliedschaftsrecht deshalb als eine theologisch illegitime Konstruktion des Staatskirchenrechts anzusehen ist, also die Frage nach der theologischen Legitimation eines Kirchenmitgliedschaftsrechts, das der verfassungsrechtlichen Forderung hinreichender Tatbestandsbestimmtheit zu entsprechen versucht. 11 Auch diese Frage geht in ihrem Kern auf das Problem des Spannungsverhältnisses von geistlicher und juristischer Kirchenmitgliedschaft zurück. Die Bestreitung der geistlichen Legitimation des Kirchenmitgliedschaftsrechts weist einen deutlichen Bezug zu den spezifischen Problemen des protestantischen Kirchenverständnisses, vor allem zur Frage der Konstruktion und zur theologischen Akzeptanz der Kirche in ihrer sichtbaren rechtlichen Ausgestaltung als ecclesia particularis auf. Ideengeschichtlich steht die radikale Infragestellung einer rechtlichen Regelung der Kirchenmitgliedschaft in direktem Zusammenhang mit der Antinomie von Geist und Recht im Werk Sohms l2 und der Rezeption der berühmten These Sohms, wonach das Kirchenrecht im Widerspruch mit dem Wesen der Kirche steht. 13 Der Name Sohm steht hier allerdings nur stellvertretend für eine zunehmende Spiritualisierung und Verinnerlichung des Kirchenbegriffs, die in der ersten Hälfte

9 Sohm, Kirchenrecht Band I, 1, 700. 10 Huber, a.a.O., 507. Die Ansicht von Huber ist insofern hochproblematisch, als

er dem geltenden Kirchenmitgliedsrecht lediglich eine unerwünschte, aber rechtlich notwendige "provisorische Hilfsfunktion" zuweist. 11 Kritik am staatskirchenrechtlichen Mitgliedsbegriff übt vor allem Erik Wolf, Ordnung der Kirche, 573 ff. Kleine, 216 Anm. 443, hält wegen des "rechtlich formalen Mitgliedschaftsbegriffs" das daran anknüpfende Kirchensteuersystem für theologisch fragwürdig. 12 Vgl. zu dieser Thematik das umfangreiche Schrifttum, vor allem Barion, Rudolph Sohm (Lit.), Wilhelm Maurer, ZevKR 8 (1961/62), 26 ff.; Grundmann in: ders., Abhandlungen zum Kirchenrecht, 18 ff.; Wemer Böckenförde, Kritik Rudolph Sohms; aus der neueren Literatur vor allem Ebeling, ZevKR 35 (1990),406 ff.; aktuelle Bibliographie zum Stand der Sohm-Debatte bei Sebott, 221 ff. 13 Sohm, Kirchenrecht Band I, 459, 700. Die Aufnahme, die das Werk Sohms bei Juristen wie Theologen gefunden hat, dürfte dessen Eigenwert nahezu gleichkommen (vgl. die Sohm-Bibliographie von Sebott, 221 ff.).

A. Grundlagen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts

83

des 19. Jahrhunderts bei Schleiermacher l4 ihren Ausgang nimmt und sowohl bei Vertretern des Pietismus (vor allem der Erweckungstheologie) wie A. Neander als auch des Biblizismus (1. T. Beck) und vor allem in der Vermittlungstheologie (so bei C. I. Nitzsch und J. Müller) zu finden ist. 15 Noch im 20. Jahrhundert findet sich die These Sohms in ähnlicher Gestalt vor allem bei E. Brunner. 16

14 Freilich entzieht sich die Ekklesiologie Schleiennachers jedem Versuch einer genaueren Festlegung. Für Schleiennacher entsteht die Kirche durch den Zusammentritt der einzelnen Wiedergeborenen zu einem geordneten Miteinanderwirken (Glaubenslehre, § 115). Dieses Kirchenverständnis trägt durchaus vereinsrechtliche Züge, ohne daß Schleiennacher jedoch die Wirkung Jesu Christi in der Kirche in Zweifel zieht. Dennoch verliert der Kirchenbegriff im 19. Jahrhundert unter dem Einfluß Schleiennachers und Hegels zunehmend an Substanz. Für Richard Rothe ist die Kirche dazu bestimmt, sich im Lauf der Geschichte in die christliche Welt hinein aufzulösen, während die historischkritische Forschung seit Ferdinand Christian Baur die Entstehung der Kirche nicht mehr als Stiftung Christi versteht, sondern als geschichtlichen Vorgang, der seinen Ursprung im Frühkatholizismus hat. Beide Ansätze trugen fraglos dazu bei, daß die theologische Legitimation der christlichen Kirche als einer rechtlichen Institution zunehmend fragwürdig wurde. 15 Vgl. A. Neander, Geschichte der Pflanzung und Leitung der Kirche durch die Apostel (1832); von C. I. Nitzsch stammt die im 19. Jhdt. weitverbreitete Dogmatik "System der christlichen Lehre" (1829), 6. Aufl. 1851; vgl. ferner J. Müller, Die unsichtbare Kirche (1850), in: ders., Dogmat. Abhandlungen (1870); zur Entwicklung des Kirchenbegriffs im 19. Jhdt. zusammenfassend Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie Bd. 5, 145-231; ferner Sommer, Art. "Ecclesia spiritualis", 309. Neben der zunehmenden Romantisierung und Spiritualisierung des Kirchenbegriffs entwickelte sich eine entgegengesetzte Debatte über das rechte Verständnis von Amt und Gemeinde, die mit einer theologischen Überhöhung der Kirchenidee einherging und vor allem unter Vertretern der konfessionalistischen Theologie (A. Vilmar, A. v. Harleß, W. Löhe, Th. Kliefoth und F. J. Stahl) zahlreiche Anhänger fand. 16 Nach Brunner ist die neutestamentliche Ekklesia "etwas von der Kirche Verschiedenes. Denn was wir Kirche nennen, ist nicht eine Bruderschaft, sondern eine Institution" (Dogmatik III, 37, 46 ff.); vgl. dazu auch ders., Das Mißverständnis der Kirche. 6'

84

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch) 2. Bedeutung der Ekklesiologie für das evangelische Kirchenmitgliedschaftsrecht

Es ist ein Verdienst des sog. konsekutiven Kirchenbegriffs, der das "Kirchenrecht als Funktion des Kirchenbegriffs" 17 beschreibt, den unmittelbaren Bezug von Kirchenrecht und Ekklesiologie aufgezeigt zu haben. Diesen Zusammenhang von Ekklesiologie und Kirchenrecht benennt auch die Barmer Theologische Erklärung von 1934, die eine "Scheidung der äußeren Ordnung vom Bekenntnis"18 ausdrücklich ablehnt. Was allgemein für das Verhältnis von Kirchenrecht und Ekklesiologie gilt, kann für das Kirchenmitgliedschaftsrecht besondere Geltung beanspruchen. Um zu einem genaueren Verständnis des Kirchenmitgliedschaftsrechts zu gelangen, muß zuerst ein tragfähiges Kirchenverständnis reformatorischer Theologie erarbeitet werden. Erst. dann kann die Bedeutung des Mitgliedschaftsrechts als Teil der theologischen und rechtlichen Ordnung der Kirche angemessen erfaßt werden. Die Frage nach dem geltenden innerprotestantischen Kirchenverständnis kann angesichts des offenkundig fehlenden Konsenses der theologischen Wissenschaft im Bereich der Ekklesiologie l9 nur unter Vorbehalt beantwortet werden. Der fehlende ekklesiologische Grundkonsens hat erhebliche Auswirkungen auf die

17 Zuerst bei Barion, Rudolph Sohm, 13; Dornbois, Das Recht der Gnade Bd.l, 30; Marsch, ZevKR 5 (1956), 117 ff.; Schia ich weist auf ähnliche Formulierungen bereits im Kollegialismus des 18. Jahrhunderts hin (Kollegialtheorie, 61 Fn. 103). 18 In These III der Barmer Theologischen Erklärung heißt es: "Die christliche Gemeinde ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, daß sie allein sein Eigentum ist, ... " Vgl. Beckrnann, Kirchliches Jahrbuch, 72 f.; Burgsrnüller/Weth, 64 f.; Niernäller, 203. Zur Dritten These grundlegend Burgsrnüller, Kirche als Gemeinde von Brüdern (Lit.), Huber, Folgen christlicher Freiheit, 147-168. Auf den Einfluß der Barmer Synode von 1934 (vor allem der erwähnten These III) für das evangelische Kirchenverständnis und das Verständnis des Kirchenrechts als eine "Funktion kirchlicher Existenz" weist Schlaich, ZevKR 28 (1983), 337, 347, hin. 19 Vgl. Kühn, Kirche; Rendtorffin: Lohfj/Mohaupt (Hrsg.), 107,122,124 ff.; Herrns, Die Ordnung der Kirche, 102-118; Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 125 f.; Axel v. Carnpenhausen, Das Kirchenverständnis im evangelischen Kirchenrecht.

A. Grundlagen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts

85

Möglichkeit einer tragfähigen Antwort auf die Frage nach der Legitimation des Kirchenrechts, besonders des Kirchenmitgliedschaftsrechts. 20 Die Unsicherheit im protestantischen Bereich in der Bestimmung dessen, was unter den Begriff Kirche gefaßt werden soll, ist schon in den Schriften der Reformatoren greifbar. Der textliche Befund der reformatorischen Bekenntnisschriften zum Thema Kirche ist unbefriedigend. Nach dem berühmten Artikel VII der Confessio Augustana (CA) ist die heilige christliche Kirche die Versammlung aller Gläubigen (congregatio sanctorum), bei weIchen "das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente nach dem Evangelium gereicht" werden 21 , nach Artikel VIII CA ist die Kirche nichts anderes als die Versammlung der Gläubigen und Heiligen (congregatio sanctorum et vere credentium).22 Diese klassische Definition der protestantischen Dogmatik wendet sich strikt gegen jegliche institutionelle, verrechtlichende Betrachtung der Kirche 23 , eine Entwicklungslinie, die sich vor allem in der frühen Theologie Luthers nachweisen läßt und dort vorrangig auf eine Fundamentalkritik der Kanonistik abzielt. 24 Die protestantische Kirche wird in Folge dieser Tradition nicht durch

20 Angesichts der nicht einmal im Ansatz vorhandenen fundamentaltheologischen Grundlegung des Kirchenrechts ist der Abbruch der Grundlagendebatte seit den Entwürfen von Johannes Heckel (Lex Charitatis, 1953), Erik Wolf (Ordnung der Kirche, 1961) und Dornhois (Das Recht der Gnade, 1961 ff.) nicht recht zu verstehen. Auch die vielzitierte "Grundlagenmüdigkeit" (vgl. Axel v. Carnpenhausen, ThR N.F. 38, 1973, 119 f.) ist fehl am Platze, solange kein befriedigender Konsens über die Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts vorliegt (vgl. Honecker, Art. "Kirchenrecht 11" TRE 19,724, 734; Janssen, ZevKR 26 (1981), I ff.). 21 Zitiert nach BSLK, 63; vgl. dazu Wilhelm Maurer, Historischer Kommentar, 163178. Der These von Scholder, daß es sich hier um "keine neue evangelische Definition der Kirche, weder eine vollständige noch eine unvollständige" handele (EvTh 27, 1967, 435,444), kann in dieser Einseitigkeit nicht zugestimmt werden. Allenfalls als Hinweis auf die mannigfaltigen Vorgänger in der Tradition kommt ihr eine gewisse Berechtigung zu. 22 BSLK, S.64. 23 Vgl. dazu Martin Luther, Von dem Papsttum zu Rom (WA 6, 292-301). In diesem berühmten Abschnitt führt Luther aus, daß die "naturlichl eygentlich/rechte/ wesentliche Christenheit stehe ym geiste/ und in keinem eusserlichenn ding." 24 Vgl. Holl, Die Entstehung von Luthers Kirchenbegriff, 288-325; Kühn, Kirche, 24 ff., 27 ist - abweichend von Holl - der Ansicht, daß sich die Unterscheidung von zwei Kirchen auf die frühe Theologie Luthers beschränkt.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

das Kirchenrecht, sondern allein durch Wort und Sakrament konstituiert. 25 Nicht zu verkennen ist allerdings, daß sich mit der Entwicklung des Landeskirchentums eine andere ekklesiologische Strömung gleichberechtigt zu entwickeln beginnt, die u.a auf die ekklesiologischen Positionen Melanchthons zurückgeht und der Statuierung einer protestantischen Kirchenordnung gegenüber durchaus aufgeschlossen erscheint. Für die späte Theologie Melanchthons steht die sichtbare, rechtlich verfaßte Kirche im Zentrum seiner Überlegungen zur Ekklesiologie 26 , die Kirche ist für ihn ein "coetus vocatorum, qui est ecclesia visibilis"27, ohne daß die sichtbare Kirche noch erkennbar von einer überirdischen unterschieden wird. 28 Melanchthon ebnete mit dieser theologischen Grundlegung den Weg für das deutsche evangelische Landeskirchentum unter dem landesherrlichen Kirchenregiment. 29 Die protestantische Orthodoxie, vor allem die reformierte Tradition, hat die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche aufgenommen, nicht immer in dem von den Reformatoren ursprünglich gemeinten Sinne. 30 Auch in der neueren Theologie ist vor allem die rechtskritische Grundhaltung in der frühen und mittleren Theologie Luthers rezipiert worden, jedoch ohne eine hinreichende Berücksichtigung des komplexen Bildes, das die ekklesiologischen Positionen des Reformators zeigen. Nach herkömmlicher Lesart ist der konfessionelle Gegensatz auch durch ein unterschiedliches Verständnis der Funktion des Kirchenrechts gekennzeichnet. Während die rechtliche Ordnung für den

25 Sohm, Kirchenrecht Band I, 469. 26 Zum Kirchenbegriff in der späten Theologie Melanchthons vgl. Kühn, 39 ff. 27 Philipp Melanchthon, Loci theologici, tertia aetas, CR 21, 825 ff. 28 So stellt Melanchthon 1552 fest, daß die Auserwählten nirgendwo anders als in dieser sichtbaren Kirche zu suchen sind: "... nec alibi electos ullos esse somniemus nisi in hoc ipso coetu visibili" (Melanchthon, Werke in Auswahl, hrsg. v. R. Stupperich, Bd.I1/2, 474, 26). Dieses Verständnis der Kirche als "coetus scholasticus" (ebd., 480,28 ff. weist bereits auf die Ausbildung des orthodoxen Amtsverständnisses hin. Vgl. bereits die Apologie der CA, in der Melanchthon sich gegen ein Verständnis der Kirche als "civitas platonica" ausdrücklich verwahrt (Apologie VII, 20; BSLK 238, 21). Ähnlich auch Melanchthon, Examen ordinandorum (1559), CR 23, 37 f. 29 Vgl. Lau, 98 f. 30 Vgl. zur lutherischen Orthodoxie J. A. Quenstedt, Theologia didactico-polemica 1691 (1685), IV, 482 f., 497, 503 f. (Übersetzung bei Hirsch, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, 372); zur reformierten Orthodoxie M. Leydecker, Synopsis theologiae christianae (1689), VI I, 390-396 (Übersetzung bei Hirsch, a.a.O., 421).

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katholischen Kirchenbegriff konstitutiv 31 und aus Sicht der Kanonistik teilweise schon als göttliches Recht (ius divinum) in der Offenbarung mitenthalten sei - so die heute übliche Unterscheidung -, verstehe die reformatorische Theologie Kirchenrecht in bewußtem Gegensatz dazu als Menschenwerk32 , dem keine konstitutive, sondern allenfalls regulative Funktion zukommen sol1.33 Diese Traditionslinie ist durch Sohm, weniger durch sein Werk selbst, als durch dessen eminent wichtige Rezeption in den nachfolgenden Juristengenerationen, aufgenommen worden. Das - in der Tradition der lutherischen Bekenntnisschriften - betont als menschliches Recht verstandene Kirchenrecht, das für Sohm unabdingbar - wie aus seiner Sicht überhaupt jedes Recht34 - die Möglichkeit zwangsweiser äußerer Durchsetzung durch Sanktionen beinhaltet, kann nach seiner Überzeugung kaum Geltung für die Ekklesia des Evangeliums haben. 35

31 Zum Begriff der Konstitution der Kirche durch das Kirchenrecht vgl. Lessing, 10 ff., 17 ff. 32 Von Kirchenrecht als "Folge der Geschichtlichkeit der Kirche" spricht Janssen, ZevKR 26 (1981), 1, 27; ebenso Pirson, Universalität und Partikularität, 23. Nach Schlaich, ZevKR 28 (1983), 337, 359, konzentriert sich das Kirchenrecht auf die "weltliche Schauseite der Kirche'" Ebenso Karl Barth, KD lVII, 726: Gemeinde ist "ein in der Menschheit in Gestalt menschlicher Tätigkeit geschehenes Werk." 33 Zu der Unterscheidung zwischen "regulierender" und "konstituierender" Funktion des Kirchenrechts im Urchristentum vgl. auch Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 446 ff., 450. Die Anwendung dieser Unterscheidung auf die ekklesiologischen Vorstellungen der Reformatoren führt zu der Feststellung einer "Entmachtung des Kirchenrechts" durch die Reformation, vgl. Rendtorff in: Lohff/Mohaupt, 124. Sehr kritisch zur Unterscheidung zwischen "regulativer" und "konstitutiver" Funktion des Kirchenrechts zur Kennzeichnung des konfessionellen Gegensatzes jedoch Dombois, Das Recht der Gnade (Bd. 1), 34. Eingehend zum Begriff der "Konstitution" im Kontext der Ekklesiologie vgl. Lessing, 10 ff., 17 ff. Vgl. ferner Honecker, Art. "Kirchenrecht 11", TRE 19,724,735: "Das Kirchenrecht (ist) nicht konstitutiv für das Sein der Kirche, aber es ist konsekutiv, eine Folge der geschichtlichen Gestaltwerdung der Kirche." 34 Der scheinbar einschränkenden Vorbemerkung, daß Zwang "keineswegs das Kennzeichen der Rechtsordnung" sei (Kirchenrecht, Bd.2, 48), folgt die Feststellung, daß - faktisch - "ohne Zwang keine Selbstbehauptung der Gemeinschaft gegenüber dem einzelnen" bestünde (49). Das gemeinschaftskonforme Verhalten "kann erzwungen werden und muß als zur Erhaltung der Gemeinschaft notwendig erzwungen werden, soweit die Zwangsmittel der Gemeinschaft reichen (Vollstreckungszwang, Strafzwang)" (48 f.). 35 Vgl. nur Sohm: "Aus der Thatsache, daß es kein göttliches Kirchenrecht gibt, folgt nicht etwa, daß also menschliches Kirchenrecht gelten müsse, sondern vielmehr, daß kein Kirchenrecht sein muß in der Kirche Christi" (Kirchenrecht Bd. I, 476).

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Dieses eigentümliche Rechtsverständnis steht in einem engen Zusammenhang mit der Repristination des doppelten Kirchenbegriffs. Um den inneren geistlichen sakramentalen Bereich der Kirche vor Übergriffen eines derartigen "Kirchenrechts" zu schützen, wird auf einen doppelschichtigen Kirchenbegriff zurückgegriffen, der sich bereits in der erkennbaren Spannung in Beschreibungen der Kirche als communio sanctorum (Apostolikum), congregatio (Augustinus) oder coetus vocatorum (Melanchthon) zeigt und in der Reformation zum endgültigen Durchbruch gefunden hat. Die weitere Aufspaltung des Kirchenbegriffs ist der späteren Entwicklung zuzuschreiben. Doch kann sich die These einer diametralen Entgegensetzung von Geist- und Rechtskirche in keiner Weise auf die Reformatoren berufen. 36 Der Gegensatz zwischen der sichtbaren Kirche (ecclesia visibilis sive instituta) und der unsichtbaren Kirche (ecclesia invisibilis sive abscondita) ist vielmehr auf eine theologisch bedenkliche Engführung der lutherischen "Zwei-ReicheLehre" zurückzuführen. Der nur scheinbare Antagonismus innerhalb des protestantischen Kirchenbegriffs tritt im Kirchenmitgliedschaftsrecht gerade dort offen zutage, wo die juristische Kirchenmitgliedschaft gegenüber einer "metajuristischen", geistlichen Kirchengliedschaft als einem Gegensatzbegriff abgegrenzt wird. 37 Die Verdoppelung des Kirchenbegriffs ermöglicht die Beschränkung des Rechts auf die verfaßte "Rechtskirche", während das Reich Christi, die "Geistkirche", allein unter dem Recht Jesu Christi steht. Das genannte Rechtsverständnis ist also in der historischen Entwicklung mit dem Rückgriff auf den doppelten Kirchenbegriff verknüpft, um ein von Menschen gemachtes Kirchenrecht gegen die Kirche Jesu Christi als geistgewirkte Gemeinschaft abzuheben und die theologische Dimension der Kirche von einer "Verrechtlichung" freizuhalten. In einer radikalen Zuspitzung wird von den Vertretern des doppelten Kirchenbegriffs die rechtlich verfaßte "Rechtskirche" als kontradiktorisches Gegenteil der Kirche Jesu Christi ("Geistkirche") gegenübergestellt. 38 (Kirchen-)Rechtlichen Regelungen unterliegt nach dieser Unterscheidung nur die "Rechtskirche" . Dieser Ansatz stellt ohne Zweifel jeden (also auch den legitimen) juristischen Versuch, eine institutionelle Ordnung der einen Kirche Jesu Christi zu gewinnen, grundsätzlich in Frage: Die "eigentliche" geistliche Kirche kann in Rechts-

36 Martin Heckel, NJW 1983,2521,2523. Vgl. Erik Wolf, Ordnung der Kirche, 573. Vgl. Sohm, Kirchenrecht Band 11, § 4 (Religionsgesellschaft und Kirche Christi).

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nonnen nicht adäquat erfaßt werden und verweigert sich jedem Versuch einer rechtlich-systematischen Ordnung. Innerhalb dieses Ansatzes besteht deshalb die Gefahr, gleichzeitig mit der Überwindung des Rechts das Kirchenrecht durch theologische Wertungen zu ersetzen. 39 Ein solches Vorgehen kann juristisch nicht ernsthaft diskutabel sein. Es ist aber auch aus theologischer Sicht mit erheblichen Zweifeln belastet. Die Entgegensetzung von Kirche und Recht geht theologisch von einem fehlerhaftem verkürzten charismatisch-spiritualistischen Kirchenverständnis 40 aus, das vor allem ein Kennzeichen der Theologie des 19. Jahrhunderts gewesen ist, und das sich bezeichnenderweise auch in den kirchenrechtshistorischen Schriften R. Sohms deutlich zeigt. 41 Die bereits angesprochene Entwicklung in der späten Theologie Melanchthons wird von den Kritikern des Kirchenrechts nicht hinreichend gewürdigt. Auch die fraglos bestehenden Spannungen in der Ekklesiologie Luthers, dessen theologischer Kirchenbegriff keineswegs auf eine konsequente Trennung zwischen universaler und partikularer Kirche hinausläuft, wird eingeebnet. Der Kirchenbegriff Luthers geht im wesentlichen auf eine Umfonnung der augustinischen "ZweiReiche-Lehre"42 sowie deren Ergänzung durch die "Zwei-Regimenten-Lehre"

39 Eine derartige Spiritualisierung des Kirchenrechtsverständnisses findet sich auch in neueren kanonistischen Entwürfen, so z.B. bei Sobanski, 33; kritisch zum Vorwurf der "Theologisierung des Kirchenrechts" aus römisch-katholischer Sicht Ludger Müller, ArchkathKR 160 (1991),441-463. Trotz der immer noch unterschiedlichen ekklesiologischen Grundannahmen ist seit dem 2. Vatikanum eine zunehmende Angleichung der kirchenrechtstheoretischen Grundlagendebatte der Kanonistik an die protestantische Kirchenrechtstheorie zu beobachten, vgl. auch Rouco-Varela, ArchkathKR 140 (1971), 106-136. 40 Das Kirchenverständnis von Sohm ist schon von seinen Zeitgenossen kritisiert worden, so von Hamack, Entstehung und Entwicklung der Kirchenverfassungen und des Kirchenrechts in den ersten zwei Jahrhunderten, 121-186, und von Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, 513 Anm. 231, der feststellt, daß "die Gleichsetzung jenes idealistischen lutherischen Kirchenbegriffs mit dem urchristlichen historisch anfechtbar" sei (ebenso 517 Anm.236). Kritik am Kirchenverständnis von Sohm ist auch in der neueren Zeit immer wieder geäußert worden: Erik Wolf, Ordnung der Kirche. 17.495 ff.; Schlaich, Art." Kirchenrecht", 1657; vgl. auch Herms, ZevKR 28 (1983),199,257. 41 Vgl. Wilhelm Maurer in: ders., Die Kirche und ihr Recht, 364-387. 42 Vgl. Augustinus, De Civitate Dei (Vom Gottesstaat), XIV, 28, wo die grundlegende Unterscheidung zwischen civitas terrena und civitas dei entfaltet wird; ferner zum Verständnis der staatlichen Ordnungsfunktion (a.a.O., XIX, 17).

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zurück. 43 Luther hat keinen Zweifel gelassen, daß bei allen Unterscheidungen der "Zwei-Reiche-Lehre" Gott (und in ihm Christus) der Herr beider Reiche ist. 44 Sofern das weltliche Kirchenrecht bei Luther dem "Reich Gottes zur Linken", der "Welt" zugeordnet ist, folgt aus der Lehre von den "Zwei Regimenten" (duplex regimen), daß auch dort, wo die kirchliche Ordnung der "politia" zuzuordnen ist, ein Wirken Gottes zu sehen ist. 45 Die Delegitimation des Kirchenrechts als Teil der kirchlichen Ordnung geht daher auf eine unsachgemäße Simplifizierung der Zwei-Reiche-Lehre zurück. Ein sachgerechtes protestantisches Kirchenverständnis wird zwar keine Identifizierung von ecclesia spiritualis und ecclesia in mundo oder auch von ecclesia stricte dicta und ecclesia late dicta, von unsichtbarer und sichtbarer Kirche vornehmen können. Theologische Fragen wie z. B. die Erörterung der Prädestinationslehre müssen immer wieder erneut bei dieser Unterscheidung als einer wichtigen Errungenschaft der Reformation ansetzen. 46 Dennoch ist für die Legitimation kirchenrechtlicher Einzelregelungen nicht entscheidend, daß, sondern vielmehr wie eine solche Unterscheidung durchzuführen ist. Gerade das Kirchenmitgliedschaftsrecht stellt die Frage, wie der Bezug zwischen Kirche Jesu Christi und Partikularkirche zu denken ist. Die Mitgliedschaft in der Kirche Jesu Christi ist fraglos keiner rechtlichen Regelung zugänglich. Doch unterliegt die Kirche in ihrer Eigenschaft als eine geschichtliche Stiftung Jesu Christi von Beginn an der Regelung durch Rechtssätze. Weil eine Unterscheidung zwischen den Gläubigen und Ungläubigen (auch für die Kirche!) nicht möglich ist, wird folglich auch eine rechtliche Regelung der Kirchenmitgliedschaft, die zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern unterscheidet, nur im Bewußtsein der Vorläufigkeit der kirchlichen Existenz getroffen werden können. Zweifel an der Legitimität einer mitgliedschaftsrechtlichen Organisation der irdischen Institution Kirche können daher nicht bestehen, wenn die sichtbare

43 Vgl. Johannes Heckel, Lex Charitatis, 49 ff. ; Initia Iuris Ecclesiastici Protestantium, 15 ff. 44 Johannes Hecke!, Lex Charitatis, 56 ff.; ebenso ders., "Zwei-Reiche-Lehre", 317, 320 ff. 45 Vgl. die Darstellung bei Erik Wolf, Ordnung der Kirche, 354 f. 46 Gerade die ev.-reformierte Ekklesiologie hat daher - unbelastet von den bei den Lutheranern anfangs festzustellenden Bedenken - auf die Unterscheidung zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Kirche zurückgegriffen; es handelt sich dabei um eine Konsequenz der Prädestinationslehre, wie auch Trillhaas zu Recht annimmt (Trillhaas, Dogmatik,511).

A. Grundlagen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts

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Kirche als ohnehin nur vorläufige Gestalt der Kirche Jesu Christi und das Kirchenrecht als eine "Vor-Ordnung gegenüber der Gerechtigkeit Gottes als letzter Instanz"47 verstanden wird.

11. Die Bedeutung des theologischen Kirchenbegriffs für das evangelische Kirchenmitgliedschaftsrecht 1. Unterscheidung von theologischem und juristischem Kirchenmitgliedschaftsverständnis

Die Kirchenrechtslehre kann und muß sich auf die Darstellung der sichtbaren Kirche in ihrer juristischen Gestalt beschränken. Doch auch hinsichtlich der juristischen Gestalt der Kirche kann der Begriff der Kirchenmitgliedschaft weiter differenziert werden. Zum einen besteht die Kirchenmitgliedschaft nach innerkirchlichem Recht als Mitgliedschaft in einer sichtbaren verfaßten Kirche. Zum anderen steht die Mitgliedschaft auch in bestimmten staatskirchenrechtlichen Bezügen, die den Rahmen für die Übernahme der innerkirchlichen Kirchenmitgliedschaft in den staatlichen Rechtskreis bestimmen. Aus dem hier beschriebenen Kirchenverständnis ergibt sich somit, daß an der Unterscheidung zwischen einem theologischen und einem juristischen Kirchenmitgliedschaftsverständnis notwendig festzuhalten ist. Von unmittelbar staatskirchenrechtlichem Interesse kann dabei allein die Kirchenmitgliedschaft im rechtlichen Sinne sein, d.h. die Kirchenmitgliedschaft, soweit sie nach rechtlichen Maßstäben überhaupt erfaßt werden kann. Es ist bei Zugrundelegung der vorhergehenden Überlegungen evident, daß die theologische Beurteilung der Kirchenmitgliedschaft nicht notwendig immer mit rechtlichen Maßstäben arbeiten muß. Aus diesem Grunde ist es notwendig, rechtlich gesehen von der Mitgliedschaft in einer konkreten rechtlich verfaßten Kirche zu sprechen. "Mitgliedschaft" in einer Kirche wird im folgenden daher als Kirchenzugehörigkeit im rechtlichen Sinne verstanden, die mit bestimmten kirchenrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Rechten und Pflichten des Kirchenmitglieds, vor allem der Kirchensteuerpflicht verbunden ist. 48 Der Begriff der "Gliedschaft" ist, wo von juristischer Zugehörigkeit die Rede sein soll, auszuscheiden.

47 Ernst Wolf, Zum protestantischen Rechtsdenken, 191,201. 48 Vgl. Obennayer, NVwZ 1985,78; Honecker, Art. "Kirchenrecht. 11.", TRE 19,

724, 740 (zur Kirchenmitgliedschaft).

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Die Unterscheidung von geistlich-theologischer Kirche Jesu Christi und rechtlich verfaßter Kirche ist kirchenrechtstheoretisch nur dann legitim, wenn sie nicht als Ausdruck eines diametralen unversöhnlichen Gegensatzes von "Geist" und "Recht" verstanden wird. Theologisches und juristisches Kirchenverständnis müssen als zwei dialektisch aufeinander bezogene Wesenszüge und Aspekte der einen Kirche verstanden werden49 , wenn man die "geistliche Prägung des Kirchenrechts" nicht lediglich als Utopie auffaßt. Bei dieser Unterscheidung kann es sich also nur um eine Unterscheidung zweier begrifflicher Ebenen handeln, die jedoch nicht in die Verabsolutierung eines doppelten Kirchenbegriff einmünden darf, weil es keine im Ernst so zu nennende Glaubens- oder Rechtskirche im Sinne des doppelten Kirchenbegriffes gibt. Die Überwindung dieses doppelten Kirchenverständnisses ist der bleibende Verdienst der großen Grundlagenentwürfe von Johannes HeckeI, Siegfried Grundmann, Hans Dombois und Erik Wolf. 50 Ein reformatorisches Verständnis des Kirchenbegriffs muß also Kirche Jesu Christi und rechtlich organisierte Partikularkirche zusammenfassen, ohne diese grundsätzliche Unterscheidung der beiden Teilaspekte des Kirchenbegriffs als eine der wichtigsten Neuerungen der Reformation aufzugeben, die auf eine dialektische Spannung innerhalb des reformatorischen Kirchenbegriffs zurückgeführt werden kann. Aus der Unterscheidung von rechtlichem und geistlichem Aspekt der einen Kirche ergeben sich für die Untersuchung des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts insofern Konsequenzen, als die theologische Gliedschaft zwar nicht ohne weiteres mit der Mitgliedschaft im rechtlichen Sinne begrifflich identifiziert werden kann. Doch muß die geistliche Gliedschaft in der Kirche Jesu Christi als ein Mehr, also als "Überbau" der juristischen Mitgliedschaft begriffen werden, so daß die juristische Mitgliedschaft gleichsam als ein Teilausschnitt der geistlichen Gliedschaft zu verstehen ist. 51 Es mag sich nunmehr die Frage nach der Bedeutung des kirchlichen Selbstverständnisses für eine staatskirchenrechtliche Untersuchung stellen, die sich

49 Link, Art. "Kirchenmitgliedschaft. B. Juristisch" in: EvStL, 3. Auflage 1987, 1596. Zur Denkfigur der Dialektik und ihrer Bedeutung für die Rechtstheologie vgl. vor allem Erik Wolf, Ordnung der Kirche, 27 ff., 498 ff. Vgl. zum Begriff der Dialektik bei Erik Wolf auch die luzide Darstellung von Alwast (Lit.). 50 Vgl. dazu ausführlich die Zusammenfassung von Steinmüller (Lit.). 51 Das Gemeinte kann in einer Parallele zum Begriff des Naturrechts verdeutlicht werden: Kirchenmitgliedschaft und geistliche Gliedschaft stehen in einem ähnlichen Verhältnis wie Naturrecht und positives Recht.

A. Grundlagen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts

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doch im wesentlichen auf das mit juristischen Kategorien Erfaßbare beschränken muß. Zum einen ist hier auf die begrifflich notwendige Unterscheidung zwischen der geistlichen (theologischen) und der juristischen Mitgliedschaft zu verweisen. Im Mittelpunkt einer juristischen Auseinandersetzung mit dem kirchlichen Mitgliedschaftsr~cht müssen naturgemäß die rechtlichen Aspekte der Kirchenmitgliedschaft stehen. Zum anderen kann - im Gegensatz zum geltenden Kirchenrecht der römischkatholischen Kirche - für das evangelische Kirchenrecht eine durchgehende Unterscheidung von juristischem und theologischem Mitgliedschaftsbegriff vorgenommen werden. Dies ist von eminenter Bedeutung, wenn man die rechtsstaatlichen Anforderungen bedenkt, die für die Anknüpfung des staatlichen Rechts an kirchliche Rechtsnormen zu stellen sind. Dem kirchlichen Mitgliedschaftsrecht kommt gleichsam Tatbestandswirkung für die Kirchensteuerpflicht zu, weil der kirchliche Gesetzgeber mit der Regelung des Kirchenmitgliedschaftsrechts gleichzeitig uno actu das Steuersubjekt im Kirchensteuerrecht bestimmt. Wird durch die Mitgliedschaft in einer evangelischen Landeskirche vermittelt durch die Landeskirchensteuergesetze - eine Pflicht zu staatlich sanktionierten Geldleistungen an die Kirchen (Kirchensteuerpflicht) begründet, so ist die Anerkennung der Kirchenmitgliedschaft durch das staatliche Recht den gleichen Anforderungen unterworfen, denen auch der staatliche Gesetzgeber unterstellt ist.

2. Das Problem des "vereinsrechtIichen" Mitgliedschaftsverständnisses

Ein in Literatur und Rechtsprechung immer wieder angeführtes Argument ist die Feststellung, daß die Kirchenmitgliedschaft nicht an einem "vereinsrechtlichen " Mitgliedschaftsverständnis ausgerichtet werden dürfe. 52 Das Kirchenmitgliedschaftsrecht ist von dieser Feststellung besonders betroffen, denn "die

52 Meyer, ZevKR 33 (1988), 313, 321; ders., in: Lienemann (Hrsg.), Finanzen der Kirche, 173, 185; Rausch, ZevKR 36 (1991), 337, 353; nach Ansicht von Axel v. Campenhausen messen diejenigen Autoren, die eine Willenserklärung des Kirchenmitglieds zur Voraussetzung eines wirksamen Mitgliedschaftserwerbs machen, das "kirchliche Mitgliedschaftsrecht an der Elle des Vereinsrechts" (ders. in: HdbStKR Bd. 1, 2. Aufl. 1994, 774 Fn. 60). Zur ,Rechtslage nach katholischem Kirchenrecht FG Münster, Urt. v. 22.1.1993 - 4 K 4272/92 Ki = EFG 1993, Nr. 379 ("Die röm.-kath. Kirche ist mit einem bürgerlich-rechtlichen Verein nicht vergleichbar. ").

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Kirchenzugehörigkeit wird, anders als beim Verein, nicht durch einen privatrechtlichen Vertrag zwischen dem Beitrittswilligen und der jeweiligen Kirche begründet"53, sondern durch Taufe, Bekenntnis und Wohnsitznahrne. Die Feststellung, daß dem Kirchenmitgliedschaftsrecht keinesfalls vereinsrechtliche Kategorien aufgedrängt werden dürften 54, besagt in der Regel, daß erstens in der Forderung nach einer objektiv feststellbaren Beitrittserklärung des Kirchenmitglieds oder seiner Erziehungsberechtigten für eine auch kirchensteuerrechtlich (also nach staatlichen Recht) wirksame Begründung der Kirchenmitgliedschaft die Einführung vereinsrechtlicher - also sachfremder - Kategorien in das Kirchenmitgliedschaftsrecht liege, und daß zweitens ein derartiges "vereinsrechtliches" Mitgliedschaftsrecht (in einer gegen die Religionsfreiheit der Kirchen gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG verstoßenden Weise) dem Selbstverständnis der Kirchen widerspricht. Eine solche Argumentation ist nicht haltbar. 55 Der Vorwurf der unzulässigen Einführung vereinsrechtlicher Kategorien verwechselt die beiden unterschiedlichen Kategorien des kirchlichen und des staatlichen Rechts. Die kirchenrechtliche Mitgliedschaft einerseits und die staatskirchenrechtlichen Voraussetzungen der Anerkennung dieser Mitgliedschaft für das staatliche Recht andererseits müssen unterschieden werden. Die Forderung nach der Einführung einer ausdrücklichen Beitrittserklärung erstreckt sich nämlich nicht auf die Kirchenmitgliedschaft als innerkirchenrechtliches Phänomen. 56 Eine Beitrittserklärung wird vielmehr von einem Teil der Literatur als Voraussetzung allein dafür gefordert, daß die Kirchenmitgliedschaft auch als Tatbestandsvoraussetzung im Kirchensteuerrecht anerkannt werden kann. 57 Über die Voraussetzungen der staatlichen Anerkennung des Mitgliedschaftsrechts entscheidet das staatliche Recht. Verlangt das staatliche Recht eine

53 FG Münster, a.a.O. 54 Meyer, ZevKR 33 (1988), 321. 55 Es besteht darüberhinaus die Gefahr, daß wohlüberlegte staatskirchenrechtliche Sachargumente mit dem Vorwurf der Verwendung "vereinsrechtlicher" Kategorien voreilig abgetan werden. Dies ist ein erheblicher Mangel der bisherigen Diskussion. 56 In einer solchen (nach 1945 nicht mehr erhobenen) Forderung wäre in der Tat eine verfassungswidrige Einführung vereinsrechtlicher Strukturen in das verfassungsrechtlich durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs.3 WRV geschützte eigenverantwortlich zu erlassende Mitgliedschaftsrecht der Kirchen zu sehen. 57 Vgl. hierzu vor allem Obermayer, NVwZ 1985,77-79 und Engelhardt, NVwZ 1992, 239 f.; gegen Obermayer und Engelhardt wendet sich kritisch Axel v. Campenhausen in: HdbStKR Bd. 1,2. Aufl. 1994,755,774.

A. Grundlagen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts

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freiwillige Beitrittserklärung des Kirchenmitglieds für die staatskirchenrechtlich anzuerkennende Begrundung der Kirchenmitgliedschaft, so ist dies eine Angelegenheit des staatlichen Rechts. Diese richtet sich nicht nach dem Selbstverständnis der Kirchen oder etwa danach, ob der Grundsatz der Freiwilligkeit des Kirchenmitgliedschaftserwerbs mit dem kirchlichen Selbstverständnis in Einklang steht: Es steht den Kirchen frei, die Kirchenmitglieder nach kirchlichem Recht auch gegen deren Willen als Mitglieder in Anspruch zu nehmen. Demgegenüber steht es dem Staat frei, einer solche Mitgliedschaft (weil gegen staatliches Recht, u.a. gegen Art. 4 Abs.l und 2 GG verstoßend) die Anerkennung zu versagen. Ebenso kann das staatliche Recht eine Beitrittserklärung verlangen, die das kirchliche Recht nicht vorsieht. Wenn das staatliche Recht eine solche Beitrittserklärung für die Anerkennung der Kirchenmitgliedschaft verlangt, so wird die Kirchenmitgliedschaft als kirchenrechtliches Institut davon nicht tangiert. Die Forderung nach einer Beitrittserklärung ist dann legitim, wenn sie sich im Rahmen einer Beschränkung der Kirchenmitgliedschaft und ihrer Ausstrahlung auf das staatliche Recht durch ein "für alle geltendes Gesetz" (Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 3 WRV) hält. Die Frage nach der Zulässigkeit der Einführung "vereinsrechtlicher" Kategorien läßt sich so auf die Schrankenproblematik des Art. 140 GG / Art. 137 Abs. 3 WRV zurückführen. Daß die Kirchenmitgliedschaft nicht durch einen privatrechtlichen Vertrag, sondern durch Taufe, Bekenntnis und Wohnsitz nach Maßgabe des kirchlichen Rechts erworben wird, ist in der Literatur nach 1945 - soweit ersichtlich - zu keinem Zeitpunkt bestritten worden. Der Vorwurf eines vereinsrechtlichen Kirchenbegriffs verbunden mit dem der Einführung kollegialistischer58 Kategorien ist dennoch immer wieder dort anzutreffen, wo in der Literatur ein freiwilliger Beitrittsakt für die Begründung der Kirchenmitgliedschaft gefordert wird.

58 Die Aussage, daß die Kirche rechtlich gesehen als Verein konstituiert werde, wurde von den Juristen des Kollegialismus in eine theologische Konzeption der "Vereinigung" Kirche transformiert. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf das Kirchenmitgliedschaftsrecht. Die Taufe wird zum gesellschaftlichen "Bund" des Täuflings mit der Kirchengesellschaft. Vgl. zum Einfluß des Kollegialismus auf die Kirchenrechtstheorie Schlaich, Kollegialtheorie (1969), 98; ferner Martin Heckei, Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Kritisch zur vorherrschenden Interpretation des Kollegialimus Link, Christentum und moderner Staat, 110, 124.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Nach den bisherigen Ausführungen ist die argumentative Bezugnahme des Kirchenmitgliedschaftsrechts auf das Vereinsrecht unter der Voraussetzung zulässig, daß man sich der verfassungsrechtlich gewährleisteten Eigenart der religösen Verbände bewußt bleibt, die aus der Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel gern. Art. 140 GG hervorgeht. Die Forderung nach einer ausdrücklichen Willenserklärung als Voraussetzung des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft ist nicht allein durch den Hinweis auf die bestehende Sonderstellung der Kirchen in der Verfassungssystematik zu widerlegen. Geht es um die Erforderlichkeit einer Willensentscheidung des einzelnen für eine staatskirchenrechtlich wirksame Begründung der Kirchenmitgliedschaft, so ist die verfassungsrechtliche Gebotenheit einer solchen Interpretation zu prüfen. Ist ein Willensakt des Kirchenmitglieds verfassungsrechtlich geboten, so kann unter Umständen als ein diesem Postulat entgegenstehendes Rechtsgut das Selbstverständnis der Kirchen in Betracht zu ziehen sein. Nur in Bezug auf dieses theologische kirchliche Selbstverständnis läßt sich heute mit Gewißheit die Überholtheit der kollegialistischen Vorstellung eines vertraglichen Bundes zwischen Kirchenmitglied und "Kirchengesellschaft" behaupten. 59 Die Frage der Voraussetzungen einer Anerkennung der Kirchenmitgliedschaft durch das staatliche Recht ist dagegen keine Frage des Kirchenverständnisses. Sie richtet sich nämlich nicht nach irgendeinem Verständnis von "Kirche", sondern danach, was das staatliche Recht zur Voraussetzung der staatlichen Anerkennung der Kirchenmitgliedschaft als Grundlage der Kirchensteuerpflicht macht. Auch hier gilt, daß die Zulässigkeit der Übernahme des Mitgliedschaftserwerbs vom kirchlichen in das staatliche Recht grundsätzlich anderen Anforderungen unterliegen kann (und muß) als denjenigen, die von der Kirche nach innerkirchlichem Mitgliedschaftsrecht zugrunde gelegt werden.

59 Vgl. Martin Heckel in: HdbStKR Bd.1, 2. Auf!. 1994, 157, 186 ff.

A. Grundlagen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts

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3. Verfassungsmäßigkeit der staatlichen Anknüpfung an das innerkirchliche Recht

a) Kirchenmitgliedschaft und "Mitgliedschaft im Kirchensteuerverband" Das kirchliche Mitgliedschaftsrecht unterliegt den Schranken des für alle geltenden Gesetzes gern. Art. 137 Abs.3 S.l WRV. Von dieser Frage zu unterscheiden ist jedoch das Problem der Zulässigkeit der staatlichen Anknüpfung an innerkirchliche Rechtsnormen. 60 Eine Besonderheit des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts gegenüber anderen Bereichen des Kirchenrechts liegt darin, daß das staatliche Kirchensteuerrecht unmittelbar an die kirchlichen Mitgliedsregelungen anknüpft und auf diese Weise die Konkretisierung der Kirchensteuerpflicht den Kirchen überläßt. Dies stellt die Frage nach der Zulässigkeit einer solchen Delegierung der Normsetzungskompetenz durch den staatlichen Gesetzgeber. Die Ermächtigung des staatlichen Gesetzgebers an die Kirchen, den Kreis der kirchensteuerpflichtigen Personen festzulegen, stößt auf nicht unerhebliche rechtskonstruktive Probleme. Weil das kirchliche Mitgliedschaftsrecht die Grundlage für die Bestimmung des Steuerschuldverhältnisses bildet und dieses Steuerschuldverhältnis eine unverkennbare Angelegenheit des staatlichen Rechts ist, scheint es nahe zu liegen, der kirchlichen Mitgliedschaft insofern im staatlichen Recht ein steuerrechtliches Mitgliedschaftsverhältnis (= "Mitgliedschaft im Kirchensteuerverband") beizuordnen. 61 Da die Besteuerung der Mitglieder eine gemeinsame Angelegenheit62 von Staat und Kirche ist und die Kirchen in ihrer Eigenschaft als öffentlich-rechtliche Körperschaften Rechtsetzungsbefugnis auf öffentlich-rechtlichem Gebiet besitzen 63 , ist das kirchliche Mitgliedschaftsrecht ein integrierter Bestandteil des staatlichen Kirchensteuerrechts. Ein Großteil der staatskirchenrechtlichen Problematik des Kir-

60 Zu dieser Frage hat das BVerfG ausgeführt. daß es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliege, "wenn staatliche Behörden und Gerichte angehalten werden, im Kirchensteuerrecht die innerkirchliche Ordnung zugrundezulegen, soweit sie die entscheidungserheblichen Rechtsbegriffe und Rechtsverhältnisse aus dem kirchlichen Bereich prägt" (BVerfG v. 31.3.1971 - 1 BvR 744/67 = BVerfGE 30, 415, 422). 61 Pirson, ZevKR 13 (1967/68), 337-358 = Meinhold, Kirchengliedschaft, 158; vgl. auch Säcker, BayVBI. 1970,314 ff. 62 Busse, 155; Hollerbach, AöR 92 (1967), 99, 119 f.; Marre in: HdbStKR Bd. 1, 2. Aufl. 1994, 1101, 1110; Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 191. 63 Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 176. 7 Haß

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chenmitgliedschaftsrechts geht darauf zurück, daß die innerkirchenrechtliche Kirchenmitgliedschaft gleichzeitig als "kirchensteuerrechtliche" Kirchenmitgliedschaft auch für das staatliche Recht maßgeblich ist. Eine Unterscheidung von innerkirchenrechtlicher und kirchensteuerrechtlicher Mitgliedschaft sieht das geltende Recht nicht vor. Die Ansicht, daß zwischen der Kirchenmitgliedschaft und der Mitgliedschaft im Kirchensteuerverband zu unterscheiden ist, muß unterschieden werden von der vornehmlich rechtspolitischen Forderung nach einem staatlichen Kircheneintrittsrecht. 64 Von Interesse für das derzeitige Kirchensteuerrecht ist nämlich nicht eigentlich die Kirchenmitgliedschaft als kirchenrechtliches Institut mit der daraus resultierenden Stellung des Mitglieds in der Kirche, sondern allein der steuerrechtlich interessierende, an den Beginn der Kirchenmitgliedschaft gekoppelte Beginn der Kirchensteuerpflicht. Aus diesem Grund ist es irreführend, von einer "Mitgliedschaft" im Kirchensteuerverband als einem eigenständigen, von der Kirchenmitgliedschaft unterschiedenen Rechtsverhältnis zu sprechen, weil dieser Begriff allzusehr an eine Spaltung des Kirchenmitgliedschaftsbegriffs oder gar an einen staatlichen Kirchenmitgliedschaftsbegriff denken läßt. Strenggenommen ist das Kirchenmitgliedschaftsrecht aus Sicht des staatlichen Rechts nur insoweit von Interesse, als es über Beginn und Ende der Kirchensteuerpflicht entscheidet. Weil die kirchlichen Mitgliedschaftsregelungen nicht nur den Beginn der Kirchensteuerpflicht regeln, ist diese Dimension des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, der "staatskirchenrechtliche" Aspekt, von der kirchenrechtlichen und der theologischen Dimension des Mitgliedschaftsrechts abzuheben. Der erwähnte staatskirchenrechtliche Aspekt hat seine Geltungsgrundlage nicht in der kirchlichen Mitgliedschaftsnorm selbst, sondern er kommt allein durch die Bezugnahme des staatlichen Kirchensteuerrechts auf die kirchliche Mitgliedschaftsregelung zum Tragen. Geht die steuerrechtliehe Bedeutung des Mitgliedschaftsrechts nicht vom kirchlichen Mitgliedschaftsrecht selbst aus, sondern allein von der Anerkennung durch den staatlichen Kirchensteuergesetzgeber, so ist diese Anerkennung durch den staatlichen Gesetzgeber das ausschlaggebende Faktum, das von verwaltungs- und verfassungsrechtlichem Interesse sein kann. Von größter Bedeutung ist also die zunächst nur formal erscheinende Feststellung, daß es staatskirchenrechtlich nicht etwa um die Verfassungsmäßigkeit des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts geht, sondern um die verfassungsmäßigen Grenzen der Anerkennung des kirchlichen Mitgliedschafts-

64 Vgl. unten Abschnitt A.lI.3.b.

A. Grundlagen des evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrechts

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rechts durch die staatlichen Finanzbehörden auf dem Gebiet des Kirchensteuerrechts. Die Fragestellung läßt sich deshalb eingrenzen auf die Voraussetzungen der Anerkennung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts als eines Teils des kirchlichen Besteuerungssystems.

b) Erforderlichkeit eines staatlichen Kircheneintrittsrechts Obennayer hat die Forderung nach einem staatlichen Kircheneintrittsrecht erhoben, da ein staatliches Kircheneintrittsrecht ein Gebot der Rechtssicherheit als Teil des Rechtsstaatsprinzips sei. 65 Die Zulässigkeit einer solchen staatlichen Nonnierung der Voraussetzungen des Mitgliedschaftserwerbs wird jedoch bestritten. 66 In der Errichtung eines staatlichen Kircheneintrittsrechts sei eine Integration der Kirchen in den staatlichen Bereich und damit ein Verstoß gegen das Verbot der Staatskirche gern. Art. 140 GG i.V.m. 137 Abs.l WRV zu sehen. Dieses Argument ist nun nicht sonderlich überzeugend. Die Forderung einer staatlichen Regelung des Kircheneintritts beschränkt sich auf die Kirchenmitgliedschaft nur soweit, wie sie für den staatlichen Bereich von Interesse ist. In diesem Punkt besteht kein Unterschied zum bestehenden staatlichen Kirchenaustrittsrecht. 67 Der staatliche Gesetzgeber ist nicht nur berechtigt, er ist auch verpflichtet, die Voraussetzungen der Kirchenmitgliedschaft allein nach staatlichen Maßstäben zu beurteilen, soweit aus der Mitgliedschaft Konsequenzen für das staatliche Recht erwachsen sollen. Eben dies geschieht, wenn einer mitgliedschaftsrechtlichen Vorschrift unter Verweis auf die Verletzung von Grundrechten Dritter die Anerkennung im Kirchensteuerrecht versagt wird. Der dem staatlichen Recht zugrunde liegende Mitgliedschaftsbegriff ist notwendig enger als der kirchliche Begriff, weil der staatliche Begriff - anders als der kirchenrechtliche - die verfassungsrechtlichen Anforderungen, vor allem die Bestimmungen des Grundrechtskataloges, in jeder Hinsicht strikt zu beachten hat. Die herrschende Praxis, das kirchliche Mitgliedschaftsrecht im staatlichen Bereich unangewendet zu lassen, wenn es gegen das "für alle geltende Gesetz" verstößt, ist eine Möglichkeit, die Spannungen zwischen innerkirchlichem Kirchenmitgliedschaftsrecht und staatlichem Kirchensteuerrecht aufzulösen. Sie ließe sich jedoch ohne praktische Auswirkungen durch eine staatliche Definition

65 Obermayer, NJW 1970, 1645 f. 66 Strätz, NJW 1971, 2194. 67 7·

Einen derartigen Unterschied behaupten jedoch Strätz, a.a.O., und Bäcker, 25.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

dessen, was im staatlichen Bereich als Mitgliedschaft anerkannt wird, ersetzen. Für die Kirchenmitgliedschaft nach innerkirchlichem Recht hätte dies keinerlei Auswirkungen, deshalb wäre ein staatliches Kircheneintrittsrecht in diesem Sinne auch im Hinblick auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs.3 WRV zulässig. 68 Die Frage der Erforderlichkeit eines solchen Kircheneintrittsrechts ist eine andere. Gründe der Rechtsklarheit sprechen dafür, doch ist diese eher rechtspolitische Frage derzeit kaum aktuell. 69

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft im geltenden evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrecht I. Territorialprinzip und Personalitätsprinzip Territorialprinzip und Landeskirchenturn sind bis heute prägende Strukturelemente des geltenden Kirchenmitgliedschaftsrechts, deren historische Bedingtheit von der Kirchenrechtslehre notwendig bedacht werden muß. Die Formel "cuius regio - eius religio"70 drückt das Ergebnis des Augsburgischen Religionsfriedens von 1555 schlagwortartig aus: die konfessionelle Geschlossenheit der Territorien des Reichsgebietes. Dem Landesherrn stand es zu, in

68 Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 61. 69 Der Versuch aus dem Jahr 1940, im Warthegau ein staatliches Kircheneintrittsrecht zu statuieren (dazu Gürtler, 47 ff.), ist mit den vorhergehenden Überlegungen kaum vergleichbar. Die Forderung nach einem staatlichen Kircheneintrittsrecht findet sich zwar in zahlreichen Äußerungen dieser Zeit, z.B. bei Mirbt, DRW 1940, 75 (" ... vermag unfreiwillige Kirchenmitgliedschaft nur ein Kircheneintrittsgesetz zu verhindern, welches unter Beachtung des Wesens der Kirchen als religiöser Gemeinschaften die rechtswirksame Zugehörigkeit von einer ausdrücklichen Erklärung abhängig macht"). Der polemische Versuch, nationalsozialistischen Kirchenkampf und FDP-Kirchenpapier von 1973 in diesem Zusammenhang gleichzusetzen (Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 62, Fn. 87), ist nicht angebracht. Ein Vergleich von liberalem und totalitärem Staatskirchenrechtsdenken geht fehl. 70 Die Formel stammt von dem Greifswalder evangelischen Juristen Joachim Stephani (Demonstrationes politicae 1576); sie ist Ausdruck der von den Brüdern Joachim und Matthias Stephani begründeten Episkopaltheorie (vgl. W.-P. Fuchs, Das Zeitalter der Reformation, § 33; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, 161 f.; Martin Hecket, Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, 79 ff.).

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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Ausübung des sog. ius reformandi den Bekenntnisstand seines Territoriums zu bestimmen. Der Summepiskopat der evangelischen Landesherrn ist Kennzeichen dieser Entwicklung, in der sich die reformatorische Kirche nicht als mitgliedschaftlich verfaßter korporativer Verband, sondern als Bestandteil der öffentlichen Ordnung, mit anderen Worten als ein Teil des Staates verstand.1 1 Staatsangehörigkeit und Konfessionszugehörigkeit waren konsequent miteinander verknüpft, der Genuß staatsbürgerlicher Rechte wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts an die Kirchenzugehörigkeit gekoppelt. Die Mitgliedschaft in der Landeskirche des Wohnsitzes war mithin eine selbstverständliche staatsbürgerliche Pflicht des einzelnen, der er lediglich durch Auswanderung (in Ausübung des ius emigrandi) zuvorkommen konnte. Dieses sog. Territorialprinzip72 hat auch das Zeitalter der Aufklärung, wenn auch in abgeschwächter Form, unbeschadet überstanden. Das Staatskirchentum verschaffte den Landeskirchen eine gebietskörperschaftsähnliche Stellung, die keine Rücksicht auf individuelle Bekenntnisentscheidungen zu nehmen hatte: quidquid est in territorio est etiam de ecclesia. Aus dieser historisch begründeten Stellung der Landeskirchen versteht es sich beinahe von selbst, daß der Erwerb der Kirchenmitgliec;lschaft kein eigentlich rechtliches Problem darstellte. Die rechtliche Organisation der Kirchenmitgliedschaft wurde vielmehr erst notwendig mit dem Beginn der Herauslösung der Kirchen aus dem Staatswesen, also mit der Ausbildung konfessionell paritätischer Staaten an der Schwelle des 19. Jahrhunderts.1 3 Erst die Entstehung konfessionell paritätischer Staaten führte zur Zulassung des Konfessionswechsels. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden auf dem Hintergrund des Kulturkampfes staatliche Gesetze, die den Kirchenübertritt und den Kirchenaustritt gewährleisteten. 74 Damit stand die Kirchenmitgliedschaft zur Disposition des einzelnen Kirchenmitglieds. Neben das reine Territorialprinzip des Staatskirchentums der Aufklärungszeit begann nun als gegenläufiges Moment das Personalitätsprinzip zu treten, das die Willensentscheidung des Einzelnen zur Voraussetzung seiner Eingliederung in die Landeskirche machte.

71

Smend, ZevKR 6 (195711958),113 ff.; Rausch, ZevKR 1991,337,340. Zum historischen Hintergrund des Territorialsystems Schia ich, ZRG Kan. Abt. 54 (1968), 269 ff.; Martin Heckei, Art. "Territorialsystem", in: EvStL, 3. Auflage 1987, 3600 ff. 73 Huber, in: Lienemann-Perrin, 503. 74 Vgl. das Preußische Kirchenaustrittsgesetz v. 14. Mai 1873 (abgedruckt bei E.R.Huber/W. Huber, Staat und Kirche Bd.2, 610). 72

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Trotz aller Veränderungen des Verhältnisses von Staat und Kirche durch die Weimarer Reichsverfassung von 1919 und in weitaus stärkerem Maße durch das Bonner Grundgesetz hat sich an der immer noch weitgehend territorial ausgerichteten Struktur des Kirchenmitgliedschaftsrechts zunächst wenig geändert.1 5 Die territoriale Strukturierung des Mitgliedschaftsrechts ist zum erstenmal nachhaltig durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Badischen Ortskirchensteuer v. 14.12.1965 76 in Frage gestellt worden. Im Zentrum dieser Entscheidung steht die These, daß die früheren Landeskirchen "nicht mehr den Rechtscharakter von Gebietskörperschaften [haben] mit der Macht, jemanden, der in ihr Gebiet eintritt, einseitig ohne Rücksicht auf seinen Willen einzugliedern. ,,77 Mit dieser Feststellung wurde nicht nur positiv ein Willenselement zur konstitutiven Voraussetzung des Mitgliedschaftserwerbs gemacht78 , sondern auch gleichzeitig auf Bedenken gegen die FortgeItung des Territorialprinzips unter der staatskirchenrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes hingewiesen, und zwar in einer Weise, die Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Territorialprinzips insgesamt aufkommen lassen hat.1 9 Im folgenden wird auch der Frage nachzugehen sein, ob die fortbestehenden territorialen Elemente im evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrecht mit den staatskirchenrechtlichen Grundprinzipien des Grundgesetzes vereinbar sind. Das gesamte Kirchenmitgliedschaftsrecht ist an der Feststellung zu messen, daß niemand gegen seinen Willen von einer Religionsgemeinschaft mit Wirkung für das staatliche Recht als Mitglied in Anspruch genommen werden darf. Die finanzund verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung läßt bisher nicht erkennen, daß dieser Forderung des Bundesverfassungsgerichts von 1965 hinreichend nachgekommen worden ist.

75 Vgl. auch Brunotte, ZevKR 7 (195911960), 348 (373). 76 BVerfGE 19,206. 77 BVerfG, a.a.O., 217. 78 Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 1401137 WRV Rdnr. 45, 57; Engelhardt, NVwZ 1992, 239, 240. 79 Vgl. die kritische Reaktion von Pirson, der eine entscheidende Behinderung der kirchlichen Selbstbestimmung und gar eine "gravierende Überfremdung" durch das staatliche Recht darin sieht, wenn die Kirchen "tatsächlich, wie das Gericht [in der Entscheidung BVerfGE 19,206, M.H.] zu verstehen gibt, durch Verfassungsrecht gezwungen wären, die überkommene territoriale durch eine personelle Grundlage zu ersetzen" (ders. in: Festschrift für E. Ruppel, 277, 295).

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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11. Kirchenmitgliedschaft und Verhältnis zu EKD, Landeskirche und Kirchengemeinde Das Verhältnis zwischen der Kirchenmitgliedschaft und den daraus abgeleiteten Rechtsbeziehungen der einzelnen Kirchenmitglieder zu EKD, Landeskirchen und Kirchengemeinden ist in § 1 Abs.2 EKD-KMitgliedG geregelt. So besteht nach § 1 Abs.2 EKD-KMitgliedG die Kirchenmitgliedschaft sowohl zur Kirchengemeinde als auch zur (EKD-)Gliedkirche des Wohnsitzes des einzelnen Kirchenmitglieds. Durch die Mitgliedschaft in Kirchengemeinde und Gliedkirche gehört das einzelne Kirchenmitglied gern. § 2 Abs.2 EKD-KMitgliedG gleichzeitig der Evangelischen Kirche in Deutschland an.

1. Gemeindemitgliedschaft und Kirchenmitgliedschaft

Das rechtliche Verhältnis zwischen der Mitgliedschaft in einer Landeskirche (Kirchenmitgliedschaft) und der Mitgliedschaft in der einzelnen Kirchengemeinde des Wohnortes (Kirchengemeindemitgliedschaft) ist ein Strukturproblem, das die Diskussion des Mitgliedschaftsrechts von Anfang an begleitet hat. 80 Unterschiedliche Beurteilungen ergaben sich vor alIem hinsichtlich der Frage, ob der Kirchen- oder der Gemeindemitgliedschaft Priorität zukommen solIe. Diese Frage setzt ein theologisches (nicht selten konfessionelI geprägtes) Vorverständnis des rechtlichen Verhältnisses zwischen Kirche und Kirchengemeinde voraus. Die neuere Kirchenrechtslehre hat diese Frage dahingehend beantwortet, daß eine gleichberechtigte Wechselbeziehung zwischen Kirchenund Gemeindemitgliedschaft besteht. 81 Im geltenden Kirchenrecht wird in § 1 Abs.2 EKD-KMitgliedG diese "Wechselbeziehung" zweier gleichberechtigt und gleichzeitig wirkender Mitgliedschaftsverhältnisse, nämlich der Mitgliedschaft in der EKD-Gliedkirche sowie in der jeweiligen Kirchengemeinde des Wohnortes, festgestelIt. Die gesamtkirchliche Rechtslage ist damit eindeutig durch eine gleichwertige gesetzliche Zuordnung bei der Mitgliedschaftsverhältnisse geklärt worden.

80 Vgl. Braun, ZKR 21 (1886),401 ff. 81 Liermann, ZevKR 4 (1955), 397; Brunotte, ZevKR 7 (1959/60), 349 f.; Erik Wolf, Ordnung der Kirche, 579.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Gewisse Friktionen bestehen allerdings zwischen dieser gesamtkirchlichen Regelung und den teilweise parallelen, teilweise aber auch abweichenden Regelungen der Kirchenmitgliedschaft in den Kirchenverfassungen der Gliedkirchen.8 2 So regeln die Gliedkirchen, die in der altpreußisch-unierten Rechtstradition stehen, in ihren Kirchenordnungen lediglich eine Gemeinde-, jedoch keine eigentliche Kirchenmitgliedschaft. 83 Will man sich nicht bereits an dieser Stelle in schwierigen Erwägungen zum Verhältnis VOn Bestimmungen in EKD-KMitgliedG zu den konkurrierenden Vorschriften der einzelnen Landeskirchen verlieren, so empfiehlt sich eine vorausgehende Bestimmung der Rechtslage in den betreffenden Landeskirchen. Es ist zunächst zu klären, ob die Gliedkirchen nicht nur in der Formulierung, sondern auch in der Sache von § 1 Abs.2 EKD-KMitgliedG abweichende Regelungen getroffen haben. Auch in den Gliedkirchen ist nämlich unbezweifelt, daß der Landeskirche Rechtsetzungsbefugnis gegenüber den Kirchengemeindegliedern zukommt. Dies kann nur dann sinnvoll sein, wenn Rechtsbeziehungen zwischen der Landeskirche und dem einzelnen Kirchenmitglied bestehen, die als eine - durch die Mitgliedschaft in der Kirchengemeinde vermittelte - Kirchenmitgliedschaft im eigentlichen Sinne beschrieben werden können. Den entsprechenden gliedkirchlichen Bestimmungen liegt daher allenfalls eine ekklesiologische Betonung der Gemeindegliedschaft zugrunde, ohne daß dieser (theologischen) Entscheidung eine (rechtliche) Ausschlußwirkung für das Bestehen einer Mitgliedschaft in der Landeskirche zukommen kann. In rechtlicher Hinsicht ist daher trotz abweichender gesetzlicher Formulierungen keine relevante Abweichung zwischen § 1 Abs.2 EKD- KMitgliedG und den entsprechenden mitgliedschaftsrechtlichen Bestimmungen der Gliedkirchen anzunehmen.

82 Frost, Strukturprobleme, 70 f.

Art. 7 I Berlin-Brandenburg. GO; Art. 13 I Westf. KO; Art. 13 I Rheinl. KO; Art. 4 I KV NW- DeutschI.; Art. 14 I Lippe KO; Art. I I Hess.-N. KGO. Die übrigen Gliedkirchen regeln die Kirchenmitgliedschaft neben der Gemeindemitgliedschaft ohne relevante Abweichungen von § I Abs.2 EKD-KMitgliedG: § I Abs.1 Bay. KGliedG; Art. 5 I Nordelbien KV; Art. I I Meckl. KV; § 5 I Thür. KV; Art. 4 I Sachs. KV; Art. 5 I Kurhess.-W. KV. 83

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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2. Einzelmitgliedschaft in der EKD?

Gemäß § 2 Abs.2 EKD-KMitgliedG gehört das Kirchenmitglied durch seine Mitgliedschaft in der Kirchengemeinde und in einer EKD-Gliedkirche zugleich der Evangelischen Kirche in Deutschland an. Diese Formulierung könnte eine Mitgliedschaft des einzelnen Kirchenmitglieds in der EKD nahelegen. Die begriffliche Unterscheidung, die das Kirchengesetz hier trifft, ist jedoch zu beachten. Eine Kirchenmitgliedschaft in der EKD wird mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr ergibt sich aus § 2 Abs.2 KMitgliedG sowie Art. I Abs.5 GrundO der EKD i.d.F. v. 1984 lediglich "die Zugehörigkeit des Kirchenmitglieds zur Evangelischen Kirche in Deutschland, ohne daß mit dem Gesetz eine mittelbare oder vermittelte Kirchenmitgliedschaft zur Evangelischen Kirche in Deutschland festgestellt wird."84 Ob diese "Zugehörigkeit" des einzelnen Kirchenmitglieds zur EKD inhaltlichen Wert hat, kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben. Eine Kirchenmitgliedschaft im rechtlichen Sinne zur EKD besteht nicht.

3. Einzelmitgliedschaft in sonstigen kirchlichen Gliederungen

Nicht anders ist die Mitgliedschaft der einzelnen Kirchenmitglieder in übergreifenden kirchlichen Gliederungen wie der VELKD, der EKU oder des Ökumenischen Rates der Weltkirchen zu beurteilen. Eine unmittelbare Mitgliedschaft von Einzelpersonen sehen die Verfassungen dieser Organisationen durchweg nicht vor. 85 Allenfalls mag eine sekundär vermittelte Zugehörigkeit des einzelnen angenommen werden, die zur mittelbaren Herleitung von Rechten und Pflichten aus gesamtkirchlichen Vereinbarungen führen kann.8 6 Diese Frage betrifft auch das Problem des (staaten-)grenzüberschreitenden Mitgliederwechsels zwischen Kirchen der Leuenberger Konkordie und die daraus folgende automatische Erfassung der nach dieser Vereinbarung konfessionsverwandten Kirchenmitglieder im Bereich der EKD: Wenn die Zugehörigkeit einer Kirche zur Leuenberger Konkordie mittelbar Rechtspflichten der einzelnen Kirchenmitglieder impliziert, so ist es unter Umständen möglich, aus der Leuenberger Konkordie auch die rechtliche Verpflichtung des einzelnen abzuleiten, sich beim

84 Nuyken, Kirchenmitgliedschaft, 328. 85 Kritisch dazu Link, Art. " Kirchengliedschaft. B. Juristisch" in: EvStL, 3. Auflage 1987,1597. 86 Frost in: Meinhold, Kirchengliedschaft, 241.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Zuzug in den Bereich der EKD automatisch von einer EKD-Gliedkirche erfassen zu lassen, ohne daß es dazu noch eines weiteren Willensaktes bedarf. 87 Eine Kirchenmitgliedschaft im rechtlichen Sinne zu diesen gesamtkirchlichen Vereinigungen besteht jedoch nicht.

111. Anwendungsbereich des EKD-Kirchengesetzes über die Kirchenmitgliedschaft v. 10.11.1976 Das EKD-KMitgliedG von 1976 ist bei seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1978 neben die bereits bestehenden mitgliedschaftsrechtlichen Bestimmungen der Gliedkirchen getreten. Das Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung in diesem wichtigen Bereich des Kirchenrechts hat nach dem Scheitern einer grundlegenden EKD-Reform88 zu dieser übergreifenden Normierung durch die EKD-Gliedkirchen geführt, zunächst in dem Beschluß der wichtigsten mitgliedschaftsrechtlichen Grundsätze in der Vereinbarung von 1969/1970 und sechs Jahre später zu der heute geltenden gesetzlichen Regelung des EKDKMitgliedG vom 10.11.1976. Demgemäß stellt die Frage nach dem sachlichen Anwendungsbereich vor keine unlösbaren Probleme. Erforderlich ist jedoch eine Abgrenzung des Anwendungsbereichs des EKD-KMitgliedG einerseits gegenüber den jeweiligen mitgliedsrechtlichen Bestimmungen der Gliedkirchen sowie andererseits - auf EKDEbene - die Abgrenzung gegenüber der dem Gesetz vorausgehenden Mitgliedschaftsvereinbarung der Gliedkirchen von 1969/1970. Der zeitliche Anwendungsbereich gibt das Problem der Rückwirkung auf, also die Frage nach der Behandlung von mitgliedschaftsrechtlichen Sachverhalten, die vor Inkrafttreten des EKD-KMitgliedG begründet worden sind.

87 Zur mitgliedschaftsrechtlichen Bedeutung der Leuenberger Konkordie vgl. unten Abschnitt C.II.3.a.dd.(2). 88 Nach dem Scheitern einer Änderung der Grundordnung im Jahr 1974 ist die Verfassung der EKD seit 1948 nahezu unverändert ·in Kraft. Vgl. zu den Reformbemühungen Frost, ZRG Kan. Abt. 65 (1979), 265 ff.; Hauschild, Art. "Evangelische Kirche in Deutschland", in: TRE 10, 656 ff., 675 f.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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1. Allgemeine Voraussetzungen und sachlicher Anwendungsbereich des EKD-KMitgliedG

Das EKD-KMitgliedG ist bei seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1978 (§ 21 EKD-KMitgliedG) neben die bereits bestehenden mitgliedschaftsrechtlichen Regelungen der Gliedkirchen getreten. Das Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung in diesem wichtigen Bereich des Kirchenrechts hat nach dem Scheitern einer grundlegenden EKD-Reform zu dieser übergreifenden Normierung durch die EKD-Gliedkirchen geführt. Neben der in dem EKD-KMitgliedG getroffenen Regelung bestehen weitere mitgliedschaftsrechtlich relevante Bestimmungen sowohl auf EKD- als auch auf gliedkirchlicher Ebene. Aus diesem Grunde muß das rechtliche Verhältnis des EKD-KMitgliedG zu den konkurrierenden Bestimmungen der Gliedkirchen untersucht werden. Auf EKD-Ebene stellt sich zusätzlich die Frage, ob die Mitgliedschaftsrechtsvereinbarung von 196911970 durch den Erlaß des EKD-KMitgliedG gegenstandslos geworden ist, oder ob sie - kumulativ oder subsidiär - neben dem EKD-KMitgliedG fortgilt.

2. Verhältnis zwischen EKD-KMitgliedG und den fortgeltenden gliedkirchlichen Bestimmungen

Eine wichtige, bisher kaum beachtete Frage des Kirchenmitgliedschaftsrechts ist das Verhältnis zwischen dem 1978 in Kraft getretenen EKD-KMitgliedG und den fortbestehenden gliedkirchlichen Regelungen des Mitgliedschaftsrechts. Die Kirchenverfassungen und Kirchenordnungen der EKD-Gliedkirchen enthalten ausnahmslos - mehr oder weniger detaillierte - eigenständige Vorschriften über die Kirchenmitgliedschaft.8 9 Zusätzlich zu den verfassungsrechtlichen Bestimmungen haben die Landeskirchen Bayerns und Mecklenburgs eine eigenständige

89 V gl. z.B. § 5 Abs.1 Grundordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden i.d.F. v. 12.9.1990 ("Mitglied der Landeskirche ist, wer Mitglied einer ihrer Pfarr- oder Kirchengemeinden ist."); Art. I Abs.2 Ordnung der Evangel. Kirche in Hessen und Nassau i.d.F. v. 21.4.1966 ("Glieder der Kirchengemeinde sind alle getauften evangelischen Christen eines örtlich oder anderweitig begrenzten Bereichs, die an den Gaben des Evangeliums Anteil haben."); § 8 Abs.1 KGO d. EV.-Luth. Landeskirche Hannovers i.d.F. v. 7.12.1993 ("Glieder der Kirchengemeinde sind alle getauften evangelischen Christen und Christinnen, die Glieder der Landeskirche sind und im Bereich der Kirchengemeinde ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die übrigen Kirchenverfassungen enthalten gleichlautende oder inhaltlich übereinstimmende Bestimmungen.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

kirchengesetzliche Regelung des Mitgliedsrechts getroffen90 ; ferner hat die Nordelbische Ev.-Luth. Kirche am 17.2.1989 eine Rechtsverordnung über das Kirchenbuch- und Meldewesen sowie zur Kirchenmitgliedschaft erlassen. 91 Gliedkirchliche Bestimmungen und EKD-KMitgliedG betreffen den gleichen Regelungsgegenstand. Deshalb stellt sich die Frage nach dem Geltungsbereich der mitgliedschaftsrechtlichen Bestimmungen der Gliedkirchen, da hier offensichtlich ein Fall von Normenkonkurrenz vorliegt. Ein grundsätzlicher Geltungsvorrang von EKD-Recht gegenüber der gliedkirchlichen Rechtsetzung besteht nicht. Das EKD-KMitgliedG hat formell gesehen auf die rechtliche Geltung des gliedkirchlichen Mitgliedschaftsrechts keinerlei Auswirkungen. Bei dem Verhältnis zwischen EKD-KMitgliedG und dem gliedkirchlichen Mitgliedschaftsrecht handelt es sich deshalb um eine Konkurrenz ranggleicher Bestimmungen, deren Verhältnis genauer zu klären ist. Weitgehend unproblematisch ist die Rechtslage, wenn EKD-Mitgliedsrecht und gliedkirchliche Einzelbestimmungen inhaltlich übereinstimmen. Sofern jedoch gliedkirchliche Einzelbestimmungen von der entsprechenden, durch das EKD-KMitgliedG getroffenen Regelung abweichen, ergibt sich notwendig die Frage nach dem Verhältnis zwischen gliedkirchlichem und gesamtkirchlichem Mitgliedschaftsrecht in der Rechtsanwendung. Das bisher meistdiskutierte Beispiel für eine Kollision zwischen EKDKMitgliedG und gliedkirchlichen Einzelbestimmungen stellt § 2 Nr. 3 des Kirchengesetzes über die Gliedschaft in der Ev.-Luth. Kirche Bayerns vom 10.11. 196592 dar. Danach werden abweichend von §§ 8,9 EKD-KMitgliedG "andere" evangelische Christen (gemeint sind diejenigen Evangelischen, die nicht lutherischen Bekenntnisses sind) in die Ev.-Luth. Kirche in Bayern eingegliedert, sofern sie ihren Wohnsitz im Bereich der Landeskirche begründen, "solange sie sich nicht einer anderen in Bayern bestehenden evangelischen Kirche oder Religionsgemeinschaft anschließen." Dem Wortlaut nach können damit alle evangelischen Christen, d.h. auch die Mitglieder anderer Kirchen, vor allem der Freikirchen, in die Ev.-Luth. Landeskirche Bayerns eingegliedert werden.

90 Mecklenburg: Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft v. 4.11.1990 (ABI. 1991, 3); Bayern: Gliedschaftsgesetz der Ev.-Luth. Kirche in Bayern v. 10.11.1965 (KABI. S. 179) mit der Bekanntmachung zum Vollzug des Gliedschaftsgesetzes v. 21.3.1966 (KABI. S. 37). 91 KMKMVO der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche v. 17.2.1989 (GVOBI. S. 62; ABI. EKD 1989, 265). 92 Gliedschaftsgesetz v. 1O.1l.l965, KABI. S. 179.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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Die im darauffolgenden Jahr von der Ev.-Luth. Kirche in Bayern erlassene Vollzugsbekanntmachung93 führt zu § 2 Nr.3 BayKGliedG aus, daß "andere evangelische Christen" nur diejenigen seien, die "einem anderen innerhalb der EKD in Geltung befindlichen Bekenntnis angehören." Die Vorschrift geht außerdem insofern über den Bereich der §§ 8, 9 EKD-KMitgliedG hinaus, als die Ausübung des votum negativum großzügiger als nach EKD-Recht ausgestaltet, nämlich nicht an die Einjahresfrist des § 8 EKD-KMitgliedG gebunden ist. Da § 2 Nr.3 BayKGliedG und §§ 8,9 EKD-KMitgliedG nicht inhaltsgleich sind, kommt es bei der juristischen Ergebnisfindung entscheidend darauf an, welche Vorschrift im Einzelfall anzuwenden ist. Dies ist abhängig von der Frage der Fortgeltung der bisherigen und der Geltung künftiger gliedkirchlicher Bestimmungen auf dem Gebiet des Kirchenmitgliedschaftsrechts. Der Erlaß des EKD-KMitgliedG als eines gesamtkirchlichen Gesetzes mit Wirkung für alle Gliedkirchen entspricht der Kompetenz der EKD gern. Art. 10 lit.b der EKD-Grundordnung. 94 Die gesamtkirchliche Rechtsetzung hat jedoch keine unmittelbare rechtliche Auswirkung auf die Geltung entgegenstehender gliedkirchlicher Bestimmungen, ein formeller Vorrang von EKD- gegenüber Gliedkirchenrecht, konkret ein Vorrang des EKD-KMitgliedG gegenüber den gliedkirchlichen Bestimmungen besteht nicht. Die Frage, ob der gliedkirchlichen oder der (gesamtkirchlichen) EKD-Regelung im Einzelfall der Vorrang zukommt, ist daher im Wege der Auslegung zu lösen. Die EKD-Gliedkirchen haben mit dem Erlaß des EKD-KMitgliedG gerade die Absicht verfolgt, die bisher zersplitterte Rechtslage der Gliedkirchen auf dem Gebiet des Mitgliedschaftsrechts auf eine einheitliche Grundlage zu stellen. 95 Unter diesem Gesichtspunkt haben alle EKD-Gliedkirchen, darunter auch die Landeskirche Bayerns, dem EKD-KMitgliedG von 1976 kirchengesetzlich zugestimmt. Wenn für die Gliedkirchen bei der Zustimmung zum gesamtkirchlichen Mitgliedschaftsrecht die Überwindung der bisher uneinheitlichen Rechtslage im Vordergrund stand, so kann aus der Zustimmung der Gliedkirchen gefolgert werden, daß dem gesamtkirchlichen Mitgliedschaftsrecht Vorrang zukommen sollte. Aus diesem Grund folgt aus der Zustimmung der Gliedkirchen zum

VollzBekKGliedG v. 21.3.1966, KABI. S. 37. EKD-GO v. 13.7.1948 (ABI. EKD S. 233). Vgl. die Amtliche Begründung des EKD-KMitgliedG (Vorlage für die 49. Sitzung des Rates der EKD v. 17./18.9.1976 in der Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei v. 28.7.1976, Az. 015211.21, S.1 f.). 93 94 95

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

EKD-KMitgliedG die grundsätzliche Vennutung, daß dem fortgeltenden gliedkirchlichen Recht allenfalls ergänzende Bedeutung zukommen sollte. Etwas anderes könnte jedoch für diejenigen Gliedkirchen gelten, die entgegen dieser Vennutung ausdrücklich den Vorrang ihrer eigenen Rechtsetzung gegenüber dem EKD-KMitgliedG bestimmt haben. Eine solche Regelung besteht in § 9 der Grundordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden96, wonach die EKD-Rechtsetzung über Erwerb und Verlust der Kirchenmitgliedschaft nur Geltung haben soll, "sofern nicht die Grundordnung eine Regelung enthält". Die Badische Landeskirche hat gleichzeitig in § 5 Abs.3 der Grundordnung eine Regelung für den Zuzug Evangelischer aus dem Ausland getroffen, die von der umstrittenen Regelung des § 9 EKD-KMitgliedG abweicht. Wortlaut des § 5 Abs. 3 GO der Ev. Landeskirche in Baden97 : "Wer als Mitglied einer lutherischen, reformierten oder unierten Kirche aus dem Ausland zuzieht, wird durch Anmeldung bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen Pfarramt Mitglied der Landeskirche." Diese Regelung ist der Fonnulierung des § 9 Abs.l und 3 EKD-KMitgliedG an rechtsstaatlicher Klarheit überlegen. Sie weicht jedoch auch inhaltlich von der EKD-Rechtsetzung insofern ab, als eine Kirchenmitgliedschaft bei Zuziehenden aus dem Ausland nach dem Recht der Badischen Landeskirche nur durch Anmeldung bei dem zuständigen Pfarramt oder aufgrund von Aufnahme (§ 5 Abs.4 GO) oder einer zwischenkirchlichen Vereinbarung (§ 5 Abs.5 GO) erfolgt. Die umstrittene gesetzliche Fiktion des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG98, wonach die Angabe der Religionszugehörigkeit gegenüber der staatlichen Meldebehörde der Anmeldung bei dem zuständigen kirchlichen Pfarramt gleichgestellt wird, ist nicht in die Grundordnung der Badischen Landeskirche übernommen worden. Damit stellt sich die Frage, ob § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG in der Badischen Landeskirche keine Geltung hat. Weil § 9 GO der Badischen Landeskirche die

96 Vgl. § 9 Grundordnung der Evangel. Landeskirche in Baden i.d.F. v. 12.9.1990 ("Das Nähere über Erwerb und Verlust der Kirchenmitgliedschaft und über die einzelnen Rechte und Pflichten des Kirchenmitglieds wird, sofern nicht die Grundordnung eine

Regelung enthält, durch die gesamtkirchliche Rechtsetzung der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie in deren Rahmen durch Kirchengesetz geregelt" [Hervorhebung des

Verf.]). 97 GO i.d.F. v. 12.9.1990 (GVBI. S. 146). 98 Vgl. dazu ausführlich unten Abschnitt C.Il.3.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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subsidiäre Geltung des EKD-KMitgliedG bestimmt und die Badische Grundordnung keine ausdrückliche Regelung für die Übernahme der meldebehördlichen Angabe vorsieht, könnte § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG immerhin subsidiäre Geltung neben § 5 Abs. 3 - 5 GO haben. Es ist jedoch auffällig, daß die GO der Badischen Landeskirche zwar eine entsprechende Regelung zu § 9 Abs.l EKDKMitgliedG (= § 5 Abs.3 GO) und zu § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG (= § 5 Abs.5 GO) enthält, während § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG keine Entsprechung in der Badischen Grundordnung hat. Kann aus dem Schweigen der Grundordnung in dieser Frage geschlossen werden, daß die Badische Landeskirche die Anwendung des § 9 Abs.3 EKD-MitgliedG ablehnt (argumentum e silentio) und daß die Angabe der Religionszugehörigkeit vor der staatlichen Meldebehörde demzufolge nicht zur Begründung der Kirchenmitgliedschaft in der Badischen Landeskirche ausreicht? Dies stünde sicherlich im Widerspruch zu der Tatsache, daß auch die Badische Landeskirche dem EKD-KMitgliedG ausdrücklich und ohne Vorbehalt zugestimmt hat. Diese Zustimmung erstreckt sich grundsätzlich auch auf § 9 Abs.3 EKD-KMitglied. Doch ist zu beachten, daß die Bestimmungen der Badischen Grundordnung bereits vor Inkrafttreten des EKD-KMitgliedG bestanden haben. Es ist deshalb nicht widerspruchsfrei, daß entgegen dem in § 9 GO bestehenden Vorbehalt zugunsten der gliedkirchlichen Rechtsetzung ein solcher Vorbehalt in dem Zustimmungs gesetz zum EKD-KMitgliedG nicht enthalten ist. Diese Spannung wird dadurch verdeutlicht, daß nach der Systematik des EKDKMitgliedG eine zumindest teilweise Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz in mitgliedschaftsrechtlichen Angelegenheiten von den Gliedkirchen auf die EKD stattgefunden hat, während § 9 GO ausdrücklich an der bisherigen Rechtslage - Vorrang des gliedkirchlichen Mitgliedschaftsrechts - festhält. Offensichtlich ist dieses Problem von den Juristen der Badischen Landeskirche nicht gesehen worden. Die Regelung des § 9 des Badischen GO muß nach ihrem insofern eindeutigen Wortlaut so verstanden werden, daß EKD-Mitgliedschaftsrecht in der Badischen Landeskirche nur insoweit gelten soll, als keine anderweitigen Bestimmungen von der Badischen Landeskirche getroffen worden sind. Es handelt sich also um eine Kollisionsregel zugunsten der gliedkirchlichen Rechtsetzung. 99 Es fragt sich nunmehr, welche Konsequenzen für die Geltung des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG in der Badischen Landeskirche hieraus zu ziehen sind. Da in der Zustimmung zum EKD-KMitgliedG eine Erklärung zu sehen

99 Allerdings ist auch von den Gliedkirchen die Schranke des Art. 2 Abs.2 EKD-GO zu beachten, wonach die Rechtsetzung der Gliedkirchen dem gesamtkirchlichen Recht nicht widersprechen soll.

112

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

ist, das gesamtkirchliche Mitgliedschaftsrecht anzuwenden, ist die Begründung der Mitgliedschaft in der Badischen Landeskirche auf der Basis des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG möglich, weil diese Regelung als eine die Badische Grundordnung, speziell § 5 GO ergänzende Regelung angesehen werden muß. Dieses Ergebnis stimmt letztlich auch mit der Kollisionsregel des § 9 der Badischen Grundordnung überein. Mit der Regelung des § 9 GO hat sich die Badische Landeskirche aber die grundsätzliche Möglichkeit eröffnet, das Mitgliedschaftsrecht auch abweichend von der EKD-Rechtsetzung zu regeln. Der Übergang der Gesetzgebungskompetenzen im Mitgliedschaftsrecht von den Gliedkirchen auf die EKD ist damit für den Bereich der Gesetzgebung der Badischen Landeskirche teilweise rückgängig gemacht worden. Die Verwaltungspraxis in der Badischen Landeskirche ist weiterhin von einer gewissen Skepsis gegenüber § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG geprägt. So wendet die Badische Landeskirche § 9 Abs.3 gegenüber Zuziehenden aus dem Ausland nur dann an, wenn die Erklärung gegenüber der Meldebehörde von dem Willen zum Erwerb der Mitgliedschaft in der Badischen Landeskirche getragen ist. IOO Die Badische Landeskirche hält den Zuziehenden aus dem Ausland deshalb entgegen § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG nicht an seiner Erklärung vor der staatlichen Meldebehörde fest, wenn er diese Erklärung in Unkenntnis der mitgliedschaftsrechtlichen Folgen abgegeben hat, d.h. wenn ihm die Absicht fehlt, Mitglied in der Badischen Landeskirche mit einer entsprechenden Pflicht zur Zahlung von Kirchensteuern zu werden. 101 Im Zusammenhang mit der Untersuchung des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG wird auf diesen Lösungsversuch erneut einzugehen sein. 102 Abgesehen von dem Sonderfall der Badischen Landeskirche gilt jedoch der Grundsatz, daß das EKD-KMitgliedG den mitgliedschaftsrechtlichen Regelungen der EKD-Gliedkirchen vorgeht. Das Mitgliedsrecht der EKD-Gliedkirchen bleibt daher vor allem anwendbar in denjenigen Fällen, die durch das EKD-KMitgliedG von 1976 nicht erfaßt werden. Dieses Verständnis legt im übrigen auch § 20 Abs.l EKD-KMitgliedG nahe, wonach die Gliedkirchen die "zur Ergänzung und Durchführung dieses Kirchengesetzes erforderlichen Bestimmungen"

100 Hier handelt es sich der Sache nach um den Versuch einer verfassungskonformen Auslegung des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG. Vgl. dazu ausführlich unten Abschnitt C.II.3.b. 101 Für diesen Hinweis danke ich Herrn OKR Dr. J. Winter von der Evangelischen Landeskirche in Baden. 102 Vgl. unten Abschnitt C.II.3.b.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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selbständig erlassen können, somit allein die Kompetenz zu ergänzenden Regelungen erhalten bleibt, ansonsten aber ein Kompetenzwechsel 103 eintritt. Sofern gliedkirchliches Mitgliedschaftsrecht mit dem EKD-KMitgliedG konkurriert (wie z.B. § 2 Nr. 3 des Bayerischen Gesetzes über die Kirchengliedschaft, im folgenden abgekürzt: BayKGliedG), bedeutet dies, daß das Recht der Gliedkirche durch die entsprechende Regelung des EKD-KMitgliedG grundsätzlich verdrängt bzw. modifiziert wird. Im Fall des umstrittenen § 2 Nr. 3 BayKGliedG ist die Überlegungsfrist für die Ausübung des sog. votum negativum daher auch nicht § 2 Nr.3 Bay KGliedG, sondern § 8 Abs.l S.3 EKDKMitgliedG zu entnehmen. Die außerordentliche praktische Bedeutung der Entscheidung über die Reichweite des § 2 Nr. 3 BayKGliedG zeigt sich in einer Reihe von Streitigkeiten, die das FG München zu entscheiden hatte. Diese Streitigkeiten gehen al1esamt auf die Rechtspraxis der Bayerischen Landeskirche zurück, zuziehende evangelische Christen, die bisher Mitglieder von Freikirchen im Inland waren, in die Landeskirche einzugliedern. I04 Der Zuzug aus einer Freikirche im Inland ist weder von § 8 noch von § 9 EKD-KMitgliedG erfaßt. Nach EKD-Recht ist eine Eingliederung zuziehender Mitglieder von Freikirchen im Inland nicht zulässig. Sofern die Kirchenmitgliedschaft vor Inkrafttreten des EKD-KMitgliedG, also vor dem 1.1.1978 begründet worden ist, kommt die Eingliederung auf der Grundlage des § 2 Nr.3 BayKGliedG in Betracht. Die zu § 2 Nr.3 ergangene Vol1zugsbekanntmachung l05 ist al1erdings ein starkes Indiz dafür, daß ein Übergriff der Bayerischen Landeskirche auf Mitglieder von Freikirchen ("andere" evangelische Christen) vor diesem Zeitpunkt auch nach dem Recht der Bayerischen Landeskirche nicht zulässig gewesen ist. Fest steht jedoch, daß nach Inkrafttreten des EKDKMitgliedG auch die Bayerische Ev.-Luth. Landeskirche vorrangig die §§ 8 und 9 EKD-KMitgliedG anzuwenden hat. Die Eingliederung von Mitgliedern einer

103 Vgl. die Gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 21.5.1981, in: Axel v. CampenhausenlJ. Christoph (Hrsg.), Göttinger Gutachten, 15 Fn.45. 104 FG München Urt. v. 9.2.1982 - VII 176/76 = ZevKR 31 (1986),475; FG München Vorbesch. v. 23.3.1987 - VII (XIII) 77/84 Ki = KirchE 25, 67; FG München Beschl. v. 19.5.1988 - XIII 317/87 AusKi = EFG 1988,529 = KirchE 26,138; FG München Beschl. v. 30.5.1990 - XIII K 5431/81. 105 Vgl. oben (Fn. 323). 8 Haß

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Freikirche im Inland in die Ev.-Luth. Landeskirche in Bayern nach dem 1.1.1978 ist daher nicht mehr zulässig. 106

3. Fortgeltung der Mitgliedschaftsvereinbarung von 1969/1970 107

Das EKD-KMitgliedG 1976 stellt die bereits vorhandenen Grundsätze der Mitgliedschaftsvereinbarung vom 27./28.11.1969, die am 1.2.1970 in Kraft getreten ist, auf eine kirchengesetzliche Grundlage. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob die Mitgliedschaftsvereinbarung von 1970 mit dem Inkrafttreten des EKD-KMitgliedG am 1.1.1978 gegenstandslos geworden ist. I08 Die Mitgliedschaftsvereinbarung von 1970, der die Gliedkirchen jeweils kirchengesetzlich zugestimmt haben, ist (im Gegensatz zu dem EKD-KMitgliedG 1976) kein EKD-Kirchengesetz auf der Grundlage des Art. 10 lit.b EKD-GO, sondern die Vereinbarung ist vielmehr - durchaus als Alternative zum Verfahren nach Art. 10 lit.b EKD-GO - in Ausführung der in Art. 6 Abs.2 EKD-GO vorgesehenen "Hinwirkung auf gemeinsame Grundsätze des kirchlichen Lebens und Handeins" beschlossen worden. Mit der Zustimmung der gliedkirchlichen zuständigen Organe haben diese "Grundsätze" in Gesta1t der Mitgliedschaftsvereinbarung von 1970 Gesetzeskraft in den einzelnen EKD-Gliedkirchen erlangt. Eine formale Aufhebung der Vereinbarung von 1970 ist nicht erfolgt. Es ist daher im folgenden notwendig, das rechtliche Rangverhältnis zwischen der Mitgliedschaftsvereinbarung von 1970 und dem EKD-KMitgliedG von 1976 zu bestimmen. 109 Da eine ausdrückliche Aufhebung der Mitgliedschaftsvereinbarung nicht erfolgt ist, kommt entweder eine parallele Fortgeltung oder eine Derogation der Mitgliedschaftsvereinbarung nach dem Grundsatz "lex posterior derogat legi priori" in Betracht. Es fragt sich zunächst, ob der lex - posterior Grundsatz überhaupt auf die kirchliche Gesetzgebung Anwendung findet. Das ist nicht selbstverständlich, weil die Anwendung des lex-posterior-Grundsatzes gewöhnlich auf das staatliche Recht und Völkerrecht beschränkt ist.

106 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Meyer, ZevKR 33 (1988), 313, 318, der sich gegen eine Kirchensteuerpflicht in diesen Fällen ausspricht. 107 Vgl. zur Mitgliedschaftsvereinbarung G. Wendt, ZevKR 16 (1971), 23-37, wieder abgedruckt bei Meinhold, Kirchengliedschaft, 221 ff. 108 Vgl. die Gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD vom 3.12.1981, a.a.O., 12. 109 Vgl. zum Folgenden auch die Gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD vom 15.2.1984, a.a.O., S. 2 ff.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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Der lex-posterior-Grundsatz ist jedoch als heute allgemein anerkannte Auslegungsregel anzusehen, die auf der grundsätzlichen Annahme beruht, daß der formal gleiche Gesetzgeber in Kenntnis der älteren Norm eine gegenstandsgleiche und gleichrangige neue Norm erläßt, um die ältere Norm außer Kraft zu setzen. Bei Beachtung dieser Prämissen ist die Anwendung des lex-posteriorGrundsatzes auf die Rechtsetzung der EKD möglich. Die korrekte Anwendung des lex-posterior-Grundsatzes setzt zunächst voraus, daß es sich bei den konkurrierenden Regelungen um gegenstands- und ranggleiche Rechtsvorschriften handelt. 11O Die Mitgliedschaftsvereinbarung von 1970 und das EKD-KMitgliedG sind inhaltlich nahezu identisch. 111 Das Kirchengesetz von 1976 bietet der Sache nach eine genauere Ausführung der in der Mitgliedschaftsvereinbarung von 1970 getroffenen Grundsatzvereinbarung, insofern stimmt der Regelungsgegenstand überein. Weitere Voraussetzung ist, daß die Normen auch ranggleich sind. In dieser Hinsicht bestehen gewisse Schwierigkeiten, was die Vergleichbarkeit der beiden Regelungen betrifft, weil die Regelungen auf unterschiedliche formellle Verfahren zurückgehen. Die Mitgliedschaftsvereinbarung von 1970 ist im Verfahren nach Art. 6 Abs.2 EKDG0112 als Grundsatzvereinbarung beschlossen worden, während es sich bei dem EKD-KMitgliedG um ein nach Art. 10 Iit.b EKD-G0113 zustandegekommenes Kirchengesetz handelt. Auch wenn die Formulierung des Art. 6 Abs.2 EKD-GO nicht unbedingt auf die Eröffnung einer Gesetzgebungskompetenz hindeutet, steht der EKD hiernach die Möglichkeit zu, auf ein Verfahren nach übereinstimmenden Grundsätzen "hinzuwirken" und im Sinne einer

110 Hans Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 554. 111 Vgl. die Gutachtliche Stellungnahme es Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 3.12.81, a.a.O., 15 und dort Fn.44. Unzutreffend ist jedoch die Feststellung (a.a.O.), daß es sich bei den Grundsätzen um eine inhaltlich von der "Rahmengesetzgebung" des EKD-KMitgliedG abzuhebende Regelungsart handele; die Mitgliedschaftsvereinbarung und das EKD-KMitgliedG 1976 stimmen auch hinsichtlich der Regelungstechnik, die hier als "Rahmengesetzgebung" bezeichnet wird, überein. 112 § 6 Abs.2 EKD-GO lautet: "Sie [die EKD] wirkt dahin, daß die Gliedkirchen, soweit nicht ihr Bekenntnis entgegensteht, in den wesentlichen Fragen des kirchlichen Lebens und Handeln nach übereinstimmenden Grundsätzen verfahren." Vgl. allgemein zu dieser Gesetzgebungsalternative Frank, ZevKR 15 (1970), 113, 133 ff. 113 Zum Gesetzgebungsverfahren nach Art. 10 lit. b EKD-GO vgl. das Gutachten des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 14.7.1978 (Axel v. Campenhausen (Hrsg.), Münchener Gutachten, I ff.). 8*

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

konsentierten Rechtsetzung l14 nach Zustimmung der Gliedkirchen zur Durchsetzung dieser "Grundsätze" ein alle EKD-Gliedkirchen bindendes Recht zu vereinbaren. Die gesamtkirchliche rechtliche Bindungswirkung der Vereinbarung nach Art. 6 Abs.2 EKD-GO entspricht daher dem Regelungsgehalt eines nach Art. 10 lit. b EKD-GO beschlossenen Kirchengesetzes, so daß hier von zwei alternativen Möglichkeiten gesamtkirchlicher Gesetzgebung auszugehen ist. Der Sache nach kommt daher auch ein Verhältnis gegenseitiger Ergänzung in Betracht. Hiergegen spricht jedoch entscheidend die gesamte Entstehungsgeschichte des EKD-KMitgliedG. Zur Ergänzung der Mitgliedschaftsvereinbarung von 1970 hätte die zusätzliche Vereinbarung der noch fehlenden Gegenstände, vor allem der Regelung der Datenübermittlung zwischen Staat und Kirche, ausgereicht. IIS Dieser (denkbare) Weg wurde jedoch nicht gewählt, sondern stattdessen eine erneute Kodifizierung des gesamten Kirchenmitgliedschaftsrechts der EKD unternommen. Eine erneute Regelung desselben Gegenstandes wäre jedoch nicht erforderlich gewesen, wenn man vom Fortgelten der bereits in Kraft getretenen Mitgliedschaftsvereinbarung hätte ausgehen können. Es spricht daher alles dafür, von einer vollständigen Derogation der Mitglied~ schaftsvereinbarung von 1970 durch das EKD-KMitgliedG von 1976 auszugehen. 116 Wo die Vereinbarung von 1970 und das EKD-KMitgliedG inhalts-

114

224.

Vgl. G. Wendt, ZevKR 16 (1971), 23-37 = Meinhold, Kirchengliedschaft, 221,

115 Weil der Erlaß des EKD-KMi tgliedG vor allem durch die Reform des staatlichen Melderechts veranlaßt war, wurde von Seiten der Gliedkirchen zum Teil die Erforderlichkeit einer Regelung des materiellen Mitgliedschaftsrechts bezweifelt, vgl. u.a. die Niederschrift über die 29. Sitzung des Rechtsausschusses der Amoldshainer Konferenz v. 20./21. August 1975 in Hofgeismar, S. 7 (Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei v. 11.9.1975, Az. 0152/1.21). Die gleichzeitig mit der Regelung des kirchlichen Meldewesens erfolgende Normierung des Mitgliedschaftsrechts sollte zu einer engeren Verknüpfung von Mitgliedschafts- und Melderecht führen und gleichzeitig die mit dem Abschluß der Leuenberger Konkordie ermöglichte mitgliedsrechtliche Fortentwicklung verwirklichen. 116 Hierfür spricht auch die Interpretation der Kirchenkanzlei in der Vorlage für die 4. Tagung der 5. Synode der EKD in Freiburg 1975 (Drucksache III/14). Dort heißt es wörtlich: "Einer ausdrücklichen Aufhebung der Vereinbarung ... über die Kirchenmitgliedschaft vom 27./28. November 1969 (... ) bedarf es nicht (... ). Soweit die Feststellungen der Vereinbarung von 1969170 für die Zukunft wirken, wäre eine vom Verfassungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland abweichende Interpretation nicht durchschlagend" (S. 11 0. In dem Rundschreiben der Kirchenkanzlei der EKD v.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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gleich sind, besteht in der Praxis ohnehin kaum Veranlassung, einen Geltungsvorrang zu bestimmen. I 17 Anderes gilt jedoch für den Fall, daß EKD-KMitgliedG und Mitgliedschaftsvereinbarung unterschiedliche Regelungen treffen. Eine gegenüber dem später erlassenen EKD- KMitgliedG abweichende Regelung trifft nur Abschnitt IV. Buchst. h) der Mitgliedschaftsvereinbarung von 1970, der den Gliedkirchen die Möglichkeit weitergehender Regelungen der Doppelmitgliedschaft und der Doppelbesteuerung eröffnet. Es erscheint willkürlich, im Hinblick auf die insgesamt derogierte Mitgliedschaftsvereinbarung von einer partiellen Weitergeltung dieser Vorschrift auszugehen. 118 Wenn eine Ersetzung der Vereinbarung durch das EKD-MitgliedG angenommen wird, so kann die Fortgeltung einzelner Vorschriften der Vereinbarung nicht überzeugend begründet werden. Aus der Übernahme bestimmter Vorschriften in das neue EKDKMitgliedG sowie aus der Nichtberücksichtigung anderer Bestimmungen, die zwar in der Vereinbarung, aber nicht mehr im neuen Kirchengesetz enthalten sind, kann nur gefolgert werden, daß der spätere, die Vereinbarung derogierende Gesetzgeber die nicht übernommenen Vorschriften nicht in seinen Willen aufgenommen hat. Die Fortgeltung einer einzelnen Bestimmung der Vereint>arung von 1970, die im EKD-KMitgliedG nicht mehr enthalten ist, scheidet daher aus. Im Ergebnis ist daher anzunehmen, daß die Mitgliedschaftsvereinbarung als ganze durch das darauffolgende, weitgehend inhaltsgleiche EKD-KMitgliedG 1976 abgelöst (derogiert) worden ist.

5.7.1976 (Az.: 0152/ 1.21, S.4) wird gleichfalls von einer Aufhebung der Vereinbarung abgeraten. Die Amtliche Begründung (Vorlage für die 49. Sitzung des Rates der EKD v. 17./18.9.1976) lautet: "Eine Aufhebung der Vereinbarung zwischen den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland ... ist nicht beabsichtigt. ... Die in der Vereinbarung festgestellten Grundsätze des Kirchenmitgliedschaftsrechts bilden die Grundlage für das vorliegende Kirchengesetz und werden durch das Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft weder in ihrem Inhalt noch in ihrer Aussage verändert" (Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei v. 28.7.1976, Az. 0152/1.21, S. 3 f.). 117 Eine Zusammenstellung der inhaltlich übereinstimmenden Vorschriften findet sich in dem vorstehend genannten Gutachten des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 3.12.1981, a.a.O., S. 14. 118 So aber das Kirchenrechtliche Institut der EKD in dem vorstehend zitierten Gutachten, a.a.O., S.15 f.

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Zweiter Teil: Begrundung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch) 4. Rückwirkung des EKD-KMitgliedG 11 9

Der zeitliche Anwendungsbereich des EKD-KMitgliedG stellte für die gerichtliche Praxis in der Vergangenheit ein gewisses Problem dar. 120 Das Gesetz ist am 1.1.1978 in Kraft getreten (§ 21 EKD-KMitgliedG). Es ist daher unproblematisch auf alle Sachverhalte anwendbar, die die Entstehung der Kirchenmitgliedschaft nach diesem Stichtag betreffen. In der gerichtlichen Praxis sind jedoch Fallgestaltungen streitig gewesen, die eine Anwendung des EKDKMitgliedG auf vor dem Zeitpunkt des Inkraftretens liegende Sachverhalte betrafen. Die Anwendung des EKD-KMitgliedG aufmitgliedschaftsrechtliche Sachverhalte, die vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.1978 abgeschlossen worden sind, ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß man eine Rückwirkung des EKD-KMitgliedG auf bereits abgeschlossene Sachverhalte (echte bzw. retroaktive Rückwirkung l21 ) bejaht. Das OVG Lüneburg hat in einem Urteil vom 4.5.1988 das EKD-MitgliedG 1976 auf melderechtliche Vorgänge der Jahre 1975 und 1976 angewendet und damit vorausgesetzt, daß dem EKD-Gesetz eine in vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.1978 bereits abgeschlossene Sachverhalte eingreifende sog. echte (retroaktive) Rückwirkung zukommt. 122 Dieses Urteil wurde vom Bundesverwaltungsgericht in der Revisionsentscheidung aufgehoben mit der Begründung, die Annahme einer echten Rückwirkung des EKD-KMitgliedG sei im Hinblick auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs.l und 2 GG verfassungswidrig. 123

119 Allgemein zum Problem der Rückwirkung von Gesetzen: Kisker (Lit.); Kunig, Rechtsstaatprinzip, 417 ff.; Niehues (Lit.); Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht; vgl. ferner Stern in: Festschrift für Th. Maunz, 381-393. 120 Vgl. BVerwG - Urt. v. 12.4.1991 - 8 C 62.88 = ZevKR 36 (1991), 403 (406 f.). 121 Die neue Terminologie des 2. Senats des BVerfG spricht hier von einer "Rückbewirkung von Rechtsfolgen" (BVerfGE 72, 200, 242 ff.), die nunmehr allein als Rückwirkung bezeichnet wird und auch weiterhin unmittelbar am Rechtsstaatsprinzip gemessen werden soll, während die "tatbestandliche Rückanknüpfung" (fruher unechte Rückwirkung) direkt an den Grundrechten gemessen wird. Zur neueren Rechtsprechung vgl. auch Hartmut Maurer in: HbStR Bd. III (1988), 221 ff. 122 OVG Lüneburg, Urteil v. 4.5.1988 - 13 OVG A 64/86 = KirchE 26, 101, 103. Ebenso auch die Vorinstanz: Schlesw.-Holst. VG, Urteil v. 2.5.1983 - 1 A 249/81 = KirchE 21, 105, 106 f. 123 BVerwG, Urteil v. 12.4.1991 - 8 C 62/88 = ZevKR 36 (1991), 403, 406.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

119

Es fragt sich, ob diese Ansicht zutrifft. Immerhin ist zu beachten, daß das EKD-MitgliedG sich selbst überhaupt keine rückwirkende Bedeutung zumißt, wie sich schon aus dem Wortlaut des § 21 EKD-KMitgliedG eindeutig ergibt. Eine Rückwirkung, die vom Kirchengesetzgeber nicht ausdrücklich vorgesehen ist, muß schon allein aus diesem Grund erheblichen Zweifeln unterliegen. Dennoch fragt sich, ob sonstige Umstände, etwa ein indirekter oder partieller Vergangenheitsbezug l24 des Gesetzes es rechtfertigen, hier von einer Rückwirkung des EKD-KMitgliedG zu sprechen. In diesem Sinne könnte auch zu beachten sein, daß das EKD-KMitgliedG keine Änderung der bisherigen Rechtslage darstellt, sondern im wesentlichen an die Stelle der Vereinbarung der EKDGliedkirchen sowie gewohnheitsrechtlich anerkannter Tatbestandsvoraussetzungen der Kirchenmitgliedschaft getreten ist. Andererseits unterliegt eine derartig begründete Rückwirkung des EKD-KMitgliedG ohne kirchengesetzliche Grundlage erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Kirchenmitgliedschaftsrecht stellt die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Heranziehung der Kirchenmitglieder zur Kirchensteuer her. Die Kirchenmitgliedschaft löst die Kirchensteuerschuld nach den Landeskirchensteuergesetzen aus. Kirchensteuerschuldner ist, wer Kirchenmitglied ist. Die Modifikation der einzelnen V oraussetzungen des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft (§§ 1,6 - 9 EKD-KMitgliedG) ist damit gleichzeitig eine Modifikation des Kirchensteuertatbestandes. Die Modifikation des Kirchensteuertatbestandes ist als belastende Regelung grundrechtsrelevant und unterliegt damit unmittelbar der grundrechtlichen Kontrolle. Durch das EKD-KMitgliedG wird die staatskirchenrechtliche Grundlage für die Kirchensteuerpflicht des einzelnen Kirchenmitglieds geschaffen. Das einzelne Kirchenmitglied wird durch die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs.l und Abs.2 GG auch davor geschützt, gegen seinen Willen kirchensteuerrechtlich als Kirchenmitglied behandelt zu werden. 12S Das Grundrecht der Religionsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG wird durch die Annahme einer echten Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) des EKD-KMitgliedG von 1976 verletzt. Es ist insofern also der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zuzustimmen, daß die Feststellung einer echten Rückwirkung des EKD-

124 V gl. die grundlegenden Erwägungen zur Struktur rückwirkender Abgabennormen von Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 165 ff. 12S Dieser Aspekt der Religionsfreiheit wird in der Rechtsprechung als negative religiöse Finanzierungsfreiheit (s.o.) bezeichnet, doch empfiehlt es sich nicht nur aus terminologischen Gründen, bei Art. 4 Abs.l und 2 GG zu bleiben.

120

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

KMitgliedG für melderechtliche Vorgänge, die vor dem 1.1.1978 abgeschlossen worden sind, verfassungswidrig ist. Über das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hinaus ist noch zu fragen, ob eine sog. unechte Rückwirkung bzw. eine tatbestandliche Rückanknüpfung des EKD-KMitgliedG 1976 mit der Verfassung vereinbar ist. Ein Fall unechter Rückwirkung liegt dann vor, wenn der melderechtliche Vorgang zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 1.1.1978 noch nicht abgeschlossen war. Die unechte Rückwirkung (oder tatbestandliche Rückanknüpfung) ist nach der Rechtsprechung des BVerfG anders als die sog. echte Rückwirkung (bzw. die Rückbewirkung von Rechtsfolgen) im Regelfall zulässig. 126 Dies entbindet jedoch nicht von der Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Prüfung, ob im Einzelfall nicht doch ein schutzwürdiges Vertrauen vorliegt. Diese Frage läßt sich für das EKD-KMitgliedG relativ einfach beantworten. Das EKD-KMitgliedG schafft grundsätzlich keine neue Rechtslage, sondern es bildet lediglich eine gesetzliche Grundlage für die ohnehin schon seit Jahrzehnten bestehende Rechtspraxis. Doch ist auch hier zu beachten, daß sich das EKD-KMitgliedG keine Rückwirkung beilegt. Es ist weder dem Gesetz noch sonstigen Umständen zu entnehmen, daß auch vor dem 1.1.1978 begonnene mitgliedschaftsrechtliche Sachverhalte erfaßt werden sollten. Die Annahme einer unechten Rückwirkung des EKD-KMitgliedG müßte sich deshalb über den mutmaßlichen Willen des Kirchengesetzgebers hinwegsetzen und ist daher ebenso wie die echte Rückwirkung auszuschließen. Mitgliedschaftsrechtliche Sachverhalte, die vor dem 1.1.1978 begründet wurden, sind deshalb nicht nach dem EKD-KMitgliedG von 1976, sondern allein nach dem jeweiligen gliedkirchlichen Mitgliedschaftsrecht sowie den Grundsätzen der Mitgliedschaftsrechtsvereinbarung der Gliedkirchen von 1970 zu beurteilen.

IV. § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG 1. Tatbestandsvoraussetzungen

Als Ausgangspunkt der Darstellung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft ist § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG heranzuziehen.

126 BVerfGE 63,152, 175; 72,141, 154.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

121

§ 1 Abs.l EKD-KMitgliedG nennt drei positive Voraussetzungen: Kirchenmitglieder sind die 1.) getauften und 2.) evangelischen Christen, die 3.) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich einer Gliedkirche der evangelischen Kirche in Deutschland haben. Daneben wird eine negative Voraussetzung benannt, denn die Kirchenmitgliedschaft ist ausgeschlossen, wenn die Personen, die diese drei Voraussetzungen erfüllen, "einer anderen evangelischen Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören".

Damit übernimmt das EKD- KMitgliedG den bisher vorherrschenden und historisch begründeten sog. dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriff, der die drei konstitutiv festzustellenden Voraussetzungen der Taufe, des Bekenntnisses und des Wohnsitzes umfaßt. 127 Hinsichtlich des Verhältnisses dieser drei Voraussetzungen zum Erwerb der Kirchenmitgliedschaft besteht in der kirchenrechtlichen Lehre nicht immer das erforderliche Problembewußtsein. Vielfach wird die nicht nur irreführende, sondern auch unrichtige Formulierung gebraucht, daß die Mitgliedschaft in der Kirche nur bestehe, wenn alle drei Voraussetzungen gemeinsam festzustellen seien. Die drei Tatbestandsvoraussetzungen sollen in einer Weise konstitutiv sein, daß die Kirchenmitgliedschaft entfällt, wenn nur eine dieser drei Voraussetzungen fehlt. Ob diese Ansicht zutrifft, ist im Hinblick auf das geltende Kirchenmitgliedschaftsrecht zweifelhaft.

2. Bedeutung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen und Verhältnis der Voraussetzungen zueinander

Eine nähere Untersuchung des Kirchenmitgliedschaftsrechts zeigt, daß der dreigliedrige Mitgliedsbegriff in den mitgliedschaftsrechtlichen Bestimmungen der EKD und der einzelnen Gliedkirchen nicht konsequent verwirklicht ist. Vorweg seien hier einige Problemfelder angesprochen, die im folgenden noch der Vertiefung bedürfen. So stellt sich die Frage nach der Unabdingbarkeit der Taufe, wenn man die Rechtsstellung der ungetauften Kinder evangelischer Eltern in den einzelnen Landeskirchen untersucht. Zum Teil wird Ungetauften nach

127 Zum sog. dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriff vgl. auch Stein, ZevKR 29 (1984),47 ff. Wenn man die negative Voraussetzung des 2. Halbsatzes, daß ein Kirchenmitglied keiner anderen Religionsgemeinschaft angehören darf, hinzunimmt, handelt es sich im übrigen strenggenommen um einen viergliedrigen Mitgliedschaftsbegriff.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

gliedkirchlichem Recht eine mitgliedschaftsähnliche Rechtsstellung eingeräumt. 128 Ist die Taufe als erste Voraussetzung der Kirchenmitgliedschaft in bestimmten Fällen somit nicht von Bedeutung für die Einräumung von mitgliedschaftlichen Rechten, so sieht das Kirchenmitgliedsrecht auch Ausnahmen vom Wohnsitzerfordernis vor. Die neueren zwischenkirchlichen Vereinbarungen über die Kirchenmitgliedschaft "in besonderen Fällen" sehen nicht nur eine Umgemeindung innerhalb einer Landeskirche, sondern zum Teil auch die Möglichkeit einer zwischenkirchlichen Umgemeindung vor. 129 Auf diese Weise kann ein Kirchenmitglied in einer anderen als der Wohnsitzgemeinde erfaßt werden, wenn dies (auf Antrag des Mitglieds) von der betreffenden Kirchengemeinde genehmigt wurde. Die meisten Probleme der rechtlichen Einordnung bereitet jedoch das Bekenntniserfordernis. Im Fall eines Umzugs zwischen bekenntnisverwandten, aber nicht bekenntnisidentischen Landeskirchen kommt es nach geltendem Recht (§§ 8,9 EKD-KMitgliedG) zu einer automatischen Konversion, wenn das Mitglied nicht fristgemäß widerspricht. Dieser unter der polemischen Bezeichnung "Möbelwagenkonversion" bekanntgewordende Fall wirft erhebliche konstruktive Probleme aus kirchenrechtlicher Sicht auf, auch wenn im Schrifttum bisher vor allem die staatskirchen rechtliche Problematik l3O im Vordergrund stand. Selbst wenn (wie im Staatskirchenrecht) ein bewußt allgemein gehaltener Begriff des "evangelischen" Bekenntnisses zugrundegelegt wird, so kann nicht geleugnet werden, daß der Wechsel von einer (bekenntnis-)unierten Landeskirche in eine lutherische Landeskirche zu einem objektiven Bekenntniswechsel führt. Auf welchem Wege das umziehende Kirchenmitglied am neuen Wohnsitz das lutherische Bekenntnis annimmt, ist weder innerkirchenrechtlich noch rechts theologisch hinreichend geklärt. Aus kirchenrechtlicher Sicht kann ein Bekenntnis zu der Kirchengemeinde des neuen Wohnsitzes allenfalls darin gesehen werden, daß sich das Kirchenmitglied durch das Unterlassen der Wahrnehmung des Rechts zum Kirchenaustritt

128 Vgl. § 8 Abs.2 KGO der EV.-Luth. Landeskirche Hannovers i.d.F. v. 7.12.1993: "Ein ungetauftes religionsunmündiges Kind, dessen Eltern Glieder der Kirchengemeinde sind, hat die Rechtsstellung eines Gliedes der Kirchengemeinde ... Die Rechtsstellung eines Gliedes der Kirchengemeinde hat auch ein religionsmündiges ungetauftes Kind, solange es am kirchlichen Unterricht teilnimmt." 129 Vgl. unten Abschnitt C.IIl.2.b. dieser Untersuchung sowie die Gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 3.12.1981, a.a.O., 31 ff. 130 Vgl. unten Abschnitt C.Il.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

123

bzw. zum Kirchenübertritt dem Bekenntnisstand der neuen Landeskirche angeschlossen hat. Es ist nicht nur rechtstheologisch, sondern auch kirchenrechtlich bedenklich 13 1 (wenn auch wohl unvermeidlich), das Unterlassen einer ausdrücklichen Distanzierung von dem Bekenntnis der Kirche des neuen Wohnsitzes als einen positiven Bekenntnisakt zu deuten. Auch in anderer Hinsicht ist das Bekenntnismerkmal problematisch. Im Fall der Kindertaufe bleibt aus kirchenrechtlicher Sicht nur die Möglichkeit, ein durch die Eltern für das Kind abgelegtes Bekenntnis zum evangelischen Glauben nach den Regeln der Rechtsgeschäftslehre (Stellvertretung nach §§ 1626 ff. BGB) dem Kind zuzurechnen. In diesem Fall wird jedoch eben jener Rückgriff auf eine rechtsgeschäftliche Deutung des geistlich-theologisch geprägten Bekenntnisaktes, der von der ganz überwiegenden Ansicht in Schrifttum und Rechtsprechung so vehement abgelehnt wird, zwingend erforderlich. 132 Die angesprochenen Probleme zeigen, daß die These vom dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriff und der Unverzichtbarkeit des kumulativen Vorliegens seiner drei Tatbestandsvoraussetzungeo zu kurz greift und daher einer genaueren Überprüfung unterzogen werden muß. 133

V. Taufe ("getauft") Als erstes Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG ist die Taufe genannt. Das Kirchenmitglied tritt nicht in die Kirche ein durch eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, sondern das Mitglied wird durch die Taufe, das "Sakrament des Christenstandes" , in die Kirche aufgenommen. Die Taufe begründet die geistliche Gliedschaft in der universalen Kirche Jesu Christi. Gleichzeitig muß notwendig auch die rechtliche Mitgliedschaft an die Taufe geknüpft werden. In dem ökumenischen Sakrament der Taufe treffen damit

131 Dies immerhin ist Erik Wolf zuzugestehen, der den Konfessionswechsel nach dem Wohnsitzprinzip für "rechtstheologisch verwerflich" hält (Ordnung der Kirche, 577). 132 Vgl. zu diesem Aspekt Stein, ZevKR 29 (1984),47,54 f. ("Der Hinweis liegt nahe, Eltern könnten ja auch ihr Kind regelmäßig in einem Verein anmelden; er bleibt aber im Bereich des allgemeinen Vereinsrechts und scheint wenig auf den geistlichen Charakter eines evangelischen Bekenntnisses als eines geistlichen Akts Rücksicht zu nehmen."). 133 Dies kann an dieser Stelle nur in juristischer Hinsicht geschehen, wenn auch eine theologische Überprüfung des Mitgliedschaftsbegriffs in einer selbständigen Monographie durchaus geboten erscheint.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

theologische und juristische Kirchenmitgliedschaft als durchschlagender Beweis für die These zusammen, daß nicht von zwei unterschiedlichen Mitgliedschaften ausgegangen werden darf. Andererseits wird der juristische Zugang zu der Taufe als der wichtigsten Tatbestandsvoraussetzung der Kirchenmitgliedschaft durch diese Überlagerung mit ihrer theologischen Bedeutung erschwert. Die eigentümliche Spannung zwischen der theologischen Bedeutung der Taufe einerseits und dem Zwang zu rechtlich bestimmt gehaltenen Begriffen im Kirchenmitgliedschaftsrecht andererseits zeigt sich in besonderem Maß in der Formulierung des § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG. Gerade § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG ist in den Beratungen des Rechtsausschusses und der Mitgliedschaftsrechtskommission der Synode der EKD äußerst umstritten gewesen und auf Verlangen der Gliedkirchen mehrfach überarbeitet worden. 134 Vor allem die gleichwertige Zusammenfassung von theologischen Zentraldaten wie der Taufe mit staatskirchenrechtlichen Tatbestandsmerkmalen wie Bekenntnis und Wohnsitz in einer Vorschrift wurde dabei als unzureichend empfunden; eine Schwierigkeit, die letztlich auf die Spannungen im evangelischen Kirchenbegriff und die institutionenkritisch beeinflußte Sicht des Verhältnisses zwischen Universalund Partikularkirche zurückgeht.

1. Rechtscharakter der Taufe und kirchenrechtliche Relevanz für die Kirchenzugehörigkeit

Das rechtliche Verhältnis von Taufe und Kirchenmitgliedschaft in der Kirchengeschichte ist in der Vergangenheit Gegenstand mehrfacher Abhandlungen gewesen. 135 Das rechtliche Verhältnis zwischen Taufe einerseits und Bekenntnis sowie Wohnsitz andererseits sowie die Verzichtbarkeit der Taufe, d.h. die mitgliedschaftsrechtliche Stellung der Ungetauften im Verlauf der Kirchengeschichte ist noch nicht abschließend geklärt. Die Untersuchung der Taufe als ein die Kirchenmitgliedschaft vermittelndes Sakrament stellt vor die Frage, mit welcher Berechtigung von der Taufe als unabdingbarem Konstitutivum der Kirchenmitgliedschaft gesprochen werden kann. Diese Frage soll im

134 Dabei wurde in erster Linie verlangt, die herausgehobene Bedeutung der Taufe gegenüber den bei den anderen Tatbestandsmerkmalen Wohnsitz und Bekenntnis klarer zum Ausdruck zu bringen. 135 Hervorzuheben sind hier Schoen, Verw Arch. 30 (1925), 113-160, und Brunotte in: Festschrift für ehr. Mahrenholz, 457-470 = Meinhold, Kirchengliedschaft, 173-191.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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Hinblick auf die geschichtlichen Hintergründe der Taufe wie auch im Hinblick auf das geltende Kirchenrecht untersucht werden.

a) Die historische Entwicklung der Taufe als (mitgliedschaftsbegründender) Rechtsakt Die historische Bewertung der frühkirchlichen Bedeutung der Taufe in der einschlägigen Literatur ist meist von einem bestimmten konfessionel1en Vorverständnis geprägt. Die Diskussion über die sakramentale Funktion der Taufe, im innerprotestantischen Bereich zusätzlich die Streitfrage der Kindertaufe 136, beeinflußt dabei maßgeblich die Auslegung der neutestamentlichen Schriften und die Beurteilung der Taufe in der frühen Christenheit. Dabei wird u.a. festgestel1t, die Taufe werde schon bei Paulus "als Ritus eingeführt, der die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft" begründe. 137 Ebenso ist in der Literatur jedoch auch die gegenteilige Behauptung zu finden, wonach die neutestamentlichen Schriften "keine isolierte Hervorhebung der Taufe als der maßgeblichen Bedingung für die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde"138 kennen. Es ist bedenklich, wenn die theologische Bewertung kirchengeschichtlicher Fakten der historischen Wahrnehmung in derartiger Weise vorgeordnet wird. Deshalb erscheint es angezeigt, kurz den gegenwärtigen Stand der kirchen geschichtlichen Forschung zu skizzieren. Im übrigen ist auf die Notwendigkeit einer konfessionel1 unvoreingenommenen Darstel1ung der rechts geschichtlichen Bedeutung der Taufe als Grundvoraussetzung der Kirchenzugehörigkeit zu verweisen, also einer Darstel1ung, die den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde und die daher einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben muß. 139

136 Vgl. hierzu vor allem Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/4 (1967); Edmund Schlink, Die Lehre von der Taufe; Jüngel, Karl Barths Lehre von der Taufe; Gerhard Barth, Die Taufe in frühchristlicher Zeit. 137 So der Kanonist und katholische Kirchenhistoriker Heggelbacher in seiner

Untersuchung "Die christliche Taufe als Rechtsakt", 81. 138 So der evangelische Theologe Wolfgang Huber in: Lienemann-Perrin (Hrsg.), 493. 139 In diesem Zusammenhang ist auf den Bedarf sowohl der Kirchenrechtsgeschichte als auch der theologischen Disziplinen an einer neuen wissenschaftlichen Entfaltung der juridischen Bedeutung der Taufe in der Kirchengeschichte hinzuweisen. Das Werk von Heggelbacher erfaßt nur einen zeitlich begrenzten Bereich und entspricht in mancher Hinsicht nicht mehr dem heutigen Stand der Forschung. Eine auf die frühe Kirche begrenzte Darstellung ist von Gerhard Barth (Lit.) vorgelegt worden.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Der Vollzug des Taufritus ist schon im Judentum in Gestalt des rituellen Taufbades gebräuchlich gewesen. Auch das Judentum des 1. Jahrhunderts kennt die Taufe als Initiationsritus, nämlich beim Übertritt zum Judentum als sog. Proselytentaufe. Die Proselytentaufe vermittelte ebenso wie die im Neuen Testament erwähnte Johannestaufe die Zugehörigkeit zur jüdischen Endzeitgemeinde. 140 Die Eigenart der christlichen Taufe in der frühen Christenheit (etwa gegenüber der Johannestaufe) ist so am Anfang auch nur schwer erkennbar. Der Taufritus ist zunächst noch frei; erst allmählich entwickelt sich aus den an den Täufling gestellten Fragen das erste Glaubensbekenntnis, im Westen des Römischen Reiches als Grundtypus das sog. Romanum. 141 Von besonderer Bedeutung für die Frage nach dem Verhältnis von Taufe und Kirchenzugehörigkeit ist die Tatsache, daß die Christen der ersten und zweiten Generation durchaus noch im Synagogenverband der jüdischen Gemeinde standen. Die These, daß die "frühe Christenheit in der Taufe jenes Heilszeichen sieht, welches den Menschen zum Glied der Kirche macht" 142, muß zunächst dahingehend eingeschränkt werden, daß die früheste Christenheit nicht als einheitlicher Sozialverband konstituiert war, so daß von einer "Aufnahme" nicht gesprochen werden kann. Die Überschätzung der kirchenrechtlichen Bedeutung der Taufe in der frühen Kirche geht meist mit einer Überschätzung der institutionellen Festigung der urchristlichen Ekklesia einher. Weniger als die juristische Dimension der Taufe steht am Anfang einerseits die Funktion der Sündenvergebung l43 (daher der - wenig später von der Kirche bekämpfte Taufaufschub ), andererseits die eschatologische Zueignung des Geistes durch die Taufe. l44 Es fällt immerhin auf, daß die Taufe schon zu einem Zeitpunkt gebräuchlich war, als die christliche Gemeinschaft nicht einmal als einheitlicher Sozial verband existierte. Hinzu kommt, das die (ungetauften) Katechumenen zunächst kirchenrechtlich keine deutlich von den Getauften unterschiedene Stellung einnahmen. Die kirchenrechtliche Verselbständigung eines (unter Umständen langjährigen) Katechumenates tritt erst im Laufe des 3. Jahrhunderts deutlich hervor. Den Katechumenen wurde im Gegenteil ein Zugehörigkeitsstatus zuerkannt, der anfangs kaum von dem Status der Getauften unterschieden

140 Heggelbacher, 80. 141 Vgl. Denzinger/Hünermann, 10 ff.; vgl. auch Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse, 36-65; Kretschmar, Geschichte des Taufgottesdienstes, 49 ff. 142 Heggelbacher, 90. 143 Apg. 2, 38, vgl. auch 1. Kor. 6, 11. 144 Apg. 2, 38 u. 19, 5 f.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

127

werden konnte. 145 Der Katechumene war nach sorgfaltiger Prüfung durch die Gemeinde zum Wortteil des Gottesdienstes zugelassen. Damit standen die Katechumenen als Ungetaufte schon vor dem Vollzug der Taufe rechtlich innerhalb der Kirche. 146 Schließlich ist zu bedenken, daß der Gedanke der Sündenvergebung durch die Taufe zunächst derartig im Vordergrund stand, daß der Empfang der Taufe aufgeschoben wurde. 147 Aus einem nahezu "magischen" Verständnis der Taufe erklärt sich, warum die Taufe vielfach erst kurz vor dem Tod des Taufbewerbers stattgefunden hat. Es ist daher mindestens für den Zeitraum der ersten drei nachchristlichen Jahrhunderte davon auszugehen, daß die Taufe noch keine ausschließliche Bedingung für die rechtliche Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinde gewesen sein kann. 148 Vielmehr steht die Bedeutung der Taufe als Akt der Sündenvergebung so sehr im Vordergrund, daß die Taufe trotz Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde möglichst langfristig aufgeschoben wurde. Eine gewisse Veränderung trat ein mit der Entwicklung des Christentums zur "Staatsreligion" des Römischen Reiches, die mit dem berühmten Edikt "Cunctos populos" 149 des Kaisers Theodosius im Jahr 380 einsetzte und schließlich in dem spätantiken Staatskirchenturn unter Kaiser Justinian (527-565) ihren

145 Huber in: Lienemann-Perrin, 493; vgl. K. Janssen, Art. "Katechumenat", RGG, 3. Auflage, 1189 f.; Kretschmar, "Katechumenat/Katechumenen I. Alte Kirche", TRE 18, 1-5; K. Hauschildt, Art. "Katechumenat/Katechumenen 11. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart", TRE 18, 6-14. Liturgiegeschichtlich ist von besonderem Interesse, daß in der alten Kirche auch ungetaufte Katechumenen, die nomen dederant und in die Gemeinderolle eingetragen waren, im Todesfall auch rechtlich als Vollmitglied behandelt wurden. 146 Huber in: Lienemann-Perrin, 493. 147 Vgl. Kretschmar, Art. "Katechumenat/Katechumenen I. Alte Kirche", TRE 18, 1-5. 148 Ebd. 149 Vgl. Codex Theodosianus XVI, I, 2, (= Codex lustinianus I. 1. I): "Cunctos populos, quos c1ementiae nostrae regit temperamentum, in tali volumus religione versari, quam divinum Petrum apostolum tradidisse Romanis religio usque ad nunc ab ipso insinuata declarat ...... Das Edikt des Kaisers Theodosius vom 28. Februar 380 diente vornehmlich der staatlichen Durchsetzung der nizänischen Trinitätslehre innerhalb des Christentums. Die Bedeutung des Edikts für die Anerkennung des Christentums als "Staatsreligion" wird vielfach überschätzt. Tatsächlich handelt es sich dabei vielmehr um einen fließenden Anerkennungsprozeß, der sich nicht punktuell auf einen bestimmten Gesetzgebungsakt fixieren läßt, sondern bereits unter Konstantin (306-337) einsetzt und erst in der Regierungszeit lustinians (527-565) seinen Abschluß findet.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

vorläufigen Abschluß fand. Durch kaiserliche Konstitution wurde nunmehr die Verknüpfung von Reichsangehörigkeit und Mitgliedschaft in der christlichen Kirche hergestellt. Die Kirchenmitgliedschaft konstituierte den einzelnen Reichsangehörigen als Rechtssubjekt. 150 Damit war die Taufe zwar nicht rechtliche Bedingung der Kirchenmitgliedschaft, aber selbstverständliche Voraussetzung für das Auftreten des Einzelnen im Rechtsverkehr. Die Kirche ging durch die Verknüpfung von Reichs- und Kirchenangehörigkeit in der gesamten kultivierten Menschheit auf, so daß es nun nicht mehr erforderlich war, die Kirchenzugehörigen rechtlich aufgrund bestimmter Tatbestandsmerkmale gegenüber Nichtzugehörigen abzugrenzen. Bis in das Mittelalter und in die frühe Neuzeit ist die Kirchenmitgliedschaft "ein selbstverständlich vorausgesetztes, aber nicht bewußt normiertes Rechtsverhältnis" geblieben. 151 Die Taufe hat sich erst dann zur konstitutiven rechtlichen Voraussetzung der Kirchenmitgliedschaft entwickelt, als die Kirchenmitgliedschaft zum rechtlichen Problem wurde. Erst mit der Auflösung der konfessionell geschlossenen Territorien und dem Aufkommen des Toleranzgedankens in der Aufklärung entstand der Anlaß, nach den rechtlichen Voraussetzungen der Zuordnung zu einer bestimmten Kirche zu fragen. Die Bedeutung der Taufe als mitgliedschaftsbegründender Rechtsakt beginnt sich erst zu diesem späten Zeitpunkt in der Neuzeit zu entfalten. Diese Entwicklung des Verhältnisses von Taufe und Kirchenmitgliedschaft zeigt deutlich, mit weIchen historisch begründeten Vorbehalten die These zu versehen ist, daß die Taufe in rechtlicher Hinsicht unabdingbare Voraussetzung für die Kirchenmitgliedschaft ist. Diese These wird schon durch den historischen Befund nicht in jeder Hinsicht belegt; ob sie für das geltende Recht aufgestellt werden kann, ist nunmehr näher zu untersuchen.

b) Die gegenwärtige kirchenrechtliche Bedeutung der Taufe Nach § I Abs.1 des EKD-KMitgliedG von 1976 sind Kirchenmitglieder die getauften evangelischen Christen. Damit nennt das KMitgliedG die Taufe aus-

150 Diese Tatsache hat noch die Normierung des katholischen Mitgliedsrechts im CIC 1917 bestimmt, wo es in can. 87 heißt: "Baptismate homo constituitur in Ecclesia Christi persona." Vgl. Huber in: Lienemann-Perrin, 495. 151 Pirson, ZevKR 13 (1967/68), 337, 343 = Meinhold, Kirchengliedschaft, 138,

144.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

129

drücklich als Voraussetzung des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft. Neben dem EKD-KMitgliedG stehen jedoch eine Reihe landeskirchlicher Normen, die den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft betreffen und in einzelnen Sachfragen ergänzend herangezogen werden können, wo das EKD-KMitgliedG keine erschöpfende Regelung getroffen hat. 152 Die überwiegende Zahl der EKD-Gliedkirchen hat entsprechend dem EKDKMitgliedG die konstitutive Bedeutung der Taufe für den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft festgelegt. Die Kirchenverfassungen formulieren dies zum Teil ganz ausdrücklich, wie dies z. B. in § 1 Abs.l Kirchengesetz über die Kirchengliedschaft in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern geschehen ist.I 53 Andere Landeskirchen zählen zu ihren Mitgliedern entsprechend dem EKD-KMitgliedG jeden in ihrem Bereich Wohnenden, der "in einer Gemeinde evangelischen Bekenntnisses getauft oder nach den geltenden Bestimmungen in sie aufgenommen worden" ist. 154 In diesen Kirchenbestimmungen tritt neben

152 S. o. 153 § 1 Abs.l KG über die Gliedschaft in der Ev.-Luth. Kirche in Bayern v. 10.11. 1965 (KABI. S. 179): "Die Kirchengliedschaft gründet sich auf die Taufe." 154 Anhalt: § 2 Kirchenverfassung v. 14.8.1920 (KG Nr.l1) i.d.P. v. 30.11.1967, zuletzt geändert durch Gesetz v. 19.12.1990 (ABI. 1991, 5); Baden: § 5 Abs.1 S.2 Grundordnung i.d.P. der Bekanntmachung v. 12.9.1990 (GVBI. S. 146); Bayern: § 1 Abs.1 KGliedG v. 10.11.1965 (KABI. S.179); Berlin-Brandenburg: Art. 7 Abs.l S.1 Grundordnung v. 15.12.1948 (KABI. 1949 Nr.2 Anlage), zuletzt geändert durch Gesetz v. 9.12.1990 (KABI. S.145); Braunschweig: Art. 8 Kirchenverfassung v. 6.2.1970 (ABI. S.46) i.d.F. v. 7.5.1984 (ABI. EKD 1984, 377), zuletzt geändert durch Gesetz v. 23.11. 1991 (LKABI. 1991,97); Görlitz (Schlesische Oberlausitz): Art. 7 Kirchenordnung v. 14.1l.l951; Hannover: Art. 8 Abs.1 Verfassung in der Neufassung v. 6.12.1993 (ABI. EKD 1994,96), Hessen-Nassau: Art. lAbs. 2 KO v. 9.3.1949 i.d.F. der Bek. v. 21.4. 1966 (ABI. S. 89) und § 1 Abs.l KGO i.d.F. v. 6.1l.l979 (ABI. S. 181), zuletzt geändert durch Gesetz v. 3.12.1991 (ABI. 1992,6); Kirchenprovinz Sachsen: Art. 5 Abs.l S.2 Grundordnung v. 16.3.1980 (ABI. Magdeburg 1980, Sondemr. S.2) in der Neufassung v. 1.7.1993 (ABI. S.77; ABI. EKD 1993,458); Kurhessen-Waldeck: Art.5 Abs.1 Kirchenverfassung v. 22.5.1967 (KABI. S.19) i.d.F. vom 27.4.1988, zuletzt geändert durch Gesetz v. 28.4.1993 (KABI. S.58); Land Sachsen: § 4 Abs.1 S.I Kirchenverfassung v. 13.12.1950 (ABI. A 99) in der Fassung v. 17.11.1989 (ABI. 1990, A 5); Lippe: § 14 Abs.1 liLa Kirchengesetz v. 18.3.1957 (GVBI. Bd. 4, 183) i.d.F. v. 7.7.1981, zuletzt geändert durch Gesetz v. 26.1l.l991 (GVOBI. Bd. 10, 103); Mecklenburg: § I Abs.l KMitgliedG v. 4.11.1990 (KABI. 1991,3); Nordelbien: Art. 5 Abs.1 Kirchenverfassung v. 12.6.1976 (GVOBI. 1977,2) i.d.F. v. 21.11.1989 (GVOBI. 1990,46), zuletzt geändert durch Gesetz v. 1.4.1990 (ABI. S.74); Oldenburg: Art. 8 Kirchenordnung, zuletzt geändert durch Gesetz v. 28.1l.l985 (GVBI. Bd. XXI, S. 47); Pommern: Art. 8 Abs.l Kirchenordnung der Pommerschen Ev.-Luth. Kirche v. 2.6.1950 i.d.F. v. 14.4.1991 (ABI. 9 Haß

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

die Taufe in einer Gemeinde evangelischen Bekenntnisses die Aufnahme, z.B. durch Kirchenübertritt. Die Aufnahme als Taufalternative setzt jedoch nach diesen Bestimmungen ihrerseits voraus, daß das Kirchenmitglied bereits in einer anderen Religionsgemeinschaft die Taufe empfangen hat, so daß auch in diesem Fall keine wirkliche Ausnahme von der Taufe als Bedingung der Kirchenmitgliedschaft vorliegt. Eine gewisse Sonderstellung nehmen hingegen diejenigen Kirchenverfassungen ein, welche die Taufe nicht ausdrücklich zur Bedingung der Kirchenmitgliedschaft machen, sondern "alle evangelischen Christen"155 oder "alle Evangelischen"156 als ihre Mitglieder in Anspruch nehmen. Der Begriff "Evangelisch" bezeichnet lediglich das Bekenntnis, ohne daß die Taufe in diesen Kirchenverfassungen zusätzlich erwähnt wird. Die Kirchenmitgliedschaft wird in diesen Landeskirchen jedoch kraft Gewohnheitsrechts ebenfalls durch die Taufe begründet. Diese Annahme mag problematisch erscheinen für jene Landeskirchen, die in konfessioneller Hinsicht der reformierten Tradition zuzuordnen sind. In der reformierten Tradition ist die Notwendigkeit der Taufe für den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft durchaus angezweifelt worden, und zwar vor allem deshalb, weil die Taufe nach reformierter Lehre nicht heilsnotwendig ist. 157 Die Kirchenordnungen der Niederländischen 158 und Schwei-

1993, 14); Rheinland: Art. 13 Abs.1 Kirchenordnung v. 22.5.1952 (KABI. S. 57) i.d.F. v. 13.1.1983, zuletzt geändert durch Gesetz v. 11.1.1991 (KABI. 1991,2); SchaumburgLippe: Art. 7 Kirchenverfassung; Westfalen: Art. 13 Abs.1 Kirchenordnung v. 1.12.1953 (KABI. 1954, 25), zuletzt geändert durch Gesetz v. 14.11.1991 (KABI. S. 286); Württemberg: Kirchenverfassung v. 24.6.1920 i.d.F. v. 26.5.1982 (ABI. Bd. 50, S.142), zuletzt geändert durch Gesetz v. 2.3.1989 (ABI. Bd. 53, S. 617); §§ 6 ff. KGO i.d.F. v. 2.3.1989 (ABI. 53 S. 696). 155 Thüringen: § 5 Kirchenverfassung v. 2.11.1950; Pfalz: § 3 Verfassung v. 20.10. 1920 i.d.F. v. 25.1.1983 (ABI. S.26), zuletzt geändert durch Gesetz v. 29.11.1990 (ABI. S.218). 156 Bremen: § 1 Abs.l S.4 Verfassung v. 14.6.1920, zuletzt geändert durch Gesetz v. 22.3.1984 (GVM Sp.l); Evangelisch-Reformierte Kirche (Synode der ref. Kirchen in Bayern und NW-Deutschland): § 8 Abs.2 Kirchenverfassung. 157 Zwingli und Calvin haben den effektiven Charakter der Taufe abgelehnt. Dies geht auf die reformierte Sakramentslehre zurück, wonach die Sakramente nur "Wahrzeichen" der im Wort der Vergebung zugänglichen Gnade sind (Heidelberger Katechismus, Frage 66). Die Kritik an der volkskirchlichen Praxis der Kindertaufe ist im 20. Jahrhundert mit der Lehre von der Verantwortungstaufe bei Kar! Barth (Die kirchliche Lehre von der Taufe, 40) durchschlagend geworden (zum Verhältnis der Barthschen Tauftheologie zu Calvin und Zwingli vgl. ferner Edmund Schlink, Die Lehre von der Taufe, 122 ff. und Pannenberg, 287 ff.).

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

131

zer l59 Reformierten Kirchen zeigen, daß eine Kirchenmitgliedschaft ohne vorhergehende Taufe für eine reformierte Kirche auch in der Praxis durchaus denkbar sein kann. Für die (reformierten) EKD-Gliedkirchen ist dieses Problem allerdings durch die Zustimmung zum EKD-KMitgliedG geklärt, weil dieses Gesetz die Taufe als Voraussetzung der Kirchenmitgliedschaft nennt und einen anderen Weg des Mitgliedschaftserwerbs nicht kennt. Aufgrund der Regelung des § I Abs.1 EKD KMitgliedG könnten jedoch kirchenrechtliche Zweifel hinsichtlich der Stellung der (ungetauften) Katechumenen bestehen, weil das EKDKMitgliedG diesen Personenkreis unerwähnt gelassen hat. Der Wortlaut des § I Abs.l (" ... sind Kirchenmitglieder die getauften evangelischen Christen ... ") deutet in jedem Falle darauf hin, daß hier eine abschließende Definition des Mitgliedschaftserwerbs getroffen werden sollte, die einer Erweiterung des Kreises der Kirchenmitglieder durch abweichende gliedkirchliche Sonderregelungen im Wege steht. Mit der Zustimmung zum EKD-MitgliedG sind damit diejenigen gliedkirchlichen Sonderregelungen, die von der Taufe als unerläßlicher Voraussetzung des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft absehen, hinfällig geworden. Zumindest in diesem Bereich ist das EKD-KMitgliedG damit seiner Aufgabe gerecht geworden, eine überkonfessionelle Grundlage des Kirchenmitgliedschaftsrechts für alle EKD-Gliedkirchen zu schaffen. Aus diesem Grund kann Ungetauften in einer EKD-Gliedkirche keineswegs ein vollwertiger Mitgliedsstatus eingeräumt werden. Die gliedkirchlichen Regelungen, soweit sie sich mit der Rechtsstellung Ungetaufter auseinandersetzen, ordnen den Ungetauften vielmehr eine mitgliedschaftsähnliche Rechtsstellung ein, die mit der Einräumung bestimmter Rechte und Pflichten, jedoch nicht mit einer vollwertigen Mitgliedsstellung im juristischen Sinne verknüpft ist. 160 Auf diesem Wege wird ein graduelles "Hineinwachsen" in die Kirchenmitgliedschaft rechtlich ausgestaltet. Dies kann als erster Schritt in Richtung auf die Entwicklung einer mehrstufigen Kirchenmitgliedschaft hin angesehen werden.

158 Vgl. die in ZevKR 2 (1952153), 231 ff. abgedruckte Kirchenordnung der Niederländischen Reformierten Kirche von 1950. 159 Vgl. zur Rechtslage in der Schweiz 1. G. Fuchs, ZevKR 17 (1972), 8, 11 ff sowie die aktuelle Monographie zum Schweizerischen Staatskirchenrecht von Kraus (Lit.), 380. 160 Vgl. § 8 Abs.2 Kirchenverfassung Hannover in der Neufassung v. 6.12.1993 (ABI. EKD 1994, 96 ff.); Art. 9 Abs.1 KV Braunschweig v. 6.2.1970 (LKABI. S. 46) i.d.F.v. 7.5.1984 (ABI. S. 14), zuletzt geändert durch Gesetz v. 9.2.1991 (ABI. S. 10); § 7 Abs.1 GO Baden i.d.F. v. 12.9.1990 (KGVBI. S. 146). 9'

132

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

2. Taufe als konstitutive Voraussetzung der Kirchenmitgliedschaft

Im juristischen Schrifttum findet sich die Feststellung, daß die Kirchenmitgliedschaft durch die Taufe begründet werde. 161 Diese Aussage ist theologisch durchaus zutreffend, sofern sie sich auf die Begründung der geistlichen Gliedschaft in der Kirche Jesu Christi bezieht. Sie ist - jedenfalls auf der Basis des geltenden Kirchenmitgliedschaftsrechts - jedoch in dieser Form ungenügend, was die Begründung der juristischen Mitgliedschaft anbelangt. Geistliche Gliedschaft und juristische Mitgliedschaft unterliegen jeweils unterschiedlichen Anforderungen. Ein Umkehrschluß von der geistlichen Gliedschaft auf die rechtliche Mitgliedschaft ist deshalb weder theologisch noch kirchenrechtlich oder gar staatskirchenrechtlich möglich. 162 Wenn bisher von der Taufe als mitgliedschaftsbegründendem Rechtsakt gesprochen worden ist, so bedarf dies der Präzisierung. Es ist nunmehr konkret nach der gen auen Bedeutung des Tatbestandsmerkmals "getauft" in § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG zu fragen. Die Unterzeichnung der Leuenberger Konkordie v. 16.3.1973 durch alle EKD-Gliedkirchen (auf die Art. 1 Abs.4 EKD-GO seit der Änderung der Grundordnung im Jahr 1984 nunmehr ausdrücklich Bezug nimmt l63 ) ist ein beweiskräftiger Anhaltspunkt für ein allgemeines protestantisches Taufverständnis. l64 Auch die ökumenische Bedeutung der Taufe

161 Vgl. z. B. Axel v. Campenhausen in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 48; ders. in: HdbStKR Bd. I, 2. Aufl. 1994, 755, 765; Hollerbach in: Kasper (Hrsg.), Christsein ohne Entscheidung, 225, 230 ff. 162 Die Feststellung "Geistliche Gliedschaft und rechtliche Mitgliedschaft werden durch die Taufe begründet" (Axel v. Campenhausen in: HdbStKR Bd. 1,2. Aufl. 1994, 755, 765) ist deshalb unzutreffend. 163 Der Text dieser Einfügung lautet: " Art. I (4) Zwischen den Gliedkirchen besteht Kirchengemeinschaft im Sinne der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie). Die Evangelische Kirche in Deutschland weiß sich mit ihren Gliedkirchen verpflichtet, die in ihr bestehende Gemeinschaft auch im Sinne dieser Konkordie zu stärken und die Gemeinsamkeit im Verständnis des Evangeliums zu vertiefen." (ABI. EKD 1984, 249). 164 Vgl. Leuenberger Konkordie, Ziffer 14: "Die Taufe wird im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes mit Wasser vollzogen. In ihr nimmt Jesus Christus den der Sünde und dem Sterben verfallenen Menschen unwiderruflich in seine Heilsgemeinschaft auf, damit er eine neue Kreatur sei. Er beruft ihn in der Kraft des Heiligen Geistes in seine Gemeinde und zu einem Leben aus Glauben, zur täglichen Umkehr und Nachfolge." Zum Hintergrund dieser Formulierung vgl. Schieffer, 479 ff., 567 ff.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

133

verlangt die Beachtung der agendarischen Vorschriften des rite-Vollzuges der Taufe. 165 Die nach den agendarischen Vorschriften rite vollzogene Taufe in der evangelischen Kirche hat zwei Voraussetzungen, nämlich erstens den Gebrauch von Wasser und zweitens die Taufe auf den dreieinigen Gott, also die trinitarische Taufformel. 166 Es ist davon auszugehen, daß das den agendarischen Taufvorschriften und den Kirchenordnungen der Landeskirchen zugrundeliegende Taufverständnis auch in § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG vorausgesetzt ist. Das Tatbestandsmerkmal "getauft" verlangt demnach die Vornahme der Taufe in der agendarisch gebotenen Form (Wassertaufe und trinitarische Taufformel). Mit den beiden Voraussetzungen Wassertaufe und Verwendung der trinitarischen Taufformel ist bereits festgestellt, daß es keine eigentlich "evangelische" Taufe, die diese Bezeichnung verdient, geben kann. Auch die römisch-katholische Kirche sieht die rite vollzogene Taufe der EKD-Gliedkirchen heute als vollgültig an. 167 Die gegenseitige Anerkennung der trinitarischen Taufe durch alle Kirchen hat deshalb dazu geführt, daß neben der Taufe weitere Kriterien des Mitgliedschaftserwerbs entwickelt werden mußten. 168 Die Taufe ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um die Mitgliedschaft in einer evangelischen Gliedkirche zu begründen. Diese Feststellung wird durch die Formulierung des § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG bestätigt, die den dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriff der Kirchenrechtslehre aufnimmt. Erst durch das Hinzutreten von evangelischem Bekenntnis und Wohnsitz im Bereich einer EKDGliedkirche kann die Kirchenmitgliedschaft im Bereich der EKD begründet werden. Daher ist die Anknüpfung der Kirchenmitgliedschaft allein an die Taufe weder im evangelischen noch im katholischen Bereich rechtlich gesehen mög-

Vgl. Stein, Evangelisches Kirchenrecht, 50 f. 166 Stein, Evangelisches Kirchenrecht, 50; Beckmann, Art. "Taufe. VI. Rechtlich", EvKL Bd.3, 1307 f.; G. Wendt, Art. "Taufe. VII. Rechtlich", RGG, 3. Aufl., 656 f. Die gültige Vornahme der Taufe ist vielfach in den Kirchen- und Taufordnungen der Landeskirchen geregelt, vgl. z.B. Art. 32 Abs.1 KO der Evang. Kirche im Rheinland i.d.F. v. 13.1.1983 (KABI. S.37); vgl. ferner Leuenberger Konkordie, Ziffer 14 (FN. 164). 167 Dies geht auf den frühkirchlichen Streit um die sog. Häretikertaufe zurück (vgl. die Briefe Papst Stephan J. an Cyprian von Karthago (vgl. dazu Denzinger/Hünermann, 110 0; vgl. noch heute die Bestimmungen der cann. 849 und 861 § 2 CICI1983 im katholischen K}rchenrecht: Die rite vollzogene Taufe in der evangelischen Kirche wird (nunmehr) auch in der Kanonistik grundsätzlich als vollgültig angesehen. 168 Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 1401137 WRV Rdnr. 48. Zur Anerkennung der Taufe christlicher Sondergemeinschaften vgl. die Gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 25.11.1985, in: Axel v. Campenhausen/J. Christoph (Hrsg.), Göttinger Gutachten, 39 ff. 165

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Iich, wenn nicht ein zweites Tatbestandsmerkmal hinzutritt, welches die eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Partikularkirche ermöglicht.

3. Rechtsstellung der Ungetaurten in den Gliedkirchen der EKD I69

Nach dem derzeitig geltenden Mitgliedschaftsrecht, das sich aus dem EKDKMitgliedG ergibt, wird die Kirchenmitgliedschaft entsprechend dem von der Kirchenrechtslehre entwickelten sog. dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriff durch Taufe, evangelisches Bekenntnis und Wohnsitz im Bereich einer Gliedkirche der EKD erworben. Alle EKD-Gliedkirchen haben dem EKD-KMitgliedG und damit auch der Regelung des Mitgliedschaftserwerbs in § lAbs. 2 EKD-KMitgliedG zugestimmt. Die frühere Streitfrage nach der konstitutiven Bedeutung der Taufe für den Mitgliedschaftserwerb ist durch den Erlaß des EKD-Gesetzes eindeutig in der Weise beantwortet worden, daß der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche unabdingbar den Vollzug der Taufe voraussetzt. Allein auf diesem Hintergrund sind verschiedentliche Versuche im Schrifttum zu beurteilen, die sich die Begründung einer gestuften oder graduellen Kirchenmitgliedschaft, eines "Hineinwachsens" in die Mitgliedschaft, zum Ziel gesetzt haben. I7O Dieses Unterfangen mag rechtstheologisch erwünscht sein. Es sieht sich jedoch aus staatskirchenrechtlicher Sicht erheblichen Bedenken ausgesetzt. Die Anknüpfung von Rechtsfolgen im staatlichen Rechtskreis an den Tatbestand "Kirchenmitgliedschaft" erfordert vom geltenden Kirchenrecht die präzise, rechtsstaatlich verläßliche Abgrenzung zwischen Kirchenmitgliedern und Nichtmitgliedern. Die Diskussion über die Geltung von Kirchenordnungen vor allem der evangelisch-reformierten Rechtstradition, welche die Taufe aus theologischen Gründen nur als zeichen hafte "Bestätigung" der Kirchenmitgliedschaft ansehen 171 und allein auf die Abstammung von evangelisch-reformierten Eltern

169 Vgl. die Gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD zum kirchenrechtlichen Status ungetaufter Kinder v. 11.6.1971, in: Axel v. Campenhausen (Hrsg.), Münchener Gutachten, 63 ff. 170 Stein, ZevKR 29 (1984), 55; Frost, Strukturprobleme, 74. 171 Vgl. § 5 KV Thüringen; § 3 KV Pfalz; § I I 4 KV Bremen; § 8 11 Ev.-ref. Kirche (Syn. d. ref. Kirchen in Bayern u. NW-Deutschland). Die genannten Bestimmungen sehen dabei keineswegs ausdrücklich von der Taufe als konstitutivem Element der Kirchenmitgliedschaft ab, doch ist der Kreis der Mitglieder nicht auf die Getauften, sondern auf alle "evangelischen (Christen)" erweitert. Ausdrücklich auf die Taufe verzichten jedoch vor allem reformierte Kirchen der Nachbarländer. Vgl. für die Schweiz

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

135

oder auf eine Erziehung im evangelisch-reformierten Bekenntnis abstellen, ist mit der Zustimmung al1er (also auch der evangelisch-reformierten) Gliedkirchen zum EKD-KMitgliedG beendet worden. Mit der Anerkennung der Taufe als Konstitutivum der Kirchenmitgliedschaft in § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG ist die Grundlage für ein an objektivierbaren Merkmalen ausgerichtetes und damit den rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechendes Kirchenmitgliedschaftsrecht gelegt worden. Eine daneben stehende Eröffnung der Kirchenmitgliedschaft ohne Taufe durch gliedkirchliche Einzelregelungen ist mit dem EKD-KMitgliedG nicht vereinbar: Die Kirchenmitgliedschaft von Ungetauften ist demnach nach EKD-Recht nicht denkbar. Unberührt bleiben hingegen diejenigen gliedkirchlichen Regelungen, welche Ungetauften eine der Kirchenmitgliedschaft vergleichbare (mitgliedschaftsähnliche ) Rechtsposition einräumen. In

4. Spannungen zwischen kirchlichem TauCrecht und staatlichem Recht

Verschiedentlich zeigen sich Kollisionen von einfachgesetzlichem staatlichen Recht und kirchlichem Mitgliedschaftsrecht. Die wichtigsten Beispiele hierfür sind Fragen der gesetzlichen Vertretung bei der Kindertaufe und die grundsätzlichen Probleme, die aus der staatlichen Unterscheidung zwischen einer al1gemeinen Geschäftsfähigkeit (§ 104 ff. BGB) und einer Geschäftsfähigkeit in religiösen Angelegenheiten (§ 5 RKEG) erwachsen. I73

a) Kirchliches Tau/recht und Regelung der gesetzlichen Vertretung im staatlichen Recht Das staatliche Recht sieht einheitlich in § 1627 Abs. 1 BGB die Vertretung des Kindes durch beide Elternteile vor. Die Eltern stehen bei der Ausübung der elterlichen Sorge gleichrangig nebeneinander. Bei einer Angelegenheit wie der

die Synodalverfassung Bern-Jura, Art. 6 lit.e ev.-ref. KV von 1946 und Art. 12 ev.-ref. KO (1990); zum schweizerischen Staatskirchenrecht insgesamt die materialreiche Darstellung von Kraus, hier insbesondere 379 f. (dort Fn. 61). In So z. B. § 8 Abs.2 KV Hannover v. 6.12.1993 (ABI. EKD 1994,96). 173 Im Hinblick auf die Religionsmündigkeit nach § 5 RKEG kann hier mit Engelhardt von einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsfähigkeit gesprochen werden, vgl. dazu Engelhardt, Kirchensteuer, 77 ff.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

religiösen Erziehung des Kindes (§ 1 RKEG) ist die Ansicht der Eltern aufeinander abzustimmen. 174 Kommt es wegen des Tautbegehrens zum Streit zwischen den Eltern, so ist nicht das Verwaltungsgericht, sondern das Zivilgericht zuständig, weil diese Rechtsfrage nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die elterliche Sorge zu entscheiden ist. 175 In bemerkenswertem Kontrast zu der in § 1627 Abs.l BGB getroffenen Regelung stehen einige kirchengesetzliche Taufordnungen. So sieht § 6 Abs.l der Taufordnung der ev.-lutherischen Landeskirche Württembergs l76 vor, "daß die Eltern mit der Taufe einverstanden sind, mindestens einer der Erziehungsberechtigten die Taufe begehrt (... )". Das Kirchengesetz über die Verwaltung des Sakraments der Taufe in der Evangelischen Kirche von Westfalen l77 sieht in Ziffer 11./7. vor, daß die "Taufe durch Vater oder Mutter, wenn möglich durch beide angemeldet werden" soll. Genügt die Anmeldung zur Taufe durch einen Elternteil, so steht dies offenkundig in Widerspruch zu den insoweit eindeutigen Vertretungsregelungen des staatlichen Rechts. Aus diesem Grund ist hier auf die Aussage, daß die Kirchenmitgliedschaft auf eine rechtswirksame Willenserklärung des Mitglieds zurückführbar sein muß, zu verweisen. Wenn die staatliche Anerkennung der kirchlichen Mitgliedschaft verfassungsmäßig sein sol1, ist eine Willenserklärung des Mitglieds oder seines gesetzlichen Vertreters erforderlich. Kommt es beim Erwachsenen auf dessen eigene Willenserklärung an, so ist bei der Kindertaufe der erklärte Wil1en der gesetzlichen Vertreter maßgeblich. Ist die Wil1enserklärung nicht wirksam nach den bürgerlichrechtlichen Vorschriften (hier nach § 1627 Abs.l BGB) abgegeben, so liegt der Kirchenmitgliedschaft keine rechtswirksame Wil1enserklärung zugrunde. Die Folgerung hieraus ist demnach, daß die staatliche Anerkennung der solchermaßen begründeten Kirchenmitgliedschaft verfassungsrechtlich unzulässig ist. Die Begründung der Kirchenmitgliedschaft, soweit sie für den staatlichen Rechtskreis beachtlich sein sol1, setzt mithin die Zustimmung bei der Eltern zwingend voraus. Dieser Anforderung muß auch das kirchliche Taufrecht entsprechen, wenn die Kirchenmitgliedschaft auch für das Kirchensteuerrecht Geltung haben soll.178

Palandt-Diederichsen, § 1627 Rz. 1. 175 VG Koblenz, Beschl. v. 4.10.1975 - 6 L 52/75. 176 Taufordnung der Ev.-Lutherischen Kirche in Württemberg i.d.F. v. 27.8.1991. 177 Kirchengesetz über die Verwaltung des Sakraments der Taufe in der Evangelischen Kirche von Westfalen v. 27.10.1950 (KABI. S.67) i.d.F. v. 16.10.1970 (KABI. S.217). 178 Link, ÖAKR 22 (1971), 299, 309 = Meinhold, Kirchengliedschaft, 192,214, Fn. 28a. 174

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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b) Verhältnis von Religionsmündigkeit und Geschäftsfähigkeit bei der Begründung der Kirchenmitgliedschaft

Ein Problem der Normenkonkurrenz innerhalb des staatlichen Rechts stellt die Frage nach dem Verhältnis zwischen der sog. Religionsmündigkeit nach § 5 RKEG und der bürgerlichrechtlichen Geschäftsfähigkeit nach §§ 104 ff. BGB bei der Begründung der Kirchenmitgliedschaft dar. Mit dem Beginn der Religionsmündigkeit gern. § 5 RKEG kann das vierzehnjährige Kind selbständig über den Eintritt in eine Religionsgemeinschaft entscheiden. Die Begründung der Kirchenmitgliedschaft ist daher nach § 5 RKEG wirksam. Doch bestehen an diesem Ergebnis dann erhebliche Zweifel, wenn mit der Begründung der Kirchenmitgliedschaft finanzielle Leistungsverpflichtungen des Kindes verbunden sind. Hier stellt sich zum einen die Frage, ob ein Verstoß gegen § 107 BGB vorliegt. Nach § 107 BGB bedarf die Willenserklärung eines Minderjährigen, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters. § 107 BGB bezweckt damit den umfassenden Schutz des Vermögens des Minderjährigen. Es ist kaum überzeugend, in der religionsrechtlichen Regelung des § 5 RKEG eine Sonderregelung zu § 107 BGB zu sehen, weil das RKEG nur den Schutz des religiösen Selbstbestimmungsrechts des Kindes bezweckt, nicht aber die Ausweitung der bürgerlichrechtlichen Geschäftsfähigkeit in wirtschaftlichen Angelegenheiten. 179 Ist mit dem Eintritt in die Religionsgemeinschaft eine finanzielle Leistungsverpflichtung verbunden, so findet § 107 BGB zumindest insoweit Anwendung, als der Staat der ohne Zustimmung der Eltern im Rahmen des § 5 RKEG wirksam begründeten Kirchenmitgliedschaft die Anerkennung zu versagen hat. Wesentlich unkomplizierter stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit einer vormundschaftlichen Genehmigung nach §§ 1643 Abs.l, 1822 Nr.5 BGB dar. Die Kirchensteuerpflicht müßte eine "wiederkehrende Leistung" sein und die Kirchenmitgliedschaft (der die Kirchensteuerpflicht zugrundeliegt) entsprechend "länger als ein Jahr nach Eintritt der Volljährigkeit" fortdauern. Diese Vorschrift setzt dem Sinn nach voraus, daß die Leistungsverpflichtung nicht vor Ablauf der Jahresfrist gekündigt werden kann. 180 Der Kircheneintritt begründet zwar finanzielle Leistungspflichten über den Eintritt der vollen Geschäftsfähigkeit hinaus, doch kann sich der religionsmündige Minderjährige durch Kirchenaustritt diesen Verpflichtungen jederzeit entziehen. Die Bestimmungen 179 Ebenso Link, a.a.O. 180

Palandt-Diederichsen, § 1822 Rz. 19.

138

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

der §§ 1643 Abs.l, 1822 Nr. 5 BGB finden daher keine Anwendung, weil die Leistungspflicht jederzeit beendet werden kann.

c) Anfechtung der Zustimmung zur Taufe durch die Eltern

Wenn eine nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die elterliche Sorge zustandegekommene rechts wirksame Zustimmung der Eltern zur Taufe des Kindes erforderlich ist, so kann sich ferner die Frage nach der Beachtlichkeit von Willensmängeln bei der Abgabe dieser Erklärung durch die Eltern stellen. Haben die Eltern aufgrund von Irrtum (§ 119 BGB), Drohung oder Täuschung (§ 123 BGB) der Vornahme der Taufe zugestimmt, stellt sich insbesondere die Frage nach der Anfechtbarkeit dieser Willenserklärung. Das OVG Münster hat die Frage der Anfechtbarkeit in konsequenter Anwendung der Bereichslehre (s.o.) verneint, weil die Anfechtung der elterlichen Zustimmung zur Taufe eines Kindes eine rein innerkirchliche Angelegenheit und folglich nicht dem staatlichen Recht unterworfen sei. 181 Diese Ansicht überzeugt nicht. Die Zustimmung der Eltern zu der Taufe ihres Kindes ist eine Willenserklärung in Ausübung ihres elterlichen Sorgerechts, die sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts richtet und damit grundsätzlich nach den Vorschriften der §§ 119 ff. BGB anfechtbar ist. Zu differenzieren ist jedoch in der Frage der rechtlichen Auswirkungen einer solchen Anfechtung. Auf die Mitgliedschaft nach innerkirchlichem Recht hat eine Anfechtung keine Auswirkungen, und zwar schon deshalb nicht, weil für die Begründung der Kirchenmitgliedschaft nach kirchlichem Recht überhaupt keine nach staatlichem Recht rechtsgültige Willenserklärung der Eltern erforderlich ist (s.o.). Anderes gilt nur für die Anerkennung der Kirchenmitgliedschaft für das staatliche Recht. Soweit die Kirchenmitgliedschaft im staatlichen Recht Anerkennung finden soll, ist eine nach staatlichem Recht rechtswirksame Zustimmung der Eltern notwendig. Wenn die Eltern ihre Zustimmung aufgrund von Irrtum oder Drohung anfechten, so wird die Zustimmung ex tune (§ 142 BGB) beseitigt, mit der Folge, daß keine Zustimmung der Eltern zu der Taufe des Kindes angenommen werden kann. Fehlt eine rechts wirksame Zustimmung der Eltern, so darf die Begründung der Kirchenmitgliedschaft durch die Taufe nicht anerkannt werden. Hieraus ergibt sich notwendig, daß die erfolgreiche Anfechtung der Zustimmung zur Taufe durch die Eltern die Zustimmung rückwirkend beseitigt. Dies hat zur

181

Vgl. OVG Münster Urt. v. 27.1.1976 - VI A 400174 = NJW 1976, 1550.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

139

Folge, daß die Kirchenmitgliedschaft im staatlichen Recht nicht mehr anerkannt werden darf, ohne daß dies jedoch unmittelbar Auswirkungen für die Kirchenmitgliedschaft nach innerkirchlichem Recht hätte.

VI. Bekenntnis ("evangelisch") 1. Bekenntnis und Kirchenmitgliedschaftsrecht

Anders als die Merkmale Taufe und Wohnsitz stößt das Tatbestandsmerkmal "evangelisch" in § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG auf erhebliche Schwierigkeiten, und zwar sowohl in kirchenrechtlicher als auch in staatskirchenrechtlicher Hinsicht. Auch im Ständigen Rechtsausschuß der Synode der EKD bestand Uneinigkeit über die Notwendigkeit, den evangelischen Bekenntnisstand als juristische Voraussetzung für die Kirchenmitgliedschaft zu normieren. 182 Schließlich einigte man sich aber auf die Einführung von Bekenntnis und Wohnort, weil die Taufe zwar als Aufnahmekriterium ausreichte, aber nicht die zweifelsfreie Zuordnung des Getauften zu einer bestimmten Partikularkirche ermöglichte. Aus dieser Diskussion ergab sich der Vorschlag, die Arbeitsgruppe der Mitgliedschaftsrechtskommission mit der Formulierung einer Definition des Erwerbs des evangelischen Bekenntnisstandes zu beauftragen, der als § 1 Abs.2 in den Entwurf eingefügt werden sollte. Die Einfügung einer solchen Definition des evangelischen Bekenntnisstandes scheiterte jedoch, weil man sich nicht auf eine Definition verständigen konnte. 183 Das Merkmal "evangelisch" ordnet angesichts des ökumenischen Charakters der Taufe das Kirchenmitglied einer bestimmten Partikularkirche, also einer bestimmten (nämlich "evangelischen") kirchlichen Körperschaft zu. Das entscheidende Unterscheidungsmerkmal in juristischer Hinsicht, mithin den eigentlichen Anknüpfungspunkt aus staatskirchenrechtlicher Sicht, liefert daher nicht etwa die Taufe, sondern das Bekenntniserfordernis. Wenn dem Bekenntnis eine derart gewichtige Bedeutung zukommt, so stellt sich in besonderem Maße die Frage, wie das staatliche Recht mit einem kirchlichen Mitgliedschaftsrecht umzugehen hat, daß in derartig starker Weise von einem vorausgesetzten Be-

182 V gl. S. 6 der Niederschrift über die Sitzung der Mitgliedschaftsrechtskommission der Synode der EKD v. 23.1.1976 (Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei v. 3.3.1976, Az. 0152/1.21). 183 A.a.O. (Fn. 412), S. 7 der Niederschrift v. 23. I.l976.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

kenntnis begriff ausgeht. Aus diesem Grund ist die wichtigste Voraussetzung einer systematischen Durchdringung des Kirchenmitgliedschaftsrechts eine genaue Erfassung der staatskirchenrechtlichen Bedeutung des Bekenntnisbegriffs. Es erscheint zweckmäßig, zwischen dem objektiven "Bekenntnis" der Kirche und dem individuellen "Bekenntnis" des einzelnen zu seiner Kirche zu unterscheiden, da der gewöhnliche Sprachgebrauch beide Bedeutungen kennt. Die Begriffe sind hier aufeinander bezogen zu verstehen, so daß zunächst das kirchliche Bekenntnis zu definieren ist, um das individuelle Bekenntnis im kirchenrechtlichen Sinne adäquat erfassen zu können. Es ist letztlich eine Eigenart der lutherischen Kirchen, ihre religiösen Überzeugungen in Bekenntnissen niederzulegen (Confessio Augustana, Konkordienbuch).184 Die lutherischen Kirchen haben sich vielfach ausdrücklich an Bekenntnisse gebunden und ihre Prediger auf diese Bekenntnisse verpflichtet. Das Bekenntnis hat insofern für die lutherischen Kirchen eine kirchen gründende Funktion. In den evangelisch-reformierten Kirchen hat das Bekenntnis keine vergleichbare Bedeutung, auch wenn gelegentlich versucht wurde, regionalen Kirchenordnungen (Gallicana, Scoticana) oder dem grundlegenden Heidelberger Katechismus bekenntnisähnliche Funktion zuzusprechen. 185 Schon diese Beispiele zeigen, daß das kirchliche Bekenntnis auf engste Weise mit dem kirchlichen Selbstverständnis verbunden, also theologisch geprägt ist. Die sich hieran anschließende Frage des Staatskirchenrechts lautet daher, ob und gegebenenfalls inwiefern die staatliche Rechtsanwendung den kirchlichen Bekenntnisbegriff zu übernehmen hat und welche Grenzen einer derartigen Übernahme des kirchlichen Bekenntnisbegriffs in das staatliche Recht gezogen sind. Gerade die Zuordnung des Kirchenmitglieds zu einer Kirche und die staatskirchenrechliche Bedeutung dieser Zuordnung steht und fällt mit dem der Betrachtung zugrundegelegten Bekenntnisbegriff, der in § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG durch das Tatbestandsmerkmal "evangelisch" vertreten wird.

184 Im lutherischen Bereich hat diese Entwicklung ihren Niederschlag im Konkordienbuch von 1580 (heute in der Sammlung der Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche (BSLK) zusammengefaßt) gefunden. Eine dem Konkordienbuch vergleichbare offizielle Sammlung von Bekenntnisschriften für die ev.-reformierten Kirchen existiert nicht (vgl. die Auswahl von Niesel, Bekenntnisschriften (LiL). Zur Bedeutung des Bekenntnisses vgl. auch Ratschow, Art. "KonfessioniKonfessionalität", TRE 19, 419 ff.

185 Ratschow, a.a.O. (Fn. 414).

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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Gerade wenn Rechtsfolgen im staatlichen Bereich an Bekenntnis, Bekenntnisidentität oder -wechsel geknüpft werden, stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit oder gar der Gebotenheit der staatlichen Übernahme kirchlicher Bekenntnisdefinitionen. Staatliche Gerichte haben sich früher vielfach zu eigenen Bekenntnisdefinitionen berufen gesehen. 186 Dies erscheint im Hinblick auf die Religionsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG wie auch im Hinblick auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht des Art. 137 Abs.3 S.l WRV i.V.m. Art. 140 GG außerordentlich problematisch. Das kirchliche Bekenntnis ist eine genuin theologische Angelegenheit, so daß eine Kompetenzvermutung zugunsten der Kirchen vorliegt. Der theologische Gehalt des Bekenntnisses kann nur von den Kirchen bestimmt werden, so daß die theologische Ausfüllung des Begriffs nach den oben dargelegten Grundsätzen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht des Art. 137 Abs.3 S. 1 WRV zugeordnet werden muß. Die juristischen Schwierigkeiten mit dem Bekenntnisbegriff beginnen jedoch erst mit dieser Feststellung. Einerseits kommt dem Bekenntnisbegriff geradezu eine "Schlüsselfunktion"187 für die staatskirchenrechtliche Organisation des gesamten Kirchenmitgliedschaftsrechts (v gl. § I Abs.l EKD-KMitgliedG) zu, andererseits ist eine staatliche Definition, die säkular-juristischen Maßstäben entspricht, weitgehend durch die verfassungsrechtliche Garantie der kirchlichen Selbstbestimmung in Art. 137 Abs.3 S.I WRV ausgeschlossen, soweit diese das kirchliche Recht, eigenständig über den Inhalt des Bekenntnisses zu entscheiden, umfaßt. Trotzdem trifft die Behauptung nicht zu, daß (staatliche) "Behörden und Gerichte constitutione lata über keine Kontrollbefugnis" in Bekenntnisfragen verfügen, "was deren Relevanz für das kirchliche Recht in seinen staatlichen Auswirkungen betrifft." 188 Folgte man dieser Ansicht, so könnte der Staat als "Herr des staatlichen Rechtskreises" nicht darüber urteilen, ob einer kirchlichen

186 Schon das Preußische OberverwaItungsgericht hatte eine eigene Bewertung des evangelischen Bekenntnisses angestellt und so u.a. das reformatorische Schriftprinzip (sofa scriptura) für ausschlaggebend erachtet, vgl. z.B. prOVG 79, 98 (102). Auf dieser Grundlage wurden auch Anglikaner (vgl. prOVG 54, 208) als "evangelische" Kirchenmitglieder in Anspruch genommen. In der Nachkriegszeit hat der VGH Baden-Württemberg (Urt. v. 31.3.1959 = ZevKR 8 (1961/62),404 ff.) an die Überlegungen des Preußischen OberverwaItungsgerichts angeknüpft, doch hat diese Entscheidung eher singulären Charakter. Die staatlichen Gerichte sind seit 1945 insgesamt in der Beurteilung von Bekenntnisfragen weitaus zurückhaltender, was grundsätzlich zu begrüßen ist. 187 Vgl. Martin Heckef, Reichsrecht und "Zweite Reformation", 1004. 188 Rausch, 337, 361; Wendt, Die Rechtsstellung des Gemeindeglieds, 28.

142

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Bekenntnisdefinition im staatlichen Bereich rechtliche Verbindlichkeit zukommt. Über die "Relevanz des kirchlichen Rechts in seinen staatlichen Auswirkungen" muß das staatliche Recht, gegebenenfalls die Verfassung des religiös-neutralen Staates entscheiden. Das Bekenntnis ist neben Taufe und Wohnsitz eine Voraussetzung der Kirchenmitgliedschaft und damit auch eine Einzelvoraussetzung der Kirchensteuerpflicht. Für die rechtlichen Anforderungen, die an die Subsumtion unter den Begriff Bekenntnis zu stellen sind, gilt daher nichts anderes als für die Begriffe "Taufe" und "Wohnsitz" in § I Abs.1 EKD-KMitgliedG. Nach der verfassungsrechtlichen Konzeption des Art. 137 Abs.3 S.I WRV ist die Kompetenz der Kirchen, über ihr Bekenntnis eigenverantwortlich zu befinden, strikt zu wahren. Dies bedeutet konkret, daß dem staatlichen Rechtsverständnis der kirchliche Bekenntnisbegriff nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Kirche zugrundegelegt werden muß. Es kann jedoch nicht bedeuten, daß staatliche Behörden oder Gerichte diesen Bekenntnisbegriff ohne jede Einschränkung zu übernehmen haben, wenn sich in der staatlichen Rechtsanwendung die Frage nach der Bedeutung des kirchlichen Bekenntnisses für das staatliche Recht stellt. 189 Das Bekenntnis kann auch für das staatliche Recht relevant werden, wenn die Zugehörigkeit zu einer besteuernden Kirche bestritten wird (z.B. mit dem Einwand, daß keine Bekenntnisverwandtschaft vorliegt). Obwohl einzelne Kirchenmitglieder nicht grundsätzlich über das Bekenntnis der Kirchen befinden können, kann dieser Einwand durchschlagend gegen die Annahme der Kirchenmitgliedschaft aufgrund Bekenntnisverwandtschaft im staatlichen Recht werden, wenn dem Kirchenangehörigen gegen seinen Willen ein Bekenntnis und damit eine religiöse Zwangsmitgliedschaft aufgenötigt wird. 190 Wird der Einwand vorgebracht, daß keine Bekenntnisverwandtschaft vorliegt und daß daher keine Grundlage für die Eingliederung in eine EKD-Gliedkirche besteht, so hat die eingliedernde Kirche zu belegen, daß die Feststellung der Bekenntnisverwandtschaft ordnungsgemäß vollzogen worden ist. 191 Ob diese von den Kirchen getroffene Feststellung ordnungsgemäß erfolgt ist, kann aber im Streitfall nicht wiederum von den betroffenen Kirchen selbst entschieden werden, sondern dies muß staatlichen Gerichten überlassen bleiben, weil hier nicht nur Interessen der Kirchen, sondern auch möglicherweise Grundrechte Einzelner tangiert sind. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Kirchensteuerrecht verlangt deshalb, daß

189 Vgl. zum Problem der Bezugnahme des staatlichen (Verfassungs-)Rechts auf kirchlich-religiöse Begriffe eingehend Kästner, ZevKR 34 (1989), 260, 285 f. 190 Vgl. Rausch, 363. 191 Ebd.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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die Kirche objektiv nachvollziehbar belegen kann, aufgrund weIcher Wertungen eine Eingliederung in die Kirche erfolgt ist. Eine objektiv nachprüfbare Grundlage für die Annahme des evangelischen Bekenntnisses ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit zu verlangen. Dies gilt im übrigen für den Rechtsbegriff "Bekenntnis" in § I Abs.1 EKD-KMitgliedG ohne Abstriche ebenso wie für die Begriffe "Taufe" und "Wohnsitz". Staatliche Gerichte haben zwar im Streitfall ebensowenig eigenständige Wertungen über das Bekenntnis anzustellen wie im Fall der Taufe. Insofern das Bekenntnis als Grundlage der Kirchenmitgliedschaft Bedeutung für die kirchliche Besteuerung erlangt, unterliegt dieser Rechtsbegriff der richterlichen Überprüfung im Hinblick auf die EinhaItung der Schranken des "für alle geltenden Gesetzes", sofern und soweit die Rechtmäßigkeit der Besteuerung in Frage steht. Wendet man die Schrankenklausel des Art. 137 Abs.3 S.I WRV auch in diesem Bereich konsequent an, so muß ein staatskirchenrechtlicher Rahmen für den Rückgriff auf kirchliche Bekenntnisdefinitionen geschaffen werden, der die staatskirchenrechtlichen Mindestvoraussetzungen für eine derartige Übernahme des kirchlichen Bekenntnisbegriffes absteckt. 192 Dieser staatskirchenrechtliche "Rahmen" wird wie im gesamten Kirchenmitgliedschaftsrecht durch die Schranken des für alle geltenden Gesetzes (Art. 140 GG / Art. 137 Abs.3 S.I WRV), vor allem also die entgegenstehenden Grundrechte Dritter und den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Kirchensteuerrecht, konstituiert. Staatliche Übergriffe auf inhaltliche theologische Bekenntnisfragen sind dem deutschen Staatskirchenrecht ebenso fremd wie die vorbehaltlose Identifikation des Staates mit dem kirchlichen Selbstverständnis in Bekenntnisangelegenheiten. Es ist heute weitgehend anerkannt, daß neben der Religionsfreiheit und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht schon der Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche (Art. 137 Abs.1 WRV i.V.m. 140 GG) dem Staat (also auch staatlichen Gerichten) untersagt, über das Bekenntnis der Kirchen in theologischer Hinsicht zu befinden. Aus diesem Grund muß der weltanschaulich-neutrale Staat die inhaltliche Festlegung des Bekenntnisses den Kirchen als deren eigene

192 Die kirchliche Stellungnahme zu Bekenntnisfragen entfaltet daher nicht etwa "Tatbestandswirkung" in Verwaltungs- und Finanzgerichtsverfahren, "weil" die Kirche die Schranke des für alle geltenden Gesetzes beachtet (so Rausch, 361), sondern nur, "wenn" die Kirche diese Schranke beachtet. Da diese Voraussetzung bei der staatlichen Rechtsanwendung zu prüfen ist, kann man hier kaum von Tatbestandswirkung sprechen.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Angelegenheit im Bereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gern. Art. 137 Abs.3 S.I WRV i.V.m. 140 GG überlassen, der Staat muß folglich "auf jede materielle Definition und inhaltliche Füllung des Bekenntnisses" verzichten 193. Der im modernen Staatskirchenrecht vorwiegend gebrauchte Begriff "Bekenntnis" ist daher ein säkularer "Rahmenbegriff', der das Bekenntnis ohne religiöse Inhaltsbestimmung als eine den religiösen Verband konstituierende und zusammenfassende gemeinsame Grundüberzeugung begreift. 194 Weil nun § I Abs.1 EKD-KMitgliedG das evangelische Bekenntnis zur Voraussetzung der Kirchenmitgliedschaft macht, ist zu fragen, wie das evangelische Bekenntnis des Kirchenmitglieds bei der Rechtsanwendung festzustellen ist. Ist das Bekenntnis der Kirche also nur aus deren jeweiligem Selbstverständnis zu erklären, so stellt sich noch entschiedener als für die Taufe die Frage nach der Objektivierbarkeit und der hinreichenden Bestimmtheit des Tatbestandsmerkmals "Bekenntnis". Tautologisch ist der Vorschlag, unter dem Begriff "evangelisches Bekenntnis" die "in der EKD praktizierte Bekenntnisgemeinschaft im Sinne der gemeinreformatorischen Einheit in der Vielfalt der reformatorischen Sonderbekenntnisse" zu verstehen. 195 Eine von der Mitgliedschaftsrechtskommission vorgeschlagene ausdrückliche Definition des evangelischen Bekenntnisstandes im Sinne des § I Abs.1 EKD- KMitgliedG konnte sich nicht durchsetzen. 196 Die Feststellung des Bekenntnisses der

193 Martin Heckei, Reichsrecht und "Zweite Reformation", 1004. Ähnlich auch Martin Heckei, a.a.O., 1004. "Rahmenbegriff' besagt dabei, daß zwar keine religiöse Inhaltsbestimmung durch den Staat erfolgt; doch ist immerhin ein staatlich geselzter Mindestrahmen für die eigenverantwortlich zu treffende Bekenntnisentscheidung der Kirchen erforderlich. 195 Gutachten des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 3.12.1981, jetzt veröffentlicht von Axel v. Campenhausen/J. Christoph (Hrsg.), Göttinger Gutachten, 10, im Anschluß an eine Formulierung von G. Wendt in: ZevKR 16 (1971), 23 (29) = Meinhold, Kirchengliedschaft, 221, 226. 196 Vgl. die Niederschrift der Mitgliedschaftsrechtskommission v. 23.1.1976 (Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei derEKD v. 3.3.1976 - Az. 015211.21), S. 7. Vorgeschlagen wurde u.a. die Einfügung eines § 1 Abs.2 EKD-KMitgliedG: "Der evangelische Bekenntnisstand im Sinne des Abs.l ergibt sich in der Regel aus der Taufe in einer Kirchengemeinde einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland. In anderen Kirchen Getaufte begründen ihre Kirchenmitgliedschaft durch Erklärung des Willens, der Kirchengemeinde einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland anzugehören." Wohl aus theologischen Gründen wurde von einer derartigen Definition des evangelischen Bekenntnisstandes Abstand genommen, was aus Gründen der Rechtssicherheit zu bedauern ist. 194

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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Kirche kann nur durch die Kirche selbst ecclesiae magno consensu unter Einbeziehung der kirchenleitenden Organe 197 erfolgen. Ob die Voraussetzung des evangelischen Bekenntnisses in einer Einzelperson gern. § 1 Abs.l EKDKMitgliedG vorliegen, ist nicht an der innerlichen Übereinstimmung mit diesem kirchlichen Bekenntnis zu ermessen. Ein evangelisches "Bekenntnis" im Sinne des § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn die Zugehörigkeit zu diesem Bekenntnis nach außen erkennbar kundgetan wird. Das evangelische Bekenntnis wird nach außen erkennbar kundgetan durch die Zugehörigkeit zu einer Kirche, die zur evangelischen Kirchenfamilie zählt. Dieser Rückschluß ist nur scheinbar zirkulär. 198 Für die Zugehörigkeit einer Kirche zur evangelischen Kirchenfamilie ist ein starkes Indiz die Unterzeichnung der Leuenberger "Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa" .199 Die Leuenberger Konkordie ist inzwischen (Stand: 1990) von 81 europäischen Kirchen 200 unterzeichnet worden und damit ein zuverlässiges Indiz für Bekenntnisverwandtschaft. Die Leuenberger Konkordie bietet zusätzlich die Möglichkeit, über den Kreis der 81 unterzeichnenden Kirchen hinaus Kriterien für die Bekenntnisverwandtschaft zu entwickeln, so z.B. die Gewährung der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft, die gegenseitige Anerkennung der Ordination sowie die Ermöglichung der Interzelebration. 201 Die Intensität der Beziehungen der Kirchen anhand dieser Kriterien sind daher ein ausreichendes Zeichen für bestehende Bekenntnisverwandtschaft. Aus der Zugehörigkeit zu einer evangelischen Kirche kann dann das evangelische Bekenntnis abgeleitet werden.

197 Rausch, 362, unter Bezugnahme auf Artikel I der Augsburgischen Konfession (Confessio Augustana). 198 Engelhardt, Kirchensteuer, 65. 199 Insofern ist dem Vorschlag von Engelhardt zu folgen, "den Begriff des Bekenntnisses nicht mehr von Fragen der theologischen Lehre abhängig zu machen ... sondern ausschließlich von dem äußeren Verhalten der Kirchen, das in jedem historischen Zeitpunkt verhältnismäßig leichter festgestellt werden kann." (a.a.O., 68). 200 Zu den Unterzeichnern gehören inzwischen auch außereuropäische Kirchen, so z.B. die Iglesia Evangelica dei Rio de la Plata (ArgentinienIParaguay/Uruguay). 201 Vgl. dazu Leuenberger Konkordie, Ziffer 33. 10 Haß

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

2. Erwachsenentaufe

Diese Möglichkeit besteht nicht bei der erstmaligen Begründung einer Kirchenzugehörigkeit, also bei der Taufe. Dennoch stellt das Vorliegen eines evangelischen Bekenntnisses jedenfalls dann vor keine besonderen Schwierigkeiten, wenn das erwachsene Kirchenmitglied sich durch nach außen manifestierende Bekenntnisakte wie z. B. den Eintritt in die Kirche durch die Taufe oder Übernahme von kirchlichen Ämtern zu der Kirche eines bestimmten Bekenntnisses "bekennt". Es kann dann ohne weiteres ein evangelisches Bekenntnis des Kirchenmitglieds festgestellt werden, wenn die ausdrückliche oder konkludente Kundgabe des Willens vorliegt, einer Gliedkirche der EKD anzugehören.

3. Kindertaufe

Kirchenrechtliche Schwierigkeiten wirft das Bekenntniserfordernis bei der Kindertaufe auf. Ein Bekenntnis des Kindes selbst liegt zumindest bei der Säuglingstaufe nicht vor. Aus diesem Grund liegt die Argumentation nahe, daß die Eltern bzw. die gesetzlichen Vertreter mit der Wahl einer bestimmten Kirche das Bekenntnis des Täuflings stellvertretend bestimmt haben. Die Anmeldung des religionsunmündigen Täuflings zur Taufe ist dann als ein Bekenntnisakt anzusehen, der nach den Regeln des bürgerlichen (Stellvertretungs-) Rechts von den Eltern in Vertretung ihres Kindes abgegeben wird. Doch ist hier kritisch zu vermerken, daß die stellvertretende Ablegung des Bekenntnisses durch die Eltern zur Voraussetzung hat, daß eine Zurechnung des elterlichen Bekenntnisaktes nach den Regeln des bürgerlichen Rechts über die Zurechnung von Willenserklärungen gern. §§ 1626 ff. BGB erfolgen kann. Diese Voraussetzung ist nur gegeben, wenn der Bekenntnisakt als ein Rechtsakt verstanden wird. Dies steht in Widerspruch zu einem theologisch verantworteten geistlichen Charakter des Bekenntnisses, ist jedoch rechtlich gesehen unvermeidbar, wenn man an der mitgliedschaftsrechtlichen Funktion der Kindertaufe festhalten will. Die gleichen Schwierigkeiten mit der Harmonisierung von theologischer und juristischer Kirchenmitgliedschaft zeigen sich auch in der Formulierung des § 6 Abs.2 EKD-KMitgliedG. Hiernach erwirbt ein religionsunmündiges Kind, das die Taufe außerhalb einer EKD-Gliedkirche empfangen hat, die Kirchenmitgliedschaft "durch die Erklärung der Erziehungsberechtigten über die Zugehörigkeit des Kindes zu einem evangelischen Bekenntnis." Diese Formulierung

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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ist eine exakte Definition des juristischen Erwerbstatbestandes und offenbart gleichzeitig die Schwächen des sog. dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriffs im EKD-KMitgliedG. § 6 Abs.2 EKD-KMitgliedG verlangt weder ein Bekenntnis des Kindes noch ein (in Stellvertretung für das Kind abgegebenes) Bekenntnis der Eltern, sondern lediglich eine "Erklärung der Erziehungsberechtigten über die Zugehörigkeit des Kindes zu einem evangelischen Bekenntnis". Kirchenrechtlich kann die Kirchenmitgliedschaft nach dem dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriff nur begründet werden, wenn diese "Erklärung" der Erziehungsberechtigten dem Kind nach den Stellvertretungsregeln der Rechtsgeschäftslehre (§§ 1626 ff. BGB) als eigene (Bekenntnis-)Erklärung zugerechnet werden kann, doch bestanden offensichtlich theologische Bedenken, dieses Faktum eindeutig zu benennen, weil die rechts geschäftliche Zurechnung eines Bekenntnisaktes zweifelhaft erscheinen mußte.

VII. Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt Neben Taufe und Bekenntnis macht § 1 Ab.l EKD-KMitgliedG den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft davon abhängig, daß das Kirchenmitglied seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich einer Gliedkirche der EKD hat. Anders als bei Taufe und Bekenntnis wird für das Wohnsitzerfordernis die rechtstheologische Legitimation durchaus bestritten. Der Wohnsitz gilt Erik Wolf als ein zwar steuerlich schwer zu entbehrendes, aber "ungeistliches" Merkmal des Kirchenmitgliedschaftserwerbs. 202 Diese Ansicht berücksichtigt nicht die gewachsene Struktur der Kirchenmitgliedschaft, die entscheidend durch das Territorialitätsprinzip geprägt ist. Andererseits läßt sich eine Spannung im Mitgliedschaftsrecht insoweit nicht verleugnen, als das Idealbild einer bekenntnisgeprägten Kirche die Realität der territorial organisierten Kirche - denn auf das Territorialprinzip geht das Wohnsitzmerkmal letztlich zurück - ausschließen muß. Staatskirchenrechtlich ist das Wohnsitzprinzip jedoch schon auf-

202 Erik Wolf, Ordnung der Kirche, 577. Im Hinblick auf das Problem der sog. Möbelwagenkonversion heißt es dort, das Wohnortprinzip führe "(oft unbemerkt) einen (formalen) Konfessionswechsel herbei; was rechtstheologisch verwerflich ist." Ganz anderer Ansicht offensichtlich Ernst Wolf auf der Heidelberger Tagung der Mitarbeiter der Zeitschrift für Evangelisches Kirchenrecht im Jahr 1960, bei deren Anlaß er feststellte, daß die "theologische Begründung der Relevanz des Wohnsitzes in der ZweiReiche-Lehre in der Melanchthonschen Fassung zu suchen sei" (überliefert von Grundmann, ZevKR 7 (1959/60), 385, 387 f.). 10*

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

grund der gebotenen Tatbestandsbestimmtheit des Kirchenmitgliedsrechts ein unverzichtbares Erfordernis. Der Wohnsitzbegriff des Kirchenmitgliedschaftsrechts ist seit dem Erlaß des EKD-KMitgliedG umstritten gewesen. Aus praktischen Erwägungen wurde beim Erlaß des EKD-KMitgliedG auf einen eigenständigen kirchlichen Wohnsitzbegriff verzichtet. 203 Der Begriff des Wohnsitzes i.S. des § I Abs.l EKDKMitgliedG wurde vielmehr durch Verordnung der EKD vom 21.6.1985 204 als die nach "staatlichem Melderecht ausgewiesene Hauptwohnung" definiert. Alle Gliedkirchen haben dieser Regelung inzwischen zugestimmt. Das Kirchenmitgliedschaftsrecht ist damit an das staatliche Melderecht angepaßt worden. Dies muß im Hinblick auf das Kirchensteuerrecht beachtet werden, das nach sämtlichen Landeskirchensteuergesetzen nicht auf den melderechtlichen, sondern auf den abgabenrechtlichen Wohnsitzbegriff der §§8, 9 AO 1977 Bezug nimmt. 205 Die Anknüpfung des Kirchenmitgliedschaftsrechts an das staatliche Melderecht kann im Kirchensteuerrecht zu Schwierigkeiten führen, weil melderechtlicher und abgabenrechtlicher Wohnsitz nicht notwendig übereinstimmen müssen. 206 Dies kann zum kirchensteuerrechtlichen Problem werden, wenn das Kirchenmitglied eine Nebenwohnung hat, die nach Abgabenordnung, Einkommensteuerrecht und Kirchensteuerrecht der "Wohnsitz" ist, an dem die Steuerveranlagung durchzuführen ist. Ort der Steuerveranlagung und melderechtlicher Hauptwohnsitz können auf diese Weise auseinanderfallen, durchaus auch über die Grenzen der Landeskirchen hinaus. Die örtliche Zuständigkeit des Finanz-

203 Vgl. das Gutachten des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 3.12.1981 (abgedruckt bei Axel v. Campenhausen/J. Christoph (Hrsg.), Göttinger Gutachten, 6, 20 ff.). 204 EKD-ABI. 1985, 346. Diese Rechtsverordnung wurde auf der Grundlage des § 20 Abs.1 S.2 EKD-KMitgliedG als Durchführungsbestimmung erlassen, und zwar auf Anraten des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD in dem o.g. Gutachten v. 3.12.1981 (FN.203). 205 Vgl. z. B. § 8 Abs.1 Landeskirchensteuergesetz Schleswig-Holstein (GVOBI. 1968, 81) und § 8 Abs.2 Hamburgisches Kirchensteuergesetz (GVBI. I 1973, 431). In den übrigen Kirchensteuergesetzen der Länder finden sich entsprechende Verweise auf die Abgabenordnung in der jeweils gültigen Fassung. 206 Der melderechtlichen Registrierung durch die Ordnungsbehörden kommt keine ausschlaggebende Bedeutung für die Feststellung des abgabenrechtlichen Wohnsitzes zu,. weil nach § § 8, 9 AO 1977 allein die tatsächliche Gestaltung entscheidend ist: Koch! Scholtz, AO, § 8 Rdnr. 3; BFH: BStBI 11 1978, 494; BStBl 11 1979, 335; BStBl 11 1986, 133, 135; FG Bremen EFG 1990,93.

B. Grundstrukturen der Kirchenmitgliedschaft

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amtes bestimmt sich in diesem Fall nach der Maßstabssteuer (hier· der Einkommensteuer), also nach §§ 46 VI EStG, 19 AO 1977, ohne daß der abweichende melderechtliche Hauptwohnsitz hierauf Einfluß hat. Das Differieren von steuerrechtlich und melderechtlichjeweils maßgeblichem Hauptwohnsitz kann in zweifacher Hinsicht zu Schwierigkeiten führen: 1. Die Veranlagung zur Kirchensteuer (Steuerrecht) kann einer anderen Landeskirche als der Landeskirche der Kirchenmitgliedschaft (Melderecht) zugute kommen. Dieses Problem wird durch die Richtlinie der EKD zur Verrechnung der Kirchenlohnsteueranteile zwischen den Gliedkirchen v. 24./25.10.1975 207 in der Fassung v. 26./28.3.1987 208 gelöst, wonach ein Ausgleich zwischen den Gliedkirchen unter Berücksichtigung von Hauptwohnsitz und Lohnsteuerkarte der Kirchenmitglieder durchzuführen ist (sog. Clearing-Verfahren 209 ). 2. Außerdem kann sich bei mehreren Wohnsitzen des Kirchenmitgliedes die Frage nach dem für die Kirchensteuerveranlagung maßgeblichen Hebesatz stellen, wenn der Kirchensteuerhebesatz am Ort der steuerlichen Veranlagung von dem für den melderechtlichen Hauptwohnsitz geltenden Kirchensteuerhebesatz abweicht. Aus kirchlichen Gründen wie aufgrund der abschließend geregelten abgabenrechtlichen Zuständigkeit der staatlichen Finanzämter ist die Lösung, auf Antrag des Kirchenmitglieds den jeweils niedrigeren Kirchensteuerhebesatz zu berechnen 21O , in jedem Fall zu begrüßen. Die Abhängigkeit des Kirchenmitgliedschaftsrechts von den melderechtlichen Bestimmungen ist auch zweifelhaft, wenn man den (eher theoretischen) Fall bedenkt, daß ein "Kirchenmitglied" überhaupt nicht melderechtlich registriert ist. In diesem Fall führt der melderechtliche Wohnsitzbegriff des § 1 Abs.l EKDKMitgliedG zu dem doch immerhin auch rechtstheologisch fragwürdigen Ergebnis, daß keine Kirchenmitgliedschaft vorliegt. 211 Weil das Kirchensteuerrecht an den Wohnsitzbegriff des § 8 AO bzw. an den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in § 9 AO anknüpft, ist die Kirchensteuerpflicht bei vorübergehender Abwesenheit und Aufenthalt im Ausland allein nach

EKD-ABI. 1976, I. EKD-ABI. 1986, 485. Vgl. Blaschke (Hrsg.), Kirchensteuerrecht, 104 f. 210 So die Rd.-Vfg. des Landeskirchenamtes der Nordelbischen Kirche v. 4.2.1971 (Az. 73980-71 11). 211 Auf diese Tatsache weist das Gutachten des Kirchenrechtlichen Institutes d. EKD v. 3.12.1981 (FN. 203) zu Recht hin. 207 208 209

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

abgabenrechtlichen Kriterien zu beurteilen. Sofern anzunehmen ist, daß die bisherige Wohnung beibehalten und zukünftig nicht nur vorübergehend benutzt werden soll, ist von einem Fortbestand des Wohnsitzes und damit auch von fortbestehender Kirchensteuerpflicht auszugehen. 212 Der Grundsatz des § 1 Abs.2 EStG, daß die Einkommensteuerpflicht unbeschränkt auch bei Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland fortbesteht, wenn ein Dienstverhältnis zu einer inländischen Körperschaft des öffentlichen Rechts besteht, gilt dagegen für die Kirchensteuerpflicht nicht. 213 Mit der Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland erlischt sowohl die Kirchenmitgliedschaft als auch die Kirchensteuerpflicht. Wird der Wohnsitz allerdings nur vorübergehend aufgegeben, so bleibt die Kirchenmitgliedschaft gern. § I1 Abs.1 S.I EKD-KMitgliedG bestehen.Der Grundsatz des § 1 Abs.2 EStG, daß die Einkommensteuerpflicht unbeschränkt auch bei Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland fortbesteht, wenn ein Dienstverhältnis zu einer inländischen Körperschaft des öffentlichen Rechts besteht, gilt dagegen für die Kirchensteuerpflicht nicht. 214 Mit der Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland erlischt sowohl die Kirchenmitgliedschaft als auch die Kirchensteuerpflicht. Wird der Wohnsitz allerdings nur vorübergehend aufgegeben, so bleibt die Kirchenmitgliedschaft gern. § 11 Abs.l S.I EKD- KMitgliedG bestehen.

c. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs im evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrecht Nach der Erörterung der Tatbestandsvoraussetzungen Taufe, Bekenntnis und Wohnsitz sollen nun die wichtigsten Fallgestaltungen des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft untersucht werden. An erster Stelle steht dabei entsprechend der seit einiger Zeit großen praktischen Bedeutung der automatische Wechsel der gliedkirchlichen Zugehörigkeit durch Verlegung des Wohnsitzes. Zunächst sollen jedoch die besonderen, von der Rechtsprechung entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen untersucht werden, die für die Übernahme des Kirchenmitgliedschaftsrechts in das Kirchensteuerrecht zu verlangen sind.

212 FG Münster - Urt. v. 18.5.1990 - IV 1458/90 Ki = EFG 1991,215. 213 Vgl. Rd.-Vfg. der OFD Frankfurt a.M. v. 2.1l.l992 (- S 2444 A - 2 - St 11 31). 214 Ebd.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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I. Bedeutung eines subjektiven Elements des Erwerbstatbestandes 1. Die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an die Taufe: BVerfG v. 31.3.1971 (BVerfGE 30, 415)

Die auch heute noch für die staatskirchenrechtliche Praxis maßgebliche Leitentscheidung ist der Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 31. März 1971. 215 Diese Entscheidung wird immer wieder in der Literatur herangezogen. Nicht immer werden dabei jedoch die Grenzen beachtet, die sich notwendigerweise aus der Beschränkung der gerichtlichen Stellungnahme auf den zu entscheidenden Sachverhalt ergeben. Ein Hamburger Kaufmann hatte durch drei Instanzen die Verfassungsmäßigkeit der Anknüpfung der Kirchensteuer an die Taufe bestritten. Nachdem er in der Ev.-Luth. Kirche Hamburgs getauft und später konfirmiert worden war, war er nach SchleswigHolstein umgezogen. Dort hatte er seinen Willen, der (damaligen) Ev.-Luth. Kirche Schleswig-Holsteins seines neuen Wohnsitzes anzugehören, durch die Bekenntnisangabe bei mehreren Einkommensteuererklärungen sowie widerspruchslose Zahlung der Kirchensteuer zum Ausdruck gebracht. Für diesen Fall hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß "die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an innerkirchliche Regelungen, die die Kirchenmitgliedschaft von Taufe und Wohnsitz abhängig machen, ... nicht gegen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie die negative Vereinigungsfreiheit [verstößt], sofern der Kirchenangehörige jederzeit die Möglichkeit hat, seine Mitgliedschaft zu beenden."216 Dieser Leitsatz der Entscheidung hat in seiner scheinbar unverbindlichen Allgemeinheit zu mancher Fehlinterpretation geführt. Fehl geht vor allem der Versuch, diese Entscheidung als Relativierung der vorausgehenden Entscheidungen des Jahres 1965 217 zu interpretieren. Die frühere Feststellung, daß die Landeskirchen nicht die Macht haben, "jemanden, der in ihr Gebiet eintritt, einseitig ohne Rücksicht auf seinen Willen sich einzugliedern"218 hat

215 Besch!. d. 1. Sen. v. 31.3.1971 - I BvR 744/67 = BVerfGE 30, 415 = ZevKR 16 (1971), 218 (Leitsatz) = NJW 1971,931 = KirchE 12, 101. 216 BVerfGE 30, 415 (Leitsatz). 217 Vgl. die "Kirchensteuerurteile" v. 14.12.1965, insbesondere BVerfGE 19,206 (vgl. dazu oben Pn. 16 und Text). Eine "deutliche Distanzierung" von der bisherigen Rechtsprechung, die Wieland zu erkennen glaubt (Der Staat 25 (1986), 321, 329), ist der

Entscheidung nicht zu entnehmen. 218 BVerfGE 19, 206 (217).

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

durch die nachfolgenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts keine Korrektur oder sonstige Einschränkung etwa dahingehend erfahren, daß die Möglichkeit des jederzeitigen Kirchenaustritts ein a11gemeiner Rechtfertigungsgrund für eine einseitige Eingliederung ohne Rücksicht auf den Willen des Kirchenangehörigen sein könne. 219 Das Bundesverfassungsgericht hat zunächst festgeste11t, daß die wirksam durch den Wi11en des Kirchenangehörigen (bzw. bei der Kindertaufe: seiner ihn vertretenden Erziehungsberechtigten) zustande ge komme ne Kirchenmitgliedschaft bereits dem Tatbestand nach keine einseitige Eingliederung ohne den Willen des Kirchenangehörigen sei. 220 Im vorliegenden Fall hatten die Eltern stellvertretend für das Kind den Beitrittswillen erklärt. Später hatte der Beschwerdeführer sich nicht nur konfirmieren lassen, sondern auch widerspruchslos die Kirchensteuer an die Kirche seines neuen Wohnsitzes gezahlt. Nachdem der Beschwerdeführer in dieser Form mehrfach seinen Willen zum Ausdruck gebracht hatte, der Landeskirche seines neuen Wohnortes anzugehören, konnte das Bundesverfassungsgericht die auch kirchensteuerrechtlich wirksame Begründung der Kirchenmitgliedschaft annehmen. Darüberhinaus, so führt das Gericht im Anschluß an diese Feststellung aus, werde der Beschwerdeführer nicht - bei einer sich eventuell ändernden Bekenntnishaltung - unzumutbar an dem einmal erklärten Willen für die Zukunft festgehalten, weil er "sich schon vor Eintritt in das Erwerbsleben aus der evangelischlutherischen Kirche lösen konnte."221 Aus dieser Argumentation ist ersichtlich, daß die Möglichkeit des Kirchenaustritts nicht etwa zur Rechtfertigung einer einseitigen Eingliederung der Kirchenmitglieder in der Vergangenheit führen kann, sondern lediglich als sekundärer Beweis dafür herangezogen wird, daß die Kirchenmitglieder im staatlichen Recht nicht gegen ihren Willen für die Zukunft an dem Beitritt zur Kirche festgehalten werden. 222 Diese durchaus begrenzte rechtfertigende Wirkung der Möglichkeit des Kirchenaustritts wird in der Literatur nicht immer zutreffend erkannt. 223 Das Bundesverfassungsge-

219 Schon Oeschey hat die Austrittsmöglichkeit nicht für ausreichend gehalten, um eine einseitige Eingliederung von Kirchenmitgliedern zu rechtfertigen, vgl. ders., AöR 55 (1929), 41; ebenso Engelhardt, Kirchensteuer, 74. 220 BVerfGE 30, 415 (424). 221 BVerfGE 30, 415 (426). 222 Ebenso auch Engelhardt, NVwZ 1992,239, 24l. 223 Vgl. z.B. Axel v. Campen hausen in: HdbStKR Bd. 1,2. Aufl. 1994,755,770, der die rechtfertigende Wirkung der Möglichkeit des Kirchenaustritts überbewertet; ebenso ders. in: v. Mangoldtl Klein, GG, Art. 140/137 WRV, 59 f.; ders., DÖV 1970, 801,807.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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richt hat hingegen die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an die Taufe zu Recht für verfassungsmäßig erachtet, soweit die Taufe dem Willen der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten eines religionsunmündigen Täuflings entspricht, d.h. nach den bürgerlichrechtlichen Regeln über die Stellvertretung wirksam zustande gekommen ist. Die Möglichkeit des Kirchenaustritts führt auch insoweit ist dem Gericht zuzustimmen - dazu, daß niemand nach Eintritt der Religionsmündigkeit gegen seinen Willen nach staatlichem Recht als Kirchenmitglied behandelt werden kann. Eine über diese Feststellungen hinausgehende rechtfertigende Wirkung des staatlichen Kirchenaustrittsrechts besteht nicht. Die Möglichkeit des Kirchenaustritts kann insbesondere nicht die nach staatlichem Recht erforderliche Willenserklärung ersetzen, die zur Begründung der staatskirchenrechtlich wirksamen Kirchenmitgliedschaft zwingend erforderlich ist.

2. Erfordernis einer Willenserklärung zur Begründung der Kirchenmitgliedschaft: BVerwG v. 7.9.1965 (BVerwGE 21,330)

In Zusammenhang mit der Taufe wird vielfach die Erforderlichkeit einer ausdrücklichen Willenserklärung für die Begründung der Kirchenmitgliedschaft diskutiert. Dies geht zum Teil auf die bereits erwähnte Entscheidung BVerfGE 30, 415 224 , zum Teil aber auch auf die grundsätzliche Diskussion um ein "vereinsrechtliches" Mitgliedschaftsverständnis zurück. Ihre Grundlage findet diese Diskussion in der These, daß die Regelung der Kirchenmitgliedschaft sich stets gegen die Statuierung einer verfassungswidrigen (weil gegen die Glaubensund Gewissensfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG verstoßenden) Zwangsmitgliedschaft abzusichern habe. Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG schließt die staatliche Anerkennung aller mitgliedschaftsrechtlichen Bestimmungen von Religionsgemeinschaften aus, die Menschen gegen deren Willen als Mitglieder für sich in Anspruch nehmen. 225 Die Verfassungswidrigkeit eines Kirchenmitgliedschaftsrechts, das die Kirchenangehörigen ohne Rücksicht auf ihren Willen einseitig in die Kirche eingliedert, ist heute grundsätzlich unbestritten. 226 Unklarheit besteht jedoch 224 S.o. 225 BVerfGE 19, 206 (217). 226 BVerfGE 19,206,217; BVerfGE 30, 415, 423; Axel v. Campenhausen in: v.

Mangoldt/Klein, GG, Art. 1401137 WRV Rdnr. 48, 59; Obermayer, NVwZ 1985, 77; mißverständlich dagegen FG München - Urt. v. 21.3.1995 - I3 K 2958/94 = ZevKR 41 (1996), 85, 87 f.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

über die Reichweite dieser Aussage. Für das kirchliche Mitgliedschaftsrecht ist von entscheidender Bedeutung, ob aus der Forderung nach einer Berücksichtigung der freien Willensentscheidung des einzelnen die Notwendigkeit einer ausdrücklichen positiven Willenserklärung folgt, oder ob das Nichtwidersprechen - gleichsam als konkludent erklärte Zustimmung - genügt, um die Kirchenmitgliedschaft zu begründen. 227 In diesem Zusammenhang ist es zweckmäßig, zwischen der erstmaligen Begründung der Kirchenmitgliedschaft und jeder weiteren Neubegründung der Mitgliedschaft - nunmehr in einer anderen kirchlichen Körperschaft - zu unterscheiden. In Bezug auf die Taufe stellt sich lediglich die erstere Frage nach der erstmaligen Begründung der Kirchenmitgliedschaft, die zweite Frage ist das hauptsächliche Problem bei einem Umzug des Kirchenmitglieds und dem damit verbundenen automatischen Wechsel der Landeskirche. Die erstmalige Begründung der Kirchenmitgliedschaft im Bereich der EKDGliedkirchen erfolgt nach § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG durch die Taufe. Ausgehend von der These, daß Art. 4 Abs.l und 2 GG die Bezugnahme des staatlichen Rechts auf kirchliche Regelungen untersagt, die eine Person einseitig ohne Rücksicht auf deren Willen der Kirchengewalt unterwerfen 228 , ist daher zu fragen, welche staatskirchenrechtlichen Anforderungen an den erstmaligen Erwerb der Kirchenmitgliedschaft zu stellen sind. Wenn die Rücksichtnahme der Kirchen auf den Willen des einzelnen verfassungsrechtlich geboten ist, muß jede mitgliedschaftsrechtliche Regelung verfassungswidrig sein, die auf lediglich objektive Kriterien für den Erwerb der Mitgliedschaft abstellt. Die Frage nach der Zulässigkeit einer derartig nach objektiven Kriterien bestimmten Mitgliedschaft kann am Beispiel der israelitischen Religionsgemeinschaften verdeutlicht werden, d.h. derjenigen jüdischen Gemeinden in Deutschland, die aufgrund von Landesrecht zur Erhebung von (Synagogen-)Steuern ermächtigt sind. 229 Erhebliche Unsicherheit hat hier eine Entscheidung des

227 Für die erstere Ansicht vor allem Obermayer, a.a.O. (Fn. 455), für die letztere Ansicht vor allem BVerwG Vrt. v. 12.4.1991 - 8 C 62/88 (= ZevKR 1991,403) sowie BFH Vrt. v. 18.1.1995 - I R 89/94 = ZevKR 1995,354-357 m. Anm. Meyer. 228 BVerfG, Vrt. v. 31.3.1971 = BVerfGE 30, 415, 423. 229 Es sind dies zur Zeit (Stand: 1993): Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, Jüdische Gemeinde zu Berlin, die Jüdischen Gemeinden von Frankfurt, Gießen, Kassel, Bad Nauheim und Darmstadt, die Jüdische Gemeinde Hannover, die Jüdischen Kultusgemeinden von Nordrhein-Westfa1en einschließlich der Syna-

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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Bundesverwaltungsgerichts vom 9.7. 1965 230 hervorgerufen, die sich allgemein mit der Zulässigkeit einer allein auf objektiver Grundlage bestimmbaren religionsgemeinschaftlichen Mitgliedschaftsregelung auseinandersetzt. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts hat die entsprechende Regelung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, wonach die Mitgliedschaft in der Gemeinde aufgrund der Abstammung von einer jüdischen Mutter automatisch eintritt, als verfassungsgemäß gebilligt. Das Gericht begründet dies vor allem damit, daß gerade das öffentliche Recht "derartige Rechtsstellungen" von objektiven Voraussetzungen abhängig mache und es vergleicht diesen automatischen Erwerbsvorgang mit dem Staatsangehörigkeitsrecht. 231 Die Entscheidung ist auf heftige Kritik im Schrifttum gestoßen. 232 Auch in der Rechtsprechung der neueren Zeit wird die Entscheidung kontrovers behandelt. 233 Die Entscheidung weist zwei Problemkreise auf. Zum einen stellt sich die Frage, ob ein allein an objektiven Merkmalen ausgerichtetes Mitgliedschaftsrecht den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen genügt, zum anderen ist speziell für die jüdischen Gemeinden nach einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für die Besteuerung ihrer Mitglieder zu fragen.

gogengemeinde Köln, die Jüdische Kultusgemeinde Koblenz und die Synagogengemeinde Saar. Diese Gemeinden haben die Verwaltung der Synagogensteuer vom Einkommen den Landesfinanzbehörden übertragen. 230 BVerwG, Urt. v. 7.9.1965 - VII C 16/62 = BVerwGE 21,330 = KirchE 7, 218. 231 BVerwGE 21, 330, 333. Der Ansicht des BVerwG stimmt neuerdings auch Listl in: Festschrift für P. Mikat, 579, 584, (unter Hinweis auf die Möglichkeit des Austritts aus der Gemeinde) zu. Diese Ansicht geht auf eine fehlerhafte Interpretation der Entscheidung BVerfGE 30, 415 (vgl. oben Abschnitt C.I.1.) zurück. 232 Axel v. Campenhausen in: v. MangoldtlKlein, GG, Art. 140/137 WRV Rdnr. 59; Obermayer, NJW 1970, 1645 f. 233 Der BFH hat die O.g. Rspr. des BVerwG übernommen: BFH Urt. v. 6.10.1993I R 28/93 = BFHE 172, 570-574. Zur Rechtsprechung der Instanzgerichte vgl. einerseits VG Frankfurt a.M. Urt. v. 12.8.1982 = KirchE 20, 97; FG Köln Urt. v. 23.11.94 = EFG 1995,690; andererseits VG Frankfurt a.M. Urt. v. 26.8.1970 = ZevKR 16 (1971), 218 (nur Leitsatz); VG Frankfurt a. M. Urt. v. 26.5.1988 = KirchE 26, 149. Diese unterschiedlichen Ergebnisse offenbaren bestehende Unsicherheiten über die Verfassungsmäßigkeit der jüdischen Steuerordnungen. Abweichend von diesen Erklärungsversuchen versucht das FG München (unter Hinweis auf die kultische Beschneidung), eine der christlichen Taufe vergleichbare Willenserklärung der Eltern zu konstruieren, die dem Kind nach den Regeln des bürgerlichen Rechts zuzuordnen wäre (FG München, Urt. v. 10.4.1989 = EFG 1989, 593, zustimmend BFH Urt. v. 6.10.1993 - I R 28/93 = BFHE 172, 570, 573). Kritik an diesem Versuch übt Engelhardt. Kirchensteuer in den neuen Bundesländern. 32 f.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Parallel zum Erwerb der Kirchenmitgliedschaft stellt sich hier zunächst die Frage, ob der Erwerb der Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde, der sich aufgrund der jüdischen Überlieferung allein nach objektiven Kriterien, nämlich nach der Abstammung (von einer jüdischen Mutter), richtet, nicht eine verfassungswidrige Zwangsmitgliedschaft statuiert. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage verneint. Schon die Begründung des Gerichts erscheint jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht schlüssig. Das Mitgliedschaftsrecht der ReligionsgeseIlschaften wird vom Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich mit dem Staatsangehörigkeitsrecht verglichen. Dieser Vergleich mit dem Staatsangehörigkeitsrecht ist bedenklich. Die Begründung der Mitgliedschaft nach allein objektiven Kriterien ist geradezu ein prägendes Merkmal der Pflichtzugehörigkeit bzw. der Zwangsmitgliedschaft im staatlichen Rechtskreis, wie dies z.B. im Staatsangehörigkeitsrecht der Fall ist. Weil der einzelne auf objektive Erwerbsvoraussetzungen - im vorliegenden Beispiel die Abstammung von einer jüdischen Mutter - keinen Einfluß hat, drängt sich für den Bereich der Religionsgesellschaften eher der Verdacht einer gegen Art. 4 Abs.l und 2 GG verstoßenden verfassungswidrigen Zwangsmitgliedschaft auf. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts geht insoweit fehl, als aus der (wenn auch nicht uneingeschränkten) Zulässigkeit der Zwangsmitgliedschaft im staatlichen Bereich ohne weiteres auf die Zulässigkeit der Zwangsmitgliedschaft im Bereich der Religionsgemeinschaften rückgeschlossen wird. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt damit in der betreffenden Entscheidung eine unzulässige Gleichsetzung von Religionsgesellschaften und öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Sinne des allgemeinen Verwaltungsrechts vor, indem das Gericht den Erwerb der Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde mit dem Staatsangehörigkeitsrecht vergleicht. Die Religionsgemeinschaften - so auch die jüdischen Gemeinden - nehmen jedoch weder staatliche Aufgaben wahr, noch sind sie sonst in irgendeiner Weise in den staatlichen Bereich eingegliedert. Die zwangsweise Vereinnahmung von Mitgliedern ist aber gerade ein Privileg der öffentlichrechtlichen Körperschaften im staatlichen Bereich, wenn und soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Da dieses Erfordernis auf die Religionsgesellschaften ersichtlich nicht zutrifft, ist auch eine Zwangsmitgliedschaft in Religiongesellschaften nicht zulässig. Die Zwangsmitgliedschaft in Religionsgemeinschaften muß vielmehr zu einer verfassungswidrigen Ausstattung der Religionsgemeinschaft mit einer dem Staat (und den von staatlicher Seite ermächtigten öffentlich-rechtlichen Körperschaften) vorbehaltenen Zwangsgewalt führen. 234 Eine derartige Zwangsmitgliedschaft in religiösen Verbänden verstößt gegen Art. 4 Abs.l und 2 GG, der die freie Entscheidung. über die Zuge-

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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hörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft garantiert. Aus diesem Grunde ist die Zwangsmitgliedschaft; d.h. jede mitgliedschaftliche Regelung, die von einem freiwilligen Beitrittsakt absieht, für den Bereich der Religionsgemeinschaften verfassungswidrig. Wenn die Möglichkeit der Errichtung von Zwangsverbänden dem staatlichen Rechtskreis vorbehalten ist, muß das Mitgliedschaftsrecht der einzelnen Religionsgemeinschaften also auf den Willen des einzelnen Rücksicht nehmen, der betreffenden Religionsgemeinschaft (aus welchem Grunde auch immer) fernzubleiben. Der Erwerb der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft muß daher notwendig ein subjektives Element, nämlich den auf den Mitgliedschaftserwerb gerichteten Willen des künftigen Mitglieds, aufweisen. 235 Dies bedeutet, daß jeder auf rein objektiver Grundlage beruhende Mitgliedschaftserwerb gegen das Verbot der Zwangsmitgliedschaft in religiösen Verbänden und damit gegen die sog. negative religiöse Vereinigungsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG verstößt. Unter dieses Verbot eines an objektiven Tatbestandsmerkmalen ausgerichteten Mitgliedschaftsrechts fallen demnach nicht nur Regelungen auf territorialer, sondern auch Regelungen auf tribaler (d.h. an der Abstammung orientierter) Grundlage. Wird die Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde und damit die Mitgliedschaft im (Synagogen-) Steuerverband an die bloße Abstammung von einer jüdischen Mutter und damit allein an ein objektives Kriterium geknüpft, ohne daß der entgegenstehende Wille des einzelnen (bzw. seiner gesetzlichen Vertreter) berücksichtigt wird, so ist darin ein Verstoß gegen das Grundrecht des Art. 4 Abs.l und 2 GG und das darin enthaltene Verbot religiöser Zwangsverbände zu sehen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1965 zu der gegenwärtigen Steuerpraxis der jüdischen Gemeinden begegnet aus diesem Grund im Hinblick auf Art. 4 Abs.l und 2 GG schwerwiegenden Bedenken. Unter Berufung auf eine neuere Entscheidung des Bundesfinanzhofes236 schließt sich das FG Köln jetzt dieser

FG Frankfurt a. M. - Urt. v. 26.5.1988 = KirchE 26, 149, 153. Gegen BFH Urt. v. 18.1.1995 - 1 R 89/94 = ZevKR 40 (1995),354-357; mißverständlich insoweit FG München Urt. v. 21.3.1995 - 13 K 2958/94 = ZevKW 41 (1996), 85, 87 f. 236 BFH Urt. v. 6.10.1993 -I R 28/93 = BFHE 172,570 = BStBI. 11 1994,253. Die Frage, ob der Rspr. des BVerwG, daß "Abstammung und Wohnsitz allein zur Begründung der Kirchenmitgliedschaft genügen", gefolgt werden könne, hat der Senat an dieser Stelle i.ü. offengelassen (BFHE 172, 570, 574). 234 235

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an. 237 In seinem Urteil aus dem Jahr 1994 läßt das FG Köln die von der schwierigen Materie geforderte Sorgfalt weitgehend vermissen. Unverständlich ist insbesondere die Feststellung, daß der Ehemann der als Steuerschuldnerin in Anspruch genommenen Klägerin "aufgrund seiner abstammungsmäßigen Zugehörigkeit zum jüdischen Glaubensbekenntnis freiwilliges [sie!] Mitglied der Synagogengemeinde" war. Aus steuerrechtlicher wie aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich ist ferner, daß das FG Köln in freier Rechtsfortbildung ausführt, daß ein Abstammungsnachweis in diesen Fällen nicht notwendig ist, wenn ein - nicht näher bestimmtes jüdisches "Bekenntnis" (eine Kategorie, die im Judentum unbekannt ist) vorliegt. 238 Diese Rechtsprechung ist - wenn auch zur Zeit durch die Entscheidung BVerwGE 21, 330 abgesichert - verfassungsrechtlich aus den genannten Gründen nicht überzeugend. Darüberhinaus ist ergänzend anzumerken, daß die Steuerordnungen der jüdischen Gemeinden im Regelfall keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Besteuerung der Mitglieder enthalten. Die Steuerpflicht der jüdischen Gemeinden trifft - ebenso wie im Kirchensteuerrecht - regelmäßig die Mitglieder der Gemeinde. Gemeindemitglied einer jüdischen Gemeinde ist, wer seinen Wohnsitz in deren Gemeindegebiet hat und jüdischen Glaubens ist. Eine Definition des Tatbestandsmerkmals "jüdischer Glauben" enthalten die Steuerordnungen der Gemeinden regelmäßig nicht, sondern sie knüpfen zumeist daran an, wer nach ungeschriebenem jüdischem Religionsgesetz als Jude anzusehen ist. Diese Regelungstechnik stößt auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. So verlangt der Grundsatz der Tatbestandsbestimmtheit im Steuerwesen, daß steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, daß sich schon aus dem Gesetz alle wesentlichen steuerbegründenden Tatbestandsmerkmale erkennen lassen. Den Steuerordnungen der jüdischen Gemeinden kann - soweit sie lediglich auf das jüdische Religionsgesetz verweisen - nicht einmal eine eindeutige Bestimmung des Steuerpflichtigen entnommen werden, ohne daß eine Bewertung nach dem jüdischen Religionsgesetz vorgenommen wird, weil die Steuer-

FG Köln - Urt. v. 23.11.1994 - 11 K 6580/93 - Nichtzulassungsbeschwerde (Az. des BFH: I B 49/95) = EFG 1995, 690. 38 FG Köln Urt. v. 23.11.1994 - 11 K 6580/93 = EFG 1995,691. Zu ungenau ist auch der Leitsatz der Entscheidung: "Zum Nachweis der Zugehörigkeit zur Kultusgemeinde können Versuche [sic!), Mitglied zu werden, ausreichen." Das Gericht führt nicht weiter aus, was unter dem Begriff "Versuche" im einzelnen zu verstehen ist. Im Hinblick auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Tatbestandsmäßigkeit im Steuerrecht ist dies nicht hinnehmbar. 237

ein~elegt

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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ordnungen ausdrücklich zur Erklärung auf das jüdische Religionsgesetz verweisen. Doch weist das jüdische Religionsgesetz keine in irgendeiner Form kodifizierte Rechtsnorm auf, aus der sich ergibt, wer Angehöriger des Judentums als Religionsgemeinschaft ist. Die Festlegung des Personenkreises der dem Judentum zuzuordnenden Mitglieder ist nur durch die Vornahme subtiler theologischer Bewertungen möglich. 239 Die theologische Bewertung derartiger Fragestellungen durch ein staatliches Gericht stößt jedoch auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit der jüdischen Religionsgemeinschaften gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG, so daß die fehlende Definition der Mitgliedschaft in den jüdischen Gemeinden diesen nicht ohne erhebliche verfassungsrechtliche Vorbehalte durch staatliche Gerichte abgenommen werden kann. Im Hinblick auf den Grundsatz der Tatbestandsbestimmtheit unterliegen die betreffenden jüdischen Steuerordnungen - sofern sie auf eine Definition der Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde und damit auf die Festlegung des Steuersubjekts verzichten - andererseits schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken, so daß die gegenwärtige staatliche Anwendung dieser Steuerordnungen auch aus diesem Grunde als verfassungswidrig anzusehen ist. 240 3. Berücksichtigung des Freiwilligkeitsprinzips bei der Begründung der Kirchenmitgliedschaft

Aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG wurde oben geschlossen, daß der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft ein subjektives Tatbestandsmerkmal, nämlich den auf die Begründung der Kirchenmitgliedschaft gerichteten positiven Willen des einzelnen Kirchenmitglieds unabdingbar voraussetzt. Es fragt sich damit, inwiefern das geltende evangelische Kirchenmitgliedschaftsrecht dieser Anforderung gerecht wird. Nach dem geltenden dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriff wird die Mitgliedschaft in der Kirche durch Taufe, Bekenntnis und Wohnsitz begründet.

239 Dies zeigt besonders deutlich die Entscheidung des FG München, a.a.O. 240 Dieser Gesichtspunkt wird von FG München, a.a.O., übersehen. Ebensowenig

geht das FG Köln in der bereits erwähnten Entscheidung v. 23.11.1994 - 11 K 6580/93 (= EFG 1995,691) auf die Problematik ein. Das FG Köln stellt stattdessen ohne recht-

liche Grundlage fest, daß der den steuerlichen Anknüpfungstatbestand der Mitgliedschaft in der Kultusgemeinde begründende Abstammungsnachweis "verzichtbar" ist, wenn ein vom Gericht nicht näher erläutertes - "Bekenntnis" (zum jüdischen Glauben) vorliegt (diesen Vorschlag hat auch der BFH in Urt. v. 6.10.1993 - I R 28/93 = BFHE 172,570, 573 aufgenommen).

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Das Wohnsitzerfordernis kann als objektives Tatbestandsmerkmal zurückgestellt werden. Verlangt die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG von den Religionsgemeinschaften ein jede Zwangsmitgliedschaft vermeidendes Mitgliedschaftsrecht, so ist aus staatskirchenrechtlicher Sicht eine individuelle Willensentscheidung des Kirchenmitglieds für den Mitgliedschafterwerb unabdingbar. Es ist damit eine rechtlich beachtliche Kundgabe des Willens, also eine Willenserklärung des Kirchenmitglieds erforderlich. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit einer rechtsgeschäftlichen Beitrittserklärung (wie z.B. im Vereinsrecht) für die Begründung der Kirchenmitgliedschaft. Eine solch radikale Forderung kann sich allein aus der Notwendigkeit einer Willenserklärung des Kirchenmitglieds ergeben, die aus dem Freiwilligkeitsprinzip bzw. dem Verbot eine religiösen Zwangsmitgliedschaft folgt. Eine "vereinsrechtliche" Willenserklärung ist zur Begründung der Kirchenmitgliedschaft allerdings nicht erforderlich, wenn schon im geltenden Kirchenmitgliedschaftsrecht eine auf den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft gerichtete Willenserklärung dem Mitgliedschaftserwerb zugrunde gelegt wird. Als Willenserklärung des Kirchenmitglieds können nach dem dreigliedrigen Mitgliedschaftbegriff des EKD-KMitgliedG die Taufe und das Bekenntnis in Betracht kommen. Damit fragt sich, ob Taufe und/oder Bekenntnis als juristisch relevante Willensentscheidung des einzelnen Kirchenmitglieds gewertet werden können. Vereinzelt ist versucht worden, der Anmeldung des Kirchenmitglieds zur Taufe die Bedeutung einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung beizulegen. 241 Dies ist ein gangbarer Weg. Im Fall der Kindertaufe wird das zu taufende Kind durch seine gesetzlichen Vertreter wirksam vertreten, so daß die Rechte und Pflichten aus der Kirchenmitgliedschaft für und gegen das wirksam vertretene Kind wirken. Die mitgliedschaftsbegründende Willenserklärung kann in diesem Falle in das Begehren bzw. die Anmeldung zur Taufe verlagert werden. Wie die Kirchenmitgliedschaft - als steuerbegründender Tatbestand für das staatliche Recht von einschneidender Bedeutung - begründet werden soll, ist jedoch bisher weder in eine juristischen noch in einer rechtstheologisch einigermaßen überzeugenden Weise dargelegt worden. Die Anmeldung zur Taufe kann als rechtlich bedeutsame Erklärung (Willenserklärung), in eine bestimmte Kirche aufgenommen werden zu wollen, genügen. Liegt hierin eine Willenserklärung, so bestehen darüberhinaus keine Bedenken, im Falle der Kindertaufe diese von den gesetzlichen

241

Link in: Meinhold, Kirchengliedschaft, 197.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

161

Vertretern abgegebene Willenserklärung dem Täufling nach den Vorschriften über die bürgerlichrechtliche Willenserklärung zuzurechnen. Doch ist zu beachten, daß die Anmeldung zur Taufe nicht bedeuten kann, daß das Kind schon Mitglied der Kirche ist. Die Anmeldung kann rechtlich gesehen nur als ein Antrag auf Erlangung der Kirchenmitgliedschaft verstanden werden. Der Erwerbstatbestand setzt zusätzlich voraus, daß diesem Antrag auch entsprochen wird durch die Vornahme des Taufaktes, denn erst durch den Taufakt wird die Kirchenmitgliedschaft objektiv feststellbar begründet. Es besteht somit kein Zweifel, daß die Taufe also nur dann als steuerbegründender Tatbestand den verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält, wenn sie auf eine wirksame Willenserklärung des Täuflings oder seiner gesetzlichen Vertreter zurückgeht und der Taufakt als objektiver kirchlicher Rechtsakt hinzutritt. Nicht erforderlich ist dagegen, daß zu der vom Willen des Täuflings bzw. seiner gesetzlichen Vertreter später nach Eintritt der Religionsmündigkeit noch ein bestätigender Akt wie z.B. die Konfirmation hinzutritt. Das Unterlassen der Konfirmation beseitigt nicht die durch die Taufe begründete Kirchenmitgliedschaft. Der Täufling bleibt so lange an die frühere Willenserklärung gebunden, bis er zu einer anderen Religionsgemeinschaft übertritt oder seinen Austritt aus der Kirche erklärt. 242

4. Rechtscharakter der Taufe und Grundsatz der steuerrechtIichen Tatbestandsmäßigkeit

Die Kirchenmitgliedschaft knüpft an Taufe, Wohnsitz und Bekenntnis an, so daß die Kirchensteuerpflicht ebenfalls an das Vorliegen dieser drei Voraussetzungen gebunden ist. Die Entscheidung BVerfGE 30, 415 hat deutlich gezeigt, daß das Anknüpfen der Kirchensteuerpflicht an das Vorliegen der Taufe heute durchaus auch innerhalb der Kirche als fragwürdig empfunden wird. Es fragt sich jedoch, ob deswegen schon rechtliche Zweifel an der Anbindung der Kirchensteuerpflicht an die Taufe unter dem Gesichtspunkt des steuerrechtlichen Grundsatzes der Tatbestandsmäßigkeit bestehen müssen. Bei der Verbindung von Taufe, Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht handelt es sich um eine grundsätzlich zu überdenkende Anknüpfung des staatlichen Rechts an einen innerkirchlichen Vorgang, der vorwiegend sakramentalen Charakter hat und damit automatisch dem Verdacht mangelnder Objektivität ausgesetzt sein muß.

242 VG Hannover Urt. v. 24.10.1980 (Az.: - VG A 71/79 A -). 11 Haß

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Dieses grundsätzlich zu bedenkende Problem der rechtsstaatlichen Bestimmtheit im Zusammenhang mit kirchlichen Normen erscheint nun für den Bereich des Kirchenmitgliedsrechts jedenfalls insoweit nicht als sonderlich problematisch, weil die Vornahme der Taufe ein objektiv nachweisbarer und - wichtiger nochgegebenenfalls gerichtlich nachprüfbarer Vorgang ist. An dieser Stelle ist insbesondere die Dokumentation der Taufe durch das umfassend geregelte Kirchenbuchwesen zu erwähnen. 243 Die rechtliche Funktion der Taufe in der Kirchenrechtsgeschichte kann hier nur begrenzt als Zeuge für den Rechtscharakter der Taufe angeführt werden, doch dürfte es für den staatlichen Bereich genügen, daß die Durchführung der Taufe ein Vorgang ist, der unzweifelhaft für jedermann ersichtlich und damit dem Beweis zugänglich ist, also dem Grundsatz der steuerrechtlichen Tatbestandsmäßigkeit genügt. Die Anknüpfung der Kirchenmitgliedschaft an die Taufe ist daher auch aus kirchensteuerrechtlicher Sicht unbedenklich.

11. Automatischer Wechsel der Gliedkirchenzugehörigkeit durch Verlegung des Wohnsitzes Verändert ein Mitglied einer EKD-Gliedkirche seinen Wohnsitz innerhalb des Geltungsbereiches des EKD-KMitgliedG, so erwirbt es unter bestimmten Voraussetzungen automatisch die Mitgliedschaft in der Gliedkirche des neuen W ohnsitzes. Dieser Wechsel der Kirchenzugehörigkeit durch Umzug des Kirchenmitglieds ist mit dem polemisch zugespitzten Begriff "Möbelwagenkonversion"244 gemeint. Dieser automatische Wechsel der Landeskirche steht im Mittelpunkt der derzeitigen Diskussion des Kirchenmitgliedschaftsrechts in der staatskirchenrechtlichen Literatur. 245 Im wesentlichen geht es hier um die Verfassungsmäßigkeit der §§ 8 und 9 EKD-KMitgliedG, die von einem Teil des

243 Vgl. z.B. die KKMRVO v. 17.2.1989 (ABI. EKD 1989,265) der Nordelbischen Kirche über das Kirchenbuchwesen. Zum Kirchenbuchwesen allgemein Krüger in: HdbStKR, Bd. 1,2. Aufl. 1994, 743, 752 f. 244 Der ohnehin fragwürdige Begriff "Möbelwagenkonversion" ist jedenfalls dort fehl am Platz, wo ein Wechsel der gliedkirchlichen Zugehörigkeit ohne Wechsel des kirchlichen Bekenntnisses erfolgt. 245 Die Diskussion wurde erneut angeregt durch den Aufsatz von Obermayer, NVwZ 1985, 77 ff., der auf erheblichen Widerspruch in der kirchlichen Verwaltungspraxis getroffen ist, vgl. u.a. die umfangreichen Stellungnahmen von Meyer, ZevKR 33 (1988),313 ff. und von Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 ff.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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Schrifttums als Grundlage einer verfassungswidrigen, gegen Art. 4 Abs.l und 2 GG verstoßenden Zwangsmitgliedschaft angesehen werden.

I. Ausgangspunkt: § 8 Abs.1 EKD-KMitgliedG

Grundlage des automatischen Wechsels der gliedkirchlichen Zugehörigkeit im geltenden evangelischen Kirchenrecht ist § 8 Abs. 1 EKD-KMitgliedG. Das Verständnis dieser Vorschrift ist Voraussetzung für die Darstellung der weiteren Funktion des Mitgliedschaftserwerbs bei Wechsel einer Gliedkirche im Bereich der EKD sowie bei Zuzug von evangelischen Kirchenmitgliedern aus dem Ausland. Wortlaut des § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG: "Bei einem Wohnsitzwechsel in den Bereich einer anderen Gliedkirche setzt sich die Kirchenmitgliedschaft in der Gliedkirche des neuen Wohnsitzes fort. Dies gilt nicht, wenn das zuziehende Kirchenmitglied sich einer anderen evangelischen Kirche im Bereich der Gliedkirche seines neuen Wohnsitzes anschließt und dies der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle innerhalb eines Jahres nach Zuzug nachweist. In diesem Fall endet die Kirchenmitgliedschaft mit dem Zeitpunkt des Zuzuges." Die Vorschrift erfaßt lediglich den Wechsel zwischen einzelnen Gliedkirchen, die beide der EKD angehören; der Zuzug aus EKD-fremdem Gebiet wird durch die Regelung nicht erfaßt. Von § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG wird jeder W ohnsitzwechsel eines evangelischen Kirchenmitglieds im Bereich der EKD erfaßt. Mit der Verlegung des Wohnsitzes in eine andere Landeskirche erwirbt das evangelische Kirchenmitglied automatisch die Mitgliedschaft in der dortigen Landeskirche, ohne daß es hierzu eines weiteren (Willens-)Aktes bedarf. Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG im folgenden wird entscheidend sein, ob die durch diese Vorschrift begründete automatische Zugehörigkeit zu der Gliedkirche des neuen Wohnsitzes eine gegen Art. 4 Abs.l und 2 GG verstoßende Zwangsmitgliedschaft darstellt. Eine solche Zwangsmitgliedschaft wäre dann festzustellen, wenn das Kirchenmitglied einseitig ohne seinen Willen einer bestimmten Religionsgemeinschaft zugeordnet wird. Damit fragt sich in erster Linie, in welchem Fall eine Mitgliedschaft ohne den Willen des Kirchenmitglieds vorliegt, d.h. wann genau ein solcher Verstoß gegen das verfassungsrechtlich gebotenen Freiwilligkeitsprinzip festgestellt werden kann. Aus dem verfassungsrechtlichen Verbot 11'

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

jeder Zwangsmitgliedschaft im religiösen Bereich folgt, daß die wirksame Begründung der Kirchenmitgliedschaft einen objektiv feststellbaren, vom Willen des Kirchenmitglieds getragenen Beitrittsakt des Mitglieds erfordert. Das Mitglied muß klar erkennbar den Willen zum Ausdruck bringen, einer bestimmten Religionsgemeinschaft anzugehören. Unter dieser Voraussetzung trifft die These zu, daß die Begründung der Kirchenmitgliedschaft auf einer Willenserklärung des einzelnen Mitglieds beruhen muß.246 Ganz offensichtlich stößt die vorliegende Konstruktion des Wechsels der Landeskirche nach dem Modell der §§ 8,9 EKD-KMitgliedG in diesem Zusammenhang auf Schwierigkeiten. Nach § 8 Abs.1 S.l EKD-KMitgliedG "setzt sich die Kirchenmitgliedschaft in der Gliedkirche des neuen Wohnsitzes fort". Hierzu ist nach dem Gesetz kein zusätzlicher Beitrittsakt oder irgendeine sonstige Willenserklärung erforderlich, sondern die neue Mitgliedschaft wird an ein rein objektives Faktum, nämlich den Wohnsitzwechsel geknüpft. Es fragt sich deshalb, ob § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG dem oben aufgestellten Grundsatz entspricht, daß der Tatbestand des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft für seine staatskirchenrechtliche Wirksamkeit ein subjektives Element enthalten muß, d.h. daß eine (ausdrückliche oder konkludente) Willenserklärung des Kirchenmitglieds für eine auch im staatlichen Recht zu beachtende Begründung der Kirchenmitgliedschaft erforderlich ist. § 8 Abs.1 S.l EKD-KMitgliedG nennt als Voraussetzung des Kirchenmitgliedschaftswechsels keine derartige Willenserklärung, sondern lediglich "den Wohnsitzwechsel in den Bereich einer anderen Gliedkirche ". Der bloße Wohnsitzwechsel genügt offensichtlich nicht für die Annahme der staatskirchenrechtlich erforderlichen Willenserklärung des Kirchenmitglieds. Wenn § 8 Abs.1 EKD-KMitgliedG daher keine verfassungswidrige Zwangsmitgliedschaft statuieren soll, so ist nach sonstigen rechtlichen Umständen zu fragen, die auf das Vorliegen einer auf den Mitgliedschaftserwerb gerichteten Willenserklärung hindeuten könnten. Im Fall des § 8 Abs.l S.l EKD-KMitgliedG (Wechsel der gliedkirchlichen Zugehörigkeit zwischen zwei EKD-Gliedkirchen) kommen zwei rechtliche Konstruktionsmöglichkeiten einer auf den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft gerichteten Willenserklärung in Betracht.

246 Bäcker, Kirchenmitgliedschaft, 68.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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a) Unterlassen eines votum negativum nach § 8 Abs.J S.2 1. Die Kirchenmitgliedschaft endet gern. § 8 Abs.l S.2 EKD-KMitgliedG, wenn sich das Kirchenmitglied einer anderen evangelischen Kirche im Bereich der (EKD) Gliedkirche des neuen Wohnsitzes anschließt. Durch dieses sog. votum negativum wird die Kirchenmitgliedschaft rückwirkend beseitigt (§ 8 Abs.l S.3 EKD-KMitgliedG). Rechtskonstruktiv ist es denkbar, im Unterlassen dieser Negativerklärung eine Art positiven Beitrittsakt zu sehen. Vielfach wird eine derartige Argumentationslinie unter Berufung auf die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1971 247 vertreten, wonach das Kirchenmitgliedschaftsrecht nicht gegen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, speziell die negative religiöse Vereinigungsfreiheit des Art. 4 Abs.l und 2 GG verstößt, "sofern der Kirchenangehörige jederzeit die Möglichkeit hat, seine Mitgliedschaft zu beenden".248 Die Reichweite der sachlich zutreffenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird dabei jedoch verkannt. Das Gericht hatte den Fall eines Kirchenmitglieds zu entscheiden, das sowohl di~ Taufe in einer EKD-Gliedkirche empfangen als auch durch seine regelmäßigen Kirchensteuerzahlungen zum Ausdruck gebracht hatte, der evangelischen Kirche angehören zu wollen. Nur dieser Sachverhalt ist vom Bundesverfassungsgericht entschieden worden und für diesen Fall einer jahrzehntelangen Zugehörigkeit zu verschiedenen Gliedkirchen der EKD trifft es durchaus zu, daß der Kirchenangehörige die Mitgliedschaft erstens freiwillig begründet hat und sie zweitens jederzeit beenden konnte, so daß allein deshalb keine Zwangsmitgliedschaft festzustellen war. Für die Feststellung, daß die jederzeitige Möglichkeit, die Kirchenangehörigkeit zu beenden, den willentlichen Beitrittsakt ersetzen kann, bietet das Urteil überhaupt keinen Anhaltspunkt; weite Teile der Urteilsbegründung sprechen sogar dagegen. 249

Es ist heute allgemein anerkannt, daß die Möglichkeit des jederzeitigen Kirchenaustritts verfassungsrechtlich durch die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG garantiert ist. 250 Die Möglichkeit, aus der

247 BVerfG - Urt. v. 31.3.1971 - 1 BvR 744/67 - BVerfGE 30, 415. 248 BVerfG, a.a.O. (Leitsatz). 249 Vgl. dazu oben, Abschnitt C.l.l. 250 Axel v. Campenhausen in: HdbStKR Bd. 1, 2. Aufl. 1994, 777 f.; ders., DÖV 1970,801,803 f.; Listl in: Festschrift für M. Kaiser (1989),160 ff.; Engelhardt, Austritt aus der Kirche, 18 ff.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Kirche auszutreten, stellt jedoch keine allgemeine Rechtfertigung für eine (auch nur vorübergehende) einseitige Eingliederung von Mitgliedern ohne oder gar gegen deren Willen dar. Andernfalls wäre das Kirchenmitglied zum Handeln gezwungen, um eine einseitig begründete bestehende Kirchenmitgliedschaft zu beseitigen. Die Gewährung der Grundrechtsposition der negativen Religionsfreiheit wäre von einem Handeln des Kirchenmitglieds abhängig, die Kirchenmitgliedschaft könnte nur durch ein Handeln verhindert werden. Daß sich das Kirchenmitglied ausdrücklich gegen die Mitgliedschaft zur Wehr setzen muß, um eine bereits erfolgte Eingliederung rückwirkend aufzuheben, erscheint problematisch. Noch bedenklicher ist die Ansicht, in jedem - wie auch immer begründeten - Unterlassen eines votum negativum eine Äußerung des Willens zu sehen, der Kirche künftig anzugehören. Dies ist zumindest in jenen Fällen fragwürdig, in denen ein Irrtum über Tatsachen, z.B. über das Fortbestehen der Kirchenmitgliedschaft besteht, wenn der Zuziehende also davon ausgegangen ist, daß seine Kirchenmitgliedschaft mit dem Zuzug automatisch beendet worden ist. In diesem Fall wäre die Annahme einer Willenserklärung durch Unterlassen des votum negativum eine bloße Fiktion. Die Fingierung des Willenselements bei der Begründung der Kirchenmitgliedschaft ist jedoch im Hinblick auf Art. 4 Abs.1 und 2 GG verfassungswidrig, weil durch das Grundrecht der Religionsfreiheit gerade die tatsächliche religiöse Überzeugung gegen die staatliche Oktroyierung von Bekenntnissen geschützt wird, und damit notwendig auch gegen jede gesetzliche Fiktion einer derartigen Zustimmung zur Eingliederung in eine Religionsgemeinschaft, die in Widerspruch zu der tatsächlichen religiösen Überzeugung steht. Stellt man auf die Möglichkeit des Kirchenaustritts als Rechtfertigung einer einseitigen Eingliederung des Kirchenmitglieds ab, so stellt sich außerdem die Frage des Fortbestehens einer bereits entstandenen Kirchensteuerschuld, die durch den Austritt durchaus nicht automatisch entfallen muß. Weil das Mitgliedschaftsverhältnis und das Kirchensteuerschuldverhältnis nach den Voraussetzungen ihrer rechtlichen Wirksamkeit getrennt sind, bedeutet die Tatsache des Austritts noch nicht die Begründung eines Anspruchs auf Rückzahlung der bereits gezahlten Kirchensteuer (ein solcher Anspruch entsteht auch nicht notwendig im Falle der Ausübung des votum negativum nach § 8 Abs.1 S.2 EKDKMitgliedG).251 Die Möglichkeit des jederzeitigen Kirchenaustritts kann da-

25 I Zu den kirchensteuerrechtlichen Folgen der Ausübung des votum negativum vgl. unten Abschnitt C.lI.3.a.dd.(4).

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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her nicht zur Rechtfertigung einer einseitig ohne Rücksicht auf den Willen des Kirchenangehörigen begründeten Kirchenmitgliedschaft führen.

b) Zustimmung des Kirchenmitglieds bei erstmaliger Begründung der Kirchenmitgliedschaft Aus diesem Grunde liegt ein anderer Lösungsweg nahe. Im Fall des § 8 Abs.l S.l EKD-KMitgliedG ist von einer rechtlichen Fortsetzung (oder genauer: von einem "Wechsel gliedkirchlicher Zugehörigkeit bei Fortbestehen der gesamtkirchlichen Basis"252) der Mitgliedschaft die Rede. Da von einem Wechsel der Gliedkirche, also der Mitgliedschaft in der bisherigen kirchlichen Körperschaft auszugehen ist, erübrigt sich dadurch nicht das Erfordernis einer positiven Willenserklärung. Wenn auf die "gesamtkirchliche Basis" der Kirchenmitgliedschaft, die durch das EKD-KMitgliedG kirchenrechtlich konkretisiert wird, abzustellen ist, besteht jedoch die Möglichkeit, die erforderliche Willenserklärung in einem früheren positiven Akt des Kirchenmitglieds zu sehen: in dem freiwilligen Beitritt zu einer EKD-Gliedkirche durch Taufe oder Aufnahme (§ 1 Abs.l EKD- KMitgliedG). Der erstmalige Beitritt zu einer EKD-Gliedkirche ist dann so zu verstehen, daß sich das Kirchenmitglied dem gegenwärtig und künftig ordnungsgemäß zustandegekommenen Kirchenrecht dieser Gliedkirche (und damit gleichzeitig auch dem von allen Gliedkirchen ratifizierten EKD-KMitgliedG) unterwirft. Durch den Beitritt zu einer EKD-Gliedkirche stimmt das Kirchenmitglied demzufolge auch der in § 8 Abs.l S.l EKD-KMitgliedG getroffenen Regelung zu, daß bei einem künftigen Wohnsitzwechsel ein automatischer Wechsel der Gliedkirche erfolgt. Die freiwillig erworbene Kirchenmitgliedschaft in einer EKD-Gliedkir-

252 G. Wendt in: Meinhold, Kirchengliedschaft, 229; Bäcker, Kirchenmitgliedschaft, 37; Obermayer, NVwZ 1985,80 Fn.31. Die gesetzliche Formulierung in § 8 Abs.l S.1

EKD-KMitgliedG einer "Fortsetzung der Mitgliedschaft" wird in der Literatur mit Zustimmung aufgenommen (vgl. z.B. Meyer, ZevKR 33, 1988,317 Fn.20), ist jedoch rechtlich unzutreffend, weil eine Kirchenmitgliedschaft nur zu der bisherigen Kirchengemeinde und Landeskirche bestanden hat, die mit dem Wohnsitzwechsel ihr Ende gefunden hat und nicht etwa in der neuen Kirchengemeinde oder der neuen Landeskirche "fortgesetzt" wird.

168

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

che umschließt auf diese Weise bereits potentiell die Mitgliedschaft in einer anderen Gliedkirche für den Fall des Wohnsitzwechsels. 253 Alle späteren mit einem Wohnsitz wechsel verbundenen Gliedkirchenwechsel sind so von der einmal geäußerten zustimmenden Willenserklärung des beitretenden Kirchenmitglieds umfaßt, weil das Kirchenmitglied mit dem erstmaligen Beitritt dem Grundprinzip des § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG zugestimmt hat. Hier besteht insoweit eine Parallele zum Vereinsbeitritt im bürgerlichen Recht, als sich das Vereinsmitglied mit dem Beitritt in einen bestehenden Verein der Satzungsgewalt des Vereins unterwirft und dadurch das bestehende und künftige Satzungsrecht durch einmaligen Willensakt als für sich verbindlich akzeptiert. Die Geltung der Vereinssatzung ist auf diejenigen beschränkt, die sich ihr durch ihren Vereinsbeitritt freiwillig unterstellt haben. 254 In gleicher Weise kann die automatische Eingliederung in eine EKD-Gliedkirche dann auf der Grundlage des § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG erfolgen, wenn sich das Kirchenmitglied bereits vorher in einer anderen Gliedkirche mit dem Eintritt in die Kirche freiwillig der Geltung des EKD-KMitgliedG unterstellt hat. Hat sich das Kirchenmitglied auf diese Weise der Geltung des § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG willentlich unterworfen, so bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Freiwilligkeit des automatischen Wechsels der Gliedkirchenzugehörigkeit nach dieser Vorschrift. Eine verfassungswidrige Zwangsmitgliedschaft kann demnach in der nach § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG verfahrenden Rechtspraxis nicht gesehen werden, weil unter der Voraussetzung eines anfänglichen freiwilligen Beitrittaktes des Kirchenmitglieds angenommen werden kann, daß das Kirchenmitglied den rechtlichen Regelungen der aufnehmenden Kirche, zu denen auch das Kirchenmitgliedschaftsrecht der EKD zählt, willentlich zugestimmt hat. 255 Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn durch den Wohnsitzwechsel ein Bekenntniswechsel eintreten sollte (Beisp.: Zuzug eines evangelisch-reformierten Kirchenmitglieds aus der unierten Kirche von Berlin und Brandenburg in die

253 VG Berlin Urt. v. 28.2.1986 - VG 10 A 328.85 = KirchE 24, 63-66; FG Hamburg Urt. v. 24.5.1989 - IV 162/88 H = EFG 1990, 263. 254 Vgl. Larenz, BGB Allgemeiner Teil, 125 f. 255 A.A. in dieser Frage - so weit ersichtlich - nur Bäcker, Kirchenmitgliedschaft,

57.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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evangelisch-lutherische Nordeibisehe Landeskirche 256 ). Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer solchen automatischen Erfassung des zuziehenden Kirchenmitglieds folgt in diesem Fall jedoch nicht aus dem (wie auch immer beschaffenen) "Wesen des Besteuerungsrechts"257, sondern aus der in der bisherigen Kirchenmitgliedschaft liegenden schlüssigen Zustimmung zu der nach § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG verfahrenden Rechtspraxis der EKD-Gliedkirchen.

2. Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs.l und 2 EKD-KMitgliedG

a) § 9 Abs.J EKD-KMitgliedG Wortlaut des § 9 Abs.l EKD-KMitgliedG: "Zuziehende Evangelische, die keiner Gliedkirche angehören, erwerben die Kirchenmitgliedschaft durch Erklärung gegenüber der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle: a) wenn sie früher Kirchenmitglieder waren und von dem Recht nach § 8 I 2 dieses Kirchengesetzes Gebrauch gemacht hatten, b) wenn sie bisher Mitglieder einer evangelischen Kirche oder Religionsgemeinschaft im Ausland waren. Die in § 9 EKD-KMitgliedG getroffene Regelung ist als Sonderregelung gegenüber § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG zu verstehen. Nach Buchstabe a) und b) wird die Kirchenmitgliedschaft durch eine einfache Erklärung des Kirchenmitglieds gegenüber der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle erworben, ohne daß das gern. § 7 EKD-KMitgliedG gliedkirchlich geregelte förmliche Aufnahmeverfahren zum Zuge kommt. 258 § 9 Abs.l lit.a nennt folgende Voraussetzungen für den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft: - der Zuziehende muß bereits einmal einer EKD-Gliedkirche angehört haben, - die bisherige Gliedkirchenzugehörigkeit ist durch den Kircheneintritt nach § 8 Abs.l S.2 in eine nicht der EKD angehörige Gliedkirche (z. B. eine Freikirche) unterbrochen worden und

256 Vgl. FG Hamburg Urt. v. 24.5.1989 - IV 162/88 H = EFG 1990,263. Das FG Hamburg hat in dieser Entscheidung zu Recht die Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG bestätigt. 257 Gegen FG Hamburg, a.a.O., 264. 258 Obennayer, NVwZ 1985, 77, 80.

170

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

- der Zuziehende hat die Beitrittserklärung nach § 9 Abs.l lit.a "gegenüber der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle" abgegeben. Diese drei Voraussetzungen zeigen bereits, daß § 9 Abs.l lit.a in der Praxis eine sehr begrenzte Zahl von Einzelfällen um faßt. Sind diese Voraussetzungen nicht kumulativ gegeben, so greift das reguläre Aufnahmeverfahren ein, das gemäß § 7 EKD-KMitgliedG der Rechtsetzungskompetenz der Gliedkirchen zufällt. § 9 Abs.l lit.a stellt ausdrücklich auf einen freiwilligen Beitrittsakt des Kirchenmitglieds, die "Erklärung gegenüber der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle", ab und ist aus diesem Grund mit der der negativen Religionsfreiheit des Kirchenmitglieds gern. Art. 4 Abs. I und 2 GG vereinbar. Die Freiwilligkeit des Mitgliedschaftserwerbs wird auf zweierlei Weise gewahrt: Zum einen stellt § 9 Abs.l lit.a auf die frühere, d.h. also eine vorhergehende bereits bestandene EKD-Gliedkirchenzugehörigkeit ab ("wenn sie früher Kirchenmitglieder waren"), zum anderen wird die neuerliche Zugehörigkeit zu einer EKD-Gliedkirche an die Voraussetzung der "Erklärung gegenüber der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle" geknüpft. Die Vorschrift § 9 Abs.l lit.a ist also verfassungsgemäß.259 § 9 Abs.l lit.b betrifft dagegen den Zuzug aus dem Ausland. Diese Regelung hat erhebliche Bedeutung für ein richtiges Verständnis der in den folgenden Absätzen § 9 Abs.2 bis 4 getroffenen weiteren Regelungen für den Zuzug aus dem Ausland. Der Zuziehende muß im Ausland Mitglied einer "evangelischen" Kirche oder Religionsgemeinschaft gewesen sein. In diesem Fall gilt für ihn das einfache Aufnahmeverfahren des § 9 Abs.l EKD-KMitgliedG durch bloße Beitrittserklärung gegenüber der zuständigen kirchlichen Stelle. Es kann im Einzelfall zwar durchaus zweifelhaft sein, ob eine Kirchengemeinschaft des Auslandes als "evangelisch" anzusehen ist oder nicht. Diese kirchenrechtliche Frage entscheidet darüber, ob das vereinfachte Verfahren nach § 9 Abs.l lit b EKD-KMitgliedG oder ein ordentliches Aufnahmeverfahren nach den gliedkirchlichen Bestimmungen zu wählen ist. Staatskirchenrechtlich ist diese Frage jedoch ohne Relevanz, weil die Freiwilligkeit des Kirchenbeitritts bei einem

259 A. A. offenbar nur Bäcker, Kirchenmitgliedschaft, 57, 67 ff., der nicht zwischen Zuzug aus dem Ausland und Zuzug innerhalb des EKD-Gebiets unterscheidet und alle Fälle des automatischen Wechsels der Gliedkirchenzugehörigkeit für verfassungswidrig hält.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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gliedkirchlichem Aufnahmeverfahren wie im Verfahren nach § 9 Abs.1 lit. b EKD-KMitgliedG in jedem Falle gewahrt bleibt. Mit der Erklärung des Zuziehenden, daß er zukünftig einer EKD-Gliedkirche angehören will, ist der verfassungsrechtlich gebotenen Freiwilligkeit des Mitgliedschaftserwerbs hinreichend entsprochen. Die in § 9 Abs.l lit.b getroffene Regelung des Zuzugs aus dem Ausland ist damit verfassungsgemäß.

b) § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG Wortlaut des § 9 Abs.2 EKD- KMitgliedG: "Zuziehende Evangelische, die einer evangelischen Kirche oder Religionsgemeinschaft angehört haben, mit der eine Vereinbarung über die Kirchenmitgliedschaft abgeschlossen worden ist, erwerben die Kirchenmitgliedschaft nach den Bestimmungen dieser Vereinbarung." § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG ist seiner Bedeutung nach eine bloße Verweisnorm auf zwischenkirchliche Vereinbarungen, die von der EKD mit anderen Kirchen vor allem des Auslandes abgeschlossen werden. Schon aus dem Inhalt dieser mitgliedschaftsrechtlichen Vereinbarungen ergibt sich, daß sie gegenüber den Bestimmungen des EKD-KMitgliedG im Zweifel vorrangig sind. Der Wortlaut des § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG ergibt im übrigen zweifelsfrei, daß eine rechtsförmlich als Kirchenvertrag geschlossene Vereinbarung gemeint ist, der die kirchengesetzlich zustimmenden Kirchen und ihre Mitglieder gleichermaßen rechtlich verpflichtet. 260 Beispiele für derartige rechtsförmliche Vereinbarungen stellen der Vertrag der EKD mit der Evang.-Luth. Kirche Finnlands v. 20.5.1977 261 , der Vertrag der EKD mit der Evang.-Luth. Kirche in Italien (ELKI) v. 27.2./28.4.1989 262 sowie der Vertrag mit den reformierten und

260 Die ausgiebige Diskussion, ob statt einer rechtsförmlichen Vereinbarung bloß tatsächliche Einigkeit genügt, ist mit dem Erlaß des § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG obsolet geworden. Aus diesem Grund ist die Feststellung von Obennayer, daß bloße Einigkeit nicht ausreichend sei, evident (NVwZ 1985, 80; Obennayer wendet sich hier gegen die Ausführungen Axel v. Campen hausens in: HdbStKR Bd.l, 1. Aufl. 1974, 656). 261 ABl. EKD 1977,373. Zu der Vereinbarung mit der Ev.-Luth. Kirche Finnlands vgl. auch die Entscheidung des FG München: Urt. v. 21.3.1995 - 13 K 2958/94 = ZevKR 41 (1996), 85 ff. 262 ABl. EKD 1989,250.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

lutherischen Kirchen Frankreichs v. 26.3./ 10.8.1993 263 dar. Diese Vereinbarungen enthalten gegenüber dem Mitgliedschaftsgesetz der EKD selbständige Regelungen des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft durch Zuzug in den Bereich der EKD. 264 Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG kann unter Bezugnahme auf die Ausführungen zu § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG beantwortet werden. Mit dem Eintritt in die Kirche des bisherigen Wohnsitzes hat sich das Kirchenmitglied dem in der betreffenden Kirche geltenden Recht unterworfen und dieses (sowie das künftige, auf verfassungsmäßigem Wege zustandegekommene Recht der Kirche) als für sich verbindlich akzeptiert. Zu dem damit als verbindlich akzeptierten Recht sind auch die in § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG genannten Vereinbarungen zu rechnen, so daß durch den Kirchenbeitritt in die bisherige Kirche bzw. den andauernden Verbleib in dieser Kirche die Zustimmung zu der Vereinbarung und damit auch die Freiwilligkeit des automatischen Wechsels der Kirchenzugehörigkeit auf der Grundlage dieser Vereinbarung hergestellt wird. Mit der Freiwilligkeit des Mitgliedschaftserwerbs in den Fällen des § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG ist die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung gegeben. Der automatische Erwerb der Kirchenmitgliedschaft auf der Grundlage einer zwischenkirchlichen Vereinbarung im Sinne des § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG ist damit verfassungskonfonn. 265

263 Vereinbarung zwischen der EKD und der Eglise de la Confession d' Augsbourg d' Alsace et de Lorraine, der Eglise Evangelique Lutherienne de France, der Eglise Reformee d' Alsace et de Lorraine und der Eglise Reformee de France vom 26.3./10.8. 1993 (ABI. EKD 1995,281). Hier ist Art. 3 Abs.l der Vereinbarung einschlägig: "Die beteiligten Kirchen stelIen fest, daß ausländische evangelische Christen mit der Begründung ihres Wohnsitzes in Deutschland Kirchenmitglieder derjenigen Gliedkirche der EKD, in deren Bereich ihr Wohnsitz liegt." 264 So heißt es in § 17 Abs.l der Vereinbarung der EKD mit der EV.-Luth. Kirche in Italien v. 27.2./28.4.1989: "Kirchenmitglieder der Evangelisch-lutherischen Kirche in

Italien werden mit der Begründung eines Wohnsitzes im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland Kirchenmitglieder derjenigen Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland, in deren Bereich ihr Wohnsitz liegt." Der Wortlaut dieser Bestim-

mung zeigt, daß eine Vereinbarung an die StelIe des § 9 Abs.3 und 4 EKD-MitgliedG treten kann, da nicht erst durch die Anmeldung bei Kirche oder Meldebehörde, sondern bereits mit der Begründung des Wohnsitzes die Kirchenmitgliedschaft zuziehender italienischer Lutheraner zu einer Gliedkirche der EKD beginnt. Entsprechende Regelungen enthalten die Vereinbarungen mit der französischen reformierten und der finnischen Kirche. 265 Ebenso auch VG Schleswig Urt. v. 4.3.1987 - 1 A 56/84 und FG München Urt. v. 21.3.1995 - 13 K 2958/94 = ZevKR 41 (1996), 85 ff., jeweils für den Zuzug von

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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3. Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG

Wortlaut des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG: "Die Angaben gegenüber der staatlichen Meldebehörde gelten als Erklärung im Sinne von Absatz 1." Die Regelung des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft durch Zuziehende, die bisher keiner Gliedkirche der EKD angehört haben, ist schon vor Erlaß des EKD-KMitgliedG umstritten gewesen. Von den ersten Gesetzentwürfen bis in die Endphase der Beratungen hinein haben der Ständige Rechtsausschuß der Synode der EKD und die Mitgliedschaftsrechtskommission des Rechtsausschusses daran festgehalten, daß die Eingliederung von Zuziehenden aus dem Ausland, die heute in § 9 Abs.l lit. bund § 9 Abs.3 geregelt ist, die Durchführung eines Aufnahmeverfahrens durch die Kirchengemeinde des neuen Wohnsitzes voraussetzen sollte, obwohl schon frühzeitig verlangt worden war, das Aufnahmeverfahren in diesen Fällen durch ein vereinfachtes Anmeldeverfahren vor der staatlichen Meldebehörde oder der kirchlich zuständigen Stelle zu ersetzen. Erst die abschließende Überarbeitung in den Arbeitsgruppen der Mitgliedschaftsrechtskommission hat zu der heute geltenden "melderechtlichen" Lösung geführt. Die zunächst gewählte Regelung der Aufnahme von Zuziehenden aus dem Ausland zeigt sich schon in § 7 des Entwurfs eines Kirchengesetzes über die Kirchenmitgliedschaft v. 24.4.1975 266 , der gleichzeitig als Vorlage für die Tagung der Synode der EKD im November 1975 in Freiburg formuliert wurde. In § 7 dieses Entwurfs fehlt noch die Anbindung des Mitgliedschaftserwerbs an das staatliche Melderecht, so daß ein Mitgliedschaftserwerb durch Zuziehende aus dem Ausland nur im Wege der Aufnahme in die Kirchengemeinde oder

Angehörigen der finnischen EV.-Luth. Kirche in die Bundesrepublik Deutschland bzw. den Geltungsbereich des Gesetzes über die Kirchenmitgliedschaft (EKD-KMitgliedG). 266 § 7 (1) des Entwurfs lautet: "Zuziehende Evangelische, die keiner Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland angehören, erwerben die Kirchenmitgliedschaft, a) wenn sie von dem Recht nach § 4 Abs.2 [Ausübung des votum negativum, M.H.] dieses Kirchengesetzes Gebrauch gemacht hatten, durch Erklärung gegenüber der Kirchengemeinde oder der Gliedkirche des Wohnsitzes, b) wenn sie Glieder einer evangelischen Kirche oder Religionsgemeinschaft im Ausland waren, durch Aufnahme in die Kirchengemeinde und in die Gliedkirche des neuen Wohnsitzes; maßgebend ist der Bescheid der zuständigen Kirchengemeinde."

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Gliedkirche erfolgen konnte. 267 In seiner Sitzung vom 26./27.9.1975 schlug der Rechtsausschuß der Synode vor, den Zuzug aller Evangelischen im In- und Ausland, die bisher nicht Mitglied in einer Gliedkirche der EKD waren, in einer Vorschrift als § 7 Abs.l unter der Überschrift "Aufnahme in die Kirche" zusammenzufassen. 268 Auch diese vereinfachte Aufnahmeregelung konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Der Rechtsausschuß der Amoldshainer Konferenz verlangte im Vorfeld der Freiburger Synode, das Aufnahmeverfahren durch eine melderechtliche Lösung zu ersetzen. In einem Schreiben an die Kirchenkanzlei der EKD heißt es zu der Formulierung des (damaligen) § 7: "Abs. 1 b, wonach evangelische Ausländer durch Aufnahme (Erteilung eines Bescheides) Mitglieder in der Kirchengemeinde und der Gliedkirche des neuen Wohnsitzes werden, widerspricht gliedkirchlichen Grundordnungen und vielfacher Praxis sowie im Blick auf "Leuenberger Kirchen" auch der gewonnenen Kirchengemeinschaft. Der Ausschuß hält deshalb unbeschadet besonderer zwischenkirchlicher Vereinbarungen eine Anmeldung des zuziehenden evangelischen Ausländers für angemessen und staatskirchenrechtlich ausreichend. ,,269

267 Auf die Gründe für den Verzicht auf ein Aufnahmeverfahren zugunsten der Anbindung an das staatliche Melderecht weist möglicherweise die Begründung zu dem Entwurf eines Kirchengesetzes über die Kirchenmitgliedschaft vom 23./24 Mai 1975 hin: "Eine zu starke Betonung der Entscheidungsfreiheit des Kirchenmitgliedes durch ein uneingeschränktes "votum negativum" führte jedoch in der Praxis zu der Möglichkeit, anläßlich eines Wohnungswechsels "heimlich" aus der Kirche auszutreten, wenn das Kirchenmitglied bei der Meldebehörde nicht seine Konfessionszugehörigkeit angab. Nur ein einheitlich geregeltes kirchliches Meldewesen in enger Anlehnung an das staatliche Melderecht und im Zusammenwirken mit den kommunalen Meldebehörden kann hier kontrollierend eingreifen" (Drucksache 111114 der 4. Tagung der 5. Synode der EKD in Freiburg 1975, S. 9). 268 "§ 7 Abs.l: Wer getauft ist und einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht angehört, erwirbt die Kirchenmitgliedschaft nach Maßgabe des gliedkirchlichen Rechts durch Aufnahme" (Sitzungsniederschrift vom 26./27.9.1975, Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei v. 22.10.1975 - Az. 0205 C Il.lI -, S.3). 269 Schreiben der Amoldshainer Konferenz an die Synodal präses v. 9.9.1975 (Umdr.-Nr. V1288175 und Anlage zum Schreiben der Kirchenkanzlei der EKD v. 11.9.1975 - Az. 0152/1.21), S. 2; vgl. die Niederschrift der Sitzung des Rechtsausschusses der Amoldshainer Konferenz v. 20./21.8.1975 in Hofgeismar (Anlage 2). Der Vorsitzende des Rechtsausschusses der Amoldshainer Konferenz Dr. Stolz (Leer) hat dort den Erwerb der Mitgliedschaft durch Bekenntnisangabe bei der staatlichen Meldebehörde oder der Kirchengemeinde (entsprechend der heutigen Rechtslage) vorgeschlagen, ohne daß dieser Vorschlag sich jedoch zunächst durchsetzen konnte (Sitzungsniederschrift, S. 8).

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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Auch das kirchliche Außenamt der EKD äußerte inzwischen Besorgnis hinsichtlich der Regelung der Eingliederung von Zuziehenden aus dem Ausland durch Aufnahme. Da ein Zuziehender aus dem Ausland noch nicht der Kirche angehöre, sei er gegenüber der Kirche nicht zur Angabe des Bekenntnisses vor der staatlichen Meldebehörde verpflichtet, was die Eingliederung erschweren könne. 270 Neben der Besorgnis des Verlustes von Kirchensteuereinnahmen durch die Aufnahmeregelung wurde die Befürchtung geäußert, daß sich unter den Zuziehenden aus dem Ausland "isolierte Gruppen bilden, an denen die Verantwortung der EKD und der Heimatkirchen nicht wahrgenommen werden" könne. 271 Erst die erneute Überarbeitung des Gesetzentwurfs v. 23.1.1976 272 durch die Arbeitsgruppen der Mitgliedschaftsrechtskomrnission führte zur Aufgabe der bisherigen Linie des obligatorischen Aufnahmeverfahrens und zur Einführung der heute geltenden "melderechtlichen" Lösung. 273 Die endgültige Fassung des § 9 EKD-KMitgliedG wurde in der Sitzung der Mitgliedschaftsrechtskommission der EKD am 31. Mai 1976 beschlossen. 274 Die gesamte Entstehungsgeschichte des § 9 EKD-KMitgliedG zeigt, daß man vorher lange Zeit von der staatskirchenrechtlichen Erforderlichkeit eines Aufnahmeverfahrens bei der Eingliederung von Zuziehenden aus dem Ausland ausgegangen warP5 Dies

270 Schreiben des Kirchlichen Außenamtes der EKD an die Kirchenkanzlei der EKD v. 18.9.1975 - Az. KA 12.687/75 -, S. 2. 271 Ebd. 272 Vgl. die Niederschrift der Sitzung der Mitgliedschaftsrechtskommission v. 23.1.1976, Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei v. 3.3.1976 - Az. 0152/1.21). Dieser Entwurf enthält noch die Aufnahmeregelung (§ 9 Nr.2). 273 Vgl. den Entwurf der Arbeitsgruppe der Kommission v. 7.5.1976 (Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei v. 11.5.1976 - Az. 0152/1.21 -, S.4) sowie die Niederschrift über die Sitzung des Ständigen Rechtsausschusses der Synode der EKD v. 14./15.5.1976 (Anlage zum Rundschreiben der Kirchenkanzlei v. 24.5.1976 - Az. 0205 CI 1.12 -, S.6) und den folgenden Gesetzentwurf (Anlage 4 zu dem Rundschreiben v. 24.5.1976). 274 Vgl. Rundschreiben der Kirchenkanzlei v. 3.6.1976 - Az. 0152/.1.21 - Anlagesowie Rundschreiben der Kirchenkanzlei v. 5.7.1976 (- Az. 0152/1.21 - Anlage -). 275 So ausdrücklich OKR Nuyken auf der 4. Tagung der 5. Synode der EKD bei der (gescheiterten) erstmaligen Einbringung des EKD-KMitgliedG im November 1975: "Aus staatskirchenrechtlichen Gründen muß in diesen Fällen [bei Zuzug aus dem Ausland, M.H.] ein Aufnahmeverfahren durchgeführt werden; es soll aber genügen, wenn diesen Gliedern gegenüber die Aufnahme in die Kirchengemeinde und Gliedkirche des neuen Wohnsitzes ohne förmlichen Aufnahmeantrag bestätigt wird" (Bericht über die 4. Tagung der 5. Synode der EKD v. 2.11.-7.11.1975, S. 222). Diese Äußerung macht deutlich, daß

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

geht ganz offensichtlich auch auf Unsicherheiten im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Reichweite des in den Entscheidungen von 1965 276 und 1971 277 entwickelten Freiwilligkeitsprinzips zurück. Das heute geltende automatische Eingliederungsverfahren des § 9 Abs.l Iit. b i.V.m. § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG hat sich erst gegen Ende der Gesetzgebungsarbeiten aus praktischen Erwägungen gegen diese zunächst bestehenden Bedenken durchgesetzt. Die endgültige Regelung der Eingliederung von Zuziehenden aus dem Ausland in § 9 EKD-KMitgliedG ist eng mit dem staatlichen Melderecht verknüpft. Dies zeigt vor allem der nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch innerkirchlich umstrittene § 9 Abs.3 besonders deutlich. Rechtstechnisch gesehen stellt § 9 Abs.3 eine Ergänzung zu § 9 Abs.l EKDKMitgliedG dar. § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG stellt die melderechtliche Angabe der Religionszugehörigkeit gegenüber der staatlichen Meldebehörde der kirchenmitgliedschaftsbegründenden Erklärung gegenüber der zuständigen kirchlichen Stelle gleich. Diese gesetzliche Fiktion einer Beitrittserklärung gegenüber der betreffenden Kirche wird kontrovers diskutiert. In der Verwaltungspraxis betrifft die Vorschrift in aller Regel die Fälle des § 9 Abs.l lit. b, also den Zuzug aus dem Ausland in den Geltungsbereich des EKD-KMitgliedG. 278 Verwaltungsund Finanzgerichtsbarkeit müssen sich seit Inkrafttreten des EKD-KMitgliedG immer wieder mit der Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs.3 lit. b EKD-KMitgliedG bei Zuzug aus dem Ausland beschäftigen. 279 Die von verschiedener Seite geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG lassen sich nicht ohne weiteres ausräumen. Im folgenden sollen daher die wichtigsten Argumente einander gegenübergestellt werden, um zu einer konsistenten Lösung dieses in der Kirchensteuerpraxis wichtigen Problems zu kommen.

die verfassungsrechtliche Problematik des § 9 EKD-KMitgliedG die Gesetzgebungsarbeiten von Anfang an begleitet hat und den beratenden Gremien von Landeskirchen und EKD auch durchaus bekannt war. 276 BVerfGE 19,206. 277 BVerfGE 30,415. 278 Obennayer, NVwZ 1985, 80; Engelhardt, NVwZ 1992, 240 f. (zur früheren Rechtslage). 279 Vgl. zuletzt BVerwG v. 12.4.1991, ZevKR 36 (1991), 403-408 = NVwZ 1992, 66-67; ferner FG Düsseldorf - Urt. v. 14.4.1994 - 1 K 292/90 Ki = EFG 1994, 1071; BFH - Urt. v. 18.1.1995 - I R 89/94 = ZevKR 40 (1995), 354-357 m. Anm. Meyer.

c. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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a) Kollision mit dem Verbot der ZwangsmitgliedschaJt aa) Die Position von Obennayer Die gegenwärtige verfassungsrechtliche Diskussion ist im wesentlichen durch einen Beitrag von Obennayer veranlaßt worden. Obennayer hat die Regelung des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG als Statuierung einer verfassungswidrigen, gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verstoßenden Zwangsmitgliedschaft verworfen. 280 Er begründet diese Ansicht vor allem damit, daß durch § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG eine der Sache nach nicht vorhandene Beitrittserklärung des Zuziehenden durch die Gleichstellung mit einer meldebehördlichen Angabe der Religionszugehörigkeit auf unzulässige Weise gesetzlich fingiert werde. Die Angabe der Religionszugehörigkeit gegenüber der Meldebehörde sei unter keinen Umständen als Erklärung des Beitritts zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft zu qualifizieren, da es sich hierbei lediglich um eine bloße Auskunft in staatlichen Angelegenheiten handele. § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG führt daher nach Ansicht von Obennayer zu einer gesetzlichen Fiktion des Beitrittsaktes ohne Rücksichtnahme auf den tatsächlichen Willen des Zuziehenden und - noch bedeutsamer - : ohne daß eine auf den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft gerichtete Willenserklärung überhaupt abgegeben wurde. Damit liegt für Obermayer eine verfassungswidrige Zwangsmitgliedschaft ohne den Willen des zuziehenden Kirchenmitgliedes vor, so daß er zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG kommt.

bb) Die Gegenposition Das von Obennayer ausgesprochene, jedoch leider nicht genauer ausgeführte Verdikt über die Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG ist in der Literatur nicht unwidersprochen geblieben. Die Gegenposition hält die Ansicht Obennayers, daß der Zuziehende einen auf den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft gerichteten inneren Willen kundzugeben habe, für unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Art. 137 Abs.3 WRV.281 Die Forderung Obennayers nach einer feststellbaren Willenserklärung des Zuziehenden widerspreche der kirchenrechtlichen Struktur des

280 Obermayer, NVwZ 1985, 80. 281 Meyer, ZevKR 33 (1988), 321; Rausch, 352 f. 12 Haß

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriffs, der an Taufe, Bekenntnis und Wohnsitz anknüpft. 282 Ein - von Oberrnayer vorausgesetzter - Grundsatz des öffentlichen Rechts, daß die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft nur durch ausdrückliche Beitrittserklärung erworben werden könne, sei nicht verifizierbar. 283 Entscheidend für den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft des Zuziehenden sei nicht dessen Zustimmung, sondern die "Zuordnung zu den in der Kirche des Zuzugsortes praktizierten Bekenntnissen. ,,284 Damit ist bereits der entscheidende Unterschied zu der Auffassung Oberrnayers angesprochen. Stellt dieser maßgeblich auf ein subjektives Element des Erwerbstatbestandes (Willenserklärung des Kirchenmitglieds) ab, so kommt es nach der Gegenposition darauf an, ob der Zuziehende in der Kirche des Zuzugsortes auf das gleiche Bekenntnis wie bisher trifft oder nicht: Die Entscheidung über die Zulässigkeit der automatischen Eingliederung des Zuziehenden fällt im Rahmen eines Bekenntnisvergleichs. Nach dieser Auffassung ist allein darauf abzustellen, ob Bekenntnisidentität zwischen der Kirche des früheren und der Kirche des jetzigen Wohnsitzes vorliegt. Das Kriterium der Bekenntnisidentität ist für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Wechsels der Kirchenzugehörigkeit ausreichend, weil es der Tatsache Rechnung trage, "daß jeder Bekenntnisangehörige bei einem Umzug sein Bekenntnis behält". Da der Schutzbereich der negativen Religionsfreiheit gern. Art.4 Abs.l und 2 GG den Zuziehenden allein vor einer einseitigen Veränderung seines bisherigen Bekenntnisstatus schütze, genüge die Feststellung der (objektiven) Bekenntnisidentität, um den Verdacht einer verfassungswidrigen Zwangsmitgliedschaft auszuräumen.2 85 Ein weiterer Vorwurf gegen Oberrnayer ist, daß dieser das Kirchenmitgliedschaftsrecht auf unzulässige Weise vereinsrechtlichen Kategorien unterwerfe.2 86 Das Kirchenmitgliedschaftsrecht dürfe nicht an vereinsrechtlichen Maßstäben gemessen werden, weil es sich durch die Orientierung an Taufe und Bekenntnis vor allem an theologischen Kriterien ausrichten müsse. Schon hier wird deutlich, daß die beiden entgegengesetzten Positionen auf unterschiedlichen kategorialen Ebenen aufgebaut sind. So hält Oberrnayer den geforderten Be-

Rausch, 352. Rausch, 353. Ebd. 285 Meyer, a.a.O., 321 f.; Rausch, 355. 286 Rausch, 353; Axel v. Campen hausen in: HdbStKR Bd. 1,2. Aufl. 1994,774 Fn. 60; zu dem Vorwurf des vereinsrechtlichen Mitgliedschaftsverständnisses vgl. oben Abschnitt A.II.2. 282 283 284

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kenntnisvergleich, den er unerwähnt läßt, offenbar nicht für notwendig, ebensowenig untersucht er die Relevanz theologischer Bedenken im Zusammenhang mit seiner Forderung nach einer ausdrücklichen Willenserklärung des Kirchenrnitglieds. Es bleibt die Frage, ob dieses Vorgehen Obennayers gerechtfertigt ist, oder ob der Gegenposition, die § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG für uneingeschränkt verfassungs gemäß hält, zuzustimmen ist.

cc) BVerwG - Urt. v. 12.4.1991 287 Die Frage des Wechsels der Kirchenzugehörigkeit bei Zuzug aus dem Ausland hat schließlich auch zu einer neuen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts geführt. Die Klägerin in dem Verwaltungsstreitverfahren, das der Entscheidung v. 12.4.1991 zugrundeliegt, war dänische Staatsangehörige. Nach ihrer Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen übersiedelte sie 1975 nach Schleswig-Holstein in den Bereich der Nordelbischen Kirche. Bei ihrer Anmeldung vor der staatlichen Meldebehörde gab sie als Religionsbekenntnis "ev." an. Die Klägerin war Mitglied der dänischen Volkskirche und zahlte ihre Kirchensteuer zusammen mit der von dem Königreich Dänemark erhobenen Lohnsteuer. Sie war bis 1977 bei der skandinavischen Fluggesellschaft SAS beschäftigt. Seit 1979 ist die Klägerin vom Kirchenkreis Oldenburg i.H. der Nordelbischen Kirche zur Kirchensteuer herangezogen worden. Im Jahr 1981 erhob sie Klage vor dem VG Schleswig gegen die Heranziehung zur Kirchensteuer. Das VG Schleswig wies ihre Klage ab mit der Begründung, daß die Klägerin durch die Heranziehung zur Kirchensteuer weder in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs.1 GG noch in der negativen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs.1, 2 Abs. 1 GG verletzt sei. 288 Auf die Berufung der Klägerin hin hob das OVG Lüneburg die Entscheidung auf. 289 Das OVG Lüneburg berief sich auf die Unzulässigkeit einer automatischen Begründung der Kirchenzugehörigkeit samt Kirchensteuerpflicht der Klägerin durch die bloße Angabe ihrer Kon-

287 Die Entscheidung ist abgedruckt in ZevKR 36 (1991), 403-408 = NJW 1992, 1060 = DVBl. 1991, 1325 = NVwZ 1992, 66-67. Die Vorgeschichte des Verfahrens stellt Link in seinem (leider unveröffentlichten) Rechtsgutachten v. 19.5.1989 dar, das er im Auftrag des Kirchenamtes der Nordelbischen Kirche in diesen Rechtsstreit erstattet hat. Zum gleichen Ergebnis wie das BVerwG kommt jetzt auch der BFH in dem Urteil v. 18.1.1995 - I R 89/94 = ZevKR 40 (1995), 354-357) m. Anm. Meyer. 288 VG Schleswig Urt. v. 2.5.1983 - I A 249/81. 289 OVG Lüneburg Urt. v. 4.5.1988 - 13 A 64/86 = KirchE 26, 101. 12'

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fessionszugehörigkeit und verlangte eine verfassungskonfonne Auslegung der mitgliedschaftsrechtlichen Bestimmungen der NordeIbisehen Kirche. Die Revision des Kirchenkreises Oldenburg der NordeIbisehen Kirche hiergegen zum Bundesverwaltungsgericht hatte Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Revisionsentscheidung zwar anders als noch die Vorinstanzen - zu Recht eine echte Rückwirkung des EKDKMitgliedG auf bereits abgeschlossene Tatbestände der Vergangenheit verneint. Die Anknüpfung der Kirchenmitgliedschaft an den melderechtlichen Vorgang wird daher nicht auf § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG, sondern auf den insofern entsprechenden Art. 5 Abs.l der Kirchenverfassung der NordeIbisehen Kirche gestützt. Dies ist rechtlich jedoch im Ergebnis nicht von Bedeutung: Hier wie dort geht es um die Verfassungsmäßigkeit der Anknüpfung des Kirchenmitgliedschaftsrechts an die melderechtliche Angabe der Religionszugehörigkeit. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts, das sich auch - in ablehnender Weise mit den Thesen von Obennayer auseinandersetzt, ist dieser Vorgang am Maßstab des Art. 4 Abs.l und 2 GG zu messen. Nach Ansicht des Gerichts liegt keine Zwangsmitgliedschaft vor, wenn "der Kirchenangehörige durch die Taufe Kirchenmitglied geworden ist und sein Bekenntnis beibehalten hat, wenn zwischen der Kirche, die er verlassen hat, und der Kirche, in deren Gebiet er verzogen ist, Bekenntnisidentität besteht und er ferner jederzeit die Möglichkeit hat, seine Mitgliedschaft zu beenden".290 Über den Bekenntnisvergleich hinausgehende Anforderungen - etwa die Aufklärung des Zuziehenden über kirchensteuerrechtliehe Folgen seiner Erklärung oder eine zwischenkirchliche Vereinbarung - hält das BVerwG im Gegensatz zu Obennayer nicht für erforderlich. Vielmehr interpretiert das Gericht die einzige bisher ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kirchenmitgliedschaftsrecht vom 3l.3.1971 291 dahingehend, daß Bekenntnisidentität und die Möglichkeit jederzeitigen Austritts kumulativ gegeben sein müßten, um den automatischen Erwerb der Kirchenmitgliedschaft zu rechtfertigen. Das Gericht schließt sich damit der vorherrschenden Auffassung an und kommt zu dem Ergebnis, das die Anknüpfung der Kirchenmitgliedschaft an eine melderechtliehe Angabe (nunmehr § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG) verfassungsgemäß ist. 292

290 BVerwG ZevKR 36 (1991),403,407. 291 BVerfG Beschl. v. 31.3.1971 - 1 BvR 744/67 = BVerfGE 30, 415. 292 Der Entscheidung des BVerwG folgt auch der BFH in dem Urteil v. 18.1.1995 I R 89/95 = ZevKR 40 (1995), 354, 357.

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dd) Stellungnahme Die Kirchenmitgliedschaft muß grundsätzlich durch eine wirksame, dem Kirchenmitglied zurechenbare Willenserklärung begründet werden. Hierüber besteht grundsätzlich Einigkeit. Die verfassungsrechtliche Diskussion bezieht sich jedoch auf die Schlußfolgerungen, die sich aus dieser Feststellung für das Kirchenmitgliedschaftsrecht der EKD ergeben. Obermayer hält § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG für verfassungswidrig, weil der automatische Wechsel der gliedkirchlichen Zugehörigkeit in keiner Weise auf eine Willenserklärung des Kirchenmitgliedes zurückgeführt werden könne. Die Gegenposition hält eine Willenserklärung des Kirchenmitglieds in diesem Fall nicht für erforderlich, sondern sie stellt zwei andersartige Voraussetzungen für die Verfassungsmäßigkeit auf, die eine ausdrückliche Beitrittserklärung erübrigen sollen: die Bekenntnisidentität (oder weiter gefaßt Bekenntnisverwandtschaft293 ) und die Möglichkeit des jederzeitigen Kirchenaustritts. Es ist daher im folgenden zu untersuchen, ob diese bei den Tatbestandsmerkmale eine mitgliedschaftsbegründende Willenserklärung des Zuziehenden ersetzen können.

( 1) Bekenntnisvergleich

Der Verzicht auf eine Willenserklärung des Kirchenmitglieds wird damit begründet, daß bei dem Zuzug in eine bekenntnisverwandte Kirche prinzipiell keine zwangsweise Zuführung zu einem bestimmten Bekenntnis vorliegen könne. Diese Begründung stützt sich im wesentlichen auf eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes294 , der den Wechsel der kirchlichen Körperschaft bei gleichbleibendem Bekenntnis für grundrechtIich unbeachtlich erklärt hat. Da Art. 4 Abs.l und 2 GG lediglich das Bekenntnis des Kirchenmitglieds schützt, liegt nach Ansicht des BFH bei unveränderter Bekenntnissituation kein Grundrechtseingriff vor. In dieser Grundsatzentscheidung des BFH wird die automatische Eingliederung in eine Kirche eines verwandten Bekenntnisses aus dem Schutzbereich der Religionsfreiheit herausgenommen, der Bekenntnisvergleich wird

293 Rausch, 358 f. 294 BFH Urt. v. 23.2.1962 - VI 270/60 V = BStBl. III, 280 = BFHE 75, 31.

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zum allein maßgeblichen Kriterium für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer verfassungswidrigen Zwangsmitgliedschaft. 295 Die Durchführung des Bekenntnisvergleichs stößt auf erhebliche konstruktive und verfassungsrechtliche Probleme. In erster Linie erhebt sich die Frage nach der Zuständigkeit in Fragen der Bekenntnisverwandtschaft. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Bekenntnisvergleichs soll der Kirche des Zuzugsortes zustehen. 296 Die Stellungnahme der Kirchen zum Vorliegen der Bekenntnisverwandtschaft soll darüberhinaus im finanz- und steuergerichtlichen Verfahren Tatbestandswirkung entfalten. 297 Dies erscheint bedenklich insofern, als die von den Kirchen festgestellte Bekenntnisverwandtschaft einen Grundrechtseingriff ausschließen soll. Damit wird den Kirchen die Möglichkeit eingeräumt, über das Vorliegen eines unzulässigen Eingriffs in die Religionsfreiheit des Kirchenmitglieds mit Tatbestandswirkung für das Kirchensteuerverfahren zu entscheiden. Dieses Vorgehen kann nicht überzeugen. In Bekenntnisangelegenheiten können die Kirchen selbständig entscheiden, da diese Entscheidung in den Bereich der eigenen Angelegenheiten des Art. 140 GG i.V.m. 137 Abs.3 WRV fällt. Aus Art. 137 Abs.3 WRV ergibt sich jedoch gleichfalls die Bindung der Kirchen an das "für alle geltende Gesetz", also auch an die Grundrechte Dritter. Bei der Durchführung des Bekenntnisvergleichs haben die Kirchen diese Schranke zu beachten. Die Entscheidung, ob die Schrankenklausel in einem streitigen Einzelfall beachtet worden ist, kann nicht von den Kirchen, sondern nur von den

295 Charakteristisch für diese Ansicht ist die rechtlich ungenaue Formulierung einer "Fortsetzung der Kirchengliedschaft, die sich in der evangelischen Kirche des Zuzugsortes vollzieht" (Rausch, 355), der Umziehende "zieht nur von einer Wohnung in eine andere innerhalb des gleichen Hauses" (a.a.O., 357). Auf diese Weise soll unterstrichen werden, daß rechtlich gesehen keine relevante Veränderung des bisherigen Zustandes erfolgt durch den Umzug des Kirchenmitglieds - eine im Hinblick auf die rechtliche, organisatorische und bekenntnismäßige Eigenständigkeit der EKD-Gliedkirchen bedenkliche These. 296 Noch in der Weimarer Zeit hat das Preußische OVG den Bekenntnisvergleich eigenständig vorgenommen (prOVGE 52, 233 ff.; 52,244 ff.; 54, 208; 56, 271; 64,403, 415; 67, 284; 69, 297; 79,98; 83, 193); vgl. das bekannte "Kardorff'-Urteil des VGH Baden-Württemberg v. 31.3.1959, ZevKR 8 (1961162), 404 ff. = ESVGH 9,149 ff. und dazu die Gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 12.12. 1959, in: Smend (Hrsg.), Kirchenrechtliche Gutachten, 47 ff. Inzwischen schließen sich die staatlichen Gerichte im Hinblick auf den Neutralitätsgrundsatz und die Religionsfreiheit der Kirchen dem Urteil der Kirchen hinsichtlich des Vorliegens der Bekenntnisverwandtschaft an. 297 Rausch, 361.

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staatlichen Gerichten beurteilt werden. Die Gerichte haben sich dabei keineswegs darauf zu beschränken, ob "eine als rechtsverbindlich erklärte Stellungnahme von dem ordnungsgemäß bestellten kirchlichen Vertretungsorgan abgegeben wurde".298 Bestehen Anhaltspunkte dafür, daß eine zwangsweise, gegen Art. 4 Abs.l und 2 GG verstoßende Zuführung zu einem bestimmten Bekenntnis vorliegt, so hat das staatliche Gericht die kirchliche Stellungnahme auf die Einhaltung der Schrankenklausel hin zu überprüfen. Auf die erhebliche Unsicherheit der Gerichte in der Frage, ob der Bekenntnisvergleich der Kirchen für die staatliche Gerichtsbarkeit uneingeschränkte Bindungswirkung entfaltet, weisen verschiedene Entscheidungen des FG München hin. 299 Es steht außer Frage, daß die Kirchen die Ordnungsmäßigkeit des Bekenntnisvergleichs nach objektiv nachvollziehbaren Kriterien nachzuweisen haben. 3OO Dies muß auch gerichtlich nachprüfbar geschehen. Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, daß der Bekenntnisvergleich im Konfliktfallletztlich von den Gerichten unter Beachtung des kirchlichen Selbstverständnisses geprüft werden muß. Diese Problematik zeigt, daß die Durchführung des Bekenntnisvergleichs auf erhebliche konstruktive Schwierigkeiten stößt. Das Grundproblem der Rechtsprechung in der Vergangenheit, die Durchführung des Bekenntnisvergleichs durch staatliche Gerichte, ist bisher nicht wirklich überwunden worden. Wenn dem Bekenntnisvergleich entscheidende Bedeutung für die Verfassungsmäßigkeit der Eingliederung des Kirchenmitglieds zukommt, so kann diese grundrechtsrelevante Frage nicht gänzlich der Beurteilung staatlicher Gerichte entzogen werden. Die Feststellung der Bekenntnisverwandtschaft durch staatliche Gerichte wiederum setzt im Bereich der evangelischen Kirchen tiefgreifende theologische Bewertungen voraus, die von einem staatlichen Gericht kaum geleistet werden können. Darüberhinaus stellt sich aus staatskirchenrechtlicher Sicht die Frage, ob die staatlichen Gerichte im Hinblick auf die Kompetenzverteilung im Verhältnis zwischen Staat und Kirche überhaupt zu derartigen Eingriffen in das

298 Ebd. 299 FG München, Vorbescheid v. 15.9.1986 - VII (XIII) 193/84 Ki und Vorbescheid v. 23.3.1987 - VII (XIII) 77/84 Ki, wo das Gericht eigenständige Erwägungen zum Tatbestandsmerkmal "evangelisch" anstellt. 300 Dies räumt auch Rausch, 363, ein, obwohl er dem kirchlichen Urteil zuvor "Tatbestandswirkung" zugesprochen hat und das Kirchenmitglied nach seiner Ansicht die "Rechtswirkung des Bekenntnisses nicht prinzipiell bestreiten kann". Dennoch vertritt auch Rausch die Ansicht, daß die Kirche die Ordnungsmäßigkeit des Bekenntnisvergleichs nachzuweisen habe (ebd.). Die entscheidende Frage des quis iudicabit? läßt er dabei allerdings unbeantwortet.

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kirchliche Selbstbestimmungsrecht des Art. 140 GG i.V.m Art. 137 Abs.3 WRV befugt sind. Eine solche Befugnis kann sich allenfalls daraus ergeben, daß die staatlichen Gerichte jedenfalls dann auch in den Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirchen eingreifen können, wenn es um den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung oder der Rechte Dritter geht. Dennoch ist die praktische Durchführung des Bekenntnisvergleichs mit erheblichen Zweifeln belastet. Noch erheblicher sind die verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen eine Zuordnung Zuziehender zu einer Gliedkirche allein aufgrund der objektiven Bekenntnisverwandtschaft sprechen. Neben der rechtlich unumgänglichen Nachprüfung des kirchlichen Bekenntnisvergleichs durch staatliche Gerichte bestehen auch Bedenken gegen eine derartige Zuordnung im Hinblick auf die in Art. 4 Abs.l und 2 GG geschützte Religionsfreiheit des zuziehenden Kirchenmitglieds. Zur Begründung der Kirchenmitgliedschaft ist ein auf den Mitgliedschaftserwerb gerichteter Wille des Kirchenmitglieds als subjektive Tatbestandsvoraussetzung erforderlich (s.o.). Die automatische Zuordnung des Kirchenmitglieds aufgrund rein objektiver Bekenntnisverwandtschaft kann folglich nur dann zulässig sein, wenn in dem Bekenntnis zur bisherigen Kirche eine rechtserhebliche Willenserklärung mit dem Inhalt zu sehen ist, auch der (bekenntnisverwandten) Kirche des Zuzugsorts künftig angehören zu wollen. Die vorherrschende Ansicht unterstellt das Vorliegen einer solchen Willensrichtung und betont die Kontinuität des durch Art. 4 Abs.l und 2 GG geschützten Bekenntnisses des Kirchenmitglieds. Der Wechsel der gliedkirchlichen Zugehörigkeit sei in diesen Fällen kein Wechsel des Bekenntnisses und daher grundrechtlich unerheblich. Hierfür wird zur Begründung zumeist auf die bereits erwähnte Entscheidung des BFH301 aus dem Jahr 1962 Bezug genommen, wonach "für die Landeskirchensteuerpflicht nicht die kirchenrechtliche Mitgliedschaft, sondern die Zugehörigkeit zum Bekenntnis der besteuernden Kirche" entscheidend sein soll.302 Diese Formulierung ist in dieser Form kaum halt-

301 BFH Urt. v. 23.2.1962 - VI 270/60 U = BStB!. III, 280 = BFHE 75,31. 302 Diese Entscheidung hat in der Rechtsprechung offenbar zu Verunsicherung geführt. So hat das FG München in mehreren Kirchensteuerverfahren auf die Feststellung verzichtet, ob und gegebenenfalls in welcher Kirche eine Mitgliedschaft begründet wurde. Stattdessen hat das FG München die Bekenntnisverwandtschaft von bisheriger Kirche und Wohnsitzkirche(n) genügen lassen, um die Kirchensteuerpflicht zu bejahen. Dies hat dazu geführt, daß einige Entscheidungen nicht einmal die steuerberechtigte Kirche des Verfahrens benennen konnten, sondern hilfsweise die Kirchensteuerpflicht gegenüber einer anderen Kirche feststellen. Daß dies rechtlich überhaupt zulässig war,

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bar. Die Kirchensteuerurteile des BVerfG aus dem Jahr 1965 303 geben deutlich zu erkennen, daß die Kirchensteuer nur als Mitgliedersteuer zulässig ist. Die Kirchensteuergesetze der Länder erlauben demzufolge allein eine Besteuerung der Kirchenmitglieder (Kirchenangehörigen)304, das "Bekenntnis" ist für die Besteuerung hingegen jedenfalls dann unbeachtlich, wenn im Einzelfall keine Kirchenmitgliedschaft festgestellt werden kann. Aus der Tatsache, daß das Kirchenmitglied im Ausland einer evangelischen Kirche angehört hat, kann jedenfalls dann keine willentliche Zustimmung zu einer automatischen Zuordnung zu der bekenntnisverwandten Kirche des neuen Wohnortes abgeleitet werden, wenn das Kirchenmitglied nicht nach dem Recht seiner bisherigen Heimatkirche zur Fortsetzung der Kirchenmitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche verpflichtet ist. Eine derartige Verpflichtung kann sich nur aus einer rechtsverbindlichen Erklärung des Kirchenmitglieds ergeben. Für eine derartige Verpflichtung des Kirchenmitglieds kommen grundsätzlich zwei Möglichkeiten in Betracht: l. Das Bestehen einer auch für das Kirchenmitglied rechtsverbindlichen Vereinbarung zwischen der bisherigen Kirchen und der EKD bzw. deren Gliedkirche(n). Eine solche Vereinbarung muß ausdrücklich den gegenseitigen Wechsel der Mitglieder bei Umzug auf das Gebiet der jeweils anderen Kirche vorsehen. Hiergegen wird vielfach eingewandt, daß eine zwischenkirchliche Vereinbarung nicht die einzelnen Kirchenmitglieder binden könne. 305 Dieser Einwand geht jedoch in der Sache fehl und widerspricht überdies der ausdrücklich in § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG getroffenen Regelung, wonach im Falle einer zwischenkirchlichen Vereinbarung die Kirchenmitgliedschaft (unmittelbar) nach den Bestimmungen der Vereinbarung erworben wird. Nicht durch die Vereinbarung werden die einzelnen Mitglieder gebunden, sondern indem sie sich durch Eintritt bzw. Mitgliedschaft in einer Kirche deren rechtlichen Bestimmungen als

ist allein der Finanzgemeinschaft zwischen den betroffenen Kirchen, der Evang.-ref. und der Evang.-Iuth. Kirche in Bayern zu verdanken. Kritik an dieser "alternativen" Feststellung der Kirchenmitgliedschaft in finanzgerichtlichen Kirchensteuerverfahren äußert auch Meyer, ZevKR 33 (1988),313 f. 303 BVerfGE 19,206,216; 19,226,235 ff.; 19,242,247. 304 Vgl. z.B. § 3 KiStG Baden-Württemberg, Art. 2 Abs.l KiStG Bayern; § 2 KiStG Hamburg; § 1 Abs.l KiStG Schleswig-Holstein. 305 So ausdrücklich BVerwG Urt. v. 12.4.1991 = ZevKR 36 (1991), 403, 407. Dagegen kommt das FG München zu einer unmittelbaren Anwendung der zwischenkirchlichen Vereinbarung der EKD mit der EV.-Luth. Kirche Finnlands auf den Mitgliedschaftserwerb in dem Urteil v. 21.3.1995 - 13 K 2958/94 = ZevKR 41 (1996),87 f.

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einer Art "Satzungsgewalt" unterwerfen. Zu den rechtlichen Bestimmungen gehören auch die Vereinbarungen, die zwischen den Kirchen über den Wechsel ihrer Einzelmitglieder geschlossen werden. Die bloße Feststellung der Kirchengemeinschaft reicht hierzu nicht aus. Auch wenn derartige Dokumente wie z.B. die Leuenberger Konkordie einen eindrucksvollen Nachweis der bekenntnismäßigen Verbundenheit der reformatorischen Kirchen darstellen, genügt dies in keiner Weise, um daraus eine rechtliche Verpflichtung des Kirchenmitglieds abzuleiten, sich der entsprechenden Kirche im Ausland anzuschließen. 2. Wenn eine derartige zwischenkirchliche Vereinbarung nicht festgestellt werden kann, wie dies vor allem in den skandinavischen Staatskirchen, die am Abschluß solcher Vereinbarungen aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert sind, der Fall ist, kann sich eine Verpflichtung des Kirchenmitglieds zur Fortsetzung der Kirchenmitgliedschaft im Ausland auch aus Gewohnheitsrecht ergeben. 306 Für die Annahme eines auch die Einzelmitglieder der anderen Kirchen bindenden Gewohnheitsrechts ist von Bedeutung, ob die Kirchen einen derartigen Austausch von Mitgliedern auf Gegenseitigkeitsbasis mit der EKD bzw. deren Gliedkirchen praktizieren. 307 Ist dies nicht der Fan, so kann ein kirchliches Gewohnheitsrecht, an das die bisherigen Mitglieder ausländischer evangelischer Kirchen allein aufgrund ihrer bisherigen Kirchenmitgliedschaft gebunden wären, nicht angenommen werden. Besteht keine rechtliche Verpflichtung aufgrund der bisherigen Zugehörigkeit zu einer evangelischen Kirche im Ausland, sich der EKD-Gliedkirche des neuen Wohnortes anzuschließen, so kann eine automatische Eingliederung des Zuziehenden im Bereich der EKD nur dann zulässig sein, wenn eine rechtserhebliche Willenserklärung des Zuziehenden vorliegt, die seinen Willen, der evangelischen Kirche seines neuen Wohnortes angehören zu wollen, klar und deutlich zum Ausdruck bringt. Eine solche Willenserklärung kann allerdings nicht aus der

306 Hierauf weist neuerdings Engelhardt, NVwZ 1992, 240 zu Recht hin.

307 Dies ist zumindest bei der Dänischen Volkskirche (vgl. BVerwG Urt. v. 21.4. 1991, ZevKR 36, 1991,403-408) nicht der Fall, da diese gern. § 5 des Lov om Folkekirken (Gesetz über die Volkskirche) als Mitglied nur in Anspruch nimmt, wer I) in der dänischen eV.-luth. Volkskirche getauft ist oder wer 2) außerhalb der dänischen Volkskirche eV.-luth. getauft ist, aber sich später einer Gemeinde der dänischen Volkskirche anschließt oder wer 3) sich zum christlichen Glauben' bekennt und sich später der dänischen Volkskirche anschließt (Übertritt). Eine automatische Eingliederung von ausländischen Lutheranern kennt das dänische Recht demnach nicht.

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bloßen Tatsache geschlossen werden, daß der Zuziehende im Ausland bereits einer evangelischen Kirche angehört hat. Dies zeigt sich u.a. bei fortbestehenden Mitgliedschaften in einer evangelischen Kirche des Auslands. So besteht z. B. die Mitgliedschaft in der Dänischen Volks kirche fort, wenn sich deren Mitglieder nur "midlertidigt" (zeitweilig) im EKD-Bereich aufhalten. 308 Es ist schwerlich erkennbar, daß neben der aufrechterhaltenen Mitgliedschaft zur bisherigen Kirche eine weitere Mitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche bestehen soll. Eine Doppelmitgliedschaft ist nach Inkrafttreten des EKD-KMitgliedG am 1.1.1978 nicht mehr möglich, weil der Anschluß an eine andere evangelische Kirche im Bereich der EKD die Mitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche ausschließt (§ § I Abs.l, 8 Abs.l S.2 EKDKMitgliedG). Die vorherrschende Ansicht muß trotz Mitgliedschaft in einer anderen Kirche aufgrund Bekenntnisverwandtschaft den Erwerb der Mitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche annehmen, sobald sich der Zuziehende - durchaus zutreffend - gegenüber der staatlichen Meldebehörde als "evangelisch" bezeichnet hat. Tatsächlich kann die fortbestehende Mitgliedschaft in der Dänischen Volkskirche nur dahingehend verstanden werden, daß der Zuziehende gerade nicht der EKD-Gliedkirche des Zuzugs ortes zugeordnet werden

308 Vgl. den § 1 Erlaß Nr. 300 des Dänischen Kirchenministeriums v. 20.5.1987: § J Abs.1: Medlemskab aJ Jolkekirken bevares under midlertidigt ophold i udlandet. Die Mitgliedschaft in der dänischen Volkskirche wird während eines zeitweiligen Aufenthaltes im Ausland gewahrt. - § 1 Abs.2: Fr;lgende personer anses Jor at have midlertidigt ophold i udlandet -Bei folgenden Personen ist der Aufenthalt im Ausland als "zeitweilig" anzusehen - Nr.1: Personer, der er ansat iden danske stat og beordret til tjeneste uden Jor riget, samt personer, der er udsendt Jor at Jorelle tjeneste i udlandet som ansat aJ dansk aJ en dansk offentlig myndighed eller hjrelporganisation eller aJ en hervrerende privat virksomhed eller Jorening - Personen, die vom dänischen Staat angestellt sind und zum Dienst außerhalb des Königreiches abgeordnet sind, sowie Personen, die von einer dänischen öffentlichen Behörde, Hilfsorganisation oder einer hiesigen privaten Firma oder einem privaten Verein zum Dienst ins Ausland geschickt worden sind. - (... ) Nr.4: Personer, der opholder sig i udlandet i uddannelsesr;jemed - Personen, die sich zu Ausbildungszwecken im Ausland aufhalten - ( ... ) Nr.6 Personer, der opholder sig i udlandet, og som i henseende til tilknytning til riget danske ma sidestilles med de under 1-5 nrevnte personer - Personen, die sich im Ausland aufhalten und die hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zum dänischen Königreich den unter Nr.I-5 genannten Personen gleichgestellt sind. Herrn Dr. Blaschke, Präsident des Kirchenamtes der Nordelbischen EV.-Luth. Kirche, danke ich für die Überlassung des Dänischen Gesetzestextes.

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wi11. 309 Zu weIchen Ergebnissen hingegen die vorherrschende Ansicht führen kann, verdeutlicht eine neuere Entscheidung des FG Köln. 310 Die Antragsteller waren mit ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland Mitglieder der EKD sowie der Evang.-Luth. Kirche Schleswig-Holstein (jetzt Nordelbien) geworden. 311 Gleichzeitig hatten sie sich der Schwedischen Gustav Adolfs Kyrkan in Hamburg angeschlossen. Das FG Köln stellt fest, daß aus der Formulierung des § 9 Abs. 1 lit.b EKD-KMitgliedG ("wenn sie bisher Mitglieder einer evangelischen Kirche oder Religionsgemeinschaft im Ausland waren") nicht gefolgert werden könne, daß die Mitgliedschaft in der Kirche im Ausland beendet sein muß.312 Darüberhinaus legt das FG Köln § 1 Abs.l EKD-KMitgliedG, wonach die Kirchenmitgliedschaft im Bereich der EKD nur erworben wird, wenn der Betroffene nicht einer anderen "am gleichen Ort befindlichen evangelischen Kirchengemeinde anderen Bekenntnisstandes" angehört, dahingehend aus, daß dies grundsätzlich nicht (!) eine gleichzeitig bestehende Kirchenmitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche und in einer EKD-angehörigen evangelischen Kirchengemeinde ausschließe. Neben der unzutreffenden Anwendung des EKD-KMitgliedG auf einen Sachverhalt, der bereits vor Inkrafttreten des EKD-KMitgliedG abgeschlossen war, begegnet diese Entscheidung noch weiteren Zweifeln. Eine "Doppelmitgliedschaft" in mehreren EKD-Gliedkirchen gleichzeitig ist ausgeschlossen. 313 Es bestehen aufgrund der Entstehungsgeschichte des EKD-KMitgliedG erhebliche Zweifel, ob für das Verhältnis zwischen Mitgliedschaft in einer ausländischen Kirche und Mitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche anderes zu gelten hat. 314 Auch der vom FG Köln als weiteres Argument herangezogene § 1 Abs.2 S.2 EKD-KMitgliedG belegt nicht, daß eine echte Doppelmitgliedschaft im Bereich der EKD zulässig ist. § 1 Abs.2 S.2 EKD-KMitgliedG betrifft lediglich "besondere mitgliedschaftliehe Zuordnungen" zu zwei verschiedenen Kirchengemeinden, ohne daß zwei Mitglied-

309 Vg!. Engelhardt, NVwZ 1992,240. 310 FG Köln Besch!. v. 13.3.1987 - II A 413/86 = KirchE 25, 57. 311 Das FG Köln bejaht fälschlich die Vorausetzungen des § 9 Abs.1 lit.b EKDKMitgliedG, obwohl der Zuzug bereits 1973 und damit vor Inkrafttreten des EKDKMitgliedG erfolgt ist (FG Köln, a.a.O., 62). Richtig wäre die Anwendung der damals in Schleswig-Holstein geltenden gliedkirchlichen Bestimmungen gewesen. 312 FG Köln, a.a.O., 62. 313 Vg!. die Gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 3.12.1981 (abgedruckt bei: Axel v. CampenhausenlJ. Christoph (Hrsg.), Göttinger Gutachten, 6, 16) im Anschluß an Erik Wolf, Ordnung der Kirche, 581. 314 Vg!. die Gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrecht!. Instituts der EKD, a.a.O., 16 ff.

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schaften im rechtlichen Sinne nebeneinander bestehen können. 315 Bei der Annahme einer echteri Doppelmitgliedschaft kann es zum Problem der Doppelbesteuerung kommen. Aus diesem Grund muß die Mitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche ausgeschlossen sein, wenn auch nach dem Zuzug in die Bundesrepublik die Kirchenmitgliedschaft in einer anderen Kirche fortbesteht. Deshalb sind z.B. Angehörige der Ev.-Luth. Dänischen Kirche in Südschleswig e.V., die ihren Wohnsitz im Bereich der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche haben, von der Kirchensteuerpflicht befreit. 316 Das zuziehende Kirchenmitglied kann außerdem möglicherweise der Auffassung sein, daß mit dem Wegzug aus dem Territorium der bisherigen Kirche die Kirchenmitgliedschaft insgesamt erlischt, ein Kirchenaustritt damit überflüssig ist. Im Hinblick auf die in Art. 4 Abs.l und 2 GG geschützte Religionsfreiheit des zuziehenden Kirchenmitglieds erscheint es äußerst fragwürdig, ohne Rücksicht auf einen derartigen, der Kirchenmitgliedschaft entgegenstehenden Willen den Zuziehenden aufgrund eines formalen Bekenntnisvergleichs einer EKDGliedkirche zuzuordnen, solange er nicht ausdrücklich seinen entgegenstehenden Willen erklärt hat. Diese Fälle belegen, daß die Annahme einer freiwilligen Begründung der Kirchenmitgliedschaft im Falle des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG bei Zuzug aus dem Ausland nicht mehr als eme gesetzliche Fiktion ist. Das einseitige Abstellen auf den Bekenntnisvergleich führt dazu, daß die neue Kirchenmitgliedschaft nicht auf eine gegenwärtige Willensentscheidung des Zuziehenden, sondern auf das rein objektive Faktum der bisherigen Zugehörigkeit zu einer bekenntnisverwandten Kirche zurückgeht. Die Zuordnung des Kirchenmitglieds zu einer EKD-Gliedkirche ohne Abgabe einer auf den Kirchenmitgliedschaftserwerb gerichteten Willenserklärung setzt das Bestehen einer freiwillig eingegangenen Rechtspflicht des Kirchenmitglieds voraus, sich automatisch in die Kirche des neuen Wohnortes eingliedern zu lassen. Eine solche Rechtspflicht kann nur durch Einwilligung des Kirchenmitglieds rechtswirksam begründet werden. Eine derartige Einwilligung des Kirchenmitglieds liegt auch in den Fällen des § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG vor, weil das Kirchenmitglied sich durch die Mitgliedschaft in der bisherigen Kirche deren Rechtsgewalt unterworfen und damit auch der zwischenkirchlich vereinbarten Regelung des Mitgliederwechsels zugestimmt hat. Bestehen keine derartigen zwischen-

315 A.a.O., 20. 316 Vgl. Kirchensteuerrichtlinien 1992 der NEK, Abschnitt III Ziffer 8 (abgedruckt bei Blaschke (Hrsg.), Kirchensteuerrecht, 73.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

kirchlichen Vereinbarungen zwischen der EKD und der Kirche des bisherigen Wohnortes, so darf keine einseitige Eingliederung des Kirchenmitglieds allein aufgrund formaler Bekenntnisverwandtschaft erfolgen. Der Bekenntnisvergleich führt zu einer kirchlichen Pflichtmitgliedschaft kraft Bekenntnisverwandtschaft, die ohne das Hinzutreten einer rechtserheblichen, dem Mitgliedschaftserwerb zustimmenden Willenserklärung des Zuziehenden gegen Art. 4 Abs.l und 2 GG verstößt und deshalb verfassungswidrig ist. Im Hinblick auf den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz ist auch zu bezweifeln, ob die Zuordnung zu einer EKD-Gliedkirche aufgrund eines verwandten Bekenntnisses den Mindestanforderungen rechts staatlicher Bestimmtheit entspricht. Werden Bekenntnisverwandte von den Gliedkirchen zur Kirchensteuer herangezogen, so scheint dies angesichts kaum bestehender objektivierbarer Maßstäbe, wann Bekenntnisverwandtschaft anzunehmen ist, kaum hinreichend bestimmt zu sein, um die Steuerpflicht des Kirchenmitglieds begründen zu können. Ergebnis: Der von der Kirche des Zuzugsortes durchzuführende Bekenntnisvergleich kann den auf den Mitgliedschaftserwerb gerichteten Willen des Kirchenmitglieds als subjektive Tatbestandsvoraussetzung nicht ersetzen. Die Kirche des Zuzugsortes kann den Zuziehenden nicht einseitig aufgrund des Bekenntnisvergleichs zu ihrem Mitglied erklären, wenn dieser nicht konkludent oder ausdrücklich in rechtserheblicher Weise zum Ausdruck gebracht hat, dieser Kirche künftig angehören zu wollen.

(2) Mitgliedschaftsrechtliche Bedeutung der Leuenberger Konkordie Offenbar als Ausdruck begründeter Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit des Bekenntniskriteriums sind neuere Versuche im Schrifttum zu verstehen, der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie) von 1973 mitgliedschaftsrechtliche Bedeutung zu verleihen. 317 Die zwischenkirchliehe Geltung der Leuenberger Konkordie soll den Abschluß mitgliedschafts-

317 Axel v. Campenhausen in: Festschrift für U. Scheuner, 53 ff.; ders. in: HdbStKR Bd. 1,2. Aufl. 1994,755,775 u. Fn. 64; Rausch, 374; Stiller, ZevKR 40 (1995), 181, 211 ff.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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rechtlicher Vereinbarungen entbehrlich machen. 318 Schon aufgrund der Entstehungsgeschichte des EKD-KMitgliedG kann diese Auffassung kaum überzeugen. 319 Kaum überzeugend ist auch die Behauptung, daß sich "der Abschluß von Vereinbarungen zwischen den Kirchen, die die Leuenberger Konkordie unterzeichnet haben", erübrige. 320 Es stellt sich dann nämlich die Frage, für welche Fälle § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG, der den Abschluß einer rechtsförmlichen Vereinbarung verlangt, konzipiert ist. Diese Regelung wäre weitgehend überflüssig, wenn man die außerordentliche hohe Zahl reformatorischer Kirchen bedenkt, die sich inzwischen der Leuenberger Konkordie angeschlossen haben. 321 Die Leuenberger Konkordie kann nur den Abschluß rechtsförmli-

318 Axel v. Campenhausen, Festschrift für U. Scheuner, 53, 65. Diese Ansicht vertreten auch Link, Rechtsgutachten über die Verfassungsmäßigkeit einer Kirchgelderhebung in glaubensverschiedener Ehe durch die NordeIbisehe Kirche sowie über die Kirchenmitgliedschaft zuziehender evangelischer Ausländer v. 19.5.1989 (unveröffentlicht), S. 22 und Scharbau, ZevKR 40 (1995), 320, 343. Bei Zugrundelegung dieser Ansicht bleibt fraglich, warum man die Aufnahme mitgliedschaftsrechtlicher Bestimmungen in die Vereinbarung mit der Ev.-Luth. Kirche in Italien v. 27.2./28.4.1989 (§ 17 des Vertrages mit der EKD, ABI. EKD 1989,250 f.; entsprechende Bestimmungen enthalten auch die Vereinbarungen mit der finnischen Kirche v. 20.5.1977 sowie den evangelischen Kirchen in Frankreich v. 26.3./10.8.1993) für erforderlich hielt, obwohl diese Kirche bereits zu den Unterzeichnern der Leuenberger Konkordie zählt. 319 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, daß ein Änderungsvorschlag der Badischen Landeskirche v. 27.6.1975 die Einbeziehung der Leuenberger Konkordie in das Mitgliedschaftsrecht beinhaltet hat (Schreiben des Evang. OKR an die Kirchenkanzlei der EKD v. 27.6.1975/ Az. 15/63 (15/34) - 7599/75 / S. 2). Auf der Sitzung des Rechtsausschusses der Arnoldshainer Konferenz am 20./21.8.1975 in Hofgeismar wurde dieser Vorschlag jedoch mit der Begründung verworfen, daß "die Leuenberger Konkordie keine praktikable Grundlage bilden" könne (Anl. 2 zum Rd.-Schr. der Kirchenkanzlei der EKD v. 11.9.1975 / Az. 0152/ 1.21/ S. 11). Der damals zuständige Referent der EKDKirchenkanzlei, OKR Nuyken, äußerte zudem Bedenken, "ob wegen der mangelnden Differenzierung diese Formulierung Anerkennung im staatlichen Bereich finden würde." Die Bezugnahme auf die Leuenberger Konkordie wurde deshalb fallengelassen (vgl. den ausführlichen Sitzungsbericht, a.a.O.). 320 So aber Rausch, 378; Link, Rechtsgutachten über die Verfassungsmäßigkeit einer Kirchgelderhebung in glaubensverschiedener Ehe durch die Nordeibisehe EvangelischLutherische Kirche sowie über die Kirchenmitgliedschaft zuziehender evangelischer Ausländer" v. 19.05.1989 (unveröffentlicht), S. 22; Axel v. Campenhausen, Festschrift für U. Scheuner, 63. 321 49 Kirchen haben der Leuenberger Konkordie schon vor deren Inkrafttreten am 1.1 0.1974 zugestimmt (vgl. SchiefJer, 628); im Jahr 1990 hatten 81 Kirchen unterzeichnet (vgl. LohfJ, Art. "Leuenberger Konkordie", TRE Bd. 21,33 ff.). An der Unterzeichnung sind die meisten skandinavischen Kirchen aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

cher Vereinbarungen ersetzen, wenn ihr der gleiche rechtliche Regelungsgehalt zukommt, der mit dem Erlaß einer rechtsförmlichen Vereinbarung intendiert ist. Eben dies ist nicht der Fall. Die Leuenberger Konkordie ist als Konkordie nicht mehr als der "Versuch einer gemeinsamen bekenntnismäßigen Aussage getrennter Kirchen"322. Sie hat die bestehende Bekenntnisgemeinschaft der reformatorischen Kirchen schriftlich fixiert, ohne daraus Konsequenzen für einen organisatorischen Zusammenschluß der Kirchen zu ziehen. 323 Kirchenrechtlich steht in der Konkordie die Vereinbarung der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft im Vordergrund, damit verbunden die gegenseitige Anerkennung der Ordination und der Interzelebration. 324 Regelungen von unmittelbar kirchenrechtlichem, geschweige denn mitgliedschaftsrechtlichem Interesse sind weder intendiert noch werden derartige Aussagen durch die Konkordie getroffen. Die Leuenberger Konkordie kann deshalb auch nicht die Mitglieder der unterzeichnenden Kirchen unmittelbar verpflichten, sich bei einem Zuzug in das Gebiet der EKD automatisch in eine EKD-Gliedkirche eingliedern zu lassen. Eine solche rechtliche Verpflichtung der Kirchenmitglieder kann nur durch eine rechtsförmliche Vereinbarung oder durch eine wirksame Willenserklärung des Kirchenmitglieds begründet werden. 325 Im Gegensatz zu den rechtsförmlichen Vereinbarungen nach § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG wird durch die Leuenberger Konkordie mir das Verhältnis der Kirchen untereinander geregelt, ohne daß dies die Rechte und Pflichten der Kirchenmitglieder erweitern oder beschränken könnte. Für die Leuenberger Konkordie (und nicht für die rechtsförmlichen Vereinbarungen nach § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG, wie das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht meint326), gilt daher, daß sie allein "das Verhältnis der Kirchen zueinander [berührt], ... aber unter dem Blickwinkel einer rechtlich unzulässigen Zwangsmitgliedschaft des betroffenen Kirchenmitglieds rechtlich unerheblich"

322 Axel v. Campenhausen, Festschrift für U. Scheuner, 63. 323 Rausch, 377.

324 Vgl. Leuenberger Konkordie Abschnitt Ziffer 33.: "Sie [die der Konkordie zustimmenden Kirchen] gewähren einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Diese schließt die gegenseitige Anerkennung der Ordination und die Ermöglichung der Interzelebration ein", vgl. dazu auch Rausch, 376. 325 Engelhardt, NVwZ 1992, 239, 240; ähnlich Wendt, Die Rechtsstellung des Gemeindeglieds, 31 Fn.17 ("Für einen Mitgliedschaftserwerb durch ausdrückliche Erklärung des Zugezogenen spricht auch bei vorhandener Bekenntnisidentität die möglicherweise strukturelle Verschiedenheit zwischen einer evangelischen Religionsgemeinschaft im Ausland mit Personalgemeinden und der Volkskirchenstruktur der Landeskirchen in Deutschland", H. d. V.). 326 Vgl. dazu oben die Ausführungen zu § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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iSt. 327 Die Leuenberger Konkordie vermittelt also keine ausreichende rechtliche Grundlage für die automatische Erfassung Zuziehender aus dem Ausland. 328 Sie kann allenfalls als ein Indiz für das rechtliche Tatbestandsmerkmal "(evangelisches) Bekenntnis" im Kirchenmitgliedschaftsrecht herangezogen werden.

(3) Meldebehördliche Angabe Als eine die automatische Erfassung Zuziehender rechtfertigende Willenserklärung, die auf den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft gerichtet ist, könnte jedoch die Angabe der Religionszugehörigkeit gegenüber der staatlichen Meldebehörde329 zu bewerten sein. § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG stellt die meldebehördliche Angabe der Konfessionszugehörigkeit der Anmeldung des Zuziehenden bei der kirchlichen Stelle (§ 9 Abs.l EKD-KMitgliedG) gleich. Die meldebehördliche Angabe könnte daher als eine Erklärung des Willens in Betracht kommen, der Kirche des Zuzugsortes künftig anzugehören. Die Frage, ob die

327 BVerwG v. 12.4.1991 - 8 C 62.88 (ZevKR 36 (1991), 403, 407) zur rechtlichen Wirkung mitgliedschaftsrechtlicher Vereinbarungen. Ein Blick in die Vereinbarungen zwischen der EKD und der Kirche Finnlands (vgI. Ziffer 1 der Vereinbarung, ABI. EKD 1977,373) sowie zwischen der EKD und der Ev.-Luth. Kirche Italiens (vgI. § 17 des Vertrages, ABI. EKD 1989, 250 f.) hätte hier genügt, um die rechtliche Bedeutung der Vereinbarungen nach § 9 Abs.2 EKD-KMitgliedG für die einzelnen Kirchenmitglieder zutreffend zu würdigen. Mit der anschließenden Bezugnahme auf die rechtliche (!) Bedeutung der Leuenberger Konkordie (BVerwG, a.a.O.) wird das tatsächliche Verhältnis zwischen der Konkordie und den mitgliedschaftsrechtlichen Vereinbarungen durch das BVerwG in sein Gegenteil verkehrt. Das BVerwG bezieht sich in seiner Entscheidung im übrigen schon deshalb zu Unrecht auf die - angeblich - mitgliedschaftsrechtliche Bedeutung der Leuenberger Konkordie, weil die (dänische) Herkunftskirche der Klägerin die Konkordie bis jetzt nicht unterzeichnet hat. 328 Kaum bedacht wurde bisher die Frage, ob die mitgliedschaftsrechtliche Wirkung der Leuenberger Konkordie nicht Gegenseitigkeit voraussetzt. Es ist nicht ersichtlich, daß gegenwärtig eine der ausländischen Unterzeichnerkirchen der Leuenberger Konkordie zuziehende deutsche evangelische Christen automatisch als Mitglieder in Anspruch nimmt. Inkonsequent ist jedenfalls, ein derartiges Recht nur "für die nordischen lutherischen Kirchen und wenige andere Kirchen" anzunehmen (Scharbau, ZevKR 40 (1995), 320, 343). Wenn der Leuenberger Konkordie mitgliedschaftsrechtliche Bedeutung zukommen soll, muß dies für alle Unterzeichner gelten. Die von Scharbau geforderten multilateralen und bilateralen Vereinbarungen müßten nach seiner Ansicht eigentlich überflüssig sein. 329 VgI. § 2 Abs.l Nr.ll MRRG sowie die entsprechenden Vorschriften der Landesrneidegesetze, z.B. § 3 Abs.l Nr.ll i.V.m § 32 MeldeG NW. 13 Haß

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Angabe gegenüber einer staatlichen Meldebehörde als Erklärung des Beitrittswillens gegenüber einer EKD-Gliedkirche verstanden werden kann, erfordert die Klärung der Rechtsnatur der meldebehördlichen Konfessionsangabe. 330 Die melde behördliche Angabe könnte als Willenserklärung anzusehen sein. Willenserklärung ist die Kundgabe des Willens, durch die Erklärung eine bestimmte Rechtsfolge herbeiführen zu wollen. Der Zuziehende gibt seine Konfession gegenüber der staatlichen Meldebehörde jedoch als reine Auskunft über seinen konfessionellen Status an, ohne daß damit die Herbeiführung irgendeiner konkreten Rechtsfolge beabsichtigt ist. Damit handelt es sich hier um eine bloße Auskunft und Wissenserklärung, es fehlt der Rechtsfolge- bzw. Geschäftswille des Zuziehenden. Handelt es sich hier um eine bloße Auskunft des Zuziehenden, so spricht dies gegen die Annahme einer Willenserklärung. Gegen die Einordnung als Willenserklärung ist ebenso anzuführen, daß der Adressat der Konfessionsangabe nicht etwa die Kirche, sondern die staatliche Meldebehörde ist. Die meldebehördliche Angabe kann aber nicht zugleich Auskunft gegenüber der Meldebehörde und Willenserklärung gegenüber der Kirche sein. Aus diesem Grund ist anzunehmen, daß die meldebehördliche Konfessionsangabe nicht als Willenserklärung angesehen werden kann. 331 Wenn die meldebehördliche Konfessionsangabe nicht als Willenserklärung anzusehen ist, kommt die rechtliche Einordnung als Realakt in Betracht. Mit dem Begriff Realakt wird eine Verhaltensweise bezeichnet, die im Gegensatz zu Verwaltungsakt oder Willenserklärung nicht final auf die Bewirkung bestimmter Rechtsfolgen gerichtet ist, sondern unmittelbar nur einen tatsächlichen Erfolg herbeiführt. 332 Von den sog. geschäftsähnlichen Handlungen unterscheiden sich die Realakte dadurch, daß sie nicht durch Erklärungen vorgenommen werden. 333 Da in der Konfessionsangabe gegenüber der Meldebehörde jedoch mindestens ein erklärungsähnlicher Tatbestand liegt, kann diese Angabe kein Realakt sein.

330 Vgl. zum folgenden insbesondere die Ausführungen von Rausch, 385 ff. Rausch lehnt hier zu Recht die Annahme einer Willenserklärung ab, er unterscheidet jedoch nicht hinreichend zwischen dem verwaltungsrechtlichen Aspekt (Melderecht) und der daran geknüpften kirchenrechtlichen Rechtsfolge (kirchliches Mitgliedschaftsrecht). Auch die Abgrenzung zwischen Realakt und geschäftsähnlicher Handlung erfolgt bei Rausch nicht mit der erforderlichen Genauigkeit. 331 OVG Münster Urt. v. 27.1.1976 - VI A 400174 = NJW 1976, 1550; Rausch, 386. 332 Definition in Anlehnung an Erichsen in: ErichseniMartens, 9. Auflage 1992, § 33 Rdnr.l. 333 Palandt-Heinrichs, Überbl. v § 104 Rdnr.9; Larenz. BGB Allgemeiner Teil § 26.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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Es könnte sich bei der Konfessionsangabe aber um eine geschäftsähnliche Handlung handeln. Geschäftsähnliche Handlungen sind auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Handlungen, deren Rechtsfolge kraft· Gesetzes eintritt, ohne daß es insoweit auf den Willen des Erklärenden ankommt. 334 Hier ist nun genauer zwischen dem melderechtlichen Verwaltungsrechtsverhältnis zwischen Ordnungsbehörde und Bürger sowie der kirchenmitgliedschaftsrechtlichen, an den melderechtlichen Vorgang durch § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG "angelehnten" Kirchenmitgliedschaft genauer zu differenzieren. 335 Gegenüber der Meldebehörde stellt sich die Angabe der Konfessionszugehörigkeit als rein informative Mitteilung über ein Rechtsverhältnis dar, mithin als eine Auskunft im Sinne einer Wissenserklärung. Der Adressat dieser Erklärung ist also nicht die Kirche, die lediglich im Wege der Datenübermittlung von dem melderechtlichen Vorgang Kenntnis erlangt, sondern die Meldebehörde als unmittelbarer Empfanger der Konfessionsangabe. Rechtsfolge dieses Vorgangs ist die Speicherung der Angabe nach den LandesrneIdegesetzen. Die Konfessionsangabe ist daher innerhalb des Melderechtsverhältnisses zwischen Bürger und Meldebehörde unproblematisch als geschäftsähnliche Handlung auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts einzuordnen. Für die rechtswirksame Begründung der Kirchenmitgliedschaft ist von Bedeutung, ob die Angabe der Religionszugehörigkeit vor der Meldebehörde angefochten werden kann. Die meldebehördliche Angabe ist eine geschäftsähnliche Handlung. Geschäftsähnliche Handlungen sind aufgrund ihrer Kundgabeeigenschaften grundsätzlich den empfangsbedürftigen Willenserklärungen gleichgestellt. Aus diesem Grund gelten auch die Vorschriften über Willensmängel (§§ 116 ff. BGB) grundsätzlich als anwendbar. Die Frage der Anfechtbarkeit derartiger Erklärungen gern. § 119 BGB analog läßt sich jedoch nicht einheitlich beantworten. Wie jede analoge Anwendung setzt auch diese Analogie voraus, daß eine plan widrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage vorliegt. § 119 BGB betrifft Mängel der Willensbildung bei Willenserklärungen. Die Angaben des Bürgers gegenüber der Meldebehörde sind hingegen rein informative Tatsachenangaben, die entweder richtig oder falsch sein können. Ist die

334 Palandt-Heinrichs, Überbl. v. § 104 Rdnr. 6. BFH Urt. v. 6.1 0.1993 - I R 28/93 spricht sich gegen eine derartige Unterscheidung aus: "Nicht entscheidungserheblich ist, wer Empfanger derartiger Bekenntniserklärungen ist. Dies können auch staatliche Behörden sein" (BFHE 172,570, 572). 335

)30

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Zweiter Teil: Begrundung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Angabe zutreffend, so besteht naturgemäß kein Bedarf, die Erklärung durch Anfechtung aufzuheben. Ist die Angabe hingegen unzutreffend, so ist sie gegenüber der Meldebehörde richtigzustellen, ohne daß hierbei Raum für eine Anfechtung bliebe. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Anfechtung von Willenserklärungen können aufgrund des rein informativen Charakters der meldebehördlichen Angaben des Bürgers nicht auf diese übertragen werden. Die Konfessionsangabe kann daher ebensowenig wie die anderen Angaben des Bürgers gegenüber der Meldebehörde gern. § 119 BGB analog angefochten werden. 336 Strikt zu unterscheiden von diesem (verwaltungsrechtlichen) Melderechtsverhältnis ist das kirchenrechtliche Verhältnis zwischen Bürger und Kirche, dessen Rechtsfolge gern. § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG allein das kirchliche Recht betrifft. Ist die Konfessionsangabe gegenüber der Meldebehörde als geschäftsähnliche Handlung anzusehen, so erscheint eine Übertragung dieser Einordnung auf das kirchenrechtliche Mitgliedschaftsverhältnis nicht ohne Bedenken möglich. Es ist festzustellen, daß es sich hier um zwei unterschiedliche Rechtsverhältnisse handelt. Zwar tritt auch gern. § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG als Rechtsfolge kraft Gesetzes die Begründung der Kirchenmitgliedschaft unabhängig vom Willen des Betroffenen ein. Im Unterschied zu dem hierzu parallelen melderechtlichen Vorgang ist die Kirche jedoch nicht Erklärungsempfänger dieser Erklärung, sondern die Angabe wird allein gegenüber der Meldebehörde abgegeben. Die Kirche erlangt von diesem Vorgang lediglich über den Datenaustausch Kenntnis. Aus diesem Grund liegt hier keine Erklärung des Zuziehenden gegenüber der Kirche vor. Dieser Unterschied muß beachtet werden, wenn nach der legitimierenden Funktion der meldebehördlichen Angabe gefragt wird. Es erscheint daher rechtlich kaum haltbar, die meldebehördliche Angabe als eine Ausübung der positiven Religionsfreiheit zu qualifizieren, die der negativen Religionsfreiheit bei der Beurteilung des Meldevorgangs (bzw. der kirchlichen Mitgliedschaftsregelung) vorgehe. 337 Gegenüber der Kirche erfolgt keine Er-

OVG Münster Urt. v. 27.l.l976 - VI A 400/74 = NJW 1976, 1550, 1551. So offensichtlich Meyer, ZevKR 33 (1988), 313, 319. Die Herstellung eines wie auch immer gearteten RangverhäItnisses zwischen "positiver" und "negativer" Religionsfreiheit begegnet erheblichen methodischen Bedenken. Vielfach gerät die Tatsache, daß Art. 4 Abs.1 und 2 GG ein einheitliches Grundrecht verkörpern soll, aus dem Blick. Sehr instruktiv zu diesem Problemkreis (im Hinblick auf die "Schulentscheidungen" BVerfGE 41,29 und BVerfGE 41,65) die Ausführungen von Renck, NVwZ 1994,544,545. Auch der neuerdings aufsehenerregende "Kruzifix-Beschluß" des BVerfG (Besch!. v. 16.5.1995 - I BvR 1087/91 = NJW 1995,2477) weist in der Behandlung des Art. 4 Abs.1 und 2 336 337

c. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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klärung, sondern die Kirche knüpft die Kirchenmitgliedschaft an den (aus ihrer Sicht) tatsächlichen Vorgang der Konfessionsangabe gegenüber der Meldebehörde.

Aus dieser rechtlichen Einordnung ergibt sich also, daß der Zuziehende im Fall des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG keine Erklärung mit dem Inhalt abgibt, daß er der Kirche des Zuzugsortes künftig angehören will. Eine Erklärung des Inhalts, einer EKD-Gliedkirche künftig angehören zu wollen, wird ein Zuziehender aus dem Ausland kaum vor der staatlichen Meldebehörde abgeben wollen. Die generelle Unterstellung eines derartigen Beitrittswillens ist gesetzgeberische Fiktion. Hierin wurzelt letztlich die gesamte Problematik des § 9 Abs.3 EKDKMitgliedG einschließlich der Frage nach den Auswirkungen von Willensmängeln bei Angabe der Religionszugehörigkeit vor der Meldebehörde. 338 Im Gegensatz zu der Regelung des § 9 Abs.l EKD-KMitgliedG fehlt im Fall des § 9 Abs.3 KMitgliedG mithin eine rechtserhebliche Willensäußerung des Zuziehenden. Das rechtliche Problem besteht somit darin, daß die Willenserklärung hier lediglich fingiert wird. Es fehlt eine tatsächliche freiwillige Willensentscheidung des Zuziehenden als subjektive Voraussetzung des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft. Damit liegt eine einseitige Zuordnung des Zuziehenden zu einer Religionsgesellschaft vor. Dies legt den Schluß nahe, daß § 9 Abs.3 EKD- KMitgliedG eine gegen Art. 4 Abs.l und 2 GG verstoßende Zwangsmitgliedschaft statuiert.

(4) Votum negativum Gegen die Annahme einer verfassungswidrigen Zwangsmitgliedschaft könnte allerdings sprechen, daß der Zuziehende gern. § 9 AbsA EKD-KMitgliedG die Möglichkeit hat, innerhalb eines Jahres durch entsprechende Erklärung (votum negativum) die Kirchenmitgliedschaft rückwirkend zum Erlöschen zu bringen.

GG methodische Mängel auf, die sich auch hier in der problematischen Abwägung von "positiver" (hier kollektiver) und "negativer" (in diesem Falle individueller) Religionsfreiheit zeigen. 338 Es findet im Regelfall keine Kundgabe des Beitrittswillens gegenüber der staatlichen Meldebehörde statt (a.A. BFH Urt. v. 6.10.1993 - I R 28/93 = BFHE 172, 570, 572). Damit liegt keine Willenserklärung vor. Die Frage nach der Bedeutsarnkeit von Willens mängeln - etwa Irrtümern über das Bestehen der Kirchensteuerpflicht - ist damit erledigt.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

§ 9 Abs.4 EKD-KMitgliedG ordnet die entsprechende Anwendung des § 8 Abs.l S.2 EKD-KMitgliedG an, wonach die Kirchenmitgliedschaft mit dem Zeitpunkt des Zuzugs endet, wenn das zuziehende Kirchenmitglied sich einer anderen evangelischen Kirche im Bereich der Gliedkirche des Zuzugsortes anschließt und dies der zuständigen kirchlichen Stelle innerhalb eines Jahres nachweist. Dieses als sog. votum negativum bezeichnete Recht ist vom Kirchenaustritt in seiner rechtlichen Ausgestaltung streng zu unterscheiden.

Das votum negativum wird von der vorherrschenden Ansicht als ein "Korrektiv zur Vermeidung einer Zwangsmitgliedschaft" verstanden. 339 Das evangelische Kirchenmitgliedschaftsrecht in seiner gegenwärtigen Form soll den verfassungsrechtIichen Anforderungen durch die Möglichkeit von Kirchenaustritt und votum negativum genügen. Diese These setzt voraus, daß die Möglichkeit jederzeitiger Aufhebung der Mitgliedschaft zu deren verfassungsrechtlicher Rechtfertigung führen kann. Diese Auffassung scheint schon in abstrakter Form kaum überzeugend. Ob die Möglichkeit des jederzeitigen Austritts den Grundsatz der Freiwilligkeit beim Erwerb der Kirchenmitgliedschaft ersetzen oder zumindest ergänzen kann, ist zweifelhaft. Der Verweis auf die Möglichkeit von Austritt und votum negativum setzt das Kirchenmitglied in Zugzwang und verlangt ein positives Handeln zum Schutz der eigenen Religionsfreiheit. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine derartige mitgliedschaftsrechtliche Praxis leiten sich im wesentlichen daraus ab, daß die Möglichkeit des Austritts aus einer Religionsgesellschaft grundsätzlich nichts an dem formalen Automatismus der Eingliederung, der den Willen des Zuziehenden kaum berücksichtigt, zu ändern vermag. Bei der Fragestellung, ob Austritt oder votum negativum die hinreichende Berücksichtigung des Freiwilligkeitsgrundsatzes im kirchlichen Mitgliedschaftsrecht gewährleisten können, ist zwischen Austritt und votum negativum genauer zu differenzieren.

339 So ausdrücklich Rausch, 380. Bemerkenswert an dieser Formulierung ist, daß für die Erforderlichkeit eines "Korrektivs" doch zumindest die Gefahr einer durch § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG statuierten Zwangsmitgliedschaft vorausgesetzt wird. Rausch hält die automatische Eingliederung dann für zulässig, wenn Bekenntnisverwandtschaft und die Möglichkeit jederzeitigen Austritts zusammen vorliegen (ebenso BVerwG Urt. v. 12.4. 1991 = ZevKR 36,1991,407). Noch weiter geht das FG Saarland, das sogar auf die Bekenntnisverwandtschaft verzichten will, solange nur die "Möglichkeit" des jederzeitigen Kirchenaustritts besteht (FG Saarland Urt. v. 28.1.1977 - 81/74 - = EFG 1977, 284).

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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Ersichtlich keine rechtfertigende Wirkung für die automatische Eingliederung des zuziehenden Kirchenmitglieds kommt dem Kirchenaustritt zu. Der Kirchenaustritt nach den jeweiligen Austrittsgesetzen der Länder wirkt lediglich ex nunc für die Zukunft und ändert nichts an einer bereits entstandenen Kirchensteuerschuld. Ist die Mitgliedschaft unter Verstoß gegen den Freiwilligkeitsgrundsatz und damit verfassungswidrig begründet worden, so verstößt auch die vorübergehende nur kurzfristige Besteuerung des Zuziehenden als Kirchenmitglied gegen die durch Art. 4 Abs.l und 2 GG geschützte Religionsfreiheit des Zuziehenden. 34O Daran vermag auch die Möglichkeit des Kirchenaustritts nichts zu ändern. Für den vor dem Kirchenaustritt liegenden Zeitabschnitt gilt daher, daß die unter Verstoß gegen den Freiwilligkeitsgrundsatz begründete Kirchenmitgliedschaft und damit auch die Kirchensteuerpflicht in jedem Fall verfassungswidrig ist. Auf das votum negativum nach § 9 Abs.4 i.V.m § 8 Abs.l S.2 EKD-KMitgliedG können diese Überlegungen jedoch nicht ohne weiteres übertragen werden. Nach § 8 Abs.l S.2 EKD-KMitgliedG endet die Kirchenmitgliedschaft im Falle der fristgemäßen Ausübung des votum negativum gern. § 8 Abs.l S.3 EKD-KMitgliedG "mit dem Zeitpunkt des Zuzugs", also rückwirkend. Der Zuziehende ist im Falle des Beitritts zu einer anderen evangelischen Kirche innerhalb eines Jahres demnach rechtlich so zu behandeln, als ob er zu keinem Zeitpunkt Mitglied der EKD-Gliedkirche gewesen ist: Die Kirchenmitgliedschaft wird durch die Möglichkeit der rückwirkenden Beendigung zu einer auflösend bedingten Mitgliedschaft, weil die Mitgliedschaft von Anfang an mit dem Eintritt der auflösenden Bedingung (votum negativum) entfällt. Dies ist der wichtigste Unterschied zwischen votum negativum und Kirchenaustritt, der lediglich für die Zukunft wirkt.341 Weil die Kirchenmitgliedschaft der Anknüpfungstatbestand für die Kirchensteuerpflicht nach den Kirchensteuerordnungen ist, ergibt sich bei rückwirkendem Entfallen der Kirchenmitgliedschaft aufgrund der Ausübung des votum negativum als notwendige Schlußfolgerung, daß mit der Kirchenmitgliedschaft der Rechtsgrund der bis dahin geleisteten Kirchensteuer rückwirkend entfällt. In diesem Fall besteht grundsätzlich ein Erstattungsanspruch des ehemaligen Kirchenmitglieds gegen den Leistungsempfänger, also gegen Landeskirchen bzw. Kirchenkreise. Die Landeskirchen-

340 Engelhardt, NVwZ 1992, 239, 240. 341 Dieser wichtige Unterschied wird von Bäcker, Kirchenmitgliedschaft, 60, offensichtlich verkannt, der im Zusammenhang mit dem votum negativum (!) als "Besonderheit" den Kirchenaustritt nach § 5 Abs.2 Nr.3 Hess. KiStG erwähnt.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

steuergesetze verweisen auf die Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung 342 , so daß hier ein Rückerstattungsanspruch aus § 37 Abs.2 S.2 AO 1977 in Betracht kommt. Die Kirchensteuer vom Einkommen wird als volIakzessorische Zuschlagssteuer (vgl. § 51a Abs.4 EStG) zur Einkommensteuer geltend gemacht, bei der Lohnsteuer im Wege des Lohnabzugsverfahrens, bei der Einkommensteuer zusammen mit den Einkommensteuervorauszahlungsbescheiden. Demnach ergibt sich die Pflicht zur Zahlung der Kirchensteuer bereits vor Ablauf der für die Geltendmachung des votum negativum nach § 9 Abs.3 i.V.m § 8 Abs.l S.2 EKD-KMitgliedG geltenden Jahresfrist. Diese bereits gezahlte Kirchensteuer wird durch die Ausübung des votum negativum rückwirkend zu einer rechtsgrundlos erfolgten Steuerzahlung. Dies löst jedoch nicht notwendig den Rückerstattungsanspruch nach § 37 Abs.2 S.2 AO 1977 aus. Sofern die Kirchensteuer auf inzwischen bestandskräftige Steuerbescheide geleistet worden ist, so kann dem Erstattungsanspruch des ehemaligen Kirchenmitglieds die Bestandskraft der Steuerbescheide entgegenstehen. Ist der Steuerbescheid bestandskräftig, so kann sich der Steuerpflichtige nicht mehr darauf berufen, daß die Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden sei. So sind selbst Steuerbescheide gegen Nichtkirchenangehörige nicht etwa nichtig, sondern lediglich rechtswidrig-anfechtbar. 343 Aus diesem Grund ist es grundSätzlich zulässig, sogar Personen, die weder getauft noch konfirmiert worden und also offensichtlich keine Kirchenangehörigen sind, zur Kirchensteuer heranzuziehen, wenn ein bestandskräftiger Bescheid vorliegt. 344 Neben der Aufhebung des Steuerbescheides im Billigkeitsverfahren könnte jedoch ein Rücknahmeverfahrens nach § 130 Abs.l AO 1977 in Betracht kommen. Sowohl für das Billigkeitsverfahren als auch für eine Rücknahme nach § 130 Abs.l AO ist allerdings zu beachten, daß die Bestandskraft von Kirchensteuerbescheiden grundsätzlich der Aufhebung des Bescheides entgegensteht: Eine Aufhebung ist überhaupt nur dann zulässig, wenn gegen den Bescheid Einwendungen vorgebracht werden können, die nicht schon im Rechtsbehelfsverfahren hätten geltend gemacht werden können. Ein Anspruch auf Aufhebung des Kirchensteuerbescheides könnte sich aber aus § 173 Abs.l Nr.2 AO ergeben. Nach dieser Vorschrift, die nach den Lan-

342 Vgl. z.B. § 8 Abs.1 KiStG Schlesw.-Ho1st.; § 8 Abs.2 Hambg. KiStG; § 8 Abs.1 KiStG NW; § 15 Hess. KiStG; § 6 Abs.1 Nds. KiStG. 343 VG Stade Urt. v. 27.1.1983 - 1 A 43/80 = ZevKR 28 (1983), 309; vgl. auch BVerwG Urt. v. 11.1.1977 (Az.: - VII B 56.77 -) = BB 1978,850 = DB 1978, 1864. 344 VG Hannover Urt. v. 13.6.1988 (Az.: - 4 VG A 47/88 -).

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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deskirchensteuergesetzen auf das Kirchensteuerverfahren anzuwenden ist, muß der Steuerbescheid aufgehoben werden, wenn nachträglich Tatsachen bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen. Gegen die Anwendbarkeit des § 173 Abs.l Nr.2 AO spricht jedoch, daß bei der Ausübung des votum negativum nicht eigentlich von einem "nachträglichen Bekanntwerden einer Tatsache" ausgegangen werden kann. Ohnehin ist ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Aufhebung des Steuerbescheides auch bei Bekanntwerden neuer Tatsachen dann ausgeschlossen, wenn ihn ein grobes Verschulden im Sinne dieser Vorschrift trifft. Einschlägige Vorschrift in diesen Fällen ist daher nicht § 173 Abs.l Nr.2 AO, sondern § 175 Abs.l Nr.2 AO. Die Ausübung des votum negativum wirkt ex tunc auf den Zeitpunkt des Zuzugs zurück. Es handelt sich somit um ein Ereignis, das "steuerliche Wirkung für die Vergangenheit" hat, da die Kirchenmitgliedschaft und damit die wichtigste Grundlage der Kirchensteuerpflicht rückwirkend entfällt. Bei Ausübung des votum negativum entsteht deshalb ein Anspruch auf Aufhebung des Kirchensteuerbescheides gern. § 175 Abs.l Nr.2 AO. Die Festsetzungsfrist (§ 169 AO) ist jedoch zu beachten. Zusammengefaßt zeigen diese Erwägungen, daß der rechtliche Bestand des Kirchensteuerverfahrens grundsätzlich unabhängig von dem zugrundeliegenden Mitgliedschaftsverhältnis zu beurteilen ist. Der Zuziehende beseitigt durch die fristgemäße Ausübung des votum negativum rückwirkend die Kirchenmitgliedschaft vom Zeitpunkt des Zuzugs an. Es besteht ein Anspruch auf Aufhebung des Kirchensteuerbescheides entsprechend § 175 Abs.l Nr.2 AO, doch ist dieser gesondert und innerhalb der Frist des § 169 AO geltend zu machen. Es ist demnach im Ergebnis festzuhalten, daß ein votum negativum ein schon durchgeführtes Besteuerungsverfahren grundsätzlich unberührt läßt. Das rückwirkende Entfallen der Kirchenmitgliedschaft durch Ausübung des votum negativum beseitigt somit nicht automatisch die Kirchensteuerpflicht für die Vergangenheit. Das votum negativum kann auch den Tatbestand nicht verdecken, daß der Zuziehende bis zum Anschluß an eine andere Religionsgemeinschaft fortwährend zur Kirchensteuer herangezogen wird, obwohl er ex tune im Veranlagungszeitraum zu keinem Zeitpunkt der besteuernden Kirche angehört hat. Hierin zeigt sich somit, daß auch das votum negativum keinen Einfluß auf den festgestellten Eingriff in die Religionsfreiheit des Zuziehenden hat, weil dieser zumindest bis zum Zeitpunkt der Ausübung des votum negativum von der Kirche und damit auch von den staatlichen Finanzbehörden als Kirchenmitglied behandelt wird. Auch die nur vorübergehende Behandlung des Zuziehenden als

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Kirchenmitglied ohne seinen Willen verstößt gegen die in Art. 4 Abs.l und 2 GG geschützte Religionsfreiheit. Dieser Eingriff wird auch nicht durch die Möglichkeit einer rückwirkenden Aufhebung der Kirchenmitgliedschaft beseitigt, weil das sog. votum negativum zwar zu einer rückwirkenden Beseitigung der Mitgliedschaft, nicht aber notwendig zur Aufhebung der wirtschaftlichen Folgen für das Kirchenmitglied, die in der Heranziehung zur Kirchensteuer liegen, führt. Aufgrund der Bestandskraft der Steuerbescheide kommt nur ein Aufhebungsverfahren entsprechend § 175 Abs.l Nr.2 AO in Betracht. Es ist daher nicht möglich, die einseitige Eingliederung des Zuziehenden ohne dessen Willen in die Kirche des Zuzugsortes dadurch zu rechtfertigen, daß der Zuziehende sich von der Kirchenmitgliedschaft durch Ausübung des votum negativum innerhalb der Jahresfrist rückwirkend befreien kann. Die Besteuerung in der Zwischenzeit kann nur im Aufhebungsverfahren geltend gemacht werden. Im übrigen ist es nicht überzeugend, eine Rechtfertigung der Besteuerung vor Ausübung des votum negativum ausgerechnet den sog. Nachbesteuerungsentscheidungen des BVerfG vom 8.2.1977 345 zu entnehmen. 346 Beide Entscheidungen haben die Nachbesteuerung von Kirchenmitgliedern nach vollzogenem Kirchenaustritt zum Gegenstand. Das BVerfG stellt in diesen Entscheidungen ausdrücklich fest, daß die staatlich garantierte geordnete Verwaltung und Einziehung der Kirchensteuern ein verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut sei, das auch zu einer Einschränkung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit führen könne, wenn die Einschränkung und ihre Auswirkungen auf den Vollzug der Besteuerung in einem angemessenem Verhältnis zueinander stehe. 347 Im Falle des Zuzugs aus dem Ausland lag bisher jedoch weder eine Kirchenmitgliedschaft in der besteuernden Kirche noch ein Kirchensteuerschuldverhältnis vor, das es nun abzuwickeln gälte. Die verfassungsrechtliche Garantie der geordneten Besteuerung kann schon gar nicht im Ergebnis dazu führen, Zuziehende einseitig der Besteuerung zu unterwerfen und dies bis zur Ausübung des votum negativum aufrechtzuerhalten. Das Gegenteil scheint hier der Fall zu 345 BVerfGE 44,37 = ZevKR 22 (1977), 418 sowie BVerfGE 44,59 = ZevKR 22 (1977), 425. 346 Dies versucht offenbar Meyer, ZevKR 29 (1984), 508, 509, der den Kirchensteuerabzug in der Zwischenzeit vor Ausübung des votum negativum durch diese Entscheidungen und die darin enthaltenen verfassungsrechtliche "Garantie einer geordneten Besteuerung" für bestätigt hält. 347 BVerfGE 44,37 = ZevKR 22 (1977), 418 = NJW 1977, 1279 (1281).

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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sein: Eine geordnete Besteuerung dürfte eher möglich sein, wenn die Besteuerung erst dann einsetzt, wenn die Begründung der Kirchenmitgliedschaft auch für das staatliche Recht eindeutig festgestellt werden kann. Es ist deshalb auch nicht erkennbar, daß die Besteuerung von Zuziehenden innerhalb der Jahresfrist durch die verfassungsrechtliche Garantie einer geordneten Besteuerung geboten ist. Ist nicht einmal die Gebotenheit dieser Besteuerungspraxis zweifelsfrei erwiesen, so ist es um so offensichtlicher, daß die Religionsfreiheit des Zuziehenden nicht auf diese Weise durch das kirchliche Interesse an einer geordneten Besteuerung eingeschränkt werden kann. Die gegenwärtige Kirchensteuerpraxis führt daher im Ergebnis zu einer einseitigen Eingliederung des Zuziehenden in die Kirche des Zuzugsortes und damit zu einer ebenso einseitigen Begründung des KirchensteuerschuldverhäItnis ohne den Willen des Zuziehenden. Diese Praxis findet weder in der Möglichkeit des Kirchenaustritts noch in der Möglichkeit, die Kirchenmitgliedschaft rückwirkend durch ein sog. votum negativum aufzuheben, eine Rechtfertigung. Die nach § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG ist deshalb verfassungswidrig.

b) Veifassungskonforme Auslegung Die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Fiktion einer Beitrittserklärung nach § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG stellt vor die Frage, ob eine verfassungskonforme Auslegung des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG möglich ist. 348 Eine verfassungskonforme Auslegung des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG muß die Gewähr bieten, daß kein Zuziehender aus dem Ausland gegen seinen Willen in eine Gliedkirche der EKD eingegliedert werden kann. Zu diesem Zweck ist erforderlich, daß sich der Betroffene bei Angabe seiner Religionszugehörigkeit auch bewußt ist, daß er durch diese Angabe die Kirchenmitgliedschaft in einer EKDGliedkirche bewirkt. 349 Die Angabe der Religionszugehörigkeit gegenüber der staatlichen Meldebehörde soll - so lautet eine Ansicht - bei verfassungskonformer Auslegung des § 9 Abs.3 EKD- KMitgliedG nur dann zur Begründung

348 Eine verfassungskonforme Auslegung versuchen OVG Lüneburg Urt. v. 4.5.1988 - 13 OVG A 64/86 = KirchE 26, 101 (das Urteil wurde vom BVerwG mit Urteil v. 12.4. 1991 aufgehoben, vgl. dazu oben Abschnitt C.Il.3.a.cc.) sowie FG Düsseldorf Urt. v. 14.4.1994 - 1 K 292190 Ki = EFG 1994, 1071 (vom BFH aufgehoben durch Urt. v. 18.1. 1995 - I R 89/94 = ZevKR 1995, 354-357). 349 FG Düsseldorf, a.a.O., 1071.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

der Kirchenmitgliedschaft führen, wenn der Betroffene seine Angabe in Kenntnis dieser Tatsache gemacht hat. 350 Diese Position versucht die gesetzliche Fiktion einer Beitrittserklärung in § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG zu umgehen, indem sie eine vorhergehende Aufklärung des Betroffenen über die Folgen seiner Angabe vor der Meldebehörde verlangt. Gibt der Betroffene die Angabe in Kenntnis der Rechtsfolge des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG dennoch ab, so kann ohnehin eine schlüssige Beitrittserklärung angenommen werden. Fehlt es hingegen an der Aufklärung des Betroffenen, so soll die Konfessionsangabe vor der Meldebehörde lediglich eine widerlegbare Vermutung der Kirchenmitgliedschaft begründen. 351 Diese Lösung ist in mancher Hinsicht fraglich. Es wird unterstellt, daß ein zuziehendes evangelisches Kirchenmitglied aus dem Ausland "nicht im entferntesten" mit der meldebehördlichen Angabe den automatischen Eintritt in eine kirchliche Mitgliedschaft verbindet, während andererseits die Erklärung gegenüber der kirchlichen Stelle nach § 9 Abs.l EKD-KMitgliedG einen auf den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft gerichteten Willen beinhalten soll. Ein solcher Wille ist in der Praxis nur schwer nachweisbar. Ein Indiz für die Annahme der Beitrittsabsicht kann darin liegen, daß ein zuziehendes evangelisches Kirchenmitglied aus dem Ausland von der Meldebehörde über die Rechtsfolge des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG aufgeklärt worden ist und die Angabe in Kenntnis dieser Rechtsfolge gemacht hat. Die vorhergehende Aufklärung des Betroffenen durch die Meldebehörde würde auf diese Weise als weiteres Merkmal dem Tatbestand des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG hinzugefügt. Es fragt sich aber, ob eine solche Interpretation des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG nicht die Grenzen einer zulässigen verfassungskonformen Auslegung überschreitet. Die verfassungskonforme Auslegung hat (wie andere Auslegungsmethoden auch) Wortsinn, Zweck und Bedeutungszusammenhang des Gesetzes zu beachten. § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG macht jedoch allein die meldebehördliche Angabe zur Voraussetzung des Kirchenmitgliedschaftserwerbs. Daß eine Aufklärung des zuziehenden Ausländers erforderlich ist, um die Rechtsfolge des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG auszulösen, kann weder § 9 Abs.l noch § 9 Abs.3

350 Das FG Düsseldorf läßt dabei offen, ob "damit zugleich das Wissen über eine Kirchensteuerpflicht verbunden sein mußte" (a.a.O). In ähnlicher Weise verfährt bereits die Badische Landeskirche, die entgegen § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft verneint, wenn ein zuziehender Ausländer die Erklärung gegenüber der staatlichen Meldebehörde in Unkenntnis der mitgliedschaftsrechtlichen Folgen abgegeben hat (Hinweis von Herrn OKR Dr. Winter). 351 OVG Lüneburg (a.a.O., 107) im Anschluß an Axel v. Campenhausen, in: HdbStKR Bd. 2, 1. Aufl. 1975, 609, 656.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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EKD-KMitgliedG entnommen werden. Es handelt sich bei diesem Interpretationsversuch um das· Hinzufügen eines im Tatbestand § 9 Abs.3 EKDKMitgliedG nicht enthaltenen Merkmals. Das Hinzufügen weiterer Tatbestandsmerkmale erfordert jedoch eine Gesetzesänderung und ist im Wege verfassungskonformer Auslegung unzulässig. Diese Ansicht überschreitet deshalb die Grenzen einer zulässigen verfassungskonformen Auslegung und ist abzulehnen. Das Erfordernis einer vorhergehenden Aufklärung des Betroffenen kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Deshalb kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß bei Fehlen einer vorhergehenden Aufklärung des Betroffenen eine widerlegbare Vermutung der Kirchenmitgliedschaft besteht. 352 Wenn die Konfessionsangabe gegenüber der Meldebehörde eine bloße melderechtliche Auskunft ist, ist es schon im Ansatz verfehlt, daraus Schlüsse für das Bestehen der Kirchenmitgliedschaft zu ziehen. Eine Aufklärung über die kirchensteuerrechtlichen Folgen der meIdebehördlichen Angabe 353 ist in keinem Falle erforderlich. Die Kirchensteuerpflicht tritt bei Zuziehenden aus dem Ausland ebenso wie bei deutschen Staatsangehörigen unabhängig von der Kenntnis des Betroffenen mit der Begründung der Kirchenmitgliedschaft kraft Gesetzes ein. Sofern die Kirchenmitgliedschaft freiwillig unter Beachtung der Grundrechte begründet worden ist, kommt es auf die Kenntnis der kirchensteuerrechtlichen Folgen der Kirchenmitgliedschaft nicht an. 354

c) Zulässigkeit der Verwenung der meldebehördlichen

Angabe durch kirchliche Behörden Im Zusammenhang mit der meldebehördlichen Angabe der Konfessionszugehörigkeit sowie deren Weitergabe an die Kirchen stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit dieser Praxis des Datenaustausches. Aufgrund der melderechtlichen

Gegen OVG Lüneburg, a.a.O., 107. Vgl. Axel v. Campenhausen, a.a.O., 656, der diese Ansicht allerdings im Hinblick auf BVerwG Urt. v. 12.4.1991 = ZevKR 36 (1991), 403, 407, aufgegeben hat, vgl. nunmehr ders., HdbStKR Bd. 1,2. Aufl. 1994,755,775. . 354 Wenig überzeugend ist deshalb die Formulierung des BVerwG, es bedürfe einer besonderen Aufklärung über die kirchensteuerrechtlichen Folgen (jedenfalls) "dann nicht, wenn (... ) beide Kirchen eine Kirchensteuer erheben und der Zuziehende daher vom Bestehen der Kirchensteuerpflicht ausgehen muß." Kritisch dazu Engelhardt in seiner Entscheidungsrezension, NVwZ 1992,239,241. 352 353

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Vorschriften ist jeder Bürger verpflichtet, seine Religionszugehörigkeit gegenüber der staatlichen Meldebehörde anzugeben (vgl. § 2 Abs.l Nr.ll MRRG sowie die inhaltsgleichen Vorschriften der Landesrneidegesetze ). Diese Angabe ist melderechtlich erforderlich für die Eintragung der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte als Voraussetzung der Abführung der Kirchensteuer durch den Arbeitgeber. Die Konfessionsangabe gegenüber der Meldebehörde wird ferner den Religionsgemeinschaften übermittelt (§ 19 MRRG355 sowie die inhaltsgleichen Vorschriften der Landesrneidegesetze). § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG bewertet diese Angabe gegenüber der Meldebehörde als mitgliedschaftsbegründende Erklärung des Zuziehenden, und zwar auch und vor allem in Fällen des Zuzugs aus dem Ausland. Es stellt sich daher die Frage der Zulässigkeit des Datenaustauschs zwischen Meldebehörde und Kirchen, wenn die Kirchen die Angabe zur Eingliederung von Zuziehenden aus dem Ausland und damit zur Begründung des Kirchensteuerschuldverhältnisses benutzen. Das in Art. 140 GG i.V.m Art. 136 Abs.3 WRV geWährleistete Schweigerecht des Bürgers in religiösen Angelegenheiten wird durch Art. 136 Abs.3 S.2 WRV ausdrücklich eingeschränkt. Die Behörden haben nach dieser Vorschrift das Recht, "nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert". Aus Art. 136 Abs.3 S.2 WRV i.V.m. 140 GG ergibt sich mithin, daß die melderechtliche Erfassung der Konfessionszugehörigkeit jedenfalls dann zulässig ist, wenn "davon Rechte und Pflichten abhängen". Da die Eintragung der Konfessionszugehörigkeit in die Lohnsteuerkarte für die geordnete Besteuerung durch die staatlichen Finanzämter erforderlich ist, ist dieses Zweckerfordemis gegeben. Besteht ein Fragerecht des Staates nach der Konfessionszugehörigkeit, so ist damit jedoch noch nichts über die Verfassungsmäßigkeit der kirchlichen Verwertung der solchermaßen erhobenen Daten gesagt. Aus Art. 136 Abs.3 S.2 WRV ergibt sich keine Aussage über die Voraussetzungen der Verwertung oder gar Weitergabe der durch die Meldebehörde erhobenen Daten. Aus der Zulässigkeit der staatlichen Datenerhebung ergibt sich nicht, daß diese Daten nun ein "Eigenleben" entfalten, denn auch die Weitergabe personenbezogener Daten greift in das durch Art. 2 Abs.l GG geschützte Persönlicheitsrecht in seiner speziellen Form als Recht auf informationelle Selbstbestimmung des betroffenen Bürgers ein356, das seit der Leitentscheidung des

355 Zur Neufassung des § 19 MRRG vgl. Mallmann, 1687, 1689; MedertlSüßmuthi Dette-Koch, Melderecht, Teil I, § 19 MRRG. 356 Schatzschneider, NJW 1983,2554,2556.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983357 aus Art. 2 Abs.l mit Art. 1 Abs.l GG hergeleitet wird. 358 Gesetzliche Grundlage des Datenaustausches zwischen politischen Gemeinden und Kirchen ist § 19 MRRG. Nach § 15 Abs.4 BDSG (vgl. § 10 Abs.2 BDSG a.F.) handelt es sich dabei um einen Datenaustausch, der rechtlich dem Datenaustausch zwischen Behörden der öffentlichen Verwaltung und sonstigen öffentlichen Stellen gleichgestellt ist. 359 Liegt hier ein Datenaustausch im Sinne des BDSG vor, so kann diesem Datenaustausch zwischen Meldebehörde und kirchlichen Stellen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entgegenstehen. § 19 Abs.l MRRG stellt als allgemeines Gesetz eine Schranke des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dar. Schrankenzweck ist es, den Kirchen die jederzeitige Aktualisierung ihres Mitgliederstandes zu ermöglichen, zumal an die Mitgliedstellung in Kirchengemeinde und Landeskirche Rechte und Pflichten gebunden sind, für deren Feststellung das Kirchenmitgliedsregister unbedingt erforderlich· ist. 360 Insofern die Mitgliedschaft Voraussetzung der Kirchensteuerpflicht ist, wird deshalb durch die Garantie der Kirchensteuer in Art. 140 GG mit Art. 137 Abs.6 WRV auch die Feststellung der Kirchenmitgliedschaft als einer steuererheblichen Tatsache mitumfaßt. 361 Bei der Weitergabe der Meldedaten von Angehörigen der EKD-Gliedkirchen besteht ferner eine innerkirchliche Auskunftspflicht der Kirchenmitglieder gern. § 16 Abs.l EKD-KMitgliedG. Aus diesem Grund ist § 19 Abs.l MRRG jedenfalls insofern verfassungsgemäß, als es um die Weitergabe von Daten der EKD-Kirchenmitglieder

357 BVerfG Urt. v. 15.12.1983 = BVerfGE 65,1 (43) - Volkszählungsurteil-; vg!. auch BVerfGE 78, 77 (84); 80, 367 (373) sowie BVerwG NJW 1990,2762. 358 Vg!. vor allem die Diskussion des Volkszählungsurteils: Steinmüller, DuD, 1984, 91; Benda, DuD 1984, 86. 359 Vg!. Evers, ZevKR 25 (1980), 191 ff.; Meyer, ZevKR 27 (1982), 234; die anfangs geplante Gleichstellung kirchlicher und staatlicher Behörden konnte sich nicht durchsetzen (vg!. Amt!. Begründung zu § 1 Abs.3 Entwurf eines Bundesrneidegesetzes, BT-Dr. 7/1059). 360 Vg!. dazu Nuyken, DuD 1981, 14 f.; MedertlSüßmuth, MRRG, § 19 Rdnr. 2. 361 Dies kann keinesfalls mit dem Argument bestritten werden, die Kirchen benötigten aufgrund des staatlichen Einzugsverfahrens keine Informationen zur Durchführung der Besteuerung, weil sich die staatliche Hilfe lediglich auf die Durchsetzung des Anspruchs erstrecke (so aber Hoeren, 90). Diese Auffassung ist vollkommen praxisfern und vermag deshalb nicht zu überzeugen.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

geht. 362 Die Meldedatenhilfe nach § 19 Abs.l MRRG ist als "mitgliedschafts-akzessorische" Übennittlung von personenbezogenen Daten der "Mitglieder" verfassungsrechtlich unbedenklich. 363 Dieser Fall ist jedoch sorgsam zu unterscheiden von dem Fall des Zuzugs aus dem Ausland, d.h. aus dem Bereich einer nicht der EKD angehörigen evangelischen Kirche. Hier besteht vor der Anmeldung des Zuziehenden bei der Meldebehörde jedenfalls keine Mitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche. 364 Die melde behördliche Angabe ist mitgliedschaftsbegründend in Bezug auf die EKDGliedkirche des neuen Wohnortes. Dies folgt bereits aus der Fonnulierung des § 9 Abs.l EKD-KMitgliedG. Die meldebehördliche Angabe hat in den Fällen des Zuzugs aus dem Ausland konstitutive Wirkung für den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft. 365 § 19 Abs.l MRRG erlaubt jedoch allein die Weitergabe von Daten der "Mitglieder". Es stellt sich damit die Frage, ob § 19 Abs.l MRRG überhaupt eine ausreichende Ennächtigungsgrundlage für die Weitergabe von Daten aus dem Ausland Zuziehender bereitstellt. Dies läßt sich mit Recht wohl nur annehmen, wenn man auf die melderechtliche Angabe schlichtweg verzichtet und die Kirchenmitgliedschaft Zuziehender aus dem Ausland bereits mit Wohnsitznahme beginnen läßt. 366 In diesem Fall muß jedoch die gesamte Regelung des § 9 Abs.l EKD-KMitgliedG hinfällig erscheinen. Die gesamte Regelungssystematik des § 9 EKD-KMitgliedG hat zur Voraussetzung, daß die Kirchenmitgliedschaft erst durch die Erklärung entweder gegenüber der zuständigen kirchlichen Stelle (§ 9 Abs.l EKD-KMitgliedG) oder gegenüber der staatlichen Meldebehörde (§ 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG) erworben wird. Naheliegender erscheint deshalb die Annahme, daß § 19 Abs.l MRRG keine hinreichende Ennächtigungsgrundlage für die Übennittlung von Daten Zuziehender Vgl. Schatzschneider, Kirchenautonomie, 49. 363 Meyer-Teschendoif, Essener Gespräche Bd. 15 (1981), 9, 51. 364 So jetzt auch FG Düsseldorf, Urt. v. 14.4.1994 - 1 K 292/90 Ki = EFG 1994, 1071, 1072 (in der Revisionsinstanz aufgehoben: BFH Urt. v. 18.1.1995 - I R 89/94 = ZevKR 1995, 354). 365 Hier liegt ein ganz erheblicher Schwachpunkt der vorherrschenden Ansicht. Rausch lehnt die Annahme einer konstitutiven Funktion der meldebehördlichen Erklärung ab, weil diese Erklärung "die Kirchenmitgliedschaft evident werden, jedoch nicht entstehen" lasse, weil die Mitgliedschaft schon bei Wohnsitznahme bestehe und durch die melderechtliche Erklärung lediglich "publik" werde (Rausch, 390). Dies steht in offenkundigem Widerspruch zu dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs.1 EKD-KMitgliedG, wonach Zuziehende die Kirchenmitgliedschaft durch Erklärung gegenüber der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle erwerben. 366 So offensichtlich Rausch, 390. 362

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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aus dem Ausland gewährt, wenn diese zuvor keiner EKD-Gliedkirche angehört haben. Zum Zeitpunkt der Konfessionsangabe vor der Meldebehörde besteht in der Regel noch keine Kirchenmitgliedschaft. § 19 Abs.l· MRRG läßt jedoch nur die Übermittlung von Daten der "Kirchenmitglieder" zu. Die Übermittlung von Daten Zuziehender aus dem Ausland ist daher auf der Grundlage des § 19 Abs.l MRRG nicht zulässig, weil es im Fall des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG um einen von § 19 Abs.1 MRRG nicht erfaßten Fall der Übermittlung der Daten von Nichtmitgliedern geht. Es ist dem Staat verboten, in gesetzlich nicht geregelten Fällen ohne Einwilligung des Grundrechtsinhabers personenbezogene Daten zu übermitteln. 367 Weil die Übermittlung der Religionszugehörigkeit von Zuziehenden aus dem Ausland weder in § 19 Abs.l MRRG noch in anderer Form gesetzlich regelt ist und eine Einwilligung mangels Aufklärung des Betroffenen in aller Regel nicht vorliegt, verletzt die Datenübermittlung bei Zuzug aus dem Ausland das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Übermittlung von Daten an eine EKD-Gliedkirche kann ferner daran scheitern, daß die Daten von der Kirche zu anderen Zwecken verwendet werden als zu denen, für die sie erhoben oder gespeichert worden sind (vgl. § 15 Abs.4 i.V.m. § 15 Abs.1 und 3 sowie § 14 BDSG).368 Die Übermittlung der in § 19 Abs.l MRRG enumerativ aufgezählten Daten an Religionsgesellschaften ist zur "Evidenthaltung des Mitgliederstandes" und zur Verwaltung der Kirchensteuer erforderlich und zulässig. 369 Aufgrund der Tatsache, daß eine datenschutzrechtliche Bindung der Daten an den Erhebungszweck besteht, ergeben sich jedoch erhebliche Bedenken, ob die Meldebehörde Daten von (bisher) Nichtkirchenangehörigen an die Kirchen weitergeben darf, damit diese ihrerseits die Konfessionsangabe zur Begründung der Kirchenmitgliedschaft samt der daran gebunden Pflichten verwerten können. Da der Zuziehende aus dem Ausland bisher keiner EKD-Gliedkirche angehört hat und daher der EKD-Rechtssetzung nicht unterworfen ist, kann aus § 16 Abs.l EKD- KMitgliedG keine Verpflichtung des Zuziehenden gegenüber der Kirche zur Abgabe der meldebehördlichen Erklärung angenommen werden. Die gegenwärtige Praxis, die meldebehördliche Konfessionsangabe unabhängig von der Kenntnis des Betroffenen kirchlicherseits zur Begründung einer bisher nicht 367 Vgl. BVerfG Urt. v. 15.12.1983 - 1 BvR 209, 269, 440 , 484/83- = BVerfGE 65, 1, 38 ff. 368 Vgl. Ehlers/Heydemann, DVBl. 1990, 1,2. 369 Vgl. Evers, ZevKR 25 (1980), 173 ff.; zur Zweckbindung vgl. auch Medert/ SüßmuthiDette-Koch, Melderecht, MRRG, § 19 Rdnr. 26 ff., 34. 14 Haß

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

bestehenden Kirchenmitgliedschaft des Zuziehenden zu verwerten (§ 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG), ist in diesem Fall ebenfalls als ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu werten, der im Fall des Zuzugs aus dem Ausland, d.h. wenn bisher keine Mitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche bestanden hat, nicht gerechtfertigt werden kann, weil den Kirchen dadurch Daten von Nichtmitgliedern unabhängig von deren Kenntnis zugänglich gemacht werden. Neben dem bereits konstatierten Verstoß gegen das Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs.l und 2 GG) durch die mitgliedschaftsrechtliche Verwaltungspraxis liegt im Fall des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG bei Zuzug aus dem Ausland eine Übermittlung der Daten von Nichtmitgliedern vor, die weder durch § 19 Abs.l MRRG noch durch eine Einwilligung des Betroffenen gerechtfertigt ist und demnach gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs.l i. V ,mo Art. 1 Abs.l GG) verstößt.

III. Rechtsfragen des Kirchenübertritts Neben dem Wechsel der gliedkirchlichen Zugehörigkeit durch Umzug in das Gebiet einer anderen Gliedkirche besteht die Möglichkeit, die Mitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche durch Kirchenübertritt zu begründen. Unter Kirchenübertritt ist dabei der Wechsel der Zugehörigkeit zu einer Kirche zu verstehen, d.h. die Aufgabe der Zugehörigkeit zur bisherigen und die Begründung der Zugehörigkeit zu einer anderen Kirche. Hierunter fallen der Übergang von einem evangelischen Bekenntnis zum anderen, die Konversion vom Protestantismus zum Katholizismus (oder umgekehrt) sowie der Übertritt zwischen verschiedenen Religionen. Eine Übereinstimmung dieser Fälle mit dem in § 8 EKDKMitgliedG geregelten Fall des Bekenntniswechsels kraft Umzugs ist festzuhalten, doch ist dies kein Fall des Kirchenübertritts in dem vorgenannten, engeren Sinne. Praktisch am bedeutsamsten ist der innerevangelische Kirchenübertritt sowie die Konversion vom Katholizismus zum Protestantismus und um gekehrt. 370

370 Die Konversion ist weniger rechtlich als theologisch - im Hinblick auf Ökumene und Seelsorge - in der gegenwärtigen kirchlichen Situation fragwürdig geworden: V gl. die Ordnung des kirchlichen Lebens der Ev.-Luth. Kirche in Bayern, Abschnitt IX. Nr.6: "Auch die Gemeinschaft der Ökumene (... ) lebt davon, daß der einzelne Christ dem Bekenntnis seiner Kirche die Treue hält." Auch auf röm.-kath. Seite überwiegen die Bedenken im Hinblick auf die Konversion, vgl. z. B. Aymans, ArchkathKR 142 (1973),416-

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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1. "Grundrecht auf Konfessionswechsel"

Die "Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder Weltanschauung" ist in Art. 9 Abs.l EMRK (ähnlich Art. 18 der UN-Menschenrechtserklärung) ausdrücklich gewährleistet. Das Grundrecht der Religionsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG umfaßt ebenfalls das Recht, frei über die Zugehörigkeit - und damit auch über den Wechsel - zu einer Religionsgemeinschaft zu entscheiden und sich danach zu verhalten. Damit ist auch der Konfessionswechsel im Schutzbereich des Art. 4 Abs.l und 2 GG anzusiedeln. 37l

2. Verhältnis von Kirchenübertritt und Kirchenaustritt

a) Veifassungsmäßigkeit einer staatlichen Forderung nach vorherigem Kirchenaustritt Die staatlichen Kirchenaustrittsgesetze enthalten überwiegend keine Regelung des Kirchenübertritts. 372 Hieraus ergibt sich notwendig, daß die Begründung der Zugehörigkeit zu einer anderen Religionsgemeinschaft, sofern diese als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert ist, den vorhergehenden Austritt (nach staatlichem Recht) aus der bisherigen Religionsge.meinschaft verlangt, sofern der Kirchenübertritt Wirksamkeit auch für das staatliche Recht erlangen soll. Für die Kirchensteuerpflicht ist entscheidend, daß diese nur zu einer steuererhebenden Kirche bestehen kann. Aus diesem Grund setzt der Übertritt sachlich nach staatlichem Recht die Beendigung der bisherigen Mitgliedschaft voraus. Anderes gilt unter Umständen, wenn die Religionsgemeinschaft, der das Kirchenmitglied bisher angehört hat, privatrechtlich organisiert ist. In diesem Fall ist der Weg des Austritts nach § 39 BGB eröffnet. Ein Austritt nach staatlichem Recht ist in diesen Fällen - unbeachtlich der kirchenrechtlichen Erforderlichkeit - nicht zwingend notwendig, und zwar schon deshalb, weil die Mitgliedschaft in einer privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaft kirchensteuerrechtlich ohne Relevanz ist.

417. Dies ändert selbstverständlich nichts daran, daß sich die Kirchenrechtslehre mit dem Faktum der zahlenmäßig durchaus beachtlichen Konversion zu beschäftigen hat. 37l BVerfGE 17,302,305. 372 Die einzige Ausnahme ist § 5 des Niedersächsischen Kirchenaustrittsgesetzes v. 4.7.1973 (ABI. EKD 1973, 1032); vgl. ferner das "in den althessischen Gebieten" fortgeltende hessische Kirchenaustrittsgesetz von 1878 i.d.F. v. 31.5.1974. 14·

212

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Das Erfordernis des Kirchenaustritts im staatlichen Bereich ist ein Eingriff in die kirchliche Selbstbestimmung in mitgliedschaftsrechtlichen Angelegenheiten (vgl. Art. 140 GG mit Art. 137 Abs.3 WRV), weil der Erwerb der neuen Mitgliedschaft auf diese Weise an eine staatliche Bestätigung des Verlassens der bisherigen Kirche geknüpft wird. 373 Dieser Eingriff ist jedoch zulässig, wenn er sich im Rahmen der Schrankenklausel des Art. 137 Abs.3 S.l WRV hält. Als ein die kirchliche Selbstbestimmung in diesem Bereich einschränkendes "für alle geltendes Gesetz" kommen hier in erster Linie die staatlichen Kirchenaustrittsgesetze als Schranke in Betracht. Sofern die Kirchenzugehörigkeit von Bedeutung für die Kirchensteuerpflicht ist, kommt eine Einschränkung der Freiheit des Kirchenübertritts in Betracht. Es ist daher grundSätzlich zulässig, die Freiheit des Kirchenübertritts aus Gründen der Rechtssicherheit durch das Erfordernis des Nachweises des Kirchenaustritts einzuschränken. 374 Im Hinblick auf die individuelle Religionsfreiheit des Übertretenden gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG ist zu bedenken, daß aufgrund der langwierigen Aufnahmepräliminarien einerseits und des sofortigen Wirksamwerdens der Austrittserklärung andererseits ein Zeitraum entstehen kann, in dem das Kirchenmitglied unter Umständen gegen seinen Willen keiner Kirche angehört. 375 Die Forderung nach rechtlich eindeutiger Zuordnung zu einer Kirche fordert die Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung des Austritts aus der bisherigen Kirche. Weil die Erklärung des Kirchenaustritts als Abwendung von der Kirche insgesamt zu verstehen ist, liegt in der staatlichen Forderung einer solchen Austrittserklärung ein Eingriff in die individuelle Religionsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG. Auch dieses schrankenlose Grundrecht findet jedoch seine Grenzen in den verfassungsimmanenten Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung und der entgegenstehenden Rechte Dritter. Die verfassungsrechtliche Garantie der ordnungsgemäßen Durchführung des Kirchensteuerverfahrens verlangt, daß eine eindeutige Zuordnung des Mitglieds zu einer bestimmten Kirche zu jedem Zeitpunkt (auch während eines etwaigen Kirchenübertrittsverfahrens) möglich ist. Weil die Forderung des Kirchenaustritts nach staatlichem Recht keine Auswirkung auf die

373 Vgl. auch § 69a PStG, der die Eintragung der neuen Religionszugehörigkeit vom Nachweis des Austritts aus der bisherigen Kirche oder Religionsgemeinschaft abhängig macht. 374 Vgl. zu der Frage. ob dies unter Umständen durch ein alternatives "zwischenkirchliches "Übertrittsverfahren ohne staatliche Beteiligung ersetzt werden kann unten Abschnitt C.III.2.b. 375 Robbers, 24 f.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

213

Kirchenzugehörigkeit nach innerkirchlichem Recht hat, wird die Religionsfreiheit des einzelnen nach Art. 4 Abs.1 und 2 GG nicht mehr eingeschränkt, als dies für die Ordnungsmäßigkeit des Kirchensteuerverfahrens notwendig ist. Die Forderung des Kirchenaustritts im Rahmen eines Kirchenübertrittsverfahrens ist daher mit der individuellen Religionsfreiheit (Art. 4 Abs.1 und 2 GG) des Übertretenden vereinbar. Aus diesem Grund bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Forderung des Kirchenaustritts nach staatlichem Recht im Rahmen des Kirchenübertrittsverfahrens. Derartige Bedenken können sich auch nicht aus Art. 137 Abs.2 S.2 WRV i.V.m. Art. 140 GG ergeben 376 , weil der Abschluß von zwischenkirchlichen Vereinbarungen, sofern man diese überhaupt als "Zusarnmenschluß" von Religionsgesellschaften ansieht, nicht behindert wird, wenn die staatliche Gesetzgebung die Anerkennung des Kirchenübertritts durch das staatliche Recht von strengeren Wirksamkeitsvoraussetzungen als das kirchliche Recht abhängig macht. Eine solche allein für das staatliche Recht gewählte Lösung über den Kirchenaustritt betrifft nicht das Verhältnis der Kirchen untereinander oder einen kirchlichen "Zusammenschluß" im Sinne des Art. 137 Abs.2 WRV, sondern die Anerkennung der durch den Kirchenübertritt geschaffenen neuen Kirchenmitgliedschaft im Verhältnis zwischen Staat und Kirchen.

b) Ersetzung des Kirchenaustritts durch zwischenkirchliche Übertrittsvereinbarungen ? Weil der bisherige Weg über den Kirchenaustritt für den Übertretenden umständlich ist und auch von den Kirchen als unbefriedigend empfunden wurde, hat dies, veranlaßt auch durch die Neuregelung des Kirchenübertritts in § 13 EKD-KMitgliedG, zum Abschluß von zwischenkirchlichen Übertrittsvereinbarungen geführt, die den Anspruch erheben, das staatliche Austrittsverfahren überflüssig zu machen. Staatskirchenrechtlich sind diese Übertrittsvereinbarungen deshalb von besonderem Interesse, weil sie nicht nur innerkirchlich wirken sollen, sondern auch einen Geltungsanspruch für das staatliche Recht und somit auch für das Kirchensteuerrecht erheben. Es geht demnach im folgenden konkret um die Frage, ob die Kirchen durch zwischenkirchliche Vereinbarungen den Weg über das staatliche Austrittsver-

376

Gegen Robbers, 25.

214

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

fahren umgehen und auf diese Weise den direkten Wechsel der Religionsgemeinschaft ennöglichen können. Den Weg zu derartigen Übertrittsvereinbarungen eröffnet im staatlichen Recht derzeit allein § 5 des Niedersächsischen Gesetzes über den Austritt aus Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts (KiAustrG-).377 Sofern "die beteiligten Körperschaften den Übertritt durch Vereinbarung zugelassen haben" tritt der Kirchenübertritt an die Stelle des (subsidiären) Verfahrens über den Umweg des Kirchenaustritts. Eine derartige Ersetzung des Kirchenaustritts durch staatlicherseits vorgesehene zwischenkirchliehe Vereinbarungen kommt sowohl dem Interesse der Kirchen und Kirchenmitglieder an einem Verzicht auf den Kirchenaustritt als auch der staatlichen Forderung nach Rechtsklarheit entgegen. Weil die staatliche Verwaltung der Kirchensteuer eine klare Zuordnung zu der jeweiligen Kirche erfordert, kann ein "zwischenkirchlicher" Kirchenübertritt, der den staatlichen Behörden nicht gemeldet wird, keine Wirksamkeit im staatlichen Bereich erlangen. Kirchensteuerrechtlich ist daher die Festlegung der rechtlich konstitutiven Mitteilung des Kirchenübertritts an den Standesbeamten (wie in § 5 Abs.3 und 4 KiAustrG Niedersachsen vorgesehen) erforderlich; vor Zugang dieser Erklärung kann der Kirchenübertritt nach staatlichem Recht jedenfalls - mangels Kenntnis der zuständigen Behörden - rechtlich nicht wirksam werden (vgl. § 5 Abs.4 KiAustrG Niedersachsen). Die in § 5 KiAustrG Niedersachsen geregelte Priorität des Kirchenübertritts gegenüber dem Kirchenaustrittsverfahren stellt in dieser Fonn ein Novum dar. Es fragt sich jedoch, ob die ausdrückliche staatliche Anerkennung der Übertrittsvereinbarungen durch die Kirchenaustrittsgesetze in dieser Fonn auch notwendig ist, um dem zwischenkirchlich geregelten Übertrittsverfahren Geltung für das staatliche Recht zu verschaffen. Ob die landesrechtliche Anerkennung derartiger zwischenkirchlicher Vereinbarungen über den Kirchenübertritt erforderlich ist 378 , wenn der Kirchenübertritt ohne vorangehenden Kirchenaustritt auch Wirksamkeit für das staatliche Recht erlangen soll, muß bezweifelt werden.

377 KiAustrG Niedersachsen v. 4.7.1973 (ABI. EKD, S. 1032). Eine dem Niedersächsischen Gesetz entsprechende staatliche Regelung des Kirchenübertritts ohne vorherigen Austritt wird z.Zt. auch in Sachsen angestrebt, wo der Kirchenaustritt bisher nur durch Verwaltungsvorschrift v. 22.1.1993 (Sächsisches ABI. 1993 Nr. 7, 198) geregelt ist. Vgl. das Rundschreiben des Landeskirchenamtes Sachsens an die Superintendenturen und Kirchenamtsratsstellen v. 22.3.1993 - Nr. 1501 (4) 315 -. 378 So jedenfalls Nuyken in: Meinhold, Kirchengliedschaft, 334 f.; Axel v. Campenhausen in: HdbStKR Bd.l, 1. Aufl. 1974,657,662; Engelhardt, DVBI. 1971, 543, 544; a.A. Robbers, 26 und Engelhardt, Austritt aus der Kirche, 92.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

215

Dem Staat kommen nach dem Grundgesetz keine Aufsichts- oder Genehmigungsvorbehalte gegenüber dem kirchlichen Recht zu. Entscheidend für die Wirksamkeit des Kirchenübertritts auch im Kirchensteuerrecht ist vielmehr, ob nach geltendem Kirchenrecht mit dem Übertritt ein Wechsel der Kirchenmitgliedschaft eintritt. Da die kirchenrechtliche Mitgliedschaft Anknüpfungstatbestand für die Kirchensteuerpflicht im staatlichen Recht ist, hat das Kirchensteuerrecht den kirchenrechtlich wirksamen Kirchenübertritt hinzunehmen, ohne daß der Staat insoweit den Weg über das Kirchenaustrittsverfahren als ausschließliche Möglichkeit verbindlich vorschreiben kann. Dies setzt jedoch als Mindestvoraussetzung voraus, daß die zuständige staatliche Behörde von dem zwischenkirchlichen Übertritt in einer angemessenen Frist informiert wird; Ende bzw. Neubeginn der Kirchensteuerpflicht richtet sich in diesem Fall nach den Kirchensteuergesetzen.

c) Gegenwärtige Bedeutung von Übertrittsvereinbarungen

In Niedersachsen sind auf der Grundlage des § 5 KiAustrG Nieders. Vereinbarungen zwischen den großen reformatorischen Kirchen geschlossen worden. 379 Einen umfassenderen Kreis von Kirchen erfaßt die Übertrittsvereinbarung im Bereich der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Baden-Württemberg v. 1.7.1985. 380 Dieser Vereinbarung haben sich jedoch nicht alle der Arbeitsgemeinschaft zugehörigen Kirchen angeschlossen, darunter vor allem nicht die katholische und die orthodoxen Kirchen. Der baden-württembergischen Vereinbarung entsprechend muß der Übertretende einen Aufnah-

379 Übertrittsvereinbarung zwischen der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers und der Ev.-ref. Kirche in Nordwestdeutschland (jetzt Ev.-refonnierte Kirche I Synode ev.-ref. Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland) v. 29.11.1977 (GVBI. Ev.-ref. Kirche, Bd. 14, 324); Vereinbarung der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers und der Selbständigen Ev.-Luth. Kirche über den Übertritt von Kirchenmitgliedern v. 17.9.1980 (KABI. d. Landeskirche Hannover 1981, 24). 380 ABI. EKD 1985,412. Auf die baden-württembergische Vereinbarung der ACK verweist z. B. § 2 Abs.2 der Vereinbarung zwischen der Ev. Landeskirche in Baden und der Ev.-Luth. Kirche in Baden über Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht v. 20.4.1993 (ABI. EKD 1993,413). Vgl. (auch nach Wiederherstellung der kirchlichen Einheit) den Beschluß der Evang. Kirchenleitungen betr. die Weitergabe einer Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) zur Regelung des Übertritts zwischen Kirchen, die der ACK in der Deutschen Demokratischen Republik angehören v. 11.5.1979 (ABI. der Landeskirche Sachsens 1980, A 14).

216

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

meantrag an die aufnehmende Kirche stellen. Der Übertritt wird jedoch anders als nach § 5 KiAustrG Nieders. allein durch die Erklärung gegenüber dem zuständigen Pfarrer vollzogen. Das staatliche Austrittsverfahren wird so umgangen, der Übertritt erfolgt ohne Beteiligung staatlicher Stellen. Das Pfarramt hat jedoch eine beglaubigte Urkunde über den Kirchenübertritt an die frühere Kirche und die zuständigen staatlichen Stellen zu übersenden. Aus staatskirchenrechtlicher Sicht ergibt sich die Frage, ob der solchermaßen vollzogene Übertritt auch für das Kirchensteuerrecht Wirksamkeit besitzt. Dem verständlichen kirchlichen Interesse an einem weitgehenden Heraushalten des Staates aus dem Übertrittsverfahren steht die kirchensteuerrechtlich unabdingbare Forderung nach Rechtsklarheit entgegen. Es erhebt sich deutlich die Frage nach der Wirksamkeit eines nach dieser Vereinbarung erfolgten Kirchenübertritts. Das Inkrafttreten der Vereinbarung ist der Landesregierung angezeigt worden. Für die Wirksamkeit des einzelnen, nach dieser Vereinbarung vollzogenen Kirchenübertritts im Kirchensteuerrecht ist jedoch weiterhin erforderlich, daß eine Anzeige des einzelnen Übertritts gegenüber der zuständigen staatlichen Behörde erfolgt. Die vorgeschriebene Mitteilung des Übertritts ist daher eine konstitutive Voraussetzung der Wirksamkeit des Kirchenübertritts im staatlichen Recht; fehlt diese Mitteilung, so kann selbst ein innerkirchlich wirksamer Kirchenübertritt im Kirchensteuerrecht nicht anerkannt werden. Die Bekanntgabe gegenüber der zuständigen staatlichen Behörde ist die aus Gründen der Rechtssicherheit erforderliche Mindestvoraussetzung für die Wirksamkeit des Kirchenübertritts im staatlichen Recht. Fehlt die Bekanntgabe, so bleibt die Wirkung des Kirchenübertritts auf den innerkirchlichen Bereich beschränkt.

d) § J3 EKD-KMitgliedG

Wortlaut des § 13 EKD-KMitgliedG: (I) Bei einem Übertritt zu einer anderen Kirche (§ 10 Nr.2) endet die Kirchen-

mitgliedschaft mit dem Ablauf des Monats, in dem die Übertrittserklärung wirksam geworden ist, jedoch nicht vor dem Beginn der Mitgliedschaft in der anderen Kirche. (2) Die Vorschriften des staatlichen Rechts bleiben unberührt. (3) Vereinbarungen der Gliedkirchen, die den Übertritt regeln, werden im Benehmen mit dem Rat der evangelischen Kirche in Deutschland getroffen.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

217

Mit der Einführung des § 13 EKD-KMitgliedG 1976 ist der Kirchenübertritt als Alternative zum Kirchenaustrittsverfahren erstmals kirchengesetzlich festgelegt worden. 381 Im Unterschied zum (hiervon unberührten: § 13 11 EKDKMitgliedG) staatlichen Kirchenaustrittsrecht endet die Mitgliedschaft in der bisherigen Kirche erst mit dem Wirksamwerden der Übertrittserklärung. Der für das Kirchenmitglied - möglicherweise unerwünschte - Zeitraum ohne jegliche Kirchenzugehörigkeit wird dadurch beseitigt, ein direkter Übergang ermöglicht. Diese kirchenrechtliche Konstruktion des EKD-KMitgliedG trifft jedoch auf Schwierigkeiten, wenn der Kirchenaustritt staatlich geregelt ist (wie z.B. in Niedersachsen). Gern. § 5 Abs.3 KiAustrG Nieders. wird der Kirchenübertritt mit dem Zugang der kirchlichen Meldung an den Standesbeamten wirksam. Dadurch entfällt die Kirchenmitgliedschaft mit sofortiger Wirkung wie bei einem Kirchenaustritt, unbeschadet der kirchensteuerlichen Abwicklungsfrist. Hier endet die Kirchenmitgliedschaft also mit sofortiger Wirkung, während § 13 Abs.l EKD-KMitgliedG die Kirchenmitgliedschaft bis zum Monatsende fortdauern läßt. Die Kirchenmitgliedschaft endet daher nach staatlichem Recht früher als nach der in § 13 Abs.l EKD- KMitgliedG getroffenen kirchlichen Regelung, so daß die Rechtslage nach staatlichem und kirchlichem Recht somit auseinanderfällt. 382

3. Begründung der Kirchenmitgliedschaft durch Kirchenübertritt

Der Übertritt zu einer EKD-Gliedkirche setzt grundSätzlich die Aufnahme des Übertretenden durch die Gliedkirche voraus. Gern. § 7 EKD-KMitgliedG regeln Gliedkirchen den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft durch Aufnahme in eigener Verantwortung. 383 Die Aufnahme von neuen Kirchenmitgliedern ist in den Kirchenordnungen und Verfassungen der Gliedkirchen sowie den bestehenden mitgliedschaftsrechtlichen Bestimmungen geregelt. Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft durch Aufnahme setzt voraus, daß die konstitutiven Voraussetzungen der Kirchenmitgliedschaft vorliegen: 1.) die gültige Taufe, die beim Kirchenübertritt regelmäßig vorausgesetzt werden kann, 2.) der Wohnsitz oder gewöhn-

Vgl. Nuyken, 334. Robbers, 28. 383 § 7 ist insofern ein herausragendes Beispiel für die Regelungstechnik in Form einer Art "Rahmengesetzgebung", die im EKD-KMitgliedG getroffen wurde. 381

382

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

liche Aufenthalt im Bereich der aufnehmenden Gliedkirche und 3.) das Bekenntnis zur aufnehmenden Kirche, das in je nach Gliedkirche verschiedener Form abgelegt wird, wenn nicht schon der Aufnahmeantrag als Bekenntnis zur aufnehmenden Kirche gewertet wird. Ergänzend hat der Übertretende in einigen Gliedkirchen an einer Unterweisung im kirchlichen Bekenntnis der aufnehmenden Kirche teilzunehmen. 384 In der Regel hat der Übertretende das Aufnahmegesuch an den zuständigen Pfarrer der aufnehmenden Gliedkirche zu stellen. 385 Friktionen zwischen gliedkirchlichem Mitgliedsrecht und der in § 13 EKDKMitgliedG getroffenen Regelung liegen vor, wenn gliedkirchliche Bestimmungen bei der Entscheidung über die Aufnahme des Übertretenden den Nachweis des Austritts aus der früheren Kirche verlangen. 386 Hier wird das Austritts verfahren entgegen der gesamtkirchlich geförderten zwischenkirchlichen Vereinbarungslösung zur Voraussetzung der Aufnahme gemacht. Der Abschluß von Übertrittsvereinbarungen nach § 13 Abs.3 EKD-KMitgliedG wäre sinnlos, wenn die Gliedkirchen den Weg über den staatlichen Kirchenaustritt vorschreiben könnten. Entsprechend den Intentionen des von allen Gliedkirchen ratifizierten EKD-KMitgliedG ist der Nachweis des Kirchenübertritts auf Vereinbarungsbasis ausreichend, wenn der Kirchenübertritt nach kirchlichem und staatlichem Recht wirksam als Alternative zum Kirchenaustritt bestimmt ist. In diesen Fällen kann auch nach gliedkirchlichem Recht nicht zusätzlich ein Nachweis des Kirchenaustritts gefordert werden, um den Übertritt durch Aufnahme zu ermöglichen.

4. Kirchenübertritt und innerkirchlicher automatischer Wechsel der Gliedkirchenzugehörigkeit

Der Kirchenübertritt weist strukturelle Gemeinsamkeiten mit dem Wechsel der Gliedkirchenzugehörigkeit nach §§ 8, 9 EKD-KMitgliedG auf. Anders als beim Wechsel der gliedkirchlichen Zuordnung innerhalb der EKD erfaßt der Kirchenübertritt durch Aufnahme des Übertretenden vor allem einen Personen-

384 § 4 Abs.2 KGliedG Bayern. 385 VgI. § 3 Abs.2 S.l des Mecklenburg. KG über die Kirchenmitgliedschaft v.

4.11.l990 (ABI. 1991, 3); § I Abs.4 der Nordelbischen VO über das Kirchenbuch- und Meldewesen sowie zur Kirchenmitgliedschaft v. 17.2.'1989 (GVOBI. S. 62 = ABI. EKD 1989, 265). 386 § 5 Abs.1 S.2 KGliedG Bayern; § 3 Abs.2 S.2 KMitgliedG Mecklenburg.

C.

Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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kreis, der im Regelfall bisher nicht das Bekenntnis der aufnehmenden Kirche hat. Schon aus diesem Grund ist bei der Aufnahme eine Willenserklärung erforderlich, die zum Ausdruck bringt, daß der Übertretende künftig dem Bekenntnis der aufnehmenden Kirche angehören will. Der Bekenntniswechsel ist jedoch strenggenommen kein prägender Unterschied zwischen Kirchenübertritt und einem Wechsel der gliedkirchlichen Zugehörigkeit, da es auch Kirchenübertritte zwischen Kirchen "evangelischen" Bekenntnisses gibt. So setzt der Übertritt von der (unierten) Evangelischen Landeskirche in Baden zur Evang.-Luth. Kirche in Baden den Übertritt samt Aufnahmeverfahren voraus, während der Wechsel von der (unierten) Evangelischen Landeskirche in Baden zur Evang.-Luth. Kirche in Nordelbien automatisch ohne Aufnahmeverfahren nach § 8 Abs.l EKDKMitgliedG erfolgt. Der Grund für die Erforderlichkeit eines Aufnahmeverfahrens im erstgenannten Fall ist das Verlassen der EKD, während der Wechsel der gliedkirchlichen Zugehörigkeit im zweiten Fall innerhalb der Grenzen der EKD bleibt, so daß die Kirchenzugehörigkeit automatisch auf der Basis des EKD-KMitgliedG wechselt. Entscheidend für die Form Übertritt/Aufnahme einerseits und automatische Zuordnung gern. §§ 8,9 EKD-KMitgliedG andererseits ist mithin keineswegs das Kriterium der Bekenntnisverwandtschaft, sondern die für die Anwendung des § 8 EKD-KMitgliedG vorauszusetzende organisatorische Zugehörigkeit sowohl der bisherigen als auch der künftigen Kirche zur EKD. Gehört eine der bei den Kirchen nicht der EKD an, so bleibt kein Raum für eine Anwendung des § 8 EKD-KMitgliedG387, sondern in diesen Fällen ist der Kirchenübertritt bzw. das Aufnahmeverfahren einschlägig. Nichts anderes kann im übrigen für die Rechtslage in der Ev.-Luth. Kirche in Bayern gelten, wo die Vorschrift des § 4 KGliedG zu mancherlei Irritationen Anlaß gegeben hat. § 4 KGliedG regelt die Aufnahme von Getauften, die "einem anderen christlichen Bekenntnis" angehören, während nach § 2 Nr.3 KGliedG "andere evangelische Christen" automatisch Glieder der Landeskirche werden. 388 Die unterschiedliche Formulierung hat zu der These geführt, daß alle evangelischen Christen automatisch in die Landeskirche eingegliedert werden könnten (unabhängig davon, ob sie schon bisher einer EKD-Gliedkirche angehört haben oder aber einer Freikirche), während ein Aufnahmeverfahren nur denjenigen offenstehe, die bisher einer anderen Bekenntnisfamilie angehört haben. 389 Dies kann dazu verleiten, alle "Evangelischen" - und d.h. auch Evangelische, die

387 Meyer, ZevKR 33 (1988), 313, 314. 388 Ausführlich zu § 2 Nr. 3 BayKGliedG oben Abschnitt B.III.2. 389 Rausch, 368.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

bisher einer Freikirche und damit nicht der EKD angehört haben - automatisch bei ihrem Wohnsitzwechsel in die Landeskirche einzugliedern. Mit der getroffenen Feststellung, daß der Wechsel der Gliedkirchenzugehörigkeit das Vorliegen einer auf die Begründung der Mitgliedschaft gerichteten Willenserklärung als subjektives Tatbestandsmerkmal voraussetzt, wäre dies allerdings nicht vereinbar. Es ist nicht ersichtlich, daß eine solche Willenserklärung, künftig der bayerischen Landeskirche angehören zu wollen, bei dem Mitglied einer evangelischen Freikirche vorliegt, das nach Bayern zuzieht. Ohne eine derartige Willenserklärung des Zuziehenden ist die automatische Eingliederung in die Landeskirche eine verfassungswidrige Zwangsmitgliedschaft. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 4 KGliedG verlangt daher, daß nur Evangelische in die Landeskirche automatisch eingegliedert werden, die bisher schon einer EKD-Gliedkirche angehört haben (vgl. § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG). Eine automatische Eingliederung von Mitgliedern einer evangelischen Freikirche ohne Vorliegen eines Aufnahmeantrages entspricht nicht den Anforderungen an eine auch staatskirchenrechtlich wirksame Begründung der Kirchenmitgliedschaft. Das Kriterium der behaupteten Bekenntnisverwandtschaft ist in diesen Fällen auch nicht dazu geeignet, die fehlende Willenserklärung des Zuziehenden zu ersetzen. Der automatische Wechsel der Gliedkirchenzugehörigkeit nach § 8 Abs.l EKD-KMitgliedG ist daher nur möglich zwischen Gliedkirchen der EKD. § 9 Abs.l lit.b EKD-KMitgliedG betrifft lediglich den Zuzug aus dem Ausland. In allen anderen Fällen des Wechsels der Kirchenzugehörigkeit bleibt nur der Weg des Kirchenübertritts im Wege des Aufnahmeverfahrens. Für die Rechtslage in der Ev.-Luth. Kirche in Bayern gilt entsprechendes, weil ein Hinausgreifen der automatischen Eingliederung über den organisatorischen Bereich der EKD hinaus auf Mitglieder von evangelischen Freikirchen nicht - und vor allem nicht aufgrund der Bekenntnisverwandtschaft - zulässig ist.

IV. Der Wiedereintritt in die Kirche 1. Rechtliche Normierung des Wiedereintritts

Nach § 7 EKD-KMitgliedG wird die Begründung der Kirchenmitgliedschaft durch Aufnahme von den Gliedkirchen in eigener Verantwortung geregelt. Dies gilt auch für die (Wieder-)Aufnahme von ehemaligen Kirchenmitgliedern, die sich durch Kirchenaustritt von einer EKD-Gliedkirche getrennt haben. Folglich

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

221

enthält das EKD-KMitgliedG keine Regelung der Wiederaufnahme von Ausgetretenen. Einschlägig im Fall der Wiederaufnahme sind daher die Bestimmungen der Gliedkirchen. 390 Die Wiederaufnahme ist in der Regel beim örtlich zuständigen Pfarrer zu beantragen. Sie ist - ebenso wie die Aufnahme von ehemaligen Mitgliedern anderer Kirchen - im Kirchenbuch einzutragen sowie der staatlichen Meldebehörde mitzuteilen. 391 Um den Schritt der Aufnahme und Wiederaufnahme zu erleichtern, hat die NordeIbisehe Kirche die Möglichkeit der Einrichtung von besonderen Aufnahmestellen geschaffen. 392 Die Wiederaufnahme erfolgt je nach Landeskirche entweder nach Beratung mit dem Kirchgemeinderat durch den Pastor393 oder durch den zuständigen Pastor ohne vorherige Einbeziehung des Kirchenvorstandes 394 ,in der Württembergisehen Landeskirche ist der Antrag von den Pastoren über den Kirchengemeinderat an das Dekanatamt zu richten 395 , in der Sächsischen Landeskirche entscheidet der Kirchenvorstand. 396 Wird die Wiederaufnahme eines Ausgetretenen abgelehnt, so ist in einigen Landeskirchen die Möglichkeit des Einspruchs beim Landeskirchenamt397 gegeben, in Nordelbien ist der zuständige Propst

390 Vgl. z.B. § 8 KGliedG Bayern; § 4 KMitgliedG Mecklenburg; auch durch Rechtsverordnungen geregelt, z.B. EV.-Luth. Landeskirche Hannover: VO über das Verfahren bei Wiederaufnahme der aus der Kirche Ausgetretenen v. 21.6.1932 (KABI. S.89), vgl. auch § 12 Nr.3 Kirchengemeindeordnung d. EV.-Luth. Landeskirche Hannovers v. 17.12.1993 (KABI. 1994, 1 = ABI. EKD 1994,96); Nordelbien: § 1 III Iit.b VO über das Kirchenbuch- und Meldewesen sowie zur Kirchenmitgliedschaft v. 17.2.1989 (GVOBI. NEK 1989,62 =ABI. EKD 1989,265); Bekanntmachung des Oberkirchenrates zum Verfahren beim Austritt aus der Evang. Landeskirche, beim Übertritt zur Landeskirche und bei der Aufnahme in die Landeskirche (Württemberg) v. 2.2.1978 - Az. 17.70 Nr.105 (ABI. 48,1978, S.61); § 61it.b KGO Landeskirche Sachsen i.V.m. § 2 AVO zur KGO (ABI. 1983, A 33 - KGO -; ABI. 1983, A 58 - A VO-); Art. 38 Kirchengemeindeverfassungsgesetz der Lippischen Landeskirche i.d.F. v. 7.7.1981 (GVBI. Bd. 7 S. 137). Vgl. allgemein die Empfehlungen der Arnoldshainer Konferenz zur Wiederaufnahme in die evangelische Kirche v. 3.4.1987 (ABI. EKD 1987,255). 391 Vgl. z.B. § 4 Abs.5 KMitgliedG Mecklenburg. 392 § 2 VO über das Kirchenbuch- und Meldewesen sowie zur Kirchenmitgliedschaft v. 17.2.1989 (GVOBI. S.62). 393 § 4 Abs.3 KMitgliedG Mecklenburg; § 8 Abs.3 KGliedG Bayern. 394 § 3 Abs.l S.1 KMKMVO Nordelbien. 395 Bekanntmachung des Oberkirchenrates der Evang. Landeskirche jn Württemberg v. 2.2.1978 (s.o. Fn. 609), Abschnitt C (2). 396 § 2 Abs.3 AVO zur KGO v. 13.4.1983 (ABI. 1983, A 58). 397 § 4 Abs.3 S.2 KMitgliedG Mecklenburg; § 9 KGliedG Bayern.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

VOn der Ablehnnung des Wiederaufnahmeantrags zu unterrichten. 398 Sofern die Landeskirchen kein besonderes Verfahren für die Wiederaufnahme aus der Kirche Ausgetretener kennen, sind die regulären Vorschriften über die Aufnahme Getaufter anzuwenden. Nachdem die auf ein Jahr befristete Nachbesteuerung nach Kirchenaustritt vom Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen vom 8. und 17. Februar 1977399 für verfassungswidrig erklärt worden ist, wurde von der EKD-Kirchenkanzlei erwogen 4OO , innerhalb der bisherigen Nachbesteuerungsfrist ("Reuefrist") von einem Jahr durch Kirchengesetz der EKD bzw. durch eine Änderung des EKD-KMitgliedG die Möglichkeit eines vereinfachten Wiederaufnahmeverfahrens durch einfache Erklärung gegenüber dem zuständigen Pfarramt zu eröffnen. 401 Auf die Übernahme einer gesamtkirchlichen Regelung des Wiederaufnahmeverfahrens konnte man sich jedoch nicht einigen. Im Hinblick auf die durch § 7 EKD-KMitgliedG getroffene Kompetenzverteilung zwischen der EKD und den Gliedkirchen wäre eine in der kirchenpolitischen Praxis kaum durchsetzbare Änderung des EKD-KMitgliedG erforderlich gewesen.

398 § 3 AbsA KMKMVO Nordelbien (früher VO über die Wiederaufnahme Ausgetretener v. 10.2.1981 Ld.F. v. 10.3.1981 = ABI. EKD 1981, 249). Vgl. hierzu Meyer, ZevKR 27 (1982), 225, 246. 399 BVerfGE 44, 37 ff. und BVerfGE 44, 59 ff. 400 Vgl. Rundschreiben der Kirchenkanzlei der EKD an die Gliedkirchen v. 4.11.1980 (Az.: 0150/4.40, S. 2). 401 Der Evangelische Oberkirchenrat der Württembergischen Landeskirche hatte für eine EKD-Gesamtregelung die Formulierung vorgeschlagen: "Wer nach staatlicher Vorschrift den Austritt aus der Kirche erklärt hat, kann binnen Jahresfrist gegenüber dem zuständigen Pfarramt ohne Angabe von Gründen schriftlich erklären, daß er die Kirchenmitgliedschaft wieder aufnehmen will (... ). Ist die Erklärung fristgerecht abgegeben, so gilt der Ausgetretene mit Wirkung vom Tage des Eingangs an wieder als in die Evangelische Kirche aufgenommen (... )." (vgl. Rundschreiben der Kirchenkanzlei an die Gliedkirchen v. 4.11.1980, a.a.O., S. 2).

c.

Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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2. Der konkludent erklärte Wiedereintritt in die Kirche

In der neueren Rechtsprechung der Verwaltungs- und Finanzgerichte402 sind immer wieder Fälle zu finden, in denen kirchlicherseits die Wiederentstehung der Kirchenmitgliedschaft durch einen schlüssig erklärten Wiedereintritt ausgetretener Kirchenmitglieder behauptet wurde. Die Inanspruchnahme kirchlicher Leistungen - häufig auch die Angabe der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte - wurde als schlüssige Willenserklärung bewertet, die zum Wiederaufleben der durch den Austritt ruhenden Kirchenmitgliedschaft samt Kirchensteuerpflicht geführt habe. Dies wurde von den Betroffenen zumeist mit der Gegenvorstellung bestritten, daß ein Wiedereintritt in die Kirche durch schlüssiges (konkludentes) Handeln nicht zulässig sei, jedenfalls nicht ein durch Austritt beendetes Kirchensteuerschuldverhältnis wieder zur Entstehung bringen könne.

a) Zu lässigkeit des konkludenten Wiedereintritts

Rechtsprechung und Literatur halten die Konstruktion eines konkludent erklärten Wiedereintritt in die Kirche und der daraus folgenden konkludenten Begründung eines Kirchensteuerschuldverhältnisses nahezu einhellig für zulässig. 403 Zur Begründung dieser These werden im wesentlichen zwei Argumente benutzt. Zum einen wird die Trennung zwischen geistlicher Gliedschaft und juristischer Mitgliedschaft an dieser Stelle wiedereingeführt. Folgerichtig wird danach unterschieden, daß der Austritt aus der Kirche nur den staatsbürgerlichen Bereich der juristischen Gliedschaft berühre, aus kirchlicher Sicht aber weder

402 Vg\. OVG Lüneburg Besch\. v. 26.5.1975 - VIII OVG B 57/75 = KirchE 14, 279; BFH Urt. v. 18.11.1977 - VI R 16/75 =BFHE 124,287; BVerfG Besch\. v. 30.11. 1983 - 1 BvR 1016/83 = KirchE 21,303; VG OIdenburg Besch\. v. 30.8.1985 - 4 VG D 40/85; OVG Lüneburg, Besch\. v. 21.11.1985 - 13 OVG B 86/85 = KirchE 23, 260 = ZevKR 31 (1986),233; VG Oldenburg Urt. v. 18.2.1986 - 4 A 250/84 = NJW 1986, 3103; OVG Lüneburg Urt. v. 26.9.1989 - 13 L 56/89; zuletzt FG Baden-Württemberg Urt. v. 24.9.1993 - 9 K 87/90 = EFG 1994, 168. 403 Vg\. OVG Lüneburg Besch\. v.21.11.1985 - 13 OVG B 86/85 = KirchE 23, 260 =ZevKR 31 (1986),233; VG Oldenburg Urt. v. 18.2.1986 - 4 A 250/84 = NJW 1986, 3103; VG Braunschweig Urt. v. 26.1.1978 - 1 A 5/76 = KirchE 16,285; Engelhardt, Austritt aus der Kirche, 31; Obermayer, NVwZ 1985, 77, 79; Bäcker, Kirchenmitgliedschaft, 84 f.; Axel v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 152 Fn.53 (dort wird der Wiedereintritt als bloße "Aktivierung der kirchlichen Gliedschaft" bezeichnet).

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

theologisch noch rechtlich als "Kirchenaustritt" existent sei. Weil der Getaufte durch die Taufe unwiderruflich Mitglied der Kirche werde, sei der Wiedereintritt eine bloße "Aktivierung der kirchlichen Gliedschaft", die ungeachtet des früheren Kirchenaustritts fortbesteht. 404 Diese metajuristische Argumentation ist äußerst problematisch. Die für das gesamte staatskirchenrechtliche Kirchenmitgliedschaftsverständnis konstitutive Unterscheidung zwischen innerkirchlicher und staatskirchenrechtlicher Kirchenmitgliedschaft wird hier in unzulässiger Weise aufgehoben mit der Folge, daß nicht mehr nach einer juristischen Begründung der für das staatliche Recht maßgeblichen Kirchenmitgliedschaft gesucht wird. Geistliche Kirchengliedschaft und juristische Kirchenmitgliedschaft werden im Ergebnis gleichgesetzt. Das Vorliegen der rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen einer Wiederaufnahme in die Kirche wird deshalb nicht mehr geprüft, weil die Gliedschaft in der Kirche Jesu Christi ohnehin fortbestanden hat. So ergibt sich das je nach Sachlage schiefe Bild, daß im Fal1 des ausdrücklich erklärten Wiedereintritts die rechtlichen Voraussetzungen der Wiederaufnahme zu prüfen sind, während im Fal1 des schlüssig erklärten Wiedereintritts diese Voraussetzungen für verzichtbar erklärt werden, weil die geistliche Gliedschaft ohnehin weiterbestanden habe. 405 Erhebliche dogmatische Mängel weist diese Ansicht auf, sofern sie mit der generel1en Ablehnung einer rechtsgeschäftlichen Beitrittserklärung für das gesamte Kirchenmitgliedschaftsrecht verbunden ist. Es ist kaum nachzuvol1ziehen, was durch das Verhalten des Wiederaufgenommenen überhaupt konkludent erklärt werden sol1, wenn die Gliedschaft ohnehin fortbestanden hat und eine ausdrückliche Beitrittserklärung zur Begründung der Mitgliedschaft nicht erforderlich ist. Wo eine ausdrückliche Willenserklärung verzichtbar erscheint, verliert auch jede Willenserklärung durch schlüssiges Verhalten ihren Sinn. Schließlich ist es auch unzutreffend, daß al1ein das kirchliche Selbstverständnis für die Würdigung der mitgliedschaftsrechtlich bedeutsamen Regelung des Wiedereintrittsverfahrens maßgeblich ist. 406 Insofern die Kirchenmitgliedschaft Bezugspunkt der Kirchensteuerpflicht des Kirchenmitglieds ist, unterliegt jede Regelung der Kirchenmitgliedschaft den Schranken des für al1e geltenden Gesetzes (Art. 137 Abs.3 WRV mit Art. 140 GG). Die Gericht haben 404 OVG Lüneburg Beschl. v. 21.11.1985 - Az. 13 OVG B 86/85 = ZevKR 31 (1986), 232, 234 in Anlehnung an Axel v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 152 Fn. 153. 405 Vgl. OVG Lüneburg, a.a.O., 234. 406 Gegen OVG Lüneburg, a.a.O., 234.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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in diesem Fall zu fragen, ob die Kirchenmitgliedschaft unter Beachtung dieser Schranken zustande gekommen ist, und, sofern dies nicht der Fall ist, die Kirchensteuerpflicht im Sinne der Landeskirchensteuergesetze zu verneinen. Ebenso ist hier zu prüfen, ob die Annahme eines konkludenten Wiedereintritts in die Kirche mit der Folge der Entstehung des Kirchensteuerschuldverhältnisses unter Beachtung der Rechte des Betroffenen erfolgt ist. Das zweite Argument für die Zulässigkeit eines konkludent erklärten Wiedereintritts in die Kirche findet sich vor allem bei denjenigen Autoren, die eine ausdrückliche Beitrittserklärung für die Begründung der Kirchenmitgliedschaft verlangen. 407 Danach setzt die Wiederaufnahme einen Aufnahmeantrag und eine Annahme dieses Antrags voraus. Da es sich bei dem Aufnahmeantrag um eine Willenserklärung des Ausgetretenen handelt, kann diese Willenserklärung nach den allgemeinen Regeln auch konkludent abgegeben werden. 408 Im Einzelfall ist nach dieser Ansicht somit zu fragen, ob das Verhalten des Betroffenen nach den allgemeinen Vorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen als konkludente, auf die Begründung der Kirchenmitgliedschaft gerichtete Willenserklärung zu verstehen ist. Dies ist z.B. bei der bloßen Angabe der Religionszugehörigkeit, die ein Zuziehender gegenüber der staatlichen Meldebehörde macht, nicht der Fall, weil dort nicht erklärt wird, daß der Zuziehende künftig (wieder) einer Religionsgemeinschaft angehören will. 409 Dieser Ansicht ist immerhin zuzugeben, daß ein Wiedereintritt in die Kirche im Wege des (Wieder-)Aufnahmeverfahrens den allgemeinen Vorschriften über Willenserklärungen unterliegt. Ein konkludenter Aufnahmeantrag ist daher grundsätzlich denkbar, doch müssen die Voraussetzungen für das Vorliegen eines solchen konkludent erklärten Aufnahmeantrages genauer in den Blick genommen werden. Ausgangspunkt für diese Frage muß das Kirchensteuerrecht sein. Auch hier gilt der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Steuerrecht. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit erfordert auch im Kirchensteuerrecht, daß Voraussetzungen und Umfang des Steueranspruchs der Kirchen eindeutig in einer Weise festgestellt werden können, daß der Steuerpflichtige die auf ihn

Z. B. Obennayer, NVwZ 1985,77,79; Bäcker, Kirchenmitgliedschaft, 84 f. Diese Ansicht findet sich bereits bei Schaen, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen, Bd.l, 1903, 316. 409 Zum Rechtscharakter der meldebehördlichen Angabe der Religionszugehörigkeit vgl. oben Abschnitt C.II.3.a.dd.(3). 407 408

15 Haß

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

entfallende Steuerlast vorausberechnen kann. 410 Weil die Kirchenmitgliedschaft den Steueranspruch begründet, muß demnach auch genau klargestellt werden, unter welchen Voraussetzungen die Kirchenmitgliedschaft begründet wird. Dies gilt auch für den Wiedereintritt in die Kirche durch schlüssiges Verhalten. Das Aufnahmeverfahren erfordert Aufnahmeantrag und Annahme durch die Kirche. Sofern ein Aufnahmeantrag durch schlüssiges Verhalten nach den allgemeinen Regeln über Willenserklärungen bejaht werden kann, ist zusätzlich eine Annahme dieses Aufnahmeantrages durch die Kirche erforderlich. Bloßes Schweigen der Kirche genügt schon deshalb nicht, weil so weder der Betroffene von seiner Kirchenmitgliedschaft und neu begründeten Kirchensteuerpflicht Kenntnis erlangt noch überhaupt festgestellt werden kann, zu welchem Zeitpunkt die Kirchenmitgliedschaft und damit die Kirchensteuerpflicht entstanden ist. Sofern der Zeitpunkt des Beginns der Kirchensteuerpflicht nicht bestimmt werden kann, liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Steuerrecht vor. 411 Es ist daher davon auszugehen, daß die Annahme des Wiederaufnahmeantrages eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, die dem Wiederaufgenommenen zugehen muß. Erhebliche Zweifel bestehen außerdem dann an der Zulässigkeit des kon" kludent erklärten Wiedereintritts, wenn bereits ausdrückliche gesetzliche Regelungen der Voraussetzungen des Wiedereintritts in die Kirche bestehen. Sofern die Kirchen durch Kirchengesetz oder Rechtsverordnung Vorschriften über die Wiederaufnahme von Ausgetretenen erlassen haben 412 , stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit eines konkludenten Wiedereintritts, bei dem die Voraussetzungen einer förmlichen Wiederaufnahme nach diesen Vorschriften nicht vorliegen. Einer Zulassung des konkludenten Wiedereintritts zusätzlich zu dem gesetzlich vorgesehenen Wiedereintrittsverfahren steht entgegen, daß der Erlaß einer gesetzlichen Regelung des Wiedereintritts in die Kirche nur so verstanden werden kann, daß ein Wiedereintritt allein unter den gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen zulässig ist. 413 Es ist rechtlich kaum zu begründen, daß ein konkludenter Wiedereintritt, der diese Voraussetzungen nicht 410 BVerfG Beschl. v. 23.10.1986 - 2 BvL 7, 8/84 = BVerfGE 73, 388, 400 (st. Rspr. seit BVerfGE 19, 253 ff., vgl. z.B. BVerfGE 49, 343, 362). 411 Vgl. zu allem auch FG Baden-Württemberg, Urt. v. 24.9.1993 - 9 K 87/90 = EFG 1994, 168, 170. 412 Z.B. die EKD-Gliedkirchen Bayern (§ 8 KGliedG), Hannover (§ 12 Nr.3 KGO), § 6 lit.b KGO Sachsen (Landeskirche). 413 Vgl. BFH Urt. v. 18.11.1977 - VI R 16/75 = BFHE 124,287 = BStBI. II 1978, 273.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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erfüllt, auch ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen möglich sein soll. Es erscheint kaum mit dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Steuerrecht vereinbar, wenn die Kirchenmitgliedschaft - und damit verbunden die Kirchensteuerpflicht - nicht nur durch den gesetzlich geregelten Wiedereintritt, sondern auch ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen begründet werden soll. Der Annahme eines konkludenten Wiedereintritts haftet in diesem Fall ein erhebliches Willkürmoment an. Es ist für den Betroffenen nicht eindeutig voraussehbar, ob und wann die Kirche die Voraussetzungen eines konkludenten Wiedereintritts für erfüllt hält. Der konkludente Wiedereintritt führt in diesen Fällen zu einem verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Maß an kirchensteuerlicher Rechtsunsicherheit, so daß diese Konstruktion wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Steuerrecht abgelehnt werden muß.414 Bei bestehenden kirchengesetzlichen Regelungen des Wiedereintritts ist für den Betroffenen nicht voraussehbar, daß die Kirche ihn auch ohne Vorliegen dieser Voraussetzungen als Kirchenmitglied behandeln kann. Die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, nach der es nicht auf das Bestehen eines besonders geregelten Wiederaufnahmeverfahrens ankommt, ist daher abzulehnen. In den übrigen Fällen, in denen keine besondere Regelung des (Wieder-) Aufnahmeverfahrens besteht, ist nach den oben entwickelten Grundsätzen zu verfahren. Die Kirchenmitgliedschaft setzt voraus, daß Taufe, Wohnsitz im Bereich der aufnehmenden Kirche und Bekenntnis zur evangelischen Kirche als objektive Erfordernisse vorliegen und daß eine auf den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft gerichtetete Willenserklärung als subjektives Element hinzukommt. 415 Die Willenserklärung ist unverzichtbar, andernfalls liegt eine verfassungswidrige Zwangsmitgliedschaft vor. Wie jede Willenserklärung kann auch der Beitritts-, Aufnahme- oder Wiedereintrittsakt in einem schlüssigen Handeln bestehen. Ein konkludent erklärter Wiedereintritt ist in diesen Fällen mithin nicht grundätzlieh ausgeschlossen. Zu beachten ist jedoch, daß der Aufnahmeantrag von der Aufnahmeentscheidung seitens der Kirche begleitet werden muß, da sonst keine Aufnahme zustande kommen kann. Auch diese Aufnahmeentscheidung kann in einem schlüssigen Handeln bestehen. Doch ist aus Gründen der Rechtssicherheit notwendig, daß die Aufnahmeentscheidung dem Betrof-

414 Ähnlich auch FG Baden-Württemberg Urt. v. 24.9.1993 = EFG 1994, 168, 169. 415 Vgl. Engelhardt, NVwZ 1992, 239, 240; ausführlich zu den einzelnen Voraussetzungen der Kirchenmitgliedschaft nach dem Recht der EKD vgl. oben Abschnitt B.N.-VII. 15'

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

fenen auch zugeht. 416 Andernfalls ließe sich im Streitfall nachträglich kaum der konkrete zeitliche Beginn der Kirchenmitgliedschaft nachweisen, so daß auch der Beginn der Kirchensteuerpflicht unsicher bleiben müßte. Sofern keine gesetzliche Regelung der Wiederaufnahme durch die Gliedkirchen getroffen worden sind, ist ein Wiedereintritt durch schlüssige Willenserklärung (nur) dann möglich, wenn eine schlüssige oder ausdrückliche Aufnahmeentscheidung der Kirche dem Betroffenen zugeht und der genaue Zeitpunkt der Wiederaufnahme bzw. der erneuten Begründung von Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht in eindeutiger Weise bestimmt werden kann.

b) Beachtlichkeit von Mängeln der konkludenten Willenserklärung In den Fällen, in denen kein besonderes (Wieder-)Aufnahmeverfahren existiert, ist der konkludent erklärte Wiedereintritt in die Kirche unter den soeben beschriebenen Voraussetzungen zulässig. Da es sich bei dem Wiederaufnahmebegehren um eine schlüssige Willenserklärung handelt, künftig der Kirche angehören zu wollen, stellt sich die Frage der Beachtlichkeit von Mängeln bei der Willensbildung im Rahmen dieser Erklärung. Nach einer Formulierung von Obermayer, der Willens mängel in diesen Fällen grundsätzlich für beachtlich hält, "läßt sich die Zahlung einer angeforderten Kirchensteuer als konkludent erklärter Beitritt werten, wenn sie nicht in Unkenntnis der Rechtslage oder unter Vorbehalt erfolgt ist, sondern (auch) in der Absicht, die Zugehörigkeit zur Kirche zum Ausdruck zu bringen."417 Die Zahlung unter Vorbehalt stellt keine besonderen Probleme. In diesem Fall zahlt der Betroffenen objektiv und für jedermann erkennbar nicht, weil er sich der Kirche zugehörig fühlt, sondern er bringt durch den Vorbehalt eindeutig zum Ausdruck, daß er die Zahlung nicht zur Begründung der Kirchenmitgliedschaft erbringen will. Eine Zahlung unter Vorbehalt kann daher schon nach ihrem objektiven Erklärungswert nicht als konkludente (Wieder-)Eintrittserklärung bewertet werden.

416 FG Baden-Württemberg Urt. v. 24.9.1993 = EFG 1994, 168, 170 (die Parallele zum Vereinsrecht des BGB geht fehl, weil die Deduktion der kirchenrechtlichen Voraussetzungen einer Wiederaufnahme aus dem privatrechtlichen Vereinsrecht durch staatliche Gerichte gegen die verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmung der Kirchen (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs.3 WRV) verstößt. 417 Obennayer, NVwZ 1985,77,79.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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Anders verhält es sich mit den klassischen Mängeln der Willens bildung, zu denen auch die von Obermayer angeführte Unkenntnis der Rechtslage zählt. Nach den allgemeinen Regeln kommt hier lediglich eine Anfechtung wegen Irrtums in Betracht. Bei dem Antrag auf (Wieder-)Aufnahme in die Kirche handelt es sich um eine Willenserklärung. Für konkludente Willenserklärungen gelten dieselben Regeln wie für Willenserklärungen überhaupt, so daß auch konkludente Willenserklärungen den allgemeinen Vorschriften über die Anfechtung unterliegen (vgl. §§ 119 ff. BGB).418 Weiß der Betroffene nicht, daß sein schlüssiges Verhalten eine Rechtsfolge hier die Begründung der Kirchenmitgliedschaft - auslöst, so handelt es sich um einen Inhaltsirrtum in Form eines sog. Rechtsfolgenirrtums, der nur dann zur Anfechtung entsprechend § 119 Abs.l, 1. Fall BGB berechtigen kann, wenn der Erklärende ausgerechnet über die Rechtsfolge irrt, auf deren Herbeiführung die Erklärung ihrem Inhalt nach gerichtet ist. 419 Hier ist das schlüssige Verhalten des Betroffenen regelmäßig nach seinem Erklärungsinhalt auf die Wiederbegründung der Kirchenmitgliedschaft (bzw. die Aufnahme in die Kirche) gerichtet. Irrt der Betroffene über die Bedeutung und hat er nicht einmal Kenntnis davon, daß seinem Verhalten überhaupt rechtserhebliche Bedeutung zukommt, so ist dies ein Rechtsfolgenirrtum, der zur Anfechtung nach § 119 Abs.l, 1. Fall BGB berechtigt. Als Ergebniskontrolle kann ein Vergleich mit dem Vereinsrecht dienen. Beim Vereinseintritt wird ein atypischer Vertrag abgeschiossen 420 mit der Folge, daß die Mitgliedschaft in dem Verein begründet wird. Irrt sich der Erklärende darüber, daß seinem schlüssigen Verhalten die Bedeutung eines Vereinsbeitritts zukommt, so liegt ein Irrtum über die Rechtsfolge vor, der zur Anfechtung nach § 119 Abs.l, 1. Fall BGB berechtigt. Irrt der Erklärende also darüber, daß seinem schlüssigen Verhalten die Bedeutung eines Wiedereintritts in die Kirche zukommt, so ist er folglich zur Anfechtung des Wiedereintritts entsprechend § 119 Abs.l, 1. Fall BGB berechtigt. Es wird in diesen Fällen jedoch darauf zu achten sein, daß die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs.l S.l BGB) erfolgt. Darüber hinausgehende Irrtümer - hierzu zählt vor allem der Irrtum über das Fortbestehen der Kirchensteuerpflicht - berechtigen nicht zur Anfechtung, weil

Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 19 IV b, S. 314. Larenz, a.a.O., § 2011 a, 330. 420 BGH Vrt. v. 29.6.1987 - 11 ZR 295/86 = BGHZ 101, 193.

418 419

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

es sich hier um Rechtsfolgen handelt, die (unabhängig von Kenntnis und Willen des Erklärenden) durch die Rechtsordnung an den Wiedereintritt in die Kirche geknüpft werden. 421

V. Erwerb der Gemeindezugehörigkeit und Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten "in besonderen Fällen" Eine wichtige Durchbrechung des Wohnsitz- und damit des Territorialprinzips steHt der Erwerb der Gemeindezugehörigkeit in besonderen FäHen dar. Bestehen "besondere (kirchliche) Beziehungen" des Kirchenmitglieds zu einer anderen Kirchengemeinde als der des Wohnsitzes, so kommt der Erwerb der Gemeindezugehörigkeit in dieser Gemeinde in Betracht. Nach § 1 Abs.2 S.2 i.V.m. § 20 EKD-KMitgliedG können die Gliedkirchen bestimmen, daß die Zugehörigkeit auch zu einer anderen Kirchengemeinde als der des Wohnsitzes begründet werden kann. In diesem FaH handelt es sich um eine struktureH interessante Ausnahme von dem Erfordernis des Wohnsitzes. Die Kirchenmitgliedschaft kann in derartigen FäHen nicht nur zu einer anderen Kirchengemeinde, sondern auch zu einer anderen Gliedkirche als der des Wohnsitzes begründet werden. Die Kirchenverfassungen kennen eine solche Möglichkeit vor aHem als Umgemeindung. 422 Wo die Umgemeindung die Grenzen einzelner Gliedkirchen überschreitet, ist aHerdings der Abschluß von Vereinbarungen zwischen den betroffenen Kirchen über den Erwerb der Gemeindezugehörigkeit in grenzüberschreitenden FäHen erforderlich. 423

Vgl. Larenz, a.a.O., § 20 II a, 330. Vgl. z.B. § 8 Abs.6 Ev.-ref Kirche; § 9 KGO Landeskirche Sachsen i.V.m. §§ 9, 10 AVO zur KGO; Art. 10 KO Pommern; KG zur Regelung der Gemeindegliedschaft in besonderen Fällen (Westfalen) v. 16.11.1990 (KABI. 1990, 202); § 5 KMitgliedG Mecklenburg, vgl. auch §§ 5, 6 KMKMVO v. 17.2.1989 (Nordelbien); § 9 KGO Hanno421 422

ver.

423 Vgl. z.B. die Vereinbarung zwischen der Evang. Kirche in Hessen und Nassau und der Evang. Kirche der Pfalz v. 13.122.5.1991 (ABI. der Evang. Kirche der Pfalz 1992, 10); Vereinbarung der Evang. Kirche im Rheinland und der Evang. Kirche der Pfalz v. 23.130. 11.1992 (ABI. der Evang. Kirche der Pfalz 1993, 70); vgl. ferner zu Umgemeindungen über die Grenzen der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche § 7 KMKMVO Norde/bien, wo der Abschluß von zwischenkirchlichen Vereinbarungen vorgesehen ist.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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Zwar nicht den vollständigen Erwerb der Gemeindezugehörigkeit, aber die Gewährung von umfassenden Mitgliedschaftsrechten sehen andere gliedkirchliche Vereinbarungen über die Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten in besonderen Fällen vor. 424

1. Umgemeindung innerhalb einer EKD-Gliedkirche

Die geringsten Schwierigkeiten bereitet die Umgemeindung des Kirchenmitglieds innerhalb des Territoriums einer EKD-Gliedkirche. Das Kirchenmitglied hat einen Antrag an den Kirchenvorstand der aufnehmenden Kirchengemeinde zu stellen. 425 Wenn nicht besondere Gründe entgegenstehen, hat der Kirchenvorstand dem Antrag stattzugeben. Gegen einen ablehnenden Bescheid ist die Beschwerde beim Vorstand der aufnehmenden Kirchengemeinde (so in Norde/bien) oder beim Kirchenkreisvorstand (so in der Hannoverschen Landeskirche) zulässig. Mit der Annahme des Antrags erwirbt das Kirchenmitglied alle Rechte und Pflichten der aufnehmenden Gemeinde426 , die Mitgliedschaft in der bisherigen Gemeinde wird dadurch vollständig ersetzt. Für den Fall des Wohnsitzwechsels sehen einige Landeskirchen ein vereinfachtes Umgemeindungsverfahren vor, um dem Kirchenmitglied auch weiterhin die Zugehörigkeit zur Kirchengemeinde des bisherigen Wohnsitzes zu errnöglichen. 427 Der Antrag wirkt vom Zeitpunkt des Wohnsitzwechsels an, sofern er im zeitlichen Zusammenhang mit dem Wohnsitzwechsel erfolgt ist. Die Kirchensteuerpflicht bleibt bei der Umgemeindung im Bereich einer Landeskirche unberührt, soweit die Landeskirche Gläubiger der Kirchensteuer ist; andernfalls tritt durch die Umgemeindung eine Veränderung auch des Kirchensteuerverhältnisses ein.

424 Vgl. die Vereinbarung der Bremischen Evang. Kirche und der EV.-Luth. Landeskirche Hannovers über die Wahrnehmung von Kirchenmitgliedschaftsrechten in besonderen Fällen; Vereinbarung der Evang. Kirche in Hessen und Nassau und der Evang. Kirche von Kurhessen-Waldeck v. 7./24.11.1985 (KABI. der Evang. Kirche in Hessen und Nassau 1985, 110). 425 Vgl. z.B. § 9 KGO der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover. 426 § 5 Abs.3 KMKMVO Nordelbien. 427 § 9 Abs.3 KGO der EV.-Luth. Landeskirche Hannover, § 9 Abs.3 AVO zur KGO der EV.-Luth. Landeskirche Sachsen.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

2. Erwerb der Gemeindezugehörigkeit in einer anderen Landeskirche

Der Erwerb der Gemeindezugehörigkeit in einer anderen Landeskirche als der des Wohnsitzes betrifft gleichzeitig die Beziehungen der Landeskirchen zueinander. Aus diesem Grund werden zur Regelung einer derartigen Umgemeindung über die Grenzen einer Landeskirche hinweg Vereinbarungen zwischen den Gliedkirchen über den Erwerb der Gemeindezugehörigkeit in besonderen Fällen getroffen. 428 Diese Vereinbarungen werden zwischen den Gliedkirchen der EKD auf der Basis des § 20 Abs.1 S.I i.V.m. § I Abs.2 S.2 EKD-KMitgliedG geschlossen. Nach § I Abs.2 S.2 EKD-KMitgliedG kann das Recht der Gliedkirchen bestimmen, daß "unter besonderen Voraussetzungen" auch die Kirchenmitgliedschaft zu einer anderen Kirchengemeinde als der Gemeinde des Wohnsitzes begründet wird. Die zur Zeit bestehenden Vereinbarungen über den Erwerb der Gemeindezugehörigkeit in besonderen Fällen entsprechen weitgehend einer Mustervereinbarung der Arnoldshainer Konferenz v. 23.5.1984. 429 Auf dieser Grundlage werden im wesentlichen zwei Fälle des Erwerbs der Gemeindezugehörigkeit in besonderen Fällen unterschieden. Die Umgemeindung in eine Gemeinde, die einer anderen Landeskirche angehört (§ I Abs.1 Mustervereinbarung) sowie die Beibehaltung der bisherigen Gemeindezugehörigkeit bei Wohnsitzwechsel in eine andere Landeskirche (§ 1 Abs.2 Mustervereinbarung). Beide Fälle werden rechtlich im wesentlichen gleichbehandelt, da die mit der Aufhebung des Wohnsitzerfordernisses verbundenen Probleme weitgehend identisch sind.

428 Vgl. z.B. die Vereinbarung zwischen der Ev.-Luth. Kirche in Braunschweig und der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover v. 6.12.1985 (ABI. EKD 1986,58), die Vereinbarung zwischen der Evang. Kirche der Pfalz und der Evang. Kirche im Rheinland v.23.130.11.1992 (ABI. der Evang. Kirche der Pfalz 1993, 70); die Vereinbarung zwischen der Evang. Kirche in Hessen und Nassau und der Evang. Kirche der Pfalz v. 13.122.5.1991 (ABI. der Evang. Kirche der Pfalz 1992, 10), die Vereinbarung über Fragen der Kirchenmitgliedschaft zwischen der Evang. Landeskirche in Baden und der Evang. Landeskirche in Württemberg v. 5.11./2.12.1987 (ABI. d. Evang. Kirche in Württemberg Bd. 53 S. 81). 429 ABI. EKD 1984, 477. Vgl. auch die Gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD v. 3.12.1981, in: Axel v. CampenhausenlJ. Christoph (Hrsg.), Göttinger Gutachten, 6, 31 ff.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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Die bisher auf der Grundlage der Mustervereinbarung der Arnoldshainer Konferenz abgeschlossenen Vereinbarungen machen für den Erwerb der Gemeindezugehörigkeit in einer anderen Landeskirche als der des Wohnsitzes einheitlich zur Voraussetzung, daß "besondere (kirchliche) Beziehungen" zu der aufnehmenden Gemeinde bestehen 430 und daß die Lage des Wohnsitzes die regelmäßige Teilnahme am kirchlichen Leben dieser Gemeinde zuläßt. 431 Das Kirchenmitglied muß einen Antrag bei dem Vorstand (Kirchenvorstand, Presbyterium) der Kirchengemeinde432 , in der Evang. Kirche der Pfalz an den Bezirkskirchenrat des Kirchenbezirks, zu dem die aufnehmende Gemeinde gehört, stellen. Die Entscheidungszuständigkeit der kirchlichen Organe ist unterschiedlich geregelt. In der Evang. Kirche des Rheinlandes entscheidet der Kreissynodalvorstand im Einvernehmen mit dem Presbyterium der aufnehmenden Kirchengemeinde433 , in der Evang. Kirche der Pfalz entscheidet der Bezirkskirchenrat nach Anhörung der beteiligten Kirchengemeinden434, während in Hessen und Nassau die Entscheidung in der Zuständigkeit der aufnehmenden Kirchengemeinde bzw. ihres Kirchenvorstandes verbleibt, der allerdings vor der Entscheidung die abgebende Kirchengemeinde und den für diese zuständigen Bezirkskirchenrat zu hören hat. 435

430 Die Vereinbarung zwischen der Ev.-Luth. Landeskirche in Braunschweig und der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover v. 6.12.1985 (AB\. EKD 1986,58) verlangt in § 5 Abs.1 lit.a, daß das Kirchenmitglied "glaubhaft macht, daß es sich aufgrund besonderer Bindungen seit mindestens einem Jahr zu der Kirchengemeinde seiner Wahl hält." Die übrigen Vereinbarungen halten sich an die offene Formulierung der Arnoldshainer Mustervereinbarung. 431 § I Abs.1 Vereinbarung zwischen der Ev. Kirche im Rheinland und der Ev. Kirche der Pfalz; § I Abs.1 Vereinbarung zwischen der Ev. Kirche der Pfalz und der Ev. Kirche in Hessen und Nassau. 432 So z.B. in der Ev. Kirche im Rheinland und der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, in der Ev. Kirche in Baden und der Ev. Kirche in Württemberg ist der Antrag an Kirchengemeinderat bzw. Ältestenkreis der Kirchengemeinde zzu richten. Zur Entscheidungszuständigkeit der aufnehmenden Kirchengemeinde vg\. § 2 Abs.l der (insoweit identischen) Arnoldshainer Mustervereinbarung (AB\. EKD 1984, 477). 433 § 2 Abs.1 S.2 der Vereinbarung zwischen der Ev. Kirche im Rheinland und der Ev. Kirche der Pfalz. 434 § 3 der Vereinbarung zwischen der Ev. Kirche in Hessen und Nassau und der Ev. Kirche der Pfalz; vg\. auch § 3 Abs.2 der Vereinbarung zwischen der Ev.Luth. Landeskirche in Braunschweig und der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers (Entscheidung durch den Kirchenkreis-/ Propsteivorstand). 435 § 2 der Vereinbarung zwischen der Ev. Kirche in Hessen und Nassau und der Ev. Kirche der Pfalz.

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

Die Tatsache, daß ein Wechsel der Gemeindezugehörigkeit über die Grenzen der Landeskirchen hinweg zwangsläufig sowohl die Interessen der beteiligten Kirchengemeinden wie auch gesamtkirchliche Belange betrifft, findet somit durchaus unterschiedliche Berücksichtigung in der Zuständigkeitsverteilung und bei der Frage der Anhörungspflicht. Aufgrund der gesamtkirchlichen Bedeutung derartiger Wechsel der Gemeindezugehörigkeit besteht in der Ev. Kirche im Rheinland zusätzlich ein "Selbsteintrittsrecht" der Landeskirchenleitung, damit diese im Einzelfall die Entscheidung des Kreissynodalvorstandes an sich ziehen kann. 436 Nach der Entscheidung ist diese dem Antragsteller mitzuteilen. Im Fall einer ablehnenden Entscheidung besteht die Möglichkeit der Beschwerde bzw. des Widerspruchs bei der Kirchenleitung (in der Ev. Kirche der Pfalz beim Landeskirchenrat).437 Entscheidend für den Eintritt der Rechtsfolge, d.h. den Erwerb der Gemeindezugehörigkeit in der anderen Landeskirche, ist der Zugang der Entscheidung oder in Beschwerde- und Widerspruchsfällen der Zugang der (abhelfenden) Widerspruchsentscheidung der Kirchenleitung. Mit dem Zugang der Entscheidung ist der Antragsteller damit Kirchenmitglied einer anderen Kirchengemeinde als der seines Wohnsitzes. Die Mitgliedschaft in Landeskirche und Kirchengemeinde des Wohnsitzes samt der damit verbundenen Rechte und Pflichten erlischt gleichzeitig und wird vollkommen durch die Mitgliedschaft in der anderen Landeskirche ersetzt. 438 Aus staatskirchenrechtlicher Sicht ist hervorzuheben, daß die Kirchensteuerpflicht von diesem Wechsel der Kirchenzugehörigkeit unberührt bleibt. Die Steuerpflicht besteht in allen Fällen gegenüber der Kirchengemeinde und der Gliedkirche des Wohnsitzes des Antragstellers. 439 Diese Regelung überrascht insoweit, als die Mitgliedschaft in diesem Fall zu einer anderen Kirche besteht als die Kirchensteuerpflicht. Kirchensteuergläubiger ist somit eine andere Kirche

436 § 2 Abs.2 der Vereinbarung zwischen der Ev. Kirche im Rheinlanti und der Ev. Kirche der Pfalz (im Rheinland ist die Unterrichtung der Kirchenleitung vor der Entscheidung über den Erwerb der neuen Gemeindezugehörigkeit vorgeschrieben). 437 In der Ev. Kirche im Rheinlanti ist laut § 2 Abs.3 der Vereinbarung mit der Ev. Kirche der Pfalz der Widerspruch innerhalb eines Monats einzulegen bei der Kirchenleitung, die übrigen Landeskirchen kennen keine Befristung des Widerspruchrechts. 438 Vgl. § 4 Abs.2 der Vereinbarung zwischen der Ev. Kirche der Pfalz und der Ev. Kirche im Rheinland; § 5 Abs.4 der Vereinbarung zwischen der EV.-Luth. Landeskirche in Braunschweig und der EV.-Luth. Landeskirche Hannovers. 439 § 4 Abs.3 der Vereinbarung zwischen der Ev. Kirche der Pfalz und der Ev. Kirche in Hessen und Nassau.

C. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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als diejenige, in der die Mitgliedschaft besteht. Dieses Auseinanderfallen steht in gewissem Widerspruch zu dem Grundsatz, daß die Kirchen lediglich ihre Mitglieder der Besteuerung unterwerfen dürfen. Da die Kirche im Wege des sog. Clearingverfahrens ein Ausgleichsverfahren für Differenzen zwischen Steuereinnahmen und Mitgliederstand vereinbart haben, ist jedoch - ähnlich wie beim erwähnten Auseinanderfallen zwischen steuerlichem und mitgliedschaftsrechtlichem Wohnsitz - gewährleistet, daß die Kirchensteuer derjenigen Kirche zukommt, der das Kirchenmitglied angehört. Die Trennung zwischen Mitgliedschaft und Kirchensteuerberechtigung ist in diesem Fall durch verwaltungstechnische Gründe zu erklären, da eine Meldung der Religionszugehörigkeit als Voraussetzung der Besteuerung allein am Wohnsitz des Kirchenmitglieds erfolgt; von der wohnsitzunabhängigen Begründung der Kirchenmitgliedschaft in einer anderen Landeskirche wird die staatliche Melde- und auch die Steuerbehörde nicht unterrichtet, so daß die unveränderte, an den Wohnsitz gebundene Besteuerung interessengerecht erscheint. Die auf diesem Wege erworbene Kirchenzugehörigkeit zu einer anderen Landeskirche als der des Wohnsitzes erlischt entweder durch Verzicht440 , der jederzeit erklärt werden kann und die Wiederherstellung der Zugehörigkeit zur Wohnsitzgemeinde zur Folge hat, oder durch jede erneute Verlegung des Wohnsitzes in eine andere Kirchengemeinde, die gegebenenfalls eine neue Antragstellung erforderlich macht. Im übrigen muß die Entscheidung widerrufen werden, wenn eine der Voraussetzungen (besondere kirchliche Bindung oder Lage des Wohnsitzes) entfallen ist. 441 Die Umgemeindung infolge des Widerrufs der Entscheidung wird drei Monate nach Zugang der Widerrufsentscheidung rechtswirksam, gegen den Widerrruf der Entscheidung kann Widerspruch bei der Kirchenleitung eingelegt werden. 442

Vgl. § 4 Mustervereinbarung (a.a.O). § 5 Abs.2 Mustervereinbarung (a.a.O.); § 6 Abs.1 der Vereinbarung zwischen der Evang. Kirche im Rheinland und der Evang. Kirche der Pfalz; § 6 Abs.2 der Vereinbarung zwischen der Evang. Kirche in Hessen und Nassau und der Evang. Kirche der Pfalz. 442 § 5 Abs.2 S.3 der Mustervereinbarung (a.a.O.); § 6 Abs.1 S.5 der Vereinbarung zwischen der Evang. Kirche im Rheinland und der Evang. Kirche der Pfalz. 440 441

236

Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch) 3. Wahrnehmung von Kirchenmitgliedschaftsrechten "in besonderen Fällen"

Durch den Erwerb der Gemeindezugehörigkeit zu einer anderen Kirchengemeinde als der des Wohnsitzes wird die Zugehörigkeit zu der Gemeinde des gegenwärtigen Wohnsitzes ausgeschlossen, da nach dem EKD-KMitgliedG 1976 und den Vereinbarungen der Gliedkirchen nicht gleichzeitig zwei Mitgliedschaften nebeneinander bestehen können. Die unbefriedigende Situation, die aus der fehlenden Bindung an die Wohnsitzgemeinde resultiert, hat zu einer kirchenrechtlichen Konstruktion geführt, die die Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten in einer anderen Landeskirche ermöglicht, während gleichzeitig die Mitgliedschaft in der Kirchengemeinde des (neuen) Wohnsitzes unangetastet bleibt. Die Gliedkirchen der EKD haben auf der Grundlage des § 1 Abs.2 und des § 20 Abs.l S.1 EKD-KMitgliedG Vereinbarungen über die "Wahrnehmung von Kirchenmitgliedschafsrechten in besonderen Fällen"443 abgeschlossen, die eine Gewährung einer mitgliedschaftsähnlichen Rechtsposition vorsehen und so einerseits die seelsorgerlich unbefriedigende Situation einer Umgemeindung zu vermeiden suchen, andererseits aber auch kirchenpolitisch dort ein probates Mittel sind, wo der Abschluß einer Vereinbarung über die Umgemeindung zwischen den Gliedkirchen aus kirchlichen oder sonstigen Gründen unmöglich erscheint. Ähnlich wie bei dem Erwerb der vollen Gemeinde- bzw. Kirchenmitgliedschaft in einer anderen Landeskirche als der des Wohnsitzes werden zwei Fälle des Erwerbs von Mitgliedschaftsrechten in einer anderen Landeskirche unterschieden: die Beibehaltung von Mitgliedsrechten in der Gemeinde des bisherigen Wohnsitzes sowie der Erwerb von Mitgliedsrechten in einer anderen Gemeinde

443 Vertrag über die Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten in besonderen Fällen zwischen der Evang. Kirche in Hessen und Nassau und der Evang. Kirche von Kurhessen- Waldeck v. 7.11./ 24.11.1985 (ABI. EKD 1986, 67); Vereinbarung zwischen der Nordelbischen EV.-Luth. Kirche und der EV.-Luth. Landeskirche Hannovers v. 19.12.1988/18.1.1989 (ABI. EKD 1989,408); Vereinbarung über die Wahrnehmung von Kirchenmitgliedschaftsrechten in besonderen Fällen zwischen der EV.-Luth. Landeskirche Hannovers und der EV.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe v. 10.131.1.1991 (ABI. EKD 1991, 486); Vereinbarung über die Wahrnehmung von Kirchenmitgliedschaftsrechten in besonderen Fällen zwischen der Bremischen Evang. Kirche und der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers v. 30.1./5.2.1992 (ABI. EKD 1992,348).

c. Einzelfragen des Mitgliedschaftserwerbs (evangelisch)

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bzw. Landeskirche als der des gegenwärtigen Wohnsitzes. 444 Die Voraussetzungen für diesen sog.·Erwerb von Mitgliedschaftsrechten in besonderen Fällen sind dieselben wie bei der Umgemeindung in eine andere Landeskirche (Erwerb der Mitgliedschaft in besonderen Fällen): a) besondere kirchliche Beziehungen zu der anderen Kirchengemeinde und b) geeignete Lage des neuen Wohnsitzes, die eine regelmäßige Teilnahme am Leben dieser Kirchengemeinde zulassen muß.445 Das in den Vereinbarungen vorgesehene Antragsverfahren ist strukturell mit dem oben beschriebenen Umgemeindungsverfahren identisch. Der Antrag ist an den Vorstand der Kirchengemeinde zu richten, in der Mitgliedsrechte erworben werden sollen. Vor der Entscheidung über den Antrag durch den Kirchengemeindevorstand ist die Zustimmung der Kirchengemeinde des gegenwärtigen Wohnsitzes einzuholen. Gegen eine ablehnende Entscheidung kann Widerspruch bei dem zuständigen Landeskirchenamt eingelegt werden. Soweit dem Antrag stattgegeben wird, entstehen mit dem Zugang der Entscheidung bei dem Kirchenmitglied bestimmte Mitgliedschaftsrechte, die eine mitgliedsähnliche Stellung des Antragstellers herstellen. Dieser Vorgang ist rechtlich besonders interessant, weil damit eine Spaltung der Mitgliedschaftsrechte verbunden ist. In der gewählten Kirchengemeinde entstehen in der Regel a) das aktive und passive Wahlrecht und b) das Recht aufInanspruchnahme von Amtshandlungen. 446 Dieser Erwerb von Mitgliedschaftsrechten in einer anderen Landeskirche bzw. Kirchengemeinde wirkt sich auf die Mitgliedsstellung in der Kirchengemeinde des gegenwärtigen Wohnsitzes aus. Das aktive und passive Wahlrecht in der Wohnsitzgemeinde ruht, das Recht zur Inanspruchnahme von Amtshandlungen bleibt jedoch unberührt. Die Kirchenmitgliedschaft in der Wohnsitzkirchengemeinde wird also beschränkt, ein Teil der Mitgliedschaftsrechte wird abgespalten und lebt als mitgliedschaftsähnliche Rechtsstellung zu einer anderen Kirchengemeinde als der des Wohnsitzes wieder auf. Es handelt sich hier - anders als bei der Umgemeindung - nicht eigentlich um eine Durchbrechung des Wohnsitzprinzips, weil keine volle Mitgliedschaft in der

444 Vgl. z.B. § 1 der Vereinbarung der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche und der Ev.Luth. Landeskirche Hannover (a.a.O.) und § 1 der Vereinbarung zwischen der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover und der Ev.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe (a.a.O.). 445 Vgl. § 1 der Vereinbarung zwischen der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche und der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover (a.a.O.). 446 Z.B. § 2 Abs.l der Vereinbarung der zwischen der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche und der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover (a.a.O.).

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Zweiter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (evangelisch)

anderen Kirchengemeinde entsteht. Für das Kirchensteuerrecht bedeutet dies, daß keine Veränderung der Kirchenmitgliedschaft und damit keine Änderung der steuerberechtigten Kirche eintritt. Staatskirchenrechtlich wirkt sich der Erwerb von Mitgliedschaftsrechten in besonderen Fällen aufgrund des Fortbestehens der Mitgliedschaft nicht aus. Innerkirchlich ist dieser Vorgang jedoch von erheblicher Tragweite. Die Kirchenmitgliedschaft als Rechtsinstitut verliert auf diese Weise ihre bisher genau umrissene Gestalt, weil neben der vollständigen Kirchenmitgliedschaft nun auch Nichtmitglieder als Inhaber von Mitgliedschaftsrechten und Kirchenmitglieder mit eingeschränkten Mitgliedschaftsrechten existieren. Die juristische Kirchenmitgliedschaft wird auf diese Weise flexibilisiert, ein Entgegenkommen gegenüber denjenigen, die sich einer Kirchengemeinde nach eigenen Vorstellungen anschließen wollen. Ob der Erwerb von begrenzten Mitgliedschaftsrechten als zusätzliches Rechtsinstitut notwendig ist neben dem Erwerb der vollen Mitgliedsstellung durch Umgemeindung, ist zu bezweifeln. Zwar ist die fortbestehende Bindung an die derzeitige Wohnsitzgemeinde sinnvoll. Doch ist mit der Möglichkeit der Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten in zwei Gemeinden eine Art privilegierter Mitgliedschaft geschaffen worden. Die Kirchenmitgliedschaft verliert außerdem ihre Konturen, wenn neue mitgliedschaftsähnliche Rechtsstellungen geschaffen werden. 447 Ob die Einführung derartiger mitgliedschaftsähnlicher Rechtsformen zu einer Auflösung der Kirchenmitgliedschaft führen wird, bleibt abzuwarten.

447

Diese Gefahr übersieht Clasen, 10 f.

Dritter Teil

Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach katholischem Kirchenrecht A. Grundstrukturen des katholischen Kirchenmitgliedschaftsrechts Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft im Bereich der römisch-katholischen Kirche hat keine dem EKD-KMitgliedG vergleichbare Regelung gefunden. Das gesamte Kirchenmitgliedschaftsrecht muß hier vielmehr aus einer Vielzahl einzelner Normen des Codex Iuris Canonici (CIC) von 1983 entwickelt werden. Für den mitgliedschaftsrechtlich besonders bedeutsamen Bereich des Meldewesens haben die deutschen Diözesen zusätzlich auf Empfehlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands die "Anordnung über das kirchliche Meldewesen (Kirchenmeldewesenanordnung - KMAO) " vom 5.12.1979 erlassen. l Die KMAO statuiert in § 1 einen vom kanonischen Recht abweichenden Kirchenmitgliedschaftsbegriff.2 Im Gegensatz zum evangelischen Kirchenmitgliedsrecht ist die Regelung des katholischen Mitgliedschaftsrechts nicht durch ein historisch geprägtes Landeskirchenturn erschwert. Hieraus ergeben sich deutliche Erleichterungen gegenüber der evangelischen Seite, was die Eingliederung von zuziehenden Ausländern und deren Heranziehung zur Kirchensteuer anbelangt. Innerkirchlich ist die Entwicklung des Kirchenmitgliedschaftsrechts jedoch längst nicht abgeschlossen. Vor allem die umstrittene kanonistische Bewertung des Kirchenaustritts nach staatlichem Recht und die Diskussion der Formel "actu formali deficere" (vgl. cann. 1086, 1117, 1124) in der kanonistischen Literatur3

1 In den Amtsblättern der Diözesen veröffentlicht, z.B. für die Diözesen Münster (nrw. Teil), KirchI. ABI. v. 1.6.1978, S. 84; Köln, ABI. v. 15.12.1978, S. 259; Osnabrück, KirchI. ABI. v. 24.8.1978, S. 99; Paderbom, KirchI. ABI. v. 10.7.1978, S. 97; Essen, KirchI. ABI. v. 14.6.1978, S. 68. 2 VgI. unten Abschnitt 1.3. 3 VgI. Lüdicke in: Festschrift für H. Schwendenwein, 377, 385 ff.; Gradauer, ThPQ 132 (1984), 64-75; Lenherr, ArchkathKR 152 (1984), 107-125.

240

Dritter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (katholisch)

belegen dies. Das Kirchenmitgliedschaftsrecht der römisch-katholischen Kirche nach dem neuen Codex hat sich gegenüber dem Corpus Iuris Canonici von 1917 sichtlich gewandelt. Diese Entwicklung soll zunächst kurz nachgezeichnet werden, bevor die gegenwärtige Rechtslage und deren Einzelprobleme beschrieben werden.

I. Entwicklung des Kirchenmitgliedschaftsrechts seit dem CIe von 1917 Can. 17 des Corpus Iuris Canonici von 1917 stellt lapidar fest: "Baptismate homo constituitur in Ecclesia Christi persona cum omnibus christianorum iuribus et officiis ... ". Die Kirchengliedschaft wurde damit nach der alten Rechtslage allein durch die Taufe begründet, ohne daß es auf ein weiteres Merkmal ankam. "Durch die Taufe" bedeutete nach dieser Rechtslage, daß unabhängig von der konfessionellen Zugehörigkeit jedenfalls bei Zugrundelegung der ordnungsgemäßen "christlichen" Taufe jeder Christ unabhängig von seiner Konfession in die katholische Kirche eingegliedert wurde. Dieser Rechtssatz ist ohne weiteres auf dem Hintergrund der vorkonziliaren Ekklesiologie verständlich, wenn man bedenkt, daß die geglaubte Kirche Jesu Christi und die katholische Kirche in Theologie und Kirchenrecht identifiziert wurden. Es handelt sich dabei um eben jene Identifikation, die durch die Reformatoren so heftig bestritten worden war. Die Probleme eines doppelten Kirchenbegriffs sind der katholischen Ekklesiologie deshalb weitgehend fremd geblieben. 4 Nur auf diesem Hintergrund sind die Probleme zu verstehen, die durch die Enzyklika "Mystici Corporis Christi" Papst Pius XII. vom 29.6 .. 1943 ausgelöst worden sind. Nach der entscheidenden Formulierung dieser Enzyklika sind "wirklich" (reapse) zu den Kirchenmitgliedern nur jene zu zählen, die 1.) getauft sind, 2.) den wahren Glauben bekennen und sich 3.) nicht von der Kirche getrennt haben oder durch die Autorität von der Kirche getrennt worden sind. 5 Die Spannungen, die durch diese Enzyklika für das katholische Kirchenmitgliedschaftsrecht geschaffen wurden, sind offenkundig. Mörsdorfhat diese Spannungen durch seine berühmte

4 Vgl. die Apostolische Konstitution "Lumen Gentium" Art . 8 (abgedruckt bei Denzinger/Hünennann, NT. 4118/4119), vgl. dazu Lehmann, 193 f. = Meinhold, Kirchengliedschaft, 274 f. 5 AAS 35 (1943), 193,202.

A. Grundstrukturen des Kirchenmitgliedschaftsrechts (katholisch)

241

Unterscheidung zwischen der konstitutionellen (konsekratorischen) und der tätigen Gliedschaft zu beseitigen versucht. 6 Das 2. Vatikanische Konzil hat eine Veränderung auch der katholischen Ekklesiologie gebracht. Die Gleichsetzung von Kirche Jesu Christi und katholischer Kirche wurde aufgegeben? Vor allem die Konstitutionen "Lumen Gentium" (LG) und das Dekret "Unitatis Redintegratio" (UR) zeigen ein verändertes Verständnis der Rechtsstellung der nichtkatholischen Christen, das sich auch auf die katholische Gliedschaftslehre ausgewirkt hat. Zwar ist die Taufe noch entscheidende Voraussetzung für die Eingliederung in die katholische Kirche (LG Art. 14.1), doch wird nun zwischen Getauften unterschieden, die in voller Gemeinschaft (plena communio, vgl. LG Art. 14.2) mit der Kirche stehen und anderen, bei denen diese Voraussetzung nicht gegeben ist (LG Art. 15).

11. Rechtslage nach dem neuen CIC von 1983 1. Theologischer MitgliedschaftsbegritT

Die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche nach dem CICI1983 ist nur auf diesem Hintergrund zu verstehen. Can. 96 CICI1983 zeigt zwar kaum eine Änderung gegenüber dem bereits erwähnten can. 87 CIC/1917.8 Doch sind im neuen Codex nunmehr andere Normen zu finden, die das bisherige kanonistische Verständnis der Kirchenmitgliedschaft erheblich beeinflussen. Es sind dies vor allem die ekklesiologisch bedeutsamen cann. 204 und 205 CIC11983. Nach can. 204 § 2 ist die Kirche Jesu Christi nun nicht mehr identisch mit der katholischen Kirche, sondern in der katholischen Kirche verwirklicht (subsistit9 ). Diese Regelung ist zusammen mit can. 205 CIC/1983 zu lesen, der den Begriff der plena communio aufnimmt und die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche an die drei Voraussetzungen Bekenntnis, sakramentale Gemeinschaft und

6 Vgl. Märsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts Bd.l, 176 f. 7 Vgl. LG 8 Abs.2 und dazu Krämer in: HdbkathKR, 164 f.; ders. in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft Bd. 29 (1982), 149, 150 ff.; MK-Reinhardt, can. 204 Rdnr. 6 f. 8 Can. 96 CIC/1983: Baptismo homo Ecclesiae Christi incorporatur et in eadem constituitur persona, cum officiis et iuribus, quae christianis, attenta quidem eorum condicione, sunt propria (... )". Die ekklesiologische Bedeutung der Vorschrift ist durch ihre systemwidrige Einordnung in Titel VI des ersten Buches kaum noch erkennbar. 9 Vgl. LG 8 Abs.2. 16 Haß

242

Dritter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (katholisch)

Anerkennung der kirchlichen Hierarchie knüpft. Der Begriff der plena communio in can. 205 hat die Definition der Kirchenmitgliedschaft im katholischen Kirchenrecht noch weiter verkompliziert. Nunmehr kann (anders als nach can. 87 CIC11917) nicht mehr ohne weiteres festgestellt werden, daß die Kirchenmitgliedschaft in der katholischen Kirche durch die Taufe begründet wird. Die Spannungen zwischen der These, daß die Taufe in die Kirche eingliedere und der These, daß die volle Gemeinschaft mit der Kirche nur bei Hinzukommen von Bekenntnis, sakramentaler Gemeinschaft und Anerkennung der kirchlichen Hierarchie bestehen soll, setzen sich nunmehr im positiven Recht fort. Die Spannungen können gelöst werden, wenn man die Parallele zu dem Problem zwischen geistlicher und juristischer Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche beachtet und dementsprechend einen mehrschichtige Kirchenmitgliedschaftsbegriff zugrundelegt. 1O Vor allem can. 96 hat dann zwei Bedeutungen: Zum einen wird die Gliedschaft in der Kirche Christi unverlierbar durch die Taufe erworben (theologische Dimension). Zweitens wird die juristische Mitgliedschaft in der katholischen Kirche - ebenfalls unverlierbar - durch die Taufe in der katholischen Kirche begründet (kirchenrechtliche Dimension)." Diese kirchenrechtliche Dimension der Mitgliedschaft wird dann durch can. 205 näher ausgeführt. Entsprechend der kirchlichen Haltung des Getauften gibt es die plena communio mit der Kirche, die erworben und verloren werden kann. Die Tatsache, daß weder die geistliche noch die juristische Gliedschaft in der katholischen Kirche aufgegeben werden kann, wird auf diese Weise den realen Verhältnissen der volkskirchlichen Situation, die mit der Taufe nicht notwendigerweise die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche verbindet, angepaßt.

'0 Vgl. Lüdicke in: Festschrift für H. Schwendenwein, 377, 382 f.

Lüdicke bezeichnet diese rechtliche Dimension als "korporative Gliedschaft", die durch eine Gliedschaft in nichtkatholischen Kirchen ersetzbar sei. Diese Ansicht ist auch und vor allem in ökumenischer Hinsicht tragfähig, weil die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche als Mitgliedschaft in einer ecclesia particularis als weltlicher Schauseite der Kirche Christi verstanden wird, die der Mitgliedschaft in einer anderen christlichen Kirche gleichwertig zur Seite tritt. Ob das hier von Lüdicke entworfene Modell der Gleichrangigkeit nicht einer noch zu verwirklichenden ökumenischen Zukunft vorgreift, ist allerdings zweifelhaft, selbst bei Berücksichtigung der Konzilstheologie. "

A. Grundstrukturen des Kirchenmitgliedschaftsrechts (katholisch)

243

2. Juristische Mitgliedschaft

a) can. 96 ClC/1983 Es fragt sich nunmehr, welches Mitgliedschaftsverständnis nach dem neuen CICIl983 der staatskirchenrechtlichen Betrachtung zugrundegelegt werden kann. Am staatlichen Recht ist die Aussagekraft des neuen Mitgliedschaftbegriffs zu erproben und es fragt sich, ob durch den neuen Codex Änderungen der bisherigen Rechtslage eingetreten sind, die sich auch auf das staatliche Recht auswirken. Maßgeblich für die Kirchensteuerpflicht ist die Kirchenmitgliedschaft nach kirchlichem Recht. Hier ist auch weiterhin can. 96 CICIl983 maßgeblich: der Mensch wird durch die Taufe in die Kirche Christi eingegliedert (incorporatur). Die Kirche Christi, in dieser Welt als Gesellschaft (societas) verfaßt und geordnet, ist in der katholischen Kirche "verwirklicht" (can. 204 § 2 CIC/ 1983). Daraus ergibt sich: Die Eingliederung in die katholische Kirche ergibt sich aus der Taufe.

b) Erwerb der Konfessionszugehörigkeit Bei der Aussage, daß die Eingliederung in die katholische Kirche durch die Taufe erfolge, kann das staatliche Recht nicht stehenbleiben, weil auch die Taufe anderer christlicher Kirchen, sofern sie rite vorgenommen wird, als wirksame Taufe anerkan~t wird. t2 Wenn die Taufe kein hinreichendes Unterscheidungsmerkmal für die konfessionelle Zuordnung ist, muß nach zusätzlichen Tatbestandsmerkmalen gesucht werden. Zur Beantwortung der Frage kann ergänzend auf can. 11 CICI1983 zurückgegriffen werden. Diese Norm bestimmt grundlegend den personellen Geltungsbereich der kirchlichen Gesetze. Die verpflichtende Wirkung kirchlicher Gesetze erstreckt sich hiernach auf diejenigen, die in der katholischen Kirche getauft (baptizati in Ecclesia catholica) oder in diese aufgenommen (in eandem recepti) worden sind. Um eine zweifelsfreie Zuordnung zur katholischen Kirche zu ermöglichen, bietet sich deshalb ein. Rückgriff auf die frühere Konzeption an, wonach nicht jede Taufe, sondern

t2 Dies ergibt sich u.a. aus can. 869 § 2 CIC11983, wonach "in einer nichtkatholischen Gemeinschaft Getaufte" nicht - auch nicht sub condicione - erneut zu taufen sind, wenn nicht ernsthafter Zweifel an der Gültigkeit der Taufe besteht (zur Gültigkeit der Taufe nach kanonischem Recht vgl. can. 849 CICI1983). 16'

244

Dritter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (katholisch)

allein die wirksam durch die katholische Kirche gespendete Taufe die rechtliche Zuordnung zur katholischen Kirche bewirkte (zuzüglich jener Fälle, in denen ein Kirchenübertritt zur katholischen Kirche nach der Taufe erfolgte). Ob jemand wirksam durch die katholische Kirche getauft ist, ist nach den cann. 849-878 CICIl983 zu beurteilen. Die Taufspendung ist nach can. 877 § I CICI1983 unverzüglich in das Taufbuch der Ortspfarrei einzutragen. Diese Regelung des kanonischen Taufrechts genügt zumindest den Anforderungen an die interkonfessionelle Unterscheidung. Durch die Taufe wird der Mensch nicht nur in die Kirche als ganzes eingegliedert, sondern außerdem einer konkreten Rituskirche (can. III CIC11983), einer Diözese und einer Ortspfarrei (letzteres im CIC/ 1983 nicht geregelt).

c) Wohnsitz

In der katholischen Kirche besteht die Kirchenmitgliedschaft unmittelbar zur katholischen Kirche. Dies bedeutet allerdings nicht, daß die katholische Kirche als ganze kirchensteuerberechtigt ist. Die Kirchensteuerberechtigung liegt vielmehr bei den einzelnen Diözesen. In diesem Sinne fallen Kirchensteuerangehörigkeit und Kirchensteuerberechtigung auseinander, wie dies auch im evangelischen Bereich bekannt ist. 13 Die Feststellung der Kirchensteuerberechtigung verlangt die Zuordnung zu einer bestimmten Diözese. Diese Zuordnung kann nur erfolgen, wenn zu der Taufe oder Aufnahme durch die katholische Kirche auch der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt (§§ 8 und 9 AO, vgl. cann. 102 § I und 106 CIC11983) in einer bestimmten Diözese tritt. Die Kirchensteuerpflicht besteht daher in der Regel gegenüber der Diözese, in der das Kirchenmitglied seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.

13 So z.B. in Nordelbien, wo die Mitgliedschaft in der Ev.-Luth. Landeskirche mit der Kirchensteuerberechtigung der Kirchengemeinden und Kirchenkreise zusammentrifft (vgl. § 1 KiStO Norde/bien).

A. Grundstrukturen des Kirchenmitgliedschaftsrechts (katholisch)

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3. Zulässigkeit der Anknüpfung des staatlichen Rechts an das katholische Kirchenmitgliedschaftsrecht

Es fragt sich nunmehr, ob das staatliche Recht an das kanonische Mitgliedschaftsrecht anknüpfen kann. 14 Das staatliche Recht legt einen Rahmen fest, der die Beachtung gewisser Mindestanforderungen verlangt, wenn der Geltungsanspruch des katholischen Mitgliedschaftsrechts auch auf das staatliche Recht erstreckt werden soll. In erster Linie ist das kanonische Mitgliedschaftsrecht auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit Im Kirchensteuerrecht (a.) sowie auf die Vereinbarkeit mit den Grundrechten der als Mitglieder in Anspruch genommenen Personen (b.) zu untersuchen.

a) Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Kirchensteuerrecht Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft in der katholischen Kirche erfolgt durch die Taufe. Die Taufe wird im Taufbuch der Ortspfarrei unverzüglich eingetragen. Die Taufe in einer anderen christlichen Kirche wird zwar weiterhin anerkannt, doch setzt die Eingliederung in die katholische Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts den wirksamen Empfang der Taufe durch einen Vertreter der katholischen Kirche voraus. Wer von einer anderen christlichen Kirche getauft worden ist, kann daher grundsätzlich nicht von der katholischen Kirche als Mitglied in Anspruch genommen werden. Ist durch die Taufe die Eingliederung in eine nichtkatholische Kirche erfolgt, so kann die Zuordnung zur katholischen Kirche nur noch durch Konversion, d.h. durch einen auch nach staatlichem Recht wirksamen Kirchenübertritt begründet werden. 15 Ein Mitglied einer anderen Religionsgemeinschaft kann nicht nach staatlichem Recht zur katholischen Kirchensteuer herangezogen werden. Dies folgt jedoch nicht bereits aus den staatlichen Kirchensteuergesetzen. 16 Im Einzelfall ist davon

14 Grundlegend zum staatskirchenrechtlichen Hintergrund des neuen CIC Göbet (Lit.).

15 Aufschlußreich zu dieser Fnige: FG München, Urt. v. 2.7.1993 - 13 K 4098/92, EFG 1994, 167 f. (Kirchenzugehörigkeit eines evangelischen Kirchenmitglieds, das zunächst in der evangelischen Kirche getauft, später sub condicione katholisch getauft und - von evangelischen Eltern! - katholisch erzogen worden war). 16 Irreführend FG München, a.a.O., 167: Aus der Tatsache, daß der Kl. Mitglied der evang. Kirche ist, folgt nicht - schon gar nicht unmittelbar aus dem Kirchensteuerrecht , daß er nicht auch Mitglied in der katholischen Kirche sein kann.

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Dritter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (katholisch)

auszugehen, daß die ordnungsgemäße Besteuerung die eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Kirche erfordert. Aus diesem Grund ist die Kenntnisnahme der staatlichen Finanzbehörden bei einem Wechsel der Kirchenzugehörigkeit zwingend erforderlich. 17 Es ist nach dem Kirchenrecht sowohl der evangelischen Kirche als auch der katholischen Kirche anzunehmen, daß die Zugehörigkeit zu einem gewählten Bekenntnis die Zugehörigkeit zu jedem anderen Bekenntnis ausschließt. 18 Die erworbene Kirchenmitgliedschaft in einem (evangelischen oder katholischen) Bekenntnis schließt daher die gleichzeitige Zuordnung zu einem anderen Bekenntnis aus. Dies gilt umso mehr für das staatliche Recht, weil die Zuordnung zu einem dem tatsächlichen Bekenntnis entgegengesetzten Bekenntnis mit Wirkung für das staatliche Recht bereits aufgrund der Religionsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG unzulässig wäre. Die eindeutige Bestimmung des IGrchensteuerberechtigten ist für das staatliche Recht möglich, wenn man für die rechtliche Zugehörigkeit zur katholischen Kirche verlangt, daß eine Taufe in der katholischen Kirche erfolgt ist und ferner - bei Kirchenübertritt (Konversion) -: daß zur Begründung der Kirchensteuerpflicht in der katholischen Kirche ein nach staatlichem Recht wirksames Übertrittsverfahren vorliegt. Die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche kann nicht begründet werden durch die Taufe in einer nichtkatholischen Kirche, weil die dadurch begründete nichtkatholische Kirchenzugehörigkeit die Zugehörigkeit zu jeder Kirche anderen Bekenntnisses notwendig (mindestens für das staatliche Recht) ausschließen muß. Bei Beachtung dieser Voraussetzungen steht der Grundsatz der Tatbestandsbestimmtheit der Anerkennung des katholischen Mitgliedschaftsrechts im staatlichen Bereich nicht entgegen.

b) Grundrechte Aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit gern. Art. 4 Abs.l und 2 GG folgt, daß die Religionsgemeinschaften nicht die Rechtsrnacht haben, jemanden einseitig ohne Rücksicht auf seinen Willen einzugliedern. 19 Aus diesem Grunde tritt für den Tatbestand der Kirchenangehörigkeit im staatlichen Rechtskreis der Wille des Kirchenmitglieds als subjektives Erfordernis hinzu. Die Kirchenmitgliedschaft kann daher mit Wirkung für das staatliche Recht nur begründet

17 Vgl. 2. Teil, Abschnitt C.III.2.b. 18 § 1 Abs.1 EKD-KMitgliedG; vgl. can. 205 CIC/J 983. 19 Vgl. BVerfGE 19,206,217.

A. Grundstrukturen des Kirchenmitgliedschaftsrechts (katholisch)

247

werden, wenn die Mitgliedschaft auf eine wirksame Willenserklärung des Mitglieds oder seiner gesetzlichen Vertreter zurückgeht. Liegt eine derartige Willenserklärung nicht vor, so ist es den staatlichen Finanzbehörden untersagt, das kirchliche Mitgliedschaftsrecht insoweit anzuwenden. Das katholische Mitgliedschaftsrecht knüpft die Kirchenmitgliedschaft an die Taufe. Sofern eine den Regeln des kanonischen Taufrechts entsprechende Taufe vorliegt, wird nach can. 96 CICI1983 die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche begründet. Maßgeblich ist daher, ob die Vornahme der Taufe den oben genannten Anforderungen an ein auch staatskirchenrechtlich zulässiges Mitgliedschaftsrecht genügt. Eine ausdrückliche Beitrittserklärung ist - wie auch im evangelischen Bereich - nicht erforderlich, wenn bereits die Taufe eine derartige auf den Mitgliedschaftserwerb gerichtete Willenserklärung enthält. Entscheidend ist also im Hinblick auf die negative Religionsfreiheit des Kirchenmitglieds, daß die Taufe objektiv als Erklärung des Kirchenmitglieds (bzw. als eine ihm nach den allgemeinen Regeln zurechenbaren Erklärung seiner gesetzlichen Vertreter) verstanden werden kann, künftig der katholischen Kirche angehören zu wollen. Liegt eine solche Willenserklärung vor, so begegnen dem Mitgliedschaftserwerb keine weiteren Bedenken, andernfalls ist der Erwerb der Mitgliedschaft für das staatliche Recht unwirksam.

111. Der MitgliedschaftsbegritT der KMAO

Nach § 1 Abs.l Kirchenmeldewesenanordnung (KMAO) v. 5.12.197920 gilt als Mitglied der katholischen Kirche "jeder, der durch die Taufe in der katholischen Kirche oder durch den Übertritt von einer anderen christlichen Religionsgemeinschaft oder durch Wiederaufnahme der katholischen Kirche angehört und nicht nach den Bestimmungen des staatlichen Rechts aus der Kirche ausgetreten ist". Diese Bestimmung bietet das Maß an Rechtssicherheit, das die Regelungen des Kirchenmitgliedschaftserwerbs im kanonischen Recht überwiegend vermissen lassen. Dennoch wird hier nicht etwa ein zu der kanonistischen Kirchenmitgliedschaft parallel verlaufender staatskirchenrechtlicher Mitgliedschaftsbegriff eingeführt, sondern es wird lediglich bestimmt, daß als Mitglied für den Bereich des Melderechts "gelten" soll, wer die Mitgliedschaft durch Taufe in der katholischen Kirche, durch Übertritt oder durch Wiederaufnahme

20

FundsteIlen s. oben (FN. 1), auszugsweise abgedruckt im Anhang dieser Arbeit.

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Dritter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (katholisch)

erworben hat. Diese Voraussetzungen sind objektiv nachprüfbar. Entsprechend den §§ 16-18 EKD-KMitgliedG ist damit im katholischen Bereich die erforderliche kirchengesetzliche Grundlage für die Erhebung, Speicherung und Weitergabe personenbezogener Daten der Kirchenmitglieder bereitgestellt worden. Es wäre zu erwägen, den Kirchenmitgliedschaftsbegriff dieser gesetzgeberisch vorbildlichen Regelung der deutschen Diözesen nicht nur dem Meldeverfahren, sondern auch dem Kirchensteuerrecht zugrundezulegen, wo eine vergleichbare Lösung aus Gründen der Rechtssicherheit zu wünschen ist. Eine solche Entscheidung könnte jedoch nur von den deutschen Diözesen in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 GG / 137 Abs.3 WRV getroffen werden.

B. Voraussetzungen des Mitgliedschaftserwerbs im einzelnen I. Taufe Die Taufe ist im katholischen Kirchenrecht alleiniges Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft. Durch die Taufe erfolgt die Eingliederung in die Kirche Jesu Christi und gleichzeitig die rechtliche Eingliederung in die katholische Kirche als sichtbare Kirche. Das staatliche Recht kann an die Taufe anknüpfen, wenn anhand der Taufe eindeutig zu ersehen ist, daß die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche begründet werden soll und die Eingliederung in die katholische Kirche nicht ohne den Willen des Kirchenmitglieds erfolgt.

1. Das kanonische Taufrecht nach dem CIC von 1983

Nach can. 849 CICI1983 (can. 737 § 1 CIC/1917) ist die Taufe das "Eingangstor" (ianua) zu den Sakramenten: Ohne die Taufe können auch die anderen Sakramente nicht empfangen werden (can. 842 § 1 CIC/1983). Die Taufe ist heilsnotwendig 21 , sie verleiht ein untilgbares Prägemal (character indelibilis) und gliedert in die Kirche ein (can. 849 CIC/1983).22

21 Vgl. dazu aus kanonistischer Sicht Laukemper (Lit.). 22 Can. 849 CICI1983 nennt die Eingliederung in die ecclesia, während can. 96 von Eingliederung in die ecclesia Christi spricht.

B. Voraussetzungen des Mitgliedschaftserwerbs (katholisch)

249

Aus staatskirchenrechtlicher Sicht interessiert nun vor allem der Vorgang der Taufe im Hinblick auf das Verbot der Zwangsmitgliedschaft im religiösen Bereich. Auch nach kanonischem Recht darf niemand zur Annahme des katholischen Glaubens gezwungen werden (can. 748 § 2 CIC/1983). Damit steht im Einklang, daß bei der Erwachsenentaufe der Täufling seinen Willen zum Empfang der Taufe bekunden muß (can. 865 §§ 1-2 CIC/1983). Diese Vorschriften sind staatskirchenrechtlich unproblematisch, weil sie ausdrücklich auf· eine Willenserklärung des Kirchenmitglieds als Voraussetzung der Kirchenmitgliedschaft abstellen und dadurch dem Erfordernis der Freiwilligkeit ohne weiteres entsprechen. Zu zweifeln ist allerdings an der in can. 868 CICI1983 getroffenen Regelung der Kindertaufe.

2. Einzelfragen des kanonischen Taufrechts a) can. 868 § 1 C/CI/983

Die Kindertaufe ist nicht zuletzt aufgrund der Verpflichtung der Eltern, ihr Kind unverzüglich taufen zu lassen (can. 867 § 1 CIC/1983), weiterhin Regelfall der Begründung der Kirchenmitgliedschaft in der katholischen Kirche. Weil das Kind sich zum Zeitpunkt der Taufe keine religiöse Überzeugung bilden kann, wird die Willenserklärung des Täuflings durch die Erklärung seiner gesetzlichen Vertreter ersetzt. Dies genügt, um den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft zu rechtfertigen im Hinblick auf das Verbot der Zwangsmitgliedschaft im religiösen Bereich. Erhebliche Zweifel an der staatskirchenrechtlichen Zulässigkeit der Eingliederung in die katholische Kirche bestehen aber, wenn weder auf den Willen des Täuflings noch auf den Willen der Eltern in irgendeiner Weise Rücksicht genommen wird. Nach can. 868 § 1 CICI1983 ist zur Taufe eines Kindes notwendig, daß die Eltern oder zumindest ein Elternteil oder gesetzlicher Vertreter der Taufe zustimmen. Diese Vorschrift steht - ebenso wie die entsprechenden Regelungen im evangelischen Bereich23 - mit den bürgerlichrechtlichen Vertretungsregelungen der elterlichen Sorge in Widerspruch: In wesentlichen Fragen wie der religiösen Erziehung des Kindes ist nach § 1627 BGB der Wille beider Elternteile maßgeblich. Ist keine Einigung möglich, so muß gegebenenfalls eine zivilgerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden. Eine katholische Taufe, die bei Zustimmung nur eines Elternteils vorgenommen worden ist, verstößt gegen

23 Vgl. 2. Teil, Abschnitt B.V.4.a.

250

Dritter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (katholisch)

§ 1627 BGB und ist damit nach staatlichem Recht unwirksam, soweit daran Rechtsfolgen im staatlichen Recht geknüpft werden könnten.

b) can. 868 § 2 C/C/1983 Rechtlich noch problematischer und auch in theologischer Hinsicht24 äußerst fragwürdig ist die in can. § 868 § 2 CICI1983 getroffene Regelung, wonach die Taufe eines Kindes (unabhängig von der Konfession der Eltern) in Todesgefahr auch gegen den Willen der Eltern (etiam invitis parentibus) erfolgen kann. Diese Vorschrift ist im Vorfeld der Arbeiten an dem neuen Codex äußerst umstritten gewesen und noch durch die Schlußredaktion gestrichen worden, anschließend aber wieder in das Gesetzbuch aufgenommen worden. 25 Sofern die Vorschrift den tatsächlichen Willen beider Eltern für unbeachtlich erklärt, liegt eine verfassungswidrige Zwangsmitgliedschaft vor, die jedenfalls im Bereich des staatlichen Rechts überhaupt keine Wirkung haben kann. Auch wenn an dem sakramentalen Charakter einer solchen Taufe kaum Zweifel bestehen 26 , kann eine Taufe gegen den Willen der gesetzlichen Vertreter staatskirchenrechtlich keinen Bestand haben. Diese Vorschrift bleibt befremdlich, auch im Hinblick auf can. 748 § 2 CIC11983.

c) Rechtsstellung der Ungetauften Aus can. 96 CIC11983, der die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche an die Taufe knüpft, kann rückgeschlossen werden, daß Nichtgetaufte der Kirche nicht angehören können. Hier ist zu unterscheiden zwischen den Katechumenen und den Ungetauften, die nicht den Eintritt in die Kirche anstreben. Die Rechtsstellung der Katechumenen, d.h. derjenigen Personen, die sich um die Taufe in der katholischen Kirche bewerben (can. 788 § 1), geht aus can. 206 CICI1983 hervor. Nach can. 206 CICI1983 sind die Katechumenen - obwohl keine Mitglieder der katholischen Kirche - der Kirche in besonderer Weise (speciale ratione) verbunden. Sofern man unter Mitgliedschaft die RechtssteIlung versteht, mit der Rechte und Pflichten in der Kirche verbunden sind,

24 Vgl. Hierold in: HbKathKR 659, 668. 25 Vgl. Schmitz, ArchKathKR 152 (1983), 369, 383. 26 Vgl. Stein, ZevKR 29 (1984),47,54 f.

B. Voraussetzungen des Mitgliedschaftserwerbs (katholisch)

251

handelt es sich also um eine Teilmitgliedschaft, denn die Kirche räumt den Katechumenen bestimmte, ansonsten den Mitgliedern vorbehaltene Mitgliedschaftsrechte ein (praerogativas, quae christianorum sunt propriae). Zwar sind die Katechumenen nicht den allgemeinen Gesetzen unterworfen (can. 11 CIC/ 1983), doch können sie Segnungen empfangen (can. 1170 CIC/1983) und haben ein Anrecht auf ein kirchliches Begräbnis (can. 1183 § 1). Die Rechtsstellung der Katechumenen ist mithin durch den neuen Codex nicht sonderlich stark ausgeprägt, aber dennoch gegenüber den Nichtgetauften im engeren Sinne hervorzuheben. Die Ungetauften, die nicht den Eintritt in die katholische Kirche begehren, sind ebenso den kirchlichen Gesetzen nicht unterworfen (can. 11 CIC/1983). Die Rechte der Ungetauften werden jedoch kirchlicherseits beschränkt z.B. im Eherecht (cann. 1086, 1117, 1143). Ungetaufte haben auch ein Klagerecht bei kirchlichen Gerichten (can. 1476) und das Recht, die Nottaufe wirksam zu vollziehen (can. 861 CIC/1983). Auch der Empfang von Segnungen ist ausnahmsweise zulässig (vgl. can. 1170 CIC/1983). Auch eine ausnahmsweise Zulassung als Prozeßbevollmächtigter oder Anwalt vor kirchlichen Gerichten kommt in Betracht (can. 1483 CIC/1983).

11. Bekenntnis

Das Bekenntnis zum katholischen Glauben ist für den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. can. 96 CIC/1983). Eine Annäherung an den dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriff im evangelischen Kirchenmitgliedschaftsrecht findet sich jedoch in can. 205 CIC/1983, der die plena communio mit der katholischen Kirche an Bekenntms, sakramentale Gemeinschaft und Anerkennung der kirchlichen Hierarchie knüpft. Die Kirchenmitgliedschaft im rechtlichen Sinne ist hiervon jedoch zu trennen. Rechtlich kann an das Bestehen oder Fortbestehen des Bekenntnisses ebensowenig angeknüpft werden wie an die Anerkennung der kirchlichen Hierarchie. Die plena communio kann nur als ein kanonistischer Versuch bewertet werden, die Unverlierbarkeit der Taufe und den Tatbestand einer voranschreitenden Kirchenentfremdung in der Volkskirche in eine kirchenrechtliche Beziehung zu setzen. Abgesehen von der Schwierigkeit, die einzelnen Voraussetzungen der plena communio des can. 205 CIC/1983 überhaupt rechtlich zu erfassen, kann das staatliche Recht, insbesondere das Kirchensteuerrecht, nur an tatbestandlieh eindeutige Sachverhalte anknüpfen. Für die katholische Kirche kommt hier allein can. 96 CIC/1983 als

252

Dritter Teil: Begründung der Kirchenmitgliedschaft (katholisch)

Grundlage in Betracht, ein zu der Taufe hinzutretendes Bekenntnis zum katholischen Glauben mag innerkirchlich und theologisch, vielleicht sogar ökumenisch sinnvoll sein: Staatskirchenrechtlich bietet die Neuerung der plena communio keine in den Mitgliedschaftsbegriff des katholischen Kirchenrechts aufzunehmenden Aspekte.

III. Wohnsitz 27 Das Wohnsitzerfordernis tritt im Kirchenrecht zu der Taufe hinzu (cann. 102107 CICIl983), um die Zuordnung zu einer bestimmten Diözese und Ortspfarrei (can. 107 § 1) kirchlicherseits zu regeln. Der Wohnsitz ist - insofern anders als im evangelischen Bereich - kein Tatbestandsmerkmal des Erwerbs der Kirchenmitgliedschaft, sondern lediglich ein organisatorisches Erfordernis. Im Kirchensteuerrecht kommt dem Wohnsitz wichtige Bedeutung zu, weil nicht die katholische Kirche insgesamt, sondern (zumeist) die einzelnen Diözesen Gläubiger der Kirchensteuer sind; um den Kirchensteuerberechtigten im Einzelfall zu bestimmen, ist also die Zuordnung zu der Diözese des Wohnsitzes erforderlich.

IV. Zuzug von katholischen Kirchenmitgliedern aus dem Ausland Anders als im evangelischen Bereich stellt der Zuzug von katholischen Kirchenmitgliedern vor keine besonderen staatskirchenrechtlichen Probleme. Der Zuziehende begründet mit dem Zuzug nach Deutschland keine neue Kirchenmitgliedschaft, sondern die bisherige Kirchenmitgliedschaft im Ausland setzt sich beim Zuzug in das Bundesgebiet rechtlich und organisatorisch bruchlos in einer deutschen Diözese fort. Anders als im evangelischen Bereich ist daher auch keine Erklärung des Willens, die Mitgliedschaft in der Kirche fortzusetzen, erforderlich. 28 Der Konfessionsangabe vor der staatlichen Meldebehörde kommt damit für Mitglieder der römisch-katholischen Kirche nur deklaratorische Bedeutung zu. 29 Eine Aufklärung des Zuziehenden aus dem Ausland über die kirchensteuerrechtlichen Folgen der Kirchenmitgliedschaft ist - ebenso wie im

27 28 29

Vgl. dazu grundlegend die Monographie von Walser (Lit.).

ova Lüneburg Beschl. v. 28.7.1988 - 13 ova A 30/87 = KirchE 26, 184, 186. ova Lüneburg, a.a.O., 186.

B. Voraussetzungen des Mitgliedschaftserwerbs (katholisch)

253

evangelischen Bereich 30 - nicht erforderlich, weil die Kirchensteuerpflicht eine 1craft Gesetzes eintretende Folge der Kirchenmitgliedschaft ist und die Kirchenmitgliedschaft auf einem freiwilligen Beitrittsakt des Kirchenmitglieds beruhen muß. Eine Verletzung von Grundrechten (insbesondere Art. 4 Abs.l und 2 GG) ,durch diese Verwaltungspraxis ist nicht erkennbar. 31 Schwierigkeiten im Bereich der Tatsachenfeststellung kann die Frage bereiten, ob ein Zuziehender aus dem Ausland sich bereits im Ausland von der katholischen Kirche gelöst hat. 32 Erhebt ein Ausländer Widerspruch oder Anfechtungsklage gegen die Heranziehung zur Kirchensteuer in der Bundesrepublik mit der Behauptung, er sei aus der Kirche ausgetreten und kein Mitglied der katholischen Kirche, so ist nachzuprüfen, ob ein wirksamer Austritt nach dem Recht des Herkunftslandes oder nach deutschem Recht vorliegt. Ist ein Kirchenaustritt nach staatlichem Recht im Ausland nicht möglich, so setzt sich die Kirchenmitgliedschaft in der Bundesrepublik mindestens bis zu dem Zeitpunkt fort, bis nach deutschem Recht wirksam der Austritt aus der katholischen Kirche erklärt worden ist. Die Wirksamkeit des Austritts aus der Kirche richtet sich nach dem Recht desjenigen Staates, in dem tatsächliche auf einen Austritt hindeutende Rechtsakte vollzogen worden sind. 33 Bleibt der Austritt aus der Kirche ungeklärt, so geht dieses Ergebnis zu Lasten des Betroffenen. Wird von dem Betroffenen hingegen bereits die Tatsache der Taufe bestritten, so hat die steuererhebende Kirche nachzuweisen, daß der Schuldner die Voraussetzungen der Kirchenmitgliedschaft erfüllt. 34

30 Vgl. 2. Teil, Abschnitt C.II.3.b.

31 Vgl. auch OVG Lüneburg , a.a.O., 186. 32 Vgl. z. B. FG Köln Ur!. v. 26.10.1988 - 11 K 655/85 = KirchE 26, 344; VG Berlin (Gerichtsbescheid v. 29.7.1988) - 10 A 604.87 = KirchE 26, 186, 188. 33 So auch VG Berlin a.a.O., 188. Das VG beruft sich im Anschluß an prOVGE 98, 59 auf den allgemeinen Grundsatz "Iocus regit actum". 34 Auch die Konfessionsangabe vor der staatlichen Meldebehörde nach dem Zuzug in die Bundesrepublik begründet keine Umkehr der Beweislast etwa dahingehende, daß der Betroffene zu beweisen hätte, daß er nicht Mitglied der katholischen Kirche ist. Zu dieser Frage VG Schleswig Ur!. v. 1.7.1987 - 1 A 169/83 = KirchE 25, 231 (Leitsatz).

Zusammenfassung und Ergebnis der vorliegenden Untersuchung Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland hat durch das Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft, das kirchliche Meldewesen und den Schutz der Daten der Kirchenmitglieder (EKDKMitgliedG) vom 10.11.1976 eine Regelung erfahren, die nicht in aUen Punkten zu überzeugen vermag. Das EKD-KMitgliedG hat zwar die Voraussetzungen des Mitgliedschaftserwerbs in einer EKD-Gliedkirche mit § I Abs.l auf eine einheitliche Rechtsgrundlage gesteUt. Zahlreiche kirchenrechtliche Fragen der Vergangenheit (Verhältnis von Gemeinde- und Kirchenmitgliedschaft, Mitgliedschaftserwerb bei Erziehung im evangelischen Bekenntnis) sind nunmehr hinreichend geklärt. Staatskirchenrechtlich kann das gegenwärtige Kirchenmitgliedschaftsrecht jedoch nicht in jeder Hinsicht überzeugen. Die einseitige Eingliederung von Zuziehenden aus dem Ausland nach § 9 Abs.1 i.V.m. § 9 Abs.3 aufgrund der bloßen Angahe der Religionszugehörigkeit vor der staatlichen Meldebehörde kann staatskirchenrechtlich nicht anerkannt werden. Die Heranziehung zur Kirchensteuer auf der Grundlage eines Mitgliedschaftserwerbs nach § 9 Abs.1 i.V.m. § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG verletzt die individueUe Religionsfreiheit gern. Art. 4 Abs.1 und 2 GG der Betroffenen und ist damit verfassungswidrig. Es ist daher eine ersatzlose Streichung des § 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG zu erwägen, wobei die "melderechtliehe" Lösung genere11 durch die Anmeldung beim zuständigen Pfarramt (§ 9 Abs.l EKD-KMitgliedG) zu ersetzen wäre. Die Annahme einer Wiederaufnahme in die Kirche aufgrund schlüssigen Verhaltens (Zahlung der Kirchensteuer, Angabe der Religionszugehörigkeit) ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Sofern gliedkirchliche Regelungen eines rechtsförmlichen Wiederaufnahmeverfahrens bestehen, kann eine Wiederaufnahme, die diesen rechtsförmlichen Anforderungen nicht entspricht, aufgrund der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlagen der Besteuerung von den staatlichen Finanzbehörden nicht anerkannt werden. Ein Verstoß gegen den Bestimmheitsgrundsatz bzw. den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit im Steuerrecht liegt außerdem vor, wenn sich nicht objektiv

Zusammenfassung

255

ennitteln läßt, zu welchem konkreten Zeitpunkt die Kirche von der erneuten Entstehung der Kirchenmitgliedschaft sowie der Kirchensteuerpflicht ausgegangen ist. Eine Wiederaufnahme durch schlüssiges Verhalten sollte daher kirchensteuerrechtlich nur dann anerkannt werden, wenn dem Betroffenen eine ,Wiederaufnahmeentscheidung der Kirche, die eine objetiv nachprüfbare Datierung der Enstehung der Kirchensteuerpflicht zulassen muß, zugegangen ist. Der Kirchenübertritt unter Ausschluß des vorhergehenden Kirchenaustritts kann kirchensteuerrechtlich nur dann anerkannt werden, wenn eine Mitteilung des Kirchenübertritts an die staatliche Finanz- bzw. die Meldebehörde erfolgt ist. Es empfiehlt sich, diesen Fall nach niedersächsischem Vorbild (§ 5 KiAustrG) in den Kirchenaustrittsgesetzen der Länder zu regeln und auf diese den Kirchen den Abschluß von zwischenkirchlichen Vereinbarungen untereinander mit Wirkung für das staatliche Recht zu ennöglichen. Der Erwerb der Gemeinde- bzw. Kirchenzugehörigkeit in besonderen Fällen ist in kirchenrechtlicher Hinsicht zu begrüßen. Weniger überzeugend sind aber Versuche, Kirchenmitgliedschaftsrechte in unterschiedlichen Landeskirchen zu gewähren, solange kein landeskirchenübergreifender Zusammenschluß der bekenntnisidentischen Kirchen erfolgt ist. Dies führt zu einem Verlust an Rechtsklarheit und zu graduell gestuften Kirchenmitgliedschaften. In der römisch-katholischen Kirche ist der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft staatskirchenrechtlich gesehen weitgehend unproblematisch. Auch das kanonische Taufrecht (can. 868 eIC) hat jedoch das Elternrecht zu respektieren, wenn die Taufe zu einer kirchensteuerrechtlieh wirksamen Begründung der Kirchenmitgliedschaft führen soll. Eine Taufe gegen den Willen der Eltern kann im staatlichen Recht keine Anerkennung finden. Aufgrund ihrer Organisation stellen sich für die katholische Kirche keine dem evangelischen Bereich nur annähernd vergleichbare Zuzugsprobleme. Kirchenrechtlich ist jedoch eine Annäherung an das evangelische Kirchenrecht zu beobachten, vor allem in der Entwicklung eines dreigliedrigen Mitgliedschaftsbegriffs in can. 205 CIC, die auf die nachkonziliare Respektierung der evangelischen Kirche und der Mitgliedschaft in dieser Kirche zurückgeht. Insofern ist das Kirchenmitgliedschaftsrecht auch Gradmesser einer künftigen Fortentwicklung in der Ökumene.

Anhang

I. Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft, das kirchliche Meldewesen und den Schutz der Daten der Kirchenmitglieder (Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft) - Auszug Vom 10. November 1976 (ABI. EKD S. 389) Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat aufgrund von Artikel lOb der Grundordnung folgendes Kirchengesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

I. Allgemeine Bestimmungen §1 (1) Innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland sind Kirchenmitglieder die getauften evangelischen Christen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland haben, es sei denn, daß sie einer anderen evangelischen Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören.

(2) Die Kirchenmitgliedschaft besteht zur Kirchengemeinde und zur Gliedkirche des Wohnsitzes des Kirchenmitgliedes. Das Recht der Gliedkirche kann bestimmen, daß die Kirchenmitgliedschaft unter besonderen Voraussetzungen auch zu einer anderen Kirchengemeinde begründet wird. §2 (1) Das Kirchenmitglied steht in der Gemeinschaft der deutschen evangelischen

Christenheit. (2) Durch seine Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde und in einer Gliedkirche gehört das Kirchenmitglied zugleich der Evangelischen Kirche in Deutschland an. (3) Die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten gelten im Gesamtbereich der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Anhang

257

11. Rechte und Pflichten [ ... ]

§5

Die Kirchenmitglieder sind verpflichtet, die Daten und Angaben mitzuteilen, die für die Wahrnehmung des Auftrages der Kirche in Verkündigung, Seelsorge und Diakonie erforderlich sind. Sie sind verpflichtet, auch bei den staatlichen oder kommunalen MeIdebehörden ihre Bekenntniszugehörigkeit anzugeben.

111. Erwerb und Verlust der Kirchenmitgliedschaft §6 (I) Die Kirchenmitgliedschaft wird durch die Taufe in einer Kirchengemeinde, die einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland angehört, erworben. Die Taufe wird im Kirchenbuch öffentlich beurkundet.

(2) Ein religionsunmündiges Kind, dessen Taufe nicht in einer zu einer Gliedkirche gehörenden Kirchengemeinde stattgefunden hat, erwirbt die Kirchenmitgliedschaft durch die Erklärung des Erziehungsberechtigten über die Zugehörigkeit des Kindes zu einem evangelischen Bekenntnis gegenüber der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle. §7

Den Erwerb der Kirchenmitgliedschaft durch Aufnahme regelt das Recht der Gliedkirchen. §8 (I) Bei einem Wohnsitzwechsel in den Bereich einer anderen Gliedkirche setzt sich die

Kirchenmitgliedschaft in der Gliedkirche des neuen Wohnsitzes fort. Dies gilt nicht, wenn das zuziehende Kirchenmitglied sich einer anderen evangelischen Kirche im Bereich der Gliedkirche seines neuen Wohnsitzes anschließt und dies der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle innerhalb eines Jahres nach Zuzug nachweist. In diesem Falle endet die Kirchenmitgliedschaft mit dem Zeitpunkt des Zuzugs. [ ... ]

17 Haß

258

Anhang §9

(1) Zuziehende Evangelische, die keiner Gliedkirche angehören, erwerben die. Kirchenmitgliedschaft durch Erklärung gegenüber der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle:

a) wenn sie früher Kirchenmitglieder waren und von dem Recht nach § 8 Abs.1 Satz 2 dieses Kirchengesetzes Gebrauch gemacht hatten; b) wenn sie bisher Mitglieder einer anderen evangelischen Kirche oder Religionsgemeinschaft im Ausland waren. (2) Zuziehende Evangelische, die einer anderen Kirche oder Religionsgemeinschaft angehört haben, mit der eine Vereinbarung über die Kirchenmitgliedschaft abgeschlossen worden ist, erwerben die Kirchenmitgliedschaft nach den Bestimmungen dieser Vereinbarung. (3) Die Angaben gegenüber der staatlichen Meldebehörde gelten als Erklärung im Sinne von Absatz I. (4) Die Bestimmung des § 8 Abs.1 Satz 2 gilt entsprechend. § 10

Die Kirchenmitgliedschaft endet I. mit Fortzug aus dem Geltungsbereich dieses Kirchengesetzes; § 11 bleibt unberührt. 2. durch Übertritt zu einer anderen Kirche oder Religionsgemeinschaft nach dem Recht der Gliedkirchen; oder 3. mit dem Wirksamwerden der nach staatlichem Recht zulässigen Austrittserklärung.

IV. Vorübergehender Auslandsaufenthalt

§11 (I) Gibt ein Kirchenmitglied seinen Wohnsitz im Inland nur vorübergehend auf, bleibt seine Kirchenmitgliedschaft bestehen. Dies gilt auch, wenn sich das Kirchenmitglied einer evangelischen Kirche seines Aufenthaltsorte anschließt. Für die Zeit der vorübergehenden Abwesenheit ist das Kirchenmitglied von seinen Pflichten gegenüber der Kirchengemeinde, der Gliedkirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland befreit und ist nicht wahlberechtigt.

Anhang

259

(2) Bei Rückkehr in den Bereich einer anderen Gliedkirche setzt sich die Kirchenmitgliedschaft in der Gliedkirche des neuen Wohnsitzes fort. § 8 Abs.l Satz 2 ist anzuwenden. [ ... ]

V. Wahl der Gliedkirche und der Kirchengemeinde

§12 (I) Soweit in Gebieten mehrere Gliedkirchen bestehen, treffen die beteiligten Gliedkirchen im Benehmen mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland Regelungen darüber, daß zuziehende Kirchenmitglieder wählen können, welcher Gliedkirche sie angehören wollen.

(2) In einer Gliedkirche, in der verschiedene Bekenntnisse bestehen, wird die Wahl der Kirchengemeinde des persönlichen Bekenntnisstandes durch das Recht der GliedkIrche geregelt.

VI. Übertritt § 13 (I) Bei einem Übertritt zu einer anderen Kirche (§ 10 Nr.2) endet die Kirchenmitgliedschaft mit dem Ablauf des Monats, in dem die Übertrittserklärung wirksam geworden ist, jedoch nicht vor dem Beginn der Mitgliedschaft in der anderen Kirche.

(2) Die Vorschriften des staatlichen Rechts bleiben unberührt. (3) Vereinbarungen der Gliedkirchen, die den Übertritt regeln, werden im Benehmen mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland getroffen.

VII. Gemeindegliederverzeichnis § 14 (I) In den Gliedkirchen wird für jede Kirchengemeinde ein Verzeichnis der Kirchen-

rnitglieder geführt (Gemeindegliederverzeichnis). Das Gemeindegliederverzeichnis enthält die Daten der Kirchenmitglieder mit ihren Familienangehörigen (Familienverbund). Der 17"

260

Anhang

Datenkatalog des Gemeindegliederverzeichnisses wird durch Rechtsverordnung festgestellt und fortgeschrieben. Die Rechtsverordnung erläßt der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland mit Zustimmung der Kirchenkonferenz.\ (2) Das Recht der Gliedkirchen bestimmt, welche kirchlichen Körperschaften und Stellen zur Führung der Gemeindegliederverzeichnisse verpflichtet sind. Die Gliedkirchen treffen ferner nähere Bestimmungen über den Aufbau und die Organisation der Gemeindegliederverzeichnisse. (3) Die persönlichen Daten der Kirchenmitglieder sind in den Gemeindegliederverzeichnissen zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind oder unrichtig werden.

IX. Kirchliches Meldewesen § 16 (1) Das Kirchenmitglied ist verpflichtet, sich bei der Begründung eines neuen oder eines weiteren Wohnsitzes bei der für den neuen Wohnsitz zuständigen Kirchengemeinde oder der nach § 14 Abs.2 bestimmten kirchlichen Stelle anzumelden. Dieser Verpflichtung ist genügt, wenn sich das Kirchenmitglied unter Angabe der Religionszugehörigkeit bei der staatlichen oder kommunalen Meldebehörde anmeldet.

(2) Die kirchlichen Stellen fordern die in der Rechtsverordnung gemäß § 14 Abs.1 Satz 3 aufgeführten Daten von dem Kirchenmitglied nur an, wenn sie die Daten von den staatlichen oder kommunalen Meldebehörden, von der Kirchengemeinde des früheren Wohnsitzes des Kirchenmitgliedes oder aus eigenen Unterlagen nicht oder nur unvollständig erhalten. (3) Hat das Kirchenmitglied das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, so sind seine gesetzlichen Vertreter oder seine Sorgeberechtigten zur Angabe der Daten verpflichtet. (4) Die Kirchengemeinden oder die nach dem Recht der Gliedkirchen sonst zuständigen Stellen sind verpflichtet, die sich aus den Kirchenbüchern ergebenden Daten über Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Bestattungen sowie die Daten über Aufnahmen, Wiederaufnahmen, Übertritte und Austritte von Kirchenmitgliedern umgehend der Stelle mitzuteilen, die das Gemeindegliederverzeichnis führt.

\ Vgl. die Rechtsverordnung v. 21.6.1985 i.d.F. der Neubek. v. 4.10.1993 (ABI. EKD S. 481).

Anhang

261

(5) Die Kirchengemeinden können den staatlichen oder kommunalen Meldebehörden die in der Rechtsverordnung gemäß § 14 Abs.1 Satz 3 aufgeführten Daten der Kirchenmitglieder übermitteln, soweit das nach staatlichem Recht zulässig ist und kirchliche Datenschutzbestimmungen dem nicht entgegenstehen.

X. Datenaustausch § 17 (1) Die Gliedkirchen gewährleisten den für die Erfüllung des Auftrages der Kirche erforderlichen Datenaustausch. (2) [... ]

XI. Datenschutz § 19

Die Kirchenmitgliedschaft wird vermutet, wenn die Daten des staatlichen oder kommunalen Melderegisters entsprechende Angaben enthalten.

XII. Schluß bestimmungen § 20

(1) Die Gliedkirchen erlassen für ihren Bereich die zur Ergänzung und Durchführung dieses Kirchengesetzes erforderlichen Bestimmungen. Durchführungsbestimmungen der Evangelischen Kirche in Deutschland erläßt der Rat durch Rechtsverordnung.

(2) Änderungen der in den Absätzen I bis III dieses Kirchengesetzes niedergelegten Grundsätze bedürfen der Zustimmung aller Gliedkirchen. Änderungen des Kirchengesetzes im übrigen bedürfen der Zustimmung der Kirchenkonferenz mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer gesetzlichen Mitgliederzahl.

§ 21

Dieses Kirchengesetz tritt am 1. Januar 1978 in Kraft.

262

Anhang

11. Anordnung über das kirchliche Meldewesen (Kirchenmeldewesenanordnung - KMAO)2 (Auszug)

Zur Regelung des kirchlichen Meldewesens ergeht - gleichlautend in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland und in der Diözese Berlin für Berlin (West) - folgende Anordnung: § 1 Mitgliedschaft (I) Als Mitglied der katholischen Kirche im Sinne dieser Anordnung gilt jeder, der durch die Taufe in der katholischen Kirche oder durch Übertritt von einer anderen Kirche oder christlichen Religionsgemeinschaft oder durch Wiederaufnahme der katholischen Kirche angehört und nicht nach den Bestimmungen des staatlichen Rechts aus der Kirche ausgetreten ist.

(2) Die Kirchenmitgliedschaft wird vermutet, wenn die Daten des staatlichen oder kommunalen Melderegisters entsprechende Angaben enthalten. § 2 Datenmitteilungspflicht (I) Die Kirchenmitglieder sind verpflichtet, die Daten und Angaben mitzuteilen, die für die Wahrnehmung der Aufgaben der Kirche erforderlich sind.

(2) Sie sind verpflichtet, auch bei den staatlichen oder kommunalen Meldebehörden ihre Bekenntniszugehörigkeit anzugeben. § 3 Meldeverfahren (I) Jedes Kirchenmitglied ist verpflichtet, sich bei der Gründung eines neuen oder eines weiteren Wohnsitzes unter Angabe der Bekenntniszugehörigkeit bei der zuständigen staatlichen oder kommunalen Meldebehörde anzumelden.

(2) Durch bischöfliche Anordnung kann festgelegt werden, daß das Kirchenmitglied auch verpflichtet ist, sich bei der zuständigen kirchlichen Stelle anzumelden. (3) Die zuständigen kirchlichen Stellen sind berechtigt, die Daten von dem Kirchenmitglied unmittelbar anzufordern, wenn Daten fehlen oder unvollständig sind.

2 FundsteIlennachweise vgl. Dritter Teil, S. 239 Fn. 1.

Anhang

263

(4) Hat das Kirchenmitglied das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, so obliegt die Meldepflicht gemäß Absätzen 1-3 den gesetzlichen Vertretern oder den Sorgeberechtigten. § 4 Gemeindemitgliederverzeichnis (1) Für jede Kirchengemeinde wird ein Verzeichnis der Kirchenmitglieder geführt (Gemeindegliederverzeichnis). Das Gemeindemitgliederverzeichnis enthält die Daten der Kirchenmitglieder mit ihren Familienangehörigen (Familien verbund). Der Datenkatalog des Gemeindemitgliederverzeichnisses und die zur Führung des Verzeichnisses verpflichteten kirchlichen Stellen werden durch besondere bischöfliche Ausführungsbestimmungen zu dieser Anordnung festgelegt.

(2) Die Daten der Kirchenmitglieder sind in den Gemeindemitgliederverzeichnissen zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind oder unrichtig werden. § 5 Datenweitergabe [ ... ]

§ 6 Kirchliche Daten (1) [ ... ]

(2) Die Kirchengemeinden und die sonstigen zuständigen kirchlichen Stellen sind verpflichtet, gespendete Taufen, Wiederaufnahmen und Übertritte zur katholischen Kirche den staatlichen oder kommunalen Behörden mitzuteilen. (3) Fehlt in staatlichen oder kommunalen Melderegistern die Angabe der Bekenntniszugehörigkeit von Mitgliedern der katholischen Kirche, so haben die Kirchengemeinden oder sonstige zuständige Stellen die Berichtigung oder Ergänzung zu veranlassen. (4) Die Kirchengemeinden und die sonstigen zuständigen kirchlichen Stellen können im übrigen den staatlichen oder kommunalen Meldebehörden Daten der Kirchenmitglieder übermitteln, soweit kirchliche Datenschutzbestimmungen dem nicht entgegenstehen. § 7 Datenaustausch [ ... ]

264

Anhang § 8 Datenschutz [ ... ]

§ 9 InkraCttreten § 6 Abs.2 und 3 dieser Anordnung treten am 1.7.1978 in Kraft. Im übrigen tritt die Anordnung über das kirchliche Meldewesen am 1.1.1979 in Kraft.

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Wendt, Rudolf: Kommentierung von Artikel 5 GG in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetzkommentar. Bd. 1, 4. Auflage 1992. Wieland, Joachim: Die Angelegenheiten der Religionsgesellschaften, in: Der Staat 25 (1986),321-350. Wolf, Erik.: Zur Rechtsgestalt der Kirche, in: Bekennende Kirche. Festschrift für Martin Niemöller, München 1952, 254-261. - Ordnung der Kirche. Lehrbuch und Handbuch des Kirchenrechts auf ökumenischer Basis. Frankfurt a.M. 1961.

Wolf, Ernst: Peregrinatio. Bd. 1: Studien zur reformatorischen Theologie und zum Kirchenproblern, 2. Auflage 1962; Bd. 2: Studien zur reformatorischen Theologie, zum Kirchenrecht und zur Sozialethik, München 1965. WolfflBachoflStober: Verwaltungsrecht. Begr. v. Hans J. Wolff, fortgef. v. Otto Bachof, neubearbeitet v. Rolf Stober. Bd. 11, 5. Auflage München 1987 (zit.: Wolffl Bachofl Stober). Würtenberger jun., Thomas: Zur Interpretation von Art. 4, 9, und 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV, in: ZevKR 18 (1973), 67-79. Zippelius, Reinhold: Kommentierung von Art. 4 GG in: Bonner Kommentar (Drittbearbeitung Dezember 1989). Zwimer, Henning: Zur Entstehung der Selbstbestimmungsgarantie der Religionsgesellschaften i. J. 1848/49, in: ZRG Kan. Abt. 73 (1987), 210-295.

Sachregister Anfechtung (der Zustimmung zur Taufe) 138 Aufnahme in die Kirche 223 ff. Austritt aus der Kirche 152 f., 211 "Autonomie" der Kirchen 42 ff. Beginn der Kirchensteuerpflicht 22 f. Bekenntnis 139 ff. Bekenntnis vergleich 181 ff. Bereichslehre 40 ff. Bestimmtheitsgrundsatz im (Kirchen-) Steuerrecht 74, 161, 245 Codex Iuris Canonici (CIC) und Mitgliedschaftsbegriff - CICI1917 240 f. - CICI1983 18, 241 ff. Datenaustausch von Kirchen und staatlichen Meldebehörden 205 ff. Diözesen (katholisch) 239 ff. Eigene Angelegenheiten der Kirchen 29 ff. Eigenverständnis der Kirchen: siehe Selbstverständnis der Kirchen Ekklesiologie (evangelisch) 81, (katholisch) 241 Erstattungsanspruch (Kirchensteuer) 200 ff. Erziehungsrecht der Eltern 72 f. Freiwilligkeitsprinzip 159 Geltung innerkirchlicher Regelungen für das staatliche Recht 96 ff. Gesetz über die Kirchengliedschaft der Ev.-Luth. Landeskirche Bayerns (§ 2 Nr.3) 112 Gesetz über die Kirchenmitgliedschaft - der EKD 106 ff., 118 ff., 163 ff.,

204 ff., 211 ff. - und gliedkirchliche Bestimmungen 107 ff. Gesetzliche Vertretung (bei der Anmeldung zur Taufe) 137, 249 f. Gewöhnlicher Aufenthalt 147 ff. Glaubens- und Bekenntnisfreiheit 58 ff. Grundordnung der Badischen Landeskirche (§ 5 Abs.3) 110 Grundrechtsbindung der Kirchen 54 f. Grundrechtsmündigkeit 72 ff. Heckeische Formel 39 Jüdische Gemeinden 154 f. Kindertaufe 135 ff., 146, 151 Kirchenaustritt 152 f. Kircheneintrittsrecht 99 Kirchenmeldewesenanordnung der röm.-katholischen Diözesen 239, 247 Kirchenmitgliedschaft - in der EKD 103 - und Ekklesiologie 81, 84,91 - und Gemeindemitgliedschaft 103 - theologischer und juristischer Begriff 91 ff. (evangelische Kirche), 239 ff. (röm.-kath. Kirche) - "vereinsrechtliches" Verständnis 93 ff. Kirchensteuerpflicht (Beginn) 22 Kirchenübertritt 210 ff. - und Kirchenaustritt 211 - und Vereinbarungen der Landeskirchen 213 Kirchliches Taufrecht und staatliches Recht 135 ff.

Sachregister Kompetenz-Kompetenz der Kirchen 32,49 Landesrechtliche Grundlagen der Kirchensteuer 22 f. Leuenberger Konkordie 190 ff. Meldebehördliche Angabe 193 ff. Mitgliedschaftsvereinbarung der EKD - mit der Evangelischen Kirche in Finnland 171, 194 - mit den Reformierten Kirchen in Frankreich 171 - mit der EV.-Luth. Kirche in Italien 171 "Möbelwagenkonversion" (Automatischer Wechsel der Kirchenzugehörigkeit bei Umzug) 162 ff., 173 ff. Negative religiöse Finanzierungsfreiheit 67 ff. Negative religiöse Vereinigungsfreiheit 59 ff. "Ortskirchensteuerentscheidung" 68 ff. Personalitätsprinzip 100 Plena communio 242 f. Rechtsstel!ung der Ungetauften 250 Rückwirkung des EKD-KMitgliedG 118 Schrankenklausel (Art. 137 III WRV) 38 ff. Selbstbestimmungsrecht der Kirchen 29 ff. Selbstverständnis der Kirchen 34, 48 Steuerberechtigte Kirchen 22 f. Tatbestandsmäßigkeit im Kirchensteuerrecht: siehe Bestimmtheitsgrundsatz im Kirchensteuerrecht Taufe 123, 128, 132 ff., 248

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- kanonische Bestimmungen 249 - gegenwärtige kirchenrechtliche Bedeutung in der EKD 118, 128 - als Rechtsakt (historisch) 125 - und Bestimmtheitsgrundsatz161 Territorialprinzip 100 Übermittlung von Daten an die Kirchen 205 ff. Umgemeindung innerhalb einer Landeskirche 231 Verbot einer religiösen Zwangs mitgliedschaft 59 ff. Vereinbarung der Gliedkirchen der EKD über die Kirchenmitgliedschaft (Fortgeltung) 114 ff. Verfassungskonforme Auslegung (§ 9 Abs.3 EKD-KMitgliedG) 203 Votum negativum 197 ff. Wegzug in das Ausland 147 ff. Weimarer Reichsverfassung 24 Wiedereintritt in die Kirche 220 - konkludente Erklärung 223 - Willensmängel 228 Willensmängel bei dem Erwerb der Kirchenmitgliedschaft 196 ff. Wirkung der kirchenrechtlichen Regelungen für den staatlichen Bereich 96 ff. Wohnsitz 147 ff., 252 Wohnsitzwechsel 162, 252 Zuzug aus dem Ausland - in den Bereich der EKD 173 ff. - katholische Kirche 252 Zwangsmitgliedschaft 59 ff., 177 f. Zweckbindung von Daten 205 ff.