Der Einigungsvertrag nach dem Beitritt: Fortgeltung, Bestandssicherheit und Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht [1 ed.] 9783428480197, 9783428080199


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German Pages 311 Year 1994

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Der Einigungsvertrag nach dem Beitritt: Fortgeltung, Bestandssicherheit und Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht [1 ed.]
 9783428480197, 9783428080199

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HEIKO WAGNER

Der Einigungsvertrag nach dem Beitritt

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 657

Der Einigungsvertrag nach dem Beitritt Fortgeltung, Bestandssicherheit und Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

Von

Heiko Wagner

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wagner, Heiko: Der Einigungsvertrag nach dem Beitritt : Fortgeltung, Bestandssicherheit und Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht / von Heiko Wagner. — Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 657) Zugl.: München, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-08019-X NE: GT

D 19 Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: W. März, Tübingen Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08019-X

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit wurde erst ermöglicht durch die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten und steht daher, wie es die Präambel des Einigungsvertrages ausdrückt, „in dankbarem Respekt vor denen, die auf friedliche Weise der Freiheit zum Durchbruch verholfen haben ..." Für die Betreuung bei der Anfertigung dieser Arbeit schulde ich Herrn Prof. Dr. Peter Lerche großen Dank. Literatur und Rechtsprechung wurden bis zum April 1993, dem Zeitpunkt der Einreichung der Dissertation, berücksichtigt. Hannover, im Februar 1994

Heiko Wagner

Inhaltsverzeichnis Einleitung

21

I. Ziel und Schwerpunkte der Arbeit II. Prämissen der Arbeit III. Rechtliche Ausgangslage

21 22 23

1. Rechtsnatur des Einigungsvertrages vor dem Beitritt

23

2. Rechtliche Konstruktion des Beitritts (Varianten)

24

IV. Einfluß der Lehre vom Fortbestand des Deutschen Reiches

27

A. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt . . .

30

I. Völkerrechtlicher Vertrag

30

1. Vereinbarkeit dieser Rechtsform mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einigungsvertrag

30

2. Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang"

32

2.1 Inhalt und Begründung des Grundsatzes

32

2.2 Anwendung des Grundsatzes auf den Einigungsvertrag

34

2.2.1 Untergang oder fingierter Fortbestand des Partners

34

a) Allgemeiner Rechtsgedanke bei Liquidation juristischer Personen?

35

b) Anwendung der Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

35

aa) Darstellung der Fiktion der Coburg-Rechtsprechung

35

bb) Würdigung der Rechtsprechungs-Fiktion

40

cc) Vergleichbarkeit der Coburg-Fälle mit dem DDRBeitritt

44

dd) Entsprechende Anwendung der Coburg-Rechtsprechung auf den DDR-Beitritt

45

c) Intention der BRD

48

d) Keine Fortbestandsfiktion im Völkerrecht

48

e) Zusammenfassung

49

2.2.2 Kein Partneruntergang bei vereinbartem Wechsel des Vertragspartners

49

10

Inhaltsverzeichnis

a) Möglichkeit eines vereinbarten völkerrechtlichem Vertrag

Partnerwechsels

bei 50

b) Vereinbarung eines Partnerwechsels im Einigungsvertrag 2.3 Ausnahmen von dem Grundsatz

51 57

2.3.1 Ausnahme vom Grundsatz bei radizierten Verträgen

57

2.3.2 Ausnahme vom Grundsatz bei Staatennachfolge

58

2.3.3 Ausnahme vom Grundsatz bei partieller Völkerrechtssubjektivität des Vertragspartners

60

a) Begründung der Ausnahme

60

b) Anwendung des Ausnahmetatbestandes auf Beitrittsvarianten „DDR vorübergehend Bundesland"

60

aa) Partielle Völkerrechtsfähigkeit DDR aus Vertrag

der

bb) Partielle Völkerrechtsfähigkeit DDR durch Reservatrechte

der

beigetretenen 60 beigetretenen 61

(1) Der Begriff der Reservatrechte am Beispiel der Rechte der süddeutschen Staaten von 1870 . . .

61

(2) Vergleichbarkeit der Beitritte 1870 und 1990 . .

64

(3) Völkerrecht zwischen Bund und Bundesland DDR?

66

(4) Sollten im Einigungsvertrag begründet werden?

73

Reservatrechte

c) Anwendung des Ausnahmetatbestandes auf Beitrittsvariante „Untergang der DDR uno actu mit Beitritt" . .

75

2.3.4 Ausnahme vom Grundsatz bei Vertrag zugunsten Dritter? .

76

a) Begründung der Ausnahme

76

b) Berechtigung völkerrechtlicher Dritter durch den Einigungsvertrag

77

2.4 Zusammenfassung

79

3. Erlöschen durch Vollzug

79

4. Erlöschen durch vereinbarte Vertragsbeendigung

80

5. Erlöschen wegen Unmöglichkeit völkerrechtlicher Beziehungen im Bundesstaat

82

6. Fortbestand wegen Sinnes des Eingliederungsvertrages

82

7. Vergleich mit anderen Eingliederungs-Fallgruppen

83

8. Zusammenfassung

85

II. Staatsrechtlicher Vertrag

86

Inhaltsverzeichnis

1. Vereinbarkeit dieser Rechtsform mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einigungsvertrag

86

2. Bilanz der Literaturmeinungen

87

3. Zulässigkeit des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag . . . .

87

4. Keine (auch) staatsvertragliche Natur schon vor dem Beitritt

94

5. Staats vertragliche Natur als Folge des Beitritts

94

5.1 Beitrittsvarianten „DDR vorübergehend Bundesland" 5.1.1 Entstehung eines staatsrechtlichen Vertrages . . . . »

94 95

a) Regulärer Abschluß eines staatsrechtlichen Vertrages antizipiert vor dem Beitritt

95

aa) Vertrag zwischen BRD und Bundesland DDR . . . .

95

(1) Konnte Völkerrechtssubjekt DDR Vertrag für Bundesland DDR abschließen?

95

(2) Hat DDR für Bundesland DDR gehandelt? . . . (a) Art. 45 I EiV 97 - (b) Art. 45 II EiV 97 (c) Art. 44 EiV 99 - (d) Vertragspartner dachten nicht an Bundesland DDR 102 - (e) Direkte Äußerungen der Vertragspartner zur Geltung als staatsrechtlicher Vertrag 102 - (f) Übernahme der Coburg-Rechtsprechung gewollt 104 - (g) Sinn der Vertragsform 105 - (h) Art. 40 I EiV 108 - (i) Zusammenfassung 109

97

bb) Vertrag zwischen BRD und neuen Bundesländern

110

b) Regulärer Abschluß eines staatsrechtlichen Vertrages konkludent nach dem Beitritt

111

c) Übergang des völkerrechtlichen Vertrages in einen staatsrechtlichen Vertrag?

112

d) Zusammenfassung

116

5.1.2 Fortbestand des staatsrechtlichen Einigungsvertrages nach Untergang des Bundeslandes DDR

116

a) Vergleich mit Grundgesetz-Vorschriften

117

aa) Art. 29, 118 GG

117

bb) Art. 135 GG

118

b) Bundesstaatsprinzip

120

c) Recht (sonstiger) öffentlich-rechtlicher Verträge

121

aa) Verwaltungsverträge

121

bb) Gemeindeeingliederungsverträge

122

d) Historische Fälle des Untergangs eines Landes

126

e) Coburg-Rechtsprechung

129

12

Inhaltsverzeichnis

f) Allgemeine Rechtssätze über Verträge

131

g) Rückgriff auf Völkerrechtssätze?

133

h) Zusammenfassung

137

5.1.3 Umfang für Fortgeltung

138

5.2 Beitrittsvariante „Untergang der DDR uno actu mit Beitritt" . . . .

142

5.3 Zusammenfassung

143

6. Kompetenz des Bundes zur Umsetzung (Voraussetzung für Vertragsgeltung) III. Verfassungsrecht

144 148

1. Vereinbarkeit dieser Rechtsform mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einigungsvertrag

149

2. Ausdrückliche Grundgesetz-Änderung im Einigungsvertrag

149

3. Einigungsvertrag als Verfassungsrecht neben Grundgesetz-Wortlaut? . .

153

4. Zusammenfassung

156

IV. Bundesgesetz 1. Vereinbarkeit dieser Rechtsform mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einigungsvertrag

156 156

2. Bilanz der Literaturmeinungen

157

3. Fortgeltung über das Zustimmungsgesetz der BRD

157

3.1 Bundeskompetenz

158

3.2 Transformation / Vollzug des EinigungsVertrages nach Beitritt . . .

161

3.3 Wille der Vertragspartner für Fortgeltung

162

3.4 Vergleich mit Parallelfällen

163

3.5 Gesetzeskraft der Annexe

164

4. Eigenständige Bedeutung des Art. 45 II EiV?

164

5. „Konsumiert" das Bundesgesetz den Vertrag?

165

V. Landesgesetze in den östlichen Bundesländern

167

VI. Zusammenfassung

168

B. Bindungswirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

169

I. BindungsWirkung des Vertrages 1. Bindung des Bundes 1.1 Mögliche Bindungskraft eines staatsrechtlichen Vertrages 1.1.1 Bindung des (einfachen) Gesetzgebers

169 170 170 171

Inhaltsverzeichnis

a) Argumente gegen eine Bindung

171

aa) Umgehung des Art. 79 I, II GG

171

bb) Innere Souveränität

176

cc) Normenhierarchie

177

dd) Bundesstaatliches Verhältnis

179

ee) Demokratieprinzip

183

ff)

185

Verfahrensrechte bei Gesetzgebung

gg) Vertragsrecht hh) Vergleich mit dem Vertrag nach § 54 VwVfG ii)

186 ...

187

Zusammenfassung

188

b) Argumente für eine Bindung

189

aa) Bundesstaatliches Verhältnis

189

bb) Vertragsrecht

190

cc) Coburg-Rechtsprechung

192

dd) Vergleich mit sonstigen Bindungen des Gesetzgebers

193

ee) Art. 170, 171 WRV

197

ff)

198

Zusammenfassung

c) Resultat

198

d) Außerordentliche einseitige Lösungsmöglichkeiten . . . .

199

aa) Kündigungsrecht

199

bb) Wegfall der Geschäftsgrundlage und Clausula rebus sie stantibus

201

e) Vermeidung eines Konflikts zwischen späterem Gesetz und Vertrag

203

1.1.2 Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers (Art. 79 GG) 1.1.3 Bindung des Bundes bei Verfahren nach Art. 146 GG n.F. 1.2 Bindungskraft des Einigungsvertrages 1.2.1 Generelle Bindungskraft a) Bilanz der Rechtsprechung und Literatur .

204 208 209 210 210

b) Ausdrückliche Regeln über Bindungswirkung

211

c) Art. 44 EiV

215

d) Art. 45 II EiV e) Betonung der demokratischen Entwicklung in der Präambel

216 217

14

Inhaltsverzeichnis

f) Verlautbarter Parteiwille

218

g) Coburg-Rechtsprechung

222

h) Sinn des Einigungsvertrages

225

i) Zusammenfassung

229

1.2.2 Bindungskraft einzelner Bestimmungen

229

a) Art. 41 EiV

229

b) Nr. 1.2 Protokoll zum Einigungsvertrag

230

c) Regelungen mit Anpassungsfristen

231

d) Gesetzgebungsdirektiven

233

e) Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers (Art. 79 GG) durch Art. 4, 7, 41 EiV

234

f) Bindung durch Art. 41 EiV für Art. 146 GG n.F.?

238

1.2.3 Zusammenfassung

239

2. Bindung der östlichen Bundesländer

240

II. BindungsWirkung des Gesetzes

241

1. Bindung des Bundes

242

2. Bindung der östlichen Bundesländer

242

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

244

I. Änderbarkeit des Vertrages

244

1. Partner der BRD für eine Änderung

244

1.1 Rechtsnachfolger der DDR 1.2 Herleitung der Partner aus Gründen für den Vertragsfortbestand

244 .

1.2.1 Coburg-Rechtsprechung

245 245

a) Gründe der Rechtsprechung

245

b) Antragsbefugnis laut Bundesverfassungsgericht

246

c) Zusammenfassung

252

1.2.2 Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zur Gemeindeeingliederung

253

1.2.3 Parteiwille

254

1.2.4 Argument aus Art. 29 GG und Art. 34 Wiener Staatennachfolgekonvention

258

1.2.5 Argument aus der Nachfolge Baden-Württembergs in die Südweststaaten

259

1.2.6 Zusammenfassung

259

1.3 Berechtigte Dritte

260

Inhaltsverzeichnis

2. Form der Zustimmung zur Änderung

261

3. Nicht änderbare Bestimmungen

262

4. Zusammenfassung

263

II. Änderbarkeit des Gesetzes D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages 1. Rechtspositionen der DDR 1.1 Streit über Auslegung des Einigungsvertrages

263 267 267 267 268

1.1.1 Art. 93 I Nr. 3 oder 4 GG

268

1.1.2 Subsidiaritätsklausel und andere mögliche Verfahren

273

a) § 50 I Nr. 1 VwGO

273

b) Nr. 6 Protokoll zum Einigungsvertrag

276

c) Art. 126 GG (für Art. 9 EiV)

277

1.1.3 Antragsbefugte

278

1.1.4 Gegenstand der Antragsbefugnis

283

1.1.5 Rechtsnatur der Antragsbefugnis

283

1.2 Streit über Geltung des Einigungs Vertrages

288

2. Rechtspositionen eines der in Art. 44 EiV genannten Länder II. Wahrung und Kontrolle des Gesetzes

289 292

III. Zusammenfassung

295

Ergebnis

296

Anhang: Materialien zum Einigungsvertrag

298

Literaturverzeichnis

302

Abkürzungsverzeichnis a.F.

alte Fassung

AktG

Aktiengesetz (vom 6.9.1965)

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

BayGVBl.

Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt

BayVwBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch (vom 18.8.1896)

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BReg.

Schriftsatz der Bundesregierung vom 29.9.1955 im Konkordatsprozeß (zitiert nach: Giese/von der Heydte, Bd. I, S. 234)

BT

Deutscher Bundestag

BT, 226. Sitzung

Verhandlungen des Deutschen Bundestages/11. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 226. Sitzung vom 20.8.1990 (zitiert nach: Auf dem Weg zur deutschen Einheit, hrsg. vom Deutschen Bundestag, Bd. V, Bonn 1990, S. 333)

BT-Ausschuß Deutsche Einheit

Deutscher Bundestag /Ausschuß Deutsche Einheit, Stenographischer Bericht

Bundesrat, 21.9.1990

Verhandlungen des Bundesrates, Stenographischer Bericht der 619. Sitzung vom 21.9.1990

BV

Verfassung 2.12.1946)

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

Drs.

Drucksache

DtZ

Deutsch-deutsche Rechts-Zeitschrift

DV

Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31. August 1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepu-

des

Freistaates

Bayern

(vom

Abkürzungs erzeichnis

blik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - (vom 23.9.1990) DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

EiV

Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - (vom 31.8.1990)

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuMRK

Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (vom 4.11.1950)

GBl. DDR

Gesetzblatt Republik

GeschOBT

Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (in der Fassung vom 2.7.1980)

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (vom 23.9.1949)

GmbHG

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (vom 20.4.1892)

GVB1. Berlin

Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin

Hess. MinPräs.

Hessischer Ministerpräsident, Beitrittserklärung Hessens zum Konkordatsprozeß vom 15.7.1955 (Az.: 1 Κ 4005a) (zitiert nach: Giese/von der

der

Deutschen

Demokratischen

Heydte, Bd. I, S. 22)

HGB

Handelsgesetzbuch (vom 10.5.1897)

ICJ

International Court of Justice

IGH

Internationaler Gerichtshof

JA

Juristische Arbeitsblätter

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KG

Kammergericht

lit.

Buchstabe

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OVG

Oberverwaltungsgericht

2 Wagner

18

Abkürzungs verzeichni s

OVGE

Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für das Land Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg

PrOVGE

Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

sächs.

sächsisch

SächsOVGE

Jahrbücher des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts Sozialgesetzbuch X (vom 18.8.1980)

SGB X Stenographische Niederschrift

Stenographische Niederschrift der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vom -6.9.1990 - 13.9.1990 - 20.9.1990 zitiert nach: Auf dem Weg zur deutschen Einheit (hrsg. vom Deutschen Bundestag), Bd. V, Bonn 1990, 159/167/269

StGH

Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich

StGH (12.1.1922)

Entscheidung des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich vom 12.1.1922, in: Hans-Heinrich Lammers /Walter

Simons (Hrsg.),

Die

Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Reichsverfassung, Bd. I, Berlin 1929, 366 StGH (11.12.1929)

Entscheidung des StGH vom 11.12.1929, in: ebd., Bd. II, Berlin 1930, 99

StV

Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik - Staatsvertrag (vom 18.5.1990)

UA

Unterabsatz

UdSSR

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

UNO

United Nations Organisation

VerfGH NW

Verfassungsgerichtshof für das Land NordrheinWestfalen

VerwArch

Verwaltungsarchiv

Abkürzungs erzeichnis

VIZ

Zeitschrift für Vermögens- und Investitionsrecht

VR

Völkerrecht

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz (vom 25.5.1976)

WK

Wiener Übereinkommen über Staatennachfolgen in Verträge (Entwurf) - hier: Wiener Konvention - (vom 23.8.1978)

WRV

Verfassung des Deutschen Reiches - Weimarer Reichsverfassung - (vom 11.8.1919)

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZustGes. BRD

Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands Einigungsvertragsgesetz - und der Vereinbarung vom 18. September 1990 (vom 23.9.1990)

ZustGes. DDR

Gesetz zum Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31. August 1990 (Verfassungsgesetz; vom 20.9. 1990)

Im übrigen wird auf Hildebert Kirchner, 4. Aufl. Berlin/New York 1993 verwiesen.

Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache,

Einleitung Ι . Ziel und Schwerpunkte der Arbeit Der Streit um den ,»richtigen" Weg zur deutschen Einheit, ob über Art. 146 a.F. oder Art. 23 a.F. GG, mittels sofortiger Volksabstimmung über eine gesamtdeutsche Verfassung oder eines Vertrages — er ist vorerst ad acta gelegt, die politische Entscheidung ist gefallen, Spekulation jetzt müßig. Der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag" 1 (EiV) hat alle parlamentarischen Hürden genommen; sein weiteres Schicksal liegt in den Händen der Rechtsanwender. Allerdings trat der eine Vertragspartner, die Deutsche Demokratische Republik (DDR), mit Wirkung vom 3.10.1990, d.h. nur wenige Tage nach Inkrafttreten des Vertrages, dem anderen Vertragspartner bei. Daß das rechtlich auf den Vertrag nicht ohne Einfluß blieb, liegt nahe. In der Praxis wird „der Einigungsvertrag" angewandt: der völkerrechtliche oder der staatsrechtliche? Der Vertrag oder sein Zustimmungsgesetz? Oder der Gesetz gewordene Vertrag? Diese Fragen sind solange irrelevant, bis von den Regelungen des Einigungsvertrages, etwa vom Grundsatz der Rückgabe enteigneten Grundeigentums nach Art. 41 I EiV i.V.m. Ani. ΙΠ Nr. 3, abgewichen werden soll oder Verstöße gegen Regelungen im Einigungsvertrag moniert werden. Wer ist nach der Wiedervereinigung an seine Bestimmungen gebunden? An alle gleichermaßen? Wie lange? Wer kann sie ändern, wer vor dem Bundesverfassungsgericht auf ihre Einhaltung drängen? Diese Fragen sind bislang kaum eingehender untersucht worden. Ziel dieser Arbeit ist, die Rechtsnatur der weitergeltenden Bestimmungen des Einigungsvertrages zu bestimmen, ihre Bindungswirkung und Abänderbarkeit zu untersuchen und etwaige Besonderheiten, einschließlich der Antragsbefugnis, möglicher Verfassungsgerichtsverfahren zu klären, in denen Rechte der Deutschen Demokratischen Republik oder eines der in Art. 44 EiV genannten Länder aus dem Einigungsvertrag 2 gewahrt werden können. Der Schwerpunkt wird dabei auf den Fragen der Fortgeltung und der Bin-

1

BGBl. 1990 II S. 889; GBl. DDR 1990 I S. 1629. Dies dürften mit Ausnahme der Individualrechte die wesentlichen Rechte sein, die der Einigungsvertrag gewährt. 2

22

Einleitung

dungswirkung liegen, weil sie auch für die Form eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens und den Inhalt seiner Entscheidung ausschlaggebend sind. Dann wird ersehen werden können, in welchem Maße es der Deutschen Demokratischen Republik gelungen ist, bestandskräftige Regelungen im Einigungsvertrag zu vereinbaren, wer ggf. davon profitieren wird und inwiefern er sich verfassungsgerichtlich schützen kann. Auch der zulässige Weg für zukünftige Abweichungen von Regelungen des Einigungsvertrages wird erkennbar. Dagegen geht es nicht darum, welchen genauen Inhalt die einzelnen Rechte und Pflichten haben, die im Einigungsvertrag gewährt bzw. auferlegt werden; soweit darauf im Einzelfall zur Illustration eingegangen wird, geschieht dies ohne Anspruch auf Vollständigkeit der Erörterung.

I L Prämissen der Arbeit Daß innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik die notwendigen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zustimmung zum Vertragsabschluß eingehalten wurden, davon wird ausgegangen. Zum einen, weil eine Analyse der maßgebenden Kompetenzbestimmungen aus dem Rahmen dieser Arbeit fiele, zum andern, weil nach vollzogenem Beitritt bei keinem Gericht mehr entsprechende Verfahrensrügen mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnten (die Bundesrepublik wird es vor einem internationalen Gericht nicht tun, und die bundesdeutschen Gerichte werden nicht einen Staatsakt der Deutschen Demokratischen Republik an deren Recht überprüfen) 3. Für den Vertragsabschluß auf seiten der Bundesrepublik Deutschland wird von der (umstrittenen 4) Zulässigkeit paktierter Verfassungsänderungen im Fall des Einigungsvertrages ausgegangen. Denn nachdem das Bundesverfassungsgericht Art. 4 EiV ausdrücklich für zulässig erachtete5, besteht de facto keine erfolgversprechende Möglichkeit mehr, ggf. eine Unwirksamkeit dieser Vertragsbestimmung geltend zu machen.

3

So allgemein für Eingliederungsverträge zwischen Staaten Frowein, rungsvertrag, S. 5. 4

Heintschel

von Heinegg, S. 1275; Klein,

Eigentumsregelung, S. 186. 5 BVerfGE 82, 316 (320 f.).

Eingliede-

Einigungsvertrag, S. 570 f.; Maurer,

III. Rechtliche Ausgangslage

23

I I I . Rechtliche Ausgangslage 1. Rechtsnatur des Einigungsvertrages vor dem Beitritt A m 2. Oktober 1990 war die Rechtslage noch unzweifelhaft: Es existierte zwischen den beiden Völkerrechtssubjekten Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik der Einigungsvertrag, der - nach der übertragbaren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 6 zum Grundlagenvertrag - einen „Doppelcharakter" besaß: seiner Art nach völkerrechtlich, seinem Inhalt nach eine Regelung der „Inter-se-Beziehungen". In wünschenswerter Deutlichkeit hatte das Bundesverfassungsgericht schon im Grundlagenvertragsurteil festgestellt, daß für bilaterale Verträge zwischen den beiden deutschen Staaten die Regeln des Völkerrechts gelten und die Verträge Geltungskraft wie jeder andere völkerrechtliche Vertrag haben7. Der Übertragbarkeit der Verfassungsrechtsprechung zum Grundlagenvertrag auf den Einigungsvertrag steht nicht etwa die Formulierung in dessen Präambel „in beiden Teilen Deutschlands" entgegen. Damit erkannte die Deutsche Demokratische Republik nicht etwa an, (vor dem Beitritt) nur ein Teil eines Staates Deutschland zu sein. Denn dann hätte als Konstruktion nähergelegen, den bislang handlungsunfähigen Dachstaat zu reaktivieren, anstatt die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland beitreten und so die Stellung des Dachstaates dauerhaft im unklaren zu lassen. Bereits in seinem Beschluß vom 18.9.1990 bestätigte das Bundesverfassungsgericht, daß für den Einigungsvertrag Völkerrecht gilt, auch wenn inhaltlich nicht auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland geregelt würden 8 . Der völkerrechtliche Charakter des Einigungsvertrages wird, soweit ersichtlich, auch nicht in Frage gestellt9. Auch die Bundesregierung und die Fraktionen der Regierungsparteien teilen diese Ansicht, wie aus ihrer Begründung zu Art. 45 I EiV hervorgeht 10 . Sofern behauptet wird, der Einigungsvertrag sei „zugleich ein Vertrag sui generis" 11 bzw. besitze „einen

6

BVerfGE 36, 1 (24).

7

BVerfGE 36, 1 (23). BVerfGE 82, 316 (320).

8 9

Klein (Bundesstaatlichkeit, S. 37) hält es allerdings, ebenfalls unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag, nur für „bedingt richtig", den Einigungs vertrag dem Völkerrecht zuzuordnen. 10 BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377. 11

Anker, Einigungsvertrag, S. 1062; Stern, Wiederherstellung, S. 39.

24

Einleitung

völkerrechtlich-staatsrechtlichen Doppelcharakter" 12, geschieht das regelmäßig unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum Grundlagenvertrag, die auch auf den Einigungsvertrag anwendbar ist. Daher darf angenommen werden, daß diese mittlerweile für die Qualifikation der Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik im allgemeinen akzeptiert wird. Für die hier interessierenden Fragen des Fortbestandes und der Wahrung der Regeln des Einigungsvertrages ist in erster Linie dessen Rechtsform maßgebend, weniger die Zugehörigkeit des Regelungsinhalts zu inner- oder zwischenstaatlichen Materien. Daher und wegen der Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Praxis wird im folgenden ohne erneute Auseinandersetzung mit den Theorien zur „deutschen Frage" davon ausgegangen, daß der Einigungsvertrag zumindest bis einschließlich 2.10.1990 ein völkerrechtlicher Vertrag war 13 . Ob die Besonderheit der inhaltlichen „Inter-se-Beziehungen" Abweichungen von den allgemein auf völkerrechtliche Verträge anwendbaren Regeln nach sich ziehen, wird bei gegebenem Anlaß erörtert werden. Neben dem Einigungsvertrag waren ferner in Kraft seit dem 29.9.1990 das „Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertragsgesetz - und der Vereinbarung vom 19. September 1990" 14 (ZustGes. BRD) und seit dem 20.9.1990 das „Gesetz zum Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31. August 1990 (Verfassungsgesetz)" 15 (ZustGes. DDR).

2. Rechtliche Konstruktion des Beitritts (Varianten) Mit Glockenschlag 24 Uhr am 2.10.1990, als am Reichstag in Berlin das Deutschlandlied angestimmt wurde, stellen sich die Probleme ein: Welche Gebietskörperschaften sind in welcher Reihenfolge als Subjekte des nationalen oder internationalen Rechts untergegangen und entstanden?

12

Fastenrath, Bindungswirkung, S. 430. Insbesondere hat der Vertrag daher keine Völker- und staatsrechtliche Doppelnatur; vgl. unten A.II.4. 14 BGBl. 1990 II S. 885. 15 GBl. DDR 1990 I S. 1627. 13

III. Rechtliche Ausgangslage

25

Die Annahme, Untergang der Deutschen Demokratischen Republik, Beitritt ihres Gebiets zur Bundesrepublik Deutschland und Entstehung der neuen Länder als Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland seien „uno actu" erfolgt 16 , ist, historisch gesehen, zwar richtig. Sie verhindert aber eine Kontrolle, ob das Ergebnis der darauf angewendeten rechtlichen Nachfolgekonstruktion mit anderen Fällen des Länderunterganges, -beitritts und der Länderentstehung in Einklang zu bringen ist, weil sie keinen Vergleichsmaßstab bietet. Eine gestufte Konstruktion bietet dagegen den Vorteil, „den Beitritt" als Grenzfall (etwa einer Staateneingliederung, gefolgt von einer Länderbildung und anschließender Dismembration) zu betrachten. Dadurch wird zweierlei ermöglicht: Die Gleichbehandlung ähnlich gelagerter Fälle wird sichergestellt, und Nachfolgeregeln - die für ein „Uno actu"-Gemisch mangels Präzedenzen (in der deutschen Geschichte) nicht existieren - müssen nicht aus der hohlen Hand geschöpft, sondern können aus den Regeln für die einzelnen Bestandteile „des Beitritts" zusammengesetzt werden, was zur Rechtssicherheit beiträgt. Denkbar sind folgende rechtliche Konstruktionen (das Sonderproblem „Ost-Berlin" wird zunächst nicht berücksichtigt, Gebiet und Volk der Deutschen Demokratischen Republik also mit dem der fünf neuen Bundesländer gleichgesetzt): 1. Zuerst entstehen die neuen Länder als Gliedstaaten der Deutschen Demokratischen Republik, die damit zu einem Bundesstaat wird 1 7 ; sofern man annimmt, die Länder hätten in der Deutschen Demokratischen Republik ohnehin fortbestanden 18, kommt natürlich von vornherein nur diese Alternative in Betracht. Drei Unterfälle sind möglich: a) Erst tritt die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland bei, verliert dadurch ihre (totale) Völkerrechtssubjektivität und wird Bundesland der Bundesrepublik Deutschland. Dann delegiert sie sämtliche ihr noch verbleibende Macht an ihre Gliedstaaten und erlischt somit als Subjekt des öffentlichen Rechts völlig; gleichzeitig wird jeder der bisherigen Gliedstaaten Land der Bundesrepublik Deutschland. b) Erst delegiert die Deutsche Demokratische Republik sämtliche Macht an ihre Gliedstaaten, erlischt, und die Gliedstaaten sind somit jeweils eigene

16

17

R. Chr. Kaufmann, S. 162.

So allgemein für die Entstehung eines Bundesstaates aus einem Einheitsstaat: Nawiasky, Staatslehre, S. 159. 18 So Röper, S. 161; dagegen Bernet, S. 44, und Klein, Schwelle, S. 1069 Anm. 49.

26

Einleitung

Völkerrechtssubjekte. Dann treten diese der Bundesrepublik Deutschland bei und werden somit Bundesländer. c) Die Gliedstaaten der Deutschen Demokratischen Republik treten der Bundesrepublik Deutschland bei und werden dadurch Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland. Dadurch geht die Deutsche Demokratische Republik - noch eigenständiges Völkerrechtssubjekt - „mangels Masse" unter. 2. Zuerst tritt die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland bei und verliert damit ihre Völkerrechtssubjektivität. Wiederum gibt es Alternativen: a) Die Deutsche Demokratische Republik wird Bundesland. Danach entstehen die fünf Gliedstaaten des Bundeslandes Deutsche Demokratische Republik. Zuletzt delegiert die Deutsche Demokratische Republik ihre Machtbefugnisse an ihre Glieder, erlischt, und die fünf Gliedstaaten werden Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland. b) Die Deutsche Demokratische Republik erlischt bereits mit Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland; das Beitrittsgebiet ist also im Moment des Beitritts sozusagen „bundesunmittelbares" Gebiet, auf dem dann bzw. uno actu die fünf neuen Bundeländer als solche entstehen. Eine dieser Varianten vollzieht sich mit Beginn des 3.10.1990 und wird fortan „der Beitritt" genannt. Hier soll nicht untersucht werden, welche dieser Varianten die juristisch einzig „richtige" ist, damit die Ergebnisse dieser Arbeit nach Möglichkeit weitgehend unabhängig von der gewählten Beitrittskonstruktion sind. Um andererseits eine zu breite Anlage dieser Arbeit zu verhindern, sollen zumindest zwei Möglichkeiten, gegen die erdrückende Argumente sprechen, schon hier aussortiert werden: die Varianten l.b und I.e. Abgesehen von der Problematik, ob die Deutsche Demokratische Republik überhaupt den Beitritt für später auf ihrem Territorium entstehende Völkerrechtssubjekte wirksam erklären kann, hat sie eine solche Erklärung weder für Ost-Staaten noch für Ost-Gliedstaaten abgegeben. Im Beitrittsbeschluß der Volkskammer vom 23.8.199019, der an anderer Stelle die östlichen Länder ausdrücklich erwähnt, heißt es eindeutig, die Deutsche Demokratische Republik trete der Bundesrepublik Deutschland bei. Die Volkskammer hat also bewußt zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und ihren (zukünftigen) Ländern unterschieden. Dies verbietet eine Interpretation als Erklärung des Beitritts für die Länder, für die im übrigen auch kein Anlaß bestünde.

19

BGBl. 1990 I S. 2058.

IV. Einfluß der Lehre vom Fortbestand des Deutschen Reiches

27

Gegen Modell l.b speziell spricht weiter, daß die Zuweisung der vollen Kompetenzen an die östlichen Länder durch die Deutsche Demokratische Republik in ihrer Beitrittserklärung liegen müßte, da ein anderer Akt dafür nicht in Frage kommt. Inhaltlich würde eine Erklärung des Beitritts für die Länder diesen aber keine Kompetenzen zuweisen, sondern ihnen die Kompetenz-Kompetenz (zugunsten der Bundesrepublik Deutschland) vorenthalten. Auch dieser Widerspruch steht einer entsprechenden Interpretation der Beitrittserklärung im Wege. Ferner war ursprünglich beabsichtigt, die östlichen Länder am 14.10.1990 zu bilden 20 . In diesem Fall wären die Konstruktionsvarianten l.b und l.c (sowie übrigens l.a) nicht denkbar gewesen. Dafür, daß die Vorverlegung des Termins eine andere Beitrittskonstruktion bewirken sollte, gibt es aber keine Anhaltspunkte. Die Verlegung erfolgte nämlich nur, um zu vermeiden, daß zwischen dem Untergang der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Beitritt und dem 14.10.1990 auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik keine Gliedstaaten bestünden21; die Länderentstehung am 3.10.1990 wurde somit nicht als Voraussetzung, sondern als notwendige Folge des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik aufgefaßt. Folglich sind nicht die östlichen Länder/Staaten der Bundesrepublik Deutschland beigetreten. Damit scheiden die Modelle l.b und l.c aus.

IV. Einfluß der Lehre vom Fortbestand des Deutschen Reiches Welchen Einfluß haben die unterschiedlichen Theorien zur Existenz des Deutschen Reiches auf die Fortgeltung der Bestimmungen des Einigungsvertrages (und damit auch auf seine Bindungswirkung und die Rechtswahrung)? Nach der Lehre vom Untergang des Deutschen Reiches spielt es naturgemäß überhaupt keine Rolle für den Einigungsvertrag.

20

Laut Ländereinführungsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 22.7.1990 (GBl. DDR I S. 955). 21 Der Bundesminister des Innern teilte dem Verfasser am 20.11.1992 als Grund für die damalige Vereinbarung des Abschnitts II Sachgebiet A Kapitel II Anlage II zum EiV mit: „Da die DDR als Staat mit dem Beitritt am 3. Oktober unterging, mußten die Länder zeitgleich eingeführt werden."

28

Einleitung

Dasselbe gilt nach der Lehre von der (Teil-)Identität zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutschem Reich. Wer aber das Deutsche Reich (bis zur Wiedervereinigung) als drittes deutsches Völkerrechtssubjekt ansah, dem bleiben mehrere Konstruktionsmöglichkeiten, um nach dem Ende des Vereinigungsprozesses nur noch einen deutschen Staat übrig zu lassen (daran, daß dies nach Wegfall der alliierten Rechte und nach Untergang der Deutschen Demokratischen Republik das einzig mögliche Ergebnis darstellt, dürften keine Zweifel bestehen). Entweder läßt man das Deutsche Reich untergehen. Gleich, ob der Untergangszeitpunkt unmittelbar nach, vor oder während des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland angesiedelt wird — in jedem Fall hat das Deutsche Reich wiederum keinen Einfluß auf den Fortbestand der Regeln des Einigungsvertrages. Oder man läßt die Bundesrepublik Deutschland untergehen, was sich natürlich auf die für sie geltenden rechtlichen Regeln auswirkt. Sieht man den Untergangszeitpunkt vor oder nach22 dem Beitritt, dann ist das Deutsche Reich Staatennachfolger der (kleinen bzw. großen) Bundesrepublik Deutschland, weil es ihr in die internationale Verantwortung für ihr bisheriges Staatsgebiet folgt. Als alleiniger und gebietsidentischer Nachfolger übernimmt es die völkerrechtlichen Verträge der Bundesrepublik Deutschland 23 . Im Deutschen Reich muß auch zwangsläufig das gesamte innerstaatliche Recht der Bundesrepublik Deutschland gelten, sei es, daß man in seiner Befolgung durch die Staatsorgane in der Praxis auch nach dem Untergang der Bundesrepublik Deutschland eine „konkludente Rezeption" erblickt, sei es, daß man die Rechtsübernahme dem Willen der Staatsorgane zu staatlicher Kontinuität entnimmt. Auch in diesen Fällen hat die Existenz des Deutschen Reiches auf den Fortbestand der Einigungsvertrags-Regeln (völkerrechtlich wie innerstaatlich geltender) keinen Einfluß, bis auf die Tatsache, daß das Deutsche Reich (genannt „Bundesrepublik Deutschland") an die Stelle der Bundesrepublik Deutschland tritt. Schließlich wäre noch abstrakt denkbar, im Einigungsvertrag eine Vereinbarung der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland zu sehen darüber, daß sie am 3.10.1990 ihre jeweilige staatliche

22

23

So Piotrowicz,

S. 648.

Mit dem völkerrechtlichen Staatennachfolgerecht kann dies an sich deshalb nicht begründet werden, weil völkerrechtlich wegen Identität der Bevölkerung der „beiden" Staaten keine Nachfolge, sondern ein und dasselbe Völkerrechtssubjekt vorliegt. Das zeigt aber, daß umso mehr die völkerrechtlichen Rechte und Pflichten des „Vorgängers" erhalten bleiben müssen.

IV. Einfluß der Lehre vom Fortbestand des Deutschen Reiches

29

Souveränität auf das Deutsche Reich übertragen, das dann also gerade durch die Vereinigung (und nicht etwa durch den Verzicht der Alliierten auf ihre Besatzungsrechte) wieder handlungsfähig würde 24 . Daß dies von Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik gerade nicht angestrebt war, zeigt die Tatsache, daß beide Staaten sich zum Weg des Art. 23 S. 2 a.F. GG, also zum Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland, u.a. gerade deshalb entschlossen, weil nicht ein von diesen beiden Staaten verschiedenes Gemeinwesen, sondern die Fortexistenz der Bundesrepublik Deutschland erstrebt wurde 25 . Sonst hätte der von der bundesdeutschen Verfassung ebenfalls angebotene Weg des Art. 146 a.F. GG nahegelegen. Die letzte Denkvariante scheidet daher aus. Folglich ist eine etwaige Existenz des Deutschen Reiches ohne Auswirkung auf den Fortbestand der Einigungsvertrags-Regeln und braucht daher bei dieser Untersuchung nicht berücksichtigt zu werden.

24 Diese „Reorganisation" des Deutschen Reiches als Konsequenz der Dachstaatstheorie nimmt Fastenrath, Einigungsvertrag, S. 14 an. 25

Degenhardt, S. 975; Starck, S. 353 f.

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt Nach dem - wie auch immer konstruierten - Beitritt können die Bestimmungen des Einigungsvertrages auf eine oder mehrere folgender Weisen fortgelten: als Völker- oder staatsrechtlicher Vertrag (wobei der Vertragspartner der Bundesrepublik Deutschland nach dem Beitritt noch zu bestimmen wäre), als Bestandteil der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, als (einfaches) Bundesgesetz oder als Landesgesetz(e) im „Beitrittsgebiet". Die letzten beiden Varianten können sowohl aus einer Fortgeltung des Vertrages als auch aus der eines Zustimmungsgesetzes folgen; die ersten drei Varianten können sich nur aus der Fortgeltung des Vertrages ergeben. Unbestritten ist (nur), daß die Regelungen des Einigungsvertrages weitergelten.

I. Völkerrechtlicher Vertrag Argumente für und wider die Fortgeltung als völkerrechtlicher Vertrag können sich ergeben aus allgemeinen Völkerrechtsregeln über die Vertragsbeendigung (wegen Unterganges eines Vertragspartners, Vollzuges) und über die Staatennachfolge, aus Regeln des Einigungsvertrages selbst (nach Wortlaut, den Absichten der Vertragspartner - sowohl für einzelne Normen als auch für die Wahl der Vertragsform - ) , aus der Natur als innerdeutscher und als Eingliederungsvertrag, sowie aus Rechtsprechung und Literatur zu früheren Eingliederungen auf gemeindlicher, Länder- und internationaler Ebene. Zu Beginn sei jedoch kurz erörtert, ob den bereits zum Einigungsvertrag ergangenen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen eine Ansicht des höchsten deutschen Gerichts zur anstehenden Problematik entnommen werden kann.

1. Vereinbarkeit dieser Rechtsform mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einigungsvertrag Nach dem Beitritt hat das Bundesverfassungsgericht bisher in mehreren Hauptsacheentscheidungen Regelungen des Einigungsvertrages kontrolliert, in

I. Völkerrechtlicher Vertrag

31

allen drei Fällen im Wege einer Verfassungsbeschwerde gegen das bundesdeutsche Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag: am 23.4.1991 \ am 24.4. 19912 und am 10.3.19923. Dabei griff es in der Entscheidung vom 23.4. 1991 für die Interpretation einzelner Regelungen auf die in den Vertrags Verhandlungen von der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, ja sogar die von der UdSSR, „die über die Zwei-plusvier-Verhandlungen am Einigungsprozeß beteiligt war" 4 , bezogenen Positionen5 sowie auf die Begründung des Einigungsvertrages durch die Bundesregierung (sog. Denkschrift zum Einigungsvertrag) 6 zurück. Explizit äußerte es sich zur Rechtsnatur der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt nicht. Bestünde der Einigungsvertrag auch nach dem Beitritt noch als völkerrechtlicher Vertrag fort, so wäre auch das bundesdeutsche Zustimmungsgesetz mit der Verfassungsbeschwerde weiterhin angreifbar 7. Das Bundesverfassungsgericht kann auch als nationales Gericht über die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages als Vorfrage entscheiden8 und würde bei der Vertragsauslegung den Willen beider Vertragspartner berücksichtigen. In der dritten Entscheidung legt das Bundesverfassungsgericht eine Vertragsbestimmung grundgesetzkonform aus9. Diese einseitig an der Verfassung des einen Vertragspartners orientierte Interpretation ist für völkervertragliche Bestimmungen zumindest ungewöhnlich; selbst im Grundlagenvertragsurteil, in dem das Gericht ebenso verfuhr, hielt es dieses Verfahren zumindest für erklärungsbedürftig 10. Daß bei der zweiten WarteschleifenEntscheidung sowohl eine entsprechende Erklärung als auch jeder Hinweis auf Vorstellungen des Vertragspartners vom Inhalt der Vertragsnorm fehlen, könnte ein - allerdings schwaches - Indiz dafür sein, daß das Bundesverfassungsgericht nicht von einer völkervertraglichen Fortgeltung des Einigungsvertrages ausging.

1

In BVerfGE 84, 90. In BVerfGE 84, 133. 3 In BVerfGE 85, 360. 4 BVerfGE 84, 90(114). 5 BVerfGE 84, 90 (114 f., 127 f.). 6 BVerfGE 84, 90 (128 f.). 7 Generell für Zustimmungsgesetze: BVerfGE 6, 290 (295). 8 BVerfGE 6, 309 (326 f.). 9 BVerfGE 85, 360 (372 ff.). 10 BVerfGE 36, 1 (35 f.). 2

32

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Im übrigen sprechen die bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aber zumindest nicht gegen eine Fortgeltung des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag.

2. Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" 2.1 Inhalt und Begründung des Grundsatzes Die Deutsche Demokratische Republik ist durch den Beitritt - auf welchem Weg auch immer - als Subjekt jeglicher (Völker- oder Staats-)Rechtsordnung untergegangen. Wer völkerrechtliche Auskunft über das Schicksal eines (bilateralen) völkerrechtlichen Vertrages zwischen dem eingliedernden und dem später eingegliederten Staat nach der Eingliederung sucht, wird zunächst einen Blick in das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge 11 (Wiener Vertragsrechtskonvention - WVK) als für die Bundesrepublik Deutschland geltendes Völkervertragsrecht werfen. Dort findet sich jedoch gerade keine Regelung über die Auswirkung des Untergangs einer Vertragspartei auf den Vertrag (Art. 73 WVK) — mit gutem Grund: Dann hätte in der Wiener Vertragsrechtskonvention nämlich das gesamte Gebiet der Staatennachfolge in Verträge geregelt werden müssen. Das aber war nicht beabsichtigt, da die International Law Commission für dieses sehr umstrittene Rechtsgebiet eine eigene Kodifikation in Arbeit hatte12. Folglich muß auf das allgemeine Völkerrecht zurückgegriffen werden. Übereinstimmend gehen deutsche13 wie ausländische14 Völkerrechtler von dem Grundsatz aus: „Bilaterale völkerrechtliche Verträge erlöschen mit Untergang eines Vertragspartners." 15 Dabei wird unter Untergang - zumindest von ausländischen Völkerrechtlern 16 - das Ende der Völkerrechtssubjektivität verstanden. Das erscheint folgerichtig, weil sonst ein völkerrechtlicher Vertrag mit einem - auch partiell - nicht völkerrechtsfähigen Subjekt bestünde, was ein Widerspruch zur

11

Deutsche Übersetzung in BT-Drs. 10/1004. Ipsen, § 15 IV 4 c. 13 Seidl-Hohenveldern, Rdnr. 435; Verdross/Simma, wirkung, S. 430. 12

14

Fitzmaurice,

S. 49; Cap ο torti, S. 532 f.

15

Zu den Einschränkungen vgl. unten S. 57.

16

Fitzmaurice,

S. 49; Cap ο tor ti, S. 532 f.

§ 825; Fastenrath,

Bindung

I. Völkerrechtlicher Vertrag

33

Definition des Völkerrechtssubjekts (Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten) wäre. Es hat allerdings zur Folge, daß - wenn überhaupt eine vertragliche Beziehung fortbesteht - der (dann notwendigerweise innerstaatliche) Vertrag nicht qualifiziert wird nach der Rechtspersönlichkeit seiner Vertragspartner bei Vertragsabschluß, sondern nach der im zu beurteilenden Zeitpunkt. Schon hier sei vermerkt, daß - was im Zusammenhang mit dem Recht der Staatennachfolge relevant werden könnte - möglicherweise die Deutsche Demokratische Republik solange nicht im Sinne des Grundsatzes untergegangen ist, wie sie auch nur partiell völkerrechtsfähig ist. Sofern der Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" überhaupt einer Erklärung für wert befunden wird, wird darauf hingewiesen, daß ja „the very notion" eines Vertrages mindestens zwei existierende Partner erfordere 17 . Ein völkerrechtlicher Vertrag wird im allgemeinen definiert als Vereinbarung zwischen mindestens zwei Völkerrechtssubjekten, durch die mindestens ein Recht bzw. eine Pflicht begründet, aufgehoben oder geändert wird. Außerdem wird gefordert, daß Rechte bzw. Pflichten völkerrechtliche seien 18 oder die Vereinbarung vom Völkerrecht bestimmt sei 19 . Zum Wesen des völkerrechtlichen Vertrages gehört also mindestens eine Rechtsbeziehung als Regelungsgegenstand; damit diese völkerrechtlichen Charakter hat, müssen die Personen, zwischen denen sie besteht, Völkerrechtssubjekte sein (zumindest partielle, nämlich soweit sie Vertragspartner sind). Wenn man von dem Sonderfall, daß Rechtsbeziehungen einer Person zu einer Sache bzw. zu allen Völkerrechtssubjekten Regelungsgegenstand sind 20 , absieht, müssen stets (noch) zwei Völkerrechtssubjekte vorhanden sein, damit der Regelungsgegenstand existiert. Andernfalls fehlt ein den völkerrechtlichen Vertrag konstituierendes Element, und es gibt folglich keinen solchen Vertrag mehr — er erlischt. Dies bestätigt auch folgende Überlegung: Bestünde er weiter, so gäbe es theoretisch zwei Alternativen: Entweder würde der fortbestehende Vertragspartner niemandem mehr verpflichtet sein (da der Berechtigte nicht mehr existiert) und, soweit der untergegangene Partner verpflichtet war, überhaupt keine Pflicht mehr bestehen (mangels Existenz eines Verpflichteten). Diese

17 18

Fitzmaurice, S. 49. Tilch, Art. „Völkerrechtlicher Vertrag", S. 1010 ff.

19

Verdross/Simma,

20

Dazu siehe unten S. 57.

3 Wagner

§ 534.

3 4 Α .

Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Alternative scheidet also aus, weil keine Pflicht mehr besteht, obwohl mindestens eine Pflicht aber in einem Rechtsverhältnis zwischen Personen bestehen muß. Oder aber man nähme an, der fortbestehende Vertragspartner wäre nun völkerrechtlich objektiv verpflichtet; das aber widerspräche der Inter-partesWirkung des Vertrages. Der Grundsatz hat also seine Berechtigung. Gegen ihn wird (im älteren deutschen Schrifttum) nur folgender Einwand erhoben: Die Verträge verlören, selbst wenn sie als staatsrechtliche bestehen blieben, ihren Charakter als objektives (Völker-)Recht 21 . Dieser Einwand ist ein schlichter Zirkelschluß; ein Argument, warum die bilateralen Verträge bestehen bleiben müßten, liefert er nicht. Es bleibt festzuhalten: Es besteht ein überzeugender völkerrechtlicher Grundsatz, daß bilaterale Verträge mit Untergang eines Vertragspartners als Völkerrechtssubjekt erlöschen. Diesen Grund für die Beendigung meint wohl auch Doehring 22 , der betont, es bestehe kein Völkerrechtssubjekt mehr, das die Einhaltung des völkerrechtlichen Einigungsvertrages durchsetzen könne. Die Tatsache, daß niemand für die Durchsetzung existiere, könnte dagegen für sich allein, auch wegen der in Art. 44 EiV getroffenen Regelung, dagegen nicht den Schluß begründen, der Einigungsvertrag bestehe nicht mehr als völkerrechtlicher Vertrag. Auch Rechtsnormen, die niemand einklagen kann - gerade bei völkerrechtlichen Verträgen häufig der Fall - , können geltendes Recht sein.

2.2 Anwendung des Grundsatzes auf den Einigungsvertrag 2.2.1 Untergang oderfingierter Fortbestand des Partners Die Deutsche Demokratische Republik ist spätestens mit dem letzten Akt des wie auch immer konstruierten Beitritts als Rechtssubjekt untergegangen, so daß hier nicht untersucht zu werden braucht, ob sie eventuell zwischenzeitlich als partiell völkerrechtsfähiges Rechtssubjekt bestand. Die einzige Möglichkeit, den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik und damit bereits die Anwendbarkeit des Grundsatzes von vornher-

21

Ficker,

22

Doehring, Bindungen, S. 23.

S. 36.

I. Völkerrechtlicher Vertrag

35

ein auszuschließen, bestünde darin, den Fortbestand der Deutschen Demokratischen Republik zu fingieren 23.

a) Allgemeiner Rechtsgedanke bei Liquidation juristischer

Personen?

Eine solche Fiktion könnte möglicherweise begründet werden mit einem allgemeinen Rechtsgedanken des Inhalts, daß für die Liquidation einer juristischen Person dieses Rechtssubjekt als fortbestehend anzusehen ist (vgl. neben der Coburg-Rechtsprechung §§ 49 I I BGB, 349 Π 1 AktG, ferner §§ 69 I GmbhG, 264 Π AktG, die zwischen der - bereits dem völkerrechtlichen Untergang vergleichbaren - Auflösung und der (Voll-)Beendigung unterscheiden). Allerdings wäre bei den meisten völkerrechtlichen Verträgen, die Dauerpflichten begründen, schon unklar, wie lange das Auflösungsstadium und damit die Fiktion dauern soll.

b) Anwendung der Coburg-Rechtsprechung

des Bundesverfassungsgerichts

Zu einer Fiktion könnte ferner die entsprechende Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Eingliederungen deutscher Länder (hier „Coburg-Rechtsprechung" genannt) führen.

aa) Darstellung der Fiktion der Coburg-Rechtsprechung 1954 und 1955 entschied das Bundesverfassungsgericht - erst durch einstweilige Anordnung 24 , dann in der Hauptsache25 - in einem Verfahren zwischen dem Landesverband Lippe und anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften gegen Nordrhein-Westfalen. Lippe war seit der Weimarer Republik ein selbständiges Land 26 und 1946 - wie auch Nordrhein-Westfalen - von der Militärregierung wiedererrichtet worden 27 . 1947 vereinbarten die Präsidenten der beiden Länder in der sog. Punktation Richtlinien für die Aufnah-

23

Für eine solche Fiktion sprach sich Stern, Wiederherstellung, S. 28 aus für die Zeit bis zur Länderentstehung (Stern ging noch davon aus, daß die neuen Länder erst am 14.10.1990 entstünden, die Deutsche Demokratische Republik bis dahin Gliedstaat sei). 24

BVerfGE 3, 267.

25

BVerfGE 4, 250.

26

BVerfGE 3, 267 (268). BVerfGE 3, 267 (278).

27

36

. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

me von Lippe in Nordrhein-Westfalen 28. Lippe wurde dann durch Verordnung der Militärregierung in Nordrhein-Westfalen eingegliedert 29. Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht machte der Landesverband Lippe geltend, das nordrhein-westfälische Schulgesetz verstoße gegen die Punktation 30 Das Bundesverfassungsgericht behandelte das Land Lippe als fortbestehend, soweit um Rechtsfolgen der Punktation gestritten wurde 31 . In seiner ersten Entscheidung führte es dazu aus: Da Lippe und NordrheinWestfalen beim Abschluß der Vereinbarung gleichberechtigte Länder waren, könne nach der Eingliederung „der Streit über das Vorliegen eines bindenden Staatsvertrages und über seinen Inhalt jedenfalls nicht durch das Verfassungsgericht eines Verhandlungspartners nach dessen Landesrecht entschieden werden" 32 . Deshalb könne keine Streitigkeit innerhalb eines Landes vorliegen. Also muß Lippe als Land noch Rechte aus der Punktation geltend machen können. Das Bundesverfassungsgericht 33 greift für die Konstruktion dieses Ergebnisses zurück auf die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes des Deutschen Reiches. Dieser hatte Gemeinden auch nach ihrer Eingliederung in eine andere Gemeinde die Befugnis zugesprochen, die Verfassungsmäßigkeit des Eingliederungsgesetzes bei ihm kontrollieren zu lassen34 und sie zu diesem Zweck als fortbestehend fingiert 35, ohne jedoch Argumente dafür anzuführen (in einer Entscheidung vom Jahre 192236 hatte er die Aktivlegitimation der eingegliederten Gemeinde noch nicht einmal der Erwähnung für wert befunden, sondern schlicht vorausgesetzt). Zusätzlich argumentiert das Bundesverfassungsgericht, daß ein „geschlossenes Rechtsschutzsystem" erfordere, das untergegangene Land als fortbestehend zu fingieren 37.

28 29 30 31 32 33 34 35 36 37

BVerfGE 3, 267 (268). BVerfGE 4, 250 (267 f.). BVerfGE 3, 267 (277). BVerfGE 3, 267 (280). BVerfGE 3, 267 (278). BVerfGE 3, 267 (279). StGH (11.12.1929), 105. StGH (11.12.1929), 106. StGH (12.1.1922). BVerfGE 3, 267 (279 f.).

I. Völkerrechtlicher Vertrag

37

In der Hauptsacheentscheidung im folgenden Jahr stützt das Bundesverfassungsgericht die Befugnis des Landesverbandes Lippe und der anderen Antragsteller, für das Land Lippe Rechte geltend zu machen, dagegen ausschließlich auf die Fortentwicklung eines Grundsatzes der Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit 3 8 . Art. 18 V I I WRV bestimmte, daß bei der Vereinigung oder Abtrennung von Ländergebieten entstehende Streitigkeiten über die Vermögensauseinandersetzung auf Antrag einer Partei der Staatsgerichtshof entscheide. In der Lehre bestand Einigkeit, daß auch die Selbstverwaltungskörperschaft(en) des abgetrennten Gebietes Partei im Sinne des Art. 18 V I I WRV sein könnein) 3 9 und daß Art. 18 V I I WRV analog für den Zerfall eines Landes gelte 40 . Allerdings wurde dies ausdrücklich auf Vermögensstreitigkeiten beschränkt; für sonstige Meinungsverschiedenheiten sei der Staatsgerichtshof allenfalls nach Art. 19 WRV zuständig 41 . Nach dieser Norm entscheidet der Staatsgerichtshof u.a. über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, sofern kein anderes Gericht zuständig ist, und über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen Ländern. Die Aktivlegitimation der Selbstverwaltungskörperschaften (nicht des aufgelösten Landes, es sei denn, es existierte als juristische Person des öffentlichen Rechts weiter, etwa als Gemeindeverband 42 wurde damit begründet, daß eine (unkontrollierbare) einseitige Vermögensauseinandersetzung durch das eingliedernde Land „mit dem allgemeinen Rechtsempfinden und dem Sinn des Art. 18 Abs. 7 WRV, der die Entscheidung durch einen unparteiischen Gerichtshof erheischt, nicht vereinbar" sei 43 . Das Bundesverfassungsgericht entwickelte diese Lehre insofern weiter, als es sie auf alle Streitigkeiten erstreckte, in denen Rechte des untergegangenen Landes aus dem Eingliederungsvorgang geltend gemacht werden 44 . Eine zweite Serie von Entscheidungen, die der gesamten Linie der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auch den Namen gab, fiel in die Jahre 1967 45 , 1973 46 und 1974 47 . Verfahrensbeteiligte waren jeweils die

38

BVerfGE 4, 250 (268).

39

Altenberg, S. 211; F. Giese, Art. 18 Anm. 10; Lammers, S. 72; Preuß, S. 37.

40

Altenberg, S. 210.

41

Altenberg, S. 210; F. Giese, Art. 18 Anm. 10.

42

Lammers, S. 71 f.

43

Lammers, S. 72.

44

BVerfGE 4, 250 (268).

45

BVerfGE 22, 221.

38

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Stadt Coburg u.a. für den Freistaat Coburg auf der einen und der Freistaat Bayern auf der anderen Seite. Prüfungsmaßstab war jeweils der Staatsvertrag, den die Länder Coburg und Bayern am 14.2.1920 geschlossen hatten zur Regelung der Modalitäten der Eingliederung Coburgs in Bayern, die - nach Art. 18 I WRV - durch Reichsgesetz erfolgte 48 . Inhaltlich beklagte Coburg, Bayern hätte die Besitzstandsgarantien für Schulen und für ein Forstamt sowie die Zusicherung der Kreisfreiheit Neustadts verletzt. In allen Entscheidungen sah das Bundesverfassungsgericht unter Verweis auf beide Lippe-Entscheidungen das Land Coburg als fortbestehend an 49 . In der ersten Entscheidung sieht es mit dem Gutachter Mosler in den vertraglichen Zusicherungen ,„den letzten Rest von Staatlichkeit auf der Seite des aufgenommenen Landes*" 50 . Der Staatsvertrag sei auch 1933 und nach 1945 bestehen geblieben 51 . Das Gericht betont, der „tragende Grund" für seine Fiktion sei, daß Art. 93 I Nr. 4 GG einen hinreichenden Gerichtsschutz gewähren wolle 5 2 . Die - übrigens unstreitige - Fortgeltung des Staatsvertrages begründet das Bundesverfassungsgericht damit, daß kein Grund ersichtlich sei, warum er nicht fortgelten sollte. Außerdem verweist es auf Art. 182 BV, der die Fortgeltung von Staatsverträgen anordnet, das - den Staatsvertrag enthaltende - Zweite Rechtsbereinigungsgesetz Bayerns und die bayerische Staatspraxis. Schließlich argumentiert es mit der Vereinbarkeit des Staatsvertrages mit dem Grundgesetz 53. In den Entscheidungen aus den Jahren 1974 und 1975 verweist das Bundesverfassungsgericht nur noch auf die vorangegangenen Judikate, sowohl für die Aktivlegitimation der Selbstverwaltungskörperschaften für das als fortbestehend anzusehende Land 5 4 als auch für die weitere Gültigkeit des Vertrages 55 . Zum vorletzten Mal hat das Gericht eine solche Fiktion 1976 angewandt im Verfahren zwischen der Stadt Bad Pyrmont (für das Land Waldeck-

46

BVerfGE 34, 216.

47

BVerfGE 38, 231.

48

F. Giese, Art. 18 Anm. 6.

49

BVerfGE 22, 221 (231); 34, 216 (226); 38, 231 (237).

50

BVerfGE 22, 221 (230).

51

BVerfGE 22, 221 (231).

52

BVerfGE 22, 221 (231).

53

Zu alledem BVerfGE 22, 221 (234).

54

BVerfGE 34, 216 (226); 38, 231 (237). BVerfGE 34, 216 (227).

55

I. Völkerrechtlicher Vertrag

39

Pyrmont) und Niedersachsen 56 als Rechtsnachfolger Preußens in den Staatsvertrag mit Waldeck-Pyrmont vom 29.11.1921. Wie Coburg in Bayern, so war der Gebietsteil Pyrmont in Preußen nach Art. 18 I WRV eingegliedert worden, wobei ein Vertrag die Modalitäten regelte; allerdings blieb Waldeck mit verkleinertem Gebiet noch bis zu seiner endgültigen Eingliederung in Preußen im Jahre 1928 57 bestehen. Pyrmont beklagte, Niedersachsen habe die im Schlußprotokoll zum Eingliederungsvertrag abgegebene Besitzstandsgarantie für das Amtsgericht in Pyrmont 58 mißachtet. Hier verweist das Bundesverfassungsgericht für die Fortbestandsfiktion nur noch auf sämtliche fünf bisher erwähnten Entscheidungen59. Zum letzten Mal findet sich ein entsprechender Verweis in einer Entscheidung aus dem Jahre 1982 in einem Verfahren zwischen dem Landkreis Waldeck-Frankenberg und dem Land Niedersachsen 60. Diese über viele Jahre verteilten sieben Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts fügen sich zu einer ständigen Rechtsprechung des Inhalts: Ein untergegangenes Land wird für das verfassungsgerichtliche Verfahren, in dem es Rechte aus dem Eingliederungsvertrag mit dem eingliedernden Land geltend macht, als fortbestehend angesehen. Weis 61 und Fastenrath 62 sehen darin einen Satz des ungeschriebenen Bundes Verfassungsrechts. Die Einwände Ankers 63 gegen die Herleitung dieses Satzes im Staatsrecht, nämlich Besonderheit der Existenz des Art. 182 B V und Eingliederung nur eines Gebietsteiles von Waldeck-Pyrmont, greifen nicht durch: In den Coburg-Fällen sprach sich das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich für die Fortgeltung des Vertrages aus und stützte diese Ansicht nur hilfsweise auf Art. 182 B V 6 4 . Im Pyrmont-Fall problematisierte es die Fortgeltung nur deshalb, weil Niedersachsen (nach der Eingliederung) an die Stelle Preußens getreten war 65 . Daß im Pyrmont-Fall nur ein Gebietsteil eingegliedert wurde und das Gericht dennoch seine bisherige Rechtspre-

56

BVerfGE 42, 345.

57

BVerfGE 42, 345 (348).

58

BVerfGE 42, 345 (346).

59

BVerfGE 42, 345 (355 f.).

60

BVerfGE 62, 295 (312).

61

Weis, Fragen, S. 10 f.

62

Fastenrath, BindungsWirkung, S. 430.

63

Anker, Einigungsvertrag, S. 1062.

64

BVerfGE 22, 221 (234). BVerfGE 42, 345 (356 f.).

65

40

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

chungs-Linie fortsetzte, stellt eine Ausweitung des Grundsatzes dar (der Staatsuntergang mußte nun nicht mehr auf der Eingliederung, deren Modalitäten im Streit waren, beruhen) und hindert die Vergleichbarkeit mit den übrigen Fällen nicht.

bb) Würdigung der Rechtsprechungs-Fiktion Dem Argument, ein Vertrag könne bei Streitigkeiten später nicht durch das Gericht eines Vertragspartners nach dessen Landesrecht beurteilt werden, ist entgegenzuhalten: Wenn - wegen des Unterganges eines Vertragspartners - kein Vertrag nach der Eingliederung mehr existierte, dann entfiele bereits der Kontrollgegenstand. Das Argument impliziert aber, daß der Vertrag als Kontrollgegenstand erhalten bleibt — dann nimmt nicht wunder, daß die darauf bauende Argumentation dazu führt, daß der Vertragspartner, zumindest fiktiv, fortbestehen müsse. Das Argument kann also nur zum Beleg dafür dienen, daß der eingegliederte Partner - wenn überhaupt - in seiner vor der Eingliederung bestehenden Rechtsform (als Land) als fortbestehend betrachtet werden muß. Soweit indes überzeugt es 66 : Sowohl im öffentlichen Recht als auch im Privatrecht kann eine juristische Person Vereinbarungen mit anderen dann nicht an ihrer eigenen internen Rechtsordnung messen, wenn sie nicht schon bei Abschluß der Vereinbarung die Rechtsbeziehungen zwischen sich und ihrem Partner regeln konnte. So sind zum Beispiel Bund-Länder-Verträge an der Bundesverfassung zu messen, weil der Bund die Kompetenz-Kompetenz hat (und Bund-Länder-Verträge etwa gänzlich untersagen könnte); dagegen ist der Aufnahmevertrag einer Gesellschaft mit einem beitretenden Gesellschafter nicht an der zuvor bestehenden Gesellschaftsverfassung zu messen 67 . Würde das eingegliederte Land aber nur als Landesverband, Kreis o.ä. als fortbestehend fingiert, dann würde so das eingliedernde Land die Kompetenz zur Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen sich und seinem Partner erhalten, die es aber, als der Partner tatsächlich existierte, gerade nicht besaß. Nicht nur die Argumentation mit dem rechtlichen Maßstab, auch die mit fehlender Zuständigkeit der Gerichte des einen Vertragspartners (natürlich

66

Ebenso argumentiert Stern, Staatsrecht I, S. 757. Ggf. hat das Organ, das für die Gesellschaft den Vertrag Schloß, seine Befugnisse überschritten, so daß mangels wirksamer Vertretung kein Aufnahmevertrag zustandekam; der Aufnahmevertrag ist aber nicht an der Gesellschaftsordnung als höherrangigem Recht meßbar. 67

I. Völkerrechtlicher Vertrag

41

abgesehen von einer etwa vertraglich vereinbarten) überzeugt: Wenn dieser nicht die Rechtsbeziehungen zum anderen Partner einseitig bestimmen kann, hat er auch nicht die Kompetenz, seine Beziehungen zu ihm einseitig seiner eigenen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs zur Gemeindeeingliederung, die im übrigen selbst keine Argumente anführt, liefert hingegen ohne Fortentwicklung nur einen Grund dafür, ein eingegliedertes Land im Streit um Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Eingliederung selbst, nicht aber der dabei getroffener Vereinbarungen, als fortbestehend anzusehen68. Kann sie fortentwickelt werden, wie vom Bundesverfassungsgericht stillschweigend vorgenommen? Dagegen spricht, daß nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs sich die Gemeinde (im übertragenen Sinn: das Land) gegen ein - nach Art. 18 I WRV - verfassungswidriges Landesgesetz (Bundesgesetz), das sie in ihren Rechten verletzt, wehren kann. Der Staatsgerichtshof hat gerade keine Aussage getroffen über Verträge, die die beteiligten Gemeinden (Länder) anläßlich der Eingliederung geschlossen haben. Da die Gemeinde (das Land) einem Eingliederungsvertrag - im Gegensatz zum Eingliederungsgesetz - zustimmen muß, kann sie (es) nach dem Grundsatz „volenti non fit iniuria" nicht geltend machen, durch den Vertrag in ihren verfassungsrechtlichen Rechten verletzt zu werden. Wenn nach der Eingliederung die vergrößerte Gemeinde (Land) den Vertrag bricht, geschieht dieser Rechtsbruch - anders als der Erlaß eines Eingliederungsgesetzes durch das Land (Reich) - erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gemeinde (das Land) bereits untergegangen ist. Dafür, daß die Gemeinde (das Land) auch jetzt noch verletzt werden kann (notwendige Voraussetzung, damit sie/es unter Anwendung der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs diese Verletzung geltend machen kann), gibt diese Rechtsprechung gerade nichts her. Andererseits ließe sich argumentieren, tragender Gedanke dieser Rechtsprechung sei, daß die Rechte eines untergegangenen Subjektes des öffentlichen Rechts auch nach dem Untergang noch gewahrt werden können. Ob die Verletzung der Rechte vor oder nach dem Untergang erfolgte, könne dann keine Rolle mehr spielen, wenn die Rechte gerade auch für die Zeit nach dem Untergang begründet werden sollten; denn auch dann trifft die Ratio des Grundsatzes, nämlich gerichtlichen Schutz für jedes Recht zu ermöglichen, zu. Gerade auf die Frage, ob mit dem Eingliederungsvertrag Rechte für die Zeit nach der Eingliederung geschaffen werden sollten, gibt aber die nur auf Gesetze bezogene Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs keine Antwort.

68

Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 12.

4 2 Α .

Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Nun hält das Bundesverfassungsgericht die Tatsache, daß der Vertrag auch nach der Eingliederung bindet, für so selbstverständlich, daß es formuliert, für das Erlöschen des Vertrages sei kein Grund ersichtlich. Diese Umkehr der Begründungslast überrascht, wenn man sich den im Völkerrecht allgemein akzeptierten Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" vor Augen hält und mit der überwiegenden Meinung 69 Völkerrechtsgrundsätze für die Ausfüllung des bundesdeutschen Zwischenländerrechts, das zu diesem Punkt keine eigenen Aussagen enthält, anwendet. Immerhin liefert das Bundesverfassungsgericht zusätzlich Argumente für die Fortdauer der Bindungswirkung: Aus Normen des eingliedernden Landes (Bayerns) und der Staatspraxis ergebe sich der Wille dieses Landes, weiter seine (ursprünglich) vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Wäre aber der Inhalt des Vertrages wegen Unterganges des Vertragspartners in der Rechtsform des Vertrages nicht mehr aufrechtzuerhalten, so könnten Art. 182 BV und das Zweite Rechtsbereinigungsgesetz nur sinngemäß dahingehend ausgelegt werden, daß der Vertragsinhalt als objektives (Gesetzes-)Recht weitergelten solle. Ebensowenig, wie nämlich das Grundgesetz (Art. 123 II) über den Fortbestand völkerrechtlicher Verträge entscheiden kann 70 , kann dies die Bayerische Verfassung für Verträge Bayerns mit einem anderen Land. Vielmehr stellen die bayerischen Normen und die Staatspraxis einen Reflex des Willens Bayerns bei Vertragsabschluß dar, im Vertrag Rechte Cpburgs auch über den Untergang des Freistaates Coburg hinaus zu begründen. Das dürfte der entscheidende Grund für die Fortgeltung des Eingliederungsvertrages als Zwischen-Länder-Vertrag sein: der entsprechende Willen der Parteien bei Vertragsschluß. Der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die Vereinbarkeit des Vertrages mit dem Grundgesetz spricht demgegenüber nicht für, sondern nur nicht gegen seine Fortgeltung unter der neuen Verfassung. Als Zwischenergebnis sei festgehalten: Die (allerdings nur im Coburg-Fall vom Bundesverfassungsgericht belegte) Intention der Vertragspartner war auf die Begründung vertraglicher Rechte Coburgs auch für die Zeit nach dem Untergang des Landes gerichtet. Da diese Rechte nach dem Untergang als Land noch verletzt werden können, folgt mit der Ratio der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs zur Gemeindeeingliederung (gerichtlicher Schutz jeden Rechts) in der Tat, daß das untergegangene Land für die Rechtswahrung als fortbestehend zu fingieren ist; alternativ wäre aber auch eine Nachfolge der

69 70

Statt vieler BVerfGE 36, 1 (24). BVerfGE 6, 309 (341).

I. Völkerrechtlicher Vertrag

43

Gebietskörperschaften des eingegliederten Landesteiles in die Rechte des eingegliederten Landes möglich. Eine ähnliche Ratio meint das Bundesverfassungsgericht auch, wenn es als weiteres Argument für seine Fiktion das „geschlossene Rechtsschutzsystem" anführt. Es verortet eine positivrechtliche Ausprägung dieses Gedankens - für föderale Streitigkeiten - in Art. 93 I Nr. 4 GG, der für (alle) „anderen" öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten den subsidiären Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet. Dafür spricht die weite Fassung der Vorschrift. Um einen gerichtlichen Schutz durch das BVerfG und dazu den föderalen Charakter der vertraglichen Rechte zu wahren, scheidet die Alternative einer Rechtsnachfolge durch kommunale Gebietskörperschaften aus; nur mit der Fiktion kann dieses Ziel erreicht werden. Letzte Begründung des Gerichts für seine Fortbestandsfiktion ist die Fortentwicklung der Staatsrechtslehre zu Art. 18 V I I I WRV. Erstens ist die Anwendung dieser Lehre unter der Herrschaft des Grundgesetzes schon problematisch, weil das Grundgesetz, insbesondere der Art. 18 WRV entsprechende Art. 29 GG, keine Bestimmung enthält, die Art. 18 V I I WRV entspricht. Die Lehre zu Art. 18 V I I WRV stellt aber gerade eine Auslegung des in dieser Norm verwandten Begriffes der beteiligten Parteien dar und wird - abgesehen von dem schwachen Argument des „allgemeinen Rechtsempfindens" - nur durch den objektiven Sinn des Art. 18 V I I WRV (gerichtliche Kontrollierbarkeit der Vermögensauseinandersetzung) begründet. Zweitens betonen die Vertreter der Lehre, daß das aufgelöste Land seine Existenz mit der Eingliederung verloren habe und deshalb als Land nicht Partei des Verfahrens sein könne 71 . Sie nehmen also gerade keine Fortexistenz des Landes an. Drittens ist Vorsicht geboten, die Lehre, die zu einem bewußt nur Vermögensangelegenheiten betreffenden Bereich entwickelt wurde, auf alle in Eingliederungsverträgen geregelten Bereiche zu erstrecken. Es fällt auf, daß keiner der sechs Fälle des Bundesverfassungsgerichts, in denen das Verfahren für zulässig erachtet wurde, die Vermögensauseinandersetzung betrifft. Gegen eine Erweiterung der Lehre zu Art. 18 V I I WRV auf jeden Fall spricht auch, daß eine Vermögensnachfolge zwangsläufig stattfindet (auf die Unvermeidlichkeit weist Lammers 72 bei seiner - der detailliertesten - Begründung der Lehre zu Art. 18 V I I WRV ausdrücklich hin), d.h. auch wenn

71

Lammers, S. 71.

72

Lammers, S. 72.

4 4 Α .

Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

kein Eingliederungsvertrag geschlossen wird zur Regelung der Modalitäten der Eingliederung. Daraus, daß für die Beilegung daraus entstehender Streitigkeiten Selbstverwaltungskörperschaften als aktivlegitimiert anerkannt werden, folgt weder, daß auch vom eingegliederten Land abgeschlossene Verträge fortwirken, noch, daß dazu das eingegliederte Land als fortbestehend anzusehen ist. Die Lehre zu Art. 18 V I I WRV kann nur als Argument dafür herangezogen werden, daß aktivlegitimiert die Selbstverwaltungskörperschaften des eingegliederten Gebietes in den Fällen sind, wenn überhaupt für das eingegliederte Land Rechte zu wahren sind. Die Coburg-Rechtsprechung ist im Ergebnis gerechtfertigt durch die Überlegung, daß die Vertragspartner Rechte auch für die Zeit nach der Eingliederung begründen wollten (über deren Abänderbarkeit ist damit noch keine Aussage getroffen) und das „geschlossene Rechtsschutzsystem" des Grundgesetzes eine Möglichkeit gerichtlichen Schutzes dieser Rechte fordert; dieser wird in Anlehnung an die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs durch die Fiktion des Fortbestandes des eingegliederten Vertragspartners gewährt, wobei - in Anlehnung an die Lehre zu Art. 18 V I I WRV - die Selbstverwaltungskörperschaften als aktivlegitimiert anzusehen sind.

cc) Vergleichbarkeit der Coburg-Fälle mit dem DDR-Beitritt Im Falle des Einigungsvertrages besteht eine andere Ausgangslage als in allen der Coburg-Rechtsprechung zugrundeliegenden Fällen: Es wird nicht ein Gliedstaat (des Deutschen Reiches) in einen anderen eingegliedert, sondern ein Völkerrechtssubjekt, nämlich der - für die Bundesrepublik Deutschland nicht ausländische - Staat Deutsche Demokratische Republik, in ein anderes73. Kann diese Differenz dadurch überspielt werden, daß man Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik als Gliedstaaten des Deutschen Reiches ansieht, so daß dann doch wieder ein Gliedstaat in einen anderen eingegliedert worden wäre? Die verneinende Antwort beruht auf mehreren Gründen. Es erscheint bereits höchst fragwürdig, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik als Gliedstaaten des Deutschen Reiches anzusehen. Dagegen spricht sowohl, daß die Deutsche Demokratische Republik sich selbst nicht als Gliedstaat des Deutschen Reiches betrachtete, als auch, daß die bundesdeutschen Vertreter der Lehre vom Fortbestand des

73

Auf die - im Unterschied zu den Coburg-Fällen - völkerrechtliche Dimension weist auch Anker (Einigungsvertrag, S. 1062) hin.

I. Völkerrechtlicher Vertrag

45

Deutschen Reiches nicht einmütig annehmen, die Bundesrepublik Deutschland sei Gliedstaat des Deutschen Reiches (so die Teilordnungslehre im Gegensatz zur Identitätstheorie). Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts von der Teilidentität zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutschem Reich hätte allenfalls die Deutsche Demokratische Republik, nicht aber die Bundesrepublik Deutschland Gliedstaatscharakter. Unter diesen Umständen erscheint es höchst fragwürdig, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik als Gliedstaaten des Deutschen Reiches anzusehen. Die Gliedstaatseigenschaft braucht hier aber nicht vertieft erörtert zu werden. Denn ein Grund gegen die volle Parallelität mit den Coburg-Fällen ergibt sich schon aus der vollen Völkerrechtssubjektivität der beiden deutschen Staaten. Die Länder, die an den Eingliederungsfällen, die der CoburgRechtsprechung zugrunde lagen, beteiligt waren, konnten nach der Verfassung des Deutschen Reiches nur staatsrechtliche Verträge miteinander schließen. Der Einigungsvertrag gehörte jedoch (zu Beginn) der Völkerrechtsordnung an, Gliedstaat des Deutschen Reiches hin oder her. Der Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik unterscheidet sich von den Coburg-Fällen also dadurch, daß kein Gliedstaat einem anderen, sondern ein Staat als Völkerrechtssubjekt einem anderen beitrat. Diesen Unterschied reflektieren auch Formeln wie die, die Coburg-Rechtsprechung sei auf den Einigungsvertrag „mutatis mutandis" anwendbar 74 bzw. dann, wenn man eine „Mutation" des Einigungsvertrages in einen staatsrechtlichen Vertrag annehme75.

dd) Entsprechende Anwendung der Coburg-Rechtsprechung auf den DDR-Beitritt Damit sind zwei Fragen aufgeworfen: Welches Ergebnis liefert die Coburg-Rechtsprechung in diesem Fall, und trifft ihre Begründung auf diese Situation noch zu, d.h. kann sie hier überhaupt entsprechend angewandt werden? Zum ersten Punkt ist festzuhalten, daß eine Quintessenz der CoburgRechtsprechung darin liegt, einen Rechtsstreit zwischen Landesverband Lippe, Stadt Coburg, Stadt Pyrmont und ihrem jeweiligen Bundesland, der prima vista jeweils ein Rechtsstreit innerhalb eines Bundeslandes wäre und für den

74

Klein, Einigungsvertrag, S. 571.

75

Fastenrath,

Bindungswirkung, S. 430.

4 6 Α .

Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

daher nur das jeweilige Landesverfassungsgericht zuständig sein könnte 76 , durch die Fortbestands-Fiktion jeweils erst zu einem die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts begründenden Zwischen-Länder-Streit machte. Darüber geht Fastenrath 77 hinweg, wenn er unterstellt, die Rechtsprechung gelte „für (Bund-)Länderabkommen". Das Bundesverfassungsgericht hat sie gerade nur für Länder-Abkommen entwickelt; ist der Bund (und ein gleichrangiger Partner) beteiligt, kann die Coburg-Rechtsprechung gerade nicht mehr direkt angewandt werden. Der angeführte Grundgedanke der Coburg-Rechtsprechung bleibt nur erhalten, wenn bei ihrer entsprechenden Anwendung das untergegangene Rechtssubjekt in der Rechtsform als fortbestehend angesehen wird, in der es vor der Eingliederung bestand. Dafür spricht auch, daß das Bundesverfassungsgericht seinerseits trotz Rückgriffes auf die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs zur Gemeindeeingliederung Coburg nicht als kommunale Gebietskörperschaft, sondern als Land als fortbestehend ansah. Bei entsprechender Anwendung der Coburg-Rechtsprechung ist daher (in den Konstruktionsvarianten l.a und 2.a + 2.b) die Deutsche Demokratische Republik als Völkerrechtssubjekt als fortbestehend anzusehen. Dies und das Argument des BVerfG, der Eingliederungsvertrag könne nicht der Rechtsordnung eines Partners unterliegen, spricht also dafür, den Einigungsvertrag als völkerrechtlichen Vertrag mit als fortbestehend fingierter Deutscher Demokratischer Republik aufrechtzuerhalten. Der besondere Inter-se-Inhalt der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Deutschen Demokratischen Republik ändert nichts daran, daß die Rechtsform der zwischen beiden deutschen Staaten abgeschlossenen Verträge vom Völkerrecht bestimmt wurde; die Verträge gehören daher der Völkerrechtsordnung an. Die ursprüngliche Zugehörigkeit zu der Rechtsordnung soll nach der Coburg-Rechtsprechung aber gerade nach der Eingliederung durch die Fiktion des Fortbestandes erhalten bleiben. Daß im allgemeinen angenommen wird, die Anwendung der CoburgRechtsprechung führe unproblematisch zur Fortgeltung als staatsrechtlicher Vertrag, liegt daran, daß die unterschiedliche Ausgangslage (Coburg: Vertrag zwischen Gliedstaaten; Deutsche Demokratische Republik: Vertrag zwischen Völkerrechtssubjekten) nicht beachtet bzw. bei Anwendung der CoburgRechtsprechung unterstellt wird, der Einigungsvertrag sei zu einem staatsrechtlichen Vertrag „mutiert" 78 ; eine solche Mutation (von einem ZwischenLänder-Vertrag zu einem Vertrag zwischen Land und eingegliederter Gebiets-

76

Scholtissek, S. 471.

77

Fastenrath,

BindungsWirkung, S. 430.

78

Fastenrath,

Bindungswirkung, S. 430.

I. Völkerrechtlicher Vertrag

47

körperschaft) hat das Bundesverfassungsgericht in der Coburg-Rechtsprechung aber gerade nicht angenommen. Bleiben die Argumente, die die Coburg-Rechtsprechung trugen, auch bei dieser entsprechenden Anwendung stimmig? Erstes Glied der Begründungskette war, daß beide Partner die Verbindlichkeit der vertraglichen Regelungen auch nach der Eingliederung wollten. Dafür spricht bereits die Existenz des sonst überflüssigen Art. 41 ΙΠ EiV. Darauf, daß es keine Art. 182 BV vergleichbare Bestimmung im Grundgesetz als Verfassung des eingliedernden Staates gibt, kommt es dagegen nicht an 79 , weil Art. 182 BV nur als Indiz für den Partei willen gewertet wurde. Tragendes Argument der Coburg-Rechtsprechung war dann, daß das geschlossene Rechtsschutzsystem des Grundgesetzes die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung der fortbestehenden vertraglichen Rechte erfordere. Dieses Argument trifft auf der völkerrechtlichen Ebene nicht mehr zu: Die Völkerrechtsordnung zeichnet sich gerade dadurch aus, daß sie keine obligatorische Gerichtsbarkeit kennt; Gerichte sind im Gegenteil nur nach besonderer Vereinbarung durch die Vertragspartner zuständig. Eine solche, den Einigungsvertrag erfassende Abrede zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik gibt es nicht. Außerdem kann auf Art. 93 I Nr. 4 GG als positiv-rechtliche Ausprägung des Gedankens des geschlossenen Rechtsschutzsystems nicht mehr zurückgegriffen werden, weil Streitigkeiten zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland keine solchen des föderalen Bereichs sind, sondern eben völkerrechtliche. Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs zur Gemeindeeingliederung ist schon im Ansatz nicht auf die völkerrechtliche Ebene übertragbar: Anders als eine Gemeinde kann ein souveräner Staat nicht durch Akt eines ihm übergeordneten Rechtssubjekts einem anderen Staat eingegliedert werden. Eine Eingliederung gegen seinen Willen wäre eine Annektion, die aber von einem ihm gleichrangigen Rechtssubjekt ausginge. Auch die Staatsrechtslehre zu Art. 18 V I I WRV ist nicht ins Völkerrecht übertragbar. Dort ist der Thematik des Art. 18 V I I WRV das Recht der Staatennachfolge ins Vermögen vergleichbar. Dieses kennt keine obligatorische Gerichtsbarkeit für Vermögensauseinandersetzungen, so daß der tragende Grund für die Lehre zu Art. 18 V I I WRV bei einer Übertragung ins Völkerrecht verloren ginge.

79

So aber Anker, Einigungsvertrag, S. 1062.

48

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Keines der Argumente, die die Coburg-Rechtsprechung tragen, ist also auf den Fall des völkerrechtlichen Eingliederungsvertrages anwendbar. Erschwerend kommt hinzu, daß die Rechtsprechung eines nationalen Verfassungsgerichts allein keine ausreichende Quelle eines Völkerrechtssatzes - im Gegensatz zu Verfassungsrechtssätzen - ist. Aus der Coburg-Rechtsprechung kann daher kein Grund für eine Fiktion des Fortbestandes der Deutschen Demokratischen Republik als Völkerrechtssubjekt abgeleitet werden.

c) Intention der BRD Die Bundesregierung begründet die Notwendigkeit des Art. 44 EiV mit dem Untergang der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Beitritt 80 . Auch im Bundestags-Ausschuß Deutsche Einheit wurde die Ansicht geäußert, der Vertragspartner existiere nach dem Beitritt nicht mehr 81 . Entgegenstehende Äußerungen liegen nicht vor. Zumindest die Bundesrepublik Deutschland ging also nicht von einem (wie auch immer konstruierten) Fortbestand der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Beitritt aus. Dieser Einwand gegen die Fortbestandsfiktion ist freilich schwach. Eine Fiktion setzt ja gerade voraus, daß die Deutsche Demokratische Republik „an sich" untergegangen ist.

d) Keine Fortbestandsfiktion

im Völkerrecht

Die deutsche Völkerrechtsliteratur lehnt eine Fortbestandsfiktion im Völkerrecht schon generell ab (zumindest, wenn vor dem Untergang kein Rechtsstreit anhängig wurde; das ist im Fall des Einigungsvertrages nicht der Fall), und zwar unter Hinweis auf eine IGH-Entscheidung zur Eingliederung NordKameruns in Nigeria durch den Treuhänder Großbritannien 82. Der IGH hatte argumentiert, nach der Eingliederung bestünden keine Rechte aus dem Trusteeship Agreement mehr 83 , und das Agreement würde durch eine gerichtliche Entscheidung auch nicht wiederbelebt werden 84. Allerdings unterschied

80

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

81

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 15. Sitzung, S. 469 C.

82

Frowein,

Eingliederungsvertrag, S. 13; Anker, Wiedervereinigungsgebot, S. 206.

83

ICJ, Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders 1963, S. 15, 34.

84

ICJ, Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders 1963, S. 15, 33.

I. Völkerrechtlicher Vertrag

49

sich der IGH-Fall von dem der deutschen Wiedervereinigung insofern, als dort nicht Kamerun insgesamt eingegliedert wurde, sondern nur ein Gebietsteil davon. Wenn der IGH es andererseits bereits ablehnt, die für die „Wiederbelebung" des Trusteeship Agreement erfolgte Eingliederung eines Gebietsteiles gedanklich beiseite zu lassen, so wird er dies erst recht nicht bei der Eingliederung eines gesamten Staates tun, da hier durch die Fiktion nicht nur ein bestehendes Völkerrechtssubjekt als vergrößert angesehen, sondern überhaupt fingiert werden müßte.

e) Zusammenfassung Das Völkerrecht bietet somit keine Möglichkeit, über den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik hinwegzusehen. Damit bestünde der Einigungsvertrag nach dem völkerrechtlichen Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" nach dem Beitritt als völkerrechtlicher Vertrag nicht mehr. Der Vertragspartner wäre aber dann nicht untergegangen, wenn nach dem Beitritt nicht mehr die Deutsche Demokratische Republik, sondern die dann bestehenden Bundesländer Vertragspartner wären. Ein solcher Vertragspartnerwechsel kann auf Grund Gesetzes oder auf Grund Parteiwillens geschehen; ob dies beim Einigungsvertrag der Fall war, wird im folgenden untersucht. Des weiteren müssen Ausnahmen von dem Grundsatz dargestellt werden.

2.2.2 Kein Partneruntergang bei vereinbartem Wechsel des Vertragspartners Der Vertragspartner wäre nicht untergegangen, wenn zum Zeitpunkt des Unterganges der Deutschen Demokratischen Republik nicht mehr diese Vertragspartner gewesen, sondern - nach dem Willen der (ursprünglichen) Vertragspartner - die Vertragspartnerstellung zuvor von der Deutschen Demokratischen Republik auf ein anderes Rechtssubjekt übergegangen, d.h. ein Vertragspartnerwechsel vereinbart worden wäre. Wenn überhaupt neue Vertragspartner an Stelle der Deutschen Demokratischen Republik treten sollten, kommen dafür nur die östlichen Länder in Frage. Die Problematik, daß diese Bundesländer im allgemeinen nicht völkerreclitsfähig sind, sei zunächst ausgeklammert (wenn schon kein Partnerwechsel vorläge, wäre sie unerheblich).

4 Wagner

5 0 Α .

Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

a) Möglichkeit eines vereinbarten Partnerwechsels bei völkerrechtlichem Vertrag Ist die - im deutschen Schuldrecht bekannte - Rechtskonstruktion des vereinbarten Partnerwechsels für völkerrechtliche Verträge überhaupt anwendbar? Die Völkerrechtslehre behandelt diese Frage, wahrscheinlich mangels praktischer Relevanz, soweit ersichtlich nicht. Im deutschen Schuldrecht wird die Zulässigkeit des vereinbarten Partnerwechsels folgendermaßen begründet: Wenn das Gesetz schon den automatischen Übergang der Vertragsstellung auf einen anderen Partner vorsehe in bestimmten Fällen, dann müßten die Vertragspartner dieselbe Rechtsfolge auch kraft ihrer Privatautonomie herbeiführen können85. Diese Argumentation kann auf den völkerrechtlichen Vertrag übertragen werden. Auch die Völkerrechtsordnung kennt im Recht der Staatennachfolge in Verträge Tatbestände, die zu einem Wechsel des Vertragspartners führen. Der zivilrechtlichen Privatautonomie entspricht international die Souveränität der Staaten, welche grundsätzlich mit jedem anderen Staat Vereinbarungen beliebigen Inhalts schließen können. Allerdings könnte in Fällen wie dem vorliegenden, bei dem das in den Vertrag eintretende Rechtssubjekt erst mit dem Untergang des früheren Vertragspartners entsteht, so das Recht der Staatennachfolge in Verträge umgangen werden. Das ist aber unschädlich, da die Umgehungsregelung gerade auf dem Willen der bisherigen Vertragspartner beruht, deren Interessen allein das Staatennachfolgerecht zum Ausgleich bringen will. Daß etwa ein viertes Rechtssubjekt nach der Umgehungsregelung - anders als bei Anwendung der Nachfolgeregeln - nicht Vertragspartner wird und so ggf. eine (bloße) Chance einbüßt, kann zumindest im vorliegenden Fall keine Rolle spielen, weil kein solches Subjekt für die Nachfolge in die Vertragsposition der Deutschen Demokratischen Republik in Frage kommt. Ein anderer möglicher Einwand lautet: Grundsätzlich müssen alle drei Beteiligten dem Partnerwechsel zustimmen nach dem Grundsatz, daß keine Vereinbarung zu Lasten Dritter wirken darf (für das Völkerrecht normiert in Art. 34, 35 WVK); denn der alte Vertragspartner verliert seine Rechte, der neue übernimmt die vertraglichen Pflichten, und der dritte Vertragspartner verliert seine Rechte gegen den ersten. Der Partnerwechsel wird daher durch einen dreiseitigen Vertrag bewirkt. Im Falle des Einigungsvertrages waren aber die Vertragspartner eins und zwei nicht gleichzeitig (als Völkerrechtssubjekte) existent.

85

Larenz, § 35 III.

I. Völkerrechtlicher Vertrag

51

Abgesehen davon, daß sich diese Problematik bereits durch die Konstruktion eines vor dem Beitritt abgegebenen Vertragsangebotes, das durch den neuen Vertragspartner nach dem Beitritt angenommen würde, entschärfen ließe, verliert dieser Einwand dann seine Grundlage, wenn ausnahmsweise doch zu Lasten des neuen Vertragspartners eine Vereinbarung, nämlich der Vertrag über den Partnerwechsel, getroffen werden darf. Das ist der Fall bei der Schaffung eines neuen Staates, dessen Gebiet vorher der Verfügungsgewalt eines bisherigen Vertragspartners unterstand 86. Die östlichen Bundesländer entstehen nicht als Staaten, sondern nur als Gliedstaaten, die der Kompetenz-Kompetenz der Bundesrepublik Deutschland unterliegen; sie haben also einen geringeren rechtlichen Status als (volle) Völkerrechtssubjekte. Dann muß es - a maiore ad minus - erst recht völkerrechtlich zulässig sein, ihnen die Vertragsposition der Deutschen Demokratischen Republik aufzuoktroyieren (die Problematik, daß dann möglicherweise nicht völkerrechtsfähige Rechtssubjekte neuer Vertragspartner wären, sollte einstweilen ja ausgeklammert bleiben). Ob dies auch nach dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland zulässig wäre, ist für die völkerrechtliche Wirksamkeit einer entsprechenden Partnerwechsel-Vereinbarung zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik - zumindest bis zu einer etwaigen Anfechtung durch die Bundesrepublik Deutschland - unerheblich. Als Zwischenergebnis ist also festzuhalten, daß abstrakt eine Vereinbarung zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik über den Partnerwechsel möglich wäre.

b) Vereinbarung

eines Partnerwechsels

im Einigungsvertrag

Das Ergebnis der folgenden Untersuchung, ob tatsächlich vereinbart wurde, daß ab dem Beitritt die ostdeutschen Bundesländer Vertragspartner werden sollten, wird, wenn der Einigungsvertrag nicht als völkerrechtlicher Vertrag fortgelten sollte, auch für die Untersuchung der Existenz eines staatsrechtlichen Vertrages von Bedeutung sein können. Angesichts der Unüblichkeit des vereinbarten Vertragspartner Wechsel s wäre zu erwarten, daß die Parteien, wenn sie einen Wechsel hätten vereinbaren wollen, diesen ausdrücklich in einem Artikel vereinbart hätten. Eine ausdrückliche Regelung wäre umso mehr zu erwarten gewesen, als ggf. mehrere Länder in die Stellung eines Vertragspartners folgen würden, so daß eine

86

Verdross/Simma,

§ 765.

5 2 Α .

Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

nähere Vereinbarung der Art der „Gläubiger-" bzw. „Schuldnermehrheit" nahegelegen hätte. Eine unzweideutige Regelung eines Partnerwechsels enthält der Einigungsvertrag jedoch nicht. Ansatzpunkte im Vertragswortlaut für eine Auslegung könnten Art. 40 II, 44 und 45 I I EiV sein. Art. 40 I I EiV, der grundsätzlich das Schicksal völkerrechtlicher Verträge zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik nach dem Beitritt regelt, kommt deshalb nicht in Betracht, weil Art. 44 und 45 I I EiV auf den Einigungsvertrag bezogene Spezialregelungen sind und Art. 40 I I EiV insoweit verdrängen. Nach Art. 44 EiV, der im Kapitel über Übergangsregelungen steht, können nach dem Beitritt die östlichen Bundesländer Rechte aus dem Einigungsvertrag geltend machen. Diese Rechtsfolge ergäbe sich auch, wenn die Länder in die Vertragsposition der Deutschen Demokratischen Republik eingerückt wären, aber nicht nur dann. So könnten die Länder auch nur für die Deutsche Demokratische Republik handeln, also deren Rechte - sei es aus dem Einigungsvertrag als Vertrag oder als Gesetz - wahrnehmen, oder solche eigenen Rechte, die zu ihren Gunsten im Vertrag begründet wurden (ohne daß sie deshalb gleich Vertragspartner wären). Sähe Art. 44 EiV einen Partnerwechsel vor, so wäre Art. 45 Π EiV zur Fortgeltung des Vertrages überflüssig; denn wären die nach dem Beitritt bestehenden Länder Vertragspartner geworden, würde der Einigungsvertrag ohne Zweifel fortgelten, ohne daß dies einer Klärung bedurft hätte. Hätte in Art. 44 EiV ein Partnerwechsel normiert werden sollen, so hätte der Ausdruck nahegelegen, daß die „Rechte aus diesem Vertrag zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik" auf die Länder übergehen (und nicht nur von ihnen geltend gemacht werden können). Außerdem hätte zusätzlich der Übergang der Vertragspflichten angeordnet werden müssen. Die Mehrheit der Autoren sieht denn auch in Art. 44 EiV keine materiellrechtliche, sondern nur eine prozessuale Bestimmung 87 oder leitet aus dieser Norm nur die Fortgeltung als Vertrag ab 88 . Lediglich Brunner, ein DDR-Autor, sieht die östlichen Länder als „Funktionsnachfolger" der Deutschen Demokratischen Republik, die deren vertragliche Rechte wahrnehmen und Pflichten erfüllen 89 . Woraus er einen Übergang der vertraglichen Pflichten ableitet - Art. 44 EiV statuiert ihn gerade nicht - , gibt er

87

Viehmann, S. 22; Weis, Gesetzgebung, S. 60.

88

Klein, Einigungsvertrag, S. 571.

89

Brunner, S. 2.

I. Völkerrechtlicher Vertrag

53

nicht an. Außerdem leitet Doehring 90 aus Art. 44 EiV ab, der Einigungsvertrag bestünde nach Untergang der Deutschen Demokratischen Republik mit den in Art. 44 EiV genannten Ländern (allerdings als innerstaatlicher Vertrag); dagegen spricht die soeben dargelegte Interpretation des Art. 44 EiV. Wortlaut und Sinn der Einigungsvertrags-Bestimmungen, die nach Art. 32 W V K grundsätzlich vorrangige Mittel der Auslegung völkerrechtlicher Verträge sind, sprechen also gegen bzw. nicht für einen vereinbarten Partnerwechsel. Gegen die Annahme, Art. 44 EiV sei Ausdruck eines gewollten Partnerwechsels, spricht auch die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung. In der Zusammenstellung der Textvorschläge aus den DDR-Ressortverhandlungen (die Initiative zum Einigungsvertrag ging von der Deutschen Demokratischen Republik aus) vom 30.7.1990 und in den DDR-Rohskizzen vom 31.7.1990 und 1.8.199091 ist die dem späteren Art. 44 EiV entsprechende Vorschrift überschrieben mit „Rechtsnachfolge"; in beiden Rohskizzen heißt es, Rechte und Pflichten aus dem Vertrag seien in Rechtsnachfolge der Deutschen Demokratischen Republik in bezug auf den Einigungsvertrag von den östlichen Ländern wahrzunehmen. Im 1. Entwurf des Einigungsvertrages, dessen entsprechender Artikel mit dem späteren Art. 44 EiV bereits wörtlich übereinstimmt, ist ab dem 2.8.1990 dann statt von Rechtsnachfolge nur noch von Rechtswahrung, von den Pflichten der Deutschen Demokratischen Republik gar nicht mehr die Rede und aus der Wahrnehmungsobliegenheit eine Geltendmachungsmöglichkeit geworden. Diese deutliche Änderung spricht dafür, daß von einer ursprünglich vorgesehenen (zwangsläufig eintretenden) Nachfolge der Länder in die gesamte Vertragsposition der Deutschen Demokratischen Republik im Laufe der Beratungen Abstand genommen wurde. Deckt sich das bisher erzielte Ergebnis mit den verlautbarten Absichten der Vertragspartner? Die Bestimmungen in Art. 44 und 45 Π EiV über das Schicksal des Vertrages nach dem Beitritt waren ein wesentliches Anliegen der Deutschen Demokratischen Republik 92 ; so stellte auch ihr Verhandlungsführer in der Volkskammer-Debatte vom 13.9.1990 Art. 44 EiV als wichtig heraus 93. Die Deutsche Demokratische Republik wollte die Bindungswirkung des Vertrages

90

Doehring, Bindungen, S. 23.

91

Vgl. Anhang.

92

Schäuble, Vertrag, S. 14, 26; Viehmann, S. 22.

93

Stenographische Niederschrift 13.9.1990, S. 206.

54

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

über den Beitritt hinaus sichern zugunsten der östlichen Länder und (damit auch) ihrer Bürger 94 . Dieser Zweck freilich erfordert nicht notwendig, daß die östlichen Länder mit dem Beitritt Vertragspartner werden, sondern wird auch erreicht, indem etwa die Länder nur für die untergegangene Deutsche Demokratische Republik deren Rechte wahrnehmen, solange nur die Vertragsnatur erhalten bleibt. Dem DDR-Verhandlungsführer zufolge kann nach Art. 44 EiV ein östliches Land „in Form von Klagen Rechte beanspruchen, die aus dem Vertrag dem Land nicht zugute kommen könnten" 95 . Beinhaltete Art. 44 EiV einen Partnerwechsel, dann könnte ein östliches Land theoretisch aber genau die Rechte einklagen, die ihm aus dem Vertrag zustünden. (In der Praxis könnte es - wenn es in den völkerrechtlichen Vertrag eingetreten wäre - vor keinem Gericht auf Erfüllung klagen, da Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik sich weder allgemein noch für den Einigungsvertrag dem Spruch eines internationalen Gerichts unterworfen haben; nur dann ist aber für Streitigkeiten aus völkerrechtlichen Verträgen der Rechtsweg eröffnet [das BVerfG ist für diese Streitigkeiten nicht zuständig96].) Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ging nach alledem nicht von einem Vertragspartnerwechsel aus. In der Volkskammerdebatte um den Einigungsvertrag wurde keine gegenteilige Meinung vertreten. Auf Seiten der Bundesrepublik Deutschland war die Regierung der Ansicht, statt eines Vertrages hätte ein Überleitungsgesetz den Zweck genauso gut erfüllt 97 . Ihr kam es also nicht auf die vertragliche Fortgeltung an. Sie hatte daher schon grundsätzlich kein eigenes Interesse an der Vereinbarung eines Vertragspartnerwechsels. Die Bundesregierung verstand Art. 44 EiV nur als prozessuale Regelung 98 . Enthielte die Norm die Vereinbarung eines Vertragspartnerwechsels, so träfe sie aber (auch) eine materiellrechtliche Regelung. Die Bundesregierung wollte mit Art. 44 EiV bewußt nicht nur an die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in der Begründung

94

Schäuble, Vertrag, S. 14, 26; Viehmann, S. 22.

95

Stenographische Niederschrift 13.9.1990, S. 206.

96

BVerfGE 1, 351 (371); Maunz, S. 778.

97

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 10. Sitzung, S. 344 C.

98

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

I. Völkerrechtlicher Vertrag

55

zum Einigungsvertrag als „gemeindeutsche Rechtstradition" bezeichnet", anknüpfen, sondern sie übernehmen 100. Wie bereits gezeigt 101 , kann diese Absicht nicht ohne weiteres umgesetzt werden. Auf jeden Fall aber sah das Gericht die - den östlichen Ländern in den Coburg-Fällen entsprechenden Selbstverwaltungskörperschaften funktionell als „Vertreter" 102 des eingegliederten Rechtssubjektes an, nicht als dessen Rechtsnachfolger; sonst wäre auch seine Fiktion des Fortbestandes des eingegliederten Landes überflüssig, weil dann ja bereits die Selbstverwaltungskörperschaften Vertragspartner wären und ein solcher nicht mehr erst konstruiert werden müßte. Der Wille der Bundesregierung, diese Rechtsprechung für den Einigungsvertrag zu übernehmen, spricht somit gegen die Vereinbarung eines VertragspartnerWechsels. Daß diese Haltung der Regierung auch vom Parlament geteilt wurde, zeigt die unwidersprochen gebliebene Äußerung eines Abgeordneten im Ausschuß Deutsche Einheit, nach dem Beitritt existiere ein Vertragspartner nicht mehr 103 . Diese Ansicht verträgt sich nicht mit der Annahme eines Überganges der vertraglichen Rechtsstellung auf die östlichen Länder. Aus der Haltung keines der Vertragspartner ergibt sich demnach ein Anhaltspunkt für einen vereinbarten Vertragspartnerwechsel. Auch die Teilnahme der künftigen Länderbeauftragten auf Seiten der Deutschen Demokratischen Republik an den Vertragsverhandlungen 104 spricht nicht notwendig für einen angestrebten Partnerwechsel. Sie ist vielmehr auch dann schon sinnvoll, wenn der Einigungsvertrag nur auch Rechte zugunsten der späteren Länder begründet (daß er solche Rechte schafft, ergibt sich aus Art. 44 EiV). Außerdem spricht die Entwicklungsgeschichte des Art. 45 EiV gegen eine Herleitung eines Partnerwechsels aus der Mitwirkung der Länderbeauftragten: In den (DDR-)Vor-Entwürfen vom 30.7.1990 und 1.8.1990 enthielt der spätere Art. 45 EiV noch die Bestimmung, Voraussetzung für das Inkrafttreten des EiV sei die Mitzeichnung der Länderbevollmächtigten 105. Diese Voraussetzung ist seit dem ersten gemeinsamen Entwurf für den EiV vom 2.8.1990

99

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

100

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 17. Sitzung, S. 562 C.

101

Oben S. 45 ff.

102

BVerfGE 22, 221 (230).

103

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 15. Sitzung, S. 469 C.

104

Busse, S. 348.

105

Vgl. Anhang: Art. 40 II EiV (30.7.1990), Art. 38 II EiV (31.7./1.8.1990).

5 6 Α .

Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

fallengelassen worden. Die Vertragspartner ließen die Länderbevollmächtigten also bewußt nicht gleichberechtigt mitwirken. Diese Haltung spricht nicht dafür, daß sie beabsichtigten, die Länder kurze Zeit nach der Vertragsunterzeichnung gleichberechtigte Vertragspartner werden zu lassen. Für die Vereinbarung eines Vertragspartnerwechsels könnte sprechen, daß dadurch möglicherweise die Form als völkerrechtlicher Vertrag erhalten bliebe (bei partieller Völkerrechtssubjektivität der Länder), die Rechte aus dem Einigungsvertrag dann also nicht nur inhaltlich, sondern auch in derselben Rechtsform erhalten blieben. Dagegen, daß es den Vertragspartnern gerade auf die Wahrung der Rechtsform ankam, spricht möglicherweise, daß sie in Art. 45 I I EiV extra vereinbarten, der Vertrag gelte als Bundesrecht fort; dies wäre jedenfalls der Fall, wenn man (innerstaatliches) Bundesrecht hier als Gegensatz zu Völkerrecht versteht. Abgesehen davon, daß Bundesrecht im juristischen Sprachgebrauch üblicherweise den Gegensatz zu Landesrecht darstellt 106 , sollten aus Art. 45 Π EiV vor allem aus folgendem Grund keine Schlüsse des Inhalts gezogen werden, die Vertragspartner seien bewußt gegen eine Wahrung der Form des völkerrechtlichen Vertrages gewesen: Sie wollten ohne weiteres die CoburgRechtsprechung anwenden, ohne die unterschiedliche Ausgangslage (völkerrechtlicher Vertrag statt Vertrag zwischen Gliedstaaten) zu berücksichtigen. Dies legt nahe, daß sie gar nicht daran dachten, die Form des völkerrechtlichen Vertrages könne gewahrt werden. Gegen einen Willen zur Wahrung der Rechtsform auf bundesdeutscher Seite spricht vielmehr ein anderes Argument: Der Bundesregierung kam es auf die Rechtsform überhaupt nicht an 107 . Da sie, dem Grundgesetz gemäß, die Deutsche Demokratische Republik nicht als Ausland betrachtete, war sie ohnehin nicht besonders interessiert daran, für Vereinbarungen mit ihr die Form des völkerrechtlichen Vertrages wählen zu müssen. Der Bundesrepublik wird daher daran gelegen gewesen sein, daß die Völkerrechtskomponente ihrer Beziehungen zu Ostdeutschland nach dem Beitritt endlich erlosch. Der ganze Wiedervereinigungsprozeß war ja auch darauf gerichtet, wieder ein einheitliches Staatswesen zu schaffen. Daher kann nicht angenommen werden, die Regeln des Vertrages seien zwangsläufig so auszulegen, daß die alte Rechtsform des völkerrechtlichen Vertrages erhalten bleibt.

106

Creifelds,

107

Siehe oben S. 54.

Art. „Bundesrecht".

I. Völkerrechtlicher Vertrag

57

Es gibt im Ergebnis keine Anhaltspunkte, die für einen gewillkürten Vertragspartnerwechsel im Einigungsvertrag sprächen. Ein solcher liegt daher nicht vor.

2.3 Ausnahmen von dem Grundsatz 2.3.1 Ausnahme vom Grundsatz bei radizierten Verträgen Von dem Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" wird im Völkerrecht nur eine echte Ausnahme anerkannt: Der Satz gilt nicht für sog. radizierte (oder: lokalisierte) Verträge 108, d.h. Verträge, die einen besonderen völkerrechtlichen Status eines Gebietes begründen. In diesem Fall soll der eingliedernde Staat weiterhin verpflichtet sein 109 (bis zur Vertragsbeendigung 110 ). Dieser Ausnahmetatbestand untermauert die oben 111 angestellten Überlegungen zum Sinn des Grundsatzes. Da radizierte Verträge gerade die Rechtsbeziehungen zwischen einem Völkerrechtssubjekt und einem Gebiet bzw. allen Völkerrechtssubjekten regeln, können sie sinnvoll fortbestehen, auch wenn der andere Vertragspartner untergeht. Ein Eingliederungsvertrag ändert natürlich den völkerechtlichen Status des eingegliederten Gebietes insofern, als es nach der Eingliederung nicht mehr Völkerrechtssubjekt ist, sofern die Eingliederung durch die vertragliche Vereinbarung selbst geschieht. Dadurch allein wird er aber nicht schon zu einem radizierten Vertrag, weil die Zugehörigkeit des eingegliederten Gebietes zum eingliedernden Staat diesem gerade keine (völkerrechtlichen) Rechte oder Pflichten in Form von Souveränitätseinschränkungen hinsichtlich dieses Gebietes gewährt bzw. auferlegt, als er sie ohnehin für sein Staatsgebiet hat. Sofern die Ausnahme der Fortgeltung radizierter Verträge auf Eingliederungsverträge überhaupt angewandt wird 112 , geschieht dies nur auf einzelne Bestimmungen, die Gegenstand eines radizierten Vertrages sein könnten, etwa die Neutralisierung des Gebietes des einzugliedernden Partners oder die Aufrechterhaltung einer internationalen Wasserstraße im eingegliederten

108

Seidl-Hohenveldern,

Rdnr. 435.

109

Seidl-Hohenveldern,

Rdnr. 435.

110

Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 10.

111

S. 33.

112

So Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 10.

5 8 Α .

Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Gebiet. Das Bundesverfassungsgericht 113 sah in der Besitzstandsgarantie für das Amtsgericht Pyrmont im Eingliederungsvertrag zwischen WaldeckPyrmont und Preußen eine radizierte Vereinbarung. Der Einigungsvertrag enthält solche Regelungen nicht; insbesondere wurde der Militärstatus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, schon wegen der zu beachtenden alliierten Vorbehaltsrechte, im separaten Zwei-plus-vier-Vertrag geregelt. Die Ausnahme für radizierte Verträge ändert mithin nichts an der Anwendbarkeit des Grundsatzes „Vertragsuntergang bei Partneruntergang".

2.3.2 Ausnahme vom Grundsatz bei Staatennachfolge Trotz des Grundsatzes vom Erlöschen bilateraler Verträge bei Untergang eines Partners gelten Verträge fort, die (spätestens) im Zeitpunkt des Untergangs eines der Partner im Wege der Staatennachfolge auf ein anderes Rechtssubjekt übergegangen sind 114 . Ist die Rechtsstellung der Deutschen Demokratischen Republik aus dem Einigungsvertrag auf andere Rechtssubjekte entsprechend übergegangen? Um angesichts der unter Völkerrechtlern umstrittenen Rechtslage der Staatennachfolge nicht mehr als nötig in das Recht der Staatennachfolge in Verträge eindringen zu müssen, sei zunächst erörtert, welche Fälle der Nachfolge überhaupt denkbar sind und ob sie im vorliegenden Fall zu einem anderen Ergebnis als dem des Erlöschen des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag führen. Wenn die Rechtsstellung der Deutschen Demokratischen Republik aus dem Einigungsvertrag übergegangen ist, dann nur entweder auf die Bundesrepublik Deutschland oder auf die östlichen Länder (ob, ggf. inwieweit, auch Berlin dazu zählen würde, sei bei Verwendung dieses Terminus offen gelassen). Ist sie nicht übergegangen, erlischt der Einigungsvertrag als völkerrechtlicher Vertrag nach dem Erlöschensgrundsatz. Ist sie auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, so sind Berechtigter und Verpflichteter aus dem Einigungsvertrag identisch (zunächst sei unterstellt, der Vertrag enthalte keine Rechte Dritter). Im Zivilrecht spräche

113

BVerfGE 42, 345 (357).

114

Fastenrath,

Bindungswirkung, S. 430; Fitzmaurice,

S. 29.

I. Völkerrechtlicher Vertrag

59

man von Konfusion, der Vertrag würde erlöschen. Außer bei radizierten Verträgen 115 , zu denen der Einigungsvertrag nicht zählt, entfällt jedes Bedürfnis für die weitere Geltung solcher Verträge, so daß das Erlöschen wegen Konfusion als allgemeiner Rechtsgedanke auch auf völkerrechtliche Verträge grundsätzlich anzuwenden ist 116 . Wäre also die Bundesrepublik Deutschland der Deutschen Demokratischen Republik in ihre vertragliche Rechtsstellung gefolgt, wäre der Einigungsvertrag als völkerrechtlicher Vertrag ebenfalls erloschen. Folglich könnte er als völkerrechtlicher Vertrag allein auf Grund des Rechts der Staatennachfolge nur fortbestehen, wenn die östlichen Bundesländer Nachfolger des Völkerrechtssubjektes Deutsche Demokratische Republik geworden sind. Nachfolger ist nach der für das Staatennachfolgerecht allgemein gebilligten Definition in Art. 2 I lit. b der Wiener Konvention über Staatennachfolge in Verträge 117, wer den Vorgängerstaat in der „responsability for the international relations of territory" ersetzt. Abgestellt wird also auf die Verantwortlichkeit für auswärtige Angelegenheiten und nicht auf die Kompetenz zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge 118. Diese Verantwortlichkeit obliegt in der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 32 I GG ausschließlich dem Bund. Im übrigen findet eine Staatennachfolge nur bei Übergang der totalen Verantwortung für auswärtige Beziehungen statt 119 ; auch aus diesem Grunde könnten die Bundesländer nicht Nachfolger der Deutschen Demokratischen Republik sein, sondern allein der Bund 120 . Da somit die östlichen Bundesländer keine Nachfolger der Deutschen Demokratischen Republik im Sinne des Staatennachfolgerechts sind, ist der Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" hier nicht durchbrochen.

115

Nur insoweit trägt die Kritik von Frowein (Eingliederungsvertrag, S. 10) an schrankenloser paralleler Anwendung der Konfusionsregel. 116

Anker, Einigungsvertrag, S. 1062 f.

117

Nicht in Kraft getreten.

118

Treviranus,

S. 262.

119

Treviranus,

S. 263.

120

Eine Nachfolge der Bundesrepublik Deutschland nehmen an Anker, Einigungsvertrag, S. 1064, und Brunner, S. 105.

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

60

23.3 Ausnahme vom Grundsatz bei partieller Völkerrechtssubjektivität des Vertragspartners a) Begründung der Ausnahme Der Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" wurde damit begründet, daß zwei Vertragspartner, zwischen denen die im Vertrag geregelten völkerrechtlichen Beziehungen bestehen, existieren müssen. Ausreichend ist also, daß die Partner nur insoweit völkerrechtsfähig sind, als ihre Rechte und Pflichten aus dem jeweiligen Vertrag betroffen sind. Daher ist ein Untergang eines Vertragspartners für den völkerrechtlichen Bestand des Vertrages irrelevant, solange der Partner hinsichtlich des vertraglich geregelten Gegenstandes nur partiell völkerrechtsfähig bleibt. Da die Deutsche Demokratische Republik im Ergebnis allerdings auch als etwa partiell völkerrechtsfähiges Subjekt untergegangen ist, müßte ihre völkerrechtliche Stellung zuvor noch auf die östlichen Bundesländer übergegangen sein, damit in Ausnahme vom Grundsatz des Vertragsuntergangs der Einigungsvertrag als völkerrechtlicher Vertrag fortbestünde.

b) Anwendung des Ausnahmetatbestandes auf Beitrittsvarianten „ DDR vorübergehend Bundesland" Wenn die Deutsche Demokratische Republik mit ihrem Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland zunächst deren Bundesland wurde, könnte sie partielle Völkerrechtsfähigkeit hinsichtlich des Gegenstandes des Einigungsvertrages in zwei Fällen erhalten haben.

aa) Partielle Völkerrechtsfähigkeit der beigetretenen DDR aus Vertrag Zum einen kann sie sich aus dem Einigungsvertrag als völkerrechtlichem Vertrag ergeben. Die Zuerkennung der partiellen Völkerrechtssubjektivität aus Vertrag wurde in der völkerrechtlichen Literatur 121 in den Fällen der Gliedstaaten Ukraine und Weißrußlands (vor der Unabhängigkeitserklärung) sowie Indiens (bis 1947) gebilligt, die in die UNO aufgenommen wurden; dadurch erkannten zahlreiche andere Staaten die Gliedstaaten, die bis dato keine Völkerrechtssubjekte waren, als zumindest partiell völkerrechtsfähig an.

121

Verdross/Simma,

§ 394.

I. Völkerrechtlicher Vertrag

61

Der Einigungsvertrag wurde dagegen von der voll völkerrechtsfähigen Deutschen Demokratischen Republik abgeschlossen, und Vertragspartner war nur der später sie eingliedernde Staat. Weder liegt also im Vertragsschluß mit ihr eine besondere Anerkennung als (neues partielles) Völkerrechtssubjekt noch erfolgte er durch dritte Staaten. Eine Parallele zwischen dem Abschluß des Einigungsvertrages und der Aufnahme der Ukraine, Weißrußlands und Indiens in die UNO kann daher nicht gezogen werden.

bb) Partielle Völkerrechtsfähigkeit der beigetretenen DDR durch Reservatrechte Zum anderen wäre die Deutsche Demokratische Republik nach dem Beitritt noch partiell völkerrechtsfähig, wenn ihr aus dem Einigungsvertrag völkerrechtliche Reservatrechte zustünden. Um den in Deutschland historisch geprägten Begriff der Reservatrechte näher zu kennzeichnen und einen Vergleich zu der Eingliederung der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund ziehen zu können, sei in einem Exkurs zunächst auf die Reservatrechte der süddeutschen Staaten aus den Verträgen von 1870 eingegangen.

(1) Der Begriff der Reservatrechte am Beispiel der Rechte der süddeutschen Staaten von 1870 Da hier zunächst nur die Qualifikation der Rechte aus den Verträgen in Frage steht, soll die Problematik, ob die Reservatrechte das Reich banden 122 und wie sie abgeändert werden konnten, hier ausgeklammert werden. Im November 1870 wurden Verträge geschlossen, die, untechnisch gesprochen, aus dem Norddeutschen Bund, Hessen, Baden, Bayern und Württemberg das Deutsche Reich entstehen ließen. Zuerst schlossen, am 15.11.1870, Hessen und Baden mit dem Norddeutschen Bund einen Vertrag zur Gründung eines Deutschen Bundes 123 , in dem sie sich über dessen Verfassung „verständigten" und Interpretationen und Übergangsregeln zu einzelnen Verfassungsbestimmungen vereinbarten. In einem Vertrag vom 23.11.1870124

122

Dazu siehe unten S. 196.

123

Huber, Dokumente II, Nr. 219.

124

Huber, Dokumente II, Nr. 220.

62

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

schlossen der Norddeutsche Bund und Bayern den Deutschen Bund, dem Baden und Hessen schon beigetreten seien und dem Württemberg beitreten werde; darin wurde vereinbart, die Verfassung des Deutschen Bundes solle die des Norddeutschen Bundes mit bestimmten Änderungen sein und nur mit einzelnen Einschränkungen, die integrierender Bestandteil der Verfassung seien, für Bayern gelten. Außerdem wurden in einem Schlußprotokoll 125 Übergangsregeln und Interpretationen zu Verfassungsartikeln vereinbart. Schließlich schlossen am 25.11.1870 der Norddeutsche Bund, Baden und Hessen mit Württemberg einen Vertrag über den Beitritt Württembergs zur Verfassung des Deutschen Bundes 126 , in dem wiederum Übergangsregeln und Auslegungen niedergelegt waren. Die Protokolle vom 15.11.1870, die Verhandlung vom 25.11.1870, die Schlußprotokolle vom 23.11.1870 und Punkt I V des Vertrags mit Bayern vom 23.11.1870 werden im § 3 des Publikationsgesetzes des Deutschen Reiches (vom 16.4.1871)127 über die Einführung der - nun auch parlamentarisch verabschiedeten - Reichsverfassung ausdrücklich als durch die Reichsverfassung nicht berührt bezeichnet. Die überwiegende Meinung sah und sieht das Deutsche Reich als identisch mit dem Norddeutschen Bund an 128 . Sie beruft sich hierfür auf die Haltung Bismarcks als treibender politischer Kraft auf Seiten des Norddeutschen Bundes und argumentiert, im Falle eines Zusammenschlusses zu einem neuen Staat hätten keine Reservatrechte geschaffen zu werden brauchen 129. Ihre Gegner halten ihr vor, im Vertrag mit Bayern sei (nach § 1) der Deutsche Bund nicht vom Norddeutschen Bund, sondern von seinen Staaten geschlossen worden; der Vertrag mit Baden und Hessen sei gerade auf die Gründung eines neuen Bundes (mit neuer Verfassung) gerichtet und erwähne trotz kurz zuvor gestellter Aufnahmeanträge der beiden Staaten keinen Beitritt, weil bekannt gewesen sei, daß Bayern nur einer Neugründung zustimmen würde 1 3 0 Aus dem politischen Formelkompromiß, der Preußen, das für den Fortbestand des Norddeutschen Bundes war, und Bayern dann doch an einen Tisch brachte, kann jedenfalls kein Auslegungsergebnis folgen, das an den Willen der Vertragspartner anknüpft. Im Rahmen dieses Exkurses besteht

125

Huber, Dokumente II, Nr. 221.

126

Huber, Dokumente II, Nr. 223.

127

Huber, Dokumente II, Nr. 261.

128

Statt vieler Huber, Verfassungsgeschichte S. 233. 129

Wahl, S. 197.

130

Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 762.

III, S. 760; Frowein, Probleme,

I.

echtlicher Vertrag

kein Raum, um die alte Streitfrage eingehend zu untersuchen. Um die späteren Literaturäußerungen zu den süddeutschen Reservatrechten im richtigen Kontext zu würdigen, wird der Meinung gefolgt, die sich schließlich durchsetzte und die in den Novemberverträgen Beitrittsverträge sieht. Da die Terminologie für Sonderrechte einzelner Länder des Deutschen Reiches nicht einheitlich war 131 , sei den folgenden Ausführungen vorangestellt, daß es in ihnen nur um die ausschließlich vertraglichen - also nicht die verfassungsrechtlichen - Rechte einzelner Länder gegenüber dem Reich aus solchen Verträgen geht, die - zumindest zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses - „neben" (nicht, wie später geschlossene, unter) der Reichsverfassung stehen. Diese Beschreibung dürfte dem entsprechen, was heutzutage unter Reservatrechten verstanden wird, wenn über die Rechte der süddeutschen Staaten aus den Novemberverträgen gesprochen wird. Unbestritten war und ist für die Zeit bis zur Entstehung der Weimarer Republik, daß die Reservatrechte der süddeutschen Staaten auch nach ihrem Beitritt fortbestanden 132 — die Frage ist nur: wie? Die Aussage, sie seien Teil der materiellen Verfassung 133, hilft nicht weiter bei der Frage, in welcher Rechtsform die Reservatrechte weiter galten. Bachof 134 , der die Verfassung des Deutschen Reiches als vertragliche Vereinbarung ansieht, hält sie für Teile der (formellen?) Verfassung. Denn im § 7 des Vertrages mit Bayern sei festgelegt, der Vertrag solle integrierender Bestandteil der Bundesverfassung sein, und Art. 78 I I der Reichsverfassung regele die Änderbarkeit der Reservatrechte. Freilich ist das letzte Argument ein Zirkelschluß, da Art. 78 I I gerade nur die Änderung verfassungsrechtlicher Rechte regelt 135 . Einige Autoren der Kaiserzeit sehen den Geltungsgrund der Reservatrechte in § 3 des Publikationsgesetzes136. Diese Norm läßt aber die Reservatrechte nur unberührt, sie schafft sie nicht neu.

131

Unterschiedliche Definitionen des Begriffes „Reservatrechte" finden sich z.B.

bei Kittel, 132 133

S. 16; Hermann, S. 41; Proebst, S. 260.

Statt vieler Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 3. Triepel, Völkerrecht, S. 190; U steri, S. 322.

134

Bachof, S. 27 f.

135

Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 11. Kittel, S. 21; Triepel, Völkerrecht, S. 190.

136

64

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Die Mehrheit der Autoren meint denn auch, Geltungsgrund für die Reservatrechte seien weiterhin die Verträge 137 . Darunter befindet sich auch Zorn, der im übrigen Verträge zwischen Reich und Ländern für unzulässig hält 1 3 8 , und Anschütz, der betont, die Verträge seien gesetzlich anerkannt 139 . Unter den Befürwortern der vertraglichen Natur ist wiederum umstritten, ob die Verträge Völker- oder staatsrechtliche seien, sofern überhaupt dazu Stellung genommen wird 1 4 0 . Für die staatsrechtliche Qualität wird angeführt, die Fortgeltung des Vertrages sei im § 3 des Publikationsgesetzes angeordnet worden, beruhe somit auf Staatsrecht 141. Die völkerrechtliche Natur wird damit begründet, daß maßgeblich die Entstehungsform bleibe 142 ; rechtspolitische Motivation für diese Annahme soll die erhebliche Beteiligung der Länder an der Bildung des Reichswillens durch den Bundesrat und die dadurch zum Ausdruck kommende Aufwertung der Länder gewesen sein 143 . Einig ist sich die juristische Fachwelt dann erst wieder über das Schicksal der Reservatrechte bei Gründung der Weimarer Republik: Sie seien durch die Revolution hinweggefegt worden. Begründet wird dies vom Standpunkt der verfassungsrechtlichen Grundlage der Reservatrechte aus mit dem Untergang der monarchischen Verfassung 144 und vom Standpunkt der völkervertraglichen Fortgeltung aus mit der Unvereinbarkeit völkerrechtlicher Beziehungen zwischen Reich und Ländern nach der neuen Verfassung der bundesstaatlichen Weimarer Republik 145 .

(2) Vergleichbarkeit

der Beitritte 1870 und 1990

Bevor erörtert wird, ob völkerrechtliche Reservatrechte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik be-

137

Anschütz, Staatsrecht, S. 77; Haenel, Staatsrecht, S. 818; von Holtzendorff,\

S. 146; Loening, S. 347; Zorn, S. 125. 138

Zorn, S. 125.

139

Anschütz, Staatsrecht, S. 77.

140

Statt vieler Triepel, Anm. 19. 141

Völkerrecht, S. 189; Anker,

Anker, Einigungsvertrag, S. 1063 Anm. 18.

142

TriepeU

143

Ficker,

144

Liermann, S. 37.

145

Ficker,

Völkerrecht, S. 188. S. 158. S. 158.

Einigungsvertrag, S. 1063

I.

echtlicher Vertrag

gründet werden könnten und, falls ja, im Einigungsvertrag begründet wurden, sei zuvor noch überlegt, ob aus der juristischen Bewertung der Reservatrechte der süddeutschen Staaten von 1870 Erkenntnisse für Reservatrechte anno 1990 gewonnen werden können. Eine Parallele zum Einigungsvertrag kann von den Novemberverträgen nur gezogen werden, wenn man, wie hier, von der Identität des Norddeutschen Bundes mit dem Deutschen Reich ausgeht; denn nur dann wurden Völkerrechtssubjekte (Hessen, Baden, Bayern und Württemberg) in einen fortbestehenden Staat (den Norddeutschen Bund) eingegliedert, so wie die Deutsche Demokratische Republik in die Bundesrepublik Deutschland. Überträgt man die Argumente für die 1870er Situation auf den Einigungsvertrag, kann wie folgt Stellung genommen werden. Formelles Verfassungsrecht kann der Einigungsvertrag (mit Ausnahme des Art. 4 EiV) schon wegen Art. 79 I GG nicht sein. Eine Geltung der Reservatrechte als Gesetz muß nicht notwendig bedeuten, daß sie damit nicht auch gleichzeitig als vertragliche Rechte fortgelten können 146 . Damit enthält die Diskussion um die Reservatrechte der süddeutschen Staaten nichts, was gegen ihre vertragliche Fortgeltung spräche (freilich auch keine konkreten Argumente dafür). Die für die Rechte von 1870 aus § 3 des Publikationsgesetzes hergeleitete staatsrechtliche Natur könnte für Rechte aus dem Einigungsvertrag entsprechend aus dem bundesdeutschen Zustimmungsgesetz (Art. 1) i.V.m. Art. 45 I I EiV abgeleitet werden, der die Fortgeltung des ursprünglichen Vertrages (hier sogar im Gegensatz zu § 3 des Publikationsgesetzes ausdrücklich) anordnet. Dieses Argument spricht jedoch nur für die staatsrechtliche Natur der aus Art. 1 ZustGes. BRD, Art. 45 I I EiV (i.V.m. dem übrigen Vertrag) folgenden Rechte, nicht für die der Rechte unmittelbar aus dem etwa fortgeltenden Vertrag. Die Begründung der völkerrechtlichen Vertragsqualität ist aber ebenfalls nicht überzeugend. Sie bleibt die Antwort schuldig, warum die Rechtsnatur eines Vertrages sich stets nach der Rechtsform der Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses richten soll. Zur Zeit des frisch gegründeten Deutschen Reiches waren die juristischen deutschen Zeitgenossen eher den Kategorien der Staatenbünde als denen eines Bundesstaates verhaftet. Vor solchem Hintergrund taten sie sich naturgemäß leichter als heutige Autoren, die völkervertragsrechtliche Fortgeltung von Reservatrechten anzunehmen;

146

Zu dieser Konkurrenz siehe unten S. 165.

5 Wagner

66

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

zumindest kann nicht ausgeschlossen werden, daß diese Grundeinstellung unausgesprochen der Befürwortung der völkerrechtlichen Natur der Reservatrechte zugrundelag. Dafür spricht auch, daß diejenigen, die eine (völker-) vertragliche Fortgeltung der Reservatrechte bis 1918 befürworteten, das Erlöschen dieser Rechte bei Entstehung der Weimarer Republik mit der Unvereinbarkeit völkerrechtlicher Beziehungen zwischen Reich und Ländern i m Bundesstaat begründeten. Der Diskussion um die Reservatrechte der süddeutschen Staaten kann i m Ergebnis weder eine schlüssige Begründung für noch gegen den Charakter der Rechte der Deutschen Demokratischen Republik aus dem Einigungsvertrag als völkerrechtliche Reservatrechte entnommen werden.

(3) Völkerrecht

zwischen Bund und Bundesland DDR?

Voraussetzung für völkerrechtliche Reservatrechte der Deutschen Demokratischen Republik wäre, daß zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der beigetretenen Deutschen Demokratischen Republik überhaupt wirksam völkerrechtliche Rechte bestehen können. Die beigetretene Deutsche Demokratische Republik ist in den hier untersuchten Beitrittskonstruktionen Bundesland der Bundesrepublik Deutschland geworden. Die Beziehungen eines Bundeslandes zum Bund werden nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 147 ausschließlich durch das Staats- und nicht (auch) durch das Völkerrecht bestimmt. Diese Rechtsprechung stößt, seit die Bundesrepublik Deutschland existiert, auf keinen Widerspruch 148 . Zu Zeiten der Weimarer Republik hingegen wurde noch argumentiert, den Gliedstaaten eines Bundesstaates könnten noch fortgeltende völkerrechtliche Reservatrechte gegen den Gesamtstaat zustehen 149 . Daß sich bundesrepublikanische Autoren zur Frage der Fortgeltung (nicht der Entstehung) von Völkerecht zwischen Bund und Land nicht äußern, liegt daran, daß diese Frage in der Praxis nicht relevant wurde. Der einzige anläßlich der Eingliederung eines neuen Landes in die Bundesrepublik Deutschland geschlossene völkerrechtliche Vertrag, der Saarvertrag, wurde mit Frankreich, das den Beitritt völkerrechtlich zweifellos überlebte, geschlossen.

147

BVerfGE 1, 14 (52); 6, 309 (366); 34, 216 (231).

148

Allerdings hält Anker (Wiedervereinigungsgebot, S. 207) in anderem Zusammenhang eine partielle Völkerrechtsfähigkeit des eingegliederten Staates für möglich. 149

Ficker,

S. 37; Kunz, S. 679 f.

I.

echtlicher Vertrag

Andererseits war zu Zeiten der Weimarer Republik, als die Frage der Fortgeltung völkerrechtlicher Reservatrechte im Bundesstaat letztmalig kontrovers diskutiert wurde, von der überwiegenden Meinung bestritten, daß im Überordnungsverhältnis - als solches wurde auch das Verhältnis zwischen Reich und Land angesehen - überhaupt Verträge existieren könnten, wie aus der Ablehnung des öffentlich-rechtlichen Subordinationsvertrages im Verwaltungsrecht bis etwa 1945 150 deutlich wird. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß bei heutiger Betrachtung von dem generellen Ausschluß völkerrechtlicher Beziehungen zwischen Bund und Ländern die Fortgeltung von Reservatrechten auszunehmen ist. Wie wird der Ausschluß der Geltung von Völkerrecht in der Bund-LänderBeziehung begründet? Das Argument vom Anfang der 60er Jahre, die Beziehungen zwischen zwei Rechtssubjekten könnten nicht durch zwei Rechtsordnungen (Völkerund Staatsrecht) gleichzeitig bestimmt werden 151 , ist jedenfalls heutzutage überholt: I m modernen Völkerrecht werden Individuen, deren Rechtsbeziehungen zu ihrem Heimatstaat staatsrechtlich geregelt sind, in Menschenrechtskonventionen, zumindest in der EuMRK, völkerrechtliche Rechte gewährt, die ihnen auch gegen ihren Heimatstaat zustehen. Das Argument, im Überordnungsverhältnis zwischen Bund und Land könne es keine Verträge geben 152 , ist spätestens seit der Anerkennung des öffentlich-rechtlichen Subordinationsvertrages überholt. Oft wird darauf verwiesen, der Gesamtstaat habe die Kompetenz, die Kompetenzen des Landes zu bestimmen. Dies soll unter zwei Gesichtspunkten die Geltung von Völkerrecht ausschließen. Zum einen haben dadurch die Länder keine gesicherte Stellung gegenüber dem Bund; eine solche ist aber für eine partielle Völkerrechtssubjektivität notwendig 153 . Diese Argumentation trifft aber auf Reservatrechte gegenüber dem Bund nicht zu: Denn wenn man sie als völkerrechtliche Rechte anerkennt, dann hat das Land ja gerade eine - von der der Änderungskompetenz des Bundes unterliegenden Verfassung - unabhängige Stellung, soweit seine Reservatrechte reichen. Die Argumentation, der Bund könne jederzeit auf dem vertraglich geregelten Gebiet Gesetze erlassen, so daß das Land doch

150

Maurer, Verwaltungsrecht, § 14 Rdnr. 21.

151

H.-E. Giese, S. 93.

152

Es klingt an bei RudolfS. 238.

153

Verdross/Simma,

§ 395.

68

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

keine gesicherte Rechtsposition habe 154 , nimmt unzulässigerweise das Ergebnis vorweg: nämlich daß der Bund wirksam, ohne daß sich das Land etwa auf Grund völkervertraglicher Ansprüche - wehren kann, die Gesetze erlassen kann. Zum anderen soll der Ausschluß der Völkerrechtsgeltung darauf beruhen, daß die Verfassung, in der die Kompetenz-Kompetenz des Gesamtstaates geregelt ist, als Grundordnung des Bundesstaates eine erschöpfende Regelung aller Kompetenzen enthalte 155 . Jede Kompetenzverschiebung stelle eine Verfassungsänderung dar 156 . Freilich sind die Anhänger dieser Argumentation nicht immer konsequent. So wird (noch in Weimarer Zeit) eine solche Kompetenzverschiebung durch innerstaatlichen Vertrag von Hatschek 157 für möglich gehalten, weil die Verfassung dies zulasse (warum läßt sie eine Verschiebung durch völkerrechtlichen Vertrag nicht, durch staatsrechtlichen aber wohl zu?), und Isensee158 schlägt dennoch die Schaffung von Reservatrechten wie anno 1870 für die Deutsche Demokratische Republik vor. Sicherlich können nach der Grundordnungs-Argumentation auch innerstaatliche Verträge zwischen Land und Bund geschlossen werden, aber nur unter Wahrung der jeweiligen Kompetenzen von Bund und Land (schon allein wegen Art. 79 I GG). Das Gegenargument, der Bund könne ihm zustehende Kompetenzen ja bereits nach Art. 71 und 72 GG den Ländern überlassen, so daß für die Begründung von Reservatrechten keine Verfassungsänderung erforderlich sei 159 , überzeugt nicht. Da der Bund die Ermächtigung (Art. 71 GG) bzw. die Nichtausübung seiner Kompetenz (Art. 72 I GG) als Grundlage der Landeskompetenz jederzeit einseitig zurücknehmen bzw. beenden kann, haben die Länder in diesen Fällen keine gesicherte Stellung, also keine Reservatrechte gegenüber dem Bund. Ein gewichtigerer Einwand lautet, die Verfassung könne nur die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern (erschöpfend) verteilen, die der Gesamtstaat hat. Nun gab der Bund aber im Beitrittsvertrag mit dem damals eingegliederten Land gerade im Bereich der Reservatrechte Kompetenzen aus

154

H.-E. Giese, S. 93.

155

Stern, Staatsrecht I, S. 652; Usteri, der vom „Wesen des Bundesstaats" spricht.

S. 333; wohl auch Anker, Einigungs vertrag,

156

Bachof; S. 33 f.; Hatschek, S. 72; Isensee, Wege, S. 141.

157

Hatschek, S. 72.

158

Isensee, Wege, S. 141. Rauschning, Deutschland, S. 400.

159

I.

echtlicher Vertrag

der Hand; der Vertrag steht damit sozusagen „neben der Verfassung" 160. Daß der Bund laut Verfassung (ohne Verfassungsänderung) materiellrechtlich nicht befugt ist, einen solchen Vertrag abzuschließen, berührt nach völkerrechtlichen Grundsätzen die Wirksamkeit des (völkerrechtlichen) Beitrittsvertrages nicht; selbst ein besonders schwerwiegender Kompetenzmangel gäbe dem Bund allenfalls - nämlich nur mit der Mindermeinung, die auch materiellrechtliche verfassungsrechtliche Beschränkungen der Treaty-making power als Einschränkungen der competence im Sinne des Art. 46 I W V K versteht 161 - ein Anfechtungsrecht (so die in Art. 27, 46 W V K Völkervertragsrecht gewordene Evidenztheorie). Ein solches Recht übte, bestünde es hier überhaupt, die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Einigungsvertrages nicht aus. Aber ist dieser völkerrechtliche Grundsatz, daß innerstaatliche Rechtsverstöße die Wirsamkeit des Vertrages nicht beeinflussen, auf Eingliederungsverträge, zumal solche zwischen den beiden deutschen Staaten, überhaupt anwendbar (mit der Folge, daß der Vertrag nicht notwendig konform zur Verfassung des eingliedernden Staates ist)? Ein möglicher Einwand findet sich bereits in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag. Das Gericht hatte darin die Auslegung des völkerrechtlichen Vertrages an Hand der bundesdeutschen Verfassung außer mit Argumenten, die an die Divergenzklausel in der Vertragspräambel anknüpften und deshalb auf den in voller Harmonie geschlossenen Einigungsvertrag nicht übertragbar sind, damit begründet, die Deutsche Demokratische Republik wisse, daß staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland an Verfassungsgerichtsentscheidungen gebunden seien, und kenne die bundesdeutsche verfassungsrechtliche Auffassung (zur „deutschen Frage"); also habe sie von Anfang an mit einer grundgesetzkonformen Vertragsauslegung rechnen müssen162. Ebenso wie auf die deutsche Frage ist diese Argumentation auch auf die Zulässigkeit völkerrechtlicher Reservatrechte deutscher Bundesländer anwendbar. Danach könnte der Deutschen Demokratischen Republik vorgehalten werden, sie habe schließlich gewußt, daß nach der bundesdeutschen Verfassung keine solchen Rechte begründet werden könnten. Abgesehen davon, daß im Falle des Einigungsvertrages - anders als beim Grundlagenvertrag - die Deutsche Demokratische Republik nicht durch einen Brief von bundesdeutscher Seite auf die verfassungsrechtliche Lage nach dem

160

Ficker,

161

Verdross/Simma,

162

BVerfGE 36, 1 (36).

S. 44. § 691.

0

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Grundgesetz hingewiesen worden war, darf nicht übersehen werden, daß die ungewöhnliche Auslegungsmethode des Bundesverfassungsgerichts im Grundlagenvertrags-Urteil auf deutliche Kritik stieß, zumindest was den Anspruch betraf, die vorgenommene Vertragsauslegung gelte auch für die Deutsche Demokratische Republik, sei also objektiv 163 . Ohne den Streit darüber noch einmal aufzuwärmen, kann auf jeden Fall festgehalten werden, daß die stark kritisierte Rechtsprechung eines nationalen Gerichtes nicht unbedingt das ausschlaggebende Mittel völkerrechtlicher Auslegung sein muß. Aber es sind weitere Argumente dafür denkbar, im Falle des Einigungsvertrages ausnahmsweise die Vertragsauslegung an der Verfassung des eingliedernden Staates zu orientieren. Wenn die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland schon aus freien Stücken beitritt, muß sie doch wohl auch die von ihr aus Anlaß des Beitritts getroffenen Vereinbarungen an der von ihr mit dem Beitritt akzeptierten Verfassung messen lassen. Außerdem dürfte sie sich als beitrittswilliger Staat mit dieser für ihre Bürger künftig geltenden Verfasung so eingehend befaßt haben, daß die gängige Begründung der Evidenz- wie der Irrelevanz-Theorie, ein paktierender Staat kenne das Verfassungsrecht seines Vertragspartners nicht so genau 164 , auf Partner von Eingliederungsverträgen nicht zutrifft. Schließlich kommt nach vollzogener Eingliederung eine Anfechtung des Vertrages, wie sie die W V K bei offensichtlichen Verfassungsverstößen durch den Vertragsabschluß zuläßt, nicht mehr in Frage, so daß daher wenigstens durch eine entsprechende Auslegung dem eingliedernden Staat zu helfen sei. Keines dieser Argumente überzeugt jedoch. Ob der beitretende Staat sich voll der Verfassung des eingliedernden Staates unterwirft oder - durch Vereinbarung völkerrechtlicher Reservatrechte nicht, soll ja erst ermittelt werden. Historische Beispiele, wie der Beitritt der süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund, zeigen, daß sich ein beitretender Staat bisweilen nicht voll der Verfassung des eingliedernden unterwerfen will. Und selbst wenn der Beitritt zu einer - allerdings zuvor noch abzuändernden - Verfassung gewollt ist (dafür könnte beim Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik die Existenz des Art. 4 EiV sprechen), dann folgt daraus gerade nicht, daß die völkervertragliche Verpflichtung des eingliedernden Staates zur Verfassungsänderung bereits nur, soweit sie nach der bisherigen Verfassung zulässig ist, bestehen soll.

163

Lewald, S. 2268; Scheuner, S. 583; zweifelnd auch Oppermann, S. 596.

164

Verdross /Simma, § 690.

I.

echtlicher Vertrag

1

Daß der beitretende Staat sich mit dem Verfassungsrecht des eingliedernden Staates regelmäßig näher befaßt haben dürfte, ist, wenn man nicht die in Art. 26, 47 W V K positivierte Evidenztheorie ganz außer acht läßt, allenfalls ein Argument dafür, an die Offensichtlichkeit (im Sinne des Art. 46 I I W V K ) eines Verstoßes gegen die Verfassung des eingliedernden Staates bei Vertragsabschluß geringere Anforderungen als sonst üblich zu stellen. Es begründet aber nicht, warum statt Anfechtbarkeit des Vertrages nun eine andere Auslegung vorzunehmen ist. Eine Anfechtung des Vertrages ist auch nach vollzogener Eingliederung noch möglich, sofern der Eingliederungsvorgang - im Fall der Deutschen Demokratischen Republik: deren einseitige Beitrittserklärung - vom anläßlich der Eingliederung geschlossenen Vertrag getrennt werden kann. Schließlich würde die Lösung des Verfassungsproblems durch Vertragsauslegung einseitig einen Vertragspartner, nämlich den eingliedernden Staat, begünstigen, obwohl der völkerrechtliche Vertrag eine Regelung zwischen zwei gleichberechtigten Staaten darstellt. Folglich bleibt es auch für den Einigungsvertrag bei dem völkerrechtlichen Grundsatz, daß ein verfassungsrechtlicher Verstoß auf Seiten der Bundesrepublik Deutschland beim Vertragsschluß den Bestand des Einigungsvertrages (ggf. bis zu einer Anfechtung) nicht berührt und der Einigungsvertrag auch nicht notwendig grundgesetzkonform auszulegen ist. Würde er völkerrechtliche Reservatrechte begründen, was danach möglich wäre, so wäre der Gesamtstaat im Ergebnis de facto kein reiner Bundesstaat mehr, sondern ein Bundesstaat mit staatenbündischem Einschlag. Aus dem Einwand, der Gesamtstaat könne auch wirksame Eingliederungsverträge abschließen, deren Inhalt gegen seine Verfassung verstößt, folgt freilich nur, daß der Beitrittsvertrag bei Vertragsabschluß wirksam bestand. Aber ist seine völkerrechtliche Natur nicht mit dem - kurz darauf erfolgten Beitritt des eingegliederten Landes zum Bundesstaat verschwunden? Die Erklärung des Staates, einem Bundesstaat beizutreten und gleichzeitig noch Reservatrechte aus einem „neben der Verfassung" stehenden völkerrechtlichen Vertrag beanspruchen zu wollen, ist nach den obigen Ausführungen zum Ausschluß des Völkerrechts für Bund-Länder-Beziehungen in sich widersprüchlich. Aber ebenso plausibel, wie das beigetretene Land an seinem Beitritt und damit seiner der Verfassung unterstellten Zugehörigkeit zum Gesamtstaat festzuhalten, wäre es, das Gewicht auf den von ihm kurz zuvor geschlossenen Vertrag zu legen, nach dessen Abschluß der Staat eben erst beitrat. Den Ausschlag muß also nach dieser Argumentation die Auslegung des konkreten Beitrittsvertrages geben 165 ; die Geltung völkerrechtlicher Re-

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

servatrechte im - dann nicht mehr „reinen" - Bundesstaat wäre also durchaus möglich. Als weitere Begründung berufen sich die Gegner völkerrechtlicher Reservatrechte auf die Unvereinbarkeit der durch völkerrechtliche Reservatrechte bewirkten Sonderstellung eines Landes, obwohl doch im Bundesstaat die Länder grundsätzlich gleichberechtigt seien 166 . Abgesehen davon, daß dieses Argument auch gegen die Zulässigkeit jeglicher Bund-Länder-Verträge spräche, die heute aber - in Grenzen - im Staatsrecht anerkannt sind, kann dieser Begründung, die aus der Verfassung heraus erfolgt, wiederum entgegengehalten werden, der völkerrechtliche Vertrag stehe eben neben der Verfassung. Gleiches gilt für die zu Zeiten der Weimarer Republik vorgetragene Behauptung, bei Anerkennung völkerrechtlicher Reservatrechte ginge die Staatsgewalt nicht mehr vom Volk, sondern von Verträgen aus 167 und verstoße damit gegen das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip. Sie ist im übrigen schon deshalb falsch, weil - sofern das beigetretene Land, wie im Fall der Deutschen Demokratischen Republik, auch vor dem Beitritt bereits demokratisch war - auch die vertraglichen Regelungen, die die beiden Vertragspartner schlossen, mittelbar über die parlamentarischen Zustimmungsgesetze auf den Volkswillen zurückzuführen sind. Schließlich wird darauf verwiesen, Art. 32 I I I GG verleihe den Bundesländern nur die Kompetenz zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge mit dem Ausland, also - e contrario - nicht mit dem Bund 1 6 8 . Nun wird aber die generelle Zulässigkeit von Bund-Länder-Verträgen gerade a maiore ad minus aus Art. 32 I I I GG abgeleitet: Wenn die Länder sogar mit ausländischen Staaten (völkerrechtliche) Verträge abschließen dürfen, dann erst recht

165 Objektive, also vom im Vertrag zum Ausdruck gekommenen Willen der Vertragspartner verschiedene Kriterien bestehen nicht: Die Unterscheidung zwischen völkerrechtlichem und innerstaatlichem Vertrag beruht auf der Rechtsqualität der Vertragspartner und der Unterstellung des Vertrages unter Völkerrecht statt unter nationales Recht eines Partners (vgl. oben S. 33). Eine Qualifizierung nach der Rechtsqualität der Vertragspartner scheidet hier aus, da die des eingegliederten Rechtssubjekts gerade durch die Eingliederung wechselt. Ob der Vertrag dem Völkerrecht unterstellt wurde, kann - wie im Text gezeigt - aus vertragsunabhängigen Kriterien nicht für alle Fälle gleichermaßen abgeleitet werden; folglich muß es aus dem Vertrag selbst hergeleitet werden. 166

Hatscheky S. 72.

167

Hatscheky S. 16.

168

Anker, Einigungsvertrag, S. 1063.

I.

echtlicher Vertrag

untereinander (staatsrechtliche) 169. Eine Übertragung auf Verträge zwischen Land und Bund, als medium zwischen maius und minus, liegt nahe — und bei diesem a maiore-Schluß ist Art. 32 I I I GG dann nicht mehr zu entnehmen, ob der Bund-Land-Vertrag Völker- oder staatsrechtlicher Natur ist. Nach alledem hängt die Qualifizierung der Reservatrechte als völkerrechtliche davon ab, ob der Einigungsvertrag solche Rechte schaffen wollte.

(4) Sollten im Einigungsvertrag

Reservatrechte

begründet werden?

Ausgangspunkt muß sein, daß auf Grund der Bundesverfassung des eingliedernden Staates, der sich durch den Beitritt grundsätzlich auch das neue Land unterwirft, völkerrechtliche Reservatrechte eines Landes nicht zulässig sind und daher die Schaffung einer solchen „Anomalie" 1 7 0 deutlich im Vertrag zum Ausdruck kommen muß. Was spricht nun für oder gegen die Fortgeltung des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag (mit der Deutschen Demokratischen Republik)? Eine ausdrückliche Aussage zur Fortgeltung enthält nur Art. 45 I I EiV. Danach bleibt der Vertrag als Bundesrecht, also als innerstaatliches Recht in Kraft. Da andererseits gerade die Fortgeltung als völkerrechtlicher Vertrag normierungsbedürftig gewesen wäre, kann daraus e contrario geschlossen werden, daß der Vertrag als völkerrechtlicher nicht fortgelten soll. Art. 4 EiV enthält die vertragliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zu einigen Änderungen des Grundgesetzes anläßlich des Beitrittes. Daraus wird deutlich, daß die beitretende Deutsche Demokratische Republik sich unter die gemeinsame Verfassung begeben will und, soweit sie Sonderrechte beansprucht, dies gerade innerhalb des von der Verfassung gesteckten Rahmens tut; dies geht insbesondere aus der neuen Vorschrift des Art. 143 GG hervor. Wenn die Deutsche Demokratische Republik sich über eine vereinbarte Verfassungsänderung Sonderrechte einräumen läßt, die schon im Einigungs vertrag vereinbart wurden (nämlich durch Art. 143 ΙΠ GG für Art. 41 EiV), könnte dies dafür sprechen, daß sie ihre Rechte nicht auch aus dem Einigungsvertrag auf völkerrechtlicher Grundlage - also einer Rechtsquelle „neben" der Verfassung - nach dem Beitritt herleiten will. Andererseits könnte Art. 4 EiV objektiv auch nur deshalb vereinbart worden sein, um sicherzustellen, daß später kein Konflikt zwischen den völkerrechtlichen Reservatrechten der Deutschen Demokratischen Republik und der innerstaatli-

169

Maunz/Dürig

170

Zorn, S. 125.

II, Art. 32 Rdnr. 67.

74

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

chen Verfassung auftritt. Dann allerdings hätte, da die Fortexistenz völkerrechtlicher Reservatrechte dem Bundesstaatsprinzip aus Art. 20 I GG widerspricht, auch insoweit eine Ausnahmebestimmung ins Grundgesetz aufgenommen werden müssen. Daß dies in Art. 4 EiV nicht vereinbart wurde, spricht also wiederum gegen eine Fortgeltung als völkerrechtliche Reservatrechte. In Art. 3 EiV stimmt die Deutsche Demokratische Republik einer Geltung des Grundgesetzes auf ihrem Gebiet nur insoweit zu, als der Einigungsvertrag nicht Ausnahmen vorsieht; dies ist in Art. 6 und 7 EiV der Fall. Sollten zumindest insoweit völkerrechtliche Reservatrechte begründet werden? Dagegen spricht bereits, daß der Gegenstand der Ausnahmeregelung des Art. 6 EiV für die Deutsche Demokratische Republik, die für den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland auf das Wohlwollen der damaligen UdSSR angewiesen war, ungleich geringere Bedeutung besaß als der Regelungsgegenstand des Art. 41 I, Π Ι EiV, der von der Deutschen Demokratischen Republik wie von der UdSSR zur conditio sine qua non eines Beitritts gemacht worden sein soll 1 7 1 . Dann wäre nicht verständlich, warum Art. 41 EiV „nur" im verfassungsrechtlichen, also innerstaatlichen Rahmen (durch Art. 4 Nr. 5 EiV) abgesichert wurde, Art. 6 EiV aber zusätzlich als völkerrechtliches Reservatrecht. Dies gilt entsprechend für Art. 7 EiV, der im wesentlichen für die östlichen Bundesländer im Vergleich zur Grundgesetz-Regelung ungünstigere Bestimmungen enthält (kein Länderfinanzausgleich, von dem die „armen" neuen Bundesländer profitiert hätten; Aufteilung des Umsatzsteueranteils statt Anteilsberechnung nach Einwohnerzahl) und an deren besonderen (völkerrechtliche) Sicherung die Deutsche Demokratische Republik nicht übermäßig interessiert gewesen sein dürfte. Da die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik schon vor dem Beitritt ihrem Inhalt nach staatsrechtliche waren, sollte durch Einigungsvertrag und Beitritt bewirkt werden, daß auch der Form nach das Rechtsverhältnis der beiden deutschen Staaten staatsrechtlich wird 1 7 2 . Damit wäre schlecht eine Fortgeltung völkerrechtlicher Reservatrechte zu vereinbaren. Das Argument, die Deutsche Demokratische Republik habe sich in ihrer Beitrittserklärung vom 23.8.1990 nicht etwaige Reservatrechte vorbehalten 1 7 3 , überzeugt dagegen nicht. Da absehbar war, daß wenige Tage später (geschehen am 30.8.1990) der Einigungsvertrag unterzeichnet werden würde,

171 So Minister Kinkel und Ministerpräsident a.D. de Maizière in Aussagen vor dem Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 84, 90 (115). 172

Anker (Einigungsvertrag, S. 1064) nennt dies als primären Vertragszweck.

173

Anker, Einigungsvertrag, S. 1063.

I.

echtlicher Vertrag

würde sich, sofern der Vertrag nur völkerrechtliche Reservatrechte schüfe, der Wille der Deutschen Demokratischen Republik zu deren Fortgeltung nach dem Beitritt konkludent aus dem engen zeitlichen Zusammenhang ergeben. Indes könnte sich ein entsprechender Anhaltspunkt aus dem Vertrag allenfalls daraus herleiten lassen, daß Art. 44 EiV an die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht anknüpfen sollte 174 und eine korrekte Übertragung zur Wahrung des völkerrechtlichen Vertrages als solchem führen müßte, wie oben 175 dargelegt. Jedoch dachten die Vertragspartner dabei wohl nicht an den folgerichtigen Transfer von der staatsrechtlichen zur völkerrechtlichen Ebene; dies geht daraus hervor, daß die Begründung der Bundesregierung zu Art. 44 EiV davon ausgeht, die Deutsche Demokratische Republik ginge als Völkerrechtssubjekt unter 176 , obwohl sie nach dem Transfer der Verfassungsgerichtsrechtsprechung gerade als völkerrechtlich fortbestehend fingiert werden müßte. Es findet sich somit kein Anhaltspunkt, der überzeugend für die Begründung völkerrechtlicher Reservatrechte spräche. Der Deutschen Demokratischen Republik stehen also aus dem Einigungsvertrag nach dem Beitritt keine völkerrechtlichen Reservatrechte zu; daher kann sich eine partielle Völkerrechtsfähigkeit der Deutschen Demokratischen Republik nicht aus dem Einigungsvertrag ergeben.

c) Anwendung des Ausnahmetatbestandes auf Beitrittsvariante „Untergang der DDR uno actu mit Beitritt" In der Variante 2.b ist bereits kein Tatbestand ersichtlich, aus dem sich eine Überleitung der vertraglichen Position der Deutschen Demokratischen Republik auf die östlichen Bundesländer ergeben könnte. Im übrigen könnte, selbst wenn die völkerrechtliche Stellung der Deutschen Demokratischen Republik als Partner des Einigungsvertrages auf die östlichen Bundesländer übergegangen wäre, diese ebensowenig wie in den Varianten l.a und 2.a die Deutsche Demokratische Republik aus dem Vertrag für die Zeit nach dem Beitritt eine partielle Völkerrechtsfähigkeit herleiten. Der Einigungsvertrag muß deshalb nicht als völkerrechtlicher weitergelten, weil etwa aus ihm selbst sich die partielle Völkerrechtsfähigkeit der östlichen Länder ergäbe.

174 175 176

Schmidt-Bleibtreu, Einigungsvertrag, S. 76; Schäuble, Einigungsvertrag, S. 296. S. 44 ff. BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

76

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt 23.4 Ausnahme vom Grundsatz bei Vertrag zugunsten Dritter?

Möglicherweise erfordert auch ein völkerrechtlicher Vertrag, in dem einem Dritten Rechte eingeräumt werden, eine Ausnahme vom Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang". Damit stellen sich die Fragen, inwieweit eine solche Ausnahme gerechtfertigt ist und, soweit sie es ist, ob im Einigungsvertrag Rechte zugunsten entsprechender Dritter begründet wurden. a) Begründung der Ausnahme Eine Ausnahme könnte allenfalls für Vertragsbestimmungen, die Dritte berechtigen, gerechtfertigt sein. Ist sie es zumindest insoweit? Klar ist die Rechtslage, soweit Individuen die begünstigten Dritten sind: Diese sind gegen Entzug ihrer völkervertraglichen Rechte durch Vertragsänderung nicht geschützt177. Wenn die Vertragsparteien durch Vereinbarung ihre Rechte entziehen können, ist ihre Rechtsstellung demnach von der Fortexistenz des ursprünglichen Vertrages abhängig (und nicht umgekehrt). Mit anderen Worten: Der Vertrag gilt nicht deshalb fort, weil ihnen Rechte eingeräumt wurden. Andererseits ist nach Art. 37 I I W V K die Änderung des völkervertraglichen Rechtes eines Dritten nur mit dessen Zustimmung möglich, wenn dies von vornherein so beabsichtigt war. Gilt diese Regelung auch für etwa im Einigungsvertrag zugunsten der östlichen Bundesländer begründete Rechte? (Daß die Begründung solcher Rechte völkerrechtlich möglich wäre, folgt a maiore ad minus aus der völkerrechtlich zulässigen Berechtigung von Individuen aus völkerrechtlichen Veträgen 178, da die Länder den völkerrechtsfähigen Staaten qualitativ um vieles näher stehen als die Individuen.) Wenn ja, hätte ihre Rechtsposition möglicherweise eine so starke Sicherung erreicht, daß sie - im Gegensatz zu den Individualrechten - nicht mehr von der Vertragsexistenz abhängig wäre, sondern wegen ihrer Existenz noch vertragliche Regelungen bestünden. Art. 37 I I W V K hat nur den Fall im Auge, daß berechtigter Dritter ein völkerrechtsfähiger Staat ist 1 7 9 . Eine Ausnahme vom Grundsatz des Vertragsunterganges könnte also für die Berechtigung völkerrechtlicher Dritter aus dem Einigungsvertrag bestehen.

177

Wetzel , S. 259.

178

Wetzel , S. 259.

179

Vgl. auch Art. 2 I lit. h WVK.

I.

echtlicher Vertrag

Die aus dem Einigungsvertrag (schon wegen Art. 44 EiV in irgendeiner Hinsicht) berechtigten Bundesländer sind zwar Staaten, aber nicht völkerrechtsfähig, auch nicht partiell nur für den Einigungsvertrag. Art. 37 Π W V K gilt daher nicht direkt. Ob er entsprechend angewendet werden könnte, braucht hier nicht erörtert zu werden. Denn nur eine direkte Anwendung des Art. 37 Π W V K könnte eine Ausnahme vom Satz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" rechtfertigen. Der Grundsatz war damit begründet worden, daß bei Untergang eines Partners als (ggf. auch nur partielles) Völkerrechtssubjekt keine Völkerrechts-Beziehungen als Regelungsobjekt mehr bestünden. Vereinbarten die Parteien ein Recht zugunsten eines Dritten, so bestünde auch nach Untergang des Versprechensempfängers noch eine Rechtsbeziehung zwischen berechtigtem Dritten und dem Versprechenden; diese kann aber nur dann völkerrechtlicher Natur sein, wenn der Dritte, wenigstens für die vertraglichen Rechte, völkerrechtsfähig ist. Da im Einigungsvertrag gerade keine völkerrechtlichen Reservatrechte begründet werden sollten, sind die begünstigten Dritten, die östlichen Länder, nicht völkerrechtsfähig. In diesem Fall gilt die Begründung des Grundsatzes „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" ohne Einschränkung, und damit auch der Grundsatz selbst. Eine Ausnahme wäre also nur anzunehmen, soweit der Einigungsvertrag andere Völkerrechtssubjekte berechtigt in der Weise, daß diese ein eigenständiges Recht (im Sinne des Art. 37 Π WVK) erhielten.

b) Berechtigung völkerrechtlicher

Dritter durch den Einigungsvertrag

Völkerrechtliche Verträge können einen Dritten - als Reflex aus der Verpflichtung eines Vertragspartners gegenüber dem anderen - faktisch begünstigen oder aber ihm ein eigenes Recht einräumen 180. Im zweiten Fall wirkt nach Art. 36 I W V K die Berechtigung des Dritten erst mit seiner Zustimmung, die aber - vorbehaltlich anderslautender vertraglicher Regelung vermutet wird. Im Einigungsvertrag ist keine Klausel enthalten, die gegen diese Vermutung spricht. Völkerrechtlich ist also die Begründung echter Rechte Dritter durch den Einigungsvertrag ohne weiteres möglich.

180

Verdross/Simma,

§ 758.

. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Aus dem Wortlaut des Einigungsvertrages ergeben sich allerdings keine Anhaltspunkte für eine solche Begründung. Dennoch nimmt Anker 1 8 1 an, der Einigungsvertrag begründe ein Recht der UdSSR, daß die Bundesrepublik Deutschland die Gemeinsame Erklärung (Anlage 3 des EiV) als Teil des EiV (Art. 41 I EiV) erhalte und ihren Inhalt nicht verändere. Zur Begründung führt er an, in (Nr. 1) der Gemeinsamen Erklärung sei ausdrücklich auf die mangelnde Bereitschaft der Regierung der UdSSR hingewiesen worden, Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. -hoheitlicher Grundlage rückgängig machen zu lassen 182 . Gegen Ankers These spricht, daß es in Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung weiter heißt, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nehme zur Kenntnis, daß die Regierungen der UdSSR und der Deutschen Demokratischen Republik die genannten Enteignungen nicht revidieren lassen wollen. Damit hat deutlich Ausdruck gefunden, daß die Bundesrepublik Deutschland nur notgedrungen auf eine Rückgängigmachung der genannten Enteignungen verzichtet. Demgegenüber war für die Deutsche Demokratische Republik nur wichtig, daß die Enteignungen nicht rückgängig gemacht wurden, nicht aber, daß die UdSSR ein entsprechendes Recht darauf erhielt. M i t dieser Interessenlage der Vertragspartner ist eine Auslegung, die die Bundesrepublik Deutschland gegenüber nicht am Vertrag beteiligten Dritten, wie der UdSSR, zusätzlich auf die Beachtung der von ihr „zur Kenntnis genommenen" Rechtslage festlegt, nicht vereinbar. Sie ist auch nicht notwendig, um die Interessen der UdSSR angemessen zu wahren: Eine Verbindung zwischen der Zustimmung der UdSSR zum Zweiplus-vier-Vertrag (und damit zur Aufgabe ihr noch verbliebener Souveränitätsrechte über Deutschland) und der von der UdSSR geforderten Sicherung der in Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung genannten Enteignungen wird - und zwar ohne konstruierte Auslegung, sondern ausdrücklich durch Nr. 1 des Gemeinsamen Briefes beider deutscher Außenminister an die der vier Alliierten anläßlich der Unterzeichnung des Zwei-plus-vier-Vertrages - hergestellt. Dadurch wird die Befolgung des Art. 41 I, I I I EiV durch die Bundesrepublik Deutschland möglicherweise zur Geschäftsgrundlage der sowjetischen Zustimmung zum Zwei-plus-vier-Vertrag 183 , eventuell - mit Ankers Argumentation - sogar zu einem völkerrechtlichen Versprechen. Jedenfalls wäre eine - in welcher mehr oder weniger verbindlichen Form auch immer abgege-

181

Anker, Einigungsvertrag, S. 1064.

182

Anker, Einigungsvertrag, S. 1064 Anm. 30.

183

Blumenwitz, S. 3048; Badura (Verfassungsauftrag, S. 1259) spricht von einem politischen Junktim; gegen eine völkerrechtliche Verbindlichkeit aber Rauschning, Beendigung, S. 1284.

I.

echtlicher Vertrag

bene - Zusage der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Sowjetunion im Rahmen des Zwei-plus-vier-Vertrages, der ja die äußeren Aspekte der deutschen Wiedervereinigung regelte, zu erwarten, nicht im Einigungsvertrag mit seinem staatsrechtlichen Inhalt. Wortlaut und Zusammenhang der Vorschrift sowie die Interessen der Vertragspartner sprechen also gegen die Begründung eines Rechts der UdSSR durch die Gemeinsame Erklärung bzw. Art. 41 I EiV. Damit bestehen keine Drittberechtigungen, die eine (partielle) Ausnahme vom Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" rechtfertigten.

2.4 Zusammenfassung Der Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" ist auf den Einigungsvertrag anwendbar. Der Vertragspartner Deutsche Demokratische Republik ist im Sinne dieses Grundsatzes untergegangen. Die Deutsche Demokratische Republik war auch noch bei ihrem Untergang der einzige Vertragspartner der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Einigungsvertrages. Ein Tatbestand, der eine Ausnahme von dem Grundsatz rechtfertigte, liegt nicht vor. Folglich stellt der genannte Grundsatz ein Argument für das Erlöschen des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag dar.

3. Erlöschen durch Vollzug Ein weiterer Grund für das Erlöschen des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag könnte im Vollzug des Vertrages liegen. Gilt der aus dem deutschen Zivilrecht bekannte Satz, Verträge erlöschen mit Erfüllung aller vertraglicher Verpflichtungen, auch im Völkerrecht? Die WVK, die verschiedene Erlöschenstatbestände regelt, nennt den der Erfüllung nicht. Ihre Autoren haben diesen Tatbestand weder übersehen noch bewußt ungeregelt gelassen. Die Verfasser der W V K gehen vielmehr von der Vorstellung aus, durch die Erfüllung erlöschen nur die obligations, d.h. die vertraglichen Verpflichtungen, nicht aber der contract /traité selbst 184 . Sie entscheiden sich damit bewußt für diejenige der beiden unter Völkerrechtlern vertretenen Ansichten 185 , nach der ein Vertrag durch vollständige Erfüllung nicht erlischt.

184

185

Verdross/Simma,

§ 824; Capotorti,

S. 527.

Vertreter dieser Ansicht sind Fitzmaurice, I art. 17 (χ) nr. 109, und Hofbauer, S. 163; für die Gegenauffassung Capotorti, S. 526.

0

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Schon aus diesem Grund kann der Einigungsvertrag, der den WVK-Regelungen unterliegt, nicht wegen Vollzuges erloschen sein. Dasselbe Ergebnis folgt aber sogar bei Anwendung des Satzes „Vertragsuntergang bei vollständiger Erfüllung": Vollständig vollzogen wurden durch den Beitritt selbst lediglich die Einigungsvertrags-Regelungen, die den Eingliederungsvorgang betreffen. Allenfalls insoweit könnte der Einigungsvertrag danach erloschen sein 186 . Der weit überwiegende Teil des Inhalts des Einigungsvertrages regelt aber die Rechtslage im vereinten Deutschland, soll also gerade für die Zeit nach dem Beitritt gelten. Diese - regelmäßig in Eingliederungsverträgen vereinbarten - Dauerpflichten sind nicht mit dem Beitritt erfüllt und erlöschen daher nicht nach der Eingliederung wegen vollständiger Erfüllung 187 . Aus dem (Teil-)Vollzug des Einigungsvertrages ergibt sich kein Argument für sein (Teil-)Erlöschen.

4. Erlöschen durch vereinbarte Vertragsbeendigung Die Partner völkerrechtlicher Verträge können in ihrer Vereinbarung einen Zeitpunkt vorsehen, zu dem ihr Vertrag erlöschen soll (Art. 54 lit. a W V K ) . Ist solch eine Vereinbarung - Erlöschen des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag mit Beitrittsvollzug - in Art. 45 Π EiV enthalten? Immerhin könnte diese Bestimmung so zu lesen sein: „Der Vertrag bleibt nach Wirksamwerden des Beitritts als Bundesrecht" und nicht mehr als völkerrechtliche Rechtsquelle „geltendes Recht". Dann enthielte Art. 45 I I EiV implizit eine Abrede über das Ende des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag. Dafür könnte sprechen, daß die Bundesregierung für das Schicksal des Einigungsvertrages nach dem Beitritt die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts übernehmen wollte 1 8 8 und danach - von der von der Bundesregierung, wie gezeigt 189 , nicht beachteten analogen Anwendung abgesehen - kein völkerrechtlicher Eingliederungsvertrag vorlag. Auch entsprach ein Erlöschen als völkerrechtlicher Vertrag dem Interesse der Bun-

186

Dafür (allgemein für Eingliederungsvertrage) Frowein,

S. 3; Ficker,

Eingliederungsvertrag,

S. 42.

187 Anker, Wiedervereinigungsgebot, S. 205; Ficker, Eingliederungsvertrag, S. 3. 188

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 17. Sitzung, S. 562 C.

189

Siehe oben S. 44.

S. 42; zweifelnd Frowein,

I.

echtlicher Vertrag

1

desrepublik Deutschland, deren Verfassung ja keine völkerrechtlichen Beziehungen zu (nach dem Beitritt) innerstaatlichen (fingierten) Gebietskörperschaften erlaubt. Daß der Einigungsvertrag großenteils Regelungen enthält, die erst ab dem Beitritt relevant werden, steht der Annahme einer solchen Beendigungsklausel nicht entgegen; denn Art. 45 I I EiV trifft selbst Vorkehrungen für den Erhalt der Regelungen (wenn auch in anderer Rechtsform), so daß ihre Vereinbarung durch die Beendigungsklausel nicht unsinnig würde. Gegen eine solche Interpretation des Art. 45 I I EiV können jedoch eine Reihe begründeter Einwände erhoben werden. Zunächst wäre, angesichts der Praxis in sonstigen völkerrechtlichen Verträgen, für eine Klausel über die Vertragsbeendigung ein klarerer Wortlaut zu erwarten. Art. 45 I I EiV spricht mit keinem Wort von der Beendigung des Einigungs Vertrages. Die Übereinstimmung der in Art. 45 I I EiV hineininterpretierten Vertragsbeendigung mit der beabsichtigten Anwendung der Coburg-Rechtsprechung steht auf schwachen Füßen. Daß die Bundesregierung die Problematik der Übertragung der Coburg-Rechtsprechung auf den Einigungsvertrag wegen der unterschiedlichen (nämlich beim Einigungsvertrag völkerrechtlichen) Ausgangslage nicht sah, legt eher den Schluß nahe, sie habe auch in Art. 45 Π EiV zur völkerrechtlichen Weitergeltung des Einigungsvertrages keine Regelung getroffen. Wendet man andererseits die Coburg-Rechtsprechung konsequent analog an, würde dies gerade zu einer Fortgeltung des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag führen. Da nach Angabe des bundesdeutschen Verhandlungsführers Art. 45 I I EiV auf das besondere Regelungsinteresse der Deutschen Demokratischen Republik zurückgeht 190 , muß für die Auslegung dieser Vorschrift vor allem deren Intention und weniger die der Bundesrepublik Deutschland maßgebend sein. Die Deutsche Demokratische Republik wollte die Bindungswirkung für die Zeit nach dem Beitritt sicherstellen 191. Sie hätte bestimmt keine Regelung angeregt, die sie der völkerrechtlichen Bindung der Bundesrepublik Deutschland, die für diese - im Vergleich zu innerstaatlichen - regelmäßig schwerer einseitig zu verändern ist, beraubte. Daß die Vertragsparteien möglicherweise übereinstimmend davon ausgingen, der Vertrag würde mit dem Beitritt als völkerrechtlicher erlöschen, ist kein Argument dafür, daß sie dies deshalb auch noch zusätzlich vereinbarten;

190 191

Schäuble, Einigungsvertrag, S. 296 f. Schäuble, Vertrag, S. 26.

6 Wagner

82

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

im Gegenteil, ihnen müßte dann eine solche Vereinbarung als überflüssig erschienen sein. Nach alledem kann in Art. 45 I I EiV keine vertragliche Vereinbarung des Erlöschens des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag gesehen werden.

5. Erlöschen wegen Unmöglichkeit völkerrechtlicher Beziehungen im Bundesstaat Kann für den Untergang des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag sprechen, daß zwischen dem Bund und der (als fortbestehend fingierten) Deutschen Demokratischen Republik keine völkerrechtlichen Beziehungen bestehen können? Dieses Argument ist aus mehreren Gründen nicht haltbar, wie bereits die bisherigen Ausführungen ergeben. Wenn die Deutsche Demokratische Republik als Völkerrechtssubjekt als fortbestehend fingiert wird, tritt der vermeintliche Konflikt mit dem „Wesen des Bundesstaates" gar nicht erst ein. Aber auch sonst schließt die Tatsache, daß nach der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland keine völkerrechtlichen Beziehungen zwischen Bund und Bundesland (Deutsche Demokratische Republik) vorgesehen sind, nicht aus, daß der Bund - verfassungswidrig, aber völkerrechtlich wirksam - solche Bindungen eingeht. Aus der Zugehörigkeit des Gebietes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zum Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland und dem Geltungbereich des Grundgesetzes, das völkerrechtliche Beziehungen zwischen Bund und Ländern ausschließt, kann daher der Untergang des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag nicht begründet werden.

6. Fortbestand wegen Sinnes des Eingliederungsvertrages Gegen den Untergang des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag könnte sprechen, daß damit sein - erst kurz vor dem Untergang der Deutschen Demokratischen Republik erfolgter - Abschluß unsinnig würde. Sofern Autoren aus dem speziellen Inhalt von Eingliederungsverträgen deren Fortexistenz nach Untergang des eingegliederten Partners in seiner

I.

echtlicher Vertrag

bisherigen Rechtsform herleiten 192 , halten sie es für ausreichend, daß ein ursprünglich völkerrechtlicher Vertrag (nur) als staatsrechtlicher fortgilt 1 9 3 . Da sich aus ihrer Argumentation nichts für den Fortbestand als völkerrechtlicher Vertrag ergibt, braucht auf sie hier nicht näher eingegangen zu werden. Einziges Argument für die Fortgeltung als völkerrechtlicher Vertrag aus dem Sinn eines (völkerrechtlichen) Eingliederungsvertrages wäre, daß mit der Wahl dieser Rechtsform dem zukünftig eingegliederten Rechtssubjekt in einer anderen Rechtsordnung als der des eingliedernden Staates Garantien gegeben werden sollten. Daß dies im Falle des Einigungsvertrages nicht beabsichtigt war, wurde bereits gezeigt 194 .

7. Vergleich mit anderen Eingliederungs-Fallgruppen Warum wird eine solche Absicht, zumindest von einigen Autoren, in anderen Fällen angenommen (und treffen diese Gründe etwa auch auf den Einigungsvertrag zu)? Andere Fälle sind die Reservatrechte der süddeutschen Staaten, die der Coburg-Rechtsprechung zugrundeliegenden Eingliederungsfälle, bundesdeutsche Gemeindeeingliederungen und indische Eingliederungsverträge. Die Reservatrechte der süddeutschen Staaten werden nur von einem Teil der Literatur als völkerrechtliche eingestuft, und es wurde bereits gezeigt, daß die dabei angewandte Argumentation nicht überzeugt 195 . Auch eine Übertragung der Argumente der Coburg-Rechtsprechung auf den Einigungsvertrag wurde bereits abgelehnt 196 . Sofern angenommen wird, Gemeindeeingliederungsverträge blieben nach der Eingliederung bestehen, wird dies durch folgende Argumente begründet: Der Fortbestand sei angeordnet durch Landesgesetz197. Dieses Argument ist auf den Einigungsvertrag nicht übertragbar, weil das ihn beherrschende Völkerrecht eine solche Fortbestandsregelung nicht enthält.

192

Fastenrath, Bindungswirkung, S. 430; Weis, Fragen, S. 13.

193

Fastenrath, Bindungswirkung, S. 430; Weis, Fragen, S. 14. Siehe oben S. 56.

194 195

Siehe oben S. 64.

196

Siehe oben S. 45 ff.

197

Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 11.

84

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Zweitens wird mit der Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts argumentiert 198. Diese ist aber, wie gesagt, auf den Einigungsvertrag nicht so übertragbar, daß daraus dessen völkerrechtliche Fortgeltung folgte. Drittens wird der Satz, die Gemeinde sei für den Rechtsstreit gegen die Rechtmäßigkeit der Eingliederung als fortbestehend anzusehen, erweitert auf alle vertraglichen Rechte anläßlich der Eingliederung 199 . Die Argumente gegen diese Erweiterung der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes wurden bereits vorgetragen 200. Viertens wird vertreten, Vereinbarungen, die die untergegangene Gemeinde „im Vertrauen auf die Zusagen des anderen Teiles bereits erfüllt hat", müßten auch von der anderen Seite gehalten werden 201 . Dieses Argument mit dem synallagmatischen Charakter der Vereinbarungen trifft jedenfalls auf den Einigungsvertrag deshalb nicht zu, weil er zwar ein zwei-, aber kein gegenseitiger Vertrag ist: Im Einigungsvertrag verpflichtet sich nicht, wie im beurteilten Gemeinde-Eingliederungsvertrag, die Deutsche Demokratische Republik zum Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland und die Bundesrepublik Deutschland im Gegenzug dafür zum Erhalt bestimmter (DDR-)Regelungen. Die Deutsche Demokratische Republik hatte vielmehr bereits ihren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland am 23.8.1990, also gut eine Woche vor der Unterzeichnung des Einigungsvertrages (am 31.8.1990) beschlossen. Sie übernimmt in Art. 42 I, I I EiV sowie in Nrn. 9, 13 und 14 der Anlage ΙΠ des Einigungsvertrages Pflichten, die im Vergleich zu den vertraglichen Pflichten der Bundesrepublik Deutschland nur von marginaler Bedeutung sind. Schon diese Unausgewogenheit verbietet die Annahme, die Deutsche Demokratische Republik hätte diese Pflichten als Gegenleistung für die von der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen übernommen. Dies wird ferner daraus ersichtlich, daß die Bundesrepublik Deutschland auf einen Vertrag mit der Deutschen Demokratischen Republik keinen besonderen Wert legte 202 , da sie Regelungen der im Einigungsvertrag vereinbarten Art in ähnlicher Weise ohnehin erlassen mußte. Da der Einigungsvertrag also keine gegenseitigen Rechte und Pflichten enthält, kann nicht argumentiert werden, das Gegen-

198

Altenmüller,

S. 37.

199

Altenmüller,

S. 37.

200

Siehe oben S. 41 ff. SächsOVGE 39, 16 (19). BT-Ausschuß Deutsche Eil iit, 10. Sitzung, S. 344 C.

201 202

I.

echtlicher Vertrag

seitigkeitsverhältnis werde durch ein Erlöschen des Vertrages im Beitrittszeitpunkt gestört 203 . Schließlich sollen Frowein 204 zufolge indische Gerichte die Fortgeltung eines Eingliederungsvertrages nicht in Frage gestellt haben. Der von ihm als Beleg dafür zitierte Agrawala berichtet aber nur, daß die indischen Gerichte sich befaßten mit „rights as the new sovereign has chosen to recognize or acknowledge by ... agreement ..." 205 . Daraus geht nur hervor, daß die indischen Gerichte vom Fortbestand der Regelungen, nicht notwendig aber in der Form als völkerrechtlicher Vertrag, ausgingen. Mithin ergibt sich auch kein Widerspruch aus etwa begründeter rechtlicher Würdigung paralleler Eingliederungsfälle. Ein schlüssiges Argument, das gegen den Untergang des Einigungsvertrages als völkerrechtlichen Vertrag spräche, existiert daher nicht.

8. Zusammenfassung Nach dem begründeten und einschlägigen völkerrechtlichen Grundsatz, ein bilateraler völkerrechtlicher Vertrag erlösche als solcher mit dem Untergang eines Vertragspartners, ist der Einigungsvertrag mit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland als völkerrechtlicher Vertrag untergegangen. Das hat u.a. zur Folge, daß bei seiner Interpretation zu Fortgeltung, Bindungskraft und Rechtswahrung, die jeweils über den Beitrittszeitpunkt hinauswirken, nicht die Auslegungsgrundsätze der Art. 31 ff. W V K (Vorrang der objektiven Auslegung) zu beachten sind, sondern die des deutschen Rechts.

203

Außerdem kann mit dem Hinweis auf ein Synallagma nur begründet werden, daß die Gegenseitigkeitsfunktion auch beim rechtlichen Schicksal des Vertrages nach dem Beitritt beachtet werden, nicht aber, daß der Vertrag deshalb notwendig fortbestehen muß. So wird etwa ein zivilrechtlicher Vertrag durch eine nach Erfüllung der Leistungspflicht - nur - des einen Partners eintretende auflösende Bedingung unwirksam, und das Synallagma wirkt nur im Rückabwicklungsverhältnis fort. Den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik, wenn er denn vertragliche Gegenleistung wäre, rückgängig zu machen, bereitete rechtskonstruktiv keine größeren Schwierigkeiten als die für einen Vertragsfortbestand notwendige Konstruktion eines fortbestehenden Vertragspartners. 204

Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 10.

205

Agrawala, S. 1402.

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

I I . Staatsrechtlicher Vertrag Eingangs sei wiederum die Verträglichkeit dieser denkbaren Geltungsform mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einigungsvertrag untersucht, ferner der Meinungsstand in der Literatur. Sodann ist zu erörtern, wie ein staatsrechtlicher Vertrag entstanden sein könnte, da, anders als bei der Rechtsform des völkerrechtlichen Vertrages, die Existenz dieser Rechtsform schon ab Vertragsschluß fraglich ist. Sollte der Einigungsvertrag erst mit dem Beitritt staatsrechtlicher Vertrag geworden sein, wären die Argumente für seine Entstehung und die für seine Fortgeltung identisch. Im Falle der Geltung als staatsrechtlicher Vertrag sind auch zu klären der Umfang (für Anlagen, Protokoll zum Einigungsvertrag u.ä.) und der Vertragspartner der Bundesrepublik Deutschland.

1. Vereinbarkeit dieser Rechtsform mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einigungsvertrag In den bisher ergangenen Entscheidungen (jeweils über Verfassungsbeschwerden gegen das ZustGes. BRD 2 0 6 ) nahm das Bundesverfassungsgericht zur Rechtsnatur des Einigungsvertrages nicht ausdrücklich Stellung. Aus der Herkunft seiner Auslegungsargumente - teilweise gemeinsame Positionen beider Vertragspartner, teilweise nur die Begründung der Bundesregierung kann ebenfalls nicht geschlossen werden, es sähe die Regelungen des Einigungsvertrages nur noch als Vertrag oder als Gesetz an: Auch bei vertraglicher Fortgeltung kann die Begründung der Regierung eines Vertragspartners für dessen Parlament Auslegungshilfe sein, und bei nur gesetzlicher Fortgeltung kann bei der Auslegung die früher vertragsrechtliche Natur der jetzt gesetzlichen Regelungen berücksichtigt werden. Auch der Einwand, das Bundesverfassungsgericht gehe deshalb von der vertraglichen Fortgeltung des Einigungsvertrages aus, weil es eine Beschwerde gegen das Zustimmungsgesetz prüfe, das wegen Fortfall des Transformationsobjektes bei Untergang eines jeglichen Vertrages gegenstandslos würde, ist nicht stichhaltig. Wenn man von einer nur gesetzlichen Fortgeltung des Einigungsvertrages ausginge, könnte diese dadurch konstruiert werden, daß (aus noch zu erörternden Gründen) das ZustGes. BRD im Falle des Einigungsvertrages auch über den Beitritt hinaus fortgelte und der Inhalt des Vertrages nunmehr nur noch Art. 1 des ZustGes. BRD ausfülle. Auch dann wäre also eine Verfassungsbeschwerde gegen das ZustGes. BRD zu richten.

206

Siehe oben S. 31.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

M i t der bisherigen Rechtsprechung wäre eine Fortgeltung des Einigungsvertrages als Vertrag somit zu vereinbaren, ist aber nicht zwingend.

2. Bilanz der Literaturmeinungen Gibt es, ähnlich wie die überwiegende Ablehnung der Fortgeltung des Einigungsvertrages als völkerrechtlicher Vertrag, auch eine vorherrschende Ansicht in der Literatur zur Fortgeltung als staatsrechtlicher Vertrag? Viele Autoren ziehen sich auf Formeln des Inhalts zurück, der Vertrag bleibe bestehen, aber als Bundesrecht bzw. als abänderbares Recht 207 . Ob sie durch ihren Zusatz andeuten wollen, daß der Inhalt des Vertrages nur noch in Form eines (abänderbaren Bundes-)Gesetzes besteht, wird nicht eindeutig ersichtlich. Unter den wenigen Autoren, die klar Stellung beziehen, lehnen einige die Fortgeltung als (staatsrechtlicher) Vertrag ab 2 0 8 ; andere befürworten sie 209 . Abgesehen davon, daß die geringe Anzahl der sich dazu äußernden Autoren die Herleitung einer „herrschenden Meinung" fragwürdig erscheinen ließe, hält sich die Zahl der Befürworter und Gegner die Waage. Eine überwiegende Meinung zur Fortgeltung des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag in der Literatur kann demzufolge nicht festgestellt werden.

3. Zulässigkeit des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag Gälte der Einigungsvertrag als staatsrechtlicher Vertrag fort, - gleich, wer (ggf. fiktiver) Vertragspartner der Bundesrepublik wäre - auf jeden Fall ein Bund-Länder-Vertrag. Ist nach dem überhaupt zulässig, daß die im Einigungsvertrag enthaltenen Inhalt eines solchen Vertrages sind?

so wäre er Deutschland Grundgesetz Regelungen

Soweit nicht, könnten die Regelungen schon deshalb kein wirksamer Inhalt eines staatsrechtlichen Vertrages sein; denn ein staatsrechtlicher Vertrag

207

Fastenrath , ΒindungsWirkung, S. 430; von Münch, Deutschland, S. 868; Schulze, S. 2456; Weis, Fragen, S. 13 ff.; Weis, Gesetzgebung, S. 60. 208 Anker, Einigungs vertrag, S. 1065; auch Maunz/Zippelius, S. 421, der eine Fortgeltung nur wegen des zum Vertrag hinzutretenden ZustGes. BRD annimmt. 209

Grawert, Rechtseinheit, S. 222; Klein, Einigungsvertrag, S. 571.

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

wurzelt in der innerstaatlichen Rechtsordnung und ist daher an der an deren Spitze stehenden Verfassung zu messen 210 . (So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Coburg-Rechtsprechung auch etwa den Vertrag zwischen Coburg und Bayern am Grundgesetz gemessen211.) Die Regel der Nichtauswirkung einer Kompetenzüberschreitung bei Vertragsabschluß auf die Gültigkeit des Vertrages gilt, anders als bei völkerrechtlichen Verträgen, hier nicht, da die Grundlage der Regel: Schutz der Unkenntnis des Vertragspartners von den staatlichen Kompetenzregeln, auf innerstaatliche Verträge nicht zutrifft 2 1 2 . Das Grundgesetz will, wie aus dem Bundesstaatsprinzip folgt, die staatsrechtlichen Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland umfassend regeln und schließt aus, daß auch (Bund-Länder-)Vereinbarungen Verfassungsrecht schaffen können, sofern diese nicht nach dem Grundgesetz bereits zulässig sind. Heute ist allgemein anerkannt, daß nach dem Grundgesetz Verträge zwischen dem Bund und einen Land grundsätzlich zulässig sind 213 . Welche Einschränkungen des Grundsatzes bestehen? A u f keinen Fall zulässig ist die Verschiebung der grundgesetzlich geregelten Kompetenzen durch Vertrag 214 . Denn die Kompetenzverteilung w i l l das Grundgesetz als Bundesstaatsverfassung ausschließlich vornehmen 215 , so daß ihre Änderung Verfassungsänderung wäre, die nach Art. 79 I GG nicht durch Vertrag erfolgen kann. Einige Autoren behaupten, ein Vertrag zwischen Bund und Land sei nicht über Gegenstände der ausschließlichen 216 oder gar jeglicher 217 Bundes(gesetzgebungs-)kompetenz möglich; zumindest heutige Autoren wollen damit aber nicht die Zulässigkeit der vertraglichen Verpflichtung zu einer bestimmten Ausübung der (dem Bund verbleibenden) Kompetenzen bestrei-

210

Nawiasky/Lechner, S. 8; BVerfGE 36, 1 (14) (zum Grundlagenvertrag, den das Gericht wie einen innerstaatlichen Vertrag auslegte). 211

BVerfGE 22, 221 (234).

212

Grawert, Verwaltungsabkommen, S. 103.

213

Bauer, S. 49; H.-E. Giese, S. 90; Heiden, S. 133; Maunz/Dürig

Rdnr. 67; früher schon Nawiasky/Lechner, her, S. 82. 214 Heiden, S. 172; Nawiasky/Lechner, geringfügigen Verzicht auf Kompetenzen zu. 215

H.-E. Giese, S. 87.

216

Heiden, S. 133.

217

H.-E. Giese, S. 84; Kunz, S. 692.

II, Art. 32

S. 7; auch schon Kunz, S. 692, und NeuS. 8; dagegen läßt Bauer, S. 121 einen

II. Staatsrechtlicher Vertrag

ten 2 1 8 . Damit diese Unterscheidung Sinn macht, kann unter „bestimmter Ausübung" keine so detaillierte Vereinbarung verstanden werden, die den Inhalt der zu treffenden Regelung bereits im Wortlaut festlegt (wie dies im Einigungsvertrag aber der Fall ist, vgl. nur Art. 4 EiV). Ist den genannten Autoren zuzustimmen? Als Begründung wird von ihnen angeführt: Durch das Bundesgesetz zur Vertragsausführung übe der Bund seine Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Vertragsgegenstandes aus und entziehe ihn somit einer vertraglichen Regelung 219 . Weder richtet sich dieses Argument dagegen, daß (ursprünglich) ein Vertrag auf dem Gebiet der Bundeskompetenzen Zustandekommen kann 220 , noch liefert es für die „Konsumtion" des Vertrages durch das Gesetz eine Begründung, sondern nur eine Behauptung (die „Konsumtions"-Problematik wird später 221 näher behandelt). Fürs erste soll genügen, daß ein Vertrag jedenfalls Zustandekommen kann. Das zweite Argument gegen Verträge über Gegenstände der Bundesgesetzgebung lautet, das Grundgesetz habe die Mitwirkung der Länder an der Willensbildung des Bundes erschöpfend geregelt 222 . Konsequenterweise führt diese Begründung zur Unzulässigkeit nahezu aller Bund-Länder-Verträge: Unzulässig als eine Beeinflussung der Willensbildung des Bundes wäre auch jede Verpflichtung zur bestimmten Ausübung von Bundeskompetenzen. Da das Grundgesetz in Art. 70 ff. andererseits auch die Einflußnahme des Bundes auf die Willensbildung der Länder für Gegenstände ihrer Gesetzgebung regelt (sie nämlich nicht vorsieht), wären auch Verträge über Landesgesetzgebungskompetenzen untersagt. Und wenn Art. 70 ff. GG eine Regelung der Mitwirkung an der Willensbildung entnommen wird, muß dies folgerichtig auch für Art. 83 ff. GG gelten; Verträge über Gegenstände der Bundes- wie der Landesverwaltung (soweit der Bund an letzterer nicht ohnehin nach dem Grundgesetz mitwirkt) wären ebenfalls tabu. Diese Argumentation steht daher nicht mehr auf dem Boden des zugrundegelegten Grundsatzes der Zulässigkeit von Verträgen zwischen Bund und Land. Schließlich wird argumentiert, der Bund sei den Ländern übergeordnet auf den Gebieten, auf denen er ausschließlich kompetent sei, und könne daher

218

H.-E. Giese, S. 87; Heiden, S. 173.

219

H.-E. Giese, S. 83.

220

So selbst H.-E. Giese, S. 83.

221

Unten S. 165.

222

H.-E. Giese, S. 84.

0

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

dort nicht mit ihnen paktieren 223 . Dieses 1969 vorgetragene Argument stützt sich noch auf die mittlerweile (für den öffentlich-rechtlichen Vertrag) überholte Vorstellung, ein Vertrag könne nur zwischen zwei gleichgeordneten Partnern geschlossen werden. Konsequent angewandt, müßte übrigens auch diese Begründung zu einem Ausschluß jeglicher Bund-Länder-Verträge führen, da der Bund zumindest insoweit dem Land stets übergeordnet ist, als er die Kompetenz-Kompetenz besitzt. Die Einschränkung der Zulässigkeit eines Vertrages zwischen Bund und Land auf Gegenstände bestimmter Kompetenzbereiche überzeugt daher nicht. Bund und Land können somit über alles im Rahmen des Grundgesetzes, also der bestehenden Kompetenzordnung, paktieren. Das bedeutet zugleich: Wenn die vertragliche Vereinbarung einen Gegenstand der ausschließlichen Bundes-(gesetzgebungs-)kompetenz betrifft, kann sie nur durch den Vertragspartner Bund (als Gesetz) umgesetzt werden; Entsprechendes gilt für das Land. Unwirksam sind somit nur vertragliche Pflichten des Bundes, die vertraglichen Regelungen umzusetzen, wenn ihm dazu die (ausschließliche oder konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz fehlt (für Verwaltungskompetenzen gilt Entsprechendes), und entsprechend unwirksam sind nicht nach dem Grundgesetz erfüllbare vertragliche Pflichten des Landes. Unwirksam sind im Sonderfall des Einigungsvertrages deshalb alle nicht nur den Bund verpflichtenden Vertragsbestimmungen, deren Umsetzung in die Landeskompetenz fällt, es sei denn, die östlichen Länder wurden Vertragspartner. Denn sonst könnte in Praxis kein Vertragspartner, weder die Bundesrepublik Deutschland noch die (fiktive!) Deutsche Demokratische Republik, diese Umsetzung mehr gemäß dem Grundgesetz vornehmen. Allerdings könnte erwogen werden, die teilweise aus Art. 32 I GG („norddeutsche Lösung") oder dem Lindauer Abkommen i.V.m. Einzelfallermächtigungen („süddeutsche Lösung") abgeleitete Kompetenz des Bundes, Verpflichtungen auf dem Gebiet der Landesgesetzgebungskompetenz einzugehen, auch auf einen staatsrechtlichen Einigungsvertrag anzuwenden224. Gegen diese Übertragung der Rechtslage bei völkerrechtlichen Verträgen auf die für innerstaatliche spricht im allgemeinen, daß hier die Argumentationsgrundlage der „norddeutschen Lösung", nämlich das Bedürfnis einer einheitlichen völkerrechtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland durch den Bund, nicht auf Bund-Länder-Verträge paßt. Das weitere Argu-

223

224

Heiden, S. 133.

So Fastenrath, Bindungswirkung, S. 431 (so wohl für die „norddeutsche Lösung" wie unter Anwendung des Lindauer Abkommens).

II. Staatsrechtlicher Vertrag

1

ment, der Wortlaut des Art. 32 I GG enthalte keine Einschränkungen, paßt für eine entsprechende Anwendung schon deshalb nicht, weil hier eine Regel gerade außerhalb des Wortlauts gesucht wird. Bei letzteren treten sich Bund und Gemeinwesen seines Staatsverbandes gegenüber; es besteht also kein Bedürfnis für deren einheitliche Repräsentation durch den Bund. Jedoch trägt die Argumentation ausnahmsweise auch im Fall des staatsrechtlichen EinigungsVertrages. Dieser Eingliederungsvertrag wurde noch als völkerrechtlicher geschlossen. Selbst, wenn man die Existenz als staatsrechtlicher Vertrag über einen Neuabschluß (und nicht eine Umwandlung) konstruiert, ist wegen des notwendigen Zusammenhanges des Abschlusses des (erst) völkerrechtlichen und (dann) staatsrechtlichen Vertrages eine einheitliche Vertretung der „alten" Bundesrepublik Deutschland durch den Bund geboten. Dies bedeutet zugleich, daß der Bund den Vertrag nur auch über Gegenstände der Kompetenzen der bisherigen elf Bundesländer, nicht dagegen über solche der Kompetenzen der neuen Länder schließen durfte; insoweit war keine Vertretung durch den Bund notwendig. Zum selben Ergebnis führt die „süddeutsche Lösung". Für Abkommen des Bundes mit der Deutschen Demokratischen Republik ist als Generalabrede die Verständigung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der (elf alten) Länder über die Beteiligung der Länder bei Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 17.12.1987225 einschlägig, die dem Lindauer Abkommen entspricht. Das nach deren Nr. 2 notwendige Einverständnis der Länder in die Regelung von Gegenständen etwa ihrer Kompetenzen im Einigungsvertrag kann in ihrer Beteiligung 226 an den Vertragsverhandlungen 227 sowie in der einstimmigen Zustimmung des Bundesrates zum Einigungsvertrag 228 erblickt werden. Es bleibt aber damit weiterhin die Frage, ob der Bund sich vertraglich für Gegenstände, die in die Kompetenz der neuen Bundesländer fallen, verpflichten konnte. Es kann nicht unter Hinweis auf die besondere Lage beim Einigungsvertrag, der die bei seinem Inkrafttreten als staatsrechtlicher Vertrag entstandenen neuen Länder (ohne Berlin) binden würde, argumentiert werden, neu gebildete Staaten müßten sich mit bei ihrer Entstehung ihnen auferlegten Bindungen abfinden. Dieser Völkerrechtssatz 229 gilt für innerstaatliche Bin-

225 226

Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 1988, S. 226. Schmidt-Bleibtreu, Einigungsvertrag, S. 58 f.

227

Depenbrock, S. 737.

228

Bundesrat, 21.9.1990, S. 506 D.

229

Verdross/Simma,

§ 765.

92

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

düngen von Bundesländern nur insoweit, als diese Beschränkungen durch die Bundesverfassung in Kauf nehmen müssen, nicht aber in Bereichen, auf denen sie laut Bundesverfassung kompetent sind; denn die Bundesverfassung verleiht ihnen, soweit sie ihnen Kompetenzen zuweist, eigene Staatsqualität. Sofern also die östlichen Länder nicht Vertragspartner sind, sind alle Vertragsnormen (insoweit) nichtig, die vom Bund nicht umgesetzt werden können, mit Ausnahme derer, die die bisherigen elf Bundesländer umsetzen müßten; welche Kompetenzen der Bund hat, ist ggf. zu erörtern. Hier sei zunächst nur geprüft, welche Regeln des Einigungsvertrages der Bund auf keinen Fall vereinbaren konnte, selbst nicht mit den Ländern als Vertragspartnern. In der Mehrzahl der Regelungen, die gesetzlicher Umsetzung bedürfen, ist offengelassen, ob die Umsetzung durch den Bund oder seine(n) Vertragspartner zu erfolgen hat. Damit steht diesen Vereinbarungen der Kompetenzkatalog des Grundgesetzes nicht im Wege. Unproblematisch ist auch Art. 8 EiV, da hier nicht geregelt wird, ob das (teilweise geändert) fortgeltende Bundesrecht als Bundes- oder Landesgesetz gilt 2 3 0 . Nur in Art. 9 EiV wird ausdrücklich geregelt, ob Regelungen als Bundesoder Landesrecht gelten. Die Abs. 2 - 4 bewegen sich bereits wegen Abs. 4 im Rahmen der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung. Auch Abs. 5 entspricht der Kompetenzverteilung des GG. Abs. 1 S. 1 regelt nicht die Qualität des fortgeltenden (DDR-)Rechts. Schließlich kann das nach Abs. 1 S. 2 fortgeltende Recht als Landesrecht fortgelten: im Bereich der konkurrierenden Bundesgesetzgebungskompetenz nach Art. 72 I GG und im Bereich der ausschließlichen nach Art. 71 GG, wobei das ZustGes. BRD zu (Art. 9 I 2) EiV insoweit zur Setzung von (bzw. Fortgeltung als) Landesrecht ermächtigt 231 . Auch Art. 9 EiV ist daher als staatsvertragliche Regelung zulässig. In Art. 37 V I 1 EiV findet sich eine Regelung darüber, was gemäß eines Beschlusses der Kultusministerkonferenz gelte. Kein Vertragspartner hat eine Kompetenz zu einer entsprechenden Regelung mit konstitutiver Wirkung; vielmehr hat Art. 37 V I 1 EiV nur deklaratorischen Charakter. Aussagen, die Kultusministerkonferenz werde bestimmte Regelungen vereinbaren (Art. 37 I I 2, IV 2 und 3 EiV), sollen die Vertragspartner erkennbar nur verpflichten, sich im Rahmen des ihnen Möglichen dafür ein-

230

Fastenrath, Bindungswirkung, S. 432. Auf diese Konstruktionsmöglichkeit wies bereits Rauschning, S. 400 hin. 231

Deutschland,

II. Staatsrechtlicher Vertrag

zusetzen, daß Beschlüsse der beabsichtigten Art von der Konferenz gefaßt werden; mehr kann der jeweils andere Vertragspartner bei objektiver Auslegung nicht erwarten. Auch diese Vertragsbestimmungen wurden also unter Wahrung der grundgesetzlichen Kompetenzen getroffen. Schließlich verpflichtet sich der Bund in Art. 35 IV 2 und V I I EiV in Ausnahmefällen zur Mitfinanzierung im kulturellen Bereich, für die er keine ausdrückliche Kompetenz besitzt (weder Verwaltungskompetenz noch Finanzierungszuständigkeit nach Art. 91a, 91b oder 104a GG). Sofern man ihm keine Kompetenz aus dem früheren Wiedervereinigungsgebot zu finanziellen Überbrückungsmaßnahmen für teilungsbedingte besondere Lasten der östlichen Länder zugestehen und die genannten Vorschriften darunter subsummieren will 2 3 2 , würde die Kompetenzwidrigkeit und damit Unwirksamkeit dieser beiden Vertragsbestimmungen aber nicht den gesamten Vertrag unwirksam machen. Somit hat sich erwiesen, daß kompetenzmäßig problematische Bestimmungen, soweit untersucht, in fast allen Fällen zulässiger Inhalt eines staatsrechtlichen Vertrages sein können. Es ist zu erwarten, daß dasselbe Ergebnis auch bei in dieser Arbeit nicht erwähnten Bestimmungen, deren Kompetenzwidrigkeit in Frage steht, erzielt werden kann; jedenfalls würde die Kompetenzwidrigkeit und damit Unwirksamkeit einer einzelnen Bestimmmung nichts an der grundsätzlichen Zulässigkeit des Inhalts des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag ändern können. Nur auf die Zulässigkeit zweier zentraler Regelungen muß abschließend noch eingegangen werden. Erstens: Konnte der Bund in Art. 4 EiV eine Verfassungsänderung vereinbaren? Davon wurde ausgegangen233. Zweitens: Wie weit hat der Bund als Partner eines Staats Vertrages die Kompetenz, sich zu binden? Die Frage berührt zum einen die Bindungswirkung aller vertraglichen Bestimmungen, zum anderen besonders den Art. 41 I I I EiV. Sie wird, da die Antwort darauf nicht die grundsätzliche Zulässigkeit der Einigungsvertrags-Regelungen als Inhalt eines Staatsvertrages beseitigen kann, erst später 234 behandelt. Die Regelungen des Einigungsvertrages können also grundsätzlich Inhalt eines Staatsvertrages unter dem Grundgesetz sein (mit dem Vorbehalt für die

232 Eine genauere Untersuchung dieser Frage muß Arbeiten über kulturelle Einigungsvertrags-Regelungen vorbehalten bleiben. 233 Siehe oben S. 22. 234 Siehe unten S. 170.

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Bindungswirkung). Ob sie diese Rechtsform angenommen haben, wird im folgenden für die verschiedenen Beitrittskonstruktionen jeweils gesondert untersucht. Die Trennung nach Varianten bei nachträglicher Entstehung erfolgt, um bei dem aus mehreren Einzelakten bestehenden ,3eitritt" erörtern zu können, welches Ereignis (Untergang als Land, als Völkerrechts-Subjekt) jeweils welche Folgen zeitigte; bei einer pauschalen „Uno actu"-Betrachtung liefe man Gefahr, zu anderen Ergebnissen zu kommen, wenn Beitritt und völliger Untergang der Deutschen Demokratischen Republik nicht zeitgleich, sondern (wie ursprünglich beabsichtigt) einige Tage hintereinander stattfänden.

4. Keine (auch) staatsvertragliche Natur schon vor dem Beitritt Der Einigungsvertrag entstand als ausschließlich völkerrechtlicher Vertrag. Wer davon ausgeht, der Einigungsvertrag verlöre mit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik seine ,Auch-Qualität" als völkerrechtlicher Vertrag und gelte deshalb nach dem Beitritt nur noch als staatsrechtlicher Vertrag 235 , übersieht entweder, daß der Einigungsvertrag der Rechtsform nach zuvor nicht (auch) staatsrechtlicher Natur war, oder geht von einer hier nicht gebilligten Rechtsnatur der Verträge zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik aus. Da der Einigungsvertrag nicht schon vor dem Beitritt als staatsrechtlicher Vertrag (seiner Rechtsform nach) existierte, kann er als solcher nur fortgelten, wenn die Entstehung bzw. Überleitung in die Form des staatsrechtlichen Vertrages begründet werden kann. Darum geht es im folgenden.

5. Staatsvertragliche Natur als Folge des Beitritts 5.1 Beitrittsvarianten „DDR vorübergehend Bundesland" In diesen beiden Varianten ist zuerst zu klären, ob im Zeitpunkt, als die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland beitrat, ein staatsrechtlicher Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik oder den östlichen Ländern, bei Vertragsschluß vertreten durch die Deutsche Demokratische Repu-

235

Klein, Einigungsvertrag, S. 571; zumindest für möglich hält dies anscheinend auch Fastenrath, BindungsWirkung, S. 430.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

blik, bestand; falls dies bejaht wird, muß in einem zweiten Schritt das Schicksal dieses staatsrechtlichen Vertrages durch den Untergang der eingegliederten Deutschen Demokratischen Republik erörtert werden.

5.1.1 Entstehung eines staatsrechtlichen Vertrages I m Normalfall - aber was ist an der deutschen Wiedervereinigung schon „normal"? - kommt ein staatsrechtlicher Vertrag durch übereinstimmende Willenserklärungen zustande. Es gibt drei Wege, die Entstehung eines staatsrechtlichen Einigungsvertrages mit der Deutschen Demokratischen Republik oder den östlichen Ländern zu begründen: entweder durch Konstruktion einer entsprechenden Einigung vor dem 3.10.1990 oder danach oder - als Ausnahme - durch Anknüpfung nur an den zuvor bestehenden völkerrechtlichen Einigungsvertrag.

a) Regulärer Abschluß eines staatsrechtlichen antizipiert vor dem Beitritt

Vertrages

aa) Vertrag zwischen BRD und Bundesland DDR (1) Konnte Völkerrechtssubjekt DDR Vertrag für Bundesland DDR abschließen? Bei der Erörterung der Rechtsnatur der Beziehungen zwischen Gliedstaat und Bund wurde bereits 236 festgestellt, daß die Rechtsnatur des Eingliederungsvertrages hier nach der Eingliederung vom Willen der Vertragspartner abhängt. Der beitretende Staat bleibt als Rechtssubjekt trotz der Eingliederung identisch. I m Falle des Einigungsvertrages ergibt sich nur ein zusätzliches, aber vom hier erörterten getrenntes Problem daraus, daß die östlichen Länder an die Stelle der Deutschen Demokratischen Republik traten. Daß die Trennung möglich ist, zeigt sich etwa darin, daß ursprünglich die Länder erst am 14.10.1990 entstehen sollten und die Deutsche Demokratische Republik so elf Tage lang tatsächlich Gliedstaat gewesen wäre 237 . Wenn der beitretende Staat für sich als Gliedstaat völkerrechtliche Rechte und Pflichten begründen kann, ist nicht ersichtlich, weshalb ihm diese Möglichkeit für staatsvertragli-

236

Siehe oben S. 73.

237

Stern, Wiederherstellung, S. 28.

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

che Rechte und Pflichten verwehrt sein sollte. Sofern eine Willensübereinstimmung über Inhalt und Rechtsnatur des Vertrages auf Seiten beider Partner vorliegt, die kein Rechtssubjekt außer sie selbst binden wird, ist ein - völkerrechtlicher oder eben staatsrechtlicher - Vertrag abgeschlossen. Allenfalls könnten Zweifel auftauchen, ob die vom einzugliedernden Staat abgegebene Erklärung noch nach der Eingliederung für das eingegliederte Land, das nun eine geänderte Verfassung haben muß, fortwirkt. So ist leicht denkbar, daß im Gliedstaat sich die Willensbildung nach anderen Regeln richtet als unter der früheren Staatsverfassung; besonders kraß mag der hypothetische Fall erscheinen, eine Deutsche Demokratische Republik mit sozialistischer Verfassung sei der Bundesrepublik Deutschland beigetreten und hätte mit dem Beitritt die Verfassung eines beliebigen Alt-Bundeslandes übernommen. Würde dann die keineswegs demokratisch legitimierte Entscheidung der Deutschen Demokratischen Republik auch die Volksvertreter des beigetretenen Landes binden? 238 Aber auch weitgehende Verfassungsänderungen ändern nichts an der Identität eines Landes. Darauf könnte sich erst auswirken die Schaffung einer neuen Verfassung kraft des pouvoir constituant mit dem Willen, alle Bindungen zum bisherigen Staat abzubrechen; das könnte allenfalls durch die Bildung der östlichen Bundesländer der Fall gewesen sein. Ein Land bleibt, schon allein um der Rechtssicherheit im Vertragswesen und der Verhütung der Umgehung des Grundsatzes „pacta sunt servanda" willen, vertraglich gebunden, auch wenn sich seine Verfassung ändert. Sonst dürften im übrigen, wollte man dem demokratischen Prinzip vollends zum Sieg über die Vertragsrechtssicherheit verhelfen, sich demokratische Staaten stets nur längstens bis zur Wahl einer neuen Gesetzgebungskörperschaft vertraglich binden. Die Deutsche Demokratische Republik konnte also schon vor dem Beitritt einen (ab Beitritt geltenden) staatsrechtlichen Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland abschließen.

238

Wer weiß, was die in Kategorien des Einheitsstaates denkende „alte" Volkskammer dem Bund vertraglich alles zugestanden hätte ...

II. Staatsrechtlicher Vertrag

(2) Hat DDR ßr Bundesland DDR gehandelt? (a) Art. 45 I EiV Der in Art. 45 I EiV für das Inkrafttreten des Vertrages genannte Zeitpunkt liegt vor der Eingliederung (er fiel auf den 29.9.1990 239 ). An diesem Datum konnte es aber, da die Deutsche Demokratische Republik noch nicht Teil der Bundesrepublik Deutschland geworden war, noch keinen staatsrechtlichen Vertrag zwischen den beiden Vertragspartnern geben. Spricht Art. 45 I EiV also gegen die Vereinbarung eines staatsrechtlichen Vertrages? Mitnichten. Denn die Parteien wollten auf jeden Fall vor dem Beitritt einen völkerrechtlichen Vertrag schließen. Den Zeitpunkt für dessen Geltungsbeginn bestimmt Art. 45 I EiV. Wenn die Parteien (auch) einen staatsrechtlichen Vertrag schließen wollten, so sollte dieser - eben weil der völkerrechtliche mit dem Beitritt unterging - ab dem Beitritt gelten; eine Bestimmung über sein Inkrafttreten, die dem Art. 45 I EiV entspräche, wäre also überflüssig, da der Zeitpunkt von den Umständen vorgegeben war. Auch aus dem Fehlen einer zu Art. 45 I EiV parallelen Regelung (für einen staatsrechtlichen Einigungsvertrag) kann daher nichts gegen die Existenz eines staatsrechtlichen Vertrages entnommen werden.

(b) Art. 45 Π EiV Ein Argument für den Abschluß als staatsrechtlicher Vertrag könnte Art. 45 Π EiV liefern, der sich mit dem rechtlichen Schicksal des Einigungsvertrages im Beitrittszeitpunkt befaßt. „Der Vertrag bleibt nach Wirksamwerden des Beitritts ... geltendes Recht." Da er kein völkerrechtlicher Vertrag mehr sein sollte 240 , könnte er nach dem wiedergegebenen Wortlaut als staatsrechtlicher Vertrag fortgelten sollen; jedenfalls läge dies nach dem (lückenhaften) Zitat am nächsten. So interpretiert, enthielte Art. 45 I I EiV expressis verbis den Abschluß eines ab Beitritt geltenden staatsrechtlichen Vertrages. In der Tat sehen mehrere Autoren Art. 45 I I EiV als Ausdruck für die Fortgeltung des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag 241 . Freilich lassen die im obigen Zitat wohlweislich ausgesparten Worte „als Bundesrecht" Art. 45 Π EiV in einem anderen Licht erscheinen. Bundesrecht

239

BGBl. 1990 II S. 1360.

240

Siehe oben S. 75. Brunner, S. 2; Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 14; Klein, Einigungsvertrag, S. 571; von Münch, Deutschland, S. 868. 241

7 Wagner

98

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

wird im allgemeinen als Gegensatz zu Landesrecht definiert 242 , nicht als Gegensatz zu Völkerrecht. Schon deshalb verbietet es sich, dem Ausdruck des Bundesrechts den Sinn „innerstaatliches Recht der Bundesrepublik" zu geben und so in Art. 45 I I EiV die Fortgeltung als staatsrechtlicher Vertrag angeordnet zu sehen. Ein Staatsvertrag ist aber kein vom Bund gesetztes, kein Bundesrecht. Aus Art. 45 Π EiV ergibt sich schon des Wortes „Bundesrecht" wegen also nicht den Abschluß eines Staatsvertrages ab Beitritt. Auch das Wort „bleibt" könnte, im Zusammenhang mit ,3undesrecht", gegen eine solche Interpretation sprechen. Wenn der Einigungsvertrag Bundesrecht auch nach der Vereinigung bleibt, könnte Art. 45 I I EiV davon ausgehen, daß er es auch zuvor schon war. Wie gerade dargelegt, kann der Einigungsvertrag vor dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik aber kein staatsrechtlicher Vertrag gewesen sein (der Rechtsform nach), durchaus aber - in Verbindung mit Art. 1 ZustGes. BRD - gesetzliches Bundesrecht. Indes ist dieses Argument recht schwach, weil Art. 45 Π EiV nicht nur im dargelegten Sinn („Der EiV bleibt, was er war, nämlich Bundesrecht"), sondern auch folgendermaßen verstanden werden könnte: „Der Einigungsvertrag bleibt geltend, und zwar nunmehr als Bundesrecht." Die erste Interpretation wird teilweise gestützt durch die gemeinsame Begründung zu Art. 45 I I EiV durch Bundesregierung 243 und BT-Fraktionen der Regierungsparteien 244, in der es heißt: Diese Vorschrift regele das Schicksal des Vertrages, „der mit Inkrafttreten des Vertragsgesetzes Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland wird", also der gesetzlichen Vertragsbestimmungen; als Vertrag war der Einigungsvertrag zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ZustGes. BRD am 29.9.1990 (Art. 10 I ZustGes. BRD) nämlich noch völkerrechtlicher, nicht innerstaatlicher Rechtsnatur. Auch daß in der Begründung aus dieser Fortgeltungsbestimmung die Abänderbarkeit der fortgeltenden Bestimmungen gefolgert wird, spricht dafür, daß ihre Verfasser für Art. 45 I I EiV eher den Gesetzescharakter der Einigungsvertrags-Regelungen im Auge hatten als einen Vertragscharakter 245; denn einseitig abändern kann der Bund eigene Gesetze unproblematischer als Verträge. A u f der anderen Seite halten die Autoren der Begründung fest, daß bei solchen Änderungen u.a. „die im Vertrag vorgesehenen Regelungen zu be-

242

Creifelds,

243

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. folgender Fußnote.

Art. „Bundesrecht".

244

BT-Drs. 11/7760, S. 377.

245

Anker, Einigungsvertrag, S. 1065; Fastenrath, Bindungswirkung, S. 430.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

achten" seien, die besondere Rechte auf Dauer garantierten 246 . Sie gehen also von einer Bindung des Bundes durch zumindest einige Einigungsvertrags-Bestimmungen auch noch nach dem Beitritt aus. Da dann der Einigungsvertrag als völkerrechtlicher Vertrag nicht mehr existiert, müßte, wenn die Bindung durch Vertrag bewirkt wird, doch ein staatsrechtlicher Vertrag abgeschlossen worden sein. Jedenfalls würde die vertragliche Bindung auch danach nicht durch die Vorschrift des Art. 45 Π EiV bewirkt werden, sondern nach dem (in der Begründung zum Ausdruck gekommenen) Willen eines Vertragspartners als Rechtsquelle (sofern er vom anderen Partner akzeptiert wurde). Eine Stellungnahme der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik als des zweiten Vertragspartners speziell zu Art. 45 I I EiV scheint nicht vorzuliegen. Bislang hat sich nur gezeigt, daß Art. 45 I I EiV kein Argument für den Abschluß eines ab Beitritt geltenden staatsrechtlichen Vertrages entnommen werden kann. Aber er spricht aus zwei Gründen sogar gegen eine besondere Vereinbarung eines staatsrechtlichen Vertrages: Zum einen bestünde, wäre die Fortgeltung als Staatsvertrag vereinbart, der Einigungsvertrag als Vertrag weiter, und dann hätte auch das bundesdeutsche Zustimmungsgesetz weiterhin ohne Probleme ein Bezugsobjekt. Die Fortgeltungsregelung für den gesetzlichen Einigungsvertrag in Art. 45 Π EiV wäre dann schlicht überflüssig; selbst zu einer deklaratorischen Feststellung gäbe es keinen Anlaß. Hätte zum andern in Art. 45 I I EiV selbst erst die Fortgeltung des Vertrages angeordnet werden sollen, dann wäre in ihm - wenigstens neben der des Gesetzes - auch die des Vertrages ausdrücklich angeordnet worden, wenn sogar schon die des Gesetzes explizit normiert wird. Im Ergebnis ist daher den Autoren 247 zuzustimmen, die Art. 45 Π EiV nicht als Begründung eines staatsrechtlichen Vertrages, gültig ab Beitritt, interpretieren.

(c) Art. 44 EiV Kann Art. 44 EiV, der, wie Art. 45 EiV, im Kapitel über Übergangsbestimmungen steht, eine Vereinbarung entnommen werden, der Einigungsvertrag solle ab Beitritt als staatsrechtlicher Vertrag gelten? Immerhin wollte,

246

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

247

Anker, Einigungsvertrag,

Maunz/Zippelius,

S. 421.

S. 1065;

Fastenrath,

Bindungswirkung,

S. 430;

100

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

wie gezeigt 248 , die Deutsche Demokratische Republik als Initiatorin dieser Vorschrift mit ihr die Bindungswirkung des Vertrages über den Beitritt hinaus sichern. Dies wäre bei Abschluß eines staatsrechtlichen Vertrages, der zumindest nicht wegen Unterganges der Deutschen Demokratischen Republik als Völkerrechtssubjekt erlöschen kann, zumindest eher möglich als bei Abschluß nur eines völkerrechtlichen Vertrages. Tatsächlich nimmt Klein 2 4 9 an, aus Art. 44 EiV ergebe sich, daß der Einigungsvertrag (staatsrechtlicher) Vertrag bleibe, und der DDR-Autor Brunner 250 sieht in Art. 44 EiV eine Regelung, die dem Einigungsvertrag „seinen Charakter als rechtsverbindliche Vereinbarung" (Hervorhebung durch Verf.) sichert. Zunächst einmal gibt der Wortlaut des Art. 44 EiV gar nichts für eine solche Auslegung her. Er regelt nur Befugnisse (oder Rechte) der östlichen Länder, könnte allenfalls also Beleg für den Abschluß eines staatsrechtlichen Vertrages mit ihnen sein 251 . Auch regelt Art. 44 EiV nur die Wahrnehmung der vertraglichen Rechte eines Vertragspartners; hätte in ihm die Fortgeltung als staatsrechtlicher Vertrag angeordnet werden sollen, dann hätte er die Rechte beider Vertragspartner betroffen bzw. auch Pflichten der Deutschen Demokratischen Republik begründen müssen. Schließlich spricht gegen die Interpretation des Art. 44 EiV als Quelle eines staatsrechtlichen Vertrages, daß die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartner in dieser Vorschrift nur eine Vereinbarung prozessualen Inhalts sah 252 , also mit ihrer Zustimmung zu Art. 44 EiV nicht beabsichtigte, dadurch materiellrechtlich einen staatsrechtlichen Vertrag (zusätzlich) abzuschließen. Art. 44 EiV ist daher kein Beleg für den Abschluß eines ab Beitritt geltenden staatsrechtlichen Vertrages. Wieder stellt sich die Frage, ob der Vorschrift nicht nur nichts für, sondern auch Argumente gegen einen Abschluß des Einigungsvertrages als Staatsvertrag zu entnehmen sind. Auch wenn ein staatsrechtlicher Vertrag mit der Deutschen Demokratischen Republik bestanden hätte, wäre doch fraglich gewesen, wie die vertraglichen Regeln nach dem vollständigen Untergang der Deutschen Demokratischen Republik zu wahren sind. Art. 44 EiV hätte daher auch in diesem Fall seinen Sinn.

248

Siehe oben S. 53.

249

Klein, Einigungsvertrag, S. 571.

250

Brunner, S. 2.

251

Dazu siehe unten S. 110. Siehe oben S. 54.

252

II. Staatsrechtlicher Vertrag

101

Fastenrath 253 argumentiert, Art. 44 EiV wäre überflüssig, wenn der Einigungsvertrag nach dem Beitritt noch ein bindender (staatsrechtlicher) Vertrag sei; denn dann ergäbe sich das in Art. 44 EiV normierte Klagerecht der Länder aus der vertraglichen Position, und zwar für Rechte zugunsten der Länder direkt, für Rechte der Deutschen Demokratischen Republik nach der CoburgRechtsprechung des BVerfG. Dem ist entgegenzuhalten: Art. 44 EiV sollte die Coburg-Rechtsprechung für den Einigungsvertrag positivieren 254 . Die Fixierung bisher nur in der Rechtsprechung gebildeter und angewandter Regeln macht durchaus Sinn, da sie der Regel eine präzise und verbindliche Form gibt durch Festlegung auf einen bestimmten Wortlaut, damit auch einer Änderung der Rechtsprechung vorbeugt und von vornherein keine Zweifel an der Anwendbarkeit der Regel auf den konkreten Fall aufkommen läßt. Außerdem weicht Art. 44 EiV in Einzelheiten von der CoburgRechtsprechung ab; diese sieht zum Beispiel als Rechtsfolge eine gemeinsam von allen Selbstverwaltungskörperschaften auszuübende Aktivlegitimation vor, während Art. 44 EiV jedes einzelne Land berechtigt. Eine Positivierung war somit schon deshalb geboten, um diese Änderungen als Recht zu setzen. Auch für Rechte zugunsten der Länder selbst behält Art. 44 EiV bei Geltung des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag seinen Sinn: So kann der Vorschrift erstens entnommen werden, daß im Einigungsvertrag überhaupt die Länder (als Dritte) berechtigt (und nicht nur begünstigt) werden sollen, und zweitens, daß diese Rechte von den Ländern einzeln, nicht nur gemeinsam, geltend gemacht werden können. Schließlich widerspricht Fastenrath sich selbst, wenn er für Art. 44 EiV selbst doch eine vertragliche Bindung (woher?) befürwortet 255. Art. 44 EiV spricht somit nicht gegen eine Geltung des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag. Eine Vorschrift im Einigungsvertrag, die ausdrücklich die Geltung des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag ab Beitritt anordnet, existiert aber nicht.

253 254 255

Fastenrathy BindungsWirkung, S. 430. BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 17. Sitzung, S. 562 C. Fastenrathy

Bindungs Wirkung, S. 430.

102

A. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

(d) Vertragspartner dachten nicht an Bundesland DDR Zu beachten ist, daß es keine Anhaltspunkte dafür gibt, die Vertragspartner hätten sich den Beitritt in der hier untersuchten Konstruktionsvariante vorgestellt. Daß es, sei es auch nur für eine logische Sekunde, die Deutsche Demokratische Republik als Bundesland geben würde, haben sie, spätestens seit Vereinbarung der Vorverlegung der Ländereinführung vom 14.10.1990 auf den 3.10.1990, nicht vor Augen gehabt. Unter diesen Umständen ist es müßig, nach einem Willen der Vertragspartner zu fahnden, einen staatsrechtlichen Vertrag speziell mit der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Beitritt in Kraft zu setzen.

(e) Direkte Äußerungen der Vertragspartner zur Geltung als staatsrechtlicher Vertrag Immerhin könnten sich die Vertragspartner aber Vorstellungen darüber gemacht haben, ob nach dem Beitritt überhaupt (noch) ein staatsrechtlicher Vertrag existiert. Auf die unwidersprochen gebliebene Äußerung eines Parlamentariers im BT-Ausschuß Deutsche Einheit, nach dem Beitritt existiere der Vertragspartner Deutsche Demokratische Republik nicht mehr, wurde bereits hingewiesen 256 . Sie könnte nahelegen, daß der Parlamentarier dann auch vom Fehlen jeglichen Vertrages ausging — aber mitnichten: Er hält die Bindungswirkung - mithin auch einen Völker- oder staatsrechtlichen Vertrag - für fortdauernd. Eine ausdrückliche Äußerung im Bundestag oder der Bundesregierung im Laufe des Vertragsabschlußverfahrens direkt zum vertraglichen Schicksal des Einigungsvertrages ab dem Beitritt scheint, abgesehen von den Hinweisen auf die Coburg-Rechtsprechung (dazu sogleich), nicht vorzuliegen. Das verwundert nicht, da der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsform der zu treffenden Überleitungsregeln prinzipiell gleichgültig war 257 und es in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit zwischen Beginn der Vertragsverhandlungen und der Ratifikation weitaus drängendere, inhaltliche Probleme zu diskutieren gab. Auf Seiten der Deutschen Demokratischen Republik, die naturgemäß weit stärker an dem Schicksal des Einigungsvertrages nach ihrem Beitritt interessiert war, wurde dagegen in Volkskammer-Debatten zu diesem Thema

256 257

Siehe oben S. 55. Siehe oben S. 56.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

10

Stellung bezogen. Dabei gingen die Meinungen auseinander: Der Regierungschef war der Ansicht, der Vertrag ermögliche wegen der Wahl der Rechtsform die Wahrung von Rechten für die Bürger der östlichen Länder nach dem Beitritt 258 ; er ging also von einer vertraglichen Fortgeltung des Einigungsvertrages aus (da eine völkerrechtliche nicht vereinbart war 259 , konnte nur die Fortgeltung als Staatsvertrag gemeint sein). Dagegen äußerten Vertreter der Opposition Zweifel an den vermeintlichen Garantien, da der Einigungsvertrag nach dem Beitritt nur abänderbares Bundesrecht sei 260 , bzw. behaupteten, er sei dann unverbindlich 261 ; sie gingen also möglicherweise nicht von der Fortgeltung als Vertrag aus, nämlich sofern sie nicht annahmen, der Vertrag verlöre mit dem Beitritt nur seine Bindungswirkung. Jedenfalls lassen ihre Äußerungen nicht mehr den sicheren Schluß zu, die Volkskammer sei geschlossen von einer Geltung des Einigungsvertrages als - in der Regel verbindlicher - Staatsvertrag in der Zeit nach dem Beitritt ausgegangen. Eine unzweideutige Haltung direkt zur Geltung des Einigungsvertrages als Staatsvertrag hatte demnach keiner der Vertragspartner. Allerdings ist zumindest denkbar, daß von den Vertragsparteien übereinstimmend gewollte Rechtsfolgen 262 sich nur bei der Annahme ergäben, der Einigungsvertrag habe unmittelbar nach dem Beitritt als staatsrechtlicher Vertrag zwischen Bundesrepublik Deutschland und der eingegliederten Deutschen Demokratischen Republik bestanden. In diesem Fall wird man, um dem Willen der Vertragspartner gerecht zu werden, aus ihrem Willen doch auf die Geltung des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag schließen können, soweit der Einigungsvertrag nicht schon aus anderen Gründen als staatsrechtlicher Vertrag fortgilt, dadurch nicht Brüche mit anderen, ausdrücklichen Vertragsvereinbarungen auftreten oder mindestens eine Partei bewußt keinen staatsrechtlichen Vertrag abschließen wollte. Folgende Absichten der Vertragspartner sind insoweit von Belang: die gewollte Übernahme der Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sich gerade mit der Folge der Eingliederung für den Vertrag befaßt, die Entscheidung für die Rechtsform des Vertrages und die zur Bindungswirkung der Einigungsvertrags-Regelungen.

258

Stenographische Niederschrift 6.9.1990, S. 160 f. Siehe oben S. 75. 260 Stenographische Niederschrift 13.9.1990, S. 214. 261 Stenographische Niederschrift 20.9.1990, S. 296. 262 Vorausgesetzt, der Beitritt hätte sich, wie in Variante l.a/2.a konstruiert, abgespielt, was zur Zeit unterstellt wird. 259

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Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

(f) Übernahme der Coburg-Rechtsprechung gewollt Die Bundesregierung wollte für den Einigungsvertrag die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts übernehmen, ohne daß sie die unterschiedliche (im Falle des Einigungsvertrages völkerrechtliche) Ausgangslage bedachte263. Das Gericht hatte angenommen, die Eingliederungsverträge seien als innerstaatliche Verträge zwischen Ländern auch nach der Eingliederung gültig, wobei es den untergegangenen Vertragspartner als fortbestehend fingierte. Die Bundesregierung ging also bei Vertragsschluß davon aus, der Einigungsvertrag sei zwischen ihr und der Deutschen Demokratischen Republik auch nach dem Beitritt gültig, und zwar als vom Bundesverfassungsgericht kontrollierbarer, mithin innerstaatlicher Vertrag 264 . Dies spricht für ihre Zustimmung zu einem Abschluß eines ab Beitritt geltenden staatsrechtlichen Vertrages. Das Gegenargument lautet: Gerade weil die Bundesregierung diese Coburg-Rechtsprechung im Blick gehabt habe, sei sie von der „automatischen" Fortgeltung des Einigungs Vertrages als staatsrechtlicher Vertrag ausgegangen; deshalb war für sie ein zusätzlicher Abschluß eines staatsrechtlichen Vertrages überflüssig, und ein entsprechender Wille könne ihr folglich nicht unterstellt werden. Dagegen könnte sprechen, daß die Bundesregierung die Rechtsfolge laut (ihrer Anwendung der) Coburg-Rechtsprechung bewußt im (Art. 44) EiV vereinbart hat 265 , also nicht nur auf den Automatismus vertraut hat. Jedoch sollte in Art. 44 EiV nur die Aktivlegitimation für die spätere Durchsetzung von Rechten der Deutschen Demokratischen Republik fixiert werden; die Fortgeltung des Vertrages ist in dieser Vorschrift nicht geregelt, sondern liegt ihr gedanklich zugrunde. Das Gegenargument überzeugt also. Spricht Art. 44 EiV womöglich gegen die Vereinbarung eines staatsrechtlichen Vertrages? Daraus, daß bei der Coburg-Rechtsprechung das Bundesverfassungsgerichts nicht annahm, der Eingliederungsvertrag gelte unter der Verfassung des eingliedernden Landes fort, kann nicht entnommen werden, die Bundesregierung wollte dann auch nicht, daß der Einigungsvertrag unter dem Grundgesetz, also als staatsrechtlicher Vertrag, fortgelte. Denn diese Konsequenz ergibt sich nur daraus, daß der Einigungsvertrag ursprünglich, anders als die vom Bundesverfassungsgericht beurteilten Verträge, ein völkerrechtlicher Vertrag war; diesen Unterschied hatte man bei der Übertragung

263

Siehe oben S. 54 f. Klein (Einigungsvertrag, S. 571) hat danach insoweit recht, als er in dem Willen der Bundesregierung ein Argument für die staatsvertragliche Geltung des Einigungsvertrages sieht. 265 Siehe oben S. 101. 264

II. Staatsrechtlicher Vertrag

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der Coburg-Rechtsprechung auf den Einigungsvertrag aber gerade nicht im Blick. Dem Art. 44 EiV kann also zur Vereinbarung eines staatsrechtlichen Vertrages nichts entnommen werden.

(g) Sinn der Vertragsform Einige Autoren vertreten die Ansicht, der Sinn eines Eingliederungsvertrages erfordere stets die Fortgeltung als Vertrag auch nach der Eingliederung 2 6 6 . Dies müßte im Falle des Einigungsvertrages, der als völkerrechtlicher Vertrag nicht fortgilt, zu dessen Geltung als Staatsvertrag führen. Dem hält Anker entgegen, daß damit noch nicht begründet sei, warum Eingliederungsverträge weitergelten 267 , und lehnt ihre Fortgeltung wegen ihres Regelungszweckes ab 268 . Es widerspräche dem Sinn der Eingliederung, das beitretende Gebiet unter die Verfassung des eingliedernden Staates als ausschließliche Kompetenzverteilungsregel zu stellen, wenn die Verfassung wegen vertraglicher Sonderbestimmungen doch nicht voll zum Zuge käme 269 . Es ist leicht zu sehen, daß die verschiedenen Ergebnisse der Autoren auf unterschiedlichen Ansichten über den (Haupt-)Sinn und Zweck eines Eingliederungsvertrages beruhen. Um für den Einigungsvertrag die Frage beantworten zu können, ob aus seinem Sinn und Zweck notwendigerweise die vertragliche Fortgeltung folge, ist zunächst zu klären, worin sein (Haupt-) Sinn und Zweck besteht. Dafür werden die Absichten der Vertragspartner ausschlaggebend sein. Vorweg seien aber die denkbaren Gründe zusammengestellt, deretwegen man anläßlich der Staateneingliederung einen Vertrag schließt, und untersucht, ob sie jeweils die vertragliche Fortgeltung erfordern.

266

Fastenrath, Bindungs Wirkung, S. 430; Weis, Fragen, S. 13 f., der zum Beleg auf Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 9 verweist, obwohl Frowein dort nicht eine pauschale Fortgeltung von EingliederungsVerträgen annimmt, sondern nur in einzelnen Fällen (für lokalisierte Völkerrechtsverträge, ferner als Beispiele für von der h.M. angenommene Fortgeltung in Indien, Schweiz und der BRD, mit jeweils unterschiedlicher Begründung). 267

Anker, Einigungsvertrag, S. 1065 Anm. 34.

268

Anker, Einigungsvertrag, S. 1062.

269

Anker, Wiedervereinigungsgebot, S. 211 f.

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. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

- Erstens könnte der Vertrag nur ein Instrument sein, um notwendige Regeln für den Übergang, zum Beispiel des Vermögens und der Verträge der Deutschen Demokratischen Republik, und für das Inkrafttreten bundesdeutscher Gesetze auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zu treffen. Da solche Regeln ebensogut gesetzlich getroffen werden können, erzwänge diese Zielsetzung nicht die Fortgeltung als Vertrag. - Zweitens könnte die Wahl der Vertragsform sicherstellen sollen, daß die Deutsche Demokratische Republik bei dem Erlaß der genannten Übergangs- und Überleitungsregeln beteiligt wurde, Ideen und Wünsche beisteuern konnte u.ä.; denn wären die Regeln als Gesetze ergangen, wären sie ja nur von (alt-)bundesdeutscher Seite getroffen worden. Auch in diesem Fall wäre eine Fortgeltung als Vertrag nach dem Beitritt nicht notwendig, weil das Ziel mit der Beteiligung der Deutschen Demokratischen Republik bei der Vertragserarbeitung bereits erreicht wäre. - Drittens könnte der Vertrag sicherstellen sollen, daß die vor dem Beitritt beschlossenen Übergangsregelungen nicht einseitig durch die Bundesrepublik Deutschland noch vor dem Beitritt geändert würden; mit anderen Worten: Der Vertrag hätte der Deutschen Demokratischen Republik die Gewißheit verschafft, welche Rechtslage im Zeitpunkt des Beitritts für ihr Gebiet in Kraft gesetzt werden würde; von dieser Gewißheit hätte etwa ihre Beitrittserklärung abhängen können. Wieder folgt daraus nicht notwendig, daß der Vertrag auch nach dem Beitritt als Vertrag fortgelten müsse. - Viertens könnte die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die Vertragsform gewählt haben, weil so, anders als bei einer Regelung der Überleitung durch Gesetz, dem Gesetzgeber Änderungen der Regelungen im Gesetzgebungsverfahren verwehrt waren, da er einem (völkerrechtlichen) Vertrag nur insgesamt zustimmen oder ihn ablehnen kann. Dieser Zweck muß übrigens nicht (nur) auf das Streben vòn Regierung und Verwaltung nach größerem Einfluß auf die Übergangsregeln zurückgehen; er kann (auch) damit begründet werden, daß eine Zustimmung en bloc das möglicherweise langwierige Gesetzgebungs- (einschließlich Vermittlungs-)Verfahren abkürze und so die Übergangsregeln schneller in Kraft treten könnten ( - vermeintlichen - Anlaß zur Eile könnte die günstige außenpolitische Konstellation ebensogut geboten haben wie die zunehmend labilere innenpolitische Lage in der Deutschen Demokratischen Republik). Eine Fortgeltung als Vertrag auch nach dem Beitritt erfordert auch dieser Grund für die Vertragsform nicht. - Fünftens könnte der Vertrag Garantien für Rechtssubjekte des beitretenden Gebietes (möglicherweise die östlichen Bundesländer, andere Selbstverwaltungskörperschaften, Privatrechtssubjekte) im vereinten Deutschland

II. Staatsrechtlicher Vertrag

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begründen sollen. Rechte zugunsten dieser Personen könnte auch ein Gesetz mit dem Inhalt des Einigungsvertrages begründen. Nur wenn zusätzlich beabsichtigt war, daß diese Rechte (oder wenigstens ein Recht) auch eine Garantie gegenüber dem bundesdeutschen Gesetzgeber sein sollte, genügt die Fortgeltung als einfaches Gesetz nicht mehr: Entweder muß solch eine Garantie Verfassungsbestandteil werden (dann unterläge sie allerdings immerhin noch dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers), oder sie ergibt sich aus einer vertraglichen Bindung der Bundesrepublik Deutschland (wobei allerdings fraglich ist, ob und ggf. wie weit eine Bindungswirkung nach dem Beitritt besteht). Nur in diesem fünften Fall lohnt sich also überhaupt, näher zu untersuchen, ob aus dem beabsichtigten Zweck eine Fortgeltung als Vertrag notwendig folgt. Sollten also im Einigungsvertrag (auch) Rechte von Subjekten vereinbart werden, die auch gegenüber dem Gesetzgeber des vereinten Deutschland Bestand haben sollten? Besonderes Interesse daran hätte vor allem die Deutsche Demokratische Republik gehabt. Ihr Regierungschef war, wie der Leiter der bundesdeutschen Verhandlungsdelegation berichtet 270 , gegen eine nur gesetzliche Regelung der Überleitungsmaßnahmen; auch vor der Volkskammer bekundete Ministerpräsident de Maizière, nur ein Vertrag könne Rechte wahren 271 . Da auch ein bundesdeutsches Gesetz Rechte der Bürger der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik hätte begründen können, muß er bei seinen Ausführungen solche Rechte im Sinn gehabt haben, die, anders als gesetzliche, auch den gesamtdeutschen Gesetzgeber binden. Der bundesdeutschen Seite wird bei einer interessetypischen Betrachtung weniger an der Begründung so starker Rechte im Einigungsvertrag gelegen haben. Doch überraschend bekennen Regierung 272 wie Regierungs-Fraktionen im Bundestag273 in ihrer Begründung zu Art. 45 Π EiV, der Gesetzgeber habe bei Änderungen „die im Vertrag vorgesehenen Regelungen zu beachten, durch die besondere Rechte auf Dauer garantiert werden (vergleiche Artikel 41 Abs. 3) oder durch die im Interesse einer schrittweisen Anpassung der unterschiedlichen Verhältnisse besondere Fristen vereinbart worden sind." Auch der Wortlaut des Art. 41 I I I EiV zeigt, daß - wenigstens in dieser Vorschrift - eine Verpflichtung, die auch den gesamtdeutschen Gesetzgeber trifft, begründet werden soll.

27 0 271 272 273

Schäuble, Vertrag, S. 14. Stenographische Niederschrift 6.9.1990, S. 160 f. BT-Drs. 11/7841 i.V.m. folgender Fußnote. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

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Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Es ist im Einigungsvertrag somit (mindestens) eine Pflicht vereinbart worden, die auch der Bundesgesetzgeber nicht ändern können soll. Zwingt dies nun zur Annahme der vertraglichen Fortgeltung? Art. 41 ΠΙ EiV begründet seinem Wortlaut nach eindeutig nicht nur eine Verpflichtung für den einfachen Gesetzgeber, sondern für alle Organe und Institutionen der Bundesrepublik Deutschland, also auch den verfassungsändernden Gesetzgeber. Eine Fortgeltung (nur) in Form einer verfassungsrechtlichen Bestimmung würde dem Art. 41 I I I EiV also nicht gerecht 274. Das einzige Rechtsinstrument, das, falls überhaupt, eine entsprechende Bindung bewirken kann, ist somit ein Vertrag. Da die Vertragsform somit auch deshalb gewählt wurde, um (wenigstens) eine Pflicht des (Verfassungs-)Gesetzgebers für die Zeit nach dem Beitritt zu begründen, spricht der Sinn des Einigungsvertrages für den - nur staatsrechtlich möglichen - Fortbestand des Einigungsvertrages als Vertrag. Streng genommen, ist damit nur ein staatsrechtlicher Vertrag insoweit notwendig, als Pflichten mit entsprechend starker Bindungswirkung begründet werden sollten; allerdings geht nirgendwo etwas dafür hervor, daß die Vertragsparteien für möglich hielten, verschiedene Vertragsteile würden in verschiedenen Rechtsformen nach dem Beitritt fortgelten.

(h) Art. 40 I EiV Schließlich bleibt zu erörtern, ob aus anderen Bestimmungen des Einigungsvertrages Argumente für oder gegen die staatsvertragliche Geltung des Einigungsvertrages ab Beitritt folgen. Hierbei ist auf Art. 40 I EiV einzugehen, der sich mit dem Parallelproblem des Fortbestandes des kurz zuvor zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik geschlossenen sog. Staatsvertrages befaßt. In Art. 40 I EiV vereinbaren die Vertragspartner die grundsätzliche Fortgeltung der Vereinbarungen aus dem Staatsvertrag, und zwar nicht nur der Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland (so, wie in Art. 44 EiV geschehen). Sie sehen diesen Vertrag also (zumindest teilweise) als fortbestehend an, ohne daß sie, wie in Art. 45 I I EiV für den Einigungsvertrag, den Fortbestand als Bundesrecht, d.h. die Fortgeltung als Gesetz, im Auge haben. Dafür spricht ferner, daß sie nicht den Fortbestand der Regelungen des Staatsvertrages, sondern der (vertraglichen) Verpflichtungen vereinbarten,

274 Eine Aufnahme in den Katalog des Art. 79 III GG, die ebenfalls eine Garantie gegen über dem verfassungsändernden Gesetzgeber bewirken könnte, ist ersichtlich nicht vorgenommen.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

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also das vertragsmäßige Element betonten. Da der Staatsvertrag ebensowenig wie der Einigungsvertrag nach dem Beitritt noch als völkerrechtlicher Vertrag fortgelten kann (die Ergebnisse des Gliederungspunktes I. sind erst recht auf den nicht anläßlich der Eingliederung geschlossenen Staatsvertrag übertragbar), müssen die Parteien somit von seiner Fortgeltung als staatsrechtlicher Vertrag ausgegangen sein. Wenn sie von der Fortgeltung eines nicht anläßlich der Eingliederung abgeschlossenen Vertrages zwischen ihnen ausgehen (beim Abschluß des Staatsvertrages war der frühzeitige Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland noch alles andere als sicher, vgl. nur die für 1991 getroffenen Regelungen in Art. 27 I, 28 I StV), dann liegt es nahe, daß sie erst recht auch von der vertraglichen Fortgeltung des - nach dem Staatsvertrag geschlossenen - Einigungsvertrages ausgingen, der die Fortgeltungsvereinbarung enthält.

(i) Zusammenfassung Für die Vereinbarung der Geltung des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag ab dem Beitritt wurde angeführt die Bindungswirkung insbesondere des Art. 41 I I I EiV und ein Erst-recht-Schluß aus der in Art. 40 I EiV vereinbarten vertraglichen Fortgeltung des Staats Vertrages. Sowohl die Bindungswirkung als auch Art. 40 I EiV rechtfertigen die „Hineininterpretation" des Abschlusses eines staatsrechtlichen Vertrages in den Willen der Vertragsparteien aber nur, wenn der Einigungsvertrag nicht schon automatisch als staatsrechtlicher Vertrag weitergilt. Daß die Parteien selbst davon ausgingen, würde auf der anderen Seite auch erklären, warum sie keine Art. 45 I I EiV entsprechende Parallelbestimmung für die vertragliche Fortgeltung trafen. In dieser Interpretation stellt Art. 45 Π EiV für den Fall, daß sich die Grundüberlegung der Vertragspartner als falsch erweisen sollte, auch kein Hindernis dar, dem Willen der Vertragspartner zur Realisierung zu verhelfen, indem man den Abschluß eines staatsrechtlichen Vertrages „herbeikonstruiert". Es bleibt festzuhalten: Die Parteien gingen davon aus, der Einigungsvertrag gelte nach Beitritt als staatsrechtlicher Vertrag fort. Dies rechtfertigt die Annahme eines Abschlusses als (durch den Beitritt aufschiebend befristeten) staatsrechtlichen Vertrages nur in dem Fall, in dem der Einigungsvertrag nicht bereits „automatisch" ab Beitritt als staatsrechtlicher Vertrag gilt.

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Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

bb) Vertrag zwischen BRD und neuen Bundesländern Hat die Deutsche Demokratische Republik den Einigungsvertrag als ab Beitritt geltenden staatsrechtlichen Vertrag für die östlichen Länder geschlossen? Hier ist schon sehr fraglich, ob die Deutsche Demokratische Republik für ein solches Handeln für die zukünftigen Länder überhaupt befugt war. Es mag hier auf sich beruhen. Denn im großen und ganzen sprechen dieselben Gründe, die gegen einen Wechsel des Partners des völkerrechtlichen Vertrages sprachen 275, auch gegen eine Stellung der östlichen Bundesländer als Partner eines staatsrechtlichen Vertrages. Art. 44 EiV als einzig in Betracht kommende 276 Fixierung einer Vertragspartnerstellung der Länder spricht nur von Rechtswahrung, begründet aber keine Pflichten der Länder. Die Entstehungsgeschichte des Art. 44 EiV belegt, daß gerade keine „Nachfolge", also kein Eintritt der Länder in die Stellung als voller Vertragspartner, beabsichtigt war. Die Bemerkung Minister Krauses in der Volkskammer 277 spricht ebenfalls gegen eine Stellung der Länder als Vertragspartner, ebenso die beabsichtigte Übernahme der Coburg-Rechtsprechung, in der das Bundesverfassungsgericht nicht von der Vertragspartnerstellung der Selbstverwaltungskörperschaften des eingegliederten Gebietes ausgegangen war. Und der bewußte Verzicht auf eine Vertragsratifikation durch die Landessprecher spricht auch gegen die - denkbare - Konstruktion, diese hätten für die Länder vorab bereits dem Einigungsvertrag als staatsrechtlichem Vertrag zugestimmt. Der Einigungsvertrag ist daher nicht vor dem Beitritt als (staatsrechtlicher) Vertrag zwischen Bundesrepublik Deutschland und den östlichen Bundesländern geschlossen worden.

275 27 6 277

Siehe oben S. 57. Anker, Einigungsvertrag, S. 1065 Anm. 36. Stenographische Niederschrift 13.9.1990, S. 206.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

b) Regulärer Abschluß eines staatsrechtlichen konkludent nach dem Beitritt

11

Vertrages

Die Geltung der Verträge der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bund (1870) als staatsrechtliche Verträge für die Zeit nach 1918 begründet Ficker, der die Verträge bis 1918 als völkerrechtliche ansieht, soweit sie die Kompetenz-Kompetenz des Gesamtstaates achten und der Weimarer Reichsverfassung nicht widersprechen - damit, es sei ein „stillschweigender Neuabschluß auf staatsrechtlicher Grundlage" 278 erfolgt, der zu einer ,,',Novierung' des Geltungsgrundes" 279 geführt habe. Ist ein stillschweigender Neuabschluß des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag nach dem Beitritt anzunehmen? Dieser Neuabschluß kann, soll er nicht gänzlich fiktiv sein, nur aus einem mehr oder weniger lang andauernden Verhalten der (potentiellen) Vertragspartner abgeleitet werden. Aus diesem Grunde scheidet bereits ein Neuabschluß des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik aus, weil letztere nur für eine logische Sekunde als Teil der Bundesrepublik Deutschland existierte. Ein konkludenter Vertragsabschluß zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den an die Stelle der Deutschen Demokratischen Republik getretenen östlichen Ländern hingegen wäre kein Neuabschluß, sondern der erstmalige Abschluß eines Vertrages zwischen diesen Rechtssubjekten. Hier verbietet schon die Tatsache, daß Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik die Länder bewußt nicht als Partner eines (staatsoder völkerrechtlichen) Vertrages einsetzten, die Annahme eines konkludenten Vertragsabschlusses. Denn in diesem Kontext erlaubt die „Untätigkeit" der Bundesrepublik Deutschland nicht den Schluß, diese werde schon den Einigungsvertrag als staatsrechtlichen Vertrag mit den östlichen Bundesländern gelten lassen wollen. Der Einigungsvertrag ist somit nicht als staatsrechtlicher Vertrag nach dem Beitritt neu geschlossen worden.

27 8

Ficker,

S. 160.

27 9

Ficker,

S. 159.

1

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

c) Übergang des völkerrechtlichen Vertrages einen staatsrechtlichen Vertrag?

in

Gibt es einen Rechtssatz (notwendigerweise: im Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland), demzufolge ein völkerrechtlicher Vertrag, der aus Anlaß der Eingliederung eines Staates in die Bundesrepublik Deutschland geschlossen wurde, nach vollzogener Eingliederung als staatsrechtlicher Vertrag mit dem eingegliederten Land fortgilt? Das Recht der Staatsverträge innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ist im Grundgesetz so gut wie gar nicht explizit geregelt. Daß es keine positivierte Verfassungsbestimmung des gesuchten Inhaltes gibt, überrascht daher nicht. Da in der relativ kurzen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auch noch kein Land der Bundesrepublik Deutschland eingegliedert wurde, mit dem ein Eingliederungsvertrag geschlossen wurde (bei dem Beitritt des Saarlandes war Frankreich Partner des Saarvertrages), hat sich mangels Relevanz auch noch keine opinio iuris zu dieser Frage gebildet. Auch die CoburgRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gibt zu ihr nichts her, weil die dort zugrundeliegenden Fälle sich alle bereits innerhalb der staatlichen Rechtsordnung abspielten; völkerrechtliche Verträge waren nicht im Spiel. Notwendig ist daher, die Geltung oder Unverträglichkeit des aufgestellten Satzes mit der Verfassung durch andere Argumente als die aus gesetztem, Richter- oder Gewohnheitsrecht abzuleiten. Ein schon 280 angesprochenes Argument lautet: Der anläßlich der Eingliederung geschlossene Vertrag könne nicht mit Abschluß der Eingliederung erlöschen, sonst sei sein Abschluß sinnlos. Da er völkerrechtlich nicht weitergelten könne, müsse er eben als staatsrechtlicher Vertrag fortgelten. Dies werde durch die „Mutation" seiner Rechtsform erreicht 281 . Wie aber ebenfalls bereits gezeigt wurde, gibt es verschiedene mögliche Gründe dafür, einen Eingliederungsvertrag zu schließen, und nur einer von ihnen könnte nicht verwirklicht werden, wenn der Vertrag die Eingliederung als solcher nicht überlebte. Das „Sinn-Argument" kann daher nicht begründen, warum jeder Eingliederungsvertrag ab Beitritt als staatsrechtlicher Vertrag fortgelten müsse. Gedanklicher Ausgangspunkt sollte der Grund sein, warum der völkerrechtliche Vertrag als solcher unterging. Es fehlten ab der Eingliederung weder die Partner noch fehlte eine für den Vertragsschluß nötige Willens-

280 281

Siehe oben S. 105. Fastenrath, Bindungswirkung, S. 430.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

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Übereinstimmung; kurz, es fehlte nicht ein Vertrag, sondern ein völkerrechtlicher Vertrag. Anker 2 8 2 erwägt, ob Konsequenz des Verlustes des völkerrechtlichen Status nicht (der Übergang aller vertraglichen Rechte und Pflichten auf einen Partner und damit) die Umwandlung der Regelungen in objektives, innerstaatliches Recht oder das Erlöschen durch Konfusion wäre. Das Konfusions-Argument begründet aber nur, warum kein völkerrechtlicher Vertrag mehr existiert, sagt jedoch nichts über eine Umwandlung in, d.h. gleichzeitige Entstehung von staatsrechtliche(n) Regeln aus. Ein Übergang von Vertragsrecht, das nur inter partes - d.h. hier: zwischen Staaten - wirkt, zu objektivem Recht, das alle der - hier: innerstaatlichen Rechtsordnung Unterworfenen bindet, ist eine so starke Änderung der Regelungsadressaten, daß sie nicht möglich ist. Die Bürger des eingliedernden Staates etwa hätten den Vertrag vor dem Beitritt nicht schon allein wegen seiner völkerrechtlichen Existenz zu befolgen (sondern nur wegen der Transformation durch das Zustimmungsgesetz), wären aber bei einer Umwandlung in objektives innerstaatliches Recht ohne weiteres an ihn gebunden. Ankers berechtigte Bedenken gegen eine Umwandlung von Vertrags- in objektives Recht greifen indes nicht gegenüber einer Umwandlung des völkerrechtlichen in einen staatsrechtlichen Vertrag durch. Letzterer muß nicht notwendigerweise, wie Anker 283 befürchtet, der Verfassung vorgehen 284. Wäre nicht die Konsequenz aus der Feststellung, der Einigungsvertrag sei als völkerrechtlicher Vertrag untergegangen, die, daß er - weiterhin gültiger Vertrag - nun kein völkerrechtlicher, also (mangels anderer Alternative) staatsrechtlicher Vertrag wäre? Konsequenz wäre, daß alle zwischen eingegliedertem und eingliederndem Staat vor der Eingliederung abgeschlossenen und noch gültigen Verträge sich in staatsrechtliche Verträge umwandelten, Verträge also, bei deren Abschluß womöglich noch keiner der Vertragspartner an eine Eingliederung dachte. Der Partner eines innerstaatlichen Vertrages hat eine qualitativ - etwa hinsichtlich der Erzwingbarkeit der Vertragserfüllung - andere Stellung als der eines völkerrechtlichen Vertrages, und die Vertragspartner würden auch inhaltlich viele Regelungen nun wohl nicht oder anders treffen. Daher muß es für sie, um ihre Autonomie, die Grundprinzip des Völker- wie staatsrecht-

282 283 284

Anker y Einigungs vertrag, S. 1062. Anker y Einigungs vertrag, S. 1062. Dazu näher im Kapitel über die Bindungswirkungen.

8 Wagner

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Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

liehen Vertragsrechts ist, zu wahren, eine Möglichkeit geben, diese Folge zu verhindern: entweder, indem man eine Umwandlung von vornherein wegen der damit verbundenen qualitativen Änderung der dem Partner zustehenden Rechte ablehnt, oder durch die Gewährung eines „außerordentlichen Kündigungsrechts". Die vollkommene Umgestaltung des Verhältnisses legt nahe, als Regelfall nicht den Fortbestand anzusehen. A u f jeden Fall tritt aber das genannte Problem beim Eingliederungsvertrag selbst - und nur um seine Umwandlung geht es - nicht auf. Damit ist zwar das Gegenargument für den Einigungsvertrag entkräftet, doch bleibt ein Satz des Inhalts, daß als völkerrechtliche erloschene Verträge bei staatsrechtlichem Fortbestand der Vertragspartner als staatsrechtliche Verträge fortgelten, als Grundlage für die Umwandlung zweifelhaft. Kann dem Verhältnis von Völker- und Staatsrecht eine Begründung für oder gegen die Umwandlung in einen staatsrechtlichen Vertrag entnommen werden? Das wäre dann der Fall, wenn gerade die Umstände, die eine Trennung von Staats- und Völkerrecht begründen, einer Umwandlung völkerrechtlicher Eingliederungsverträge nicht im Wege stünden. Anker 2 8 5 behauptet, nur vom Standpunkt eines (strengen) Monismus sei die Umwandlung in staatliches Recht konsequent. Er hat auf jeden Fall insoweit recht, als daß die staatsrechtliche Fortgeltung für strenge Monisten selbstverständlich sein muß: Wenn es nur eine Rechtsordnung gibt, stellt sich ein Umwandlungsproblem gar nicht, und da die Eingliederung selbst an der Rechtssubjektivität der Deutschen Demokratischen Republik noch nichts ändert, diese also bestehen bleibt, dürfte für strenge Monisten auch kein Erlöschenstatbestand vorliegen. Die Notwendigkeit einer Umwandlung beschert uns vielmehr der Dualismus mit seiner strikten Trennung von Staats- und Völkerrecht, für die im wesentlichen drei Gründe genannt werden: unterschiedliche Rechtssubjekte, unterschiedliche Rechtsquellen und die Möglichkeit staatsrechtlich geltenden völkerrechtswidrigen Rechts. Wenn der völkerrechtliche Eingliederungsvertrag als solcher untergeht, obwohl das eingegliederte Rechtssubjekt (als staatsrechtliches) fortbesteht, liegt das daran, daß die Vertragspartner keine völkerrechtlichen Rechte für die Zeit nach der Eingliederung begründen wollten. Damit gibt es kein Feld mehr, auf dem das eingegliederte Rechtssubjekt völkerrechtsfähig ist. Das Erlöschen des Eingliederungsvertrages beruht somit darauf, daß ein Rechtssubjekt für die Völkerrechtsordnung zu existieren aufhört. Gälte der Vertrag

285

Anker, Wiedervereinigungsgebot, S. 210.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

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eo ipso als staatsrechtlicher fort, so würde nicht beachtet, daß die Qualität der Rechtssubjektivität sich änderte. Vom dualistischen Standpunkt aus ist eine Umwandlung daher nicht zu begründen. Damit kann bereits aus dem Verhältnis von Völker- und Staatsrecht kein allgemein (d.h. von allen nicht ganz unbedeutenden Theorien) anerkannter Grund für die Umwandlung folgen, ohne daß auf die Lehre des gemäßigten Monismus noch einzugehen wäre. Kann aus einem der in der Coburg-Rechtsprechung verwandten Argumente eine Begründung für die Umwandlung geschmiedet werden? Der Verweis auf den Willen der Vertragspartner, der Vertrag solle fortgelten, kann nicht dazu dienen, einen Rechtssatz zu finden, der stets für völkerrechtliche Eingliederungsverträge gilt. Geeignet erschiene allenfalls der Verweis auf das „geschlossene Rechtsschutzsystem": Könnte daraus nicht abzuleiten sein, daß, wenn schon im Völkerrecht keine Möglichkeit zu vertraglicher Fortgeltung (als Voraussetzung jeden - völkerrechtlichen - Rechtsschutzes) besteht, dann das Staatsrecht die Möglichkeit zum Schutz und - als notwendige Vorstufe - daher zur Fortgeltung der vertraglichen Rechte schaffen muß? Eine solche Argumentation übersähe zweierlei: Zum einen gibt es durchaus die Möglichkeit völkerrechtlicher Fortgeltung nach der Eingliederung — nur haben die Vertragsparteien davon im Fall des Einigungsvertrages bewußt nicht Gebrauch machen wollen. Zum anderen setzt die Anwendung des Satzes Jedem Recht seine Rechtswahrungsmöglichkeit" die (Fort-)Existenz der (vertraglichen) Rechte voraus, nicht umgekehrt. Also auch von der Coburg-Rechtsprechung keine Schützenhilfe für einen Umwandlungs-Satz. Es bleiben als letzter Strohhalm die Argumente, mit denen in anderen Fällen die staatsvertragliche Fortgeltung völkerrechtlicher Eingliederungsverträge begründet wurde. Zunächst sei auf die Beitritts Verträge der süddeutschen Staaten von 1870 eingegangen, wobei übersehen sei, daß hier keineswegs eine herrschende Meinung von der staatsrechtlichen Fortgeltung ausging. Fickers 286 Argument von der Novierung nach Eingliederung wurde bereits ad acta gelegt 287 . Sonst wird auf § 3 des Publikationsgesetzes verwiesen, der die ver-

286

Ficker,

287

Siehe oben S. 111.

S. 159 ff.

1

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

tragliche Fortgeltung anordne. Anker 2 8 8 weist zu Recht darauf hin, daß dann das Gesetz Grundlage der Fortgeltung wäre und nicht mehr nur ein Vertrag. Aus dem Beitritt zum Norddeutschen Bund ist also auch kein Honig zu saugen. Wie steht es mit der Fortgeltung völkerrechtlicher Eingliederungsverträge in Indien 289 ? Abgesehen davon, daß nicht genau ersichtlich ist, eine Fortgeltung in welcher Rechtsform die indischen Gerichte annahmen, liefert Agrawalas 290 Bericht keine Begründung für die angenommene Fortgeltung. Fazit: Ein Rechtssatz, demzufolge ein völkerrechtlicher Eingliederungsvertrag nach vollzogener Eingliederung als staatsrechtlicher Vertrag fortgilt, kann nicht hergeleitet werden.

d) Zusammenfassung Da somit der Einigungsvertrag nicht eo ipso als staatsrechtlicher Vertrag fortgilt, ist, um dem Willen der Vertragspartner gerecht zu werden, davon auszugehen, sie hätten den Einigungsvertrag vor dem Beitritt, aufschiebend bedingt durch den Beitritt, auch als staatsrechtlichen Vertrag abgeschlossen 291 . Damit beruht die staatsrechtliche Fortgeltung i m Ergebnis auf dem Willen der Vertragspartner — aus demselben Grund war das Bundesverfassungsgericht in seiner Coburg-Rechtsprechung zu Recht auch von der Fortgeltung der Eingliederungsverträge ausgegangen292, und auch das sächsische Oberverwaltungsgericht erwähnt ihn in seiner Rechtsprechung zu Gemeindeeingliederungsverträgen 293.

5.1.2 Fortbestand des staatsrechtlichen Einigungsvertrages nach Untergang des Bundeslandes DDR Kaum, daß der Einigungsvertrag als staatsrechtlicher Vertrag das Licht der juristischen Welt erblickt hatte, ging die Deutsche Demokratische Republik

288

Anker, Einigungs vertrag, S. 1063.

289

Darauf bezieht sich Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 10.

290

Agrawala, S. 1402.

291

Siehe oben S. 109.

292

Siehe oben S. 44.

293

SächsOVGE 39, 16 (20).

II. Staatsrechtlicher Vertrag

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auch als staatsrechtliches Subjekt unter. Welche Folgen hatte das für den nun staatsrechtlichen Einigungsvertrag? Das Recht der Bund-Länder-Verträge ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt. Rechtssätze dafür können daher nur abgeleitet werden aus Parallelen zu anderen Grundgesetz-Normen, aus Verfassungsprinzipien, aus der Rechtslage bei anderen öffentlich-rechtlichen Verträgen und früheren Parallelfällen, aus Argumenten der Verfassungsrechtsprechung, aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder aus dem Völkerrecht.

a) Vergleich

mit Grundgesetz-Vorschriften

aa) Art. 29, 118 GG Da Ursache der aufgeworfenen Problematik die Entstehung neuer Bundesländer auf einem Teil des Bundesgebietes ist, bietet es sich an, zunächst einen Lösungsansatz in den Vorschriften des Grundgesetzes zu suchen, die sich mit der Länderneubildung befassen, also Art. 29 als Grundsatz und Art. 118 als Ausnahme dazu. Art. 29 GG regelt nur die Voraussetzungen für eine Länderneugliederung. Welche Rechtsfolgen die Neubildung u.a. für den Übergang von Rechten hat, regelt er nicht; Art. 29 I I und V I I GG verweisen für Fragen, die Art. 29 GG selbst nicht regelt, auf ein Bundesgesetz. Insofern liegt der Schluß nahe, maßgebend für die Vertragsfortgeltung müsse der Wille des Bundes-(gesetzgebers) sein; ein Automatismus (für Fortgeltung oder Erlöschen) ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 29 GG nicht. Auch kann aus den in Art. 29 GG für die Zulässigkeit von Länderneugliederungen aufgestellten Voraussetzungen nichts abgeleitet werden, was für oder gegen die Fortgeltung staatsrechtlicher Verträge spräche. Ein Großteil der Regeln des Art. 29 GG betrifft das Prinzip der direkten Demokratie und sein Verhältnis zu den Elementen parlamentarischer Demokratie; aus dem Demokratieprinzip folgt, wenn man nicht gleich die Bindung der Volksvertreter an Verträge über die jeweilige Wahlperiode hinaus ablehnt, nichts für oder gegen die Vertragsfortgeltung. Allenfalls die in Art. 29 I GG geforderte Berücksichtigung der geschichtlichen Zusammenhänge könnte für eine Fortgeltung sprechen. Aber welches Prinzip gibt den Ausschlag, wenn die Fortgeltung eines Staatsvertrages der nach Art. 29 I GG ebenfalls zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit oder den Erfordernissen der Raumordnung und Landesplanung im Wege stünde? Da die einzelnen Elemente in Art. 29 I GG gleich gewichtet sind, verbietet es sich, aus dieser Vorschrift die prinzipielle Fortgeltung von Staatsverträgen abzuleiten.

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Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Wenn Art. 29 GG keine Aussage zur Fortgeltung enthält, ist auch nicht zu erwarten, daß Art. 118 GG als Ausnahmeregel zu Art. 29 GG mehr Aufschluß gibt. Und in der Tat regelt auch Art. 118 GG nur (modifizierte) Voraussetzungen für den bestimmten Fall einer Neugliederung.

bb) Art. 135 GG Von den übrigen Grundgesetz-Artikeln könnte allenfalls noch Art. 135 ein Anhalt zur Fortgeltung staatsrechtlicher Verträge bei Untergang eines Landes zu entnehmen sein. Diese Norm regelt den Übergang (nur) des Vermögens bei Länderneugliederungen, die zwischen dem 8.5.1945 und dem 24.5.1949 erfolgten. Kann er entsprechend angewandt werden - erstens - auf die Rechtsposition aus Verträgen und - zweitens - auf Länderneugliederungen ab dem 24.5.1949? Zur ersten Frage: Gegen eine entsprechende Anwendung spricht nicht schon, daß der eine der beiden Grundsätze, die Art. 135 GG zugrundeliegen, nämlich der Belegenheitsgrundsatz, für die Nachfolge in Verträge nicht anwendbar ist. Dies schließt nicht aus, daß sich die Nachfolge in Verträge dann zwangsläufig nach dem anderen Grundsatz, der Funktionsnachfolge, richtet. Es fällt auf, daß zu Art. 135 GG für das Vermögen des Reiches eine Parallelvorschrift in Art. 134 GG existiert. Art. 123 I I GG regelt den Fortbestand vom Reich abgeschlossener Staatsverträge und hat keine Parallelvorschrift für von den Ländern abgeschlossene Verträge. Kann daraus abgeleitet werden, daß Art. 135 GG keine Aussage über Verträge entnommen werden darf, da diese nach der Systematik in einer Parallel Vorschrift zu Art. 123 I I GG enthalten sein müßte? Nein: Art. 123 I I und 134 GG wurden nicht notwendig, weil das Reich untergegangen wäre, sondern weil nach der neuen Verfassung dem Bund weniger Kompetenzen zustanden als dem Reich bis 1945. Art. 135 GG dagegen mußte eine Regelung u.a. deshalb treffen, weil bisher bestehende Länder untergegangen waren. Insofern besteht eine unterschiedliche Regelungsbedürftigkeit. Wenn der Grundgesetzgeber es im Falle der Kompetenzeinbuße beim Reich/Bund für angebracht hielt, mit Art. 123 I I GG eine besondere Regelung über die Fortgeltung von Verträgen zu schaffen, so heißt dies noch nicht, daß er dann auch im Falle des Unterganges eines Rechtssubjektes eine Grundgesetz-Norm neben der für die Rechtsnachfolge in Vermögen und Verbindlichkeiten (vgl. Art. 135 V, 135a GG) hätte schaffen müssen. Art. 123 I I GG befaßt sich nur mit solchen Verträgen, deren Inhalt ab Geltung des Grundgesetzes in die Landesgesetzgebungskompetenz fiel; der Anlaß der Regelung des Art. 123 Π GG ist also die Kompe-

II. Staatsrechtlicher Vertrag

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tenzänderung. Ein paralleler Anlaß entstünde durch den Untergang eines Landes nicht. Gegen eine entsprechende Anwendung des Art. 135 GG auf Verträge könnte vielmehr ein anderes Argument sprechen: Da Vermögen - jedenfalls die körperlichen Gegenstände, an denen Vermögensrechte bestehen - nicht mit dem Untergang des (ursprünglichen) Rechtsinhabers verschwindet, muß zwangsläufig die Rechtsordnung diese Gegenstände weiterhin einem (anderen) Rechtssubjekt zuordnen 294. Vertragliche Rechtsbeziehungen zu einem anderen Rechtssubjekt hingegen können einfach erlöschen, ohne daß eine Nachfolgeregelung getroffen werden müßte. Daher kann der Existenz einer Regelung der Vermögensnachfolge nicht entnommen werden, daß diese entsprechend auch für vertragliche Rechtsbeziehungen gelten solle. Dem könnte entgegengehalten werden, Art. 135 V GG regele doch auch die Nachfolge in Verbindlichkeiten (vgl. Art. 135a GG), also nicht nur Rechtsbeziehungen zu Sachen, sondern auch zu anderen Subjekten; Art. 135a GG mache erst Sinn, wenn grundsätzlich von einem Fortbestand dieser Verbindlichkeiten ausgegangen werde. Dennoch kann auch aus einer Regelung der Verbindlichkeiten nicht eine solche der Verträge von Gebietskörperschaften abgeleitet werden. Vermögen und Verbindlichkeiten sind wirtschaftliche Werte zugunsten des untergehenden Rechtssubjektes oder seiner Gläubiger. Aus Gründen des zivilrechtlichen Schutzes der Verkehrsfähigkeit dieser Werte wird regelmäßig durch das Recht ihr Bestand gesichert. Dieser Schutz wird Rechten ideellen Charakters - im Zivilrecht etwa grds. den Persönlichkeitsrechten, die unvererblich sind oft nicht im selben Maße zuteil; Rechte aus Staats Verträgen, abgesehen von Handelsverträgen, zählen weitgehend zu dieser Gruppe, auch wenn sie oft finanzielle Auswirkungen haben. So trifft der Einigungs vertrag selbst unterschiedliche Regeln für Verträge (Art. 11, 12, 40 EiV) und für öffentliches Vermögen und Schulden (Art. 21 ff. EiV) einschließlich der RGW-Verpflichtungen (Art. 29 EiV). Diese in der Praxis häufige Unterscheidung verbietet daher die Annahme, die Regelung für den Übergang des Vermögens und der Verbindlichkeiten sei auf die Staatsverträge des untergegangenen Rechtssubjektes zu übertragen. Selbst dann jedoch könnte dem Art. 135 GG nicht eine Regelung für Länderneugliederungen, die unter der Geltung des Grundgesetzes erfolgen, entnommen werden. Zunächst erscheint bereits problematisch, ob der Rege-

294 Von der theoretischen Möglichkeit, das Vermögen ganzer Länder herrenlos werden zu lassen, einmal abgesehen — und selbst das wäre eine Zuordnung: eben zu keinem Rechtssubjekt.

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Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

lung einer zeitlich eng begrenzten Gruppe von Fällen, nämlich der Neugliederungen zwischen dem 8.5.1945 und dem 24.5.1949, im Kapitel über Übergangs- und Schlußbestimmungen überhaupt ein „Grundsatz" entnommen werden kann. Eindeutig dagegen spricht aber, daß es in den übrigen zehn Kapiteln des GG mit Art. 29 GG eine Norm gibt, die allgemein die Länderneugliederung (für die Zeit ab dem 24.9.1949) betrifft. Dieser Artikel enthält zwar nicht selbst eine Regelung der Rechtsfolgen einer Neugliederung; doch sein Verweis auf ggf. zu erlassende Bundesgesetze weist den Weg, auf dem die Rechtsfolgen geregelt werden können. Art. 29 GG weist insofern keine durch die analoge Anwendung des Art. 135 GG zu füllende Lücke auf. Art. 135 GG erweist sich somit als nicht verallgemeinerungsfähige Einzelfallregelung. Mithin kann keinem Grundgesetz-Artikel ein Argument für oder wider die Fortgeltung von Staatsverträgen eines Landes bei dessen Untergang entnommen werden; allenfalls ist Art. 29 GG ein - schwaches - Indiz für die Maßgeblichkeit des Willens des Bundes.

b) Bundesstaatsprinzip Da der Bund die Möglichkeit hat, die Existenz eines Landes ganz zu beenden, ist nicht ersichtlich, warum nach dem Bundesstaatsprinzip, sofern ein Land untergeht, bisherige Verträge dieses Landes fortbestehen müssen, wenn schon das Land selbst nicht ein Recht auf Fortbestand hat 295 . Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, so könne sich der Bund bequem von jeder vertraglichen Bindung gegenüber einem Land befreien. Abgesehen davon, daß er kaum allein zum Zweck der Vertragsbeendigung das Ende der Landesexistenz herbeiführen würde, liegt es in der Natur der Sache, daß sich ein Rechtssubjekt, dessen Existenz in letzter Konsequenz von einem anderen Rechtssubjekt abhängig ist, keine völlig unabhängigen Rechte gegenüber letzterem verschaffen kann. Wenn das Bundesstaatsprinzip den Fortbestand eines Staatsvertrages eines untergegangenen Landes auch nicht fordert, so spricht es andererseits auch nicht gegen ihn. Durch den Fortbestand würde die vertragliche Stellung des

295 Maunz/Zippelius, S. 113. Auch wenn man von der Garantie der bestehenden Ausprägung des Bundesstaates auch das Institut der Staatsverträge eines Landes als vom Bundesstaatsprinzip erfaßt ansieht, muß dennoch hier nicht erwogen werden, ob die Einhaltung der Verträge nicht durch die „Vernichtung" des Landes umgangen wird: Der Untergang der Deutschen Demokratischen Republik ist dazu zu singulär.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

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Landes bzw. des nun aus dem Vertrag Begünstigten gewahrt und so die Stellung des Landes im föderalen System gestärkt. Aus der - aus dem Bundesstaatsprinzip abgeleiteten - Pflicht zur Bundestreue 296 , deren Anwendung auf vertragliche Rechte und Pflichten umstritten ist 2 9 7 , können sich Schranken für den Gebrauch von Zuständigkeiten, Hilfsund Mitwirkungspflichten ergeben 298 ; stets muß jedoch ein Recht oder eine Zuständigkeit überhaupt existieren, da aus dem Grundsatz der Bundestreuepflicht keine vollkommen neuen Pflichten entstehen 299 . Daher kann der Grundsatz nichts dazu hergeben, ob (vertragliche) Rechte (nach Untergang eines Landes) fortbestehen, allenfalls zur Frage, wie sie wahrzunehmen wären. Eine Antwort auf die Frage der vertraglichen Fortgeltung folgt aus dem Bundesstaatsprinzip daher nicht.

c) Recht (sonstiger) öffentlich-rechtlicher

Verträge

aa) Verwaltungsverträge Bundesgesetzliche Bestimmungen für öffentlich-rechtliche (Verwaltungs-) Verträge bestehen in §§ 54 ff. V w V f G und, nahezu gleichlautend, in §§ 53 ff. SGB X. In Ermangelung einer gesetzlich niedergelegten Regelung für staatsrechtliche Verträge im Falle des Untergangs eines Vertragspartners liegt es nahe, ggf. eine Parallelregelung aus den genannten Bestimmungen entsprechend anzuwenden, da in beiden Fällen öffentlich-rechtliche Verträge zu beurteilen sind. Allerdings enthalten weder § § 5 4 ff. V w V f G noch § § 5 3 ff. SGB X eine Vorschrift für den Fall des Untergangs einer am Vertrag beteiligten Gebietskörperschaft. § 59 I VwVfG, d.h. der Verweis auf bürgerlich-rechtliche Normen, hilft aus mehreren Gründen nicht weiter: Im vorliegenden Fall ist mögliche Rechtsfolge nicht die Nichtigkeit, sondern ein Erlöschen des Vertrages; zur Alternative einer Fortgeltung des Vertrages kann § 59 I V w V f G nichts hergeben. Außerdem kann das Bürgerliche Recht (und damit § 59 I VwVfG) im Fall des Untergangs einer Gebietskörperschaft nicht entsprechend ange-

296

BVerfGE 1, 299 (315).

297

Dagegen Grawert,

298

BVerfGE 8, 122 (138).

299

Verwaltungsabkommen, S. 124.

BVerfGE 13, 54 (75); Bayer, S. 63, 65; Ehlers, in: BK, Art. 37 Rdnr. 25; Leibholz/Rinck, Art. 20 Rdnr. 4.

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Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

wandt werden; während dort regelmäßig ein Rechtsnachfolger für die Privatrechtssubjekte vorhanden ist, steht im hier erörterten Fall in Frage, ob eine Rechtsnachfolge (ggf. durch wen) stattgefunden hat. Dem positiven Recht öffentlich-rechtlicher (Verwaltungs-)Verträge kann daher kein Argument für das rechtliche Schicksal eines staatsrechtlichen Vertrages bei Untergang eines Vertragspartners entnommen werden.

bb) Gemeindeeingliederungsverträge Öffentlich-rechtliche Verträge, deren einer Vertragspartner eine Gebietskörperschaft ist und nach Vertragsabschluß untergeht, finden sich in der Bundesrepublik Deutschland seit Inkrafttreten des Grundgesetzes praktisch nur in Gestalt der kommunalen Eingliederungsverträge. Das Recht, das den Bestand dieser Verträge regelt, ist als Teil der Kommunalverfassung Landesrecht. Für die (bundesrechtlich zu beurteilende) Fortgeltung staatsrechtlicher Verträge kann es daher nur dann entsprechend anwendbar sein, wenn in (nahezu) allen Bundesländern übereinstimmend bestimmte Regeln angewandt werden. Argumente, die sich auf einzelne Landesnormen (etwa die Baden-Württembergs 300) stützen, können daher nicht verwandt werden. Eine Fortgeltung des Vertrages nach der Eingliederung wird begründet mit einer Parallele zur Coburg-Rechtsprechung 301, auf die sogleich gesondert eingegangen wird. Klüber 302 hält die vertragliche Einsetzung eines Treuhänders für die Zeit nach dem Untergang für ein Mittel, um die Erfüllung der Zusagen sicherzustellen. Diese Konstruktion macht nur Sinn, wenn er von der Geltung des Vertrages über den Zeitpunkt der Eingemeindung hinaus ausgeht 303 ; hierfür liefert Klüber aber keine Begründung. Ein weiteres Argument für die Fortgeltung könnte sich aus dem von der Rechtsprechung fingierten Fortbestand der untergegangenen Gemeinde erge-

300

Altenmüller,

301

Altenmüller,

302

S. 572; Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 11 (mit Anm. 40). S. 571.

Klüber, Eingemeindungs vertrage, S. 331 f.; der s., Gemeinderecht, S. 71, 344. Klüber (EingemeindungsVerträge, S. 331 f.) behauptet auch nicht, der Vertrag gelte nicht fort, sondern wendet sich nur gegen die fortbestehende Vertretungsbefugnis des vor der Eingliederung amtierenden Gemeinderates; dagegen findet sich eine entsprechende Bemerkung in der sGemeinderecht, S. 71. 303

II. Staatsrechtlicher Vertrag

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ben, wenn diese Fiktion auch für die vertraglichen Rechte zu begründen wäre; denn dann wäre das eingegliederte Rechtssubjekt als fortbestehender Vertragspartner anzusehen. Dem Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen zufolge kann die untergegangene Gemeinde „die Rechte geltend machen, die mit ihrer Auflösung in unmittelbarem Zusammenhang stehen." 304 Der Begriff des unmittelbaren Zusammenhanges, der durchaus auch auf Rechte aus Eingliederungsverträgen zutreffen könnte, ist mißverständlich. Wie aus den Verweisungen des zitierten Gerichts 305 hervorgeht, will es die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zur Parteifähigkeit der eingegliederten Gemeinden übernehmen. Der Staatsgerichtshof hatte, sofern überhaupt 306, die Parteifähigkeit bejaht für die Kontrolle „der ihr Dasein vernichtenden Landesgesetze"307, später in Kurzform „in Eingemeindungsstreitigkeiten" 308. In allen Fällen - sowohl den vom Staatsgerichtshof entschiedenen309 als auch dem vom Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen entschiedenen - ging es um die Rechtmäßigkeit der Eingemeindung selbst. Rechte „in unmittelbarem Zusammenhang" damit sollen also nur Rechte hinsichtlich des Verfahrens der Eingemeindung, z.B. Anhörungsrechte, sein; eine Änderung der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes war nicht beabsichtigt. Diese Rechtsprechung wurde bereits bei der Würdigung der Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts untersucht 310. Danach ist aus dem Prinzip umfassenden Rechtsschutzes nur begründbar, daß das untergegangene Rechtssubjekt sich gegen seinen angeblich unrechtmäßigen Untergang selbst und die Verletzung solcher (vertraglichen) Rechte wehren können muß, die den Untergang überdauern sollten. Klüber 311 wendet sich zwar gegen eine Übertragung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auf vertragliche Zusagen, hat dabei aber nur im Auge, daß - bei größerem zeitlichen Abstand zur Eingliederung - nicht mehr (wie nach dieser Rechtsprechung) der damals amtierende Gemeinderat vertretungsbefugt sein könne. Da er selbst sogar die Rechtswahrung durch einen Treuhänder für möglich 312 und vielmehr die Fortbestandsfiktion nur nach

304 305 306 307 308 309 310 311 312

VerfGH NW, DVB1. 1969, S. 809. VerfGH NW, DVB1. 1969, S. 809; VerfGH NW, OVGE 14, 372. Eine Begründung fehlt ganz in StGH (12.1.1922). StGH (11.12.1929), S. 105. StGH, in: RGZ 134, Anh. S. 12 (19). StGH (12.1.1922); StGH (11.12.1929); StGH, in: RGZ 134, Anh. S. 12. Siehe oben S. 41. Klüber, Eingemeindungsverträge, S. 331. Klüber, Eingemeindungsverträge, S. 331 f.

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. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Verstreichen einer zu langen Zeitspanne für „unzulänglich" hält 313 , richtet sich seine Argumentation nicht gegen die Übertragung der Ratio der Rechtsprechung auf Eingliederungsverträge allgemein. Daß die Rechte aus dem Einigungsvertrag auch nach Untergang bestehen bleiben sollen, wollten die Vertragspartner 314. Daraus folgt in Verbindung mit dem Argument der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes anläßlich der Gemeindeeingliederung, daß der Einigungsvertrag fortgilt, und zwar - da in der Rechtsprechung die untergegangene Gemeinde selbst als Partei angesehen wurde - unter Fiktion der Fortgeltung der Deutschen Demokratischen Republik als Bundesland. Ferner sollen im Vertrag enthaltene Rechte zugunsten Dritter, die keiner Transformation bedürfen, objektives Recht werden 315 und damit auch nach der Eingliederung bestehen. Wie die wundersame Wandlung einer vertraglichen Bestimmung zu einer objektiven Norm zu begründen ist, ohne daß eine objektive Norm vom Normgeber gesetzt wurde (soweit dies der Fall ist, gilt die Norm als objektiv gesetzte und nicht als vertragliche), soll sich danach aus einem Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 316 ergeben. Darin ging es aber nicht um die Frage, ob eine Eingliederungsvereinbarung objektives Recht sei, sondern ob die durch die Eingliederung bewirkte erhöhte Steuerbelastung durch objektives Recht auszugleichen sei. Eine Wandlung in objektives Recht ist daher abzulehnen. Froweins 317 Hinweis auf Art. 19 IV GG für die Durchsetzbarkeit der im Eingliederungsvertrag begründeten Rechte Dritter begründet nicht, warum die vertraglichen Rechte nach Untergang eines Vertragspartners noch bestehen; die Anwendung des Art. 19 I V GG setzt ein noch bestehendes Recht voraus. Daß die Rechte zugunsten Dritter teilweise keiner Transformation mehr bedürfen, bedeutet nur, daß die Dritten nicht nur ein Recht auf Erlaß einer Ausführungsnorm, sondern ein Recht auf ein bestimmtes Handeln haben; dies beruht aber, sofern es fortbesteht, weiterhin auf Vertrag.

313 314 315

Klüber, Gemeinderecht, S. 344 Anm. 54b. Siehe oben S. 116. So für Vergünstigungen bei Grundsteuerveranlagungen und Baulasten Wolff/

Bachof I, S. 139. 316 317

PrOVGE 93, 41. Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 14.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

Zwingt die Existenz von Rechten Dritter zur Annahme des Fortbestandes des Vertrages (soweit er Rechte Dritter begründet) nach Untergang eines Vertragspartners zumindest als Vertrag? Dies ist wegen der Vertragsakzessorietät des Rechtes der Dritten unmöglich: Ihr Recht hat den Vertrag als Geltungsgrundlage. Ist er nichtig oder erlischt er, so gehen damit auch die Rechte Dritter unter. Selbst wenn für Dritte von den Parteien nicht mehr entziehbare Rechte begründet werden sollten, so sind diese Rechte deshalb nur dem Parteiwillen nicht mehr unterworfen und deshalb unabhängig von einem von den Vertragspartnern vereinbarten Vertragsende; sie bleiben aber weiterhin akzessorisch 318. Der Untergang des Einigungsvertrages würde auf dem Untergang eines Vertragspartners und damit nicht auf dem Willen der Vertragspartner beruhen, so daß, selbst wenn im Einigungsvertrag (für die Länder) unentziehbare Rechte begründet sein sollten, der staatsvertragliche Fortbestand des Einigungsvertrages wegen der Rechte Dritter nicht zwingend wäre. Eine andere Ansicht geht hingegen vom Untergang gemeindlicher Eingliederungsverträge wegen Konfusion aus 319 , weil die eingliedernde Gemeinde Rechtsnachfolgerin der eingegliederten sei 320 . Die kommunalen Eingliederungsverträge wurden im Zuge der Gebietsreformen abgeschlossen, bei denen es um die Schaffung größerer kommunaler Gebietskörperschaften und die Beseitigung der kleinen (eingegliederten) ging. Daher existierten nach der Eingliederung regelmäßig keine Gemeinden mehr, deren Gebiet nicht über das der eingegliederten hinausreichte und die als Rechtsnachfolger - alternativ zur eingliedernden Gemeinde - in Frage gekommen wären (einzelne Gemeindeteile kamen, auch wenn sie über eigene Ortsräte verfügten, mangels eigener Rechtspersönlichkeit nicht in Frage). Im Falle der untergegangenen Deutschen Demokratischen Republik existieren aber die östlichen Bundesländer als Gebietskörperschaften, deren Gebiet nicht über das der Deutschen Demokratischen Republik hinausreicht, und kommen daher als Rechtsnachfolger in Betracht. Da die Frage der Rechtsnachfolge bei den Gemeindeeingliederungen nur in einem Sinn beantwortet werden konnte, nämlich Nachfolge des eingliedernden Rechtssubjekts, kann diese Antwort nichts aussagen zu der Frage, ob Rechtsnachfolger der Deutschen Demokrati-

318 Dies übersieht das Sächsische Oberverwaltungsgericht (SächsOVGE 39, 16 [20 f.]), das - umgekehrt - die Rechte Dritter als Weg gebraucht, um den Vertrag noch Wirkungen entfalten zu lassen. Bei einer Anerkennung der Fiktion des Fortbestandes des eingegliederten Rechtssubjektes entfällt dieses Argument im übrigen ebenfalls. 319 Klüber, Gemeinderecht, S. 71; nach SächsOVGE 39, 16 (20) „vereinen sich" die Rechte und Pflichten, obwohl der Vertrag fortbestehe. 320 Klüber, Gemeinderecht, S. 74.

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

sehen Republik als Bundesland die Bundesrepublik Deutschland oder die östlichen Länder sind. Im zweiten Fall wäre der Einigungsvertrag als staatsrechtlicher Vertrag aber nicht durch Konfusion erloschen. Im übrigen widerspricht sich Klüber als Exponent dieser Argumentation, wenn er gleichzeitig davon ausgeht, die Nichterfüllung des Vertrages nach der Eingliederung sei eine Vertragsverletzung 321. Ebenso ist das Sächsische Oberverwaltungsgericht inkonsequent, wenn es trotz der „Vereinigung" der Rechte und Pflichten vom Fortbestand des Vertrages ausgeht322. Aus der Argumentation für den Fortbestand der Gemeindeeingliederungsverträge kann sich somit allenfalls als Anhaltspunkt für den Einigungsvertrag ergeben, daß eine Rechtsnachfolge in vertragliche Rechte von Gebietskörperschaften stattfindet. Aus dem - umstrittenen und nicht einheitlich positivrechtlich geregelten - rechtlichen Schicksal der Gemeindeeingliederungsverträge ergibt sich keine zwingende Rechtsfolge für das Schicksal von Verträgen einer Gebietskörperschaft bei ihrem Untergang.

d) Historische Fälle des Untergangs eines Landes Wenn die Fälle des Unterganges kommunaler Gebietskörperschaften nichts hergeben, bleibt die Frage, ob nicht aus früheren Untergängen eines deutschen Bundeslandes Argumente für oder gegen die Fortgeltung seiner Staatsverträge folgen. Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes gingen lediglich die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern unter. In diesen Fällen wurden die mit dem Untergang zusammenhängenden Fragen durch ein Bundesgesetz323 geregelt, das - abhängig vom Ausgang einer Volksbefragung zwischen den Alternativen „aus drei mach' zwei" und „aus drei mach' eins" unterschied. Für den ersten Fall ist in § 26 des Gesetzes der Übergang des Vermögens der bisherigen Länder auf die neu zu bildenden angeordnet, wobei die Auseinandersetzung des Landes Württemberg-Baden durch Vereinbarung der beiden neuen Länder erfolgen solle. Eine entsprechende Regel über den Vermögensübergang für den zweiten Fall enthält das Gesetz ebensowenig wie sonstige Nachfolgeregelungen.

321

Klüber, Gemeinderecht, S. 71. SächsOVGE 39, 16 (20). 323 BGBl. 1951 I S. 284 (2. Gesetz über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern). 322

II. Staatsrechtlicher Vertrag

127

Das Gesetz beinhaltet also keine Aussage zur Nachfolge in Staatsverträge. Wie bereits anläßlich der Untersuchung des Art. 135 GG erörtert wurde 324 , kann eine Regelung der Nachfolge in das Vermögen eines Landes nicht entsprechend als Regelung der Vertragsnachfolge angewandt werden. Die Tatsache, daß der Bundesgesetzgeber eine gesetzliche Regelung für die (Vermögens-)Nachfolge getroffen hat, zeigt, daß auch er davon ausging, Nachfolgeregeln in den Fällen der Art. 29, 118 GG durch Gesetz normieren zu können. Dies unterstützt das bei der Auslegung dieser Vorschriften hier erzielte Ergebnis. Daß der Gesetzgeber andererseits für die zweite Alternative keine Regelung der Vermögensnachfolge getroffen hat, obwohl er sich, wie die Existenz des § 26 des Gesetzes zeigt, durchaus bewußt war, daß eine Vermögensnachfolge stattfinden mußte, zeigt ferner, daß er davon ausging, in diesem Fall bestehe eine, dann wohl nur im ungeschriebenen Verfassungsrecht beheimatete, Nachfolgeregelung 325 ; sonst hätte er eine Parallelbestimmung zu § 26 getroffen. Die Volksabstimmung führte dazu, daß die Alternative „aus drei mach' eins" eintrat, und einmütig wurde von einer Vermögensnachfolge des Landes Baden-Württemberg ausgegangen, ohne daß eine gesetzliche Regelung vorlag. Das spricht für die Existenz einer ungeschriebenen dispositiven Regelung der Vermögensnachfolge bei Länderneugliederung im deutschen Verfassungsrecht. Dann liegt nahe, daß ebenso eine, wenn auch nicht notwendig inhaltsgleiche, ungeschriebene (dispositive?) Regelung der Nachfolge in oder des Erlöschens von Verträgen eines untergehenden Landes im Bundesverfassungsrecht existiert. Giese 326 sieht in der Bestimmung der Verfassung Baden-Württembergs, das alte Recht gelte in den bisherigen Landesteilen weiter (Art. 94 III), eine Übernahme der von einzelnen Vorgängerländern mit anderen Ländern abgeschlossenen Staatsverträge. Jedoch kann die Verfassung eines Vertragspartner(nachfolger)s nicht allein über das Schicksal eines Staatsvertrages entscheiden. Allenfalls aus der Tatsache, daß die Staatsverträge als fortbestehend angesehen wurden, kann ein Indiz für eine Regelung des Bundesverfassungsrechts mit dem Inhalt entnommen werden, daß Staatsverträge untergegangener Länder mit deren Gebietsnachfolger (bei Fortgeltungswillen) weiterbestehen. Verträge anläßlich weiterer Länderneugliederungen, nämlich zu Zeiten der Weimarer Republik und in der Besatzungszeit nach dem 2. Weltkrieg, hatte

324

Siehe oben S. 118.

325

Auch Römer, S. 68 geht davon aus, die Vermögensnachfolge ergebe sich in diesem Fall „von selbst". 326

H.-E. Giese, S. 145 Anm. 1.

128

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

das Bundesverfassungsgericht sogleich eingegangen.

zu beurteilen; auf diese Coburg-Fälle wird

Zuvor sei noch ein Blick auf die Weimarer Zeit und damalige Stellungnahmen zu unserem Problem geworfen. Preuß 327 führt zu Art. 18 WRV (über Neugliederungen von Ländern) aus, das neu gebildete Land sei Rechtsnachfolger „seines nunmehrigen Gebietsteiles" und könne daher „dessen Ansprüche gegen Dritte geltend machen". Er sieht also als selbstverständlich an, daß eine Rechtsnachfolge stattfindet. Er hat, wie aus der zitierten Stelle hervorgeht, den Fall einer Einverleibung eines kleinen in ein größeres Land vor Augen; dagegen ging die Deutsche Demokratische Republik als Bundesland durch Zerfall in mehrere kleinere Länder unter, so daß es in letzterem Fall keinen „nunmehrigen Gebietsteil" gibt. Als Rechtsnachfolger kommen die östlichen Länder oder die Bundesrepublik Deutschland in Frage. Wenn Preuß das neu gebildete Land für den Rechtsnachfolger hält, spricht dies dafür, daß er als Nachfolger in Ansprüche gegen Dritte den Funktionsnachfolger, d.h. im Fall der Deutschen Demokratischen Republik die östlichen Länder, ansähe. In diesem Fall wäre die Bundesrepublik Deutschland als Partner des Einigungsvertrages Dritter, so daß auf diesem Wege eine Fortgeltung konstruiert wäre — vorausgesetzt, Preuß verstünde unter „Ansprüchen" auch solche staatsvertraglicher Natur. Seine Äußerung fällt zwar anläßlich der Erörterung des Art. 18 V I I WRV, der nur die Vermögensauseinandersetzung betrifft. Aber der von ihm benutzte Ausdruck „Rechtsnachfolge" ist umfassend; Preuß schränkt ihn nicht nur auf die Vermögensnachfolge ein, und, vor allem, verweist er auf die Wahrnehmung von qua Rechtsnachfolge übergegangenen Ansprüchen nur als einen weiteren Weg neben Art. 18 V I I WRV, so daß die Rechtsnachfolge durchaus mehr umfassen kann als nur die in Art. 18 V I I WRV behandelte Vermögensnachfolge. Wie aber ist Preuß' Behauptung einer (Gesamt-)Rechtsnachfolge in die Rechtsstellung eines Landes - im Fall des Einigungs Vertrages: in die der Deutschen Demokratischen Republik als Bundesland - begründbar? Daß eine Nachfolge in alle Rechtsstellungen eines untergehenden Rechtssubjektes stattfindet, kann regelmäßig damit begründet werden, die Pflichten müßten bestehen bleiben zum Schutz des Vertrauens der Vertragspartner und Gläubiger; dann könnten dem Nachfolger nach dem Äquivalenzprinzip aber nicht nur die vertraglichen Pflichten aufgebürdet werden, sondern müßte er auch die Rechte des ursprünglichen Vertragspartners erhalten.

327

Preuß, S. 37.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

129

Dieses Vertrauensschutz-Argument greift aber im Fall des Unterganges der Deutschen Demokratischen Republik als Land nicht: Sie bestand als Land nur eine logische Sekunde lang, in der sie mit niemandem Verträge abschloß. Bevor die Deutsche Demokratische Republik überhaupt als Bundesland existierte, war offensichtlich, daß sie als solches innerhalb kürzester Zeit - spätestens am 14.10.1990 mit der Ländereinführung zum ursprünglich dafür vorgesehenen Termin - untergehen würde. Ein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand der Deutschen Demokratischen Republik als Bundesland und damit der Fortdauer ihrer Pflichten kann daher nicht bestanden haben. Daß notwendigerweise eine Nachfolge in die vertraglichen Rechtsstellungen der Deutschen Demokratischen Republik stattfand, kann daher nicht begründet werden. Der Argumentation von Preuß fehlt somit bei einer Anwendung auf den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik der tragende Grund.

e) Coburg-Rechtsprechung Die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist auf den Fall des Schicksals des staatsrechtlichen Einigungsvertrages nach Untergang der Deutschen Demokratischen Republik als Land nicht direkt anwendbar; erstens ging die Deutsche Demokratische Republik (als Bundesland) nicht durch die Eingliederung, sondern nach erfolgter Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland unter, und zweitens war der Einigungsvertrag (nach dem Beitritt) ein Bund-Land-Vertrag, kein Zwischen-Länder-Vertrag. Die in der Coburg-Rechtsprechung enthaltenen Aussagen zum rechtlichen Bestand staatsrechtlicher (Eingliederungs-)Verträge nach Untergang eines Landes, das Vertragspartner war, müssen daher nicht notwendigerweise auf den Einigungsvertrag übertragbar sein. Welches waren die Ergebnisse und die dafür genannten, hier gebilligten Gründe der Coburg-Rechtsprechung? 328 Daß der Vertrag fortgalt, wurde abgeleitet aus einem entsprechenden Willen der Vertragspartner bei Vertragsabschluß. Da auch Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik wollten, daß der Einigungsvertrag als staatsrechtlicher Vertrag über den totalen Untergang der Deutschen Demokratischen Republik im Zuge des Beitritts hinaus weiter als Vertrag gilt 3 2 9 , folgt somit mit der Coburg-Rechtsprechung die Fortgeltung

328 329

Zum folgenden siehe oben S. 40. Siehe oben S. 116.

9 Wagner

130

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag auch über den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik als Bundesland hinaus. Das Bundesverfassungsgericht konstruierte die Fortgeltung durch Fiktion des Fortbestandes des Landes mit der Begründung, jedes Recht sei gerichtlich zu schützen (Verweis auf Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zur Gemeindeeingliederung), und Art. 93 I Nr. 4 GG erfordere ein geschlossenes Rechtsschutzsystem. Das zweite Argument Schloß in den Coburg-Fällen die Konstruktion durch Rechtsnachfolge der Gebietskörperschaften, die in dem Gebiet des eingegliederten Landes lagen, aus, da diese keine Bundesländer waren und der Vertrag bei dieser Konstruktion der Fortgeltung kein (vom Bundesverfassungsgericht kontrollierbarer) Zwischen-Länder-Vertrag geblieben wäre. Im Falle des Einigungsvertrages kann zum einen die (völkerrechtliche) Natur des Vertrages vor der Eingliederung nicht erhalten bleiben, und zum anderen wäre auch bei einer Nachfolge der östlichen Länder in die vertragliche Stellung der Deutschen Demokratischen Republik der Einigungsvertrag noch ein vom Bundesverfassungsgericht kontrollierbarer Bund-Länder-Vertrag. Die Argumente der Coburg-Rechtsprechung zwingen hier also nicht zur Fiktion; die Begründung bleibt vielmehr auch bei der Annahme einer Rechtsnachfolge der östlichen Länder gewahrt. Für welche Konstruktion spricht nun die Coburg-Rechtsprechung? Aus zwei Gründen ist bei einem Rückgriff auf die Coburg-Rechtsprechung die Fiktion beizubehalten: Erstens befaßte sich das Gericht überhaupt nicht mit der Möglichkeit einer Rechtsnachfolge. Wenn aber, da auch die Fiktionskonstruktion denkbar erscheint und zur Begründung paßt, die vom Bundesverfassungsgericht gewählte Konstruktionsmöglichkeit ebenso gut zugrundegelegt werden kann, besteht kein Anlaß, von ihr ohne Not abzuweichen. Zweitens gingen die Vertragspartner, deren Wille ja für das Ob des Fortbestandes ausschlaggebend war und daher auch für die Frage des Wie nicht außer acht bleiben sollte, davon aus, die Ergebnisse der Coburg-Rechtsprechung zu übernehmen (ihnen schwebte insoweit keine modifizierte Anwendung vor), ergo die Fortbestandsfiktion. Die Argumente der Coburg-Rechtsprechung sprechen, in Verbindung mit den Absichten der Vertragspartner, somit für einen Fortbestand des staatsrechtlichen Einigungsvertrages durch Fiktion des Fortbestandes der Deutschen Demokratischen Republik als Bundesland. Der gegen eine Fiktion des Fortbestandes des Deutschen Demokratischen Republik als Völkerrechtssubjekt vorgetragene 330 und dort durchgreifende Einwand, das Völkerrecht kenne keine Fiktion von Völkerrechtssubjekten,

330

Siehe oben S. 48.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

131

spricht nicht gegen die Fiktion der Deutschen Demokratischen Republik als Bundesland.

f) Allgemeine Rechtssätze über Verträge Ein Vertrag gilt mit dem neuen Vertragspartner fort, wenn dieser vor Untergang des alten in dessen vertragliche Position, sei es durch Vereinbarung oder durch Gesetz, eintritt 331 . Die Vertragsposition der Deutschen Demokratischen Republik könnte allenfalls auf die östlichen Länder übergegangen sein (ein Übergang auf die Bundesrepublik Deutschland wäre irrelevant, da der Vertrag dann wegen Konfusion erlöschen würde). Solch ein Übergang ist, wie bereits gezeigt 332 , nicht von den Partnern des Einigungsvertrages vereinbart worden. Auch eine Gesamtrechtsnachfolge der östlichen Länder in die Rechtsstellung der Deutschen Demokratischen Republik als Land per Gesetz fand nicht statt 333 . Ein Partnerwechsel vor Untergang der Deutschen Demokratischen Republik trat demnach nicht ein. Ob ein allgemeiner Rechtssatz besteht, ein Vertrag erlösche mit seinem Vollzug, darf angesichts gegenteiliger Auffassungen etwa für völkerrechtliche Verträge 334 füglich bezweifelt werden. Zumindest innerstaatlich ist er anerkannt 335 , für schuldrechtliche Verträge bürgerlichen Rechts in § 362 I BGB normiert. Allgemeiner Rechtssatz hin oder her — auf jeden Fall ist der Einigungsvertrag nur insoweit unmittelbar nach dem Untergang der Deutschen Demokratischen Republik vollzogen, als er den Eingliederungsvorgang selbst regelt 3 3 6 . Erloschen sein können folglich nur einige Pflichten, nicht das Vertragsverhältnis insgesamt. Welche Pflichten davon im einzelnen betroffen sind, soll hier nicht erörtert werden; auch insoweit wirkt jedenfalls das Vertragsverhältnis als Causa weiter. Bei einem Rechtsstreit um (angeblich) vollzogene

331 So für Staatsverträge, aber nur im Falle ausdrücklicher Übernahme der Rechtsstellung, H.-E. Giese, S. 145. 332

Siehe oben S. 57.

333

Siehe oben S. 128 f.

334

Fitzmaurice,

335

Für Bund-Länder-Abkommen Grawert,

336

Siehe oben S. 80.

I art. 17 (χ) und nr. 109; Hoßauer, S. 163.

Verwaltungsabkommen, S. 122.

132

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Regeln wäre der Einigungsvertrag auch insoweit zu beachten, und Aktivlegitimation u.ä. würde entsprechend einem Rechtsstreit über noch nicht abschließend vollzogene Regeln bestehen. Das Problem der Bindungswirkung nach Untergang der Deutschen Demokratischen Republik kann bei vollzogenen Regelungen nicht auftreten, denn weiterhin bindende Regelungen stellen Dauerpflichten dar und können somit bei Untergang der Deutschen Demokratischen Republik nicht schon vollzogen sein. Aus diesen Gründen spielt für die weitere Darstellung keine Rolle, daß und welche einzelnen vertraglichen Regelungen mit Untergang der Deutschen Demokratischen Republik möglicherweise erloschen sind. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob ein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts, Vertragspflichten erlüschen mit ihrem Vollzug, im deutschen Recht in dieser Allgemeinheit besteht. Nach Giese 337 gilt der Satz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" auch bei (zweiseitigen) staatsrechtlichen Verträgen, sofern keine Rechtsnachfolge stattfindet (eine solche nimmt Giese nur bei ausdrücklicher Vertragsübernahme an). Ist diese These überzeugend? Im Völkerrecht, auf das Giese zur Begründung verweist 338 , wurde der entsprechende Rechtssatz damit begründet 339 , daß bei Untergang eines der beiden Partner nicht mehr Rechtsbeziehungen zwischen den beiden Rechtssubjekten bestehen können und damit, abgesehen von Verträgen, die Rechtsbeziehungen zu bzw. bzgl. einer Sache regeln, dem Vertrag sein konstitutives Element des Regelungsgegenstandes fehlt. Diese Argumentation gilt für Verträge generell. Der Einigungs vertrag regelt nicht die Rechtsbeziehungen zu bzw. bzgl. einer Sache. Der Grundsatz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" gibt aber keine Antwort auf die Frage, ob ein Rechtssubjekt (die östlichen Länder) Rechtsnachfolger des untergehenden Vertragspartners wurde; davon aber hängt ab, ob der Einigungsvertrag nach diesem Satz fortgilt. Nun hält Giese 340 Eingliederungsverträge ohnehin stets für fortwirkend, da er Gegenstände regele, die mit dem Untergang des Landes zusammenhingen. Soweit er aus dem Sinn von EingliederungsVerträgen allgemein die Notwendigkeit ihrer Fortgeltung ableitet, kann ihm deshalb nicht zugestimmt werden, weil ein Eingliederungsvertrag mehrere Zwecke haben kann, die kein

337

H.-E. Giese, S. 145.

338

H.-E. Giese, S. 145 Anm. 1.

339

Siehe oben S. 33.

340

H.-E. Giese, S. 145.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

133

Fortbestehen als Vertrag erfordern 341 . Giese 342 verweist zur Begründung auf einen Fall der Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; diese ist bereits 343 als Argument für den Fortbestand des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag gewürdigt worden.

g) Rückgriff

auf Völkerrechtssätze?

Bisher wurde auf innerstaatliches Recht bzw. Tatsachen abgestellt, um Argumente für oder gegen die Fortgeltung des Einigungsvertrages zwischen Bund und Land zu gewinnen. Dürfen zusätzlich Begründungen aus dem Recht der völkerrechtlichen Verträge abgeleitet werden? Ob Völkerrecht für Bund-Länder-Verträge entsprechend angewendet werden darf, ist umstritten 344 . Die Gegner verweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 345 , auf das Überordnungsverhältnis zwischen Bund und Land, das im Gegensatz zum völkerrechtlichen Gleichordnungsverhältnis stehe 346 , und auf die lückenlose Regelung des Rechts der Bund-Länder-Verträge durch das Grundgesetz und den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens 347 . Das Bundesverfassungsgericht hat in einer früheren Entscheidung 348 die Anwendung eines Völkerrechtssatzes nur für das Zwischen-Länder-Verhältnis, nicht aber für das Bund-Länder-Verhältnis für denkbar gehalten und dies damit begründet, letzteres sei ein Über- und kein Gleichordnungs-Verhältnis. Im zweiten Coburg-Urteil 349 lehnte es aber auch die Anwendung des Völkerrechts im Zwischen-Länder-Verhältnis ab. Ein halbes Jahr später hielt dann aber derselbe Senat bei Lücken im Bundesverfassungsrecht Völkerrecht für Zwischen-Länder-Beziehungen doch für anwendbar 350 und führte als Beleg die beiden früheren Entscheidungen an, die in ihrer Gesamtheit diese

341

Siehe oben S. 106.

342

H.-E. Giese, S. 145 Anm. 2.

343

Siehe oben S. 129 ff.

344

Dafür Heiden, S. 134; dagegen Stern, Staatsrecht I, S. 652 f.

345

Stern, Staatsrecht I, S. 653.

346

Rudolf S. 238.

347

BVerfGE 34, 216 (232); Schneider, Verträge, S. 14.

348

BVerfGE 1, 14 (51 f.).

349

BVerfGE 34, 216 (231).

350

BVerfGE 36, 1 (24).

134

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Rechtsprechung nun gerade nicht belegen — es sei denn, man interpretierte sie als Entscheidungen über die direkte Anwendbarkeit des Völkerrechts für Zwischen-Länder-Beziehungen (dafür spricht ihr Wortlaut) und die dritte Entscheidung als eine über die Anwendung des Völkerrechts als im Staatsrecht rezipierter Regeln (hier heißt es mehrdeutig, die Beziehungen „bemessen sich ... nach den Regeln des Völkerrechts"). Dann steht die frühe Verfassungsrechtsprechung allerdings nicht mehr der Annahme entgegen, auch das Bund-Länder-Verhältnis unterliege bei Lücken in der Bundesverfassung staatsrechtlich rezipierten Regeln des Völkerrechts. Auch das Argument, mit dem das Bundesverfassungsgericht in der ersten Entscheidung die Anwendbarkeit von Völkerrecht im Bund-Länder-Verhältnis ausgeschlossen hatte, ist für Regeln über Verträge nicht stichhaltig: Schließt der Bund mit einem Land einen Vertrag, begibt er sich auf die Stufe der Gleichordnung. Daß zwischen Bund und Land ein Gleichordnungsverhältnis bestehen kann, ist heute zwar anerkannt 351, war aber im Jahre 1951, als die erste der drei genannten Entscheidungen erging, sehr fraglich; so hat sich ja auch die Zulässigkeit des (subordinationsrechtlichen) Verwaltungsvertrages erst in den 60er Jahren gegen Einwände, zwischen Bürger und Staat bestehe stets ein Unterordnungsverhältnis, durchsetzen können. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner ersten Entscheidung auch die entsprechende Anwendung von Völkerrechtsregeln für das Bund-Länder-Verhältnis ausschließen wollte, darf stark bezweifelt werden, ob es heute dieselbe Entscheidung noch einmal träfe. Das letzte Argument gegen eine Anwendung (rezipierten) Völkerrechts, nämlich die Bund-Länder-Beziehungen seien lückenlos geregelt, steht auf genauso schwachen Füßen wie das entsprechende Argument für ZwischenLänder-Beziehungen. Hatte das Bundesverfassungsgericht für letztere noch im zweiten Coburg-Urteil propagiert, sie seien durch nationales Recht lückenlos geregelt 352 , hielt es schon ein halbes Jahr später Lücken für möglich 3 5 3 . Das Grundgesetz selbst regelt Bund-Länder-Verträge allgemein nicht, und dem Bundestreuegrundsatz kann keine Antwort entnommen werden auf die hier aufgeworfene Frage, ob (sondern allenfalls darauf, wie) vertragliche Rechte fortbestehen 354. Folglich spricht nichts gegen eine entsprechende Anwendung von Völkerrechtssätzen über (völkerrechtliche) Verträge auf Bund-Länder-Verträge.

351 352 353 354

Z.B. Stern, Staatsrecht I, S. 652. BVerfGE 34, 216 (232). BVerfGE 36, 1 (22). Siehe oben S. 121.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

135

Dafür spricht, daß sich in beiden Fällen staatliche Gebietskörperschaften gleichberechtigt als Vertragspartner gegenüberstehen 355, die Interessenlage also der bei völkerrechtlichen Verträgen ähnelt. Ob eine Lücke in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vorliegt 3 5 6 oder wegen der zuvor zur Fortgeltung genannten Argumente möglicherweise nicht entstand, sei zunächst einmal dahingestellt; die Frage würde relevant nur, wenn aus völkerrechtlichen Sätzen sich eine andere Rechtsfolge ergäbe als die aus den bisherigen Argumenten. Welche Gründe für oder gegen den Fortbestand des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag liefert eine nach alledem mögliche entsprechende Anwendung des Völkerrechts? Angewandt werden die unter Abschnitt I herausgearbeiteten völkerrechtlichen Regeln mit Ausnahme derer, deren Tatbestand sich bereits als nicht erfüllt erwies (z.B. zwar kein Untergang lokalisierter Verträge, zu denen aber der Einigungsvertrag nicht zählt) oder die wegen völkerrechtlicher Besonderheiten ersichtlich nicht auf staatsrechtliche Verträge angewandt werden können (z.B.: kein Vertragsuntergang bei fortbestehender partieller (Völker-) Rechtsfähigkeit). Dieses Raster passieren nur folgende Regeln: Grundsätzlich geht der Vertrag (als völkerrechtlicher) unter bei Untergang eines Vertragsschließenden als Völkerrechtssubjekt; er bleibt bestehen, wenn im Wege der Staatennachfolge die Vertragsstellung auf ein anderes (Völker-)Rechtssubjekt überging. Der Vertragsvollzug allein führt nicht zum Erlöschen des Vertrages. Welche Besonderheiten sind bei der entsprechenden Anwendung dieser Regeln zu beachten? Die letzte Regel fußt auf der W V K , die insoweit dem geltenden deutschen Recht, demzufolge ein Schuldverhältnis mit Erfüllung erlischt, widerspricht, und kann daher nicht entsprechend angewandt werden. Daß der Satz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" einschließlich der Ausnahme bei Nachfolge in die Vertragsstellung übertragen werden kann, wurde bereits dargelegt 357 . Kann aber das Recht der Staatennachfolge auch auf die Nachfolge in ein Bundesland übertragen werden (von der Frage, ob und ggf. wer ein Nachfolger der Deutschen Demokratischen Republik ist, hängt ab, ob der Grundsatz des Partnerunterganges zum Tragen kommt)?

355

So für Staatsverträge zwischen Ländern Stern, Staatsrecht I, S. 757.

356

So für Staats Verträge zwischen Ländern Stern, Staatsrecht I, S. 757. Siehe oben S. 132.

357

136

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Das Staatennachfolgerecht besteht mangels in Kraft getretener Kodifikation als Völkergewohnheitsrecht, das teilweise aber in dem Entwurf des Wiener Übereinkommens über Staatennachfolge in Verträge 358 (kurz: Wiener Konvention - WK) geortet wird, sofern nicht die Regeln über „newly independent states" betroffen sind. Die Definition der „newly independent states" träfe auf die östlichen Länder als Nachfolger der Deutschen Demokratischen Republik nicht zu. Im Fall des Unterganges eines Staates (für innerstaatliche Anwendung: Landes) durch Aufspaltung in mehrere kleinere Staaten (Länder) sieht Art. 34 W K vor, daß die Verträge des bisherigen Staates mit den Nachfolgern (bzw. bei einer Beschränkung des Vertragsgebietes nur mit den gebietsmäßig betroffenen Nachfolgestaaten) fortbestehen, sofern nicht die betroffenen Staaten anderes vereinbaren oder diese Rechtsfolge mit dem Vertragszweck unvereinbar wäre. Schon die Ratio des Art. 34 WK, die die Mehrheit der Staaten bei seiner Verabschiedung im Sinn hatte, nämlich Verhinderung der Begünstigung von Sezessionen359, ist nicht auf die Ebene der Bundesländer übertragbar. Da die Sezession eines Gebietsteiles eines Bundeslandes eine Länderneugliederung darstellte, ist sie - von den Art. 29, 118 GG abschließend geregelt - nur unter den dort aufgestellten Regeln, d.h. grundsätzlich durch Bundesgesetz (Art. 29 I I GG), möglich, und es bedarf keiner Kautelen im Ländernachfolgerecht, um sezessionslüsterne Gebiete davon abzuhalten. Daß das Staatennachfolgerecht an die Verantwortung für die internationalen Beziehungen des Territoriums anknüpft, würde eine entsprechende Anwendung nicht hindern; Anknüpfungspunkt wäre für die Ländernachfolge nicht die Staats-, sondern die Länderfunktion (Bundeslandeigenschaft). Gegen eine entsprechende Anwendung im innerstaatlichen Bereich spricht aber, daß im Völkerrecht selbst stark umstritten ist, welche Regeln im Fall der Staatennachfolge gelten. Umstritten ist bereits, ob die W K überhaupt Völkergewohnheitsrecht darstellt; im übrigen besteht für den Tatbestand der dismembratio (Art. 34 WK), der beim Zerfall der Deutschen Demokratischen Republik in die östlichen Länder vorläge, keine einheitliche Staatenpraxis 360 und damit auch kein Völkergewohnheitsrecht. Jede entsprechende Anwendung im innerstaatlichen Recht würde dieses mit einem Rechtsstreit belasten, statt überzeugende Argumente beisteuern zu können.

358

ZaöRV 39 (1979), S. 279.

359

Verdross/Simma,

§ 978.

360

Verdross/Simma,

§ 978.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

137

Gegen eine entsprechende Anwendung der W K spricht weiter, daß bereits ihr Grundgedanke, das automatische Erlöschen von Verträgen möglichst zu verhindern 361 , im Bundesstaatsrecht keineswegs so naheliegt wie im Völkerrecht. Während das Völkerrecht auf Verträge als seine Hauptquellen und noch dazu die mit einem vergleichsweise hohen Grad an Eindeutigkeit angewiesen ist, ist das Recht zwischen den Ländern und dem Bund durch das Grundgesetz und Bundesgesetze bereits ausführlich geregelt, so daß keine Notwendigkeit besteht, die in Verträgen geschaffenen Rechtsregeln unbedingt aufrechtzuerhalten. Selbst wenn man Art. 34 W K entsprechend anwendete, wäre man übrigens - wegen seines Abs. 2 - zunächst einmal auf die Auslegung des Parteiwillens und des Ziels und Zwecks des Vertrages verwiesen. Somit kann nicht nach dem Staatennachfolgerecht bestimmt werden, ob und ggf. welche Nachfolger der Deutschen Demokratischen Republik in ihre Vertragsposition bestehen. Dann hilft der völkerrechtliche Satz „Vertragsuntergang bei Partneruntergang" auch nicht weiter als ein entsprechender allgemeiner Rechtssatz für Verträge 362 . Auch völkerrechtlichen Regeln kann daher keine Argumentationshilfe entnommen werden, die weiterreichte als eine solche aus innerstaatlichem Recht.

h) Zusammenfassung Festzuhalten bleibt: Soweit Argumente stichhaltig waren, d.h. die Folgerungen aus der Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und aus der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zur Gemeindeeingliederung, sprechen sie in Verbindung mit dem Parteiwillen für eine Fortgeltung des staatsrechtlichen Einigungsvertrages, die durch eine Fiktion des Fortbestandes der Deutschen Demokratischen Republik als Bundesland konstruiert wird 3 6 3 . Daß auch der Bund als Vertragspartner von dieser Rechtslage ausging, ist in Verbindung mit Art. 29 GG nach obiger Auslegung ein weiteres stützendes Argument.

361

Frowein, Verfassungslage, S. 15 Anm. 72.

362

Siehe oben S. 131.

363 Gegen eine Fiktion Stern (Diskussionsbeitrag), in: Stern, Wiedervereinigung, S. 242; er zeigt aber nicht, wie die Fortgeltung des Vertrages nach dem Beitritt sonst konstruiert werden soll.

138

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Nach Varianten l.a und 2.a der Beitrittskonstruktion gilt der Einigungsvertrag samt Annexen daher nach Ende des Beitrittsvorgangs als staatsrechtlicher Vertrag weiter, wobei der Vertragspartner Deutsche Demokratische Republik als Bundesland für fortbestehend fingiert wird.

5.1.3 Umfang für Fortgeltung Zu klären ist noch, welche Regelungen vom Fortgeltungswillen der Parteien, der alle Argumente für die staatsrechtliche Natur mitträgt, über den Einigungsvertrag im engeren Sinn hinaus erfaßt wurden. Wegen Art. 41 I EiV bezog er sich zwangsläufig auch auf die Gemeinsame Erklärung (Anlage I I I zum Einigungs vertrag), zumal gerade Art. 41 I I I EiV für die vertragliche Fortgeltung spricht. Aber sind auch die Anlagen I und II, das Protokoll zum Einigungsvertrag und die Durchführungsvereinbarung vom 18.9.1990 (DV) erfaßt, d.h. sprechen die Punkte für eine Fortgeltung des Einigungsvertrages auch für ihre Fortgeltung? Erstes tragendes Argument war der Wille, die Rechtsfolgen der CoburgRechtsprechung zu übernehmen. Im Rahmen dieser Rechtsprechung war das Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 27.11.1974 von der Fortgeltung des Schlußprotokolls zum Staatsvertrag zwischen Coburg und Bayern ohne weiteres ausgegangen364. Außerdem hatte es im Urteil vom 22.9.1976 das Schlußprotokoll zum Staatsvertrag zwischen Waldeck-Pyrmont und Preußen als fortgeltend angesehen und festgestellt: Aus dessen Eingangsformel, es enthalte „mit den Vereinbarungen des Vertrages selbst gleichverbindliche(n) Erklärungen" 365 , gehe hervor, daß es Annex des Vertrages sei und dessen rechtlichen Charakter deshalb teile 366 . Daß das BVerfG in beiden und damit allen Fällen der Coburg-Rechtsprechung, in denen es um Rechte nicht aus dem Vertrag selbst ging, die Protokolle auch als fortbestehend ansah, könnte dafür sprechen, daß nach dem Willen der Vertragspartner dann auch das Beiwerk des Einigungsvertrages sein rechtliches Schicksal teilen solle. Dabei gilt es aber zu bedenken: Ist die Aussage aus dem Urteil von 1976 vielleicht deshalb nicht anwendbar, weil dort das Protokoll einen entsprechenden Verweis auf den Vertrag enthielt? Können den in der Rechtsprechung allein erwähnten Protokollen auch die

364 365 366

BVerfGE 38, 231 (230 ff.). BVerfGE 42, 345 (348). BVerfGE 42, 345 (355).

II. Staatsrechtlicher Vertrag

139

Einigungsvertrags-Anlagen und die Vereinbarung vom 18.9.1990 gleichgestellt werden? Das Bundesverfassungsgericht stellte bei der Begründung der Teilhabe des Schlußprotokolls an der Fortgeltung auf die Annexität zum Vertrag ab und führte als Beleg für letztere die wiedergegebenen Worte aus der Eingangsformel des Protokolls an. Ausreichend, aber auch erforderlich, für eine Anwendung dieser Rechtsprechung ist also, daß die Annexität der Anlagen (I und Π), des Protokolls und der Vereinbarung vom 18.9.1990 zum Einigungsvertrag begründet werden kann. Dafür gibt es mehrere Belege: Daß Anlagen zu einem Vertrag dessen Annex sind, legt schon ihre Bezeichnung nahe. Außerdem verweisen Art. 8, 9, 11, 18 und 20 EiV explizit auf sie und stellen somit eine direkte Verbindung zu ihnen her. Die enge Verbindung zwischen dem Protokoll und dem Vertrag geht aus den Überschriften der einzelnen Punkte des Teiles I des Protokolls hervor, die ausdrücklich auf Artikel des Einigungsvertrages oder eine Anlage Bezug nehmen. Die Annexität der Vereinbarung vom 18.9.1990 erhellt aus ihrem Art. 7, in dem ihr Inkrafttreten an das des Einigungs Vertrages gekoppelt wird, aus Art. 4 und 5, die den Einigungsvertrag ändern bzw. berichtigen, und aus der Präambel, derzufolge die Vereinbarung in Ausführung des Art. 9 I I I EiV geschlossen wurde. Vor allem ergibt der jeweilige Sinnzusammenhang, daß das genannte Beiwerk fortgelten muß, wenn der Einigungsvertrag selbst fortgilt: Die Fortgeltung der Art. 9 Π und I I I 2 und V, 18 I I sowie 20 I und Π 2 und ΠΙ EiV wäre sinnlos, wenn nicht auch Anlagen I und I I fortgälten. Art. 8 und 11 EiV würden zumindest einen deutlich anderen Inhalt erhalten, was von den Vertragspartnern nicht beabsichtigt wäre. Die in Teil I des Protokolls enthaltenen Vereinbarungen könnten die ihnen zugedachte Funktion, einzelne Vertragsbestimmungen zu ergänzen, nur für eine äußerst kurz befristete Zeit erfüllen, wenn sie nicht ebenso lange gälten wie der Vertrag selbst. Die Vereinbarung vom 18.9.1990 kann die ihr zugedachte Funktion, Zweifelsfragen der Vertragsauslegung bindend zu entscheiden (Art. 6 DV), nur erfüllen, wenn sie genauso lange gilt wie der Vertrag. In keinem Fall hilft der Hinweis weiter, die Funktionen könnten auch durch eine nur gesetzliche Fortgeltung des Beiwerks erfüllt werden. Da der Einigungsvertrag in seinen (möglichen) Gestaltungen als innerstaatlicher Vertrag und als Gesetz möglicherweise andere Bindungswirkungen entfaltet, können die Annexfunktionen nur umfassend gewahrt werden, wenn das Beiwerk auch genau in den Rechtsformen fortgilt wie der der Vertrag selbst. Für die Gleichbehandlung der Anlagen, des Protokolls und der Durchführungsvereinbarung mit dem Vertrag spricht ferner, daß in der Bundesrepublik

140

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik die Parlamente die vier Regelwerke jeweils gemeinsam ratifiziert haben (Art. 1 ZustGes. BRD, § 1 ZustGes. DDR). Auch der Wortlaut in beiden Zustimmungsgesetzen deutet dadurch auf die enge Zusammengehörigkeit der Beiwerk-Regeln mit dem Vertrag hin, daß in ihnen nicht die Zustimmung zum Vertrag und den (selbständig daneben bestehenden) Regelungen, sondern zum Vertrag einschließlich der Regelungen ausgesprochen wird. Demgegenüber fällt nicht ins Gewicht, daß Art. 45 I I EiV als Bestimmung über die (gesetzliche) Fortgeltung sich seinem Wortlaut nach nur auf den Vertrag und, anders als der vorangehende Absatz, nicht auch auf die Anlagen und das Protokoll bezieht. Die Wiederholung des Zusatzes „einschließlich des anliegenden Protokolls und der Anlagen I bis I I I " wäre reiner Formalismus gewesen, der überflüssig war, nachdem in Art. 45 I EiV gerade die Verbundenheit des Vertrages mit Anlagen und Protokoll festgeschrieben worden war. Daß Art. 45 I EiV nicht die Vereinbarung vom 18.9.1990 nennt, erlaubt auch nicht den Schluß, diese sei im Gegensatz zu Protokoll und Anlagen kein Annex des Vertrages. Ihr Fehlen erklärt sich vielmehr dadurch, daß für ihr Inkrafttreten Art. 7 DV selbst eine Regelung enthält und es daher nicht zusätzlich in Art. 45 I EiV ausgesprochen werden mußte. Art. 7 DV verweist auf Art. 45 I EiV und bringt somit seinerseits die Annexität zum Ausdruck. Allerdings meint Fastenrath 367, Art. 45 I I EiV beziehe sich bewußt nur auf den Einigungsvertrag selbst, da insbesondere Anlage Π (wegen Art. 9 IV, V EiV) nicht, wie es in Art. 45 I I EiV heißt, „als Bundesrecht" fortgelten könne. Auch er geht aber davon aus, daß die Anlagen Bestandteile des Vertrages sind und fortgelten, weil sie tatbestandsausfüllendes Merkmal im Rahmen des Art. 9 EiV seien. Er will also nicht ihre Fortgeltung, sondern nur ihre Fortgeltung als Bundesrecht bestreiten. So gesehen, stützt Fastenraths Ansicht die Behauptung, Art. 45 I I EiV spreche nicht gegen die Fortgeltung der Anlagen etc., weil sie einen plausiblen Grund liefert, warum die Anlagen etc. nicht in dieser Vorschrift genannt sind. Bei ihnen könnte die bundesrechtliche Natur des Gesetzes, als welches sie fortgelten (Art. 45 I I EiV regelt nur die gesetzliche Fortgeltung), zweifelhaft sein 368 . Die Annexität des Protokolls, der Anlagen und der Vereinbarung vom 18.9.1990 zum Einigungsvertrag steht somit fest. Die zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus den Coburg-Fällen trifft daher für alle

367 368

Fastenrath, Bindungswirkung, S. 431. Näheres dazu unten S. 144.

II. Staatsrechtlicher Vertrag

141

diese Regelungen zu. Daß in den Coburg-Fällen das Gericht nur über Protokolle zu befinden hatte, legt nicht nahe, daß es Anlagen und Durchführungsvereinbarungen nicht auch als fortbestehend angesehen hätte; Rechte aus solchen Regelungen waren lediglich nicht im Streit. Der Parteiwille zur Übernahme der Rechtsfolgen der Coburg-Rechtsprechung auf den Einigungsvertrag spricht somit für die Fortgeltung der Anlagen, des Protokolls und der Vereinbarung vom 18.9.1990. Für die Fortgeltung des Einigungsvertrages als innerstaatlicher Vertrag sprach weiter die von den Parteien gewollte Bindungswirkung (wenigstens) bestimmter Vorschriften. Solche aus den genannten Beiwerks-Regelungen sind allerdings nicht darunter. Aus diesem Argument für die Fortgeltung des Vertages kann also kein Grund für die Fortgeltung auch der Beiwerksregeln entnommen werden. Schließlich sprach auch ein Erst-recht-Schluß aus Art. 40 I EiV für die Fortgeltung des Vertrages. Anlagen, Durchführungsvereinbarung und Protokoll sind, wie der Einigungsvertrag selbst, erst nach dem Staatsvertrag abgeschlossen worden. Daher spricht der Erst-recht-Schluß aus Art. 40 I EiV auch für die vertragliche Fortgeltung der genannten Regelungen. Es bleibt auf zwei Einwände gegen diese Fortgeltung einzugehen. Zum einen wird im (Art. 41 I) EiV nur seine Anlage ΠΙ ausdrücklich zu seinem Bestandteil erklärt. Folgt daraus nicht ein Indiz gegen die Annexität der Anlagen I und Π und erst recht dann weiterer Regelungen? Nein: Was Bestandteil ist, kann nicht bloßer Annex sein und braucht es auch nicht, um an der Fortgeltung teilzuhaben. Aus Art. 4 1 1 EiV folgt gerade nicht, daß Anlage I I Annex ist, also ist auch der Umkehrschluß falsch. Zum anderen wird in Art. 44 EiV, der die Coburg-Rechtsprechung übernehmen soll, nur der Vertrag und nicht - im Gegensatz zu Art. 45 I EiV das Beiwerk (Anlagen, Protokoll, Durchführungsvereinbarung) genannt. Sollte für das Beiwerk deshalb die Coburg-Rechtsprechung nicht übernommen werden? Dafür geben weder die entsprechenden Äußerungen der Bundesregierung 369 etwas her, noch wäre diese Annahme sehr lebensnah: Wenn ein bestimmter, in der Rechtsprechung entwickelter Lösungskomplex übernommen werden soll, wird in der Regel, weil die verschiedenen Einzelaussagen der Judikatur oft zusammenhängen werden, die gesamte Rechtsprechung zum entsprechenden Komplex - hier: Fortgeltung und Rechtswahrung aus Eingliederungsverträgen - übernommen. Soweit der Normsetzer die Rechtsprechung nicht übernehmen will, wird er dies besonders betonen, weil es

369

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 17. Sitzung, S. 562 C.

142

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

eher die Ausnahme ist. Eine solche Betonung besteht darin, daß Art. 44 EiV nur Rechte aus dem Vertrag nennt, nicht (sie läge etwa vor bei Formulierungen wie: „aus dem Vertrag selbst"). Im übrigen ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen Art. 44 EiV nur für den Einigungsvertrag selbst und nicht auch für das Beiwerk gelten sollte; daß die Vertragspartner in Anlagen, Protokoll und Durchführungsvereinbarung hinsichtlich der Durchsetzbarkeit „minderwertiges" Recht vereinbaren wollten, dafür gibt es keinen Anhaltspunkt. Somit erstrecken sich die Aussagen zur staatsvertraglichen Fortgeltung auch auf Anlagen, Protokoll und Durchführungsvereinbarung zum Einigungsvertrag.

5.2 Beitrittsvariante „Untergang der DDR uno actu mit Beitritt" In Variante 2.b ist die zuvor vorgenommene Konstruktion eines staatsrechtlichen Vertrages, Abschluß eines durch den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik als Völkerrechtssubjekt aufschiebend bedingten staatsrechtlichen Vertrages, nicht mehr möglich; denn die Deutsche Demokratische Republik geht hier mit dem Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland sofort ohne Zwischenschritt vollständig unter, für den staatsrechtlichen Vertrag bestünde also von vornherein kein Vertragspartner. Allerdings wurde die Konstruktion nur als Mittel gewählt, um dem Willen der Vertragspartner gerecht werden zu können. Dieser war bei den Varianten 1.a und 2.a sowohl für die Geltung des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag als auch für die vertragliche Weitergeltung über den endgültigen Untergang der Deutschen Demokratischen Republik hinaus das ausschlaggebende Argument. Dann gibt es keinen Grund, warum ihm nicht auch entsprochen werden soll, wenn Beitritt und Untergang der Deutschen Demokratischen Republik nicht kurz hintereinander, sondern zeitgleich erfolgen, zumal die Vertragspartner ursprünglich noch davon ausgegangen waren, daß die Deutsche Demokratische Republik als Bundesland bis zum 14.10.1990 bestehen sollte. Durch die zeitliche Vorverlegung der Ländereinführung, die ggf. den Übergang von Variante 2.a zu 2.b bewirkt hätte, sollte nicht das Schicksal des Einigungsvertrages nach dem Beitritt beeinflußt werden. Wenn somit mit derselben Argumentation wie bei den Varianten l.a und 2.a, nämlich dem dahingehenden Willen der Vertragspartner, die Fortgeltung als staatsrechtlicher Vertrag begründet werden kann, bleibt die Frage, ob diese wiederum durch eine Fiktion des Fortbestandes der Deutschen Demokratischen Republik als Bundesland (oder stattdessen durch Rechtsnachfolge der östlichen Länder in die Vertragsstellung der Deutschen Demokratischen

II. Staatsrechtlicher Vertrag

143

Republik) zu konstruieren ist. Insofern spricht der Wille der Vertragsparteien für die Fiktion. Fraglich ist allerdings, ob ein Rechtssubjekt in einer Rechtsform fingiert werden kann, in der es „zu Lebzeiten" nicht bestand (in Variante 2.b war die Deutsche Demokratische Republik ja nach Untergang als Völkerrechtssubjekt kein Bundesland). Dagegen könnte eingewandt werden, diese Konstruktion sei noch lebensfremder, da über Untergang und (Völker-)Rechtsform zugleich hinweggesehen würde. Auch hat eine solche Fiktion weder in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zur Gemeindeeingliederung noch in der Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen Präzedenzfall. Jedoch wird keineswegs eine doppelte Unterstellung vorgenommen. Unbeachtet gelassen wird nur die Entstehung neuer Länder auf dem Gebiet der früheren Deutschen Demokratischen Republik. Ohne die Länderentstehung wäre nämlich nach dem Beitritt die Deutsche Demokratische Republik Land der Bundesrepublik Deutschland, was gerade angenommen wird. Weil eine eingegliederte Gemeinde nicht mehr in kleinere Gebietskörperschaften zerfällt, konnte in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes eine solche Fiktion überhaupt nicht in Frage kommen. In der Coburg-Rechtsprechung wäre das Ergebnis einer entsprechenden Fiktion - Fortgeltung des Eingliederungsvertrages mit dem eingegliederten Land als Selbstverwaltungskörperschaft nicht mit dem Gedanken des Art. 93 I Nr. 4 GG, auf den das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung stützte, vereinbar gewesen, so daß sie ebenfalls nicht in Frage kam. Daß kein Präzedenzfall vorliegt, ist damit erklärbar, daß die deutschen Gerichte noch keinen Vertrag zu beurteilen hatten, der anläßlich des Beitrittes eines Völkerrechtssubjektes zu Deutschland geschlossen wurde; nur in dieser Konstellation kommt aber eine Fiktion der genannten Art in Frage. Eine solche Fiktion ist nicht mehr oder weniger lebensfremd als die, das eingegliederte Rechtssubjekt sei gar nicht beigetreten. Die Fiktion, die Deutsche Demokratische Republik bestehe als eingegliederte und somit als Bundesstaat fort, ist somit möglich. Damit besteht auch in Variante 2.b der Einigungsvertrag nach dem Beitritt als staatsrechtlicher Vertrag mit der als Bundesland fortbestehend fingierten Deutschen Demokratischen Republik weiter.

5.3 Zusammenfassung Der Einigungsvertrag gilt somit mit seinen Anlagen, dem Protokoll und der Durchführungsvereinbarung bei jeder der drei in Betracht kommenden Beitrittskonstruktionen nach dem Beitritt als staatsrechtlicher Vertrag fort,

144

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

wofür die Deutsche Demokratische Republik als Bundesland für fortbestehend fingiert wird.

6. Kompetenz des Bundes zur Umsetzung (Voraussetzung für Vertragsgeltung) Da somit nicht die östlichen Bundesländer Vertragspartner sind, kann der Einigungsvertrag nur insoweit gelten, als der Bund zu seiner Umsetzung befugt ist mit Ausnahme der Gegenstände, für die an sich die alten Bundesländer kompetent sind 370 . Besonders problematisch sind Art. 9 I und V EiV, in dem die Geltung von Recht der Deutschen Demokratischen Republik, das nach dem Grundgesetz zum Bereich der Landesgesetzgebungskompetenz zählt, in den fünf neuen Bundesländern (im Falle des Art. 9 I EiV auch in Ost-Berlin) vereinbart wurde 371 . Das BVerfG hat in seiner ersten Warteschleifenentscheidung dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 23 S. 2 GG a.F. und der „Natur der Sache" zugesprochen für alle unaufschiebbaren gesetzgeberischen Aufgaben, die zwangsläufig mit den Voraussetzungen für den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik verbunden waren 372 . Zur Begründung führte es an, daß die östlichen Länder mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben in angemessener Zeit mangels handlungsfähiger Gesetzgebungsorgane nicht in der Lage waren. In seiner zweiten Warteschleifenentscheidung führt es als notwendige Aufgaben die Bereitstellung finanzieller Mittel für die Aufrechterhaltung von Einrichtungen bis zu einer endgültigen (landesrechtlichen) Entscheidung über ihr Schicksal sowie wirtschaftliche Vertretbarkeit an 373 . Gegen diese Argumentation wendet Fastenrath 374 ein: Eine Tätigkeit der östlichen Länder sei gar nicht notwendig, um die gesetzgeberischen Aufgaben zu erfüllen. Denn die notwendigen gesetzlichen Regelungen, die die Anlagen des Einigungsvertrages enthalten, seien über das ZustGes. DDR Recht der Deutschen Demokratischen Republik und über den erweiternd auszulegenden Art. 9 ΙΠ EiV Landesrecht der östlichen Länder geworden, soweit sie nach

370

Siehe oben S. 87 f. Auf die Kompetenzproblematik weist auch die schleswig-holsteinische Vertreterin im Bundesrat in einer Protokollerklärung hin (Bundesrat, 21.9.1990, S. 527 C). 372 BVerfGE 84, 133 (1668). 373 BVerfGE 85, 360 (374). 374 Fastenrath, BindungsWirkung, S. 432. 371

II. Staatsrechtlicher Vertrag

145

dem Kompetenzkatalog des Grundgesetzes der Landesgesetzgebungskompetenz unterfielen; nur der Einigungs vertrag selbst als Teil des materiellen Bundesverfassungsrechts sei komplett Bundesrecht. Ergänzend wendet Fastenrath gegen die Lösung des BVerfG ein, daß die östlichen Länder auf sehr weitgehendem Gebiet keine Rechtsänderungen ohne Mitwirkung des Bundes mehr vornehmen könnten, wenn dem Bund die Kompetenz zum Erlaß des Einigungsvertrages einschließlich sämtlicher Regelungen in seinen Anlagen als Gesetz zugesprochen würde. Auch nach Fastenrath wäre der Bund kompetent, Art. 9 EiV selbst als Bundesgesetz zu erlassen. Seine Argumentation ist insofern nicht ganz stimmig, als seine Konstruktion wenigstens eine Kompetenz des Bundes voraussetzt für die Entscheidung, daß das ZustGes. DDR in den östlichen Ländern als Landesrecht fortgilt. Da der Bund wesentlichen Einfluß auf den Einigungsvertrag hatte, der durch das ZustGes. DDR zu Recht der Deutschen Demokratischen Republik wurde, hat er dadurch dann aber praktisch schon die Kompetenz erlangt, zu bestimmen, welchen Inhalt das zukünftige Landesrecht hat. Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes läßt sich nicht mit dem Schluß rechtfertigen, der Bund sei zuständig für die Wiedervereinigung (nach Art. 23 S. 2 GG a.F.), also für den Abschluß eines Eingliederungsvertrages und damit auch für dessen innerstaatliche Durchsetzung. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Konkordatsurteil festgestellt, daß ein völkerrechtlicher Vertrag, den der Bund geschlossen hat, von den Ländern, soweit er Gegenstände der ausschließlichen Landesgesetzgebungkompetenz regelt, nicht beachtet werden muß 375 ; seine innerstaatliche Erfüllung ist vielmehr Sache des zuständigen Gesetzgebers 376. Für den (ursprünglich) völkerrechtlichen Einigungsvertrag gilt, ungeachtet seines staatsrechtlichen Inhalts, nichts anderes. Würde aus der Pflicht zur Erfüllung des Vertrages und damit des Willens (auch) des beitretenden Staates die Notwendigkeit einer Durchbrechung der Kompetenzregelungen abgeleitet werden, würde dem beitretenden Staat im übrigen eine Möglichkeit auf Ausschaltung eines wesentlichen föderalen Grundsatzes eröffnet, obwohl ihm nach Art. 23 S. 2 GG a.F. nur der Beitritt zum derzeit geltenden Grundgesetz offensteht. Eine Bundesgesetzgebungskompetenz ist aber aus anderen Gründen gerechtfertigt, soweit sie auf das erstmalige Inkraftsetzen von Landesrecht ab dem Beitritt im Beitrittsgebiet beschränkt ist und keine irreversiblen Fakten

375 376

BVerfGE 6, 309 (352 ff.). BVerfGE 6, 309 (363).

10 Wagner

146

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

schafft. Dies ergibt sich daraus, daß die gegenteilige Annahme ad absurdum führen würde: Dann wären, bis jeweils die Landesgesetzgeber tätig geworden wären, in den fünf neugebildeten Ländern überhaupt keine rechtlichen Normen für die Gegenstände der Landesgesetzgebungskompetenz vorhanden, da die Länder mangels Vorgängern mit Staatsqualität, deren Rechtsnormen etwa hätten (übergangsweise) gelten können, zum Beitrittszeitpunkt keine eigenen Rechtsnormen besaßen. Diese Rechtsunsicherheit kann das Grundgesetz, das dem Bund aufgibt, die rechtsstaatliche Ordnung seiner Länder zu gewährleisten (Art. 28 III, I S. 1 GG), nicht gewollt haben. Ferner geht aus Art. 72 I I Nr. 1 GG hervor, daß ein Bestreben des Verfassungsgebers bei der Konzeption der Gesetzgebungskompetenzen war, dadurch die wirksame Regelung von Angelegenheiten zu ermöglichen. Wo aber ein Land weder landesrechtliche Normen hat noch (vorerst zumindest) schaffen kann, kann eine (wirksame) Regelung überhaupt nicht Zustandekommen. Diese untypische Situation, die selbst bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland nicht bestand - damals waren die Länder bereits funktionsfähig - , hat der Verfassungsgeber nicht vorhergesehen und deshalb bei der Kompetenzverteilung nicht berücksichtigt. Diese Lücke ist daher durch eine Fortbildung des Verfassungsrechts zu füllen. Neben dem Gedanken der Art. 72 I I Nr. 1 und 28 Π, I 1 GG kann dazu auch Art. 37 I GG herangezogen werden, der einen Fall regelt, in dem ein Land eine ihm obliegende Aufgabe nicht wahrnimmt. Nach dieser Verfassungsbestimmung erhält der Bund zusätzliche Kompetenzen, wenn ein Land seinen Bundespflichten nicht nachkommt. Die Übertragung dieses Gedankens auf die Unmöglichkeit der Wahrnehmung der Landesgesetzgebungskompetenz führt also ebenfalls zu einer Bundesgesetzgebungskompetenz. Diese reicht aber, um den Ausnahmecharakter zu wahren, nur so weit, wie sie unerläßlich ist. Unerläßlich ist nur die Bestimmung des Landesrechts bis zu dem Zeitpunkt, da die Landesgesetzgeber tätig werden, etwa durch Änderung der vom Bund in ihrem Land in Kraft gesetzten Bestimmungen. Insofern behalten die Gegenstände der Landesgesetzgebungskompetenz, auch wenn die Normen erstmals vom Bund in Kraft gesetzt wurden, den landesrechtlichen Charakter bei. Damit ist auch Fastenraths Befürchtung einer weitgehenden Abhängigkeit der Gesetzgeber der östlichen Bundesländer vom Bund zerstreut. Dem landesrechtlichen Charakter des in Geltung gesetzten Rechts steht in Art. 9 1 2 EiV der Ausdruck „bis zu einer Regelung durch den Bundesgesetzgeber" entgegen. Diese Formulierung stellt nur klar, daß das Recht der Deutschen Demokratischen Republik, das nach der GG-Kompetenzordnung (noch) nicht bundeseinheitlich geregelter Gegenstand der konkurrierenden Bundes-

II. Staatsrechtlicher Vertrag

147

gesetzgebungskompetenz ist (nur diesen Fall regelt Art. 9 1 2 EiV, da Recht der Deutschen Demokratischen Republik, das sonstiges Bundesrecht ist, in Art. 9 I I - I V EiV behandelt wird), nach Art. 31, 72 I GG ungültig wird, wenn der Bund später seine Kompetenz ausübt. Die Formulierung soll nicht eine Änderbarkeit durch den Landesgesetzgeber ausschließen (dann machte der Ausdruck „als Landesrecht" nämlich keinen Sinn). Unerläßlich ist der Erlaß von Normen auf dem Bereich der Landesgesetzgebungskompetenz nur für die Übergangszeit zwischen Beitritt und Funktionsfähigkeit der Landesgesetzgebung sowie für die Nachfolge der östlichen Länder in Institutionen der Deutschen Demokratischen Republik, da diese nicht durch die einzelnen Länder geregelt werden kann. Der Bund nähme dem Land unwiderruflich Entscheidungsmöglichkeiten, die es sich später nicht, etwa durch Änderung des in Kraft gesetzten Rechts, zurückholen könnte, wenn er Gesetze erließe, durch die in dieser Übergangszeit endgültige Fakten geschaffen würden (dieser Gedanke kann naturgemäß solche Fälle nicht treffen, deren endgültige Erledigung ohnehin in die Übergangszeit fällt, wie etwa die Festlegung der Termine für die Schulferien im Herbst 1990). Aus diesem Grunde ist etwa problematisch, ob dem Bund die Kompetenz zustand, in Art. 36 V I 2 EiV die Auflösung des „Rundfunks der DDR" und des „Deutschen Fernsehfunks" ultimativ anzuordnen. Eine Untersuchung, welche Normen des Einigungsvertrages und seiner Anlagen danach (ausschließlich) bundesrechtlichen Charakter haben und welche landesrechtlichen (aber durch Bundesgesetz in Kraft gesetzt werden durften) und für welche schließlich dem Bund die Kompetenz fehlte, weil sie irreversible Fakten schufen, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht vorgenommen werden. Jedenfalls betrifft die Mehrzahl der Regelungen im Einigungsvertrag und seinen Annexen keine irreversiblen Entscheidungen über Gegenstände der Landeskompetenzen, so daß der Bund für die weit überwiegende Mehrzahl der Regelungen kompetent war. Schließlich könnte der bisherigen Auslegung, derzufolge Regelungen des Einigungsvertrages und seiner Anlagen, die Gegenstand der Landesgesetzgebungskompetenz sind, landesrechtlichen Charakter haben und nur ausnahmsweise vom Bund in Kraft gesetzt worden sind, Art. 45 I I EiV entgegenstehen, demzufolge der gesamte Einigungsvertrag als Bundesrecht fortgilt. Der Bund kann nicht in einem einfachen Gesetz bestimmen, ob eine Materie Bundesrecht sei. Art. 45 I I EiV (i.V.m. Art. 1 ZustGes. BRD) ist schon wegen Art. 79 I GG kein verfassungsänderndes Gesetz. Die Frage lautet damit: Wollte der Bund ausweislich des Art. 45 I I EiV die Regelungen des Einigungsvertrages nur als bundesrechtliche erlassen mit der Konsequenz, daß alle Regelungen des Einigungsvertrages, die Gegenstände der Landesgesetzgebungskompetenz betreffen, in Ermangelung einer Bundeskompetenz

148

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

als Gegenstand des ZustGes. BRD verfassungswidrig wären? Oder ist mit Art. 45 I I EiV nur gemeint, die Regeln des Einigungsvertrages gälten als Gegenstand eines Bundesgesetzes (nämlich des ZustGes. BRD) fort, ohne daß damit etwas über ihre etwaige Änderbarkeit durch die (östlichen) Länder und damit De-facto-Zugehörigkeit zum Landesrecht ausgesagt wäre? Für die zweite Alternative spricht, daß das Gewicht der Aussage des Art. 45 I I EiV auf der gesetzlichen Fortgeltung, nicht auf der Einstufung der Regeln des Einigungsvertrages als Bundes- oder Landesrecht liegt. Ferner ist die Bezeichnung „Bundesrecht" für den gesamten Einigungsvertrag auch insofern gerechtfertigt, als er durch das ZustGes. BRD, also durch ein Bundesgesetz, in Kraft gesetzt wurde; der landesrechtliche Charakter einzelner Bestimmungen ergibt sich aus ihrer Abänderbarkeit durch die Landesgesetzgeber. Art. 45 I I EiV spricht daher nicht für eine fehlende Bundeskompetenz für EiV-Regelungen von Gegenständen der Landeskompetenzen. Die Frage, ob die bisherigen Ausführungen auch für Ost-Berlin gelten, kann hier offen bleiben; denn da Ost-Berlin ab Geltung des staatsrechtlichen Vertrages ein Teil des Bundeslandes Berlins ist und der Bund im Einigungsvertrag Gegenstände der Kompetenz Berlins regeln durfte, ist er schon deshalb insoweit zum Vertragsabschluß befugt. Der Bund war mithin - bis auf etwaige irreversible Regelungen auf Gebieten der Landesgesetzgebungskompetenz - kompetent zur Umsetzung des Einigungsvertrages in Bundesrecht. In diesem Rahmen gilt der Einigungsvertrag als staatsrechtlicher Vertrag fort.

I I I . Verfassungsrecht Vor der Untersuchung, ob der Einigungsvertrag 377, sei es durch ausdrückliche Grundgesetzänderung oder als neben dem Grundgesetz bestehen der Verfassungsrechtsbestandteil, zum Verfassungsrecht (im Sinn der Normenhierarchie) zählt, sei wiederum die Vereinbarkeit dieser These mit den zum Einigungsvertrag ergangenen BVerfG-Entscheidungen geprüft. Ob der Einigungsvertrag zum materiellen Verfassungsrecht zählt 378 , braucht nicht

377

Streng genommen, ist mit dem als (Verfassungs-)Gesetz geltenden Einigungsvertrag im folgenden jeweils der (verfassungs-)gesetzlich geltende Inhalt des EiV gemeint. 378 Dafür Fastenrath, Bindungswirkung, S. 432; Grawert, Rechtseinheit, S. 222 (Teile des Einigungsvertrages seien „weiches Verfassungsrecht"); Schulze, S. 2456.

III. Verfassungsrecht

149

erörtert zu werden, da für die weitere Untersuchung der Abänderbarkeit und Rechtswahrung unerheblich.

1. Vereinbarkeit dieser Rechtsform mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einigungsvertrag Wäre der Einigungsvertrag Teil des Verfassungsrechts (im o.g. Sinn), so hätte sein Zustimmungsgesetz, das Gegenstand der Verfassungsbeschwerden war, nur an Art. 79 GG, ggf. noch an überpositivem Recht, geprüft und an Hand ranghöherer verfassungsrechtlicher Grundsätze ausgelegt werden können, wenn die Verfassungsänderung ausdrücklich erfolgt wäre. Da das Bundesverfassungsgericht aber als Prüfungsmaßstab Art. 79 GG nur für Art. 4 E i V 3 7 9 und sonst die Grundrechte heranzog 380, wäre die These einer ausdrücklichen Grundgesetzänderung durch den gesamten Einigungsvertrag nicht mit seiner Rechtsprechung vereinbar. Wäre der Einigungsvertrag Teil der nicht im Grundgesetz niedergelegten („ungeschriebenen") Verfassungsgrundsätze, gilt Entsprechendes, wobei nicht einmal eine Überprüfung an Art. 79 GG in Frage käme. Die zum Einigungsvertrag ergangene Verfassungsrechtsprechung spricht also dagegen, den (gesamten) Einigungsvertrag als Verfassungsbestandteil anzusehen.

2. Ausdrückliche Grundgesetz-Änderung im Einigungsvertrag Damit der Einigungsvertrag insgesamt Teil des Grundgesetzes geworden wäre, hätte insbesondere die formelle Voraussetzung des Art. 79 I GG erfüllt werden müssen (das Quorum des Art. 79 I I GG ist bei der Verabschiedung des ZustGes. BRD erfüllt worden). Grundsätzlich muß nach Art. 79 I S. 1 GG durch das Gesetz der Wortlaut des Grundgesetzes ergänzt werden. Im ZustGes. BRD findet sich keine solche Ergänzung, im Einigungsvertrag selbst, auf den Art. 1 ZustGes. BRD verweist, nur in Art. 4 EiV. Aus den eingangs381 dargelegten Gründen wird nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom

379 380 381

BVerfGE 84, 90 (119 ff., 131); 84, 133 (145). BVerfGE 84, 90 (128); 84, 133 (146 ff.); 85, 360 (372). Siehe oben S. 22.

150

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

18.9.1990 382 unterstellt, die Verfassungsänderung im Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag sei verfassungsgemäß gewesen. Art. 4 EiV ist somit Verfassungsbestandteil. Ferner könnten Art. 3, 6 und 7 EiV insoweit Verfassungsrang besitzen, als sie einzelne Grundgesetz-Bestimmungen im Beitrittsgebiet (vorübergehend) nicht gelten lassen 383 . Ihre Wirkung wäre insofern identisch mit einer den entsprechenden Grundgesetz-Normen angefügten Bestimmung: „Dieser Artikel gilt im in Art. 3 EiV genannten Gebiet (bis zum ...) nicht." Es ist zu differenzieren: M i t dieser Argumentation läßt sich auf keinen Fall begründen, daß die Regelung, welche vorübergehend (bis zum Inkrafttreten der Bestimmung des Grundgesetzes) gilt, also Art. 7 EiV, Verfassungsrang hat; wenn nur sichergestellt ist, daß eine verfassungsrechtliche Regelung eines bestimmten Bereiches nicht besteht, dann kann jede Regelung dafür prinzipiell auch in beliebiger Rechtsform erfolgen. Das anläßlich des Beitritts erfolgte Inkraftsetzen der Grundgesetz-Bestimmung (zu einem späteren Zeitpunkt) nach Art. 23 S. 2 GG a.F. kann ebenfalls durch einfaches Gesetz erfolgen 384 , weil insoweit noch keine Regelung für das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik bestand, die Verfassungsrang besaß, und weil Art. 23 S. 2 GG wie ein Gesetzesvorbehalt wirkt. Insofern unterscheidet sich das Inkraftsetzen des Grundgesetzes von der Ergänzung eines schon geltenden Grundgesetzes. Es bleibt zu überlegen, ob nicht Art. 23 S. 2 GG a.F. dem bundesdeutschen Gesetzgeber nur die Möglichkeit ließ, das Grundgesetz in toto im beigetretenen Gebiet in Kraft zu setzen. Dann wäre jede (vorübergehende) Ausnahme der Geltung einzelner Grundgesetz-Bestimmungen de facto doch eine Änderung der in Kraft zu setzenden Verfassung und hätte daher ebenfalls Verfassungsrang, unterläge zumindest dem Art. 79 GG, der sonst umgangen werden könnte, obwohl die nach Art. 23 S. 2 GG a.F. in Kraft zu setzende Verfassung im Gegensatz zu einer neuen Verfassung nach Art. 146 GG gerade dem Schutz des Art. 79 GG unterliegen soll 3 8 5 . Seit der Eingliederung des Saargebietes ist anerkannt, daß Art. 23 S. 2 GG a.F. auch eine stufenweise und zunächst modifizierte Inkraftsetzung des Grundgesetzes

382

BVerfGE 82, 316.

383

So für Art. 7 EiV Engel (Diskussionsbeitrag), in: Stern, Wiedervereinigung, S. 240. 384 von Mangoldt/Klein, Art. 23 Anm. IV 3 a; Maunz/Dürig II, Art. 23 Rdnr. 43; Schmidt-Bleibtreu (Diskussionsbeitrag), in: Stern, Wiedervereinigung, S. 241; Wendt

(Diskussionsbeitrag), ebd. S. 240. 385

R. Chr. Kaufmann, S. 183.

III. Verfassungsrecht

151

ermöglicht 386 , da dieser Übergang die möglichst rasche volle Befolgung des Grundgesetzes oft erleichtert statt verhindert. Nicht zulässig ist es demgegenüber, Grundgesetz-Regelungen im beitretenden Gebiet auf unbestimmte Zeit hinaus nicht in Kraft zu setzen: Fehlt bei der Inkraftsetzung des (größten Teils des) Grundgesetzes ein Termin, ab wann die restlichen Verfassungsnormen gelten sollen, werden letztere nicht nur vorübergehend, sondern gar nicht in Kraft gesetzt. Während übergangsweise nicht geltende GrundgesetzNormen wenigstens ab dem festgelegten Termin dem Schutz des Art. 79 GG unterliegen, bestünde sonst nämlich keine verfassungsrechtliche Garantie dafür, daß die nicht in Kraft gesetzten Normen überhaupt eines Tages im Beitrittsgebiet gelten werden; diese Ausschaltung des Art. 79 GG für eine Verfassungsnorm wäre aber mit Art. 23 S. 2 GG a.F., der die möglichst schnelle volle Geltung des Grundgesetzes auch im Beitrittsgebiet fordert (im Gegensatz zu Art. 146 GG a.F.), unvereinbar. Danach konnte die bis längstens zum 31.12.1996 befristete Inkraftsetzung der Finanzverfassung durch Art. 3, 7 EiV durch Gesetz angeordnet werden, während der unbefristete Aufschub der Inkraftsetzung des Art. 131 GG in Art. 3, 6 EiV eine Änderung des Grundgesetzes darstellt und voll an Art. 79 GG zu messen ist. Bei der Anwendung des Art. 79 I S. 1 GG ist zu berücksichtigen, daß Art. 131 GG nicht geändert, sondern im Beitrittsgebiet von vornherein nicht in Kraft gesetzt wird. Daher wäre unsinnig, hier auf einer Ergänzung der nicht in Kraft gesetzten Norm zu bestehen; ausreichend ist die Erwähnung in dem Gesetz, in dem das Grundgesetz für das Beitrittsgebiet in Kraft gesetzt wird, also in Art. 1 ZustGes. BRD i.V.m. Art. 3 ff. EiV (daß dabei die Erwähnung im Einigungsvertrag genügt, hat bereits das Bundesverfassungsgericht entschieden387). Im übrigen ist der Sinn des Art. 79 I S. 1 GG, daß deutlich ist, welche Grundgesetz-Bestimmung geändert wird, durch den eindeutigen Wortlaut des Art. 6 EiV erfüllt. Art. 6 (i.V.m. Art. 3) EiV i.V.m. ZustGes. BRD ist somit Verfassungsbestandteil. Schließlich ist nicht durch Art. 1 ZustGes. BRD i.V.m. Art. 4 Nr. 5 eine ausdrückliche Ergänzung des Verfassungswortlautes in anderen als in Art. 4 EiV genannten Fällen vorgenommen worden. In Art. 143 I, I I wurde die vorübergehende Abweichung von Recht im Beitrittsgebiet Grundgesetz-Normen gestattet; schon weil diese Normen nicht explizit

386

R. Chr. Kaufmann, S. 182; von Mangoldt/Klein,

Düng II, Art. 23 Rdnr. 45. 387 BVerfGE 84, 90 (120).

EiV den GG von ge-

Art. 23 Anm. IV 3 c; Maunz/

152

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

nannt sind, kann dies keine Wortlautergänzung um diese Normen darstellen. In Art. 143 ΠΙ GG wird Art. 41 EiV (samt Durchführungsregeln) für wirksam trotz Art. 14 GG erklärt; diese Vorschrift wäre überflüssig, wenn Art. 41 EiV Teil des Grundgesetzes sein sollte, da er dann als Spezialregelung dem Art. 14 GG vorginge. Auch Art. 143 ΙΠ GG stellt daher keine Ergänzung des Grundgesetzes (um Art. 41 EiV) dar. Diese Auslegung des Art. 143 ΠΙ GG entspricht der mehrheitlich dazu vertretenen Ansicht 388 . Die nicht näher begründete These der Minderheit, Art. 143 ΠΙ GG entziehe die Regeln über den Restitutionsausschluß der Dispositionsfreiheit des einfachen Gesetzgebers389 bzw. verleihe der Anlage I I I EiV Verfassungsrang 390, ist mit Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des Art. 143 I I I GG unvereinbar: Nach dieser Vorschrift „haben" Art. 41 EiV nebst Durchführungsregeln „Bestand", d.h. sie gelten — aber ohne Veränderung ihrer Rechtsquelle (diese Regeln wären nicht in Art. 41 EiV, sondern in Art. 4 Nr. 5 EiV vereinbart worden, wenn sie Verfassungsrang hätten erhalten sollen). Das Wort „auch" zeigt, daß Art. 143 ΠΙ GG von der unproblematischen Geltung des Art. 41 EiV im übrigen ausgeht - als objektives Recht in einfach-gesetzlichem Rang - und für den im Nebensatz bezeichneten Regelungsgehalt die Geltung in derselben Form verfassungsrechtlich für unbedenklich erklärt. Die einleitenden Worte des Satzes zeigen, daß die in Art. 143 ΠΙ GG getroffene Regelung einen Tatbestand behandelt, der eine Parallele zu denen der beiden vorangehenden Absätze darstellt; dafür spricht auch die Zusammenfassung in einem Grundgesetz-Artikel. Art. 143 I, Π GG erheben aber keine Einigungsvertrags-Bestimmungen in Verfassungsrang, sondern sichern nur ab, daß sie nicht gegen das Grundgesetz verstoßen (was sie nur als einfach-gesetzliches Recht tun können) durch Eröffnung einer Ausnahme von übrigen Verfassungsbestimmungen. Im Sinne einer solchen Sicherungsklausel wird Art. 143 I I I GG schließlich auch in der amtlichen Begründung zum Einigungsvertrag verstanden 391. Allerdings wäre eine Wortlaut-Ergänzung überflüssig, wenn man den Einigungsvertrag, der im Zusammenhang mit der abschließenden Wiedererlangung der vollen Souveränität Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg steht, unter die in Art. 79 I S. 2 GG genannten völkerrechtlichen Verträge

388 Anker, Einigungs vertrag, S. 1063; Jarass / Pieroth, Art. 143 Rdnr. 2; Stern, Charakter, S. 292; Wasmuth, Anmerkung, S. 278; ders., Wiedergutmachung, S. 84; auch Weis (Fragen, S. 27 f.), der Art. 143 III GG im wesentlichen deklaratorischen Sinn beimißt. 389

Steinberg, S. 6.

390

KG, VIZ 1992, S. 65 (67). BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

391

III. Verfassungsrecht

153

subsumierte (bzw. Art. 79 I S. 2 GG analog anwendete) und das ZustGes. BRD den Wortlaut des Grundgesetzes um eine Klarstellung der Vereinbarkeit des Einigungsvertrages mit dem Grundgesetz ergänzte. Eine solche Klarstellung findet sich im Zustimmungsgesetz selbst nicht; sie könnte allenfalls Art. 1 ZustGes. BRD i.V.m. Art. 4 Nr. 5 (Art. 143 GG) ΠΙ EiV enthalten für Art. 41 EiV. Jedoch bewirkt eine Klarstellung nach Art. 79 I 2 GG nicht, daß der genannte völkerrechtliche Vertrag (ggf. teilweise) zu Verfassungsrecht wird, sondern schränkt nur den Anwendungsbereich der (entgegenstehenden) Grundgesetz-Normen ein. Folglich ist wegen Art. 79 I GG nicht der Einigungsvertrag insgesamt, sondern nur Art. 4 und 6 (i.V.m. Art. 3) EiV als Grundgesetz-Bestandteil Verfassungsrecht geworden 392. Gegen die Eigenschaft weiterer Vertragsteile als Verfassungsrecht spricht im übrigen auch die Existenz des Art. 4 EiV. Hätte die Bundesrepublik Deutschland gewollt, daß der gesamte Einigungsvertrag Bestandteil des Grundgesetzes würde, wäre unverständlich, warum sie dann einzelne Grundgesetz-Änderungen extra im Einigungsvertrag erwähnte.

3. Einigungsvertrag als Verfassungsrecht neben Grundgesetz-Wortlaut? Daß es Verfassungsrecht gibt, das nicht ausdrücklich im Grundgesetz enthalten ist, ist anerkannt; man denke nur an den Grundsatz der Bundestreue oder die Bundeskompetenzen kraft Natur der Sache. Was könnte für den verfassungsrechtlichen Charakter (im o.g. Sinn) des gesamten Einigungsvertrages sprechen? Daß der Einigungsvertrag ab dem Beitritt die Grundlagen der Beziehungen zwischen dem Bund und den östlichen Ländern regelt (z.B. in Art. 1, 7 - 1 2 , 28, 42, 43 EiV) 3 9 3 , qualifiziert ihn seinem Inhalt nach zwar teilweise als materielles Verfassungsrecht. Solches ist aber nicht schon per se auch Teil der Verfassung im Sinn der Normenhierachie. Werden die Beziehungen zwischen zwei ehemals selbständigen Staaten auf eine vertragliche Grundlage gestellt, spräche dies im übrigen eher gegen als für die Qualifizierung dieser Grundnormen als Verfassung; denn sonst wäre der Unterschied zwischen

392

Klein (Bundesstaatlichkeit, S. 38) schränkt dies auf Art. 4 EiV ein. Grawert (Rechtseinheit, S. 222) spricht von „Grundsatzvereinbarungen", Schulze (S. 2456) von der „Funktion der Gründung des neuen Gemeinwesens BRD". 393

154

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

dem auf vertraglicher Grundlage ruhenden Staatenbund und dem auf Verfassung beruhenden Bundesstaat verwischt. Auch eine möglicherweise gegenüber Gesetzen erschwerte Abänderbarkeit 3 9 4 läßt ihn nicht Teil der Verfassung werden. Entweder besteht diese aus anderen Gründen, hier aus dem Fortgelten als staatsrechtlicher Vertrag; dann hinge sie gerade mit der vertraglichen Rechtsform zusammen. Oder sie ergibt sich erst als Folge aus der - dann anders zu begründenden - Eigenschaft als Verfassungsrecht. Lediglich Art. 41 EiV könnte dennoch dem Verfassungsrecht zuzuordnen sein, da Art. 41 ΠΙ EiV die Unabänderbarkeit des Art. 41 I EiV statuiert. In Verbindung mit dem ZustGes. BRD hätte Art. 41 ΠΙ EiV, seine Gültigkeit vorausgesetzt, inhaltlich eine ähnliche Wirkung wie Art. 79 I I I GG: Der bundesdeutsche (Verfassungs-)Gesetzgeber könnte keine Art. 41 I EiV widersprechenden Gesetze erlassen, ohne - nun aber nicht gegen das Grundgesetz, sondern - gegen Art. 1 ZustGes. BRD i.V.m. Art. 41 ΠΙ EiV zu verstoßen. Haben deshalb Art. 41 I I I EiV (i.V.m. Art. 1 ZustGes. BRD) und Art. 41 I EiV ebenso Verfassungsrang wie Art. 79 I I I GG und die durch ihn geschützten Grundsätze der Verfassung? Dagegen spricht, daß Art. 41 ΠΙ EiV seinerseits - weil nicht Teil des Grundgesetzes - keine erhöhte Bestandsgarantie genießt, wie sie in Art. 79 GG für alle Grundgesetz-Artikel angeordnet ist. Ein gegen Art. 41 I EiV verstoßendes neues Gesetz würde nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi posteriori" den früher erlassenen, ranggleichen Art. 41 I I I EiV (i.V.m. Art. 1 ZustGes. BRD) einschränken können (sofern die Kollision nicht wegen Spezialität des Art. 41 EiV im Verhältnis zur Neuregelung anders zu lösen ist), der somit den Art. 41 I EiV nicht vor Änderungen durch den Gesetzgeber zu schützen vermag. Das - einzig haltbare - Argument, mit dem Bachof 395 den verfassungsrechtlichen Charakter der Beitrittsverträge der süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund begründete, war der Hinweis auf eine Vertragsbestimmung, derzufolge der Vertrag integrierender Bestandteil der Bundesverfassung sein solle. Eine solche Bestimmung enthält der Einigungsvertrag nicht. Insbesondere kann sie nicht in Art. 45 Π EiV erblickt werden. Zwar ist auch Bundesverfassungsrecht Bundesrecht. Da der Einigungsvertrag aber vor dem Beitritt kein Teil des Verfassungsrechtes war, kann er diesen Charakter auch nicht beibehalten („bleiben"); aus diesem Grunde kann in Art. 45 I I EiV unter ,3undesrecht" nicht „Bundesverfassungsrecht" verstanden werden.

394

Auf diesen Aspekt weist Schulze, S. 2456 hin.

395

Bachof, S. 27 f.

III. Verfassungsrecht

155

Übertrüge man die zu Gemeindeeingliederungsverträgen gelegentlich geäußerte Auffassung, sie würden (zumindest, soweit sie Rechte Dritter begründen) nach der Eingliederung zu objektivem Recht 396 , auf den Einigungsvertrag, so könnte dieser deshalb Verfassungs- (oder Gesetzes-)Recht der Bundesrepublik Deutschland geworden sein nach dem Beitritt. Die Auffassung ist jedoch, wie gezeigt, schon für Gemeindeeingliederungsverträge nicht haltbar. Dasselbe gilt für die allgemeine Annahme, bei Nachfolge eines Partners eines völkerrechtlichen Vertrages in die Rechte des anderen bewirke das Zusammenfallen der vertraglichen Rechte und Pflichten, daß sie sich „nach innen an die eigenen Staatsorgane wenden" und objektive, dem Verfassungsrecht womöglich gar vorgehende Normen würden 397 . Als objektives innerstaatliches Recht binden die Regelungen, die allein (ohne Transformations-/ Vollzugsgesetze) zuvor nur dem Staat, nicht aber seinen Bürgern, Pflichten auferlegten, auch letztere. Diese Ausweitung des Adressatenkreises würde die Inter-partes-Wirkung von Verträgen ebenso mißachten wie die alleinige Zuständigkeit des (Verfassungs-)Gesetzgebers zur Begründung allgemeinverbindlichen geschriebenen (Verfassungs-)Rechts innerhalb des Staates. Statt Argumente für gibt es vielmehr Argumente gegen eine verfassungsrechtliche Qualität des Einigungsvertrages. Keiner der Vertragspartner ging davon aus, der Einigungsvertrag werde nach dem Beitritt als Teil des bundesdeutschen Verfassungsrechts fortgelten. Das ergibt sich schon aus der beabsichtigten Übernahme der Coburg-Rechtsprechung, in der das Bundesverfassungsgericht nicht einmal erwogen hat, ob die Eingliederungsverträge Verfassungsrecht des eingliedernden Staates geworden sind (so daß dieser deshalb an sie gebunden wäre, mit Konsequenzen für die - dann erschwerte - Abänderbarkeit). Vor allem aber wurde aus rechtspolitischen Gründen für die Vereinigung der Weg des Art. 23 S. 2 GG a.F. statt der des Art. 146 GG a.F. gewählt, um das Grundgesetz als Verfassung des vereinten Deutschlands zu erhalten 398. Nur die drängendsten Verfassungsänderungen sollten (schon im Hinblick auf die Problematik der Zulässigkeit der Grundgesetz-Änderung durch Vertrag) durch den Einigungsvertrag vorgenommen werden; selbst Änderungen, die im Zusammenhang mit der Vereinigung standen, sollten ausweislich des Art. 5 EiV späteren Beratungen vorbehalten bleiben. Wäre aber der gesamte Einigungsvertrag Teil des Verfassungsrechts geworden, so wäre das Verfassungsrecht der alten Bundes-

396 397

ab. 398

Siehe oben S. 124. Diese These spricht Anker (Einigungsvertrag, S. 1062) an, lehnt sie dann aber Aus der Literatur vor der Entscheidung für Art. 23 GG Starck, S. 355.

156

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

republik Deutschland in ganz erheblichem Umfang erweitert worden. Schließlich wäre auch Art. 143 GG, der durch Art. 4 Nr. 5 EiV eingefügt wurde, überflüssig, wenn der Einigungsvertrag in Gänze ohnehin Verfassungsrecht darstellte. Den Einigungsvertrag insgesamt als Verfassungsrecht anzusehen, unterliefe somit den Willen der Bundesrepublik Deutschland.

4. Zusammenfassung Verfassungsbestandteil sind somit nur Art. 4 und 6 (i.V.m. Art. 3) EiV i.V.m. Art. 1 ZustGes. BRD geworden. Ob die verfassungsändernden Teile des Zustimmungsgesetzes auch nach dem Beitritt weitergelten, wird zusammen mit der Fortgeltung der einfachgesetzlichen Teile des ZustGes. BRD untersucht werden. Auf die Auswirkungen der Geltung als Verfassungsgesetz auf die des Vertrages wird ebenfalls im Zusammenhang mit der Geltung des übrigen Einigungsvertrages als einfaches Gesetz eingegangen399.

IV. Bundesgesetz Zuerst seien wieder die zum Einigungsvertrag ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auf ihre Vereinbarkeit mit der Geltung des Einigungsvertrages als Bundesgesetz untersucht und die Literaturmeinungen dazu zusammengefaßt. Anschließend ist zu erörtern, ob der Einigungsvertrag selbst mit dem Beitritt sich in ein Bundesgesetz umwandelte oder ob das ZustGes. BRD auch noch nach dem Beitritt gilt (und der Einigungsvertrag so via Art. 1 ZustGes. BRD fortgilt). Bejahendenfalls bleibt zu überlegen, ob diese Fortgeltung die vertragliche Geltung verdrängt.

1. Vereinbarkeit dieser Rechtsform mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einigungsvertrag Wie bereits gezeigt 400 , kann der Auslegungsmethode, die das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen zum Einigungsvertrag anwandte, nichts für oder gegen die Geltung des Einigungsvertrages (i.V.m. ZustGes. BRD) als Bundesgesetz entnommen werden.

399 400

Siehe unten S. 165. Siehe oben S. 86.

IV. Bundesgesetz

157

Jedoch sprechen seine Entscheidungen über die Verfassungsbeschwerden gegen die Warteschleifenregelungen 401 dafür, daß der Einigungsvertrag (auch) Gegenstand eines Bundesgesetzes ist. Denn das Gericht prüfte das ZustGes. BRD in einem Punkt, der erst mit bzw. nach dem Beitritt Relevanz gewann, nämlich die Kündigungsmöglichkeit der Arbeitsverhältnisse ab Beitrittszeitpunkt bzw. die Beendigung zum 31.12.1991. Wären die Einigungsvertrags-Regeln nach dem Beitritt kein Bundesgesetz-Gegenstand mehr, hätten die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung - nach dem Beitritt - kein Bedürfnis nach Rechtsschutz 402 gegen das Gesetz mehr gehabt, da ihre Arbeitsverhältnisse nach dem Beitritt durch das Gesetz dann gar nicht berührt worden wären. Da die Verfassungsbeschwerde gegen das ZustGes. BRD gerichtet war und das Bundesverfassungsgericht dies auch nicht beanstandet hat, spricht diese Entscheidung dafür, daß das ZustGes. BRD und über dessen Art. 1 auch die Regeln des Einigungsvertrages als Bundesgesetz nach dem Beitritt weiter gelten.

2. Bilanz der Literaturmeinungen Soweit Autoren zur gesetzlichen Fortgeltung des Einigungsvertrages Stellung nehmen, geben sie oft nur den Wortlaut des Art. 45 I I EiV wieder oder formulieren ihn dahin um, der Einigungsvertrag besitze nach dem Beitritt den Rang von Bundesrecht. Genauer äußern sich nur Anker 4 0 3 , Fastenrath 404 und Grawert 405 , die alle von einer Fortgeltung des Einigungsvertrages als Bundesgesetz ausgehen. Die Literatur hält somit einhellig den Einigungsvertrag als Bundesgesetz für fortgeltend.

3. Fortgeltung über das Zustimmungsgesetz der BRD Damit der Einigungsvertrag in Verbindung mit dem ZustGes. BRD nach dem Beitritt als Bundesgesetz (weiterhin) gilt, muß das ZustGes. BRD ordnungsgemäß (d.h. vor allem kompetenzgerecht) zustandegekommen sein, die

401

BVerfGE 84, 133; 85, 360.

402

Das Rechtsschutzbedürfnis muß noch im Zeitpunkt der BVerfG-Entscheidung bestehen, Maunz/Zippelius, S. 373. 403 404 405

Anker, Einigungs vertrag, S. 1065. Fastenrath, Bindungswirkung, S. 431 f. Grawert, Rechtseinheit, S. 222.

158

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Regeln des Einigungsvertrages zu unmittelbar geltendem Recht in der Bundesrepublik Deutschland gemacht haben und diese Wirkung auch noch nach dem Beitritt entfalten. Auch letzteres ist nicht selbstverständlich, da das ursprüngliche Bezugsobjekt des Zustimmungsgesetzes, nämlich der völkerrechtliche Vertrag, untergegangen ist. Die Ergebnisse der Untersuchungen zu diesen Punkten sind am Willen des Bundesgesetzgebers zu messen und mit ähnlich gelagerten Eingliederungsfällen zu vergleichen.

3.1 Bundeskompetenz Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes wurde bereits untersucht 406, allerdings nur, soweit sie die fünf neuen Länder betraf (da für die bisherigen Bundesländer dem Bund auch über Gegenstände ihrer Gesetzgebungskompetenz der Abschluß des Einigungsvertrages gestattet war). Fraglich könnte sein, ob der Bund für etwaige Einigungsvertrags-Regelungen, die in die Gesetzgebungskompetenz eines der alten elf Bundesländer fallen, zur Umsetzung in objektives Recht befugt war. Da die Vertragsabschlußkompetenz des Bundes insoweit aus einer Parallele zu Verfahren bei völkerrechtlichen Verträgen abgeleitet worden war 407 , liegt nahe, auch die Kompetenz zur Umsetzung entsprechend zu beurteilen. Nach der streng zentralistischen Ansicht darf der Bund alle völkerrechtlichen Verträge, die er abschließen darf, auch in innerstaatliches Recht umsetzen408; nach der gemäßigten zentralistischen Ansicht ermächtigt das Vertragsgesetz, soweit es Vertragsgegenstände der Landesgesetzgebung betrifft, die von den Ländern umzusetzen seien, nur den Bundespräsidenten zum Vertragsabschluß 409. Nach der föderalistischen Ansicht kann der Bund insoweit erst recht keine Transformation bzw. Adaption vornehmen. Nach der streng zentralistischen Meinung hat der Bund danach die Kompetenz zur Umsetzung des Einigungsvertrages in objektives Recht insoweit, als er ihn abschließen durfte. Allerdings sind die wesentlichen für diese Meinung angeführten Gründe 410 grundsätzlich nicht auf innerstaatliche Verträge anwendbar: Das Argument, das Grundgesetz wolle ein Auseinanderfallen zwischen vertraglicher Bindung und Transformationskompetenz verhindern,

406

Siehe oben S. 144. Siehe oben S. 91. 408 Schweitzer, S. 339; dafür für den Fall des Einigungsvertrages Fastenrath, dungswirkung, S. 431. 407

409

Schweitzer,

410

Dazu Schweitzer,

S. 340.

S. 339.

Bin-

IV. Bundesgesetz

159

müßte bei Bund-Länder-Verträgen dazu führen, daß - im Gegensatz zu sonstigen Gesetzgebungskompetenzen (mit Ausnahme des Grundrechte-Bereiches) - Bund und Land als Vertragspartner gleichzeitig zuständig wären; allerdings trifft dieses Gegenargument gerade auf den Einigungsvertrag nicht zu, da mangels der faktischen Existenz des Vertragspartners Deutsche Demokratische Republik hier doch nur ein Vertragspartner de facto die Gesetzgebungskompetenz wahrnehmen könnte. Für das Argument, aus der vertraglichen Verantwortung ergebe sich eine Kompetenz kraft Sachzusammenhanges, gilt dasselbe. Das Argument, aus Art. 73 Nr. 1 GG folge auch die Transformationskompetenz, könnte für den staatsrechtlichen Einigungsvertrag nur auf Art. 23 S. 2 GG statt Art. 73 Nr. 1 GG gestützt werden. Folglich wäre die streng zentralistische Ansicht, von ihrer Begründung her, auch auf den staatsrechtlichen Einigungsvertrag anwendbar. Nach der gemäßigten Ansicht - ihr Hauptargument, der Kompetenzkatalog des Grundgesetzes würde durch eine Umsetzungszuständigkeit des Bundes gesprengt, trifft gerade auch auf innerstaatliche Verträge zu - bleibt zu untersuchen, ob der Bund für etwa im Einigungsvertrag enthaltene Materien, die an sich in die Kompetenz der bisherigen Bundesländer fielen, zuständig war. Problematisch sind insoweit nur Einigungsvertrags-Regelungen auf dem Gebiet der Landesgesetzgebungskompetenz, die Ost-Berlin betreffen, wo bei fehlenden Einigungsvertrags-Überleitungsregeln mit dem Beitritt wegen Art. 1 I I EiV automatisch die Landesgesetze (West-)Berlins gelten würden. Da hier kein rechtsfreier Raum auf dem Gebiet der Landeskompetenzen entstünde, trägt die obige 411 Begründung einer exzeptionellen Bundeskompetenz zur erstmaligen Einführung von Landesrecht hier nicht. Auch das Argument, die sofortige Geltung jeglichen Landesrechts (West-)Berlins in Ost-Berlin sei in vielen Bereichen nicht möglich, da Übergangsregelungen notwendig seien, spricht nicht für eine Bundeskompetenz; denn wie der Bund (auf dem Gebiet seiner Gesetzgebungskompetenzen) für die Deutsche Demokratische Republik, so hätte auch der (West-)Berliner Gesetzgeber bereits vor dem 3.10.1990 Übergangsregelungen auf dem Gebiet des Landesrechts für OstBerlin beschließen können. Schließlich folgt aus Art. 72 I I Nr. 3 GG e contrario, daß eine Bundeskompetenz auch nicht damit begründet werden kann, das Recht der Deutschen Demokratischen Republik, das nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes ausschließliches Landesrecht ist, solle einheitlich für das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik fortgelten können; denn das Argument der Einheitlichkeit kann nur auf dem Feld der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit eine Gesetzgebungs-

411

S. 145 f.

160

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

kompetenz des Bundes begründen. Wäre der Gedanke des Art. 72 Π Nr. 3 GG auch auf ausschließliche Landeskompetenzen anwendbar, so gäbe es echte ausschließliche Landesgesetzgebungskompetenzen praktisch nicht mehr. Deshalb kann er - anders als der Gedanke des Art. 72 I I Nr. 1 GG - nicht zur Füllung einer etwaigen Lücke im Kompetenzkonzept des Grundgesetzes herangezogen werden. Daher ist äußerst fraglich, woher der Bund die Kompetenz haben soll, die Vertragsbestimmungen, die Gegenstände der ausschließlichen Landesgesetzgebungskompetenz betreffen, in (Ost-)Berlin als Gesetz in Kraft zu setzen 412 . Dennoch gelten die betroffenen EiV-Regelungen zumindest teilweise, und zwar als Landesrecht, auch dort. Zwar hat der - zuständige - (West-)Berliner Gesetzgeber dem Vollzug der Regelungen des Einigungsvertrages nicht, wie ursprünglich vorgesehen (Art. 9 ZustGes. BRD), im Verfahren nach dem Dritten Überleitungsgesetz von Bundesrecht nach Berlin (West) zugestimmt. Aber er hat in § 2 S. 1 des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 28.9.1990 413 bestimmt, Recht der Deutschen Demokratischen Republik, „das als Berliner Landesrecht fortgilt, tritt, soweit es nicht nach den Anlagen zu dem" Einigungsvertrag „fortgilt, mit Ausnahme der in Anlage 3 aufgeführten Rechtsvorschriften außer Kraft." Daraus geht der Wille des Berliner Gesetzgebers hervor, die im Einigungsvertrag und seinen Anlagen zur Fortgeltung von Recht der Deutschen Demokratischen Republik, das Gegenstände der Landesgesetzgebungskompetenz betrifft, enthaltenen Regelungen zu übernehmen. Art. 9 I EiV und damit der größte Teil der durch den Einigungsvertrag und seine Anlagen geregelten landesrechtlichen Materien gilt daher inhaltlich auch in Berlin, aber landesrechtlich in Verbindung mit § 2 S. 1 des o.g. Berliner Gesetzes. Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den gesetzlichen Einigungsvertrag besteht somit, allerdings mit Ausnahme der Regeln, die Gegenstand der ausschließlichen Landesgesetzgebungskompetenz sind und irreversible Folgen bewirken, und für die gemäßigte zentralistische und die föderalistische Auffassung zu Art. 32 GG mit der weiteren Ausnahme der Materien, die in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin fallen — insoweit gelten die dort als Landesrecht nach Art. 9 I EiV fortbeste-

412

Insoweit trifft eine Aussage Burmeisters (Diskussionsbeitrag, in: Stern, Wiedervereinigung, 243), die sich auf die Saareingliederung bezieht, auch auf den Einigungsvertrag zu: „... im Nachhinein erscheint es recht erstaunlich, daß man die ... angesprochenen Probleme damals mehr oder weniger pragmatisch gesehen und bei deren Lösung nicht so sehr auf die grundgesetzliche Kompetenzordnung als vielmehr auf das angestrebte Ergebnis geschaut hat." 413

GVB1. Berlin 1990 S. 2119.

IV. Bundesgesetz

161

hen sollenden Regeln aber nach § 2 S. 1 des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 28.9.1990.

3.2 Transformation/Vollzug des Einigungsvertrages nach Beitritt Nach der Transformationslehre entfällt die innerstaatliche Geltung des Vertragsinhalts durch das Zustimmungsgesetz an sich nicht, da das Zustimmungsgesetz vom Schicksal des völkerrechtlichen Vertrages grundsätzlich unabhängig ist 4 1 4 . Der Einigungsvertrag würde danach als Gesetz problemlos auch noch nach dem Beitritt gelten 415 . Freilich verkehrt die - in der deutschen Staats- und Gerichtspraxis allein vertretene - gemäßigte Transformationslehre diesen Grundsatz in sein Gegenteil durch die aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes abgeleitete Vermutung, das Zustimmungsgesetz ergehe unter der (aufschiebenden und) auflösenden Bedingung, daß der Vertrag für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich gelte 416 . Der Einigungsvertrag ist zwar mit dem Beitritt als völkerrechtlicher Vertrag erloschen, gilt aber als staatsrechtlicher Vertrag weiter. Da auch staatsrechtliche Verträge der Transformation 417 bzw. des Vollzuges 418 bedürfen (dies folgt aus der entsprechenden Regelung bei völkerrechtlichen Verträgen - Art. 25 S. 2 GG e contrario 419 - , aus deren Zulässigkeit u.a. die der staatsrechtlichen Verträge abgeleitet wird 4 2 0 ), hat das Zustimmungsgesetz auch nach dem Beitritt weiterhin ein geltendes Bezugsobjekt 421 , das zur Transformation geeignet ist. Auch nach der gemäßigten Transformationslehre gilt der Einigungsvertrag als Gesetz daher weiter. Nach der Vollzugslehre gelten die Vertragsregeln innerstaatlich nur, solange der Vertrag als solcher für den Staat gilt 4 2 2 . Wiederum gelten die EiVRegeln deshalb auch nach dem Beitritt weiter, weil der Einigungsvertrag,

414

Bleckmann, S. 289; Bartsch, S. 135; dieser Lehre folgt RGZ 85, 374 (376).

415

Anker, Einigungsvertrag, S. 1065.

416

Bleckmann, S. 289; Fastenrath, Rdnr. 323. 417

Bindungswirkung, S. 432 Anm. 34; Schweitzer,

Bauer, S. 54; Heiden, S. 142; Wolff /Bachof I, S. 139.

418

H.-E. Giese, S. 83.

419

H.-E. Giese, S. 134 ff.

420

Für Verträge zwischen Ländern Maunz/Dürig

421

Fastenrath, Bindungs Wirkung, S. 432 Anm. 34. Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 7 Anm. 23; Partsch, S. 134.

422

11 Wagner

II, Art. 32 Rdnr. 67.

162

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

wenn auch als staatsrechtlicher Vertrag, nach dem Beitritt fortgilt und daher vollzogen werden kann 423 . Nach allen Theorien gelten somit die Regeln des Einigungsvertrages i.V.m. Art. 1 ZustGes. BRD auch nach dem Beitritt als gesetzliche fort.

3.3 Wille der Vertragspartner für Fortgeltung Laut Begründung zum Einigungsvertrag 424 stellt Art. 45 I I EiV fest, „daß dieser Vertrag, der mit Inkrafttreten des Vertragsgesetzes Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland wird, auch nach dem Wirksamwerden des Beitritts ... Bundesrecht bleibt." Regierung und Regierungsfraktionen des Bundestages gingen somit davon aus, daß der Einigungsvertrag als Bundesgesetz nach dem Beitritt erhalten bleibt. Für einen solchen Willen der Bundesregierung spricht auch das Verhalten ihres Delegationsführers bei den Vertragsverhandlungen. Dieser verwies dabei nämlich darauf, daß nach dem Beitritt das Bundesverfassungsgericht (weiterhin) über die Einhaltung der Gesetz gewordenen Regeln des Einigungsvertrages wachen werde 425 . Der Wille der Vertragspartner zur Übernahme der Coburg-Rechtsprechung, in der das Bundesverfassungsgericht die Regeln der Eingliederungsverträge nur als vertragliche berücksichtigt hatte, steht dem Willen zur gesetzlichen Fortgeltung nicht entgegen, sofern die Regeln sowohl als gesetzliche als auch als vertragliche fortgelten (zur Frage der Verdrängung siehe sogleich). Denn das Bundesverfassungsgericht hat sich in den Coburg-Fällen nicht zur (landes-)gesetzlichen Fortgeltung der Eingliederungsverträge geäußert und hatte auch keinen Anlaß dazu, so daß eine Fortgeltung des Eingliederungsvertrages auch als Gesetz mit der Coburg-Rechtsprechung vereinbar ist. Schließlich wirken so gut wie alle Regeln des Einigungsvertrages, die unmittelbar anwendbar sein sollen und daher der Umsetzung in Gesetzesrecht bedürfen, erst für die Zeit ab dem Beitritt. Eine Umsetzung nur für die Zeit bis zum Beitritt wäre weitestgehend sinnlos. Der Wille der Vertragspartner spricht somit für eine Fortgeltung des ZustGes. BRD nach dem Beitritt 4 2 6 .

423

Dies übersieht Anker, Einigungsvertrag, S. 1065.

424

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

425

Schäuble, Vertrag, S. 26. Anker, Einigungsvertrag, S. 1065.

426

IV. Bundesgesetz

163

3.4 Vergleich mit Parallelfallen Der Eingliederungsvertrag zwischen Coburg und Bayern wurde durch das bayerische Zustimmungsgesetz bayerisches Landesrecht und als solches auch nach dem Vollzug der Eingliederung für fortbestehend gehalten427. Sofern man anerkennt, daß das Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag diesen auch nach der Umwandlung in einen staatsrechtlichen Vertrag als Bezugsobjekt erfaßt, spricht die Behandlung des bayerischen Zustimmungsgesetzes daher für die Fortgeltung des ZustGes. BRD nach dem Beitritt, wobei der Einigungsvertrag, wie der Coburg-Vertrag, als staatsrechtlicher Vertrag mit fiktivem Partner fortgilt. Eine Parallele zur Eingliederung der Deutschen Demokratischen Republik auf internationaler Ebene stellt die Eingliederung Schottlands in Britannien im Jahre 1707 dar. Das englische Zustimmungsgesetz zum Eingliederungsvertrag, der Act of Union, wurde auch nach der Eingliederung als fortbestehend angesehen428. Freilich ist diese Parallele, die an sich für die Fortgeltung des Zustimmungsgesetzes zu Eingliederungsverträgen auch nach erfolgter Eingliederung spricht, nur ein schwaches Argument für das rechtliche Schicksal eines deutschen Gesetzes, da in verschiedenen Ländern unterschiedliche Regeln über Vertragsgesetze als Teil des nationalen Rechts gelten können. Daß die Mindermeinung von Autoren der deutschen Kaiserzeit, die im Publikationsgesetz den Geltungsgrund für die Verträge zwischen Norddeutschem Bund und süddeutschen Staaten sahen, ohne Problematisierung von einer Fortgeltung des Gesetzes nach dem Beitritt ausgehen429, ist zwangsläufige Folge der damals weitverbreiteten Meinung, ein Zustimmungsgesetz verdränge den Vertrag 430 ; denn dann kann logischerweise der Bestand des Gesetzes nicht von der Geltung des Vertrages abhängen. Soweit die Parallelfälle mit dem ZustGes. BRD vergleichbar sind, unterstützen sie die erarbeitete Fortgeltung des Zustimmungsgesetzes.

427

Nawiasky, Verfassungsrecht, S. 42; Zweites Rechtsbereinigungsgesetz (Bay. GVB1. 1957 S. 233), Anlage 1. Teil, Staatskanzlei B.9. 428 Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 7. 429 Kittel S. 21; Triepel, Völkerrecht, S. 190. 430 Dazu Näheres sogleich.

164

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

3.5 Gesetzeskraft der Annexe Ursprünglich und damit auch nach dem Beitritt sind die Annexe zum Einigungsvertrag, d.h. die Anlagen Ι - Ι Π , das Protokoll und die Durchführungsvereinbarung, auch durch Art. 1 ZustGes. BRD in Gesetzesrang erhoben worden, wie sich aus dessen klarem Wortlaut ergibt, der auf alle angeführten Bestimmungen explizit Bezug nimmt. Fastenrath wendet ein, daß in der Anlage I I aufgeführtes Recht, das nach Art. 9 EiV Landesrecht der östlichen Länder sein soll, nicht als Bundesrecht gelten könne 431 . Dies spräche gegen eine Geltung der Anlage I I als Bundesgesetz. Die Inkraftsetzung der von Fastenrath angesprochenen Regelungen durch ein Bundesgesetz ändert nichts am landesrechtlichen Charakter ihrer Regelungsgenstände, da die Qualifikation als Landesrecht sich ausschließlich nach Art. 70 ff. GG richtet; die Sondersituation der Vereinigung führte dazu, daß ausnahmsweise durch ein Bundesgesetz Gegenstände der Landesgesetzgebung in Kraft gesetzt werden durften. Der von Fastenrath kritisierte Widerspruch besteht daher nicht; auch das in Anlage Π aufgeführte Landesrecht kann durch ein Bundesgesetz in Kraft gesetzt werden. Für die Bundeskompetenz zum Erlaß der Annex-Regelungen als Vertrag gelten die obigen Ausführungen 432 ; die Annexe gelten für Ost-Berlin als Berliner Landesgesetz.

4. Eigenständige Bedeutung des Art. 45 I I EiV? Welche Rolle spielt Art. 45 I I EiV für die Fortgeltung der EiV-Regeln als Gesetz? Wie bereits erörtert 433 , bezieht sich diese Vorschrift (nur) auf die gesetzliche Weitergeltung des Einigungsvertrages. Zunächst ist festzuhalten, ob diese Norm, die im Vertrag selbst steht, selbständiger Grund für die Fortgeltung der EiV-Regeln als Gesetz sein könnte. Dagegen könnte sprechen, daß sie - sofern man von der soeben dargelegten, durch die Fortexistenz des Vertrages begründeten Fortgeltung des ZustGes. BRD absieht - als Teil des Vertrages bei dessen Untergang ebenfalls

431 432 433

Fastenrath, Bindungswirkung, S. 431. Siehe S. 144. Siehe oben S. 97 ff.

IV. Bundesgesetz

165

ihre Geltung verlöre und daher gerade für die Zeit nach dem Beitritt keine Wirkung mehr entfalten könnte 434 . Hiergegen wendet Anker ein, daß Art. 45 I I EiV, den das ZustGes. BRD bereits vor dem Beitritt in innerstaatliches Recht umsetzte, „den Anwendungsbefehl für die Fortgeltung ... vor der Wiedervereinigung und deshalb wirksam" gab 435 . Da der Anwendungsbefehl zum Zeitpunkt, in dem er wirksam werden will, auch noch gültig sein muß, ist Ankers Argument nur vom Standpunkt der (strengen) Transformationslehre aus haltbar, nach der das einmal transformierte Recht des Vertrages (hier: Art. 45 I I EiV) unabhängig von der Gültigkeit des Vertrages als Gesetz wirksam bleibt, d.h. hier auch nach dem Beitritt. Nach der Transformationslehre gilt dies aber ebenfalls für die übrigen Bestimmungen des Einigungsvertrages, so daß Art. 45 Π EiV dann überflüssig ist, nur deklaratorische Bedeutung hat. I m übrigen ist Ankers Einwand nicht haltbar, so daß Art. 45 I I EiV, weil er im Vertrag statt im ZustGes. BRD steht, keine selbständige Wirkung entfalten kann. Er ist daher in jedem Fall nur deklaratorisch 436 . Dafür spricht im übrigen auch, daß er der amtlichen Begründung 437 zufolge nur eine „Feststellung" enthält.

5. „Konsumiert" das Bundesgesetz den Vertrag? Vor allem zur Zeit der Weimarer Republik wurde die Meinung vertreten, das einen Vertrag zwischen Reich und Land ausführende Reichsgesetz „konsumiere" den Vertrag 438 . Träfe sie zu, wäre der Einigungsvertrag als staatsrechtlicher Vertrag nicht in Kraft getreten und bestünde nach dem Beitritt nur als Gesetz fort. Als Beleg für die aufgestellte These führen ihre Vertreter aus der Weimarer Republik nur an, gegenüber dem Reichsgesetzgeber könnten keine Vertragsrechte bestehen 439 ; dieser könne das Vertragsgesetz kraft seiner „Allmacht" ohne Rechtsbruch abändern 440 .

434 435 436 437

Anker, Einigungs vertrag, S. 1065. Anker, Einigungs vertrag, S. 1065. Fastenrath, BindungsWirkung, S. 432 Anm. 34. BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

438

Ficker,

439

Hatschek, S. 16.

440

Hatschek, S. 15.

S. 24, 38; Hatschek, S. 15, 73.

166

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

Die schon zu Weimarer Zeit vertretene Gegenansicht beruft sich auf die Anerkennung von Staats Verträgen durch Art. 170, 171 WRV. Von ihnen könne eine „materieH"-rechtliche Bindungswirkung ausgehen, auch wenn ein Vertragsgesetz bestünde. Dies sei etwa bei den Konkordatsverträgen mit den Kirchen allgemein anerkannt 441 . Bereits im Jahre 1920 hatte der Staatsgerichtshof die gleichzeitige Geltung eines staatsrechtlichen Vertrages als Vertrag und Gesetz für möglich gehalten 442 . Das Argument, gegenüber dem Reich (d.h. dem Reichsgesetzgeber) könnten keine vertraglichen Rechte der Länder bestehen, kann für das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland wegen der grundsätzlichen Zulässigkeit von Bund-Länder-Verträgen 443 nicht anerkannt werden. Läßt man Bund-LänderVerträge zu, so sind alle Organe des Bundes, auch der Gesetzgeber, daran gebunden 444 . M i t der Abänderbarkeit des Vertrages (bzw. des Vertragsgesetzes) durch den Reichsgesetzgeber kann eine „Konsumtion" nicht begründet werden, da die Abänderbarkeit eine Folge der Konsumtion wäre und nicht umgekehrt. Welcher Gedanke die These der Konsumtion hauptsächlich trägt, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sie nur für Verträge zwischen Reich und Ländern vertreten wird 4 4 5 , nicht dagegen für völkerrechtliche Verträge mit fremden Staaten und Staatskirchenverträge. Die erstgenannten Verträge unterstehen dem Staatsrecht, das durch die Verfassung eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen den Vertragspartnern vornimmt; das unterscheidet sie von den Völker- und staatskirchenrechtlichen Verträgen. Soweit die Konsumtionsthese von bundesdeutschen Autoren vertreten wird 4 4 6 , wird sie denn auch damit begründet, der Bund habe durch Erlaß des Vertragsgesetzes seine Gesetzgebungskompetenz wahrgenommen und dadurch den Vertragsgegenstand einer vertraglichen Regelung entzogen 447 . Jedoch führt die Wahrnehmung einer Gesetzgebungskompetenz durch den Bund nur zu einer Unwirksamkeit von Landesgesetzen mit demselben Regelungsgegenstand. Warum über bundesgesetzlich geregelte Gegenstände ein Bund-LänderVertrag nicht möglich sein soll - was als Ausnahme zur allgemeinen Zulässigkeit von Bund-Länder-Verträgen der Begründung bedürfte - , wird nicht

441

Liermann, S. 42 f., allerdings im Widerspruch zu ders., S. 44.

442

StGH, in: RGZ 115, Anh. S. 1 (6).

443

Siehe oben S. 88.

444

Siehe unten B.I.1.1, S. 170 ff.

445

Ficker,

446

H.-E. Giese, S. 83; Heiden, S. 130.

447

H.-E. Giese, S. 83.

S. 38; Hatschek, S. 15.

V. Landesgesetze in den östlichen Bundesländern

167

plausibel. Das denkbare Argument, der Bund könne sich in seiner Kompetenz wegen seiner übergeordneten Stellung nicht beschränken, wurde bereits 448 widerlegt. Im übrigen können Kompetenz-Argumente die These schon deshalb nicht rechtfertigen, weil der Bund ja auch vor Erlaß eines Bundesgesetzes (im Bereich der konkurrierenden Kompetenz) zum Erlaß einer anderen als der vertraglich vereinbarten Regelung kompetent wäre, in dieser Zeit aber - nach der Begründung der Konsumtionsthese - (noch) vertraglich gebunden sein soll. Schließlich spricht gegen diese These, daß bei Unwirksamkeit des Vertrages das Vertragsgesetz sein Bezugsobjekt verlöre und somit - nach der gemäßigten Transformations- und der Vollzugslehre - seinerseits zu bestehen aufhörte. Die Konsumtionsthese führt also nur unter der heute praktisch kaum noch vertretenen (strengen) Transformationslehre nicht zu dem absurden Ergebnis, daß die vertraglichen Regelungen durch den Versuch, sie gesetzlich umzusetzen, in jeder Rechtsform untergehen. Ein Bund-Länder-Vertrag wird daher nicht durch das Zustimmungsgesetz des Bundes unwirksam. Der Einigungsvertrag gilt daher nicht nur gesetzlich (wegen der Fortgeltung des ZustGes. BRD), sondern auch vertraglich fort.

V. Landesgesetze in den östlichen Bundesländern Fastenrath 449 zufolge gilt der Einigungsvertrag samt Anlagen in den landesrechtlichen Materien als Landesrecht der neuen Bundesländer nach erweiterter Auslegung des Art. 9 I I I EiV. Art. 9 ΙΠ EiV sei nämlich auch auf das ZustGes. DDR anzuwenden, obwohl dessen Fortgeltung nicht zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik vereinbart wurde. Eine solche Vereinbarung sei in diesem Fall überflüssig, da die Bundesrepublik Deutschland durch den Inhalt des ZustGes. DDR nicht mehr habe überrascht werden können. Gilt der Einigungsvertrag also nicht nur als Bundesgesetz und Vertrag, sondern (teilweise) auch noch als Landesgesetz? Der erweiterten Auslegung des Art. 9 I I I EiV kann nicht zugestimmt werden. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Bestimmung erfaßt sie das ZustGes. DDR nicht. Für eine Uminterpretation besteht objektiv kein Bedürfnis, da der Einigungsvertrag ganz überwiegend in den östlichen Ländern ohnehin auch nach dem Beitritt als (Bundes-)Gesetz gilt; dies macht auch

448 449

Siehe oben S. 89 f. Fastenrath, BindungsWirkung, S. 432.

168

Α. Rechtsform der Einigungsvertrags-Regelungen nach dem Beitritt

plausibel, daß Art. 9 ΙΠ EiV hinsichtlich der Fortgeltung des ZustGes. DDR keine planwidrige Regelungslücke enthält. Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, daß das ZustGes. DDR auch von keinem der übrigen Absätze des Art. 9 EiV erfaßt wird: Art. 9 1 1 EiV bezieht sich nur auf bei Unterzeichnung des Einigungsvertrages bereits geltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik; das ZustGes. DDR trat erst später in Kraft. Art. 9 1 2 EiV betrifft nur nicht bundeseinheitlich geregeltes Recht; die Regelungsgegenstände des Einigungsvertrages und seiner Anlagen gelten aber schon nach dem ZustGes. BRD. Art. 9 Π EiV ist nicht einschlägig, weil das ZustGes. DDR nicht in Anlage I I des Einigungsvertrages enthalten ist. Der Einigungsvertrag gilt daher nicht, auch nicht teilweise, als Landesgesetz in den östlichen Bundesländern via Art. 9 ΙΠ EiV analog.

VI. Zusammenfassung Die Regeln des Einigungsvertrages samt Anlagen, Protokollerklärung und Durchführungsvereinbarung gelten nach dem Beitritt sowohl als staatsrechtlicher Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der als Bundesland fortbestehend fingierten Deutschen Demokratischen Republik (soweit Bundeskompetenz besteht) als auch als Bundesgesetz (Fortbestand des ZustGes. BRD) weiter.

Β. Bindungswirkung der Einigungsvertrags-Regelungen Um die Bestandskraft der geltenden Regeln des Einigungsvertrages einschätzen zu können, werden jetzt zunächst die Bindungswirkung der vertraglich und der gesetzlich geltenden Einigungsvertrags-Regelungen, insbesondere gegenüber dem Bundesgesetzgeber, untersucht. Außerdem ist zu überlegen, wie eine Befreiung von den festgestellten Bindungen, die im Regelfall durch Änderung des Vertrages bzw. Gesetzes erfolgen wird, möglich ist. Daraus wird sich ergeben, in welchem Umfang die Länder auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik von den Regelungen des Einigungsvertrages profitieren können, die die DDR ausgehandelt hat. Nicht Gegenstand dieser Arbeit ist dagegen eine etwa noch bestehende völkerrechtliche Bindung der Bundesrepublik Deutschland, die sie zur Einhaltung von Inhalten einzelner Vertragsbestimmungen verpflichtet; diese kann sich, da der Einigungsvertrag nicht mehr als völkerrechtlicher Vertrag besteht, nur aus sonstigen Rechtsquellen ergeben, etwa dem Zwei-plus-vierVertrag oder im Zusammenhang mit dessen Unterzeichnung abgegebenen Erklärungen 1. Aus der bisher zum Einigungsvertrag ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben sich keine Anhaltspunkte zur Bindungswirkung der Einigungsvertrags-Regelungen, da in den bisherigen Verfahren in keinem Fall der Verstoß einer anderweitigen Regelung gegen Bestimmungen des Einigungsvertrages moniert wurde.

I. Bindungswirkung des Vertrages Der Vertrag kann Bindungswirkung entfalten gegenüber der Bundesrepublik als einem Vertragspartner und über diese oder über die Bindung des untergegangenen Partners Deutsche Demokratische Republik gegenüber den (nur von Interesse:) östlichen Ländern, nicht mehr dagegen gegenüber der untergegangenen Deutschen Demokratischen Republik.

1

Vgl. oben S. 78.

170

Β. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

1. Bindung des Bundes Zunächst ist allgemein zu untersuchen, welche Bindungskraft ein staatsrechtlicher (Eingliederungs-)Vertrag, dessen Partner der Bund ist, für den Bund, insbesondere dessen (Verfassungs-)Gesetzgeber, nach der Verfassung haben kann. Denn darüber hinaus existiert keine wirksame vertragliche Bindung, da der Bund nicht wirksam einen verfassungswidrigen staatsrechtlichen Vertrag abschließen kann (anders als bei völkerrechtlichen Verträgen) 2. Ist diese Ausgangslage geklärt, so muß festgestellt werden, in welchem (statthaften) Maße der Einigungsvertrag selbst den Bund bindende Wirkung beansprucht.

1.1 Mögliche Bindungskraft eines staatsrechtlichen Vertrages Soweit die Bundesverfassung einen staatsrechtlichen Vertrag des Bundes zuläßt, ist, wie schon aus dem Wesen des Vertrages folgt, der Bund mit allen seinen Organen an ihn gebunden. Eine Bindung der Exekutiv- und JudikativOrgane an den Vertrag ist unproblematisch, nicht jedoch eine solche der Legislativorgane 3 . Rechtsprechung aus der Zeit nach 1945 zur Bindungs Wirkung von Staatsverträgen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland existiert, soweit ersichtlich, nicht. Entsprechende Verwaltungsabkommen, die schon wegen des Gewaltenteilungsgrundsatzes die Bundeslegislative nicht zu binden vermögen, und Verträge zwischen den Ländern, die jedenfalls nicht den (Verfassungs-)Gesetzgeber des in der sie zulassenden Bundesverfassung verfaßten Staates binden würden, sind in hier wesentlichen Punkten so verschieden von Staatsverträgen zwischen Bund und Ländern, daß Äußerungen zu deren Bindungswirkungen nicht ohne weiteres auf die letzteren übertragen werden können. A u f Argumente (gegen eine Bindungswirkung), die sich auf die Konsumtion des Vertrages durch das Vertragsgesetz oder eine ähnliche Substitution stützen, braucht im folgenden nicht eingegangen zu werden, nachdem bereits festgestellt wurde, daß Vertrag und Vertragsgesetz nebeneinander fortbeste-

2 3

Siehe oben S. 87 ff.

Abgelehnt von Altenmüller (S. 37), Bauer (S. 26) (jeweils im Zusammenhang mit Eingliederungsverträgen) und Birk, S. 1797 unter Hinweis auf die herrschende Meinung; dagegen ist nach Weis (Fragen, S. 14) die allgemein anerkannte grundsätzliche Bindungswirkung nicht eingeschränkt.

I. Bindungswirkung des Vertrages

171

hen. Eine fehlende Bindungswirkung des Vertragsgesetzes zieht nämlich nicht notwendigerweise auch eine solche des Vertrages nach sich.

1.1.1 Bindung des (einfachen) Gesetzgebers Unter „Gesetzgeber" soll in diesem Abschnitt nur der einfache, nicht der verfassungsändernde Gesetzgeber verstanden werden.

a) Argumente gegen eine Bindung Argumente gegen eine Bindung können sich ergeben aus den Schranken, denen der Gesetzgeber unterliegt, aus seiner grundsätzlichen Regelungsfreiheit, aus der Normenhierarchie, aus dem Bund-Länder-Verhältnis, aus Demokratie· und aus Verfahrensgesichtspunkten, aus vertragsrechtlichen Grundsätzen, und aus Vergleichen mit anderen vertraglichen Bindungen.

aa) Umgehung des Art. 79 I, I I GG Wäre der Gesetzgeber durch den Vertrag gehindert, künftig Gesetze mit einem vertragswidrigen Inhalt zu erlassen, hätten die entsprechenden Vertragsnormen eine verfassungsähnliche Wirkung: Sie entzögen dem (wie gesagt: einfachen) Gesetzgeber die entsprechende Materie. Die Etablierung einer entsprechenden Verfassungsnorm bedürfte der Form und der Mehrheit des Art. 79 I, Π GG und könnte nur vom verfassungsändernden Gesetzgeber vorgenommen werden 4. Würde eine Bindung des Gesetzgebers durch einen von ihm gebilligten staatsrechtlichen Vertrag daher eine Umgehung des Art. 79 I, Π GG darstellen, weil auf kaltem Wege eine Quasi-Verfassungsergänzung vorgenommen würde? Dazu ist zunächst zu untersuchen, welche Auswirkungen ein bindender Vertrag auf den Gesetzgeber überhaupt hätte, die Verfassungsgemäßheit der Bindungswirkung einmal unterstellt. Sodann muß geklärt werden, ob diese Auswirkung derjenigen entspricht, die die Vertragsnormen als Verfassungsbestandteil hätten, und ob deshalb der Abschluß eines Vertrages mit solcher Bindungswirkung eine Verfassungsergänzung durch die Hintertür darstellte.

4

Der einfache Gesetzgeber könnte nicht via Vertrag der Sache nach Verfassungsrecht setzen; Bauer, S. 96.

172

Β. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Angenommen sei, der Vertrag könnte nach Bundesverfassungsrecht den Bundesgesetzgeber binden. Welche Auswirkungen hätte dies bei einem Versuch des Gesetzgebers, ein vertragswidriges Gesetz zu erlassen? Ein (einfaches) Gesetz, demzufolge der Vertrag bzw. generell Staatsverträge mit den Bund (d.h. den Bundesgesetzgeber) bindenden Bestimmungen nichtig sei, verstieße dann bereits gegen die angenommene verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Verträge und wäre daher eo ipso nichtig. Ein Gesetz, das gegen einzelne (oder alle) Vertragsbestimmungen verstößt (d.h. ein Gesetz, das nicht, auch nicht durch vertragskonforme Auslegung -soweit zulässig - , mit dem Vertrag in Einklang zu bringen ist), ist dagegen nicht schon wegen des höheren Ranges der Verfassung nichtig; denn es verstößt inhaltlich nicht gegen einen Verfassungssatz, sondern gegen den Vertrag. Da der Inhalt eines wirksamen Staatsvertrages nicht schon mit dessen Abschluß objektives Recht wird, bedarf er der Umsetzung durch den Gesetzgeber 5. Das Vollzugsgesetz kann der Gesetzgeber grundsätzlich nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori" ändern; denn der Verstoß gegen den Vertrag macht es nicht nichtig 6 , weil der Vertrag kein objektives Recht darstellt und als Inter-partes-Regelung nicht zur - zwangsläufig erga omnes wirkenden - Nichtigkeit einer Erga-omnes-Regel führen kann. Durch den Vertrag wurde auch nicht, wie im Falle des Art. 24 GG möglich, das Hoheitsrecht der Gesetzgebung insoweit aufgegeben; Art. 24 GG ist auf den Einigungsvertrag, auch nicht entsprechend, anwendbar, da der Vertrag weder Rechte auf eine Institution überträgt noch Teil eines Systems kollektiver Sicherheit ist. Ein Fachgericht hätte somit, auch in einem Rechtsstreit zwischen den Vertragspartnern, das Gesetz anzuwenden7. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum „direct effect" kann auf staatsvertragliche Verpflichtungen des Gesetzgebers nicht angewandt werden 8. Der Konflikt zwischen Vertrag und Gesetz könnte daher nur geklärt werden, wenn der Vertragspartner die Erfüllung einklagte. Hier ist nur von Interesse, ob durch Urteil das vertragswidrige Gesetz kassiert bzw. ein vertragsgemäßes erlassen werden könnte. Eine Art. 94 Π 1, 2. Hs. GG vergleichbare

5

Vgl. oben S. 164 f.

6

Maunz/Dürig II, Art. 20 Rdnr. V I 21; Schröcker, S. 372.

7

QuaritscK S. 138. Denn die Umsetzung staatsrechtlicher Verträge erfolgt nach Art. 59 II GG analog; danach hat umgesetztes Vertragsrecht (nur) Gesetzesrang und geht nicht den Gesetzen vor. 8

I. Bindungswirkung des Vertrages

173

Parallelregelung für die Fachgerichte gibt es nicht. Auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit Gesetzeskraft kann nicht ergehen, da Gegenstand der in § 31 Π BVerfGG genannten Verfahren nur (angeblich) verfassungs-, nicht vertragswidrige Bundesgesetze sein können. Das Bundesverfassungsgericht kann ebensowenig wie ein Fachgericht den Inhalt eines vertraglichen Auftrages an den Bundesgesetzgeber als objektives Recht anwenden9. Ein Gesetz positiv erlassen kann, auch nach einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung, aber nur der Gesetzgeber; dies gilt selbst dann, wenn er keine Wahlmöglichkeit mehr zwischen alternativen Regelungsinhalten hat 10 . Eine Bindung des Gesetzgebers an den Vertrag kann also allenfalls dazu führen, daß vom Bundesverfassungsgericht die Unzulässigkeit vertragswidriger Gesetze bzw. die Verpflichtung des Gesetzgebers zum Erlaß vertragsgemäßer Gesetze ausgesprochen wird (§§ 69, 67 S. 1 bzw. 72 I BVerfGG). Demgegenüber hat die Bindungswirkung von Verfassungsbestimmungen zur Folge, daß entgegenstehende Gesetze nichtig sind. Sie wirken also, zivilrechtlich gesprochen, wie Verfügungsbeschränkungen, während die vertragliche Bindung nur eine Verpflichtung des Gesetzgebers bewirkt. Wirksame „Verfügungsbeschränkungen" wirkten also in jedem Fall wie eine Grundgesetz-Erweiterung und bedürften daher Form und Mehrheit des Art. 79 I, Π GG, um dessen Umgehung zu verhindern. Gilt dies auch für die vertragliche Verpflichtung? Zwar kann der Gesetzgeber in diesem Fall noch vertragswidrige Gesetze erlassen - insoweit besteht ein Unterschied zur „Verfügungsbeschränkung" - , er darf es aber nicht mehr, genauso wie bei einer Verfassungsbestimmung. Welcher der beiden Gesichtspunkte ist maßgebend? Dreierlei ist in Rechnung zu stellen. Zum einen wird der rechtliche Zwang de facto den Gesetzgeber in der Mehrzahl der Fälle dazu bewegen, seiner Verpflichtung nachzukommen. Zum zweiten wäre eine Verfassungsauslegung, die sich nicht an den verfassungsrechtlichen Pflichten der Verfassungs-

9

Dies wird teilweise bestritten für verfassungsrechtliche Gesetzgebungsaufträge CJülicher, S. 82; Kalkbrenner, S. 56; Krüger, Auslegung, S. 163 f.). Die dabei angeführten Argumente - Garantie aus Art. 19 IV GG (Krüger, ebd. S. 163 f.) und Verfassungseffektivität (Kalkbrenner, S. 50) - überzeugen jedoch nicht: Die Garantie aus Art. 19 IV GG kann nicht wirksamer sein als die Kraft, die das Grundgesetz der Jurisdiktion zuteilt, und diese Kraft ist durch die Gewaltenteilung begrenzt; die Verfassung favorisiert auch nicht etwa die vertragliche Bindung des Gesetzgebers gegenüber dem Gewaltenteilungsprinzip, sondern betont letzteres ausdrücklich (Art. 94 II 1, 2. Hs. und S. 2 GG). 10

BVerfGE 15, 46 (76).

174

Β. Bindungsirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

organe orientiert, inkonsequent. Und zum dritten enthält das Grundgesetz selbst einige Bestimmungen, die den Gesetzgeber nur verpflichten (z.B. Art. 131 S. 1 und 2 GG). Mithin ist grundsätzlich bereits eine Verpflichtung des Gesetzgebers einer Ergänzung seiner verfassungsrechtlichen Bindungen gleichzuachten und bedarf, um einer Umgehung des Art. 79 GG vorzubeugen, der darin vorgesehenen Form und Mehrheit. Allerdings ist zu beachten, daß das Grundgesetz selbst völkerrechtliche Bindungen des Bundes, die auch den Gesetzgeber treffen (solche Bindungen sind typisch für völkerrechtliche Verträge zur Rechtsangleichung), gestattet; Art. 59 I I 1 GG fordert aus diesem Grunde eine Zustimmung des Gesetzgebers zum Vertrag 11 . Sind sie entsprechend auf staatsvertragliche Bindungen anwendbar, so daß diese ausnahmsweise doch statthaft sind? Für eine Rechtfertigung durch den Gedanken des Art. 59 I I 1 GG könnte sprechen, daß die Zulässigkeit von Bund-Länder-Verträgen auf dem Gebiet der Gesetzgebung auch mit einem Schluß a maiore ad minus aus Art. 59 I I 1 GG bzw. (für die Länder) dem dieser Norm entsprechenden Art. 32 ΙΠ GG begründet wird; folgerichtig wäre es, dann Art. 59 I I 1 GG insgesamt und damit auch die Zulassung vertraglicher Bindungen des Bundesgesetzgebers auf Bund-Länder-Verträge anzuwenden. Jedoch darf die Rechtfertigung der Bindung wegen ihres Ausnahmecharakters nicht unbesehen erweitert werden. Ist also der Grund, warum völkerrechtliche Bindungen des Gesetzgebers zulässig sind, auf Bund-Länder-Verträge übertragbar? Die Ratio dieser Zulässigkeit liegt darin, daß der Bund, um auf das Verhalten anderer Völkerrechtssubjekte, einschließlich ihrer Gesetzgeber, Einfluß nehmen zu können, auch bereit sein muß, sich selbst entsprechend zu binden. Anders wäre er von der Teilnahme am völkerrechtlichen Verkehr, der größtenteils durch gegenseitiges Geben und Nehmen gleichberechtigter Partner geprägt ist und in dem die Bundesrepublik Deutschland Gleicher unter Gleichen ist, praktisch ausgeschlossen. Das Grundgesetz läßt die Bindung des Gesetzgebers also aus purer Notwendigkeit zu 12 . Im staatsrechtlichen Bereich, könnte nun pauschal argumentiert werden, könne der Bund kraft seiner Kompetenz-Kompetenz aber die Rechtsverhältnisse zwischen ihm und seinen Ländern selbst regeln, so daß zu einer Bindung des Gesetzgebers keine Notwendigkeit bestünde; dem Gesetzgeber gegenüber bestandskräftige Rechte könnte er den Ländern in der Bundesver-

11

Bauer, S. 119.

12

Krüger, Staatslehre, S. 886 f.

I. Bindungswirkung des Vertrages

175

fassung einräumen, wie etwa in Art. 138 GG geschehen. Zumindest auf Eingliederungsverträge, wie den Einigungsvertrag, die erst mit Vollzug der Eingliederung zu staatsrechtlichen Verträgen werden, trifft diese Argumentation jedoch nicht zu. Nur durch Vertrag können dem einzugliedernden Rechtssubjekt für die Zeit vor und nach dem Beitritt gleichermaßen Rechte verschafft werden. Die Verfassung könnte, sofern auch zur Wahrnehmung der verfassungsmäßigen Rechte ein untergegangenes, eingegliedertes Rechtssubjekt als bestehend anzusehen wäre, ihm nur Rechte für die Zeit nach der Eingliederung gewähren (und selbst das nur bei Beitrittsvarianten l.a und 2.a, wenn der Fortbestand der Deutschen Demokratischen Republik als Bundesland für die Wahrung ihrer Rechte fingiert wird); sie könnte - als staatliches Recht - keine zwischenstaatlichen Ansprüche für die Zeit vor der Eingliederung begründen (das Grundgesetz läßt zu diesem Zweck gerade den Abschluß völkerrechtlicher Verträge zu). Zumindest auf Eingliederungsverträge des Bundes ist die Rechtfertigung einer Bindung des Gesetzgebers, die das Grundgesetz für völkerrechtliche Verträge vorsieht, daher übertragbar. Darin, daß er im Falle eines Verstoßes gegen einen staatsrechtlichen Vertrag geltendes Recht setzt, obwohl er es nach derselben Rechtsordnung nicht darf, liegt auch keine logische Unmöglichkeit 13 . Dem (deutschen) Recht ist keineswegs fremd, daß ein Rechtszustand gilt, obwohl dessen Setzung gegen eine Rechtspflicht verstieß; so können etwa rechtswidrige Verwaltungsakte im Einzelfall geltendes und bestandskräftiges Recht setzen (nach Ablauf der Widerspruchsfrist), und die dingliche Rechtslage kann wirksam geändert werden, obwohl dadurch gegen eine bestehende Verpflichtung verstoßen wird. Solange das Recht nicht auch die Rechtsmacht zu solcher Änderung der Rechtslage entzieht, ist die Rechtsänderung (zunächst) bewirkt und kann womöglich erst durch Urteil korrigiert werden (fehlt dem Urteil eine wirksame Zwangsvollstreckungsmöglichkeit, bleibt die Rechtsänderung sogar bestehen). Ähnlich wie ein völkerrechtliches Delikt kann der Gesetzgeber daher auch ein „staatsrechtliches Delkikt" begehen14. Der fehlende Unterschied zwischen der Rechtsordnung, der der Vertrag angehört, und der, die der Gesetzgeber beeinflußt, schließt eine Übertragung der Rechtfertigung der

13

Neuber, S. 84 hält dagegen eine Trennung zwischen „äußerer" und „innerer" Wirksamkeit, d.h. Geltung des Gesetzes und Bindung des Gesetzgebers, in einer Rechtsordnung für unmöglich; ähnlich Quaritsch, S. 139: „... im Staat kann nicht Recht gegen Recht stehen". 14

Heiden, S. 141; Maunz/Dürig II, Art. 20 Rdnr. VI 21; für die Landesgesetzgebung Schneider, Verträge, S. 15; dersStaatsverträge, S. 648.

176

Β. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

gesetzgeberischen Bindung durch Vertrag vom völkerrechtlichen auf den staatsrechtlichen daher nicht aus. Da der Gesetzgeber sich somit durch staatsrechtlichen Vertrag binden durfte wie durch völkerrechtlichen Vertrag, scheidet eine Umgehung des Art. 79 GG als Argument gegen die Bindung des Gesetzgebers an staatsrechtliche EingliederungsVerträge aus. Sollte sich eine Bindung des Gesetzgebers im Ergebnis als zulässig erweisen, kann das gewonnene Ergebnis, der Inhalt des staatsrechtlichen Vertrages wirke nicht unmittelbar (weder eo ipso noch durch direkte Anwendbarkeit bei Verfassungsrechtsprechung), übrigens nun noch durch ein weiteres Argument unterstützt werden: Dann wäre nämlich die Fähigkeit des Gesetzgebers zum Erlaß eines vertragswidrigen Gesetzes durch den Vertrag beschränkt, und eine Beschränkung dieser „Verfügungsbefugnis" hätte dieselbe Wirkung wie eine Verfassungsnorm (und eine stärkere als die einer völkervertraglichen Regelung), so daß dann eine Umgehung des Art. 79 GG vorläge, zumal auch nicht Art. 24 I, Π GG in entsprechender Anwendung die Übertragung entsprechender Gesetzgebungsbefugnis insoweit erlaubte 15.

bb) Innere Souveränität Vor allem in den 20er Jahren wurde argumentiert, der Gesamtstaat müsse um seiner (inneren) Souveränität willen sich einseitig vom Vertrag lösen können; bis er dies durch Erlaß eines Gesetzes tue, sei auch der Gesetzgeber gebunden16. Damit wird freilich eine Bindung des Gesetzgebers im Ergebnis abgelehnt, auch wenn der Gesetzgeber verpflichtet wird, sich nicht „willkürlich" zu lösen17 — an das Willkürverbot ist der Gesetzgeber schon von Verfassungs wegen gebunden, so daß er durch den Vertragsschluß keine zusätzlichen Pflichten einginge. Innere Souveränität bedeutet völlige Freiheit von rechtlicher Beschränkung der Entscheidungsmacht18. Ein Gemeinwesen ist schon dann souverän, wenn irgendeines seiner Organe etwaige rechtliche Beschränkungen beseitigen kann. Selbst wenn der (einfache) Gesetzgeber an den Verfassungsrechtssatz, der ihn bindende Verträge für zulässig erachtet, und daher auch an solche

15

Siehe oben S. 172. Liermann, 43; die Souveränität betont auch Thoma, S. 179, der eine vertragliche Bindung ablehnt. 16

17

Liermann, S. 44.

18

Zippelius, S. 61.

I. Bindungswirkung des Vertrages

177

Verträge gebunden wäre, ist die staatliche Souveränität gewahrt, wenn der verfassungsändernde Gesetzgeber über den Verfassungsrechtssatz und damit auch die Bindungswirkung der Verträge verfügen kann. Das Prinzip der (inneren) Souveränität hindert eine vertragliche Bindung des Gesetzgebers daher nicht.

cc) Normenhierarchie Ebenfalls in den 20er Jahren vertreten wurde das Argument, das „Gesetzgebungsrecht" als verfassungsmäßiges Recht könne auch nur durch die Verfassung (und nicht durch einen Vertrag) beschränkt werden 19; dazu sei also eine Verfassungsänderung notwendig 20 , die der (einfache) Gesetzgeber nicht vornehmen könne. Heutzutage folgern Meyer/Borgs-Maciejewski aus dem Argument von der Freiheit des Normgebers freilich nur noch, daß das „Gesetzgebungsrecht" zwar durch verpflichtenden Vertrag gebunden, nur nicht durch „Verfügung" veräußert werden dürfe 21. Zunächst gibt es keinen allgemeinen Satz des Rechts oder der Logik, nach dem eine durch eine Norm gewährte Befugnis nur durch diese Norm eingeschränkt werden könne und nicht auch durch eine Verpflichtung durch den Befugnisinhaber. So wird heute unbestritten angenommen, eine Behörde, die die gesetzliche Befugnis zur Gewährung etwa einer Subvention durch Verwaltungsakt habe, könne sich grundsätzlich auch vertraglich verpflichten, diese in ganz bestimmter Weise zu erbringen. Auch daß Rechtsquelle der Befugnis die Verfassung ist, ändert daran nichts. Im übrigen würde dieser Satz, da die Bundesverfassung den Ländern ihre Kompetenzen zuweist, dazu führen, daß zwischen den Ländern keine staatsrechtlichen Verträge abgeschlossen werden könnten — ein heute nicht vertretenes Ergebnis. Zwar darf der Staat Grundrechte nur durch die Verfassung einschränken, weil diese das Grundverhältnis zwischen Bürger und Staat regeln wollen, in dessen Rahmen sich der Gesetzgeber nur bewegen darf; dieser Veränderungsschutz dient dem Bürger als schwachem Dritten. Der Staat selbst bedarf eines solchen Schutzes seiner Befugnisse nicht.

19

Hermann , S. 48.

20

Triepel, Föderalismus, S. 214. Meyer/Borgs-Maciejewski, § 54 Rdnr. 58.

21

12 Wagner

178

Β. Bindungsirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Das „Gesetzgebungsrecht" des Gesetzgebers umschreibt seine Zuständigkeit. Die Eingehung einer Verpflichtung, ein bestimmtes Gesetz (nicht) zu erlassen, stellt die Wahrnehmung dieser Zuständigkeit dar, die selbst dadurch unbeeinträchtigt bleibt. Der Lex posterior-Grundsatz regelt nur den Geltungskonflikt zwischen zwei ranggleichen Normen derselben Rechtsquelle. Er kann daher nur das Verhältnis zwischen dem Zustimmungsgesetz zum Vertrag und einem späteren Gesetz, nicht aber das zwischen dem Vertrag, der kein objektives (Gesetzes-)Recht ist, und einem späteren Gesetz regeln 22 . Sofern in der Literatur der Lex posterior-Satz gegen eine Bindung des Gesetzgebers angeführt wird 2 3 , ergibt sich, daß damit nur die Unzulässigkeit einer „Verfügung" der Gesetzgebungszuständigkeit belegt wird. Wenn innerstaatliche Rechtsinstitute, die kein objektives Recht darstellen, nur wirksam sind, wenn ihre Regelungen mit dem Gesetz vereinbar sind, könnte der Einigungsvertrag durch (inhaltlich von ihm abweichendes24) Gesetz unwirksam werden; der Bundesgesetzgeber wäre dann womöglich durch den Vertrag nicht gebunden, weil der im Moment des Erlasses eines (dem Vertragsinhalt widersprechenden) Gesetzes nicht mehr existierte. Die Voraussetzung könnte sich aus dem verfassungsrechtlichen Vorrang des Gesetzes ergeben. In der Literatur wird unter Gesetzesvorrang teilweise nur die Bindung der Exekutive (und Jurisdiktion) an formelle Gesetze verstanden 25, teilweise der Primat der formellen Gesetze vor allen übrigen staatlichen Akten 26 . Der Unterschied ist hier wesentlich: Nur im zweiten Fall könnte eine Bindung des Gesetzgebers begründbar sein. Der Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes ist in der unmittelbaren demokratischen Legitimation des formellen Gesetzes, das durch das Parlament verabschiedet wird, begründet 27. M i t dieser Begründung läßt sich nicht ein Vorrang des neuen formellen Gesetzes vor anderen Parlamentsentscheidungen, wie der Zustimmung zu einem staatsrechtlichen Vertrag, rechtfertigen.

22

Schröcker, S. 372.

23

Bauer, S. 45; Quaritsch, S. 134.

24

Nach H.-E. Giese, S. 83 macht bereits die Tatsache der gesetzlichen Regelung jede (auch eine gesetzestreue) vertragliche Vereinbarung „hinfällig". 25 Badura, Staatsrecht, D Rdnr. 54; Maunz/Dürig II, Art. 20 Rdnr. VI 33; SchmidtBleibtreu/ Klein, Art. 20 Rdnr. 100; Tilch, Art. „Vorrang des Gesetzes", S. 1069. 26

Hesse, Rdnr. 200.

27

Badura, Staatsrecht, D Rdnr. 11; Tilch, Art. „Vorrang des Gesetzes", S. 1069.

I. Bindungswirkung des Vertrages

179

Der Staatsvertrag wird deshalb nicht wegen des Grundsatzes des Gesetzesvorrangs nichtig, sobald ein Gesetz, das seinem Inhalt widerspricht, erlassen wird.

dd) Bundesstaatliches Verhältnis Das Argument, der Bund regele das Staatsvertragsrecht 28, sei also „Herr der Verträge", besagt nichts gegen eine Bindung des (einfachen) Bundesgesetzgebers. Das Recht, das die Staatsverträge regelt, ist Verfassungsrecht und könnte daher nur durch den verfassungsändernden Gesetzgeber geändert werden; nach dem Rechtsstaatsprinzip bleibt auch dieser an einen Staatsverträge gestattenden Verfassungsrechtssatz solange gebunden, bis er ihn aufhebt 29 . Darüber, ob ein solcher Satz existiert, sagt das Argument, der Bund regele das Staatsvertragsrecht, nichts. M i t dem Argument 30 , eine Verschiebung der grundgesetzlichen Gesetzgebungskompetenzen sei unzulässig, kann nur begründet werden, daß der Bund nicht über das Recht, Gesetze in seinem Kompetenzbereich zu erlassen, „verfügen" darf. Die Gesetzgebungszuständigkeit, die nicht durch Vertrag geändert werden kann 31 , gibt dem Bund nur die Rechtsmacht, Gesetze in seinem Kompetenzbereich zu erlassen; eine Aussage zur Zulässigkeit der Verpflichtung zu einem bestimmten Gebrauch oder Unterlassen des Gebrauchs dieser Rechtsmacht kann einer Zuständigkeitsverteilung als solcher noch nicht entnommen werden 32 . Sonst hätte sich etwa die Verwaltung, zumindest vor der positiv-rechtlichen Regelung des Verwaltungsvertrages, nicht zum Erlaß eines Verwaltungsaktes verpflichten können, und Länder könnten untereinander keine staatsrechtlichen Verträge schließen (da sie ihren Zuständigkeitsbereich vom Grundgesetz zugewiesen erhalten). Dafür, daß die Zuweisung der Gesetzgebungskompetenzen nach dem Grundgesetz nicht jede Vereinbarung über deren Gebrauch ausschließt, spricht zum Beispiel Art. 32 Π Ι GG; danach hindert die Zuweisung einer Materie zur Landesgesetzgebungskompetenz das Land nicht, sich als eigener

28

Anschütz (System, S. 299) betont, der Bund könne den Satz „pacta sunt servanda" ändern. 29 Neuher, S. 83 (der allerdings, was nach der WRV noch zulässig war, auch eine Verfassungsdurchbrechung im Einzelfall für möglich hält). 30

Referiert von Bauer, S. 26.

31

BVerfGE 1, 14 (35).

32

Bauer, S. 117; für die Zulässigkeit der Verpflichtung im Gegensatz zur „Verfügung" auch Huber, Verträge, S. 121 (für Kirchen Verträge); Quaritsch, S. 134.

180

Β. BindungsWirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Staat gegenüber anderen zu einem bestimmten Gebrauch seiner Zuständigkeit zu verpflichten. Die gegenteilige Auffassung würde im übrigen zur Unzulässigkeit praktisch aller Bund-Länder-Staatsverträge führen, was im Gegensatz zu deren, hier zugrundegelegten und allgemein anerkannten Zulässigkeit stünde. Der Einigungsvertrag bewirkt keine Verschiebung der grundgesetzlichen Zuständigkeiten und verstößt daher nicht gegen die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung. Teilweise wird argumentiert, der Bund übe durch Erlaß des Zustimmungsgesetzes zum Vertrag seine Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet der Vertragsmaterie aus; damit (für Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz) bzw. mit einer Änderung der Kompetenzordnung 33 (für Gegenstände der ausschließlichen Länderkompetenz) verlören die Länder die Gesetzgebungskompetenz für die Vertragsmaterie, so daß der Vertragsschluß unzulässig würde. Der Gesetzgeber sei also nur bis zur Kompetenz-Änderung gebunden 34 , weil er auf die Kompetenz-Kompetenz nicht verzichten könne. Diese Ansicht geht davon aus, Voraussetzung eines Bund-Länder-Vertrages sei, daß der Vertragsgegenstand in die Kompetenz der Länder falle. Dieser Ausgangspunkt läßt sich, wie bereits gezeigt 35 , nicht begründen. Da für den verpflichtenden Bund-Länder-Vertrag die Kompetenzverteilung somit keine Rolle spielt, wirkt sich die Möglichkeit des Bundes zu einer Änderung der Kompetenzordnung, die der Vertrag auch nicht beschränkt, nicht auf die vertragliche Bindungswirkung aus. Noch aus Weimarer Zeit stammt das Argument, das Reich könne über die Existenz der Länder entscheiden (dies gilt auch noch für die Bundesrepublik Deutschland), dann - a maiore ad minus - erst recht über den Bestand ihrer Rechte 36 . Unter Geltung des Rechtsstaatsprinzips, nach dem der Gesetzgeber auch selbst solange an das von ihm gesetzte Recht gebunden ist, bis er es aufhebt, ist dieser Allmacht und Unberechenbarkeit des Staates ein Riegel vorgeschoben: Erst wenn der Bund sich - übrigens im Verfahren nach Art. 29 GG zur Auflösung eines Landes entschlossen hat, erlöschen mit dessen Existenz auch seine Rechte 37 . Auch das Bundesstaatsprinzip verbietet, die Rechte der

33

Heiden, S. 141.

34

H.-E. Giese, S. 139; Hermann , S. 43.

35

Siehe oben S. 90.

36

Liermann, S. 43.

37

Krüger, Völkerrecht, S. 243.

I. Bindungswirkung des Vertrages

181

(existierenden) Länder der beliebigen Entscheidung des Bundes auszuliefern; sie verlören mangels einer rechtlichen Bindungswirkung ihren Rechtscharakter, so daß den Ländern keine Rechtsposition dem Bund gegenüber verbliebe, was gegen Art. 20 I GG verstieße. Ebenfalls aus Zeiten der Weimarer Republik hält sich das Argument, vertragliche Rechte eines Landes gegenüber dem Bundesgesetzgeber seien „Reservatrechte" 38 , deren Begründung die Verfassung (bis zu einer entsprechenden Änderung) verbiete 39 . Sofern überhaupt begründet wird, warum sich das Verbot aus dem Grundgesetz ergebe, wird auf Autoren der Weimarer Zeit verwiesen 40 . In der Weimarer Republik wurde ein Verbot vordergründig dem Art. 178 WRV entnommen 41 , der die Verfassung von 1871 und unter ihr erlassene, der WRV widersprechende Gesetze aufhob. Die Verfassungsbestimmung selbst gab also keinen Anhaltspunkt für ein Reservatrechtsverbot. Ein weiteres Argument war das Fehlen einer Bestimmung in der Weimarer Reichsverfassung, die Art. 78 I I der alten Reichsverfassung entsprach 42, wonach eine Änderung der Sonderrechte der Länder deren Zustimmung bedurfte. Art. 78 I I der Verfassung des Kaiserreichs galt jedoch nur für verfassungsrechtliche, nicht für vertragliche Sonderrechte 43. Er kann mithin nicht Grundlage für die Zulässigkeit vertraglicher Sonderrechte gewesen sein, so daß das Fehlen einer Parallelbestimmung in der Weimarer Reichsverfassung hier unergiebig ist. Das ebenfalls vorgetragene Argument, die Begründung von Reservatrechten bewirke eine verfassungswidrige Kompetenzverschiebung 44, wurde bereits widerlegt. Ferner wurden Reservatrechte als Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Gleichheit der Länder angesehen45. Schon zu Zeiten der Weimarer Republik wurde zutreffend darauf hingewiesen, daß etwa aus der unterschiedlichen Anzahl der Bundesratsstimmen der Länder hervorgehe, daß die Verfassung eine

38

Neuber, S. I l l ; Thoma, S. 179.

39

Autoren aus bundesdeutscher Zeit: Bachof, S. 33 f.; H.-E. Giese, S. 138; Isensee, Wege, S. 141; Thieme, S. 408. 40

Bachof S. 33 f.

41

Thoma, S. 179.

42

Hatschek, S. 73 f.

43

Siehe oben S. 63.

44

Hatschek, S. 72.

45

Hatschek, S. 72.

182

Β. BindungsWirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Ungleichbehandlung der Länder nicht absolut verbiete 46. Dies gilt auch für das Grundgesetz, das beispielsweise in Art. 138 und 141 GG selbst Rechte einzelner Länder vorsieht. Des weiteren wird gegen die Zulässigkeit von Reservatrechten angeführt, die Staatsgewalt ginge sonst von Verträgen und nicht vom Volke aus, so daß das Verfassungsprinzip der „Volkssouveränität" verletzt sei 47 . Dieser Einwand aus dem Demokratieprinzip wird, da er kein typisch bundesstaatliches Argument ist, gesondert behandelt48. Schließlich wird darauf verwiesen, daß bis 1918 bestehende Reservatrechte (der süddeutschen Staaten von 1870) erloschen seien, weil sie in der durch die auch gegen die Einzelstaaten gerichteten Revolution untergegangenen Verfassung ihre Grundlage hatten49. Damit kann allenfalls der Untergang der alten Reservatrechte, nicht aber die Unmöglichkeit der Entstehung neuer begründet werden. Die Zielrichtung der deutschen „Revolution" von 1918/19 kann für das Grundgesetz kein Auslegungskriterium sein. Dies gilt insbesondere für eine etwaige revolutionäre Strömung gegen die Länder, da das Grundgesetz durch Betonung des Bundesstaatsprinzipes, die etwa in Art. 30, 70, 83 GG zum Ausdruck kommt, die Eigenstaatlichkeit der Länder gerade stärken wollte. Die genannten Argumente können ein Verbot von „Reservatrechten" der Länder durch das Grundgesetz somit nicht begründen. Sofern man unter Reservatrechten nur Rechte aus bei ihrem Abschluß außerhalb der Verfassungs-, in der Völkerrechtsordnung stehender Verträge versteht, verbietet das Grundgesetz solche Rechte insofern, als es keine völkerrechtlichen Verträge zwischen Bund und Ländern zuläßt. Völkerrechtliche Ansprüche zwischen Bund und Land widersprechen dem Grundgesetz. Da der Einigungsvertrag aber nur noch als staatsrechtlicher Vertrag gilt, kann daraus nichts gegen die Zulässigkeit staatsvertraglicher EinigungsvertragsRechte eines Landes folgen. Gegen eine Bindung schon der Gesetzesinitiative wird eingewandt, das Land als potentieller Gesetzesunterworfener dürfe keinen Einfluß auf den Start des Gesetzgebungsverfahrens haben50. Dieses Argument spräche umso mehr gegen eine vertragliche Bindung des Gesetzgebers insgesamt. Allgemei-

46

Liermann, S. 36.

47

Hatschek., S. 16, 72.

48

Siehe unten S. 183.

49

Liermann, S. 37.

50

Grawert, Verwaltungsabkommen, S. 202.

I. Bindungswirkung des Vertrages

183

ner wird formuliert, der Rang des Gesetzgebers verbiete ihm den Vertragsabschluß mit anderen 51. Beiden Argumenten liegt die Annahme zugrunde, zwischen zwei Personen, von denen eine der anderen im Bereich des Vertragsgegenstandes (per Gesetz) Befehle erteilen kann, könne kein Vertrag bestehen, da dieser Koordinationsinstrument sei. Heute ist jedoch anerkannt, daß der Staat auch im subordinationsrechtlich regelbaren Verhältnis auf seine übergeordnete Stellung insoweit verzichten kann, als er statt oder neben dem rechtlichen Befehl sich (gegen Gegenleistung) vertragliche Rechte verschafft, solange er dadurch nicht die Begrenzung seiner Machtbefugnis ausschaltet (dies ist für das hier behandelte Problem, ob seine Verpflichtung möglich ist, ohne Belang) oder Verfassungswidriges verspricht. Die Verpflichtung ist aber nicht deshalb unwirksam, weil sie von einem übergeordneten Rechtssubjekt eingegangen wird, da, wer die Macht zu hoheitlicher Regelung hat, damit grundsätzlich auch die Macht zur Einschränkung seiner Rechtsmacht durch Verpflichtung hat. Das Rangargument gegen die Bindung des Normgebers ist im übrigen auf Bund-Länder-Verträge, die auf Gebieten teils der Bundes-, teils der Landeskompetenz abgeschlossen werden, nur schwer anwendbar: Soll hier der Bund (nur) wegen seiner Kompetenz-Kompetenz, die nicht Vertragsgegenstand ist, der übergeordnete Partner sein? Subordinationsargumente sprechen im Ergebnis auch nicht gegen eine Bindung des Gesetzgebers, solange nur die von ihm umzusetzenden Regelungen nicht gegen die Verfassung verstoßen.

ee) Demokratieprinzip Bereits zu Zeiten der Weimarer Republik wurde gegen eine Bindung des Gesetzgebers eingewandt, sie verletze die „Volkssouveränität", weil die Macht dann nicht vom Volk, sondern von Verträgen ausgehe52. Sicherlich sind die Verträge, was sie als staatliche Machtinstrumente nach Art. 20 I GG sein müssen, demokratisch legitimiert; denn sie kommen erst nach Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes, insbesondere seines Parlaments, zustande.

51

Stettner, S. 561.

52

Hatschek, S. 16, 72.

184

Β. BindungsWirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Damit ist aber noch nicht jeder Einwand aus dem Demokratieprinzip beseitigt 53 . Demokratie setzt die Möglichkeit sich verändernder Mehrheiten voraus 54 . Erst die Möglichkeit, daß die Minderheit von heute morgen Teil der Mehrheit ist, legitimiert die Entscheidung der Mehrheit von heute und unterscheidet qualitativ die Demokratie von einer Diktatur der Mehrheit 55 . Demokratie begrenzt staatliche Macht daher auch in zeitlicher Hinsicht 56 : Wenn die heutige Mehrheit die morgige binden könnte, würde das morgen geltende Recht von dem Willen der heutigen Mehrheit, könnte also nicht vom Willen der heutigen Minderheit getragen werden. Eine Bindung des künftigen Parlaments läuft somit grundsätzlich dem Demokratieprinzip zuwider 57 ; die für die verfassungsrechtliche Bindung sich aus dem Gedanken des Minderheitenschutzes, der ebenfalls Teil des Demokratieprinzipes ist, ergebende Einschränkung trifft auf die hier untersuchte Bindung durch Vertrag nicht zu. Nun läßt allerdings das Grundgesetz selbst eine Ausnahme zu, nämlich die Bindung der Bundesrepublik Deutschland einschließlich ihres Gesetzgebers an völkerrechtliche Verträge, wie in Art. 59 Π 1 GG (bereits in der Ursprungsfassung) zum Ausdruck kommt. Diese Regelung geht dem aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten Grundsatz der Bindungsfreiheit schon nach der lex specialis-Regel vor und höhlt den Grundsatz auch nicht aus, da das künftige Parlament zumindest eine vertragswidrige Regelung als geltendes Gesetz erlassen kann, ihren Willen also durchsetzen kann, wenn auch nur durch Rechtsbruch oder nach - vom Willen der alten Mehrheit unabhängige - Zustimmung des Vertragspartners. Das durch die ausnahmsweise erlaubte Bindung verfolgte Ziel, der Bundesrepublik Deutschland so den Rechtsverkehr in dem ihr sonst verschlossenen zwischenstaatlichen Bereich zu ermöglichen, wird so mit den Anforderungen des Demokratieprinzips zu einem Ausgleich gebracht. Daraus folgt, daß dort, wo die Bindung nach Art. 59 Π 1 GG in sinngerechter entsprechender Anwendung erlaubt ist, ebenso die skizzierte Abwägung mit dem Demokratieprinzip zu treffen ist. Da auf einen staatsrechtlichen Eingliederungsvertrag der Gedanke des Art. 59 I I 1 GG übertragbar ist 5 8 , verstößt die vertragliche Verpflichtung des Gesetzgebers durch ihn nicht gegen das grundgesetzliche Demokratieprinzip. Sie ist unter Demokratie-

53

Davon geht aber Stettner, S. 561 Anm. 69 aus.

54

Hesse, Rdnr. 143. Hesse, Rdnr. 154.

55 56

Hesse, Rdnr. 139.

57

Doehring

58

Siehe oben S. 175.

y

Bindungen, S. 25; anders Hollerbach, S. 159.

I. Bindungswirkung des Vertrages

185

Gesichtspunkten sogar weniger einschneidend als eine völkervertragliche; denn die Bindungswirkung eines der Verfassung unterstehenden staatsrechtlichen Vertrages kann die Mehrheit von morgen via Verfassungsänderung beseitigen59. Die Funktion der Legislative, dem Gemeinwohl dienende Gesetze zu erlassen, wird ein Verbot der vertraglichen Bindung des Gesetzgebers entnommen 60 ; die Notwendigkeiten des Gemeinwohls könnten wechseln, und der Gesetzgeber müsse den neuen Notwndigkeiten dann nachkommen können 61 . Mit dieser Spielart der Einstellung „Der Zweck heiligt die Mittel" ließe sich freilich jegliche rechtliche Bindung des Gesetzgebers leugnen: Sofern nur etwas zur Notwendigkeit des Gemeinwohls hochstilisiert ist, müßte der Gesetzgeber dann alles dürfen, um das vermeintlich Notwendige durchzusetzen — Verfassungsdurchbrechungen im Einzelfall nicht ausgeschlossen. Daß die Gesetze dem Gemeinwohl dienen, ist ein (rechts-)politisches Ziel, keine rechtliche Anforderung.

ff) Verfahrensrechte bei Gesetzgebung Gegen eine Bindung des Normsetzers wird weiter angeführt, eine solche unterliefe die vorgesehenen Einflußrechte im Normsetzungsverfahren 62, ebenso wie die Alleinverantwortlichkeit der Initiativberechtigten 63. Kritisiert wird damit, daß das von der Verfassung her vorgesehene Gesetzgebungsverfahren insoweit unterlaufen wird, als ein weiteres Subjekt, nämlich der Vertragspartner, die laut Vertrag zu erlassende Norm mit initiiere und die Rechte Dritter auf Beteiligung am Normsetzungsverfahren sinnlos seien, wenn wegen der rechtlichen Bindung des Normsetzers dessen Entscheidung schon zuvor feststehe. Das zweite Argument, das anläßlich der Beurteilung von Verträgen einer Gemeinde mit Verpflichtung zum Satzungserlaß verwandt wird, trifft dann nicht zu, wenn bereits die Zustimmung zum Vertrag durch den Normsetzer in der Form der zu erlassenden Norm erfolgt; so liegt es aber bei staatsrecht-

59

Durch Beseitigung des entsprechenden Verfassungssatzes. Krüger, Staatslehre, S. 79; Birk, S. 1797; dagegen leitet Doehring, Bindungen, S. 24 f. aus diesem Gedanken wohl nur ein Kündigungsrecht ab. 60

61

62

Bullinger, S. 82.

Meyer/Borgs-Maciejewski, § 54 Rdnr. 57, die diese Kritik aber auf Verpflichtungen zum Normerlaß beschränken. 63 Krüger, Staatslehre, S. 887 (für Verträge zwischen Staat und Bürger).

186

Β. BindungsWirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

liehen Verträgen des Bundes (Art. 59 Π 1 GG analog). Beteiligungsrechte werden hier, schon vor der Zustimmung zum Vertrag, gewahrt. Allerdings sind bei der Abstimmung über ein Zustimmungsgesetz zu einem Vertrag im Bundestag keine Abänderungsanträge möglich (§ 82 I I GeschOBT). Dadurch wird bei der Abstimmung über den Vertrag aber nicht der Einfluß von Organen, die laut Grundgesetz an der Gesetzgebung zu beteiligen sind, eingeschränkt, sondern nur der der Angehörigen des Bundestages, der - im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen - sein eigenes Verfahren selbst bestimmt. Wenn man also § 82 Π GeschOBT allgemein für verfassungskonform hält, kann seine Anwendung im einschlägigen Einzelfall nicht dazu führen, daß Rechte der Beteiligten im Gesetzgebungsverfahren unterlaufen werden. Das Grundgesetz regelt das Gesetzgebungsverfahren und damit auch den Kreis der Initiativberechtigten (Art. 76 I GG) abschliessend. Initiativrecht bedeutet aber nur das Recht, das Gesetzgebungsverfahren formell einzuleiten; dieses Recht erhält der Partner eines den Gesetzgeber nur verpflichtenden Vertrages nicht eingeräumt. Daß andererseits der Partner durch seine vertragliche Stellung (bei Anerkennung der Bindungswirkung) ein erhebliches Druckmittel gegenüber den Initiativberechtigten in der Hand hat, um sie zur Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens mit dem Ziel des Erlasses des gewünschten Gesetzes anzuhalten, ist aus zwei Gründen aber keine Umgehung des Initiativrechts: Zum einen ist dieses Recht ein formales Verfahrensrecht. Weil der Vertragspartner aber, trotz seines Rechtes auf Gesetzeserlaß, kein Recht zum Gesetzeserlaß oder zur Gesetzesinitiative hat, behalten die Initiativberechtigten formal ihr Monopol. Aber auch der Sache nach behalten sie die Entscheidung über die Gesetze, deren Inhalt der Vertrag festlegt; denn wegen Art. 59 I I 1 GG analog, Art. 76 I GG konnten nur sie das Verfahren zur Zustimmung zum Vertrag initiieren, so daß ohne ihre Initiative sie später nicht zum Erlaß eines entsprechenden Gesetzes bzw. zum Unterlassen einer Gesetzesänderung verpflichtet wären. Sie behalten damit die Verantwortung für die spätere gesetzliche Regelung selbst dann, wenn man ihre rechtliche Verpflichtung aus dem Vertrag als verantwortungshemmend ansieht.

gg) Vertragsrecht B i r k 6 4 zufolge setzt der Vertrag einen Verhandlungsgegenstand voraus, der für beide Partner zur Disposition stehen muß; eine Norm aber richte sich

64

Birk, S. 1799.

I. Bindungsirkung des Vertrages

187

an die Allgemeinheit und könne daher konstruktiv nicht Gegenstand eines Vertrages sein. Schon Birks Ausgangspunkt trifft nicht zu. Nur derjenige Vertragspartner, der sich zu etwas verpflichtet, muß über diesen Gegenstand auch disponieren können (selbst das gilt nicht stets; so kennt das Zivilrecht Verpflichtungsverträge, die für den Verpflichteten nicht erfüllbar sind). Solange er sich nicht zur Übertragung seiner Rechtsmacht - hier: der Gesetzgebungsbefugnis - auf den anderen Partner verpflichtet, braucht dieser den Rechtsmachttyp nicht ausüben zu können. Sofern er nur Träger des Rechts gegen den verpflichteten Vertragspartner sein kann, wird die Erfüllung der Verpflichtung nicht unmöglich. Gegenseitige Verträge enthalten Pflichten beider Vertragspartner; aber auch hier muß nur jeder Partner seine Pflicht erfüllen können, nicht auch die des anderen. Verhandlungsgegenstand ist nicht eine Leistung, die die Vertragspartner zu unterschiedlichen Teilen erbringen, sondern sind (bei zwei Partnern) Leistung und Gegenleistung; Verhandlungen können stattfinden, wenn jeder nur den Umfang der Leistung, die er anbietet, bestimmen kann.

hh) Vergleich mit dem Vertrag nach § 54 VwVfG Die Möglichkeit einer vertraglichen Bindung eines Normgebers ist in der bundesdeutschen Literatur vor allem anläßlich von Verträgen nach §§ 54 ff. VwVfG entsprechenden Ländervorschriften diskutiert worden, in denen sich Gemeinden zum Erlaß bestimmter Satzungen, insbesondere Bebauungsplänen, verpflichteten. Die herrschende Meinung sieht insoweit eine Verpflichtung zum Satzungserlaß als unzulässig an 65 . Hier sollen nur noch die in diesem Zusammenhang angeführten Argumente untersucht werden, auf die nicht schon eingegangen wurde (zu letzteren zählen die Argumente, die Anhörungsrechte im Verfahren des Satzungserlasses würden unterlaufen und die Gemeinde würde durch den Vertrag ihre Planungskompetenz veräußern). Gründe, die darauf beruhen, daß vertragsschließendes und satzungserlassendes Gemeindeorgan nicht identisch sind, werden ebenfalls nicht beachtet, da im Falle einer Bindung des Bundesgesetzgebers dieser wegen Art. 59 I I 1 GG analog dem staatsrechtlichen Vertrag auch selbst zustimmen muß. Der Hinweis auf § 54 S. 2 VwVfG, demzufolge ein Vertrag anstelle eines Verwaltungsaktes geschlossen werden kann 66 , kann schon deshalb nicht den

65 66

Statt vieler Papier, S. 500; Stettner, S. 555. Dieses Argument referiert Papier, S. 500.

188

Β. BindungsWirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Gegenschluß begründen, vertraglich könne nichts zugesagt werden, was Inhalt einer Norm wäre, weil § 54 S. 2 VwVfG nur ein Beispiel eines öffentlich-rechtlichen Vertrages nennt, nicht hingegen ihn definiert. Im übrigen gilt § 54 VwVfG nur für verwaltungsrechtliche, nicht für staatsrechtliche Verträge. § 2 I I I BauGB (früher § 2 V I I BBauG), der einigen Autoren zufolge gegen eine vertragliche Bindung sprechen soll 67 , verbietet nur gesetzliche Ansprüche 68; diese Vorschrift ist nicht generell für staatsrechtliche Verträge anwendbar. Schließlich soll das Abwägungsgebot des § 1 V I BauGB einer (vorherigen) vertraglichen Bindung entgegenstehen, da eine Abwägung sinnlos sei, wenn bereits zuvor das Abwägungsergebnis feststehe 69. Der Bundesgesetzgeber unterliegt beim Gesetzeserlaß zwar nicht dem Gebot des § 1 V I BauGB; immerhin müssen aber (mindestens) alle Gesetze, die in grundrechtsgeschützte Bereiche eingreifen, verhältnismäßig sein. Zwischen Abwägungsgebot und Verhältnismäßigkeitsprinzip besteht jedoch der grundlegende Unterschied, daß das zweite Prinzip keine prozedurale Pflicht enthält, sondern ein Maßstab für das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens ist, nicht für seinen Ablauf. Wo aber keine prozedurale Pflicht besteht, kann nicht schaden, daß das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens wegen einer zuvor eingegangenen vertraglichen Bindung und deren großen Druck auf den Normsetzer praktisch schon zu Beginn des Verfahrens feststeht. Das Argument mit dem Abwägungsgebot ist demzufolge nicht auf staatsrechtliche Verträge übertragbar. Den Argumenten, die gegen eine Bindung (der Gemeinde) durch Verträge nach § § 5 4 ff. VwVfG entsprechenden Landesvorschriften vorgetragen werden, kann daher nichts gegen eine Bindung des Gesetzgebers durch einen staatsrechtlichen Vertrag entnommen werden.

ii) Zusammenfassung Es konnte nicht begründet werden, daß eine staatsvertragliche Bindung des Bundesgesetzgebers durch einen Eingliederungsvertrag unzulässig ist.

67 68 69

Dieses Argument referiert Papier, S. 500. Papier, S. 501; ähnlich Tschoch, S. 135. Papier, S. 501; ähnlich Zschoch, S. 135.

I. Bindungsirkung des Vertrages

189

b) Argumente für eine Bindung Argumente für die Möglichkeit einer Bindung des Gesetzgebers könnten sich ergeben aus Gesichtspunkten des Bund-Länder-Verhältnisses, aus vertragsrechtlichen Gründen, der Coburg-Rechtsprechung, dem Vergleich mit anderen Fällen einer Bindung des Gesetzgebers und mit historischen Parallelen. aa) Bundesstaatliches Verhältnis Für eine Bindungsmöglichkeit wird angeführt, der Bund könne sich schon wegen seiner Kompetenz-Kompetenz selbst binden; dann sei ihm auch die vertragliche Bindung möglich 70 . Über die Kompetenz-Kompetenz verfügt aber nicht der (einfache) Gesetzgeber, sondern der verfassungsändernde (und nur in der Form nach Art. 79 GG, nicht durch Verträge). Der verfassungsändernde Gesetzgeber kann im übrigen kraft der Kompetenz-Kompetenz eine den Ländern zugeteilte Zuständigkeit auch wieder an den Bund zurückholen; auch er bindet in Kompetenzfragen sich selbst daher nicht (eine Grenze seiner Macht zieht ihm nicht die Kompetenz-Kompetenz, sondern Art. 79 I I I GG). Aus der Kompetenz-Kompetenz des Bundes kann daher nichts für eine vertragliche Bindung des Gesetzgebers abgeleitet werden. Anker 7 1 , der von einer nur gesetzlichen Fortgeltung des Einigungs Vertrages ausgeht, konstruiert eine (für einzelne Punkte seiner Ansicht nach mögliche) Bindung des Bundes(-gesetzgebers) über den Bundestreuegrundsatz. Der erfordere, wie seine Konkretisierung in Art. 32 I I GG zeige, eine Abstimmung mit von der Änderung eines Vertrages betroffenen Ländern, wenn „Anlaß zur Rücksichtnahme" bestehe. Dieser Rechtsgedanke sei auf Änderungen des gesetzlichen Einigungsvertrages anzuwenden, solange die völkervertragliche Herkunft des Einingungsvertrages „spürbar" sei, etwa im in Art. 143 I GG genannten Zeitraum. Im Einzelfall könnten die neuen Bundesländer daher ein vom Bund zu beachtendes Veto-Recht haben. Art. 32 I I GG liefert, auch in entsprechender Anwendung, kein Argument für eine Bindung des Bundes (und sei es auch nur im Einzelfall). Denn seine ausschließliche Rechtsfolge ist ein Anhörungsrecht eines Landes.

70

Referiert von Bauer, S. 27.

71

Anker, Einigungsvertrag, S. 1066.

190

Β. BindungsWirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Lediglich aus dem allgemeinen Bundestreuegrundsatz könnte eine Bindung als Rechtsausübungsschranke oder Hilfspflicht gewonnen werden. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Bundestreuegrundsatzes ist ein existierendes Recht oder eine existierende Zuständigkeit im Verhältnis zwischen Bund und betroffenen Land. Wenn man den Einigungsvertrag (entgegen Anker) als bestehenden staatsrechtlichen Vertrag ansieht, ist ein solches Rechtsverhältnis, wenn auch nur im Verhältnis zur fingierten Deutschen Demokratischen Republik als Vertragspartner, gegeben. Rechte daraus kommen allerdings nur der Deutschen Demokratischen Republik zu, so daß eine Bindung des Bundesgesetzgebers nur als Hilfspflicht entstehen könnte. Die Hilfspflichten entstehen lediglich, wenn nur bei ihrer Befolgung objektiven Interessen, die Bund und Ländern gemein sind, Rechnung getragen wird. Daß der Einigungsvertrag nicht durch - an sich zulässige72 - gesetzgeberische Maßnahmen, deren Inhalt dem der Einigungsvertrags-Regeln widerspricht, unterlaufen wird, müßte ein solches gemeinsames Interesse sein. Daß ein solches allgemeines Interesse nicht besteht, beweist schon die Anwendbarkeit des Bundestreuegrundsatzes in umgekehrter Richtung: So kann das Beharren des Landes auf einer vertraglichen Regelung dem gesamten Interesse des Bündnisses zuwiderlaufen (etwa, wenn die vertragliche Regelung kurzsichtig war oder im übrigen Bundesgebiet dringender Bedarf nach einer dem Vertragsinhalt zuwiderlaufenden Regelung besteht, z.B. aus gesamtwirtschaftlichen Gründen), so daß der Deutschen Demokratischen Republik ihrerseits durch den Bundestreuegrundsatz eine Rechtsausübungsschranke zu ziehen wäre. Das für diesen Grundsatz maßgebliche Interesse kann also nur im Einzelfall ermittelt werden und läßt daher nicht den allgemeinen Schluß zu, im zeitlichen Rahmen des Art. 143 I GG o.ä. sei der Bundesgesetzgeber durch den Einigungsvertrag generell gebunden.

bb) Vertragsrecht Wenn man ein Land an einen staatsrechtlichen Vertrag mit dem Bund auch für gebunden hält, soweit seine Gesetzgebungsorgane betroffen sind 73 , liegt das Argument nahe, dann müsse dies auch für den Bund als Vertragspartner gelten, weil die Partner auf der vertraglichen Ebene gleichberechtigt

72

Sonst bestünde ja bereits eine Bindung des Gesetzgebers wegen der Unzulässig-

keit. 73

von Mangoldt/Klein, S. 299.

Art. 20 Anm. III 3 d mit Verweis auf Anschütz, System,

I. Bindungsirkung des Vertrages

191

seien74 und der Bund durch die Wahl der Vertragsform auf seine übergeordnete Stellung verzichtet habe75. Abgesehen davon, daß die Übertragbarkeit der Bindungsmöglichkeit von ihrer Begründung abhängt76, stellt sich die Frage, ob der Bund überhaupt wirksam auf jede Überordnung verzichten kann. Da das die Staatsverträge regelnde Recht Teil der Bundesverfassung ist, kann er etwa gar nicht auf seine Regelungsbefugnis für das Vertragsregime verzichten. Warum er auf die grundsätzliche Bindungsfreiheit seines Gesetzgebers verzichten können soll, wird nicht begründet. Wenn er das nicht kann, wird ihm die Fähigkeit dazu auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung der Vertragspartner zuteil; denn die Partner sind nur soweit gleich, als sie einen wirksamen Vertrag geschlossen haben. Ist einem von ihnen für eine bestimmte Wirkung - hier die Bindung des Bundesgesetzgebers - der Vertragsschluß nicht möglich, so besteht insoweit kein wirksamer Vertrag. Die grundsätzliche Gleichheit der Vertragspartner begründet somit nicht, daß der Bund seine Gesetzgebungsorgane durch Vertragsabschlüsse binden kann. Krüger 77 argumentiert, eine einseitige Lösung des Bundesgesetzgebers von der von ihm selbst eingegangenen Bindung sei als widersprüchliches Verhalten unbeachtlich. Die Rechtsordnung erkennt jedoch nur solches Verhalten wegen Mißbrauches nicht an, das im Widerspruch zu vorangegangenem rechtmäßigen Handeln steht. Grund der Nichtanerkennung widersprüchlichen Verhaltens ist nämlich das durch das vorangegangene Verhalten geschaffene berechtigte Vertrauen des Vertragspartners; durch eine von der Rechtsordnung nicht anerkannte Bindung (hier: des Bundesgesetzgebers) wird aber kein berechtigtes Vertrauen des Partners in die Erfüllung dieser Zusage begründet. Dafür, daß das vorangegangene Verhalten, nämlich die Zusage der Bindung des Gesetzgebers, rechtlich möglich ist, wird mit dem Verweis auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens keine Begründung gegeben. Bisweilen wird mit dem Hinweis auf den Satz „pacta sunt servanda" eine einseitige Lösbarkeit des Bundes vom Vertrag verneint und damit eine Bin-

74

Bauer, S. 110.

75

Heiden, S. 140.

76

Folgt die Möglichkeit der Bindung des Landesgesetzgebers aus einem nur auf das Land zutreffenden, weil auf der übergeordneten Stellung des Bundes beruhenden Argument, fehlt die Übertragbarkeit der Argumentation auf den Bundesgesetzgeber. 77 Krüger, Völkerrecht, S. 243.

192

Β. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

dung des Bundes begründet 78 . Ob „pacta sunt servanda" tatsächlich ein Rechtssatz ist 79 , kann hier dahinstehen80. Denn nach dem genannten Satz sind nur von der Rechtsordnung anerkannte Verträge einzuhalten 81 , und darüber, ob diese den Gesetzgeber bindende Verträge zuläßt, besagt der Satz nichts. cc) Coburg-Rechtsprechung Die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird als Beleg dafür zitiert, daß den Gesetzgeber bindende Zusicherungen in innerstaatlichen Eingliederungsverträgen möglich seien82. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Fällen seiner CoburgRechtsprechung die grundsätzliche Bindung des Gesetzgebers des eingliedernden Landes an den Vertrag implizit bejaht, wie sich daraus ergibt, daß es zur Abweisung des gegen das Land geführten Verfahrens auf die Clausula rebus sie stantibus zurückgriff 83 . Dieser Rückgriff wäre überflüssig gewesen, wenn das Gericht bereits eine vertragliche Bindung des Landesgesetzgebers für unzulässig gehalten hätte. Hätten die - nach Art. 28 I GG mit dem Grundgesetz strukturidentischen - Landesverfassungen ein Verbot dieser Selbstbindung des Gesetzgebers enthalten, wäre damit wegen der Beachtlichkeit der Verfassungsmäßigkeit der Zustimmung des Landes bei innerstaatlichen Verträgen eine entsprechende vertragliche Pflicht nicht begründet worden. Das Bundesverfassungsgericht hielt die Zulässigkeit dieser Selbstbindung durch die Eingliederungsverträge - im Gegensatz zu derem Fortbestand, auf den es einmal besonders einging - für so selbstverständlich, daß es sie mit keinem Wort begründet oder auch nur explizit erwähnt (schon kurz nach Abschluß des Vertrages zwischen Bayern und Coburg wurde nur lapidar bemerkt von Nawiasky, Anhaltspunkte für ein verfassungsrechtliches Verbot der Selbstbindung des Gesetzgebers bestünden nicht 84 ). Daher ist eine Pro-

78

So für Gemeindeeingliederungsverträge Altenmüller,

S. 38.

79

Dagegen Neuber, S. 84; Hess. MinPräs., S. 133; dafür BReg., S. 245. 80 Für die Rechtsnatur spricht, daß die Einhaltungspflicht konstitutives Element des Rechtsinstituts „Vertrag" und damit als Teil der Definition eines Rechtsinstitutes Rechtssatz ist. 81

Bauer, S. 78; H.-E. Giese, S. 138.

82

Altenmüller,

83

BVerfGE 34, 216 (230 ff.); 42, 345 (358).

84

S. 37; Weis, Fragen, S. 14.

Nawiasky, Verfassungsrecht, S. 42 (wobei er die Bindung aber in dem Zustimmungsgesetz ortet).

I. Bindungsirkung des Vertrages

193

gnose schwierig, ob das Gericht auch die Selbstbindung des Bundesgesetzgebers durch den Eingliederungsvertrag Einigungsvertrag für zulässig erachten würde. Wegen der Strukturidentität des Grundgesetzes mit den Landesverfassungen und der Tatsache, daß es sich beide Male um Eingliederungsverträge handelt, liegt dies zwar nahe. Andererseits sind die gegen eine Bindung des Bundesgesetzgebers angeführten Argumente, der Bund sei Herr des Staatsvertragsrechts, er verlöre sonst Gesetzgebungskompetenzen an das Land, das Zustimmungsgesetz entziehe die für den Vertrag notwendige Landeskompetenz und Länderreservatrechte gegenüber dem Bund seien verboten 85 , a priori nicht bei Ländereingliederungsverträgen einschlägig, so daß das Bundesverfassungsgericht sich mit ihnen in keinem Fall auseinandergesetzt hätte. Da sie andererseits, wie gezeigt, nicht durchgreifen, kann dies außer Betracht bleiben. Die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts spricht somit für die Möglichkeit vertraglicher Bindung des Gesetzgebers durch einen staatsrechtlichen Eingliederungsvertrag.

dd) Vergleich mit sonstigen Bindungen des Gesetzgebers Auch eine andere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deutet in die Richtung, daß das Gericht eine Bindung des Gesetzgebers für zulässig ansehen könnte. In dem Urteil zum Petersberger Abkommen hält es eine Verpflichtung der Bundesregierung, einen bestimmten Gebrauch von ihrem Initiativrecht zu machen, für zulässig, solange die Verpflichtung nur ihre eigenen verfassungsrechtlichen Befugnisse und nicht die anderer Staatsorgane berühre 86. Wiederum erleichtert das Fehlen einer Begründung nicht die Prognose, ob diese Entscheidung für den Gesetzgeber genauso getroffen worden wäre. Da in beiden Fällen die Zulässigkeit vertraglicher Selbstbeschränkung eines Verfassungsorgans in seinen verfassungsmäßigen Befugnissen in Frage steht, ist die Entscheidung zumindest ein Indiz dafür, daß diese ähnliche Problematik ähnlich beurteilt würde. Es ist jedoch deshalb sehr schwach, weil die meisten gegen eine Bindungswirkung des Gesetzgebers vorgetragenen Argumente 87 a priori nicht auf Regierungsverträge anwendbar sind und sich das Bundesverfassungsgericht daher nicht mit ihnen auseinandergesetzt haben wird.

85

Siehe oben a) dd). BVerfGE 1, 351 (366); diese Entscheidung führt Altenmüller, 34) als Beleg für die Bindung des Gesetzgebers an Verträge an. 87 Siehe oben a) aa), dd) -11). 86

13 Wagner

S. 37 f. (mit Anm.

194

Β. Bindungsirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist daher nur sehr beschränkt geeignet, die aus der Coburg-Rechtsprechung gewonnene Prognose zu erhärten; zumindest widerspricht sie ihr nicht. Anläßlich der Beurteilung eines Staatsvertrages, den das Deutsche Reich mit Bayern abgeschlossen hatte, hat bereits der Staatsgerichtshof bemerkt, das Reich könne nicht durch Erlaß eines neuen Gesetzes die vertragliche Geltung ändern 88. Damit ging er von der Möglichkeit einer staatsvertraglichen Bindung des Reichsgesetzgebers aus. Freilich ist die Aussagekraft dieses Arguments aus zwei Gründen sehr beschränkt: Zum einen erging die Entscheidung unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung und nicht des Grundgesetzes; die Weimarer Reichsverfassung erlaubte, anders als das Grundgesetz, dem Gesetzgeber Verfassungsdurchbrechungen im Einzelfall, so daß sich die Problematik einer Umgehung der Vorschriften über die Verfassungsänderung nicht in der Schärfe stellte wie unter Art. 79 GG 89 . Zum anderen ist die wiedergegebene Ausführung nur Obiter dictum innerhalb einer zusätzlichen (hilfsweisen) Begründung, warum der in objektives Recht umgeformte Vertrag Dritten gegenüber gelte. Im Rahmen dieser beschränkten Aussagekraft spricht die Entscheidung des Staatsgerichtshofes aber für die Möglichkeit der Bindung des Bundesgesetzgebers durch einen staatsrechtlichen Vertrag. Gemeindeeingliederungsverträge sind die erste von mehreren Bindungen, denen ein Normgeber sich anerkanntermaßen selbst unterwerfen kann und auf die zum Beleg für die Zulässigkeit vertraglicher Bindungen des Gesetzgebers verwiesen wird. Es werden jeweils nur noch diejenigen Argumente, die im einzelnen Fall für eine Bindungswirkung sprechen sollen, näher beleuchtet, die nicht bereits zuvor untersucht wurden. Von vornherein außen vor bleiben somit auch Ansichten, die eine BindungsWirkung (bei Verträgen: durch den Vertrag, nicht als objektives Recht) ablehnen, da die dafür angeführten Argumente ohnehin nicht für eine vertragliche Bindungswirkung sprechen können. Neben der Frage, ob die Anerkennung für die jeweilige Fallgruppe überzeugt, tritt ggf. noch das Problem der Übertragbarkeit der Argumente auf eine staatsvertragliche Bindung des Gesetzgebers. Altenmüller verweist für die Bindungswirkung der Gemeindeeingliederungsverträge auf Vorschriften des baden-württembergischen Gemeinderechts über die Ortschaftsverfassung 90. Diese Landesvorschriften können für staats-

88 89 90

StGH, in: RGZ 115, Anh. S. 1 (6). Siehe oben S. 171. Altenmüller,

S. 38.

I. Bindungsirkung des Vertrages

195

rechtliche Verträge des Bundes, auch nicht entsprechend, anwendbar sein, zumal das Grundgesetz in Art. 28 nur die Struktur der Länderverfassungen vorgibt und Art. 29 GG keine entsprechenden Regeln über die Sicherung anläßlich einer Neugliederung getätigter vertraglicher Zusagen enthält. Ferner folgert er aus § 60 VwVfG im Gegenschluß, daß bei öffentlichrechtlichen Verträgen grundsätzlich eine Bindungswirkung bestehe91. Dieses Argument überzeugt schon für Gemeindeeingliederungsverträge nicht. Denn die Anwendung des § 60 VwVfG setzt die Existenz eines rechtswirksamen Vertrages voraus; wo aber ein Handeln durch Verwaltungsvertrag schon allgemein nicht zulässig ist, fehlt diese, müssen sich die Partner also auch nicht erst von dem Vertrag lösen. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht berief sich im Jahre 1934 für die Bindungswirkung auf Treu und Glauben und den Parteiwillen 92 . Der Parteiwille ist natürlich eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für eine Bindungswirkung; denn er ist rechtlich maßgeblich nur im Rahmen des gesetzlich Erlaubten. Entsprechendes gilt für die Argumentation mit Treu und Glauben: Daraus folgt mit der Leistungstreuepflicht zwar auch ein Gebot, alles der Vertragsdurchführung Hinderliche, insbesondere also den Erlaß inhaltlich dem Vereinbarten widersprechender Normen, zu unterlassen. Sie reicht jedoch nur soweit, wie eine vertragliche Bindung vom (zwingenden) Recht anerkannt wird. Eine Bindungswirkung für den Normgeber zwingend begründen können die für gemeindliche Eingliederungsverträge angeführten Argumente daher nicht. Die Bindung des Gesetzgebers an Staatskirchenverträge wird zunächst damit begründet, daß diese Verträge der Rechtsmacht des Staates entzogen seien93. Abgesehen von der Frage, ob nicht schon die staatliche Hoheit auch über Staatskirchenverträge besteht, trifft diese Argumentation jedenfalls auf staatsrechtliche Verträge zwischen Bund und Ländern, die der Bundesverfassung unterliegen, nicht zu. Ferner wird einer vertraglichen Klausel, derzufolge der Vertrag nur nach Zustimmung beider Partner geändert werden darf, entnommen, damit sei - da die Klausel für die Vertragsänderung eine Selbstverständlichkeit sei und daher einen weitergehenden Sinn haben müsse - die Bindung des Gesetzgebers

91

Altenmüller,

92

SächsOVGE 39, 16 (19 f.). Huben Verträge, S. 123.

93

S. 38 Anm. 36.

196

Β. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

an den Vertrag ausgedrückt 94. Genau dieselbe Klausel findet sich im Einigungsvertrag zwar nicht; aber man könnte eventuell der Rechtswahrungsklausel in Art. 44 EiV eine ähnliche Bedeutung zuschreiben. Jedoch stünde damit noch nicht fest, daß der Staat überhaupt befugt war, eine solche vertragliche Regelung zu treffen, was aber für die Wirksamkeit eines innerstaatlichen Vertrages Voraussetzung ist. Das könnte implizit durch Art. 182 B V geschehen sein für Kirchenverträge Bayerns. Eine entsprechende Norm für den Einigungsvertrag (Art. 44 EiV) steht jedoch nicht im Grundgesetz. Soweit die Bindung Bayerns an den Kirchen vertrag allein Art. 182 BV entnommen wird 95 , wird nicht eine vertragliche, sondern eine verfassungsrechtliche Bindung des Gesetzgebers begründet. Die zu Staatskirchenverträgen vorgetragenen Argumente vermögen somit auch keine Bindung des Gesetzgebers an staatsrechtliche Verträge zu begründen. Aus Art. 59 I I 1 GG geht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit völkerrechtlicher Verträge der Bundesrepublik Deutschland hervor, die auch den Gesetzgeber binden. Wie bereits gezeigt96, ist der dieser Regelung zugrundeliegende Gedanke auf den Einigungsvertrag übertragbar. Dies spricht für die Möglichkeit einer Bindung des Gesetzgebers durch den Einigungsvertrag. Soweit den Beitritts Verträgen der süddeutschen Staaten von 1870 den Reichsgesetzgeber bindende Wirkung zugeschrieben wird, gehen die Autoren davon aus, die Verträge stünden neben, nicht unter der Reichsverfassung 97. Die Argumentation ist daher auf dem Bundesverfassungsrecht unterstehende staatsrechtliche Verträge, wie den fortgeltenden Einigungsvertrag, nicht übertragbar. Abschließend sei noch auf zwei Vergleiche mit Normen objektiven Rechts eingegangen, die für die generelle Möglichkeit einer Bindung des Gesetzgebers angeführt werden. Der Verweis auf die Bindungswirkung von Plänen98 überzeugt schon für Pläne selbst nicht. Eine Bindung des Gesetzgebers kann ein (in gesetzlicher Form erlassener) Plan nur nach dem Grundsatz der (unechten) Rückwirkung

94

Hollerbach, S. 159.

95

Grundmann, S. 37.

96

Siehe oben S. 175. Anschütz, Staatsrecht, S. 77 f.; Haenel, Studien, S. 236; Loening, S. 347; Meyer/

97

Anschütz, S. 598. 98

Bauer, S. 118 Anm. 64.

I. Bindungsirkung des Vertrages

197

von Gesetzen im Einzelfall bewirken". Eine besondere Bindungswirkung des Planes gibt es nicht. Das rechtsstaatliche Rückwirkungsgebot führt auch nicht etwa typischerweise zu einem Verbot der Änderung eines Zustimmungsgesetzes zu einem innerstaatlichen Vertrag während der Vertragsgeltung. Dazu müßte nämlich ein das Zustimmungsgesetz änderndes Gesetz typischerweise belastend wirken, da nur belastende Gesetze vom Rückwirkungsverbot erfaßt werden. Da der Inhalt des Vertragsgesetzes keineswegs typischerweise Regelungen enthält, die den Partner des staatsrechtlichen Vertrages begünstigen (sondern oft für jedermann geltende Regelungen), wäre der Partner duch das Änderungsgesetz nur dann belastet, wenn er ein (vertragliches) Recht auf Beibehaltung dieser Bestimmungen gegenüber dem Gesetzgeber hätte. Ob er dies hat, ergibt sich aus der Rückwirkungslehre nicht. Folglich kann mit ihr nicht ein Verbot der Änderung des Vertragsgesetzes begründet werden. Die Grundlage für die durch gesetzliche Pläne im Einzelfall mögliche Bindung des Gesetzgebers führt daher nicht zu einer generellen Bindung des Gesetzgebers durch den Vertrag bzw. das Vertragsgesetz. Friauf 100 verweist zum Beleg der Möglichkeit einer Bindung des Gesetzgebers darauf, daß dieser auch verfassungsrechtlich zu bestimmter Gesetzgebungstätigkeit verpflichtet sein kann. Im von Friauf angeführten Fall hat sich der Gesetzgeber aber nicht selbst verpflichtet, sondern die Bindung ging vom Verfassungsgesetzgeber aus (in Form und mit Mehrheit des Art. 79 GG bzw. als Akt des Pouvoir constituant). An die Verfassung ist der Gesetzgeber kraft deren Vorranges in der Normenhierarchie gebunden, während seine eigenen normsetzenden Entscheidungen (Zustimmung zum Vertrag und Gesetzeserlaß) nach der Normenhierarchie keinen unterschiedlichen Rang haben. Friaufs Argument begründet daher die Möglichkeit einer vertraglichen Bindung des Gesetzgebers nicht.

ee) Art. 170, 171 WRV Schließlich wurde zu Zeiten der Weimarer Republik die Möglichkeit der Selbstbindung des Gesetzgebers auch mit Art. 170, 171 WRV begründet 101, die Vereinbarungen zwischen Reich und einzelnen Ländern über den Über-

99

Maurer, Verwaltungsrecht, § 16 Rdnr. 28.

100

Friauf,

101

Liermann, S. 43.

S. 305.

198

Β. BindungsWirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

gang einzelner Verwaltungszweige auf das Reich vorsahen. In der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland sieht Art. 91b GG Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern vor, so daß ebenfalls ein Anknüpfungspunkt bestünd. Weder Art. 170, 171 WRV noch Art. 91b GG nehmen aber zu der Frage Stellung, ob diese Vereinbarungen auch den Reichs- bzw. Bundesgesetzgeber binden. Sie können allenfalls, nämlich bei Ablehnung eines E-contrarioSchlusses, Beleg für die generelle Zulässigkeit von Verträgen zwischen Glied- und Zentralstaat sein. Art. 91b GG wird bei Leugnung einer Bindung des Bundesgesetzgebers auch nicht sinnlos, da sich die dort genannten Vereinbarungen nicht notwendig auf Gegenstände der Bundesgesetzgebungskompetenz beziehen müssen und eine Kooperation auch innerhalb des von Bundesgesetzen (etwa auf dem Gebiet der Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Art. 74 Nr. 13 GG) abgesteckten Rahmens denkbar ist. Daß der Verfassungsgeber es im übrigen auch nicht für denknotwendig hält, daß die Kosten der Gemeinschaftsaufgabe vom Bund eo ipso so abgesegnet werden, wie in der Planung vorgesehen, ergibt sich aus Art. 91a I V 3 GG: Wenn dort die Realisierung der (gesetzlichen) Kostenplanung durchkreuzt werden kann, liegt kein Grund vor, aus Art. 91b S. 2 GG eine notwendige Bindung des Bundesgesetzgebers als Autors des Haushaltsplanes an die Kostenvereinbarung abzuleiten. Der Erwähnung von Bund-Länder-Vereinbarungen in der Verfassung kann daher nicht die Zulässigkeit vertraglicher Bindung des Bundesgesetzgebers entnommen werden.

ff) Zusammenfassung Für die Möglichkeit der Bindung des Bundesgesetzgebers spricht die entsprechende Anwendung der in Art. 59 I I 1 GG ausgedrückten Zulässigkeit einer Bindung an völkerrechtliche Verträge. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vor allem zu den Coburg-Fällen, und eine Entscheidung des Staatsgerichtshofes deuten darauf hin, wenngleich das Bundesverfassungsgericht die Frage für Eingliederungsverträge des Bundes noch nicht zu entscheiden hatte.

c) Resultat

Die in der Literatur gegen eine Bindungsmöglichkeit vorgebrachten Begründungen beruhen zum Teil darauf, daß sie nicht zwischen einer vertraglichen Verpflichtung und einer Verfügung über Kompetenzen des Gesetzgebers

I. Bindungsirkung des Vertrages

199

unterscheiden. Selbst die gegen eine Verpflichtung gerichteten Argumente konnten nicht überzeugen. Die Problematik läuft auf die Frage zu, inwieweit ein Freier sich binden und damit unfrei machen kann, also das klassische Freiheitsparadoxon. Kann der (im Rahmen der Verfassung, die aber insoweit keine Beschränkung enthält) freie Gesetzgeber sich in seiner Gesetzgebungsfreiheit einschränken? Die Lösung des Freiheitsparadoxons wird oft darin gesucht, eine zu weitgehende - wie immer auch dieser Umfang definiert werden mag - Beschränkung als mit der Freiheit unvereinbar anzusehen. So sind Äußerungen zum hier behandelten Problemkomplex verständlich, nach denen der Bund (bzw. Normsetzer) sich vertraglich verpflichten könne, soweit das die Ausnahme bleibe 102 oder nicht generell der Fall sei 103 . Jedenfalls ist eine Beschränkung danach nicht a priori unzulässig; bei der Ermittlung der beabsichtigten Reichweite der Vereinbarung ist aber zu berücksichtigen, daß bei einer sehr umfassenden Verpflichtung die Bindung unzulässig werden könnte. M i t diesem Vorbehalt ist die Bindung des Bundesgesetzgebers durch Eingliederungsverträge, wie auch durch völkerrechtliche Verträge und vom Bundesverfassungsgericht für Eingliederungsverträge der Länder angenommen, zulässig.

d) Außerordentliche

einseitige Lösungsmöglichkeiten

Bislang ausgeklammert wurde die Frage, ob der Bund (und damit auch sein Gesetzgeber) wegen gravierender Änderung der Verhältnisse nach dem Vertragsschluß sich einseitig vom Vertrag lösen kann; denn diese Frage wird erst jetzt relevant, nachdem eine grundsätzliche Bindung überhaupt akzeptiert wurde. Eine solche Lösungsmöglichkeit ist bei Annahme eines (außerordentlichen) Kündigungsrechts und bei Anwendung des Grundsatzes über den Wegfall der Geschäftsgrundlage sowie der Clausula rebus sie stantibus denkbar.

aa) Kündigungsrecht Grawert erwägt, ob wegen der Dauerwirkung Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern bei veränderten politischen, tatsächlichen oder

102

Bauer, S. 118, 121.

103

Meyer, S. 1712.

200

Β. Bindungsirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

rechtlichen Umständen kündbar seien; er lehnt im Ergebnis eine Kündigungsmöglichkeit aber ab, da sie sich regelmäßig aus dem Inhalt der Abkommen nicht ableiten lasse104. Nach deutschem Recht gibt es keinen Grundsatz des Inhalts, daß jedes Dauervertragsverhältnis kündbar sein muß. Zwar muß ein Dauerschuldverhältnis eine zeitliche Begrenzung erfahren können, da sonst die Vertragsabschlußfreiheit der Vertragschließenden in einem zu starken Maße eingeschränkt würde (Freiheitsparadoxon). Generell genügt aber, daß es irgendeine rechtliche Möglichkeit zur Vertragsbeendigung gibt. Da Verträge stets durch eine spätere Vereinbarung aufgehoben werden können 105 , ist daher eine Kündigungsmöglichkeit nicht stets erforderlich. Eine generelle Kündigungsmöglichkeit wird im deutschen Recht nur für (bürgerlich-rechtliche) Vertragsverhältnisse angenommen, die ein persönliches Zusammenwirken der Beteiligten und daher ein gutes Einvernehmen erfordern. Selbst, wenn man diesen Grundsatz auf staatsrechtliche Verträge übertrüge, ist zumindest sein Tatbestand hier nicht erfüllt; denn der Verkehr zwischen Gemeinwesen stellt kein persönliches Zusammenwirken dar (und soweit er gegenseitiges Verständnis erfordert, ist dies bereits durch den Bundestreuegrundsatz berücksichtigt). Auch das Recht, das die völkerrechtlichen Verträge regelt, kennt kein generelles Kündigungsrecht. Doehring 106 will das Kündigungsrecht nach § 60 I 2 VwVfG auf den Einigungsvertrag zugunsten der Bundesrepublik Deutschland anwenden. Eine direkte Anwendung scheidet entgegen seiner Ansicht aus, weil das Verwaltungsverfahrensgesetz nach § 1 I, I I nur für Verwaltungsverträge, nicht aber für staatsrechtliche Verträge wie den Einigungsvertrag gilt. Zu überlegen bleibt, ob § 60 I 2 VwVfG insoweit entsprechend angewendet werden könnte. Nach der Mindermeinung, die diese Vorschrift nur für subordinationsrechtliche Verträge für anwendbar hält 107 , scheitert eine (auch entsprechende) Anwendung bereits daran, daß der Einigungsvertrag kein subordinationsrechtlicher Vertrag ist. Im übrigen könnte für eine analoge Anwendung sprechen, daß der Grundgedanke der Vorschrift - dem bei öffentlich-rechtlichen Verträgen involvierten Gemeinwohlinteresse besonders Rechnung zu tragen auch auf staatsrechtliche Verträge anwendbar ist, für deren Vertragsstatut

104 105 106 107

Grawert, Verwaltungsabkommen, S. 123. Für den Einigungsvertrag siehe unten S. 244. Doehring, Bindungen, S. 24. Obermayer, § 60 Rdnr. 57.

I. Bindungsirkung des Vertrages

201

keine normativen Regelungen bestehen. Andererseits bedeutet die Etablierung eines solchen Kündigungsrechts, die den Vertrag dem Vertragspartner als nur auf ungewisse Dauer geschlossen erscheinen läßt, eine so starke Ausnahme vom Grundsatz „pacta sunt servanda", daß ihre Ausweitung nur aus zwingenden Gründen 108 vertretbar erscheint. Zu bedenken ist, daß § 60 I 2 VwVfG neben S. 1 dieser Norm (und - für staatsrechtliche Verträge - neben dem S. 1 entsprechenden Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage) praktisch fast nur in Fällen relevant werden kann, in denen die Gemeinwohlbeeinträchtigung schon bei Vertragsschluß vorhersehbar war. In diesen Fällen ist es nicht notwendig, dem Bund bzw. Land ein Kündigungsrecht einzuräumen; denn daß der Gesetzgeber (der einem staatsrechtlichen Vertrag zustimmen muß) trotz Vorhersehbarkeit von Nachteilen eine unzweckmäßige Entscheidung trifft (falls sie verfassungswidrig ist, kommt bereits kein Vertrag zustande, so daß der nach der rechtlichen Wertung schützenswersteste Teil der Gemeinwohlinteressen ohnehin nicht beeinträchtigt werden kann), liefert keinen zwingenden Grund, das grundsätzlich überwiegende Interesse des Vertragspartners an der Vertragseinhaltung niedriger zu bewerten. Somit liegt kein zwingender Grund dafür vor, § 60 I 2 VwVfG entsprechend auf Staatsverträge anzuwenden. Ein Kündigungsrecht bestünde daher nur, wenn es vertraglich vereinbart wäre. Im Einigungsvertrag findet sich dazu kein Anhaltspunkt. Ein Recht zur Kündigung des Einigungsvertrages steht daher keinem Vertragspartner zu.

bb) Wegfall der Geschäftsgrundlage und Clausula rebus sie stantibus Welche Auswirkungen hat es für die Bindungswirkung, wenn sich eine Tatsache, die aus Sicht der Parteien oder objektiv Voraussetzung für die Zumutbarkeit einer vertraglichen Regelung oder des Vertrages insgesamt ist, im nachhinein grundlegend ändert? Die Terminologie, unter der diese Problematik diskutiert wird, ist uneinheitlich; für staatsrechtliche Verträge wird in der Regel vom Wegfall der Geschäftsgrundlage gesprochen bei einer Änderung von den Parteien bewußter Vertragsgrundlagen und von der Clausula rebus sie stantibus bei einer Änderung von Gegebenheiten, an deren Grundlagencharakter oder mögliche Änderung die Parteien bei Vertragsschluß nicht dachten. Diesen Bezeichnungen sei hier gefolgt. Den Grundsatz über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, demzufolge die betroffene Regelung bzw. der Vertrag rechtlich unwirksam wird, wurde vom

108

Solche verorten Stelkens /Bonk/Sachs, Kündigungsrechts in § 60 I 2 VwVfG.

§ 60 Rdnr. 19 für die Einführung des

202

Β. Bindungsirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Bundesverfassungsgericht in seiner Coburg-Rechtsprechung auf Ländereingliederungsverträge angewandt 109 — zu Recht, denn seine Geltung ist für jeden Vertrag zu beachten, da die Ermittlung der Vertragsrechtsfolgen sich am Parteiwillen zu orientieren hat (im Rahmen des zwingenden Rechts, das aber insofern keine entgegenstehenden Vorschriften kennt). Die Mehrzahl der sich dazu äußernden Autoren hält auch die Clausula rebus sie stantibus auf staatsrechtliche Eingliederungsverträge 110 bzw. den Einigungs vertrag 111 für anwendbar und kann sich auf die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berufen. Das Gericht begründet die Anwendbarkeit neben einem Hinweis auf die Geltung der Clausula im Völker-, Kirchen-, deutschen bürgerlichen, Verwaltungs- und Verfassungsrecht 112 mit dem Argument, sie wurzele im Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens 113 . Dagegen wird eingewandt, dieser Grundsatz sei für staatsrechtliche Verträge generell 114 bzw. für solche synallagmatischen Charakters 115 nicht anwendbar. In der Literatur werden als Gründe für die Anwendbarkeit der Clausula noch eine Analogie zur völkervertragsrechtlichen Clausula 116 und - für Gemeindeeingliederungsverträge - in Anlehnung an eine Gerichtsentscheidung aus dem Jahre 1934 117 die Notwendigkeit einer ungefährdeten (1934: „gesunden") Entwicklung der öffentlichen Verwaltung angeführt. Der Bundestreuegrundsatz ist aus folgender Überlegung grundsätzlich auf die Wahrnehmung von Rechten aus staatsrechtlichen Bund-Länder-Verträgen gegenüber dem Gesetzgeber anwendbar: Sie entfalten eine ähnliche Wirkung wie verfassungsrechtliche Rechte gegenüber dem Gesetzgeber, wie bereits gezeigt wurde 118 . Solche verfassungsrechtlichen Rechte hätte Bund bzw. Land als Rechtsinhaber aber nur gemäß dem Grundsatz der Bundestreue ausüben dürfen. Würde der Grundsatz auf das vertraglich gewährte Recht nicht angewandt, hätte der (einfache) Bundesgesetzgeber einem Land eine stärkere Rechtsposition verschafft (nämlich ein nicht notwendig bundes-

109

BVerfGE 34, 216 (230).

110

Frowein, Eingliederungsvertrag, S. 15.

111

Klein, Einigungsvertrag, S. 571 f.; ders., Bundesstaatlichkeit, S. 38.

112

BVerfGE 34, 216 (230).

113

BVerfGE 34, 216 (232).

114

Gr awert, Verwaltungsabkommen, S. 124.

115

Krämer, S. 366.

116

Thoma, S. 179.

117

SächsOVGE 39, 16 (21).

118

Siehe oben S. 163.

I. Bindungsirkung des Vertrages

203

freundlich auszuübendes Recht), als dies durch Verfassungsänderung möglich wäre (solange nicht, sofern überhaupt trotz Art. 79 ΠΙ GG möglich, der Bundestreuegrundsatz eingeschränkt würde). Das stünde nicht in der Macht des Gesetzgebers. Eine Analogie allein zur völkerrechtlichen Clausula rebus sie stantibus ist insofern problematisch, als sie bei konsequenter Fortführung zu einer anderen Rechtsfolge führt; anzuwenden wären dann nämlich auch Art. 65 ff. W V K , die eher dem deutschen Rechtsinstitut der Kündigung gleichen, als der eo ipso bewirkten Vertragsanpassung. Demgegenüber zeigt der Umfang der vom Bundesverfassungsgericht aufgezählten Rechtsgebiete, daß die Clausula rebus sie stantibus sowohl ein innerstaatlicher als auch ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ist. Damit gilt er bereits direkt auch für innerstaatliche Verträge. Die Rechtsfolge ist für innerstaatliche Verträge in Anlehnung primär an die anderen innerstaatlichen Ausprägungen der Clausula zu bestimmen. Danach ist der Vertrag eo ipso an die veränderten Umstände anzupassen und erlischt nur, wenn keine Anpassung möglich ist 119 . Erwähnenswert ist, daß die Clausula rebus sie stantibus auch für zeitlich ohnehin befristete Rechte, also vor Ablauf dieser Fristen, anwendbar ist. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der übereinstimmenden Rechtslage bei Gemeindeeingliederungs- 120 und völkerrechtlichen 121 Verträgen und ist auch plausibel, da gerade unvorhergesehene Änderungen grundlegender Umstände plötzlich, d.h. innerhalb jeder Frist eintreten können. Die Rechtsinstitute des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und der clausula rebus sie stantibus sind somit auf den Einigungsvertrag anwendbar und können ggf. die Bindung des Gesetzgebers begrenzen.

e) Vermeidung eines Konflikts zwischen späterem Gesetz und Vertrag Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewisen, daß sich das Problem einer Bindung des Gesetzgebers an den Vertrag dann nicht stellt, wenn ein Konflikt zwischen dem Inhalt des Vertrages und dem eines neuen Gesetzes nicht besteht. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine dem Vertrag bei wortgetreuer Auslegung nicht (voll) entsprechende Regelung eines neuen

119 120 121

BVerfGE 34, 216 (232 f.); Altenmüller, SächsOVGE 39, 16 (21). Seidl-Hohenveldern, Rdnr. 288.

S. 38.

204

Β. BindungsWirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Gesetzes nur zusätzlich (sofern die vertragliche Regelung nicht abschließend ist) oder subsidiär zum Zustimmungsgesetz gilt oder das Zustimmungsgesetz als Lex specialis für seinen (engeren) Anwendungsbereich fortgilt.

1.1.2 Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers (Art. 79 GG) Angesichts des weiten Wortlautes des Art. 41 I I I EiV wird sich zumindest bei dieser Norm die Frage stellen, ob dadurch auch der verfassungsändernde Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland gebunden wird. Daher sei hier auch insoweit die generelle Zulässigkeit einer solchen vertraglichen Bindung untersucht. Da der im Wege des Art. 79 GG die Verfassung ändernde (im folgenden: verfassungsändernde) Gesetzgeber sogar selbst keine Regeln erlassen kann, die die in Art. 79 ΠΙ GG genannten Grundsätze berühren, hat weder er noch der verfassungsunterworfene (einfache) Gesetzgeber die Möglichkeit, eine entsprechende vertragliche Bestimmung in objektives Recht umzusetzen. Da dem Bund diese Rechtsmacht fehlt, kann er sich dazu nicht durch einen innerstaatlichen Vertrag wirksam verpflichten. Vertragliche Bestimmungen, die die in Art. 79 ΙΠ GG genannten Grundsätze berühren, sind daher unwirk122

sam . Im Bereich, in dem die die Grundsätze des Art. 79 I I I GG nicht berührt werden, ist zu unterscheiden zwischen Vertragsbestimmungen, in denen sich der Bund zur Grundgesetzänderung verpflichtet, und anderen (hier sog. einfachen) Vertragsbestimmungen. Ihre Zulässigkeit und die Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers durch sie könnten für beide Gruppen unterschiedlich sein. Einfache Vertragsbestimmungen gelten für den Bund, weil ihnen, nach Art. 59 Π 1 GG analog, der (einfache) Gesetzgeber zugestimmt hat. Der (einfache) Gesetzgeber kann aber nicht den verfassungsändernden Gesetzgeber binden, da ersterer selbst an die Verfassung gebunden ist (Art. 20 I I I

122 Eine Ergänzung ist für die Mindermeinung angebracht, die Art. 79 III GG selbst für abänderbar hält — was allerdings dem Sinn des Art. 79 III GG, einer den dort genannten Grundsätzen widersprechenden Verfassungsänderung die Legitimation abzusprechen, zuwiderliefe. In diesem Fall wäre die Zulässigkeit und Bindungswirkung einer vertraglichen Pflicht zur Änderung des Art. 79 III GG (und nachfolgenden Umsetzung von seine Grundsätze berührenden Vertragsinhalten) genauso zu beurteilen wie die einer Pflicht zur Änderung anderer Verfassungsbestimmungen (dazu siehe unten).

I. Bindungsirkung des Vertrages

205

GG). Könnte er den verfassungsändernden Gesetzgeber zu einer Verfassungsänderung (bzw. ihrer Unterlassung) verpflichten - wenn auch nicht diese selbst bewirken - und würde, wovon bei der rechtlichen Konstruktion auszugehen ist, der verfassungsändernde Gesetzgeber rechtmäßig handeln, so hätte der (einfache) Gesetzgeber über die Änderung (bzw. Beibehaltung) von Verfassungsnormen entschieden, wäre also de facto nicht an sie gebunden (bis auf die Tatsache, daß ein quasi „automatisierter" Akt des verfassungsändernden Gesetzgebers zwischengeschaltet ist). Schon dieses Rangverhältnis verbietet daher eine Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers durch einfache Vertragsbestimmungen. Schließlich kann mit den Argumenten, die für eine Möglichkeit der Bindung des (einfachen) Gesetzgebers sprachen, nicht auch die des verfassungsändernden Gesetzgebers begründet werden. Hauptargument war die entsprechende Anwendung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Bindung durch völkerrechtliche Verträge. Auch völkerrechtliche Verträge, deren Transformation bzw. Adaption eine Tätigkeit des verfassungsändernden Gesetzgebers erfordert (und die für die Zukunft Änderungen verbieten), bedürfen der Zustimmung durch verfassungsänderndes Bundesgesetz, wie schon aus Art. 79 I S. 2 GG hervorgeht: Obwohl diese Norm für bestimmte Verträge eine erleichterte Form der Grundgesetzänderung vorsieht, besteht selbst in diesen Fällen die Notwendigkeit zur Grundgesetzänderung. Verträge, denen der einfache Gesetzgeber zugestimmt hat, d.h. deren Zustimmung nur durch einfaches und nicht durch verfassungsänderndes Bundesgesetz erfolgte, binden folglich den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht. Die angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Staatsgerichtshofes zur Bindungswirkung betrafen in keinem Fall eine Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers, so daß sie insoweit nicht aussagekräftig sind. Der verfassungsändernde Gesetzgeber wird durch „einfache" Vertragsbestimmungen daher nicht gebunden. Der Untersuchung der Vertragsbestimmungen über Verfassungsänderungen ist vorauszuschicken: Soweit der verfassungsändernde Gesetzgeber an vertragliche Bestimmungen über Verfassungsänderungen nicht gebunden sein sollte, ist eine solche vertragliche Regelung unwirksam, da außer dem verfassungsändernden Gesetzgeber kein anderes Bundesorgan die Vertragspflicht erfüllen könnte. An eine vertragliche Bestimmung über den Verfassungsrechtssatz, demzufolge staatsrechtliche Bund-Länder-Verträge zulässig sind, kann der verfas-

206

Β. BindungsWirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

sungsändernde Gesetzgeber nicht gebunden sein, da die Norm, die einen solchen Vertrag zuläßt, nicht Gegenstand des Vertrages sein kann. Sonst dürfte kein Bundesorgan mehr allein, d.h. ohne Zustimmung des Vertragspartners, diesen Satz und damit auch die Inhalte aller abgeschlossenen BundLänder-Verträge ändern. Eine solche Einschränkung der staatlichen Macht kann in einem souveränen Staat aber der Pouvoir constitué nicht bewirken. Außerdem würde sonst beim Abschluß künftiger staatsrechtlicher Verträge der (einfache) Gesetzgeber für die vertraglichen Regeln eine Bindungswirkung gegenüber dem verfassungsändernden Gesetzgeber bewirken. Scheidet auch eine Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers an sonstige Vertragsbestimmungen schon deshalb aus, weil er in jedem Fall die generelle Zulässigkeit staatsrechtlicher Bund-Länder-Verträge abschaffen kann 123 ? Nein, denn ebenso, wie der einfache Gesetzgeber nach dem Rechtsstaatsprinzip bis zu einer Abänderung an seine eigenen Gesetze gebunden bleibt, ist auch der verfassungsändernde Gesetzgeber bis zu einer Verfassungsänderung an das geltende Verfassungsrecht gebunden. Allerdings könnte gegen die Möglichkeit einer Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers eingewandt werden, dadurch werde Art. 79 Π Ι GG, der die Materien, in denen der verfassungsändernde Gesetzgeber gebunden sei, abschließend aufzähle, umgangen 124 . Richtig an diesem Einwand ist, daß durch eine vertragliche Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers ebenso eine an sich den Art. 79 ΙΠ GG umgehende Verpflichtung begründet wird, wie „einfache" Vertragsbestimmungen an sich den Art. 79 I GG umgehen 1 2 5 , auch wenn der vertraglich nur verpflichtete verfassungsändernde Gesetzgeber die Verfassung dennoch vertragswidrig ändern kann. Ähnlich wie der Einwand aus Art. 79 I GG kann jedoch auch dieser Einwand entkräftet werden. Die Bindung durch einen völkerrechtlichen Vertrag erfaßt alle Staatsorgane, auch den verfassungsändernden Gesetzgeber. Das deutsche Verfassungsrecht bekennt sich zur völkerrechtlichen Bindungskraft der Verträge, denen die Bundesrepublik Deutschland wirksam zugestimmt hat, d.h. hier nach Art. 59 I I 1 GG durch wirksames Bundesgesetz. Dieses Gesetz kann, wenn der Vertrag (unmittelbar anwendbare) Grundgesetzänderungen enthält, nur bei Erlaß durch den verfassungsändernden Gesetzgeber wirksam sein. Ob ein Zustimmungsgesetz gleichzeitig Verfassungsänderungen enthalten darf, ist zwar generell sehr zweifelhaft; für den Einigungsvertrag soll aber nach der diese Frage im Einzelfall bejahenden Entscheidung des Bundesver-

123

So Fastenrath, Bindungs Wirkung, S. 430.

124

Klein, Einigungsvertrag, S. 571.

125

Siehe oben S. 174.

I. Bindungsirkung des Vertrages

207

fassungsgerichts 126 davon ausgegangen werden 127 . Das Grundgesetz läßt somit im Fall des (völkerrechtlichen) Einigungsvertrages eine (völkerrechtliche) Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers zu. Der aus Art. 59 I I 1 GG abgeleitete Gedanke läßt sich wiederum, mit dengleichen Erwägungen, wie zur Übertragbarkeit der Zulässigkeit völkerrechtlicher Bindung des Gesetzgebers auf die der Bindung durch einen staatsrechtlichen Eingliederungsvertrag 128, auf den staatsrechtlichen Einigungsvertrag übertragen. Gegen eine Selbstbindung des verfassungsändernden Gesetzgebers könnte noch sprechen, daß dieser sich nicht selbst binden, sondern nur durch den Pouvoir constituant gebunden werden könne, er also Art. 79 ΙΠ GG nicht selbst erweitern könne. Teilweise wird dem verfassungsändernden Gesetzgeber dieses Recht zugebilligt, weil Art. 79 ΠΙ GG zeige, daß eine Beschränkung des verfassungsändernden Gesetzgebers prinzipiell möglich sei 129 ; teilweise wird es bestritten wegen der heteronomen Natur des Rechts 130 ; teilweise wird differenziert: Wenn Art. 79 ΙΠ GG gelte, nur weil er vom Pouvoir constituant gesetzt sei, sei eine Erweiterung nicht möglich 131 ; anders, wenn er inhaltlich begründbar sei, etwa als immanente Grenze der Verfassungsänderung 132. Das Argument der heteronomen Natur des Rechts spricht jedenfalls nicht gegen eine vertragliche, also nicht autonome Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers. Daß der Pouvoir constituant Art. 79 ΙΠ GG geschaffen hat, begründet nur ein Verbot seiner Einschränkbarkeit durch den verfassungsändernden Gesetzgeber, nicht auch das seiner Erweiterung. Die - vergeblich - gegen eine Bindung des einfachen Gesetzgebers vorgetragenen Gründe sind auch gegenüber einer Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers aus den jeweiligen Gegenargumenten nicht stichhaltig (sofern sie überhaupt übertragbar sind). Wiederum läuft die Fragestellung, wie schon bei dem Problem der Selbstbindung des einfachen Gesetzgebers, auf das Freiheitsparadoxon hinaus. Bis auf „uferlose" Einschränkungen seiner Freiheit kann der verfassungsändernde Gesetzgeber wegen seiner Freiheit sich selbst binden, Art. 79 I I I GG also erweitern. Schließlich wird gegen eine Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers noch angeführt, dieser könne die Kompetenzordnung des Grundgesetzes

126

BVerfGE 82, 316 (320 f.).

127

Siehe oben S. 2.

128

Siehe oben S. 162.

129

von Mangoldt/Klein,

130

Meyer-Arndt,

131

Evers, in: BK, Art. 79 Rdnr. 146.

132

Evers, in: BK, Art. 79 Rdnr. 147.

Art. 79 Anm. V I I I 3.

S. 287 Anm. 35.

208

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

so ändern, daß der Bund-Länder-Vertrag unzulässig werde 133 . Dieses Argument beruht auf der unzutreffenden Annahme, ein Bund-Länder-Vertrag sei nur auf Gebieten der Länderkompetenz zulässig. Der verfassungsändernde Gesetzgeber kann sich daher durch den staatsrechtlichen Einigungsvertrag vertraglich binden mit Ausnahme von Einschränkungen der in Art. 79 I I I GG genannten Grundsätze und der Zulässigkeit staatsrechtlicher Bund-Länder-Verträge. Die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage und die Clausula rebus sie stantibus gilt auch für seine Bindung.

1.1.3 Bindung des Bundes bei Verfahren nach Art. 146 GG n.F. Gelten die Ausführungen zu einer möglichen Bindung bei einer Grundgesetz-Änderung nach Art. 79 GG auch für eine Verfassungsneuschöpfung nach Art. 146 GG n.F.? Dem verfassungsändernden Gesetzgeber ist mit diesem neuen Artikel das Kunststück gelungen, eine Norm von Verfassungsrang einzuführen, über deren Gehalt unter Juristen verschiedenste, teils diametral entgegengesetzte Ansichten bestehen. Die Meinungsskala reicht von „folgenlos" bis „Legitimation der Verfassungsgebung allein durch das Volk". Hier soll nur für die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, welche Bindungswirkung einem staatsrechtlichen Vertrag jeweils zukommen könnte. Dazu lassen sich die vertretenen Ansichten in drei Gruppen zusammenfassen. - Vertreter der ersten Gruppe beurteilen Art. 146 GG n.F. nur als (Versuch der) Positivierung der Lehre vom Pouvoir constituant 134 . Da der Pouvoir constitué den Pouvoir constituant nicht binden kann, da letzterer per definitionem allenfalls an überpositives Recht gebunden ist, hätte ein staatsrechtlicher Vertrag keine Bindungswirkung für ein Verfahren nach Art. 146 GG n.F. So wurde auch von denen, für die die 1870 begründeten Reservatrechte der süddeutschen Staaten auf verfassungsrechtlicher Grundlage beruhten, diese Rechte mit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung als erloschen angesehen135.

133

Heiden, S. 141.

134

Bartlsperger,

135

Liermann, S. 37.

S. 1298; Kriele,

S. 1; Randelzhofer,

S. 155; Würtenberger,

S. 95.

I. Bindungsirkung des Vertrages

209

- Von denen, die bei der Verfassungsgebung nach Art. 146 GG n.F. den Pouvoir constitué am Werke sehen, nimmt eine zweite Gruppe an, daß auch bei dem Verfahren nach Art. 146 GG n.F. Art. 79 GG zu beachten sei, also der verfassungsändernde Gesetzgeber in der vorgesehenen Form und Frist zustimmen muß 136 . Da dieser dabei an die staatsvertraglichen Pflichten des Bundes gebunden ist, wirkt bei dieser Interpretation des Art. 146 GG n.F. die Bindung staatsrechtlicher Verträge schon deshalb fort. - Die dritte Gruppe schließlich hält Art. 146 GG n.F. für ein Verfahren der Verfassungs(total)änderung, das unabhängig von Art. 79 GG bestehe137. Auch in diesem Fall wirkt die Verfassungsänderung nur, weil sie nach dem bisher geltenden Grundgesetz rechtmäßig ist; die bisherige Verfassungsordnung ist ihre Grundlage. Da der Verfassungsgeber des Art. 146 GG n.F. (solange, bis er tätig wurde) vom bisherigen Grundgesetz und damit vom verfassungsändernden Gesetzgeber abhängig ist, kann ihn dieser auch, wie sich selbst, verpflichten, bestimmte Verfassungsregeln nicht anzutasten. Auch in diesem Fall wirkt die vertragliche Bindung daher fort. Eine Bindung an einen staatsrechtlichen Vertrag beim Verfahren nach Art. 146 GG n.F. tritt somit genau dann ein, wenn darin eine Betätigung des Pouvoir constitué gesehen (und die Norm für wirksam gehalten) wird.

1.2 Bindungskraft des Einigungsvertrages Nachdem nun feststeht, daß der Einigungsvertrag als staatsrechtlicher Eingliederungsvertrag alle Staatsorgane des Bundes einschließlich des einfachen und des (der) verfassungsändernden Gesetzgeber(s) binden könnte, wenn er wollte, ist nun zu ermitteln, in welchem Maße die Einigungsvertrags-Regeln bindende Kraft beanspruchen. Dabei soll zuerst die beabsichtigte Bindungswirkung für den Einigungsvertrag allgemein untersucht werden, bevor auf die Wirkung einzelner Vorschriften eingegangen wird, für die eine besondere Bindungskraft beabsichtigt sein könnte (Art. 4, 41 I I I EiV, Fristen, Anlagen I und II). Dabei wird jeweils zuerst nur untersucht, ob der (einfache) Gesetzgeber gebunden wird und nur, falls dies zu bejahen ist, die Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers.

136

Isensee, Grundgesetz, S. 83; Stern, Wiederherstellung, S. 49.

137

Kempen, S. 967.

14 Wagner

210

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

1.2.1 Generelle Bindungskraft Nach einem summarischen Blick auf die Ergebnisse von Rechtsprechung und Literatur werden untersucht Anhaltspunkte im Wortlaut der Einigungsvertrags-Regeln zur Bindung des Gesetzgebers, die Ergiebigkeit der Art. 44 und 45 Π EiV sowie der Präambel zu dieser Frage, der geäußerte Parteiwille, der objektivierte Zweck des Einigungsvertrages und schließlich die Auslegungsmethode des Bundesverfassungsgerichts in der Coburg-Rechtsprechung.

a) Bilanz der Rechtsprechung und Literatur Ebensowenig wie Gerichte bisher Anlaß hatten, die vertragliche Fortgeltung des Einigungsvertrages zu untersuchen, mußte die Judikative sich bislang zur Frage äußern, inwieweit der Einigungsvertrag den Gesetzgeber bindet. Von den wenigen Autoren, die bislang zu einer Bindung des Bundesgesetzgebers Stellung genommen haben, vertritt keiner eine generelle Bindung durch den Einigungsvertrag. Klein hält den Einigungsvertrag für durch den Gesetzgeber unabänderbar, „soweit es um solche Bestimmungen geht, die Rechte der DDR bzw. der neuen Länder begründen" 138 ; inwieweit das der Fall sei, sei im Einzelfall zu prüfen 139 . Damit hält er immerhin die Möglichkeit offen, viele Einigungsvertrags-Regeln als auch den Gesetzgeber bindend auszulegen. Doehring 140 bejaht die Bindungswirkung, nimmt davon aber alles aus, was aus Gründen des Allgemeinwohls unabdingbar änderungsbedürftig ist (wobei unklar bleibt, inwieweit eine entsprechende gesetzgeberische Wertung an objektiven Maßstäben kontrollierbar sein soll). Weis 141 , Fastenrath 142 und von Münch 1 4 3 halten die Einigungsvertrags-Regeln dagegen generell, teilweise mit Ausnahme einzelner Artikel, für durch den Gesetzgeber abänderbar, wobei nicht immer deutlich wird, ob sie sich nur gegen die Bindungswirkung oder gegen die vertragliche Wirksamkeit wenden. Angesichts der wenigen vorliegenden Äußerungen kann von einer herrschenden Meinung zur Frage der Bindungskraft nicht die Rede sein. Die

138

Klein, Einigungsvertrag, S. 571.

139

Klein, Bundesstaatlichkeit, S. 37.

140

Doehring, Bindungen, S. 25.

141

Weis, Fragen, S. 15.

142

Fastenrath,

143

von Münch, Deutschland, S. 868.

Bindungs Wirkung, S. 430.

I. Bindungsirkung des Vertrages

211

Tendenz geht dahin, eine generelle Bindungswirkung der EinigungsvertragsRegeln abzulehnen.

b) Ausdrückliche

Regeln über Bindungswirkung

Eine generelle Bestimmung im Einigungsvertrag, derzufolge die Regeln den Bundesgesetzgeber grundsätzlich binden (oder nicht), gibt es nicht. Der Einigungsvertrag enthält eine Reihe von Gesetzgebungsaufträgen bzw. Vorgaben für den Fall von Gesetzesnovellen an den Bundesgesetzgeber (Art. 22 I 3, 30 I, IV 1 und V 1, 31 I, I I und IV 1, 33 I und Π, 34 I EiV), die naturgemäß ihren wörtlich genannten Adressaten binden wollen, so daß sich eine gewisse Bindung des Gesetzgebers hier schon aus dem Wortlaut ergibt. Auch wenn der Einigungsvertrag einige Gesetzgebungsaufträge enthält, so besteht er doch nicht überwiegend aus solchen Aufträgen; daher begründet ihre Existenz keine generelle Bindung des Gesetzgebers. Wenn man aus einzelnen Bestimmungen eine generelle Rechtsfolge zur Bindungswirkung ableiten will, kann dies nur im Umkehrschluß geschehen: Sind nach dem Wortlaut einzelne Garantien auch dem Gesetzgeber gegenüber wirksam, so spricht dies dafür, daß die anderen, die ohne solch eine Klausel blieben, den Gesetzgeber nicht binden. Nach diesem Grundsatz wurde schon in der Weimarer Republik der Staatsvertrag zwischen Coburg und Bayern ausgelegt144. Finden sich dagegen Klauseln, die dem Gesetzgeber die Normierung einer Ausnahmevorschrift gestatten, ist umgekehrt für die übrigen Artikel eine Bindungswirkung anzunehmen. Damit ist bereits ersichtlich, daß das Prinzip des Umkehrschlusses versagt, wenn Klauseln beider Art vorhanden sind, da sich sonst zwei entgegengesetzte Ergebnisse damit begründen ließen. Art. 41 ΙΠ EiV scheint dem Wortlaut nach ein Verbot (u.a.) an den Bundesgesetzgeber zu enthalten, gegen Art. 41 I EiV (i.V.m. Anlage ΠΙ EiV) verstoßende Gesetze zu erlassen. Er würde damit eine Bindung des Gesetzgebers an Art. 41 I EiV anordnen. Gegen diese Interpretation des Art. 41 ΠΙ EiV sind drei Einwände denkbar: - Erstens könnte argumentiert werden, „Bundesrepublik Deutschland" im Sinne des Art. 41 I I I EiV sei nur die Bundesrepublik Deutschland vor dem Beitritt; der Bundesgesetzgeber nach dem Beitritt sei also nicht mehr durch Art. 41 I I I EiV gebunden. Dafür könnte angeführt werden, daß der Einigungsvertrag an anderen Stellen sorgfältig zwischen der ,3undesre-

144

Nawiasky,

Verfassungsrecht, S. 42.

212

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

publik Deutschland" (vor dem Beitritt) und dem „vereinten Deutschland" (Art. 12 ΠΙ EiV), zwischen der Bundesregierung" und der zusätzlich genannten „gesamtdeutschen Regierung" (Art. 29 I I EiV) unterscheidet. Jedoch spricht dagegen bereits, daß an weiteren Stellen im Vertrag die nach dem Beitritt handelnde Bundesregierung als „Regierung der Bundesrepublik Deutschland" (Art. 24 I 2 EiV) und der deutsche Staat nach der Vereinigung als „Bundesrepublik Deutschland" (Art. 26 I 2, 27 I 1. UA S. 1 EiV) bezeichnet werden, die Terminologie innerhalb des Einigungsvertrages also nicht einheitlich ist. In Art. 12 ΙΠ EiV bestand eine Notwendigkeit, einerseits die Bundesrepublik Deutschland vor und andererseits die Bundesrepublik Deutschland nach dem Beitritt zu unterscheiden; diese Notwendigkeit besteht in Art. 41 ΙΠ EiV ebensowenig, wie in Art. 26 I 2, 27 I 1. UA S. 1 EiV, so daß aus der Terminologie des Art. 12 I I I EiV auch deshalb nichts für Art. 41 I I I EiV abgeleitet werden kann. Das terminologische Argument überzeugt daher schon aus sich heraus nicht (abgesehen davon, daß nach dem Einigungsvertrag die Identität der Bundesrepublik Deutschland über den Beitritt hinaus gewahrt wird und „Bundesrepublik Deutschland" daher objektiv den deutschen Staat auch nach dem Beitritt bezeichnet). - Zweiter Einwand könnte sein, Sinn des Art. 41 ΙΠ EiV sei nur, eine erweiternde Auslegung des Art. 41 I I EiV auszuschließen, der dem Bundesgesetzgeber bestimmte, Art. 41 I EiV berührende Gesetze gestattet. Dann würde Art. 41 ΠΙ EiV nur auf die ohnehin geltende Bindung des Gesetzgebers an Einigungsvertrags-Bestimmungen hinweisen, so daß ein Umkehrschluß aus Art. 41 I I I EiV nicht möglich wäre. Dagegen spricht, daß dieser Zweck keine Normierung erfordert hätte. Wäre der Gesetzgeber generell an EiV-Bestimmungen gebunden, dann wäre Art. 41 I I EiV als Ausnahmevorschrift tendenziell eng auszulegen. Mehr als eine solch enge Auslegung des Art. 41 I I EiV kann auch Art. 41 I I I EiV nicht bewirken. -

Schließlich könnte - wiederum unter der Annahme, der Gesetzgeber sei generell an Einigungsvertrags-Regeln gebunden - Art. 41 ΠΙ EiV als ein Verbot der Verzichtbarkeit der Regelung des Art. 41 I EiV gesehen werden; diese Interpretation trüge zumindest der exzeptionellen Situation des Art. 41 ΙΠ EiV im Vertrag (als ausdrücklicher Verpflichtung aller Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland) Rechnung. Jedoch findet sich dafür im Wortlaut des Art. 41 I I I EiV nicht der leiseste Hinweis. Die Interpretation könnte höchstens Folge einer bestehenden generellen Bindungswirkung des Einigungsvertrages sein (um in diesem

I. Bindungswirkung des Vertrages

213

Fall Art. 41 I I I EiV einen Sinn zu geben). Sie kann daher diese generelle Bindung nicht begründen. Art. 41 ΙΠ EiV normiert somit die Bindung des Gesetzgebers an Art. 41 I EiV Als für einen Umkehrschluß geeignete Regelungen gegen eine Bindungswirkung kommen Art. 6, 7 ΠΙ 2. UA S. 3 und VI, 22 II, 24 Π 3, 30 I I 1. UA S. 7, I V 2 und V 1. UA S. 1, 41 I I EiV und Nr. 1 S. 3 Anlage ΠΙ EiV in Betracht. Daß Art. 41 I I EiV und Nr. 1 S. 3 Anlage ΙΠ EiV einen Gesetzes vorbehält enthalten, erklärt sich dadurch, daß der Gesetzgeber durch Art. 41 I EiV (= Anlage I I I EiV) nach Art. 41 I I I EiV gebunden ist. Aus den beiden erstgenannten Regelungen kann wegen ihres Zusammenhanges mit Art. 41 ΠΙ EiV daher nicht im Umkehrschluß auf eine Bindung des Gesetzgebers durch die übrigen Einigungsvertrags-Regeln geschlossen werden. Entsprechend ist Art. 22 I I EiV, der zwar bewirkt, daß seine Rechtsfolge durch ein Bundesgesetz beendet wird, im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsauftrag des Art. 22 I 3 EiV zu sehen, der wegen seiner Besonderheit (als Gesetzgebungsauftrag) den Gesetzgeber verpflichtet. Art. 22 Π EiV ist daher ebenfalls für einen Umkehrschluß ungeeignet. Art. 24 I I 3, 30 IV 2 und V 1. UA S. 1 EiV befreien den Gesetzgeber nicht von einer ihm durch andere Einigungsvertrags-Regeln auferlegten Pflicht, sondern sehen nur die Regelung des im Einigungsvertrag nicht Geregelten durch Bundesgesetz vor. Aus Art. 30 I I 1. UA S. 7 EiV ließe sich im Umkehrschluß allenfalls ableiten, der Gesetzgeber sei insoweit gebunden, als er befristete EiV-Regelungen nicht verlängern dürfe. Eine generelle Bindung des Bundesgesetzgebers gibt der Umkehrschluß aus Art. 30 I I 1. UA S. 7 EiV nicht her, weil diese Bestimmung selbst dem Bund nicht den Erlaß eines gegen eine Einigungsvertrags-Regelung verstoßenden Gesetzes gestattet. Art. 7 V I EiV sieht nur unter Umständen die Möglichkeit „weiterer" Finanzhilfe vor, also von Maßnahmen, die Art. 7 I - V EiV unberührt lassen oder sie zugunsten des Beitrittsgebietes ändern 145. Angenommen, die Bundesrepublik Deutschland sei nach Art. 7 V I EiV zum einseitigen Ergreifen solcher Maßnahmen befugt, d.h. die Zustimmung des Vertragspartners wäre nicht notwendig; dann ergibt sich aus Art. 7 V I EiV allenfalls die Befugnis des Gesetzgebers, Einigungsvertrags-Regelungen zugunsten des Beitrittsge-

145

Selmer, S. 197.

214

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

bietes zu ändern. Dafür, daß er diese Möglichkeit schon generell hat, spricht der Zweck des Einigungsvertrages, die Folgen des Übergangs der Rechtsordnungen für die ehemalige Deutsche Demokratische Republik zu mildern. Diese Möglichkeit wird die Deutsche Demokratische Republik gewollt haben, weil sie sich für sie nur günstig auswirkt, und die Bundesrepublik Deutschland ebenso, weil sie ihren Handlungsspielraum vergrößert. Da somit Art. 7 V I EiV insoweit nur eine Selbstverständlichkeit regelt 146 , kann ihm im Umkehrschluß keine generelle Bindung des Gesetzgebers (die ihm lediglich für das Beitrittsgebiet negative Abweichungen verböte) entnommen werden. Art. 7 ΠΙ 2. UA S. 3 EiV kann kann jedoch eine echte Befreiung des Bundesgesetzgebers von der zuvor (für die Jahre 1993 und 1994) getroffenen Regelung darstellen. Denn die erlaubte „Überprüfung" bezieht sich auf eine Tätigkeit nur des Bundes (und muß logischerweise ihm auch die Umsetzung der Ergebnisse seiner Überprüfung gestatten). Eine Überprüfung vertraglicher Regelungen durch die Vertragspartner, wobei für die nach dem Beitritt nur noch fiktive Deutsche Demokratische Republik andere, etwa ihre Rechtswahrer (Art. 44 EiV), handeln müßten, ist stets möglich und bedürfte keiner Normierung. Folglich kann Art. 7 ΠΙ 2. UA S. 3 EiV ein Gesetzesvorbehalt sein. Zwar könnte diese Vorschrift auch nur ein „Trostpflaster" für die Deutsche Demokratische Republik für die Regelung des Art. 7 I I I 1. U A EiV (und der Ersetzung des nach dem Grundgesetz üblichen Verfahrens durch Art. 7 ΙΠ 2. UA EiV) darstellen; dagegen spricht aber, daß dieser Satz in erster Linie auf Wunsch der westlichen Bundesländer eingefügt wurde, die keine Einbußen ihrer Finanzkraft zu Gunsten der östlichen Länder erleiden wollten 147 . Welche der beiden Auslegungen vorzuziehen ist, hängt aber davon ab, ob eine generelle Bindung des Gesetzgebers durch den Einigungsvertrag bewirkt wird; daß eine Auslegung als Gesetzesvorbehalt möglich ist, schmälert immerhin schon die Überzeugungskraft des Umkehrschlusses aus Art. 41 EiV. Schließlich wirkt auch die Klausel „vorerst" in Art. 6 EiV wie der Vorbehalt einer Änderung durch (Verfassungs-)Gesetz. Allerdings könnte mit diesem Wort nur kaschiert werden sollen, daß der Gesetzgeber seiner Pflicht aus Art. 23 S. 2 GG a.F. zur - nach Fristablauf - vollständigen Inkraftsetzung des Grundgesetzes nicht nachkommt. Auch Art. 6 EiV kann somit auch, aber nicht nur als Vorbehalt gedeutet werden.

146

Anker, Einigungsvertrag, S. 1065 Anm. 38; nach Fiedler, S. 1267 ist Art. 7 V I EiV nur Ausdruck des bundesstaatlichen Gebotes zu finanzieller Solidarität der Länder. 147 Schmidt-Bleibtreu, Einigungs vertrag, S. 66; nach ders., Eingliederung, S. 167 sollen allerdings auch die östlichen Länder auf die Vorschrift Wert gelegt haben.

I. Bindungsirkung des Vertrages

215

Somit kann weder aus Art. 6 und 7 ffl 2. UA S. 3 EiV noch aus Art. 41 ΠΙ EiV im Umkehrschluß eindeutig etwas für oder gegen eine generelle Bindung des Gesetzgebers an den Einigungsvertrag abgeleitet werden; immerhin wären bei einer Bindung Art. 6 und 7 ΠΙ 2. UA S. 3 EiV nicht sinnlos.

c) Art. 44 EiV Klein und Fastenrath gewinnen beide aus Art. 44 EiV ein Argument zur Bindungskraft des Einigungsvertrages gegenüber dem Gesetzgeber, allerdings mit entgegengesetzten Ergebnissen, was schon mißtrauisch stimmt. Nach Fastenrath zeigt die Existenz des Art. 44 EiV, daß der Bund vertraglich nicht gebunden sei, da sich sonst die dort genannte Befugnis der in Art. 1 EiV genannten Länder bereits aus der vertraglichen Bindung in Verbindung mit der Coburg-Rechtsprechung ergäbe 148. Dieses Argument wendet sich also bereits gegen die vertragliche Wirksamkeit und wurde schon widerlegt 149 . Klein zufolge steht der in Art. 44 EiV ausgedrückte Gedanke der Rechtswahrung einer Änderbarkeit des Einigungsvertrages durch den Gesetzgeber entgegen150. Bezeichnenderweise fügt er an, möglicherweise sei dies auf (welche?) Bestimmungen, die Rechte der Deutschen Demokratischen Republik oder der neuen Länder begründen, einzuschränken. Art. 44 EiV sagt nur, daß und wie (etwaige) Rechte der Deutschen Demokratischen Republik und der neuen Länder gewahrt werden können. Explizit besagt er nichts über eine Bindung des Gesetzgebers (selbst wenn dies der Fall wäre, so wäre seine Existenz bereits durch die Begründung auch nur eines solchen Rechts - Art. 41 I, ΙΠ EiV - gerechtfertigt). Es ist denkbar, daß das mindestens eine Recht, das - damit Art. 44 EiV einen Sinn hat zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik und der neuen Länder besteht, sich nur gegen Exekutive und Judikative der Bundesrepublik Deutschland richtet. Art. 44 EiV verliert also auch nicht seine Existenzberechtigung, wenn der Einigungsvertrag keine Rechte gegen die Legislative der Bundesrepublik Deutschland begründen sollte.

148

Fastenrath, Bindungs Wirkung, S. 430.

149

Siehe oben S. 101.

150

Klein, Einigungsvertrag, S. 571.

216

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Die Rechtswahrung wird durch eine Änderungsmöglichkeit des Gesetzgebers auch nicht zur Farce. Denn bis er eine Regelung geändert hat, wozu es erst einmal der nötigen Mehrheit bedarf, bestehen solche Rechte. Dem Art. 44 EiV kann daher ein Argument weder für noch gegen die generelle Bindung des Gesetzgebers an den Einigungsvertrag entnommen werden. d) Art. 45 II EiV Laut Weis spricht Art. 45 I I EiV dagegen, daß die EiV-Regeln generell Reservatrechtscharakter haben, soll heißen, den Gesetzgeber binden 151 . Als Inhalt des Art. 45 Π EiV sieht er eine Klarstellung, „daß das durch den Vertrag geschaffene Bundesrecht durch den Bundesgesetzgeber geändert werden kann." Zunächst fällt auf, daß Inhaltsangabe und Interpretation sich nicht notwendig decken. Unter Bundesrecht versteht man im allgemeinen, als Gegensatz zum Landesrecht, vom Bund gesetztes Recht 152 . Staatsrechtliche Bund-Länder-Verträge stellen weder Bundes- noch Landesrecht dar 153 , da sie nicht nur vom Bund bzw. nur vom Land gesetzt wurden. Nur, wenn man unter Bundesrecht das innerstaatliche Recht - im Gegensatz zum Völkerrecht versteht, kann „das durch den Vertrag geschaffene Bundesrecht" also der staatsrechtliche Einigungsvertrag sein. Nimmt man dagegen, was näher liegt, an, Weis habe den Terminus Bundesrecht im üblichen juristischen Sprachgebrauch verwandt, dann besagt Art. 45 I I EiV nach seinen Worten (nur), daß der Gesetzgeber den gesetzlich (via ZustGes. BRD) geltenden Einigungsvertrag ändern kann. Das ist unbestreitbar richtig, sagt jedoch noch nichts über dessen Bindung an den Vertrag aus und trägt daher seine Interpretation des Art. 45 I I EiV nicht. Art. 45 I I EiV verliert kein Wort zu einer Bindung des Gesetzgebers. Er regelt nur die gesetzliche Fortgeltung des Einigungsvertrages, nicht seine vertragliche 154 , und selbst insoweit wirkt er nur deklaratorisch 155. Ihm kann für eine vertragliche Bindungskraft daher nichts entnommen werden.

151

Weis, Fragen, S. 15.

152

CreifeldSy

153

Heiden, S. 142.

154

Siehe oben S. 99.

155

Siehe oben S. 165.

Art. „Bundesrecht".

I. Bindungswirkung des Vertrages

e) Betonung der demokratischen Entwicklung

217

in der Präambel

In der Präambel, die als Auslegungsmaxime für einen Vertrag heranzuziehen ist, fällt auf, daß die Vertragsparteien sich in besonderem Maße zum Demokratieprinzip bekennen. Es wird nicht nur mit den anderen staatsrechtlichen Fundamentalprinzipien der Bundesrepublik Deutschland in der zweiten Erwägung („ausgehend von") erwähnt, sondern zusätzlich nochmals in der vierten Erwägung („im Bewußtsein") hervorgehoben. Danach handeln die Vertragspartner „eingedenk der ... besonderen Verantwortung für eine demokratische Entwicklung in Deutschland ..." (der anschließende Relativsatz nennt weitere Zielvorgaben, schränkt nicht etwa den Bereich für die demokratische Entwicklung ein). Sowohl die doppelte Erwähnung des Demokratieprinzipes als auch die Hervorhebung der besonderen Verantwortung dafür rechtfertigen es, bei der Auslegung des Vertrages ein besonderes Gewicht auf eine möglichst gute Verträglichkeit der Interpretation mit dem Demokratieideal (der bundesdeutschen Staatsordnung) zu legen. Zudem zeigt das Wort „Entwicklung", daß solche Auslegung vor allem bei weiter in die Zukunft reichenden Wirkungen der Vertragsbestimmungen angebracht ist. Diese Auslegung der Präambel steht im Einklang mit der historischen Situation, in der der Einigungsvertrag abgeschlossen wurde. Nachdem die Deutsche Demokratische Republik erst etwa ein halbes Jahr vor Unterzeichnung des Vertrages sich von einem totalitären Herrschaftssystem gewandelt hatte, was sowohl im Interesse der (neuen) Deutschen Demokratischen Republik als auch dem der ohnehin demokratisch verfaßten Bundesrepublik Deutschland lag, wollten die Vertragspartner sich deutlich zur (westlichen) Demokratie als einem der Merkmale, die die Bundesrepublik Deutschland lange Zeit von der Deutschen Demokratischen Republik unterschieden hatte, bekennen. Gleichzeitig wollten sie gegenüber anderen Staaten, die die deutsche Vereinigung in Erinnerung an verheerende Auswirkungen des totalitären Systems des früheren vereinigten Deutschlands (unter Herrschaft Hitlers) auf die Völkergemeinschaft skeptisch beurteilten, ein Zeichen setzen, daß vom vereinten Deutschland solche Gefahren nicht mehr ausgehen; denn erfahrungsgemäß folgen demokratische Staatswesen weniger oft als totalitäre einer feindlichen Politik gegenüber anderen Staaten. Wie bereits gezeigt 156 , steht eine vertragliche Bindung des Gesetzgebers der vollen Verwirklichung des Demokratie-Gedankens im Wege. Die vertragliche Bindung würde solange wirken, bis eine Vertragsänderung herbei-

156

Siehe oben S. 184.

218

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

geführt ist (bzw. sich der Bund nach dem Grundsatz des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder der clausula rebus sie stantibus vom Vertrag lösen könnte), also weit in die Zukunft hinein. Eine am in der Präambel niedergelegten Demokratiebekenntnis der Vertragspartner orientierte Vertragsauslegung würde somit gegen eine generelle Bindung des Bundesgesetzgebers an Einigungsvertrags-Regelungen sprechen. Allerdings ist dies nur ein relativ schwaches Argument, da der argumentative Wert von regelmäßig sehr allgemein gehaltenen Erwägungssätzen der Präambel relativ gering ist im Vergleich etwa zum verlautbarten Parteiwillen zur fraglichen Auslegungsproblematik oder zum objektiven Vertragszweck. Immerhin würde eine an der Präambel orientierte Auslegung, anders als die Auslegung des Wortlautes der operativen Bestimmungen, eindeutig für eine bestimmte Interpretation sprechen, nämlich gegen eine generelle Bindung des Gesetzgebers.

f) Verlautbarter

Parteiwille

Neben Andeutungen im Vertragswortlaut ist zur Vertragsauslegung eines innerstaatlichen Vertrages der Wille der Parteien als Geltungsgrund des Vertrages maßgeblich. Hier seien zunächst Schlüsse aus Parteiäußerungen zur Übernahme der Coburg-Rechtsprechung und zum Sinn der Vertrages allgemein noch nicht berücksichtigt; was aus solchen Willensbekundungen für die Bindungswirkung folgt, sei anschließend erörtert. Zuerst soll untersucht werden, ob auf Seiten der Deutschen Demokratischen Republik, die ja am ehesten von beiden Vertragspartnern ein Interesse an der Bindung des Bundesgesetzgebers durch den Einigungsvertrag gehabt haben dürfte, eine solche Bindung angenommen wurde. Ihr Ministerpräsident betonte in der Volkskammerdebatte über den Einigungsvertrag, nur ein Vertrag - im Gegensatz zu einem (Überleitungs-)Gesetz - könne Rechte der Bürger nach dem Beitritt wahren 157 . Da auch ein Gesetz Rechte der Bürger begründen kann, konnte Ministerpräsident de Maizière nur Rechte solcher Art gemeint haben, die ein (einfaches) Gesetz nicht begründen kann: Rechte, die auch den Gesetzgeber binden. Seine Äußerung, die eine Rechtfertigung des Vertragsabschlusses darstellt, läßt aber nur darauf schließen, daß im Vertrag Rechte, die den Gesetzgeber binden, enthalten sind. Daß die Vertragsform die „Möglichkeit eröffnet", solche Rechte zu begründen, bedeutet zwar nicht, daß diese Möglichkeit auch umfassend genutzt

157

Stenographische Niederschrift 6.9.1990, S. 160.

I. Bindungsirkung des Vertrages

219

wurde; andererseits wäre das Argument politisch ziemlich kraftlos, wenn der Vertrag nur einzelne solcher Rechte begründete. Die Äußerung des FDP-Abgeordneten Thietz, Art. 44 EiV solle sicherstellen, daß die Deutsche Demokratische Republik aus keinen Gründen um die im Einigungsvertrag getroffenen Festlegungen gebracht werden könne 158 , gibt zur Bindung des Gesetzgebers ebensowenig her wie Art. 44 EiV: Danach ist nämlich immer noch offen, was im Einigungsvertrag denn nun festgelegt wurde. Dagegen gab es in der Volkskammerdebatte über den Einigungsvertrag gleich zwei Beiträge, in denen ausdrücklich auf die Abänderbarkeit der Einigungsvertrags-Regeln hingewiesen wurde. Nach Schulz (Bündnis 90/Grüne) 159 können die zu Bundesrecht gewordenen Vereinbarungen durch den Gesetzgeber geändert werden. Damit könnte er sich, unterstellt, er gebrauchte den Begriff des Bundesrechts wie in bundesdeutschen juristischen Kreisen (was bei einem Politiker der Deutschen Demokratischen Republik in einer Parlamentsdebatte nicht notwendigerweise anzunehmen ist), zwar nur auf die Wirkung der gesetzlichen Einigungsvertrags-Regeln beziehen. Daß er davon ausgeht, auch etwa vertraglich noch bestehende Regeln würden den Gesetzgeber nicht binden, ergibt sich aber daraus, daß er die „vermeintlichen Garantien des Staatsvertrages" insgesamt, d.h. auch etwaige vertragliche, für zweifelhaft hält. Gysi (PDS) zufolge ist „das Ganze ... völlig unverbindlich" 160 ; auch er geht zwar von Art. 45 I I EiV aus, bezieht seine Interpretation, wie durch das Wort „Ganze" ersichtlich, aber auf alle Rechtsfolgen des Einigungs Vertrages. Damit geht er davon aus, daß der Gesetzgeber, bis auf die zuvor genannten Ausnahmen, generell nicht durch den Einigungsvertrag gebunden wurde. Zwar stammen die beiden letztgenannten Äußerungen von Oppositionsmitgliedern. Sie zeigen jedoch, daß bereits in der Deutschen Demokratischen Republik keine Einigkeit darüber bestand, daß der Bundesgesetzgeber durch den Einigungsvertrag generell gebunden wird. Sollte auch in der Bundesrepublik Deutschland einheitlich eine solche Bindung abgelehnt worden sein, so wird man in der vereinzelten Bewertung durch Ministerpräsident de Maizière - wenn man sie überhaupt als Indiz für eine generelle Bindung ansehen will - nur eine Wunschinterpretation sehen können, die aber nicht durchgesetzt wurde. Die Annahme der Nichtdurchsetzung beruht dann nämlich nicht

158

Stenographische Niederschrift 13.9.1990, S. 231.

159

Stenographische Niederschrift 13.9.1990, S. 214.

160

Stenographische Niederschrift 20.9.1990, S. 296.

220

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

auf einer (einseitigen) stärkeren Gewichtung des Willens eines Vertragspartners, sondern darauf, daß selbst nach Einschätzung von Angehörigen der Deutschen Demokratischen Republik, die eine solche Bindung begrüßt hätten, der Kontrahent seinen Willen durchsetzte. Aus der Bundestagsdebatte über den Einigungsvertrag kann nur dem Beitrag des Abgeordneten Conradi (SPD) eine Aussage zur Bindungskraft entnommen werden. Nach seinen Worten ist zu befürchten, daß man „vieles, was heute hier beschlossen wird, im kommenden gesamtdeutschen Bundestag prüfen und gegebenfalls ändern" müsse161. Hauptsache der an dem Tag getroffenen Beschlüsse war die Zustimmung zum Einigungsvertrag. Conradi, dessen Bemerkung keinen Widerspruch auslöste, was die Folgen für die Bindungswirkung betraf, ging somit davon aus, der Bundestag sei (nach dem Beitritt) nicht generell an die Einigungsvertrags-Regeln gebunden; denn ihm kann unterstellt werden, daß er die Änderung von Einigungsvertrags-Regeln nicht nur für durchführbar, sondern auch für erlaubt hielt und nicht den Bruch vertraglicher Pflichten, die dem Bund durch die Zustimmung gerade erst auferlegt werden, in Aussicht stellen wollte (dann hätte er nämlich gegen die Zustimmung plädiert). Im federführenden Ausschuß „Deutsche Einheit" hatte der Verhandlungsführer der Bundesregierung geäußert, der Bundesgesetzgeber sei an die Einigungsvertrags-Regeln generell nicht gebunden162. Seine Einschätzung blieb unwidersprochen. Fraglich ist, ob aus der (gleichlautenden) Begründung der Bundesregierung und der BT-Fraktionenen der Regierungsparteien zu Art. 45 EiV 1 6 3 ebenfalls die Ansicht entnommen werden kann, der Bundesgesetzgeber sei generell durch den Einigungsvertrag nicht gebunden. Die zentralen Sätze lauten: „Damit ist zugleich klargestellt, daß das hierdurch geschaffene Bundesrecht durch den Bundesgesetzgeber geändert werden kann. Der Gesetzgeber hat dabei allerdings die im Vertrag vorgesehenen Regelungen zu beachten", wie Art. 41 I I I EiV. Der erste wiedergegebene Satz ist fast identisch mit der Argumentation von Weis zu Art. 45 I I EiV. Da anzunehmen ist, daß in der Begründung eines Gesetzesentwurfs die gängige juristische Terminologie eingehalten wird, kann das in diesem Satz enthaltene Wort „Bundesrecht" wiederum nur den als Gesetz geltenden Einigungsvertrag meinen. Diese Auslegung wird da-

161

BT, 226. Sitzung, S. 526.

162

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 15. Sitzung, S. 470 D.

163

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

I. Bindungsirkung des Vertrages

221

durch unterstützt, daß sich das Wort „hierdurch" auf den im vorhergehenden Satz genannten „Vertrag, der mit Inkrafttreten des Vertragsgesetzes Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland wird," also auf den am 29.9.1990 Teil der bundesdeutschen Rechtsordnung gewordenen Vertrag bezieht, d.h. den gesetzlich (via ZustGes. BRD) geltenden Einigungsvertrag (denn vor dem Beitritt könnte eine vertragliche Geltung nur nach Völkerrecht bestehen). So ergibt die zitierte Begründung auch einen guten Sinn: Der Gesetzgeber kann die (gesetzlichen) Einigungsvertrags-Regeln ändern, muß dabei aber seine vertraglichen Pflichten beachten. Welche Bindungskraft der vertragliche Einigungsvertrag gegenüber dem Gesetzgeber - nach Meinung der Autoren der Begründung zum Gesetzesentwurf - hat, ergibt sich somit nicht aus dem ersten, sondern aus dem zweiten zitierten Satz. Dort sind als zu beachtende Regelungen solche aufgeführt, „durch die besondere Rechte auf Dauer garantiert werden (vergleiche Artikel 41 Abs. 3) oder durch die ... Fristen vereinbart worden sind." Schon daß überhaupt diejenigen Regeln, die der Gesetzgeber zu beachten hat, genannt werden, läßt darauf schließen, daß er im allgemeinen für nicht gebunden gehalten wird. Zwar könnten theoretisch fast alle vertraglichen Rechte der Deutschen Demokratischen Republik bzw. der östlichen Länder auf Dauer garantiert sein sollen; Art. 41 ΙΠ EiV ist keine abschließende Aufzählung dieser Rechte, sondern, wie aus dem Wort „vergleiche" hervorgeht, nur ein Beispiel für ein solches Recht. Der ausdrücklichen Erwähnung des Art. 41 I I I EiV ist aber zu entnehmen, daß solche Dauergarantien im Vertragswortlaut Erwähnung gefunden haben müssen. Der bundesdeutschen Begründung zum Einigungsvertrag ist daher zu entnehmen, daß der Gesetzgeber grundsätzlich durch den Einigungsvertrag nicht gebunden sein soll. Somit deuten alle Äußerungen auf bundesdeutscher Seite darauf hin, daß die Bundesrepublik Deutschland keine generelle Bindung ihres Gesetzgebers durch die Einigungsvertrags-Regeln wollte. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Interpretation der auf Seiten der Deutschen Demokratischen Republik gefallenen Stellungnahmen spricht daher der geäußerte Parteiwille insgesamt gegen eine generelle Bindung des Bundesgesetzgebers durch den Einigungsvertrag.

222

Β. Bindungsirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

g) Coburg-Rechtsprechung Da erklärtermaßen durch Art. 44 EiV die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für den Einigungsvertrag positiviert werden sollte 164 , ist bei der Auslegung des Einigungsvertrages auch die vom Gericht in den Coburg-Fällen praktizierte Auslegungsmethode zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat in den fünf Hauptsacheentscheidungen 165 , die im Rahmen der Coburg-Rechtsprechung ergangen sind und in denen es zur Begründetheit Stellung nahm (im Lippe-Fall 166 allerdings hinsichtlich der Auslegung der - nicht für rechtsverbindlich gehaltenen „Richtlinie" nur in einem Obiter dictum), die Reichweite der einschlägigen vertraglichen Regelung jeweils im einzelnen untersucht. Zunächst sei ein Blick auf die Ergebnisse geworfen, soweit die generelle Bindung des Gesetzgebers betroffen ist (d.h. ungeachtet einer etwa für einschlägig gehaltenen Lösungsbefugnis rebus sie stantibus). Das Lippe- und das erste Coburg-Urteil sind insoweit nicht aufschlußreich, weil im einen Fall der Umfang (im Gegensatz zur Bindungskraft) der Zusicherung den geltend gemachten Anspruch schon nicht enthielt 167 und im anderen Fall die fragliche Vertragsbestimmung einen Gesetzesvorbehalt enthielt 168 , so daß hier dem Ergebnis nichts über eine generelle Bindung des Gesetzgebers des eingliedernden Staates an die Bestimmungen des Eingliederungsvertrages entnommen werden kann. In den übrigen Fällen wurde im zweiten Coburg-Urteil 1 6 9 und im Waldeck-Pyrmont-Urteil 170 eine Bindung bejaht, im dritten Coburg-Beschluß verneint, indem ein ungeschriebener Vorbehalt der Änderung durch gleichmäßig geltende Gesetze angenommen wurde 171 . Nur aus den Ergebnissen allein kann daher die Stellung des Bundesverfassungsgerichts zur Bindung des Gesetzgebers durch Eingliederungsverträge nicht entnommen werden, da es anscheinend auf den einzelnen Vertrag und nähere Umstände ankommt. Welche Argumente sprechen nach Ansicht des Gerichts für bzw. gegen eine Bindung?

164

Siehe oben S. 75.

165

BVerfGE 4, 250; 22, 221; 34, 216; 38, 231; 42, 345.

166

BVerfGE 4, 250.

167

BVerfGE 4, 250 (283).

168

BVerfGE 22, 221 (236).

169

BVerfGE 34, 216 (228).

170

BVerfGE 42, 345 (357).

171

BVerfGE 38, 231 (239 f.).

I. Bindungsirkung des Vertrages

223

Im Waldeck-Pyrmont-Fall argumentierte es (für eine Bindung), der vertragliche Wortlaut enthalte keine Beschränkung des vertraglichen Rechts 172 . In der dritten Coburg-Entscheidung war es der Ansicht, eine (unbeschränkte) Bindung des Gesetzgebers sei so außergewöhnlich, daß sie der Normierung bedurft hätte 173 . Im einen Fall war der Fortbestand einer Institution im eingegliederten Gebiet, im andern Fall die Verlegung einer Institution in das eingegliederte Gebiet zugesichert. Die Zusicherungen unterscheiden sich in erster Linie dadurch, daß im zweiten Fall die Institution noch verlegt werden mußte, während sie im ersten Fall bereits am richtigen Ort war. Im ersten Fall konnte die vertragliche Zusicherung danach gar keinen anderen Sinn haben als die Bestandssicherung; im zweiten Fall konnte mit ein wenig Rabulistik argumentiert werden, nur die Verlegung, nicht der Bestand des Verlegten sei zugesichert worden. Dennoch bleibt diese Auslegung fragwürdig; denn wäre im zweiten Fall, wenn die Institution bereits am Ort gewesen wäre, nicht auch „nur" der Fortbestand vertraglich vereinbart worden (wer läßt sich schließlich Verlegung und Bestand zusätzlich zusichern) 174? Die beiden dicht beieinander liegenden Fälle zeigen: Das Bundesverfassungsgericht hat hier die Bestimmungen individuell darauf hin geprüft, wie weit ihre Zusage reicht. In einem anderen Punkt sind zwei Entscheidungen praktisch nicht mehr miteinander vereinbar: Im Waldeck-Pyrmont-Fall begründet das Bundesverfassungsgericht die unbeschränkte Besitzstandsgarantie mit dem Vertragszweck, einen Ausgleich für die Einbuße an Gewicht des eingegliederten Gebiets zu schaffen 175; im dritten Coburg-Beschluß meint es, wegen des Zentralitätsverlustes erteilte Zusicherungen sprächen nicht notwendig für eine Auslegung als Besitzstandsgarantie 176. Damit kann auf den Vertragszweck des Ausgleichs für eine Gewichtseinbuße nicht sinnvoll zurückgegriffen werden bei einer Übertragung der Coburg-Rechtsprechung auf den Einigungsvertrag. In der zweiten Coburg-Entscheidung war das BVerfG der Ansicht, dem Vertragsmotiv der Eingliederung ließe sich nicht entnehmen, daß die vertraglichen Regelungen generell den Gesetzgeber nicht am Erlaß von vertraglichen Sonderzusicherungen (Betonung vom BVerfG) zuwiderlaufenden Geset-

172

BVerfGE 42, 345 (357).

173

BVerfGE 38, 231 (238 f.).

174

Eine entsprechende Gretchenfrage kann sich auch beim Einigungs vertrag stellen: Ist Art. 2 I 1 EiV eine Bestandsgarantie oder „nur" Zusage der Änderung? 175

BVerfGE 42, 345 (358).

176

BVerfGE 38, 231 (238).

224

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

zen hinderten, solange diese nur das eingegliederte Gebiet genauso wie den übrigen Teil des eingliedernden Landes behandelten177. Keine zwei Jahre später entschied derselbe Senat (der übrigens in allen sog. Coburg-Fällen urteilte), vertragliche Zusicherungen ohne Sonderstellung im Vertrag hinderten den Gesetzgeber am Erlaß von Gesetzen der genannten Art nicht. Aus der gewählten Vorsilbe „Sonder-" geht hervor, daß das Gericht davon ausging, daß solche Zusicherungen nicht die Regel sind, auch wenn das nicht schon dafür spricht, daß der Sondercharakter ausdrücklich in der Vertragsbestimmung erwähnt werden muß. Mit dieser Einstellung ist ein Satz, daß Zusagen in Eingliederungsverträgen den Gesetzgeber generell binden, jedenfalls nicht vereinbar. Das - auf Art. 8, 9 EiV übertragbare - Argument, dem Zeitpunkt der Ablösung des Rechts im eingegliederten Gebiet durch Recht des eingliedernden Staates könne nicht die Wirkung beigelegt werden, dadurch erlüschen die vertraglichen (Sonder-)Rechte 178, besagt nichts für die Herleitung einer Bindung des Gesetzgebers, sondern setzt sie voraus. Sieht der Vertrag an anderer Stelle explizit eine Möglichkeit zu gesetzlicher Änderung vor, so spricht dies e contrario gegen eine Bindung des Gesetzgebers an andere (Parallel-)Vorschriften 179. Das Umkehrschluß-Argument taugt aber für den Einigungsvertrag, wie gesehen, wenig. Bezeichnenderweise wurde es in der Literatur der Weimarer Republik für denselben Vertrag, auf den das Bundesverfassungsgericht es anwandte, mit umgekehrten Vorzeichen benutzt: Aus der Existenz einiger Garantien (darunter nicht die Zusicherung, die das Gericht mit dem Umkehrschluß als Bestandsgarantie auslegte) wurde geschlossen, die übrigen Vertragsvorschriften würden den Gesetzgeber nicht binden 180 . Dieses Beispiel zeigt, daß bei der Existenz von ausdrücklichen Bindungen und Gesetzesvorbehalten nebeneinander, wie im Einigungsvertrag, der Umkehrschluß nicht anwendbar ist. Für eine Bindung des Gesetzgebers spricht nach dem Bundesverfassungsgericht ferner gegebenenfalls, daß der Vertrag auch sonst teilweise langfristige Verpflichtungen enthält 181 . Die längste im Einigungsvertrag genannte (Anpassungs-)Frist reicht bis zum 31.12.1996 (Art. 7 I I Nr. 2 EiV), also gerade gut sechs Jahre über den Eingliederungszeitpunkt hinaus. Sie ist im Vergleich zur sechzigjährigen Frist des Coburger Staatsvertrages alles andere

177

BVerfGE 34, 216 (228 f.).

178

BVerfGE 34, 216 (229).

179

BVerfGE 34, 216 (229).

180

Nawiasky,

181

BVerfGE 42, 345 (357 f.).

Verfassungsrecht, S. 42.

I. Bindungs Wirkung des Vertrages

225

als lang, so daß dieses Argument, auf den Einigungsvertrag angewandt, nicht für eine generelle Bindung des Gesetzgebers spricht. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht bei der Auslegung noch die zwischen Eingliederung und Erlaß des Gesetzes, dessen Vertragsgemäßheit umstritten ist, liegende Staatspraxis als Maßstab herangezogen 182. Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt, da erst kurze Zeit seit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik verstrichen ist, so daß die in dieser Zeitspanne geübte Praxis noch wenig aussagekräftig ist, nicht möglich und könnte auch nicht eine generelle Bindung oder Bindungsfreiheit des Gesetzgebers begründen. Das zweite Argument, nämlich fehlende Eignung zu einer generellen Aussage, gilt auch für einen Schluß aus der im Eingliederungsgebiet vor der Eingliederung bestehenden Rechtslage auf die maximale Grenze einer Zusicherung 183 . Die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts spricht somit im Ergebnis gegen eine generelle Bindung des Gesetzgebers an die Regeln im Einigungsvertrag.

h) Sinn des Einigungsvertrages Schon bei der Frage, ob der generelle Sinn und Zweck des Einigungsvertrages die vertragliche Fortgeltung erfordert, zeigte sich 184 , daß wegen der verschiedenen möglichen Ziele von Eingliederungsverträgen zunächst der Grund zu ermitteln ist, warum im konkreten Fall der Vertrag geschlossen wurde. Allgemein verlangt der Sinn eines Eingliederungsvertrages ebensowenig eine generelle Bindung des Gesetzgebers an seine Regelungen185 wie eine vertragliche Fortgeltung. Insbesondere spricht auch nicht der Zweck der Eingliederung, die Rechtsordnung des einen Staates zu erstrecken auf den anderen, gegen eine generelle Bindung 186 ; denn vielleicht sollte die Rechtsordnung nur mit einigen - für das beitretende Gebiet wesentlichen und dem eingliedernden Staat genehmen - Änderungen erstreckt werden (ein Mittelweg zwischen totaler Rechtserstreckung und Gründung eines neuen Staates).

182

BVerfGE 22, 221 (235 f.).

183

BVerfGE 4, 250 (283).

184

Siehe oben S. 108.

185

So aber Klein, Bundesstaatlichkeit, S. 37 (mit Ausnahme der vertraglich vereinbarten Verfassungsänderungen). 186

So aber Ficker,

15 Wagner

S. 40 (allerdings gegen völkerrechtliche Reservatrechte).

226

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Der Entscheidung für den Weg über Art. 23 S. 2 GG a.F. (statt Art. 146 GG a.F.) kann noch kein Indiz für oder gegen eine generelle Bindung des Gesetzgebers entnommen werden, weil auch bei einer Entscheidung für Art. 23 S. 2 GG a.F. die notwendigen Regelungen nicht vertraglich erfolgen mußten, sondern auch in einem Gesetz hätten getroffen werden können. Da die Entscheidung für die Vertragsform auf einen Wunsch der Deutschen Demokratischen Republik zurückging 187 , sind in erster Linie ihre Motive maßgebend. Das einzige, aber auch bedeutendste, das einen Schluß auf eine generelle Bindung des Gesetzgebers rechtfertigen könnte, ist ihr Ziel, bindende Regelungen zugunsten der neuen Länder und der Bewohner der (ehemaligen) Deutschen Demokratischen Republik über den Beitritt hinaus zu sichern 188 . Das spricht nur für den Fortbestand dieser Regelungen über den Beitritt hinaus, nicht aber auch dafür, daß sich diese Rechte auch gegen den Gesetzgeber richten; auch „nur" Verwaltung und Judikative bindende Regelungen sind nach dem Beitritt verbindlich. Die von bundesdeutscher Seite vorgetragenen weiteren Argumente für die Vertragsform, wie die Ermöglichung der Mitgestaltung der Übergangsregeln durch die Deutsche Demokratische Republik 189 , die Schnelligkeit des Verfahrens 190 und die bessere Akzeptanz 191 ermöglichen dagegen in keinem Fall den Schluß auf eine generelle Bindung des Bundesgesetzgebers. Mangels weiterhelfender Äußerungen durch die Parteien 192 - sie lassen einen Schluß darauf, daß keine Bindung des Gesetzgebers bezweckt wurde, nämlich ebensowenig zu - bleibt nur noch die Möglichkeit, den objektivierten Sinn zu erforschen. Dabei stellen sich, ausgehend von dem typischen Interesse des eingliedernden Staates, sich möglichst wenig zu binden, und dem des eingegliederten Gebietes, möglichst weitgehende Sicherungen zu erhalten 193 , zwei Fragen. Erstens: Gibt es einen plausiblen Grund (oder Gegengrund), warum sich der eingliedernde Staat im konkreten Fall so weitgehend binden sollte? Zweitens: Hat im konkreten Fall ein Vertrag, der den Gesetzgeber nicht generell bindet, für den eingliedernden Staat einen Sinn?

187

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 10. Sitzung, S. 344 C.

188

Schäuble, Vertrag, S. 14, 82; Viehmann, S. 22.

189

Busse, S. 348; Stern, Wiederherstellung, S. 33.

190

Viehmann, S. 4.

191

Busse, S. 348.

192

Siehe oben S. 221.

193

Weis, Fragen, S. 14.

I. Bindungsirkung des Vertrages

227

Zur ersten Frage wird darauf verwiesen, daß der Einigungsvertrag (mit seinen Anlagen) das gesamte Bundesrecht erfasse; gerade diese umfassende Konzeption spreche dagegen, daß die Bundesrepublik Deutschland sich - in so vielen Bereichen - besonders weitgehend habe binden wollen 194 . Dem kann entgegengehalten werden: Ob der Bundesgesetzgeber speziell daran gebunden ist, das in den Anlagen I und Π enthaltene Recht beizubehalten, kann durchaus anders als die Frage nach der generellen Bindung an die Regeln des Einigungsvertrages selbst zu beantworten sein; wird es verneint, so entfällt die Grundlage des Arguments, der Einigungsvertrag erfasse das „gesamte Bundesrecht". Für eine besondere Neigung der Bundesrepublik Deutschland, sich weitergehend, als sonst zu erwarten, zu binden, könnte sprechen, daß sich ihr 1990 erstmals nach 40 Jahren die konkrete Gelegenheit bot, ihren verfassungsrechtlichen Wiedervereinigungsauftrag zu realisieren und die entscheidende Mehrheit diese Chance auch unbedingt - durch Abschluß des Einigungsvertrages - wahrnehmen wollte. Wenn ihre Verfassung aus diesem Anlaß bereits ihre eigene Geltung begrenzte (Art. 146 GG a.F.), könnte auch - als Entgegenkommen für die vom Partner gebilligte Verfassungskontinuität - eine weitgehende vertragliche Bindung dem Willen der Bundesrepublik Deutschland entsprechen. Auf der anderen Seite wollte die Deutsche Demokratische Republik, zumindest die entscheidende Mehrheit, allerdings auf jeden Fall sich mit der Bundesrepublik Deutschland vereinigen, so daß es keiner übermäßigen Zugeständnisse der Bundesrepublik Deutschland beim Vertragsschluß bedurfte. Aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland wäre also eine weitgehende Bindung, nämlich die generell auch ihres Gesetzgebers, zwar erklärlich, aber keineswegs zwingend. Für die Deutsche Demokratische Republik hätte der Einigungsvertrag auch dann einen Sinn, wenn er nicht grundsätzlich den Bundesgesetzgeber bände. Da die unmittelbar anwendbaren Regelungen, die die große Mehrzahl der Einigungsvertrags-Regeln bilden, mit innerstaatlicher Zustimmung in der Bundesrepublik Deutschland dadurch auch Gesetz wurden, ist in Zukunft eine Mehrheit in den gesetzgebenden Organen des vereinten Deutschlands notwendig, um andere als die im Einigungsvertrag enthaltenen Regeln in Kraft treten zu lassen; ohne den Abschluß des Einigungs Vertrages hätte sich dagegen eine Mehrheit finden müssen, um Regeln des vereinbarten Inhalts erst einmal in Kraft zu setzen. Schon dadurch erhalten, weil die Bildung von Pro-Mehrheiten schwieriger ist als die einer Contra-Mehrheit, die vereinbarten Rege-

194

Weis, Fragen, S. 15.

228

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

lungen eine gewisse Bestandsgarantie, so daß ihre Vereinbarung, auch wenn sie nicht nur den Übergang, sondern längerfristig angelegte Regeln betreffen, durchaus Sinn macht. Dazu bedarf es im übrigen nicht des Hinweises, die Bürger der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik seien nach dem Beitritt sowohl im Bundestag als auch, zumindest über die fünf neuen Länder, im Bundesrat und damit in beiden Gesetzgebungsorganen repräsentiert 195. Sie haben dort keine Sperrminorität. Zwar ist es bei der heutigen Parteienlandschaft der Bundesrepublik Deutschland in vielen Fällen ausgeschlossen, daß ohne die Stimmen eines ostdeutschen Abgeordneten im Bundestag ein Gesetz eine Mehrheit findet, es sei denn, es würde (teilweise) auch von der Opposition unterstützt. Jedoch können, wenn die Regierungsanhänger nicht gerade mit hauchdünner Mehrheit regieren, auch Gesetze, die nur die Regierungspartei(en) unterstützen, gegen die - in einer Demokratie maßgebliche - Mehrheit ostdeutscher Abgeordneter durchgesetzt werden 196 . Mit dem Repräsentationsargument kann daher nicht dem Einwand einer geringeren Garantiewirkung des Vertrages begegnet werden. Es ist allerdings insoweit berechtigt, als es qualitativ (nicht quantitativ) erklärt, daß der eingliedernde Staat für die Zukunft sich deshalb weniger auf Sonderrechte seiner Bürger gegen den eingliedernden Staat verläßt, weil sie Mitwirkungsrechte erhalten. Freilich kann die in diesem Zusammenhang beschworene Hoffnung, alte und neue Länder wüchsen mit den Jahren zusammen und die Bewohner der eingegliederten Gebiete fühlten sich dann nicht mehr benachteiligt 197 , auch trügen, wie die über fünfzig Jahre nach Abschluß des Coburger Eingemeindungsvertrages geführten Klagen der Coburger Gemeinwesen belegen. Auch aus Sicht der Deutschen Demokratischen Republik erfordert der Zweck des Einigungsvertrages somit nicht notwendigerweise eine generelle Bindung des Gesetzgebers; diese ist natürlich andererseits auch nicht sinnwidrig. Der Sinn des Einigungsvertrages spricht daher weder für noch gegen eine generelle Bindung des Bundesgesetzgebers an die vertraglichen Bestimmungen.

195 Darauf verweisen Doehring (Bindungen, S. 572) und von Münch (Deutschland, S. 868).

S. 25),

Klein

(Einigungsvertrag,

196 Beispiel: Die Regierung wird von 55% der BT-Abgeordneten der alten Bundesländer unterstützt; 60% der ostdeutschen BT-Abgeordneten stimmen gegen ein Gesetz; Resultat: Gesetz erhält Mehrheit. 197

Klüber, Eingemeindungsverträge, S. 332 (für Gemeindeeingliederungen).

I. Bindungsirkung des Vertrages

229

i) Zusammenfassung Für eine generelle Bindung des Bundesgesetzgebers an die Einigungsvertrags-Regeln spricht nichts; dagegen sprechen der Parteiwille, sowohl zur Bindungswirkung selbst als auch in Verbindung mit der Coburg-Rechtsprechung, deren Übernahme angestrebt wurde, sowie das in der Präambel hervorgehobene Demokratieprinzip. Grundsätzlich verpflichtet der Einigungsvertrag den Bundesgesetzgeber daher nicht, die in ihm vereinbarten Regeln in Zukunft beizubehalten.

1.2.2 Bindungskraft einzelner Bestimmungen „Einfache" Vertragsbestimmungen, die den Gesetzgeber ausnahmsweise binden sollen, könnten Art. 41 I EiV i.V.m. Anlage ΠΙ EiV, Nr. 1.2 des Protokolls, Einigungsvertrags-Regeln mit Übergangsfristen und Aufträge an den Gesetzgeber sein. Als Vertragsnormen, die auch bei künftigen Verfassungsänderungen zu beachten sind, kommen Art. 4 (insbesondere Nr. 5), 7 und 41 ΠΙ EiV in Betracht.

a) Art. 41 EiV Art. 41 I EiV wird allgemein als auch für den Bundesgesetzgeber bindende Vertragsnorm angesehen198. Dafür spricht, wie bereits festgestellt wurde 199 , eindeutig der Wortlaut des Art. 41 ΠΙ EiV. Auch ergibt es sich aus dem Zusammenspiel mit Art. 41 I I EiV, der dem Gesetzgeber in engem Rahmen von Art. 41 I EiV abweichende Gesetze zu erlassen gestattet; Art. 41 ΠΙ EiV gilt „im übrigen". Art. 41 I I EiV als Ausnahme Vorschrift hätte keinen Sinn, wenn der Gesetzgeber nicht an Art. 41 I EiV gebunden wäre. Aus der Begründung des Einigungsvertrages durch Bundesregierung und BT-Fraktionen der Regierungsparteien geht hervor, daß Art. 41 ΙΠ EiV ein auf Dauer gegenüber dem Gesetzgeber bestehendes Recht begründen soll 200 . Sogar der danach verpflichtete Vertragspartner ging also davon aus,

198

Z.B. Viehmann, S. 22; Weis, Fragen, S. 15; ders., Gesetzgebung, S. 60.

199

Siehe oben S. 213.

200

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

230

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

gebunden zu sein. Im Gesetzgebungsverfahren äußerte auch die Opposition nichts Gegenteiliges. Die besondere Bindung an Art. 41 I EiV macht auch objektiv Sinn: Daß die auf besatzungsrechtlicher bzw. -hoheitlicher Grundlage in der Sowjetischen Besatzungszone erfolgten Enteignungen nicht mehr rückgängig gemacht werden - Kernpunkt des Art. 41 I EiV - , war eine zentrale Forderung der UdSSR, von deren Zustimmung zur Wiedervereinigung die beiden Vertragspartner abhängig waren wegen deren Siegerrechte aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Deutsche Demokratische Republik hat diese Forderung bei den Vertragsverhandlungen vertreten 201. Zusätzlich haben beide deutschen Regierungen anläßlich der Unterzeichnung des Moskauer Vertrages den Siegermächten gegenüber schriftlich auf die Regelung in Art. 41 I und ΠΙ EiV i.V.m. Nr. 1 der Anlage I I I EiV hingewiesen und dadurch völkerrechtlich die Einhaltung dieser Regeln zur Grundlage des Moskauer Vertrages gemacht 202 . Da die Existenz der vergrößerten Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt wäre bei Unwirksamkeit des Moskauer Vertrages, muß die Bundesrepublik Deutschland praktisch (selbst wenn nicht völkerrechtlich) die Nr. 1 Anlage ΠΙ EiV einhalten, und zwar einschließlich ihres Gesetzgebers. Diesem wird, zumindest was die zentrale Regelung des Art. 41 I EiV angeht, durch die innerstaatliche Bindung an diesen Artikel faktisch daher kein bedeutender Entscheidungsspielraum zusätzlich weggenommen. Schließlich spricht auch die vom Bundesverfassungsgericht im LippeUrteil angestellte Kontrollüberlegung, ob nicht ein für das eingegliederte Gebiet gegenüber der vor der Eingliederung bestehenden Rechtslage rechtliches Mehr geschaffen wird, nicht gegen eine Bindung des Gesetzgebers. Denn Art. 41 I EiV i.V.m. Anlage ΙΠ EiV soll dazu dienen, die früher in der Deutschen Demokratischen Republik bestehende Rechtslage zu konservieren. Nach alledem bindet Art. 41 I, Anlage ΙΠ EiV wegen Art. 41 ΠΙ EiV den Gesetzgeber, soweit nicht Art. 41 I I EiV eingreift.

b) Nr. 1.2 Protokoll zum Einigungsvertrag Auch Nr. 1.2 des Protokolls zum Einigungsvertrag muß den Gesetzgeber binden. Denn wenn der Bundesgesetzgeber entgegen dieser Vorschrift vor dem dort genannten Zeitpunkt über Sitz von Parlament und Regierung ent-

201

BVerfGE 84, 90(115, 127). Blumenwitz, S. 3048; Badura, Verfassungsauftrag, S. 1259; Anker (Einigungsvertrag, S. 1064) sieht darin sogar eine verbindliche Zusicherung. 202

I. Bindungsirkung des Vertrages

231

scheiden durfte, hätte sie keinen Sinn. Sie wendet sich ausschließlich gegen eine bestimmte Tätigkeit des Gesetzgebers. Daß diese Bindungswirkung nicht in der Begründung zum Einigungsvertrag auf bundesdeutscher Seite erwähnt wird und auch in der Literatur keine Beachtung findet, spricht nicht gegen sie, sondern ist damit zu erklären, daß allgemein davon ausgegangen wurde, der Gesetzgeber werde erst nach dem in Nr. 1.2 des Protokolls genannten Zeitpunkt über Parlaments- und Regierungssitz entscheiden - was ja auch der Fall war - , so daß schon deshalb Nr. 1.2 des Protokolls nicht als Bindung, sprich Einschränkung des Gesetzgebers empfunden wurde. Es kommt hinzu, daß der Zeitraum der Bindung nur wenige Monate dauerte, was ebenfalls dazu führte, keine Einschränkung durch diese Vorschrift zu spüren, und daß sie mit ihrem Standort im Protokoll wohl etwas außerhalb der Sicht der Interpreten lag. Wegen ihres Sinns bindet Nr. 1.2 des Protokolls den Gesetzgeber.

c) Regelungen mit Anpassungsfristen Ob der Gesetzgeber die Einigungsvertrags-Regeln, die nur befristet gelten, ändern darf, wird in der Literatur wenig erörtert. Viehmann 203 bejaht insoweit eine Bindungswirkung; Weis 2 0 4 erwähnt die Fristenregelungen dagegen bei der Erörterung der Bestimmungen, die den Gesetzgeber binden, nicht. Daß die Regeln mit Übergangsfristen, anders als Art. 41 EiV, keine explizite Zusage enthalten, die Bundesrepublik Deutschland werde sie nicht ändern, könnte zwar gegen ihre Bindungswirkung sprechen. Doch wird dieser Umkehrschluß durch die in den befristet geltenden Regelungen des Art. 7 und 30 Π EiV enthaltenen Gesetzesvorbehalte (Art. 7 ΙΠ 2. U A S. 3 und 30 I I 1. U A S. 7 EiV) entkräftet. Die befristeten Einigungsvertrags-Regeln behalten auch dann einen Sinn, wenn sie den Gesetzgeber nicht binden: Zur Fristverkürzung bzw. -Verlängerung wäre nämlich eine Mehrheit des Gesetzgebers nötig; bis eine solche zustandekommt, gelten in den vereinbarten Fristen die durch das ZustGes. BRD in unmittelbar anwendbares Recht umgesetzten vereinbarten Regelungen, was ihnen bereits eine gewisse Dauerhaftigkeit verleiht. Außerdem hat der Gesetzgeber bei der Änderung von fristgebundenen Regelungen ein durch die bisherige Frist etwa entstandenes berechtigtes Vertrauen der Gesetzes-

203

Viehmann, S. 23.

204

Weis, Fragen, S. 15.

232

Β. Bindungsirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

unterworfenen zu beachten; ein solches Vertrauen können gesetzliche Fristen besonders leicht begründen, so daß der Gesetzgeber bereits nach allgemeinen Rechtsstaatsgrundsätzen an Fristenregelungen tendenziell stärker gebunden ist. Der Sinn der befristeten Einigungsvertrags-Regelungen erzwingt somit keine Bindung des Gesetzgebers, steht ihr aber auch nicht im Wege. Für eine Bindungswirkung spricht dagegen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland als verpflichteter Partner bereits insoweit selbst für gebunden hält. Dies geht zum einen aus der Begründung zu Art. 45 EiV hervor 205 , in der der Gesetzgeber für gebunden gehalten wird durch Regelungen, „durch die im Interesse einer schrittweisen Anpassung der unterschiedlichen Verhältnisse besondere Fristen vereinbart worden sind". Daß hier - im Gegensatz zu den zuvor erwähnten Dauergarantien - nicht in einem Klammerzusatz einzelne Vorschriften genannt werden, deutet bereits darauf hin, daß alle im Einigungsvertrag vereinbarten Fristenregelungen unter diesen Passus fallen. Der Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland äußerte ferner bei den Beratungen des Ausschusses „Deutsche Einheit", daß der einfache Gesetzgeber an den vereinbarten Überleitungsregeln nichts ändern dürfe 206 . Seine Herleitung dieses Verbots aus Art. 4 Nr. 5 i.V.m. Art. 44 (im damaligen Entwurf: Art. 33) EiV überzeugt dagegen nicht, weil Art. 44 EiV nichts über die Bindungskraft von Einigungsvertrags-Regeln aussagt und Art. 4 Nr. 5 EiV den verfassungsändernden Gesetzgeber allenfalls hindern könnte, den Art. 143 GG zu ändern, aber nichts über den Fortbestand der - nicht näher genannten - unter Art. 143 I, Π GG fallenden, mit der Inkraftsetzung des Vertrages geltenden Regeln besagt207. Auch wenn die rechtliche Konstruktion nicht überzeugt, bleibt der Wille der Bundesrepublik Deutschland an sich beachtlich, auch ihren Gesetzgeber durch die Vereinbarung der fristgebundenen Einigungsvertrags-Regeln zu binden. Dem Faktum dieser Bindung wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht widersprochen. Allerdings kann, wie aus den Worten „im Interesse einer schrittweisen Anpassung ... vereinbart" und aus dem Zweck der Übergangsfristen, den radikalen Wechsel, den die Einführung bundesdeutschen Rechts in der Deutschen Demokratischen Republik auf vielen Rechtsgebieten bedeutete, abzumildern, folgt, eine Bindung nur insoweit angenommen werden, als es dem Bundesgesetzgeber verwehrt sein soll, schneller als vereinbart einen der bundesdeutschen Rechtsordnung entsprechenden Zustand in der Deutschen Demokratischen Republik herzustellen; eine weitergehende Bindung liefe

205 206 207

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377. BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 15. Sitzung, S. 470 D. Zu Art. 143 III GG siehe oben S. 152.

I. Bindungsirkung des Vertrages

233

dem Sinn der Überleitungsfristen gerade zuwider. Außerdem kann eine besondere Bindung der Bundesrepublik Deutschland, die ja umgekehrt ein besonderes Recht der Deutschen Demokratischen Republik wäre, nur insoweit angenommen werden, als die vorübergehend nicht anwendbaren bundesdeutschen Vorschriften die Bewohner der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik bzw. die fünf neuen Länder nicht begünstigten (eine Begünstigung liegt dagegen z.B. in Art. 7 ΠΙ 1. UA EiV); denn die Deutsche Demokratische Republik wird im übrigen an einem solchen Recht nicht interessiert gewesen sein (so hat keines der östlichen Länder protestiert, als die verringerten Umsatzsteueranteile der östlichen Länder nach Art. 7 ΙΠ 1. UA EiV bereits Mitte 1991 durch Art. 6 Nr. 2 Haushaltbegleitgesetz 1991 208 auf dieselbe Höhe wie die der West-Länder aufgestockt wurden, ohne daß zuvor die östlichen Länder in einer Vereinbarung dem zugestimmt hätten). Es ist auch plausibel, daß die Parteien für die Fristenregelungen eine weitergehende Bindungswirkung befürworteten. Für die Bundesrepublik Deutschland war damit, wegen der zeitlich begrenzten Wirkung der genannten Regelungen, nur eine Bindung für wenige Jahre (längstens bis zum 31.12.1996, Art. 7 Π Nr. 1 EiV) verbunden, also keine langfristige oder dauerhafte. Das bedeutete zugleich, daß auch die Einschränkung des - grundsätzlich gegen eine Bindung des Gesetzgebers sprechenden - Demokratieprinzipes (vgl. Präambel zum Einigungsvertrag) nur vorübergehend (maximal über die Dauer zweier regulärer Legislaturperioden reichend) und damit relativ geringfügig war. Folglich ist, wegen des bekundeten Parteiwillens und der Plausibilität der Ausnahme, für Einigungsvertrags-Regeln mit Übergangsfristen eine Bindung des Gesetzgebers anzunehmen insoweit, als er für die Bürger der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik bzw. die fünf neuen Länder günstige Bestimmungen nicht vor dem vereinbarten Termin aufheben darf.

d) Gesetzgebungsdirektiven Gesetzgebungsdirektiven 209 richten sich, ebenso wie Nr. 1.2 des Protokolls, ausschließlich an den Gesetzgeber und müssen daher für diesen gelten. Von einer „Bindungswirkung" zu sprechen, könnte Mißverständnisse hervorrufen, weil aus Gesetzgebungsaufträgen nur sehr beschränkt Rechte folgen können. Dies wird auch der Grund sein, warum weder auf Seiten der Bun-

208 209

BGBl. 1991 I S. 1314. Vgl. die oben auf S. 211 Genannten.

234

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

desrepublik Deutschland noch in der Literatur die Gesetzgebungsdirektiven des Einigungsvertrages zu den den Bundesgesetzgeber bindenden Bestimmungen gerechnet werden. Sofern sie nicht bloße Absichten oder Erwartungen der Vertragspartner sind (so z.B. Art. 5 EiV - für den verfassungsändernden Gesetzgeber - , Art. 17 S. 1 EiV), gelten die Gesetzgebungsdirektiven des Einigungs Vertrages auch für den Bundesgesetzgeber. Dies ist insofern wichtig, als er dadurch insbesondere in einigen Fällen für den Fall, daß er eine bestimmte Materie regelt, an Vorgaben gebunden ist (z.B. Art. 17 2, 22 I 4 - 7 , 30 V 2 und 3, 33 Π EiV) bei der erstmaligen Regelung.

e) Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers (Art. 79 GG) durch Art. 4, 7, 41 EiV Unproblematisch ist bei Art. 4 und 7 EiV die Erfüllung der Grundvoraussetzung einer Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers: Sowohl Form dés Art. 79 I GG (bei Art. 7 EiV etwas modifiziert, nämlich als Aufschub der Inkraftsetzung des Grundgesetzes, Art. 23 S. 2 GG a.F.) als auch Mehrheit des Art. 79 Π GG sind gewahrt. Für eine Bindung durch Art. 4 und 7 EiV generell könnte sprechen, daß in Art. 6 und 7 ΙΠ 2. U A S. 3, V I EiV, die ebenfalls Modifikationen der Grundgesetz-Geltung betreffen, die Überprüfung der vereinbarten Regeln bzw. eine spätere Inkraftsetzung einer Verfassungsbestimmung vorbehalten wird. U m diesen Vorschriften Sinn zu geben, könnte man daraus e contrario schließen, daß andere Bestimmungen über Modifikationen des Grundgesetzes bindend seien. Dagegen spricht Folgendes: Daß aus Art. 7 V I EiV kein Umkehrschluß möglich ist, wurde bereits gezeigt 210 . Art. 7 Π Ι 2. U A S. 3 EiV könnte nur notwendig sein, weil Art. 7 Ι Π 2. U A EiV eine befristete Regelung darstellt und deshalb eine Bindung des Gesetzgebers bewirkt — und zwar des einfachen Gesetzgebers, da bis zum nach Art. 7 Π Ι 1. U A EiV aufgeschobenen Inkrafttreten des Art. 107 I 4, Π GG der entsprechende Bereich der Finanzverfassung einfach-gesetzlich geregelt werden kann und durch Art. 7 Ι Π 2. U A S. 1 und 2 EiV geregelt wird 2 1 1 . Dasgleiche gilt für Art. 6 EiV, der wo-

210

Siehe oben S. 214.

211

Wendt

(Diskussionsbeitrag), in: Stern, Wiedervereinigung, S. 240; Schmidt-

Bleibtreu (Diskussionsbeitrag), ebd. S. 241; anderer Ansicht Engel (Diskussionsbeitrag), ebd. S. 240, der nicht beachtet, daß Art. 7 I I - V I EiV gerade nicht als Bestandteil des Grundgesetzes, der die grundgesetzliche Finanzverfassung modifiziert, be-

I. Bindungsirkung des Vertrages

235

möglich nur die Nichterfüllung des Auftrages aus Art. 23 S. 2 GG a.F. kaschieren soll 212 . In keinem Fall ist daher ein Umkehrschluß zwingend. Ferner spricht gegen eine Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers durch Art. 4 und 7 EiV, daß eine ausdrückliche Anordnung der Bindung wie (zumindest für den einfachen Gesetzgeber) in Art. 41 ΠΙ EiV fehlt. Eine solche unzweideutige Bestimmung wäre hier umso eher zu erwarten, als eine Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers (noch) ungewöhnlicher ist als die des einfachen. In der Bundesrepublik Deutschland, die dann gebundener Vertragspartner wäre, wurde auch nicht einhellig von einer solchen Bindung ausgegangen, wie die Äußerung des bundesdeutschen Verhandlungsführers im BT-Ausschuß „Deutsche Einheit" gegen eine solche Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers 213 zeigt, die dort allerdings auf den Widerspruch der Opposition stieß. Die vertragliche Vereinbarung von GG-Änderungen bleibt auch ohne solch eine Bindungskraft sinnvoll. Denn nach der Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zum Vertrag, die gleichzeitig die Grundgesetz-Änderungen bewirkte, ist nun der Gesetzgeber gebunden, bis sich eine 2/3-Mehrheit zu einer neuerlichen Verfassungsänderung findet 214. Dadurch bereits geht von Art. 4 EiV, stärker als von den übrigen Vertragsbestimmungen, eine (mittelbare) Bindungs Wirkung aus. Entsprechendes gilt für Art. 7 EiV, soweit eine spätere Inkraftsetzung der vorübergehend unanwendbaren Teile der Finanzverfassung betroffen ist, da diese eine Änderung des Grundgesetzes darstellte. Insbesondere gegen eine Bindung durch Art. 4 Nr. 3 und 7 I I I 1. U A EiV spricht schließlich, daß die neuen Bundesländer durch diese Vertragsbestimmungen benachteiligt werden, weil ihr Stimmenanteil im Bundesrat bzw. ihr Anteil am (Ersatz-)Länderfinanzausgleich geringer ist als der, den sie ohne die vereinbarte GG-Änderung hätten; die Deutsche Demokratische Republik wird an einer besonderen Bindung der Bundesrepublik Deutschland an diese Vertragsnorm nicht interessiert gewesen sein. Der verfassungsändernde Gesetzgeber ist daher grundsätzlich nicht gehindert, die in Art. 4 und 7 EiV vereinbarten Grundgesetz-Bestimmungen wieder zu ändern.

schlossen wurde — mangels deren Geltung im Beitrittsgebiet gab es nichts zu modifizieren. 212 Siehe oben S. 214. 213 BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 15. Sitzung, S. 470 C, D. 214 Klein, Bundesstaatlichkeit, S. 37.

236

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Art. 4 Nr. 5 EiV könnte den verfassungsändernden Gesetzgeber binden sollen, weil Art. 143 I und I I GG Übergangsfristen betreffen und Art. 143 ΙΠ GG den Art. 41 EiV; sowohl Einigungsvertrags-Regelungen mit Übergangsfristen als auch Art. 41 I, I I I EiV binden den Gesetzgeber, so daß nicht fernliegt, daß entsprechende Einigungsvertrags-Regeln über Grundgesetz-Normen den verfassungsändernden Gesetzgeber binden. Gegen solch eine Bindung sprechen zunächst schon folgende, generell gegen eine Bindung durch Art. 4 EiV vorgetragenen Argumente: keine Anordnung der Bindung im Wortlaut (Art. 41 I I I EiV bezieht sich seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nach nur auf Art. 41 I EiV, nicht auf Art. 4 Nr. 5 [Art. 143 I I I GG] EiV); kein eindeutiger Bindungswille der Bundesrepublik Deutschland; Einigungsvertrags-Regelung bleibt sinnvoll. Darüber hinaus lassen sich die für die Bindungswirkung von befristeten Regelungen angeführten Argumente nicht auf eine Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers durch Art. 143 I, I I GG/Art. 4 Nr. 5 EiV übertragen. Ein entsprechender eindeutiger Wille der Bundesrepublik Deutschland liegt, wie gesagt, nicht vor. Der Umkehrschluß aus Art. 30 I I 7 EiV begründet keine Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers. Ebensowenig lassen sich die Argumente, die für eine Bindungswirkung durch Art. 41 I EiV sprachen, auf Art. 143 ΠΙ GG/Art. 4 Nr. 5 EiV übertragen. Art. 4 Nr. 5 EiV bindet daher den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht. Um die Frage, ob der verfassungsändernde Gesetzgeber durch Art. 41 I I I EiV an Art. 41 I EiV gebunden ist, beantworten zu können, ist vorweg zu klären, ob überhaupt die Grundvoraussetzung einer Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers eingehalten wurde. Unproblematisch ist, daß dem Art. 41 EiV mit der nach Art. 79 I I GG nötigen Mehrheit zugestimmt wurde. Da Art. 41 I I I EiV jedoch keine explizite Modifikation des GG-Wortlautes enthält, könnte mangels Einhaltung des Art. 79 I GG keine wirksame Bindung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber, der ja in der Regel nur im Verfahren des Art. 79 GG handelt, vorliegen. Art. 79 I GG kann allerdings nicht direkt angewandt werden, da die Zustimmung zu einer vertraglichen Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers, solange sie ihn nur zur Beibehaltung einer bestehenden Verfassungsnorm verpflichtet, gerade keine Änderung des Grundgesetzes enthält. Soweit für die Verfassungskonformität des Art. 41 EiV eine Verfassungsänderung notwendig war, ist sie - in Art. 4 Nr. 5 EiV - unter Wahrung des Art. 79 I GG erfolgt.

I. Bindungswirkung des Vertrages

237

Jedoch kann dem Ziel des Art. 79 I GG, der eine Manifestation des Gegenstandes der Tätigkeit gerade des verfassungsändernden Gesetzgebers fordert, entnommen werden, daß auch bei einer vertraglichen Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers deutlich werden muß, daß er sich als verfassungsändernder (und nicht nur als einfacher) Gesetzgeber gebunden hat. Dies ist besonders wichtig, wenn - wie im Einigungsvertrag - der Vertrag an anderer Stelle Grundgesetz-Änderungen enthält und schon deshalb der Mehrheit nach Art. 79 I GG bedarf; ohne die von Art. 79 I GG dem Sinn nach geforderte Deutlichkeit wäre nämlich nicht ersichtlich, ob die Notwendigkeit des Handelns des verfassungsändernden Gesetzgebers nur durch die GGÄnderungen oder auch durch anderweitige Vertragsbestimmungen erforderlich wäre. Art. 41 ΙΠ EiV besagt indes mit der notwendigen Klarheit, daß auch der verfassungsändernde Gesetzgeber an Art. 41 I EiV gebunden ist. Seinem Wortlaut nach ist die Bundesrepublik Deutschland gebunden und damit alle ihre staatlichen Organe, zu denen auch der verfassungsändernde Gesetzgeber zählt. Der Begriff „Rechtsvorschriften" erfaßt auch Verfassungsänderungen 215 . Somit besteht die Möglichkeit einer Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers. Dafür, daß diese Bindung durch Art. 41 Π Ι EiV bewirkt wird, spricht neben dem Wortlaut folgendes Argument: Wäre nur eine Bindung des einfachen Gesetzgebers an Art. 41 I EiV bezweckt gewesen, hätte diese Wirkung durch Inkorporation dieser Vorschrift ins Grundgesetz - im Rahmen des Art. 4 EiV - erzielt werden können. Die systematische Stellung des Art. 41 I I I EiV außerhalb der vereinbarten GG-Modifikationen spricht daher dafür, daß eine andersartige, und das kann nur heißen: weitergehende, Bindung der Rechtsvorschriften erlassenden Organe der Bundesrepublik Deutschland gewollt war. Weil die Bundesrepublik Deutschland - einschließlich des verfassungsändernden Gesetzgebers - wegen möglicher außenpolitischer und völkerrechtlicher Wirkungen 216 faktisch an einer Änderung der Nr. 1 der Anlage ΙΠ EiV als zentraler Bestimmung im Rahmen des Art. 41 I EiV gehindert ist, ist auch plausibel, daß die Bundesrepublik Deutschland in eine vertragliche Bindung eingewilligt hat.

215 Anker, Einigungsvertrag, S. 1066 (der allerdings die BRD an Art. 41 III EiV nur völkerrechtlich gebunden sieht). 16

Siehe oben S.

.

238

. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

Die gegen eine Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers durch Art. 4 und 7 EiV vorgetragenen Argumente greifen bei Art. 41 ΠΙ EiV nicht durch: Dem Wortlaut nach ist auch der verfassungsändernde Gesetzgeber gebunden. Eine vertragliche Bindung ist auch nicht etwa überflüssig, weil schon eine verfassungsrechtliche besteht. Art. 41 I EiV wurde nicht zum Bestandteil des Grundgesetzes erhoben, und die Bindung des einfachen Gesetzgebers an Art. 143 ΠΙ GG allein hindert diesen nicht, den den Art. 143 I I I GG nur ausfüllenden Art. 41 I EiV zu ändern 217 , solange dadurch nicht weitere Verstöße gegen Art. 14 GG (die dann nicht mehr von Art. 143 ΠΙ GG gedeckt wären) vorgenommen werden. Die Äußerung des Verhandlungsführers der Bundesrepublik Deutschland im BT-Ausschuß „Deutsche Einheit" gegen eine Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers 218 bezieht sich nur auf die im Einigungsvertrag vereinbarten GG-Änderungen. Zu Art. 41 I I I EiV, durch den das Grundgesetz ja nicht geändert wird, enthält seine Bemerkung daher nichts. Danach ist eine Begründung der Interpretation des Art. 45 EiV denkbar, derzufolge der soweit die Garantie reicht: auch verfassungsändernde - Gesetzgeber an Art. 41 I I I EiV gebunden ist. Der Parteiwille der Bundesrepublik Deutschland steht jedenfalls einer Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers durch Art. 41 I I I EiV nicht im Wege. Wegen des Wortlautes des Art. 41 ΙΠ EiV und wegen seiner systematischen Stellung außerhalb des Art. 4 EiV ist somit auch der verfassungsändernde Gesetzgeber an Art. 41 EiV gebunden.

f) Bindung durch Art. 41 EiV für Art. 146 GG n.F.? Wie bereits ausgeführt, ist im Verfahren des Art. 146 GG n.F. der (Art. 41) Einigungsvertrag nicht zu beachten, wenn man in Art. 146 GG n.F. den (gelungenen) Versuch der Positivierung des Pouvoir constituant sieht, und jedenfalls zu beachten (da Art. 41 ΙΠ EiV den nach Art. 79 GG verfassungsändernden Gesetzgeber bindet), soweit im Verfahren des Art. 146 GG n.F. auch gleichzeitig Art. 79 GG für anwendbar gehalten wird.

217 218

Siehe oben S. 154. BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 15. Sitzung, S. 470 C, D.

I. Bindungsirkung des Vertrages

239

Hier ist nur für die dritte Fallgruppe, in der Art. 146 GG n.F. als ein neben Art. 79 GG bestehendes, eigenständiges Verfahren interpretiert wird, zu untersuchen, ob auch in diesem Verfahren - was generell möglich ist - eine Bindung an Art. 41 EiV angestrebt ist. Dafür spricht der insoweit unbeschränkte Wortlaut des Art. 41 ΠΙ EiV. Auch die verfaßte Gewalt des Art. 146 GG n.F. ist Teil der Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland, die von ihr verabschiedete Verfassung Rechtsvorschrift. Dagegen spricht, daß bei dieser Interpretation des Art. 146 GG n.F. die Durchführung des in ihm vorgesehenen Verfahrens eine „Hintereinanderausführung" des Art. 23 S. 2 GG a.F. und des Art. 146 GG a.F. bewirkte. Bei einer Vereinigung durch Art. 146 GG a.F. wäre kein Vertrag zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik über den (teilweisen) Inhalt der zukünftigen gesamtdeutschen Verfassung geschlossen worden; dies hätte mit dem hinter Art. 146 GG a.F. stehenden Gedanken der Einheit durch gemeinsame Verfassungsgebung (und eben nicht durch Vertrag) sich nicht vereinbaren lassen. Dafür spricht auch, daß bei der Diskussion über den besten Weg zur Einheit Deutschlands der über einen Beitritts vertrag (in Zusammenhang mit Art. 23 S. 2 GG a.F.) und der über eine gemeinsame Verfassungsgebung als Alternativen gesehen wurden 219 . Folglich wäre es sinnwidrig, beim Verfahren nach Art. 146 GG n.F. (sofern man es als nachgeschobenes Verfahren nach Art. 146 GG a.F. auffaßt) eine Bindung an Bestimmungen des Einigungs Vertrages anzunehmen. Daß Art. 41 I I I EiV insoweit keine Ausnahmebestimmung enthält, kann leicht dadurch erklärt werden, daß die Vertragspartner Art. 146 GG n.F. anders interpretierten (in den beiden anderen möglichen Interpretationsfällen ist eine Wortlautergänzung ja überflüssig). Bei einem Verfahren nach Art. 146 GG n.F. besteht also nur dann und insoweit eine Bindung, als man von einer Anwendung des Art. 79 GG auch auf dieses Verfahren ausgeht.

1.2.3 Zusammenfassung Der einfache Gesetzgeber ist nur an Art. 41 EiV, an Nr. 1.2 des Protokolls, an die Einigungsvertrags-Gesetzgebungsdirektiven (soweit insofern von einer „Bindung" gesprochen werden kann) und an die Einigungsvertrags-Regelun-

219

So etwa der Vergleich von Gysi, in: Stenographische Niederschrift 20.9.1990, S. 296.

240

B. Bindungs Wirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

gen mit Übergangsfristen gebunden, an letztere nur insoweit, als er gehindert ist, früher als vorgesehen eine für die östlichen Länder oder ihre Bürger im Vergleich zum vorherigen Rechtszustand nachteilige Regelung einzuführen. Für Verfahren nach Art. 79 GG ist der verfassungsändernde Gesetzgeber an Art. 41 I, Π Ι EiV gebunden. Ob man in diesen Bindungen „Reservatrechte" der (fiktiven) Deutschen Demokratischen Republik sieht, hängt davon ab, wie man diese definiert 220 . Die Frage wäre zu bejahen, wenn unter Reservatrecht jedes vertragliche Recht eines Landes verstanden wird, das - auch - den Gesetzgeber des Bundes bindet. Sieht man als Reservatrecht nur Rechte aus Verträgen an, die neben, nicht unter der Verfassung stehen, begründet der Einigungsvertrag dagegen keine Reservatrechte (vor dem Beitritt noch nicht, weil da noch kein Bundesland der Bundesrepublik Deutschland Rechtsinhaber war; danach nicht, weil der Einigungsvertrag nur noch als innerstaatlicher Vertrag fortbesteht). Die Frage, ob der Einigungsvertrag Reservatrechte begründe 221 , entpuppt sich als terminologische.

2. Bindung der östlichen Bundesländer Ob die östlichen Bundesländer - ggf. wäre zu untersuchen, ob einschließlich Berlins - an den vertraglich geltenden Einigungsvertrag gebunden sind, ist vor allem von Interesse, wenn man Non self-executing-Vertragsbestimmungen nicht als objektives Recht betrachtet 222 , so daß die Länder nicht über Art. 31 GG, sondern nur vertraglich an entsprechende Vereinbarungen gebunden sein könnten. Eine Bindung der östlichen Länder bestünde auf jeden Fall, wenn sie Vertragspartner des Einigungsvertrages wären. Weder aber kam der Einigungsvertrag als staatsrechtlicher Vertrag von vornherein mit ihnen zustande 2 2 3 noch kann die Vertragsstellung der Deutschen Demokratischen Republik im Wege der Ländernachfolge auf sie übergegangen sein, weil dieser Übergang im Widerspruch zur Fiktion des Fortbestandes der Deutschen Demokratischen Republik (als Bundesland) stünde, mit der die Geltung des staatsrechtlichen Einigungsvertrages aber konstruiert wurde.

220

Vgl. oben S. 63.

221

Dafür Viehmann, S. 22; wohl auch Weis, Fragen, S. 15; dagegen Anker, Einigungsvertrag, S. 1063. 222

Vgl. Verdross/Simma,

223

Siehe oben S. 110.

§ 865 mit Anm. 34.

II. Bindungswirkung des Gesetzes

241

Selbst wenn das ZustGes. DDR in den östlichen Ländern als Landesrecht gelten sollte 224 , würde daraus keine vertragliche Bindung der Länder folgen. Schließlich bleibt die Möglichkeit, daß die Länder, ebenso wie sie nach dem Prinzip der beweglichen Vertragsgrenzen völkerrechtlich an die Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Völkerrechtssubjekten gebunden sind, auch an den Einigungsvertrag gebunden sind 225 . Da der Einigungsvertrag als völkerrechtlicher Vertrag mit dem Beitritt erloschen ist, könnten die Länder allenfalls (innerstaatlich) an den staatsrechtlichen Einigungsvertrag gebunden sein. Auf innerstaatliche Verträge ist aber das völkerrechtliche Prinzip, daß die Länder eines Bundesstaates durch die von diesem abgeschlossenen Verträge gebunden werden, nicht übertragbar, weil die Länder insoweit potentielle Vertragspartner des Bundes und ihm gleichgeordnet sind (sonst könnte im übrigen der Effekt eintreten, daß der Vertragspartner des Bundes durch den Abschluß durch seinen Vertragspartner und nicht nur durch seinen eigenen Vertragsschluß gebunden wird). Außerdem besteht kein Bedürfnis für eine einheitliche Vertretung durch den Bund 2 2 6 ; dies gilt erst recht für den Einigungsvertrag und die neuen Bundesländer, deren Interesse bei den Vertragsverhandlungen vor allem die Deutsche Demokratische Republik zu wahren versuchte. Die Länder sind daher auch nicht über die Vertragsbindung der Bundesrepublik Deutschland an den staatsrechtlichen Einigungsvertrag gebunden. Die östlichen Bundesländer sind somit nicht vertraglich an den Einigungsvertrag gebunden.

I I . Bindungswirkung des Gesetzes Im folgenden geht es nur um die Frage, ob für die Bindung durch den gesetzlich (i.V.m. Art. 1 ZustGes. BRD) fortgeltenden Einigungsvertrag Besonderheiten gegenüber der allgemeinen Bindungswirkung von Bundesgesetzen bestehen.

224 225 226

Dafür Fastenrath, Bindungswirkung, S. 432; dagegen bereits oben S. 167. Dies erwägt Fastenrath, Bindungs Wirkung, S. 430. Siehe oben S. 90.

16 Wagner

242

Β. Bindungsirkung der Einigungsvertrags-Regelungen

1. Bindung des Bundes Soweit der Einigungs vertrag (in Art. 3 - 7 EiV) Modifikationen des Grundgesetzes vorsieht, seien es Änderungen oder aufgeschobene Inkraftsetzung im Beitrittsgebiet, ist auch der Bundesgesetzgeber an den gesetzlichen Einigungsvertrag gebunden, da das ZustGes. BRD insoweit verfassungsänderndes Gesetz ist. Das gilt jedoch nicht für die anderen Einigungsvertrags-Bestimmungen, auch nicht für diejenigen, die als vertragliche den Bundesgesetzgeber binden, wie Art. 41 ΠΙ EiV. Da sie als objektives Recht wegen Art. 79 I GG nicht Verfassungsrang haben (können), gelten sie insofern nur im Rang eines einfachen Gesetzes. Daher kann dahinstehen, ob vertragliche Rechtsetzungsverbote überhaupt durch das Vertragsgesetz zu innerstaatlich unmittelbar geltendem Recht werden 227 . Der Bundesgesetzgeber ist an die anderen Einigungsvertrags-Bestimmungen auch nicht, wie Anker 2 2 8 erwägt, durch den Bundestreuegrundsatz (i.V.m. dem Gedanken des Art. 32 Π GG) gebunden. Auch mit Hilfe des Bundestreuegrundsatzes, der j a ein bestimmtes Rechtsverhältnis als Ausgangspunkt voraussetzt, kann nicht eine Pflicht des Bundes zum Bestehenlassen dieses zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses erzeugt werden, sondern nur eine Nebenpflicht, die folglich von der Existenz des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses - hier der EiV-Regelungen - abhängig ist (und nicht umgekehrt). Aus Art. 32 I I GG analog ließe sich allenfalls eine Verfahrensvorschrift für den Fall entnehmen, daß sich der Bund vom Einigungsvertrag lösen will; dies berührt jedoch die Frage der Bindungswirkung nicht und kann daher hier dahinstehen.

2. Bindung der östlichen Bundesländer Die östlichen Bundesländer sind grundsätzlich, soweit die Einigungsvertrags-Regeln durch Art. 1 ZustGes. BRD zu Bundesrecht wurden 229 , an den gesetzlichen Einigungs vertrag gebunden (Art. 31 GG) 2 3 0 .

227 Dafür Wengler y S. 925; dagegen könnte sprechen, daß sich Rechtsetzungsverböte ebensowenig wie -geböte an den einzelnen wenden und daher ebenso wie letztere zu den Non self-executing-Bestimmungen zählen könnten, die nach einer Literaturmeinung (statt vieler Verdross/Simmay § 865 Anm. 34) nicht durch das Vertragsgesetz zu objektivem Recht werden. 228 Anker, Einigungsvertrag, S. 1066 f. 229

D.h., je nach Lehrmeinung, nicht oder auch für die Non self-executing-Vereinbarungen. 230

Fastenrathy

Bindungs Wirkung, S. 430.

II. Bindungswirkung des Gesetzes

243

An Bestimmungen, deren Umsetzung in objektives Recht durch den Bund kompetenzwidrig wäre, sind die Länder nicht gebunden. Ausnahmsweise nicht gebunden sind die östlichen Bundesländer durch diejenigen Bestimmungen des gesetzlichen Einigungsvertrages, die die Geltung von Landesrecht in den östlichen Ländern regeln 231 . Dies folgt bereits daraus, daß insoweit die Kompetenz des Bundes nur für die erstmalige Inkraftsetzung von Regeln bestand, also stärker bindende Regeln bereits kompetenzwidrig und damit nichtig wären. Eines Rückgriffes auf Art. 44 EiV und den Satz „volenti non fit iniuria" 232 bedarf es dazu nicht.

231

Viehmann, S. 23 (beschränkt auf Anlage II EiV und Landesrecht nach der Vereinbarung vom 18.9.1990). 232 So Fastenrath, Bindungswirkung, S. 431 (allerdings für die vertragliche Bindungswirkung).

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen I. Änderbarkeit des Vertrages Staatsrechtliche Verträge können durch die Vertragspartner abgeändert werden. Das folgt schon daraus, daß sie regelmäßig Dauerpflichten enthalten und solche Verträge stets beendet werden können müssen. Außerdem ist der zukünftige gemeinsame Parteiwille ebenso beachtlich wie der vergangene. Eine solche Änderung des Einigungsvertrages könnte vor allem dann relevant werden, wenn Bestimmungen, die den Gesetzgeber binden, geändert werden sollen und dafür keine für eine Grundgesetz-Änderung notwendige 2/3-Mehrheit in Bundesrat und Bundestag vorhanden ist. Da der eine Partner des Einigungsvertrages, die Deutsche Demokratische Republik, aber nicht mehr existiert, ist zunächst zu fragen, ob und ggf. mit wem der Einigungsvertrag noch geändert werden kann. Bejahendenfalls stellt sich weiter die Frage, ob diese Rechtssubjekte über alle Rechte gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, die sich aus dem Einigungsvertrag ergeben, bei Vertragsänderungen verfügen können.

1. Partner der BRD für eine Änderung Für die Beantwortung der Frage, mit wem die Bundesrepublik Deutschland den Vertrag ändern kann, könnte von Interesse sein, wer Rechtsnachfolger der Deutschen Demokratischen Republik ist, aus welchen Gründen der Vertrag fortgilt und wer aus dem Vertrag berechtigt ist.

1.1 Rechtsnachfolger der DDR Ein Rechtsnachfolger der Deutschen Demokratischen Republik in ihre Stellung als Partner des Einigungsvertrages existiert nicht. Da der Fortbestand des Einigungsvertrages konstruktiv durch die Fiktion des Fortbestandes der Deutschen Demokratischen Republik erreicht wird, kann insoweit keine Nachfolge eintreten, weil die Deutsche Demokratische Republik als nicht untergegangen gilt.

I. Änderbarkeit des Vertrages

245

1.2 Herleitung der Partner aus Gründen für den Vertragsfortbestand Aus den Gründen, die überzeugend für einen Fortbestand des Vertrages sprechen, könnten Anhaltspunkte auch dafür gewonnen werden, wer an Stelle der Deutschen Demokratischen Republik für Vertragsänderungen zuständig ist. Sofern eine bestimmte Rechtsprechungslinie ein Grund ist, könnte ferner von Interesse sein, wer damals als für den als fortbestehend fingierten Vertragspartner handlungsbefugt angesehen wurde. Gründe für einen Fortbestand waren in erster Linie die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zur Gemeindeeingliederung und der Parteiwille, daneben Parallelen zu Art. 29 GG, 34 W K (Wiener Übereinkommen über Staatennachfolge in Verträge) und zum Schicksal der Staatsverträge der Südweststaaten der Bundesrepublik Deutschland.

1.2.1 Coburg-Rechtsprechung a) Gründe der Rechtsprechung Das Bundesverfassungsgericht stützte seine Coburg-Rechtsprechung auf zwei berechtigte 1 Gründe, jeweils in Verbindung mit dem - hier separat untersuchten - Partei willen: Jedes Recht sei gerichtlich zu schützen, und Art. 94 I Nr. 4 GG erfordere ein geschlossenes Rechtsschutzsystem. Der erste Grundsatz erlaubt keine Folgerung für die Frage, durch wen das Recht zu schützen sei, und damit auch nicht für die Problematik, wer darüber verfügen darf. Zu dem Argument aus Art. 94 I Nr. 4 GG hat das Gericht im ersten Coburg-Urteil selbst bemerkt, möglicherweise verstoße gegen die dadurch vorgegebene Systematik, wenn das Antragsrecht auf mehrere, jeweils einzeln klagebefugte Personen aufgespalten würde 2. Föderale Streitigkeiten, für die Art. 94 I Nr. 4 GG umfassenden Rechtsschutz gewährt, würden im Fall des Einigungsvertrages zwischen Bund und fiktiver Deutscher Demokratischer Republik bestehen; außer dem Bund wäre daher nur ein Antragsberechtigter für das Verfahren vorhanden. Das könnte dafür sprechen, daß auch an Stelle der fiktiven Deutschen Demokratischen Republik nur einheitlich Rechte

1 2

Siehe oben S. 129 f. BVerfGE 22, 221 (232).

246

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

wahrgenommen werden dürfen — aber von wem, ist für Art. 94 I Nr. 4 GG irrelevant. Denn den föderalen Charakter erhält die Streitigkeit bereits dadurch, daß sie, dem Rechtsträger nach, zwischen Bundesrepublik Deutschland und (fiktiver) Deutscher Demokratischer Republik besteht. Es liegt nahe, das für die Antragsbefugnis gewonnene Ergebnis auch auf die Problematik der Handlungsbefugnis für die Vertragsänderung zu übertragen. Dies gilt insbesondere, wenn man die Klagebefugten, wie das Bundesverfassungsgericht in besagtem Urteil, „gleichsam" als „gesetzliche Vertreter" des eingegliederten Landes ansieht3. Denn gesetzliche Vertreter haben in der Regel umfassend das Recht, für den Vertretenen rechtswirksam zu handeln. Wie die Rechtsstellung der zur Vertragsänderung und Rechtswahrung Befugten dogmatisch einzuordnen ist, sollte allerdings erst beurteilt werden, wenn geklärt ist, wer für die Deutsche Demokratische Republik insoweit handelt. Generell spricht für eine Identität zwischen Antragsberechtigtem und Verfügungsbefugtem, daß die prozessuale Befugnis und die materielle Verfügungsbefugnis in der Regel in einer Person vereinigt sind. Daß diese hier nicht mit dem Rechtsinhaber übereinstimmen kann, ist kein Grund, die grundsätzliche Einheit der Handlungsbefugnisse sonst aufzuheben. Aus dem Argument der Coburg-Rechtsprechung vom „geschlossenen Rechtsschutzsystem" folgt daher (nur), daß die Änderungsbefugnis einheitlich auszuüben ist — für die Verfügungsbefügnis bringt die von der Klagebefugnis übertragene Aussage somit keine gewichtigen neuen Erkenntnisse. Mehr kann der Begründung der Coburg-Rechtsprechung für die Frage des Verfügungsberechtigten nicht entnommen werden.

b) Antragsbefugnis

laut Bundesverfassungsgericht

In den Lippe-Entscheidungen hält das Bundesverfassungsgericht für antragsbefugt den Landesverband Lippe, eine Selbstverwaltungskörperschaft zur Förderung der kulturellen Belange und der Wohlfahrt der Bürger des untergegangenen Landes, und zwei Kreise, nicht dagegen Städte im Gebiet des untergegangenen Landes. Zur Begründung führt es an, nur der Verband und die Kreise hätten gesetzliche Aufgaben zur Repräsentation der Lippeschen Bürger (die Kreise verfügten über ein Anhörungsrecht bei Rechtsangleichungsmaßnahmen); für den Landesverband betont es ferner, dessen Gebiet decke

3

BVerfGE 22, 221 (230).

I. Änderbarkeit des Vertrages

247

sich mit dem des untergegangenen Landes, und er habe den größten Teil des Vermögens des Landes erhalten 4. In einer späteren Entscheidung, die auf die Lippe-Ausführungen Bezug nimmt, faßt es seine früheren Ausführungen wie folgt zusammen: Antragsbefugt seien die obersten öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften5. Im ersten Coburg-Urteil sah es grundsätzlich nur die obersten Selbstverwaltungskörperschaften gemeinsam als antragsbefugt an, die das Gebiet des untergegangenen Landes praktisch vollständig erfassen 6. Da die Körperschaften sich nicht gegenseitig dazu zwingen könnten mitzuklagen, sei nur wesentlich, daß sich wenigstens ein Kläger unter den Antragsbefugten finde, solange die übrigen keine Klage mit erheben wollten; denn das Beharren auf einem Antrag aller Antragsbefugten stelle sonst eine Gerichtsschutzverweigerung dar 7. Die Antragsbefugnis einer Stiftung lehnte das Bundesverfassungsgericht ab, weil diese keine Gebietskörperschaft sei, nicht die ganze Bevölkerung und nicht umfassend repräsentiere und weil sie vom eingliedernden Staat abhängig sei8. Das zweite Coburg-Urteil folgt, was die Antragsbefugnis betrifft, dem ersten vollständig9. In der dritten Coburg-Entscheidung hält das Bundesverfassungsgericht auch kreisangehörige Kommunen für antragsbefugt, die durch das vertragliche Recht, dessen Verletzung gerügt wird, betroffen sind; zur Begründung heißt es, ihre Beteiligung sei sinnvoll 10 . Im (ersten) Waldeck-Pyrmont-Urteil schließlich wird ein gemeinsamer Antrag aller obersten Selbstverwaltungskörperschaften, die heute die Bevölkerung des Gebietes des untergegangenen Landes repräsentieren, nicht mehr für erforderlich, sondern ein Antrag allein durch diejenige dieser Körperschaften, deren Interesse im Rechtsstreit berührt sei, für ausreichend gehalten; denn hier bestünde auch so nicht die Gefahr mehrerer Anträge zum selben

4

BVerfGE 3, 267 (280).

5

BVerfGE 13, 54 (86).

6

BVerfGE 22, 221 (231 f.).

7

BVerfGE 22, 221 (232 f.).

8

BVerfGE 22, 221 (233).

9

BVerfGE 34, 216 (227).

10

BVerfGE 38, 231 (237).

248

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

Gegenstand11. Die Antragsbefugnis eines Kreises, der neben dem Gebiet von (Waldeck-)Pyrmont noch weit mehr erfaßte, wurde abgelehnt. Versucht man, hieraus eine einheitliche Formel für die Antragsbefugnis zu entwickeln, könnte diese etwa lauten: Antragsbefugt sind diejenigen obersten Gebietskörperschaften mit umfassendem Wirkungskreis, deren Gebiet innerhalb (oder allenfalls auch geringfügig außerhalb) des Gebiets des untergegangenen Landes liegt. Grundsätzlich haben nur alle dieser Körperschaften gemeinsam das Antragsrecht; unerheblich ist aber, ob sich einige von ihnen weigern, von ihrem (Mit-)Antragsrecht Gebrauch zu machen. Ausnahmsweise haben einzelne Körperschaften ein alleiniges Antragsrecht, wenn ein Rechtsstreit nur ihre Interessen berührt (im Verhältnis zu den übrigen potentiell Antragsberechtigten). Neben den genannten sind ferner auch niederrangige öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften antragsbefugt, die durch die angebliche Vertragsverletzung betroffen sind. In dieses Schema lassen sich alle Ergebnisse der Coburg- und WaldeckPyrmont-Entscheidungen einfügen. Etwas problematisch ist, ob danach in den Lippe-Entscheidungen nicht nur der Landesverband (als „höherrangig" als die Kreise) oder nur die Kreise (als Körperschaften mit umfassendem Aufgabenbereich) für antragsbefugt hätten gehalten werden müssen. Auch findet sich nur dort das Abgrenzungskriterium der auf die Vertretung der Bürger des untergegangenen Landes bezognen besonderen Repräsentationsbefugnisse. Daß das Bundesverfassungsgericht jedoch bereits in seiner späteren Zusammenfassung der Lippe-Ausführungen und in den Coburg- und den WaldeckPyrmont-Entscheidungen auf dieses Kriterium nicht mehr zurückgegriffen hat, zeigt, daß es selbst Abstand davon genommen hat (da der Rückgriff bereits in der Zusammenfassung der Lippe-Ausführungen fehlt, ist auch nicht denkbar, daß das Kriterium nur mangels Zuweisung besonderer gesetzlicher Repräsentationsbefugnisse bei der Eingliederung Coburgs und WaldeckPyrmonts nicht einschlägig war). Bevor die Ergebnisse auf die Befugnis zur Vertragsänderung übertragen werden, sei gefragt, ob sie - für das Antragsrecht - gebilligt werden können. Daß eine grundsätzlich einheitliche Antragsbefugnis aus der Ableitung der Vertragsexistenz aus Art. 94 I Nr. 4 GG plausibel ist, wurde bereits dargelegt 12 . Neben reinen Praktikabilitätsgründen (Verminderung der Zahl der - gemeinsam - Antragsberechtigten) spricht für eine Antragsbefugnis der obersten Gebietskörperschaften auf dem Gebiet des ehemaligen Landes, daß

11

BVerfGE 42, 345 (356).

12

Siehe oben S. 245.

I. Änderbarkeit des Vertrages

249

diese von ihrer Funktion her am ehesten dem untergegangenen Vertragspartner entsprechen; sie werden daher noch weitgehend ähnliche Interessen haben, während niederrangigere Körperschaften bei der Rechtswahrung in viel stärkerem Maße Anlaß hätten, von denen des (früher) übergeordneten Landes abweichende zu verfolgen. Es bleibt also der föderale Charakter des Rechtsstreits auch bei der Durchführung, nicht nur vom Ausgangspunkt, des Verfahrens so weitgehend, wie möglich, gewahrt. Die Ausnahme, daß die Mitwirkung eines Mitantragsberechtigten nicht das Klagerecht der übrigen beeinträchtigt, ist gerechtfertigt. Denn sonst könnte, da die Mitklage nicht erzwungen werden kann, das Ziel der Vertragsfortgeltung, nämlich gerichtlichen Schutz für jedes Recht zu ermöglichen, durch einen Mitantragsberechtigten blockiert werden. Problematisch ist die Ausnahme im Fall des allein betroffenen Interesses. Ihr Tatbestand ist unscharf, da nur in seltenen Fällen mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß eine Vertragsverletzung nicht auch die Mitantragsbefugten betrifft 13 . Vor allem ist eine Ausnahme vom Grundsatz der einheitlichen Antragsbefugnis nur zuzulassen, wenn sie notwendig ist, damit der Grundsatz nicht unnötig ausgehöhlt wird. Notwendig ist diese Ausnahme aber nicht; denn wenn tatsächlich nur ein Mitantragsberechtigter sich betroffen fühlt und die anderen nicht ebenfalls Klage erheben wollen, greift bereits die vorgenannte Ausnahme ein. Die Antragsbefugnis niederrangiger Selbstverwaltungskörperschaften kommt nach den bisherigen Ausführungen nur als subsidiäre zu der der (Haupt-)Antragsbefugten in Frage, nämlich wenn von letzteren keiner deren rechtliche Interessen vertritt. In diesem Fall spricht wiederum der Leitgedanke des gerichtlichen Rechtsschutzes dafür, die niederrangige betroffene Selbstverwaltungskörperschaft als Antragsbefugte zuzulassen. Daß ihre Beteiligung sonst „sinnvoll" ist, mag für ihre Beiladung zum Verfahren sprechen, stellt aber keine Notwendigkeit dar, den Grundsatz der einheitlichen Ausübung des Antragsrechts zu durchbrechen. Forderte man dagegen eine einheitliche Ausübung des Antragsrechts der Hauptantragsberechtigten und der Betroffenen (so daß der genannte Einwand nicht durchgriffe), wären die ersteren in ihrer Befugnis beschränkt. Darin läge aber eine Inkonsequenz gegenüber dem Gedanken, (um der Wahrung des föderalen Charakters auch der Durchführung des Rechtsstreits willen) gerade nur die obersten Selbstverwaltungskörperschaften für antragsbefugt zu halten; statt dessen (bzw. zusätzlich) würde dann auch noch das Betroffenheitskriterium angewandt. Gegen

13

Preisfrage: Beträfe eine Verletzung des Art. 2 I 1 EiV die fünf neuen Länder?

250

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

das Betroffenheitskriterium selbst spricht, daß die Parteien selbst es in der Hand haben sollten, durch die Entscheidung, ob der Vertrag Dritte berechtigen (oder nur begünstigen) soll, über deren Klagebefugnis zu entscheiden. Niederrangige betroffene Selbstverwaltungskörper schatten sollten daher nur subsidiär zu den obersten Gebietskörperschaften antragsbefugt sein. Überträgt man die Verfassungsrechtsprechung zur Antragsbefugnis auf die allgemeine Befugnis, für die fiktive Deutsche Demokratische Republik mit materiellrechtlicher Wirkung zu handeln, so folgt daraus für eine Vertragsänderung: Grundsätzlich müssen ihr alle obersten Gebietskörperschaften auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zustimmen. Dies sind auf jeden Fall die fünf neuen Bundesländer. Problematisch ist, durch wen die Ost-Berliner Bevölkerung repräsentiert wird. Drei Alternativen sind denkbar: durch das Land Berlin, durch die Ost-Berliner Bezirke oder durch niemanden. Die dritte Alternative könnte nur gerechtfertigt werden mit den ersten beiden Coburg-Entscheidungen, in denen auf eine Repräsentation eines geringfügigen Teils Coburger Gebietes, das nicht zum Gebiet der Antragsteller gehörte, verzichtet wurde 14 . Dagegen spricht die mangelnde Vergleichbarkeit dieses Gebietes - sowohl, was seine geringe Fläche, als auch, was seine verschwindend geringe Bevölkerungszahl (jeweils gemessen an der des eingegliederten Gebietes) betrifft - mit dem Ost-Berlins, wo mehr als 5% der Bevölkerung des Gebietes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik leben. Gegen eine Repräsentation durch das Land Berlin spricht, daß dieses - wie im Waldeck-Pyrmont-Fall der für nicht antragsbefugt gehaltene größere Kreis 15 - sowohl von der Räche als auch von der Einwohnerzahl her einen größeren Anteil in West-Berlin aufweist (dieser Einwand bestünde nach einer Vereinigung der Länder Berlin und Brandenburg nicht mehr). Insbesondere könnte also die Ost-Berliner Bevölkerung (bzw. ihre Vertreter) nicht gegen den Willen der West-Berliner eine Klage Berlins vor dem Bundesverfassungsgericht bzw. eine bestimmte Haltung in Vertragsänderungsverfahren durchsetzen. Gegen eine Repräsentation durch die Ost-Berliner Bezirke spricht dagegen, daß diese als Gebietskörperschaft nicht denselben Rang haben wie die neuen

14

BVerfGE 22, 221 (231 f.).

15

BVerfGE 42, 345 (356).

I. Änderbarkeit des Vertrages

251

Bundesländer 16. Andererseits gibt es (nur) für das Ost-Berliner Gebiet keine höherrangigen Gebietskörperschaften. Zu welcher der beiden Repräsentationsalternativen das Bundesverfassungsgericht eher neigen würde, ist schwer vorauszusagen, da eine vergleichbare Situation weder im Lippe- noch im Coburg- noch im Waldeck-Pyrmont-Fall vorlag. Daß es - wenn auch in anderem Zusammenhang, nämlich mit der Betroffenheit - niederrangige neben höherrangigen Gebietskörperschaften für antragsbefugt hielt 17 , spricht allerdings dafür, daß das Gericht den Rangunterschied als weniger hinderlich ansähe als das Majoritätsproblem. Daher kann davon ausgegangen werden, daß nach dem Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts die fünf neuen Bundesländer und - bis zu einer Vereinigung Berlins und Brandenburgs: auch - die Ost-Berliner Bezirke (ggf. statt deren: das Land Berlin) gemeinsam zu einer Vertragsänderung befugt wären. Die Annahme, daß nicht mitwirkungswillige Antragsbefugte das Handlungsrecht der übrigen nicht einschränken, kann auf die Befugnis zur Vertragsänderung nicht übertragen werden. Denn die Ratio dieser Ausnahme, daß sonst der den Vertragsfortbestand begründende gerichtliche Schutz jeden Rechts vereitelt werden könnte, hat kein Pendant bei der Vertragsänderung: Daß der Vertrag geändert werden kann, ist keine essentielle Voraussetzung für seinen Fortbestand; der Fortbestand bleibt auch sinnvoll, wenn der Vertrag nicht geändert wird. Der Verzicht auf Mitwirkung würde hier, anders als beim Verzicht auf Mitklage, bedeuten18: Dem Mitwirkungsbefugten werden Rechte, über die er (grds.) mit verfügen darf, entzogen. Er erleidet also, anders als beim Klageverzicht, gegenüber seiner grundsätzlichen Befugnis einen Nachteil. Es müssen also alle genannten Repräsentanten der Deutschen Demokratischen Republik zusammenwirken bei einer Vertragsänderung. Die vom Bundesverfassungsgericht für betroffene niederrangige Gebietskörperschaften vorgesehene Ausnahme bedeutete, auf die Befugnis zur Vertragsänderung übertragen: Die Änderungsberechtigten benötigten zur Änderung von Vertragsbestimmungen, die bisher solche Körperschaften begünstigten, deren Zustimmung für eine Änderung. Hier wird erneut sichtbar, daß diese Ausnahme gegen den Grundsatz verstößt, daß es dem Willen der Vertragspartner überlassen ist, echte Rechte Dritter zu schaffen, die der Verfü-

16

Die Ranggleichheit betont in der Coburg-Rechtsprechung BVerfGE 22, 221 (231 f.). 17 18

BVerfGE 38, 231 (237).

Bei einer Vertragsänderung zu Lasten der Deutschen Demokratischen Republik; neue Verpflichtungen kann die Bundesrepublik Deutschland auch in einem eigenständigen Vertrag mit den Änderungswilligen eingehen, so daß insoweit kein Bedürfnis nach einer Mitwirkung besteht.

252

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

gungsgewalt der Vertragspartner (bzw. der für sie Handelnden) entzogen sind. Die vom Bundesverfassungsgericht bei alleinigem Interesse zuerkannte Einzelantragsbefugnis bedeutete, daß Vertragsbestimmungen, die ausschließlich das Interesse eines Änderungsberechtigten berühren, von diesem allein (für die Deutsche Demokratische Republik) mit der Bundesrepublik Deutschland geändert werden könnten. Wäre die Befugnis nur subsidiär, so würde sie die Änderungsbefugnis der anderen Änderungsbefugten dagegen nicht verdrängen; denn die Ausnahme für nicht Mitwirkungswillige ist, wie soeben gezeigt, auf die Änderungsbefugnis nicht übertragbar. Gegen die Auswirkung dieser Ausnahme auf die Vertragsänderung spricht wiederum, daß dadurch der einzelne Änderungsberechtigte, unabhängig vom Willen der Vertragspartner, ein eigenes Recht eingeräumt erhielte, da nämlich die Änderungsberechtigten, die die Änderungsrechte der Deutschen Demokratischen Republik wahrnehmen, zusammen darüber nicht mehr verfügen können. Außerdem wird für Vertragsänderungen regelmäßig nicht nur das Interesse an der Einhaltung der vereinbarten Regelung, sondern - um für die Änderungsverhandlungen eine Verhandlungsmasse zu haben - auch das Interesse an einer Verfügbarkeit über das vertragliche Recht wichtig sein; ein solches Interesse hat aber nicht nur die durch die Regelung betroffene Körperschaft, sondern haben alle Änderungsbefugten.

c) Zusammenfassung Aus der Begründung der Vertragsfortgeltung in der Coburg-Rechtsprechung folgt nur, daß das Änderungsrecht einheitlich auszuüben ist. Die Übertragung der Coburg-Rechtsprechung zur Antragsbefugnis hat zur Folge, daß grundsätzlich die neuen Bundesländer und (bis zu einer Vereinigung Berlins mit Brandenburg) die Ost-Berliner Bezirke (eventuell statt dessen: das Land Berlin) gemeinsam änderungsbefugt für die Deutsche Demokratische Republik sind. Ferner - insoweit aber von einem unzutreffenden Ausgangspunkt aus - müßten einer Änderung auch Gebietskörperschaften niedrigeren Ranges zustimmen, wenn sie durch die zu ändernde Regelung betroffen werden, und wäre für die Änderung, die nur das Interesse einiger der (Haupt-)Änderungsbefugten berührt, nur deren Zustimmung erforderlich.

I. Änderbarkeit des Vertrages

253

1.2.2 Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zur Gemeindeeingliederung Der Staatsgerichtshof liefert dafür, daß er die alte Gemeinde im Streit um die Wirksamkeit der Eingliederung als fortbestehend ansieht, keine Begründung 19 , aus der etwa Folgerungen für die Problematik des Kreises der Änderungsberechtigten entnommen werden könnten. Für klagebefugt hält er die untergegangene Gemeinde ohne nähere Ausführungen zu der Frage, durch wen sie vertreten wird. Dies geht aus den veröffentlichten Entscheidungen20 auch nicht hervor. Auch insoweit sind Folgerungen für die Bestimmung der Änderungsberechtigten daher nicht möglich. Frowein behauptet, der vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen Lehre zum Eingemeindungsrecht entspreche es, jeweils (auch) der konkret betroffenen Selbstverwaltungskörperschaft die Antragsbefugnis zuzuerkennen 21 . Als Beleg führt er eine Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1934 an. Damals hatte das Gericht den eingegliederten Ortsteil der neuen Gemeinde in einem Streit um die Auseinandersetzung für klagebefugt gehalten und als handlungsfähige Vertreter des Ortsteils alle (Gutsbesitzer), die sachlich an der strittigen Rechtsfrage beteiligt waren, in notwendiger Streitgenossenschaft angesehen; abgelehnt hatte es sowohl eine gemeinsame Klagebefugnis aller Einwohner des Ortsteils als auch die der Organe der alten Gemeinde22. Es wurde bereits darauf hingewiesen23, daß nach einer Gemeindeeingliederung keine Selbstverwaltungskörperschaften innerhalb der neuen Gemeinde, die die kleinste Gebietskörperschaft ist, bestehen, so daß zwangsläufig andere Personen für handlungsbefugt angesehen werden müssen. Darauf, daß das Preußische Oberverwaltungsgericht, wenn nur Organe anderer Selbstverwaltungskörperschaften (noch) bestanden hätten, diese für klagebefugt erachtet hätte, mag hindeuten, daß es vorrangig vor der Befugnis der sachlich Beteiligten die der Organe der alten Gemeinde prüfte. Im übrigen spricht die kategorische Ablehnung einer Klagebefugnis der Einwohner des eingegliederten Gebietes in ihrer Gesamtheit gerade gegen

19

Siehe oben S. 41.

20

StGH (11.12.1929); StGH, in: RGZ 134, Anh. S. 12; StGH (12.1.1922).

21

Frowein,

22

PrOVGE 93, 41 (42).

23

Siehe oben S. 125.

Eingliederungsvertrag, S. 17.

254

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

Froweins These: Die Vereinbarungen in Eingemeindungsverträgen - im vom Preußischen Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall ging es nicht um vertragliche Rechte, sondern um die durch zwingendes Recht geregelte Auseinandersetzung - betreffen, anders als die Vermögensauseinandersetzung, in der Regel nicht einen von vornherein abgrenzbaren Kreis der Einwohner (im Fall: die Grundvermögenseigentümer), sondern die Allgemeinheit, so daß das Kriterium der sachlichen Betroffenheit regelmäßig nicht zu einer wesentlichen Einengung des Kreises der Handlungsberechtigten, die das Gericht aber gerade erstrebte, führte. Schließlich spricht die Betonung der notwendigen Streitgenossenschaft derjenigen, die das Gericht für handlungsbefugt hielt, gegen Froweins These, die betroffenen Selbstverwaltungskörperschaften seien „auch" antragsbefugt. Der Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts kann somit nicht entnommen werden, daß bei Streitigkeiten aus Ländereingliederungsverträgen die konkret Betroffenen (Selbstvervaltungskörperschaften) handlungsbefugt sind. Der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zum Eingemeindungsrecht kann somit für die Frage, wer für die Deutsche Demokratische Republik den Vertrag ändern kann, nichts entnommen werden.

1.2.3 Parteiwille Einige der anderen Argumente, die für die Fortgeltung des Vertrages sprechen, verweisen auf den Parteiwillen bzw. sind nur im Zusammenhang mit ihm bedeutsam. Schon deshalb ist der Parteiwille wichtig. Er wäre es umso mehr, wenn man die staatsrechtliche Regelung, wer nach der Eingliederung fortbestehende Rechte des untergegangenen Partners aus dem Eingliederungsvertrag wahrnimmt, für dispositiv hielte. Zu untersuchen ist einerseits, ob die Parteien sich Vorstellungen über die Person des bzw. der Änderungsberechtigten gemacht hatten, und andererseits, ob und ggf. was aus ihrer Vereinbarung über die Rechtswahrung (Art. 44 EiV) für die Änderungsbefugnis folgt. Für einen direkt auf den Kreis der für die Deutsche Demokratische Republik Änderungsberechtigten bezogenen Willen einer Partei gibt es zwei Anhaltspunkte. Zum einen war bis einschließlich 1.8.1990 im (heutigen) Art. 45 EiV ein Absatz IV geplant, demzufolge der Vertrag durch ein Gesetz geändert werden könne, dem die Parlamente der Bundesrepublik Deutschland und der im (heutigen) Art. 1 EiV genannten Länder, jeweils mit 2/3-Mehrheit, zugestimmt haben. Die (DDR-)Autoren hielten den Vertrag danach für durch ein

I. Änderbarkeit des Vertrages

255

Gesetz abänderbar, also - zumindest nach dem Beitritt - für objektives Recht (denn Gesetze können Verträge ggf. nichtig werden lassen, nicht aber vertragliches Recht schaffen). Das ist mit der von den Parteien schließlich gewollten vertraglichen Fortgeltung unvereinbar. Aus diesem Grund konnte „Art. 45 I V EiV" nicht verwirklicht werden. Immerhin bleibt er insoweit von Interesse, als er die Gebietskörperschaften nennt, die an der Änderung zu beteiligen sein sollten: Danach mußten, abgesehen von der Bundesrepublik Deutschland, Organe aller neuen Bundesländer und Berlins - diese Länder nennt Art. 1 EiV - zustimmen. Von der Übernahme der Vorschrift in den Einigungsvertrag wurde nicht abgesehen, weil gegen den Kreis der änderungsberechtigten Gebietskörperschaften Bedenken bestanden. Andererseits mußten sich die Vertragspartner über die Frage, wer änderungsbefugt sein sollte, auch gar nicht erst einigen, weil „Art. 45 I V EiV" schon aus anderen Gründen nicht realisiert wurde. Die genannte Vorschrift läßt somit nur den Schluß darauf zu, wer nach Vorstellungen der Deutschen Demokratischen Republik änderungsbefugt für sie sein sollte: alle in Art. 1 EiV genannten Länder zusammen. Ein zweiter Anhaltspunkt, diesmal erfreulicherweise auf Seiten der Bundesrepublik Deutschland, ist die Einschätzung eines Abgeordneten im BTAusschuß „Deutsche Einheit": Nach dem Beitritt existiere kein Partner für die Vertragsänderung mehr 24 . Er fragte ferner, ob deshalb nicht nur sehr sparsam bindende Bestimmungen in den Einigungsvertrag aufgenommen werden sollten. Daß seine erste Einschätzung auch der des Verhandlungsführers der Bundesrepublik Deutschland entsprach, geht aus dessen Antwort hervor: Er verdeutlichte, daß der Einigungsvertrag nur sehr wenige bindende, also unabänderliche Bestimmungen enthalte25. Dieser Hinweis wäre überflüssig gewesen, wenn er bereits den Einigungsvertrag für änderbar gehalten hätte. Ein übereinstimmender Parteiwille der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland direkt zum Kreis der Änderungsberechtigten ist somit nicht feststellbar. Das überrascht nicht, da im Vertrag diese Frage nicht geregelt wurde und die Vertragspartner daher auch keinen konkreten Anlaß hatten, sie eingehender zu erörtern. Mangels einer Fixierung im verabschiedeten Vertrag ist schließlich auch zweifelhaft, ob die im Laufe des Ratifizierungsverfahrens beiläufig gefallenen Äußerungen (auf bundesdeutscher Seite) bzw. die Folgerung aus einem im frühen Verhandlungsstadi-

24

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 15. Sitzung, S. 469 C.

25

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 15. Sitzung, S. 470 D f.

256

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

um (von DDR-Seite) vorgelegten Entwurf überhaupt den Willen der Partner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wiedergeben. Deshalb bietet es sich an - wiederum unter der Prämisse, prozessuales Recht und Verfügungsbefugnis lägen grundsätzlich in einer Hand - , aus der Vertragsbestimmung über die prozessuale Rechtswahrung einen übereinstimmenden Parteiwillen auch zur Änderungsbefugnis abzuleiten. Zur prozessualen Geltendmachung der vertraglichen Rechte der Deutschen Demokratischen Republik ist jedes der in Art. 1 EiV genannten, also der fünf neuen Länder (Art. 1 I EiV) und Berlins (Art. 1 I I EiV), je für sich, befugt — dies ist der an sich eindeutige Wortlaut des Art. 44 EiV 2 6 . Dennoch sind zahlreiche Autoren der Ansicht, die Befugnis des Art. 44 EiV besäßen nur die neuen Länder 27 oder - was dasselbe ist, da Berlin kein neues Bundesland ist, sondern nur sein Ostgebiet zurückerhielt - die fünf neuen Länder 28 . Allerdings ist bei der ersten Autorengruppe immerhin der Zweifel möglich, ob sie nicht auch Berlin zu den neuen Ländern zählen, wie es vereinzelt geschieht29, und daher in Wahrheit dem Wortlaut des Art. 44 EiV nicht untreu werden. Eine Begründung für die vom Wortlaut abweichende Meinung wird nicht gegeben. Dagegen, die Verweisung des Art. 44 EiV nur auf den ersten Absatz des Art. 1 EiV zu beziehen, spricht, daß im Einigungsvertrag an anderer Stelle, an der nur die fünf neuen Länder bezeichnet werden sollen, ausdrücklich auf Art. 1 I EiV verwiesen wird (Art. 9 V, 14 I 1, 15 I 1 und 3, ΠΙ 1, 23 V I 2, 35 V I 3, 36 I 1, ΠΙ 2 und I V 2, 43 EiV). Daraus ist zu schließen, daß Verweise auf die in Art. 1 EiV genannten Länder auch auf Berlin zu beziehen sind. Gegenüber diesem klaren Wortlaut- und Systematik-Argument müßte schon ein sehr eindeutiger Parteiwille erkennbar sein, um zu einem anderen Auslegungsergebnis zu führen. Auf seiten der Deutschen Demokratischen Republik findet sich eine einzelne Äußerung des Ministerpräsidenten, nach der der Vertrag die Rechte der Bürger der fünf neuen Länder wahrt 30 . Er wollte mit dieser Äußerung nicht

26

So auch Anker, Einigungsvertrag, S. 1064; Viehmann, S. 22; Weis, Fragen, S. 16.

27

Bindungswirkung, 430; Klein, Bundesstaatlichkeit, S. 37 f.; Schulze,

Fastenrath, S. 2456. 28

Klein, Einigungsvertrag, S. 571.

29

Weis, Fragen, S. 16.

30

Stenographische Niederschrift 6.9.1990, S. 160.

I. Änderbarkeit des Vertrages

257

Art. 44 EiV interpretieren, sondern nur umschreiben, daß der Einigungsvertrag die Interessen der Bürger der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wahre. Mit dem appellativen Sinn seiner Rede wäre eine Interpretation unvereinbar, derzufolge der Ministerpräsident betonen wollte, daß der Einigungsvertrag für Bürger Ost-Berlins, also der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, keine Rechte wahre. Ministerpräsident de Maizière benutzte den Ausdruck der „fünf neuen Länder" also als Synonym für das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Dies geschah in der Umgangssprache nicht selten. Die Äußerung des Ministerpräsidenten gibt daher nichts dafür her, daß nur die fünf neuen Länder klagebefugt sein sollten. Die Begründung des Einigungsvertrages der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen im Bundestag31 sieht als antragsbefugt in Anknüpfung an eine sog. gemeindeutsche Rechtstradition (gemeint: die Coburg-Rechtsprechung) die Selbstverwaltungskörperschaften an, die Repräsentanten der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik sind. Nach der Coburg-Rechtsprechung hätte das Ost-Berliner Gebiet auf jeden Fall repräsentiert sein müssen32. Im BT-Ausschuß „Deutsche Einheit" wurde geäußert, Berlin gehöre zu den in Art. 44 EiV genannten Ländern 33, ohne daß dem - auch nicht vom anwesenden Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland - widersprochen wurde. Minister Schäuble legte lediglich im Nachhinein in einem Aufsatz Art. 44 EiV so aus, daß dieser die fünf neuen Länder betreffe 34. Diese Äußerung nach dem Ratifizierungsverfahren kann für die Ermittlung des maßgeblichen, d.h. bei Vertragsabschluß vorhandenen, Parteiwillens und angesichts der eindeutigen Äußerung im BT-Ausschuß nicht berücksichtigt werden. Somit findet sich auch auf Seiten der Vertragspartner kein Anhaltspunkt dafür, Art. 44 EiV solle nicht auch Berlin die Antragsbefugnis zuerkennen. Eindeutig ist dem Wortlaut des Art. 44 EiV nach ferner, daß jedes der sechs Länder jeweils einzeln zur Rechtswahrung befugt ist; denn die Rechte können „von jedem dieser Länder" und nicht nur „von diesen Ländern" (dann wäre immer noch eine Auslegung als Einzelbefugnis zumindest möglich) bzw. „von diesen Ländern gemeinsam" geltend gemacht werden. Was daran für Stern 35 oder Grawert, der auch eine nur gemeinsame Befugnis

31

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

32

Siehe oben S. 240.

33

BT-Ausschuß Deutsche Einheit, 15. Sitzung, S. 473 B.

34

Schäuble, Einigungs vertrag, S. 297.

35

Stern (Diskussionsbeitrag), in: Stern, Wiedervereinigung, S. 242.

17 Wagner

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C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

explizit für möglich hält 36 , fraglich ist, ist nicht ersichtlich. Man könnte höchstens aus dem Hinweis in der Denkschrift auf die Coburg-Rechtsprechung, die grundsätzlich nur eine gemeinsame Antragsbefugnis zuspricht, ein Indiz auf den Willen der Bundesrepublik Deutschland sehen, keine Einzelbefugnis zu gewähren. Mit diesem recht konstruierten Argument kann aber der klare Wortlaut des Art. 44 EiV nicht uminterpretiert werden, zumal auf Seiten der Deutschen Demokratischen Republik ein entsprechender Wille zur Begründung nur einer Gesamtbefugnis nicht feststellbar ist, im Gegenteil: In der Volkskammer-Debatte betonte ihr Verhandlungsführer, die Befugnis aus Art. 44 EiV käme jedem einzelnen Land zugute37. Außerdem ist erst zwischen dem 15. und 19.8.1990 die Formulierung „von diesen Ländern" umgewandelt worden in „von jedem dieser Länder"; diese Änderung macht nur Sinn, wenn die Neufassung als Einzelantragsbefugnis interpretiert wird. Die (fünf) neuen Länder und Berlin können somit, je für sich, Rechte der Deutschen Demokratischen Republik aus dem Vertrag wahren. Übertragen auf die Befugnis zur Abänderung folgt daraus, daß jeder von ihnen einer Vertragsänderung zustimmen muß (schon allein, weil ihm sonst sein Recht zur Vertragswahrung beschnitten würde), sie also in ihrer Gesamtheit zur Vertragsänderung für die Deutsche Demokratische Republik befugt sind.

1.2.4 Argument aus Art. 29 GG und Art. 34 Wiener Staatennachfolgekonvention Aus Art. 29 GG und Art. 34 W K konnte jeweils allenfalls insoweit ein die Vertragsfortgeltung stützendes Argument gewonnen werden, als für die Fortgeltung der Parteiwille maßgeblich sei 38 . Andere als die soeben erzielten Erkenntnisse für den Kreis der Vertragsänderungsberechtigten folgen aus den genannten Vorschriften nicht, da Art. 29 GG keine Eingliederungsverträge vorsieht und die Regelrechtsfolge des Art. 34 W K (Vertragsfortbestand mit den Nachfolgeländern) nicht von den Parteien gewollt war.

36 37 38

Grawert, Rechtseinheit, S. 223. Stenographische Niederschrift 13.9.90, S. 206. Siehe oben S. 136.

I. Änderbarkeit des Vertrages

259

1.2.5 Argument aus der Nachfolge Baden-Württembergs in die Südweststaaten Daraus, daß in der Praxis die Verträge der Südwestländer der Bundesrepublik Deutschland als fortbestehend angesehen wurden mit Baden-Württemberg als Vertragspartner 39, kann kein Indiz dafür entnommen werden, wer bei Fortbestand des Vertrages mit den fingierten Alt-Ländern für diese handlungsbefugt ist, da von einer solchen Rechtsfolge damals nicht ausgegangen wurde.

1.2.6 Zusammenfassung Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage, wer änderungsbefugt ist, liefern nur die Coburg-Rechtsprechung und der Parteiwille, jeweils indirekt über die Frage, wer klagebefugt für die Deutsche Demokratische Republik ist. Mangels anderer Anhaltspunkte ist die Rechtslage bei der Klagebefugnis auf die der Änderungsbefugnis zu übertragen. Nach der Coburg-Rechtsprechung wären die (fünf) neuen Länder und (wohl) die Ost-Berliner Bezirke klagebefugt, nach dem Parteiwillen die fünf neuen Länder und Berlin. Allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß die Anwendung der Coburg-Rechtsprechung zu einer Klagebefugnis der sechs Länder führt. Bei dieser Lage ist zunächst insoweit aus Gründen der Rechtssicherheit dem in Art. 44 EiV niedergelegten Parteiwillen der Vorrang einzuräumen. Dafür spricht ferner, daß der Parteiwille - in Verbindung mit der Coburg-Rechtsprechung und weiteren Argumenten - der zentrale Grund für den Fortbestand des Vertrages war; er sollte dann auch ausschlaggebend sein für die Frage, wer für die für den Fortbestand fingierte Deutsche Demokratische Republik handlungsbefugt ist. Schließlich beruht innerhalb der Argumentation der Coburg-Rechtsprechung der Vorzug der Bezirks-Variante nicht auf Grundprinzipien dieser Rechtsprechung - wie etwa der aus Art. 93 I Nr. 4 GG abgeleiteten Einheitlichkeit des Antragsrechts - , sondern nur auf einer Abwägung zweier hier widerstreitender Auswahlkriterien, nämlich der Einschluß des Gebietes der Vertretungsberechtigten in dem des Vertretenen und die Gleichrangigkeit der Vertretungsberechtigten; es wird bei einer Abweichung also nicht unnötig auf eine Grundlinie der Coburg-Rechtsprechung verzichtet.

39

Siehe oben S. 127.

260

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

1.3 Berechtigte Dritte Die für die Deutsche Demokratische Republik zu Änderungen Berechtigten können nicht mehr, als die Deutsche Demokratische Republik selbst vermag. Geändert werden können (natürlich in Übereinstimmung mit der Bundesrepublik Deutschland) also grundsätzlich alle Vertragsbestimmungen mit Ausnahme derer, die echte Rechte Dritter begründen; hier ist deren Zustimmung erforderlich, da sonst der Änderungsvertrag ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter wäre. Um festzustellen, ob der Änderungsbefugnis der sechs Länder (neue Länder und Berlin) Vertragsbestandteile entogen sind, ist daher zu fragen, ob der Einigungsvertrag echte Rechte Dritter begründete. Rechte der sechs Länder können dabei außer Betracht bleiben, da jedes dieser Länder einer Vertragsänderung ohnehin zustimmen muß. Die Untersuchung einzelner Vertragsbestimmungen muß Arbeiten zu dem jeweiligen Themengebiet überlassen bleiben. Generell kann festgestellt werden, daß echte Rechte zugunsten einzelner in staatsrechtlichen Verträgen sehr ungewöhnlich sind (ebenso, wie praktisch nur Menschenrechtspakte als völkerrechtliche Verträge mit echten Rechten zugunsten von Individuen angesehen werden 40). Daher kann nur bei besonderen Umständen eine Drittberechtigung angenommen werden. Dagegen spricht nicht, daß erklärtes Ziel der Deutschen Demokratischen Republik war, mit dem Einigungsvertrag Rechte für ihre Bürger zu sichern 41 ; hinter dieser oft gebrauchten Formulierung stand nur ihre Absicht, Rechte, die sich zugunsten der Bürger auswirkten, zu sichern 42. Die Bürger profitierten von den Einigungsvertrags-Regelungen unabhängig davon, ob die Bundesrepublik Deutschland der (fiktiven) Deutschen Demokratischen Republik, den östlichen Ländern oder ihnen selbst verpflichtet war, sofern nur solche Verpflichtungen überhaupt bestanden und sie von jemandem in ihrem Interesse durchgesetzt werden konnten. Im übrigen erhielten die Bürger selbst teilweise subjektive Rechte durch die Umsetzung des Einigungsvertrages in objektives Recht (soweit nämlich nach allgemeinen Auslegungsregeln für Gesetze der gesetzlich geltende Einigungsvertrag subjektive Rechte begründet) und können schließlich mittelbar auch auf die Rechtswahrung durch die

40

Verdross/Simma,

41

Schäuble, Vertrag, S. 14 u. 82; Stenographische Niederschrift 6.9.1990, S. 160;

§ 762.

Viehmann, S. 22. 42 Dies geht bereits aus dem Wortlaut der in der vorangehenden Fußnote zitierten Belegstellen hervor.

I. Änderbarkeit des Vertrages

261

Länder einwirken (durch ihre parlamentarische Vertretung). Rechte für die Bürger der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sind also auch gesichert, wenn der vertragliche Einigungsvertrag keine Rechte für sie begründet. Der Änderungsbefugnis entzogen sind also etwaige echte Rechte einzelner; im allgemeinen begründet der Einigungsvertrag solche jedoch nicht. Soweit dies ausnahmsweise der Fall sein sollte, muß auch der berechtigte Dritte einer Änderung zustimmen.

2. Form der Zustimmung zur Änderung Für die Reservatrechte der süddeutschen Staaten von 1870 war lebhaft umstritten, wie diese ihre Zustimmung zu einem Verzicht bzw. zu einer Änderung erteilen konnten: nur 43 oder auch 44 durch Vertrag, durch Zustimmung im Bundesrat zu einem ihr Recht einschränkenden Bundesgesetz45 (so die politische Praxis 46 ), durch einfache Erklärung im Bundesrat 47? Mußte ggf. die Stimmabgabe im Bundesrat dem Willen der Landesregierung 48 und/oder des Landesparlaments 49 entsprechen? Heutzutage werden staatsrechtliche Bund-Länder-Verträge, da ihre Zulässigkeit bereits aus Art. 32 ΙΠ, 59 I I GG abgeleitet wird, hinsichtlich der Verfahrensvorschriften wie völkerrechtliche Verträge behandelt. Solche sind auch durch formlose Vereinbarungen änderbar 50, wobei maßgebend für jeden Vertragspartner das Verhalten seiner zuständigen Organe ist 51 . Daraus folgt: Eine Änderung des Einigungsvertrages durch einen weiteren Vertrag ist zulässig (und stellt die übliche Form der Vertragsänderung dar). Die Zustimmung aller änderungsberechtigten Länder im Bundesrat zu einem an sich vertragswidrigen Gesetz ist dann ausreichend, wenn sie - selbst oder in Verbin-

43

Haenel, Studien, S. 236.

44

Laband, S. 112; Zorn, S. 125.

45

Anschütz, Staatsrecht, S. 78; Kittel,

Meyer/Anschütz,

S. 24; Laband, S. 112; Loening, S. 347;

S. 598 f.

46

Laband,, S. 112 Anm. 4.

47

Meyer/Anschütz,

48

Dagegen die h.M.; statt vieler Kittel,

S. 598 f.

49

Dagegen die h.M.; statt vieler Kittel, S. 347; für möglich hält es Kittel, S. 27 f. 50

Verdross/Simma,

§ 792.

51

Verdross/Simma,

§ 793 a.E.

S. 25. S. 25; Laband, S. 112 f.; dafür Loening,

262

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

dung mit weiteren Beschlüssen o.ä. - die Zustimmung des nach der jeweiligen Landesverfassung für Bund-Länder-Verträge zuständigen Organs bzw. der zuständigen Organe darstellt (die Zustimmung des Bundes ist stets gewahrt, da einem Bundesgesetz und einem Änderungsvertrag stets dieselben Organe zustimmen müssen, Art. 59 I I GG). Damit ist ferner geklärt, daß die Stimmabgabe im Bundesrat mit den landesverfassungsrechtlichen Vorschriften übereinstimmen muß, weil sich die Gültigkeit der Zustimmung eines Landes zu einem innerstaatlichen Vertrag nach seinem Landesrecht beurteilt 52 . Für das Verfahren der Änderung des Einigungsvertrages gelten also keine anderen Bestimmungen als für normale Bund-Länder-Verträge. Abweichungen zu o.g. Beurteilungen der Reservatrechte der süddeutschen Staaten beruhen oft darauf, daß diese Rechte teilweise als gesetzliche oder verfassungsmäßige betrachtet und folgerichtig Änderungen nur nach den jeweils einschlägigen Verfahren für zulässig gehalten wurden.

3. Nicht änderbare Bestimmungen Schließlich ist noch der Frage nachzugehen, ob der Einigungsvertrag Bestimmungen enthält, die überhaupt nicht, d.h. - anders als etwaige Rechte Dritter - auch nicht mit Zustimmung weiterer Personen, geändert werden können. Gegen solche „Ewigkeitsrechte" spricht an sich bereits der Grundsatz, daß verpflichtende Vertragsbestimmungen aufhebbar sein müssen. Daher werden auch die den Gesetzgeber bindenden „Reservatrechte", insbesondere Art. 41 ΠΙ EiV, für aufhebbar gehalten53. Lediglich an der Aufhebbarkeit des Art. 44 EiV (solange noch andere Vertragsbestimmungen existieren) könnten Zweifel bestehen. Dagegen könnte sprechen, daß dann dem Vertrag nach niemand mehr die Rechte der fiktiven Deutschen Demokratischen Republik wahren könnte. In diesem Fall wird jedoch die Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts direkt zur Anwendung kommen und dieses Manko ausgleichen. Auch Art. 44 EiV ist also aufhebbar; eine Aufhebung hätte aber, solange noch andere Einigungsvertrags-Bestimmungen in Kraft sind, praktisch keine gravierenden Auswirkungen. Einigungsvertrags-Bestimmungen, die nicht änderbar sind, bestehen daher nicht.

52

Siehe oben S. 87 f.

53

Weis, Fragen, S. 16.

I . Änderbarkeit des

e e s

263

4. Zusammenfassung Für die Deutsche Demokratische Republik können somit grundsätzlich die (fünf) neuen Bundesländer und Berlin gemeinsam alle Bestimmungen des Einigungsvertrages ändern; sofern der Einigungsvertrag ein echtes Recht zugunsten (weiterer) Dritter begründet, müssen diese ebenfalls zustimmen, soweit ihr Recht beeinträchtigt werden soll. Das Änderungsverfahren unterscheidet sich nicht von dem bei Bund-Länder-Verträgen üblichen.

I I . Änderbarkeit des Gesetzes Der gesetzlich geltende Einigungsvertrag kann durch den Gesetzgeber jederzeit abgeändert werden, auch diejenigen Bestimmungen, die als vertragliche den Gesetzgeber binden; denn der Bund hat durch den Abschluß des vertraglich geltenden Einigungsvertrages nicht über seine Gesetzgebungskompetenz „verfügt", sondern sich (teilweise) nur zu bestimmter Ausübung seiner Kompetenz verpflichtet. Er kann also vertragswidrige Gesetze erlassen; so würde einem gegen Art. 41 I EiV verstoßenden Gesetz, das die Rückgängigmachung der Enteignungen in der ehemaligen SBZ anordnet, der gesetzlich geltende Art. 41 I I I EiV nicht im Wege stehen, da dieser durch das nachfolgende Gesetz nach dem Lex posterior-Grundsatz verdrängt würde. Soweit der Gesetzgeber den (verfassungs-)gesetzlich geltenden Art. 4 EiV ändert oder die Einführung der vollen Geltung der Finanzverfassung über die in Art. 7 EiV vorgesehenen Zeitpunkte hinausschiebt, muß er freilich die Anforderungen an Verfassungsänderungen beachten. Die Änderung des gesetzlich geltenden Einigungsvertrages folgt also (generell) den gewöhnlichen Regeln einer Gesetzesänderung. Der Vollständigkeit halber ist noch auf Ankers These einzugehen, Gesetze, die den gesetzlich geltenden Einigungsvertrag ändern, bedürften, unabhängig von der sonst zur Zustimmungsbedürftigkeit von Änderungsgesetzen vertretenen Meinung, stets der Zustimmung des Bundesrates 54. Anerkannt ist, daß Änderungsgesetze, die eine Vorschrift ändern, die bei ihrer Verabschiedung das Zustimmungserfordernis auslöste, oder die eine zustimmungsbedürftige Vorschrift enthalten oder durch die die im früheren Gesetz enthaltenen zustimmungsbedürftigen Regeln ein völlig neues Gewicht erhalten, der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Ob Gesetze, die ein damals zustimmungsbedürftiges Gesetz nur in sonstigen, an sich nicht zustimmungsbedürftigen Punkten ändern, zustimmungsbedürftig sind, ist um-

54

Anker, Einigungs vertrag, S. 1067.

264

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

stritten. Hier ist nur von Interesse, ob aus der besonderen Konstellation des Einigungsvertrages spezielle Gründe für oder gegen das Zustimmungserfordernis eines solchen Änderungsgesetzes folgen. Während Klein dies implizit verneint 55 , führt Anker 56 als spezielle Gründe für ein Zustimmungserfordernis im konkreten Fall an: Erstens sei der Einigungsvertrag als ausgewogene Balance ausgehandelt worden; eine Änderung könne diese Ausgewogenheit stören und müsse daher auch vom Bundesrat gebilligt werden. Zweitens sei der gesetzliche Einigungsvertrag weiterhin, d.h. auch mit zukünftigen Änderungsgesetzen, als Einheit zu behandeln, weil Zustimmungsgesetze zu Verträgen eine untrennbare Einheit darstellten. Das erste Argument ist nicht einigungsvertragsspezifisch, sondern wird schon allgemein für die Zustimmungsbedürftigkeit aller Änderungsgesetze vorgebracht 57. Der zweite Grund ist, für sich allein, auch keine Abweichung von der üblichen Situation: Auch andere als Zustimmungsgesetze zu Verträgen sind gesetzgebungstechnisch als Einheit zu behandeln, und dieses Einheits-Argument wurde auch bisher schon für die Zustimmungsbedürftigkeit vorgetragen 58 . Aus der besonderen, in § 82 Π GeschOBT zum Ausdruck kommenden Einheit von Zustimmungsgesetzen zu Verträgen folgt darüber hinaus nichts; denn Sinn dieser Regelung ist, zu verhindern, daß Änderungen die Vertrags Verhandlungen mit dem Partner von Neuem beginnen lassen. Diesem Sinn ist Genüge getan, wenn spätere Gesetze zu Vertragsänderungen, je für sich, wiederum als Einheit betrachtet werden, damit nicht die Verhandlungen über den Änderungsvertrag von neuem beginnen müssen; dagegen erfordert der Sinn nicht auch eine Einheit der Zustimmung zum ursprünglichen und der zum geänderten Vertrag. Zu überlegen wäre höchstens, ob § 82 Π GeschOBT bewirkt, daß folgendes, generell gegen eine automatische Zustimmungsbedürftigkeit des Änderungsgesetzes vorgetragene Argument für Vertragsgesetze entfiele: Grundsätzlich könne der Bund die nicht zustimmungsbedürftigen Materien aus dem ursprünglichen Gesetz herausnehmen und in einem eigenen Gesetz verabschieden, für dessen Änderung er dann zweifellos nicht die Zustimmung des Bundesrates benötigte; wenn er diese Rechtsmacht ohnehin habe, sei es bloßer Formalismus, bei gesetzestechnischer Einheit eine Zustimmung des Bun-

55

Klein, Bundesstaatlichkeit, S. 38.

56

Anker, Einigungs vertrag, S. 1067.

57

So im Minderheitenvotum, BVerfGE 37, 363 (408).

58

So im Minderheitenvotum, BVerfGE 37, 363 (407).

I . Änderbarkeit des

e e s

265

desrates zu verlangen. Wenn aber der Bundestag, wie bei der Zustimmung zu einem Vertrag, den Gesetzesinhalt nicht so aufsplitten kann, entfiele dieses Argument. Indes überzeugt dieser Einwand nicht, weil eine Aufgliederung, an der der Bundesrat nichts ändern könnte, auch in diesem Falle möglich wäre: Es müßten zustimmungsbedürftige und sonstige Regelungen nur von vornherein in zwei getrennten Verträgen untergebracht werden, denen dann auch in getrennten Gesetzen zugestimmt werden könnte. Daß der Bundestag (bzw. die Intitiativberechtigten) in diesem Fall zuvor noch den Vertragspartner zu einer solchen Aufteilung bewegen müßten, hindert nicht, daß - nach erfolgreicher Überzeugungsarbeit - sich der Bundesrat mit einer entsprechenden Aufteilung abfinden müßte, und darauf kommt es an. Schließlich könnte noch erwogen werden, in analoger Anwendung der Art. 134 IV, 135 V GG stets solche Gesetze für zustimmungsbedürftig zu halten, durch die die (im Einigungsvertrag geregelte) Aufteilung des Vermögens der Deutschen Demokratischen Republik geregelt wird. Dagegen sprechen zwei Erwägungen: Zum einen zeigt Art. 135 I V und V I GG, daß der Verfassungsgeber schon bei der Regelung des Vermögensüberganges in den besonders normierten Einzelfällen nicht stets von einer Zustimmungsbedürftigkeit aller damit in Verbindung stehenden Bundesgesetze ausgegangen war. Zum anderen ist Art. 135 GG wegen der Existenz des Art. 29 GG nicht auf spätere Neugliederungen anwendbar 59. Für Art. 134 GG existiert naturgemäß keine Parallel Vorschrift für spätere Fälle, weil solche nicht denkbar waren; die Stellung in unmittelbarer Nachbarschaft zu Art. 135 GG und im Bereich der Übergangsvorschriften zeigt aber, daß auch diese Regelung nur einen singulären Fall betreffen sollte und daher nicht verallgemeinerungsfähig ist. Ob die Nachfolge in das Vermögen der Deutschen Demokratischen Republik eher dem Fall des Art. 134 GG oder dem des Art. 135 GG entspricht, ist im übrigen fraglich. Es gibt folglich keinen Grund, die Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen, die den Einigungsvertrag ändern, anders als die sonstiger Änderungsgesetze zu beurteilen. Schließlich ist noch auf Ankers Ansicht einzugehen, die neuen Länder seien vor der Gesetzesänderung in den Willensbildungsprozeß einzubeziehen 60 , analog Art. 32 I I GG 6 1 . Abgesehen davon, daß ihre Beteiligung schon wegen einer parallel zu einer Änderung des gesetzlichen Einigungsver-

59

Siehe oben S. 120.

60

Anker y Einigungsvertrag, S. 1067.

61

Anker, Einigungsvertrag, S. 1066.

266

C. Änderbarkeit der Einigungsvertrags-Regelungen

träges notwendigen Vertragsänderung nötig ist, der sie zustimmen müssen62, ist Anker nicht gerade konsequent, wenn er einerseits eine vertragliche Natur des Einigungsvertrages nach dem Beitritt ablehnt und andererseits für Änderungen nach wie vor auf den (selbst bei entsprechender Anwendung) einen Vertrag voraussetzenden Art. 32 GG zurückgreifen will. Wenn man dagegen von der fortdauernden Vertragsnatur ausgeht, so kann eine entsprechende Anwendung des Art. 32 I I GG, die darauf gestützt wird, der Einigungsvertrag sei bei seinem Abschluß ein völkerrechtlicher Vertrag gewesen, so daß die Bundesrepublik Deutschland damals Art. 32 I I GG zu beachten hatte, nur bedeuten, daß man Art. 32 I I GG in Wahrung der Ausgangslage nur für die „alten" Länder der Bundesrepublik Deutschland anwenden kann, deren Interessen von ihr (und nicht von ihrem Vertragspartner) wahrzunehmen waren. Auch bei entsprechender Anwendung kann mit Art. 32 I I GG daher keine besondere Pflicht zur Konsultation der fünf neuen Länder im Verfahren der Änderung des gesetzlichen Einigungsvertrages abgeleitet werden, was aber in der Praxis wegen ihrer aus anderen Gründen notwendigen Beteiligung irrelevant sein dürfte. Für die Änderung des gesetzlichen Einigungsvertrages gelten somit die allgemeinen Regeln über Gesetzesänderungen.

62

Siehe oben S. 259.

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht Im letzten Teil der Arbeit soll auf Besonderheiten eingegangen werden, die bei der Wahrung der Rechte aus dem Einigungsvertrag vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen. Besonderheiten könnten sich für die Verfahrensart sowie aus Art. 44 EiV und im Falle des vertraglich geltenden Einigungsvertrages dadurch ergeben, daß der Vertragspartner Deutsche Demokratische Republik de facto untergegangen ist.

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages Eine Inzidentprüfung des vertraglich geltenden Einigungsvertrages in Normenkontroll- oder Verfassungsbeschwerdeverfahren mit Art. 1 ZustGes. BRD als Streitgegenstand1 weist keine tiefgreifenden Besonderheiten auf 2. Dasselbe gilt von der Wahrung vertraglicher Rechte des Bundes (solche bestehen für die Zeit nach dem Beitritt ohnehin nicht mehr) und etwaiger Drittberechtigter (außer der neuen Länder und Berlins), da insofern weder Art. 44 EiV noch der faktische Untergang der Deutschen Demokratischen Republik Auswirkungen haben.

1. Rechtspositionen der DDR Ein Rechtsstreit über den Einigungsvertrag ist grundsätzlich in zwei Erscheinungsformen denkbar: Zum einen kann darüber gestritten werden, welche einzelnen Rechte und Pflichten sich jetzt (noch) aus dem Einigungsvertrag ergeben; insoweit könnten vertragliche Rechte der Deutschen Demokratischen Republik nach Art. 93 I Nr. 3 oder 4, 1. Alt. GG gewahrt werden.

1

Z.B. BVerfGE 84, 90 (133). Die Ansicht von E. Kaufmann, S. 453, das Zustimmungsgesetz zu einem Vertrag enthalte keine „materiellen" Rechtsnormen und unterliege daher nicht den Normenkontrollverfahren, ist nicht nachvollziehbar: Das Zustimmungsgesetz enthält - wie jede rechtliche Verweisung - einen Anwendungsbefehl für die Norm, auf die verwiesen wird, und damit eine „materielle" Rechtsfolge, ist also damit auch den Verfahren der Normenkontrolle unterworfen. 2

268

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

Zum anderen könnte strittig werden, ob Einigungsvertrags-Regeln überhaupt wirksam als Staatsrecht gelten; insoweit könnte ein Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG in Betracht kommen. Im Einigungsvertrag selbst wird zu der Frage, welches Verfahren ggf. einzuschlagen sei, bewußt keine Stellung genommen, da er die allgemeinen Regeln über gerichtliche Zuständigkeit unberührt lassen soll 3 .

1.1 Streit über Auslegung des Einigungsvertrages In diesem Fall kommt als Form eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens nur ein Streit nach Art. 93 I Nr. 3 oder 4, 1. Alt. GG in Betracht 4. Daß die Deutsche Demokratische Republik als Bundesland nicht (bzw. in den Beitrittsvarianten l.a und 2.a nicht mehr) besteht, ist irrelevant, da insofern - ebenso wie für die Geltung des Einigungsvertrages als staatsrechtlicher Vertrag - die Deutsche Demokratische Republik als existierendes Bundesland zu fingieren ist 5 . Daß eine solche Fiktion für Bund-Länder-Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3, 4 GG möglich ist, ergibt sich aus der Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 6, deren Grundgedanke auf den vertraglich geltenden Einigungsvertrag anwendbar ist 7 .

1.1.1 Art. 93 I Nr. 3 oder 4 GG Ein Streit zwischen den Vertragspartnern bzw. dem Bund und einem aus dem Einigungsvertrag berechtigten Land über die Vertragsauslegung wäre eine öffentlich-rechtliche Bund-Länder-Streitigkeit. Ob dafür das Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 oder 4, 1. Alt. GG einschlägig ist, wird präjudiziert durch die Frage, welche Typen solcher Streitigkeiten unter Art. 93 I Nr. 3 GG fallen, da Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG nur für verbleibende öffentlich-rechtliche Bund-Länder-Streitigkeiten gilt. Welche Streitigkeiten „Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder" darstellen, ist umstritten; im wesentlichen

3 4 5 6 7

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377 (zu Art. 44 EiV). Fastenrath, Bindungs Wirkung, S. 430. Siehe oben S. 143 f. BVerfGE 3, 267 (279). Siehe oben S. 137.

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

269

werden drei Meinungen vertreten: Die restriktivste Ansicht zählt dazu nur solche über grundgesetzliche bzw. formell verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten; danach kann eine Streitigkeit über einen Staats vertrag nur unter Art. 93 I Nr. 4 GG fallen 8 . Das gegenteilige Extrem bildet die Meinung, alle „bundesstaatlichen" Streitigkeiten, d.h. nur mit Ausnahme von „Untertanstreitigkeiten", fielen unter Art. 93 I Nr. 3 GG, somit auch staatsvertragliche Streitigkeiten 9 . Drittens wird vertreten, Art. 93 I Nr. 3 GG gelte für Streitigkeiten um materiell verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten 10 ; in diesem Fall ist damit eine Zuweisung vertraglicher Streitigkeiten zu Art. 93 I Nr. 3 GG möglich. Für die extensive Auslegung wird eine Reihe von Gründen angeführt. Der Wortlaut enthalte keine Einschränkungen auf grundgesetzliche oder verfassungsmäßige Rechte und Pflichten. Dieses Argument ist stimmig. Die in Art. 93 I Nr. 3 GG genannten Beispiele enthielten auch nicht-verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten. Dagegen spricht, daß die dort genannte Ausführung von Bundesrecht und Ausübung der Bundesaufsicht sich (auch) nach Verfassungsrecht (Art. 8 3 - 8 5 GG) richten. Der Grundgesetzgeber habe die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegenüber der des Staatsgerichtshofes, der nach Art. 19 I WRV für alle Reich-Länder-Streitigkeiten um bundesstaatliche Rechte und Pflichten zuständig gewesen sei, erweitern wollen 11 . Die generell angestrebte Tendenz schließt aber nicht aus, daß in einem untergeordneten Punkt 12 zwar der Staatsgerichtshof zuständig war, das Bundesverfassungsgericht es aber nicht ist. Des weiteren sei widersprüchlich - was wegen § 50 I Nr. 1 VwGO Folge einer Subsumtion eines Streits um gesetzliche Rechte unter Art. 93 I Nr. 4 GG sei - , daß das Bundesverwaltungsgericht einen Verstoß gegen gesetzliche Pflichten feststellen könne, aber gegen eine entsprechende Feststellung des Bundesrates nur das Bundesverfassungsgericht angerufen werden könne (Art. 84 I V 2 GG) 1 3 . Dagegen spricht, daß im zweiten Fall zum Schutz eines Verfassungsorgans die gerichtliche Entscheidungsgewalt zentralisiert ist, während im ersten Fall noch keine Entscheidung eines Verfassungsorgans ergangen ist, so daß ein Differenzierungsgrund vorliegt. Ferner soll das Bundesverfassungsgericht als „politisches

8

H.-E. Giese, S. 151; Pestalozzi Verfassungsprozeßrecht, § 9 Rdnr. 6.

9

Schachtschneider,

S. 141.

10

BK/Stern, Art. 93 Rdnr. 337; Schiaich, S. 53; Stern, Staatsrecht II, S. 999.

11

Schachtschneider,

S. 121 f.

12

Nach Schachtschneider (S. 123) selbst kommen für den Staatsgerichtshof nur Zuständigkeiten in Frage, die (auch) in die Zuständigkeit von Landes-, nicht aber von Bundesgerichten fallen. 13

Schachtschneider,

S. 128.

270

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

Gericht" für alle bundesstaatlichen Streitigkeiten zuständig sein, und ein Bund-Länder-Streit sei stets ein Politikum 14 . M i t dieser These ist nicht die Subsidiaritätsklausel in Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG vereinbar. Gegen eine Beschränkung des Art. 93 I Nr. 3 GG auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten soll weiter sprechen, daß dadurch einheitliche Rechtsverhältnisse, die verfassungsrechtliche und andere Pflichten enthielten, teils vom Bundesverwaltungsgericht, teils vom Bundesverfassungsgericht kontrolliert würden 15 . Doch ist eine solche Aufteilung weder dem Grundgesetz fremd (man denke nur an die verschiedenen Rechtswege in Enteignungs-Streitigkeiten, die Art. 14 Π 3 GG zu verdanken sind, oder an die Vorlage einer singulären verfassungsrechtlichen Frage aus einem Rechtsstreit nach Art. 100 I GG), noch wäre sie ohne jeden Sinn; vielmehr fordert die Konzeption des Bundesverfassungsgerichts eine Konzentration auf wesentliche Fragen des föderalen Verhältnisses, um eine Überlastung des Gerichts zu vermeiden. Das einzige Argument für eine extensive Auslegung des Art. 93 I Nr. 3 GG, das Bestand hat, ist somit das Wortlaut-Argument. Allerdings ist die extensive Auslegung durch den Wortlaut nicht gefordert. Bedenkt man, daß das Bundesverfassungsgericht als Organ der Staatsgerichtsbarkeit primär mit verfassungsrechtlichen Aufgaben befaßt ist 16 , so wäre, wenn eine Zuständigkeit auch für Streitgegenstände, die Rechtsnormen unter Verfassungsrang betreffen, beabsichtigt wäre, ein deutlicher Hinweis darauf bei der Zuständigkeitsregelung zu erwarten, wie er in Art. 93 I Nr. 4 GG („öffentlich-rechtlichen") erfolgt ist. Für eine Beschränkung des Art. 93 I Nr. 3 GG auf (formell oder materiell) verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten wird geltend gemacht, aus der Existenz des Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG folge, daß Art. 93 I Nr. 3 GG nicht schon alle öffentlich-rechtlichen Bund-Länder-Streitigkeiten erfassen könne 17 ; also müßten die „Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten" in Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG restriktiv interpretiert werden. M i t der soeben dargelegten Vermutung der Verfassungsbezogenheit der Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts liegt nahe, als Restriktionskriterium die Zugehörigkeit der Rechte und Pflichten zur Verfassung zu wählen. Ferner spricht für die Restriktion, wie auch schon für die noch stärkere auf grundgesetzliche Rechte und Pflichten, daß die Regeln, nach denen die in Art. 93 I

14

Schachtschneider,

S. 131 f.

15

Schachtschneider,

S. 133.

16

BKI Stern, Art. 93 Rdnr. 345.

17

BK/Stern, Art. 93 Rdnr. 341; Schiaich, S. 53; Stern, Staatsrecht II, S. 999.

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

271

Nr. 3 GG beispielhaft genannten Fälle zu entscheiden sind, (formell) verfassungsrechtliche sind 18 (Art. 8 3 - 8 5 GG) 1 9 . Folglich ist das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 I Nr. 3 GG (nur) für Bund-Länder-Streitigkeiten um verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten zuständig. Zählen hierzu auch Rechte und Pflichten aus Staatsverträgen zwischen Bund und Land? Anders gefragt: Gilt Art. 93 I Nr. 3 GG nur für formelles oder auch für materielles Verfassungsrecht? Aus den o.g. Gründen für die restriktive Interpretation des Art. 93 I Nr. 3 GG folgt nichts zwingend für eine Antwort; denn die notwendige Restriktion wäre in beiden Fällen erfolgt, aus der Vermutung der Verfassungsbezogenheit der Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts folgt nicht eine Vermutung für die Zuständigkeit des Grichts für alle verfassungsbezogenen Streitigkeiten. Daß vertragliche Streitigkeiten sich nicht unter den lediglich zwei in Art. 93 I Nr. 3 GG genannten Beispielen befinden, besagt wegen deren kleiner Anzahl nur wenig, spräche insoweit aber für eine Beschränkung auf formelles Verfassungsrecht. Der Wortlaut des Art. 93 I Nr. 3 GG enthält keine Beschränkung auf „grundgesetzliche" Rechte und Pflichten im Gegensatz zu Art. 93 I Nr. 1, 2, 4a und 4b GG, in denen jeweils nur das Grundgesetz oder Teile desselben als verletzte bzw. streitbefangene Norm zugelassen werden. E contrario könnte man daraus entnehmen, daß in Art. 93 I Nr. 3 GG mehr als nur grundgesetzliche Rechte und Pflichten Streitgegenstand sein können 20 . Andererseits ist die Erwähnung der Grundgesetz-Bezogenheit in den anderen Nummern jeweils aus anderen Gründen nötig: in Nr. 4a und 4b, da dort nur einzelne Verfassungsnormen kontrollierbar sein sollen; in Nr. 2, da dort gerade der Vorrang der formellen Verfassung gesichert werden soll, und in Nr. 1 zur Ausgrenzung nur politischer Streitigkeiten 21 . Die Masse innerstaatlicher staatsrechtlicher Verträge besteht zwischen den Ländern und fällt damit zwangsläufig unter Art. 93 I Nr. 4 (2. Alt.) GG; dies legt nahe, staatsrechtliche Verträge als typisch für Art. 93 I Nr. 4 GG anzusehen, und unterstützt eine entsprechende Zuordnung.

18

BK/Stern, Art. 93 Rdnr. 339; ders., Staatsrecht II, S. 999. Dagegen spricht nicht, daß zur Beurteilung der Fälle neben dem Grundgesetz auch einfach-gesetzliches Recht, z.B. das auszuführende Bundesgesetz, herangezogen werden muß; diese Regeln sind nicht Entscheidungsmaßstab, sondern füllen nur die Tatbestände in Art. 83 ff. GG aus. 19

20

Schachtschneider,

21

BK /Stern, Art. 93 Rdnr. 338.

S. 119.

272

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

Sowohl eine Zuordnung zu Art. 93 I Nr. 3 als auch zu Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG ist also begründbar. Solange § 50 I Nr. 1 VwGO unverändert gilt und damit auch für Art. 93 I Nr. 4 GG Streitigkeiten um Rechte aus Verwaltungsverträgen (im Gegensatz zu Verfassungsverträgen) ausschließt, statuieren beide Grundgestez-Vorschriften keine unterschiedlichen Verfahrensvoraussetzungen, so daß die Differenzen in der Praxis nicht allzu groß sein dürften und für Antragsbefugte und Streitgegenstand nicht bestehen. Zwischen Art. 93 I Nr. 3 und 4 GG besteht auch nicht, was Benda / K l e i n für möglich halten 22 , der Unterschied, daß ein Verfahren mit einem fiktiven Land als Partei nur bei Nr. 4 möglich ist. Benda/Klein gewinnen diese Interpretationsmöglichkeit aus einer singulären Entscheidung, die sich zum einschlägigen Verfahren nur in einem Obiter dictum äußerte, weil bereits die behauptete Rechtsposition nicht bestehen konnte. Aus der Fiktionsbegründung der Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht aber explizit hervor, daß die Fiktion - auch - aus dem Gesamtgedanken des Art. 93 Nr. 3 und 4 GG abgeleitet wird 2 3 . Dem widerspräche es, die Fiktion nur für Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 GG zuzulassen. Hier wird wegen der Indizwirkung der in Art. 93 I Nr. 3 GG genannten Beispiele und aus der Erwägung, daß Streit über nur materielles Verfassungsrecht nicht eine nicht nur subsidiäre Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts erfordert 24 , Art. 93 I Nr. 3 GG nur auf Streitigkeiten über formell verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten angewandt. Somit ist für Streitigkeiten über Staatsverträge Art. 93 I Nr. 4 GG einschlägig. Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG ist für Streitigkeiten zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bzw. einem der in Art. 44 EiV genannten Länder um den Einigungsvertrag grundsätzlich einschlägig, da es sich dabei um „Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern" im Sinne der Vorschrift handelt, auch wenn man darunter nicht jede öffentlich-rechtliche Streitigkeit, sondern nur solche aus dem bundesstaatlichen Verhältnis versteht 25 ; denn der Einigungsvertrag ist eine spezifisch bundesstaatliche Regelung, da er als Eingliederungsvertrag nur zwischen Bund und Land geschlossen werden kann. Fraglich ist allerdings, in welchen Fällen das Subsidiaritätsprinzip einschlägig ist.

22

Benda/ Klein, Rdnr. 1019.

23

BVerfGE 3, 267 (279); 4, 250 (267).

24

Die etwas geringere Schutzbedürftigkeit zeigt sich darin, daß der Verfassungsgesetzgeber es nicht für nötig hielt, den Regeln verfassungsrechtlichen Bestandsschutz zu gewähren. 25 von Münch, Art. 93 Rdnr. 53; ähnlich Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 13 Rdnr. 80.

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

273

1.1.2 Subsidiaritätsklausel und andere mögliche Verfahren Da, nachdem Art. 93 I Nr. 3 GG als mögliche Verfahrensart abgelehnt wurde, für die hier behandelten Streitigkeiten, bei denen es um die Wahrung des vertraglichen Einigungsvertrages geht, nicht generell ein anderes verfassungsgerichtliches Verfahren (ohne Subsidiaritätsklausel) 26 zur Verfügung steht, ist ein Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 GG nur ausgeschlossen, soweit der Rechtsweg zu einem anderen Gericht oder für Einzelfragen zum Bundesverfassungsgericht eröffnet wäre.

a) § 50 I Nr. 1 VwGO Insoweit kommt nach § 50 I Nr. 1 VwGO das Bundesverwaltungsgericht in Frage, sofern es sich um eine Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art handelte. Der Charakter der Streitigkeit bestimmt sich nach dem des geltend gemachten Rechts (ein solches muß wegen des kontradiktorischen Charakters der Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 GG 27 und § 50 I Nr. 1 VwGO Streitgegenstand sein) und damit nach dem Charakter des dieses Recht enthaltenden (hier: vertraglichen) Rechtsverhältnisses28. Nur wenn dieses Rechtsverhältnis verfassungsrechtlich ist und auch die Verfahrensparteien „verfassungsrechtliche Größen" sind (dies ist bei Streitigkeiten zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bzw. einem der in Art. 44 EiV genannten Länder der Fall), liegt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor 29 . Auch vertragliche Rechtsverhältnisse können verfassungsrechtlichen Charakter haben30. Die gegenteilige Ansicht, nach der staatsvertragliche Auslegungs- und Anwendungsstreitigkeiten stets von § 50 I Nr. 1 VwGO erfaßt werden 31, wird teils damit begründet, bei einem Staats vertrag stünden sich

26

Solche würden Art. 93 I Nr. 4 GG verdrängen: Lechner, § 13 Nr. 8 Anm. 2.

27

Leisner, S. 264.

28

Benda/ Klein, Rdnr. 992; BVerfGE 42, 103 (113); BVerwGE 50, 124 (130);

Menger, S. 172. 29

BVerfGE 22, 221 (230 f.). Ule, S. 50. 31 H.-E. Giese, S. 154; wohl auch Grawert, Verwaltungsabkommen, S. 290, der verfassungsrechtlichen Charakter nur annimmt, soweit vertragliche und verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten parallel laufen. 30

18 Wagner

274

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

die Vertragspartner in gleicher Weise wie Private gegenüber 32. Das ergibt sich aus der Natur des Vertrages, sagt aber nichts über das Rechtsgebiet aus, dem der Vertrag zuzuordnen ist. Insoweit ist kein Grund ersichtlich, die Zugehörigkeit zum materiellen Verfassungsrecht anders als sonst zu definieren. Sollte die Gegenansicht auf der Einschätzung beruhen, verfassungsrechtlich im Sinne des § 50 I Nr. 1 VwGO sei die Norm, die Grundlage des Streites ist, nur bei Zugehörigkeit zum formellen Verfassungsrecht, könnte ihr nicht gefolgt werden: Vertragsrecht kann nur dann verfassungsrechtliches Recht sein, wenn es materiell-verfassungsrechtliche Regelungen trifft. Da es zweifelsohne verfassungsrechtliches Vertragsrecht gibt (z.B. KoalitionsVereinbarungen 33, Lindauer Abkommen 34 ), kann daher die Abgrenzung zwischen verfassungs- und nichtverfassungsrechtlichen vertraglichen Rechtsverhältnissen nur materiell erfolgen. Problematisch ist nun, ob für den Charakter des vertraglichen Rechtsverhältnisses die einzelne streitbefangene Vertragsnorm 35 oder der Vertrag insgesamt36 maßgeblich sein soll 37 . Letzteres hatte das Bundesverfassungsgericht in der Coburg-Rechtsprechung ursprünglich angenommen mit der Begründung, die einzelnen Vertragsbestimmungen seien rechtlich unlösbarer Teil des Gesamtvertrages 38. Im selben Jahr, in dem es die erste Waldeck-Entscheidung traf, machte es allerdings in der Entscheidung zum Staatsvertrag über die Studienplatzvergabe bei der Ermittlung des Charakters der Streitigkeit den „Vorbehalt, daß sich aus einem verfassungsrechtlichen Vertrag ausnahmsweise auch einmal verwaltungsrechtliche Ansprüche ergeben können" 39 . Diese Ausführung macht in ihrem Kontext nur dann einen Sinn, wenn das Gericht davon ausging, der Charakter der Streitigkeit könne von der einzelnen Norm abhängen. Und in der zweiten Waldeck-Entscheidung führt es aus, einzelne Vertragsbestimmungen, die nicht unlösbarer Bestandteil des Staatsvertrages sind, müßten nicht an dessen Charakter teilhaben40. Welche Vertragsbestimmun-

32

Eyermann/Fröhler,

33

Tschira/Schmitt

34

BVerfGE 42, 103 (113).

§ 50 Rdnr. 4. Glaeser, S. 35.

35

Auf den einzelnen Anspruch stellt Maunz/Schmidt-Bleibtreu, Rdnr. 70 ab. 36

BVerwGE 50, 124 (130); Frowein,

37

Unentschieden Pestalozzi Anmerkung, S. 1087.

38

BVerfGE 22, 221 (230).

39

BVerfGE 42, 103 (113).

40

BVerfGE 62, 295 (314).

Eingliederungsvertrag, S. 16.

BVerfGG, § 13

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

275

gen danach nicht unlösbarer Bestandteil sein sollen, bleibt allerdings im Dunkeln; man könnte ebensogut an nachträglich vereinbarte Vertragsbestandteile wie an für den hauptsächlichen Vertragszweck (der Eingliederung) unwesentliche Vereinbarungen denken. In der Literatur finden sich, soweit ersichtlich, zu diesem kaum praktisch relevant gewordenen Problem keine weiterführenden Begründungen. Bei sonstigen Ermittlungen des Rechtsweges, zum Beispiel bei der Abgrenzung zwischen privat- und öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, ist nur die (einzelne) Norm maßgebend, nach der die jeweilige Streitigkeit zu entscheiden ist. Es besteht kein Anlaß, davon für vertragliche Normen abzuweichen; daß die Natur des Vertrages als einheitlichen Rechtsgeschäfts ebensowenig, wie etwa die Geschlossenheit eines Gesetzes, eine einheitliche Qualifizierung erfordert, zeigt sich schon daran, daß - im bürgerlichen Recht - auf einen typengemischten Schuldvertrag die Normen für die jeweiligen Typen Anwendung finden könen, soweit nämlich jeweils der Vertrag nur insoweit berührt ist, als Elemente eines Typs betroffen sind. Ebenso können verschiedene Normen eines Vertrages teils als verwaltungs-, teils als verfassungsrechtlich qualifiziert werden. Bei Eingliederungsverträgen besteht allerdings eine Besonderheit: Als verfassungsrechtlich sind insbesondere Vertragsnormen einzustufen, die die Grundlagen der Beziehungen des Gesamtstaates zu seinen Untergliederungen regeln. Zwischen eingliederndem und einzugliederndem Staat bestehen - nach der Eingliederung - aber nur noch sehr wenige Rechtsbeziehungen, verglichen mit dem üblichen Beziehungsgeflecht zwischen Bund und Einzelstaat, nämlich die aus dem Eingliederungsvertrag (soweit noch vertragliche Rechte nach der Eingliederung bestehen). Das hat zur Folge, daß wegen der geringen Anzahl praktisch alle der verbliebenen vertraglichen Rechtsbeziehungen als grundlegende erscheinen 41, weil gerade sie die noch verbliebene Staatlichkeit des eingegliederten Landes bestimmen42. Diese Sichtweise erklärt auch, warum das Bundesverfassungsgericht in seiner Coburg-Rechtsprechung im wesentlichen nur auf den Charakter des Eingliederungsvertrages insgesamt abstellte und erstmals in einer Entscheidung zu einem „normalen" Staatsvertrag eine differenzierende Haltung einnahm. Somit sind Streitigkeiten zwischen dem Bund und der Deutschen Demokratischen Republik bzw. einem Land „um die Anerkennung und Aufrechter-

41

Für die verfassungsrechtliche Natur von Eingliederungsverträgen generell Froweini, Eingliederungsvertrag, S. 16; für die des Coburg-Vertrages BVerfGE 22, 221 (229) und BVerwGE 50, 124 (131); für die des Einigungsvertrages Viehmann, S. 22. 42

BVerfGE 22, 221 (230); Frowein,

Eingliederungsvertrag, S. 16.

276

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

haltung einer im Staatsvertrag gegebenen rechtlichen Zusicherung" 43 , soweit es den Einigungsvertrag betrifft, verfassungsrechtliche. Nicht darunter fallen Streitigkeiten, bei denen nicht um Bestand, Auslegung oder Umfang der angeblichen vertraglichen Rechte, sondern um anderweitig geregelte Modalitäten ihrer Erfüllung gerungen wird 44 . Ein illustratives Beispiel für solche nicht-verfassungsrechtlichen Streitigkeiten ist die der zweiten Waldeck-Entscheidung45 zugrundeliegende, in der der Umfang der bei der Eingliederung übergegangenen Passiva umstritten war: Die Tatsache des Übergangs war im Eingliederungsvertrag geregelt, nicht aber der Umfang der bei Eingliederung bestehenden Passiva. Grundlage für die Streitentscheidung war danach nicht eine vertragliche Bestimmung.

b) Nr. 6 Protokoll zum Einigungsvertrag Für die Abwicklung nach Nr. 6 des Einigungsvertrags-Protokolls könnte erwogen werden, als subsidiären Rechtsweg die in Nr. 6 am Ende genannte Schiedsstelle anzusehen. Als Rechtsweg, der nach Art. 93 I Nr. 4 GG vorrangig ist, gelten auch Schiedsgerichte, sofern sie die rechtsstaatlichen Anforderungen an Gerichte erfüllen 46 . Die „Stelle" nach Nr. 6, „die von Bund und Ländern gebildet wird", entspricht diesen Anforderungen jedoch nicht: Weder ist für ihre Besetzung mit sachlich und persönlich unabhängigen Personen Vorsorge getroffen noch ist ihr die Beachtung gerichtlicher Verfahrensgrundsätze vorgeschrieben. Die „Stelle" ist noch nicht einmal als Schiedsgericht bezeichnet. Nr. 6 (am Ende) des Protokolls zum Einigungsvertrag schließt daher ein verfassungsgerichtliches Verfahren bei einem Streit über Nr. 6 des Protokolls nicht aus.

43

BVerfGE 22, 221 (230).

44

BVerfGE 22, 221 (230); 62, 295 (315).

45

BVerfGE 62, 295.

46

Geiger, vor § 71 Anm. 2; Schneider, Staatsverträge, S. 651.

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

277

c) Art. 126 GG (für Art. 9 EiV) Schließlich könnte erwogen werden, ob nach Art. 126 GG, einem Verfahren ohne Subsidiaritätsklausel, - eventuell bei entsprechender Anwendung - das Bundesverfassungsgericht bei Meinungsverschiedenheiten darüber zuständig wäre, ob nach Art. 9 EiV fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik nun Bundes- oder Landesrecht darstellt. Ein Beispiel dafür: Der Bund ändert ein nach Art. 9 Π oder ΙΠ EiV fortgeltendes Gesetz der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, das er nach Art. 9 I V EiV für Bundesrecht hält; eines der neuen Länder hält es für Landesrecht und will das nach seiner Ansicht aus Art. 9 IV EiV folgende Recht der Deutschen Demokratischen Republik, daß der Bund das Gesetz als Landesrecht behandelt, durchsetzen. Dem Wortlaut des Art. 126 GG nach wäre dieses verfassungsgerichtliche Verfahren einschlägig; denn es geht darum, ob Recht, das bestand, bevor es am grundgesetzlichen Kompetenzkatalog zu messen war, und das nun unter der Herrschaft des Grundgesetzes fortgilt, Bundes- (oder Landes-)Recht darstellt. Gegen eine direkte Anwendung des Art. 126 GG spricht aber: Diese Norm steht systematisch in Zusammenhang mit Art. 122-139 GG, in denen der Rechtsübergang vom Deutschen Reich und von der Besatzungszeit zur Bundesrepublik Deutschland geregelt wird, und insbesondere mit Art. 125 GG, der die Zugehörigkeit von Recht, das vor dem Zusammentritt des 1. Deutschen Bundestages bestand und fortgilt, zum Bundes- oder Landesrecht regelt. Dieser Zusammenhang spricht dafür, daß Art. 126 GG nur für die Fortgeltung von Recht, das vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland galt, anwendbar ist. Daraus folgt auch, daß Kontrollkriterium für das Bundesverfassungsgericht in Verfahren nach Art. 126 GG die Art. 124, 125 GG sind 47 , nicht also Art. 9 EiV. Diese Auslegung des Art. 126 GG war auch die einzige, die der Grundgesetzgeber im Jahre 1949, als zwar die Bundesrepublik Deutschland, aber auch die Deutsche Demokratische Republik gegründet wurde, im Sinn haben konnte. Gegen eine entsprechende Anwendung des Art. 126 GG (mit Art. 9 EiV als Prüfungsmaßstab) spricht: Hätten die Vertragspartner des Einigungsvertrages eine entsprechende Anwendung des Art. 126 GG beabsichtigt, hätte es für sie nahegelegen, eine entsprechende Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts entweder, wie es nach Art. 93 Π GG i.V.m. dem ZustGes. BRD möglich gewesen wäre, im Einigungsvertrag zu begründen oder in

47

Lechner, § 13 Nr. 14 Anm. 2.

278

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

Art. 4 EiV das Grundgesetz entsprechend zu ergänzen. Die bewußte Unterlassung der Begründung spezieller gerichtlicher Zuständigkeiten im Einigungsvertrag 48 spricht gegen eine analoge Anwendung des Art. 126 GG, da keine planwidrige Lücke vorliegt. Die vertragliche Bezeichnung als Bundes- bzw. Landesrecht in Art. 9 EiV kann nur deklaratorisch sein, da eine konstitutive Aufteilung, die vom Grundgesetz abwiche, in einem innerstaatlichen Vertrag, der der Verfassung untersteht, nicht (bzw. nur als Verpflichtung zu einer Grundgesetz-Änderung) zulässig ist. Für eine Kontrolle der Einhaltung deklaratorischer vertraglicher Bestimmungen ein spezielles BVerfG-Verfahren zu etablieren, besteht objektiv kein Bedürfnis, da insoweit etwaige Verletzungen gleichzeitig Verletzungen der grundgesetzlichen Kompetenz darstellen, so daß - im obigen Beispiel - das Land ein Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG einleiten kann. Auch insoweit fehlt eine planwidrige Lücke. Schließlich bestand zu der Zeit, als die Einleitung von Verfahren nach Art. 126 GG zu erwarten war, d.h. unmittelbar nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, ein besonders großes Bedürfnis nach verfassungsgerichtlicher Auslegung des frisch verabschiedeten Kompetenzkataloges des Grundgesetzes, die gerade Hauptaufgabe des Bundesverfassungsgerichts bei Verfahren nach Art. 126 GG war. Solch ein besonderes Bedürfnis, das die Einrichtung einer entsprechenden zusätzlichen Verfahrensart verständlich machte, besteht heute, nachdem durch langjährige Interpretation des grundgesetzlichen Kompetenzkataloges durch das Bundesverfassungsgericht in großem Maße Rechtssicherheit hinsichtlich der Kompetenzverteilung geschaffen wurde, nicht mehr. Ein Verfahren nach Art. 126 GG kann daher für Streitigkeiten über Art. 9 EiV und die Fortgeltung von Recht der Deutschen Demokratischen Republik als Bundesrecht nicht beschritten werden.

1.1.3 Antragsbefugte In Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 GG sind nur die Rechtsinhaber antragsberechtigt 49 und für diese ihre Regierungen (§ 71 I Nr. 1 BVerfGG). Da die fiktive Deutsche Demokratische Republik als Rechtsinhaberin aber handlungsunfähig ist, stellt sich die Frage, wer für sie handelt.

48

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377 (zu Art. 44 EiV).

49

Leisner, S. 264.

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

279

Nach der Coburg-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, soweit hier gebilligt, sind handlungsbefugt für das eingegliederte Land die auf seinem Gebiet bestehenden obersten Selbstverwaltungskörperschaften in ihrer Gesamtheit, wobei Versagung der Mitwirkung eines Mitantragsberechtigten jedoch nicht schadet; subsidiär ist die betroffene niederrangigere Selbstverwaltungskörperschaft antragsbefugt. Übertragen auf den Einigungsvertrag, bestünde danach grundsätzlich ein gemeinsames Antragsrecht der fünf neuen Länder und der Ost-Berliner Bezirke (nach einer Vereinigung mit Brandenburg: des Landes Berlin-Brandenburg) 50. Nach Art. 44 EiV i.V.m. Art. 1 ZustGes. BRD 5 1 ist dagegen - nur? jedes der in Art. 1 EiV genannten Länder, also jedes der neuen Länder und Berlin, je einzeln 52 , befugt zur Wahrung der vertraglichen Rechte zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik. „Zugunsten" bedeutet dabei nicht, daß die Befugten nur gegen für die Deutsche Demokratische Republik oder sie nachteilige Vertragsdurchbrechungen vorgehen dürfen 53 ; denn nach allgemein üblichem juristischem Sprachgebrauch besteht ein Recht zugunsten einer Person, wenn es ihr eine Rechtsposition schafft, und nicht nur, wenn es ihr eine Rechtsposition günstigen Inhalts verschafft (rechtlich gesehen, ist jede Rechtsmacht günstig, da sie die Machtbefugnisse erweitert). In welchem Verhältnis stehen Art. 44 EiV und die Coburg-Rechtsprechung? Unproblematisch gilt Art. 44 EiV insoweit, als er nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht (allein) Antragsbefugten (zusätzliche) Befugnisse verleiht. Denn wenn der Gesetzgeber nach Art. 93 I I GG selbst neue verfassungsgerichtliche Verfahrensarten schaffen kann, kann er a maiore ad minus erst recht für die bereits im Grundgesetz genannten Verfahrensarten den Kreis der Antragsberechtigten vergrößern. Dies hält Leisner 54 für rechtsstaatlich bedenklich; aber warum sollte man den Gesetzgeber zwingen, statt Erweiterung der Antragsbefugnisse in einem „alten" Verfahren ein „neues" einzuführen, das mit dem alten identisch ist bis auf die Antragsberechtigten? Dem Art. 93 I GG kann wegen Art. 93 I I GG gerade nicht e contrario entnommen werden, daß in Art. 93 I GG nicht genannte Antragsberechtigte ausgeschlossen bleiben müssen; ihr Antragsrecht ist ggf. nur nicht verfassungsrechtlich gesichert. Folglich ist Art. 44 EiV insofern

50

Siehe oben S. 251.

51

Im folgenden ist mit Art. 44 EiV stets die gesetzlich geltende Bestimmung gemeint. 52

Siehe oben S. 257 f.

53

So aber Eckart Dahme (Diskussionsbeitrag), in: Stern, Wiedervereinigung, S. 241 f. 54

Leisner, S. 263 Anm. 15.

280

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

zulässig, als danach jedes der dort genannten sechs Länder einzeln ein Antragsrecht hat. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könnte aber insofern über Art. 44 EiV hinausgehen, als sie - wenn auch nur zusammen mit den neuen Bundesländern - den Ost-Berliner Bezirken ein (Mit-)Antragsrecht und betroffenen niederrangigeren Selbstverwaltungskörperschaften ein eigenes subsidiäres Antragsrecht einräumt. Eine Beschneidung dieser Antragsbefugnisse durch Art. 44 EiV wäre verfassungswidrig, wenn die Regeln der entsprechenden Rechtsprechung Verfassungs- und nicht nur Gesetzesrang besäßen. Zweierlei ist also klärungsbedürftig: Will Art. 44 EiV weitergehende Antragsbefugnisse, die sich aus der Anwendung der Coburg-Rechtsprechung auf den Einigungsvertrag ergäben, ausschließen, und, falls ja, welchen Rang haben die Regeln zur Antragsbefugnis laut Coburg-Rechtsprechung? Für die erste Frage gibt der Wortlaut des Art. 44 EiV nichts her. Weder heißt es dort, Rechte der Deutschen Demokratischen Republik könnten „nur" von jedem der Länder geltend gemacht werden, noch ist davon die Rede, „auch" jedes der Länder könne sie geltend machen, oder die Rechtsprechung bliebe unberührt. Der Wortlaut läßt vielmehr beide Deutungen zu. Die amtliche Begründung zu Art. 44 EiV auf bundesdeutscher Seite55 verweist nur für die gerichtliche Zuständigkeit, nicht für die Frage der Handlungsbefugnis auf die allgemeinen verfahrensrechtlichen Regeln. Daraus kann aber kein Indiz gegen die Anwendung der Coburg-Rechtsprechung (als allgemeiner Verfahrensregel für Streitigkeiten aus Eingliederungsverträgen) abgeleitet werden, weil laut Begründung an diese Rechtsprechung gerade angeknüpft werden sollte insoweit, als die „Rechte künftig von den Selbstverwaltungskörperschaften prozessual geltend gemacht werden können, die als Repräsentanten der Bevölkerung der untergegangenen Deutschen Demokratischen Republik angesehen werden können". Dieser Wortlaut entspricht dem vom Bundesverfassungsgericht bei der Feststellung der Handlungsfähigkeit verwendeten 56. Allerdings verbietet sich nicht die Interpretation, daß die Verfasser der Begründung für den Fall des Einigungsvertrages nur die in Art. 44 EiV genannten als Selbstverwaltungskörperschaften der zitierten Art ansahen. Zwar spräche der generelle Wille zur Übertragung der Coburg-Rechtsprechung auf den Einigungsvertrag gegen eine Interpretation des Art. 44 EiV als abschließende Regelung. Jedoch zeigt die Tatsache, daß nach dem ausdrück-

55

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377 (zu Art. 44 EiV).

56

BVerfGE 3, 267 (280); 22, 221 (231); 34, 216 (226); 42, 345 (355 f.).

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

281

liehen Wortlaut des Art. 44 EiV jedes der dort genannten Länder allein antragsbefugt sein soll, daß die Vertragsparteien durch Art. 44 EiV die CoburgRechtsprechung im Punkte der Antragsberechtigung auch modifizieren oder ergänzen wollten. Dann kann nicht mehr aus dem generellen Übernahmewillen auf den Willen geschlossen werden, auch sämtliche Details der CoburgRechtsprechung zur Antragsberechtigung zu übernehmen. Die Parteien bezweckten mit Art. 44 EiV, eine Sicherung dafür zu schaffen, daß die Einhaltung des Einigungsvertrages auch noch nach dem Beitritt möglichst im Interesse der Deutschen Demokratischen Republik überwacht werden kann. Dieser Sinn spricht auf den ersten Blick dafür, Art. 44 EiV nur als zusätzliche, nicht als abschließende Regelung der Antragsbefugnis zu interpretieren. Jedoch würde der geschilderte Zweck auch bei der zweiten Interpretationsvariante nicht vereitelt. Art. 44 EiV diente dann nur zusätzlich dazu, die theoretisch betroffene Vielzahl betroffener Selbstverwaltungskörperschaften (als nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts subsidiär Antragsberechtigter) einzudämmen. Eine solche Zielrichtung des Art. 44 EiV wird insbesondere deshalb naheliegen, weil damit ein Gegengewicht zu der (im Vergleich zur Rechtsprechung) Erweiterung der Antragsbefugnis der Länder auf eine generelle Einzelbefugnis geschaffen würde. Dafür spräche auch, daß im Falle des Einigungsvertrages wegen der Größe des eingegliederten Landes eine ungleich größere Zahl von Selbstverwaltungskörperschaften als in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Eingliederungsfällen sonst (subsidiär) antragsberechtuigt wären; die Bundesrepublik Deutschland hätte also einen guten Grund gehabt, hier eine Modifikation zu verlangen, und die Deutsche Demokratische Republik hätte ihre Interessen insoweit gewahrt sehen können, als dafür jedes Land die Einzelantragsbefugnis erhielt. Schließlich könnte die Entwicklungsgeschichte des Art. 44 EiV, dessen ursprüngliche Fassungen die Rechtsnachfolge der Länder betrafen, dafür sprechen, daß diese Vorschrift nur Befugnisse der Länder und nicht solche anderer Selbstverwaltungskörperschaften regeln sollte, also nicht als abschließende Regelung zu interpretieren wäre. Jedoch kann sich im Laufe der Normerarbeitung die ursprünglich geplante Zielsetzung einer Vorschrift ändern. Dies geschah bei dem (heutigen) Art. 44 EiV, als er von einer Rechtsnachfolge- in eine RechtswahrungsVorschrift umgeformt wurde; damit wurde ihm der neue Sinn zuteil, die prozessuale Durchsetzung von Einigungsvertrags-Ansprüchen sicherzustellen (statt, wie vorher, die materiell-rechtliche Nachfolge). Während die Nachfolge zwangsläufig auf Selbstverwaltungskörperschaften derselben Ebene beschränkt war, traf dies für die Frage der Rechtswahrung nicht mehr notwendig zu. Gerade weil Art. 44 EiV die Coburg-Rechtsprechung (hinsichtlich der Einzelantragsbefugnis) modifiziert, wäre, wenn Art. 44 EiV keine abschlie-

282

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

ßende Regelung treffen wollte, ein Hinweis darauf zu erwarten gewesen, daß die Coburg-Rechtsprechung im übrigen anwendbar bleiben solle. Daß er fehlt, spricht für die Interpretation des Art. 44 EiV als abschließende Regelung der Antragsbefugnis; zwingend entgegenstehende Gründe gibt es, wie dargelegt, nicht. Damit ist auch die zweite Frage, nach dem Rang der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Antragsberechtigung, von Interesse. Wer für einen im Verfassungsrecht genannten Antragsberechtigten handelt, ist gerade für die hier einschlägige Verfahrensart des Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG, aber auch für Art. 93 I Nr. 3 und 4, 2. und 3. Alt. GG, nur einfach-gesetzlich (in §§ 71 I, 68 BVerfGG) festgelegt. Das Grundgesetz selbst nennt nur für eine einzige Verfahrensart den für den Beteiligten Handlungsbefugten, nämlich in Art. 61 I 4 GG. Dagegen benennt es teilweise (Art. 18, 21 Π, 126 GG) für Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht noch nicht einmal den Antragsbefugten. Dies alles, insbesondere die nur gesetzliche Regelung für das einschlägige Verfahren, spricht dafür, den Regeln der Rechtsprechung, wer für ein untergegangenes Land antragsbefugt sei, nur einfach-gesetzlichen Rang zuzusprechen. Verfassungsrechtlich notwendig ist nur, daß eine Regelung existiert, die einen für die Deutsche Demokratische Republik Handlungsbefugten nennt (weil sonst das Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG nicht durchgeführt werden könnte); dies leistet Art. 44 EiV. Im übrigen war die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zwar eine plausible, aber nicht eine zwingende Fortentwicklung der Fiktion im Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 GG. Insbesondere ist eine (subsidiäre 57) Antragsbefugnis niederrangiger Selbstverwaltungskörperschaften nicht zwingend (für den Fall, daß die primär Antragsberechtigten kein Verfahren einleiten wollen), da diese Körperschaften ein solches Recht auch nicht hätten, wenn die Deutsche Demokratische Republik noch bestünde. Die Deutsche Demokratische Republik könnte dann nämlich auf die Durchsetzung von Rechten, die einzelne niederrangige Selbstverwaltungskörperschaften begünstigen, ebenfalls verzichten; eine Rechtsschutz Verweigerung liegt in dem Verzicht auf ein Antragsrecht niederrangiger Selbstverwaltungskörperschaften daher nicht. Die Mitantragsbefugnis der Ost-Berliner Bezirke stellt ohnehin nur eine mögliche Anwendung der Rechtsprechung auf den Einigungsvertrag dar. Danach konnten die verfassungsgerichtlichen Regeln wegen ihres (bloßen) einfach-gesetzlichen Ranges durch Art. 44 EiV (i.V.m. Art. 1 ZustGes. BRD) als späteres und spezielleres Gesetz verdrängt werden.

57

Nur insoweit überzeugte die BVerfG-Rechtsprechung; s.o. S. 252.

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

283

Antragsbefugt ist also im Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 GG ausschließlich jedes der sechs in Art. 1 EiV genannten Länder, jeweils bereits für sich allein.

1.1.4 Gegenstand der Antragsbefugnis Die Rechte, die nach Art. 44 EiV von den Ländern geltend gemacht werden können, können sich aus dem Einigungsvertrag, ferner - wegen des unmittelbaren Bezuges zum EiV - aus seinen Anlagen, dem Protokoll zum EiV und der Durchführungsvereinbarung vom 23.9.1990 ergeben 58. Grawert 59 hält für fraglich, „ob insoweit nur Staatsorganisations- und Verfahrensrechte oder auch Individualrechtspositionen", zu denen er die Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch zählt, geltend gemacht werden können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Anhaltspunkte: weder im Wortlaut des Art. 44 EiV, der sich unterschiedslos auf alle vertraglichen Rechte der Deutschen Demokratischen Republik (und damit auch die Rechte zur Durchsetzung der von Grawert sogenannten „Individualrechtspositionen") bezieht, noch in der Coburg-Rechtsprechung zur Antragsbefugnis. Daß einzelne vertragliche Bestimmungen zugunsten einzelner wirken, die dann auch vor Gericht die Einhaltung dieser Bestimmungen einfordern können, raubt ihnen nicht ihre Natur als vertragliche Vereinbarung, die in jedem Falle - ggf. auch - der Vertragspartner (bzw. für die Deutsche Demokratische Republik die Länder nach Art. 44 EiV) geltend machen kann.

1.1.5 Rechtsnatur der Antragsbefugnis Die Rechtsnatur der Antragsbefugnis, die sich aus Rechtsnachfolge, Stellvertretung, Prozeßstandschaft, Treuhand oder Organleihe ergeben könnte, kann bedeutsam werden etwa für die nicht näher geregelte Frage, ob die Handlungen eines Antragsbefugten an vorausgegangenen Handlungen eines anderen Antragsbefugten zu messen sind (das Bundesverfassungsgericht hatte gerade zur Vermeidung sich widersprechender Anträge eine einheitlich auszuübende Antragsbefugnis angenommen60), oder für die Reichweite der Rechtskraft einer ergangenen Verfassungsgerichtsentscheidung (allerdings werden hier über § 31 I BVerfGG die subjektiven Grenzen der Rechtskraft

58

Siehe oben S. 142.

59

Grawert,

60

BVerfGE 22, 221 (232).

Rechtseinheit, S. 223.

284

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

erweitert 61 ). Stets geht es darum, ob die Rechtswahrung durch eines der in Art. 44 EiV genannten Länder zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik auch für die Rechtswahrung für die Deutsche Demokratische Republik durch die anderen wirkt. Als mögliche Konstruktionen der Antragsbefugnis können Rechtsnachfolge, Treuhand und Organleihe von vornherein ausgeschieden werden. Daß die Länder nicht in die Vertragsstellung der Deutschen Demokratischen Republik eintraten, folgt schon daraus, daß ja deren Fortbestand gerade für die Vertragsfortgeltung fingiert wird. Gegen eine Treuhandstellung 62 der Länder spricht, daß die für eine Treuhand typische (vertragliche) Bindung des Treuhänders gegenüber dem Treugeber 63 im Falle des Art. 44 EiV, der die Rechtswahrung einschränkungslos den Ländern überläßt, fehlt; außerdem ist ebensowenig wie eine Rechtsnachfolge ein formaler Übergang der Inhaberschaft der vertraglichen Rechte von der Deutschen Demokratischen Republik auf die „Treuhänder" erfolgt. Gegen eine Organleihe spricht ebenfalls, daß die dafür typische Unterstellung unter die Weisung des Landes64 (Deutsche Demokratische Republik) mangels faktischer Existenz der Deutschen Demokratischen Republik praktisch wirkungslos wäre; außerdem müßte nicht nur, wie in den typischen Fällen der Organleihe, ein einzelnes Organ ausgeliehen werden, sondern alle Organe (eines der in Art. 44 EiV genannten Länder), die an der Rechtswahrung jeweils beteiligt sind. Damit bleibt die Frage, ob die Rechtswahrung als Stellvertretung, also Handeln in fremdem Namen, oder als Prozeßstandschaft, also Handeln in eigenem Namen, zu konstruieren ist. Im ersten Fall wirkte die Rechtswahrung durch eines der in Art. 44 EiV genannten Länder stets auch für die anderen, weil diese ebenso wie jenes für die Deutsche Demokratische Republik handelten; im zweiten Fall tritt eine Auswirkung nur in bestimmten Fällen ein (z.B. Rechtskraftwirkung für die Deutsche Demokratische Republik nur bei Prozeßstandschaft im Interesse des Rechtsinhabers 65).

61

Maunz/Schmidt-Bleibtreu,

BVerfGG, § 31 Rdnr. 19; Sachs, S. 90.

62

Für Gemeindeeingliederungsverträge hält Klüber, Eingemeindungsverträge, S. 331, und ders., Gemeinderecht, S. 344 u. 371 die Einsetzung eines Treuhänders für möglich; dagegen Altenmüller, S. 37. 63

Creifelds,

64

Tilch, Art. „Organleihe", S. 1173 f.

65

Art. „Treuhandeigentum".

Stein/Jonas/Leipold, § 325 Rdnr. 54; Sachs, S. 202; ähnlich (bei gesetzlicher ausschließlicher sowie bei gewillkürter Prozeßstandschaft) Rosenberg/Schwab, S. 259 f.; dagegen stets für Erstreckung Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rdnr. 63.

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

285

In der Literatur wird, soweit ersichtlich, zu dieser Frage kaum Stellung bezogen; lediglich Stern äußerte sich in einer Diskussion zugunsten der Interpretation als Prozeßstandschaft 66. Der Wortlaut des Art. 44 EiV hilft nicht weiter. Ob jedes der Länder Rechte „zugunsten" der Deutschen Demokratischen Republik nun in deren oder in eigenem Namen geltend macht, wird nicht gesagt. Auch kann aus der parallelen Erwähnung von Rechten zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik und zugunsten der Länder nicht geschlossen werden, die Rechte zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik würden wie die Rechte zugunsten des Landes selbst, also in eigenem Namen, geltend gemacht. Die eigenen Rechte werden nämlich weder in Prozeßstandschaft noch in Stellvertretung geltend gemacht; daß ihre Geltendmachung auch in Art. 44 EiV geregelt ist, beruht nur auf der Gemeinsamkeit, daß in beiden Fällen die Rechtswahrung geregelt wird, sagt aber nichts über die Ausgestaltung aus. Direkte Äußerungen der Vertragspartner bei den Vertragsverhandlungen zu dieser Frage liegen nicht vor. Allenfalls könnte man überlegen, die Aussage des Verhandlungsführers der Deutschen Demokratischen Republik vor der Volkskammer, ein Land könne nach Art. 44 EiV „in Form von Klagen Rechte beanspruchen" 67, dahingehend zu interpretieren, es könne in eigenem Namen handeln. Jedoch zwingt der Wortlaut nicht zu dieser Auslegung (das Land könnte die Rechte auch in Vertretung für die Deutsche Demokratische Republik beanspruchen); ferner kann sich die Aussage möglicherweise auf die Wahrung der - auch in Art. 44 EiV geregelten - eigenen Länderrechte, die das Land ja in eigenem Namen beanspruchen kann, beziehen; und schließlich ist dieser einzelne Satz in dem Debattenbeitrag nicht dazu gedacht gewesen, die in der damaligen Situation politisch uninteressante juristische Frage „Stellvertretung oder Prozeßstandschaft" zu klären, so daß insofern die Worte nicht auf die Goldwaage gelegt werden sollten. Der Äußerung kann daher nichts für die Rechtsnatur der Antragsbefugnis entnommen werden. Die Intention der Vertragspartner könnte sich aber aus ihrem Willen zur Übernahme der Coburg-Rechtsprechung ergeben. Dieser Übernahmewillen wird, gerade für Art. 44 EiV, insbesondere für die Antragsbefugnis für die Deutsche Demokratische Republik, auch in der bundesdeutschen Begründung zu diesem Artikel betont68. Mangels abweichender Äußerungen ist zu vermuten, daß sich die Vertragspartner damit auch der Beurteilung der Natur der Antragsbefugnis anschließen wollten.

66

Diskussionsbeitrag in Stern, Wiedervereinigung, S. 242.

67

Stenographische Niederschrift 13.9.90, S. 206.

68

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

286

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

In den Coburg-Fällen 69 und dem ersten Waldeck-Fall 70 hatten die Antragsteller jeweils für den eingegliederten Staat gehandelt; und in der ersten Coburg-Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht sie als „gleichsam - an Stelle der weggefallenen verfassungsmäßigen Vertretungsorgane des Freistaates Coburg - die gesetzlichen Vertreter des ... Freistaates Coburg" bezeichnet71. In den Lippe-Fällen 72 und dem zweiten Waldeck-Fall 73 fehlt in den in der Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts wiedergegebenen Urteilen ein entsprechender Vertretungshinweis auf Seiten der Antragsteller; jedoch erkennt das Gericht in den Lippe-Fällen die Antragsteller als „Repräsentanten" des Landes Lippe an 74 , die „für das untergegangene Land" Rechte geltend machen75, also in fremdem Namen handeln. Im zweiten Waldeck-Fall verwies das Bundesverfassungsgericht für die Aktivlegitimation nur auf seine frühere Rechtsprechung 76. In allen Fällen konstruierte es danach die Antragsbefugnis als gesetzliche Vertretung. Allerdings bestand nach der Coburg-Rechtsprechung nur eine gemeinsame Antragsbefugnis, keine Einzelbefugnis wie nach Art. 44 EiV. Rechtfertigt dieser Unterschied eine andere Beurteilung der Rechtsnatur? Auch nach Art. 44 EiV ist eine Konstruktion als Stellvertretung möglich. Umgekehrt hätte die gemeinsame Antragsbefugnis als Prozeßstandschaft (in notwendiger Streitgenossenschaft) gedeutet werden können. Die unterschiedliche Antragsbefugnis steht also einer Übertragung der Coburg-Rechtsprechung auf den Einigungsvertrag in diesem Punkte nicht entgegen. Allerdings verbot sich in den Fällen der Coburg-Rechtsprechung die Annahme einer Prozeßstandschaft insofern, als dann prozessual kein Streit zwischen zwei Ländern vorgelegen hätte, also das Bundesverfassungsgericht nicht zuständig gewesen wäre (Art. 93 I Nr. 4, 2. Alt. GG). Das Gericht mußte in den Coburg-Fällen daher von einer gesetzlichen Stellvertretung ausgehen. Daher ist nicht ausgeschlossen, daß im Fall des Einigungsvertrages auch nach der Rechtsprechung eine Prozeßstandschaft angenommen werden könnte. Die Interpretation der Vertragspartner zur Übernahme der CoburgRechtsprechung spricht dennoch für eine Interpretation als gesetzliche Vertre-

69

BVerfGE 22, 221; 34, 216; 38, 231.

70

BVerfGE 42, 345.

71

BVerfGE 22, 221 (230).

72

BVerfGE 3, 267; 4, 250.

73

BVerfGE 62, 295.

74

BVerfGE 3, 267 (280).

75

BVerfGE 4, 250 (268).

76

BVerfGE 62, 295 (312).

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

287

tung, da ihnen bei ihrem Wunsch zur Übernahme der Coburg-Rechtsprechung dieser Unterschied (Eingliederung in Bundesland statt in Gesamtstaat) nicht bewußt war 77 und sie daher nicht von einer entsprechenden, sondern von einer direkten Übernahme der Rechtsprechung ausgingen, d.h. ohne Rücksicht auf etwaige Unterschiede. Spricht der Sinn der (von der Coburg-Rechtsprechung abweichenden) Regelung der Antragsbefugnis für die Deutsche Demokratische Republik in Art. 44 EiV für eine der beiden Alternativen? Diese Frage wirft die Vorfrage auf, warum die Vertragspartner von der Coburg-Rechtsprechung teilweise abwichen. Äußerungen der Vertragspartner zu dieser Frage sind nicht ersichtlich. Denkbar sind hauptsächlich zwei Gründe: Entweder sollte, um der Rechtssicherheit willen, die in der Coburg-Rechtsprechung zunehmend auftauchende Problematik, in welchen Fällen die fehlende Mitwirkung einer der grundsätzlich nur gemeinsam antragsbefugten Gebietskörperschaften nicht schadet, ausgeschaltet werden; das Bundesverfassungsgericht hatte dafür immer mehr Gründe anerkannt 78, ohne einen alle Ausnahmefälle erfassenden Obersatz zu bilden. Oder es sollte in bewußtem Gegensatz zur CoburgRechtsprechung die Stellung der Gebietskörperschaften auf dem Gebiet des eingegliederten Landes gestärkt werden insofern, als sie Rechte der Deutschen Demokratischen Republik unabhängig von den Ansichten der übrigen Gebietskörperschaften verfolgen können sollten. Der erste Grund spräche für die Beibehaltung der Vertretungskonstruktion, da er nichts dafür hergibt, warum die Folgen der Rechtswahrungsaktivitäten nun nicht mehr für die Deutsche Demokratische Republik und damit alle Rechtswahrungsberechtigten gelten sollen. Der zweite Grund dagegen spricht gegen eine generelle Wirkung der Aktivitäten eines Rechtswahrungsberechtigten für die anderen Länder, da diese sonst ihre gestärkte Position doch durch das Vorgehen eines anderen Landes verlören. Welcher der beiden Gründe der überwiegende bei der Konzeption des Art. 44 EiV war, ist nicht ersichtlich. Auch objektiv sind beide Sinngebungen vertretbar. Der Sinn des Art. 44 EiV spricht somit nicht eindeutig für oder gegen eine Alternative. Auch aus der „Systematik der Verfahrensart" nach Art. 93 I Nr. 4 GG, die laut Bundesverfassungsgericht etwa für die einheitliche Antragsbefugnis spricht 79 , folgt nichts für die Natur der Rechtswahrungsbefugnis in Art. 44

77

Siehe oben S. 55.

78

BVerfGE 22, 221 (233); 34, 216 (227); 38, 231 (237); 42, 345 (356).

79

BVerfGE 22, 221 (232).

288

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

EiV. Das ergibt sich schon daraus, daß Art. 44 EiV nicht nur für die Antragsbefugnis in dieser Verfahrensart, sondern für jede Form der Rechtswahrung gilt, also nicht einseitig nur mit Blick auf eine der Rechtswahrungsmöglichkeiten interpretiert werden kann. Im übrigen wären, gleich ob ein Land nach Art. 44 EiV für die Deutsche Demokratische Republik oder im eigenen Namen im Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 GG handelt, sowohl beide Streitparteien (Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik bzw. Land) als auch die Beteiligten des streitigen materiell-rechtlichen Verhältnisses der Gruppe „Bund und Ländern" zuzurechnen, wie Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG es erfordert (dies wäre in den Fällen der Coburg-Rechtsprechung nicht der Fall gewesen). Schließlich mag ein Vergleich mit, zugegebenermaßen entfernten Parallelfällen eher für die Konstruktion als gesetzlicher Vertreter sprechen. Art. 44 EiV regelt, allgemein gesprochen, einen Fall, wer für eine nicht mehr existierende Person ihre noch existierenden Rechte wahrnimmt. Solche Regeln finden sich, für Gesamthandsgemeinschaften bzw. juristische Personen des Zivilrechts, in §§ 145 ff. HGB, 264 ff. AktG, 66 ff. GmbHG; in allen Fällen (§§ 149 S. 2 HGB, 269 I AktG, 70 S. 1, 2. Hs. GmbHG) ist die Rechtswahrung bei der Auflösung als gesetzliche Vertretung konzipiert (abgesehen vom Sonderfall des Konkurses). Für den „umgekehrten" Fall - ein Recht ist vor Entstehung einer Person zu wahren - bedient sich § 1912 BGB (für die Wahrung des Rechts einer natürlichen Person) ebenfalls der Vertretungskonstruktion. Im Ergebnis spricht somit vor allem die Intention der Vertragspartner zur Übernahme der Coburg-Rechtsprechung tel quel für eine Interpretation der Rechtswahrungsbefugnis nach Art. 44 EiV als gesetzliche Vertretung. Handlungen eines Landes wirken also stets für die Deutsche Demokratische Republik und beeinflussen damit auch die spätere Rechtswahrungsaktivität anderer aus Art. 44 EiV dazu Berechtigter.

1.2 Streit über Geltung des Einigungsvertrages Allgemein kann von den Vertragsparteien die Unvereinbarkeit eines BundLänder-Vertrages mit ihren verfassungsmäßigen Rechten im Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG geltend gemacht werden 80. Jedoch wird die Deutsche Demokratische Republik nur zur Wahrung ihrer vertraglichen Rechte als fortbestehend angesehen. Sofern man ihr verfassungsrechtliche Rechte als Land nach den Beitrittsvarianten l.a und 2.a für ihre Existenz als Bundesland

80

H.-E. Giese, S. 151; Grawert,

Verwaltungsabkommen, S. 288.

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

289

in der logischen Sekunde zuerkennte, könnte sie (bzw. ein Land für sie) solche grundsätzlich nicht geltend machen, da sie untergegangen ist. Dabei darf sie sich nach allgemeinen Rechtsgedanken allerdings gegen den Rechtsakt ihres Untergangs (als Bundesland) wehren. Auch den kann sie aber wegen Verstreichens der Frist der §§ 69, 64 ΙΠ BVerfGG nicht mehr angreifen, so daß verfassungsrechtliche Rechte der Deutschen Demokratischen Republik von ihr bzw. einem Land nach Art. 44 EiV nicht mehr im Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG zum Streitgegenstand gemacht werden können. Andererseits kann die Bundesrepublik Deutschland kein Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG gegen die Deutsche Demokratische Republik wegen Verletzung ihrer verfassungsrechtlichen Rechte durch den Einigungsvertrag einleiten, weil das Verfahren eine konkrete Maßnahme des Antragsgegners als Verletzung des verfassungsrechtlichen Rechts voraussetzt; eine solche könnte allenfalls die Zustimmung der Deutschen Demokratischen Republik zum Einigungsvertrag sein, die ebenfalls bereits wegen §§ 69, 64 ΠΙ BVerfGG nicht mehr angreifbar ist. Schon aus diesen Gründen kann ein Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG über die Geltung des Einigungsvertrages daher nicht geführt werden.

2. Rechtspositionen eines der in Art. 44 EiV genannten Länder Zunächst ist festzustellen, ob solche Rechte begründet wurden. Art. 44 EiV spricht eindeutig für die Begründung mindestens eines Rechts der darin genannten Länder; andernfalls wäre nämlich der Zusatz „oder der in Artikel 1 genannten Länder" in Art. 44 EiV überflüssig. Auch die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen der CoburgRechtsprechung nie auf ein eigenständiges Recht der durch die umstrittenen Garantien (Kreisfreiheit zweier Städte81, Bestandsgarantie für Forstamt 82 und Amtsgericht 83 ) begünstigten Gebietskörperschaften einging, spricht nicht dagegen; denn für das Bundesverfassungsgericht war im Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4, 2. Alt. GG ein etwaiges Recht einer nicht antragsbefugten Gebietskörperschaft unerheblich. Die Untersuchung, aus welchen Einigungsvertrags-Regeln einzelne Rechte der Länder begründet werden können, muß Einzeluntersuchungen vorbehalten

81

BVerfGE 34, 216 (226 f.).

82

BVerfGE 38, 231 (237).

83

BVerfGE 42, 345 (356).

19 Wagner

290

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

bleiben. Für die hier behandelte Fragestellung ist nur von Interesse, ob aus dem Einigungsvertrag generell auch die östlichen Länder berechtigt sind, da dann etwaige Einschränkungen für sie bei der Wahrung von Rechten zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik geringere Auswirkungen haben könnten. Im Laufe der Vertragserarbeitung äußerte sich weder der bundesdeutsche Verhandlungsführer noch der der Deutschen Demokratischen Republik unzweideutig zu einer Begründung von Rechten der östlichen Länder durch den Einigungsvertrag generell. Die Situation der vor ihrem Untergang stehenden Deutschen Demokratischen Republik, deren Politiker sich natürlich für das künftige Schicksal der Bevölkerung ihres Staatsgebietes und damit für das der zukünftigen östlichen Bundesländer verantwortlich fühlten, gleicht der eines älteren Menschen, der sicherstellen will, daß nach seinem Tode seine Verwandten noch versorgt sind. Im Zivilrecht werden Versorgungsverträge, von denen Dritte profitieren, nicht nur als ermächtigende, sondern als berechtigende Verträge zugunsten Dritter angesehen, da es in der gegebenen Situation dem Versprechensempfänger typischerweise darauf ankomme, dem Dritten eine eigenständige Rechtsposition zu verschaffen 84. Diese Parallele spricht dafür, zumindest diejenigen Einigungsvertrags-Bestimmungen, die die östlichen Länder begünstigen, regelmäßig als Berechtigungen für sie anzusehen. Freilich würde dieser „Versorgungszweck" auch gewahrt, wenn die Länder nur aus dem zu ihren Gunsten wirkenden gesetzlich geltenden Einigungsvertrag subjektive Rechte erhielten. Dafür, daß dieselbe Bestimmung in einem Gesetz ein Recht eines Dritten begründet, nicht aber in dem parallelen Vertrag, gibt es generell einen plausiblen Grund: So könnte das vertragliche Recht, das generell auch gegen den Gesetzgeber gerichtet sein kann, mit zentraler Wirkung (via Stellvertretung) wahrgenommen werden sollen, so wie ja auch ein Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Gesetzgebers besteht, während das aus einfachen Gesetzen folgende Recht, deren Adressat in erster Linie Verwaltung (und Rechtsprechung) sind, problemlos nebeneinander von verschiedenen Berechtigten wahrgenommen werden kann. Der „Versorgungszweck" erfordert also nicht eine generelle Berechtigung der Länder durch den vertraglich geltenden Einigungsvertrag. Es bestehen folglich Rechte der östlichen Länder direkt aus dem Einigungsvertrag (in Betracht kommen etwa Art. 7 V Nr. 1, 15 Π, ΙΠ 1, 38 V EiV, Abschnitt I Nr. 12 des Einigungsvertrags-Protokolls), aber nicht generell aus jeder Bestimmung des Einigungsvertrages.

84

Larenz, § 17 I a.

I. Wahrung und Kontrolle des Vertrages

291

Bei der Wahrung vertraglicher Rechte eines der in Art. 44 EiV genannten Länder - einschlägiges Verfahren ist auch hier Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG könnte sich nur insofern eine Abweichung von den üblichen Verfahrensvorschriften ergeben, als der Wortlaut des Art. 44 EiV („Rechte aus diesem Vertrag zugunsten ... der in Artikel 1 genannten Länder können ... von jedem dieser Länder geltend gemacht werden") nahelegt, daß nicht nur, wie Art. 93 I Nr. 4 GG selbst vorsieht, das Land, das Rechtsinhaber ist, sondern auch die übrigen fünf Länder dessen Recht geltend machen dürfen; nach den bisherigen Ausführungen gestünde Art. 44 EiV i.V.m. Art. 1 ZustGes. BRD den übrigen Ländern insoweit ein gesetzliches (jeweils Einzel-)Vertretungsrecht zu. Gegen eine solche Interpretation des Art. 44 EiV sprechen jedoch mehrere Gründe. Zunächst fällt auf, daß die amtliche Begründung der bundesdeutschen Seite zu Art. 44 EiV, abgesehen von der Angabe des Inhalts des Art. 44 EiV in S. 1 der Begründung, nur auf die Notwendigkeit einer Regelung der Wahrung der Rechte der Deutschen Demokratischen Republik eingeht85. Soweit ersichtlich, liegt auch sonst keine Äußerung auf Seiten eines Vertragspartners zur Wahrung der Rechte eines Landes durch ein anderes Land vor. Objektiv besteht aus zwei Gründen kein Bedürfnis nach einer besonderen Regelung der Antragsbefugnis für Rechte der in Art. 44 EiV genannten Länder: Im Gegensatz zur Deutschen Demokratischen Republik, die mit dem Beitritt unterging und die daher ihre Rechte nicht mehr selbst wahren kann, existieren die in Art. 44 EiV genannten Länder nach dem Beitritt. Im übrigen hat auch die Deutsche Demokratische Republik als Vertragspartner einen vertraglichen Anspruch darauf, daß ein vertragliches Recht eines Landes gewahrt wird; deren Recht kann jedes Land ohnhehin nach Art. 44 EiV wahren (stellvertretend für die Deutsche Demokratische Republik), so daß eine Stellvertretung für das berechtigte Land überflüssig wäre. Auch die Genese des Art. 44 EiV spricht nicht gegen eine solche Wortlautreduktion, die eine entsprechende Interpretation darstellte. Der Wortlaut legt erst mit dem Wechsel der Worte „von diesen Ländern" in „von jedem dieser Länder" in der Zeit zwischen dem 15. und 19. August 1990 die Einzelantragsbefugnis unzweifelhaft fest. Mit der neuen Formulierung wurde in leicht abgewandelter Form ein Gedanke aufgegriffen, der zuvor (letztmals) in der Zusammenstellung der Textvorschläge durch die Deutsche Demokratische Republik vom 30.7.1990 aufgetaucht war; dort regelte die Vorgängervorschrift des Art. 44 EiV noch die Rechtsnachfolge der Deutschen Demokrati-

85

BT-Drs. 11/7841 i.V.m. BT-Drs. 11/7760, S. 377.

292

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

sehen Republik, wobei die Länder deren Rechte „einzeln oder gemeinsam" in Anspruch nehmen können sollten. Hier bezog sich die Einzelbefugnis der Länder also ausschließlich auf Rechte der Deutschen Demokratischen Republik, nicht auch auf Rechte anderer Länder aus dem Vertrag. Es ist daher möglich - insbesondere unter Berücksichtigung des zeitlichen Drucks, unter dem der Einigungsvertrag konzipiert wurde - , daß mit der Aufnahme dieses Gedankens der Einzelantragsbefugriis in den Entwurf vom 19.8.1990, in dem der (heutige) Art. 44 EiV bereits die Wahrung der Rechte der Deutschen Demokratischen Republik und der östlichen Länder regelte, nur versehentlich auch eine Einzelbefugnis der Länder für die Rechte anderer Länder eingeführt wurde. Schließlich spricht auch noch ein verfassungsrechtlicher Gesichtspunkt für die restriktive Interpretation des Art. 44 EiV: Ohne ihn hätte nach Art. 93 I Nr. 4 GG jedes der in Art. 44 EiV genannten Länder das Recht, Rechte, die ihm der Einigungsvertrag gewährt, vor dem Bundesverfassungsgericht geltend zu machen. Nach der reinen Wortlaut-Auslegung des Art. 44 EiV könnte ihm nun jedes andere der dort genannten Länder, indem es als sein gesetzlicher Vertreter auftritt, bei der Verfahrensgestaltung in die Quere kommen oder etwa seine Entscheidung, kein Verfahren einzuleiten, durchkreuzen. Das Land wäre nicht mehr alleiniger Herr „seines" Verfahrens, wie es Art. 93 I Nr. 4 GG aber entspricht, da durch die Etablierung der Parteistreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht u.a. jeweils die Position gerade der Antragsberechtigten gestärkt werden soll. Angemerkt sei eine Konsequenz dieser Interpretation des Art. 44 EiV als Regelung, die die regelmäßige Antragsbefugnis nach Art. 93 I Nr. 4 GG (d.h. diejenige für bestehende Gebietskörperschaften) nicht modifiziert: Art. 44 EiV schränkt dann auch nicht die Antragsbefugnis des Bundes (und ggf. der übrigen Bundesländer) nach Art. 93 I Nr. 4 GG zur Wahrung ihm (und etwa ihnen als Dritten) zukommender vertraglicher Rechte ein 86 .

I I . Wahrung und Kontrolle des Gesetzes Der in Verbindung mit Art. 1 ZustGes. BRD gesetzlich geltende Einigungsvertrag kann nach den für Gesetze üblichen Verfahren vom Bundesverfassungsgericht kontrolliert werden, ohne daß sich dabei Besonderheiten er-

86 Dagegen weist Fastenrath, Bindungs Wirkung, S. 431 darauf hin, daß dem Bund in Art. 44 EiV gerade kein Rechtswahrungsrecht eingeräumt wurde — natürlich nicht, denn er hatte es bereits aus Art. 93 I Nr. 4 GG und seiner (von Fastenrath abgelehnten) Stellung als Vertragspartner direkt.

I . Wahrung und Kontrolle des

e e s

293

geben; die (fiktive) Deutsche Demokratische Republik kann daran nicht beteiligt sein. Fraglich ist insoweit nur, ob er der Deutschen Demokratischen Republik Rechte gewährt und wiederum nach Art. 44 EiV die sechs Länder für die Deutsche Demokratische Republik diese Rechte im Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG einfordern können. Daß die Deutsche Demokratische Republik de facto untergegangen ist, stünde dem nicht entgegen. Da der gesetzlich geltende Einigungsvertrag sowohl nach der gemäßigten Transformations- als auch nach der Adaptionslehre fortgilt, weil auch der vertraglich geltende Einigungsvertrag fortbesteht87 - wofür die Deutsche Demokratische Republik als fortbestehend fingiert wird - , ist es nur konsequent, sie dann auch für etwaige Rechte aus dem gesetzlichen Einigungsvertrag als fortbestehend anzusehen. Allerdings ist eine Fortbestandsfiktion nach den hier gebilligten Begründungen nur zulässig, soweit der Deutschen Demokratischen Republik noch Rechte zukommen sollen: Die Argumente des Bundesverfassungsgerichts, jedes Recht sei gerichtlich zu schützen und Art. 93 I Nr. 3, 4 GG sei Ausdruck eines geschlossenen Systems des Schutzes föderaler Rechte88, wie das des Staatsgerichtshofes, die untergegangene Körperschaft sei für Rechte, die den Untergang überdauern sollen, als fortbestehend anzusehen89, setzen für eine Fiktion voraus, daß der Deutschen Demokratischen Republik Rechte - hier: aus dem gesetzlich geltenden Einigungsvertrag - zugute kommen. Die Deutsche Demokratische Republik wäre aus dem gesetzlich geltenden EiV berechtigt, wenn sie durch ihn ausdrücklich Rechte eingeräumt erhielte oder seine Bestimmungen - auch - dem Zweck dienten, ihr Interesse zu schützen. Explizit räumt der Deutschen Demokratischen Republik allenfalls Art. 42 EiV ein Recht ein, nämlich auf Benennung der Mitglieder des 11. Deutschen Bundestages für das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Da die Legislaturperiode des 11. Deutschen Bundestages aber längst abgelaufen ist, ist dieses etwaige Recht heute gegenstandslos und kann daher außer acht gelassen werden. Der Deutschen Demokratischen Republik kommt nicht schon deshalb aus dem gesetzlich geltenden Einigungsvertrag ein Recht auf Einhaltung jeder seiner Bestimmungen zu, weil das Gesetz die Erfüllung eines mit ihr durch die Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Vertrages darstellt. Entschei-

87 88 89

Siehe oben S. 162. Siehe oben S. 130. Siehe oben S. 123.

294

D. Rechtswahrung vor dem Bundesverfassungsgericht

dend für die Frage, ob die gesetzlichen Bestimmungen (auch) das Interesse einer bestimmten Person schützen wollen, ist der Zweck der Regelung. Der Regelungszweck einer Norm eines Gesetz gewordenen Staatsvertrages ist nach dem mit dieser Regelung objektiv und dem vom Normautor, d.h. den Vertragspartnern, verfolgten Sinn zu bestimmen. Ebensowenig, wie sonstige Gesetze dem Schutz der Interessen ihres Initiators, etwa der Regierungsparteien, dienen, weil sie auf deren Geltungswillen zurückgehen, dient eine Bestimmung des Ausführungsgesetzes den Interessen des Vertragspartners, weil das Gesetz zur Erfüllung der ihm gegenüber bestehenden vertraglichen Verpflichtung erlassen wurde (dies ist nach Art. 59 Π 1 GG besonders deutlich, da in der Bundesrepublik Deutschland vor Erlaß des Zustimmungsgesetzes solch eine vertragliche Verpflichtung auch gar nicht besteht). Wenn aber der Zweck danach zu bestimmen ist, welche Interessen (im Fall des Einigungsvertrages:) Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik mit den vertraglichen Regeln schützen wollten, ist damit ausgeschlossen, jede Regelung als auch dem Schutz des Interesses der Deutschen Demokratischen Republik dienend anzusehen. So mußte die Deutsche Demokratische Republik sich auch mit Regelungen (etwa dem Art. 4 Nr. 3 EiV) abfinden, die gar nicht in ihrem Interesse lagen. Schließlich besteht auch deshalb kein Grund, in den gesetzlichen Regeln Rechte der Deutschen Demokratischen Republik zu sehen, weil sie bereits aus dem inhaltsgleichen Vertrag entsprechende Rechte gegenüber der Bundesrepublik Deutschland besitzt. Es können also nur einzelne Regelungen das Interesse der Deutschen Demokratischen Republik schützen. In Frage kommen insoweit diejenigen Bestimmungen, in denen Akte der Deutschen Demokratischen Republik (oder solche, für die sie sich verantwortlich fühlt) als - ggf. nur teilweise - fortwirkend vereinbart werden (vgl. Art. 9, 12, 18, 19, 41 I i.V.m. Nr. 1 Anlage ΠΙ EiV). Die Regelungen dienen jedoch dem Zweck, zur Rechtssicherheit den Übergang der Rechtsordnung zu regeln durch Bestimmung, welche Akte nach altem Recht gültig bleiben, welche - in welchem Umfang - ungültig werden können und welche auf jeden Fall ihre Wirkung verlieren. Sie stellen keine Begünstigung der Deutschen Demokratischen Republik als Urheber der Rechtsakte dar, sondern sind nur rechtstechnische Regelungen, die in irgendeiner Form getroffen werden mußten. Die im Untergang begriffene Deutsche Demokratische Republik zieht aus der etwaigen Fortgeltung keinen direkten Vorteil. Aus dem gesetzlich fortgeltenden Einigungsvertrag ergeben sich somit keine noch bestehenden Rechtspositionen der (fiktiven) Deutschen Demokratischen Republik, über die ein Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 GG geführt werden könnte.

III. Zusammenfassung

295

I I I . Zusammenfassung Streitigkeiten mit der Bundesrepublik Deutschland über Rechte der Deutschen Demokratischen Republik aus dem vertraglich geltenden EiV (einschließlich seiner Anlagen, des Protokolls und der Durchführungsvereinbarung), auch über die Vereinbarkeit des Einigungsvertrages mit dem Grundgesetz, können von jedem einzelnen der in Art. 44 EiV genannten sechs Länder, stellvertretend für die fiktive Deutsche Demokratische Republik, als verfassungsrechtliche Streitigkeiten nach Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen werden; weitere Antragsbefugte, auch nur subsidiär zu den genannten, gibt es nicht. Aus dem gesetzlich geltenden Einigungsvertrag kommen der Deutschen Demokratischen Republik keine Rechte mehr zu, so daß sie insoweit auch nicht mehr als fortbestehend zu fingieren ist. Für Streitigkeiten aus dem gesetzlich geltenden Einigungsvertrag ist das Bundesverfassungsgericht daher in derselben Weise zuständig wie für die Kontrolle sonstiger Gesetze. Auch für die Geltendmachung von Rechten der neuen Bundesländer und Berlins aus dem vertraglichen Einigungs vertrag gelten keine Besonderheiten; insbesondere berechtigt Art. 44 EiV insoweit ein Land nicht zu Handlungen für ein anderes.

Ergebnis Völkerrechtliche Bindungswirkungen gehen vom Einigungsvertrag nach dem Beitritt nicht mehr aus. Innerstaatlich gelten seine Regelungen weiter als staatsrechtlicher Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der fiktiven Deutschen Demokratischen Republik und1 als Bundesgesetz (die in Art. 4 und 6 EiV vorgesehenen Modifikationen des Grundgesetzes haben Verfassungsrang). Dies gilt jeweils nur, soweit sie nicht auf Gebieten der Landesgesetzgebungskompetenz irreversible Fakten schaffen. Nach der gemäßigten zentralistischen und nach der föderalistischen Ansicht zu Art. 32 GG gelten ferner solche Regelungen als Gesetz nicht fort, soweit sie auf diesen Gebieten in (Ost-)Berlin gelten sollen. Diese Fortgeltungsregeln gelten auch für die Vorschriften in den Anlagen, dem Protokoll und der Durchführungsvereinbarung zum Einigungsvertrag. Der einfache Bundesgesetzgeber wird gebunden nur durch den vertraglich geltenden Art. 41 ΠΙ EiV, Nr. 1.2 des Protokolls, Gesetzgebungsdirektiven (hier regelmäßig mit weitem Umsetzungsspielraum) und EiV-Regelungen mit Übergangsfristen insoweit, als er nicht früher als vorgesehen eine für die Bewohner des Beitrittsgebietes bzw. deren Länder nachteilige Regelung einführen darf. Der verfassungsändernde Gesetzgeber ist bei Verfahren nach Art. 79 GG an den vertraglich geltenden Art. 41 EiV gebunden. Diese vertraglichen Bindungen können nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage und der Clausula rebus sie stantibus entfallen. Der einfache Bundesgesetzgeber ist ferner an die in Art. 3 - 7 EiV i.V.m. Art. 1 ZustGes. BRD enthaltenen Grundgesetz-Modifikationen gebunden. Weitere Bindungen des Bundesgesetzgebers an den Einigungsvertrag bestehen nicht. Die fünf neuen Bundesländer sind an den gesetzlich geltenden Einigungsvertrag insofern nicht gebunden, als sie auf Gebieten der ausschließlichen und auf nicht bundeseinheitlich geregelten Gebieten der konkurrierenden Landesgesetzgebungskompetenz von durch den Einigungsvertrag in Kraft gesetzten Regeln abweichende Regelungen erlassen dürfen.

1

Soweit sie als objektives Recht gelten können.

Ergebnis

297

Vertragliche Rechte der fiktiven Deutschen Demokratischen Republik darf jedes der fünf neuen Bundesländer und Berlin, jeweils für sich allein, stellvertretend für die Deutsche Demokratische Republik, geltend machen; als verfassungsgerichtliches Verfahren steht ihm dazu (nur) das Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4, 1. Alt. GG zur Verfügung. Aus den gesetzlich fortgeltenden Einigungsvertrags-Regeln können für die Deutsche Demokratische Republik keine Rechte mehr geltend gemacht werden. Für die Wahrung der gesetzlichen Bestimmungen stehen die einschlägigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ohne Besonderheiten zur Verfügung. Künftige Änderungen der vertraglich fortgeltenden Regelungen können vom Bund auf der einen und den neuen Ländern sowie Berlin auf der anderen Seite unter Zustimmung aller Beteiligten vereinbart werden; Änderungen über etwaige echte Rechte zugunsten (weiterer) Dritter bedürften auch deren Zustimmung. Die gesetzlich bzw. verfassungsrechtlich geltenden Einigungsvertrags-Bestimmungen können im üblichen Gesetzgebungsverfahren geändert werden, auch entgegen vertraglichen Bestimmungen. Im letzten Fall sind die geänderten Gesetze zwar gültig, aber vertragswidrig, so daß das Bundesverfassungsgericht in einem Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 GG den Bundesgesetzgeber zur Rückgängigmachung verpflichten könnte (§ 72 I Nr. 2, 2. Alt. BVerfGG). Dauerhafte, d.h. nicht befristete und auch der Änderungsbefugnis der Bundeslegislative entzogene, Regelungen sind somit nur in Art. 41 ΙΠ EiV vereinbart worden; auch diese Bestimmung unterliegt aber den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage und der Clausula rebus sie stantibus. Aber auch die übrigen Vereinbarungen, die - bis auf die einiger Übergangsregeln - den Bundesgesetzgeber nicht binden, sind immerhin solange sicher, bis die für eine Gesetzesänderung notwendige Mehrheit gefunden ist — im allgemeinen eine Mehrheit des Bundesgesetzgebers, in den Bereichen, in denen im Einigungsvertrag an Stelle der Länder gehandelt wurde, eine Mehrheit des jeweiligen Landesgesetzgebers. Es profitiert von den vereinbarten Regeln jedes der neuen Länder und Berlin, wobei jedes dieser Länder aber bei der Rechtswahrung durch Aktivitäten der anderen behindert werden kann. Die vertraglichen Rechte können in einem eigenen verfassungsgerichtlichen Verfahren gesichert werden, das auch Schutz gegen einen unbotmäßigen Bundesgesetzgeber gewährt. Selbst diese vertraglichen Rechte können noch geändert werden; hier hat aber jedes der rechtswahrungsbefugten Länder ein Veto-Recht.

20 Wagner

Anhang: Materialien zum Einigungsvertrag 1 1. Auszug aus der Zusammenstellung der Textvorschläge aus den Ressortverhandlungen für den Einigungsvertrag (Stand: 30.7.1990) Artikel 39 - Rechtsnachfolge Die Rechte aus diesem Vertrag können in Rechtsnachfolge der Deutschen Demokratischen Republik in bezug auf diesen Vertrag von den in Artikel 2 genannten Ländern einzeln oder gemeinsam in Anspruch genommen werden. Artikel 40 - Inkraftsetzen

des Vertrages

(1) ... (2) Der Vertrag bedarf als Voraussetzung für sein Inkrafttreten der Mitzeichnung der bevollmächtigten Vertreter der in Artikel 2 genannten Länder. (3) Der Vertrag bleibt nach Herstellung der Einheit Deutschlands als Bundesrecht geltendes Recht für das einheitliche Deutschland. (4) Der Vertrag kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das der 2/3-Mehrheit im gesamtdeutschen Parlament und der 2/3-Mehrheit in den Parlamenten der in Artikel 2 genannten Länder bedarf.

2. Auszug aus der Rohskizze „Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag (Stand: 31.7.1990) Artikel 37 - Rechtsnachfolge Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag sind in Rechtsnachfolge der Deutschen Demokratischen Republik in bezug auf diesen Vertrag von den in Artikel 2 genannten Ländern wahrzunehmen. Artikel 38 - Inkraftsetzen

des Vertrages

(1) ... (2) Der Vertrag bedarf als Voraussetzung für sein Inkrafttreten der Mitzeichnung der bevollmächtigten Vertreter der in Artikel 2 genannten Länder. (3) Der Vertrag einschließlich seiner Anlagen bleibt nach Herstellung der Einheit Deutschlands als Bundesrecht geltendes Recht für das vereinte Deutschland.

1

Quelle: Brief des Bundesministers für Verkehr vom 25.11.1991.

Anhang: Materialien zum Einigungsvertrag

299

(4) Der Vertrag kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das der 2/3-Mehrheit im gesamtdeutschen Parelament und der 2/3-Mehrheit in den Parlamenten der in Artikel 2 genannten Länder bedarf.

3. Auszug aus der Rohskizze (Stand: 1.8.1990) Artikel 37 - Rechtsnachfolge Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag sind in Rechtsnachfolge der Deutschen Demokratischen Republik in bezug auf diesen Vertrag von den in Artikel 2 genannten Ländern wahrzunehmen. Artikel 38 - Inkraftsetzen

des Vertrages

(1) ... (2) Der Vertrag bedarf als Voraussetzung für sein Inkrafttreten der Mitzeichnung der bevollmächtigten Vertreter der in Artikel 2 genannten Länder. (3) Der Vertrag bleibt nach Herstellung der Einheit Deutschlands als Bundesrecht geltendes Recht für das vereinte Deutschland. (4) Der Vertrag kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das der 2/3-Mehrheit im gesamtdeutschen Parlament und der 2/3-Mehrheit in den Parlamenten der in Artikel 2 genannten Länder bedarf.

4. Auszug aus dem 1. Entwurf „Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über die Herstellung der Einheit Deutschlands" (Stand: 2.8.1990) Artikel 36 - Rechtswahrung Rechte aus diesem Vertrag zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik oder der in Artikel 1 genannten Länder können nach Vollzug des Wirksamwerdens des Beitritts von diesen Ländern geltend gemacht werden. Artikel 37 - Inkraftsetzen

des Vertrages

(1) ... (2) Der Vertrag bleibt nach Herstellung der Einheit Deutschlands als Bundesrecht geltendes Recht.2

2 Die Formulierung dieses Absatzes ist strittig gewesen und auf Wunsch der Deutschen Demokratischen Republik aufgenommen worden.

300

Anhang: Materialien zum Einigungsvertrag

5. Auszug aus dem 1. Entwurf (Stand: 3.8.1990) Artikel 33 - Rechtswahrung

Rechte aus diesem Vertrag zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik oder der in Artikel 1 genannten Länder können nach Vollzug des Wirksamwerdens des Beitritts von diesen Ländern geltend gemacht werden. Artikel 34 - Inkraftsetzen

des Vertrages

(1) ... (2) Der Vertrag bleibt nach Herstellung der Einheit Deutschlands als Bundesrecht geltendes Recht.

6. Auszug aus dem 1. Entwurf (Stand: 6.8.1990) Artikel 33 - Rechtswahrung

Rechte aus diesem Vertrag zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik oder der in Artikel 1 genannten Länder können nach Vollzug des Wirksamwerdens des Beitritts von diesen Ländern geltend gemacht werden. Artikel 34 - Inkraftsetzen

des Vertrages

(1) ... (2) Der Vertrag bleibt nach Herstellung der Einheit Deutschlands als Bundesrecht geltendes Recht.

7. Auszug aus dem 1. Entwurf (Stand: 15.8.1990) Artikel 33 - Rechtswahrung

Rechte aus diesem Vertrag zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik oder der in Artikel 1 genannten Länder können nach Vollzug des Wirksamwerdens des Beitritts von diesen Ländern geltend gemacht werden. Artikel 34 - Inkraftsetzen

des Vertrages

(1) ... (2) Der Vertrag bleibt nach Herstellung der Einheit Deutschlands als Bundesrecht geltendes Recht.

8. Auszug aus dem Entwurf vom 19.8.1990 Artikel 33 - Rechtswahrung

Rechte aus diesem Vertrag zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik oder der in Artikel 1 genannten Länder können nach Vollzug des Wirksamwerdens des Beitritts von jedem dieser Länder geltend gemacht werden.

Anhang: Materialien zum Einigungsvertrag

Artikel 34 - Inkraftsetzen

301

des Vertrages

(1) ... (2) Der Vertrag bleibt nach Herstellung der Einheit Deutschlands als Bundesrecht geltendes Recht.

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