151 6 2MB
German Pages 484 [506] Year 2015
Pühl Der Debt Equity Swap im Insolvenzplanverfahren
Der Debt Equity Swap im Insolvenzplanverfahren Die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital per Insolvenzplan nach der Reform durch das ESUG
von Helge Pühl
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH · Köln
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2016 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Werk oder Teile daraus in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) zu vervielfältigen. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: Hundt Druck GmbH, Köln
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2015 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im April 2014 abgeschlossen, aktuelle Rechtsprechung und Literatur konnte bis zum Sommer 2015 berücksichtigt werden. Die Arbeit wurde durch ein Promotionsstipendium sowie einen großzügigen Druckkostenzuschuss der FAZIT-Stiftung (Stiftung der Verlagsgruppe Frankfurter Allgemeine Zeitung) ermöglicht, der ich hierfür zu Dank verpflichtet bin. Ein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Moritz Brinkmann, für die inhaltliche Unterstützung und Beratung bei dem Erstellen der Arbeit und für sein beeindruckendes Engagement für seine Doktoranden. Ich danke auch Prof. Dr. Gerhard Wagner für die lehrreiche Zeit als studentische Hilfskraft und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl, die mich nachhaltig geprägt hat. Neben meinen anderen ehemaligen Kollegen danke ich insbesondere Dr. Ralph von Olshausen für die gemeinsame Zeit am Lehrstuhl und die unterhaltsamen Abendsitzungen im Institut. Meinen Eltern danke ich für ihre Unterstützung in jeglicher Hinsicht, seit ich denken kann. Zuletzt danke ich meiner Freundin Claudia für ihre Unterstützung und ihre Nachsicht in Bezug auf die zahlreichen Abende und Wochenenden „im Institut“, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre.
Köln, im September 2015
Helge Pühl
V
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
Vorwort ................................................................................................................ V § 1 Einleitung/Gang der Untersuchung ................................................. 1 ........ 1 I. Die Ermöglichung des Debt Equity Swap als gesetzgeberisches Regelungsziel ...................................................................................... 3 ........ 1 II. Die Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG ............... 4 ........ 2 1. Das KredReorgG als Folge der Finanzkrise ................................. 4 ........ 2 2. DiskE, RefE, RegE zum ESUG, Änderungen durch den Rechtsausschuss ..................................................................... 5 ........ 2 III. Gang der Untersuchung ...................................................................... 6 ........ 3 § 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz ............................................................................... 13 ........ 5 I. Sanierungseffekte durch die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital .................................................................................. 1. Verbesserung der Liquiditätslage .............................................. 2. Motive auf Seiten der Gläubiger ................................................ a) Motive genereller Art ........................................................... b) Erhalt rechtsträgergebundener Berechtigungen ................... c) Relevanz sog. distressed debt-Forderungen für den DES .... d) Loan to own-Strategien ........................................................ e) Optimierung des Insolvenzplanprozesses ............................ 3. Verringerung von Transaktionskosten ........................................ a) Bezüglich der Investorensuche ............................................. b) Homogenisierung der Eigentümerstruktur zum Zwecke der verbesserten Abstimmung über Verwertungsoptionen ..... c) Vereinfachungen im Insolvenzverfahren ............................. 4. Motive für die Alt-Anteilseigner ................................................
13 14 15 15 17 18 22 24 27 28
........ 5 ........ 5 ........ 5 ........ 5 ........ 6 ........ 6 ........ 8 ........ 9 ...... 10 ...... 10
32 ...... 12 35 ...... 14 36 ...... 14
II. Risiken des Debt Equity Swap ......................................................... 37 ...... 15 1. Risiken für umwandelnde Gläubiger .......................................... 38 ...... 15 2. Risiken für die Gesellschaft ........................................................ 42 ...... 16 III. Die übertragende Sanierung als alternative Verwertungsform ......... 43 ...... 17 1. Praxis der Unternehmensfortführung in der Insolvenz ............... 43 ...... 17 2. Durchführung einer übertragenden Sanierung ............................ 45 ...... 17
VII
Inhaltsverzeichnis Rn.
IV. Untauglichkeit der übertragenden Sanierung in gewissen Konstellationen ................................................................................. 1. Fehlender Käufermarkt ............................................................... a) Zeitdruck und Informationsdefizite ...................................... b) Fehlende finanzielle Ressourcen .......................................... 2. Reibungsverluste/Transaktionskosten ........................................ 3. Rechtsträgergebundene Berechtigungen .................................... a) Grundlagen ........................................................................... b) Günstige Mietverträge .......................................................... c) Weitere Einzelbeispiele ........................................................ 4. Erhalt steuerlicher Verlustvorträge ............................................. 5. Ausschluss der Gläubiger von der Teilhabe an Sanierungserfolgen .....................................................................
49 50 51 53 54 56 56 58 59 62
Seite
...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......
19 19 19 20 21 22 22 23 24 26
63 ...... 26
V. Umfang der umzuwandelnden Forderungen beim DES: (Wieder-) Herstellung des optimalen Verschuldungsgrades ............. 64 ...... 27 VI. Alternative Gestaltungen zum DES .................................................. 68 ...... 30 VII. Eigenschaften und Risiken der rechtsträgererhaltenden Reorganisation .................................................................................. 1. Reorganisation vs. Liquidation ................................................... a) Grundlagendiskussion zum Chapter 11-Recht ..................... b) Neuentwicklungen als Folge der increased creditor control ..................................................... c) Die zunehmende Abwicklung als 363-sale .......................... d) Neuentwicklungen als Folge des distressed debt-Handels ........................................................ 2. Schlussfolgerungen für die vorliegende Untersuchung ..............
70 ...... 30 71 ...... 31 73 ...... 31 74 ...... 33 75 ...... 35 78 ...... 37 83 ...... 39
§ 3 Gesellschaftsrechtliche Grundlagen der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital ......................................................... 87 ...... 43 I. Der Kapitalschnitt ............................................................................. 1. Kapitalherabsetzung bei der Kapitalgesellschaft ........................ a) Reguläre Kapitalherabsetzung ............................................. b) Vereinfachte Kapitalherabsetzung ....................................... aa) Voraussetzungen der vereinfachten Kapitalherabsetzung ................................................................. bb) Die Kapitalherabsetzung unter den gesetzlichen Mindestbetrag ................................................................ cc) Rechtsfolgen der vereinfachten Kapitalherabsetzung .... 2. Die Kapitalerhöhung .................................................................. a) Anforderungen an die Sacheinlage ......................................
VIII
88 89 90 91
...... ...... ...... ......
43 43 44 44
92 ...... 44 94 95 96 97
...... ...... ...... ......
45 46 46 47
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
b) Einlagefähigkeit von Forderungen als Sacheinlage ............. 99 ...... 48 c) Differenzhaftung ................................................................ 103 ...... 50 II. Kapitalerhöhung in der Insolvenz ................................................... 105 ...... 51 § 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG .................................................................... 109 ...... 53 I. Die gesellschaftsrechtliche Neutralität der InsO ............................. 1. Gesetzgebungsverfahren zur InsO ............................................ a) Der Erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht ...... b) Konzeptänderung im RegE InsO ........................................ 2. Parallellauf von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht ........... 3. Möglichkeit der Verzahnung von gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen und Insolvenzplan durch den bedingten Plan, § 249 InsO ................................................................................
110 111 112 115 117
...... ...... ...... ...... ......
53 53 53 54 56
118 ...... 56
II. Blockadepotential für die Anteilseigner ......................................... 119 1. Vorgeschlagene Lösungswege für diese Problematik de lege lata ................................................................................ 121 a) Schuldrechtlicher Anspruch des Insolvenzverwalters auf Abtretung der Anteile aus Treu und Glauben (Braun) ..... 121 b) Treuhandlösung (Bitter) ..................................................... 123 c) Lösung durch „beschränkte Vertragsüberleitung“ (Noack/Bunke) ................................................................... 127 d) Bewertung dieser Vorschläge ............................................. 128 2. Lösungswege de lege ferenda ................................................... 130 a) Eingriff in das gesellschaftsrechtliche Gefüge durch Entscheidungen des Gerichts (Konzept der Kommission für Insolvenzrecht) ............................................................. 130 b) Einbeziehung der Anteilseigner in das Insolvenzplanverfahren ...................................................... 133 c) Widerspruchsrecht der Anteilseigner ................................ 135 d) Komplette Heraushaltung der Anteilseigner und bloße Verweisung auf Entschädigungsanspruch ................ 136 e) Lösung über das UmwG (Spetzler) .................................... 138 3. Zwischenergebnis ..................................................................... 141
...... 56 ...... 58 ....... 58 ...... 59 ...... 62 ...... 63 ...... 64
...... 64 ...... 66 ...... 68 ...... 68 ...... 69 ...... 71
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG ............ 142 ...... 73 I. Regelungstechnik: Einbeziehung der Anteilseigner als eigene Gruppe ................................................................................. 142 ...... 73 1. Ermöglichung sämtlicher gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen im Insolvenzplan ................................................. 143 ...... 73 2. Gruppenbildung ........................................................................ 145 ...... 75 IX
Inhaltsverzeichnis Rn.
3. Abstimmung innerhalb der Gruppen ........................................ 4. Erweiterung des Obstruktionsverbots auf Anteilseigner .......... a) Grundgedanke des Obstruktionsverbots ............................. b) (Generelle) Kritik an der Konzeption des Obstruktionsverbotes .......................................................... c) Übertragbarkeit des Grundgedankens auf Anteilseigner .... d) Faktisch geringer Einfluss der Anteilseigner als Folge des Obstruktionsverbots? ................................................... e) Formulierung des Obstruktionsverbots ............................. aa) § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. ....................................... bb) § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO n. F. .......................................
Seite
149 ...... 78 153 ...... 79 155 ...... 80 157 ...... 82 159 ...... 82 161 163 164 169
...... ...... ...... ......
83 84 84 87
II. Ausschluss der Differenzhaftung, § 254 Abs. 4 InsO n. F. ............. 1. Regelungsziel/Kritik ................................................................. 2. Einordnung in das bestehende Kapitalschutzsystem ................ 3. Prüfungsumfang des Insolvenzgerichts und des Registergerichts ....................................................................... a) Prüfungskompetenz des Registergerichts ........................... b) Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts ........................ c) Stellungnahme ................................................................... 4. Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO .................... 5. Gesamt-Bewertung zum Ausschluss der Differenzhaftung ......
178 179 184 187 190 192
...... 93 ...... 93 ...... 95 ...... 97 ...... 98 .... 100
III. Flankierende Regelungen im Insolvenzplan ................................... 1. Beschlüsse als Teil des Insolvenzplans .................................... 2. Zuständigkeit für Anmeldungen zum Register ......................... 3. Möglichkeit der Korrektur offensichtlicher Fehler ................... 4. Nicht angemeldete Gläubigerforderungen ................................ 5. Change-of-Control-Klauseln .................................................... 6. Risiko der Insolvenzanfechtung eines DES ..............................
199 200 201 202 203 204 206
.... .... .... .... .... .... ....
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung ......................................... 1. Grundlagen ............................................................................... 2. Verzögerungspotential durch Rechtsmittel als Gefahr für die Insolvenzplansanierung ................................................. 3. Reform der Rechtsmittel ........................................................... a) Vorgeschlagene Konzepte zur Beschleunigung des Planbestätigungsverfahrens .......................................... b) § 251 InsO n. F. .................................................................. c) § 253 InsO n. F. .................................................................. d) Relevanz für die am DES beteiligten Akteure .................. 4. Die Sicherheitsleistung ............................................................. a) Konzept .............................................................................. b) Schuldner der Ausgleichsleistung ......................................
207 .... 107 208 .... 107
X
170 ...... 89 172 ...... 90 175 ...... 92
103 103 104 104 105 106 106
210 .... 108 211 .... 109 211 214 217 222 225 225 228
.... .... .... .... .... .... ....
109 111 112 114 115 115 117
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
c) Gläubiger der Ausgleichsleistung ...................................... 230 aa) Notwendigkeit der Verweigerung der Zustimmung zum Plan? ..................................................................... 231 bb) Notwendigkeit der vorherigen Einlegung eines Rechtsmittels? .............................................................. 233 cc) Stellungnahme ............................................................. 236 d) Höhe der Sicherheitsleistung .............................................. 238 e) Notwendigkeit der Besicherung der Sicherheitsleistung? ..... 240 f) Möglichkeit der Setzung einer präkludierenden Frist im Insolvenzplan? .............................................................. 241 5. Das „Freigabeverfahren“ nach § 253 Abs. 4 InsO n. F. ........... 242 a) Konzept .............................................................................. 242 b) Bewertung .......................................................................... 245
.... 119
V. Exkurs: das KredReorgG ................................................................ 1. Sanierungsverfahren und Reorganisationsverfahren ................ 2. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan ............ 3. Abstimmungsmechanismen ...................................................... 4. Obstruktionsverbot in Bezug auf die Anteilseigner .................. VI. Nunmehr möglicher Eingriff in Anteilseignerrechte durch den Insolvenzplan aus systematischer Sicht ................................... 1. Verwertung der Anteile im Insolvenzplan als konsequente Verwirklichung der absoluten Vorrangregel ............................ 2. Einbeziehung als Ausdruck eines neuen Grundverständnis von Gesellschafterrechten in der Insolvenz .............................. 3. Erhöhte Planungssicherheit ...................................................... 4. Kritik an der Ermöglichung des Eingriffs ................................ a) Verstoß gegen Idee der Verhandlungslösung ..................... b) Ökonomisch richtige Entscheidung nur durch Gesellschafter treffbar? ...................................................... c) Anteile als Teil der Insolvenzmasse, § 35 InsO? ............... 5. Zwischenergebnis .....................................................................
247 248 249 251 253
.... 119 .... 120 .... 121 .... 122 ..... 123 .... .... .... ....
124 125 125 127
.... .... .... .... ....
128 128 129 129 130
255 .... 131 258 .... 133 263 264 265 265
.... .... .... ....
136 136 137 137
267 .... 138 270 .... 139 272 .... 140
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte ..... 273 .... 141 I. Abwehrrechte oder Teilhaberechte? ............................................... 273 .... 141 II. Einleitung zu Fragen der Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht ....... 274 .... 142 III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit ........................................................ 1. Anteilseigentum als geschütztes Rechtsgut .............................. 2. Schutzbereich des Art. 14 GG .................................................. 3. Eingriff .....................................................................................
279 279 280 282
.... .... .... ....
144 144 144 145
XI
Inhaltsverzeichnis Rn.
4. Rechtfertigung .......................................................................... a) Legitimer Zweck ................................................................ b) Geeignetheit und Erforderlichkeit ...................................... c) Angemessenheit ................................................................. aa) Gemeinwohlinteressen ................................................. bb) Forderungen der Gläubiger als kollidierende Schutzgüter des Art. 14 GG ......................................... cc) Rangstellung der Anteile nach § 199 InsO .................. dd) Anteilsverlust als Folge des Nicht- Nachkommens der Finanzierungsverantwortung .................................. ee) Frühere Rechtslage als Verstoß gegen Art. 14 GG ...... ff) Zwischenergebnis ........................................................ d) Ausprägung des Anteilseigentums in der Rspr. des BVerfG zu Strukturmaßnahmen ......................................... aa) Feldmühle, DAT/Altana, Moto Meter, Edscha, HRE ................................................................ bb) Übertragbarkeit auf Beschlüsse im Gläubigerinteresse? ...................................................... (1) Direkte Übertragbarkeit ......................................... (2) Übertragbarkeit auf den (Mehrheits-)Anteilseigner ...................................... (3) „Unternehmerinteresse“ der Gläubiger und der Alt-Anteilseigner ............................................. e) Zwingendes Bezugsrecht als mildere Maßnahme? ............ aa) Meinungsstand ............................................................. bb) Abwägung der beteiligten Interessen ........................... (1) Interesse, keine anderen Inferenten neben sich zu haben ................................................................. (2) Kein verbleibendes „unternehmerisches Interesse“ der Alt-Anteilseigner ............................................. f) Zwischenergebnis ............................................................... g) Wirtschaftlich volle Entschädigung der Alt-Anteilseigner ................................................................ aa) Der Schutz der Anteilseigner durch § 245 sowie §§ 251, 253 InsO .......................................................... (1) Entschädigung bei Restwert der Anteile vorgeschrieben ....................................................... (2) Schutz der Anteilseigner-Mehrheit im Rahmen des Obstruktionsverbots ......................................... (3) Schutz der Anteilseigner-Minderheit im Rahmen der Rechtsmittel ..................................................... bb) Zulässigkeit einer Sicherheitsleistung .......................... 5. Zwischenergebnis ..................................................................... XII
284 285 286 288 290
Seite
.... .... .... .... ....
146 147 147 148 148
292 .... 149 293 .... 150 294 .... 151 295 .... 152 296 .... 152 297 .... 152 298 .... 152 300 .... 155 301 .... 155 303 .... 156 306 309 310 313
.... .... .... ....
158 159 159 160
313 .... 160 316 .... 161 320 .... 162 323 .... 163 324 .... 163 325 .... 163 326 .... 164 327 .... 164 328 .... 165 329 .... 165
Inhaltsverzeichnis Rn.
IV. Art. 9 GG, Vereinigungsfreiheit ..................................................... 1. Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG ......................................... a) Grundlagen ......................................................................... b) Schutzbereichseröffnung für Kapitalgesellschaften ........... 2. Eingriff ..................................................................................... 3. Rechtfertigung .......................................................................... a) Schranken des Art. 9 GG ................................................... b) Eigentumsschutz der Forderungen der Gläubiger als kollidierende Grundrechte ............................................ c) h.M.: Rechtfertigung auf Basis wirtschaftlicher Betrachtung ........................................................................ d) Madaus: Verstoß gegen Art. 9 GG als Folge systematischer Betrachtung ................................................ aa) Keine Gültigkeit des § 199 InsO-Rechtsgedankens im Reorganisationsszenario ......................................... bb) Folge: keine haftungsrechtliche Zuweisung rechtsträgergebundener Berechtigungen an die Gläubiger ................................................................ cc) „Fremdbestimmung“ durch Gläubiger als Verstoß gegen Art. 9 GG ............................................. dd) Unverhältnismäßigkeit des vollständigen Vorrangs der Gläubigerrechte ...................................... e) Stellungnahme .................................................................... aa) Zum Argument der Nicht-Kollision mit dem Schutzbereich des Art. 14 GG ..................................... bb) Wirtschaftliche Zuordnung und bloßer Formalismus .... cc) Systematik des insolvenzrechtlichen Zugriffs nicht verfassungsrechtlich geschützt ............................ dd) Die Notwendigkeit einer Alles-oder-Nichts-Regelung ........................................ ee) Das abgeschwächte Obstruktionsverbot als Alternative ..............................................................
330 331 331 333 335 336 337
Seite
.... .... .... .... .... .... ....
166 166 166 167 168 168 169
338 .... 169 339 .... 169 340 .... 169 341 .... 170
343 .... 171 344 .... 171 345 .... 172 346 .... 172 346 .... 172 347 .... 174 348 .... 175 349 .... 176 352 .... 177
V. Ergebnis .......................................................................................... 356 .... 179 VI. Annex: Negative Vereinigungsfreiheit der Gläubiger ................... 1. Ermöglichung des Zwangs-DES? ............................................. a) Zwangsweise Umwandlung auch gegen den Willen des Forderungsinhabers .......................................... b) Umwandlung von Forderungen, sofern nicht widersprochen wird ............................................................ c) Bewertung .......................................................................... 2. Austrittsrecht der Alt-Anteilseigner bei Hinzutritt neuer Anteilseigner ...................................................................
357 .... 179 358 .... 179 359 .... 180 362 .... 181 363 .... 182 364 .... 182 XIII
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht) ................................................................................. 368 .... 185 I. Grundlagen des Bezugsrechts ......................................................... 1. Herleitung ................................................................................ 2. Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss außerhalb der Insolvenz ............................................................................ a) Materielle Voraussetzungen .............................................. b) Bezugsrechtsausschluss bei Einbringung von Forderungen ................................................................ c) Notwendige Barkapitalerhöhung bei Kapitalherabsetzung auf Null .............................................................................. d) Keine Vorzugswürdigkeit einer vorgeschalteten Barkapitalerhöhung ............................................................ II. Geltung dieser Maßstäbe im Insolvenzplanverfahren ..................... 1. Problemaufriss .......................................................................... a) Keine Notwendigkeit der ¾-Mehrheit im Insolvenzplan ... b) Keine Rechtfertigung allein aufgrund verbesserter Bilanzstruktur .................................................................... 2. Problematik der Ausübung nach Insolvenzplanbestätigung ..... 3. Umfang des Bezugsrechts ........................................................ 4. Zwischenergebnis ..................................................................... III. Systematische Argumente .............................................................. 1. Bezugsrecht als Ausfluss wertloser Anteile? ............................ 2. Wiederum drohende Blockademöglichkeit .............................. 3. Vergabe von Anteilen an Alt-Anteilseigner als Verstoß gegen die absolute Vorrangregel? ............................................ a) Exkurs: Die new value exception des Chapter 11-Rechts .............................................................. aa) Voraussetzungen der new value exception .................. bb) Grundlagendiskussion um die Verteilungsreihenfolge im Insolvenzrecht ......................................................... cc) Verstoß gegen die absolute priority rule? .................... dd) Unzulässige Werterlangung schon als Folge einer „Option“ der Anteilseigner? ........................................ ee) Die Verbindung mit dem exklusiven Planinitiativrecht ......................................................... ff) Recht auf weitere Teilnahme als Druckmittel für die Alt-Anteilseigner ......................................................... gg) Funktionen der new value exception ........................... b) Erkenntnisse in Hinsicht auf § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO .......
XIV
375 .... 187 375 .... 187 378 .... 188 379 .... 188 382 .... 190 386 .... 191 389 .... 193 392 .... 194 392 .... 194 393 .... 194 399 401 404 407
.... .... .... ....
196 197 197 198
409 .... 199 410 .... 199 412 .... 200 414 .... 200 416 .... 201 417 .... 202 421 .... 203 423 .... 206 427 .... 208 432 .... 210 434 .... 211 436 .... 212 439 .... 214
Inhaltsverzeichnis Rn.
IV. Aus einem Bezugsrecht resultierende Anreize ............................... 1. Frühzeitige Verfahrenseinleitung ............................................. 2. Verhinderung des Eingehens übermäßiger Risiken ................. a) Vor der Insolvenz ............................................................... b) In der Insolvenz ................................................................. 3. Negative Anreize ......................................................................
447 448 450 451 452 454
Seite
.... .... .... .... .... ....
216 216 217 217 218 218
V. Zuerkennung des Bezugsrechts zur Verhinderung von Missbrauch? ............................................................................. 460 .... 221 VI. Implikationen für das deutsche Recht ............................................. 463 .... 222 VII. Stellungnahme ............................................................................... 1. Kein Verstoß gegen die absolute Vorrangregel ........................ 2. Vergleich mit anderen Verwertungsalternativen ...................... 3. Abwägung der Interessen der Gläubiger gegen die der Alt-Anteilseigner ...................................................................... a) Interessen der Alt-Anteilseigner ......................................... b) Interesse der Gläubiger an Erhalt einer gewissen Beteiligung ......................................................................... 4. Anreize ..................................................................................... 5. Die Beschränkung auf Fälle inhabergeführter Unternehmen mit kleinem Gesellschafterkreis ............................................... 6. Die koordinationsfördernde Wirkung ....................................... a) Im Insolvenzplanverfahren unter Führung des Insolvenzverwalters ............................................................ b) Bei der Eigenverwaltung .................................................... 7. Kein Widerspruch zu Annahme des Fortführungswerts bei eingebrachten Forderungen ................................................ 8. Ergebnis ....................................................................................
469 .... 224 469 .... 224 470 .... 225 472 .... 226 473 .... 226 474 .... 226 482 .... 229 487 .... 230 491 .... 232 493 .... 233 499 .... 235 511 .... 239 515 .... 240
§ 8 Vereinbarkeit mit Europarecht ................................................... 517 .... 241 I. Kapitalerhöhung ............................................................................. 1. Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Karella, Syndesmos Melon und Pafitis .................................................. 2. Kritik an der EuGH-Rechtsprechung ....................................... 3. Einordnung des Insolvenzplanverfahrens ................................. a) Gesetzesbegründung .......................................................... b) Kritische Stimmen in der Literatur ..................................... c) Befürwortende Stimmen in der Literatur ........................... d) Stellungnahme ....................................................................
518 .... 241 520 526 528 529 532 533 536
.... .... .... .... .... .... ....
242 244 245 245 247 247 249
II. Bezugsrechtsausschluss .................................................................. 543 .... 254 III. Kapitalherabsetzung ....................................................................... 544 .... 255 XV
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
§ 9 Analyse der Neuregelungen .......................................................... 546 .... 257 I. Neuartiges Störpotential durch Beteiligung der Anteilseigner? ...... 1. Aufblähung des Verfahrens durch das ESUG .......................... 2. Exkurs: der pre-emptive cram down als Reaktion auf die Machtstellung der Alt-Anteilseigner im Chapter 11 ........... a) Die weitere Beteiligung der Alt-Anteilseigner am Unternehmen ................................................................ b) Die Voraussetzungen des cram down ................................ aa) cram down eines Plans gegenüber den Gläubigern ...... bb) cram down eines Plans gegenüber Anteilseignern ....... (1) Die nuisance value eines cram down hearing ........ (2) Weitere Anreizgründe ............................................ c) Vorschlag eines pre-emptive cram down ........................... 3. Erkenntnisse für das deutsche Recht ........................................ a) Starke Gläubigerorientierung des InsO-Verfahrens ........... b) Ausreichender Schutz durch eingeschränkte Rechtsmittel nach ESUG ......................................................................... c) Beteiligtenstellung der Alt-Anteilseigner als Farce? .......... d) Kein Bedarf für einen preemptive cram down im deutschen Recht ............................................................ e) Zustimmungsfiktionen als mildere Lösung? ...................... aa) Fiktion der Ablehnung bei Nichtzuteilung von Werten an Alt-Anteilseigner? ............................... bb) Fiktion der Zustimmung bei Wertlosigkeit der Anteile? .................................................................. cc) Aussparung der Anteilseignergruppe aus dem Quorum des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO? ......................... 4. Ergebnis ....................................................................................
547 .... 257 548 .... 257 550 .... 258 551 555 556 557 559 560 564 568 568
.... .... .... .... .... .... .... .... ....
258 260 261 261 262 263 265 267 267
573 .... 268 575 .... 269 577 .... 270 578 .... 271 579 .... 271 581 .... 271 585 .... 274 587 .... 274
II. Anreiz zu verspäteter Insolvenzantragstellung? ............................. 1. Negative Anreize ...................................................................... 2. Positive Anreize ....................................................................... 3. Schlussfolgerungen ..................................................................
588 589 591 592
.... .... .... ....
275 275 276 278
III. Missbrauchsgefahr .......................................................................... 1. Konsequenzen der Offenheit des Insolvenzplanverfahrens ...... 2. Missbrauch zu Lasten der Alt-Anteilseigner ............................ a) Durch distressed debt-Investoren ....................................... b) Erfahrungen aus der Chapter 11-Praxis .............................. aa) Grundlagen des distressed debt trading ........................ bb) Vorgeschlagene Maßnahmen zur Eindämmung .......... c) Bewertung ..........................................................................
593 594 596 596 598 599 602 604
.... .... .... .... .... .... .... ....
279 279 280 280 281 281 283 285
XVI
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
3. Missbrauch zu Lasten ungesicherter Gläubiger ........................ 608 a) Abhängigkeit von der Praxis der Insolvenzverwalterwahl ...... 609 b) Mögliche Mechanismen zur Verhinderung dieses Missbrauchs ....................................................................... 610 aa) Ausgleich über die Sicherheitsleistung nach § 251 Abs. 3 InsO n. F. ................................................ 611 bb) Verhinderung über das Obstruktionsverbot nach § 245 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 InsO ................. 612 4. Ergebnis .................................................................................... 614
.... 286 ..... 287 .... 288 .... 288 .... 289 .... 290
IV. Nachrangigkeit nicht umgewandelter Restforderungen und Sanierungsprivileg ................................................................... 616 .... 290 1. Voraussetzungen des § 39 Abs. 4 S. 2 InsO ............................. 618 .... 291 2. Wirkung nur bis zur nachhaltigen Sanierung ........................... 621 .... 292 V. Fehlentwicklungen durch risikoverlagernde Derivative ................. 622 .... 293 VI. Steuerlich relevante Fragestellungen .............................................. 1. Entfall von steuerlichen Verlustvorträgen ................................ a) Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG ......................... b) Aussetzung in Folge eines festgestellten Beihilfenverstoßes .............................................................. 2. Steuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen ...................
623 .... 294 624 .... 294 625 .... 295
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle) ................. 1. Grundidee ................................................................................. a) Roe ..................................................................................... b) Bebchuk ............................................................................. aa) Durchführung ............................................................... bb) Vorteile ........................................................................ c) Aghion, Hart und Moore .................................................... aa) Angebotssondierung durch dritte Person ..................... bb) Ermittlung der zwischenzeitlichen Anteilseigner nach Bebchuk-Modell .................................................. cc) Vorteil der größtmöglichen Flexibilität ....................... dd) Problematik 1: fehlende Informationen ....................... ee) Problematik 2: fehlende finanzielle Ressourcen/ Finanzierungsrestriktionen ........................................... ff) Weitere Schwachstellen ............................................... 2. Anwendbarkeit der Modelle auch im InsO-Planverfahren? ..... a) Insolvenzplanrechtliche Hindernisse .................................. b) Gesellschaftsrechtliche Hindernisse: Notwendigkeit einer Barkapitalerhöhung ................................................... c) Anwendbarkeit des Obstruktionsverbots, § 245 InsO ........
633 634 638 640 641 646 648 649
626 .... 295 628 .... 296 .... .... .... .... .... .... .... ....
298 299 301 302 302 304 305 306
650 .... 306 651 .... 307 652 .... 308 654 655 657 658
.... .... .... ....
309 310 311 311
659 .... 312 660 .... 312
XVII
Inhaltsverzeichnis Rn.
aa) § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO ............................................... bb) § 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO ............................................... d) Erleichterungen durch das ESUG ...................................... aa) In Bezug auf Alt-Anteilseigner .................................... bb) In Bezug auf Alt-Gläubiger/Neu-Anteilseigner: Verminderte Haftungsrisiken ....................................... e) Keine zwangsweise Umwandlung in Eigenkapital ............ 3. Fazit ..........................................................................................
661 662 664 664
Seite
.... .... .... ....
313 313 315 315
666 .... 315 668 .... 316 675 .... 319
§ 10 Bewertungsfragen ....................................................................... 676 .... 321 I. Unternehmensbewertung im Insolvenz(plan)verfahren .................. 1. Grundlagen der Unternehmensbewertung ................................ 2. Grobkategorien: Liquidationswert und Fortführungswert ........ 3. Notwendige weitere Differenzierungen bei der Unternehmensbewertung in der Insolvenz ............................... a) Verschiedene mögliche Definitionen des Liquidationswerts ............................................................... aa) Auslegung als Stilllegungswert, L(St) ......................... bb) Auslegung als Rechtsträgerliquidationswert, L(R) ...... b) Verschiedene Definitionen des Fortführungswertes .......... aa) Berücksichtigung von leistungswirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen? ... bb) Errechnung des Fortführungswerts nach der Ertragswertmethode ..................................................... c) Liquidationswert als Untergrenze der Ertragsprognose ..... d) Methodik der Unternehmensbewertung ............................. e) Parameter der Unternehmensbewertung ............................ 4. Die ökonomische Kompetenz des Insolvenzgerichts ............... 5. Zwischenfazit ........................................................................... II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner ................................. 1. Generelle Werthaltigkeit oder generelle Wertlosigkeit? .......... a) Die Diskussion um eine verbleibende Werthaltigkeit ........ b) Werthaltigkeit aufgrund Option der Anteilseigner, Kapital zuzuführen? ........................................................... c) Stellungnahme .................................................................... 2. Berechnung der Anteilswerte bei Insolvenzplansanierung ....... a) Liquidationswert bei Rechtsträgerliquidation, L(R) ........... b) Stilllegungswert, L(St) ....................................................... aa) Kommission für Insolvenzrecht ................................... bb) Parallele zu § 225a Abs. 5 InsO n. F.? ......................... c) Fortführungswert ................................................................
XVIII
677 .... 321 680 .... 322 681 .... 322 683 .... 323 684 685 686 687
.... .... .... ....
324 324 325 325
688 .... 326 691 693 694 698 700 701
.... .... .... .... .... ....
327 328 329 331 332 332
702 .... 333 702 .... 333 703 .... 333 706 707 710 713 715 716 717 719
.... .... .... .... .... .... .... ....
335 336 338 339 340 340 340 341
Inhaltsverzeichnis Rn.
aa) KredReorgG ................................................................. bb) Literatur ....................................................................... cc) Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen bei der Bewertung? ...................................................... dd) Berücksichtigung des durch die Reorganisation erzielten Mehrwertes? .................................................. 3. Stellungnahme ......................................................................... a) Zum Ansatz eines Stilllegungswertes ................................. b) Zum Ansatz eines Fortführungswerts F(S) ........................ c) Defizite des Liquidationswertes ......................................... d) Berücksichtigung eines Missbrauchsszenarios ................... e) Stand-alone-Bewertung ...................................................... f) Rückschlüsse aus dem Sonderfall der Bankenreorganisation ......................................................... g) Berücksichtigung eines Börsenwerts? ................................ h) Ausgestaltung als Missbrauchskontrolle ............................ 4. Ergebnis .................................................................................... III. Bewertung der einzubringenden Forderungen ................................ 1. Die Diskussion um Einbringung zum Nennwert oder Verkehrswert ............................................................................ a) Konzept der Nennwerteinbringung .................................... b) Gegenüberstellung der Argumente ..................................... aa) Perspektive, aus der die Einbringung zu betrachten ist ................................................................ bb) Drohende Aufblähung der Bilanz ............................... cc) Schutz der gegenwärtigen (=Alt-)Gläubiger ................ dd) Schutz der Neu-Gläubiger ............................................ ee) Kapitalschutz nach bilanzrechtlichen Maßstäben/ buchmäßige Behandlung der eingelegten Forderung bei fehlender Vollwertigkeit ........................................ ff) Schutz der Alt-Gesellschafter ...................................... gg) Vereinbarkeit mit der Kapital-Richtlinie ..................... hh) Sonderfall der verdeckten Sacheinlage ........................ ii) Parallelwertung aus § 194 Abs. 1 S. 2 AktG (und einer geplanten Aktienrechtsnovelle) .................. jj) Vergleich zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ..................................................... c) Stellungnahme .................................................................... 2. Forderungsbewertung auf Grundlage der h.M. ......................... a) h.M.: Einbringung nur, soweit „vollwertig, fällig und liquide“ ..............................................................
Seite
720 .... 341 721 .... 342 722 .... 343 724 726 726 728 730 734 737
.... .... .... .... .... .... ....
344 345 345 346 347 349 352
739 742 745 747
.... .... .... ....
353 354 355 356
748 .... 357 748 .... 357 750 .... 357 753 .... 358 753 763 766 771
.... .... .... ....
358 363 364 367
777 785 789 791
.... .... .... ....
370 374 377 378
795 .... 379 801 .... 383 805 .... 385 807 .... 387 808 .... 387
XIX
Inhaltsverzeichnis Rn.
b) Liquiditätsbezogene Betrachtungsweise (Anwendung der DCF-Methode) ....................................... c) Marktwert ........................................................................... d) Vollwertigkeit nur in Höhe des freigesetzten Aktivvermögens ................................................................. 3. Beispielsrechnungen ................................................................. a) Grundlagenbeispiel ............................................................ b) Erläuterungen zum Bilanzposten „nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag“ ........................................................ c) Bilanzbeispiel auf Basis der Nennwerteinbringung ........... d) Bilanzbeispiel auf Basis der h.M. ....................................... e) Bilanzbeispiel auf Basis der „Freisetzungsthese“ ............. f) Bilanzbeispiel bei doppelter Abwertung (Fromm) ............. g) Zwischenergebnis ............................................................... IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik in der besonderen Situation des Insolvenzplanverfahrens ........................................... 1. Fragen grundsätzlicher Art ....................................................... a) Die Rolle einer vorhergehenden Kapitalherabsetzung ....... b) Irrelevanz des Forderungswerts aufgrund eingetretener Insolvenz? ..................................................... c) Relevanz der Bilanz-Buchwerte oder der tatsächlichen Vermögenswerte? ......................................... aa) Buchwerte .................................................................... bb) Tatsächliche Vermögenswerte ..................................... cc) Stellungnahme ............................................................. d) Vorüberlegungen: Vorhandensein einer Datenbasis für die Bewertung im Insolvenz(plan)verfahren ................ aa) Stilllegungswert und Fortführungswert nach § 151 InsO .................................................................... bb) Fortführungswert im Rahmen des § 229 InsO ............. cc) Bedeutung für die vorliegende Untersuchung .............. e) Unterscheidung zwischen gesicherten und ungesicherten Gläubigern ................................................... 2. Bewertungsmaßstab für die Ermittlung des Verkehrswerts ...... a) Liquidationswert ................................................................ b) Fortführungswert ................................................................ c) Stellungnahme .................................................................... aa) Heranziehbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes? ................................................................. bb) Drohender spill over-Effekt? ....................................... cc) Statische Bezugnahme auf Zeitpunkt der Anmeldung? ........................................................... XX
Seite
810 .... 389 814 .... 392 817 .... 393 820 .... 394 821 .... 394 824 826 827 829 831 835
.... .... .... .... .... ....
395 396 396 396 397 399
837 .... 400 838 .... 400 839 .... 400 844 .... 402 848 850 851 853
.... .... .... ....
404 405 405 407
857 .... 408 859 .... 409 862 .... 411 866 .... 413 867 876 877 878 883
.... .... .... .... ....
414 417 418 418 421
883 .... 421 886 .... 422 890 .... 424
Inhaltsverzeichnis Rn.
dd) Sanierungsförderung als taugliches Argument? ........... ee) Abstellen auf Fortführungswerte als Ausdruck der Unternehmensfortführung als Planprämisse? ........ ff) Weitergehende Differenzierung zwischen verschiedenen zu berücksichtigenden Sanierungsmaßnahmen? .............................................. gg) Weitere Verkomplizierung des Bewertungsprozesses ... hh) Gefahr des Missbrauchs? ............................................. ii) Ergebnis ....................................................................... d) Gleichlauf der Bewertung bzgl. Alt-Anteile und Forderungen ................................................................
Seite
893 .... 425 895 .... 426
898 901 902 904
.... .... .... ....
428 430 432 433
905 .... 434
V. Annex: Gedanken zur Wertverteilung bei Nennwerteinbringung ..... 910 .... 435 1. Nennwerteinbringung nach initial hair cut? ............................. 911 .... 435 2. Abweichen von Nennwerteinbringung bei Beteiligung gesicherter Gläubiger? .............................................................. 914 .... 436 § 11 Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................ 919 .... 439 I. Ergebnisse der Untersuchung ......................................................... 919 .... 439 II. Ausblick .......................................................................................... 941 .... 448 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 451 Stichwortverzeichnis ........................................................................................ 483
XXI
§ 1 Einleitung/Gang der Untersuchung Befindet sich eine Gesellschaft in der Krise oder sogar bereits in der Insolvenz, so 1 kommen bei angenommener Fortführungswürdigkeit verschiedene Arten von Sanierungsmaßnahmen in Betracht. Neben der Zufuhr frischen Kapitals und dem Verzicht der Gläubiger auf Teile ihrer Forderungen kann sich dabei insbesondere die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital als eine Option zur nachhaltigen Sanierung darstellen. Dabei bringen die bisherigen Gläubiger ihre Forderungen im Wege der Sacheinlage als nunmehriges Eigenkapital in die Gesellschaft ein und werden zu Anteilseignern. Diese gesellschaftsrechtliche Kapitalmaßnahme wird seit Jahrzehnten diskutiert und praktiziert, war aber aus verschiedenen Gründen nicht zwingend immer die Sanierungsoption erster Wahl. Insbesondere in den vergangenen Jahren hat die Diskussion dabei nochmals Auftrieb erhalten. Die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital wird mittlerweile fast einhellig anhand der englischen Bezeichnung „Debt Equity Swap“ (im Folgenden: DES) bezeichnet. Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die Durchführung eines solchen DES 2 im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens. Zwar ist der DES primär als Sanierungsmaßnahme in der Krise geeignet, den Eintritt der Insolvenz gerade zu vermeiden. Aber auch wenn die Insolvenz bereits eingetreten und das Verfahren eröffnet ist, stellt der DES eine Option dar, das insolvente Unternehmen zu erhalten. Bis zum Jahre 2012 war dies aber mit zahlreichen Hindernissen und Risiken verbunden, die ihn als Sanierungsmaßnahme in der Insolvenz wenig attraktiv machten. Dies hat sich durch die Reform durch das ESUG in bedeutendem Umfang geändert. Der Gesetzgeber hat dabei allerdings lediglich die Rahmenbedingungen für den DES verändert. Entscheidende Einzelfragen sind weiterhin ungeklärt. Mit der vorliegenden Untersuchung sollen nicht nur die Hintergründe der Reform dargestellt und ihre Ausprägungen im Einzelnen aufgezeigt werden, sondern es soll der Versuch unternommen werden, neben einer Analyse zur Vereinbarkeit der Neu-Regelung mit höherrangigem Recht insbesondere einen Beitrag zur Klärung dieser offenen Fragen zu leisten.
I.
Die Ermöglichung des Debt Equity Swap als gesetzgeberisches Regelungsziel
Bereits am Anfang der Diskussion um das ESUG war als explizites gesetzgeberi- 3 sches Regelungsziel ausgegeben worden, den DES zu ermöglichen. Neben der Erleichterung der Eigenverwaltung und des gestärkten Einflusses der Gläubiger auf die Wahl des Insolvenzverwalters sollte dabei insbesondere auch die Möglichkeit
1
§ 1 Einleitung/Gang der Untersuchung
der Umwandlung von Forderungen in Anteilsrechte zu einer Erleichterung der Unternehmenssanierung im Insolvenzverfahren beitragen.1)
II. Die Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG 1.
Das KredReorgG als Folge der Finanzkrise
4 Die Ermöglichung des DES im Insolvenzplanverfahren war dabei nicht das erste Reformvorhaben, das die Bundesregierung in Angriff nahm. Bereits vorher war diese Sanierungsmaßnahme im besonderen Kontext der Bankeninsolvenz diskutiert und schlussendlich mit dem § 9 KredReorgG auch in Gesetzesform gegossen worden.2) Hintergrund der Diskussion zur sog. Bankenreorganisation war die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise des Jahres 2009 gewesen, die die staatliche Rettung zahlreicher Kreditinstitute nötig gemacht hatte, in deren Folge auch die Einführung alternativer Sanierungs- und Abwicklungsregime für Banken diskutiert wurde.3)
2.
DiskE, RefE, RegE zum ESUG, Änderungen durch den Rechtsausschuss
5 Bereits während der Diskussion zur Reform der Bankenreorganisation wurde eine derartige Reform auch als Maßnahme außerhalb des Sonderinsolvenzrechts für Banken, mithin als solche des Insolvenzplanverfahrens (§§ 217 ff. InsO) angedacht. So tauchte der DES bereits in der ersten Version des ESUG, dem Diskussionsentwurf (DiskE-ESUG)4), auf. Leicht verändert blieb er auch im Referentenentwurf zum ESUG (RefE-ESUG)5) und im Regierungsentwurf zum ESUG (RegEESUG)6) bestehen. Eine Veränderung einzelner Regelungen erfolgte noch in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses.7) Verabschiedet wurde das ESUG ___________ 1)
2) 3)
4)
5)
6) 7)
2
Siehe nur aus dem RegE-ESUG, BT-Dr. 17/5712 die Ausführungen auf S. 1, 18 und 31. Eine Übersicht über Vereinbarungen im Koalitionsvertrag, Äußerungen der Bundesjustizministerin, Gesetzentwürfe, Stellungnahmen des Bundesrates, Gegenäußerungen der Bundesregierung sowie andere Gesetzgebungsdokumente findet sich bei Heinrich, NZI 2012, 235, 236. Eine nähere Betrachtung der Regelungen des KredReorgG, auf die teilweise im Fortgang der folgenden Analyse eingegangen wird, findet sich als Exkurs unten in § 5. V. Eine nähere Nachzeichnung der Hintergründe zur Bankeninsolvenz findet sich bei Eidenmüller, FS Hopt, 2011, S. 1713 ff.; für eine Nachzeichnung generell der Gesetzesaktivitäten des Gesetzgebers im unmittelbaren Gefolge der Finanzkrise siehe Eidenmüller, Finanzkrise, S. 8, 15 ff. DiskE-ESUG, abgedruckt u. a. als Beilage zu Heft 28 der ZIP 2010 vom 16. Juli 2010; abrufbar online unter http://gesetzgebung.beck.de/sites/gesetzgebung.beck.de/files/Diskussionsentwurf_Sanierung_Unternehmen-BMJ.pdf. RefE-ESUG, abgedruckt u. a. als Beilage 1 zu Heft 6 der ZIP 2011 vom 11. Februar 2011, abrufbar online unter http://gesetzgebung.beck.de/sites/gesetzgebung.beck.de/files/2011-0125_ESUG-RefE.pdf. RegE-ESUG, BT-Dr. 17/5712 vom 4.5.2011. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/7511 vom 26.10.2011.
III. Gang der Untersuchung
schließlich am 27.10.2011 durch den Bundestag und am 25.11.2011 durch den Bundesrat.8) Es trat am 1.3.2012 in Kraft.9)
III. Gang der Untersuchung Die Erstellung dieser Untersuchung erfolgte teils parallel zum Reformprozess, wo- 6 mit sich eine Struktur ergibt, die auch die Hintergründe der Reform und die vorherige Rechtslage einbezieht. Begonnen wird in Gliederungspunkt § 2 zunächst mit einer umfassenden Darlegung der Vorteile und der Risiken, die mit einem DES als Sanierungsmaßnahme einhergehen. Dabei wird bereits ein Seitenblick auf das US-amerikanische Chapter 11 geworfen, das zum einen für die Struktur des deutschen Insolvenzplanverfahrens Pate gestanden hat und wo zum anderen der DES in weitaus größerem Maße praktiziert wird. Mit Veränderungen in der Finanzbranche, insbesondere dem rasant wachsenden Handel mit sog. distressed debt-Forderungen, gehen dabei Folgen einher, die erst in den vergangenen Jahren die Aufmerksamkeit auch der Wissenschaft gefunden haben, die zugleich aber von Relevanz auch für die Handhabung unter der InsO sein dürften. In § 3 wird die konkrete gesellschaftsrechtliche Durchführung der Kapitalerhöhung 7 durch Einbringung der Forderung als Sacheinlage im Einzelnen bezüglich ihrer Voraussetzungen im GmbHG und im AktG dargelegt.10) Dabei wird auch auf die zumeist zugleich nötige Kapitalherabsetzung eingegangen. Nach dieser Darstellung der Grundlagen des DES wird in § 4 nachgezeichnet, auf- 8 grund welcher nach früherem Recht bestehenden Hindernisse des Insolvenzplanverfahrens eine Reform des DES überhaupt nötig wurde. Hierbei werden auch alternativ gemachte Vorschläge zur Lösung des Problems kurz angeschnitten. Daran schließt sich in § 5 eine Darlegung der einzelnen Regelungen an, die die Reform des DES durch das ESUG geprägt haben. In diesem Abschnitt werden als maßgebliche Regelungen u. a. der Ausschluss der Differenzhaftung und die Reform der Rechtsmittel dargelegt und damit einhergehende, noch offene Auslegungsfragen, ___________ 8) Die Verkündung erfolgte am 7.12.2011 in BGBl. 2011, Teil 1 Nr. 64, S. 2582. 9) Begleitet wurde die Reform durch eine kaum zu überblickende Zahl an Aufsätzen, Monographien und Vorträgen, die den Umfang dieser Fußnote sprengen würden, aber allesamt für die folgende Untersuchung ausgewertet wurden und sich in den einzelnen im Kontext relevanten Fußnoten finden. 10) Hierin findet sich insofern eine Eingrenzung der Thematik, als dass sich diese auf den DES bei Kapitalgesellschaften konzentrieren wird. Dies hat zum einen damit zu tun, dass diese den Großteil der insolventen Gesellschaften bilden. Zum anderen werden Gläubiger vielmals nur dann ein Interesse an einer Gesellschafterstellung haben, wenn diese haftungsbeschränkt ist, da das personale Element bei ihnen nicht derart ausgeprägt sein wird. Eine Berücksichtigung auch der Personengesellschaften würde auch den Rahmen der Untersuchung sprengen; ähnlich Achsnick, S. 100 f. Zum DES bei der (GmbH & Co-) Kommanditgesellschaft und den sich dort stellenden Fragen wird verwiesen auf K. Schmidt, ZGR 2012, 566 ff., für Fragen zur Insolvenz einer KG K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 225a Rn. 38.
3
§ 1 Einleitung/Gang der Untersuchung
etwa zur Prüfungspflicht des Insolvenzgerichts in Bezug auf die Werthaltigkeit der umzuwandelnden Forderungen oder zu Einzelfragen der Sicherheitsleistung zwecks Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln, bereits behandelt.
9 Die darauf folgenden Abschnitte enthalten eine eingehende Analyse der Neuregelung durch das ESUG. So behandelt § 6 die Frage, ob die Neuregelung den Vorgaben des Verfassungsrechtes standhält; entscheidende Frage ist dabei, ob durch die Ermöglichung des DES auch gegen den Willen der Alt-Anteilseigner diese nicht in ihren Grundrechten aus Art. 14 und Art. 9 GG verletzt werden. § 7 behandelt die hiermit eng verbundene Frage, ob nicht den Alt-Anteilseignern zumindest ein Recht auf Teilhabe an der Kapitalerhöhung mit frischem Kapital (das sogenannte Bezugsrecht) zusteht oder ob dies im Insolvenzplan ausgeschlossen werden kann. In § 8 wird die Frage untersucht, ob die Neuregelung gegen europarechtliche Vorgaben in Form der Schutzvorschriften der sog. Kapitalrichtlinie verstößt.
10 § 9 leistet im Folgenden eine Analyse der Neuregelungen unter Betrachtung der Frage, ob damit das gesetzgeberische Ziel der erleichterten Unternehmenssanierung tatsächlich erreicht werden kann oder ob dem Erreichen dieses Ziels nicht durch Verfahrensaufblähung, Missbrauchsanfälligkeit und Setzen falscher Anreize entgegengewirkt wird; dabei wird auch auf Nebengebiete wie die steuerlichen Rahmenbedingungen und das Recht der Sanierungsprivilegierung eingegangen.
11 § 10 schließlich nimmt sich dem Komplex der sog. Bewertungsfragen an: diese werden oftmals als Kernproblematik des DES angesehen und haben in den letzten Jahren eine umfangreiche Diskussion erfahren, die auf grundsätzliche Fragen der Insolvenzhierarchie wie auch des Gläubigerschutzsystems bei Kapitalgesellschaften zurückgeht. Dies betrifft sowohl die Frage, wie die Alt-Anteile in der Insolvenz zu bewerten sind, als auch die Frage, in welcher Höhe einzubringende Forderungen als Eigenkapital eingebracht werden können und ob dabei im Kontext der Insolvenz auf Liquidationswerte oder Fortführungswerte abgestellt werden muss.
12 § 11 enthält schließlich eine Zusammenfassung der in der Untersuchung erzielten Ergebnisse und einen Ausblick auf die zu erwartende Zukunft des DES im Insolvenzplanverfahren.
4
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz I.
Sanierungseffekte durch die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital
Im Folgenden soll zunächst dargelegt werden, aus welchen Gründen und in welchen 13 Fällen der DES eine taugliche Verwertungsoption des insolventen Unternehmens darstellen kann. Die Sanierungsmaßnahme des DES kann nämlich auf verschiedenste Weise sanierend wirken, zugleich aber auch nicht zu unterschätzende Risiken mit sich bringen.
1.
Verbesserung der Liquiditätslage
Zu den unmittelbar aus einem solchen DES resultierenden Vorteilen gehört die 14 Verbesserung der Liquiditätslage. Dies geschieht zum einen, indem die Liquidität durch die Verminderung der Tilgungs- und Zinslast langfristig erhöht wird.11) Wenn zum anderen durch den Wegfall der Forderung Sicherheiten frei werden, können diese dazu genutzt werden, Liquidität in Form neuer Kredite zu erhalten.12) Gleiches gilt, wenn durch den DES eine Reduzierung des Verschuldungsgrades erreicht wird, der zu einer Verbesserung des Ratings führen kann.13)
2.
Motive auf Seiten der Gläubiger
a) Motive genereller Art Mit dem DES eröffnet sich für die Gläubiger die Chance, nach erfolgreicher Sanie- 15 rung an einer Erhöhung des Unternehmenswertes teilzuhaben.14) Ein Motiv kann dabei nicht nur in einer etwaigen Wertsteigerung der Anteile und zukünftigen Dividenden-Ansprüchen, sondern in den durch die Gesellschafterstellung erlangten Kontrollrechten und Weisungsrechten bestehen, die es dem nunmehrigen Neugesellschafter erlauben, Weisungen an die Geschäftsführung zu erteilen, entsprechende ___________ 11) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 280; Priester, DB 2010, 1445; Wittig, in: K. Schmidt/ Uhlenbruck, Rn. 2.270. Teils wird auch der DES vor der Insolvenz als Möglichkeit gesehen, die Überschuldung zu vermeiden und darauf erst die Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens zu versuchen, siehe hierzu nur Löbbe, Liber amoricum Martin Winter, 2011, S. 423. Im Hinblick auf die allgemeine, ebenfalls im Vorfeld des ESUG geführte Diskussion über die Vorzüge und Nachteile eines vor-insolvenzlichen Sanierungsverfahrens siehe die Beiträge von Hirte, K. Schmidt, Jacoby und Streit in DB 2010, 25 ff. sowie Westphal, ZGR 2010, 385 ff. Dies soll aber nicht Gegenstand der hier vorliegenden Untersuchung sein. 12) Dies kann insbesondere deshalb relevant werden, weil in den kommenden Jahren viele Kreditfinanzierungen auslaufen werden, darunter insbesondere Mezzanine-Kapital mit Endfälligkeiten in den Jahren bis 2015, siehe hierzu Hölzle, KTS 2011, 291, 300 f. mit weiteren Daten sowie Hölzle/Pink, ZIP 2011, 360. 13) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 280; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 638. 14) Priester, DB 2010, 1445.
5
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
Sanierungsmaßnahmen umzusetzen15) oder etwa einen Sanierungsspezialisten als Geschäftsführer einzusetzen.16) Für ansonsten verlorene Darlehen kann bei aktiver Unterstützung des Sanierungsprozesses die Aussicht bestehen, dass diese wieder bedient werden.17)
16 Aus Sicht der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung als Ziel der InsO ist dies eine der Möglichkeiten, zugunsten der Gläubiger den Fortführungswert (oftmals auch als going-concern-Wert bezeichnet) zu erhalten. Dieser beinhaltet den über die einzelverwertbaren Vermögenswerte hinausgehenden Mehrwert, der in der etablierten Struktur und Anordnung der einzelnen assets als Unternehmung verkörpert ist.18)
b) Erhalt rechtsträgergebundener Berechtigungen 17 Die Restrukturierung des Fremdkapitals per DES kommt dabei vor allem bei solchen Firmen in Betracht, die einen hohen Anteil an immateriellen Vermögensgegenständen und rechtsträgergebundenen Berechtigungen aufweisen und einen nicht unbeträchtlichen Anteil von Fremdkapital bei Banken oder etwa Anleihegläubigern aufgenommen haben. Entscheidend ist dabei, dass die wertvollen assets des Unternehmens gerade in diesen schuldrechtlichen Verträgen bestehen können, die bei einem Verkauf im Rahmen einer übertragenden Sanierung nicht mit übergehen würden und somit für die Gläubiger verloren wären.19)
c)
Relevanz sog. distressed debt-Forderungen für den DES
18 Bei Existenz einer nur geringen Anzahl von Gläubigern wird der DES dabei besonders oft eine Option sein. Diese Bündelung eines großen Teils des Fremdkapitals in einer Hand muss dabei aber nicht von vornherein vorliegen: wenn aufgrund der Finanzierungsstruktur nicht bloß einige wenige Großgläubiger bestehen, sondern etwa mehrere Banken sowie Lieferanten als Gläubiger Ansprüche haben, so heißt dies nicht, dass der DES damit weniger wahrscheinlich wird. Auf einem hinreichend liquiden Markt für distressed debt können große Teile dieser anfangs zer-
___________ 15) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 280; Wittig, in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 2.270; Daimer, S. 25. Dieser Einfluss wird bei der GmbH aufgrund seiner Struktur tendenziell höher sein als bei der AG. 16) Redeker, BB 2007, 673. 17) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 280. Zwar geht mit der Übernahme einer Anteilseignerstellung die Gefahr der Einstufung der verbleibenden Darlehen als eigenkapitalersetzendes Darlehen einher. Diese können aber unter das Sanierungsprivileg fallen, Details s. u. § 9. IV. 18) Wenn dieser auch verkleinert oder umstrukturiert werden muss, siehe hierzu nur Braun, FS Fischer, 2008, S. 53, 62. 19) Zu Details siehe sogleich IV. 3.
6
I. Sanierungseffekte durch die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital
splitterten Forderungen in einer Hand vereinigt werden.20) Dabei handelt sich vielfach um notleidende Forderungen, die auch als sog. Non-Performing Loans (NPL) bekannt sind. Die Gründe für einen Gläubiger, seine Forderungen am Markt für distressed debt 19 zu verkaufen, können dabei vielfältig sein. So scheuen viele Banken als Gläubiger und Sicherungsnehmer die Verwertung von Sicherheiten und die damit vielmals einhergehende Zerschlagung des Unternehmens.21) Wenn sie zudem den Fortführungswert höher einschätzen als den Zerschlagungswert, so kann der DES oder der Verkauf der Forderung an einen hierauf spezialisierten Investor eine lohnende Alternative sein. Viele Banken haben die Kredite ohnehin schon abgeschrieben und stehen einem Verkauf auch mit hohen Abschlägen offen gegenüber, solange diese nur ein wenig mehr einbringen als die schon korrigierten Restwerte.22) Steuerliche Aspekte können eine Rolle spielen, wenn es dem Verkäufer darum geht, einen Verlustvortrag auf das Investment geltend machen zu können.23) Daneben können auch regulatorische Gründe relevant sein: die Basel-II und III- 20 Eigenkapital-Anforderungen können einen Verkauf notwendig machen, weil die ausgegebenen Kredite ansonsten mit Eigenkapital unterlegt werden müssen.24) Ebenso zu nennen sind bilanzielle Regeln und buchhalterische Vorgaben.25) Es können aber auch selbstgesetzte Vorgaben sein, etwa wenn die Regeln eines Investmentfonds es diesem nicht erlauben, wertreduzierte Forderungen zu halten.26) Zuletzt können Gläubiger, wenn die Insolvenz sich abzeichnet, einen Verkauf be- 21 vorzugen, um den Aufwand und die Kosten der Teilnahme am Insolvenzverfahren
___________ 20) Siehe nur Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 660 f. (2010); v. Sydow/Berger, AG 2005, 635; Himmelsbach/Achsnick, NZI 2006, 561; zu einem Marktüberblick siehe Kestler/Striegel/ Jesch, NZI 2005, 417; zuletzt kritisch zu der Entwicklung Siemon, ZInsO 2014, 172, 176 ff. 21) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 280; z. T. wird auch schon der Verwaltungsaufwand für die Verwaltung der Kreditbeteiligung gescheut, v. Sydow/Berger, AG 2005, 635. 22) Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 257 f. (2006); Fortgang/Mayer, 12 Cardozo L. Rev. 1, 6 – 7 (1990); Löbbe, Liber amoricum Martin Winter, 2011, S. 423, 427: stellt sich dann sogar als außerordentlicher Erlös dar. 23) Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 206 (2006): “establish a tax loss on his investment“. Allerdings ist zu beachten, dass er dies nach Kürzung der Forderung und Umwandlung in Eigenkapital in Höhe des Verkehrswert der Forderung ebenso geltend machen kann, wenn dieser unter Nennwert bzw. unter dem hierfür gezahlten Kaufpreis liegt. 24) Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 206 (2006); Krolop, GmbHR 2007, 117, 118 m. w. N. 25) Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 206 (2006): auditing rules for balance sheet asset writeoffs or mark-to-market accounting requirements for securities. 26) Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 207 (2006): seller may be a mutual fund whose covenants do not allow the fund to carry defaulted bonds.
7
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
zu vermeiden.27) Eine gewisse Treue oder Vertrauensbeziehung zum Schuldner muss sich zudem nicht zwingend in dem Halten der Verbindlichkeiten ausdrücken, sondern kann auch zum Verkauf führen: wenn ein erbittertes Insolvenzverfahren droht, so kann es der Gläubiger für angebracht halten, sich diesem zu entziehen, wenn ihm auch weiterhin an einer Geschäftsbeziehung zu dem Schuldner gelegen ist.28) Umgekehrt kann ein Verkauf bei beschädigtem Gläubiger-Schuldner-Verhältnis eine Entspannung der Lage herbeiführen, wenn der distressed debt-Investor als vormals Unbeteiligter an den Verhandlungen teilnimmt.29)
d) Loan to own-Strategien 22 Der gezielte Aufkauf solcher notleidender Forderungen mit dem Ziel der Wandlung in Eigenkapital wird als sog. loan to own-Strategie bezeichnet.30) Akteure sind vielfach Finanzinvestoren, die auf die Investition über Eigenkapital an Firmen bis hin in den Mittelstand spezialisiert sind.31) Sind dies etwa auf dem deutschen Markt seit einiger Zeit tätigen sog. Private Equity Firmen, so sehen sich diese zudem als Turnaround-Spezialisten, die die nötige Fachkompetenz gerade für die vielfach daneben nötige leistungswirtschaftliche Sanierung mitbringen. Der Aufkauf kann sich gerade deshalb lohnen, da die Forderungen auf dem Markt für distressed debt mit erheblichen Abschlägen gehandelt werden, sobald eine Krise des Unternehmens bekannt wird.32) Dabei wird ein auf loan to own ausgerichteter Investor versuchen, bei Vorhandensein mehrerer Kredittranchen mit unterschiedlichen Ranghöhen diejenigen Forderungen zu erwerben, die den Zugriff auf das
___________ 27) Baird/Rasmussen, 119 Yale. L. Rev. 648, 660 (2010): „allows easy exit from a reorganization proceeding for those who are ill equipped to navigate it. Chapter 11 cases can be drawn out affairs“; Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 206 (2006): „avoid the administrative hassle and costs of bankruptcy proceedings“; Löbbe, Liber amoricum Martin Winter, 2011, S. 423, 427. 28) Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 207 (2006): „the seller may be a supplier or customer who values its long-term relationship with the debtor and does not want to get involved in an acrimonious bankruptcy proceeding.“ 29) Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 259 (2006): easier to facilitate a reorganization agreement with the debtor and the other creditors simply because the new investor is not encumbered by the hostilities of a prior relationship. 30) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 280; Aleth/Böhle, DStR 2010, 1186, 1188 f.; Baird/ Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 671 (2010); Darstellung der Vorgehensweise bei Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 182 ff. (2011). 31) Redeker, BB 2007, 673; eine Definition findet sich bei Harner¸ 16 ABI L. Rev. 69, 70 Fn. 3 (2008). 32) Daimer, S. 9 ff. Dabei stellt eine Strukturmaßnahme ein aktives Handeln des Investors dar. Er kann auch passiv handeln, indem er das Unternehmen und dessen Anleihen lediglich für unterbewertet hält und darauf setzt, dass der Markt dies auch erkennt.
8
I. Sanierungseffekte durch die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital
Eigenkapital ermöglichen; im US-Recht werden diese Forderungen als sog. fulcrum security bezeichnet.33) Das erleichterte claims trading und das Aufkommen und die Finanzkraft von Hedge- 23 Fonds können dabei auch und insbesondere die Insolvenzpraxis in erheblichem Maße verändern, wie sich an neueren Entwicklungen in den USA beobachten lässt.34) Der Erwerb von Forderungen kann gegenüber einem Erwerb von Geschäftsanteilen vorzugswürdig sein, sofern die Durchführung des DES hinreichend planbar ist und für den Investor die Hemmschwelle des Insolvenzverfahrens als Wertvernichter nicht mehr besteht.35) Dies ist insbesondere im Rahmen eines pre-arranged Insolvenzplan denkbar, wenn der Prozess ausreichend dokumentiert ist und somit gezeigt werden kann, dass dies insgesamt vorteilhafter ist für die Gläubigergesamtheit als die übertragende Sanierung.36) Dies würde allerdings nur dann gelten, wenn eine gewisse Form von Berechenbarkeit für den umwandlungswilligen Gläubiger besteht. Dies müsste zwar nicht die Art von Transaktionssicherheit sein, die sich durch eine Übernahme (kurz) vor der Insolvenz ergibt. Sie müsste aber dennoch besser sein als die der übertragenden Sanierung, wo der Insolvenzverwalter einen anderen Bieter bevorzugt behandeln kann. Eine solche verbesserte Planbarkeit sollte durch das ESUG durch Ausbau des Gläubigereinflusses erreicht werden.37) Zudem besteht für die Gläubigerversammlung nach § 157 S. 2 InsO die Möglichkeit, den Insolvenzverwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans zu beauftragen und ihm dabei auch das Ziel des Plans vorzugeben. Halten die umwandlungswilligen Gläubiger hier Forderungen in ausreichender Höhe, können sie den Beschluss der Gläubigerversammlung in diese Richtung beeinflussen.
e)
Optimierung des Insolvenzplanprozesses
Der Eintritt eines distressed debt-Investors muss dabei nicht negativ sein für den 24 Verhandlungsprozess, der mit einer Insolvenzplanerstellung einhergeht. Zwar wird ___________ 33) Siehe Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 161 (2011); Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 671 Fn. 114 (2010); Marston, 2009: „the more lucrative jackpot is turning debt into ownership of the company: loan-to-own. To accomplish this, experienced investors seek to identify the “fulcrum security,“ typically–but not always–in a Chapter 11 reorganization proceeding. The fulcrum security is the security most likely to be converted into equity in a reorganized company. If a company is worth $250 million, with secured debt of $200 million and unsecured bond debt of $100 million, the secured debt will be paid in full and the bondholders–the fulcrum security, in this example–will receive equity in the reorganized company. Everyone below the bondholders in the capital structure, including existing equity, will be wiped out.“ Umfassend hierzu auch unten § 9. III. 2. b). 34) Hierzu insbesondere Baird/Rasmussen, 119 Yale. L. Rev. 648, 659 (2010) sowie unten VII. 1. d) und mit einer großen Anzahl an Beispielen Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 165 ff. und 184 (2011) mit einer case-study. 35) So Meyer-Löwy/Bruder, GmbHR 2012, 432, 439. 36) Meyer-Löwy/Bruder, GmbHR 2012, 432, 438 f. 37) Siehe nur RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 1 und S. 17.
9
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
dieser oftmals eine aggressive Strategie verfolgen, da das Aufkaufen für ihn ein renditeorientiertes Investment darstellt. Zugleich kann aber auch eine höhere Flexibilität beim distressed debt-Investor vermutet werden, gerade weil dieser die Forderungen schon mit Abschlag erworben hat und daher eher zu Zugeständnissen bereit sein wird als der ursprüngliche Gläubiger, der schon 40 % verloren hat.38) Umgekehrt bedeutet eine Wertsteigerung einer distressed debt-Forderung um wenige Prozent für einen Investor scheinbar deutlich mehr als für den ursprünglichen Gläubiger, der bereits viel damit verloren hat.39)
25 Eine Verbesserung ist auch zu erwarten, da Finanzgläubiger bisher in außergerichtlichen Sanierungen oftmals Zugeständnisse an Gesellschafter und andere Gläubiger machen mussten. Deren Position wird durch die mit der ESUG-Reform eingefügten, im Folgenden noch zu erläuternden Regelungen deutlich geschwächt.
26 Die Akkumulation vieler Forderungen in einer Hand kann für den Insolvenzplanprozess zuletzt auch deshalb vorteilhaft sein, da damit weniger Verhandlungspartner am Tisch sitzen. Zugleich ist es diesen professionellen Marktteilnehmern leichter möglich, den Wert des Unternehmens richtig einzuschätzen, da sich für sie bei einem hinreichend großen Anteil an den Gesamtforderungen der Aufwand der Buchprüfung lohnt.40) Dies ist bei vielen Teilnehmern mit kleinen Forderungen nicht der Fall. Informationsasymmetrien können sich gerade in einem Prozess wie dem Insolvenzplanverfahren als nachteilhaft erweisen, da sie die Verhandlungen eher blockieren als erleichtern.
3.
Verringerung von Transaktionskosten
27 Die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital kann dabei auch deswegen eine lohnenswerte Option sein, weil hierdurch Transaktionskosten verringert werden können. Dies betrifft zum einen die Suche nach Investoren, zum anderen die erleichterte Entscheidung über die Verwertung des Unternehmens.
a) Bezüglich der Investorensuche 28 Soll eine größere Firma in die Hände neuer Eigentümer gegeben werden, so stellt sich regelmäßig die Problematik, dass es hohe Transaktionskosten erzeugen würde, eine geeignete Gruppe von Investoren zusammenzustellen, die bereit sind, das Ri___________ 38) Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 170 (2011); generell zur sunk-cost fallacy des distressed debt-Investors in der Insolvenz Baird, 4 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 24, 34 (2009). 39) Siehe Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 259 (2006): „a forty percent rise in the value of debt means significantly different things in the hands of a distressed debt investor than in the hands of the par investor“. 40) Baird/Rasmussen, 119 Yale. L. Rev. 648, 659 (2010); Baird/Bernstein, 115 Yale L. J. 1930, 1949 (2006) zum Informationszugang der unterschiedlichen Beteiligten in der Insolvenz.
10
I. Sanierungseffekte durch die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital
siko der neuen Firma zu tragen.41) Dies ist auch regelmäßig das Problem des Insolvenzverwalters.42) Daher wird darauf verwiesen, dass mit den bisherigen Gläubigern bereits eine 29 Gruppe von Beteiligten existiert, die das Risiko ohnehin schon tragen: „a natural group of risk bearers who were, after all, the previous risk bearers.“43) Daher könnten Transaktionskosten in erheblichem Maße gesenkt werden, wenn diese Gruppe direkt erreicht würde, indem ihnen Anteile angeboten werden.44) Bei größeren Forderungen (z. B. Lieferantenkrediten) kommt hinzu, dass der Gläubiger oftmals auch vorher bereits faktisch Einfluss genommen haben wird. Wenn vorher Gespräche, Verhandlungen und Stundungen stattgefunden haben, tritt damit keine gänzlich „fremde“ Person als Anteilseigner ein.45) Die hohen Transaktionskosten können auch das Problem sein bei einem Verkauf 30 an einen einzigen Investor im Regelinsolvenzverfahren (z. B. bei einer übertragenden Sanierung): denn selbst wenn es viele potentielle Bieter gibt, so wäre es für jeden von ihnen ein teurer und zeitaufwändiger Prozess, ein Gebot vorzubereiten. Da es nur einen Käufer am Ende geben kann, werden viele Bieter den scharfen Wettbewerb erwarten und somit schon von vornherein den Aufwand scheuen. Dies kann wiederum dazu führen, dass am Ende überhaupt nur ein Bieter auftaucht, der das Unternehmen dann für einen niedrigen Preis erhält.46) Solche Bieter stammen dabei oft aus dem selben Geschäftsfeld.47) Auch hierfür würde die Umwandlung der Forderungen, in die die Gläubiger bereits investiert sind, eine Lösung darstellen. Aus modelltheoretischer Sicht wird hierdurch auch die Geltung der Regel (wie- 31 der)-hergestellt, dass denjenigen die Entscheidungsrechte zufallen, die die Folgen ___________ 41) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 687 Fn. 182 (2010). 42) Siehe nur die Aussagen von Insolvenzverwaltern bei H.-F. Müller, S. 284 und den Aufsatz von Wallner, ZInsO 2010, 1419, 1421. 43) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 528 (1992). Siehe auch Nickert, BewP 2012, 82, 86, der seine Art der Unternehmensbewertung in der Insolvenz darauf aufbaut, dass die bisherigen Eigenkapitalanteile ausgebucht werden und stattdessen die Insolvenzforderungen als fiktives Eigenkapital behandelt werden. 44) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 527 f. (1992). 45) Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1931 (zwar in Bezug darauf, dass den bisherigen Anteilseignern keine neuen Co-Gesellschafter aufoktroyiert werden. Die Beschreibung kann aber allgemein gelten). Bleibt dabei die bisherige Geschäftsleitung im Amt, so kann dies den Vorteil haben, dass den neuen Anteilseignern die Überwachung der Geschäftsleitung (sog. monitoring) leichter fällt, da sie in dem relevanten Geschäftsfeld die Lage besser überblicken können. 46) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 528 (1992) nennen dies das lack-of-competitionproblem. 47) Siehe Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 528 (1992) mit weiteren Details bzgl. in den USA durchgeführter Studien, u. a. von Shleifer/Visny und LoPucki/Whitford.
11
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
der Entscheidungen im Wesentlichen zu tragen haben.48) Solche Entscheidungsrechte können im konsequentesten Sinne die Verwaltungs- und Verfügungsrechte über das Vermögen sein.49)
b) Homogenisierung der Eigentümerstruktur zum Zwecke der verbesserten Abstimmung über Verwertungsoptionen 32 Der Gedanke, dass den Gläubigern als unmittelbar Betroffenen Entscheidungsrechte zufallen, greift aber schon vorher Platz. Unmittelbarer Ausfluss dieses Gedankens ist u. a. die Gläubigerautonomie im Insolvenzverfahren. Unter den Gläubigern aber kann es oft Uneinigkeit über die bestmögliche Verwertungsform geben. Untersuchungen unter dem Aspekt der ökonomischen Analyse haben gezeigt, dass die im Chapter 11 vorgesehenen und so auch in der InsO verankerten Abstimmungsszenarien verschiedene (Fehl-)Anreize setzen.50) Diese können dazu führen, dass vielfach nicht die effizienteste Verwertungsform gewählt wird, weil gegenläufige Interessen bestehen. Denn ob eine Reorganisation oder eine Liquidation die vorteilhaftere Verwertungsoption für das insolvente Unternehmen ist, wird in der Insolvenz regelmäßig von den verschiedenen Beteiligten unterschiedlich beurteilt.51) Dies hängt damit zusammen, dass die Parteien schon qua Rang in der Gläubigerhierarchie unterschiedlich risikoavers sind. Während die gesicherten Gläubiger oftmals eine Liquidation und eine sofortige Ausbezahlung der Gläubiger bevorzugen, drängen die ungesicherten Gläubiger auf eine Reorganisation in der Hoffnung, den going concern-Wert in voller Höhe zu erhalten. Der Grund liegt darin, dass in vielen Fällen die Vermögensgegenstände des insolventen Unternehmens durchaus ausreichen, um die gesicherten Forderungen zu einem großen Teil zu befriedigen.52) Die ungesicherten Gläubiger erhalten auf ihre Forderung dagegen zumeist nur die Quote, die oftmals im einstelligen Prozentbereich liegen wird. Wird eine Unternehmensfortführung im Rahmen einer Reorganisation unternommen, so kann diese erfolgreich sein, womit die gesicherten Gläubiger komplette Befriedigung erlangen und die ungesicherten Gläubiger eine Befriedigung, die über der Quote liegt (sog. upside potential). Es geht zugleich aber das Risiko einher, dass diese komplett scheitert (downside risk). Am upside potential partizipieren die gesicherten Gläubiger aber kaum, da dieses ihnen nur wenig mehr einbringen würde als die Liquidation. Das downside risk tragen sie dagegen in voller Höhe. Umgekehrt trifft die ungesicherten Gläubiger das Risiko eines Scheiterns kaum, weil sie in der Liquidation ohnehin ___________ Siehe hierzu aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 41. Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 41. Grundlegend hierzu Hart, Firms, Contracts and Financial Structure, S. 166 ff. Beispiele bei Achsnick, S. 45 f. mit Resultat auf S. 49; zur Praxis im deutschen Recht siehe auch Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 20, insb. Fn. 21. 52) Genauer: zum größten Teil zu decken. So wird bei Verkauf des Sicherungsguts 9 % des erzielten Kaufpreises als Verwaltungsaufwand einbehalten. 48) 49) 50) 51)
12
I. Sanierungseffekte durch die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital
kaum etwas erhalten würden. Das upside potential dagegen können sie voll nutzen.53) Sie bevorzugen mit anderen Worten immer die risikoreichere Strategie, da sie wenig zu verlieren haben.54) Diese Erkenntnisse werden zwar durch neuere Entwicklungen abgeschwächt dadurch, dass gerade bei Beteiligung von distressed debtInvestoren die Tendenz zur schnellen Liquidation (bias towards liquidation) nicht mehr zwingend besteht.55) Dennoch bleiben sie im Grundsatz erhalten. Eine zunächst stattfindende Homogenisierung der Eigentümerstruktur kann dabei 33 helfen, eine Gleichschaltung der Interessen der Gläubiger und damit die Entkopplung der Entscheidungen zum einen über Zukunft, zum anderen über Aufteilung des Unternehmenswerts zu erreichen. Indem nämlich sämtliche Gläubiger zunächst zu Eigentümern werden, tragen sie anschließend unmittelbar die direkten Konsequenzen einer richtigen oder falschen Entscheidung im Insolvenzverfahren über die Zukunft des Unternehmens.56) Dann wären die Gläubiger auch am ehesten prädestiniert, diese zu treffen.57) Zudem partizipieren sie beim DES somit direkt sowohl an positiven als auch an negativen Entwicklungen des Unternehmens.58) Diese Aussage muss allerdings insoweit eine Einschränkung erfahren, als dass dies 34 auch nur dann der Fall sein wird, wenn sämtliche Gläubiger ihre Forderungen umwandeln. Tut dies dagegen nur ein Teil der Gläubiger, so erhalten die Umwandelnden zwar die Kontrolle über das Unternehmen; die im Insolvenzplanverfahren vorgelagerte Entscheidung (über Liquidation oder Fortführung) wird hierdurch aber nicht im selben Maße optimiert. Letzteres wäre allein möglich durch eine strikte Umsetzung eines Optionsmodells, das auch die Zwangsumwandlung mit sich bringen kann.59) Im deutschen Insolvenzverfahren ist selten mit einer Bereitschaft sämtlicher Gläubiger zur Umwandlung ihrer Forderungen zu rechnen. Dies ergibt sich schon daraus, dass zu den Gläubigern regelmäßig staatliche Stellen wie die Bun___________ 53) Diese unterschiedlichen Interessen (sog. biases) an der Verwertungsform können sich auch in unterschiedlichen Unternehmenswerten unter Effizienzgesichtspunkten ausdrücken, siehe unten § 9. VII. 1. 54) Diese unterschiedlichen Interessen werden gelegentlich so auch in Hinblick auf die Interessen der Alt-Anteilseigner dargestellt. Für diese gilt dann, dass sie gar nichts zu verlieren haben, weil sie in der Liquidation in den seltensten Fällen einen Überschuss nach § 199 InsO erhalten. Am upside potential dagegen partizipieren sie ggf. mit. Anschaulich dargestellt wird dies bei Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 196 ff. (2006), der dies als residual actor problem bezeichnet. Diese gegenständlichen biases setzen sich weiter fort z. B. bei der Frage, ob postpetition financing erfolgen sollte, etc. 55) Siehe unten bei VII. 1. d). 56) Dies kann allein dann nicht der Fall sein, wenn sich ihre Befriedigung hierdurch nicht ändern würde, etwa bei gesicherten Gläubigern, bei denen der Wert ihres Sicherungsguts nicht von Fortführung oder Beendigung der Unternehmung abhängt. 57) Huelsdunk, KTS 1999, 291, 304 f. 58) Huelsdunk, KTS 1999, 291, 305. 59) Diese Frage wird im Folgenden noch eingehend behandelt, siehe § 9. VII.
13
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
desagentur für Arbeit (aufgrund vorgeleistetem Insolvenzgeld) oder der Fiskus gehören, bei denen schon die Haushaltsordnung der Länder eine Übernahme der Anteilseignerstellung ausschließen, da die unternehmerische Betätigung der Länder auf die Verfolgung wichtiger Interessen beschränkt ist.60) Ähnliches dürfte für den Pensionssicherungsverein gelten.
c)
Vereinfachungen im Insolvenzverfahren
35 Aus der Verwalterpraxis wird berichtet, dass durch den DES in der Insolvenz komplexer Gruppen die Notwendigkeit entfallen kann, über „eine Regelung auf Ebene der Holding mit ‚invasiven‘ Möglichkeiten in die nachgeordnete Finanzierungsstruktur“ einzugreifen.61) Zudem seien bei solch komplexen Gruppeninsolvenzen der Versuch, mehrere übertragende Sanierungen (ggf. über Ländergrenzen hinaus) zu bewerkstelligen, äußerst schwierig, weshalb die Ermöglichung des DES durch das ESUG als „Segen“ für die Praxis bezeichnet wird.62)
4.
Motive für die Alt-Anteilseigner
36 Ein Motiv der Alt-Anteilseigner für einen DES kann darin liegen, dass durch die hiermit verbundenen Sanierungsmaßnahmen das Unternehmen wieder eine Zukunft hat, während die Anteile vorher zumeist wertlos waren.63) Hier ist jedoch direkt anzumerken, dass ein unmittelbarer Vorteil für die Alt-Anteilseigner bei bereits eingetretener Insolvenz selten entstehen wird. Im Zusammenhang mit einem Kapitalschnitt werden die Alt-Eigner ihrer Anteile zumeist gänzlich oder doch größtenteils verlustig gehen. Beim DES im Insolvenzplanverfahren wird dies vielfach schon deshalb angebracht sein, da ansonsten eine Anwendung des Obstruktionsverbots aus § 245 InsO auf Gläubiger ausscheiden würde, weil hiermit eine am Schuldner beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält, § 245 Abs. 2 Nr. 2 ___________ 60) Siehe hierzu auch den RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 55 (Stellungnahme des Bundesrats), wo eine Einschränkung in § 225a Abs. 2 S. 1 RegE dahingehend vorgeschlagen wurde, dass die Umwandlung solcher Forderungen schon per se nicht möglich sein soll, bei denen eine juristische Person des öffentlichen Rechts Gläubigerin ist. Begründet wird dies mit dem Verwaltungsaufwand, der in der Prüfung besteht. Dieser Vorschlag des Bundesrates wurde aber nicht übernommen. Zustimmend hierzu Heinrich, NZI 2012, 235, 240: damit wäre eine Umwandlung von vornherein unmöglich gewesen; es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der Staat aus übergeordneten Erwägungen oder bei Vorliegen eines besonderen Interesses dies dennoch beabsichtigen könnte. Dem ist zuzustimmen: in Zeiten, in denen auch der Staat als last resort lender und last resort owner nicht mehr undenkbar ist, sollte dieser Weg nicht versperrt sein. Solange er hierzu nicht gezwungen wird, besteht auch kein Anlass, ihn von vornherein hiervon auszuschließen. 61) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508. 62) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508. 63) Siehe im Weiteren Schlitt/Ries, in: Theiselmann, Praxishandbuch RestrukturierungsR, Kap. 9 Rn. 7.
14
II. Risiken des Debt Equity Swap
InsO.64) Dies wäre wiederum nur dann anders, sofern bei den Kapitalmaßnahmen ein zwingendes Bezugsrecht der Alt-Anteilseigner etwa aus Art. 14 GG oder Art. 9 GG hergeleitet werden kann. Wie im Verlauf der weiteren Untersuchung zu zeigen ist, kann dies aber kaum als verfassungsrechtlich zwingende Vorgabe hergeleitet werden.
II. Risiken des Debt Equity Swap Der DES bringt aber auch beträchtliche Risiken für die Beteiligten mit sich.
1.
37
Risiken für umwandelnde Gläubiger
Für den umwandelnden Gläubiger besteht zunächst das Risiko, dass bei Fehlschlagen 38 der Sanierung in rechtlicher und in wirtschaftlicher Hinsicht der Totalverlust droht.65) Waren die Darlehen vorher ggf. noch gesichert oder war zumindest noch die Insolvenzquote erreichbar, steht der Neugesellschafter nunmehr in einer erneuten Insolvenz als nachrangiger Beteiligter am Ende der Hierarchie. Ein Problem des DES außerhalb einer Insolvenz besteht dabei darin, dass der um- 39 wandelnde Gläubiger zwar zugunsten der Gesellschaft deren Bestand an freien Investitionsmitteln steigert und damit das Insolvenzrisiko senkt. Da der Residualanspruch des Eigenkapitals aber meist wertlos ist, hätte dies nur einen Vermögenstransfer zugunsten der anderen Gläubiger zur Folge (sog. spill over-Effekt).66) Dieser Vermögenstransfer auf die übrigen Fremdkapitalgeber besteht darin, dass deren Aussicht auf Befriedigung durch den DES wieder steigt.67) Dieser Effekt wird bei Durchführung des DES im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens allerdings abgeschwächt durch die gleichmäßige Kürzung der Forderungen, die außerhalb der Insolvenz ohne die Zustimmung jedes einzelnen hiervon betroffenen Gläubigers nicht möglich ist.68)
___________ 64) Siehe hierzu ausführlich unten § 7. I. 2. c). 65) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 280. 66) Daimer, S. 30. Ein ähnlicher Gedanke liegt dem „Sanieren oder Ausscheiden“-Urteil des BGH (NZG 2009, 1347, 1349 ff.) zugrunde, bei dem auch damit argumentiert wurde, dass passive Anteilseigner (trotz der Verwässerung ihres Anteils) auf Kosten der investierenden Anteilseigner von dem potentiellen Sanierungserfolg profitieren würden. 67) Daimer, S. 29. Siehe generell zu drohenden Reichtumsverschiebungen Hax/Marschdorf, BFuP 35 (1983), 112, 124. 68) Zu Ausnahmen bei Schuldverschreibungen (Möglichkeit der Änderung von Anleihebedingungen durch alle Anleihegläubiger bindenden Mehrheitsbeschluss) siehe allerdings den neuen § 5 SchVG.
15
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
40 Bei syndizierten Krediten bestehen häufig erhöhte Zustimmungserfordernisse innerhalb des Bankensyndikats, was die Umsetzung beeinträchtigen kann.69) Bei börsennotierten Unternehmen kann ein Pflichtangebot nach WpÜG notwendig werden.70) Dies kann misslich sein, wenn der Investor nicht gewillt ist, neues Kapital für die bisherigen Anteile aufzubringen;71) zumindest letztere Gefahr besteht aber in der Insolvenz nicht mehr, wenn durch Kapitalherabsetzung die bisherigen Anteile untergehen. Ein generelles Risiko stellt auch die Differenzhaftung dar für den Fall, dass sich später herausstellt, dass bei Einbringung der Forderung eine Überbewertung vorgelegen hat. Diese Rechtsfolge ist durch das ESUG aber gerade beseitigt worden.72)
41 Wenn davon gesprochen wird, dass sich für Gläubiger der DES bereits lohnt, wenn dieser eine höhere Befriedigung verspricht als die Liquidation73), ist darauf hinzuweisen, dass die Gläubiger damit aber auch einen längeren Atem vorweisen müssen. Die Quote könnten sie sofort investieren, auf die Dividenden oder Wertsteigerungen müssen sie erst noch warten. Dies wird regelmäßig dazu führen, dass der durch die Reorganisation potentiell erzielbare Mehrwert mindestens so hoch sein müsste wie eine Verzinsung der Quote zu üblichen Konditionen, da sich sonst wenige Gläubiger bereit erklären würden, dem Insolvenzplan zuzustimmen geschweige denn ihre Forderungen in Anteile umzuwandeln.
2.
Risiken für die Gesellschaft
42 Ein Risiko für die Gesellschaft selbst kann darin bestehen, dass in Höhe des nichtwerthaltigen Teils der Forderung ein Sanierungsgewinn entsteht, der zu versteuern ist.74) Allerdings kann hier der sog. Sanierungserlass eingreifen, nach dem derartige Steuern durch die Finanzverwaltung gestundet bzw. erlassen werden können.75)
___________ 69) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 280. Diese Problematik ergibt sich auch bereits vor der Insolvenz, wenn covenants gebrochen werden und der Schuldner deshalb einen waiver beantragt. Auch in diesem Fall muss der waiver mit einer gewissen Mehrheit gewährt werden, wobei sich dort die Mitglieder zumeist nach dem Vorschlag der lead bank richten, siehe Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 668 (2010). 70) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 280; v. Sydow/Berger, AG 2005, 635, 638; zur Befreiung von der Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots bei der börsennotierten AG Wieneke/ Hofmann, ZIP 2013, 697, 702 ff. 71) Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519. 72) Siehe hierzu im Detail unten bei § 5. II. 73) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 542. 74) Details bei Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 515. 75) Siehe hierzu im Einzelnen § 9. VI.
16
III. Die übertragende Sanierung als alternative Verwertungsform
III. Die übertragende Sanierung als alternative Verwertungsform 1.
Praxis der Unternehmensfortführung in der Insolvenz
Der sich als Reorganisation darstellende DES ist keinesfalls die einzige Möglich- 43 keit, das Unternehmen in der Insolvenz fortzuführen. Als Verwertungsformen kommen, wenn die Gläubiger das Unternehmen für fortführungswürdig erachten, insbesondere die übertragende Sanierung76) in Frage.77) Die dritte Option wäre noch die Liquidation des Rechtsträgers und der Verkauf der assets als Einzelne.78) Die Sanierung über einen Insolvenzplan führte dabei nach bisheriger Praxis ein 44 Schattendasein. Ausnahmen waren große Verfahren sowie zwischenzeitlich die Insolvenz von natürlichen Personen, insbesondere Freiberuflern.79)
2.
Durchführung einer übertragenden Sanierung
Die übertragende Sanierung besteht darin, dass der Insolvenzverwalter im Rahmen 45 seiner Befugnis nach § 80 InsO alle werthaltigen assets des Unternehmens an einen Dritten verkauft. Dieser Dritte kann ein Wettbewerber oder eine eigens hierfür gegründete Auffanggesellschaft sein. Dabei wird jeder Gegenstand einzeln unter Beachtung der sachenrechtlichen Regeln übertragen. Es findet bewusst kein Gesamtverkauf statt, sondern nur eine Einzelübertragung (daher „übertragend“). Der „Sanierungs“-Aspekt besteht bei dieser Methode gerade darin, dass nur eine Teilübertragung stattfindet, da nur die Aktiva übertragen werden. Die Verbindlichkeiten des Unternehmens verbleiben beim ursprünglichen Rechtsträger und werden insofern von den werthaltigen Elementen getrennt.80) Die werthaltigen Teile können daher wieder als Einheit auftreten und, dank abgeworfener Schulden, potentiell profitabel sein. Der ursprüngliche Rechtsträger wird liquidiert, womit auch die dar___________ 76) Der Begriff wurde erstmals verwendet von K. Schmidt, ZIP 1980, 328, 336. 77) Dies bedeutet nicht, dass nur für die Reorganisation das Insolvenzplanverfahren zur Verfügung steht. Das Insolvenzplanverfahren kann vielmehr auch zum Zwecke der übertragenden Sanierung oder der Liquidation durchgeführt werden. Dies ist dann vorzugswürdig, wenn die Befriedigung der Gläubiger nicht aus einem sogleich zu zahlenden Kaufpreis erfolgen soll, sondern aus zukünftig erwirtschafteten Erträgen, Bitter, ZGR 2010, 147, 154 f. Dies betont auch der ESUG-Gesetzgeber, weshalb er den verfahrensleitenden Insolvenzplan nunmehr ausdrücklich ermöglicht hat, siehe Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/7511, S. 35. Im Folgenden wird mit übertragender Sanierung aber der Fall gemeint sein, bei dem der Insolvenzverwalter das Unternehmen im Regelverfahren verwertet, ohne dabei das Insolvenzplanverfahren zu nutzen. 78) Dies wird aber in den seltensten Fällen einen höheren Ertrag bringen, so dass es die am wenigsten anzustrebende Alternative ist, siehe nur LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 5 (2008). 79) Hierzu Smid/Rattunde, Insolvenzplan, 2. Aufl., 2005, Rn. 2.26. Dies hatte auch mit der so ermöglichten Vermeidung der Wohlverhaltensperiode zu tun, siehe Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 572 Fn. 92. 80) Bitter, ZGR 2010, 147, 156.
17
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
in verbliebenen Verbindlichkeiten untergehen. Der Kaufpreis fließt in die Insolvenzmasse.
46 Vorteil dieser Art der Sanierung81) ist, dass hierdurch zweierlei Probleme vermieden werden, die bei einer Reorganisation im selben Rechtsträger auftreten können: zum einen das Bewertungsproblem, zum anderen das Verteilungsproblem.82) Mit der rechtsträgererhaltenden Sanierung können aus verschiedenen Gründen Bewertungsschwierigkeiten einhergehen, die das Verfahren enorm verkomplizieren. Diese werden durch die übertragende Sanierung vermieden. Der Preis für das Unternehmen (als Gesamtes, bestehend aus seinen einzelnen assets) wird am Markt gebildet, was – nach der Theorie – stets effizienter ist.83)
47 Zusätzlich gibt es über diesen nach marktwirtschaftlichen Kriterien gebildeten Preis keine Verteilungskämpfe.84) Denn die Rangfolge der Verteilung ist unabänderbar durch die vor-insolvenzrechtliche Hierarchie festgelegt. Zwar können solche Rechte durch Anfechtung noch verändert werden; auch können einige Ansprüche unklar sein, weil sie vom Insolvenzverwalter bestritten werden. Sobald dies aber endgültig geklärt ist, steht die Rangfolge fest. Hiernach kann auch die Befriedigung der Gläubiger erfolgen. Diese erhalten sofort (bzw. nach einiger Zeit, wenn die Ansprüche ermittelt sind) Barmittel. In der Folge muss sich keiner der Beteiligten länger mit der Situation des Unternehmens beschäftigen.
48 Diese Trennung der Aktiva von den Passiva wird durch das geltende Recht erleichtert. So ist seit langem anerkannt, dass § 25 Abs. 1 S. 1 HGB aufgrund einer teleologischen Reduktion bei einem Unternehmenskauf aus der Insolvenz keine Anwendung findet.85) Bezüglich der beim Unternehmen angesiedelten Arbeitsverhältnisse ist die Lage zwiespältig: einerseits wird § 613a BGB insoweit nicht angewendet, als dass der Betriebserwerber für Altverbindlichkeiten (also insbesondere Pensions___________ 81) Zweifelnd, ob dies aber überhaupt eine Form der Sanierung darstellt aber Neuhof, ZIP 2011, 307: „Bei der häufiger praktizierten, so genannten übertragenden Sanierung durch Verkauf des Unternehmens handelt es sich schon von der Zielrichtung her nicht um eine Unternehmenssanierung i. e. S., sondern lediglich um eine Quotenverbesserung. Die Unternehmenssanierung bleibt hier vielmehr dem Investor überlassen, der ausschließlich seine eigenen Interessen verfolgt“ (dies im Kontext der Frage, ob Unternehmenssanierung ein neues Geschäftsfeld für Insolvenzverwalter sein könne). 82) Eine überblicksmäßige Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile der übertragenden Sanierung findet sich bei Priebe, ZInsO 2011, 467, 470. 83) Allerdings ist zu beachten, dass auch die übertragende Sanierung nicht zwingend gänzlich ohne Bewertungsprobleme einhergeht. Bewertungen der einzelnen Vermögensgegenstände werden etwa dann nötig, wenn nur ein Gesamtpreis erzielt wird, unter den gesicherten Gläubigern aber zu klären ist, welcher Anteil welchen Sicherungsguts auf den Gesamtpreis entfällt. Dies kann in der Praxis zwar im Vorhinein geregelt werden durch eine sog. Verwertungsvereinbarung zwischen den gesicherten Gläubigern. Auch diese setzt aber Bewertungen voraus. 84) Siehe mit Details aus der Praxis Wallner, ZInsO 2010, 1419, 1420. 85) BGHZ 104, 151, 153. Zur eingeschränkten Haftung des Erwerbers für Betriebssteuern siehe § 75 II AO.
18
IV. Untauglichkeit der übertragenden Sanierung in gewissen Konstellationen
lasten) gewöhnlich nicht haftet.86) Allerdings findet § 613a BGB bezüglich des Übergangs der Beschäftigungsverhältnisse sehr wohl Anwendung.87)
IV. Untauglichkeit der übertragenden Sanierung in gewissen Konstellationen Die übertragende Sanierung muss jedoch nicht in jedem Fall die vorzugswürdige 49 Form der Unternehmenssanierung sein. Das Konzept des Verkaufs am Markt gerät unter verschiedenen Umständen an seine Grenzen.
1.
Fehlender Käufermarkt
So stellt es sich als ein Problem des Konzepts der übertragenden Sanierung dar, 50 dass dies davon ausgeht, dass es perfekte Märkte gibt, auf denen sich dieser Preis ermitteln lässt. Jedoch sind perfekte Märkte reine Theorie; die Märkte können aus verschiedenen Gründen unvollkommen sein.88)
a) Zeitdruck und Informationsdefizite So wird die optimale Preisfindung schon durch den beim Verkauf aus der Insol- 51 venzmasse herrschenden Zeitdruck behindert. Hiermit verbindet sich zugleich oftmals ein Informationsdefizit.89) Während der oft nur kurzen vorhandenen Zeitspanne, die sich bietet, können potentielle Bewerber oft keine ausreichenden Informationen einholen und sehen daher von einem Angebot ab. Die nötigen Informationen sind dagegen vorhanden bei den sog. Insidern als den bereits mit dem Unternehmen verbundenen Personen. Seien dies die Geschäftsleiter oder Gesellschafter oder beides, von ihnen wird deshalb oftmals kein Angebot zu erwarten sein, weil ihnen im Zweifel die finanziellen Mittel fehlen. Hätten sie diese, so wäre es wohl gar nicht erst zur Insolvenz gekommen, weil rechtzeitig eine außerinsol-
___________ 86) Bitter, ZGR 2010, 147, 156 Fn. 43 m. w. N. 87) Hanau/Berscheid, Kölner Schrift, 2. Aufl., 2000, S. 1541, 1543 ff.; dies wurde lange Zeit als erhebliches Hindernis einer erfolgreichen Sanierung beklagt, siehe Bitter, ZGR 2010, 147, 163 und Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 57. Zunehmend ist aber auch zu lesen, dass der Übergang der bestehenden Arbeitsverhältnisse gerade Grund des Kaufs eines Unternehmens oder der Fortführung im Insolvenzplanverfahren ist: mit dem fortschreitenden demographischen Wandel wird der Mitarbeiterstamm immer wichtiger, so dass derjenige Opportunitätskosten spart, der eine bereits eingespielte Belegschaft übernimmt, siehe Nickert, BewP 2012, 82, 84. 88) O’Rourke, 2005 Columb. Bus. L. Rev. 403, 416; Bufford, 72 Wash. U. L. Q. 829, 846 (1994). 89) Siehe nur Jackson, Bankruptcy Law, S. 218. Eine – wenngleich zweifelhafte – Beispielsrechnung, dass i. Ü. auch bei einer übertragenden Sanierung die Informationsasymmetrie zu einer Bevorzugung der Alt-Anteilseigner führen kann, gibt Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 148 f. (1997).
19
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
venzliche Rekapitalisierung stattgefunden hätte.90) Viele Bieter werden sich auch zurückhalten, weil sie die Kosten der Informationssuche scheuen.91) Erst wenn ein erstes Gebot ergangen ist, werden sie diese kostenlose Information über den Unternehmenswert nutzen, um ein etwas höheres Gebot abzugeben.92) Scheut aber wiederum jeder diese Kosten, so wird es gar nicht erst zu einem Angebot kommen.93) Hinzu kommt auch, dass die Informationsineffizienz im Zweifel zu einem Risikoabschlag führen wird, so dass ein Verkauf unter Wert droht.94)
52 Gerade für kleine Firmen, deren Geschäft vielfach von der Expertise des bisherigen Eigners und/oder Managements abhängig ist, findet sich zudem oftmals kein Käufer. Selbst wenn eine solche Firma ein profitables Geschäft betreibt und der Käufer die Geschäftsleiter beibehält, besteht die Gefahr, dass die Geschäftsführung nach Verlust der Anteilschaft Werte teils in die eigenen Taschen leitet (diverting assets). Dies ließe sich durch einen hohen monitoring-Aufwand zwar eindämmen, der sich aber wiederum in hohen Kosten widerspiegelt, die der Investor vorher einpreist. Hierdurch sinken wiederum die gezahlten Preise für die Firma.95)
b) Fehlende finanzielle Ressourcen 53 Mangels ausreichender Informationen verbleiben als potentielle Erwerber oftmals nur die Konkurrenten des insolventen Unternehmens, die in der selben Branche arbeiten und daher den Wert des Unternehmens besser ermitteln können.96) Dass diese auch tatsächlich bieten, ist aber keineswegs sicher. Beruht die Schieflage des Unternehmens (auch) auf einer Konjunktur-Krise, so können diese Konkurrenten ___________ 90) Die Gefahr, dass die Insider bewusst das Insolvenzverfahren nutzen wollen, um sich dort der Verbindlichkeiten größtenteils zu entledigen, kann nach deutschem Recht als gering betrachtet werden, da ihnen – anders als im US-amerikanischen Recht – keine starke Stellung zukommt, sondern die Gläubigerversammlung und, sofern eingesetzt, der Gläubigerausschuss das maßgebende Gremium ist. Dies gilt auch nach der ESUG-Reform. Zu Anreizen bzgl. frühzeitiger Antragstellung siehe unten § 7. IV. 91) Oder gerade die bessere Informationslage der Insider scheuen und daher auf ein Gebot verzichten, siehe Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 16 (1991). 92) Dieses Verfahren wird als stalking horse bidding bezeichnet, siehe zu dem Ablauf und der Absicherung des stalking horse durch break-up fees Baird, Elements of Bankruptcy, 4th ed. 2006, S. 249 f. 93) Huelsdunk, KTS 1999, 291, 301. 94) Huelsdunk, KTS 1999, 291, 301. Generell zu den Unzulänglichkeiten des auction biddings siehe Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 149 (1997) und Skeel, 1993 Wis. L. Rev. 465, 477 ff. (1993). Gegen das Argument, mangels Informationen falle die Preisermittlung am Markt schwer, wendet sich allerdings Jackson, Bankruptcy Law, S. 219: Die Alternative zu der Bewertung durch den Markt sei stets die Bewertung durch den Richter. Wenn diesem aber zugetraut würde, anhand der ihm vorliegenden Informationen die Firma zu bewerten, müsse gefragt werden, warum dies dem Markt nicht zugetraut werde? 95) Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 15 f. (1991). 96) LoPucki/Whitford, 141 U. Pa. L. Rev. 669, 763 f. (1993); Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 51.
20
IV. Untauglichkeit der übertragenden Sanierung in gewissen Konstellationen
ebenfalls betroffen sein und damit nicht die Mittel oder die Kreditwürdigkeit haben, um den Kaufpreis sofort zu leisten.97) Für große Firmen verbleibt damit nur noch eine sehr begrenzte Anzahl an möglichen Käufern.98) Im Rahmen allgemeiner Wirtschaftskrisen kann dann noch die sog. Kreditklemme hinzukommen, in deren Gefolge die Finanzierung eines Kaufs scheitern kann.99) So wird auch von Seiten der Insolvenzverwalter darauf hingewiesen, dass ein Käufer vielfach gar nicht oder nur sehr schwer zu finden ist.100)
2.
Reibungsverluste/Transaktionskosten
Die Einzelübertragung der assets kann aus verschiedenen Gründen problematisch 54 sein. Zum einen verlangt der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz die hinreichend genaue Bezeichnung der jeweiligen Gegenstände. Eine pauschale Bezeichnung der Dinge ist jeweils nicht möglich. Außerdem können einzelne Gegenstände mit den Rechten Dritter belastet sein, was eine Übertragung ebenfalls erschwert, wenigstens aber mit einem gewissen Risiko für den Erwerber verbunden sein kann, wenn er das Eigentum später wieder zurückübertragen muss101), zumindest aber einen Ausgleich an einen Rechteinhaber zu zahlen hat, sein eigener Rückgriffsanspruch an das (nunmehr liquidierte) Unternehmen aber ins Leere geht. Bestehen als Folge der Einzelübertragung rechtliche Unklarheiten, so ist auch gut denkbar, dass dies den Geschäftsbetrieb eines frisch ausgegliederten Unternehmens behindern kann. Ist etwa nicht klar, wem das Recht an gewissen Patenten, Urheberrechten, o. ä. zusteht bzw. ob gewisse Lizenzen noch bestehen, ist ein frisches Durchstarten erschwert. Hinzu kommt der nicht unerhebliche Aufwand der Einzelübertragung. Müssen etwa alle Betriebsgrundstücke einzeln übertragen werden, so fallen neben Notarkosten insbesondere die Grunderwerbsteuer an.102) Dass die Gesamtrechtsnachfolge hier unbestreitbare Vorteile aufweist, ist letztlich auch der Grund für die ___________ 97) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 37 f. Dass die Vorstellung einer unbegrenzten Marktliquidität unrealistisch ist, sehen auch die Befürworter des Verkaufs als Alternative zur Reorganisation. So sei jeweils das Erscheinen eines neuen Players nötig, den es vielfach nicht gebe, so Baird, 36 J. L. & Econ. 633, 653 (1993). 98) LoPucki/Whitford, 141 U. Pa. L. Rev. 669, 764 (1993); Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 687 Fn. 182 (2010). 99) Von einer Kreditklemme sprechen auch Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 651 f. (2010): “the recent credit contraction has meant that the sale of a company sometimes must be done too quickly and sometimes cannot be done at all.“ Von „Vergabezurückhaltung bei Kreditinstituten aufgrund eigener wirtschaftlicher Probleme“ spricht Wallner, ZInsO 2010, 1419. 100) Siehe die bei H.-F. Müller, S. 284 nachgezeichneten Aussagen von bekannten Insolvenzverwaltern sowie Wallner, ZInsO 2010, 1419, 1420. 101) Wenn nicht die Voraussetzungen des gutgläubigen lastenfreien Erwerbs gegeben sind. 102) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508; Krull, S. 83 m. w. N. Hier ist allerdings zu beachten, dass bei Übernahme von mehr als 95 % einer Gesellschaft nach § 1 Abs. 3 GrEStG u. U. ebenfalls Grunderwerbsteuer fällig wird. Daher wird angeraten, hier mit grunderwerbsteuerlichen Planungsmodellen zu arbeiten, siehe hierzu Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 289.
21
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
Existenz des Umwandlungsrechts.103) Zudem kommen andere Altlasten in Betracht, die nicht abgespalten werden können. Wurden etwa gegen EG-Recht verstoßende Beihilfen gewährt, so sind diese von dem neuen Erwerber zurück zu zahlen, sofern nicht nachgewiesen werden kann, dass ein marktgerechter Kaufpreis für das Unternehmen gezahlt wurde.104)
55 Bei der übertragenden Sanierung sind zudem die damit ggf. zusammenhängenden Kosten zu beachten. Sollen die Unternehmensaktivitäten nicht komplett in ein anderes Unternehmen eingegliedert werden (was schon aufgrund der oben genannten Risiken nicht zwingend ratsam ist), so muss zunächst eine Auffanggesellschaft gegründet werden, die kapitalisiert werden muss und Gründungsaufwand und -kosten, mithin Transaktionskosten, verursacht.105) Auch die durch den Verkauf entstehenden Kosten sind zu berücksichtigen, die ähnlich hoch sein können wie die einer Reorganisation.106)
3.
Rechtsträgergebundene Berechtigungen
a) Grundlagen 56 Als entscheidender Faktor in der Entscheidung über die vorteilhafteste Verwertung des insolventen Unternehmens können sich die sog. rechtsträgergebundenen Berechtigungen darstellen. Hierbei handelt es sich um Rechtspositionen, die an den Rechtsträger selbst gebunden sind und nicht ohne Zustimmung einer dritten Partei übertragen werden können.107) Ein Teil des going-concern-Werts kann somit nicht im Unternehmen, sondern im Rechtsträger verkörpert sein.108)
57 Solche Rechtspositionen werden zunehmend bedeutender. So wird darauf verwiesen, dass bei zunehmend komplexen wirtschaftlichen Strukturen Geschäftsmodelle auf dem Vormarsch sind, die sich maßgeblich auf schuldrechtliche Beziehungen stützen.109) Dies kann der Fall sein im gesamten Bereich der Nutzung von Urheberrechten, die aufgrund ihrer rechtlichen Ausgestaltung je nach Einzelfall nicht übertragbar sind. Als Beispiel wird das Lizensierungsgeschäft in Musik, Film und Fernsehen angeführt, bei professionellen Sportveranstaltungen z. B. die Sponsorenver___________ 103) Krull, S. 83. 104) Vallender, in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 2.337 f.; auf die hohen Anforderungen der EuGHRspr. diesbezüglich weist hin Bitter, ZGR 2010, 147, 156; anders noch H.-F. Müller, S. 285 Fn. 115. 105) Sollte, wie in der Praxis üblich, auf eine Vorratsgesellschaft zurückgegriffen werden, so kostet diese ebenfalls Geld, weil hierin die Transaktionskosten bereits einberechnet sind. 106) Siehe hierzu Adler, 77 Cornell L. Rev. 439, 468 (1991) und Baird, 36 J. L. & Econ. 633, 642 (1993). 107) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 30; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508. 108) Braun, FS Fischer, 2008, S. 53, 65. 109) Braun, FS Fischer, 2008, S. 53, 66.
22
IV. Untauglichkeit der übertragenden Sanierung in gewissen Konstellationen
träge oder auf schuldrechtlicher Basis eingeräumte Abbaurechte oder bspw. Gesellschaften, die aufgrund von Lizenzierungen einen Fernsehsender unterhalten.110) Insbesondere die aktuellen Fragestellungen im Bereich der intellectual property zeigen, dass die Unternehmensaktiva und damit auch der Unternehmenswert zunehmend durch immaterielle Vermögensgegenstände geprägt werden.111) Dies ist insofern bei der Insolvenz relevant, als dass diese immateriellen Vermögensgegenstände je nach Ausgestaltung ggf. nicht in in voller Höhe bilanziert werden, was zu hohen stillen Reserven führen kann. Auch kann ihre Eignung als Sicherungsgut zugunsten von Kreditgebern nicht gegeben sein, womit ihre Verwertbarkeit im Rahmen einer Insolvenz-Reorganisation in der Konsequenz die sog. freie Masse vergrößert.112)
b) Günstige Mietverträge Eine klassische rechtsträgergebundene Berechtigung können dabei Mietverträge 58 bei Unternehmen des filialisierten Handels sein. Insolvenzen finden sich hier oftmals bei Unternehmen mit einer größeren Anzahl an Filialen, die im Rahmen einer zu schnellen Expansion in Schwierigkeiten geraten sind.113) Gelang dabei nur teils der Zugriff auf gute Lagen zu günstigen Preisen, während gleichzeitig hohe Kapitalkosten drücken, die auch durch die guten Lagen nicht aufgefangen werden können, so kommt es, wenn keine Mietnachlässe bei wenig profitablen Lagen erreicht werden können, zur Insolvenz.114) In dieser kann der Insolvenzverwalter zwar dank der Kündigungssperre des § 112 InsO die Verträge in den guten Lagen erhalten115) und dank des Sonderkündigungsrechts aus § 109 InsO die schlechten Mietverträge schnell beenden. Die Mietverträge für die günstigen Lagen können aber nicht auf einen Dritten übertragen werden, da sie eine nicht übertragbare Rechtsposition dar___________ 110) Braun, FS Fischer, 2008, 53, 66; Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1158; Wehdeking, jurisPR-InsR 14/2005 Anm. 1 zu BGH IX ZB 266/04: Insolvenzplan als in der Praxis nicht wegzudenkendes Mittel der Gläubigerbefriedigung in den Fällen, in denen die Werthaltigkeit der Masse auf Realkonzessionen beruht oder sich kein Erwerber für die übertragende Sanierung findet. 111) Nickert, BewP 2012, 82, 84; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 471. 112) Siehe zur Unmöglichkeit der insolvenzfesten Übertragung des Unternehmens- und Firmenwerts (als good will) an Sicherungsgläubiger und der darin liegenden hohen Ertragserwartung für die freie Masse Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 19 Fn. 14. 113) Eine schnelle Expansion kann seinen Grund finden in dem Bestreben, schnell eine kritische Größe zu erreichen, bei der sich wirklich Synergieeffekte ergeben, also die Overhead-Kosten für Zentrale, Lager etc. gedeckt werden. Siehe hierzu das detailreiche, hier nachvollzogene Beispiel bei Braun, FS Fischer, 2008, 53, 63 f. 114) Braun, FS Fischer, 2008, 53, 63 f. 115) Dies war vor Erlass der InsO anders, da bei guten Lagen aufgrund der Nachfrage anderer Konkurrenten der Vermieter regelmäßig von einem in Gewerbemietverträgen implementierten Sonderkündigungsrecht Gebrauch machte. Waren diese Lagen verloren, war die Sanierung erst recht gescheitert.
23
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
stellen. Eine Übertragung wäre allenfalls durch Vereinbarung mit dem Vermieter möglich; dieser wird aber in der Regel um die gute Lage seiner Immobilie wissen und Nachforderungen stellen. Als Folge kann das wertvolle asset des Unternehmens in Form seiner günstigen Mietverträge nicht zu Gunsten der Gläubiger im Rahmen der sonst üblichen übertragenden Sanierung verwertet werden.116) Aus der Rechtspraxis wird darauf verwiesen, dass in der Insolvenz der Drogeriekette Ihr Platz ein Erhalt aller Filialen mit den bestehenden Mietkonditionen ohne Insolvenzplan kaum möglich gewesen wäre.117)
c)
Weitere Einzelbeispiele
59 Neben Lizenzen und Mietverträgen kommen langfristige Energie- oder Rohstofflieferungsverträge in Betracht oder etwa Nutzungsverträge bei Hafenanlagen.118) Um eine Auflistung von weiteren Einzelbeispielen haben sich insbesondere Bitter/ Laspeyres119) bemüht. So wird als relevante rechtsträgergebundene Berechtigung u. a. genannt das Belieferungsrecht eines großen Filialisten, das ggf. teuer erkauft wurde (sog. Listing). Vergleichbar hierzu sind Dienstleistungsverträge mit längerer Laufzeit, wie etwa Wartungsverträge. Bei Projektverträgen, die im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung nach Vergaberecht ergangen sind, könnten die öffentlichen Auftraggeber die Zustimmung zur Vertragsübertragung regelmäßig ablehnen, da die Befürchtung besteht, dass eine neue Ausschreibung nötig ist.120)
60 Verfügt die insolvente Unternehmung über betriebsnotwendige öffentlich-rechtliche Genehmigungen bzw. Konzessionen, so wären diese bei einem Verkauf in Form der übertragenden Sanierung neu zu beantragen, da sie nicht übertragbar sind. Es mag zwar ein Rechtsanspruch aus öffentlichem Recht auf die Erteilung einer solchen Genehmigung bestehen (anders als bei privatrechtlichen Rechtsverhältnissen); die mit dem Genehmigungsverfahren mögliche Verzögerung und die Kosten desselben könnten aber einen Käufer vom Kauf abhalten, zumindest aber den Preis drücken. Hinzu kommen die Unsicherheiten, ob die Genehmigung auch erteilt wird, etwa weil neue Vorschriften gelten, eine bestehende Genehmigung aber Bestandsschutz genießt. Bei der gemischten Genehmigung, die auf einen bestimmten Gegenstand oder Anlage bezogen ist, zugleich aber auch ein personenbezogenes Element aufweist, ist Einzelnachfolge nur möglich, wenn die Position nachfolgefähig ist. Als ___________ 116) Damit war die InsO nach Aussage von Braun, FS Fischer, 2008, 53, 65 trotz der sanierungsfreundlichen §§ 109, 122 InsO aufgrund der nach früherem Recht bestehenden Defizite des Reorganisationsverfahrens auf halbem Wege stehen geblieben. 117) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 572 Fn. 90 (die allerdings auch darauf hinweisen, dass in Folge der Insolvenz der neuen Mutterfirma Anton Schlecker e. K. diese wiederum insolvent wurde). 118) Brinkmann, WM 2011, 97, 98. Eine Auflistung findet sich auch bei H.-F. Müller, S. 302. 119) Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1158 ff.; vorher bereits Bitter, ZGR 2010, 147, 158 ff. 120) Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1158.
24
IV. Untauglichkeit der übertragenden Sanierung in gewissen Konstellationen
Beispiele werden genannt der Betrieb eines Rettungsdiensts oder eines Medizinischen Versorgungszentrums. Des Weiteren ist dies relevant bei der Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb gentechnischer Anlagen nach § 11 GenTG, die nicht auf einen neuen Anlagenbetreiber übertragbar ist121), bei Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen, §§ 14, 15 GenTG, oder auch Betrieb eines Atomkraftwerks, § 7 AtomG. Im Bereich Luftverkehr, wo die Gefahr einer Insolvenz erfahrungsgemäß deutlich höher ist als etwa bei einem Atomkraftwerksbetreiber, bestehen zahlreiche Genehmigungsvorbehalte, so etwa die Betriebsgenehmigung nach der VO Nr. 1008/2008. Für den gewerblichen Linienverkehr ist eine zusätzliche, besondere Linienverkehrsgenehmigung gemäß §§ 20, 21 LuftVG nötig, die personenbezogen, also nicht übertragbar ist.122) Slots an Flughäfen sind einer jeweiligen Gesellschaft zugeordnet gemäß Art. 8, 8a VO (EWG) Nr. 95/93. Diese können nur mit Bestätigung des Flughafenkoordinators (der diese Aufgabe hoheitlich als Beauftragter des Bundesverkehrsministeriums wahrnimmt) übertragen werden. Eine Mobilfunklizenz kann gemäß § 9 Abs. 1 TKG nur übertragen werden, wenn die Regulierungsbehörde dies vorher schriftlich genehmigt hat. Sie kann die Genehmigung versagen, wenn hierdurch der chancengleiche Wettbewerb auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt der lizenzpflichtigen Telekommunikationsdienstleistung gefährdet wird, §§ 9 I 2, 11 III 1 TKG.123) Zuletzt dürften relevant sein die von öffentlicher Hand gewährten Subventionszu- 61 sagen, die zumeist auf der Erfüllung sach-, aber auch personenbezogener Voraussetzungen basieren. Diese müssen nicht zwingend als verlorener Zuschuss ausgestaltet sein, sondern können auch in einer Bürgschaft der öffentlichen Hand bestehen. Dies dürfte oft der Fall sein bei großen, in die Krise geratenen Unternehmen, da einer Insolvenz regelmäßig eine Krise vorausgeht, in der nicht selten die öffentliche Hand mit Bürgschaften einspringt. Diese Bürgschaft kann nicht ohne weiteres auf einen neuen Rechtsträger übertragen werden, sondern setzt zumindest einen Änderungsbescheid der die Subvention gewährenden Behörde voraus.
___________ 121) Siehe Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1160 Fn. 53. 122) Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1161; allerdings ist auch schon die Änderung der Eigentumsverhältnisse des Unternehmens mit Relevanz für das jeweilige Luftverkehrsabkommen genehmigungspflichtig, siehe a. a. O., so dass dies auch bei einem DES einschlägig wäre. 123) Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1161 f. m. w. D. Auch Zertifizierungen sind grundsätzlich nicht übertragbar. Zu solchen Zertifizierungen zählen sowohl solche, die von privater Stelle vergeben wurden, als auch solche von öffentlicher Stelle. Die in der Praxis relevantesten sind neben der CE-Kennzeichnung diejenigen ISO-Zertifizierungen, die Regelungen zum Aufbau eines Qualitätsmanagements haben (DIN EN ISO-Normen 9000 ff.). In diese Richtung geht auch die Akkreditierung etwa von Studiengängen, die von einer Akkreditierungsagentur durchgeführt wird, die unter der Aufsicht des Akkreditierungsrats steht (einer öffentlich-rechtlichen Stiftung, die durch die Kultusministerkonferenz ins Leben gerufen wurde). Diese geht ebenfalls verloren, wenn der Hochschulträger wechselt. Siehe hierzu jeweils Bitter/Laspeyres a. a. O.
25
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
4.
Erhalt steuerlicher Verlustvorträge
62 Nicht zuletzt können für die rechtsträgererhaltende Sanierung in vielen Fällen auch steuerliche Gründe sprechen.124) So können steuerliche Verlustvorträge zur Minderung der eigenen Steuerlast nur geltend gemacht werden, wenn diese im selben Unternehmensträger angefallen sind.125) Dies war etwa der Fall in der BGH-Entscheidung Sachsenmilch, bei der ein Grund für die Übernahme der Mehrheit durch den Erwerber darin bestand, Verlustvorträge von über DM 250 Mio. nutzbar zu machen.126) Auch in den USA sind solcherlei Aspekte nicht selten Grund für die Reorganisation eines Unternehmens, bei dem zugleich ein Eigentümerwechsel stattfinden.127)
5.
Ausschluss der Gläubiger von der Teilhabe an Sanierungserfolgen
63 Ein Nachteil der übertragenden Sanierung wird vereinzelt auch darin gesehen, dass die Gläubiger hierbei von der Teilhabe an zukünftigen Sanierungserfolgen abgeschnitten werden. So wird festgestellt, dass die Gläubiger nach bisheriger Praxis nur mit der Quote, „bestenfalls flankiert durch einen Besserungsschein, abgespeist“128) würden, der DES sie dagegen am Unternehmenserfolg teilhaben ließe. An der übertragenden Sanierung wurde in der früheren Diskussion insbesondere kritisiert, dass hiermit „listenreich ein rechtspolitisches Defizit dazu verwendet werde, das Unternehmen von seinem Träger und damit von seinen Schulden zu trennen“129), womit „diese Sanierungsmethode eine Teilhabe der Altgläubiger am Sanierungserfolg auch gegen ihren Willen systematisch vereitele“130) und daher nur Hilfslösung bleiben müsse.131) Das Unternehmen in Einzelteilen zu veräußern und das eigent___________ 124) So explizit vom Gesetzgeber erwähnt in RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 30; zu den steuerlichen Verlustvorträgen als Vermögenswert K/P/O/Pape, § 217 Rn. 29; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 91; Maus, in Kölner Schrift zur InsO, 1. Aufl., 1997, S. 707, 713. 125) Siehe H.-F. Müller, S. 303, der von wirtschaftlicher und rechtlicher Identität spricht, siehe hierzu § 10d EStG und § 8c KStG. Umfangreiche Nachweise hierzu auch bei Bitter/ Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1164 Fn. 121. 126) BGHZ 138, 71, 73; H.-F. Müller, S. 303 Fn. 213; siehe zu diesem Urteil auch Pujol, S. 152. 127) So geht ein „tax-loss carryforward“ unter bei einem Barverkauf des Unternehmens, während bei einem sale for securities oder einer Ch. 11-Reorganisation diese erhalten bleiben (§§ 381, 382 Internal Revenue Code), siehe Jackson, Bankruptcy Law, S. 224. Hieraus folgert Jackson allerdings, dass diese Regeln geändert werden sollten und ein Gleichlauf hergestellt werden sollte, anstatt mit diesen Tatsachen die Vorzugswürdigkeit der Reorganisation zu begründen. Siehe auch White, 72 Wash. U. L. Q. 1319, 1332 (1994) und Balz, S. 76 Fn. 257: die Übernahme von tax attributes nach dem Bankruptcy Tax Act 1980 wurden in den USA häufig als das wesentliche Startkapital für reorganisierte Unternehmen genutzt. 128) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 580. 129) K. Schmidt, Gutachten 54. DJT, S. D 84. 130) K. Schmidt, ZIP 1980, 328, 336. 131) K. Schmidt, Gutachten 54. DJT, S. D 84. Diese Hilfslösung war aber akzeptiert, da das alte Konkursrecht keinen wirksamen Entschuldungsmechanismus kannte, siehe H.-F. Müller, S. 305. Dieser sollte mit dem Insolvenzplan erst geschaffen werden.
26
V. Umfang der umzuwandelnden Forderungen beim DES
liche Rechtssubjekt zwecks Sanierung zu liquidieren, sei schon denklogisch ein Umweg132) und ein bedenkliches Provisorium.133) Diese Äußerungen dürfen aber nicht isoliert, sondern nur im Kontext der damaligen Diskussion um die Ausgestaltung des Reorganisationsverfahrens gesehen werden; sie bezogen sich teils auf die Überlegung, die übertragende Sanierung als Gegenstand eines Reorganisationsplans (und damit auch zu Gunsten der bisherigen Gesellschafter) zu ermöglichen.134) Ohnehin ist der Ausschluss von der Teilhabe keineswegs zwingend. Bei Unterstellen eines funktionierenden Marktes ist vielmehr zu erwarten, dass der Fortführungswert des Unternehmens bei der übertragenden Sanierung im Kaufpreis Berücksichtigung findet.135) Auch der InsO-Gesetzgeber hat festgestellt, dass sich die übertragende Sanierung bewährt habe und daher den Beteiligten als gleichrangiges Sanierungsinstrument neben der Unternehmensträgersanierung angeboten werden sollte.136) Diese Erkenntnis kam allerdings erst spät: noch der Regierungsentwurf zur InsO hatte Maßnahmen vorgesehen, die bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen den Verkauf des Unternehmens nur auf Grundlage eines Insolvenzplans zugelassen hätte.137) Dies wurde begründet mit den Missbrauchsmöglichkeiten der übertragenden Sanierung; die Regelung wurde aber nach Protesten der Insolvenzverwalter138) vom Rechtsausschuss gestrichen.139)
V. Umfang der umzuwandelnden Forderungen beim DES: (Wieder-) Herstellung des optimalen Verschuldungsgrades Der DES muss keineswegs dahin gehen, dass hierbei sämtliches Fremdkapital in 64 Eigenkapital umgewandelt wird. Aus finanzierungstheoretischer Sicht kann sich der DES je nach Hintergrund der Unternehmenskrise lohnen, wenn hiermit der optimale Verschuldungsgrad eines Unternehmens erreicht werden kann. Bei einem ___________ 132) Krull, S. 83. 133) K. Schmidt, ZGR 1986, 179, 198; umfassend hierzu Zipperer, NZI 2008, 206 ff. 134) K. Schmidt, Gutachten 54. DJT, S. D 84. So weist K. Schmidt in der Kölner Schrift, 1. Aufl., 1997, S. 911, 924 auch darauf hin, dass seine Äußerungen „durchweg missverstanden“ worden seien und er sich einzig gegen die übertragende Sanierung vor der Insolvenz habe wenden wollen, während er viel von der übertragenden Sanierung in der Insolvenz halte. Vgl. hierzu aber auch Bitter, ZGR 2010, 147, 153. 135) Bitter, ZGR 2010, 147, 153 f.; Patzschke, S. 25 und 99. Bei einer übertragenden Sanierung im Rahmen eines Reorganisationsplans (siehe vorherige Fn.) war aber überlegt worden, nur den Zerschlagungswert im Plan anzusetzen, siehe K. Schmidt, ZIP 1980, 328, 336 m. w. N.; dass dabei die Gläubiger von der Teilhabe am Fortführungswert ausgeschlossen werden, liegt auf der Hand. 136) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 94. Zum Verlauf der vorherigen Diskussion siehe auch H.-F. Müller, S. 281 m. w. N. 137) §§ 181 und 182 des RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 38 mit Begründung auf S. 94 f. 138) Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme zum DiskE-InsO, ZIP 1989, 468, 470 unter 6.a). 139) Zu Details und der stattdessen gewählten Regelung in § 162, 163 InsO siehe H.-F. Müller, S. 287.
27
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
profitablen Unternehmen wird der Anteil des Fremdkapitals durch Finanzinvestoren vielfach erhöht, um einen höheren Hebel (leverage) für die Eigenkapitalrendite zu erhalten.140) Bei sanierungsbedürftigen Unternehmen dagegen muss der Fremdkapitalanteil gesenkt werden, um den optimalen Verschuldungsgrad zu erreichen und somit eine Unternehmenswertsteigerung zu erreichen.141)
65 Zu den finanzierungstheoretischen Grundlagen der Unternehmenslehre gehört, dass sich der Marktwert eines Unternehmens zusammensetzt aus der Summe von Eigenkapital und Fremdkapital. Nach dem Modigliani-Miller-Theorem soll in dem theoretischen Fall, dass weder Steuerpflichten auf Unternehmensebene noch Transaktionskosten bestehen, dass das Insolvenzrisiko für Unternehmen gleich null ist, dass keine Informationsasymmetrien bestehen und dass Fremdfinanzierung auf Ebene des Unternehmens und des Investors zu gleichen Kosten möglich ist, eine Finanzierungsstrukturänderung von kompletter Eigenfinanzierung auf Mischfinanzierung den Wert des Unternehmens nicht verändern.142) Der Nettoeffekt der Änderung wäre gleich Null, da sich Rendite- und Risiko-Effekt auf einem funktionierenden Kredit- und Kapitalmarkt gegenseitig aufheben würden.143) Dies wird plastisch dargestellt mit der Pizza, von der nicht deswegen mehr da ist, weil sie in viele kleine Stücke geschnitten wird. Diese Annahme trifft unter realistischen Bedingungen aber nicht zu, da steuerliche Regelungen eine Quelle relativer Vorteile sein können, die für die Bevorzugung einer bestimmten Kapitalstruktur sprechen können.144) So kann eine steigende Verschuldung eine Erhöhung um den Marktwert der Steuerersparnis (Tax Shield) zur Folge haben.145) Maßnahmen auf Unternehmensebene, die auf Eigentümerebene nicht dupliziert werden können, insbesondere die Absetzbarkeit von Zinsen (deduction of interest payments) können Werte erschaffen, die die Entscheidung zugunsten einer teilweisen Fremdfinanzierung beeinflussen. In den Worten Millers: more pieces then mean more pizza.146) ___________ 140) Baird, Elements of Bankruptcy, 4th ed. 2006, S. 234; Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279; Eidenmüller, ZIP 2007, 1729; zu Beispielen aus der Praxis siehe Paulus, DZWiR 2008, 6, 7 und eine Aufzählung bei Schleusener, S. 19 ff. sowie Carli/Rieder/Mückl, ZIP 2010, 1737 ff. 141) Daimer, S. 18. Die Untersuchung von Daimer S. 22 ff. ergibt dabei, dass es für einen Investor unter den von ihm angenommenen Bedingungen am rentabelsten ist, nur 31 % der Forderungen zu erwerben und umzuwandeln, denn mit einem zu hohen Anteil des Fremdkapitals, das er vollständig umwandelt, würde er den Leverage zu stark absenken. Aus dem gleichen Grund ist es für ihn zwar am rentabelsten, einen hohen Anteil seines Fremdkapitals umzuwandeln, dieser muss aber nicht bei 100 % liegen, sondern kann auch darunter bleiben. 142) Daimer, S. 15. 143) Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 114. 144) Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 125. 145) Roe, 83 Colum. L. Rev. 527, 584 ff. (1983); Daimer, S. 16; dies wird dort auch als „Marktunvollkommenheit“ bezeichnet. 146) Siehe Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 134.
28
V. Umfang der umzuwandelnden Forderungen beim DES
Dies führt aber nicht dazu, dass jedes Unternehmen nach einer maximalen Ver- 66 schuldung strebt. Denn die Marktwerterhöhung wird ab einem bestimmten Punkt kompensiert durch die Kosten, die durch das damit erhöhte Insolvenzrisiko entstehen.147) Sie bestehen aus direkten Insolvenzkosten, die sich in Anwalts-, Gerichtskosten, etc. ausdrücken. Bedeutender aber sind die indirekten Insolvenzkosten, wie Unsicherheiten von Kunden gegenüber dem Unternehmen, einem veränderten Schwerpunkt des Managements auf kurzfristige Liquiditätsbereitstellung und damit erhöhte Finanzierungskosten, Einschränkungen bei Lieferantenkrediten, notwendig werdende Verkäufe gesunder Unternehmensteile oder auch Abwanderung wertvoller Mitarbeiter.148) Die Höhe der Insolvenzkosten hängt damit ab von den eben genannten Kosten, die bei eintretender Insolvenz tatsächlich anfallen würden, und von der Wahrscheinlichkeit einer Insolvenzsituation.149) Damit steigen die Insolvenzkosten exponentiell mit der wachsenden Verschuldung.150) Demnach kann es einen optimalen Verschuldungsgrad geben, bei dem die aus der 67 zusätzlichen Verschuldung und der damit einhergehenden Steuerersparnis resultierende Unternehmenswertsteigerung gerade kompensiert wird durch die Steigerung der Insolvenzkosten.151) Dies bedeutet für die zugrundeliegende Thematik: Der DES muss nicht zwingend darin bestehen, dass sämtliche Forderungen in Eigenkapital umgewandelt werden. Es dürfte ausreichen, wenn dies nur mit Teilen der Forderungen geschieht.152) Zugleich ist aber davon auszugehen, dass dies als einzige Sanierungsmaßnahme nicht ausreicht. Vielfach muss sie einhergehen mit leistungswirtschaftlichen Sanierungsschritten, Forderungsverzichten bzw. Forderungskürzungen (der nicht-umwandelnden Gläubiger) und der Zufuhr frischen Kapitals.153)
___________ 147) Daimer, S. 16. 148) Aufzählung u. a. aus Daimer, S. 16 Fn. 62. Zu den Insolvenzkosten zählen des Weiteren die immateriellen Vermögenspositionen des Unternehmens und die kapitalwertpositiven Realoptionen, die durch eine Insolvenz verloren wären, siehe Daimer S. 29. 149) Daimer, S. 16. 150) Daimer, S. 18 Fn. 65. Empirische Erkenntnisse aus der Chapter 11-Praxis aus den 90er Jahren zeigen dabei aber, dass bis zu 80 % der untersuchten Unternehmen mit einer Kapitalstruktur aus dem Insolvenzverfahren austraten, bei der die durchschnittlichen branchenüblichen Verschuldungsquoten überstiegen wurden, was vielfach erneute Sanierungsbemühungen, zum Teil erneute Insolvenzverfahren (eine refiling-Rate von 32 %) unumgänglich machten. Siehe hierzu Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 50 m. w. N. 151) Daimer, S. 17 mit dargestelltem Kurvenverlauf. 152) Ergebnisse empirischer Untersuchungen zusammengefasst bei Daimer S. 27 f. u. a.: Zwei Motive für einen DES (wohl außerhalb der Insolvenz) wurden in einer empirischen Untersuchung ermittelt: 1. Ausgleich eines unerwarteten und vorübergehenden Einbruchs des Unternehmensgewinns (sogar als stärkeres Argument), 2. Entlastung der Passivseite von übermäßiger Verschuldung. 153) So bemerkt Lüer, dass allein durch den DES das gerade in Sanierungsfällen benötigte frische Kapital nicht verfügbar gemacht wird, siehe Backhaus, NZG 2011, 416, 420.
29
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
VI. Alternative Gestaltungen zum DES 68 Als Alternative zum DES könnte die Umwandlung in Genussrechte in Betracht kommen.154) Diese verschiedentlich befürwortete Maßnahme wird teils als sog. Debt Mezzanine Swap bezeichnet.155) Derartige Überlegungen sollen im Folgenden aber lediglich am Rande behandelt werden. Denn diese Gestaltung unterscheidet sich insoweit maßgeblich vom hier behandelten DES, als dass damit im Ergebnis keine Eigentümerschaft verbunden ist, sondern weiterhin eine bloß schuldrechtliche Position. Zu erwähnen ist diesbezüglich auch, dass die steuerlichen Vorteile zunehmend eingeebnet werden.156)
69 Die Erlangung des kontrollierenden Eigenkapitals eines Unternehmens unter Einsatz der gegen dieses gehaltenen Fremdkapitals könnte auch auf anderen Wegen durchgeführt werden, etwa im Rahmen eines sog. Reverse Debt Equity Swap.157) Der Kautelarpraxis sind hier naturgemäß kaum Grenzen gesetzt.158) Auch solche Konstrukte sollen im Folgenden aber außen vor bleiben, da sie keinen klassischen DES darstellen.
VII. Eigenschaften und Risiken der rechtsträgererhaltenden Reorganisation 70 Der DES in der Form, in der er vorliegend untersucht wird, kann nur im Rahmen eines Insolvenzplans durchgeführt werden.159) Damit stellt er eine Spielart der rechtsträgererhaltenden Reorganisation dar, während die übertragende Sanierung von der Vorgehensweise her eine Liquidation darstellt. Der DES unterscheidet sich allerdings inso-
___________ 154) Siehe Büchele S. 48 Fn. 204. sowie Toth-Feher/Schick, ZIP 2004, 491, 496 mit weiteren Details. 155) Siehe Madaus, Insolvenzplan, S. 612 f. und Madaus, ZGR 2011, 749, 772 f., der dies befürwortet. Zur Durchführung außerhalb der Insolvenz Hofert/Möller, GmbHR 2009, 527; Oelke/ Wöhlert/Degen, BB 2010, 299; Schlitt/Ries, in: Theiselmann, Praxishandbuch RestrukturierungsR, Kap 9 Rn. 12 ff. und Diffring, S. 102 und 229; zur Praxis bereits vorher Marsch-Barner, DB 1995, 1497. 156) Zu den neueren Entwicklungen Rusch/Brocker, ZIP 2012, 2193 und Budde, ZInsO 2010, 2251, 2258 ff. und 2272 f. 157) Drouven, ZIP 2009, 1052; Drouven/Nobling, DB 2009, 1895; siehe hierzu ausführlich Diffring, S. 97 und 215. 158) Privilegien wie der Ausschluss der Differenzhaftung bei Durchführung eines DES im Insolvenzplanverfahren gemäß § 254 Abs. 4 InsO n. F. (s. hierzu unten § 5. II. ) gelten für diese Konstruktionen aber nicht. 159) Zur Staatlichkeit des Insolvenz(plan)-Verfahrens als Legitimationselement für die weitreichenden Folgen, die die Beteiligten treffen, ebenso wie die diesem zugleich immanente Gefahr eines Erstarrungsmoments siehe K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1605 ff.; dort auch zu geändertem Bild von der Gesellschafterrolle, Entwicklungen der Finanzierungslehre und einem systematischen Grundverständnis von Gesellschafts- und Insolvenzrecht, a. a. O. S. 1607.
30
VII. Eigenschaften und Risiken der rechtsträgererhaltenden Reorganisation
fern von der klassischen Reorganisation, als dass dort die Anteilseigner oftmals dieselben bleiben160), während diese beim DES ausgetauscht werden.161)
1.
Reorganisation vs. Liquidation
Die Frage der Vorzugswürdigkeit einer Reorganisation oder einer Sanierung durch 71 Verkauf ist eine Grundfrage, die die Diskussion insbesondere in den USA seit längerer Zeit beschäftigt. Im dortigen Recht war die Reorganisation im Rahmen eines Chapter 11-Plans, neben der Chapter 7-Liquidation bei offensichtlicher Sanierungsunwürdigkeit, lange Zeit der Regelfall.162) Ein Verkauf des gesamten Unternehmens, obgleich nach 11 U.S.C. § 363 möglich, war lange Zeit auch deshalb nicht üblich, weil die Gerichte mit der Lionel-Doktrin hohe Anforderungen hieran aufgestellt hatten.163) Die umfangreiche Diskussion zu dieser Thematik hat eine ausführliche Rezeption 72 auch in der deutschen Literatur gefunden.164) Vorliegend soll daher nur ein Überblick gegeben werden über die Ansätze der Kritiker und Befürworter. Im Anschluss soll die Fortsetzung der Diskussion seit Anfang des neuen Jahrtausends in Teilen nachgezeichnet werden. Dabei soll auch auf neue Entwicklungen eingegangen werden, die insbesondere den DES als Reorganisationsmaßnahme betreffen.
a) Grundlagendiskussion zum Chapter 11-Recht Einige Nachteile der übertragenden Sanierung wurden im Vorgang bereits benannt: 73 der Mangel an Käufern aufgrund von Informationsdefiziten, fehlende finanzielle Ressourcen, Reibungsverluste und hohe Transaktionskosten. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass deswegen mehrheitlich die Reorganisation bevorzugt werde. ___________ 160) Siehe etwa H.-F. Müller, S. 281, 286. Dies wird nicht immer deutlich klar, da bei der Reorganisation oftmals die Rede davon ist, dass das Unternehmen in der Hand des „Schuldners“ verbleibt. Ist der Schuldner aber eine Kapitalgesellschaft, sind deren Eigentümer wiederum die Anteilsinhaber. 161) Zwar wird die Reorganisation modelltheoretisch als Verkauf der Firma an die Gläubiger (statt an Dritte) charakterisiert, siehe Jackson, Logic and Limits of Bankruptcy Law, S. 211. Dies muss aber nicht zwingend als DES erfolgen, sondern kann auch darin bestehen, dass die alten Gläubiger neue Ansprüche gegen das reorganisierte Unternehmen erhalten, a. a. O. S. 212 und Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 43 f. Zur Durchführung eines DES unter dem Chapter 11 siehe aus dem deutschen Schrifttum Braun, FS Fischer, 2008, S. 53, 55 ff. und Meyer-Löwy/ Poertzgen/Eckhoff, ZInsO 2005, 735, 739. 162) Zu dessen Ablauf siehe nur Baird, Elements of Bankruptcy, 4th ed. 2006, S. 251 ff. 163) Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1043 (1987): Although many reorganization plans contemplate a sale of the debtor’s assets, the epitome of reorganization law is a restructure in which the debtor’s business continues and no actual sale occurs. 164) Eingehend die Habilitationsschriften von Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 32 ff. (1999) und aus neuerer Zeit Madaus, Insolvenzplan, S. 444 ff. (2010); Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 48 ff. Aus der Zeit der InsO-Reformdiskussion Balz, ZIP 1988, 1438 ff.
31
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
Ganz im Gegenteil wurde von den Kritikern der Reorganisation maßgeblich die Effizienz des Verfahrens angezweifelt.165) Zwar liege ihr im Grundsatz die Idee einer alle Seiten zufriedenstellenden Lösung zugrunde, die gerade im Verhandlungswege gefunden werden soll. Allerdings ist bei einer knappen Insolvenzmasse zumeist nicht viel zu verteilen166), weshalb es zum Streit kommt und die Planbestätigung letztendlich doch oft einer Gerichtsentscheidung bedarf. Dies ist dann der Fall, wenn entweder eine Beteiligtengruppe dem Plan nicht mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt hat und es zur Planbestätigung des sog. cram down bedarf, oder wenn durch Rechtsmittel einzelner Beteiligter eine Schlechterstellung als ohne Plan gerügt wird. In beiden Fällen verlangen die Regeln des US Bankruptcy Code das Anstellen umfangreicher Vergleichsrechnungen, die aber bei einem insolventen Unternehmen außerordentlich schwierig sein können und Raum für Manipulationen und Bewertungsstreitigkeiten lassen.167) Diese Notwendigkeit der Unternehmensbewertung, so die Befürworter der Ersetzung der Reorganisation durch eine Auktionslösung, würde vollends entfallen, wenn ein Verkauf am Markt unternommen würde.168) Hier würde sich durch die Marktmechanismen (die kollektive Weisheit des Marktes) der korrekte Wert der Unternehmen ergeben, ohne dass es einer prognostischen Berechnung durch den Richter bedürfe.169) Hinzu komme die durchschnittlich als zu hoch empfundende Verfahrenslänge, die die direkten Insolvenzkosten (Kosten des Verfahrens, der Anwälte, Gutachter, etc.) ebenso steigen ließe wie die indirekten Insolvenzkosten (Unsicherheit über die Zukunft, Abspringen wichtiger Kunden, qualifizierter Arbeitnehmer, etc.).170) Dabei konnten sich die Gegner der Reorganisationslösung auch auf die zahlreich dokumentierten Ungleichbehandlungen der einzelnen Beteiligten berufen, die sich nur durch Ineffi___________ 165) Jackson, Logic and Limits of Bankruptcy Law, S. 209 ff., insb. S. 218 ff.; maßgeblich Baird, 15 J. Leg. Stud. 127 ff. (1986); Baird, 36 J. L. & Econ. 633 ff. (1993); Jackson, 36 J. L. & Econ. 655 ff. (1993); Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 529 f. (1992). 166) Grundlage und zugleich Rechtfertigung für das Insolvenzverfahren ist das „common pool problem“. 167) Aus der fast unüberschaubaren Fülle an Literatur und Rechtsprechung zu Bewertungsfragen im Chapter 11 siehe nur Fortgang/Mayer, 32 UCLA L. Rev. 1061 (1984); Baird/Bernstein, 115 Yale L. Rev. 1930, (2004); O’Rourke, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 403 (2005). 168) Baird, 36 J. L. & Ec. 633, 635 ff. (1993); eingehende Nachzeichnung dieses Auktionsmechanismus bei Madaus, Insolvenzplan, S. 449 ff.; siehe dort S. 451 ff. auch zu weiteren Auktionsmodellen. 169) “Not only do the judges lack the business expertise of individual capital investors, but also a judicial valuation cannot benefit from the collective wisdom of market investors in the aggregate“, Adler/Ayres, 111 Yale L.J. 83, 90 (2001); Jackson, Logic and Limits of Bankruptcy Law, S. 218 f. Dieser Sichtweise hat sich später auch der Supreme Court gegenüber nicht ablehnend gezeigt, siehe etwa die (unten bei der Frage des Bezugsrechts unter § 7. III. 3. a) näher erläuterte) Entscheidung 203 N. La Salle St., 526 U.S. 434, 467: “any determination that the price was top dollar would necessarily be made by a judge in a bankruptcy court, whereas the best way to determine value is exposure to a market“. 170) Zu den Insolvenzkosten der Reorganisation Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 45 f. und die eingehende Nachzeichnung bei Madaus, Insolvenzplan, S. 446 ff.
32
VII. Eigenschaften und Risiken der rechtsträgererhaltenden Reorganisation
zienzen und Fehlanreize erklären ließen. Diese ergeben sich allerdings, etwa bei der bevorzugten Behandlung der Alt-Anteilseigner, auch aus der Tatsache, dass im Chapter 11-Verfahren ein zeitlich zunächst exklusives Planinitiativrecht des Schuldners171) besteht, was jeweils zu berücksichtigen ist.
b) Neuentwicklungen als Folge der increased creditor control Baird und Rasmussen als maßgebliche Kritiker der Reorganisationslösung riefen 74 2002 in ihrem Aufsatz „The End of Bankruptcy“ das Ende der Reorganisationspraxis in seiner bisherigen Form aus. Das Chapter 11-Verfahren würde heutzutage zumindest bei großen Firmen lediglich noch genutzt für den Verkauf der assets und die Verteilung der Erlöse, aber nicht mehr zur Rettung und Neuaufstellung der Firma.172) Dies wurde mit verschiedenen Faktoren begründet. Zum einen würden die entwickelten Finanzmärkte es ermöglichen, genügend Kapital zu sammeln, um auch große Krisenfirmen aus der Insolvenz heraus zu erwerben und zu betreiben. Dies sei zu Zeiten der insolventen Eisenbahngesellschaften im 19. Jahrhundert (deren Sanierung als Geburtsstunde der Reorganisation gilt) noch nicht möglich gewesen.173) Damit würde zugleich die Notwendigkeit eines kollektiven Forums, in welchem die verschiedenen Beteiligten über die Verwertung miteinander verhandeln, entfallen; denn diese Entscheidung könne nunmehr allein in die Hände der neuen Eigentümer gelegt werden.174) Zum anderen könnten heutige Investoren die Krisensituation in weit entwickelten Vertragswerken antizipieren und dank solcher covenants schon frühzeitig eine Verwertungsentscheidung treffen (z. B. den Verkauf des Unternehmens going concern), die es gar nicht erst zu einer Insolvenz kommen lassen.175) Solange derartige Vertragsklauseln existierten und funktionierten176), sei
___________ 171) 11 U.S.C. § 1121(b); siehe hierzu im Detail unten bei Behandlung des Bezugsrechts unter § 7. III. 3. a) ee) und dem pre-emptive cram down unter § 9. I. 2. 172) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751 f. (2002). 173) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 756 (2002). Anschaulich bei Lubbens, 81 Am. Bankr. L.J. 417 (2007): „In the hundred and twenty-five year history of American corporate reorganization, the locus of power has shifted from the creditor-dominated railroad reorganizations of the nineteenth century to the bureaucratized mode of the New Deal to the debtorcontrolled chapter 11 cases of the 1980s and back again, apparently, to the point of secured creditor control.“ Eine Nachzeichnung aus dem deutschen Schrifttum auch bei Flessner, S. 34 ff. und bei Madaus, Insolvenzplan, S. 112 ff., 118 ff. 174) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 756 (2002). 175) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 778 ff. (2002). 176) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 777 (2002): „for the traditional account of corporate reorganisations to make sense, there must be firms whose owners are unable to write effective investment contracts“.
33
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
ein Reorganisationsrecht größtenteils unnötig.177) Aus diesem Grund seien viele Insolvenzen der vorherigen Jahre auch nicht mit einer Belastung durch vertragliche Verbindlichkeiten, sondern durch – im Vorhinein nicht strukturierbare – Deliktsverbindlichkeiten zu erklären, darunter viele Asbestfälle.178) Hinzu komme, dass in der heutigen service-basierten und informations-basierten Wirtschaft die entscheidenden assets nicht mehr nur für einen einzigen Bereich einsetzbar seien, sondern immaterielle assets wie eine gute Betriebsorganisation, Know How, etc. wären.179) Diese seien aber entweder in der Krise ohnehin nichts wert180) (sonst wäre es nicht zur Krise gekommen), oder, wenn in den Fähigkeiten einzelner oder von Teams verkörpert, nicht an den Rechtsträger gebunden.181) Hard assets dagegen würden heute weniger benötigt182), zumal die Produktion vielfach ohnehin bei Auftragsproduzenten in Übersee stattfinde, an die man sich Fall für Fall wende.183) Unter den heutigen Bedingungen seien somit im Rahmen des Chapter 11 bzw. des Chapter 7184) ein schneller Verkauf der assets free and clear of all claims möglich, ohne dass eine klassische Reorganisation nötig würde.185) Damit könnte die Chapter 11Reorganisation nur noch in wenigen Fällen seine traditionelle Rolle spielen, nämlich allein dann, wenn die Kontrollrechte von Investoren nicht effizient zugeordnet ___________ 177) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 755 (2002); demnach seien viele Ch. 11-Reorganisationen solche familienbetriebener small businesses (plumber, travel agent, jeweler, mom-andpop-restaurants), siehe a. a. O. S. 756 u. 789. Kommt es dennoch zur Insolvenz, so kann sich die Macht der Kreditgeber sogar im Chapter 11-Verfahren fortsetzen, indem der pre-petition lender auch durchsetzen kann, dass die debtor-in-possession-Finanzierung von ihm stammt. Hierdurch erlangt er eine vorrangige (Masse-)Forderung, die ihnen wiederum großen Einfluss auch im Verfahren sichert, Baird/Rasmussen, 154 U. Pa. L. Rev. 1209, 1236 ff. (2006). Dies könnte überraschen, da es in den USA einen durchaus robusten Markt für postpetitionfinancing gibt, siehe a. a. O. S. 1238. Da diese aber für ihre Finanzierung zumeist eine vorrangige Sicherheit fordern, können die gesicherten Gläubiger deren Eintreten verhindern. Generell zum weitreichenden Einfluss des DIP-Finanzierers siehe a. a. O. S. 1239 f. 178) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 755 Fn. 17 (2002). 179) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 754 (2002). 180) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 754 ff, 773 (2002). 181) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 763 (2002); andererseits spricht Daimer, S. 28 davon, dass US-Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangt seien, dass eine finanzielle Restrukturierung vor allem bei solchen Unternehmen erfolge, die sich durch einen hohen Anteil an immateriellen Vermögensgegenständen auszeichnen. Die Autoren meinen hier wohl unterschiedliche immaterielle Vermögensgegenstände. 182) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 762 (2002). 183) Baird, Elements of Bankruptcy, 4th ed. 2006, S. 235. 184) Hierzu Jackson, Bankruptcy, s. 223. 185) Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 787 (2002); Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 169 (2011) Außerhalb der Insolvenz kann sich dies anders darstellen, da der Verkauf eines Unternehmens in Form eines asset deals aufgrund des Fortbestehens von Sicherungsrechten an den assets und aufgrund der de facto merger doctrine, nach der auch die Verbindlichkeiten übergehen, erschwert wird, Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 786 f. (2002); ebenso mache der Trust Indenture Act die außergerichtliche Restrukturierung kompliziert, was nur durch eine prepackaged bankruptcy überwunden werden könnte, a. a. O. S. 787 f.
34
VII. Eigenschaften und Risiken der rechtsträgererhaltenden Reorganisation
seien oder wenn spezielle assets existieren, die in einem Rechtsträger verbleiben müssen.186) Dies treffe aber nur auf die wenigsten großen Firmen zu. Die Chapter 11-Reorganisation könne ihre fortgesetzte Existenzberechtigung aber nicht allein in seiner Möglichkeit der Rettung solcher Firmen finden; die Zeiten, in denen das Reorganisationsrecht substanzielle Vorteile verspreche, seien vorüber.187)
c)
Die zunehmende Abwicklung als 363-sale
Als einer der Folgen wurde die neue Funktion des Chapter 11 auch nur noch in der Zur- 75 Verfügung-Stellung eines Forums gesehen, in dessen Rahmen ein 363 sale des Unternehmens stattfinden könne.188) Der sale nach 11 U.S.C. § 363 stellt dabei im amerikanischen Recht die Alternative zur Reorganisation dar189); in ihrer Durchführung ähnelt er der übertragenden Sanierung in der InsO. Dabei wird dem Schuldner die Möglichkeit gegeben, die assets des Unternehmens (und damit auch ganze Geschäftsbereiche) außerhalb des regulären Geschäftsbetriebs zu veräußern.190) Hierfür notwendig ist allein die Zustimmung des Gerichts, die nach einem hearing ergehen kann. Weitere Voraussetzungen stellt 11 U.S.C. § 363, von speziell gelagerten Fällen abgesehen191), nicht auf.192) Die Gerichte hatten anfangs jedoch einige Beschränkungen entwickelt, die insbesondere dazu dienen sollten, eine Umgehung der umfangreichen Regelungen des 11 U.S.C. § 1129 zu verhindern.193) Hierzu zählte der in der In re LionelEntscheidung ergangene Test, dass es für den sofortigen Verkauf eines „good business reason“ bedarf.194) Dieser strenge Standard verhinderte anfangs vielfach den 363 sale und machte die Reorganisation oder die Stilllegung zum Regelfall. Zunehmend wurden die Anforderungen hieran aber gesenkt, so dass 363 sales öfter vorkamen.195) ___________ 186) „Where control rights are badly allocated“, Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 788 (2002). 187) „Chapter 11 cannot justify its continued existence on its ability to save such firms“, Baird/ Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 788 (2002). 188) Baird, 12 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 69, 71 (2004). 189) Siehe hierzu Baird, Elements of Bankruptcy, 4th ed. 2006, S. 248 f.; Madaus, NZI 2008, 715, 717 f.; der Verkauf erfolgt dabei durch einen sog. Veräußerungsplan, siehe Madaus, Insolvenzplan, S. 484 Fn. 213 und 215 m. w. N. 190) § 363(b)(1) lautet: “The trustee, after notice and a hearing, may use, sell, or lease, other than in the ordinary course of business, property of the estate (…)“. Der Gesetzeswortlaut spricht vom trustee, die Literatur aber meist direkt vom debtor (etwa Roe/Skeel, 108 Mich. L. Rev. 727, 734 (2010); der trustee kann entweder ein treuhänderischer Sanierer sein, der in Ausnahmefällen bestellt wird, oder ein United States Trustee, der einem Rechtspfleger ähnelt und dazu dienen soll, den Richter zu entlasten, siehe hierzu Fassbach, S. 16 f. 191) Siehe hierzu etwa § 363(b)(1) a. E. (Datenschutz) oder (b)(2) (Wettbewerbsrecht). 192) Roe/Skeel, 108 Mich. L. Rev. 727, 734 (2010). 193) Roe/Skeel, 108 Mich. L. Rev. 727, 734 f. (2010). 194) Comm. of Equity Sec. Holders v. Lionel Corp. (In re Lionel Corp.), 722 F.2d 1063, 1071 (Nov. 29, 1983). 195) Baird/Rasmussen, 56 Stan. L. Rev. 673, 675 f. (2003); Baird, 12 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 69, 73 ff. (2004); kritisch hierzu LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 42 (2007).
35
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
76 Diese Deutungen sind aber nicht ohne Widerspruch, die neue Praxis ist nicht ohne Kritik geblieben. So wurde betont, dass die Reorganisation auch weiterhin eine effiziente Verwertung darstellen könne. LoPucki und Doherty brachten 2007 nochmals empirische Erkenntnisse vor, die nicht immer den Verkauf als gegenüber der Reorganisation effizienter erweisen sollten. Die Bewertungsproblematik, gemeinhin als Achillesferse jeder Reorganisation angesehen, bestehe nicht in dem dargestellten Maße; vielmehr seien die vom Richter ermittelten Bewertungen in vielen Fällen „surprisingly accurate predictions of postreorganization trading values“.196) Die Rolle der Richter dürfe nicht überschätzt werden. In der großen Mehrheit der Fälle wäre der Reorganisationswert des Unternehmens von den Beteiligten im Rahmen der Verhandlungen festgelegt worden, nicht vom Richter.197) Zudem lasse sich für die Behauptung, dass Richter systematisch zu hoch bewerten würden, keinen Anhalt finden. So seien drei voneinander unabhängige Studien zu dem Ergebnis gelangt: „fresh start reorganization values are slightly lower than the values the market placed on the same firms in postconfirmation trading“.198) Die eigene Studie habe ergeben, dass sogar durchschnittlich 12 % zu gering bewertet werde.199) Zudem würden die Richter die Bewertung auch nicht selbst vornehmen, sondern auf die Expertise von Investment-Bankern vertrauen. Diese seien dieselben Personen, die auch private Investoren dabei beraten würden, was für eine Firma verlangt bzw. bezahlt werden sollte.200)
77 Dabei wird die Entwicklung hin zum 363-sale zwar nicht bestritten; vor dem Hintergrund von bankruptcy policy-Erwägungen wird dies aber für gefährlich gehalten. So wird kritisiert, dass die Anforderungen an den 363 sale zunehmend gesenkt wurden als Resultat eines zweifelhaften Wettbewerbs der Insolvenzgerichte um die großen Fälle.201) Dieser schnelle Verkauf, oftmals vorbei an den Gläubigern, sei in vielen Fällen von zweifelhafter Legalität gewesen und nur deswegen von den Gerichten durchgewunken worden, weil diese ansonsten im nächsten Fall zu einem anderen Gericht gezogen wären.202) Dies sei einhergegangen mit einer zunehmenden Gläubigkeit in die Effizienz der Märkte, der sogar der Supreme Court erlegen sei.203)
___________ LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 10 (2007). LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 10 (2007). LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 11 (2007). LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 11 (2007). LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 11 (2007). LoPucki hat dies in seinem Buch „Courting Failure: How Competition For Big Cases Is Corrupting The Bankruptcy Courts“ (2005) eingehend beschrieben. 202) LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 13 (2007). 203) LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 13 (2007) mit Verweis auf die Entscheidung 203 N La Salle, 526 U.S. 434, 457.
196) 197) 198) 199) 200) 201)
36
VII. Eigenschaften und Risiken der rechtsträgererhaltenden Reorganisation
d) Neuentwicklungen als Folge des distressed debt-Handels Die Hintergründe der beobachteten Veränderungen der Chapter 11-Praxis wurden 78 aber auch anders gedeutet. So wurde deren maßgebliche Ursache weniger in einer weiter ausdifferenzierten creditor control gesehen, sondern im rasanten Wachstum des distressed debt-Markts und dem Auftreten professioneller Akteure, die die entsprechenden Forderungen aufkaufen und mit diesen das Chapter 11-Verfahren entscheidend beeinflussen würden.204) Längst hätten sich die Banken aus dem klassischen Kreditgeschäft verabschiedet und würden ihre Einnahmen service-basiert durch Gebühren erlangen. Die Kredite und auch Risiken seien dagegen übertragen worden auf „long-term, operations-minded third-party investors. This transfer has created a new class of residual actors – distressed debt funds – that are sufficiently motivated and positioned to re-establish long-run profit maximization as the principal goal of firms being reorganized under Chapter 11 proceedings.“205) Heutzutage seien die covenants eher weniger strikt als früher; auch seien weniger Sicherheiten vorhanden, es winke wenig Marge und keine Bank würde ihre Kredite mehr langfristig halten.206) In einem Aufsatz aus dem Jahr 2010 beschrieben auch Baird/Rasmussen eine Ent- 79 wicklung, die wieder zurück zur Reorganisation führe und die gerade durch das Aufkommen von distressed debt-Investoren bedingt sei. Zwar seien in der zwischenzeitlichen Entwicklung immer weniger große Firmen in die ungeplante Insolvenz gegangen (enter bankruptcy in a free-fall state), sondern hätten stattdessen das Chapter 11-Verfahren genutzt, um einen bereits ausgearbeiteten Reorganisationsplan umzusetzen oder das Unternehmen zu verkaufen.207) Auch diese Praxis stünde ___________ 204) Baird und Rasmussens Analyse würde diesen Effekt beinahe komplett ignorieren, so Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 218 (2006) und allein auf die vertraglichen Beziehungen abstellen anstatt auf die letztlichen ökonomischen Realitäten, a. a. O. S. 222. 205) Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 222 f. (2006). Insbesondere führt er aus, dass gerade der Beispielsfall von Baird/Rasmussen, die Warnaco-Insolvenz, untypisch gewesen sei, da sich in deren Finanzierungsstruktur 97 % secured debt befunden hätten, während dies bei anderen Firmen im Durchschnitt nur bei 16 % liege, a. a. O. S. 224. 206) Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 227 (2006). Somit seien letztlich nicht die distressed debt-Investoren diejenigen mit kurzfristigen Renditeaussichten, sondern die Banken, die (auch aus regulatorischen Gründen) ein langfristiges Engagement scheuten. Die Fonds dagegen seien auf Jahre interessiert, so Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 260 (2006). 207) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 678 (2010). Dies beinhaltete zugleich, dass eine Restrukturierung des Unternehmens auch außerhalb des Insolvenzverfahrens gelang, weil das Vorgehen in der Insolvenz einen Maßstab hergab, vor dessen Hintergrund die Verhandlungen erfolgten (bargaining in the shadow of the law): “Chapter 11 provided the benchmark against which negotiations took place.“ Dies habe sich nunmehr geändert durch die abweichende Entscheidungsallokation in neuen Finanzprodukten: „Events of the last few years, however, have altered the terrain. Addressing financial distress before the filing for bankruptcy has become much more difficult, as has making decisions once the company has filed for Chapter 11.“, a. a. O.
37
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
nach ihren Beobachtungen durch die neue Finanzierungspraxis nun aber wiederum vor dem Wandel: “Banks want their money back; hedge funds loan to own. (…) The increasing role of hedge funds in owning the secured debt of distressed companies calls into question the long-standing assumption that senior investors are biased towards liquidation. Far from having a liquidation bias, a hedge fund may affirmatively want to advance a reorganization plan in which it ends up with the equity of the business. Rather than push for a market sale, it prefers a judicial process it can control. (…) In short, the senior lender in the identical place within the capital structure is doing exactly the opposite of its traditional counterpart (the single bank acting as secured lender). Instead of fleeing from the Chapter 11 process, it embraces it. Rather than terminating its relationship with the business, the hedge fund wants to run it.“208)
80 Diese Entwicklung wird auch zurückgeführt auf Änderungen in der Finanzierungspraxis, die insoweit fundamental seien, als dass nicht nur die Grenze zwischen Eigenkapital und Fremdkapital zunehmend verwischt würde, sondern auch die Grenze zwischen gesicherten und ungesicherten Gläubigern. So wird darauf verwiesen, dass die Finanzierungspraxis zur Zeit der Schaffung des heutigen Bankruptcy Codes im Jahre 1978 mit der Existenz von secured und unsecured creditors sowie den equity holders eine deutlich einfachere war.209) Heute dagegen gäbe es neben den secured loans sog. second lien loans, die grob vereinfacht ungesicherte Forderungen sind, aber nachrangige Rechte am Sicherungsgut verschaffen.210)
81 Dabei ist die primär genutzte Möglichkeit der Übernahme des Unternehmens über das Fremdkapital der Debt Equity Swap. Daneben gibt es die Möglichkeit, durch sog. credit bid bei einem Verkauf des Unternehmens am Markt mitzubieten und statt mit Barkapital mit den Forderungen zu bezahlen.211)
82 Diese neue Praxis führt dabei zunehmend zu neuen Forderungen, den rasant wachsenden Einfluss der distressed debt-Investoren im Chapter 11-Prozess einzuschränken.212) Problematisch sei nämlich, dass hiermit eine neue Art der feindlichen Firmenübernahme gängig würde, die anders als die feindliche Übernahme über Eigenkapital kaum reguliert sei.213) So finden weder die Offenlegungserfordernisse des Williams Act noch die anti-takeover legislation der Einzelstaaten hier___________ 208) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 671 (2010). 209) Übersicht bei Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1024 ff. (1987). 210) Ihre Rechte sind durch sog. intercreditor agreements mit den gesicherten Gläubigern definiert, Details bei Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 671 ff. (2010). 211) Hierzu Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 168 Fn. 50 (2011) m. w. N. 212) Zum damit einhergehenden Risiko des value raidings Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 206 (2011); ablehnend auch Miller, 55 Vand. L. Rev. 1987, 2014 u. 2016 (2002); befürwortend Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 259 (2006) und Hotchkiss/Mooradian, 43 J. Fin. Ec. 401, 404 (1997). 213) Eingehend hierzu Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 157 ff. (2011).
38
VII. Eigenschaften und Risiken der rechtsträgererhaltenden Reorganisation
auf Anwendung.214) Vorschläge gehen von der Einführung von Offenlegungspflichten für das Halten gewisser Fremdkapitalkontingente215) über die Einsetzung eines neutral estate managers216) zur Einsetzung eines treuhänderischen estate representative.217) Diese Vorschläge ähneln dabei den Insolvenzverwaltern nach deutschem Vorbild.
2.
Schlussfolgerungen für die vorliegende Untersuchung
Ein Überblick über die neuere Literatur zeigt damit, dass die Diskussion um die 83 Vorteilhaftigkeit von Verkauf aus der Insolvenz oder Reorganisation auch weiterhin kontrovers bleiben wird. Dies kann nicht überraschen, da dahinter auch ein Grundlagenstreit um verschiedene Insolvenzphilosophien steckt.218) Die sich zeigenden Entwicklungen der Chapter 11-Praxis werden entsprechend unterschiedlich gedeutet. Dies hat und hatte schon immer damit zu tun, dass sich die Erkenntnisse in Bezug auf große Unternehmen oftmals fundamental unterscheiden von denen in Bezug auf kleine, inhabergeführte Unternehmen. Pauschale Aussagen zur Vorzugswürdigkeit der einen oder anderen Variante sind daher stets problematisch.219) Aus der neueren Entwicklung stechen aber drei Aspekte besonders heraus. Zum 84 einen wird der 363 sale als US-Pendant zur übertragenden Sanierung zunehmend häufiger angewandt. Dies führt zugleich aber zu erheblicher Kritik.220) Als Sündenfall benennen etwa Roe und Skeel die Abwicklung der Chrysler Corporation im Gefolge der Finanz- und Automarktkrise 2008, die als 363 sale ausgestaltet war, faktisch aber nach deren Aussage eine Reorganisation war, ohne dass dabei deren Vorgaben aus 11 U.S.C. § 1129, insbesondere die absolute priority rule, beachtet worden wären.221) Relevant für die vorliegende Fragestellung ist dabei aber auch, dass von dieser Tendenz eine ausdrückliche Ausnahme gemacht wird für den Fall, ___________ 214) Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 160 ff. (2011) mit Erläuterung zu deren Wirkungsweise auf S. 178 ff. Siehe zum Handel mit Insolvenzforderungen näher Baird, 4 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 24 ff. (2009). 215) Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 195 ff. (2011): disclosure of debt acquisitions. 216) Westbrook, 82 Tex. L. Rev. 795, 826: “In such a system, the congressional objective of maximizing value for each class of beneficiaries would require a neutral manager charged not merely with the distribution of proceeds according to a set of priorities, but first and foremost with managing the default and arranging the deployment of assets so as to produce the maximum return for each class.“ 217) Harner, 16 ABI L. Rev. 69, 106, 108 (2008): estate representative that acts as a fiduciary for the bankruptcy estate and stakeholders generally. Siehe zu einer Analyse der Meldepflichten im deutschen Recht unter den §§ 21 ff. WpHG zuletzt auch Bücker/Petersen, ZGR 2013, 802 ff. 218) Dieser Grundsatzstreit zwischen der creditors‘ bargain-Theorie und der loss allocation-Theorie wird näher dargelegt unter § 7. III. 3. a) bb) bei der Behandlung der new value exception im Rahmen der Frage, ob den Anteilseignern ein Bezugsrecht zusteht oder nicht. 219) Siehe nur Madaus, Insolvenzplan, S. 484. 220) Zur Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers siehe Madaus, NZI 2008, 715. 221) Details bei Roe/Skeel, 108 Mich. L. Rev. 727 (2010).
39
§ 2 Der Debt Equity Swap als Verwertungsoption in der Insolvenz
dass ein Unternehmen einen großen Anteil immaterieller assets aufweist, weil dies den 363 sale als Option ausscheiden lässt.222) Hier kommt dann der DES als Option ins Spiel.
85 Für die vorliegende Untersuchung sind aber zwei weitere Entwicklungen noch bedeutender: Zum einen werden die Akteure durch Bündelung großer Teile der Forderungen in der Hand einzelner Finanzmarktakteure, wie insbesondere von Baird/ Rasmussen und Harner eindrucksvoll beschrieben, zunehmend professioneller.223) Dies muss den Chapter 11-Planverhandlungen keineswegs schaden224), entfallen hiermit doch einige der Probleme, die das Insolvenzverfahren an sich plagen: viele Akteure ohne die nötige Information, aber mit hohen Transaktionskosten, und im Gegenzug einige wenige Akteure mit Insiderwissen. Damit scheint das Risiko eines Scheiterns geringer, der Insolvenzrichter muss die professionellen Verhandlungen lediglich überwachen.225) Zugleich wirft dieses Auftauchen neuer Akteure aber die Frage auf, ob hier Missbrauch ermöglicht wird. Relevant ist dies auch für die deutsche Rechtspraxis, als dass die Berichte zeigen, dass die Übernahme eines Unternehmens über das Fremdkapital zunehmend häufiger wird. Glaubt man den deut-
___________ 222) Siehe Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 788 (2002): “Chapter 11 can play its traditional role only in environments in which specialized assets exist, where those assets must remain in a particular firm“. 223) Skeel, 152 U. Pa. L. Rev. 917, 918 (2003): “The endless negotiations and mind-numbingly bureaucratic process that seemed to characterize bankruptcy in the 1980s have been replaced by transactions that look more like the market for corporate control“. 224) Kritisch aber Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 657 (2010), die in Hinsicht auf die Verhandlungsfunktion des Chapter 11 zunehmend beunruhigt, dass die Idee des Gläubigerausschusses nicht mehr funktioniere, wenn sich ein Großteil der Schulden in der Hand eines Investors befindet. Zu der Zeit der Neufassung des Bankruptcy Codes im Jahre 1978 hätte es noch keine vergleichbaren Finanzierungsmöglichkeiten gegeben, weshalb das Konzept auf andere Verhältnisse ausgelegt sei. 225) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 687 f. (2010). Eine solche wünschenswerte Folge kann aber durch verschiedene Phänomene vereitelt werden. So können die neuen Umstände, bestehend in erleichtertem Zugang zu den nötigen Informationen, im Verbund mit drastisch gesunkenen Transaktionskosten und der problemlosen Kommunikation mit anderen Teilnehmern, einen Stillstand der Verhandlungen herbeiführen. Dies droht, wenn sich das sog. empty core-Problem auftut, bei dem sich jeweils mehrere Teilnehmer zum Nachteil eines „Dritten“ zusammenschließen können. Da dies aber allen klar ist (außer dem Richter), könnte der Benachteiligte ebenfalls einen vergleichbaren Deal zu Lasten eines der anderen Teilnehmer vorschlagen. Somit gibt es eine große Zahl von Szenarien und jeder Akteur wäre in einem einzigen Szenario benachteiligt, aber in allen restlichen Szenarien leicht bevorteilt. Deshalb kommt es nie zu einer Einigung, denn auch wenn es eine gerechte Aufteilung gäbe, so wäre es für alle Beteiligten immer besser, einen der Beteiligten zu benachteiligen und den ihm vorenthaltenen Wert unter sich aufzuteilen. Zu Details und Beispielen siehe Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 692 f. (2010). Dass dies aber nicht zwingend immer gegeben ist, erwähnen diese dann auch a. a. O. S. 693. Die Vorteile der neuen Umstände mit ihrer verbesserten Informationslage und geringeren Transaktionskosten sind hier sicherlich höher als die Risiken.
40
VII. Eigenschaften und Risiken der rechtsträgererhaltenden Reorganisation
schen Berichten, entwickelt sich auch hierzulande der Markt für distressed debtForderungen rasant.226) Damit einhergehend ist zum anderen die Entwicklung relevant, dass die Alt-Anteils- 86 eigner (als sog. Insider) in der Chapter 11-Reorganisation an Bedeutung verloren haben.227) Wie noch im Einzelnen ausgeführt werden wird, hatten diese noch bis in die 90er Jahre hinein eine beachtliche Machtstellung, die sich bei Betrachtung ihrer wirtschaftlichen Stellung nicht ohne weiteres erklären ließ (bzw. mit dieser nicht korrespondierte).228) Auch dies ist von Relevanz für die Analyse des DES im deutschen Insolvenzplanverfahren: in die Stellung der Alt-Anteilseigner kann nach der Reform durch das ESUG erstmals eingegriffen werden. Welcher Einfluss auf das Insolvenzverfahren den Anteilseignern damit noch bleibt und bleiben sollte, wird im Folgenden untersucht werden.
___________ 226) Einen Überblick geben Bücker/Petersen, ZGR 2013, 802, 804 ff. 227) Skeel, 152 U. Pa. L. Rev. 917, 918 (2003). 228) Siehe näher unten § 9. I. 2.
41
§ 3 Gesellschaftsrechtliche Grundlagen der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital Das ESUG hat der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital im Insolvenz- 87 planverfahren einen neuen Rahmen, insbesondere hinsichtlich der Abstimmung hierüber und den dagegen möglichen Rechtmitteln, verschafft. Der grundsätzliche Ablauf richtet sich aber nach den Vorgaben des Gesellschaftsrechts.229)
I.
Der Kapitalschnitt
Befindet sich eine Kapitalgesellschaft in der Insolvenz und wird sie von den betei- 88 ligten Personen als sanierungswürdig eingestuft, so setzt eine erfolgreiche Sanierung, neben der Verbesserung der ertragswirtschaftlichen Situation, primär eine Verbesserung der Kapitalstruktur voraus. Die oftmals für das Vorliegen der Insolvenzgründe maßgebliche Unterkapitalisierung der Gesellschaft ist zu beseitigen. Dies ist schon deshalb nötig, da ansonsten allzu leicht wieder ein Zustand der Überschuldung, § 19 InsO, erreicht wird und damit eine Folgeinsolvenz eintritt. Notwendiges Sanierungsinstrument ist in diesen Fällen der sog. sanierende Kapitalschnitt, bestehend aus einer nominellen Kapitalherabsetzung und einer effektiven Kapitalerhöhung mit frischem Barkapital bzw. mit einzubringenden Forderungen.230)
1.
Kapitalherabsetzung bei der Kapitalgesellschaft
Vor einer Kapitalerhöhung ist es in Sanierungsfällen regelmäßig nötig, das Kapital 89 herabzusetzen, damit der eingetretene Verlust bilanzmäßig ausgeglichen wird.231) Grundgedanke dahinter ist, dass die Altgesellschafter zunächst allein die Verluste tragen müssen, bevor neues „gutes“ Geld zum Einsatz kommen kann.232) Indem sie im Umfang des Herabsetzungsbeitrags anteilig die Rechte an der Gesellschaft einbüßen (in der Insolvenz ggf. bis auf Null), kommen sie ihrer Verlusttragungspflicht nach.233) Würde allein eine Kapitalerhöhung durchgeführt, so wären die neuen Anteile zudem von vornherein durch die vorherigen Verluste belastet.234)
___________ 229) Dies kann auch aus § 225a Abs. 3 InsO n. F. gezogen werden. 230) K. Schmidt, GesR, § 29 III 1 (S. 898); umfassend zum Vorgehen außerhalb der Insolvenz Schlitt/ Ries, in: Theiselmann, Praxishandbuch RestrukturierungsR, Kap. 9 Rn. 16 ff., 24 ff.; Löbbe, Liber amoricum Martin Winter, 2011, S. 423, 430 ff.; Knecht/Drescher, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 20 Rn. 41 ff. 231) Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983. 232) K. Schmidt, GesR, § 29 III 1 (S. 898). 233) Pujol, S. 26. 234) K. Schmidt, GesR, § 29 III 1 (S. 898).
43
§ 3 Gesellschaftsrechtliche Grundlagen der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital
a) Reguläre Kapitalherabsetzung 90 Die Kapitalherabsetzung ist geregelt in §§ 58 ff. GmbHG, §§ 222 ff. AktG. Die ordentliche Kapitalherabsetzung setzt voraus, dass vor deren wirksamer Eintragung verschiedene Maßnahmen vorgenommen werden, die maßgeblich dem Gläubigerschutz dienen. So ist die Kapitalherabsetzung gemäß § 58 I Nr. 1 GmbHG, § 225 AktG vorher bekannt zu machen; damit muss die Aufforderung an die Gläubiger ergehen, sich zu melden und der Kapitalherabsetzung ggf. zu widersprechen.235) Geschieht dies, so sind sie zunächst vollends zu befriedigen bzw. für ihre Forderungen ist Sicherheit zu leisten, § 58 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, § 225 Abs. 1 S. 1 AktG. § 58 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG ordnet an, dass die Kapitalherabsetzung frühestens nach einem Jahr eingetragen werden kann. Soll der Kapitalherabsetzung eine Kapitalerhöhung folgen, so wäre folglich auch diese zunächst blockiert.236) Die ordentliche Kapitalherabsetzung ist somit als Sanierungsmaßnahme kaum geeignet.
b) Vereinfachte Kapitalherabsetzung 91 In Sanierungssituationen ist daher zumeist auf die vereinfachte Kapitalherabsetzung nach § 58a ff. GmbHG, § 229 ff. AktG zurückzugreifen.237) Diese ermöglicht die Kapitalherabsetzung unter erleichterten Bedingungen, weil etwa die Sicherheitsleistung an Gläubiger nicht vorgeschrieben ist, ein Gläubigeraufruf nicht stattfindet und das Sperrjahr nicht eingehalten werden braucht.238) Zudem ermöglichen § 58a Abs. 4 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG die Kapitalherabsetzung auf einen Betrag unterhalb des Mindestkapitals, sofern dieses im Rahmen einer damit verbundenen Kapitalerhöhung wieder erreicht wird.
aa) Voraussetzungen der vereinfachten Kapitalherabsetzung 92 Der Zweck der vereinfachten Kapitalherabsetzung ist der Verlustausgleich; nur dieser rechtfertigt den Verzicht auf Gläubigersicherungsmaßnahmen nach § 58 GmbHG oder § 225 AktG.239) Insofern ist die vereinfachte Kapitalherabsetzung als Maßnahme ultima ratio, wenn kein Gewinnvortrag vorhanden ist und wenn vorab ggf. bestehende Kapital- und Gewinnrücklagen, die 10 % des (herabgesetzten) Stammkapitals überschreiten, aufgelöst worden sind, § 58a Abs. 2 GmbHG, § 229 Abs. 2 ___________ 235) L/H/Lutter, § 58 Rn. 18. 236) Die Reihenfolge umzukehren, also der ordentlichen Kapitalherabsetzung eine Kapitalerhöhung voranzuschicken, ist zwar gangbar, weist aber ebenfalls Probleme während des Sperrjahrs auf, in dem die Stimmrechte, die sich aus dem „alten“ Eigenkapital herleiten, noch voll wirksam sind. Zu der damit einhergehenden Problematik siehe Wegmann, in: Münch Hdb. GesR, Band 3, § 54 Rn. 59 ff. 237) Scholz/Priester Vor § 58a Rn. 1; B/H/Zöllner, § 58a Rn. 3. 238) Scholz/Priester Vor § 58a Rn. 9. 239) Wegmann, Münch Hdb. GesR, Band 3, § 54 Rn. 32.
44
I. Der Kapitalschnitt
AktG.240) Mithin ist dies ein klassisches Instrument zur Sanierung der Kapitalgesellschaft in einer Krisensituation und in der Insolvenz; nur dann sind zugleich auch die Voraussetzungen der vereinfachten Kapitalherabsetzung regelmäßig erfüllt. Um den Schutz der Gläubiger und der Alt-Anteilseigner zu gewährleisten, müssen die Wertminderungen und sonstigen Verluste, die der Kapitalherabsetzung zugrunde gelegt werden, entsprechend den Bewertungsgrundsätzen für den Jahresabschluss nachvollziehbar ermittelt und dargelegt werden.241) Inhaltlich muss der Beschluss über die vereinfachte Kapitalherabsetzung Höhe und 93 Art der Herabsetzung angeben. Zudem muss im Beschluss klargestellt werden, dass es sich um eine vereinfachte Kapitalherabsetzung handelt242) und es muss angegeben werden, zu welchem Zweck diese erfolgt, § 229 Abs. 1 S. 2 AktG. Bei der GmbH muss ebenfalls angegeben werden, dass diese zum Verlustausgleich erfolgt.243)
bb) Die Kapitalherabsetzung unter den gesetzlichen Mindestbetrag Gerade in der Insolvenz wird vielfach die Herabsetzung sogar unter den bei AG 94 und GmbH erforderlichen Mindestbetrag nötig sein. Dies ist nach §§ 229 Abs. 3 i. V. m. 228 AktG sowie § 58a Abs. 4 S. 1 GmbHG ausnahmsweise möglich, wenn die Mindestkapitalziffer durch eine zugleich beschlossene, gleichzeitig erfolgende Kapitalerhöhung wieder erreicht wird;244) dabei ist sogar eine zwischenzeitliche Herabsetzung auf Null möglich.245) Wichtig ist dabei aber, dass für die gleichzeitig stattfindende (Wieder-)Erhöhung des Kapitals keine Sacheinlagen festgesetzt werden dürfen, sondern nur Bareinlagen.246) ___________ 240) Stille Reserven müssen allerdings nicht vorher aufgelöst werden, weil die hieraus entstehende Steuerbelastung ansonsten die Sanierungsbemühungen vereiteln könnte, Hüffer/Koch, AktG, § 229 Rn. 11; L/H/Lutter § 58a Rn. 12. 241) Vgl. Reg-E KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 50; dabei kann eine Zwischenbilanz oder der letzte Jahresabschluss mit plausibler überschlägiger weiterer Entwicklung nach gewissenhafter Prognose als Grundlage dienen, B/H/Zöllner, § 58a Rn. 10; Hüffer/Koch, AktG, § 229 Rn. 7 f. 242) KK-AktG/Lutter, 2. Aufl., 1995, § 229 Rn. 22, dies gilt ebenso für die GmbH, L/H/Lutter, § 58a Rn. 16. 243) Zu Details siehe Scholz/Priester § 58a Rn. 23; L/H/Lutter § 58a Rn. 18. 244) Diese Maßnahme ist bei der AG i. R. v. § 228 AktG bei normaler und vereinfachter Kapitalherabsetzung möglich, während sie bei der GmbH nur im Rahmen der vereinfachten Kapitalherabsetzung, also nur in Sanierungssituationen, möglich ist, vgl. Scholz/Priester, § 58a Rn. 39. 245) Scholz/Priester § 58a Rn. 31; die Ansicht, dass zumindest eine Aktie oder ein Anteil übrig bleiben müsste, ist reiner Formalismus, siehe KK-AktG/Lutter, 2. Aufl., 1995, § 228 Rn. 4; zustimmend BGH NJW 1993, 57, 60. Dazu, dass die Kapitalherabsetzung auf Null in der Insolvenz oftmals geboten erscheint, um auch das Obstruktionsverbot nicht auszuschalten, siehe unten § 7. I. 2. c) und die dortige Fn. 959. 246) § 228 Abs. 1 a. E. AktG, § 58a Abs. 4 S. 1 a. E. GmbHG; dies ist von Relevanz für die Frage, ob die Alt-Anteilseigner im Rahmen eines „Bezugsrechts“ nicht verlangen können, dass dieses Barkapital von ihnen aufgebracht wird, um weiter an der sanierten Gesellschaft beteiligt sein zu können; vgl. hierzu unten § 7. I. 2. c).
45
§ 3 Gesellschaftsrechtliche Grundlagen der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital
cc) Rechtsfolgen der vereinfachten Kapitalherabsetzung 95 Als Ausgleich für den Wegfall von Gläubigersicherungsmaßnahmen bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung ergibt sich aber auch nach deren Vollzug eine verschärfte Vermögensbindung. So ordnet u. a. § 58d Abs. 1 GmbHG für fünf Jahre eine Totalsperre der Gewinnausschüttung an, bis mit Gewinnen eine Kapitalrücklage oder Gewinnrücklage gebildet ist, die zusammen 10 % des herabgesetzten Grundkapitals (mindestens aber des Mindestkapitals) erreicht. Dies errechnet sich ohne Berücksichtigung einer ggf. damit verbundenen Kapitalerhöhung. Zudem statuiert § 58d Abs. 2 GmbHG, dass, nach Erreichen der Mindestrücklage gemäß § 58d Abs. 1 GmbHG, für 3 Geschäftsjahre maximal 4 % des herabgesetzten Kapitals als Gewinn ausgeschüttet werden dürfen.247) Bei der AG besteht ebenso ein Ausschüttungsverbot nach § 233 Abs. 1 S. 1 AktG, bis die Kapitalrücklage und die gesetzliche Rücklage zusammen 10 % des herabgesetzten Grundkapitals erreicht haben. Eine Maximalausschüttung von 4 % des Grundkapitals für 3 Geschäftsjahre bei der AG statuiert § 233 Abs. 2 S. 1 AktG.248)
2.
Die Kapitalerhöhung
96 Die Herabsetzung des Kapitals führt zunächst nur eine Buchsanierung herbei, die die Eigenkapitalsituation insgesamt nicht verbessert. Frisches, als neuer Verlustpuffer dienendes Haftkapital kann nur durch eine effektive Kapitalerhöhung zugeführt werden.249) Dies erfolgt beim DES durch Einbringung der Forderungen als Sacheinlage nach den Vorschriften der §§ 56 ff. GmbHG, 183 ff. AktG.250) Entsprechend gelten außerhalb der Insolvenz die Mehrheitserfordernisse der § 53 Abs. 2 GmbHG bzw. § 179 Abs. 2 AktG für Satzungsänderungen; geschieht diese allerdings innerhalb eines Insolvenzplans, so gelten seit der Reform durch das ESUG aber die Abstimmungsregeln der §§ 244 ff. InsO. ___________ 247) Zu Details siehe Wegmann, Münch Hdb. GesR, Band 3, § 54 Rn. 46 f. 248) Details hierzu bei Krieger, Münch Hdb. GesR, Band 4, § 61 Rn. 29 ff. 249) K. Schmidt, ZGR 1982, 519 f.; Scholz/Priester, Vor § 258a Rn. 2; Hüffer/Koch, AktG, § 229 Rn. 4. 250) Der DES gerade im hier untersuchten insolvenzrechtlichen Kontext kommt regelmäßig nur bei Kapitalerhöhung, nicht als Kapitalaufbringung bei der Gründung in Betracht. Seltene, hier nicht relevante Ausnahmen bei KK-AktG/Arnold, § 27 Rn. 54. Alternative zur effektiven Kapitalerhöhung wäre die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nach §§ 57c ff. GmbHG, 207 ff. AktG, bei der zunächst durch Verzicht der Gläubiger auf Forderungen ein in die Rücklagen einstellbarer Ertrag entsteht. Hierfür stellt das Gesetz aber hohe Anforderungen auf, etwa Deckung des Betrags der Forderungen durch das um einen etwaigen Verlustbetrag geminderte Jahresergebnis. Es müsste somit ein Gewinn vorgelegen haben, was selten der Fall sein wird; Details bei Achsnick, S. 105 sowie H.-F. Müller, ZGR 2004, 842, 844. Daher ist dies keine gleichwertige Alternative. Eine weitere Alternative wäre der Forderungsverzicht und Abtretung der alten Anteile, Hofert/Möller, GmbHR 2009, 527; dies ist aber in der Insolvenz gleichfalls keine geeignete Alternative, siehe Achsnick, S. 104.
46
I. Der Kapitalschnitt
a) Anforderungen an die Sacheinlage Das Haftkapital einer Kapitalgesellschaft setzt sich aus den in Euro ausgedrückten 97 Nennbeträgen der Geschäftsanteile zusammen. Es ist aber laut Gesetz möglich, statt einer reinen Bareinlage auch andere Gegenstände als Geld in die Gesellschaft einzubringen, sofern diese einen gewissen Wert aufweisen. Als Sacheinlage wird dabei jede befreiende Leistung auf das Stammkapital bezeichnet, die nicht in Geld besteht.251) Die Sacheinlage wird charakterisiert als ein Hilfsgeschäft in Form einer erlaubten datio in solutum für eine primäre Bareinlagepflicht mit der Sanktion, dass beim Scheitern dieses Hilfsgeschäfts die Bareinlagepflicht des Inferenten wieder zum Vorschein kommt.252) Mit der Einbringung eines anderen Gegenstandes als Geld sind nicht unerhebliche 98 Gefahren verbunden. So kann der eingebrachte Gegenstand mangelhaft sein oder tatsächlich nicht den Wert besitzen, mit dem er angegeben wurde.253) Dies ist aber für den externen Gläubiger auf die Schnelle regelmäßig nicht erkennbar. Da das Stammkapital, und damit der eingebrachte Gegenstand, aber die im Regelfall einzige Haftmasse der Gesellschaft darstellt, stellt das Gesetz strenge Vorgaben an eine Sacheinlage.254) So ist vorgeschrieben, dass der Gegenstand der Sacheinlage und der Nennbetrag des Geschäftsanteils, auf den sich die Sacheinlage bezieht, bei Gründung im Gesellschaftsvertrag bzw. bei der Kapitalerhöhung im Kapitalerhöhungsbeschluss festgesetzt werden.255) Einen Sacherhöhungsbericht vergleichbar dem Sachgründungsbericht nach § 5 Abs. 4 S. 2 GmbHG verlangt das Gesetz für die GmbH nicht; da für den Registerrichter der Prüfungsumfang (nach §§ 57a, 9c GmbHG) aber derselbe wie bei der Sachgründung ist, haben die Geschäftsführer bei der Anmeldung eine inhaltlich gleiche Darlegungspflicht.256) Bei der AG muss
___________ 251) 252) 253) 254)
L/H/Bayer, § 5 Rn. 12. L/H/Bayer, § 56 Rn. 2. Roth/Altmeppen, § 5 Rn. 27. Zur Entwicklung siehe Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238, 240; Priester, DB 2010, 1445, 1447. 255) § 56 Abs. 1 S. 1 GmbHG; auch bei der AG gelten für die Sacheinlage strengere Anforderungen als bei der Bareinlage. So sind der Gegenstand der Sacheinlage, die Person des Inferenten und der Nennbetrag oder die Zahl der für die Sacheinlage zu gewährenden Aktien in die Satzung aufzunehmen bzw. im Kapitalerhöhungsbeschluss (§ 183 Abs. 1 AktG) oder Zeichnungsschein (§ 205 Abs. 2 AktG) festzusetzen. §§ 33 II Nr. 4, IV, V, 34, 183 III, 194 IV, 205 V AktG schreiben vor, dass eine Prüfung des Werts der Sacheinlage durch unabhängige, sachverständige Prüfer erfolgen muss. Deren Prüfungsbericht ist beim Registergericht einzureichen und kann dort von jedermann eingesehen werden. 256) L/H/Lutter § 56 Rn. 7; Schlitt/Ries, in: Theiselmann, Praxishandbuch RestrukturierungsR, Kap. 9 Rn. 25.
47
§ 3 Gesellschaftsrechtliche Grundlagen der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital
die Werthaltigkeit der Forderung nach § 183 Abs. 3 AktG durch einen oder mehrere Prüfer geprüft werden.257)
b) Einlagefähigkeit von Forderungen als Sacheinlage 99 Grundsätzlich sind solche Vermögensgegenstände einlagefähig, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist, vgl. § 27 Abs. 2 AktG. Dies ist bei abstrakter Verkehrsfähigkeit (im Sinne einer Übertragbarkeit) stets gegeben.258) Lediglich früher wurde die Ansicht vertreten, Forderungen seien zur Bildung von Haftkapital nicht geeignet, da der Gesellschaft hierdurch nichts zugeführt werde.259) Es entspricht heute aber allgemeiner Auffassung, dass eine gegen die Gesellschaft gerichtete Forderung als Sacheinlage eingebracht werden kann.260) Dies wird damit begründet, dass die Gesellschaft hierdurch zwar keine zusätzlichen Vermögenswerte erhalten würde; sie würde aber von Passiva befreit, die bisher die Aktiva bilanztechnisch neutralisiert hätten.261) Durch das Freiwerden von Aktiva ist ein faktischer Mittelzufluss zu verzeichnen, der das Reinvermögen der Gesellschaft erhöht.262)
100 Dass eine eingebrachte Forderung als Sacheinlage zu behandeln ist, ist heute ganz h. M. Im früheren Schrifttum wurde vereinzelt die Ansicht vertreten, es handele sich, da sie auch nur auf einen Geldbetrag laute, um eine Bareinlage.263) Die dabei vorgebrachten Argumente (etwa: keine bilanzielle Veränderung, lediglich Tausch auf Passivseite) tauchen teils wieder bei der Frage auf, ob die Sacheinlage zum Nennwert oder zum Verkehrswert erfolgen darf.264) Hierin erklärt sich aber auch, ___________ 257) Sofern nicht von der Möglichkeit der vereinfachten Prüfung nach § 183a i. V. m. 33a AktG Gebrauch gemacht wird, siehe hierzu Schlitt/Ries, in: Theiselmann, Praxishandbuch RestrukturierungsR, Kap 9 Rn. 25. Folge dieser vereinfachten Prüfung wäre aber nach § 183a Abs. 2 S. 2 AktG, dass die Eintragung ins Handelsregister erst frühestens einen Monat später möglich ist und dass außerdem eine Minderheit von 5 % der Aktionären doch eine Prüfung durch einen vom Gericht bestellten Prüfer erreichen kann, § 183a Abs. 3 S. 1 AktG, weshalb dieses Vorgehen im Insolvenzverfahren mit seinem Dringlichkeitselement oftmals keine geeignete Alternative darstellen dürfte. 258) L/H/Bayer § 5 Rn. 14. 259) Schnorr v. Carolsfeld, DNotZ 1963, 404, 418. 260) BGHZ 110, 47, 61; Redeker, BB 2007, 673, 674; L/H/Lutter/Bayer, § 56 Rn. 9; Roth/ Altmeppen, § 5 Rn. 45; für die AG: MüKo-AktG/Pentz § 27 Rn. 29; Hüffer/Koch, AktG, § 27 Rn. 17; GroßkommAktG/Wiedemann, § 183 Rn. 40. 261) Siehe Priester DB 2010, 1445, 1447 Fn. 35; Redeker BB 2007, 673, 674. 262) Redeker, BB 2007, 673, 674; Einzelheiten hierzu unter § 10. III. zur Forderungsbewertung. Zur Einlagefähigkeit von Rückforderungsansprüchen aus Gesellschafterdarlehen siehe nur B/H/Hueck/Fastrich, § 5 Rn. 28. 263) So etwa Geßler, FS Möhring, 1975, 173, 191; Möhring, FS R. Schmidt, 1976, 85, 91 befürwortet dagegen bei Aufrechnung seitens der Gesellschaft die Annahme einer wirksamen Einlageleistung, aus der aber ggf. ein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Geschäftsführer resultiert, wenn die Aufrechnung nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, § 43 Abs. 1 GmbHG, vereinbar war. 264) Siehe hierzu § 10. III. 1. b) bb).
48
I. Der Kapitalschnitt
warum die Thematik des Tauschs von Forderungen in Stammkapital lange Zeit maßgeblich unter dem Gesichtspunkt der verdeckten Sacheinlage diskutiert wurde265): ging man den Weg, per Barkapitalerhöhung zunächst den vollen Betrag bar einzuzahlen, dann als Tilgung der Forderung wieder zurück zu erhalten, so stellte sich dies nach h. M. und Rspr. als verdeckte Sacheinlage dar. Unter dem bis zum MoMiG herrschenden § 19 Abs. 5 GmbHG a. F. bzw. bis zum ARUG geltenden § 27 Abs. 3 AktG a. F. kam dabei noch die schwerwiegende Rechtsfolge hinzu, dass das Bareinlageversprechen gültig war und somit der volle Betrag nochmals geleistet werden musste, während die verrechnete Forderung als sine causa geleistet angesehen wurde, womit sie als Insolvenzforderung galt, auf die nur die Insolvenzquote gezahlt wurde.266) Nach dem heutigen Verständnis, nach dem die Typisierung als Sacheinlage unstreitig ist, ist daher maßgeblich die Problematik der Differenzhaftung relevant. Ohnehin würde sich aber post-MoMiG und post-ARUG auch bei Deklarierung als Bareinlage und Einstufung als verdeckte Sacheinlage aufgrund der nunmehr geltenden Anrechnungsregelungen in §§ 19 Abs. 4 S. 2 ff. GmbHG, 27 Abs. 3 S. 2 ff. AktG ein ähnlich hoher „Fehlbetrag“ wie bei der Differenzhaftung ergeben.267) Rechtstechnisch erfolgt die Einbringung entweder durch Abtretung der Forderung 101 an die Gesellschaft, wo sie durch Konfusion untergeht, oder in einem Erlassvertrag zwischen der Gesellschaft und dem Forderungsinhaber.268) In Bezug auf die Praxis wird darauf verwiesen, dass zumeist vorher die Neubegründung sämtlicher Forderungen in der Hand eines Gläubigers in Form der Novation erfolgt, da dies die Bezeichnung der einzubringenden Forderung(en) im Kapitalerhöhungsbeschluss erleichtert.269) Soll das Kapital unter den Mindestnennbetrag bzw. sogar auf Null herabgesetzt 102 werden, so muss das Mindestkapital mit einer Bareinlage wieder erreicht werden, § 58a Abs. 4 S. 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG. Entsprechend ist in diesem Fall der DES mit einer Barkapitalerhöhung zu kombinieren.
___________ 265) Etwa bei Karollus, ZIP 1994, 589; Lutter, FS Stiefel, 1987, 505, 515 ff.; Geßler, FS Möhring, 1975, 173, 188; Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, 1989, S. 23 ff. 266) Lutter, FS Stiefel, 1987, 505, 517 f. 267) Die Einstufung einiger Geschäfte (nämlich solcher, bei denen der Forderung des Inferenten eine Sachleistung zugrunde liegt) als verdeckte Sacheinlage ist allerdings dann wieder relevant, wenn der sog. Nennwertthese gefolgt wird, weil deren Vertreter bei gewissen Geschäften ausnahmsweise doch von der Notwendigkeit einer Werthaltigkeitsprüfung ausgehen, siehe Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 248 f. sowie unten unter § 10. III. 1. b) hh). 268) Siehe nur Ekkenga, ZGR 2009, 581, 589 m. w. N. Auch kann im Gesellschaftsvertrag die Aufrechnung gemäß § 5 Abs. 4 GmbHG festgesetzt werden, bezogen auf den Zeitpunkt der Eintragung ins Handelsregister, Groß, GmbHR 1983, 290, 293. 269) Löbbe, Liber amoricum Martin Winter, 2011, S. 423, 428.
49
§ 3 Gesellschaftsrechtliche Grundlagen der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital
c)
Differenzhaftung
103 Scheitert die Sanierung und kommt es infolgedessen zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so droht dem Investor, der seine Forderungen in Anteile umgewandelt hat, unter Umständen die Differenzhaftung, wenn sich später herausstellt, dass die Forderungen zu hoch bewertet waren. Diese führt zu einer Nachschusspflicht in bar gegenüber der Gesellschaft, die durch die Geschäftsführung und in der Insolvenz durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht wird.270) Die Grundsätze der Differenzhaftung finden sowohl bei der AG als auch bei der GmbH (§§ 9 Abs. 1, 56 Abs. 2 GmbHG) Anwendung.271)
104 Problematisch ist dabei, dass die Differenzhaftung verschuldensunabhängig ausgestaltet ist.272) Der Inferent kann sich daher nicht ohne weiteres mit Hinweis auf Werthaltigkeitsgutachten, die erstellt wurden, entlasten.273) Die Gefahren einer Überbewertung variieren dabei nach Gesellschaftsform: Bei der AG verhindern bilanzrechtliche Regeln, dass die vermeintlich hohen eingebrachten Werte an die Aktionäre ausgeschüttet werden.274) Bei der GmbH aber besteht diese Gefahr, da die Überbewertung ein in Wahrheit nicht vorhandenes Verlustdeckungspotential des Gesellschaftsvermögens suggeriert und damit die für Gläubiger maßgeblichen Bilanzkennzahlen, insbesondere das Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital, verfälscht.275) Zudem kann ein einberechnetes Aufgeld in die Kapitalrücklage eingestellt werden, die wiederum durch Gesellschafterbeschluss aufgelöst werden und an die Gesellschafter ausgeschüttet werden kann.276) Dieser Gefahr entgegenzutreten, dient die Differenzhaftung. Allerdings ist diese bei einem im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens erfolgenden DES seit der Reform durch das ESUG nunmehr ausdrücklich ausgeschlossen nach § 254 Abs. 4 InsO n. F.; siehe hierzu mit umfassender Analyse unten § 5. II. ___________ 270) Die Differenzhaftung trifft neben dem Inferenten auch seine Mitgesellschafter, § 24 GmbH, sowie den schuldhaft fehlversichernden Geschäftsführer, § 8 Abs. 2 GmbHG. 271) Zu den Grundlagen bei der AG siehe Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 285 Fn. 54. 272) Zu Nachweisen siehe Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 285 und BGH NJW 1975, 974. Zunehmend wird angezweifelt, ob den Inferenten wirklich die Beweislast hinsichtlich der Werthaltigkeit trifft, siehe bei Kleindiek, FS Hommelhoff, S. 545. 273) Jedoch werden die Haftungsrisiken, wenn sie auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden können, auf diese Weise doch beherrschbar. Denn letztlich muss doch der Insolvenzverwalter beweisen, dass die Forderung zum Zeitpunkt der Durchführung der Sachkapitalerhöhung überbewertet war, Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 285 (die darauf hinweisen, dass dies nicht immer leicht sein dürfte). In der Praxis werden zu diesem Zweck z. T. verschiedene Gutachten eingeholt; der in den verschiedenen Gutachten als niedrigster ausgewiesene Wert wird dann der Sachkapitalerhöhung zugrunde gelegt, siehe a. a. O. S. 285. 274) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 240. 275) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 240. 276) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 240.
50
II. Kapitalerhöhung in der Insolvenz
II. Kapitalerhöhung in der Insolvenz Kurz erwähnt werden sollte noch, dass – auch außerhalb eines Insolvenzplans – 105 rein technisch auch in der Insolvenz von den bestehenden Anteilseignern eine Kapitalerhöhung beschlossen und durchgeführt werden kann.277) Diese Möglichkeit wurde unter der KO noch verneint mit dem Gedanken, dass die Schaffung neuer Mitgliedschaften mit dem Konkurszweck nicht zu vereinbaren wäre, da der Gesellschaftszweck in diesem Zustand nur noch auf die Abwicklung der Gesellschaft gerichtet sei.278) Dies kann unter der InsO schon deshalb nicht mehr gelten, weil der Erhalt des Unternehmens gemäß § 1 InsO ausdrücklich eines der Ziele des Insolvenzverfahrens sein kann.279) Entsprechend wird heute allgemein davon ausgegangen, dass auch in der Insolvenz noch eine Kapitalerhöhung möglich ist.280) Streitig ist diesbezüglich lediglich, ob die mittels einer nach Insolvenzeröffnung 106 durchgeführten Kapitalerhöhung erlangten Mittel vom Insolvenzverwalter zur Masse gezogen werden können oder nicht. Die h. M. bejaht dies.281) Nach der Gegenansicht sollen dagegen nur solche Einlagenforderungen Teil der Insolvenzmasse sein, die vor Insolvenzeröffnung entstanden sind.282) Hinsichtlich nach der Eröffnung entstandenen Ansprüche aber sei ein Ziehen zur Masse nicht möglich, da ansonsten die Beiträge statt einer Sanierung den Gläubigern zufließen würden, womit viele Sanierungsbemühungen zum Scheitern verurteilt seien.283) Dagegen argumentiert die h. M., dass der Gesetzgeber den Umfang der Insolvenzmasse in § 35 InsO anders vorgegeben und dabei erkennbar auch spätere Einlageverpflichtungen einbezogen habe.284) Hierfür spricht auch, dass die Ermöglichung der Kapitalerhöhung
___________ 277) Die Kompetenz für Satzungsänderungen verbleibt im Grundsatz bei der Gesellschafterversammlung, siehe nur Ulmer/Ulmer, § 55 Rn. 34; Ulmer/Casper, § 64 Rn. 73. Dabei ist aber zu beachten, dass diese Kompetenz seit dem ESUG bei einem Insolvenzplan, der gesellschaftsrechtliche Elemente enthält, insofern nicht mehr den gesellschaftsrechtlichen Abstimmungsregeln unterfällt, sondern den insolvenzplanrechtlichen Abstimmungsregeln, womit insbesondere auch das Obstruktionsverbot Anwendung finden kann, siehe unten § 5. I. 278) RGZ 77, 152, 155; OLG Hamm, AG 1981, 53. 279) Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2007, 692. 280) Siehe nur Scholz/Priester, § 55 Rn. 32 und Rn. 34; Ulmer/Ulmer, § 55 Rn. 34; H.-F. Müller, ZGR 2004, 842, 845 f. 281) Scholz/Priester, § 55 Rn. 32; Ulmer/Ulmer, § 55 Rn. 34; K. Schmidt, Kölner Schrift zur InsO, 1997, S. 911, 919; Noack, GesR, Rn. 279, 381. 282) Schlitt, NZG 1998, 755 f.; Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl., 2000, S. 1174; Braun/ Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 89. 283) Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl., 2000, S. 1174; siehe hierzu auch Pleister/ Kindler, ZIP 2010, 503, 509. 284) H.-F. Müller, ZGR 2004, 842, 845 f.; Kuntz, DStR 2006, 519.
51
§ 3 Gesellschaftsrechtliche Grundlagen der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital
und die Einbeziehung der Mittel in das Sanierungskonzept des Insolvenzplans einer der Gründe für die Regelung des bedingten Plans nach § 249 InsO gewesen ist.285)
107 Diese Erkenntnis führt allerdings allein zu der Schlussfolgerung, dass eine Kapitalerhöhung, wie im vorliegenden Kontext untersucht, nur im Rahmen eines Insolvenzplans mit zugrundeliegendem Sanierungskonzept beschlossen werden sollte. In einem solchen kohärenten Konzept ist insbesondere auch eine Kürzung der AltForderungen vorzunehmen, so dass neu eingebrachte (Bar-)Mittel netto zur Fortführung des Unternehmens zur Verfügung stehen.286) Zu einer (Bar)-Kapitalerhöhung ohne einen solchen Insolvenzplan, wenngleich möglich, würden sich auch kaum Inferenten bereit finden, wenn die Mittel dazu verwendet würden, die Gläubiger zu befriedigen.287) Die grundsätzliche Zuordnung zur Insolvenzmasse ist auch deshalb zu befürworten, weil hiermit eine nicht mit dem Plan abgestimmte Kapitalerhöhung der Anteilseigner im Ergebnis vereitelt werden kann. Zwar ist fraglich, warum diese überhaupt stattfinden sollte, wenn trotz der Kapitalerhöhung das Insolvenzverfahren und damit die Gläubigerherrschaft fortbesteht; jedenfalls aber wären diese Mittel für die Alt-Anteilseigner verloren und zugunsten der Gläubiger verwendbar.
108 Erwähnt werden muss aber die Tatsache, dass für die Anteilseigner auch ohne (von der Zustimmung der Gläubiger abhängigen) Insolvenzplan eine Kapitalerhöhung sinnhaft ist, wenn diese so ausreichend bemessen ist, dass hiermit der Insolvenzgrund entfällt.288) Mithin stellt dies eine Möglichkeit dar, die Kontrolle über das Unternehmen zurückerlangen. Dies kann in der Praxis zwar wenig aussichtsreich erscheinen, wenn mit eingeleitetem Insolvenzverfahren bereits weitere nachteilige Folgen eingetreten sind, insbesondere die automatische Kündigung und Fälligstellung der Kredite, bereits begonnene Verwertungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters, o. ä. Dass dieses Vorgehen aber rechtlich zulässig ist, folgt unmittelbar aus § 212 InsO.289)
___________ 285) Siehe RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 211; Scholz/Priester, § 55 Rn. 34; Ulmer/Ulmer, § 55 Rn. 34 argumentiert damit, dass für insolvenzfreies Vermögen der GmbH seit Erlass der InsO kein Raum mehr sein könne (was allerdings umstritten ist). 286) L/H/Lutter/Bayer, § 55 Rn. 45; Ulmer/Ulmer, § 55 Rn. 34; MüKo-AktG/Peifer § 182 Rn. 78; Scholz/Priester, § 55 Rn. 34, nach dem der Insolvenzverwalter bis zur Verfahrensaufhebung nach § 258 InsO über die Mittel unter Bindung an den Sanierungszweck zu verfügen habe. 287) Hüffer/Koch, AktG, § 182 Rn. 32a; Ulmer/Ulmer, § 55 Rn. 34; Scholz/Priester, § 55 Rn. 34. 288) Vgl. Spliedt, GmbHR 2012, 462, 465; Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 19; Spetzler, S. 66. 289) H.-F. Müller, ZGR 2004, 842, 843 f.; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 465.
52
§ 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG Wie im letzten Abschnitt dargelegt, bedarf die Durchführung eines Debt Equity 109 Swap einer Kapitalerhöhung, die als gesellschaftsrechtlich relevante strukturändernde Maßnahme einer Entscheidung der Gesellschafter bedarf. Zum alten Recht vor Erlass der ESUG stellte dies die Insolvenzplanbeteiligten vor außerordentliche Schwierigkeiten, wie im Folgenden nachgezeichnet werden soll.
I.
Die gesellschaftsrechtliche Neutralität der InsO
Maßgeblicher Grund hierfür war nach alter Rechtslage die sog. gesellschaftsrecht- 110 liche Neutralität, die vom Gesetzgeber bewusst als Grundsatz in die InsO implementiert wurde.
1.
Gesetzgebungsverfahren zur InsO
Die VglO kannte keine Einbeziehung der Gesellschafter in das Vergleichsver- 111 fahren.290) Im Rahmen der Diskussionen zur InsO wurde aber bereits diskutiert, im Insolvenzplan eine Regelung auch der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse des Schuldners zu ermöglichen.
a) Der Erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht Im Hinblick auf die gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen verfolgte der 1985 ver- 112 öffentlichte Erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht291) einen umfassenden Ansatz. So sollten sämtliche finanzwirtschaftlichen und organisationsrechtlichen Maßnahmen, die zur Sanierung erforderlich waren, in einem „Reorganisationsverfahren“ möglich sein. Dazu zählten alle nach materiellem Gesellschaftsrecht möglichen Maßnahmen292), also etwa Eingriffe in die gesellschaftsrechtliche Struktur oder in die Rechte der Anteilsinhaber. Dies sollte zwar nicht unmittelbar durch Einfügung in den gestaltenden Teil des Plans erfolgen, sondern zunächst die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben beachten und einen Beschluss der Gesellschafter mit der entsprechenden Mehrheit voraussetzen. Geschah dies allerdings nicht, so konnte dies durch Ersetzung der Zustimmung der Gesellschafter via Beschluss des Insolvenzgerichts erfolgen (Leitsatz 2.2.20). Hinzu kam der Vorschlag, dass Gesellschafter gänzlich aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden konnten bei Wertlosigkeit der Anteile (Leitsatz 2.4.9.5). Dies wurde damit begründet, dass sich die Aufstellung des Plans und die Verwirklichung gebotener Veränderungen in den ___________ 290) H.-F. Müller, S. 362. 291) Siehe hierzu RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 103. 292) KfI, Erster Bericht, Leitsatz 2.4.9.2.; beachte aber die Einschränkungen in Leitsatz 2.4.9.3 (unzulässige Reorganisationsmaßnahmen).
53
§ 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG
gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen reibungsloser gestalten ließen, vielleicht sogar erst möglich werden, wenn Gesellschafter mit wertlosen Anteilen nicht mehr beteiligt sind.293) Des Weiteren sollte ein Ausschluss von Gesellschaftern aus wichtigem Grund möglich sein (Leitsatz 2.4.9.6).294)
113 Somit behielt das Modell der Insolvenzrechtskommission grundsätzlich die Neutralität der InsO bei, indem Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht zunächst getrennt voneinander und nebeneinander herrschten. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen hätten vom Gericht aber zwangsweise angeordnet werden können, wenn dies der (insolvenzrechtlichen) Reorganisation diente.295) Dieses Modell entsprach also nicht dem aus den USA bekannten Chapter 11-Modell, sondern folgte vielmehr dem Primat des Insolvenzrechts, das ausnahmsweise in das Gesellschaftsrecht hätte eingreifen können, ohne dessen Verfahren zu achten.
114 Diese Vorschläge wurden teils sehr kritisch aufgenommen. Die Kritik richtete sich maßgeblich gegen zwei Ansätze des Berichts: Zunächst wurde der Grundansatz der Kommission, die das rechtsträgererhaltende Reorganisationsverfahren der übertragenden Sanierung eindeutig vorzog, als per se gläubigerfeindlich kritisiert.296) Zum anderen bezog sich die maßgebliche Kritik auf den nach Leitsatz 2.4.9.5 und 2.4.9.6 möglichen Ausschluss von Gesellschaftern aus der Gesellschaft, für den die Legitimationsgrundlage fehle.297)
b) Konzeptänderung im RegE InsO 115 Im Regierungsentwurf der InsO wurde aber gänzlich von einer Bevorzugung des Reorganisationsverfahrens gegenüber der übertragenden Sanierung abgesehen.298) ___________ 293) KfI, Erster Bericht, S. 282. 294) Ein solcher Ausschluss war im geltenden Recht lediglich nach § 140 HGB möglich gewesen. Da dies aber rechtlich heftig umstritten sein kann und zudem umfangreiche Feststellungen über Verhalten und Fähigkeiten des Gesellschafters voraussetzte, war hiergegen zumindest eine Anfechtungsmöglichkeit in Form der sofortigen Beschwerde vorgesehen. Allein mit der Eilbedürftigkeit der Reorganisation, so die KfI, ließe sich der Ausschluss eines Rechtsmittels nicht rechtfertigen, KfI, Erster Bericht, S. 283. 295) Hier wies Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1527 darauf hin, dass damit zwei Regelungssysteme aufeinander abgestimmt werden müsste, die keine gleich gerichteten Zweckrichtungen verfolgen, was das Ganze schwierig mache. 296) Gravenbrucher Kreis, ZIP 1989, 468; Balz, Sanierung, S. 2; kritisch gegenüber einer „Sanierungseuphorie“ auch Stürner, ZIP 1982, 761 f.; siehe hierzu auch Noack, FS Zöllner, 1998, 411, 414. 297) Kritisch insbesondere K. Schmidt, Gutachten 54. DJT, S. D 83. Die Details der intendierten Regelung sowie die hieran geübte Kritik werden im Zusammenhang mit der Idee der gerichtlichen Ersetzungsbefugnis sogleich näher behandelt, da die Argumente in diesem Kontext eine bessere Übersicht über die verschiedenen Regelungsmöglichkeiten geben (siehe unten II. 2. a). 298) Umfassend zur geäußerten Kritik H.-F. Müller, S. 317 f. und zur Änderung der politischen Rahmenbedingungen S. 318 ff. sowie Bitter, ZGR 2010, 147, 187 ff.
54
I. Die gesellschaftsrechtliche Neutralität der InsO
Diese sollten vielmehr gleichberechtigt nebeneinander stehen. Diesem Sinneswandel fiel auch die Einbeziehung der Anteilseignerrechte in den Insolvenzplan zum Opfer.299) Die Problematik, wie obstruierenden Taktiken auf Seiten der Anteilseigner begegnet werden sollte, sollte nach Ansicht der Gesetzesverfasser vielmehr im Gesellschaftsrecht gelöst werden. Programmatisch war insofern die Aussage der Begründung zum RegE-InsO: Gegenstand der Haftung sei das Vermögen des Schuldners, nicht seine gesellschafts- oder verbandsrechtliche Organisation.300) Der Entwurf sah daher keine insolvenzrechtlichen Eingriffe in die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse des Schuldners vor. Kämen die für eine Sanierung des Schuldnerunternehmens erforderlichen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen nicht zustande, bliebe es den Gläubigern unbenommen, den Fortführungswert des Schuldnervermögens im Wege einer übertragenden Sanierung zu realisieren.301) Entschieden sich die Gläubiger also für die Reorganisation im Insolvenzplanverfahren, so sei es Sache der Gläubiger, sich des erforderlichen Einverständnisses der Gesellschafter zu versichern.302) Dies hieß nicht, dass man den Gesellschaftern besonders freundlich gesonnen ge- 116 wesen wäre und sie hätte schützen wollen. Vielmehr sollten diese, indem sie gar nicht erst Beteiligte des Verfahrens wurden, komplett aus dem Insolvenzverfahren herausgehalten werden. Noch im RegE-InsO enthaltene Regelungen, die den Anteilseignern unter gewissen Voraussetzungen ein Planinitiativrecht (§ 255 I Nr. 2 RegE-InsO), einen Widerspruch der Mehrheit der Gesellschafter gegen den Plan (§ 293 I S. 2 RegE-InsO) oder Minderheitenschutz (§ 298 RegE-InsO) zugebilligt hätten, wurden gänzlich herausgestrichen.303) Gesellschaftsrechtliche und insolvenzrechtliche Maßnahmen sollten unabhängig voneinander erfolgen. Dabei spielte immer auch der Gedanke eine Rolle, dass gravierende Legitimationsprobleme durch hoheitliche Eingriffe in die Gesellschaftsstruktur vermieden werden sollten. ___________ 299) Zwangseingriffe in die Anteilseignerrechte wurden zunehmend als Element eines überholten Konzeptes einer Insolvenzordnung, die nicht allein der Gläubigerbefriedigung, sondern auch anderen Aspekten wie Arbeitsplatzerhalt, etc. verpflichtet war, angesehen. So wurde deutlich gemacht, dass Vermögensumverteilung keine Aufgabe des Insolvenzverfahrens sei, insbesondere ein solches Sanierungsverfahren kein Instrument der Investitionslenkung im Sinne arbeitsmarkt-, industrie- oder strukturpolitischer Zielsetzungen sein sollte. Arbeitsplatzinteressen der Arbeitnehmer dürften sich nicht gegenüber Rentabilitätsgesichtspunkten durchsetzen. Ein öffentliches Interesse an der Erhaltung von Unternehmensträgern gäbe es nicht, so RegE-InsO, BTDrs. 12/2443, S. 76. In dieses neue liberale ordnungspolitische Konzept hätten Zwangseingriffe in die Stellung der Gesellschafter nicht gepasst, so H.-F. Müller, S. 319. Im Hinblick auf die sogleich darzustellende Blockadeposition der Anteilseigner spricht Bitter, ZGR 2010, 147, 187 f. von der „problematischen Entstehungsgeschichte“ der InsO. 300) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 83; deutlicher sogar noch Balz, Kölner Schrift, 2. Aufl., 2000, S. 3, 8: kein Recht der Gläubiger, dass der good will und die Organisation eines Unternehmens das Verfahren gegen den Willen seiner Eigentümer überlebt. 301) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 83; so vorher schon Ulmer, ZHR 149 (1985), 541, 545 und 566. 302) Zustimmend Ulmer, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 119, 121 und 132; Uhlenbruck, GmbHR 1989, 101, 113. 303) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1522 m. w. N.; eingehend hierzu H.-F. Müller, S. 320.
55
§ 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG
2.
Parallellauf von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht
117 Folge diese Grundentscheidung war die sog. „gesellschaftsrechtliche Neutralität“304) bzw. „gesellschaftsrechtliche Enthaltsamkeit“.305) Die Verfügungsbefugnis über das gesamte Insolvenzvermögen wurde dem Insolvenzverwalter übertragen; die Anteilsrechte aber umfasste dies nicht. Demnach verblieb eine Wahrnehmungsbefugnis der Gesellschaftsorgane für den sog. insolvenzfreien Bereich, also alle Angelegenheiten, die nicht die Aktiv- oder Passivmasse berührten. Eine Kapitalerhöhung war damit eine rein innere Angelegenheit der Gesellschaft.306)
3.
Möglichkeit der Verzahnung von gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen und Insolvenzplan durch den bedingten Plan, § 249 InsO
118 Die einzige Möglichkeit zur Verbindung gesellschaftsrechtlicher, also insbesondere kapitaltechnischer Maßnahmen mit den Regelungen des Insolvenzplans bestand in dem bedingten Plan nach § 249 InsO.307) Hiermit sollte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Möglichkeit geschaffen werden, dass die Fassung gesellschaftsrechtlicher Beschlüsse erst dann nötig wurde, wenn die Zustimmung der Gläubiger zu dem Plan feststand, und umgekehrt der Plan nicht wirksam werden sollte, wenn die darin als Bedingung genannten gesellschaftsrechtlichen Beschlüsse nicht gefasst wurden.308)
II. Blockadepotential für die Anteilseigner 119 Wurde diese Entscheidung des Gesetzgebers anfangs noch befürwortet,309) so zeigte sich in der Praxis schnell, dass die komplette Heraushaltung der Alt-Anteilseigner aus dem Verfahren deren Einfluss mitnichten eliminiert hatte, sondern im Gegen___________ 304) Ulmer in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, 1989, S. 119. Die Diskussion war somit vertagt worden und brach erst im letzten Jahrzehnt wieder auf; so bemerkte Ulmer a. a. O. S. 121 im Jahre 1989, dass der Gesellschaftsrechtler die bemerkenswert „nüchterne“ Grundhaltung der InsO mit gemischten Gefühlen betrachte. Hätte man sich nämlich hinsichtlich der Eingriffe in Anteilseignerrechte an den Vorschlägen der KfI orientiert, so hätten deren rechtliche Umsetzung und die Frage der Bewährung in der Praxis ohne Zweifel Anlass geboten zu lebhaften Diskussionen und zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen. Zwar verteidigt er die Neutralität i. E. mit der Begründung, dem realitätsbezogenen Interessenausgleich gebühre in der Rechtspolitik der Vorrang vor dem intellektuellen Genuss an neuen Problemen; ein solcher Anlass aber werde, so schrieb er zu damaligen Zeitpunkt, so schnell nicht wiederkehren. 305) Der RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 18 sprach später von der Überwindung der „strikten Trennung von Gesellschafts- und Insolvenzrecht“. 306) LG Heidelberg, ZIP 1988, 1257, 1258 (noch zur KO). 307) Zu dieser Regelung und historischen Vorbildern Krull, S. 80 f. und S. 91 sowie Pujol, S. 74 ff. 308) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 213. 309) Ulmer, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 119, 121; Uhlenbruck, GmbHR 1989, 101, 113; einschränkend K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 144 f., der darauf hinwies, dass damit aber eventuell die Chance zu einer konsolidierten insolvenzrechtlichen Lösung vergeben worden sei. Die gesellschaftsrechtliche Enthaltsamkeit als „Glückfall“ bezeichnend Kluth, ZInsO 2002, 258, 263.
56
II. Blockadepotential für die Anteilseigner
teil eine Blockadeposition geschaffen hatte.310) Denn anders als bei der übertragenden Sanierung, wo der Insolvenzverwalter die Vermögensübertragungen der werthaltigen Gegenstände allein aus der ihm nach § 80 InsO zuerkannten Verfügungsbefugnis durchführen konnte, war für eine Sanierungsreorganisation unter Nutzung des Rechtsträgers ein Gesellschafterbeschluss zwingend notwendig.311) Stellte die übertragende Sanierung aber keine wirtschaftlich sinnvolle Option dar und kam, etwa aufgrund der rechtsträgergebundenen Berechtigungen, einzig die Reorganisation in Betracht, so war diese Form der Sanierung, obgleich eine höhere Gläubigerbefriedigung versprechend, ohne die Gesellschafter nicht möglich. Deren Zustimmung zu einer Kapitalherabsetzung auf Null und Kapitalerhöhung durch Sacheinlage unter Einbringung von Forderungen und generell den zwingend von ihnen zu fassenden Fortsetzungsbeschluss (nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, 274 Abs. 2 Nr. 2 AktG)312) zu erlangen, war schon deswegen schwer, weil diese hierdurch überhaupt nichts erhielten. Da sie auch ansonsten nichts zu verlieren hatten, konnten sie hoch pokern und sich ihre Blockadeposition entweder durch Barzahlungen (gewissermaßen als Lästigkeitswert) oder durch Zuteilung von neuen Anteilen abkaufen lassen.313) Doch auch abseits einer gezielten Ausnutzung der Blockadeposition konnte sich etwa ein Desinteresse der Alt-Anteilseigner als Problem darstellen: bei Publikumspersonen- oder Aktiengesellschaften etwa war die Zustimmung der nötigen Mehrheit der Aktionäre für die Insolvenzplanbeteiligten kaum prognostizierbar, wenn die Alt-Anteilseigner in Folge ihres durch die Insolvenz bereits erlittenen Verlusts durch Wertverfall der Anteile schlichtweg desinteressiert waren am weiteren Fortgang des Verfahrens.314) War demnach die übertragende Sanierung nicht wirtschaftlich und scheiterte die Reorganisation an den Gesellschaftern, kam es zur Liquidation auch des Unternehmens, worunter nicht allein die vom Fortführungswert ausgeschlossenen Gläubiger, sondern auch die Vertragspartner, Lieferanten und Arbeitnehmer litten.315) Hinzu kamen Eigenarten der Gesellschafterzusammenset___________ 310) Uhlenbruck, NZI 2008, 201, 203; Braun, FS Fischer, 53, 54; Eidenmüller ZIP 2007, 1729, 1736, ders., ZIP 2010, 649, 652; Bitter, ZGR 2010, 147, 150. Auf die Schwachstelle, dass hiermit den Gesellschaftern in gewissen Fällen ein beachtliches Druck- und Obstruktionspotential an die Hand gegeben werde und deren Anteile damit wieder werthaltig wurden, hatte vor Erlass der InsO schon der Gravenbrucher Kreis in ZIP 1989, 468, 471 hingewiesen. 311) Brinkmann, WM 2011, 97, 98. 312) Siehe hierzu den Vorschlag von Kautz, S. 70, 74 f., zumindest die Regelung zu streichen, dass mit Insolvenzverfahrenseröffnung die Auflösung der Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG erfolgt. 313) Westphal/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 15; generell zur Problematik des Trittbrettfahrertums und dem Ausnutzen einer hold-out-Position in Sanierungssituationen zu Lasten der anderen Beteiligten Bitter, ZGR 2010, 147, 149 ff. 314) Braun, FS Fischer, 2008, S. 53, 67. 315) Spetzler, KTS 2010, 433, 437; diese Argumentation mit den Interessen weiterer stakeholder ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn die Position des liquidierten Unternehmens kann in einer wettbewerbsbasierten Ökonomie schnell von einem Konkurrenten eingenommen werden; der Schutz von Arbeitsplätzen als solcher entspricht nicht der Konzeption der InsO, s. o. Fn. 299.
57
§ 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG
zung: Aus der der Praxis wurde davon berichtet, dass die Erfahrung im Umgang mit (Familien)-Gesellschaftern, insbesondere soweit diese in zweiter oder dritter Generation in größerer Zahl vorhanden seien, lehre, dass Einvernehmen dort selten oder fast nie zu erzielen sei.316)
120 Diese Rechtslage könne sich, so wurde formuliert, als dramatisch erweisen, wenn die Gläubiger das Unternehmen mit eigenem Kapital und eigener Befähigung restrukturieren wollten, die Alt-Anteilseigner aber „aus Ignoranz, finanzieller Berechnung, oder schlicht Böswilligkeit, zumindest aber gelebter, indolenter Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, nicht kooperieren.“317) Sie sei „empfindliche Lücke“ und zugleich „fataler Fehler“ des Gesetzes.318)
1.
Vorgeschlagene Lösungswege für diese Problematik de lege lata
a) Schuldrechtlicher Anspruch des Insolvenzverwalters auf Abtretung der Anteile aus Treu und Glauben (Braun) 121 Um dieses Problem zu lösen, konstruierte Braun einen schuldrechtlichen Anspruch des Insolvenzverwalters gegen die Alt-Anteilseigner auf Abtretung derer Anteile.319) Dieser Anspruch solle dann bestehen, wenn die Verwertung unter Erhalt des Rechtsträgers gewinnbringender wäre als die Verwertung in Einzelteilen, weil die Verwertung der Vermögensgegenstände ohne Zugriff auf die Gesellschaftsanteile gar nicht oder nur zu signifikant schlechteren Beträgen möglich wäre. Er wurzele darin, dass der Rechtsträger formal vermögenswerte Positionen (die haftenden Vermögensgegenstände betreffend) innehabe, bei denen die Rechtsordnung in der Insolvenz die Verwertungsmöglichkeiten ausschließlich den Gläubigern (bis zur etwaigen Vollbefriedigung) zugewiesen habe, weshalb der Gesellschafter in der Konsequenz die repräsentierten Anteile nach Treu und Glauben abzutreten habe. Eine solche Abweichung von der grundsätzlichen Orientierung der Einzelzwangsvollstreckungstätigkeit sah Braun dabei als gerechtfertigt an mit Verweis auf die Rechtsprechung des BGH, die etwa auch die Firma nach § 17 Abs. 1 HGB, obgleich nicht der Zwangsvollstreckung unterliegend, als Teil der Soll-Masse begriff. Dies habe gezeigt, dass Korrekturen möglich seien, wenn diese dem Insolvenzzweck dienten. Wenn ein Gesellschafter den wertlosen Anteil den Gläubigern der Gesellschaft nicht abtreten würde, so sollte dies eine Verletzung des Näheverhältnisses ___________ 316) Braun, FS Fischer, 2008, 53, 66, der konstatierte, ein zwangsweiser Eingriff würde einen Segen darstellen. 317) Braun, FS Fischer, 2008, S. 53, 54. Er spricht auch von „nötigenden Handlungen eines Vermögensvorteils wegen“, a. a. O. S. 69. 318) Uhlenbruck, NZI 2008, 201, 202; Brüning, S. 229 spricht von „gravierender Fehlentscheidung“. Die fehlende Verzahnung zeigte sich etwa auch bei BGH ZInsO 2010, 1059, wo es um die Frage der Dividendenansprüche stimmrechtsloser Vorzugsaktionäre ging, siehe hierzu Pape, ZInsO 2010, 2155, 2157 f.; Madaus ZIP 2010, 1214 ff.; Spetzler, S. 12. 319) Braun, FS Fischer, 2008, S. 53, 69 f.
58
II. Blockadepotential für die Anteilseigner
bedeuten zwischen Gläubigern der Gesellschaft und dieser selbst. Das Näheverhältnis definierte er dabei als gesellschaftsrechtliche Treuepflicht.320) Hieran wurde zu Recht kritisiert, dass die Treuepflichten kein tauglicher Ansatz 122 sein könnten, da diese nicht auf das Verhältnis Gläubiger zu Gesellschafter zugeschnitten sind.321) Zwar ist eine Zustimmungspflicht unter Anteilseignern zu Sanierungsmaßnahmen durchaus seit längerem anerkannt.322) Eine solche Pflicht zur Zustimmung zu einem Kapitalerhöhungsbeschluss bei Überschuldung wurde etwa auch von Noack323) bejaht. Bei genauerem Hinsehen half ein solches Konzept aber für die Frage der Beseitigung der Blockadeposition kaum weiter, da die Treuepflicht nur unter den Anteilseignern besteht.324) Da die Blockadeposition aber allen Anteilseignern „zugute kommt“, ging es hier nicht um einen Konflikt unter den Anteilseignern, sondern um einen Konflikt mit den Gläubigern. Diese Lücke suchte Bitter zu schließen.
b) Treuhandlösung (Bitter) Bitter hatte im Jahre 2010, kurze Zeit vor Veröffentlichung des DiskE zum ESUG, 123 den Versuch der Entwicklung einer Treuhandlösung unternommen, die die Verwertbarkeit der Gesellschaftsanteile zu Gunsten der Gläubiger ermöglichen sollte. Nachdem er zunächst die – durchaus stark ausgeprägte – Pflichtenbindung der Ge- 124 sellschafter untereinander325) und die – kaum ausgeprägte – Pflichtenbindung der
___________ 320) Braun, FS Fischer, 2008, S. 53, 70 Fn. 83. Zum Schutz der Anteilseigner sollte dabei ein Treuhandverhältnis (wiederum nach Treu und Glauben) zwischen Insolvenzverwalter und Anteilseignern begründet werden, woraus der Verwalter dem Gesellschafter Auskunft und Rechnungslegung geschuldet hätte. Durch die so mögliche Verwertung entstehende Mehrwerte für den Gesellschafter hätte dieser ebenso erhalten wie ihm gegenüber die Rückübertragung geschuldet worden wäre im Falle des Scheiterns oder der nicht vorliegenden wirtschaftlichen Vorzugswürdigkeit der Verwertung, a. a. O. S. 70. 321) Bitter, ZGR 2010, 147, 190. Kritik auch bei Uhlenbruck, FS Lüer, 461, 471; Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1519; Noack, FS Röhricht, 2005, 455, 460, Brüning S. 243, Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 543 Fn. 17. 322) Eingehend hierzu H.-F. Müller, S. 330 ff. insb. S. 334. Zu einer Begegnung des Blockadepotentials über die Treuepflichten auch Eidenmüller, ZIP 2007, 1729, 1736 sowie Spetzler, S. 16 f. 323) Noack, FS Zöllner, 1998, 411, 423: „Der Gesellschafter kann gegenüber seinen Mitgesellschaftern verpflichtet sein, dem Kapitalerhöhungsbeschluss zuzustimmen. Dafür besteht umso mehr Anlass, wenn die Geschäftsanteile bei Überschuldung entwertet sind, so dass der Gesellschafter im Fall der Liquidation überhaupt nichts bekommt.“ 324) Entsprechend wollten einige Autoren es auch nur für die Überwindung der Ablehnung einer obstruktiven Minderheit nutzen, wenn eine Mehrheit die nach § 249 InsO nötigen Kapitalmaßnahmen unterstützte, siehe etwa H.-F. Müller, S. 369 ff. und Pujol, S. 203 ff. 325) Nach dem Girmes-Urteil treffen Treuepflichten in einer Sanierungssituation auch den Minderheitsgesellschafter, BGHZ 129, 136.
59
§ 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG
Gläubiger untereinander326) gegenübergestellt hatte, entwickelt er dabei für das Verhältnis zwischen Gläubigern und Gesellschaftern ein System aus Rücksichtnahmepflichten und Aufopferungspflichten. Dies sei nötig, da mangels Bestehen irgendeiner vertraglichen Verbindung zwischen Gläubigern und Gesellschaftern an sich nur das Deliktsrecht Wirkung beanspruche, der § 826 BGB für diese Fälle aber nicht ohne weiteres heranziehbar sei.327) Die Verpflichtung zur Rücksichtnahme und ggf. daraus folgend eine Inpflichtnahme unter dem Gedanken der Aufopferung leitete Bitter dabei aus der Einwirkungsmacht her, die einer Person auf die Verhältnisse der anderen Person zukommen kann328), resultierend z. B. aus einer faktischen Schicksalsgemeinschaft.329) Diesen Gedanken sah er auch vor dem ESUG bereits verkörpert in den Regelungen der § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 und § 135 Abs. 3 InsO. Nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO können gewisse Gegenstände vom eigentlich hierzu berechtigten Gläubiger nicht ausgesondert werden, wenn sie zur Betriebsfortführung des Schuldnerunternehmens notwendig sind, woraus er den Grundgedanken ableitete, dass dem einzelnen Gläubiger die Durchsetzung des persönlichen Interesses an der Herausgabe verweigert werden könne, wenn diese die Sanierungschancen für die Gläubigergesamtheit beeinträchtigen würden.330) Ähnliches gelte für die Untersagung der Geltendmachung des Aussonderungsanspruchs bei der Nutzungsüberlassung durch einen Gesellschafter nach § 135 Abs. 3 InsO, der ebenso auf dem Gedanken der Aufopferung beruhe wie andere wirtschaftsrechtliche Regelungen, so etwa der Squeeze-Out im Aktienrecht nach §§ 327a ff. AktG. Denn bei jedem Aufopferungsanspruch gehe es um „die Lösung eines Interessenkonflikts, bei der es einer Person erlaubt wird, das Recht oder Rechtsgut einer anderen Person vorübergehend oder dauerhaft zu usurpieren, indem ein eigentlich bestehendes Abwehrrecht ausgeschlossen wird und im Gegenzug ein Ausgleich ___________ 326) Nach dem Akkordstörer-Urteil ist ein Gläubiger nicht daran gehindert, seinen Anspruch in voller Höhe durchzusetzen, obwohl eine überwiegende Mehrheit einer außergerichtlichen Forderungskürzung zugestimmt hat, da er an diesen Sanierungsvergleich nicht gebunden ist, BGHZ 116, 319. Siehe hierzu Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 345 ff. mit Gegenkonzept auf S. 555 ff. 327) Siehe Bitter, ZGR 2010, 147, 169 Fn. 122 und S. 186. 328) Bitter, ZGR 2010, 147, 176 u. 184; den Einfluss dieser Einwirkungsmacht zieht er dabei so weit, dass auch die in den Urteilen Girmes und Sanieren oder Ausscheiden vorgenommene Inpflichtnahme der Gesellschafter – obgleich vordergründig auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gestützt – vielmehr auf der Idee der Aufopferung beruht hätten, da die vertragliche Bindung dort nur schwach ausgeprägt, die Intensität der Einwirkungsmacht dagegen sehr hoch war, a. a. O. S. 178 f. Somit bestehe diese Inpflichtnahme auch, wenn das bei der AG oder Publikumspersonengesellschaft ohnehin extrem lockere Band mitgliedschaftlicher Bindung gänzlich wegfalle, a. a. O. S. 180. 329) Bitter, ZGR 2010, 147, 183. 330) Bitter, ZGR 2010, 147, 175. Diesen Gedanken zieht er auch aus der Rechtsprechung, die den Inhabern von Schornsteinhypotheken zur Aufgabe seiner formalen Rechtsposition zwingt, wenn diese aufgrund der schlechten Rangstellung ohnehin keinen Erlös erbringen würde und die Verweigerung der Aufgabe somit eine ungerechtfertigte Blockade der freihändigen Verwertung darstellt, a. a. O. S. 186 m. w. N.
60
II. Blockadepotential für die Anteilseigner
vom Begünstigten zu leisten ist.“331) Eine Verpflichtung zur Aufgabe des Anteils sogar ohne Erhalt eines Ausgleichsbetrags sei dann denkbar, wenn in der Usurpation gar kein Vermögenstransfer vom (aufopferungsverpflichteten) Gesellschafter zum (aufopferungsberechtigen) Gläubiger liege, weil der Gesellschaftsanteil aufgrund vorliegender Überschuldung ökonomisch entwertet sei.332) Die Anwendung dieses (allgemeinen) Konzepts auf die Blockademacht der An- 125 teilseigner im Insolvenzplanverfahren hätte dabei bedeutet, dass der Anteilseigner nur noch als Treuhänder, also als nur noch formaler Inhaber der wirtschaftlich den Gläubigern zustehenden Gesellschafterposition, angesehen worden wäre.333) Dies wurde zum einen damit begründet, dass sich schon aus der Befriedigungsreihenfolge der InsO ergeben würde, dass die Anteilseigner „doppelt nachrangige Insolvenzgläubiger“ seien, da vor ihnen zunächst die Massegläubiger, die Insolvenzgläubiger und die nachrangigen Gläubiger befriedigt werden müssten. Selbst wenn dieser seltene Fall eingetroffen wäre, so wäre daraus nach § 199 InsO kein Recht der Anteilseigner auf Beteiligung am verwerteten Unternehmen gefolgt, sondern allein ein Anspruch auf Geldzahlung.334) In diesem Kontext sah Bitter in einem Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters nicht nur keinen Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 GG) des Anteilseigners, sondern umgekehrt in der damaligen Rechtslage einen Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht der Gläubiger, weil die Anteilseigner durch Blockade den Gläubigern „einen Teil der Insolvenzmasse des Unternehmens vorenthalten können“335) und somit das damalige Insolvenzplanrecht ihnen den Zugriff auf die vermögenswerten rechtsträgerspezifischen Berechtigungen erlaube.336) Bei diesen Berechtigungen handele es sich aber selbstverständlich um Unternehmensvermögen, das nur deshalb an den Unternehmensträger gebunden sei, weil das Unternehmen als solches nicht rechtsfähig sei. Diese aus juristischen Gründen erfolgende Trennung zwischen Unternehmen und Unternehmensträger dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es als Unternehmensvermögen der insolvenzrechtlichen Verteilungsreihenfolge unterliege.337) ___________ 331) Bitter, ZGR 2010, 147, 176 unter Bezugnahme auf Klöhn, S. 164 ff. 332) Bitter, ZGR 2010, 147, 181. Zu Einwänden, eine solche Aufopferungspflicht werde damit grenzenlos und gerate in Konflikt mit den Grundideen des Deliktsrechts, weil eine solche verschuldensunabhängige Geldentschädigungspflicht das Verschuldensprinzip aushebele und gegen das Prinzip, Vermögensschäden nur unter den Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2 und 826 BGB zu gewähren, verstoße, siehe a. a. O. S. 181 f. Mit der ökonomischen Entwertung sei zugleich die aus anderen Aufopferungsregelungen herauslesbare Voraussetzung erfüllt, dass der durch Inpflichtnahme abgewendeten Schaden unverhältnismäßig groß sein muss im Verhältnis zum hierdurch beim Verpflichteten hervorgerufenen Schaden, a. a. O. S. 185. 333) Bitter, ZGR 2010, 147, 189. 334) Bitter, ZGR 2010, 147, 191. 335) Bitter, ZGR 2010, 147, 193; dies als zu weitgehend bezeichnend K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1609. 336) Bitter, ZGR 2010, 147, 194 und 199 f. 337) Bitter, ZGR 2010, 147, 194.
61
§ 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG
126 Die rechtliche Ausgestaltung sah er dabei ähnlich einer Sicherungstreuhand: die Gesellschafter hätten die Anteile nicht mehr für eigene Rechnung gehalten, sondern für Rechnung der vorrangig zu befriedigenden Gläubiger, wobei die formale Rechtsposition nur noch der Sicherung eines etwaigen Anspruchs aus § 199 InsO dienen sollte.338) Diese Treuhandstellung sei insolvenzbedingt, d. h. die Anteilseigner hätten sie beenden können, indem sie den Insolvenzgrund durch Zufuhr neuen Eigenkapitals beseitigt, einen Fortsetzungsbeschluss gefasst und ihre Treuhandstellung somit wieder in eine volle Berechtigung am Anteil umgewandelt hätten.339) Solange sie dies aber nicht getan hätten, war dem Insolvenzverwalter das Verwertungsrecht an den Anteilen zuzusprechen. Sei zudem absehbar gewesen, dass ein Überschuss nach § 199 InsO nicht zu erwarten gewesen wäre, hätte sich die Sicherungstreuhand sogar in eine Verwaltungstreuhand zugunsten der Gläubigergesamtheit gewandelt, womit die Anteilseigner zur Herausgabe der Anteile ohne Gegenleistung verpflichtet gewesen wären.340) Insgesamt hätte sich ein solches Vorgehen auch nicht als Missachtung des Willens des Gesetzgebers dargestellt, sondern sei als verfassungskonforme Auslegung der InsO sogar geboten gewesen.341)
c)
Lösung durch „beschränkte Vertragsüberleitung“ (Noack/Bunke)
127 Eine Lösung auf anderem Wege verfolgte das von Noack/Bunke vorgeschlagene Konzept einer „beschränkten Vertragsüberleitung“, bei dem der § 25 Abs. 1 HGB in offener Rechtsfortbildung als Vertragsüberleitungsnorm hinsichtlich unternehmensbezogener Dauerschuldverhältnisse begriffen werden sollte.342) Hiermit sollte das Problem umgangen werden, dass die Vertragspartner dem Übergang des Vertrages auf den neuen Rechtsträger zustimmen müssen (und sich diese Zustimmung ggf. abkaufen lassen). In ausführlicher Auseinandersetzung mit § 25 HGB wurde dabei herausgearbeitet, dass für das Unternehmen bedeutende Verträge nach dieser Norm auch gegen den Willen der Vertragspartner auf den Käufer übergehen dürften. Der hierin liegende Eingriff in die Vertragsfreiheit dieser Vertragspartner sei gerechtfertigt, um das lebensfähige Unternehmen als Funktionseinheit zu erhalten.343) Die ___________ 338) Bitter, ZGR 2010, 147, 195. 339) Bitter, ZGR 2010, 147, 195. Damit würde zugleich Bedenken bzgl. eines Verstoßes gegen Art. 9 GG vermieden, da der Wille der Gesellschafter aufgrund der nur bestehenden Treuhandstellung nicht beachtlich sei, a. a. O. S. 196. 340) Bitter, ZGR 2010, 147, 196; die Verweigerung der Herausgabe sollte zu einer Schadensersatzpflicht führen auf Grundlage einer durch die Aufopferungslage bestehenden Sonderbeziehung, jedenfalls aber gestützt auf § 826 BGB, a. a. O. S. 200. 341) Der Gesetzgeber der InsO habe die Relevanz der rechtsträgergebundenen Berechtigungen nicht erkannt und sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass eine übertragende Sanierung stets als Ausweichmöglichkeit bereitstünde, so Bitter, ZGR 2010, 147, 197. 342) Noack/Bunke, KTS 2005, 129, 139 ff; vorher bereits Noack, FS Röhricht, 2005, 455, 462 ff. 343) Allerdings sollte dem Vertragspartner nach § 314 Abs. 1 BGB das Recht zur fristlosen Kündigung zustehen, sofern ihm die Fortsetzung der Vertragsbeziehung mit dem Erwerber nicht zumutbar sein sollte, Noack/Bunke, KTS 2005, 129, 141.
62
II. Blockadepotential für die Anteilseigner
Tatsache, dass in der Insolvenz der vormalige Vertragspartner aufgrund der Rechtsträgerlöschung verschwinde und somit, anders als von § 25 HGB intendiert, nicht zwei, sondern nur ein Schuldner (der neue Rechtsträger) zur Verfügung stünde, sei hinzunehmen, da dieser nach den Regeln der Insolvenzplanüberwachung (§ 260 Abs. 3, §§ 261 ff. InsO) ausreichend überwacht werde.344) Zudem sei nur auf diesem Wege die mit der InsO gewollte Sanierung und die intendierte Gleichrangigkeit von übertragender Sanierung und Reorganisation zu erreichen.345) Da der Zweck der nach ganz h. M. bestehenden Nicht-Anwendbarkeit des § 25 HGB im Insolvenzverfahren346) von den Autoren allerdings anerkannt wurde, sollte die Vertragsüberleitung insofern „beschränkt“ sein, als dass keine vor der Insolvenzverfahrenseröffnung entstandenen Verbindlichkeiten übergehen würden, sondern die Schuldnerschaft des neuen Rechtsträgers allein für die zukünftige, aus den übergegangenen Dauerschuldverhältnissen resultierenden Verbindlichkeiten entstehen sollte.347)
d) Bewertung dieser Vorschläge An Bitters Konstruktion wurde bemängelt, dass diese mit dem Willen des Gesetz- 128 gebers nur schwer vereinbar sei; zudem könnte die ratio der BGH-Urteile Girmes und Sanieren oder Ausscheiden nicht ohne weiteres auf den DES übertragen werden, da der BGH sich auf die mitgliedschaftliche Treuepflicht gestützt habe, die zwischen Gesellschafter und Gläubiger nicht existiere.348) Für Brauns Vorschlag wurde keine ausreichende Stütze im Gesetz gesehen.349) Generelles Problem dieser Ansätze war zudem, dass der Gesetzgeber bei Erlass der InsO eindeutig keine insolvenzrechtlichen Eingriffe in die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse gewollt hatte.350) Das Konzept von Noack/Bunke war mit der Auslegung und Handhabung des § 25 HGB ___________ 344) Noack/Bunke, KTS 2005, 129, 143. 345) Noack/Bunke, KTS 2005, 129, 144 f. So früh i. Ü. auch schon Stürner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 44: das Problem lasse sich eher lösen durch eine schuldrechtliche Verpflichtung des Lizenzgebers zur Neuvergabe als durch gerichtliche Zwangseingriffe in das schuldnerische Gesellschaftsgefüge. 346) Siehe hierzu Noack/Bunke, KTS 2005, 129, 145 ff.: so wäre die Haftung auch des neuen Rechtsträgers ein Zufallsgeschenk für die Gläubiger, weil deren Forderungen plötzlich wieder vollwertig würden, obwohl sich eigentlich deren Insolvenzrisiko verwirklicht habe, a. a. O. S. 149 f. Zudem würde eine umfassende Haftungsüberleitung auch den Kaufpreis im Rahmen einer übertragenden Sanierung stark drücken bzw. diese aufgrund des hohen Haftungsrisikos für den Käufer gar nicht erst zustande kommen lassen. 347) Noack/Bunke, KTS 2005, 129, 150 ff. mit umfassender Begründung. Hierzu wurde auch verwiesen auf die ähnliche Norm des § 613a BGB in Bezug auf bestehende Arbeitsverhältnisse. Hierauf verwies bereits vorher schon Ulmer, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, 1989, S. 119, 122: Überleitung für den Unternehmenserfolg wesentlicher Dauerschuldverhältnisse auf den Unternehmenserwerber in Anlehung an die Regelungstechnik des § 613a BGB. 348) Brinkmann, WM 2011, 97, 99. 349) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1519; Uhlenbruck, FS Lüer, 461, 471; Noack, FS Röhricht, 2005, 455, 460. 350) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 83; a. A. Bitter, ZGR 2010, 147, 197 f.
63
§ 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG
durch Rechtsprechung und herrschende Lehre nur schwer vereinbar und stieß aufgrund des Erfordernisses der Firmenfortführung auch auf praktische Bedenken.351)
129 Größtes Problem dieser Lösungen de lege lata war aber, dass sie jeweils erst vor Gericht hätten durchgesetzt werden müssen.352) Da sie schon auf dogmatisch wackeligen Füßen standen, wären lange Prozesse die Folge gewesen; damit aber wäre die Sanierung jeweils verunmöglicht worden, da für eine erfolgreiche Sanierung schnelles Handeln nötig war.353) Zwar hätte die bei Verweigerungserfüllung des Anspruchs drohende Schadensersatzpflicht ggf. präventiv gewirkt; das Problem wäre aber auch dann an seine Grenzen gestoßen, wenn bei AGs oder Publikumspersonengesellschaften eine große Zahl von Anteilseignern, die zudem vielfach nicht bekannt waren, hätten verklagt werden müssen.354) So waren sich dann auch die allermeisten Autoren einig, dass es einer Reform des Gesetzgebers bedurfte.355) Die unterbreiteten Vorschläge für deren Ausgestaltung sollen im Folgenden überblicksmäßig dargestellt werden.
2.
Lösungswege de lege ferenda
a) Eingriff in das gesellschaftsrechtliche Gefüge durch Entscheidungen des Gerichts (Konzept der Kommission für Insolvenzrecht) 130 Der oben bereits erwähnte Erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht verfolgte hinsichtlich der möglichen Eingriffe in Anteilseignerrechte ein Konzept, mit dem auf zweierlei Weise in die Rechte der Anteilseigner eingegriffen werden konnte. So konnte zum einen die Ersetzung der Zustimmung der Gesellschafter zu einem für die Reorganisation notwendigen Gesellschafterbeschluss durch Gerichtsbeschluss ersetzt werden (Leitsatz 2.2.20 Abs. 3). Die Idee dahinter war, dass ein Reorganisationsplan zwar sämtliche nach materiellem Recht zulässige Maßnahmen enthalten konnte (Leitsatz 2.4.9.2.) Diese sollten sich allerdings allein im darstellenden (nicht im gestaltenden) Teil des Plans finden; über die Umsetzung der Maßnahmen sollten zunächst noch die nach Gesellschaftsrecht zuständigen Organe entscheiden. ___________ 351) Umfassende Auseinandersetzung mit dem Konzept von Noack/Bunke bei Spetzler, S. 89 ff. 352) Siehe Hölzle, KTS 2011, 291, 317; Brinkmann, WM 2011, 97, 98 sowie eingehend Büchele, S. 87 f. Zu den Möglichkeiten der Durchsetzung im einstweiligen Rechtsschutz siehe Pujol, S. 133 ff. 353) So dann auch Braun, FS Fischer, 2008, 53, 70; Bitter, ZGR 2010, 147, 198; Hölzle, KTS 2011, 291, 317. Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 281 und Westphal/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 14 verwiesen darauf, dass auch die Zustimmungspflicht der Anteilseigner nach den Girmes-Grundsätzen in der Praxis keine große Rolle spielt, da die für eine gerichtliche Durchsetzung benötigte Zeit in einer Sanierungssituation idR nicht zur Verfügung steht. 354) Bitter, ZGR 2010, 147, 198. 355) Braun, FS Fischer, 2008, 53, 70; Bitter, ZGR 2010, 147, 198; Brinkmann, WM 2011, 97, 99; Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1527 ff.; Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 548 ff.; Verse, ZGR 2010, 299, 308 ff.; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1854 ff.
64
II. Blockadepotential für die Anteilseigner
Käme dann dieser Beschluss aber nicht zustande, so sollte die Ersetzung durch das Gericht möglich sein, wenn (1.) die Reorganisation nach dem Reorganisationsplan ohne die zu beschließende Maßnahme nicht hätte durchgeführt werden können und (2.) die Abstimmungsgruppen dem Reorganisationsplan mit den zu seiner Annahme erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hätten.356) Die andere Form des Eingriffs konnte nach diesem Konzept in der gänzlichen Aus- 131 schließung von Gesellschaftern aus der Gesellschaft bestehen, sofern dies der Reorganisation diente. Diese Maßnahme sollte möglich sein in Form des Ausschlusses von Gesellschaftern bei Wertlosigkeit ihrer Anteile (Leitsatz 2.4.9.5): Demnach hätten Gesellschafter per Beschluss des Insolvenzgerichts aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden können, wenn (1.) ihre Anteilsrechte oder Beteiligungen wertlos waren und (2.) ein Nachschuss nicht geleistet wurde oder die Gesellschafter sich nicht zur Übernahme einer neuen Kapitalbeteiligung bereit gefunden hätten. Auch hiergegen war kein Rechtsmittel vorgesehen.357) Zuletzt sollte der Ausschluss von Gesellschaftern aus wichtigem Grund möglich sein (Leitsatz 2.4.9.6).358) Diese Vorschläge stießen auf deutliche Kritik.359) Der Ausschluss von Gesellschaftern 132 aus der Gesellschaft wurde von K. Schmidt gänzlich abgelehnt. Einer solchen „Expropriierung“ der Gesellschafter, wenn die Beteiligung durch Überschuldung entwertet sei und Nachschüsse nicht erzwungen werden könnten, würden Bedenken verfassungsrechtlicher, rechtspolitischer und wirtschaftlicher Art entgegenstehen.360) Eine solche Regelung ginge insbesondere an der Tatsache vorbei, dass die Anteile an der überschuldeten Gesellschaft nur unter der Zerschlagungsprognose wertlos seien, nicht unter der Reorganisationsprognose.361) Später sprach er auch von der ___________ 356) Leitsatz 2.2.20 Abs. 3; ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung war nicht vorgesehen; dies wurde begründet mit der Entwertung der Anteile und der sonst nur bleibenden Liquidationsalternative, KfI, Erster Bericht, S. 192. In diesem Zusammenhang wurde aber angemerkt, dass eine solche starke Verkürzung des Rechtsschutzes für die Anteilseigner sich eine Überprüfung auf ihre Vereinbarkeit mit der allgemeinen Justizgewährleistungspflicht gefallen lassen müsse, siehe Ulmer, ZHR 149 (1985), 541, 542. 357) KfI, Erster Bericht, S. 282. 358) Gegen den Beschluss des Gerichtes bzgl. des Ausschlusses wegen Wertlosigkeit der Anteile war kein Rechtsmittel vorgesehen; sollten diese doch noch werthaltig sein, sollte der AltAnteilseigner für eine Abfindung auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen werden, Leitsatz 2.4.9.9 Abs. 2; beim Ausschluss aus wichtigem Grund dagegen stand dem Anteilseigner ein Rechtsmittel zu, siehe zur Erläuterung KfI, Erster Bericht, S. 283 f. 359) Übersicht bei H.-F. Müller, S. 317 f. 360) K. Schmidt, Gutachten zum 54. DJT, 1982, S. D 83. 361) K. Schmidt, Gutachten zum 54. DJT, 1982, S. D 83; er denkt aber auch über die Möglichkeit nach, Neinstimmen der Gesellschafter, deren Anteile unter der Zerschlagungsprognose wertlos sind, durch begründeten Gerichtsbeschluss zu ersetzen, a. a. O. S. D 81 und D 89. Letztlich hatte er sich damit gegen einen Ausschluss der Gesellschafter im Insolvenzplanverfahren, nicht auch gegen ihre Einbeziehung in den Plan und gegen ein Obstruktionsverbot ausgesprochen, vgl. K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1608.
65
§ 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG
„beklemmenden Vision von dem Insolvenzrichter, der sich Verdienste als gesellschaftsrechtlicher Zwangsbeglücker erwirbt.“362) Ulmer kritisierte dagegen den Vorschlag, die Zustimmung der Gesellschafter durch Gerichtsbeschluss ersetzen zu lassen; eine solche Ersetzungsbefugnis hätte sich als umfassendes gerichtliches Gestaltungsrecht über die Köpfe der betroffenen Gesellschafter hinweg gesetzt.363) Kritisch angemerkt wurde auch, dass eine Einberufung der Hauptversammlung der Anteilseigner überflüssig sei, wenn diese nur über einen Plan abstimmen dürften, an dessen Ausarbeitung sie nicht beteiligt worden waren und wenn ihnen dabei zugleich klar sein musste, dass ihre Ablehnung ohnehin durch das Gericht hätte ersetzt werden können.364)
b) Einbeziehung der Anteilseigner in das Insolvenzplanverfahren 133 Als Gegenentwurf zur Heraushaltung der Anteilseigner – in der Form des Konzepts der Ersten Kommission durch nur in Ausnahmefällen möglichen Eingriff per Richterentscheid oder in der endgültigen Form der InsO von 1994 durch völlige Nichtbeteiligung365) – wurde bereits wenige Jahre nach Inkrafttreten der InsO Vorschläge gemacht, die Anteilseigner doch noch ins Planverfahren zu integrieren und ihnen eine Beteiligtenstellung zukommen zu lassen.366) Dies geschah allerdings faktisch stets mit der Intention, deren Blockadestellung zu brechen und einen Eingriff auch in Gesellschafterrechte zuzulassen.367) Das dabei 2003 von Sassenrath ___________ 362) K. Schmidt, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl., 2001, S. 1199, 1212; zustimmend H.-F. Müller, S. 370 f. Dass das Konzept einer umfassenden Kompetenz des Insolvenzrichters andererseits nicht völlig abwegig ist, zeigt sich etwa daran, dass im US-amerikanischen Schrifttum zur Chapter 11-Reorganisation sogar der Vorschlag zu finden ist, der Richter solle bei gescheiterten Franchise-Unternehmungen sogar die Franchise-Gebühren im Rahmen des Reorganisationsverfahren gewissermaßen hoheitlich verändern können, um einen fresh start des FranchiseNehmers zu ermöglichen, siehe Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 163 f. (1997). 363) Ulmer, ZHR 149 (1985), 541, 556: Ein Vergleich mit der gesellschaftsrechtlichen Zustimmungsklage (die zudem nur bei Personengesellschaften existiere) hielt er für kaum möglich, da bei der Zustimmungsklage ausnahmsweise die Zustimmung eines Gesellschafters ersetzt werden könne, wenn dies zur Erhaltung der gemeinsamen Werte nötig wäre und dies dem Gesellschafter auch zugemutet werden könne. Der Vorschlag der Kommission für Insolvenzrecht hätte dagegen eine solche Zustimmungsersetzung durch das Gericht mit den vorrangigen Interessen der Gläubiger und ggf. der Arbeitnehmer an der Reorganisation begründet, nicht aber mit den Interessen der Gesellschafter; a. A. diesbezüglich K. Schmidt, ZGR 1986, 179, 199: Gestaltungsbefugnis des Gerichts als der noch beste Weg zwischen Rechtssicherheit und Effektivität. 364) H.-F. Müller, S. 363. 365) Streichung der letzten Teilhaberechte der Alt-Anteilseigner durch den Rechtsausschuss, s. o. I. 1. b) a. E. und Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1522. 366) Sassenrath, ZIP 2003, 1517 passim, S. 1528 mit konkreten Vorschlägen. 367) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1526 f. Auch FK-InsO/Jaffé, 5. Aufl., 2009, § 217 Rn. 84 und Vallender, NZI 2007, 129, 136 f. hätten die Möglichkeit einer Verwertung der Gesellschaftsanteile im Insolvenzplanverfahren durch den Insolvenzverwalter begrüßt, solange dieser Eingriff zur Sanierung des Unternehmens erforderlich sei und hierdurch die Alt-Anteilseigner nicht schlechter gestellt würden als bei der Regelinsolvenz.
66
II. Blockadepotential für die Anteilseigner
vorgeschlagene System orientierte sich letztlich am Chapter 11-Verfahren und wollte die Anteilseigner als eigene Gruppe einbinden, ihnen Mitsprache, Erörterungsund Einsichtsrechte (nicht allerdings ein Planinitiativrecht) einräumen und sie über den Plan abstimmen lassen.368) Dabei sollte ihnen auch Rechtsschutz gewährt und und Abfindungen für den Fall eines Restwerts der Anteile zugesprochen werden. Insbesondere, und dies war der Hauptpunkt, sollten sie aber dem Obstruktionsverbot unterworfen werden.369) Eidenmüller/Engert sprachen sich im Anschluss daran ebenfalls für eine Einbezie- 134 hung der Alt-Anteilseigner als eigene Gruppe aus, in der mit Mehrheit über die Annahme des Plans entschieden werden sollte.370) Dies habe den Vorteil, dass bei einer solchen Legitimation durch die Mehrheit einzelne abweichende Anteilseigner auf den Rechtsschutz nach § 251 InsO hätten verwiesen werden könnten, der enge Voraussetzungen aufweise und eine Verhinderung der Planbestätigung allein dann zugelassen hätte, wenn diese durch den Plan schlechter gestellt worden wären als ohne Plan.371) Das Obstruktionsverbot sollte auf die Anteilseigner (unter Beachtung ihres Status als letztrangig Berechtigte) erstreckt werden, allerdings allein dann die fehlende Zustimmung der Anteilseigner für unbeachtlich erklären, wenn ein Gläubiger mehr als den Nominalwert seiner Forderung erhalte.372) Die so ermöglichte Beteiligung sei vorzugswürdig gegenüber einer völligen Heraushaltung der Anteilseigner, da das Insolvenzverfahren für diese im Angesicht der Ausschließung von jeder Mitwirkung an der Reorganisation ansonsten noch weniger attraktiv würde373), weshalb auch die damit einhergehende Zeitverzögerung durch Vergleichsrechnungen hinzunehmen sei.374) ___________ 368) Als Mehrheitsanforderung innerhalb der Anteilseignergruppe wurde die Kopfmehrheit und die Kapitalmehrheit angestrebt, Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1528. 369) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1528 f. Dessen Voraussetzungen wurden nicht näher definiert, aber wohl auf jeden Fall an der Befriedigungsreihenfolge der absoluten Vorrangregel orientiert sein. 370) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 549 f. Hierfür sollte eine einfache Mehrheit der Stimmen und Kapitalmehrheit erforderlich sein. 371) Kritisch hierzu Büchele, S. 218 f. 372) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 549. 373) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 550; dies anzweifelnd Büchele, S. 213 f.: würde das Verfahren keinesfalls plötzlich attraktiv machen, da weiter der Entzug der Anteile gegen deren Willen drohe. 374) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 550 verwiesen zu deren Ausschaltung auf die Nutzung salvatorischer Klauseln, während das ESUG mit §§ 251 Abs. 3, 253 Abs. 1 Nr. 3 InsO n. F. später die kodifizierte Verweisung in ein nachgelagertes Verfahren unter Leistung einer Sicherheit, auf die die Alt-Anteilseigner zugreifen könnten, vorsah. Zuletzt nannten die Autoren a. a. O. S. 551 als Mindestmaßnahmen für den Fall der Beibehaltung des bisherigen Systems Verbesserungen im Gesellschaftsrecht wie herabgesetzte Mehrheitsanforderungen für die Kapitalherabsetzungs- und erhöhungs-Beschlüsse und Erleichterungen im Beschlussmängelrecht. Die Einbeziehung der Alt-Anteilseigner sei aber vorzugswürdig.
67
§ 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG
c)
Widerspruchsrecht der Anteilseigner
135 Ein abweichendes Modell hätte die Anteilseigner ebenfalls als eigene Gruppe eingebunden, hielt deren Beteiligung an der Abstimmung aber zugleich für unangemessen.375) So favorisierte Brüning stattdessen eine Widerspruchslösung, bei der die Anteilseigner lediglich vor Planbestätigung Widerspruch hätten erheben können gegen einen Plan, sofern sich hierfür unter ihnen eine Kapitalmehrheit finden ließe.376) Dabei wurde Bezug genommen auf die ähnliche Regelung nach § 247 InsO, die die InsO schon seit ihrem Erlass für den Schuldner kannte.377)
d) Komplette Heraushaltung der Anteilseigner und bloße Verweisung auf Entschädigungsanspruch 136 Westphal/Janjuah schlugen 2008 ein Modell vor, das ebenfalls eine Einbeziehung der Anteilseignerrechte in das Insolvenzplanverfahren vorsah; dies sollte aber nicht bedeuten, dass damit auch die Bildung einer eigenen Gruppe der Alt-Anteilseigner der Regelfall werden sollte. Dies sollte allein dann der Fall sein, wenn die AltGesellschafter ihre Anteilsrechte nach dem Plan teils behalten sollten.378) Die Zustimmung der Alt-Anteilseigner zur Einbeziehung der Anteile in den Insolvenzplan sollte somit stets als erteilt gelten; eine Wahrung der Interessen der Alt-Anteilseigner in Bezug auf finanzielle Kompensation sollte lediglich auf dem ordentlichen Rechtsweg nach Verfahrensabschluss ermöglicht werden.379)
137 Büchele kam in seiner Untersuchung aus dem Jahr 2011 zu der Erkenntnis, dass ein Eingriff in die Gesellschafterrechte zwar ermöglicht werden sollte, eine Einbeziehung der Alt-Anteilseigner angesichts ihrer wirtschaftlicher Stellung das Verfahren aber nur erschweren würde. Es ginge damit ein unangemessenes Verzögerungspotential einher, das zudem einen Wertungswiderspruch erzeugen würde zu der Tatsache, dass nachrangige Gläubiger im Regelfall nicht als Gruppe beteiligt würden.380) Die Alternative, den Alt-Anteilseignern ein Widerspruchsrecht einzuräumen, lehnte er letztlich aber ebenfalls ab, weil auch dies mit den dabei nötig werdenden Vergleichsrechnungen das Verfahren unnötig belaste. Er favorisierte daher ebenfalls eine Lösung, die den Anteilseignern zwar Erörterungs- und Ein___________ 375) Brüning, S. 255 ff. 376) Brüning, S. 337 ff. mit Details auf S. 340 ff. Dieses Modell wird auch angesprochen bei Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 549. 377) Büchele, S. 217 ff. 378) Westphal/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 16. Entsprechend war auch nur für diesen Fall die entsprechende Anwendung des Obstruktionsverbots auf die Anteilseigner vorgesehen. 379) Westphal/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 16. 380) Büchele, S. 211, 213 ff; nach § 225 Abs. 1 InsO, InsO gelten deren Forderungen, sofern der Plan nichts anderes bestimmt, als erlassen, womit für sie nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 InsO auch keine Gruppe zu bilden ist.
68
II. Blockadepotential für die Anteilseigner
sichtsrechte zugestand381), darüber hinausgehend aber weder die Beteiligung als Gruppe noch ein Widerspruchsrecht zuerkannte. Ihnen sollte allein eine finanzielle Entschädigung gewährt werden für den Fall, dass sie durch die Regelungen des Plan schlechter stünden als ohne Plan, sie also weniger als das erhielten, was ihnen auch bei einer Liquidation zugestanden hätte.382) Damit eine mit dieser Berechnung einhergehende Verzögerung aber nicht zu Lasten der Planumsetzung ginge, sollte dies im nachgelagerten Gerichtsverfahren eingeklagt werden.383)
e)
Lösung über das UmwG (Spetzler)
Eine Lösung über die Regelungen des UmwG versuchte Spetzler im Jahre 2011. 138 Ihre Untersuchung setzte an bei den (oben näher erläuterten) Defiziten der übertragenden Sanierung, die rechtsträgergebundene Berechtigungen nicht übergehen lässt. Daher prüfte sie, ob das UmwG mit der Ermöglichung der Übertragung von Vermögensteilen als Gesamtheit und der Möglichkeit der Aufteilung von Aktivund Passivvermögen eine Alternative bieten würde.384) In Betracht sollte dabei allein die Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 UmwG kommen, da die Aufspaltung nach § 123 Abs. 1 UmwG und die Abspaltung nach § 123 Abs. 2 UmwG die Vermögensübertragung gegen Gewährung von Anteilen am übernehmenden Rechtsträger zulässt, diese Anteile aber an die Alt-Anteileigner gehen würden. Bei der Aufspaltung dagegen fließen die dafür gewährten Anteile am übernehmenden Rechtsträger in das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers, mithin in die Insolvenzmasse.385) Dies hätte den Vorteil gegenüber der übertragenden Sanierung, dass keine Einzelübertragung notwendig wäre sowie Dauerschuldverhältnisse und im Grundsatz auch öffentlich-rechtliche Genehmigungen übergehen würden.386) Primär bedürfte ___________ 381) Büchele, S. 215 ff. 382) Büchele, S. 221 f. 383) Büchele, S. 222; damit sollte zugleich jeder Anreiz entfallen, allein aus verfahrenstaktischen Gründen gegen den Plan vorzugehen und sich die nuisance value abkaufen zu lassen. Anspruchsgegner sollte die reorganisierte Gesellschaft sein, nicht die Gläubigerschaft, a. a. O. S. 222 f. 384) Spetzler, S. 96 f. Ein ähnliches Vorgehen schlug Wallner, ZInsO 2010, 1419, 1422 ff. mit seinem Konzept einer „partiellen Universalsukzession“ vor. Dabei sollten de lege ferenda durch Übernahme von Regelungen des Umwandlungsrechts die Befugnisse des Insolvenzverwalters dahingehend erweitert werden, Unternehmen oder Teile davon mitsamt deren Rechtsverhältnissen auf einen anderen Rechtsträger zu übertragen. In diesem Rahmen sollten dem Insolvenzverwalter im Rahmen der Erstellung eines Insolvenzplans weitestgehende Befugnisse eingeräumt werden, um die neue Wertschöpfungsquelle marktkonform auszugestalten, a. a. O. S. 1423. Von den Schutzvorschriften sollten weder § 25 HGB noch § 22 UmwG anwendbar sein, auch nicht für Masseverbindlichkeiten. Zur weiteren Ausgestaltung des Vorschlags, insbesondere der gesamtschuldnerischen Haftung des übertragenden und des übernehmenden Rechtsträgers sowie dem Schutz der Vertragspartner siehe a. a. O. S. 1424 ff. 385) Spetzler, S. 97. 386) Spetzler, S. 98 ff. mit weiteren Details. Dies gilt nicht für im steuerlichen Kontext werthaltige Positionen, siehe a. a. O. S. 104 f.
69
§ 4 Rechtslage zum Debt Equity Swap in der InsO vor Erlass des ESUG
allerdings auch eine Ausgliederung der Zustimmung der Anteilseigner des insolventen Unternehmens, womit diesen wieder eine Blockadeposition zukommen würde. Dies ließe sich mit Hinsicht auf die eingetretene Insolvenz zwar durch eine teleologische Reduktion umgehen, da die Zustimmung maßgeblich dem Schutz der Gesellschafter diene, der aber bei eingetretener Insolvenz vernachlässigt werden könne.387) Im Ergebnis scheitere diese Vorgehensweise nach Spetzler aber an dem Verbot der Umwandlung aufgelöster Rechtsträger nach § 3 Abs. 3 i. V. m. § 124 Abs. 2 UmwG, das auch nicht durch eine Konstruktion über den potentiellen oder den bedingten Fortsetzungsbeschluss überwunden werden könne.388) Dem Sinn und Zweck des Auflösungsverbots würde nicht genüge getan, weil insbesondere der Schutz der Gläubiger des übernehmenden Rechtsträgers nicht gewährleistet sei: diese seien zum einen gefährdet durch die gesamtschuldnerische Haftung des aufnehmenden Rechtsträgers für Altverbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers.389) Zum anderen drohe auch die Gefahr einer „disproportionalen Vermögensverteilung“ zu Lasten des aufnehmenden Rechtsträgers390), und damit derer Gläubiger, die sich von einem Tag auf den anderen die ihnen zur Befriedigung zugewiesene Haftungsmasse mit sämtlichen Insolvenzgläubigern des insolventen Schuldners teilen müssten.391)
139 Daher entwickelte sie als Konzept de lege ferenda eine Ausgliederungslösung392), die letztlich eine durch Einführung einer Gesamtrechtsnachfolge verbesserte übertragende Sanierung ohne Haftung für die Passiva der insolventen Gesellschaft darstellen sollte.393) Dies sollte allerdings nur im Insolvenzplanverfahren stattfinden dürfen, da nur hier der nötige Minderheitenschutz gewährleistet sei.394) Die eigentlich bestehende Haftung des übernehmenden Rechtsträgers nach § 133 UmwG sollte dabei ausgeschlossen werden. Diese sei nicht nötig, da Zweck dieser Norm
___________ Spetzler, S. 112 ff. Spetzler, S. 118 f. Siehe hierzu auch J. W. Flume, Vermögenstransfer und Haftung, S. 183 f. Spetzler, S. 121 f. jeweils mit weiteren Details. Spetzler, S. 123. Diese komme nach ihrer Interpretation auch dem von Jackson, Logic and Limits of Bankruptcy Law, S. 224 ersonnenen Konzepts der Übertragung der vermögenswerten Bestandteile auf eine Auffanggesellschaft (a. a. O. S. 223) und deren Verkauf am Markt besonders nahe, siehe Spetzler, S. 134. Da somit bei diesem Konzept die Anteile auch an dritte Personen und nicht nur wie beim DES an die Gläubigern gehen könnten, biete es den Vorteil der höheren Flexibilität. 393) Begriff verwendet bei Spetzler, S. 135. Dieses Konzept würde „Vorteile“ im Hinblick auf sonst drohende Haftung aus den einschlägigen Normen des Kapitalerhaltungsrechts aufweisen, a. a. O. S. 128 ff. 394) Spetzler, S. 142 ff.
387) 388) 389) 390) 391) 392)
70
II. Blockadepotential für die Anteilseigner
bei der Ausgliederung395) maßgeblich der Schutz der Gläubiger vor einer Verschleuderung des Vermögens (durch Übertragung auf einen anderen Rechtsträger für einen zu niedrigen Gegenwert) sei. Hiergegen seien die Gläubiger einer insolventen Gesellschaft aber ausreichend geschützt, indem sie am Planverfahren beteiligt würden.396) Auch die Massegläubiger seien ausreichend geschützt durch die Norm des § 258 Abs. 2 InsO a. F., wonach der Verwalter vor Insolvenzplanverfahrensaufhebung die unstreitigen Masseansprüche berichtigen und für die streitigen Sicherheit zu leisten habe.397) Somit würde im Ergebnis die Übertragung der Aktiva ohne die Haftung für die Passiva ermöglicht, die zudem keinerlei Bedenken des Verstoßes gegen verfassungsrechtliche oder europarechtliche Grundsätze aufkommen ließe.398) Einen fast gleichlautenden Vorschlag machten 2012 Simon/Merkelbach, die eben- 140 so die Haftungsanordnung des § 133 UmwG ausschließen wollten.399) Im Finanzmarktstabilisierungsgesetz hat der Gesetzgeber eine solche Norm aufgenommen für bundesrechtliche Abwicklungsanstalten (sog. Bad Banks): nach § 8a Abs. 8 Nr. 5 FMStFG sind bei Spaltungen unter Beteiligung einer Abwicklungsanstalt die §§ 22, 23, 126 Absatz 2 Satz 1 und 2 sowie die §§ 133 und 141 des Umwandlungsgesetzes nicht anzuwenden.
3.
Zwischenergebnis
Die Darlegung der nach altem Recht bestehenden Problemstellung sowie die ver- 141 schiedensten hierfür vorgeschlagenen Lösungswege haben gezeigt, dass eine taugliche Lösung nur de lege ferenda zu suchen war; entsprechend hat auch das ESUG den Weg über eine Gesetzesreform gesucht, die im Folgenden detailliert dargelegt werden soll. Die Grundgedanken und Lösungsansätze der jeweiligen Alternativkonzeptionen können dabei aber hilfreich sein für die darauf folgende Analyse der Neuregelung. ___________ 395) Dabei legt Spetzler, S. 147 f. dar, dass der Schutzzweck des § 133 UmwG bei der Aufspaltung und Abspaltung sogar noch weiter geht, weil hier die Anteilseigner die Anteile am übernehmenden Rechtsträger erhalten, wodurch sich der Haftungszugriff der Gläubiger hierauf enorm erschwert. Bei der Ausgliederung aber gingen die Anteile am übernehmenden Unternehmen an das übertragende Unternehmen (bzw. in die Insolvenzmasse), wo sie damit den Gläubigern weiter zur Verfügung stünden; es bestehe lediglich die Gefahr einer zu geringen Gegenleistung. 396) Dessen Zweck ebenso wie das des § 133 UmwG die Verhinderung der Verschleuderung der Masse sei, so Spetzler, S. 148. 397) Diese Norm ist allerdings durch das ESUG verwässert worden: nach § 258 Abs. 2 S. 2 InsO n. F. kann nunmehr für die nicht fälligen Masseansprüche auch ein Finanzplan vorgelegt werden, aus dem sich ergibt, dass ihre Erfüllung gewährleistet sei. 398) Spetzler, S. 150 und S. 135 ff. Zu weiteren notwendigen Regelungen bzgl. Change-of-controlKlauseln siehe a. a. O. S. 150 ff. 399) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 128 f. Teils wird neuerdings auch die Beschränkung der gesamtschuldnerischen Haftung des aufnehmenden Rechtsträgers auf die Planquote analog § 227 Abs. 2, 254 Abs. 1 InsO für möglich gehalten, K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 225a Rn. 46; umfassend zur Umwandlung im Insolvenzplan Madaus, ZIP 2012, 2133 ff.
71
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG I.
Regelungstechnik: Einbeziehung der Anteilseigner als eigene Gruppe
Der Gesetzgeber hat auf die vorliegend dargelegte Problematik mit der Reform durch 142 das ESUG reagiert. Dabei wurde eingestanden, dass die Möglichkeit der Verzahnung des Insolvenzplans mit gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen über § 249 InsO sich als nicht ausreichend erwiesen hatte. Die Blockadestellung der Alt-Anteilseigner, so die Gesetzesbegründung, sei unterschätzt worden, auch weil sich gezeigt habe, dass die Drohung mit einer ansonsten durchzuführenden übertragenden Sanierung nicht ausreichend gewesen sei.400) Dabei wurde sogar auf ein in der alten Rechtslage bestehendes Sanierungshindernis und einen hieraus resultierenden Standortnachteil etwa gegenüber dem englischen Recht eingegangen, weshalb ein Eingriff in die Rechte nunmehr zugelassen werden sollte.401) Die Ermöglichung des DES wird dabei als ausdrückliches Ziel des Gesetzgebers hervorgehoben.402)
1.
Ermöglichung sämtlicher gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen im Insolvenzplan
Erster Baustein der Reform durch das ESUG war dabei, dass durch § 217 S. 2 InsO 143 n. F. zunächst ermöglicht wird, auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in das Planverfahren einzubeziehen.403) Dabei stellt § 225a Abs. 1 InsO n. F. aber klar, dass die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen vom Insolvenzplan unberührt bleiben, sofern nicht der Plan etwas anderes bestimmt. Ist somit kein Eingriff in die Rechte der Alt-Anteilseigner vorgesehen, besteht für deren Beteiligung an der Abstimmung über den Plan kein Anlass.404) Sieht aber der Plan einen solchen Eingriff vor, was bei Durchführung eines DES 144 zwingend der Fall ist, so sind derartige die Anteilsrechte berührende Maßnahmen im gestaltenden Teil des Plans zu verankern, § 225a Abs. 2 InsO n. F. Hierdurch soll erreicht werden, dass einerseits die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital ___________ 400) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 30. 401) Siehe zu der Sanierung über ein company voluntary agreement (CVA) Spetzler, S. 14 f.; Büchele, S. 150 f. Nach Westphal/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 3 Fn. 7 kann aber auch in einem CVA nicht gegen den Willen der Anteilseigner in deren Rechte eingegriffen werden. 402) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 30. 403) Übersicht zu Ablauf und den hierbei auftretenden Problemen bei Gottwald/Koch/de Bra, InsR-Hdb, § 68 sowie bei Rattunde, GmbHR 2012, 455 ff. 404) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 31. Es wird allerdings auch darauf verwiesen, dass die Anteilseigner jedes Mal als eigene Gruppe zu beteiligen sind, sobald nur Regelungen getroffen werden, die außerhalb des Insolvenzplanverfahrens den Gesellschaftern vorbehalten wären, also etwa auch der bloße Fortführungsbeschluss, sofern er im Insolvenzplan enthalten ist, Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 4.
73
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
ein funktionstaugliches Sanierungsinstrument wird, andererseits aber die Rechte der Alt-Anteilseigner ausreichend gewahrt werden.405) Denn indem diese als Beteiligte in das Insolvenzplanverfahren eingebunden werden, sollen sie wie die Gläubiger auch Minderheitenschutz genießen und das Recht haben, sich mit Rechtsmitteln gegen den Plan zu wehren.406) Weitergehend ermöglicht § 225a Abs. 3 InsO n. F., dass im Plan jede gesellschaftsrechtlich zulässige Regelung getroffen werden kann. Dabei wird im Gesetzestext insbesondere, aber nicht abschließend, die Fortsetzung der aufgelösten Gesellschaft oder die Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten genannt.407) Hiermit soll nach der Gesetzesbegründung ermöglicht werden, die gesellschaftsrechtlichen Strukturen auch außerhalb des DES „grundlegend umzugestalten und sie den Bedürfnissen des Insolvenzplanverfahrens anzupassen“.408) Der Regelungsbereich der gesellschaftsrechtlich zulässigen Regelungen wird dabei denkbar weit interpretiert: so soll zu den zulässigen Maßnahmen auch die Abberufung des alten und Bestellung eines neuen Aufsichtsrats409) gehören; vom Wortlaut gedeckt wären etwa auch Entscheidungen über die Zusammensetzung des Managements.410)
___________ 405) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 31. 406) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 31 f. Folglich ergeben sich durch die Einbeziehung der Anteilseigner viele Änderungen im Insolvenzplanverfahren, die aber vielfach nur in der Ersetzung des Wortes „Gläubiger“ durch das Wort „Beteiligte“ bestehen. Beteiligte sind dabei regelmäßig die Gläubiger, ggf. Anteilseigner, außerdem Massegläubiger im Fall des Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit, § 210a InsO n. F. 407) Im RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 32 wird dabei davon gesprochen, dass mit „Übertragung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten“ die Übertragung von Beteiligungen des Schuldners an Drittgesellschaften ermöglicht werden soll. In der Literatur wird der Wortlaut dagegen weit ausgelegt und davon gesprochen, dass im Insolvenzplan auch eine Übertragung von Anteilen an der Gesellschaft selbst geregelt werden können, so etwa Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 570 und Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 127; zuletzt wieder Wieneke/ Hoffmann, ZIP 2013, 697, 704, die einen – sehr fragwürdigen – „unechten DES“ vorschlagen. Dies mag vom weiten Wortlaut der Norm gedeckt sein, stellt den Insolvenzplanersteller aber vor immense Probleme: denn wenn er etwa die Herausdrängung der Alt-Anteilseigner mit der Wertlosigkeit derer Anteile begründet, so ist fraglich, warum diese dann übertragen werden können und in der Hand anderer Beteiligter potentiell wieder erstarken. Auch die Kapitalaufbringungsgrundsätze, die letztlich umgangen würden, können hier Probleme bereiten. Der DES, der den vorherigen Untergang der Anteile und die Schaffung neuer Anteile unter maßgeblicher Beachtung der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften vorsieht, steht rechtlich auf eindeutig sichererem Boden. 408) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 32. 409) So im Beispiel von Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 564. 410) Siehe K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 225a Rn. 36; Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 661 (2010) etwa erwähnen, dass im reorganization plan von KMart auch das Recht eines der distressed debt-Fonds enthalten war, vier Vorstände zu benennen.
74
I. Regelungstechnik: Einbeziehung der Anteilseigner als eigene Gruppe
2.
Gruppenbildung
Neben den bereits vorher möglichen Gruppen von Gläubigern411) bilden nunmehr 145 auch die Anteilseigner eine eigene Abstimmungsgruppe (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO n. F.). Diese müssen aber nicht zwingend eine einzige Gruppe bilden. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen mehrere Gruppen von Anteilseignern möglich sein, die auch nicht zwangsläufig gleich behandelt werden müssen: ebenso wie bei den Gläubigern könnten verschiedene Anteilseigner-Gruppen gebildet werden, in denen Anteilseigner mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst werden, solange nur innerhalb dieses Kreises sachgerechte Abgrenzungskriterien im Hinblick auf die wirtschaftliche Interessenlage bestünden.412) Dabei obliegt es dem Planersteller, die Kriterien für die sachgerechte Abgrenzung im Plan anzugeben, § 222 Abs. 2 S. 3 InsO n. F.413) Ausdrücklich genannt wird in § 222 Abs. 3 S. 2 InsO n. F. die Möglichkeit der Bildung einer Gruppe für geringfügig beteiligte Anteilseigner mit einer Beteiligung am Haftkapital von weniger als 1 % oder weniger als EUR 1000. Dies geschieht in Anlehnung an das Aktienrecht414) und soll dabei helfen, der Besonderheit des Einzelfalls Rechnung zu tragen, etwa wenn einem oder mehreren Hauptanteilseignern ein Kreis von Anteilseignern gegenübersteht, deren Anteile sich im Streubesitz befinden.415) Eine fehlerhafte Gruppenbildung stellt damit nunmehr durch ausdrückliche Einfügung in § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO n. F. einen Unterfall des fehlerhaften Planinhalts dar.416) Hierdurch soll erreicht werden, dass
___________ 411) Siehe die Aufzählung in § 222 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO sowie Uhlenbruck/Lüer § 222 Rn. 6 ff.; Details zu den als Vorbild dienenden Regelungen des 11 U.S.C. § 1122 bei H.-F. Müller, S. 290 ff. und N/R/Braun, § 222 Rn. 11 ff., 19 ff. 412) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 31. 413) Dabei gewährt die h. M. dem Planersteller einen gewissen Ermessensspielraum, siehe H.-F. Müller, S. 294. 414) Siehe die vergleichbare Schwelle in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG (anteiliger Betrag von mindestens 1000 Euro). Entsprechend wird davon ausgegangen, dass sich dies auf das Nennkapital bezieht, siehe Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 640. 415) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 31. Da dies bei börsennotierten Aktiengesellschaften oft der Fall sei, nicht aber bei solchen Rechtsträgern, die keine Hauptanteilsinhaber kennen (etwa eingetragene Genossenschaften oder Vereine), soll die Vorschrift nur für Anteilsrechte, nicht aber für Mitgliedschaftsrechte gelten, a. a. O. unter Nr. 16 zu Buchstabe c. 416) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 32; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 513 weisen aber darauf hin, dass mit der in der Gesetzesbegründung zu § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorgenommenen Konkretisierung des Umfangs der Vorprüfung auf offensichtliche Mängel (sowie der Betonung, dass die wirtschaftliche Angemessenheit der im Plan vorgesehenen Regelungen nicht zu überprüfen ist) nunmehr ausdrücklich eine Evidenzkontrolle des Insolvenzgerichts statuiert wird. Zur Grenze zwischen Gestaltung und Manipulation bei der Gruppenbildung siehe Frind, NZI 2007, 374 ff.
75
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
der Richter gerade überprüft, ob die Gruppenbildung sachgerecht erfolgt sei, da hiervon die Abstimmungs-Mehrheitsverhältnisse maßgeblich abhängen.417)
146 Im Kontext der Gruppenbildung im Insolvenzplanverfahren wird dabei die Linie des Gesetzgebers fortgesetzt, möglichst großen Gestaltungsspielraum für flexible Regelungen zu schaffen; der Grundsatz der absoluten Gleichbehandlung aller Gläubiger, im überkommenen Vergleichsrecht noch festgeschrieben in § 8 I VglO, § 181 KO, sollte schon mit Erlass der InsO bewusst aufgegeben werden.418) Dem Planverfasser wurde hiermit die Möglichkeit gegeben, dem bei den Gläubigern in unterschiedlich starkem Maße bestehenden Interesse am Fortbestand des schuldnerischen Unternehmens und der daraus resultierenden, in unterschiedlichem Maße bestehenden Bereitschaft zur Erbringung von Opfern Rechnung zu tragen.419) Teils wird vor diesem Hintergrund aber auch kritisiert, dass diese Flexibilität bzgl. der Anteilseigner nicht in dem selben Maße besteht.420)
147 Die Bildung einer Gruppe der Anteilseigner könnte als Wertungswiderspruch empfunden werden bei Betrachtung der anderen Vorschriften des Insolvenzplanverfahrens zur Gruppenbildung: Denn nach § 225 Abs. 1 InsO gelten die Forderungen der nachrangigen Insolvenzgläubiger als erlassen, wenn im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt ist. Ist dies der Fall, müssen sie nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 InsO auch nicht als eigene Gruppe beteiligt werden. Die Gesetzesbegründung zur InsO aus dem Jahre 1992 begründete dies mit der Verteilungsreihenfolge, nach der die nachrangigen Gläubiger typischerweise nichts erhielten.421) Insofern könnte es nunmehr aber einen Wertungswiderspruch darstellen, zwingend eine Bildung einer Gruppe der Anteilseigner vorzusehen, während die Bildung der Gruppe der nachrangigen Gläubiger nur fakultativ ist, obwohl die nachrangigen Gläubiger in der ___________ 417) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 32. Bereits vorher hatte das LG Berlin entschieden, dass die Gruppenbildung in dem vom Initiator vorgelegten Plan vom Insolvenzgericht nach § 231 I Nr. 1 InsO einer rechtlichen Prüfung unterzogen werden muss, siehe hierzu Smid, NZI 2005, 296, 297 m. w. N.; a. A. Kaltmeyer, ZInsO 1999, 255, 263. 418) So H.-F. Müller, S. 292. 419) H.-F. Müller, S. 292. Dabei können Klein-Gläubiger auch zu 100 % befriedigt werden, a. a. O. S. 299, was den Vorteil hat, dass sie damit nach § 237 Abs. 2 InsO nicht an der Abstimmung teilnehmen. Im US-Recht ist dies gerechtfertigt unter dem Gesichtspunkt der administrative convenience, so etwa in der Entscheidung 203 La Salle, 526 U.S. 434 (1999), wo trade creditors mit 90.000 Dollar voll befriedigt wurden. Aus taktischen Gründen wäre es dem Insolvenzplanersteller aber wohl anzuraten, diese fast vollständig zu befriedigen, um dennoch deren Zustimmung zu erhalten, weil dies für das Zustimmungsquorum der Mehrheit der abstimmenden Gruppen i. S. d. § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO relevant sein kann. Siehe hierzu das Beispiel bei Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 561 und 564 Fn. 51, wo die Kleinstgläubiger 95 % Befriedigung erhalten. 420) Etwa Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 641. 421) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 201: Im Regelfall besteht kein Anlass, den Gläubigern dieser Forderungen im Plan einen Wert zukommen zu lassen, da typischerweise schon die nichtnachrangigen Insolvenzgläubiger keine volle Befriedigung erhalten.
76
I. Regelungstechnik: Einbeziehung der Anteilseigner als eigene Gruppe
Befriedigungsreihenfolge noch vor den Anteilseignern stehen.422) Erklären lässt sich die zwingende Bildung einer Gruppe der Anteilseigner wohl nur damit, dass der Gesetzgeber deren Status offensichtlich nicht nur anhand der Befriedigungsreihenfolge beurteilt, sondern dem besonderen Element der Mitgliedschaft und ggf. dessen verfassungsrechtlichen Schutz Rechnung tragen will.423) Verfahrenstechnisch bedeutet dies, dass die Anteilseigner nunmehr auch nach 148 § 235 Abs. 3 S. 3 InsO n. F. zum Erörterungs- und Abstimmungstermin zu laden sind, sofern ihre Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen sind.424) Die Notwendigkeit einer besonderen Ladung gilt allerdings nicht für Aktionäre oder Kommanditaktionäre, § 235 Abs. 3 S. 3 letzter Halbsatz InsO n. F., was damit begründet wird, dass es sich zumeist um Publikumsgesellschaften handele, deren Anteile breit gestreut sind und bei denen zudem Name und Anschrift der betroffenen Aktionäre gar nicht bekannt seien. Daher sei grundsätzlich ausreichend, wenn diese entsprechend den aktienrechtlichen Vorschriften zur Hauptversammlungsladung durch öffentliche Bekanntmachung des Erörterungs- und Abstimmungstermins nach § 235 Abs. 2 InsO informiert würden.425) Für börsennotierte Gesellschaften (nach der Definition des § 3 Abs. 2 AktG) gilt ferner § 235 Abs. 3 S. 4 InsO n. F., wonach § 121 Abs. 4a AktG entsprechende Anwendung findet und es ausreicht, dass auf der Internetseite der Gesellschaft eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des Plans zugänglich gemacht wird.426) Entsprechendes gilt gemäß § 252 Abs. 2 S. 2 InsO n. F. für die Bekanntgabe der Entscheidung des Gerichts über die Planbestätigung gegenüber den Anteilseignern.427) Während den Anteilseignern im Grundsatz ein Abdruck des Plans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts zu übersenden ist, gilt dies wiederum nicht für Aktionäre oder Kommanditaktionäre (§ 235 Abs. 2 S. 3 InsO n. F.), da diese über ihre Akteneinsichtsrechte vom Planbestätigungsbeschluss und vom Planinhalt Kenntnis nehmen oder sich über die Internetseite informieren können. Eine gesonderte Übersendung sollte auch wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten entbehrlich sein.428)
___________ 422) Dies anführend Büchele, S. 211 f. 423) Zu der Frage der damit einhergehenden Aufblähung des Verfahrens siehe unten § 9. I. und zu der Frage des verfassungsrechtlichen Schutzes unten § 6. 424) Zu der Einladung zur Abstimmung siehe Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 562 Fn. 44 (dies ist Aufgabe des Insolvenzrichters); bei der GmbH ist dies durch das MoMiG erleichtert worden, da nur die zu laden sind, die auf der Gesellschafterliste stehen, § 16 GmbHG; insofern wäre es unschädlich, wenn etwa am Tag vorher die Anteile abgetreten wurden. 425) Siehe RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 33 zu weiteren Details. 426) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 33 mit weiteren Details. 427) Dies gilt auch für die Anberaumung eines gesonderten Abstimmungstermins über den Insolvenzplan, sofern dieser bestimmt wird, siehe § 241 Abs. 2 S. 2 – 4 InsO n. F. 428) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 35.
77
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
3.
Abstimmung innerhalb der Gruppen
149 Die Abstimmung über den Insolvenzplan findet nach § 243 InsO gesondert innerhalb der einzelnen Gruppen statt. Für die Abstimmung innerhalb der Gläubigergruppen hat sich in den Regelungen der §§ 237, 238 und § 244 Abs. 1 InsO nichts verändert. Ein Plan gilt innerhalb einer Gläubigergruppe weiterhin als angenommen, wenn die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger nach Köpfen und nach Anspruchssumme zugestimmt hat. Allerdings stellt § 225a Abs. 2 S. 1 InsO n. F. für den Fall eines DES klar, dass die Umwandlung einer Forderung gegen den Willen des betroffenen Gläubigers ausgeschlossen ist. Das Mehrheitsprinzip gilt somit nicht für die Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital. Dies gilt wiederum nicht für Gläubiger, deren Forderung gegen die Gesellschaft aus einer Schuldverschreibung aus Gesamtemission resultiert, die unter das SchVG fällt: hier existiert eine solche Mehrheitsherrschaft innerhalb einer Gesamtheit von Gläubigern, bei denen etwa Anleihengläubiger zwangsweise in die Anteilseignerrolle gedrängt werden können nach § 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG.429) Dieser Mehrheitsbeschluss gilt auch in der Insolvenz und ersetzt die erforderliche Zustimmungserklärung eines jeden umwandelnden Gläubigers nach § 230 Abs. 2 InsO.430)
150 Durch die Einbeziehung der Anteilseigner in das Plan-Abstimmungsverfahren wurden allerdings weitere Regelungen nötig. So reicht bei der Abstimmung innerhalb der Anteilseignergruppe aus, dass die Summe der Beteiligungen der zustimmenden Anteilseigner mehr als die Hälfte der Summe der Ansprüche der abstimmenden Anteilseigner beträgt, § 244 Abs. 3 InsO n. F. Eine zusätzliche Mehrheit nach Köpfen der abstimmenden Anteilseigner ist, anders als bei den Gläubigern nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dagegen nicht nötig.431) Nach Ansicht des Gesetzgebers würden sich hier die Wertungen des Gesellschaftsrechts durchsetzen, das eine Beschlussfassung in der Regel durch die Mehrheit des Kapitals zulässt.432)
151 Dies trifft allerdings nur teilweise zu. Gesellschaftsrechtliche Vorgaben werden hierdurch gerade insofern abgeändert, als dass nunmehr auch für strukturändernde Maßnahmen, die an sich einer ¾-Mehrheit bedürfen, auch die einfache Mehrheit der abstimmenden Anteilseigner ausreicht. Hinzu kommt, dass gesellschaftsvertraglich vereinbarte Stimmrechtsregelungen gänzlich ignoriert werden: das Stimmrecht der Anteilseigner bestimmt sich nach § 238a Abs. 1 InsO n. F. allein nach deren ___________ 429) Schuster/Westphal, DB 2011, 221, 227 zur Wirkung im Rahmen des KredReorgG. Zu § 7 SchVG und dem zeitlichen Problem bei Bestellung eines gemeinsamen Vertreters siehe Braun/ Braun-Frank, § 225a Rn. 20. Siehe auch Stellungnahme von Pleister zum ESUG, S. 3 und 14. 430) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 31. 431) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 34. Für eine Mehrheit der Stimmen neben der Mehrheit der Kapitalbeträge noch Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 549 f. 432) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 34.
78
I. Regelungstechnik: Einbeziehung der Anteilseigner als eigene Gruppe
Beteiligung am gezeichneten Kapital bzw. Vermögen des Schuldners. Dabei bleiben nach § 238a Abs. 1 S. 2 InsO n. F. Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- und Mehrstimmrechte ausdrücklich außer Betracht.433) Begründet wird dies damit, dass in der Insolvenz lediglich noch die Kapitalbeteiligung relevant sein kann.434) Selbst wenn kein einziger Alt-Anteilseigner einer Gruppe sich an der Abstimmung beteiligt435), so schadet dies nicht, da in diesem Fall nach § 246a InsO n. F. die Zustimmung dieser Gruppe als erteilt gilt. Das Ausreichen der Summenmehrheit nach Kapitalbeteiligung wird dabei als zu- 152 sätzlicher Beleg angesehen, dass Mitverwaltungsrechte der Anteilseigner kaum noch eine Rolle spielen würden.436) Hierfür wird auch verwiesen auf die ähnliche Norm des § 33b WpÜG.437) Diese „Gleichschaltung“ könnte auch damit gerechtfertigt werden, dass ähnliches auch mit den Forderungen der Gläubiger geschieht. Sofern keine Sicherungsrechte bestehen, sondern ähnliche vertragliche Rechte, sind diese irrelevant: in der Insolvenz werden alle Forderungen zu „regulären“ Forderungen.438)
4.
Erweiterung des Obstruktionsverbots auf Anteilseigner
Eine der entscheidenden Neuerungen des ESUG ist die Erweiterung des Obstruk- 153 tionsverbots auf die Anteilseigner in Abs. 3 n. F. des § 245 InsO. Dies ist nötig, da die Anteilseigner nunmehr Beteiligte des Insolvenzplanverfahrens sind und mit mehrheitlicher Ablehnung innerhalb ihrer Gruppe sonst jeden Plan blockieren könnten, der in ihre Rechte eingreift. Würde es allein hierbei verbleiben, so hätte sich aber an der vorherigen Blockademöglichkeit kaum etwas geändert, außer dass es nun mehr als der Hälfte der anwesenden Stimmrechte bedurfte, während nach ___________ 433) Anders noch der Vorschlag von Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1528: auf die nach der Satzung bestehenden Stimmrechte könne Bezug genommen werden. 434) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 33. Zu Problemen bei der Feststellung des Stimmrechts bei der AG siehe Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 562 Fn. 44. Dies führt allerdings nicht zu einer Veränderung der für die Regelungen des WpHG oder WpÜG relevanten Stimmrechtsverhältnisse, siehe Simon, CF 2010, 448, 449. Zwischen den Stimmrechten kann noch differenziert werden: sofern einige Anteilsrechte nicht beeinträchtigt sein sollten, kommt diesen durch den Verweis in § 238a Abs. 2 InsO n. F. auf § 237 Abs. 2 InsO auch kein Stimmrecht zu. 435) Was oft der Fall sein kann, weil der Insolvenzplan mangels Werthaltigkeit der Anteile diese gänzlich untergehen lässt und den Alt-Anteilseignern nichts zuwendet und diese folglich nur ein geringes Interesse an der Abstimmung haben werden, siehe RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 34. Ähnliches galt schon vorher für die Gruppen der nachrangigen Insolvenzgläubiger nach § 246 InsO. 436) So Spliedt, GmbHR 2012, 462, 469. 437) Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 640. Nach § 33b WpÜG kann die Satzung einer Gesellschaft vorsehen, dass unter gewissen Umständen für den Fall eines Übernahmeangebots Übertragungsbeschränkungen und Stimmrechtsverträge nicht gelten und Mehrstimmrechtsaktien nur zu einer Stimme berechtigen. 438) Zur vergleichbaren Regelung im amerikanischen Recht siehe Baird/Rasmussen, 119 Yale L. Rev. 648, 663 (2010).
79
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
früherem Recht eine hold-out-Position bereits bei Innehaben von ¼ der anwesenden Stimmrechte bestand. Daher hat es der Gesetzgeber für nötig befunden, das Obstruktionsverbot auszuweiten: Dabei wird die Grundstruktur des § 245 Abs. 1 InsO beibehalten, der die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe fingiert, sofern (1.) die Angehörigen dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, also sie ohne Plan stünden, (2.) eine angemessene Beteiligung am wirtschaftlichen Wert gegeben ist und (3.) die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mehrheitlich zugestimmt hat.439)
154 Nunmehr wird in dem neuen Abs. 3 auch die angemessene Beteiligung i. S. d. Abs. 1 Nr. 2 für die Gruppe der Anteilseigner definiert. Diese soll zum einen vorliegen, wenn kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, Abs. 3 Nr. 1. Hiermit soll verhindert werden, dass die Gläubiger durch den Insolvenzplan mehr erhalten, als ihnen ohne Insolvenz zustehen würde. Zum anderen liegt eine angemessene Beteiligung vor, wenn kein rechtlich gleichgestellter Anteilsinhaber durch den Plan besser steht als die Anteilsinhaber der mehrheitlich ablehnenden Gruppe, Abs. 3 Nr. 2. Als Beispiel hierfür wird in der Gesetzesbegründung davon gesprochen, dass dies erfüllt sei, wenn die Anteilseigner aus der Gruppe der geringfügig beteiligten Anteilsinhaber i. S. v. § 222 Abs. 3 S. 2 InsO n. F. mehr erhalten als die übrigen Anteilsinhaber.440)
a) Grundgedanke des Obstruktionsverbots 155 Grundidee der InsO für Planannahme und Planbestätigung ist, dass die einzige Schranke der Gestaltungsfreiheit die Gleichstellung der Beteiligten mit dem hypothetischen Liquidationsfall sein soll.441) Dies kommt insbesondere in den Rechtschutzregelungen der §§ 251 und 253 InsO zum Ausdruck. In der Idee des Chapter 11 ist der ausgefertigte Insolvenzplan das einstimmige Ergebnis der Verhandlungen der Beteiligten untereinander. Die Prämisse, dass der Plan zwischen den Parteien auszuhandeln ist, soll insbesondere auch dem Zweck dienen, in der Insolvenz Wertverschiebungen zu Gunsten einzelner Beteiligter zu verhindern, die ansonsten auf-
___________ 439) Die deutsche Regelung belässt es dann aber auch bei diesem Obstruktionsverbot. Eine Regelung, wonach das Stimmrecht bei bad faith verwirkt wird, wurde nicht übernommen. Eine solche kennt etwa 11 U.S.C. § 1126(e): “the court may designate any entity whose acceptance or rejection of such plan was not in good faith (…)“. 440) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 34. 441) Stürner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 46. Der Maßstab, dass man zumindest das erhalten sollte, was im Fall der Liquidation zu erhalten wäre, war von der Kommission für Insolvenzrecht und der Literatur noch verworfen worden mit dem Verweis auf die Schwierigkeiten der Bewertung. Sie hatten stattdessen darauf gesetzt, dass ein Sanierungsplan, der nicht wenigstens den Liquidationswert bietet, nicht die nötigen Mehrheiten finden würde, siehe Flessner, ZRP 1982, 244, 247 m. w. N.
80
I. Regelungstechnik: Einbeziehung der Anteilseigner als eigene Gruppe
grund von Informationsdefiziten ermöglicht werden könnten.442) Hierbei sollen insolvenzrechtliche Regeln diesen Verhandlungsprozess im Grundsatz so wenig wie möglich behindern; die „bestmögliche Verwertung soll im Verfahren durch Wettbewerb entdeckt und realisiert werden.“443) Dieses Prinzip wird aber dann zurückgenommen, wenn eine Einigung mit allen Beteiligten trotz Verhandlungen letztlich nicht zustande kommt und daher eine Entscheidung durch das Insolvenzgericht nötig wird. Es soll dabei ein Missbrauch der Machtstellung verhindert werden, die den Gruppen durch ihre zunächst bestehende Veto-Position zukommt und die dazu genutzt werden könnte, ungerechtfertigte Sondervorteile zu erzwingen.444) Zugleich gilt aber die Prämisse, dass die Gläubiger hierdurch nicht übervorteilt werden dürfen. Der Maßstab, als eine Art Untergrenze, ist stets das, was die Gläubiger bei der Liquidation erhalten würden. Dies ergibt sich aus § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Dabei bleibt das Obstruktionsverbot aber nicht stehen. Hinzu kommt noch, dass auch andere Gruppen nicht mehr erhalten dürfen, als ihnen eigentlich zustünde, was in § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO i. V. m. Abs. 2 bzw. 3 (angemessene Beteiligung) geregelt wird.445) Ursprünglich bekannt als „Schikaneverbot“, soll die Existenz des Obstruktionsver- 156 bots bereits im Vorhinein disziplinierende Wirkung besitzen für potentiell obstruierende Beteiligte. So dient auch das Chapter-11-Vorbild des cram-down dazu, den Einigungsdruck zu erhöhen und zur Konsensförderung beizutragen.446) Hierin zeigt sich zugleich die verhaltenssteuernde Funktion des Obstruktionsverbots.447)
___________ 442) Drukarczyk, ZIP 1989, 341, 342. Solche Wertverschiebungen werden in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion zumeist als „Reichtumsverschiebungen“ bezeichnet (a. a. O. S. 342), weshalb dieser Begriff auch hier zukünftig verwendet werden wird. 443) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 76. 444) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 79; Gottwald/Koch/de Bra, InsR-Hdb, § 66 Rn. 13 und § 68 Rn. 54; der Erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht hatte noch ein InsolvenzplanAbstimmungsverfahren vorgesehen, das voll darauf setzte, dass die durch Koalitionsbildung, Informationsverzerrung oder strategischem Verhalten entstehenden Konflikte zwischen den verschiedenen abstimmungsberechtigten Gruppen allein durch die Verhandlung des Plans gelöst werden könnte. So sah der Erste Bericht auch weniger Möglichkeiten vor, die Zustimmung einzelner Gruppen zu ersetzen, woraus ein faktisches Vetorecht jeder Gruppe resultierte, da die Zustimmung jeder Gruppe zur Planannahme nötig war, siehe Drukarczyk, ZIP 1989, 341, 349. Dieses Vetorecht war allerdings nicht absolut; wie bereits dargestellt, sollte bei obstruierenden Anteilseignern die Möglichkeit bestehen, diese per Gerichtsbeschluss gänzlich aus der Gesellschaft auszuschließen, siehe oben bei § 4. II. 1. a). 445) Umfassend zum Zweck des Obstruktionsverbots Gottwald/Koch/de Bra, InsR-Hdb, § 68 Rn. 49 ff. 446) Klee, 53 Am. Bankr. L.J. 133, 134 (1979). 447) Siehe Drukarczyk, ZIP 1989, 341 zu den Vorarbeiten der economic analyis of law; detailliert auch Schiessler, S. 171.
81
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
b) (Generelle) Kritik an der Konzeption des Obstruktionsverbotes 157 Das Obstruktionsverbot ist dabei nicht ohne Kritik geblieben: Nach Stürner liege ihm die Konzeption zugrunde, dass die Rechtswahrnehmung durch ablehnende Gläubiger dort ihre Grenze finde, wo der Gläubiger448) einen Wert erhält, der höher ist als der, der ihm bei Liquidation zufallen würde. Er wies diesbezüglich darauf hin, dass es auch andere (beachtenswerte) Motive für die Wahrnehmung seiner Rechte geben könnte.449) Setze man den Liquidationswert als Maßstab der Rechtswahrnehmung an, so würde dies unreflektiert den Grundfehler der allzu vorbehaltlos akzeptierten ökonomischen Analyse einschleppen. Dieser Grundfehler sei die Verkürzung des Rechtsgedankens auf die Wertrealisierung.450)
158 Diese Kritik ist als Grundsatzfrage sicher nicht unberechtigt, allerdings stellt sich die Frage, ob sie in diesem konkreten Fall angebracht ist. Denn wo, wenn nicht im Insolvenzverfahren, geht es mehr um Wertrealisierung? Erklärtes Ziel der InsO ist die bestmögliche Gläubigerbefriedigung, wie sich bereits aus § 1 InsO ergibt. Damit ist es folgerichtig, dass derjenige nicht blockieren können soll, der durch den Plan nicht schlechter gestellt wird. Hinzu kommt, dass § 245 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. den Absätzen 2 und 3 InsO sogar zusätzliche Voraussetzungen aufstellen, die den einzelnen Beteiligten unmittelbar eigentlich gar nicht betreffen, aber dennoch eine generelle Idee der Verteilungsgerechtigkeit hinsichtlich des Insolvenzvermögens verkörpern.451)
c)
Übertragbarkeit des Grundgedankens auf Anteilseigner
159 Es könnte allerdings gefragt werden, ob dieses Konzept nur zwischen Gläubigern gelten kann oder ob es auch auf das Verhältnis zwischen Gläubigern und Anteilseignern übertragbar ist. Gegen eine Übertragbarkeit könnte sprechen, dass es hier nicht bloß um eine schuldrechtliche und damit zumeist rein wirtschaftlich geprägte Position wie die Gläubigerstellung geht, sondern um die Anteilseignerstellung, die ___________ 448) Selbiges gilt nach dem neuen § 245 Abs. 3 InsO für die Anteilseigner. 449) Etwa dass ein Gläubiger einem sich als Konkurrenz etablierenden Unternehmen nach Änderung der Produktpalette nicht unfreiwillig einen Kredit geben wolle oder etwa dass ein öffentlich-rechtlicher Gläubiger im Sanierungsunternehmen eine verfehlte Marktstruktur verkörpert sehe, die er nicht auch noch unterstützen möchte, siehe Stürner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 46. 450) Stürner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 46. 451) §§ 251, 153 InsO werden als primäre Ausprägung des Pareto-Optimums gesehen, nach dem dies die Allokation ist, bei der kein Beteiligter schlechter steht, zumindest eine Person aber besser: Vergleichsgröße ist das, was der Einzelne im Regelverfahren erhalten würde. Dies besagt aber noch nichts über die konkrete Verteilung des durch die Reorganisation generierten Mehrwerts; dies erreicht erst § 245 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 und 3, weil hier unter mehrere Pareto-effizienten Lösungen geschaut wird, welche die Verteilungsgerechtigkeit am ehesten berücksichtigt, siehe hierzu näher Spetzler S. 143; Gottwald-Koch/de Bra, InsR-Hdb, § 66 Rn. 15 f. und § 68 Rn. 49 f.; MüKo-InsO/Eidenmüller, Vor §§ 217 bis 269, Rn. 24 ff.
82
I. Regelungstechnik: Einbeziehung der Anteilseigner als eigene Gruppe
neben der wirtschaftlichen Komponente auch eine mitgliedschaftsrechtliche Dimension beinhaltet. Dies könnte es verhindern, ihre Interessen den rein wirtschaftlichen Gläubigerinteressen zu unterwerfen. Wenn aber andererseits mit der Konzeption des ESUG die Anteilseigner nunmehr 160 als Beteiligte des Insolvenzplanverfahrens angesehen werden, die grundsätzlich gemeinsam über die Verwertung entscheiden, so werden sie eingereiht in die insolvenzrechtliche Hierarchie, der sie sich durch Kreditaufnahme immerhin unterworfen haben.452) In dieser Hierarchie stehen die Anteilseigner an letzter Stelle. Dies stellt keine willkürliche Entscheidung des Gesetzgebers dar, sondern ist begründet in der bereits vor der Insolvenz begründeten, freiwillig eingegangenen hierarchischen Struktur. Diese wird durch die Insolvenz als Fluchtpunkt determiniert. Würde dieser Vorrang der Gläubiger nicht garantiert und deren Position somit Beschränkungen unterworfen werden zugunsten der Anteilseigner, so könnte dies seine Schatten voraus werfen und die Kreditvergabe verteuern oder etwa den Einsatz von Lieferantenkrediten einschränken. Das Obstruktionsverbot daher mit Hinweis auf die faktische Entmachtung der Gesellschafter einschränken zu wollen,453) würde deren Position ohne Grund stärken. Hierfür bedürfte es der Identifizierung eines unantastbaren Kernbereichs, wie er teilweise ausgemacht wird.454) Wer diesen aber nicht derart geschützt sieht, kann an einem so formulierten Obstruktionsverbot kaum etwas kritisieren. Dies zeigt sich gerade in dem Vergleich mit der übertragenden Sanierung. Wer die Gefahr höherer Kreditkosten verneinen will mit Verweis darauf, dass ja die übertragende Sanierung möglich ist, gesteht gerade ein, dass eine Ungleichbehandlung kaum vermittelbar wäre. Daher ist das Obstruktionsverbot im Ergebnis – auch von seiner Ausgestaltung her – sinnvoll.
d) Faktisch geringer Einfluss der Anteilseigner als Folge des Obstruktionsverbots? Berechtigte Folgefrage könnte dann aber sein, worin die Mit-Entscheidung der Alt- 161 Anteilseigner dann überhaupt noch besteht. So wurde in Anbetracht der vergleichsweise geringen Anforderungen des Obstruktionsverbots die Möglichkeit der Mitentscheidung der Alt-Anteilseigner über den Insolvenzplan in der ESUG-Diskussion u. a. als „euphemistisch“ bezeichnet.455) Man solle das Kind lieber offen beim Namen nennen und sagen, dass hiermit die Anteilseigner hineingezwungen würden in das Insolvenzplanverfahren, das aber gläubiger- und unternehmensorientiert sei.456) ___________ 452) So bereits Bitter, ZGR 2010, 147, 194; Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1524; Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657. 453) So insbesondere Madaus, ZGR 2011, 749. 454) Siehe unten bei § 6. IV. 3. d) im Rahmen der Art. 9 GG-Diskussion. 455) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607; zustimmend Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 9. 456) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607.
83
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
Es bleibe im Dunkeln, welches Recht der Mitentscheidung den Gesellschaftern überhaupt noch bliebe.457) Aufgrund des Obstruktionsverbots in Verbindung mit dem Ansetzen von Liquidationswerten458), das den Anteilseignern gegenüber regelmäßig greifen würde, würde den Anteilseignern kein „effektives Stimmrecht“ in Bezug auf den Insolvenzplan zukommen459), ihre Partizipation wäre de facto unerheblich und würde zur reinen Fiktion.460) Im „rechtspraktischen Ergebnis“ sei die Durchführung eines DES im Rahmen eines Insolvenzplans unabhängig von der Zustimmung der Alt-Gesellschafter.461)
162 Dieser Aussage muss im Grundsatz zugestimmt werden; das Ergebnis würde sich allein dann anders darstellen, wenn sich ein anderes Ergebnis durch faktische Umstände, etwa Verzögerungsmöglichkeiten durch Rechtsmittel, ergeben würde (siehe sogleich IV. und unten § 9. I.). Dieser faktisch geringe Einfluss der Alt-Anteilseigner ist aber, wie vorlegend dargelegt, aufgrund der insolvenzrechtlichen Befriedigungsreihenfolge im Grundsatz gerechtfertigt.
e)
Formulierung des Obstruktionsverbots
163 Zunächst müssten die einzelnen Voraussetzungen des § 245 InsO aber auch erfüllt sein. In diesem Kontext wäre zu fragen, ob der Beteiligung der Alt-Anteilseigner eine kontrollierende Funktion zukommen könnte.
aa) § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. 164 Fragen könnte nämlich die Formulierung in § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. aufwerfen, wonach eine angemessene Beteiligung auch der Anteilseigner dann vorliegt, wenn kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen. Es könnte die Frage gestellt werden, was es den Anteilseigner interessiert, ob ein einzelner Gläubiger mehr als 100 % erhält, sofern dies einzig zu Lasten anderer Mitgläubiger geht, weil eine 100 %-ige Befriedigung der gesamten Gläubigerschaft nicht erfolgt? Zudem könnte darauf verwiesen werden,
___________ 457) Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 9. 458) Bzw., nach hier vertretener Ansicht, auch Fortführungswerte ohne Berücksichtigung der von Gläubigern erbrachten Sanierungsmaßnahmen, siehe unten § 10. II. 459) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125. 460) Madaus, ZGR 2011, 749, 755; K. Schmidt, ZIP 2012, 2086, 2086. 461) Hölzle, KTS 2011, 291, 322.
84
I. Regelungstechnik: Einbeziehung der Anteilseigner als eigene Gruppe
dass dies bereits durch Abs. 2 Nr. 1 des § 245 InsO sichergestellt wird, der zwischen den Gläubigern gilt.462) Die Formulierung könnte aber damit gerechtfertigt werden, dass es als eine allge- 165 meine Rechtskontrolle begriffen wird: wenn eines der Ziele des Insolvenzplanverfahrens ist, keine ungerechtfertigten Wertverschiebungen zugunsten einzelner Beteiligter stattfinden zu lassen, so sind alle Gruppen aufgerufen, diese zu verhindern. Je nach Struktur der Gesellschaft könnten hierfür gerade die Alt-Anteilseigner qualifiziert sein, weil sie über den Zustand der Gesellschaft und seine maßgeblichen Vermögenswerte am besten Bescheid wissen und unverdiente Wertverschiebungen somit identifizieren können. Jedoch könnte fraglich sein, warum den Anteilseignern diese „Wächter“-Rolle zu- 166 kommen sollte, wenn sie hierdurch persönlich nicht betroffen werden. Dafür würde sprechen, dass dies die effektivste Gewährleistung der par condicio creditorum darstellen würde. Sonst könnten nämlich bei prognostizierbaren Abstimmungsmehrheiten in den Gläubigergruppen463) eine Ungleichbehandlung der Gläubiger hinsichtlich des durch die Reorganisation generierten Mehrwerts vorgenommen werden, die nach §§ 251 oder 253 InsO durch die in den Gruppen überstimmten Gläubiger nicht rügbar wäre, solange die benachteiligten Gläubiger nur mehr bekommen, als sie ohne Plan erhielten. Hier bietet auch § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO keinen Schutz, da diese Regel nur greift, wenn die Gruppe mehrheitlich abgelehnt hat. Weist der Plan dagegen etwa den Planmehrwert allein einigen Gläubigergruppen zu, ohne dass hierdurch die Minderheit in einer anderen Gläubigergruppe weniger erhält als im Liquidationsszenario, so bestünde eine Schutzlücke.464) Diese wird ___________ 462) Auch das US-Recht kennt in den dortigen cram down rules keine derartige Berücksichtigung der Gläubigerzuwendungen, sondern stellt allein auf die Anteilseigner untereinander sowie ihren Rang zu (noch) niedrigeren Beteiligten ab: 11 U.S.C § 1129(b) lautet: (1)(…) the court, on request of the proponent of the plan, shall confirm the plan notwithstanding the requirements of such paragraph if the plan does not discriminate unfairly, and is fair and equitable, with respect to each class of claims or interests that is impaired under, and has not accepted, the plan. (2) For the purpose of this subsection, the condition that a plan be fair and equitable with respect to a class includes the following requirements: (A) (…) (B) (…) (C) With respect to a class of interests – (i) the plan provides that each holder of an interest of such class receive or retain on account of such interest property of a value, as of the effective date of the plan, equal to the greatest of the allowed amount of any fixed liquidation preference to which such holder is entitled, any fixed redemption price to which such holder is entitled, or the value of such interest; or (ii) the holder of any interest that is junior to the interests of such class will not receive or retain under the plan on account of such junior interest any property. 463) Etwa Existenz einiger Großgläubiger oder die Existenz vieler offensichtlich desinteressierter Kleingläubiger. 464) Siehe hierzu auch Spetzler, S. 144.
85
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
geschlossen, indem auch eine Mehrheit der Anteilseigner – obwohl nicht persönlich hierdurch betroffen – einen Plan verhindern können, der einzelne Gläubiger über Gebühr bevorteilt.465)
167 Andererseits könnte die Gefahr in den meisten Fällen der Insolvenz als gering eingeschätzt werden, weil kaum jemals eine 100 %-ige Befriedigung möglich erscheint: die Gläubiger werden regelmäßig eine beachtliche Kürzung ihrer Forderungen hinnehmen müssen. Die umwandelnden Gläubiger erhalten zwar Anteile, bei deren Bewertung zu Verkehrswerten werden aber auch diese kaum eine 100 %ige Befriedigung ermöglichen, weil eine Befriedigung erst über Zeit über Dividenden oder Wertsteigerungen erfolgen kann. Eine über 100 % liegende Befriedigung wäre allein denkbar bei einem gesicherten Gläubiger, dem im Tausch gegen seine Forderung alle oder der Großteil der neuen Anteile zufallen; hierdurch würde es ihm gelingen, den Unternehmens- bzw. Geschäftswert (good will) – der eigentlich den ungesicherten Gläubigern zusteht466) – für sich zu beanspruchen und in Form der werthaltigen Anteile auch kurz nach Planverfahrensabschluss zu realisieren.467) Damit könnte er im Ergebnis wirtschaftliche Werte erhalten, die i. S. v. § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen.
168 Bei Durchführung eines DES könnten Anteilseigner im Einzelfall somit argumentieren, dass umwandelnde Gläubiger mit dem hierfür gewährten Anteil mehr erhalten, als ihnen zusteht. Daher stellt sich die Frage, wie der darin liegende „wirtschaftliche Wert“ zu ermitteln ist. In der neueren Kommentarliteratur wird dabei darauf abgestellt, dass die Beteiligung am Unternehmen auf Basis des Unternehmenswertes vor Insolvenzplansanierung zu ermitteln ist, die regelmäßig einen niedrigen wirtschaftlichen Wert ergibt.468) Dem ist zuzustimmen.469) Zudem ist darauf zu verweisen, ___________ 465) Die Schutzlücke besteht indessen dann fort, wenn auch mit kompletter Zuweisung des Fortführungsmehrwerts an eine einzige Gruppe diese zwar besser befriedigt wird als bei gleichmäßiger Aufteilung des Fortführungsmehrwerts unter allen Gläubigern, aber dennoch unter 100 % Befriedigung verbleibt. Siehe hierzu umfassend die Abwägung unter § 9. III. 3., wo es um die Frage des Missbrauchs durch einen Großgläubiger geht. 466) Da dieser zumeist nicht als Sicherheit zugunsten gesicherter Gläubiger genutzt werden kann. 467) Dieses Szenario angeschnitten bei Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 19 f.; dies gelingt dem Großgläubiger aber nur, wenn ein ihm gesonnener Insolvenzverwalter mitspielt. Ob dieses Risiko sich mit der Möglichkeit der Insolvenzverwalterwahl durch das ESUG drastisch erhöht hat, wird die Praxis zeigen, siehe hierzu näher unten § 9. III. 3. 468) So Braun/Braun/Frank, § 245 Rn. 20: Wert des dem Gläubiger zuwachsenden „Gesellschaftsanteils“ ist der Zerschlagungswert des Regelverfahrens. 469) Hier müsste noch erwähnt werden, dass dies auch kein Widerspruch darstellt zur Annahme eines Fortführungswerts unter Einbeziehung von Sanierungsmaßnahmen bei der Forderungsbewertung (siehe unten § 10. III). Dort geht es maßgeblich um Neugläubigerschutz; AltAnteilseigner sind nicht berührt, da ihre Anteile untergehen. Im hiesigen Kontext des § 245 InsO geht es um die angemessene Beteiligung der Alt-Anteilseigner, die aber auf die Situation bei Verfahrenseröffnung abstellen muss, da ansonsten Sanierungsmaßnahmen zugunsten der Alt-Anteilseigner berücksichtigt würden, obwohl diese keine Sanierungsleistungen erbringen.
86
I. Regelungstechnik: Einbeziehung der Anteilseigner als eigene Gruppe
dass mit dem Eintauschen der Gläubiger- in die Anteilseignerstellung ein Gang in den Nachrang (im Fall einer erneuten Insolvenz) verbunden ist, der den Wert dieser Anteilsstellung aus der Perspektive des § 245 InsO bereits stark verringert. Eine zukünftige Dividendenfähigkeit ist dagegen mit einem starken Risiko belastet, die den wirtschaftlichen Wert des Anteils schwächen. Daher dürfte es in den allermeisten Fällen ausgeschlossen sein, dass umwandelnde Gläubiger durch den DES wirtschaftliche Werte erhalten, die den vollen Betrag ihres Anspruchs übersteigen.470) Handelt es sich um einen gesicherten Gläubiger, bei dem die Gefahr besteht, dass er – wie oben beschrieben – durch Aneignung des gesamten good will überkompensiert wird, so ist hier die „Wächter“-Stellung des Anteilseigners sogar hilfreich.471)
bb) § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO n. F. Ähnlich stellt sich das Problem bei Abs. 3 Nr. 2, wonach die Besserstellung gleich- 169 gestellter Anteilsinhaber einer anderen Gruppe unzulässig ist. Simon äußerte die Kritik, dass hierdurch unterschiedliche Sanierungsbeiträge unterschiedlicher Anteilsinhaber den Plan zum Scheitern bringen könnten, obwohl es hierfür ggf. Gründe gebe.472) Es wäre daher sachgerechter gewesen, den Abs. 3 Nr. 2 InsO n. F. ganz zu streichen und solche Anteilseigner auf ihren Entschädigungsanspruch zu verweisen, anstatt ihnen Blockadepotential zu geben, indem ihnen gegenüber das Obstruktionsverbot nicht wirken könne. Nicht ganz so weit gingen Hirte/Knof/ Mock473), die in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machten, dass sich diese pauschale Regelung sanierungshemmend auswirken könnte, wenn Sanierungsbeiträge einzelner Anteilseigner unterschiedlicher Art im Plan vorgesehen würden und einigen Anteilseignern in dieser Folge für das Eingehen eines höheren Risikos ein Sanierungsbonus in Aussicht gestellt würde. Andere Anteilseigner, denen ein geringeres Risiko aufgebürdet wird, das aber auch keinen Sanierungsbonus beinhaltet, könnten dann ihre Zustimmung verweigern und damit den Plan zum Scheitern bringen. Das US-Recht sei diesbezüglich flexibler und beweise mehr Augenmaß, wenn dort lediglich verlangt werde, dass keine unfair discrimination gegeben sei.474) Diese starre Regelung könne nach Hirte/Knof/Mock aber ggf. umgangen werden, indem „hinsichtlich der Frage nach der Besserstellung eines An___________ 470) Dies ist grundsätzlich auch nicht anders im Fall eines eigentlich profitablen Unternehmens, das missbräuchlich in die Insolvenz geschickt wurde; hier steht den Anteilseignern lediglich ein Entschädigungsanspruch zu Fortführungswerten (als F(oS)) zu, siehe unten § 10. III. zur Anteilsbewertung. Verhindern können sie den DES mit Verweis auf die Werthaltigkeit ihrer Anteile aber nicht. 471) Dann besteht nur das Problem, ob für den Anteilseigner ein Anreiz zur Offenlegung des Missbrauchs besteht, wenn seine Anteile eindeutig wertlos sind und durch den Missbrauch somit nur ungesicherte Gläubiger geschädigt würden. 472) Simon, CF 2010, 448, 457. 473) Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 641. 474) Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 641; Uhlenbruck/Lüer, § 245 Rn. 32.
87
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
teilsinhabers auf seine Partizipation am Sanierungserfolg nach der Beteiligungsquote ‚ohne einen Plan‘ abzustellen (sei), also nicht (auf) die Beteiligungsquote nach Sanierung und mithin nach Leistung des Sanierungsbeitrags wie z. B. einer Anteilsübertragung oder einer Kapitalherabsetzung. Das liefe dann im Ergebnis auf ein Gebot der Gleichbehandlung als Maßstab hinaus, nach dem wesentlich Gleiches nicht ungleich behandelt werden darf, so dass die Übernahme eines erhöhten Sanierungsrisikos entsprechend prämiert werden könnte.“475) Eine solche Auslegung erscheint nicht abwegig; es muss aber auch beachtet werden, dass hiermit die Gefahr einhergeht, dass sich etwa Mehrheitseigner aufgrund von Informationsasymmetrien eine bessere Position verschaffen, dies aber schwer zu identifizieren wäre. Auch ist darauf hinzuweisen, dass eine Flexibilisierung durch Verwendung eines unfair discrimination standard im Zweifel weitere Unsicherheit schaffen würde, als wenn es bei einer solchen starren Regelung belassen wird. Jedenfalls betrifft dies lediglich Randprobleme, da schon fraglich ist, worin ein Sanierungsbeitrag bzw. Sanierungsrisiko überhaupt bestehen soll, wenn – wie durchgehend in der vorliegenden Untersuchung – davon ausgegangen wird, dass die bisherigen Anteile per Kapitalherabsetzung auf Null gänzlich eliminiert werden, um deren Wertlosigkeit Rechnung zu tragen.476) Im Gegenzug wird auch eine Zuwendung an die Anteilseigner kaum jemals gewährt werden; geschieht dies aber trotzdem und scheitert der Plan deswegen nicht schon an § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO, so liegt der seltene Fall vor, dass die Gläubiger zu 100 % befriedigt wurden.477) Dass dann zu-
___________ 475) Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 641. 476) In einer Barkapitalerhöhung der Alt-Anteilseigner mit frischem Kapital kann dagegen kein Sanierungsbeitrag bestehen, der unter § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO fallen würde; falls den AltEignern ein solches Bezugsrecht überhaupt zustehen sollte, was bereits fraglich ist, so müsste es jedenfalls allen Alt-Eignern zustehen, weshalb nicht ausübende Alt-Eigner einen Plan nicht mit Verweis auf Abs. 3 Nr. 2 scheitern lassen dürften. Ein Verstoß gegen das Verbot der Nachschusspflicht könnte jedenfalls mit Verweis auf die Grundsätze der BGH-Entscheidung „Sanieren oder Ausscheiden“ (BGH, NJW 2010, 65) verneint werden. 477) Zwar hat die US-amerikanische Praxis gezeigt, dass letztlich doch oft Zuwendungen an die Anteilseigner ergingen, obwohl diese keinen Anspruch darauf hatten (s. u. § 9. I. 2. im Rahmen des pre-emptive cram down). Mit den Regelungen des Sicherheitsfonds könnte diese aus einem reinen zeitlichen Blockadepotential und Lästigkeitspotential resultierende Möglichkeit den Anteilseignern bei der deutschen Regelung aber abgeschnitten sein. Auf dieses in seltenen Fällen bestehende Problem mit dem Obstruktionsverbot hatte Simon, CF 2010, 448, 453 hingewiesen: ggf. könne einem Anteilseigner ein Wert zufließen, sei es, weil seine Anteile über einen Restwert verfügen, sei es, weil dieser den Anteilseignern in den Verhandlungen zugewiesen wird. Das Obstruktionsverbot wirke in diesem Fall (bei wörtlicher Interpretation) schon dann nicht gegenüber Gläubigern, wenn der Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person einen Wert erhält (§ 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO n. F.). Simon hatte zum DiskE-ESUG noch vorgeschlagen, dass dort hinter dem Wort „oder“ die Worte „vorbehaltlich § 225a Abs. 4“ (die damalige Entschädigungsklausel) eingefügt werden sollte. Jedoch ist in diesen seltenen Fällen dann der § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO verfassungskonform auszulegen, weil ein Restwert der Anteile über Art. 14 GG geschützt ist (siehe unten § 6. III. zu Art. 14 GG).
88
II. Ausschluss der Differenzhaftung, § 254 Abs. 4 InsO n. F.
sätzlich innerhalb dieser Anteilseigner noch ungleichbehandelt wird, dürfte überhaupt nur in absoluten Ausnahmefällen vorkommen.
II. Ausschluss der Differenzhaftung, § 254 Abs. 4 InsO n. F. Es ist einer der Grundpfeiler des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts, dass Haf- 170 tungsbeschränkung und die darin liegende Externalisierung des Unternehmensrisikos als Pendant eines funktionsfähigen Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsrechts bedarf.478) Um dies zu ermöglichen, muss anfänglich die ausreichende Eigenkapitalausstattung und im Verlauf der Unternehmung die Erhaltung des Haftkapitals gewährleistet werden. Andernfalls würde drohen, dass die Verluste zu Lasten der Gläubiger sozialisiert würden. Dies wird erreicht durch umfangreiche Regelungen, etwa Ausschüttungssperren oder auch Anzeigepflichten bei Verlust des halben Nennkapitals. Entscheidend aber ist, schon von vornherein die Existenz eines ausreichenden Haftungsfonds, auf den die Gläubiger zur Befriedigung notfalls zurückgreifen können, sicherzustellen. Diesem Zweck dienen die Regeln zur Kapitalaufbringung bei Gründung oder bei Kapitalerhöhung mit Bareinlagen oder Sacheinlagen. Eines der wichtigsten Instrumente zu dessen Gewährung ist die Differenzhaftung. Dies hat sich durch das MoMiG auch in keiner Weise verändert: der Gesetzgeber hat festgestellt, dass das bewährte deutsche Haftkapitalsystem unbedingt beibehalten werden solle.479) Die Differenzhaftung, die verschuldensunabhängig ausgestaltet und gegen die sich 171 der einbringende Gläubiger auch mit Gutachten o. ä. kaum absichern kann, stellt dabei außerhalb der Insolvenz regelmäßig ein so hohes Risiko dar, dass dies prohibitive Wirkung hat und einen DES vielfach gar nicht zustande kommen lässt.480) Hierauf hat der Gesetzgeber im ESUG reagiert mit § 254 Abs. 4 InsO n. F., der bestimmt, dass der Schuldner nach Bestätigung eines Plans, in dessen gestaltendem Teil eine Umwandlung von Forderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte bestimmt wird, keine Ansprüche wegen Überbewertung der Forderungen gegen die Inferenten geltend machen kann.481)
___________ 478) K. Schmidt, GesR, § 37 I. 2. (S. 1112). 479) BT-Drs. 16/6140 S. 25. 480) Brinkmann, WM 2011, 97, 101; K. Schmidt, in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 2.143 und 2.223; Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 70, der von dem Ausschluss dann als „Haftungsprivileg“ spricht; eine ausführliche Analyse zur Differenzhaftung beim DES vor dem ESUG gab Achsnick, S. 166 ff. 481) Ähnlich der Wortlaut im § 21 Abs. 2 KredReorgG: „Werden Forderungen von Gläubigern in Anteile am Kreditinstitut umgewandelt, kann das Kreditinstitut nach der gerichtlichen Bestätigung keine Ansprüche wegen einer Überbewertung der umgewandelten Forderungen im Reorganisationsplan gegen die bisherigen Gläubiger geltend machen.“
89
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
1.
Regelungsziel/Kritik
172 Dahinter stehende Intention dieses Ausschlusses der Differenzhaftung ist dabei nach der Gesetzesbegründung die Gewährung von Kalkulationssicherheit für die umwandelnden Gläubiger, um hierdurch die Sanierung im Planverfahren zu ermöglichen.482) Der Ausschluss sei auch unschädlich, weil der mit der Differenzhaftung bezweckte Schutz der Alt-Anteilseigner wie auch der übrigen Gläubiger durch das Planverfahren gewährleistet sei, wo die Beteiligten auf fehlerhafte Bewertungen der Sacheinlage hinweisen könnten und hierauf basierend Rechtsmittel einlegen könnten. Ein weiter gehender Schutz sei nicht erforderlich.483)
173 Diese Aussage ist bemerkenswert, besteht der Schutzzweck der Differenzhaftung doch primär im Schutz der zukünftigen Kontrahierungspartner bzw. der NeuGläubiger insgesamt.484) Diese werden in der Gesetzesbegründung aber mit keinem Wort erwähnt. Dies wurde im Verlauf der Reform auch kritisiert.485) Mit dem Ausschluss der Differenzhaftung gingen Wertungswidersprüche einher, die gemeinsam mit den Ausfallrisiken für Neugläubiger und der „Außerkraftsetzung der Kapitalaufbringungsvorschriften“ nicht hinnehmbar seien.486) Der Gesetzgeber ignoriere auf Kosten der Neugläubiger die wohlbegründete Ausdifferenzierung des Systems aus Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung; er nehme damit in Kauf, dass im schlimmsten Fall stammkapitallose Gesellschaften auf den Markt treten würden.487) Auch gehe damit eine vollständige Entwertung der durch das Stammkapitalerfordernis begründeten Schutzfunktionen und des bilanziellen Informationswerts für betroffene Marktteilnehmer einher, was zudem eine Konterkarierung der mit dem ___________ 482) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 36; befürwortend Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 509. Das US-Recht kennt mangels eines vergleichbaren strikten Kapitalaufbringungsrechts keine Differenzhaftung; zur Vervollständigung wird aber darauf verwiesen, dass auch die Chapter 11-Regeln einen Haftungsausschluss von der Haftung nach den einschlägigen Vorschriften des Wertpapierrechts für sämtliche Beteiligte vorsehen, falls sich später herausstellt, dass etwa falsches Zahlenmaterial verwendet wurde, 11 U.S.C. § 1125(e), der lautet: „(…) not liable, on account of such solicitation or participation, for violation of any applicable law, rule, or regulation governing solicitation of acceptance or rejection of a plan or the offer, issuance, sale, or purchase of securities.“ 483) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 36. 484) So hat schon der GmbHG-Gesetzgeber von 1892 die Offenlegung der Sacheinlagen allein im Interesse der Gesellschaftsgläubiger angeordnet, siehe Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 240. 485) Brinkmann, WM 2011, 97, 101; Hölzle, NZI 2011, 124, 129; Hölzle, KTS 2011, 291, 324; Meyer/Degener, BB 2011, 846, 849. 486) So Hölzle, NZI 2011, 124, 129; Hölzle, KTS 2011, 291, 324. 487) Hölzle, NZI 2011, 124, 129, der dann aber weiter ausführt, dass nicht ernstlich angenommen werden könne, dass es Wille des Gesetzgebers gewesen sei, stammkapitallose Gesellschaften in haftungsbeschränkter Rechtsform ohne jede gläubigerschützende Regulierung in den Rechtsverkehr eintreten zu lassen. Zu seinem Vorschlag einer diese Gefahr abmildernden Parallelregelung zum § 5a GmbHG siehe sogleich unten in der Stellungnahme unter 5.
90
II. Ausschluss der Differenzhaftung, § 254 Abs. 4 InsO n. F.
MoMiG eigentlich gefestigten bilanziellen Betrachtungsweise darstelle.488) Anknüpfend an diese Kritik hatte auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum RegE-ESUG um Überprüfung gebeten, ob die Regelung des § 254 Abs. 4 nicht durch eine Norm ergänzt werden könne, die den Interessen der Neugläubiger hinreichend Rechnung tragen könne. Die Notwendigkeit des Schutzes der umwandelnden Gläubiger vor Bewertungsstreitigkeiten werde zwar anerkannt, jedoch seien mögliche Ergänzungen im Gesellschaftsrecht zu prüfen, um die aus dem Auftreten stammkapitalloser Gesellschaften resultierenden Risiken für Neugläubiger zu kompensieren.489) Eine solche Änderung hatte das BMJ in seiner Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates allerdings abgelehnt. Als Begründung wurde zum einen vorgebracht, dass vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der Umwandlung bereits bestehenden Krise kein Gläubiger zur Umwandlung bereit wäre, wenn er Jahre später in einer zweiten Unternehmenskrise der Differenzhaftung ausgesetzt wäre. Der Ausschluss der Differenzhaftung sei daher „nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu geboten, um der Zielsetzung des Regierungsentwurfs zu genügen“.490) Zum anderen sei für Neugläubiger von entscheidender Bedeutung, wie sich die Liquiditätslage der Gesellschaft nach durchlaufenem Insolvenzplanverfahren darstelle. Die Bewertung der eingebrachten Forderungen habe jedoch auf die Liquidität „allenfalls mittelbaren Einfluss“.491) Es finden sich aber auch befürwortende Stimmen. So bezeichnet Karsten Schmidt 174 die Ersetzung der nachträglichen Haftung durch vorherige Prüfung als für Gesellschaftsrechtler gewöhnungsbedürftig, als insolvenzpolitischen Kompromiss aber hinnehmbar.492) Er ordnet den Ausschluss der Differenzhaftung ein als „Insolvenz___________ 488) Hölzle, KTS 2011, 291, 324 f. In diesem Zusammenhang ist auch die Kritik von Römermann, GmbHR-Report 2011, 369, 370 nicht unbeachtlich, der darauf hinweist, dass im Rahmen der MoMiG-Diskussion zwar auch haftungsbeschränkte Kapitalgesellschaften ohne Mindestkapital befürwortet wurden, bei denen aber zumindest offengelegt war, dass kaum Stammkapital besteht, womit zumindest am Postulat der Wahrheit und Transparenz festgehalten worden wäre. Eine Beibehaltung des alten Systems unter gleichzeitiger Erlaubnis einer Ausnahme sei aber fragwürdig. Hiergegen ist zu sagen, dass durch das ESUG, anders als von Römermann dargestellt, keineswegs ein Freibrief für jede Höhe der Umwandlung gegeben wird, siehe sogleich. Im Übrigen näher behandelt werden Römermanns Argumente auch im Textteil zur Forderungsbewertung, siehe dort § 10. III. 1. c) zu Details. 489) Stellungnahme des Bundesrates, Anlage 3 zu RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 50 ff., dort S. 58 mit ausdrücklichem Verweis auf den Vorschlag von Hölzle in NZI 2011, 124, 129. 490) Gegenäußerung der Bundesregierung, Anlage 4 zu RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 67 ff., dort S. 70. 491) Gegenäußerung der Bundesregierung, Anlage 4 zu RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 67 ff., dort S. 70. 492) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1609. Nach Heinrich, NZI 2012, 235, 241 hat die Bundesregierung durch das Festhalten trotz Bedenken des Bundesrates „der künftigen Ertragsfähigkeit des Schuldners und mithin den Fortführungswerten den Bedeutungsvorrang gegenüber den Zerschlagungswerten eingeräumt“; diese Grundentscheidung könne i. Ü. kaum ohne Einfluss auf weitere Fragen des Gesellschaftsrechts sein.
91
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
privileg“, deren Rechtfertigung sich aus dem Dilemma ergebe, dem die Gesellschaft in der Krise gegenüberstehe: das Festhalten an der Kapitaldeckungshaftung würde sich als Sanierungsbremse auswirken und mehr schaden als nützen, weil es somit gar nicht zum DES komme. Zugleich sei aber ausgerechnet in der Krise die Werthaltigkeit der umgewandelten Forderung besonders dubios. Daher fordert er zur Legitimierung eines solchen Ansatzes ein Mindestmaß an Werthaltigkeitsprüfung.493) Ihm zustimmend stellt Altmeppen darauf ab, dass das Gesellschafts- und Insolvenzrecht nun einmal in starken Maße von Bewertungsfragen abhängig sei; wer aber die mit der Bewertung einhergehenden Problematiken für unüberwindbar halte, müsste die gesamte Regelung verwerfen. Zu einer derartigen Skepsis bestehe aber kein Anlass.494)
2.
Einordnung in das bestehende Kapitalschutzsystem
175 Bei Betrachtung des bisherigen Kapitalschutzsystems stellt sich der Ausschluss der Differenzhaftung speziell für den Fall eines DES in der Tat als herausstehende Ausnahme dar. In der vorherigen Gesetzgebung wurde die Notwendigkeit einer expost-Haftung bei Überbewertung noch stets als unverzichtbarer Baustein des Kapitalerhaltungsrechts angesehen. Der Gesetzgeber der GmbH-Novelle hatte 1980 die Differenzhaftung für nötig befunden, weil nach seiner Ansicht Überbewertungen vom Registergericht oft unentdeckt blieben.495)
176 Andererseits ist diese registerrechtliche Prüfung jedoch der entscheidende Aspekt, der von den Apologeten der stammkapitallosen Gesellschaften496) übersehen wird: denn in dem bisher zweistufig ausgestalteten Schutzsystem wird lediglich die zweite Kontrollstufe für den Sonderfall des DES ausgeschaltet. Dies bedeutet aber nicht, dass damit das bisherige Kapitalschutzsystem gänzlich abgeschafft wird und dessen Grundsätze folglich keine Beachtung mehr fänden. Vielmehr steht außer Frage, dass ein Insolvenzplan, der die Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital enthält, diese Umwandlung nur zum tatsächlichen Wert zulassen darf und den jeweiligen Wert der Forderung im Einzelnen angeben muss.497) Eine solche Einbringung der Sacheinlage zum tatsächlichen Wert ergibt sich schon aus den gesellschaftsrechtlichen Regelungen, die grundsätzlich auch im Insolvenzplanverfahren Grundlage aller strukturändernden Maßnahmen sind und nur in Einzelfällen modifiziert werden. Folglich spricht die Gesetzesbegründung auch davon, dass die Werthaltigkeit der Forderung aufgrund der Insolvenz regelmäßig reduziert sein wird ___________ 493) 494) 495) 496) 497)
92
K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1609. Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 16. RegE-GmbHG, BT-DRs. 8/1347, S. 35. Insbesondere Hölzle, s. o. Fn. 486. Als praktisches Problem ergibt sich dabei, dass für die Bewertung die Ist- und Planergebnisse des Unternehmens maßgeblich sind. Genau diese liegen aber in der Insolvenz vielfach nicht mehr vor (etwa weil der für die Bilanz zuständige Dienstleister die Arbeit am Mandat mangels Entlohnung eingestellt hat), siehe hierzu auch Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 124.
II. Ausschluss der Differenzhaftung, § 254 Abs. 4 InsO n. F.
und der Wert nicht dem Nennwert entspricht, sondern deutlich darunter liegen wird.498) Die erste Schutzstufe besteht somit unverändert fort. Die Würdigung des Ausschlusses der Differenzhaftung hängt daher entscheidend 177 von der Frage ab, ob die erste Schutzstufe im Insolvenzplanverfahren ausreichend ausgestaltet ist und somit eine Werthaltigkeitsprüfung gewährleistet wird, die das Entfallen der zweiten Schutzstufe in einer Abwägung mit dem hierin erzielten Nutzen rechtfertigen kann. Dies ist im Folgenden zu untersuchen.
3.
Prüfungsumfang des Insolvenzgerichts und des Registergerichts
Der Planbestätigung durch Beteiligte und durch das Gericht nachfolgende konstitu- 178 tive Publizitätsakte, wie die Eintragung der Kapitalerhöhung ins Register, werden nicht durch den Plan ersetzt. Die Wirksamkeit der im Insolvenzplan gefassten Beschlüsse setzt somit die Eintragung ins Handelsregister499) nach den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen voraus.500) Somit sind zwei verschiedene Richter mit der Thematik beschäftigt: für die Prüfung des Insolvenzplans ist dies der Insolvenzrichter, für die Eintragung der zuständige Registerrichter. Fraglich ist, wie deren Prüfungskompetenzen im Hinblick auf die Werthaltigkeit der Forderungen gegeneinander abgegrenzt werden.
a) Prüfungskompetenz des Registergerichts Die Prüfung der Werthaltigkeit einer Sacheinlage bei der Kapitalerhöhung ist an 179 sich klassische Aufgabe des Registerrichters: nach § 57a i. V. m. § 9c Abs. 1 S. 2 GmbHG hat das Registergericht bei nicht unwesentlicher Überbewertung der Sacheinlagen die Eintragung abzulehnen. Ähnliches gilt nach § 184 Abs. 3 S. 1 AktG für den Fall, dass bei einer AG der Wert der Sacheinlage nicht unwesentlich hinter dem geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien zurückbleibt.501) ___________ 498) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 31 f. Zu der nicht vom Gesetzgeber gelösten Problematik der Forderungsbewertung siehe umfassend unten § 10. III. 499) Als für Kapitalgesellschaften entscheidendes Register; daneben werden genannt Genossenschafts-, Vereins- und Partnerschaftsregister, siehe RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 36. 500) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 36. 501) Zwar könnte der Registerrichter bei Feststellen von Mängeln auf Berichtigung des Plans durch den Insolvenzverwalter drängen nach § 221 S. 2 InsO n. F., sofern sich dieser diesbezüglich die Bevollmächtigung hierfür im Plan hat geben lassen (dies ansprechend Horstkotte/ Martini, ZInsO 2012, 557, 567 Fn. 67). Bei Überbewertung ist aber fraglich, ob dies lediglich einen kleinen Fehler darstellt, da bei Korrektur der Überbewertung und infolgedessen vorgenommener Neuberechnung dies einen geringeren Anteil am reorganisierten Unternehmen für die umwandelnden Gläubiger zur Folge haben könnte, während die per Bareinlage erworbenen Anteile (zu deren Notwendigkeit bei vorheriger Kapitalherabsetzung auf Null oben § 3.I.1.b)bb) grundsätzlich gleich bleiben. Außerdem könnten hiervon die im Rahmen von §§ 251, 253 und auch 245 InsO nötigen Vergleichsrechnungen betroffen sein, was eine neue Abstimmung nötig machen könnte.
93
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
180 Nach der Begründung des RegE zum ESUG kommt dem Registergericht aber nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz zu, da das wirksame Zustandekommen des Plans bereits durch das Insolvenzgericht überprüft wurde. Dem Registergericht komme insofern vor allem beurkundende Funktion zu.502) Hieraus wird von einer Ansicht als Konsequenz gezogen, dass es damit auch die Eintragung wegen Unterwertigkeit der Forderungen nicht ablehnen dürfte, wenn der Plan bestätigt wurde.503)
181 Von anderer Seite wird dagegen angenommen, dass dem Registergericht durchaus eine Prüfungskompetenz und auch Prüfungspflicht verbleibe.504) Seine Prüfungspflicht beziehe sich zum einen auf die nicht vom Insolvenzgericht zu prüfenden Punkte.505) Zum anderen stehe ihm aber auch ein eigenes Prüfungsrecht zu, wenn der Plan zu Unrecht vom Insolvenzgericht bestätigt worden war, weil er eine gesellschaftsrechtlich unzulässige Rechtsfolge enthalte506) oder wenn eine wesentliche Überbewertung der Sacheinlage vorgelegen habe. Dies wird damit begründet, dass die Prüfungskompetenz aus § 184 Abs. 3 AktG (und wohl parallel aus § 9c GmbHG) dem Schutz der zukünftigen Gläubiger und nicht der derzeitigen Gläubiger diene.507) Diese Argumentation könnte insofern folgerichtig sein, als dass fraglich ist, ob das Insolvenzgericht – selbst bei Annahme einer allumfassenden Prüfungskompetenz – bei Insolvenzplanbestätigung die Werthaltigkeit der Sacheinlage prüfen müsse, wenn kein Beteiligter eine Überbewertung rügt. Eine fehlende Rüge ist wiederum nicht unwahrscheinlich, weil die Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens von einer Überbewertung nicht direkt betroffen werden und ein gesteigertes Interesse am zügigen Abschluss des Insolvenzplanverfahrens haben könnten.508)
182 Für eine Prüfungskompetenz könnten auch Haftungsaspekte vorgebracht werden. So wird aus Verwaltersicht argumentiert, dass sich eine Registerprüfung als notwendig erweisen könne, gerade weil die Haftung des Verwalters oder des sonstigen ___________ 502) Begr. RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 37; zu der Problematik, inwieweit die Bestimmungen des gestaltenden Teils des Insolvenzplans wirklich den Voraussetzungen gesellschaftsrechtlich gefasster Beschlüsse genügen und daher zu Schwierigkeiten bei den Registergerichten führen könnten siehe HambKomm-InsO/Thies, § 254 a Rn. 13. 503) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 115. 504) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 567 Fn. 67. 505) Es ginge nämlich zu weit, von dem Insolvenzgericht auch die Prüfung der Dokumente zu verlangen, die eher beurkundungsrechtlicher Natur seien, wie etwa die in § 188 Abs. 3 AktG, 57 Abs. 3 GmbHG verlangten Anlagen zur Anmeldung bzw. die Nachweise über die Werthaltigkeit der Sacheinlage, Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 567 Fn. 67. 506) Als Beispiel wird genannt die Ausgabe zu einem zu niedrigem Nennwert, weil unter 1 € (so Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 567 Fn. 67); dies dürfte aber wohl selten der Fall sein bei einem kompetenten Insolvenzplanersteller. 507) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 567 Fn. 67. 508) Andererseits könnten die Zahlen von Gläubigern aus anderen Gründen angezweifelt und damit einer Prüfung zugeführt werden; dabei könnte ggf. auch eine Überbewertung schon feststellbar sein.
94
II. Ausschluss der Differenzhaftung, § 254 Abs. 4 InsO n. F.
Prüfungsorgans nicht ausgeschlossen ist.509) Dahinter dürfte der Gedanke stehen, dass ein Verschulden des Insolvenzverwalters ausgeschlossen ist, wenn der Registerrichter die Bewertung nicht beanstandet hat. Dass der Registerrichter diese Prüfung auch gewissenhaft durchführen wird, könnte 183 wiederum in der staatshaftungsrechtlichen Systematik angelegt sein: wenn sich nämlich im Nachhinein eine Überbewertung herausstellt, so stellt sich für Neugläubiger die Frage, ob diese dafür von jemandem anderen als der Gesellschaft selbst Ersatz verlangen können. Dabei fallen zunächst die Inferenten als primär verantwortliche Personen heraus, weil dies eine Differenzhaftung darstellen würde, die aber durch § 254 Abs. 4 InsO n. F. gerade suspendiert ist. Die nächste Person in der Reihe, der Insolvenzverwalter, ist ebenfalls schwierig zu belangen, weil die Haftung nach § 60 InsO Neu-Gläubiger nicht direkt schützt, da diese nicht Beteiligte des Insolvenzverfahrens sind.510) Damit bliebe die Möglichkeit eines Staatshaftungsanspruchs gegen den Registerrichter. Da dieser nicht dem Spruchrichterprivileg unterliegt, könnte er sogar persönlich in Regress genommen werden.511) Damit besteht ein deutlicher Anreiz, sorgfältig zu prüfen. Hierdurch würde allerdings das Verfahren ggf. nicht unwesentlich verzögert.512)
b) Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts Weder der Gesetzestext noch die Gesetzesbegründung äußert sich zu der Frage, ob 184 und in welchem Umfang eine Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts besteht. Wie gezeigt, ist die Prüfung der Werthaltigkeit einer Sacheinlage Aufgabe des Registerrichters; nach der Gesetzesbegründung ergibt sich die rein beurkundende Funktion aber gerade deshalb, weil das wirksame Zustandekommen des Plans bereits durch das Insolvenzgericht geprüft werde.513) Somit stellt sich die Frage, ob die Frage der korrekten Forderungsbewertung im weitesten Sinne unter die Prüfung des wirksamen Zustandekommens des Plans fällt. Eine solche umfassende Prüfungskompetenz auch hinsichtlich der Werthaltigkeit könnte dabei damit begründet werden, dass nach § 225a Abs. 3 InsO im Plan jede Regelung getroffen werden kann, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist. Im Umkehrschluss wäre daher ___________ Rattunde, GmbHR 2012, 455, 459. Zu einem indirekten Schutz siehe aber sogleich in der Stellungnahme unter 4. a. E. MüKo-BGB/Papier § 839 Rn. 326; Schlaus, AG 1988, 113, 114. So Horstkotte und Martini in ihrem Vortrag vor dem AK-InsO Köln am 5.6.2012. Um Verzögerungen zu verhindern, empfahlen diese auch, sich vorab mit beiden Gerichten abzustimmen, was allerdings schwierig sein könne z. B. in München, wo die Registerrichter jede Vorabsprache kategorisch ablehnen. Vgl. zuletzt zu Überlegungen, ob nicht die Durchführung eines DES einer wirtschaftlichen Neugründung unter Verwendung einer Mantel-GmbH gleichkommen könne und deswegen Prüfpflichten bestünden nur Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 98 ff. 513) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 37. 509) 510) 511) 512)
95
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
anzunehmen, dass bei unzulässigen Regelungen die Zurückweisung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfolgen oder spätestens die Planbestätigung nach § 250 Nr. 1 InsO versagt werden muss.514) Da die Kapitalaufbringungsvorschriften im Grundsatz zwingendes Gesellschaftsrecht darstellen, wäre daher die Prüfung der Werthaltigkeit beim Insolvenzrichter zu verordnen.
185 Nach Spliedt besteht eine solche Prüfungskompetenz aber nur für wesentliche Verstöße.515) Dies begründet er gerade mit dem Ausschluss der Differenzhaftung in § 254 Abs. 4 InsO n. F. Deren Einfügung in die InsO zeige, dass geringfügige Bewertungsstreitigkeiten irrelevant sein sollen. Ein wesentlicher Verstoß bestehe nur bei einem unvertretbaren Wertansatz, womit das Gericht die konkrete Wertfestsetzung gar nicht überprüfen könne, sondern den Plan lediglich unter Hinweis auf einen unvertretbaren Bewertungsmaßstab ablehnen könne.516) Ohnehin könne das Gericht über die richtige Wertfestsetzung im Einzelfall aus eigener Kenntnis gar nicht entscheiden.517) Die naheliegende Lösung, dann einen Sachverständigen zu beauftragen, wird von ihm aber ebenfalls abgelehnt, weil damit die mit dem ESUG bezweckten Verfahrenserleichterungen konterkariert würden.518)
186 Maier-Reimer lehnt dagegen eine Prüfungskompetenz schon des Insolvenzgerichts gänzlich ab.519) Er begründet dies mit der Systematik der durch das ESUG eingeschränkten Rechtsmittel, die nur dann eine Planbestätigung verhindern können, wenn der Antragsteller durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO n. F.) oder sogar wesentlich schlechter gestellt (§ 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO n. F.) wird. Die Planbeteiligten können durch eine Überbewertung der Forderungen aber allein dann benachteiligt werden, wenn sie im Vergleich zu anderen existierenden Gläubigern schlechter gestellt werden.520) Wenn aber für alle Forderungen der selbe Bewertungsmaßstab angelegt werde, sei dies nicht der Fall. Somit seien hiervon allein die zukünftigen Gläubiger betroffen, die anders als die aktuellen Gläubiger, der Schuldner und die Anteilseigner521) aber nicht beschwer___________ 514) So auch Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467. 515) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467. 516) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467 (insofern ähnlich wie h. M. bei der Unternehmensbewertung, die auch nur den Maßstab, nicht aber das tatsächlich erzielte Ergebnis kontrollieren will). 517) Also etwa die richtige Bewertung eines Grundstücks oder einer Produktionsanlage (wohl, wenn diese Sicherungsgut darstellten) oder eines lukrativen Vertrags, siehe Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467. 518) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467. Auch dem Registergericht gesteht er i. Ü. nur ein Recht zur Zurückweisung bei evidenten Fehlern zu, a. a. O. S. 470. 519) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 114. 520) Also etwa wenn einige Gläubiger vom Umtausch ausgeschlossen werden oder wenn für sie ein anderes Umtauschverhältnis gelten soll, Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 114 f. 521) Die von einer Überbewertung ebenfalls nicht betroffen sind, da ihre Anteile ohnehin untergehen (wovon hier ausgegangen wird) und dafür auch nur in seltenen Fällen eine Entschädigung gezahlt wird.
96
II. Ausschluss der Differenzhaftung, § 254 Abs. 4 InsO n. F.
deberechtigt seien. Da somit keiner geltend machen könne, durch eine Überbewertung in seinen Rechten verletzt zu sein, gehöre die Prüfung der Werthaltigkeit auch nicht zum Prüfungsprogramm des Insolvenzgerichts.522)
c)
Stellungnahme
Fraglich ist allerdings, ob die von beiden Autoren gezogenen Schlüsse einer näheren 187 Betrachtung standhalten. Mit Spliedt aus dem Ausschluss der Differenzhaftung in § 254 Abs. 4 InsO n. F. rückzuschließen, dass der Plan nicht an geringfügigen Bewertungsstreitigkeiten scheitern soll und daher nur der Maßstab, nicht aber das konkrete Ergebnis justiziabel sei, geht in die falsche Richtung. Vielmehr muss umgekehrt argumentiert werden, dass eine sorgfältige Prüfung gerade deshalb angebracht ist, weil nach Planbestätigung die Differenzhaftung ausgeschlossen ist.523) Wenn Spliedt zudem auch dem Registergericht nur eine Prüfungskompetenz für evidente Verstöße zugesteht, entsteht eine offensichtliche Schutzlücke. Diese ist auf Basis von Spliedts grundsätzlicher Befürwortung der Nennwerteinbringung524) zwar nicht widersprüchlich; auf Basis der h. M. und der Gesetzesbegründung bedarf es aber sehr wohl einer Kontrolle, ob der tatsächliche Verkehrswert richtig ermittelt wurde, weil es eben nicht irrelevant ist, mit welchem Wert die Forderung zur Umwandlung zugelassen wird. Maier-Reimers Rückschluss geht ebenfalls zu weit, weil hiermit generell eine Prüfungspflicht nur angenommen wird, wenn es zu einem Rechtsmittel nach § 251 oder § 253 InsO n. F. gegen die Planbestätigung kommt. Aus § 250 Nr. 1 InsO (Nichtbeachtung der Vorschriften über Inhalt des Insolvenzplans) kann aber ohne weiteres geschlossen werden, dass dem Insolvenzgericht eine Prüfungspflicht zukommt, auch ohne dass Rechtsmittel geltend gemacht werden.525) Gerade weil mit dem ESUG die Möglichkeit der Regelung auch gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen ermöglicht wurde, muss das Gericht überprüfen können, ob dies rechtmäßig geschehen ist. Somit zeigt sich, dass die Abgrenzung der Prüfungskompetenzen nur in einer Ge- 188 samtbetrachtung vorgenommen werden kann. Eine eingeschränkte Prüfungskompetenz des Registerrichters wäre allein dann gut begründbar, wenn die Anforderungen an die vorhergehende Insolvenzplanbestätigung durch den Insolvenzrichter hoch genug liegen würden. Dazu müsste dem Insolvenzrichter neben einer umfassenden Prüfungskompetenz eine komplementäre umfassende Prüfungspflicht auf___________ 522) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 114. 523) In diese Richtung auch K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1609 (Mindestmaß an Werthaltigkeitsprüfung zur Legitimierung zwingend nötig). 524) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464; siehe hierzu ausführlich unten § 10. III. 1. a). 525) Auch hier gilt: Maier-Reimers Ansicht ist vor dem Hintergrund seiner Befürwortung erstens der Nennwerteinbringung und zweitens der generellen Irrelevanz der Einbringungshöhe im Insolvenzplanverfahren (siehe unten § 10. IV. 1. b) durchaus konsequent. Nach der h. M., die die Nennwerteinbringung strikt ablehnt, wäre diese Konsequenz aber nicht möglich.
97
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
erlegt werden. Hierfür spricht insbesondere, dass damit ein bereits beschlossener Insolvenzplan nicht auf der Zielgeraden scheitern kann, weil der Registerrichter erst lange und aufwendig prüft. Bessere Gründe sprechen daher dafür, dass die Frage der Werthaltigkeit im Insolvenzverfahren selbst geklärt werden sollte. Hier ist der Richter ohnehin mit der Thematik vertraut, ebenso wie der Insolvenzverwalter, dem es als Planersteller obliegt, belastbare Zahlen und Prognosen zu nennen und zu begründen, vgl. nur § 229 InsO. Hinzu kommt, dass dem Unternehmen während der Insolvenz der Schutz vor Vollstreckungen durch die Gläubiger zugute kommt. Diesen würde er rein technisch mit Verabschiedung des Insolvenzplans verlieren und damit Vollstreckungen wieder ausgesetzt sein, obwohl relevante finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen mangels Registereintragung noch nicht durchgeführt werden konnten.
189 Somit sollte mit Insolvenzplanbestätigung bereits geklärt werden, ob die Werthaltigkeit der Forderungen gegeben ist oder nicht. Dies kann zwar den Insolvenzplanprozess verzögern, ist aber zum Schutz des Geschäftsverkehrs unumgänglich; es ist auch allemal besser als eine Verzögerung durch Prüfung beim Registerrichter. Damit ist der Intention des Gesetzgebers Folge zu leisten und keine eigene Prüfungskompetenz des Registerrichters bezüglich der Werthaltigkeit der Forderungen anzunehmen, sondern ihm nur eine beurkundende Funktion zuzuerkennen. Komplementär ist aber eine Prüfungspflicht des Insolvenzrichters unverzichtbar.526)
4.
Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO
190 In der Gesetzesbegründung zu § 254 Abs. 4 InsO n. F. wird darauf verwiesen, dass der Insolvenzverwalter einer möglichen Haftung aus § 60 InsO wegen einer Falschbewertung von Ansprüchen dadurch begegnen könne, dass er über den Wert der Ansprüche Sachverständigengutachten nach Maßgabe des einschlägigen Gesellschaftsrechts erstellen lasse.527) Wenn ein solches Gutachten vorliege, werde ein schuldhaftes Verhalten des Verwalters in der Regel ausscheiden.528) Insofern könn___________ 526) Ebenso zuletzt Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 37; K. Schmidt, ZGR 2012, 566, 573 f. 527) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 36. 528) Hier weist die Stellungnahme des BAKInsO zum DiskE-ESUG vom 9.8.2010 darauf hin, dass es sich hierbei ggf. nicht um Masseverbindlichkeiten handeln könnte, da der Insolvenzverwalter dies mit dem Zweck in Auftrag gegeben hat, seine eigene Haftung auszuschließen (Stellungnahme Teil 2, 1.3). Dies ist allerdings abzulehnen: die korrekte Bewertung der umzuwandelnden Forderungen ist elementarer Bestandteil des DES und erfolgt im Interesse sämtlicher Beteiligter. Ein Gutachten schließt nicht nur die Haftung des Verwalters aus, sondern dient auch den Gläubigern als Leitlinie für ihre Entscheidung über Zustimmung oder Ablehnung zum Insolvenzplan. Entsprechende Funktion hat es auch für das Insolvenzgericht als Maßstab für seine Planbestätigungsentscheidung und damit etwa auch für die Entscheidung über die Anwendung des Obstruktionsverbots wie zuletzt auch für die Entscheidung von Rechtsmitteln der Alt-Anteilseigner, die allesamt in starkem Maße von Bewertungsfragen abhängen.
98
II. Ausschluss der Differenzhaftung, § 254 Abs. 4 InsO n. F.
te darauf verwiesen werden, dass der Insolvenzverwalter als wahrscheinlichster Insolvenzplanersteller eine korrekte Bewertung schon deshalb vornehmen werde, um einer Haftung zu entgehen.529) Fraglich ist jedoch, ob den Insolvenzverwalter überhaupt eine Haftung nach § 60 InsO trifft gegenüber den hierdurch entscheidend betroffenen Akteuren, nämlich den Neugläubigern des reorganisierten Unternehmens.530) Denn § 60 InsO spricht nur von einer Schadensersatzhaftung gegenüber allen „Beteiligten“. Nach einer engen Auslegung wären dies alle Beteiligte des Insolvenzverfahrens, wozu die Neugläubiger aber gerade nicht zählen. Geltend gemacht wird die Fehlbewertung (als Differenzhaftung) zumeist vom Insolvenzverwalter in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren oder von der Geschäftsleitung im Interesse der Gläubiger, die ebenfalls jeweils keine Beteiligten sind. Zwar wird der § 60 InsO durchaus weit ausgelegt.531) Jedoch werden, soweit ersichtlich, darunter bisher nicht die Neu-Gläubiger gefasst.532) Die einzigen „Beteiligten“, die eine Haftung geltend machen könnten, wären nicht an der Umwandlung teilnehmende Gläubiger oder die Anteilseigner. Den nichtumwandelnden Gläubigern entsteht aber kein Schaden durch Überbewertung, da sich ihre Quote hierdurch nicht verändert.533) Für die Anteilseigner könnte zwar eine Verwässerung ihres Anteils und damit ein Wertverlust ins Spiel kommen. Da ihre Anteile in der Insolvenz im Regelfall aber komplett durch Kapitalherabsetzung untergehen werden, werden sie durch eine Überbewertung ebenfalls nicht betroffen. Falls ihre Anteile noch einen Restwert aufweisen sollten, ist dieser als Entschädigung auszugleichen.534) Allerdings ist die Gesellschaft als Insolvenzschuldnerin selbst Beteiligte des Insol- 191 venzverfahrens und könnte insofern einen Anspruch haben gegen den Insolvenzverwalter, auf den auch Neu-Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung zugreifen könnten.535) Mit dieser (wenn auch nur indirekten) Haftung des Insolvenzverwalters wird sichergestellt, dass er als Planersteller die wahren wirtschaftlichen Werte der Forderung ermittelt und dies nicht etwa allein den umwandelnden Gläubigern ___________ 529) Gegen die Notwendigkeit eines Gutachtens aber Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467: zu viel Aufwand, würde die mit dem ESUG bezweckten Erleichterungen konterkarieren; Horstkotte/ Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 47 a. E. wollen kein Gutachten, aber zumindest bei der AG Prüfung der Werthaltigkeit der Einlage durch externen Prüfer, vgl. § 183 Abs. 3, § 33 ff. AktG, um so eine Haftung zu vermeiden. 530) Eine Haftung verneinend Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467. 531) Zu einer extensiven Auslesung noch zur Vorgängernorm des § 82 KO vgl. BGH ZIP 1984, 1506, 1507 f.; BGHZ 99, 151, 154. 532) Kanzler/Mader, GmbHR 2012, 992, 995. 533) So Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467. Hiergegen kann auch nicht argumentiert werden, dass eine Benachteiligung zukünftiger Gläubiger durch Ausschüttungen an Neu-Anteilseigner zu erfolgen droht. Wie noch zu zeigen ist, geht mit einer Überbewertung aufgrund der damit einhergehenden niedrigeren Verringerung des Verlustvortrages und des geringeren Ertrags sogar eine Erschwerung der zukünftigen Ausschüttungsfähigkeit einher, siehe unten § 10. III. 1. b) ee). 534) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 32. 535) Kanzler/Mader, GmbHR 2012, 992, 995.
99
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
überlässt. Durch die gut vertretbare Handhabung, bei Einholen eines Bewertungsgutachtens das Verschulden entfallen zu lassen, wird hier ein Mittelweg zwischen strikter Haftung sämtlicher Beteiligter und einem Freibrief für Überbewertungen gegangen.
5.
Gesamt-Bewertung zum Ausschluss der Differenzhaftung
192 Der Ausschluss der Differenzhaftung ist eine einschneidende Regelungsmaßnahme, die sorgsamer Begründung bedarf. Hiermit wird ein bisher als unverzichtbar angesehener Bestandteil des Kapitalschutzsystems beseitigt, womit eine Gefahr insbesondere für Neugläubiger einhergeht.
193 Zu dessen Legitimierung hilft allerdings eine Vergleichsbetrachtung, wie sie in einem von Meyer/Degener unternommenen Rechtfertigungsansatz anklingt, nur begrenzt weiter. Diese ziehen einen Vergleich zwischen der Situation der Gläubiger vor und nach der Planinsolvenz: Führe die bedrückende Forderungssituation vor der Insolvenz zur Unterkapitalisierung und damit zur Insolvenzreife, so weise die Gesellschaft nach erfolgtem Forderungsverzicht und teilweisem DES einen deutlich reduzierten Verbindlichkeitenstatus und ein formal erhöhtes Eigen- und damit Haftkapital auf. Würden dabei zudem die Offenlegungspflichten beachtet, so dürften sich außenstehende Gläubiger, verglichen mit dem status quo vor der Insolvenz, zumindest keinen erhöhten Risiken ausgesetzt sehen.536) Einer solchen Betrachtungsweise, die auf den ersten Blick nicht abwegig ist, muss allerdings vorgeworfen werden, dass sie ignoriert, dass eine insolvenzreife Gesellschaft vom Markt verschwinden wird, was idealerweise schon durch die Insolvenzantragspflichten erreicht wird. Somit ist der Vergleich mit dem status quo vor der Insolvenz bezüglich der Neu-Gläubiger unzulässig. Allein zulässiger Vergleichsmaßstab wäre die Situation nach Durchlauf eines Insolvenzverfahrens ohne Plan-DES, etwa einer übertragenden Sanierung. Vollzieht sich die Sanierung in diesem Fall durch asset deal der werthaltigen Gegenstände auf einen neugegründeten Rechtsträger, würde zum Schutz der Neu-Gläubiger diesbezüglich die Differenzhaftung greifen. Um in einem Vergleich zu einer Rechtfertigung des Differenzhaftungsausschlusses zu kommen, müsste darauf abgestellt werden, dass bei der übertragenden Sanierung ggf. Werte vernichtet würden in Form dabei untergehenden rechtsträgergebundener Berechtigungen, was im Ergebnis für Neugläubiger nachteilhafter wäre als eine Planinsolvenz unter Ausschluss der Differenzhaftung. Ein solcher Vergleich setzt aber einen ungleich höheren Begründungsaufwand voraus und schwächt damit ein solches status-quo-Vergleichsargument erheblich ab.
194 Dabei muss angemerkt werden, dass die Fokussierung der Gesetzesbegründung auf die Ermöglichung des DES mit der Brechstange („Ausschluss der Differenzhaf___________ 536) Meyer/Degener, BB 2011, 846, 850.
100
II. Ausschluss der Differenzhaftung, § 254 Abs. 4 InsO n. F.
tung nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu geboten, um der Zielsetzung des ESUG zu genügen“)537) befremdlich, zugleich aber auch unnötig ist: denn die Horrorversion des Auftretens stammkapitalloser Gesellschaften wäre allein dann realistisch, wenn keine anderen Mechanismen existieren, die die Kapitalaufbringung sicherstellen. Wie gezeigt wurde, besteht ein solcher Mechanismus in Gestalt einer entsprechenden Prüfungspflicht des Insolvenzrichters bei Planbestätigung. Auch der zweite Aspekt der Gegenäußerung der Bundesregierung, das Abstellen auf die Liquidität als entscheidendes Kennzeichnungsmerkmal, ist nicht falsch, geht aber an der Frage vorbei: denn mit dem Festhalten am bisherigen Kapitalschutzsystem durch das MoMiG wurde ja gerade deutlich gemacht, dass die Liquiditätslage nicht allein bestimmender Faktor sein soll, sondern daneben ein Haftungsfonds für die Gläubiger in Form von Grund-/Stammkapital bestehen soll. Dies betrifft allerdings allein die Begründung des Gesetzes. In der Sache ist die 195 Regelung des § 254 Abs. 4 InsO n. F. zu begrüßen. Insbesondere zu befürworten ist auch die Ablehnung der Installierung einer weitergehenden gesellschaftsrechtlichen Regelung, wie sie der Bundesrat mit Verweis auf einen Vorschlag Hölzles angeregt hatte. Nach dessen Konzept wäre – in Anlehnung an § 5a GmbHG – eine Regelung in einem neuen Abs. 3 des § 56 GmbHG eingefügt worden, nach der Jahresüberschüsse zunächst dazu verwendet werden sollten, die untergedeckte Einlage aufzufüllen.538) Dies würde allerdings voraussetzen, dass bekannt ist, dass die Forderung eigentlich Wert x hat, aber zum höheren Wert y eingebracht wurde. Gerade dies soll aber ja verhindert werden. Wenn Wert x bekannt wäre, könnte auch nur zu diesem Wert eingebracht werden. Das Problem besteht nicht in der bewussten Überbewertung, sondern in der Unsicherheit der Bewertung. Zwar will Hölzle eine Orientierung am Teilwert nach § 6 EStG und könnte sich darauf berufen, dass ggf. später erst ersichtlich ist, ob die Forderung wirklich den eingelegten Wert hatte oder nicht. In dieser Hinsicht wäre diese Lösung durchaus elegant gewesen, weil sie keine direkte Haftung der Inferenten bewirkt hätte, sondern lediglich eine Ausschüttung an diese verhindert hätte durch zwangsweise Zuweisung von ausschüttungsfähigen Gewinnen zunächst an das Einlagenkonto. Bei einer solchen Lösung wären aber erhebliche praktische Probleme zu erwarten 196 gewesen. Zum einen ist eine Berechnung der Überbewertung im Nachhinein nicht zwingend einfacher als im Vorhinein. Zum anderen ist fraglich, wer diese nachträgliche Berechnung eigentlich hätte initiieren sollen: der Insolvenzverwalter ist von seinen Pflichten entbunden539), das Insolvenzgericht nicht mehr zuständig. Die ___________ 537) Siehe oben Fn. 490. 538) Hölzle, NZI 2011, 124, 129. 539) Sofern keine Planüberwachung stattfindet nach §§ 260 ff. InsO; selbst dann ist aber nicht zwingend gesagt, dass der Insolvenzverwalter dabei die Interessen der Neu-Gläubiger zu berücksichtigen hat, vgl. insb. § 260 Abs. 3 InsO.
101
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
neuen Anteilseigner hätten kaum einen Anreiz, diese von sich aus vorzunehmen, da dies nur zu ihren Lasten gehen würde; ein solcher Anreiz bestünde erst, wenn das Unterlassen der Nach-Berechnung sanktionsbewehrt wäre etwa durch eine Haftung. Dann aber wäre eine mittelbare Differenzhaftung geschaffen worden, die gerade ausgeschlossen werden sollte. Zugleich würde damit die intendierte Planungssicherheit teils wieder entfallen; es ist somit fraglich, ob der mit einer solchen Regelung einhergehende monitoring-Aufwand durch den Nutzen gerechtfertigt wird.540)
197 Somit erscheint vorzugswürdig, die Frage der korrekten Forderungsbewertung bei der Insolvenzplanbestätigung durch das Insolvenzgericht anzusiedeln und diesem nicht nur eine Prüfungskompetenz, sondern auch eine Prüfungspflicht aufzuerlegen. Sofern Bewertungsgutachten erstellt wurden, kann sich die Entscheidung des Insolvenzrichters hieran orientieren. Auf diese Weise kann zwar ggf. die Insolvenzplanbestätigung verzögert werden.541) Zugleich würde hierdurch aber eine endgültige Klärung herbeigeführt. Dabei ist auch hinzunehmen, dass eine Bewertungsprognose sich im Nachhinein als inkorrekt darstellt. Dies stellt eine generelle Gefahr bei richterlichen Entscheidungen dar und ist der Problematik immanent.542) Zugleich ist dies die Kernaussage des § 254 Abs. 4 InsO n. F.: Eine sich im Nachhinein als inkorrekt herausstellende, zum Zeitpunkt der Insolvenzplanbestätigung aber nicht abwegige Prognose soll Bestand haben.543) Dieses Risiko wird bewusst in Kauf genommen, um den Inferenten Planungssicherheit zu gewährleisten. Dieses Risiko ist auch hinnehmbar, weil die ansonsten drohenden Folgen einer Wertvernichtung544) damit im Einzelfall abgewendet werden können.
198 Hiermit wird ein ausreichendes Schutzniveau sichergestellt, zugleich aber einer Überinterpretation des § 254 Abs. 4 InsO n. F. entgegengetreten, die mit Verweis auf den Ausschluss der Differenzhaftung auch die richterlichen Prüfungskompetenzen verneint. Vielmehr sollte damit offensichtlich das bisherige zweistufige ___________ 540) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 509 Fn. 46 hielten die ESUG-Regelung für sachgerecht und hätten bei Abänderung der Regel nach Hölzles Vorschlag Zweifel gehabt, dass der hiermit eingeleitete Paradigmenwechsel in aller Konsequenz zur Umsetzung komme. 541) Mit den oben angenommenen Anreizen für die Beteiligten wären aber zumindest kaum Rechtsmittel gegen den Plan unter Berufung auf eine falsche Forderungsbewertung zu erwarten. 542) Siehe hierzu auch Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 16: Bewertungsprobleme gehören im Wirtschafts- und Steuerrecht zum Alltag. Wer die Bewertungsproblematik für unüberwindbar hält, müsste „die gesamte Neuregelung verwerfen, ohne dass für eine derartige Skepsis Anlass bestünde.“ Zudem a. a. O. S. 17 zu dem Verhältnis der umwandelnden Gläubiger untereinander: „Etwaige Fehler bei der Berechnung der Insolvenzquote müssen von beiden Seiten gleichermaßen in Kauf genommen werden“. 543) Diese Argumentation geht somit teils konform mit der Spliedts in GmbHR 2012, 462, 467, der aus dem Ausschluss der Differenzhaftung den Grundsatz zieht, dass der Plan nicht an geringfügigen Bewertungsstreitigkeiten scheitern solle. Im Ergebnis ähneln sich die Lösungswege, beim hier vorgeschlagenen aber kann der Insolvenzrichter die Bewertung voll überprüfen und nicht nur bei unvertretbarem Bewertungsansatz ablehnen. 544) Hierauf verweisend K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1609.
102
III. Flankierende Regelungen im Insolvenzplan
Kontrollsystem (ex ante beim Registerrichter, ex post qua Differenzhaftung) auf eine einstufige Kontrolle reduziert werden. Dies ist eine Ausnahme zum bisherigen System, bedeutet aber nicht, dass damit sogleich sämtliche Maßstäbe der Kapitalaufbringung über Bord geworfen werden sollten. Das Rekurrieren auf nur eine Stufe wird hingenommen zu dem Zweck, dass umwandelnde Gläubiger im Gegenzug Planungssicherheit haben. Diese Planungssicherheit aber zeitlich bereits vorzuverlegen dahingehend, dass den Planungen der Insolvenzplanersteller auch schon im Planverfahren ein Freifahrtsschein ausgestellt wurde, kann nicht gewollt sein. Mit dieser Erkenntnis bedarf es zugleich auch keiner Bemühung des § 826 BGB für Fälle der krassen Überbewertung545); es ist dem Insolvenzgericht grundsätzlich darin zu vertrauen, dass diese Fälle im Vorhinein erkannt werden. Bei ausreichender Professionalität der Gutachter ist dies anzunehmen.546)
III. Flankierende Regelungen im Insolvenzplan Die Ermöglichung des DES im Insolvenzplan wird zusätzlich begleitet von weite- 199 ren Regelungen, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen.
1.
Beschlüsse als Teil des Insolvenzplans
Die Wirkung des Insolvenzplans geht nach dem neuen Recht so weit, dass die in 200 den Plan aufgenommenen Beschlüsse der Anteilsinhaber oder sonstigen Willenserklärungen der Beteiligten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben gelten, § 254a Abs. 2 S. 1 InsO n. F. Auch die nach dem einschlägigen Gesellschaftsrecht notwendigen Bekanntmachungen, etwa bei Sacheinlage oder Bezugsrechtsausschluss547), gelten nach § 254a Abs. 2 S. 2 InsO n. F. als in der vorgeschriebenen Form bewirkt.548) Insbesondere eine notarielle Beurkundung des Kapitalerhöhungsbeschlusses wie auch die notariell aufgenommene oder beglaubigte Erklärung des Inferenten zur Übernahme eines GmbHG-Anteils nach § 55 Abs. 1 GmbHG sowie bei der AG der Zeichnungsschein nach § 185 AktG werden somit durch den Insolvenzplan ersetzt.549) ___________ 545) Wie es Kanzler/Mader, GmbHR 2012, 991, 994, 996 ff. wollen; gegen die Anwendbarkeit des § 826 BGB auch K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 225a Rn. 22. 546) Zugleich sollte dieser Haftungsausschluss ein Sonderfall bleiben; Vorschlägen in der Literatur, zur Förderung eines Engagements durch Haftungserleichterungen etwa auch „frühere Verstöße gegen die Kapitalerhaltung“ von einer in einer Folgeinsolvenz drohenden Haftung auszuschließen (so Spliedt, GmbHR 2012, 462, 471), ist eindeutig eine Absage zu erteilen. 547) Bei der AG etwa für die Kapitalerhöhung mit Sacheinlage § 183 Abs. 1 S. 2 AktG und für den Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 4 S. 1 AktG. 548) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 36. Kritisch hierzu die Stellungnahme des DNotV vom 14.10.2010, S. 7. Befürwortend aber Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 507 Fn. 23 und Wimmer, jurisPR-InsR 5/2011 Anm. 1 unter 4 e). 549) Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 639.
103
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
2.
Zuständigkeit für Anmeldungen zum Register
201 Nachfolgende konstitutive Publizitätsakte wie die Eintragung der gefassten Beschlüsse und sonstigen Willenserklärungen ins einschlägige Register werden dagegen nicht durch den Insolvenzplan ersetzt.550) Nach den entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Regelungen obliegen diese Anmeldungen den Gesellschaftsorganen.551) Allerdings wird zu Zwecken der Verfahrensvereinfachung und der Vermeidung von Verzögerungen nach § 254 Abs. 2 S. 3 InsO n. F. der Insolvenzverwalter berechtigt, die erforderlichen Anmeldungen beim jeweiligen Registergericht vorzunehmen.552)
3.
Möglichkeit der Korrektur offensichtlicher Fehler
202 Zusätzlich eingefügt vom Rechtsausschuss in dessen letzter Sitzung vor Abstimmung über das ESUG wurde die Regelung in § 221 S. 2 InsO n. F., nach der der Insolvenzverwalter durch den Plan bevollmächtigt werden kann, die zur Umsetzung notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und offensichtliche Fehler des Plans zu berichtigen. Intention hinter dieser Regelung ist, auch nach Abstimmung der Beteiligten über den Plan etwaige Unzulänglichkeiten im Insolvenzplan zu korrigieren, ohne dass hierfür eigens eine neue Gläubigerversammlung einberufen werden muss.553) Dies soll insbesondere das Scheitern eines von den Gläubigern bereits beschlossenen Insolvenzplankonzepts etwa an die Registereintragung hindernden Formfehlern verhindern und orientiert sich an den in Notarverträgen in der Praxis üblichen Durchführungs- und Vollzugsvollmachten des Notars,554) sowie an der Befugnis des Notars nach § 44a Abs. 2 BeurkG, offensichtliche Unrichtigkeiten in Urkunden durch Nachtragsvermerk richtig zu stellen. Zur Flankierung bedarf jede Planänderung nach § 221 S. 2 InsO n. F. aber der gerichtlichen Bestätigung nach § 248a InsO n. F. Nach dessen Absatz 2 sollen vor einer solchen Bestätigungsentscheidung alle Beteiligten gehört werden555); dies soll bezüglich der Gläubiger und Anteilseigner allerdings nur für diejenigen gelten, deren Rechte durch die beab-
___________ 550) Zu Details siehe RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 36 sowie die vorhergehende Diskussion. 551) Zu weiteren Detailfragen siehe Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 562. 552) Dies soll sogar zur Pflicht des Insolvenzverwalters werden, wenn eine unverzügliche Anmeldung durch die Schuldnerorgane unterbleibt; dies ergibt sich nach der ESUG-Begründung aus der Verpflichtung des Verwalters zur ordnungsgemäßen Verfahrensdurchführung und zur Umsetzung der sich aus dem Plan ergebenden Anforderungen. Dies gelte aber nicht für den Sachwalter bei der Eigenverwaltung, weil diesem lediglich die Überwachung des Schuldners auferlegt ist, RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 37. 553) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/7511, S. 35. 554) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/7511, S. 35. 555) Dies sind im Einzelnen der Insolvenzverwalter, ein ggf. bestellter Gläubigerausschuss und der Schuldner.
104
III. Flankierende Regelungen im Insolvenzplan
sichtigte Änderung betroffen werden, nicht aber für sämtliche Beteiligten.556) Auf Antrag ist die Bestätigung des berichtigten Plans zu versagen, wenn hierdurch ein Beteiligter voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er nach den mit den Plan beabsichtigten Wirkungen stünde, § 248a Abs. 3 InsO n. F. Diese Formulierung ist an § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO n. F. angelehnt557), anders als dort aber nicht auf die Situation ohne Plan bezogen, sondern auf die Situation nach dem ursprünglich beschlossenen Plan. Gegen den Beschluss des Gerichts über Bestätigung oder Versagung der Änderung ist wiederum die sofortige Beschwerde möglich, für die jedoch auch § 253 Abs. 4 InsO n. F. gilt, nach dem die Beschwerde vom Landgericht unverzüglich zurückgewiesen werden kann, wenn in einer Abwägung das alsbaldige Wirksamwerden des Plans vorrangig erscheint gegenüber einer Verzögerung des Planvollzugs. Diese zusätzliche Einfügung soll mit seinen einzelnen Mechanismen dem Ziel der effektiven Verfahrensabwicklung558) dienen; sie wird im Allgemeinen als erhebliche Erleichterung begrüßt.559)
4.
Nicht angemeldete Gläubigerforderungen
Den Todesstoß für jeden Plan konnten nach alter Rechtslage die sog. „vergessenen 203 Forderungen“ darstellen. Dabei handelte es sich um nicht rechtzeitig angemeldete Forderungen, die nach Planbestätigung noch geltend gemacht wurden. Dem Planverfahren kam bezüglich dieser Forderungen keine Ausschlusswirkung zu; zwar wurden die vergessenen Forderungen auch den Beschränkungen unterworfen, die für vergleichbare Forderungen vorgesehen waren, d. h. sie mussten zwar nicht in voller Höhe, dennoch aber mit der Quote bedient werden, die ihnen bei rechtzeitiger Anmeldung zugestanden hätte.560) Hierdurch konnte die Finanzplanung empfindlich gestört werden, weshalb das ESUG teilweise Abhilfe verschafft, indem nunmehr gemäß § 259b InsO n. F. eine verkürzte Verjährungsfrist von einem Jahr gilt und zudem nach § 259a InsO n. F. Vollstreckungsschutz in der Art gewährt werden kann, dass auf Antrag des Schuldners eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufgehoben oder längstens für drei Jahre untersagt werden kann, wenn ansonsten die Durchführung des Insolvenzplans gefährdet würde.561)
___________ 556) So, wenn auch aus dem Gesetzestext nicht unmittelbar ersichtlich, der Wille des Gesetzgebers laut Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/7511, S. 36. 557) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/7511, S. 36. 558) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/7511, S. 36. 559) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 562 Fn. 52. 560) Siehe Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 561 Fn. 27. 561) Zu Details (auch zur Bevorzugung dieser Regelungstechnik der Verjährung gegenüber einer materiellen Ausschlussfrist) siehe RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 37. Diese neuen Regelungen befürwortend etwa Pape, ZInsO 2010, 2155, 2160.
105
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
5.
Change-of-Control-Klauseln
204 Wenn eine der Vorzüge der rechtsträgererhaltenden Reorganisation das Fortbestehen von Vertragsverhältnissen ist, so kann diese günstige Rechtsfolge in der Praxis verhindert werden durch die Existenz von Change-of-Control-Klauseln. Diese gestehen dem einen Vertragspartner vielfach ein Sonderkündigungsrecht zu für den Fall, dass beim anderen Vertragspartner ein Eigentümerwechsel eintritt.
205 Diese Problematik ist durch das ESUG geregelt worden in § 225a Abs. 4 InsO n. F., nach dem Maßnahmen nach § 225a Abs. 2 oder 3 InsO n. F. nicht zum Rücktritt oder zur Kündigung von Verträgen, an denen der Schuldner beteiligt ist, berechtigt und auch nicht zu einer anderweitigen Beendigung der Verträge führt. Dabei wird in S. 3 klargestellt, dass entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen unwirksam sind. Diese Neuregelung ist ebenfalls erst in letzter Minute durch den Rechtsausschuss ins Gesetz gelangt.562) Anlass war ein vorhergehender Aufsatz von Brinkmann563), in dem dieser darauf hingewiesen hatte, dass hierdurch die Intention des DES, nämlich die Beibehaltung für den Schuldner günstiger Vertragsverhältnisse, konterkariert werden könne. Diese Gefahr ist durch die Neuregelung beseitigt worden.
6.
Risiko der Insolvenzanfechtung eines DES
206 Ob das Risiko einer Insolvenzanfechtung der Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital in einer Folgeinsolvenz droht, ist umstritten. Teils wird hier eine spätere Anfechtung der Umwandlung der Forderung in Anteile nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO befürchtet, wenn innerhalb eines Jahres erneut ein Insolvenzverfahren eröffnet wird.564) Die überwiegende Mehrheit der Autoren hält dies aber richtigerweise für unbegründet, da der DES schon gar nicht zu einer Gläubigerbenachteiligung führen kann.565) Jedenfalls wäre beim DES im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens zu beachten, dass die Umwandlung von der gerichtlichen Planbestätigung abhängt, womit sichergestellt wird, dass damit keine gläubigerschädigenden Handlungen einhergehen. Auch aus Gründen der Planungssicherheit für die beteiligten Gläubiger ist hier eine Anfechtbarkeit abzulehnen, da sonst u. a. auch der durch § 254 Abs. 4 InsO intendierte Effekt untergraben würde.
___________ 562) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/7511, S. 36. 563) Brinkmann, WM 2011, 97, 101 f. 564) Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519. Dies für Gesellschafterdarlehen erwägend Ekkenga, ZGR 2009, 581, 588; eingehend hierzu Wirsch, NZG 2010, 1131. 565) Die spätere Anfechtbarkeit ablehnend Wirsch, NZG 2010, 1131, 1131; Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 116; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464: der umwandelnde Gläubiger erhält nichts i. S. v. § 143 Abs. 1 InsO „aus dem Vermögen des Schuldners“; für eine Einbeziehung in das Sanierungsprivileg Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519.
106
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung Gegen den Planbestätigungsbeschluss des Insolvenzgerichtes stehen den Beteilig- 207 ten verschiedene Rechtsmittel zur Verfügung. Deren Ausgestaltung wurde im Rahmen des ESUG ebenfalls reformiert. Dies hat zugleich Relevanz für den DES, da von den gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen betroffene Anteilseigner als nunmehr Beteiligte des Insolvenzplanverfahrens nicht mehr die originär gesellschaftsrechtlichen Rechtsmittel zustehen, sondern nunmehr nur noch die des Insolvenzplanverfahrens.566)
1.
Grundlagen
Einstimmige Entscheidungen sind in Anbetracht der unterschiedlichen Interessen 208 der Beteiligten nur in den wenigsten Fällen zu erreichen.567) Daher lässt das Insolvenzplanverfahren Mehrheitsentscheidungen zu, die im Grundsatz für alle Gläubiger bindend sind.568) Die Zustimmung der Gläubigermehrheit gewährleistet allerdings noch nicht, dass der Plan auch die Interessen der überstimmten Minderheit angemessen berücksichtigt. Die Entscheidung der Mehrheit569) kann auf Gesichtspunkten beruhen, die allein für sie zutreffen.570) Daher soll der sog. Minderheitenschutz aus § 251 InsO den Schutz derjenigen Gläubiger gewährleisten, die gegen ihren Willen den Rechtswirkungen des Plans unterworfen werden.571) Die Entscheidung des überwachenden Gerichts über einen Antrag nach § 251 InsO bildet eine Grenze der privatautonomen Willensbildung und der Deregulation des Plan-
___________ 566) Siehe zur Einordung in die Gesamt-Systematik K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607 f. 567) Dies zeigen Erfahrungen im Zusammenhang mit außergerichtlichen Sanierungsversuchen, FK-InsO/Jaffé, § 251 Rn. 1. 568) Grundsätzliche Kritik an der Konzeption der Rechtsmittel im Insolvenzplanverfahren bei Stürner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 41 ff, insb. S. 46 ff., der sich gegen die Gleichstellung der Beteiligten mit den Insolvenzfall als einzige Grenze der Gläubigergestaltungsfreiheit, gegen die Idee der Wertrealisierung als einzig achtenswertes Motiv und den generellen Ansatz, Wertrealisierung durch Schätzungen mit weitreichenden Prognoseelementen zu ersetzen, wendet. Grundsätzliche Zweifel auch bei Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 28.26. 569) Smid/Rattunde, Insolvenzplan, 2. Aufl., 2005, Rn. 15.7 weisen darauf hin, dass die „Mehrheit“ oftmals faktisch nur eine Minderheit ist, da regelmäßig nur wenige stimmberechtigte Gläubiger zu den Terminen erscheinen, die Abstimmungsquoren sich aber allein an den anwesenden Gläubigern orientieren (anders als noch unter VglO und KO). 570) RegE-InsO BT-Drs. 12/2443 S. 211; als Beispiel wird genannt, dass die Mehrheit sich Vorteile aus künftigen Geschäftsbeziehungen mit dem Schuldner verspricht, während für die Minderheit diese Erwartungen nicht gegeben sind; nicht alle Interessenunterschiede solcher Art können bei der Gruppenbildung berücksichtigt werden, a. a. O. S. 211. 571) Uhlenbruck/Lüer, 13. Aufl., 2010, § 251 Rn. 1.
107
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
verfahrens.572) Die zivilrechtliche Haftungsordnung soll gewahrt und Vermögensverlagerungen durch Fremdbestimmung abgewehrt werden, indem dem Gläubiger stets der Liquidationswert garantiert wird.573) Selbiges gilt nunmehr auch für die Anteilseigner.
209 Der in § 251 InsO geregelte Minderheitenschutz wurde auch deshalb für nötig befunden, weil die erforderliche Summenmehrheit in den verschiedenen GläubigerAbstimmungsgruppen gemäß § 244 InsO jeweils (nur) 50 % (nach Köpfen und nach Summen) beträgt. Dies war in der KO und der VglO noch anders, wo sie bei 75 % lag.574) Beim Recht der KO kam hinzu, dass für die Berechnung der Kopfmehrheit alle anwesenden Gläubiger, für die Berechnung der Summenmehrheit sogar alle stimmberechtigten Gläubiger, also auch die nicht-anwesenden, zu berücksichtigen waren.575) Die Annahme eines Plans nach der InsO sollte aber nicht durch Verfahrensregeln übermäßig erschwert werden.576) Für den Schutz der überstimmten Minderheiten (die dementsprechend mit 49 % relativ groß sein kann) sollte daher § 251 InsO sorgen.577) Diese Norm verlangt vom Insolvenzgericht auf Antrag eines widersprechenden Beteiligten die Durchführung eines weiteren Prüfungsverfahrens.
2.
Verzögerungspotential durch Rechtsmittel als Gefahr für die Insolvenzplansanierung
210 § 254 Abs. 1 InsO bestimmt, dass der Insolvenzplan keine rechtlichen Wirkungen entfaltet, solange er noch nicht rechtskräftig ist.578) Die sofortige Beschwerde nach § 253 InsO a. F. wie auch der Antrag nach § 251 InsO a. F. hatten nach alter Rechtslage vielfach solche Verzögerungen der Planbestätigung zur Folge, dass allein das Stattfinden des Rechtsmittelverfahrens die Sanierung behindern oder sogar ___________ 572) So FK-InsO/Jaffé, § 251 Rn. 3; kritisch Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb., Kap. 9 VI. 1. e) (S. 1039): „wenn selbst die Mehrheitsentscheidung einer Gruppe keine ausreichende Legitimation für Einschränkungen einzelner Gläubiger ist, so wird dem Interesse des Einzelnen (…) ein höherer Stellenwert gegeben (…) als dem gemeinschaftlichen Interesse aller Gläubiger, die sich um das Zustandekommen des Plans bemühen.“ 573) So HK-InsO/Haas, § 251 Rn. 2. 574) Nachweise bei Smid/Rattunde, Insolvenzplan, 2. Aufl., 2005, Rn. 11.70. 575) RegE-InsO BT-Drs. 12/2443 S. 208; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl., 2003, Rn. 28.33. 576) RegE-InsO BT-Drs. 12/2443 S. 208. 577) RegE-InsO BT-Drs. 12/2443 S. 208. 578) Nach § 258 Abs. 1 InsO beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Verfahrens, wenn die Bestätigung des Insolvenzplans rechtskräftig ist und der Insolvenzplan nicht etwas anderes vorsieht. Die InsO selbst enthält keine Regelung, wann der Plan rechtskräftig wird. Aufgrund des Verweises in § 4 InsO kommen die zivilprozessualen Vorschriften der §§ 705 ff. ZPO zur Anwendung. Daraus folgt, dass gem. §§ 705 Abs. 1 ZPO, 4 InsO die formelle Rechtskraft des Planbestätigungsbeschlusses davon abhängt, dass vor Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels bestimmten Frist kein solches Rechtsmittel eingelegt wurde, siehe Smid, DZWiR 2005, 364 f.
108
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
gänzlich vereiteln konnte.579) Entsprechend war insbesondere die ausgeprägte Rechtsmittellastigkeit des Insolvenzplanverfahrens als zentrales Sanierungshindernis ausgemacht worden.580) Die dadurch bedingte Langwierigkeit wurde als wohl gravierendste Schwachstelle bezeichnet.581) Beklagt wurde insbesondere der sehr hohe Formalisierungsgrad, da fast alle wichtigen Vorschriften als zwingendes Recht ausgestaltet waren; hierdurch konnten schon kleine Unaufmerksamkeiten, die dem Planersteller bei der Komplexität eines Insolvenzplans unterlaufen konnten, ein langjähriges Rechtsmittelverfahren bedingen.582) Da aber ohne Planbestätigung die finanz- und leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen meist nicht umgesetzt werden konnten, drohte die akute Gefahr des Scheiterns.583)
3.
Reform der Rechtsmittel
a) Vorgeschlagene Konzepte zur Beschleunigung des Planbestätigungsverfahrens Im Vorfeld der Reform wurden zahlreiche Alternativkonzepte zur Beschleunigung 211 des Planbestätigungsverfahrens vorgeschlagen. So wurde u. a. vorgeschlagen, das Beschwerderecht für die Inhaber von Bagatellforderungen auszuschließen.584) Es ___________ 579) MüKo-InsO/Sinz, 2. Aufl., 2008, § 253 Rn. 3; Madaus, NZI 2010, 430, 431. Diese Verzögerungen resultieren aus der Tatsache, dass die Rechtsmittel oftmals komplexe und zeitaufwendige Vergleichsrechnungen erforderten, Willemsen/Rechel, BB 2010, 2059, 2065. Dabei müssen nicht zwingend immer alle Beschwerden zu Blockadezwecken erhoben sein; es können grundsätzlich legitime Interessen der Beschwerdeberechtigten an der Wahrung ihrer materiellen Rechte wie auch ihrer Verfahrensrechte bestehen, vgl. Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1855. Idealerweise wird durch eine professionelle Verhandlungs- und Kommunikationsstrategie (vgl. hierzu Kassing, ZInsO 1999, 266 zu Mediation im Insolvenzplanverfahren) frühzeitig dazu beigetragen, dass eine konsensuale Lösung erreicht wird. Dies ist aber nur selten erfolgreich, da unterschiedlichste Interessen, gerade wenn Anteilseigner beteiligt sind, eine Rolle spielen. 580) Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1854; besonders drastisch Smid/Rattunde, Insolvenzplan, 2. Aufl., 2005, Rn. 15.20: § 251 InsO a. F. erscheine ebenso systemwidrig wie unpraktikabel und disfunktional. Es sei eine Einbruchstelle für Sachverständigenschlachten, die schon aufgrund des Zeitverlustes stets zugunsten des Widersprechenden ausgehen müssten. 581) Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657; Smid/Rattunde, Insolvenzplan, 2. Aufl., 2005, Rn. 15.19: könnte einem Unternehmen den Todesstoß versetzen. 582) Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1854. 583) K/P/Otte § 253 Rn. 10; Wutzke, ZInsO 1999, 1, 3; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 634 f. Solche zeitlichen Verzögerungen konnten eine ernsthafte Gefahr darstellen für das Unternehmen in Form von Wegfall von Absatzstrukturen, Auftragseingängen, Ausscheiden von wichtigen Mitarbeitern, etc., FK-InsO/Jaffé, 5. Aufl., 2009 § 253 Rn. 13. Zudem müsse der Betrieb fortgeführt werden, was Finanzierungsschwierigkeiten aufwerfen kann, da die adäquate Absicherung eines Überbrückungskredits oftmals nicht gewährleistet werden kann, Wutzke, ZInsO 1999, 1, 4. 584) So Positionspapier DIHK „Zehn Vorschläge zur Unternehmenssanierung in der Insolvenz“ v. 18.11.2009, S. 3: Einwand darf nicht mit jeder Bagatellforderung geführt werden. Ähnlich Westpfahl/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 22: Einführung von Schwellenwerten, um opponierenden Gläubigern mit wirtschaftlichen Minimalinteressen die Beschwerdemöglichkeit zu nehmen.
109
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
hätte auch darüber nachgedacht werden können, hinsichtlich der Anteilseigner ein bestimmtes Beteiligungsquorum für das Rechtsmittel vorzusehen.585) Von Madaus586) wurde in Anlehnung an die Regelung im US-Chapter 11-Recht vorgeschlagen, der Beschwerde eines Gläubigers gegen die Insolvenzplanbestätigung die aufschiebende Wirkung zu nehmen. Stattdessen solle es die Möglichkeit für den Beschwerdeführer geben, einen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Plans zu stellen. Um dies festzustellen, hätte der Richter die Vollzugsinteressen der Planbeteiligten und der Allgemeinheit mit dem Suspensivinteresse des Beschwerdeführers abzuwägen.587) Es wäre demnach Aufgabe des Beschwerdeführers gewesen, Umstände glaubhaft zu machen, die für ein überwiegendes Interesse am Aufschub der Planumsetzung bis hin zur Rechtswegerschöpfung sprechen.588) Hierfür hätte eine Frist von 14 Tagen bestehen sollen, nach deren Ablauf die Planwirkungen eintreten sollten. Sofern der Richter dem Antrag auf Aussetzung des Planvollzugs nicht stattgeben sollte, sollte dem Beteiligten das Recht zur Fortführung des Klagefahrens erhalten bleiben, bei dem ihm im Erfolgsfall aber lediglich Ersatz des planbedingten Vermögensschadens zugesprochen werden sollte.589)
212 Mit dem Ziel der Abkoppelung der Entschädigungsfrage von der Planbestätigung wurde auch eine Implementierung der Regeln des Spruchverfahrens (nach SpruchG) in das Insolvenzplanverfahren vorgeschlagen.590) Hier wäre allerdings problematisch gewesen, dass das Spruchverfahren nach seiner Konzeption erga-omnes-Wirkung (auch: inter-omnes-Wirkung) hat, also für sämtliche betroffenen Beteiligten gilt und nicht nur für diejenigen, die ein Rechtsmittel eingelegt haben. Entsprechend wurde von Jaffé/Friedrich gefordert, diese Wirkung auszuschließen, weil ansonsten ein unüberschaubares finanzielles Risiko für die Gesellschaft bestehe.591) Hinsichtlich der Alt-Anteilseigner sahen andere Autoren dagegen gerade die erga-omnesWirkung von Vorteil, da sie eine Entscheidung in einem konzentrierten Verfahren ___________ 585) Siehe hierzu aus der Diskussion zu dem Freigabeverfahren Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 203. 586) Madaus, NZI 2010, 430 ff. 587) Dabei wollte Madaus, NZI 2010, 430, 434 direkt kommuniziert wissen, dass im Zweifel das gemeinschaftliche Interesse an der sofortigen Durchführung des angenommenen und bestätigten Insolvenzplans überwiegt. 588) Dies stehe im Einklang mit den Grundsätzen des deutschen Zivilprozesses, wie sie in § 570 ZPO zu finden sind; auch dort habe die sofortige Beschwerde grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, Madaus, NZI 2010, 430, 434. 589) Madaus, NZI 2010, 430, 434. 590) Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1855 f.; Simon, CF 2010, 448, 458 allerdings nur hinsichtlich der Entschädigung der Anteilseigner (für die Gläubiger sah er den vom ESUG gewählten Ausgleich aus der Sicherheitsleistung für ausreichend); gegen ein solches Vorgehen Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657. 591) Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1856. Zudem hätte dies verkannt, dass in einem zwischen den Beteiligten ausgehandelten Insolvenzplan vielfach bewusst Zugeständnisse gemacht oder zumindest durch Nicht-Einlegung von Rechtsmitteln bewusst Einschnitte hingenommen wurden, um eine Planbestätigung zu erreichen.
110
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten ermögliche, während die später vom ESUG verfolgte Konzeption es nötig mache, dass jeder Anteilsinhaber seinen Entschädigungsanspruch mit einer eigenständigen Leistungsklage geltend mache.592) Überwiegend wurde eine Lösung aber in einem Vorgehen nach dem Vorbild des 213 aktienrechtlichen Freigabeverfahrens befürwortet.593) Vorgeschlagen wurde zuletzt auch eine gänzliche Abschaffung des Rechtsmittels.594) Die Frage, ob nicht aufgrund der nunmehr in § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG n. F. angeordneten Richterzuständigkeit (statt des Rechtspflegers) für das Planverfahren gänzlich auf ein Rechtsmittel gegen den Bestätigungsbeschluss verzichtet werden kann, warf auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum ESUG auf.595)
b) § 251 InsO n. F. § 251 InsO gibt das Recht, zwischen Abstimmung über den Insolvenzplan und 214 Planbestätigung durch das Gericht einen Antrag auf Versagung der Planbestätigung zu stellen. Die Norm wurde durch das ESUG zunächst sprachlich dahingehend angepasst, dass Rechtschutz nunmehr neben den Gläubigern auch von den Alt-Anteilseignern geltend gemacht werden kann. Dies war letztlich konsequente Folge der Einbindung der Anteilseigner in das Insolvenzplanverfahren; da diese zudem die ihnen eigentlich zustehenden Rechte wie etwa die Anfechtungsklage ___________ 592) Simon, CF 2010, 448, 458, nach dem zugleich sämtliche Fragen der Ausgleichsleistung in diesem Spruchverfahren geklärt werden sollten. 593) Westpfahl/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 23; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1855; Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657 und auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum ESUG, BT- Drs. 17/5712, S. 58. 594) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 510, nach denen „nochmals ernsthaft zu hinterfragen (sei), ob ein Rechtsmittel gegen die zukünftig richterliche Entscheidung über die Bestätigung eines Insolvenzplans überhaupt noch sachgerecht“ sei; für eine ersatzlose Streichung des § 253 InsO hatte bereits der DAV plädiert, siehe Stellungnahme des DAV durch den Insolvenzrechtsausschuss vom 10.3.2010, S. 6. Sollte man, was auch Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 510 f. nicht gänzlich bezweifeln, es für bedenklich halten, einer amtsrichterlichen Entscheidung so viel Rechtsmacht zuzubilligen, so schlugen die Autoren ein gestuftes System vor: wolle der Amtsrichter den Plan bestätigen, so solle er diesen der Kammer für Handelssachen beim LG vorlegen, welche dann hierüber eine Entscheidung treffen solle. Würde sich die Kammer der Bestätigung anschließen, so seien Rechtsmittel von vornherein ausgeschlossen (dies bezeichneten sie als „mehrstufige Entscheidung ohne Instanzenzug“). Würde die Kammer dagegen der Ansicht des Amtsrichters nicht folgen, so würde sie den Vorgang zurück an das Amtsgericht leiten. Dieses könne zwar weiterhin den Insolvenzplan bestätigen, diese Entscheidung sei aber wie bisher rechtsmittelfähig. 595) Stellungnahme des Bundesrats, BT- Drs. 17/5712, S. 58. In der Gegenäußerung der BReg zur Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drs. 17/5712, S. 69 f. führte die Bundesregierung allerdings aus, dass der nach dem RegE gewährte Mindestschutz an verfahrensrechtlichen Überprüfungsmöglichkeiten schon aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend sei. Der RegE schöpfe „mit seinen Beschleunigungsvorschlägen bereits das, was verfassungsrechtlich noch als zulässig angesehen werden muss, aus. Darüber hinausgehende Eingriffe in die Verfahrensrechte der Beteiligten sollten deshalb unterbleiben“.
111
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
gegen einen Gesellschafter-/Hauptversammlungsbeschluss nicht geltend machen können, müssen ihnen im Grundsatz die Rechtsmittel des Planverfahrens zur Verfügung stehen.
215 Voraussetzung des Antrags auf Minderheitenschutz ist, dass der Antragsteller dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen haben muss (Abs. 1 Nr. 1)596) und der Antragsteller durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stünde (Abs. 1 Nr. 2).597) Die voraussichtliche Schlechterstellung muss dabei glaubhaft gemacht werden, und zwar nunmehr spätestens im Abstimmungstermin.598)
216 Entscheidende Neuerung des § 251 InsO ist aber dessen neuer Abs. 3, nach dem der Antrag abzuweisen ist, wenn im gestaltenden Teil des Plans Mittel für den Fall bereit gestellt werden, dass ein Beteiligter eine Schlechterstellung nachweist.599) Ob der Beteiligte einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhält, ist außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären.
c)
§ 253 InsO n. F.
217 § 253 InsO gibt die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung des Insolvenzgerichts in Bezug auf die Planbestätigung. Auch diese Norm ist reformiert worden. Während nach § 253 InsO a. F. den Gläubigern und dem Schuldner gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt oder die Bestätigung versagt wurde, die sofortige Beschwerde ohne weitere maßgebliche Voraussetzungen zustand, hat das hierin gewährte Rechtsmittel nunmehr entscheidende Änderungen, maßgeblich Einschränkungen, erfahren.600)
218 Zunächst ist dieser sprachlich erweitert worden und erfasst nunmehr auch die AltAnteilseigner; allerdings soll implizite Voraussetzung der Beschwerde jeweils das Vorliegen einer Beschwer sein, die nur dann gegeben ist, wenn der Plan in die Rechte des Beschwerdeführers eingreift.601) Im Fall eines DES ist dies aufgrund ___________ 596) Dies war vorher schon Voraussetzung, mit dem kleinen Unterschied, dass nunmehr die Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle nicht mehr möglich ist. 597) Zu den Kriterien dieser Schlechterstellung in Bezug auf Gläubiger siehe nur N/R/Braun, § 251 Rn. 4 ff. 598) Diese zeitliche Beschränkung war vorher nicht vorgesehen. Nach Einschätzung der Praxis dürfte die Glaubhaftmachung, sofern hinsichtlich der Vergleichsrechnung keine groben handwerklichen Mängel unterlaufen sind, aber kaum jemals gelingen, so Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 561 Fn. 34. 599) Eingehend hierzu sogleich unter 4. 600) Nach der Gesetzesbegründung sollten die Rechtsschutzmöglichkeiten „moderat beschränkt (werden), ohne berechtigten Anliegen den gebotenen Rechtschutz zu verwehren“, RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 35. 601) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 35.
112
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
der damit einhergehenden Änderungen der Anteilseignerstruktur in Bezug auf die Alt-Anteilseigner faktisch immer gegeben. Zudem werden nunmehr Anforderungen an die Zulässigkeit der Beschwerde auf- 219 gestellt. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 1 InsO n. F. ist erste neue Zulässigkeitsvoraussetzung, dass der Beschwerdeführer dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen hat.602) Des Weiteren ist die Beschwerde nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 InsO n. F. nunmehr nur noch zulässig, wenn der Beschwerdeführer vorher gegen den Plan gestimmt hat.603) Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 1 – 3 InsO n. F. hängt dabei aber nicht von dem zusätzlichen Erfordernis ab, dass der der Beschwerdeführer im Verfahren der Planbestätigung einen zulässigen Minderheitenschutzantrag nach § 251 InsO gestellt hat.604) Zuletzt beschränkt § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO n. F. die sofortige Beschwerde auf sol- 220 che Fälle, in denen eine wesentliche Schlechterstellung geltend gemacht wird605), was zudem auch glaubhaft gemacht werden muss. Wann eine solche wesentliche Schlechterstellung vorliegt, sagt der Gesetzestext nicht unmittelbar. Die Gesetzesbegründung spricht davon, dass dies dann nicht anzunehmen sei, wenn die Abweichung von dem Wert, der ohne Insolvenzplan voraussichtlich erreichbar gewesen wäre, niedriger als 10 % liege.606) Diese Einschränkung hält nur deshalb verfassungsrechtlichen Vorgaben Stand, weil zugleich nunmehr in § 18 RPflG die Ent___________ 602) Das Erfordernis einer formellen Beschwer war vorher umstritten; nach h. M. und insb. BGH ZIP 2005, 1648, 1649 stand das Beschwerderecht auch denjenigen zu, die im Abstimmungstermin dem Insolvenzplan nicht widersprochen hatten; zur Gegenansicht siehe nur Smid DZWiR 2005, 364, 369. 603) Dies war zum alten Recht noch streitig: die h. M. sprach sich dafür aus, dass das vorherige Stimmverhalten irrelevant sei, MüKo-InsO/Sinz, 2. Aufl., 2008, § 253 Rn. 6, 20; Bähr/Landry, in: Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, § 14 Rn. 189; N/R/Braun § 253 Rn. 1. Nach der Gegenansicht konnten dagegen nur die Gläubiger die sofortige Beschwerde erheben, die vorher gegen den Plan gestimmt hatten, Heublein NZI 2005, 381; Uhlenbruck/ Lüer, 13. Aufl., 2010, § 253 Rn. 2. Die h. M. argumentierte aber maßgeblich damit, dass die Irrelevanz vorherigen Stimmverhaltens allein praktikabel erscheine, da die Möglichkeit der Stimmabgabe im Termin bestehe und ansonsten Unklarheiten über Art und Weise der Stimmabgabe drohen könnten, vgl. BerlKomm-Flöther/Wehner, § 253 Rn. 10. 604) BGH NJW 2014, 2436, 2437; a. A. LG Berlin ZIP 2014, 893; G. Fischer, NZI 2013, 513, 515. 605) Zur vorherigen Diskussion um eine materielle Beschwer im Rahmen des § 253 InsO a. F. siehe nur BGH ZIP 2005, 1648, 1649 sowie Heublein, NZI 2005, 381 und Smid, DZWiR 2005, 364 ff. 606) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 35. Die Gesetzesbegründung spricht dabei von dem Wert, den „der Gläubiger“ voraussichtlich bei Verwertung ohne Insolvenzplan erhalten hätte. Dies kann aber wohl auch für den Anteilseigner angenommen werden, weil der Gesetzestext nicht zwischen Gläubiger und Anteilseigner differenziert; die Nicht-Erwähnung dürfte auch daraus resultieren, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Anteilseigner zumeist überhaupt keine Zahlungen erhalten, a. a. O. S. 32. Heinrich, NZI 2012, 235, 242 sieht den Streit über die Auslegung dieses Merkmals vorprogrammiert.
113
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
scheidung über die Insolvenzplanbestätigung dem Rechtspfleger entzogen und dem Richter zugeordnet wurde.607) Das Bundesverfassungsgericht hatte zuletzt 2009 bekräftigt, dass weder der allgemeine Justizgewährungsanspruch noch Art. 19 Abs. 4 GG garantieren, dass gegen eine richterliche Entscheidung eine zweite richterliche Instanz angerufen werden kann.608) Hinter dieser Einschränkung stehender Zweck soll nach Aussage der Gesetzesbegründung auch sein, die Beschwerdemöglichkeit solcher Personen auszuschließen, die eine kleine Forderung nur zu dem Zweck erworben haben, gegen den Plan zu opponieren und sich ihr Obstruktionspotential gegebenenfalls abkaufen zu lassen.609) Allerdings ist fraglich, inwiefern ein solches „Abkaufen“ überhaupt möglich ist: durch den Insolvenzplan wird dies kaum möglich sein, da hier das Gebot der Gläubigergleichbehandlung gilt; hiermit können also nur Sonderleistungen seitens eines Investors oder Großgläubigers gemeint sein.610)
221 Selbst wenn aber eine wesentliche Schlechterstellung geltend gemacht wird, kann dieses Vorliegen einer materiellen Beschwer dadurch ausgeschlossen sein, dass “dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 251 Abs. 3 genannten Mitteln ausgeglichen werden kann“, § 253 Abs. 3 Nr. 3 a. E. InsO n. F.
d) Relevanz für die am DES beteiligten Akteure 222 Bezogen auf den DES stellen sich für die Beteiligten folgende Problemstellungen: Die sich durch Forderungsumwandlung am DES aktiv beteiligenden Gläubiger werden Rechtsmittel gegen den Plan kaum jemals geltend machen. Da ihnen dieser nicht aufgezwungen werden kann, sondern sie sich bewusst für die Umwandlung ihrer Forderung zu den im Plan festgelegten Bedingungen entschieden haben, liegt ihr Interesse nicht in der Verhinderung des Plans, sondern in dessen rascher Durchführung.
223 Die nicht umwandelnden Gläubiger sind ebenfalls nicht unmittelbar durch den DES betroffen; ihre Forderung wird weiterhin mit einer gewissen Quote bedient, die umwandelnden Gläubiger sind sogar aus dem unmittelbaren Konkurrenzverhältnis um eine Befriedigung aus der Insolvenzmasse ausgeschieden. Allerdings ist je nach konkreter Ausgestaltung des Insolvenzplans denkbar, dass die Gläubiger nicht – wie bei der übertragenden Sanierung – eine sofortige Quotenzahlung erhalten, ___________ 607) Dies galt allerdings erst ab dem 1.1.2013, während fast sämtliche restlichen Normen des ESUG bereits zum 1.3.2012 in Kraft traten. Folglich ist eine Einschränkung des Beschwerderechts unter Verweis auf die „unwesentliche Schlechterstellung“ in den ersten 10 Monaten nach Inkrafttreten des ESUG noch nicht möglich gewesen. 608) BVerfG ZIP 2010, 237, in der es um die Stimmrechtsfestsetzung im Insolvenzverfahren ging und bei der darauf abgestellt wurde, dass der Schutz der Rechte der Gläubiger einen zügigen und reibungslosen Ablauf des Insolvenzverfahrens verlangen würde (so auch explizit zitiert in der Gesetzesbegründung, RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 36). 609) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 35 f. 610) Zu räuberischen Gläubigern, die das Insolvenzplanverfahren verzögern, siehe noch Pesch, FS Lüer, 2008, S. 77, 87 f.
114
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
sondern diese gestreckt in Raten erfolgt. Hierdurch können sie betroffen sein und entsprechend Rechtsmittel geltend machen, was zu komplizierten Vergleichsrechnungen der Zustände mit und ohne Plan führen kann. Die Alt-Anteilseigner sind stets durch den DES unmittelbar betroffen. Da hier- 224 durch in ihre Rechte eingegriffen wird und sie somit als Beteiligte in den Planprozess einbezogen werden, stellen sich die Fragen der Rechtsmittel auch für sie. Hierbei wäre Blockadepotential auf den ersten Blick kaum zu erwarten: indem § 251 InsO eine Schlechterstellung und § 253 InsO sogar eine wesentliche Schlechterstellung gegenüber der Situation ohne Insolvenzplan voraussetzt, könnte konstatiert werden, dass Anteilseigner aufgrund der regelmäßig bestehenden Wertlosigkeit ihrer Anteile gegen einen Insolvenzplan, der sie leer ausgehen lässt, kein Rechtsmittel geltend machen können, da sie im Regelverfahren, also bei Rechtsträgerliquidation, auch regelmäßig nichts erhalten würden.611) Allerdings ist dies nicht zwingend immer so: gerade bei sanierungsfähigen Unternehmen kann sich ein gewisser Wert durchaus ergeben.612) Zudem kann schon der bloße Streit darum, ob ein solcher (Rest)-Wert besteht, das Verfahren lähmen. Daher sind die NeuRegelungen durch das ESUG in Form der Sicherheitsleistung sowie des Freigabeverfahrens unmittelbar relevant für die Durchführung eines DES im Insolvenzplanverfahren.
4.
Die Sicherheitsleistung
a) Konzept Das Konzept der Einschränkung von Rechtsmitteln bei Stellen einer Sicherheits- 225 leistung ist dem Insolvenzplanverfahren nicht fremd. Die Idee der Verankerung einer „salvatorischen Klausel“613) im Insolvenzplan hatte der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zur InsO aus dem Jahre 1992 selbst aufgeworfen.614) Die Zulässigkeit ___________ 611) In diese Richtung Spliedt, GmbHR 2012, 462, 469; FK-InsO/Jaffé § 253 Rn. 14. 612) Wenn, wie hier vertreten, im Einzelfall zu prüfen ist, ob auch bei Ansatz eines Fortführungswerts ohne Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen ein Wert feststellbar ist, siehe eingehend unten § 10. II. 3. Vgl. auch Spetzler S. 79 f., die das Beispiel bringt, dass ein Großgläubiger den Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit eines nicht überschuldeten Unternehmens gestellt hat, um dieses zu übernehmen. 613) Auch: Nachbesserungsklausel, Ausgleichsklausel, Heilungsklausel, salvatorische Erhöhungsklausel (so Wutzke, ZInsO 1999, 1, 4). 614) So wurde gesehen, dass mit der Minderheitenschutzregelung ein „nicht immer leicht zu kalkulierendes Risiko für das Zustandekommen der einvernehmlichen Regelung verbunden ist. (…) Dieses Risiko kann jedoch dadurch ausgeschlossen werden, dass im Plan zusätzliche Leistungen an solche Beteiligte vorgesehen werden, die dem Plan widersprechen und den Nachweis führen, dass sie ohne solche Zusatzleistungen durch den Plan schlechter gestellt werden als ohne einen Plan. Enthält der Plan eine solche Bestimmung, ist die Finanzierung der Leistungen gesichert und ist eindeutig, dass im Falle der zusätzlichen Leistungen der Mindeststandard erreicht wird, so steht der Minderheitenschutz der Bestätigung des Plans nicht entgegen“, RegE-InsO, BTDrs. 12/2443, S. 212.
115
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
einer salvatorischen Klausel wurde allerdings sehr unterschiedlich beurteilt.615) Insbesondere wurden Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 226 InsO geäußert.616) Auch wurde der Gedanke des „Herauskaufens“ einzelner Gläubiger abgelehnt.617) Die geäußerten Zweifel waren u. a. der Grund, warum der Gesetzgeber die Möglichkeit der Sicherheitsleistung nunmehr kodifiziert hat.618) Somit werden Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, sofern man solche sehen will, in Einzelfällen hingenommen, um die Planbestätigung zu beschleunigen.619) Fortbestehend bleibt allerdings der geltend gemachte Einwand, dass dem betroffenen Beteiligten immer noch das Prozessrisiko aufgebürdet wird: Während der Insolvenzplan eigentlich einen vollstreckbaren Titel darstellen solle, werde dies dem ausgleichsberechtigten Gläubiger (oder auch Anteilseigner) nicht zugestanden, weil er dies erst noch separat in einem Erkenntnisverfahren geltend machen müsste.620)
226 Vom Grundkonzept her folgt die Einführung eines solchen Systems der Verweisung auf nachträglichen rein vermögensrechtlichen Schutz (bei dem also keine Rückabwicklung einer sich im Nachhinein als rechtswidrig herausstellenden Maßnahme verlangt werden kann) dem auch beim aktienrechtlichen Freigabeverfahren nach § 246a AktG verwirklichten Konzept, wenngleich mit noch zu erläuternden
___________ 615) Befürwortend Kaltmeyer, ZInsO 1998, 316, 320 und Uhlenbruck/Lüer, 13. Aufl., 2010, § 226 Rn. 6 und § 251 Rn. 19 (ebenfalls 13. Aufl., 2010); einschränkend MüKo-InsO/Sinz, 2. Aufl., 2008, § 251 Rn. 24 ff. und Eidenmüller, NJW 1999, 1537, 1538 (Verfahrensverlangsamung lasse sich nur in Einzelfällen ausschließen oder verringern) sowie FK-InsO/Jaffé § 245 Rn. 42 f. (sollten zwar ihren Platz im Insolvenzplan haben, zugleich aber sollte klar sein, dass sie kein „Allheilmittel“ darstellen) und BerlKomm-Flöther/Wehner, § 251 Rn. 10 (nur in besonders gelagerten Einzelfällen möglich); sehr kritisch Smid/Rattunde, in: Smid, InsO, § 251 Rn. 10 f.; HK-InsO/Haas § 251 Rn. 11 f. 616) So HK-InsO/Haas § 251 Rn. 11 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 28.49: würde auf eine gleichbehandlungswidrige Praxis hinauslaufen, womit solche Klauseln i. E. eine Generalrevision des Planes heraufbeschwören müssten; gegen einen Verstoß gegen § 226 InsO aber Eidenmüller, NJW 1999, 1537, 1538, Fn. 14 (immer alle Gruppenangehörigen von einer potentiellen Schlechterstellung betroffen, und durch die Klausel werden auch alle begünstigt); Uhlenbruck/Lüer, 13. Aufl., 2010, § 226 Rn. 6 sowie 13. Aufl., 2010, § 251 Rn. 19 (kein Verstoß gegen § 226 Abs. 3, wenn die salvatorische Klausel, wie regelmäßig, im Plan dargelegt wird). 617) Wutzke, ZInsO 1999, 1, 4 Fn. 10, der sogar die Frage der Strafbarkeit einer Ungleichbehandlung i. S. d. § 283c StGB aufwirft. 618) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 35. 619) Zur Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bereits im Kontext u. a. der Gruppenbildung kritisch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 28.26. 620) MüKo-InsO/Sinz, 2. Aufl., 2008, § 251 Rn. 22; auch Smid/Rattunde, in: Smid, InsO, § 251 Rn. 10 f.: stelle einen groben Systembruch dar.
116
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
Unterschieden. Eine entsprechende Legitimationsdebatte621) hat bzgl. der ESUGRegelungen bisher noch nicht stattgefunden, was wohl damit erklärt werden kann, dass die meisten Beteiligten im Insolvenzverfahren rein vermögensrechtliche Interessen verfolgen, so dass ihnen dieses Konzept zugute kommt. Dies gilt nicht im selben Maße für Alt-Anteilseigner; allerdings ist deren Position in der Insolvenz in den meisten Fällen ohnehin im Untergang begriffen, so dass sich schwerlich Argumente für ihren zwingend und umfassend zu gewährleistenden Bestandsschutz finden werden.622) Zur konkreten Abwicklung verbleiben aber Einzelfragen.
227
b) Schuldner der Ausgleichsleistung Gelingt es einem Beteiligten (Gläubiger oder Anteilseigner) in dem gemäß § 251 228 Abs. 3 S. 2 InsO n. F. nachgeordneten Verfahren vor den ordentlichen Gerichten, eine Schlechterstellung durch den Plan nachzuweisen, so stellt sich die Frage, wer Schuldner dieser Ausgleichsleistung ist. Da die Sicherheitsleistung einen „Sonderposten“ im Insolvenzplan darstellt, könnte dies der Insolvenzverwalter sein, der diesen ausgearbeitet hat.623) Dies wird allerdings dann problematisch, wenn das Verfahren bereits aufgehoben wurde, da nach § 259 Abs. 1 InsO in diesem Fall das Amt des Insolvenzverwalters erlischt, wenn nicht nach § 258 Abs. 2, § 260 ff. InsO eine Überwachung der Planerfüllung durch diesen stattfindet. Überwiegend wird ___________ 621) Zu dieser heftigst geführten Debatte soll nur verwiesen werden auf Heidel/Heidel, AktR, 3. Aufl., 2011, § 246a AktG Rn. 19 f.; Habersack/Stilz, ZGR 2010, 710 ff.; Winter, FS Ulmer, 2003, 699 ff. sowie Zöllner, FS Westermann, 2008, 1631 ff. Eine umfassende rechtsökonomische Analyse gibt Sauerbruch, S. 167 ff. zu der Frage, ob der Anfechtungsklage bei deren Erfolg Kassationswirkung zuerkannt oder ob Bestandskraft eintreten sollte mit der Entscheidung des Gerichts im Freigabeverfahren mit der Folge, dass lediglich Schadensersatz verlangt werden kann. Bezugnehmend auf das Konzept von Calabresi und Melamed sieht er die Kassationswirkung als property rule, während die bloße Schadenersatzregelung eine liablility rule darstellt. Im Ergebnis hält er das Konzept des Freigabeverfahrens nur für tauglich bei börsennotierten Aktiengesellschaften, weil nur hier der sich am Markt gebildete Börsenkurs leicht ermitteln ließe, a. a. O. S. 181 f. 622) Siehe allerdings die Diskussion in Bezug auf Art. 14 GG (unten § 6. III.), auch etwa bei der Pfleiderer-Insolvenz 2012; hierzu sehr kritisch K. Schmidt, ZIP 2012, 2085. 623) Bei Ausgleichsansprüchen von Gläubigern im Rahmen des KredReorgG soll Anspruchsgegner ausdrücklich der Reorganisationsberater sein. Dies wird damit begründet, dass dieser allein in der Lage sei, die Angemessenheit des geforderten Ausgleichs vor dem wirtschaftlichen Hintergrund des Verfahrens zu beurteilen; dies soll auch dann gelten, wenn der Reorganisationsplan vom Kreditinstitut selbst vorgelegt worden ist. Auch in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 92 InsO sei es nach dem Gesetzgeber notwendig, die außerhalb des Reorganisationsverfahrens geltend gemachten Ansprüche bei ihm zu bündeln, RegE-KredReorgG BT- Drs. 17/3024, S. 57 (mit Verweis hierauf eine entsprechende Regelung auch für die InsO andenkend HambKomm/Thies, § 251 Rn. 21). Dies gilt allerdings nur für Gläubiger; für AltAnteilseigner steht dagegen die Anfechtungsklage offen, allerdings findet das Freigabeverfahren nach § 246a AktG Anwendung. Schuldner einer Entschädigung gegenüber Alt-Anteilseignern ist nach § 9 Abs. 2 S. 1 KredReorgG wiederum explizit das Kreditinstitut selbst.
117
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
davon ausgegangen, dass die Gesellschaft Schuldnerin der Ausgleichsleistung ist.624) In Bezug auf die ggf. zu leistende Entschädigung für durch die mit dem DES einhergehende Kapitalherabsetzung und Bezugsrechtsausschluss herausgedrängte Anteilseigner ist dies aber nicht selbstverständlich. Teils wird hier darauf verwiesen, dass dies eine unzulässige Einlagenrückgewähr darstellen könnte und mit dem Kapitalerhaltungsgebot kollidiert.625) Im Rahmen anderer gesellschaftsrechtlicher Ausgleichsansprüche sei Anspruchsgegner teils auch der die Übernahme betreibende Hauptaktionär; denkbar wäre somit auch, als Anspruchsgegner die neuen Anteilseigner, die durch DES die Anteile erhalten, anzusehen.626)
229 Im Ergebnis muss hier denjenigen Stimmen zugestimmt werden, nach denen es dem Planverfasser überlassen sein soll, wer Schuldner ist.627) Auf diese Weise kann dies je nach Einzelfall auch ein Großgläubiger-Investor o. ä. sein, wenn sich dieser hierzu bereit erklärt, weil er sich auf diese Weise eine schnelle Planbestätigung erhofft.628) Zumeist wird Schuldner aber das Unternehmen selbst sein; Bedenken bzgl. eines Verstoßes gegen den Kapitalerhaltungsgrundsatz kann im konkreten Fall wohl mit der Argumentation begegnet werden, dass der Gläubigerschutz ohnehin keine volle Geltung mehr beansprucht, weil mit der Insolvenz für die Gläubiger der worst case bereits eingetreten ist und es mit dem DES gerade um einen soliden Neuaufbau der Kapitalstruktur auch zu ihren Gunsten geht. ___________ 624) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 469; Büchele, S. 222; Simon, CF 2010, 448, 456 sieht ebenfalls die Gesellschaft als Schuldnerin von Ausgleichsansprüchen, die gegenüber den Alt-Anteilseignern bestehen; er wollte diese aber (noch auf Basis der im DiskE vorhandenen, ab dem RefE aber gestrichenen expliziten Ausgleichsregelung, in § 225a Abs. 4 DiskE-ESUG, siehe hierzu Fn. 832) erst dann fällig werden lassen, wenn nachhaltige Sanierung des Schuldners gegeben ist; dies sollte anhand von im Plan festgelegter Verbesserung bestimmter Finanzkennzahlen der Fall sein. Alternativ hätte auch geregelt werden können, dass diese pauschal frühestens zwei Jahre nach Planbestätigung geleistet werden dürften. Diese „Rückstufung“ begründet er damit, dass die Ausgleichsansprüche ansonsten zu Lasten der übrigen Beteiligten zu bedienen seien, was nur sachgerecht sein könne, wenn die Sanierung auch gelinge. Denn ein möglicher Ausgleichsanspruch der Anteilseigner sei ein aus der Residualgröße Eigenkapital resultierender Sekundäranspruch, der erst fällig werde, wenn alle anderen nach dem Plan vorhandenen Gläubiger vorab bedient worden seien, a. a. O. S. 458. Diesen Überlegungen ist zuzustimmen, denn wenn entscheidender Maßstab der Vergleich zur Regelinsolvenzabwicklung ist, so müsste berücksichtigt werden, dass die Gläubiger auf Forderungen verzichtet haben (bzw. diese gekürzt wurden); dann müssten sogar erst noch diese Kürzungen ausgeglichen werden, bevor die Anteilseigner etwas verlangen könnten. Ins Gesetz gelangt ist eine solche explizite Regelung aber nicht. 625) Ulmer, ZHR 149 (1985), 541, 551 f.; Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1530; bzgl. des KredReorgG auch Spetzler, KTS 2010, 433, 459, die einen Verstoß gegen den Grundsatz der Kapitalerhaltung in ihrer Monographie auf S. 77 Fn. 404 dann aber verneint, wenn nur der Ausgleich aus einer Rückstellung erfolgt. Siehe zu dieser Problematik im Kontext des § 246a AktG auch Sauerbruch, S. 77. 626) So Spetzler, S. 76 f. im Rahmen von Überlegungen zur Anwendung des Spruchverfahrens. 627) So i. E. auch Spetzler, S. 79. 628) Möglich wäre dies auch über die Einschaltung etwa eines Treuhänders.
118
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
c)
Gläubiger der Ausgleichsleistung
Fraglich ist auch, wer bei Benachteiligung einen Anspruch aus der Sicherheitsleistung 230 geltend machen kann: alle Beteiligten, nur die nicht-zustimmenden Beteiligten oder sogar nur diejenigen Beteiligten, die auch ein Rechtsmittel eingelegt haben?
aa) Notwendigkeit der Verweigerung der Zustimmung zum Plan? Mit guten Gründen könnten hierbei von vornherein diejenigen Beteiligten ausge- 231 schlossen werden, die dem Plan zugestimmt haben: eine Geltendmachung von Mitteln aus dem Ausgleichsfonds würde gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen.629) Gänzlich ausgeschlossen ist dies aber nicht: die Sicherheitsleistung wird nur erwähnt in den Regelungen in § 251 Abs. 3 S. 1 und § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO, die jeweils zumindest den vorherigen Widerspruch gegen den Plan voraussetzen. Mangels einer ausdrücklichen Regelung zur Geltendmachung dieser Ausgleichsleistung ist der Kreis der Anspruchsberechtigten vom Wortlaut her aber nicht per se auf diejenigen Beteiligten eingeengt, die gegen den Plan gestimmt haben. Hier ist auch zu beachten, dass die Notwendigkeit einer versagten Zustimmung schon im Vorhinein negative Anreize zur Folge haben könnte: Denn bei Bejahung der Berechtigung zur Geltendmachung nur bei vorheriger Ablehnung des Plans ist denkbar, dass viele Beteiligte gegen den Plan stimmen werden, um sich die Möglichkeit eines Anteils an der Sicherheitsleistung zu sichern.630) Dies könnte vielfach dazu führen, dass ein Plan schon nicht mehrheitlich angenommen wird.631) Diese Lage könnte insbesondere für diejenigen kooperativen Beteiligten misslich sein, die dem Konzept des Insolvenzplans im Grundsatz zustimmen und sich auch um die Notwendigkeit einer schnellen Planbestätigung bewusst sind, weil ohne diese Planbestätigung ansonsten Werte vollends vernichtet würden, während sie zugleich aber den ihnen zuerkannten Wert oder Anteil aus der Masse für nicht ausreichend halten. Diese Beteiligten können ein Interesse haben, dies in einem später gelagerten Verfahren zu klären, ohne den Plan vollends scheitern zu lassen. ___________ 629) Dies ist auch nicht deswegen anders zu sehen, weil eine Entschädigung für herausgedrängte Alt-Anteilseigner schon aufgrund von Art. 14 GG gewährt werden muss: wenn die AltAnteilseigner dem Plan zustimmen, so verzichten sie konkludent auf das Grundrecht auf weitergehende Entschädigung als die, die ihnen ggf. bereits eingeräumt wurde. 630) Zu einem solchen Anreiz zum Widerspruch bei Gleichstellungsklauseln Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 95; a. A. aber H.-F. Müller, S. 301. Vgl. auch Braun/Braun/Frank, InsO, § 251 Rn. 9: Planersteller hat zu bedenken, dass er mit einer solchen Klausel nicht weitere Begehrlichkeiten (bei allen anderen Gläubigern) weckt, die dann die gesamte Umsetzung eines Insolvenzplans gefährden. 631) Zwar hätte eine solche Handhabung den Vorteil, dass der Planersteller in einem frühen Stadium einschätzen kann, ob es zur Umsetzung des Insolvenzplans kommen kann oder nicht. Scheitert der Plan früh, so kann er andere Wege der Verwertung wählen. Wurde der Plan angenommen, so kann er anhand der Liste derjenigen, die gegen den Plan gestimmt haben, ersehen, an wen ggf. Ausgleich zu zahlen ist. Dennoch wäre damit das Risiko des gänzlichen Scheitern des Plans erhöht.
119
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
232 Diese Überlegungen allein können aber nicht ausreichend sein, den Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens zu entkräften. Sie sollten allerdings vom Insolvenzplanersteller mitbedacht werden: so wäre, um den Interessen derjenigen entgegenzukommen, die dem Konzept des Insolvenzplans im Grundsatz zustimmen und lediglich den ihnen zuerkannten Wert in der Höhe für nicht ausreichend halten, die Sicherheitenfonds-Klausel im Plan so weit zu fassen, dass aus dem Fonds auch diejenigen Beteiligten etwas erhalten können, die dem Plan zugestimmt haben. Auf diese Weise stiege die Wahrscheinlichkeit einer Planannahme durch die Beteiligten. Ohne eine solch weitgehende Klausel im Plan bliebe den Beteiligten aber nur die Wahl zwischen Ablehnung mit ggf. einklagbarer Ausgleichszahlung oder Zustimmung ohne Anrecht auf Ausgleichszahlung.
bb) Notwendigkeit der vorherigen Einlegung eines Rechtsmittels? 233 Fraglich ist dann weitergehend aber, ob der Beteiligte lediglich nicht zugestimmt haben muss, oder ob er auch aktiv ein Rechtsmittel geltend gemacht haben muss. Denn das Bereitstellen der ausreichenden Sicherheitsleistung schließt die Zulässigkeit einer Beschwerde aus; heißt dies aber umgekehrt auch, dass nur derjenige etwas aus der Sicherheitsleistung verlangen kann, der ein Rechtsmittel geltend gemacht hat?
234 Vorgaben hierzu hat der Gesetzgeber nicht gemacht; auch die Literatur äußert sich, soweit ersichtlich, zu dieser Frage kaum. Der Wortlaut des § 251 Abs. 3 InsO n. F. ist insofern unklar, als dass der Antrag bei Existenz eines ausreichenden Sicherheitenfonds abzuweisen ist; im selben Absatz wird dann aber bestimmt, dass außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären ist, ob der Beteiligte einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhält. Aufgrund dieses Konnex könnte dies dahingehend gedeutet werden, dass nur die Beteiligten etwas aus dem Fonds erhalten, die die Beschwerde eingelegt haben. Eine solche Annahme ist allerdings nicht zwingend: die Tatsache, dass der Ausgleichsanspruch gerade vor einem anderem, nämlich dem ordentlichen Gericht eingeklagt werden muss, deutet vielmehr darauf hin, dass keine unmittelbare Verbindung besteht. Hierfür spricht auch, dass der Schadensersatz beim Freigabeverfahren nach § 253 Abs. 4 InsO n. F. (siehe sogleich) ausdrücklich an die nicht aufschiebend wirkende Beschwerde anknüpft und diese gewissermaßen „fortsetzt“, während dies bei § 251 Abs. 3 InsO nicht der Fall ist; im Umkehrschluss könnte daher gefolgert werden, dass eine vorherige Einlegung des Rechtsmittels bei der Sicherheitsleistung nach § 251 Abs. 3 InsO nicht nötig ist.
235 Parallelen können hier gezogen werden zu der hoch umstrittenen Problematik beim aktienrechtlichen Freigabeverfahren nach § 246a AktG. Nach h. M. kann hier allein der tatsächlich klagende Aktionär Ausgleich verlangen; eine beachtliche Mindermeinung hält dies aber für nicht sachgerecht und fordert ein allgemeines vermögensrechtliches Schutzsystem zugunsten sämtlicher von rechtswidrigen Maßnahmen
120
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
betroffenen Aktionären, bevor durch Handelsregistereintragungen vollendete Tatsachen geschaffen werden könnten.632)
cc) Stellungnahme Insgesamt erscheint es vorzugswürdig, allen nicht zustimmenden Beteiligten633) die 236 Klage auf Ausgleich zuzugestehen, unabhängig von einem vorher eingelegten Rechtsmittel.634) Zwar könnte es einerseits einer schnellen Planbestätigung durch das Gericht zuträglich sein, wenn der Kreis der Anspruchsberechtigten nochmals kleiner gehalten würde und der Ausgleich auf die aktiv gewordenen Beteiligten beschränkt würde, weil hiermit der Prüfungsumfang des Insolvenzgerichts bei der Prüfung der Rechtsmittel nicht ausufern würde.635) Es wäre aber andererseits kaum nachvollziehbar, warum ein Beteiligter in dem Fall, dass eine offensichtlich ausreichende Sicherheitsleistung vorliegt, überhaupt Beschwerde erheben muss, wenn ihm bereits klar ist, dass diese aus eben diesem Grund unzulässig sein wird.636) Es ist auch zu beachten, dass bei den hier relevanten ESUG-Regelungen immerhin 237 noch der einzelne Beteiligte Klage erheben muss, da keine erga-omnes-Wirkung wie im Spruchverfahren nach dem SpruchG besteht. Aufgrund der rationalen Apathie637) bei den nur geringen Ausgleichssummen für den einzelnen Beteiligten ist zu erwarten, dass eine solche gerichtliche Geltendmachung eher seltener als öfter
___________ 632) So insbesondere Heidel/Heidel, AktR, 3. Aufl., 2011, § 246a Rn. 22; Winter, FS Ulmer, 2003, 699, 719 ff; Zöllner, FS Westermann, 2008, 1631, 1638 ff. und 1644; umfassend zu der Problematik Sauerbruch, S. 65 ff. 633) Vorbehaltlich einer weitergehenden Klausel im Plan, s. o., die aus den dort genannten Gründen weit gefasst werden könnte. 634) So auch HambKomm/Thies, § 251 Rn. 20 und § 253 Rn. 20. 635) Gedanke hinter einer solchen Annahme wäre die Tatsache, dass das Gericht implizit prüfen muss, ob die bereit gestellte Sicherheitsleistung ausreichend bemessen ist, um Ausgleichsansprüche erfüllen zu können; wäre die Zahl derjenigen Beteiligten, die Rechtsmittel geltend machen, somit bekannt und wäre der Umfang derer potentieller Ausgleichsansprüche ungefähr einschätzbar, würde dies für das Gericht leichter möglich sein (näher sogleich unter d), insb. Fn. 644). Siehe hierzu auch Spetzler, S. 80: enormer Prüfungsumfang steht im Widerspruch zum Ziel der Reform, das Verfahren zu beschleunigen. 636) So auch HambKomm/Thies, § 251 Rn. 20. 637) Unter rationaler Apathie versteht man das Phänomen, dass es sich bei nur geringen erwarteten Ausgleichsleistungen für den einzelnen Beteiligten regelmäßig nicht lohnt, mit Rechtsmitteln oder mit Anspruchsgeltendmachung aktiv zu werden, da der Aufwand höher ist als der Ertrag; siehe hierzu eingehend Sauerbruch, S. 203 ff.
121
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
der Fall sein wird. Das Risiko untragbarer Belastungen für das reorganisierte Unternehmen wird hierdurch verringert.638)
d) Höhe der Sicherheitsleistung 238 Weder der Wortlaut noch die Gesetzesbegründung zum ESUG sagen zur Höhe der Sicherheitsleistung etwas aus. Klar ist allerdings, dass das Gericht vor der Bestätigung des Plans zu prüfen hat, ob die bereitgestellten Mittel für die Beteiligten ausreichend bemessen sind, um eine Schlechterstellung des widersprechenden Beteiligten durch den Plan auszugleichen.639) Entsprechendes gilt dann auch für das Verfahren der sofortigen Beschwerde, wenn das Insolvenzgericht der Beschwerde nicht abhilft, worauf das Landgericht als zuständiges Beschwerdegericht nach § 572 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 ZPO zu entscheiden hat. In diesem Kontext wird darauf hingewiesen, dass die hiermit bereitgestellten Rücklagen regelmäßig nicht üppig ausfallen dürften, da in einem Sanierungsfall oftmals die hierfür benötigte „Liquidität“640) nur knapp bemessen sein wird und zudem diese Reserve je nach konkreter Ausgestaltung auch zu Lasten der Befriedigungsquote der anderen Gläubiger gehen wird.641)
239 Mit der Notwendigkeit einer Beurteilung der Ausgleichsleistung ist der Prüfungsumfang für das Gericht somit gegenüber der alten Rechtslage zwar verkleinert, aber nicht vollends vereinfacht worden.642) Insbesondere könnte hier drohen, dass schon ___________ 638) Andererseits wird darauf hingewiesen, dass es in den nachfolgenden Prozessen dem Ausgleichsschuldner anzuraten ist, allen möglichen weiteren Anspruchstellern den Streit zu verkünden, da die Interventionswirkung der §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO in späteren Prozessen den Einwand erlaubt, die Sicherheit sei bereits durch vorher geleistete Zahlungen an andere Berechtigte aufgebraucht (hierauf wies zuerst Spetzler, KTS 2010, 433, 450 hin). Ob hiermit nicht „schlafende Hunde geweckt“ werden, wäre allerdings zu überdenken; jedenfalls für die bereits geltend gemachten Ansprüche auf Ausgleichsleistung erscheint dies jedoch sinnvoll. 639) Explizit RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 35. Der DiskE-ESUG hatte auch noch nicht einmal klargestellt, ob das Gericht die Angemessenheit der Sicherheitsleistung überprüfen könnte. Dies hatte einige Autoren zu der Überlegung verleitet, ob auch eine symbolische Sicherheit von 1 € im Rahmen des Minderheitenschutzes des § 251 InsO dazu ausreichen würde, den Antrag abzuweisen, so Spetzler, KTS 2010, 433, 450 (die aber dann bezüglich der sofortigen Beschwerde nach § 253 InsO doch annahm, dass das Gericht die Höhe der Ausgleichsleistung zu überprüfen habe). Zudem sei anscheinend eine Verteilung nach dem first-come, first-servePrinzip angedacht, Spetzler a. a. O. Schon der RefE und RegE zum ESUG enthielten aber die genannte Klarstellung. Für eine Beschränkung der Prüfung darauf, „ob“ überhaupt eine finanzielle Kompensation in den Plan aufgenommen wurde aber Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1940. 640) Auch wenn die Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft ergeht, müssen dieser im Zweifel entsprechende Werte gegenüberstehen, wenn nicht die Bank überzeugt werden kann, dass keine Ausgleichsansprüche bestehen. 641) Madaus, NZI 2012, 597, 599. 642) Nach HambKomm/Thies § 253 Rn. 20 muss Prüfung im Rahmen des § 253 aber nicht von Amts wegen erfolgen, sondern kann sich beschränken auf vom Beschwerdeführer geltend und glaubhaft gemachte Tatsachen und Schlussfolgerungen (anders seiner Ansicht nach aber bei § 251: dort von Amts wegen, a. a. O. § 251 Rn. 23).
122
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
im Rechtsmittelverfahren darüber gestritten wird, in welcher Höhe Ausgleichsansprüche bestehen.643) Da hiermit intrikate Fragen der Unternehmensbewertung und des Wertansatzes einhergehen, könnte bezweifelt werden, ob der intendierte Beschleunigungseffekt wirklich erreicht wird.644) Aus diesem Grund hatte Simon während der Reformdiskussion gefordert, dass bzgl. etwaiger Ausgleichsansprüche von Anteilseignern diese nicht geltend machen dürften, dass die im Plan bereit gestellten Mittel nicht ausreichend bemessen seien; ansonsten würde mittelbar auch im Rechtsmittelverfahren über Summe und Finanzierung etwaiger Ausgleichsansprüche gestritten werden.645) Diesen Vorschlag hat der Gesetzgeber aber nicht übernommen. Die Problematik der Höhe der Ausgleichsleistung ist somit von Fall zu Fall durch den Insolvenzrichter zu entscheiden; es obliegt dem Planersteller, seine Berechnungen transparent zu gestalten, um den Richter zu überzeugen, dass die Sicherheitsleistung für alle potentiellen Ansprüche ausreichend ist.
e)
Notwendigkeit der Besicherung der Sicherheitsleistung?
Nach dem Willen des Gesetzgebers muss die Finanzierung des Ausgleichs gesichert 240 sein durch Rücklage, Bankbürgschaft oder in ähnlicher Weise.646) Es wird allerdings angezweifelt, ob eine tatsächliche Leistung einer Sicherheit, etwa in Form einer Bankbürgschaft, in Bezug auf die Anteilseignerentschädigung überhaupt nötig sei.647) Da auch der reguläre Gläubiger im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens keine gesonderte Besicherung verlangen könne, sofern sich aus einem Finanzplan die Er___________ 643) Zur Problematik der Entscheidung von Bewertungsfragen in einem „Eilverfahren“ wie dem Freigabeverfahren siehe auch OLG Jena, AG 2007, 31, 35 f.; dort auch zu der Frage, ob mit Hinweis auf die Existenz der Differenzhaftung eine schnelle Eintragung gerechtfertigt werden kann. 644) Zu weiteren Überlegungen, insbesondere zur Frage, ob der Richter das worst-case-Szenario zugrunde zu legen hat oder ob er Wahrscheinlichkeiten annehmen kann bzgl. der Frage, ob und in welcher Höhe Ausgleichsforderungen geltend gemacht werden könnten, siehe Horstkotte/ Martini, ZInsO 2012, 557, 562 Fn. 39. Zu deren Ausführungen ist aber anzumerken, dass der Richter die Zahl der potentiellen Ausgleichsanspruchssteller nicht mit max. 49,99 % ansetzen muss, sondern aus dem Abstimmungsergebnis ersehen kann: da nach hier vertretener Ansicht alle ablehnenden Beteiligten Ausgleich geltend machen können, ist die entsprechende Ablehnungsquote relevant. 645) Simon, CF 2010, 448, 458; er forderte daher die Verweisung der Klärung dieser Ansprüche in das Spruchverfahren; dem ist der Gesetzgeber aber nicht gefolgt. Sehr kritisch, wenngleich mit zweifelhafter Argumentation in Bezug auf die nach seiner Ansicht zu leichte weitere Obstruktion durch Alt-Anteilseigner auch Frind, ZInsO 2011, 656, 658; dessen Bedenken bezüglich des faktisch fortbestehenden Suspensiveffekts dürften aber durch den in letzter Sekunde ins Gesetz gelangten § 253 Abs. 4 InsO n. F. weitgehend beseitigt worden sein. 646) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 35. 647) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 469; so auch Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1940 mit Verweis auf BGH ZIP 2005, 2107; nach dieser Entscheidung ist es keineswegs verfassungswidrig, wenn § 327b Abs. 3 AktG eine Sicherung durch Bankgarantie nur für die vom Hauptaktionär festgelegte Abfindung, nicht aber für einen eventuellen, im Spruchverfahren gerichtlich festgesetzten Mehrbetrag vorschreibt und der Hauptaktionär als Schuldner während des u. U. Jahre dauernden Spruchverfahrens in Vermögensverfall geraten kann.
123
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
füllbarkeit der erst nach Insolvenzplanbestätigung fällig werdenden Forderungen ergebe (siehe § 258 Abs. 2 InsO n. F.), würden zumindest die Anteilseigner durch eine Besicherung trotz ihrer Nachrangigkeit unangemessen bevorzugt werden ggü. anderen Gläubigern. Es reiche deshalb die „planerische Rückstellung“.648) Für diese Ansicht kann die Nachrangigkeit der Alt-Anteilseigner in der Insolvenz angebracht werden; andererseits ist die Entschädigung der herausgedrängten Alt-Anteilseigner bei Rest-Werthaltigkeit ihrer Anteile durch Art. 14 GG zwingend vorgeschrieben, so dass die Besicherung erfolgen sollte. Hiermit kann insbesondere einem Missbrauch des DES im Insolvenzplanverfahren vorgebeugt werden: es ist nicht völlig undenkbar, dass ein eigentlich werthaltiges Unternehmen arm gerechnet und durch seine Gläubiger übernommen würde und sofort nach der Übernahme die werthaltigen assets auf andere Gesellschaften übertragen würden. Bis aber die Alt-Anteilseigner ihre Ansprüche im nachgeordneten Verfahren eingeklagt und tituliert haben, könnte ihnen im Extremfall nur noch eine leere Hülle als Schuldner gegenüber treten. Zudem ist davon auszugehen, dass sich bei einem seriösen Sanierungskonzept und Verwendung belastbarer Zahlen ein Kreditinstitut finden ließe, das die Garantie gibt, weil es überzeugt ist, dass keine Ansprüche von Alt-Anteilseignern bestehen.649)
f)
Möglichkeit der Setzung einer präkludierenden Frist im Insolvenzplan?
241 Fraglich ist zuletzt, ob es möglich ist, im Plan eine Frist zu setzen, innerhalb der Ausgleichsansprüche angemeldet werden können.650) Dies wird überwiegend bejaht.651) Die Rechtfertigung hierfür könnte als Rechtsgedanke aus § 254b InsO hergeleitet werden652), nach dem §§ 254 und 254a InsO n. F. auch für Insolvenzgläubiger gelten, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben sowie für Beteiligte, die dem Insolvenzplan widersprochen haben. Dies hält Heinrich generell im Hinblick auf Forderungen im Insolvenzplan für möglich: Nicht ausgeschlossen sei, dass der ___________ 648) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 469; ähnlich bereits Simon, CF 2010, 448, 458: Aus diesem Grund sei auch keine Rechtfertigung ersichtlich, warum Sicherheiten zu leisten seien für Ansprüche, die nach seiner Ansicht ohnehin erst entstehen dürften mit nachhaltiger Sanierung, a. a. O. S. 456. 649) Die unterbleibende Besicherung könnte i. Ü. auch wieder von obstruierenden Anteilseignern im Rahmen der „Schlechterstellung“ bei § 251 und § 253 oder bei der Abwägung im Rahmen des § 253 Abs. 4 InsO als Argument geltend gemacht werden; daher ist eine Besicherung ohnehin angebracht. 650) Siehe etwa das Beispiel bei Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 384: Ausgleichsanspruch geltend zu machen innerhalb einer Frist von 2 Monaten nach Insolvenzplanbestätigung. 651) Vgl. etwa Spetzler, S. 80 mit dem Vorschlag einer Aufforderung durch das Gericht an sämtliche Beteiligte, „etwaige Benachteiligungen innerhalb einer Frist anzumelden mit dem Hinweis, dass sie bei Verletzung dieser Obliegenheit im späteren Prozess vor den ordentlichen Gerichten nicht mehr gehört werden“. 652) So Horstkotte/Martini in ihrem Vortrag vor dem AKInsO Köln am 5. Juni 2012.
124
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
Plan selbst eine Ausschlussfrist sowohl für nicht angemeldete als auch für bestrittene Forderungen enthält.653)
5.
Das „Freigabeverfahren“ nach § 253 Abs. 4 InsO n. F.
a) Konzept Die Gesetzesentwürfe zum ESUG hatten sich zunächst mit den oben beschriebenen 242 Einschränkungen der Rechtsmittel in §§ 251, 253 InsO und der Kodifizierung der Sicherheitsleistung begnügt.654) Umso überraschender kam dann eine Änderung durch den Rechtsausschuss des Bundestages.655) Dieser schlug in seiner Beschlussempfehlung vor, dem § 253 InsO einen weiteren Absatz anzufügen, der eine an das aktienrechtliche Freigabeverfahren in § 246a AktG angelehnte Beschleunigungsmöglichkeit vorsah656) und der auch in die Endfassung des Gesetzes gelangte. Diese Möglichkeit wurde allerdings nicht anstelle des bereits in der vorherigen Gesetzesentwürfen vorhandenen Instruments der Sicherheitsleistung in § 251 Abs. 3 InsO n. F. eingeführt, sondern daneben. Dies wirft einige Fragen der Abstimmung der beiden Ausgleichsmechanismen auf. Zunächst wird das Freigabeverfahren nur nötig, wenn überhaupt durch eine sofor- 243 tige Beschwerde die Gefahr besteht, dass das Verfahren verzögert wird. Dies wird einzig dann der Fall sein, wenn die neuen Zulässigkeitshürden des § 253 Abs. 2 InsO genommen wurden, also insbesondere dann, wenn keine Sicherheitsleistung gestellt wurde oder diese vom Gericht als nicht ausreichend bemessen angesehen wird, um bereits die Zulässigkeit der Beschwerde auszuschließen.657) Damit geht der oben bereits beschriebene faktische Suspensiveffekt einher. Um diesen wiederum auszuschließen, kann der Insolvenzverwalter beim Landgericht den Antrag auf unverzügliche Zurückweisung der Beschwerde stellen, woraufhin dieses in die Prüfung einzutreten hat.658) Die von ihm dabei vorzunehmende Abwägung muss ___________ 653) Heinrich, NZI 2012, 235, 242 m. w. N. 654) Siehe Madaus, NZI 2012, 597 f. 655) Überraschend war dies auch vor dem Hintergrund, dass die Gegenäußerung der BReg zur Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 17/5712, S. 69 f. noch davon gesprochen hatte, dass der RegE „mit seinen Beschleunigungsvorschlägen bereits das (ausschöpft), was verfassungsrechtlich noch als zulässig angesehen werden muss, aus. Darüber hinausgehende Eingriffe in die Verfahrensrechte der Beteiligten sollten deshalb unterbleiben“. Allerdings wird die Verfassungsmäßigkeit des § 253 Abs. 4 InsO n. F. richtigerweise – soweit ersichtlich – nicht angezweifelt. 656) Beschlussempfehlung des Rechtsauschusses, BT-Drs. 17/7511, S. 36. 657) Madaus, NZI 2012, 597, 599 hält letzteren Fall dann für nicht unwahrscheinlich, wenn ein Sanierungskonzept bewusst auf die Überwindung von Widerstand durch gewagte Planrechnungen setzt und ein Großgläubiger oder eine ganze Gruppe von Gläubigern oder Anteilseignern opponiert. 658) Zum Ablauf (unverzügliche Anforderung der Akten beim Insolvenzgericht) siehe Beschlussempfehlung des Rechtsauschusses, BT-Drs. 17/7511, S. 36.
125
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
ausweislich des Wortlauts fragen, ob das alsbaldige Wirksamwerden des Insolvenzplans vorrangig erscheint, weil die Nachteile einer Verzögerung des Planvollzugs die Nachteile hierdurch für den Beschwerdeführer überwiegen. In der Diktion des einstweiligen Rechtsschutzes wird also das Vollzugsinteresse des Planerstellers gegen das Aufschubinteresse des Beschwerdeführers abzuwiegen sein.659) Spielraum ist dabei dadurch eröffnet, dass dies nach freier Überzeugung des Gerichts vorliegen muss.660) Der Wortlaut orientiert sich dabei an den Kriterien des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG.661)
244 Erteilt das Landgericht die Freigabe, wird also der Plan bestätigt und werden die darin enthaltenen Maßnahmen umgesetzt, so kann der Beschwerdeführer sein Klagebegehren vor dem selben Landgericht fortsetzen in Form einer Leistungsklage auf Ersatz des Schadens, der ihm durch den Planvollzug entstanden ist, siehe § 253 Abs. 4 S. 3 InsO n. F. Ein solches Urteil hat aber keine kassatorische Wirkung, da die Rückgängigmachung nicht als Schadensersatz verlangt werden kann. Auch dieses Konzept ist bekannt aus der Diskussion zum aktienrechtlichen Freigabeverfahren und entspricht dem § 246a Abs. 4 AktG. Dieser Schadensersatzanspruch richtet sich gegen die Insolvenzmasse selbst und kann nicht auf die Mittel der Sicherheitsleistung zurückgreifen; hierfür ist allein die Klage auf Ausgleichsleistung nach § 251 Abs. 3 S. 2 InsO n. F. die richtige Klageart.662)
___________ 659) Beschlussempfehlung des Rechtsauschusses, BT-Drs. 17/7511, S. 36; HambKomm/Thies, § 253 Rn. 26 will dies maßgeblich anhand der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren ermitteln. 660) Hinsichtlich dieser Abwägung fehlen bislang noch Maßstäbe, vgl. nur FK-InsO/Jaffé, § 253 Rn. 25; Madaus, NZI 2012, 597, 599 spricht die Hoffnung aus, dass die Landgerichte dies zugunsten einer umgehenden Planumsetzung interpretieren werden. 661) Insbesondere auch bzgl. der Vorgabe, dass die Freigabe bei einem „schweren“ Rechtsverstoß nicht erteilt werden darf. Wann ein solcher schwerer Rechtsverstoß beim Insolvenzplan aber vorliegt, wurde weder vom Gesetzgeber vorgegeben noch bisher richterlich entschieden; nach HambKomm/Thies, § 253 Rn. 27 soll dies der Fall sein, wenn der Rechtsverstoß bei korrekter Würdigung zu einer Planbestätigungsversagung nach § 250 InsO hätte führen müssen. 662) Zum Verhältnis dieser beiden Klagen siehe Madaus, NZI 2012, 597, 599. Fraglich ist, wie der Schadensersatz aus § 253 Abs. 4 S. 3 zu errechnen ist: Nach dem Wortlaut („Schaden, der ihm durch den Planvollzug entsteht“) könnte dies jede Schlechterstellung gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren sein, egal in welcher Höhe; HambKomm/Thies, § 253 Rn. 28 will dagegen keinen Schadensersatz gewähren, wenn die Schlechterstellung im Vergleich zum Regelverfahren nur unwesentlich war oder wenn im Plan durch die Sicherheitsleistung nach § 251 Abs. 3 InsO ausreichende Mittel zur Kompensation der Schlechterstellung bereit gestellt wurden. Dies begründet er damit, dass die Beschwerde dann mangels materieller Beschwer keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Für diese Auslegung spricht, dass der Ersatzanspruch das Beschwerdeverfahren weiter führt und somit auch deren Voraussetzungen teilt. Der Ausgleich unwesentlicher Beeinträchtigungen kann daher nur nach § 251 Abs. 3 InsO verlangt werden.
126
IV. Rechtsmittel gegen die Planbestätigung
b) Bewertung Die zusätzliche Einführung eines Freigabeverfahrens ist ganz überwiegend begrüßt 245 worden.663) Sie geht nicht so weit, Rechtsmittel gänzlich auszuschließen und die Entscheidung des Gerichts auf eine einzige Instanz zu beschränken, dient aber zugleich dazu, lediglich missbräuchlich erhobene Klagen im Rahmen einer summarischen Prüfung auszufiltern. Zugleich werden durch den Schadensersatzanspruch die Vermögensinteressen, die bei Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens in den meisten Fällen einzig entscheidend sein dürften, geschützt. Zwar ist nicht auszuschließen, dass bei einer gänzlichen Fehleinschätzung des Planerstellers und der Gerichte die später erfolgreich endenden Klagen der Beteiligten eine gerade sanierte Gesellschaft wieder schwer belasten; dies ist in einer Abwägung aber immer noch besser als ein Scheitern des Insolvenzplans bereits im Verfahren. Der neue § 253 Abs. 4 InsO dürfte auch für einen DES-Plan durchaus Relevanz 246 haben, weil er eine weitere Verzögerungsmöglichkeit für obstruierende, herausgedrängte Anteilseigner beseitigt: wie oben gezeigt, ist eine Argumentation der AltAnteilseigner nicht ausgeschlossen, dass zu ihren Ungunsten das Unternehmen zu niedrig bewertet wurde und eine ggf. gestellte Sicherheitsleistung nicht ausreicht, ihre Entschädigungsansprüche zu erfüllen. Scheut der Richter im Beschwerdeverfahren eine Bewertung und weigert sich deshalb, die Beschwerde schon nach § 253 Abs. 2 Nr. 3, 251 Abs. 3 InsO als unzulässig zurückzuweisen, so kann das Landgericht eine Entscheidung treffen auf Basis einer Abwägung der Folgen bei Verzögerung des Planprozesses. Sollte später festgestellt werden, dass den Anteilseignern eine Entschädigung zusteht, da ihre Anteile noch werthaltig waren, so ist dies zwar zunächst unproblematisch, weil dies primär zu Lasten der Neu-Anteilseigner geht, die den Planprozess mitgetragen haben und dabei offensichtlich ein wertvolleres Unternehmen erhalten haben, als die damalige Bewertung ergeben hat. Im Kontext der Frage des Gläubigerschutzes stellt sich aber je nach Einzelfall ggf. wieder die Frage einer unzulässigen Einlagenrückgewähr; dies kann aber hingenommen werden, weil in der Gesamtabwägung zunächst die Sanierung im Insolvenzplanprozess vor-
___________ 663) FK-InsO/Jaffé, § 253 Rn. 25; Heinrich, NZI 2012, 235, 239; Madaus, NZI 2012, 597, 600 begrüßt die grundsätzliche Konzeption, einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu nehmen und zugleich die kassatorische Wirkung einer späteren Entscheidung des Landgerichts auszuschließen, hält aber die Orientierung am aktienrechtlichen Freigabeverfahren für falsch, da dieses auf das Herausfiltern von räuberischen Aktionären ausgerichtet sei, die auf Sondervorteile aus sind; die klagenden Beteiligten des Insolvenzplanverfahren hätten dagegen mit ihrer Favorisierung eines anderen Verwertungskonzepts ein legitimes Interesse an einer Überprüfung der Sachentscheidung. Daher hält er an einem Konzept nach Vorbild der U.SRegelung fest, bei dem die aufschiebende Wirkung von vornherein nicht gegeben ist, sondern vom Beschwerdeführer geltend zu machen und vom Gericht anzuordnen ist (siehe hierzu bereits oben IV. 3. a) und Madaus, NZI 2010, 430 ff.).
127
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
rangig ist. Hier sind insofern ähnliche rechtfertigende Überlegungen anzustellen wie beim Ausschluss der Differenzhaftung.664)
V. Exkurs: das KredReorgG 247 Die Diskussion um die Kodifizierung des DES im Rahmen eines geordneten Reorganisationsverfahrens mit insolvenzverfahrensrechtlichem Charakter nahm ihren Ausgang mit der sog. Bankenreorganisation. Anlässlich der Finanzkrise im Jahre 2008 war der deutsche Staat teils eingesprungen und hatte den Zusammenbruch mehrerer Kreditinstitute verhindert.665) Folge war die Erarbeitung des KredReorgG (Gesetz zur Reorganisation von Kreditinstituten), das am 9.12.2010 verabschiedet wurde und zum 1.1.2011 in Kraft trat.666) Dessen Regelungen sind auf Kreditinstitute beschränkt.667) Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über dieses Gesetz gegeben werden, da im Verlauf der Analyse teils auf die Regelungen des KredReorgG und ggf. hierin zu findende Abweichungen zu den ESUG-Regelungen Bezug genommen wird. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Einzelregelungen erfolgt aber erst im Einzelkontext.
1.
Sanierungsverfahren und Reorganisationsverfahren
248 In seinen §§ 2 bis 6 regelt es zunächst – auf einer ersten Stufe – ein sog. Sanierungsverfahren, in dem verschiedene Maßnahmen zur Sanierung unter der Aufsicht eines Sanierungsberaters sowie der BaFin eingeleitet werden können.668) Auf einer zweiten Stufe kann aber auch ein sog. Reorganisationsverfahren eröffnet werden (§§ 7 – 23), das, anders als das Sanierungsverfahren, auch Eingriffe in die Rechte von Gläubigern und Gesellschaftern ermöglicht und dem Insolvenzplanverfahren angenähert ist.669) Die Antragsbefugnis für dessen Einleitung liegt nach § 7 Abs. 2 KredReorgG ausschließlich bei der BaFin und hat zur Voraussetzung, dass eine Bestandsgefährdung des Kreditinstituts nach § 48b Absatz 1 KWG vorliegt, die zu ___________ 664) Oben II. 665) Siehe zur Vorgeschichte Schuster/Westphal, DB 2011, 221; H.-F. Müller, KTS 2011, 1 f. sowie generell zu den diskutierten Optionen und Konzepten aus dem angelsächsischen Raum Eidenmüller, FS Hopt, 2010, S. 1713 ff. 666) Verkündet als Art. 1 des Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung (Restrukturierungsgesetz), BGBl. I S. 1900. 667) H.-F. Müller, KTS 2011, 1, 2. 668) Details bei Schuster/Westphal, DB 2011, 221, 222 ff. Attraktiv dürfte bei diesem Verfahren insbesondere nach § 2 Abs. 2 S. 3 – 6 KredReorgG die Privilegierung von Sanierungskrediten im späteren Insolvenzfall sein. 669) Wobei diese nicht zwingend hintereinandergeschaltet werden müssen; unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 und 2 kann auch direkt auf die zweite Stufe gesprungen werden.
128
V. Exkurs: das KredReorgG
einer Systemgefährdung nach § 48b Absatz 2 KWG führt.670) Zentral in diesem Verfahren ist die Vorlage eines Reorganisationsplans, der durch die maßgebliche Figur des Verfahrens, den sog. Reorganisationsberater, erstellt wird; ähnlich wie beim Insolvenzplan besteht dieser Reorganisationsplan gemäß § 8 KredReorgG aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil.
2.
Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan
In § 9 KredReorgG ist dabei explizit der DES geregelt: „Im gestaltenden Teil des 249 Reorganisationsplans kann vorgesehen werden, dass Forderungen von Gläubigern in Anteile am Kreditinstitut umgewandelt werden. Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen. Insbesondere kann der Reorganisationsplan eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen oder den Ausschluss von Bezugsrechten vorsehen. (…)“671) Weitere Bedeutung im Kontext des DES hat die Regelung des § 21 Abs. 2 250 KredReorgG, nach der die Differenzhaftung, ebenso wie beim ESUG, bei Durchführung einer Forderungsumwandlung ausgeschlossen ist. Zudem gilt für die neuen Anteilseigner nach § 9 Abs. 1 S. 4 das Sanierungs- und Minderheitenprivileg nach § 39 Abs. 4 S. 2 und Abs. 5 InsO entsprechend.
3.
Abstimmungsmechanismen
Nach § 8 Abs. 2 KredReorgG sind für die Abstimmung672) Gruppen derjenigen Be- 251 teiligten zu bilden, in deren Rechte eingegriffen wird.673) Die Annahme des Plans erfolgt in den Gläubigergruppen mit der Kopf- und Summenmehrheit der anwesenden Gläubiger, § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 und Nr. 3 KredReorgG.674) Ein an § 245 Abs. 1, 2 InsO angelehntes Obstruktionsverbot in Bezug auf die Gläubiger findet sich in § 19 Abs. 2, 3 KredReorgG. Rechtsmittel werden Gläubigern nach § 20 Abs. 3 KredReorgG zugestanden, bei denen aber eine Schlechterstellung glaubhaft ___________ 670) Zu Einzelheiten Schuster/Westphal, DB 2011, 221, 225. 671) Zu den weiteren Regelungen in § 9 Abs. 2 zur Entschädigung und den insofern abweichenden Vorgaben zum ESUG siehe unten § 10. II. 2. c) aa). § 10 S. 1 KredReorgG regelt zudem (in der selben eigentümlichen Methodik wie das ESUG in § 225a Abs. 3 InsO n. F.), dass im Übrigen im gestaltenden Teil des Reorganisationsplans alle nach dem Gesellschaftsrecht zulässigen Regelungen getroffen werden können, die geeignet sind, die Reorganisation des Kreditinstituts zu fördern. 672) Zur Vorbereitung der Abstimmung, der Ladung sowie den zur Willensbildung bereitzustellenden Informationen siehe nur § 17 KredReorgG sowie die Erläuterungen in der Gesetzesbegründung in RegE-KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 54. 673) Die Gruppenbildung folgt auch hier dem Vorbild des Insolvenzplanverfahrens. Da bei den Gläubigern kein Eingriff in solche Einlagen erfolgt, die durch die Einlagensicherung abgesichert sind, wird die Abstimmung erleichtert, siehe RegE-KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 50. 674) Insofern gleich mit den Regelungen im Insolvenzplanverfahren, dort § 244 InsO.
129
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
zu machen ist; das Rechtsmittel ist unzulässig, wenn Sicherheitsleistung durch den Planersteller gestellt wurde, § 20 Abs. 4 KredReorgG.675)
252 Die Anteilsinhaber bilden nach § 8 Abs. 2 S. 4 KredReorgG nur dann eine eigene Gruppe, wenn im Reorganisationsplan Regelungen vorgesehen sind, für die nach den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich ist oder die im KredReorgG selbst vorgesehen sind. Diese stimmen nach § 18 Abs. 1 KredReorgG gesondert im Rahmen einer Hauptversammlung über den Reorganisationsplan ab. Dabei bedarf der Beschluss über die Annahme des Reorganisationsplans der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, außer bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss sowie bei Kapitalherabsetzung, bei der ein Quorum von 2/3 der abgegebenen Stimmen oder des vertretenen Grundkapitals nötig ist; auch hier reicht aber die einfache Mehrheit, wenn die Hälfte des Grundkapitals vertreten ist.676) Zudem werden, anders als nach ESUG bei § 238a InsO n. F., Sonderregelungen in der Satzung bezüglich der Stimmrechtsverteilung nicht suspendiert. Hierin besteht folglich ein Unterschied der Regelungen des KredReorgG zum ESUG: während in den neuen InsO-Regelungen die Anteilseigner gemeinsam mit den Gläubigergruppen in einer „Beteiligtenversammlung“ über die Annahme des Insolvenzplans abstimmen, geschieht dies bei der Bankenreorganisation in einer separaten Hauptversammlung, bei der sich insbesondere auch die Mehrheiten an den Vorgaben der Kapitalrichtlinie orientieren. Dies wurde bei der normalen Unternehmensinsolvenz nicht für nötig befunden, da die dort geregelten Maßnahmen nach Ansicht des Gesetzgebers dem Anwendungsbereich der Richtlinie entzogen sein sollen677); hier gilt für den Plan insgesamt nur die Anforderung, dass die Mehrheit des Kapitals zustimmen muss.678)
4.
Obstruktionsverbot in Bezug auf die Anteilseigner
253 Kommt allerdings in der Gruppe bzw. den Gruppen der Anteilseigner die Zustimmung nicht zustande, so ist hiermit der Plan noch nicht zwingend gescheitert. Vielmehr sieht § 19 Abs. 4 KredReorgG – wiederum in Anlehnung an den Gedanken des Obstruktionsverbots in § 245 InsO – vor, dass die Zustimmung fingiert werden kann („gilt sie als erteilt“), wenn die Mehrheit der übrigen Gruppen dem ___________ 675) Zum dem ESUG vergleichbaren Konzept siehe oben IV. 4. 676) Diese Sonderregelungen basierten zum Zeitpunkt der Gesetzesverkündung auf Art. 40 der RL 77/91/EWG v. 13.12.1976 (Kapitalrichtlinie), seit der Neufassung Art. 44 der RL 2912/30/EU vom 25.10.2012 (in Kraft ab dem 4.12.2012). 677) Siehe hierzu im Einzelnen unten unter § 8. 678) Dies gilt unabhängig von der Frage, ob die im Insolvenzplan enthaltenen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen eine Kapitalherabsetzung oder einen Bezugsrechtsausschluss vorsehen; aufgrund der ausdrücklichen Ausgestaltung als Hauptversammlung steht im Rahmen des Rechtsschutzes den Anteilseignern nach § 18 Abs. 5 KredReorgG zudem die aktienrechtliche Anfechtungsklage gegen den Beschluss zur Verfügung, wenngleich das Freigabeverfahren nach § 246a AktG ausdrücklich Anwendung findet.
130
VI. Eingriff in Anteilseignerrechte aus systematischer Sicht
Plan zugestimmt hat und „die im Reorganisationsplan vorgesehenen Maßnahmen nach den §§ 9 bis 11 dazu dienen, erhebliche negative Folgeeffekte bei anderen Unternehmen des Finanzsektors infolge der Bestandsgefährdung des Kreditinstituts und eine Instabilität des Finanzsystems zu verhindern und wenn diese Maßnahmen hierzu geeignet, erforderlich und angemessen sind.“679) Diese Vorgabe ist ersichtlich unbestimmt; eine Definition der „Bestandsgefähr- 254 dung des Kreditinstituts“ findet sich in § 48b KWG. Wie die zu verhindernde „Instabilität des Finanzsystems“ zu ermitteln ist, dürfte die schwierige Aufgabe des zuständigen Senats am OLG sein.680)
VI. Nunmehr möglicher Eingriff in Anteilseignerrechte durch den Insolvenzplan aus systematischer Sicht Die Einbeziehung der Anteilseigner in das Insolvenzplanverfahren und im Gegen- 255 zug die Zulässigkeit des Eingriffs in deren Rechte und ihre Unterwerfung unter das Obstruktionsverbot entsprach, wie der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung auch betont hat, einer Forderung aus Wissenschaft und Praxis. Eine zuletzt sehr starke h. M. hatte die bisherige Rechtlage als Sanierungshindernis empfunden, wobei insbesondere auf die Blockademöglichkeit der Anteilseigner hingewiesen wurde.681) Die nunmehr erfolgte Aufgabe der bisherigen „gesellschaftsrechtlichen Enthaltsamkeit“ wird dabei als Paradigmenwechsel bezeichnet.682) Die – oben in § 4 bereits angeklungene – Problemstellung zum alten Recht ließ 256 sich dabei folgendermaßen zusammenfassen: die Legitimationsproblematik jeglichen Zwangseingriffs in Anteilseignerrechte bestand maßgeblich darin, dass eine solche nicht auf Basis von Gesellschaftsinteressen geschehen würde – hierfür hätte das Gesellschaftsrecht Zustimmungspflichten zur Verfügung stellen können683) – ___________ 679) Hiermit soll nach der Gesetzesbegründung „Gefahren für die Finanzmarktstabilität und damit für die Volkswirtschaft insgesamt“ begegnet werden, RegE-KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 56. Im Übrigen wird im Normtext selbst noch klargestellt, dass ein von den Anteilseignern alternativ vorgelegtes Konzept zu berücksichtigen ist. 680) Teils wird aber dazu geraten, dessen Voraussetzungen bereits vorher schriftlich durch die BaFin nach Konsultation der Deutschen Bundesbank analog § 48b Abs. 3 KWG feststellen zu lassen, um dies nicht erst im Rahmen der freien Beweiswürdigung vor dem OLG vornehmen zu lassen, so Schuster/Westphal, DB 2011, 221, 229. 681) Siehe nur RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 30. 682) Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 636; zustimmend Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 507 und 509 Fn. 46 sowie Decher/Voland, ZIP 2013, 103; Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, 1, 20: „Gläubigerrechte in geradezu bahnbrechender Weise erweiternd reformiert“. Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 13: „mit dem ESUG vollzogene veränderte Rollenverständnis der vom Insolvenzverfahren Betroffenen durch Einbeziehung auch der Gesellschafterrechte geradezu revolutionär“. 683) Hierzu umfassend H.-F. Müller, S. 330 ff. sowie oben § 4. II. 1.
131
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
sondern auf der Basis von Gläubigerinteressen.684) Solche Eingriffe aber sind dem Gesellschaftsrecht fremd.685) Dennoch wurde die Notwendigkeit der Eingriffsmöglichkeit durch den Insolvenzplan ganz überwiegend bejaht.686) Die gesamte Argumentation soll hier nicht im Detail dargelegt werden, da sie auf Basis der alten Rechtslage erging; stattdessen sollen die maßgeblichen Argumentationslinien nachvollzogen werden und die neue Rechtslage auf Stringenz und Konsistenz mit den anderen Grundsätzen der InsO vor dem Hintergrund möglicher Kritik überprüft werden.
257 Im Zentrum der seinerzeit zum alten Recht angestellten Analyse stand dabei zum einen die Frage, inwieweit der Gesellschaftsanteil überhaupt potentielles Eingriffsobjekt sein kann in einem Insolvenzverfahren.687) Zum anderen stellte sich die Frage, ob es eine Rechtfertigung für die unterschiedliche Stellung der Anteilseigner bei Liquidation im Regelverfahren und Reorganisation im Planverfahren geben konnte. Die ganz überwiegende Zahl der Autoren bejahte ersteres und verneinte letzteres mit Hilfe einer Betrachtung aus wirtschaftlicher Sicht, indem darauf abgestellt wurde, dass damit im Fall der Reorganisation die Anteile faktisch wieder werthaltig wurden, weil sich die Anteilseigner ihre Zustimmung abkaufen ließen, diese Position aber im krassen Gegensatz stand zur im Insolvenzverfahren eigentlich geltenden Verteilungshierarchie und zur Position der Anteilseigner bei der übertragenden Sanierung, wo diese regelmäßig nichts erhielten.688) Eine Rechtfertigung wurde aber von ___________ 684) Krull, S. 85. 685) Beispielhaft Ulmer, ZHR 149 (1985), 541, 547, der es noch für nur schwer begründbar gehalten hatte, wenn Gläubigergruppen das Recht haben sollten, Gestaltungswirkungen bezüglich gesellschaftsinterner Organisationsmaßnahmen gegen den Willen der Anteilseigner herbeizuführen. In diese Richtung ginge auch der Gedanke, dass aus den Forderungen der Gläubiger nur der Zugriff auf das Gesellschaftsvermögens folge, nicht aber der Anspruch auf ein bestimmtes organisationsrechtliches Tun oder Unterlassen der Anteilseigner, so Balz, Sanierung, S. 55. Zuletzt wurde argumentiert mit dem Belastungsverbot, wonach Anteilseigner zu Nachschüssen nicht verpflichtet werden können; würde die Berufung hierauf mit Einziehung des Anteils sanktioniert, entstehe ein mittelbarer Investitionszwang, der einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung schlecht zu Gesicht stehe, so H.-F. Müller, S. 370 (der i. E. eine Verwässerung für investitionsunwillige Anteilseigner für zulässig hielt, nicht aber den kompletten Entzug des Anteils). 686) Brüning, S. 210 ff.; Büchele, S. 97 ff.; Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1524 ff.; Eidenmüller/ Engert, ZIP 2009, 541, 545 ff. 687) Zu dieser Frage eingehend Büchele, S. 97 f.; zu der Frage, inwieweit Gesellschafter Beteiligte des Insolvenzplanverfahrens sind, siehe Brüning, S. 88 ff. 688) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1526 f.; Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 545; Brüning, S. 208 ff. sah die Neutralität der InsO bzgl. der Verwertungsart im Konflikt stehen mit der gesellschaftsrechtlichen Enthaltsamkeit der Insolvenzplanregelungen. Die Neutralität müsse sich aber, wenn das Verfahrensziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung gefährdet sei, durchsetzen, weshalb der Eingriff möglich sein solle. Entsprechend argumentierte Brüning durchgehend mit dem nach altem Recht nicht verwirklichten gleichmäßigen Zugang zu den Verwertungswegen und dem nicht beachteten Vorrang der Gläubigerinteressen vor den Anteilseignerinteressen, etwa S. 211, 216, 226, 228 f. Zu einer Rechtfertigung eines Eingriffs unter dem (fragwürdigen) Begriff der Insolvenz als „Notstandsverfassung“ siehe Kautz, S. 40 f.
132
VI. Eingriff in Anteilseignerrechte aus systematischer Sicht
der Gegenseite gesehen in der verbleibenden Gesellschafterautonomie, die nicht nur eine vermögensrechtliche Dimension, sondern auch eine mitgliedschaftliche Dimension689) aufweisen würde.690)
1.
Verwertung der Anteile im Insolvenzplan als konsequente Verwirklichung der absoluten Vorrangregel
Dem Argument des krassen Widerspruchs zur eigentlichen Verteilungshierarchie 258 kann man sich dabei schwerlich entziehen. Zuletzt hatte Bitter eindrucksvoll aufgezeigt, dass eine aus der rechtssystematischen Trennung von Unternehmen und Unternehmensträger resultierende, letztlich eher rein zufällige Position der AltAnteilseigner der Systematik, aber auch den Wertungen des Insolvenzrechts widersprach.691) Wenn den Alt-Anteilseignern durch den nunmehr möglichen Eingriff eine Blockadeposition genommen wurde, so kann dies angesehen werden als konsequente Umsetzung der absoluten Vorrangregel: denn diese war nach altem Recht nicht gewährleistet, solange die Reorganisation noch von der Zustimmung der AltAnteilseigner abhing und diesen somit zu Lasten der Gläubiger eine werthaltige Blockadeposition zukam.692) Die absolute Vorrangregel ist dabei ein Import aus dem US-amerikanischen Chap- 259 ter 11-Verfahren. Sie erhält ihren Namen von der Tatsache, dass ein Insolvenzplan die Bedingung „senior classes receive absolute priority over junior classes“693) erfüllen muss. Anteilseigner stehen am Ende der Verteilungshierarchie und sind somit die letzte „junior class“, während die Gläubiger je nach Ausgestaltung ihrer vertraglichen Position die senior classes und vorrangigen junior classes konstituieren.694) ___________ 689) Ausführliche Erörterung im folgenden Abschnitt unter § 6. IV. zu Art. 9 GG. 690) So Krull, S. 85 f.; Madaus, ZGR 2011, 749; Pujol, S. 203; H. F. Müller, S. 366 f.: „Selbstbestimmungsrecht der Gesellschafter als Wert an sich“, der aber auch darauf verweist, dass derjenige, der das Investment statt der Mitgliedschaft in den Vordergrund rücke, keine grundsätzliche Bedenken gegen Eingriffe haben könne, a. a. O. S. 364. 691) Bitter, ZGR 2010, 147, 191 ff., 194 ff.; hierzu oben § 4. II. 1. b). 692) Brüning, S. 259; die bei Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 544 als solche bezeichnete „insolvenzrechtliche Verteilungsregel“ basiert letztlich auf dem Gedanken der absoluten Vorrangregel, dass strikt nach der Rangfolge der Gläubiger zu verteilen ist und nur ein ggf. noch verbleibender Rest den Anteilseignern zusteht. 693) LoPucki/Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 130 (1990); zur Terminologie: je nach Art und Rang der Sicherungsrechte, mit denen die Forderungen der Gläubiger behaftet sind (federal und state law), werden die Gläubiger eingeordnet. So gibt es als Oberbegriff die senior creditors, junior creditors und equity holders. Vereinzelt wird weiter differenziert in der Gruppe der senior creditors zwischen senior-most secured creditors und junior-secured creditors. Die junior creditors sind dann sog. unsecured creditors, siehe hierzu Broude, 39 Bus. Law. 441, 442 (1984). 694) Zur Absicherung dieses Prinzips im deutschen und US-Recht siehe Wagner, 7 EBOR 217, 218 ff. (2006).
133
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
260 Die Verhandlungsmacht der Alt-Eigentümer und der gesicherten Gläubiger war letztlich der Grund, warum die absolute priority rule überhaupt erst von der Rechtsprechung Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde. Da die ungesicherten Gläubiger oft durch das Zusammenwirken von Anteilseignern bzw. Management und gesicherten Gläubigern benachteiligt wurden, obwohl dies nicht den vorinsolvenzlich begründeten Rechtspositionen entsprach695), entwickelte der Supreme Court in der Entscheidung Northern Pacific Railroad vs. Boyd696) die Konturen dieser Regel, die dann 1939 endgültig zum Gesetz gemacht und 1978 modifiziert wurde.697) Eine modelltheoretische Erklärung für diese Vorgehensweise liefern u. a. Jackson und Baird mit ihrer creditors‘ bargain-Theorie. Demnach liegt der Vorteil des Insolvenzverfahrens für die ungesicherten Gläubiger in der Ersparnis von Kosten der Verwertung. Dies trifft weniger auf die gesicherten Gläubiger zu, da sie ihr Sicherungsgut (collateral) verwerten könnten. Jedoch würden auch diese einem kollektiven Verwertungssystem zustimmen, sofern ihre Rechte respektiert würden, sie also vorrangig vor den ungesicherten Gläubigern und den Anteilseignern bedient würden.698) Der Sinn der absoluten Vorrangregel geht dabei insoweit über das bloße Prinzip „pacta sunt servanda“ hinaus, als dass sie auch schon vor einem Insolvenzverfahren Einfluss auf die Vertragsmodalitäten ausübt. Indem sie das Risiko der Gläubiger senkt, durch schädliche Umverteilungsstrategien benachteiligt zu werden, wirkt sie zugleich einer Antizipation solcher Risiken über höhere Kreditzinsen entgegen.699) Indem die Anteilseigner somit über einen in ihre Anteilsrechte eingreifenden Plan mit abstimmen, ihre ggf. erklärte Ablehnung über ___________ 695) Das damals gängige receivership-Verfahren ließ die Entscheidung über Annahme eines Reorganisationsplans ebenfalls durch Mehrheitsabstimmung der verschiedenen Klassen zu. Dabei hatte sich jedoch gezeigt, dass bei den Verhandlungen über die Ausarbeitung des Plans diejenigen Gläubigergruppen, die sich fachkundige Berater leisten konnten und dementsprechend fachkundig vertreten waren, also zumeist das Management und Banken, übermäßige Vorteile erhielten, während die weniger kundigen, wie Lieferanten-Gläubiger und Anleihegläubiger, einen Anteil bekamen, der ihrem pre-filing-Anteil (wie er in der Liquidation ausfallen würde) nicht entsprach. 696) Northern Pac. R.R. v. Boyd, 228 U.S. 482 (1913); siehe hierzu auch Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 744 f. (1988) sowie Flessner, S. 94 ff. 697) Siehe Meyer, 24 Ind. L. Rev. 417, 419 (1990) m. w. N. Die vorhergehende (Fehl)-Entwicklung wurde 1937 im sogenannten Douglas Report der Securities & Exchange Commission ausführlich beschrieben. Dieser führte dazu, dass der US-Kongress 1939 die absolute priority rule zum Gesetz machte und insbesondere vorschrieb, dass das Gericht jeden Plan auf Konformität mit deren Vorgaben zu überprüfen hatte, unabhängig davon, ob einer der Beteiligten den Plan beanstandet hatte oder nicht. Die damit jedoch zwingend notwendig gewordene Bewertung in jedem Fall einer Insolvenz wurde aber zunehmend als unangebracht teuer und zeitverzögernd angesehen, so dass sie mit der Reform von 1978 abgeschafft und durch die heutige Regelung der Überprüfung nur auf Antrag ersetzt wurde, siehe hierzu LoPucki/ Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 132 (1990). 698) Jackson, 91 Yale L. J. 857, 858 ff. (1982). 699) Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 47; beachte aber ggf. die Einschränkung dieser Wirkung durch Anerkennung der new value exception, unten unter § 7. III. 3. a) bb) sowie § 7. IV. 3. (Fn. 1086).
134
VI. Eingriff in Anteilseignerrechte aus systematischer Sicht
§ 245 Abs. 3 InsO n. F. aber für unbeachtlich erklärt werden kann, wird die absolute Vorrangregel somit nun auch in der Reorganisation umgesetzt. Einhergehend hiermit wirkt sich der Gedanke aus, dass die Gläubiger zumindest 261 bei Überschuldung die „wirtschaftlichen Eigentümer“ des Unternehmens sind.700) Dieser „wirtschaftlichen Zuordnung“ des Unternehmens an die Gläubiger standen die Alt-Anteilseigner im Regelfall auch nicht hilflos gegenüber: vor der Insolvenz – aber auch noch während der Insolvenz – hätte ihnen die Möglichkeit offen gestanden, die Gesellschaft unter ihrer Eigentümerschaft fortzuführen, indem sie ihr frisches Kapital zuführen oder Gläubiger befriedigen, um den Insolvenzgrund zu verhindern bzw. zu beseitigen. Indem sie dies nicht getan haben, sind sie ihrer Finanzierungsverantwortung nicht nachgekommen, weshalb ein Zugriff auf die Anteile zugunsten sanierungsbereiter Gläubiger möglich sein muss.701) Insofern liegt der Fokus nach der neuen Systematik, insbesondere durch die aus- 262 drückliche Ermöglichung des DES, weniger auf einem direkten Zugriff auf die bestehenden Anteile (diese gehen durch den Kapitalschnitt im Regelfall unter), sondern im Zugriff auf den bestehenden Rechtsträger702): dieser soll letztlich maßgeblich deshalb verwertet werden, weil hieran die Berechtigungen hängen. Es geht weniger darum, den Alt-Anteilseignern ihre Anteile abzunehmen703), sondern speist sich aus der nüchternen Erkenntnis, dass der Zugriff auf den Rechtsträger notwendig ist für die Verwertung des gesamten Unternehmens„vermögens“, da die Systematik des deutschen Gesellschaftsrechts zwischen Unternehmen und Unternehmensträger trennt und das Unternehmen selbst nicht rechtsfähig ist.704) Wenn somit in den rechtsträgergebundenen Berechtigungen ein Wert zu sehen ist, so könnte argumentiert werden, dass dieser den Gläubigern nicht zugewiesen ist. Allerdings ist ___________ 700) Siehe nur Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 688; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 582. 701) Westphal/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 14; Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1524. Dieser Vorwurf wird dem Mehrheitsgesellschafter einer Gesellschaft mit kleinem Anteilseignerkreis eher zu machen sein als einem Aktionär mit nur wenigen Aktien; bei letzterem ist dann aber auch das mitgliedschaftliche Element entsprechend gering ausgeprägt, weil sich die Beteiligung maßgeblich als Investment darstellt und somit rein wirtschaftlich betrachtet wird. 702) Dem US-Recht gelingt diese Argumentation leichter, da die Verwertung im Rahmen des Chapter 11-Planverfahrens letztlich als nichts anderes betrachtet wird als ein Verkauf der assets, die dabei Anlagevermögen, Verträge, Kundenlisten und eben auch control and ownership of the business and its going-concern-value umfassen, siehe Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 11 (1991); siehe hierzu aber unten 4. c) die Ausführungen zur Abstimmung im deutschen Recht mit § 35 InsO. 703) Insofern ist die in neueren Publikationen für möglich gehaltene Übertragung von Anteilen an der Gesellschaft per Insolvenzplan (etwa Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 127 f.; Horstkotte/ Martini, ZInsO 2012, 557, 570 ff., zuletzt Wieneke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 704) auf Dritte überaus zweifelhaft. Vom weiten Wortlaut des § 225a Abs. 3 InsO n. F. ist dies zwar gedeckt, allerdings spricht die Gesetzesbegründung in diesem Kontext allein von der Übertragung der Beteiligungen des Schuldners an Drittgesellschaften, RegE-ESUG, BT-DRs. 17/5712, S. 32. 704) Bitter, ZGR 2010, 147, 194.
135
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
dann nicht ersichtlich, weshalb dieser ausgerechnet den Anteilseignern zustehen sollte; ohnehin könnten diese die darin gebundenen Werte gar nicht nutzen, da ihnen nach einer übertragenden Sanierung eine korporative „Leiche“ übrig bleiben würde, die mit allen Verbindlichkeiten belastet, aber aller Vermögenswerte beraubt ist. Da somit niemand die im Rechtsträger verkörperten Werte nutzen könnte, sondern sie gänzlich verloren wären, ist es im Interesse aller Beteiligten, sie durch Reorganisation auch gegen den Willen der Anteilseigner zu nutzen.
2.
Einbeziehung als Ausdruck eines neuen Grundverständnis von Gesellschafterrechten in der Insolvenz
263 Die durch das ESUG erfolgte Neuanordnung der Gesellschafterrechte im Verhältnis zu den Gläubigerrechten wird dabei auch vor dem Hintergrund gesehen, dass Entwicklungen der betrieblichen Finanzierungslehre die früher klare Abgrenzung zwischen diesen beiden Finanzierungsformen aufgeweicht hätten.705) So wurde verwiesen u. a. auf die Reform des Beschlussmängelrechts durch das ARUG, hinter dem ebenfalls das Konzept eines nur vermögensbezogenen Aktionärsschutzes steht.706) Die Gesetzesbegründung selbst spricht davon, dass durch neuartige Finanzierungsformen wie Genussscheine und stille Beteiligungen (als Oberbegriff wird gesprochen von „Mezzanine-Finanzierungsinstrumenten“) die Grenze zwischen Eigenkapital und Fremdkapital fließend geworden sei.707) Einhergehend mit einem sich zunehmend ändernden systematischen Grundverständnis der Beziehung von Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht708) gewinnt dabei die insolvenzrechtliche Betrachtung ursprünglich rein gesellschaftsrechtlicher Sachverhalte an Bedeutung.709)
3.
Erhöhte Planungssicherheit
264 Mit der neuen Möglichkeit der Einbeziehung hat sich auch die Planungssicherheit des Insolvenzplanerstellers deutlich erhöht. Die vorherige Rechtslage stand zum einen unter dem Risiko, dass die korrespondierenden gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen durch kooperierende Gesellschafter auch tatsächlich umgesetzt würden, ___________ 705) Hirte, ZGR 2010, 224, 236 f.; K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607. H.-F. Müller, S. 368 hatte im Jahre 2000 Zwangseingriffe im deutschen Recht noch abgelehnt, allerdings schon erkennen lassen, dass dies bei weiterer Entwicklung der Kapitalmärkte ggf. anders gesehen werden könnte. 706) Hirte, ZGR 2010, 224, 236 m. w. N. Die Reduzierung der Anteile auf das Wertinteresse durch das ESUG zeigt sich dabei u. a. auch in § 238a Abs. 1 InsO n. F. bzgl. der Unwirksamkeit von gesellschaftsvertraglich zugesicherten Sonderstimmrechten. 707) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 30. 708) Siehe hierzu Hirte, ZGR 2010, 224, 225 f.; K. Schmidt, Kölner Schrift, 2. Aufl., 2000, S. 1199, 1207; Bitter, ZGR 2010, 147, 189 ff. 709) Entsprechend euphorisch wird die neue Rechtslage begrüßt: „§ 225a Abs. 3 ist die Magna Carta für den Gesellschaftsrechtler in Kooperation mit dem Insolvenzrechtler. Kluge, vorausschauende Planung und Strukturierung ermöglichen jetzt wirklich den Sanierungsplan“, so Braun/Braun-Frank § 225a Rn. 32.
136
VI. Eingriff in Anteilseignerrechte aus systematischer Sicht
also die Bedingung für das Inkrafttreten des Plans, § 249 InsO, auch tatsächlich eintraten. Scheiterte es am Nichteintritt der Bedingung, so hätte dies vertane Arbeit dargestellt, die jeder Insolvenzverwalter aus gutem Grund scheute. Neben dieser direkten Vollzugshürde aber stellten sich zahlreiche weitere Probleme: so war bereits zweifelhaft, ob die Kosten für Hauptversammlungen und deren Vorbereitung überhaupt aus der Insolvenzmasse bestritten werden durften, wenn nicht feststand, ob Gläubiger und Gesellschafter das Sanierungskonzept mittragen würden.710) Indem den Alt-Anteilseignern nunmehr bei Eingriff in ihre Rechte den Status als Beteiligte zuerkannt wurde und sie in der Beteiligtenversammlung mit über den Insolvenzplan abstimmen, ist die Unsicherheit bzgl. der Kosten für ihre Abstimmung entfallen.
4.
Kritik an der Ermöglichung des Eingriffs
a) Verstoß gegen Idee der Verhandlungslösung Verteidiger des alten Konzeptes hatten zu dessen Verteidigung geltend gemacht, 265 dass dies nicht nur ein „schlankes“ Insolvenzverfahren ermöglichen würde, sondern auch gerechtfertigt sei, da ein zwangsweiser Eingriff weder zwingend notwendig noch mit dem Grundgedanken des Gesetzgebers vereinbar sei, der eine Verhandlungslösung gewollt habe.711) Diesem Gedanken würden Zwangsmaßnahmen gegenüber den Gesellschaftern widersprechen. Denn häufig werde gerade nur der im Verhandlungswege erzielte Konsens mit den Gesellschaftern der schuldnerischen Gesellschaft die Chance zu optimalen Sanierungsergebnissen geben. Daher sei es konsequent, dass nur die Sanierungsoption der übertragenden Sanierung ausschließlich in die Hände der Gläubiger gelegt sei, für die Sanierungsoption Reorganisation aber eine Konsenslösung aller wirtschaftlichen Beteiligten (mithin auch der Anteilseigner) nötig sei.712) Allerdings stößt die Grundidee, dass eine Konsenslösung vielfach als die beste Alter- 266 native erscheinen wird, dann an eine Grenze, wenn hierdurch eine Blockadeposition entsteht. Wenn deswegen diese Lösung nicht zustande kommt und ein Plan deshalb scheitert, so ist nicht einzusehen, warum Gläubiger (und zwar sogar absonderungsberechtigte Gläubiger) im Verfahren majorisiert werden können, nicht aber Anteilseigner, obwohl diese regelmäßig vom Verfahren gar nicht mehr betroffen sind.713) ___________ 710) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 560 Fn. 15. 711) So H.-F. Müller, S. 367, der irrationales Verhalten der Anteilseigner für unwahrscheinlich hielt und mit dem Gedanken des Gesetzgebers übereinstimmte, dass die Drohung mit der Liquidation ausreichenden Hebel besitzen würde. Er ging allerdings auch davon aus, dass die gesellschaftsrechtlichen Instrumente, insbesondere die Treuepflicht in Verbindung mit der Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes, zur Verhinderung der Obstruktion einzelner Gesellschafter ausreichend wären, a. a. O. S. 369 f.; zustimmend Pujol, S. 203. 712) Patzschke, S. 34. 713) So Brüning, S. 217; ähnlich Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 583 bzgl. Anleihegläubigern (dem Plan unterworfen) und Anteilseignern (nicht unterworfen).
137
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
Gerade wer den Gedanken der Verhandlungslösung hoch hält, wird in der neuen Systematik sogar einen Fortschritt sehen, wenn die Anteilseigner nunmehr offizielle Beteiligte des Insolvenzplanverfahrens sind.
b) Ökonomisch richtige Entscheidung nur durch Gesellschafter treffbar? 267 Krull als Gegner einer Eingriffsmöglichkeit hatte u. a. darauf verwiesen, dass Eingriffe in die Gesellschafterautonomie auf der Basis von Drittinteressen (Gläubigerinteressen) deshalb einen Fremdkörper im Gesellschaftsrecht darstellen würden, weil „ökonomisch richtige Entscheidungen“ nur dann erreicht werden könnten, wenn Entscheidungsmacht und Betroffensein von den Folgen einer Entscheidung nicht auseinanderfallen.714) Dieser Richtigkeitsgewähr diene der Grundsatz der Verbandssouveränität: das Schicksal der Gesellschaft dürfe „nicht in die Hände Dritter gelegt werden, die nicht dieselben Interessen wie die Gesellschafter verfolgen“.715) Dies sei auch nicht deswegen anders, weil die Insolvenz eröffnet sei; vielmehr beanspruche auch im Insolvenz-Reorganisationsverfahren die Gesellschafterautonomie noch Geltung. Daher dürfe die Entscheidung der Gesellschafter über die Reorganisation nicht auf der Basis von Gläubigerinteressen ersetzt werden.716) Gegen übermäßiges Obstruktionspotential erweise sich die Möglichkeit der übertragenden Sanierung als ausreichendes Korrektiv.717)
268 Auf den ersten Blick widerspricht diese Aussage dem Grundprinzip, dass es in der Insolvenz die Gläubiger und nicht die Gesellschafter sind, die die unmittelbaren Folgen der einen oder anderen Verwertungsentscheidung (übertragende Sanierung oder Reorganisation) tragen.718) Diese Konzeption lag der InsO zugrunde: „In der Marktwirtschaft muss grundsätzlich das Urteil derjenigen Personen maßgeblich sein, deren Vermögenswerte auf dem Spiel stehen und die deshalb die Folgen von Fehlern zu tragen haben. (…) Die Marktkonformität des Verfahrens gebietet es, die Entscheidung über die Verwertung der Insolvenzmasse allein den Geldgebern (Gläubigern und Eigenkapitalgebern) des Schuldners vorzubehalten, soweit deren Rechte einen positiven Vermögenswert besitzen“.719) Somit schien auch der Gesetzgeber ein Mitspracherecht der Gesellschafter nur vorzusehen, wenn deren An___________ 714) Krull, S. 86. Siehe allerdings sogleich Fn. 717 seine Forderung nach einem „abgeschwächten“ Obstruktionsverbot allein auf Basis der Gesellschafterinteressen. 715) Krull, S. 86 m. w. N. in Fn. 476. 716) Krull, S. 87 f. 717) So Krull, S. 87, der i. E. allein auf ein innergesellschaftsrechtliches Instrumentarium in Form eines insolvenzgesellschaftsrechtlichen Obstruktionsverbots auf der Basis von Treuepflichten plädierte, über das aber das Insolvenzgericht, nicht das ordentliche Gericht entscheiden sollte, a. a. O. S. 89 f. 718) Hierauf abstellend Brüning, S. 215 und 218. 719) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 80 (erster Teil des Zitats li. Sp. Oben; zweiter Teil li. Sp. unten).
138
VI. Eingriff in Anteilseignerrechte aus systematischer Sicht
teile einen Wert haben. Krulls Aussage war allerdings insofern durchaus folgerichtig unter dem Aspekt, dass er in Anschluss an K. Schmidt720) einen solchen Wert der Anteile „unter der Reorganisationsprognose“ annahm.721) Die Problematik der argumentativen Zulässigkeit des Abstellens auf die ökonomisch richtige Entscheidung verlagert sich somit auf die Frage, ob die Anteile in der Insolvenz wertlos sind oder nicht.722) Stellt sich dabei heraus, dass diese Wertlosigkeit vorliegt, könnte auch kaum noch auf die Verbandssouveränität abgestellt werden723), außer man sieht diese wiederum verfassungsrechtlich begründet. Auch H.-F. Müller hatte einen Zwangseingriff noch abgelehnt mit der Begrün- 269 dung, dass die Mitspracherechte bei der Reorganisation die Gegenleistung dafür seien, dass die Anteilseigner der Gesellschaft haftendes Eigenkapital zur Verfügung gestellt hatten.724) Wenn aber eben jenes Haftkapital als Verlustpuffer aufgebraucht ist, so kann hieraus kein Mitspracherecht mehr resultieren; dies ist bei der Insolvenz aufgrund von Überschuldung fast immer der Fall.
c)
Anteile als Teil der Insolvenzmasse, § 35 InsO?
Fraglich ist noch, wie sich die nunmehr erfolgte Einbeziehung der Anteilsrechte 270 und damit maßgeblich die Gläubigerentscheidung über deren Schicksal einfügt in die Begrifflichkeit der Insolvenzmasse in § 35 InsO: denn diese ist dort legaldefiniert als „das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt“.725) Aufgrund der Grundsystematik des Gesellschaftsrechts, die zwischen Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftervermögen trennt und der Tatsache, dass der Anteil eindeutig dem
___________ K. Schmidt, Gutachten 54. DJT, S. D 83; ebenso Neumann, S. 421. Krull, S. 85. Siehe hierzu ausführlich unten § 10. II. 1. Jedenfalls müsste sich diese Meinung das Argument entgegenhalten lassen, dass die Anteile, wenn überhaupt, nur noch einen Restwert aufweisen. Warum aber bei einem nur noch bestehenden Restwert der Anteile allein auf die Entscheidung der Gesellschafter abgestellt werden soll, während die übrigen Werte in der Insolvenz allein den Gläubigern zugewiesen werden, ist dann nicht einleuchtend. 724) H-F. Müller, S. 368. 725) Diese Regelung war insofern eine Konsequenz der Aussage des InsO-Gesetzgebers, dass Gegenstand der Haftung im Insolvenzverfahren das Vermögen des Schuldners, nicht seine gesellschafts- oder verbandsrechtliche Organisation sei, so der RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 83.
720) 721) 722) 723)
139
§ 5 Reform des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG
Gesellschaftervermögen zuzuordnen ist, könnte hier ein Widerspruch entstehen zwischen §§ 217, 225a InsO n. F. und § 35 InsO.726)
271 Eine Auflösung dieses Widerspruchs kann aber wiederum erfolgen mit einer Vergleichsbetrachtung unter insolvenzrechtlichen Prämissen: wenn die Gesellschaft durch die Insolvenzeröffnung aufgelöst wird und somit die Anteile ohne Reorganisation untergehen würden, so zeigt sich, dass die Gesellschaft und die an ihr gehaltenen Anteile miteinander verwoben sind, woraus ein struktureller Unterschied folgt zwischen Sacheigentum des Anteilseigners (das unstreitig nicht in die Insolvenzmasse fällt) und Anteilseigentum, weil letzteres nicht dieselbe „Stabilität der Rechtsbeziehungen“ wie das Sacheigentum aufweist.727) Kann der Anteil seine Funktion als vermittelndes Element nicht mehr erfüllen, ist aber zugleich die Maximierung der Insolvenzmasse nur durch Nutzung des Rechtsträgers möglich, so muss dessen Verwertung möglich sein.728)
5.
Zwischenergebnis
272 Somit ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass die Neuregelung durch das ESUG unter systematischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten keinen schwerwiegenden Bedenken begegnet, sondern im Gegenteil das Defizit der vorherigen Rechtslage beseitigt. Ihre Grenze findet die Zulässigkeit der dafür gewählten Regelungstechnik allerdings in einem ggf. hierin liegenden Verstoß gegen verfassungsrechtliche oder europarechtliche Vorgaben. Dies soll in den folgenden Abschnitten näher untersucht werden. Daneben stellt sich die Frage, ob die gewählte Regelungstechnik – auch auf Basis der referierten Überlegungen – eine effiziente Methode darstellt, das Problem zu lösen, oder ob es nicht nur zu einer unnötigen Aufblähung des Verfahrens kommt. Dies wird unten unter § 9. I. behandelt werden.
___________ 726) Eingehende Analyse bei Büchele, S. 130 ff.: siehe hierzu, allerdings im Kontext des § 245 InsO, auch Hölzle, in: Kübler, HRI, § 30 Rn. 44. Das Chapter 11 kennt diese Problematik nicht, da der durch die Insolvenz gebildete estate neben den assets auch „control and ownership of the business“ umfasst, Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 11 (1991). Dies erklärt Madaus, ZGR 2011, 749, 760 mit der Ermächtigung des US-Bundesgesetzgebers in Art. I sec. 8 clause 4 der Constitution, nach der eine umfassenden Regelungsbefugnis für Insolvenzsachverhalte besteht, womit auch Vorrang gegenüber dem einzelstaatlichen Gesellschaftsrecht bestehen kann. 727) So zutreffend Büchele, S. 133. 728) Büchele, S. 133 m. w. N. Siehe zur alten Rechtslage auch Bitter, ZGR 2010, 147, 191 ff., der dies aus der nur noch treuhänderischen Stellung der Anteilseigner für Rechnung der Gläubiger begründete.
140
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte I.
Abwehrrechte oder Teilhaberechte?
Die Frage, inwieweit die durch das ESUG geschaffene Neu-Regelung verfassungs- 273 rechtlich zulässig ist, hat im Grundsatz zwei Dimensionen: Zum einen können die Anteile der bisherigen Eigner im Rahmen eines DES untergehen, wenn nämlich im Rahmen eines Kapitalschnitts eine Kapitalherabsetzung auf Null durchgeführt wird. Hier stellt sich die Frage, ob den Anteilseignern ein negatives Abwehrrecht aus Art. 14 oder Art. 9 GG zusteht gegen die Rechtsfolgen des Insolvenzplans, der ihre Rechte untergehen lässt. Zum anderen stellt sich die Frage, ob im soeben genannten Szenario den bisherigen Anteilseignern dann aber zumindest ein Bezugsrecht auf neue Anteile zusteht, die sie mit frischem Kapital erwerben dürfen, womit zu untersuchen ist, ob ein positives Teilhaberrecht aus Art. 14 GG oder aus Art. 9 GG hergeleitet werden kann.729)
___________ 729) Eine dazwischen liegende Dimension könnte noch darin gesehen werden, dass die Anteilseigner, sollte keine vorherige Kapitalherabsetzung stattfinden, durch eine ohne ihre Beteiligung stattfindende Kapitalerhöhung in Form der Verwässerung ihrer Anteilsquote betroffen werden. Diese Dimension wird hier aber nicht als eigene Frage behandelt. Zum einen ist es schon von der Systematik her unklar, ob die Zustimmung der Anteilseigner überhaupt nötig ist bei einer Kapitalerhöhung, die ihre Anteile grundsätzlich bestehen lässt und lediglich verwässert. Denn nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist allein dann eine Gruppe der am Schuldner beteiligten Personen zu bilden, wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden. Dies könnte eng ausgelegt werden und allein dann erfüllt sein, wenn diese Anteile laut Plan tatsächlich untergehen sollen, nicht aber, wenn daneben weitere Anteile hinzukommen. Bessere Gründe sprechen hier zwar für die Notwendigkeit der Zustimmung (auch im Ausschluss des Bezugsrechts kann ein abfindungsfreier Teil-Ausschluss liegen, nämlich soweit, wie der Verwässerungseffekt reicht, siehe Ekkenga, ZGR 2009, 581, 612 f. und Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 31 ff.) Problematisch ist aber maßgeblich, dass mit einem solchen Bestehenlassen der Anteile der Grundsatz nicht nachvollzogen würde, dass das Grundkapital primär als Verlustpuffer dienen muss. Vielmehr würden diese in der Insolvenz zumeist wertlosen Anteile hierdurch wieder teils werthaltig, worin ein Vermögenstransfer von den Gläubigern auf die Anteilseigner gesehen werden müsste (mit Verweis auf die Wertlosigkeit des Residualanspruchs zieht Daimer, S. 30 einen solchen Vermögenstransfer auf die Anteilseigner gar nicht erst in seine Untersuchungen mit ein), der mit einiger Wahrscheinlichkeit auch das Obstruktionsverbot nach § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO ausschalten würde, weil hiermit (je nach Planregelung) einer am Schuldner beteiligten Person etwas zugewendet wird (siehe hierzu näher unten § 7. I. 2. c) Fn. 959). Zuletzt zeigt sich ja gerade am Bezugsrecht, dass auch außerhalb der Insolvenz kein Recht besteht, eine Kapitalerhöhung untersagen zu lassen, weil hierdurch eine Verwässerung stattfindet. Vielmehr gibt es immer nur, sofern die Kapitalerhöhung mit der entsprechenden Mehrheit beschlossen wurde, ein Teilhaberecht an dieser Kapitalerhöhung; damit ist aber die Bezugsrechts-Dimension (siehe hierzu unten § 6. III. 4. e)) erreicht. Daher ist im Folgenden immer nur das Szenario zugrunde zu legen, dass die Anteilsrechte durch Kapitalherabsetzung gänzlich untergehen; wo der Sonderfall besprochen wird, dass nur auf das Mindestkapital herabgesetzt oder gar nicht herabgesetzt wird, wird dies jeweils besonders erwähnt.
141
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
II. Einleitung zu Fragen der Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht 274 Grundrechte sind primär als Abwehrrechte gegen staatliches Handeln konzipiert. Beim Forderungstausch sind es jedoch andere Privatrechtssubjekte, die durch ihr Verhalten (Aufstellung des Insolvenzplans, Abstimmung, mittelbarer Entzug der Gesellschafterstellung) in Rechte der Anteilseigner eingreifen.730) Wird ihnen dies aber durch eine gesetzliche Regelung ermöglicht, so ist diese darauf zu prüfen, ob sie mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist.
275 Die Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte als Ausdruck des Vorrangs der Verfassung resultiert zunächst aus Art. 1 Abs. 3 GG. Im Bereich der für den Wirtschaftsverkehr besonders relevanten Grundrechte aus Art. 9 GG und Art. 14 GG bestehen nicht nur weitreichende Schrankenvorbehalte, vielmehr bedarf es hier zunächst erst einmal einer Ausgestaltung durch den Zivilgesetzgeber.731) Bei dieser Ausgestaltung obliegt es dem Gesetzgeber, Interessenkonflikte zwischen rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekten sachgerecht zu lösen732), mithin im Verteilungskonflikt eine austarierende Lösung zu finden.733) Hierfür steht ihm grundsätzlich ein weiter Ermessens- und Gestaltungsspielraum zu734), der aber begrenzt ist durch die Pflicht zur Beachtung des Übermaßverbots auf der einen, des Untermaßverbots auf der anderen Seite.735)
276 Auch der Zivilrichter hat aufgrund von Art. 1 Abs. 3 GG bei der Auslegung des einfachen Rechtes (etwa des § 245 InsO n. F.) die Grundrechte zu beachten und ___________ 730) Privatrechtssubjekte sind primär nicht an die Grundrechte gebunden. Dies kann nur dann angenommen werden, wenn einem Grundrecht unmittelbare oder mittelbare Drittwirkung (auch als Ausstrahlungswirkung oder Horizontalwirkung bezeichnet) beigemessen wird. In diesem Kontext wäre die staatliche Pflicht, einen Schutz der Grundrechte auch gegen Eingriffe von dritter Seite zu gewährleisten und dies bei der Ausgestaltung des Rechts zu beachten, auch für den Einzelnen einklagbar, Jung, JZ 2001, 1004, 1007. Dies ist jedoch nur sehr eingeschränkt möglich, da zwischen Privaten grundsätzlich auch auf Grundrechtsschutz verzichtet werden kann, also primär die Privatautonomie Geltung beansprucht. So wird dieser Schutz nur bei einem schweren Eingriff oder einer starken Gefährdung hochrangiger Grundrechte gewährt, Jung a. a. O. S. 1008. Wenn damit die Grundrechte im Grundsatz keine Abwehrrechte gegen Eingriffe von Privaten darstellen, so ist dies nur ausnahmsweise anders, wenn aus dem Grundrecht ein „hinreichend bestimmtes Verhaltensgebot“ (wiederum Jung a. a. O., S. 1008) abgeleitet werden kann. Von einer solchen mittelbaren Drittwirkung kann in der hiesigen Problematik aber nicht ausgegangen werden. 731) Jung, JZ 2001, 1004, 1005. 732) BVerfGE 30, 173, 199. 733) Jung, JZ 2001, 1004, 1005; Stern, Staatsrecht, Band III/1, S. 1578. 734) BVerfGE 50, 290, 332 f.; BVerfGE 88, 203, 262: „Ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum kommt dem Gesetzgeber auch dann zu, wenn er – wie hier – verfassungsrechtlich verpflichtet ist, wirksame und ausreichende Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen. Der Umfang dieses Spielraums hängt von Faktoren verschiedener Art ab, im Besonderen von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, der Möglichkeit, sich – zumal über künftige Entwicklungen wie die Auswirkungen einer Norm – ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter“. 735) Stern, Staatsrecht, Band III/1, S. 1580; Jung, JZ 2001, 1004, 1005.
142
II. Einleitung zu Fragen der Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht
über eine verfassungskonforme Auslegung zu versuchen, einen Grundrechtsverstoß zu vermeiden.736) Liegt aus seiner Sicht aber eine auch durch Auslegung nicht zu behebende Verfassungswidrigkeit einer Norm vor, so bleibt ihm nur die Vorlage zum BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG. Geht es um die Frage der Entziehung der Anteile gegen den Willen der Alt- 277 Anteilseigner durch Anwendung des Obstruktionsverbots aus § 245 InsO, so ist zu beachten, dass diese Norm keine Generalklausel darstellt, die dem Gericht viel Bewertungsspielraum bei der Frage lässt, ob der Eingriff in die Anteilsrechte im konkreten Fall zulässig ist oder nicht.737) Vielmehr lässt sie dies zu und nennt lediglich die Anforderungen, unter denen die Unbeachtlichkeit der Nicht-Zustimmung durch das Gericht festgestellt werden kann. Es ist, sofern die Voraussetzungen gegeben sind, mithin nur eine Ja- oder Nein-Regelung möglich; nicht möglich wäre es dem Richter, im Einzelfall eine (nur) Teil-Entziehung738) oder ähnlich anzuordnen. Somit ist dem Insolvenzrichter, sollte dieser schon die generelle Möglichkeit des Eingriffs für verfassungswidrig halten, eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich.739) Damit ist das Gesetz so hinreichend deutlich und es würde eine Grundrechtsverletzung allein aus der Anwendung des § 245 Abs. 1, Abs. 3 InsO n. F. folgen. Damit wäre es dem BVerfG möglich, diese Norm auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten zu überprüfen.740) ___________ 736) Stern, Staatsrecht, Band III/1, S. 1576, 1583; Jung, JZ 2001, 1004, 1006. 737) Es könnte noch differenziert und in einem vorherigen Schritt geprüft werden, ob nicht schon in einer mehrheitlichen Zustimmung der Anteilseigner nach § 244 Abs. 3 InsO n. F. ein Eingriff in die Rechte der überstimmten Minderheit liegt, da außerhalb der Insolvenz nicht 50 %, sondern 75 % Zustimmung nötig sind. Hier soll aber davon ausgegangen werden, dass auch eine Mehrheitsentscheidung ausreicht, da darin eine ausreichende Legitimationsbasis besteht. Selbstverständlich ist dies nicht, da die vom BVerfG entschiedenen Fälle des Anteilsentzugs immer Regelungen mit einer Mehrheit von mindestens 75 % betrafen (siehe unten). Allerdings kann, sofern im Folgenden eine Zulässigkeit eines Eingriffs via § 245 InsO für möglich befunden wird, a maiore ad minus gefolgert werden, dass dies erst recht für den Mehrheitsentscheid gilt; siehe hierzu auch unten Fn. 803. 738) Dass die Verwässerung als Folge eines Bezugsrechtsausschluss einen solchen Teil-Entzug darstellt, ist oben in Fn. 729 erwähnt worden. Im Folgenden soll aber geprüft werden, ob der komplette Entzug der Anteilseignerstellung durch Kapitalherabsetzung einen Verstoß darstellt. Ist dies nicht der Fall, gilt die Vereinbarkeit a maiore ad minus auch für die Verwässerung; ebenso Büchele, S. 122 f. 739) Madaus, ZGR 2011, 749, 771 f. will zwar eine verfassungskonforme Auslegung des § 245 Abs. 3 InsO n. F. dahingehend, dass die Anwendung des Obstruktionsverbots nur verboten ist in Fällen, in denen der Insolvenzplan gegen den Willen der Alt-Anteilseigner auch Regelungen über die Anteile beinhaltet. Dies ist aber wiederum im Ergebnis auch ein Totalverbot des Eingriffs; nach seiner Ansicht soll § 245 Abs. 3 InsO n. F. allein dann auch gegenüber Alt-Anteileignern anwendbar sein, wenn es der Plan keine Restschuldbefreiung enthalte, sondern das erworbene Neu-Vermögen laut Regelungen des Insolvenzplans dazu verwendet werde, die Restforderungen zu begleichen. Zur Zweifelhaftigkeit einer solchen Zwischenregelung siehe aber unten IV. 3. e) ee). 740) Ebenso i. E. wohl Spetzler, S. 47 f., die allein auf den Legislativakt als grundrechtsrelevante Maßnahme, nicht aber auf den später vom Gericht gefassten Planbestätigungsbeschluss abstellt, da dieser lediglich „Folge legislativen Unrechts“ wäre.
143
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
278 Die Verfassungsmäßigkeit der §§ 245 Abs. 1 und 3, 217, 225a InsO n. F. wird im Folgenden zunächst in Bezug auf den DES in Verbindung mit einem Kapitalschnitt geprüft, mithin dem Fall, dass die Alt-Anteilseigner ihre Anteilsrechte durch eine Kapitalherabsetzung auf Null verlieren, während der Rechtsträger durch eine Kapitalerhöhung weiterbesteht.741)
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit 1.
Anteilseigentum als geschütztes Rechtsgut
279 Das Anteilseigentum findet sich in Umschreibungen als existenzsichernde Kapitalanlage742), für Unternehmergesellschafter auch als Wert seiner erbrachten Leistungen und „Grundlage seiner Persönlichkeitsentfaltung als Unternehmer“.743) Das BVerfG sieht darin ein elementares Grundrecht, das in einem inneren Zusammenhang steht mit der Garantie der persönlichen Freiheit. Dabei komme ihm die Aufgabe zu, einen Freiheitsraum für den Grundrechtsträger im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen.744)
2.
Schutzbereich des Art. 14 GG
280 Art. 14 GG schützt das Anteilseigentum sowohl in seiner vermögensrechtlichen745) als auch in seiner mitgliedschaftlichen Komponente.746) Dies wird unmittelbar klar etwa bei der GmbH mit kleinem Anteilseignerkreis, wo die Anteilseigner durchaus großen Einfluss auf die Geschäftsleitung haben (oder diese selbst stellen). Bei großen Aktiengesellschaften besteht die Besonderheit der Aktie im darin „gesellschaftsrechtlich vermittelten Eigentum“747), dass nämlich das darin verkörperte Eigentum an dem Unternehmen nicht direkt genutzt werden kann, sondern die Verfügungsbefugnisse, die im Regelfall mit dem Eigentum einhergehen, nur vermittelt über ___________ 741) Dies ist abzugrenzen von einer „zwangsweisen Abtretung“ bestehender Anteile (oder ähnlich), die in der Literatur teils als Eingriff geprüft wurde, siehe etwa Spetzler, S. 48, die „Zwangsübertragungen“ von Anteilen auf Dritte gegen den Willen der Anteilseigner untersucht und bei Kapitalmaßnahmen nur von Kapitalerhöhungen ohne Bezugsrecht auszugehen scheint, durch die eine Verwässerung der Alt-Anteile stattfindet. Der hier untersuchte Kapitalschnitt steht zwischen diesen beiden Maßnahmen. 742) Martens, ZGR 1979, 493, 504 f. 743) Jung, JZ 2001, 1004, 1012 m. w. N. 744) BVerfGE 24, 367, 389. 745) Das Vermögensrecht findet dabei seine Ausprägung in dem gesetzlichen Anspruch auf den Bilanzgewinn, dem Bezugsrecht bei Kapitalerhöhungen und dem Recht auf Teilnahme auf den Liquidationserlös, BVerfGE 100, 289, 302 – DAT/Altana; zugleich betont das BVerfG, dass noch nicht abgebildete Gewinnerwartungen, in der Zukunft liegende Verdienstmöglichkeiten, bloße Chancen und Gegebenheiten außerhalb des Schutzbereichs liegen, BVerfG ZIP 2000, 1670, 1672 – Moto Meter; BVerfG ZIP 2012, 1408, 1411. 746) BVerfGE 24, 367, 384 (Mitglied einer Gesamthandsgemeinschaft); BVerfGE 100, 289, 301 (mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft). 747) BVerfGE 14, 263, 276; BVerfGE 25, 371, 407.
144
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
die Organe der Gesellschaft ausgeübt werden können.748) Dies führt aber nicht dazu, dass das BVerfG die mitgliedschaftlichen Elemente nicht in den Schutzbereich einbeziehen würde. Der Charakter der Aktie als Vermögensrecht kann nach Ansicht des BVerfG nicht von dem als Mitgliedschaftsrecht getrennt werden.749) Die alte Rechtslage schützte das Eigentum der Alt-Anteilseigner bei der Reorgani- 281 sation somit in vollem Maße, indem ihnen allein – auch in der Insolvenz noch – die Entscheidung über strukturändernde Maßnahmen zugewiesen war.750)
3.
Eingriff
Wenn durch den Insolvenzplan gegen den Willen der Anteilseigner der Untergang 282 der Anteilsrechte angeordnet wird, so ist hiermit das Anteilseigentum als vermögensrechtliche Position betroffen, da sämtliche hiermit verbundenen Rechte untergehen.751) Ein Eingriff liegt somit vor.752) ___________ 748) BVerfGE 50, 290, 342. 749) BVerfGE 25, 371, 407. 750) Die Entscheidung des InsO-Gesetzgebers von 1994 für die gesellschaftsrechtliche Neutralität war wohl auch eine Reaktion auf vorher geäußerte Bedenken in Bezug auf eine Verletzung von Art. 14 GG durch einzelne Maßnahmen, die im Ersten Bericht vorgeschlagen wurden; siehe hierzu Bitter, ZGR 2010, 147, 188 und oben Abschnitt § 4. I. 751) Hier könnte darüber nachgedacht werden, ob das Anteilseigentum nicht zumindest für nach März 2012 (In-Kraft-Treten der ESUG-Regelungen) entstandene Anteilsrechte bereits so ausgestaltet ist, dass sie im Fall der Insolvenz im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens entzogen werden können, so dass sich eine Frage der Vereinbarkeit nicht mehr in demselben Umfang stellt, siehe hierzu etwa Leuschner, NJW 2007, 3248, 3250 („Zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Ausschlusses realisiert sich lediglich ein Risiko, das allen Aktien seit Einführung der §§ 327a ff. AktG immanent ist. Die Bestandsgarantie und Artikel 14 GG sind in diesem Zusammenhang nur insoweit einschlägig, als der Gesetzgeber die entsprechende Zugriffsmöglichkeit bei Einführung der §§ 327a ff. AktG am 1.1.2002 auch auf die zu diesem Zeitpunkt bereits existierenden Aktien erstreckt und somit deren Inhalt verkürzt hat“); siehe auch Brüning S. 273 und Mülbert/Leuschner, ZHR 170 (2006), 615, 627 f. Hierzu auch BGHZ 82, 188, 192: erworbenes Eigentum mit gesellschaftsrechtlicher Prägung wird zunächst primär in dem Umfang geschützt, in dem es, durch das Gesellschaftsrecht ausgestaltet, erworben wurde (Belastung insoweit, dass durch Mehrheitsbeschluss eine Entwicklung genommen werden kann, die den Interessen des einzelnen Anteilseigners nicht entspricht). Vorliegend sollen solche Überlegungen aber außer Betracht bleiben, da die Frage des Anteilsuntergangs hier einheitlich als Verstoß untersucht wird und zudem bei einer solchen Differenzierung bei jedem einzelnen Anteil geschaut werden müsste, wann dieser genau entstanden ist, was etwa bei einer börsennotierten AG nach mehreren Kapitalerhöhungen nur schwer noch möglich ist. 752) Zweifelnd hieran äußert sich lediglich Hölzle, KTS 2011, 291, 318 (sowie ders. in NZI 2011, 124, 127), der den Schutzbereich schon nicht betroffen sieht, da die Anteile zum einen wertlos seien, zum anderen nur noch wirkungsentkleidete Mitgliedschafts- und Teilhaberechte darstellen würden, die die Intensität und Zielgerichtetheit, die für eine Annahme eines Eingriffs in den Schutzbereich nötig wären, nicht erreichen. Nach Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 7 würde „ein Eingriffssubstrat im Wesentlichen nicht verbleiben“. Eine solche Argumentation lässt aber die Frage einer potentiellen Wertlosigkeit auf die Frage des Schutzbereiches vorgreifen. Hier scheint es vorzugswürdig, dies erst im Rahmen einer Abwägung und der Verpflichtung zum Ausgleich zu berücksichtigen.
145
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
283 In das Eigentum kann auf zweierlei Weise eingegriffen werden: Zum einen kann durch eine Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 GG das Eigentum für die Zukunft in generell abstrakter Weise neu ausgestaltet werden, was vielfach mit Einwirkungen auf bisher praktizierte Eigentumsnutzung einhergeht.753) Die andere Art des Eingriffs besteht in einer Legal- oder Administrativenteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG, was bedeutet, dass konkrete Eigentumsrechte bestimmter Personen entzogen werden. Letztere liegt dann vor, wenn ein hoheitlicher Zugriff auf das Objekt geschieht, der vom Staat oder vom mit staatlichen Zwangsrechten beliehenen Unternehmer ausgeht.754) Bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen hat das BVerfG in der Befugnis der Hauptversammlung zur Umgestaltung der privatrechtlichen Beziehungen der Aktionäre keine zugleich stattfindende öffentlich-rechtliche Beleihung der Hauptversammlung gesehen.755) Insoweit kann dasselbe gesagt werden für die Abstimmungen der Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens, wenn diese über Strukturmaßnahmen entschieden haben.756) Folglich kann auch der Anteilsentzug durch den Insolvenzplan (dieser wird grundsätzlich privatautonom und nach ergangenen Verhandlungen erstellt) nicht als hoheitlicher Akt gesehen werden, der einer Enteignung i. S. d. Art. 14 Abs. 3 GG gleichkäme.757) Der Untergang der Anteile per Kapitalherabsetzung stellt sich daher als ausgleichspflichtige- Inhalts- und Schrankenbestimmung dar.758)
4.
Rechtfertigung
284 Der Eingriff ist allerdings lediglich dann als verfassungswidriger Verstoß anzusehen, wenn hierfür keine Rechtfertigung möglich ist. Im Rahmen der in Art. 14 Abs. 1 S. 3 GG gewährten Ermächtigung, die Inhalte und Schranken zu bestimmen, ist der Gesetzgeber nicht gänzlich frei; vielmehr hat er dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser beinhaltet, dass die Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt, geeignet und erforderlich sowie angemessen ist.
___________ Zöllner/Noack, AG 1991, 157, 159. BVerfGE 14, 263, 277 – Feldmühle; BVerfG ZIP 2011, 1955, 1957 – HRE. BVerfGE 14, 263, 277 – Feldmühle. So auch Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1937. Kritisch hierzu lediglich Büchele, S. 116, der aber i. E. auch eine Inhalts- und Schrankenbestimmung annimmt. 758) So auch die überwiegende Anzahl der Autoren, siehe nur Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1523; Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1931, 1936 f.; eine ausführliche Abgrenzung findet sich bei Büchele, S. 113 ff., der ebenfalls zu einer Inhalts- und Schrankenbestimmung gelangt. Soweit ersichtlich gehen lediglich Smid/Rattunde, Insolvenzplan, 1. Aufl., 1998, Rn. 347 (ohne nähere Begründung) und Kluth, ZInsO 2002, 258, 263 (Verletzung des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG, die ein legislatives Desaster ausgelöst hätte) von einer Enteignung aus.
753) 754) 755) 756) 757)
146
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
a) Legitimer Zweck Zweck der Ermöglichung des DES auch gegen den Willen der Anteilseigner ist 285 nach Aussage des Gesetzgebers die Förderung der Sanierung von Unternehmen.759) Wie gezeigt, lag nach bisherigem Recht kein Eingriff vor; damit einher ging aber auch die Gefahr, dass ein Insolvenzplan scheiterte, weil die notwendigen Strukturmaßnahmen nicht beschlossen wurden. Da dies nunmehr auch gegen den Willen der Anteilseigner geschehen kann und ein Unternehmen somit nicht zwangsweise liquidiert werden muss, sondern im selben Rechtsträger weiterbestehen kann, wenn dies die wirtschaftlich sinnvollere Verwendung darstellt, wird die Sanierungsmöglichkeit erleichtert, was einen legitimen Zweck darstellt.760) Nach dem BVerfG müssen keine unternehmerischen Gründe im Einzelfall vorliegen, es reicht aus, wenn der Gesetzgeber mit der Möglichkeit des Ausschlusses von Anteilseignern generell einen legitimen Zweck verfolgt.761)
b) Geeignetheit und Erforderlichkeit Zur Erreichung dieses Ziels ist die Maßnahme auch geeignet, da eine Sanierung 286 unter Verwendung des Rechtsträgers hiermit erleichtert wird. Im Rahmen der Geeignetheit ist dem Gesetzgeber ein weiter Ermessenspielraum eingeräumt.762) Die Maßnahme ist erforderlich, wenn kein milderes Mittel ersichtlich ist, um das 287 vom Gesetzgeber ausgegebene Ziel zu erreichen. Die übertragende Sanierung als primär angebotene und in der Praxis auch vielfach praktizierte Alternativmaßnahme weist die oben763) aufgeführten Defizite auf. Sofern darauf abgestellt wird, dass der Rechtsträger für die Verwertung des Unternehmens gerade deswegen interessant ist, weil die hieran hängenden rechtsträgergebundenen Berechtigungen so verwertet werden können, könnte darauf verwiesen werden, dass ggf. andere Methoden der Vertragsüberleitung solcher Berechtigungen zur Verfügung stehen. Zum einen bringen diese aber nicht unbeträchtliche Abgrenzungsprobleme oder Legitimationsprobleme mit sich, zum anderen sind sie kaum entwickelt764); zuletzt besteht ___________ 759) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 18 und S. 31; auf S. 17 wird auch davon gesprochen, durch erleichterte Sanierung Arbeitsplätze zu erhalten und die bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu ermöglichen. 760) Spetzler, S. 50, die daneben noch ein gesamtwirtschaftliches Interesse in einer darin liegenden effizienteren Ressourcenallokation sowie in einer Verhinderung von Mitnahmeeffekten sieht. 761) BVerfG NJW 2007, 3269, 3270 (Edscha) zum Ausschluss von Minderheitsaktionären. 762) Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1938; siehe hierzu auch Spetzler S. 52 f. mit einer Diskussion der Frage, ob hiermit nicht jeder Anreiz zur frühzeitigen Antragstellung eliminiert wird; dies lehnt sie i. E. zutreffend ab, weil dies zum einen nicht zwingend immer gegeben ist (etwa bei Fremdorganschaft), zum anderen der Anteilsverlust auch im Regelverfahren droht und diese Gefahr damit immer besteht. Siehe zu der Frage der Auswirkung auf Anreize auch die Ausführungen unten § 9. II. 763) Siehe oben § 1. IV. 764) Siehe oben § 4. II. 1. c).
147
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
hier die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, der diese Konstruktion über die Einbeziehung der Anteilsrechte in den Insolvenzplan einer vertragsüberleitenden Konstruktion vorgezogen hat. Sofern darauf abgestellt wird, dass auch bei Nichtzulassung des Zwangseingriffs die Anteilseigner mit einiger Sicherheit gegen Zahlung einer gewissen Summe zustimmen würden („jeder hat seinen Preis“), liegt schon in den hierfür nötig werdenden Verhandlungen eine Erschwerung der Transaktion, die die vorherige Rechtslage – obgleich milder gegenüber den Anteilseignern – nicht als gleich geeignet zur Sanierungsermöglichung erscheinen lässt.765) Hinzu kommt, dass die Alternativkonstruktionen etwa auch steuerliche Verlustvorträge mangels Erhalt des Rechtsträgers nicht übergehen lassen, womit schon das selbe Ziel nicht erreicht werden kann.766)
c)
Angemessenheit
288 Ob der Eingriff auch angemessen ist, ist nach einer Interessenabwägung zwischen den hierdurch beeinträchtigten Schutzgütern und den hierdurch anderweitig geschützten Rechtsgütern zu beurteilen. Hierbei müssen die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden.767)
289 Diejenigen Stimmen in der Literatur, die eine Verfassungswidrigkeit befürchten, haben dabei fast ausnahmslos auf den nicht gerechtfertigten Eingriff in die Gesellschafterautonomie (also die mitverwaltungsrechtliche Komponente) abgestellt.768)
aa) Gemeinwohlinteressen 290 Insbesondere müssen gewichtige Gründe des Gemeinwohls dafür sprechen. Dabei wird teils angezweifelt, ob die – insofern rein privaten – Interessen der Gläubiger ___________ 765) Zutreffend Spetzler, S. 53 f. 766) So ist etwa die Konstruktion einer verbesserten übertragenden Sanierung über die umwandlungsrechtliche Ausgliederung nicht in der Lage, die Verlustvorträge übergehen zu lassen, siehe Spetzler S. 107. 767) BVerfGE 52, 1, 29. 768) Der lange Zeit einzig für diese Ansicht genannte Verweis auf Bedenken verfassungsrechtlicher Art seitens K. Schmidt im Gutachten 54. DJT, S. D 83, galt maßgeblich dem Vorschlag der Insolvenzrechtskommission, Gesellschafter bei Überschuldung auszuschließen, da dies an der Tatsache vorbei ginge, dass die überschuldete Gesellschaft nur unter der Zerschlagungsprognose wertlos sei. Einer Einbeziehung in den Plan und einem Obstruktionsverbot hätte sich dieser aber auch nicht verschlossen, siehe K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1608 Fn. 80. Zuletzt haben Madaus, ZGR 2011, 749 und Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1818 wieder einzig auf den unzulässigen Eingriff in die Mitverwaltungskomponente (aber maßgeblich i. R. v. Art. 9 GG) abgestellt. Zu Unrecht zählen Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 108 Rn. 44 auch Brinkmann, WM 2011, 97, 100 f. zu den Verfechtern einer Unvereinbarkeit mit Art. 14 GG; dessen Ausführungen gehen lediglich auf Basis des Art. 9 GG in Richtung eines Bezugsrechts; siehe hierzu unten § 7.
148
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
einen solchen gewichtigen Grund des Gemeinwohls darstellen können.769) Denn der Schutz einzelner Gruppen wie der Gläubiger liege nicht im Allgemeininteresse.770) Diese Ansicht rekurriert dann allerdings auf ein Interesse der Allgemeinheit an der „Abwehr wirtschaftlicher Verschwendung“, dem ein funktionsfähiges Insolvenzrecht Rechnung tragen müsse.771) Eine solche Formulierung ist allerdings zu weitgehend, da hiermit etwa auch Eingriffe in das Eigentum gerechtfertigt werden könnten, weil dieses nicht so gewinnbringend genutzt wird, wie es genutzt werden könnte.772) Daher sollte hier darauf abgestellt werden, dass die im Rechtsträger verkörperten 291 Werte ansonsten gar nicht genutzt werden könnten, da der Rechtsträger nach Verwertung der werthaltigen Vermögensgegenstände gelöscht wird, weil er einzig noch Verbindlichkeiten aufweist, die die in den rechtsträgergebundenen Berechtigungen enthaltenen Werte deutlich übersteigen. In dieser Richtung sieht die ganz überwiegende Ansicht ein Allgemeininteresse begründet in der durch erleichterte Sanierung bewirkten effizienten Nutzung vorhandener Betriebsmittel im Vergleich zur ansonsten drohenden Liquidation, was sich als Ausfluss der Sozialbindung des Eigentums darstelle.773) Dabei kann auf ein gesamtvolkswirtschaftliches Interesse an der effizienten Umsetzung unternehmerisch sinnvoller Entscheidungen774) abgestellt werden, das vom BVerfG als Interesse der Allgemeinheit anerkannt wurde.775)
bb) Forderungen der Gläubiger als kollidierende Schutzgüter des Art. 14 GG Als kollidierende Interessen kommen hier primär die Forderungen der Gläubiger in 292 Betracht, die ebenso dem Schutz des Art. 14 GG unterfallen.776) Indem diese trotz ___________ 769) Verneinend etwa Brüning, S. 275 f. 770) Brüning, S. 276; kritisch auch H.-F. Müller, KTS 2011, 1, 20 (bei einem Vergleich ESUG und KredReorgG): Schutz vor schwerwiegenden Störungen der Finanzmärkte oder vergleichbare Gemeinwohlbelange seien nicht das Gleiche wie Interesse der Gläubiger an Befriedigung ihrer Forderungen. Die Schwierigkeit einer Bezugnahme auf ein solches Interesse zeigt sich auch daran, dass etwa der InsO-Gesetzgeber ein öffentliches Interesse an der Erhaltung insolventer Rechtsträger ausdrücklich verneint hat (siehe RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443 S. 77), woraus H.-F. Müller, S. 365 schließt, dass Zwangseingriffe nicht überzeugend begründet werden können; Brüning, S. 286 vertritt mit Verweis auf dieselbe Aussage das Gegenteil. 771) Brüning, S. 277 ff.; dagegen Madaus, ZGR 2011, 749, 757 Fn. 14: Insolvenzrecht dient unter der vollstreckungsrechtlichen Funktion dem Privatinteresse der Gläubiger, nicht dem Verteilungsinteresse eines Gemeinwohls. 772) Bitter, ZGR 2010, 147, 184 f. bringt hier das plakative Beispiel, dass eine Enteignung der Erben eines Popstars nicht damit begründet werden könnte, dass andere Personen dessen Wohnhaus gewinnbringender als Pilgerstätte verwenden könnten und nicht bloß wie derzeit als Wohnhaus. 773) So Spetzler, S. 54 m. w. N. 774) So Spetzler S. 64. 775) BVerfGE 14, 363, 282 – Feldmühle, deren Grundsätze unten näher besprochen werden. 776) Verse, ZGR 2010, 299, 310; Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 546; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1044; Meyer/Degener, BB 2011, 846, 848.
149
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
Fortführungsmöglichkeit und Möglichkeit werterhöhender Verwertung durch Rechtsträgernutzung vom Fortführungswert abgeschnitten und auf den Liquidationswert (der bei Möglichkeit einer übertragenden Sanierung zwar eine Fortführungskomponente enthalten kann, dennoch aber niedriger ausfällt777) reduziert werden, ist ihr Eigentum an den Forderungen betroffen.
cc) Rangstellung der Anteile nach § 199 InsO 293 In dieser Hinsicht kollidieren mithin die vermögensrechtlichen Interessen der Forderungsinhaber und der Anteilsinhaber. Geht es dabei um das vermögensrechtliche Element der Anteilseigner, kann darauf verwiesen werden, dass die Werthaltigkeit der Anteile in der Insolvenz bereits mehr als fraglich ist. Denn im Regelverfahren unterliegen die Anteilseigner der Verteilungshierarchie, die bezüglich ihrer Stellung insbesondere durch § 199 InsO ausgedrückt wird: wenn bei der Schlussverteilung alle Insolvenzgläubiger in voller Höhe befriedigt werden, ist ein Überschuss an die Anteilseigner des Schuldners zu verteilen. Diese Norm kommt allerdings in den seltensten Fällen zum Einsatz, woraus ein Großteil der Autoren schließen, dass die Anteile in der Insolvenz „in der Regel“ wertlos778) und nicht mehr schutzwürdig sind.779) Auf das Vergleichsszenario der Liquidation, bei dem die Anteile untergehen, verweist auch die Gesetzesbegründung.780) Jedenfalls aber wird § 199 InsO entnommen, dass im Zustand der Insolvenz den Anteilseignern selbst bei Werthaltigkeit ein Anspruch nur auf Entschädigung in Geld zusteht, nicht aber das Recht auf weiteres Halten der Anteile.781) Dieses Argument könnte allerdings leicht ent___________ 777) Vgl. unten § 10. I. 3. a). 778) Zu der Überprüfung dieser Aussage und der Frage der Werthaltigkeit der Anteile generell siehe unten § 10. II. 779) Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 110; in Ansätzen auch der BGH in ZIP 2010, 1039, 1041 bei der Frage der Rangordnung von Vorzugsaktionärs-Dividendenansprüchen in der Insolvenz; kritisch hierzu Madaus, ZIP 2010, 1214, 1219. Siehe hierzu allerdings die (generellen) Überlegungen von Hirte, ZGR 2010, 224, 238, ob nicht die „Langfristigkeit des finanziellen Engagements wichtiger ist (oder sein kann) als seine Rangklasse oder diese jedenfalls überlagert (oder überlagern kann)“. 780) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 18. Die Zulässigkeit eines solchen Vergleichs sieht Bitter, ZGR 2010, 147, 192 legitimiert durch die Moto Meter-Entscheidung des BVerfG (ZIP 2000, 1670, 1671 f.), weil nach dieser „verfassungsrechtlich für den zwangsweisen Ausschluss von Gesellschaftern und für die übertragende Auflösung die gleichen Grundsätze“ gälten, so dass auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Diskussion auf das Parallelszenario der übertragenden Sanierung mit anschließender Liquidation in der Insolvenz verwiesen werden dürfe. 781) Siehe zu dieser Herleitung Bitter, ZGR 2010, 147, 193, der dies damit rechtfertigt, dass der Gesetzgeber den in der Praxis dominierenden Regelfall der Wertlosigkeit und damit gänzlichem Verlust der Anteile zum Ausgangspunkt seiner Verwertungsregelung machen kann und nur im Ausnahmefall Vermögensausgleich vorsieht; a. A. Madaus, ZGR 2011, 749, 755 f., siehe dazu unten IV. 3. d). Auch Art. 14 GG zwingt den Gesetzgeber beim Squeeze-Out nicht dazu, ein Verfahren bereitzustellen, das dem zu Unrecht ausgeschlossenen Minderheitsaktionär die Wiedererlangung seiner Aktionärsstellung garantiert, BVerfG NJW 2007, 3269, 3271 – Edscha.
150
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
kräftet werden, indem auch § 199 InsO als verfassungswidrig angesehen werden würde; ein Verweis auf diese Norm hätte dann kaum Gewicht. Allerdings ist genau dies nicht geschehen, insbesondere wurde bisher von niemandem die Verfassungsmäßigkeit der hinter dem § 199 InsO stehenden Idee der Verteilung nach der absoluten Vorrangregel angezweifelt.782) Dass dies nicht geschehen ist, dürfte auf dem dahinter stehenden Gedanken beruhen, dass sich die Gesellschaft mit grundsätzlicher Zustimmung der Anteilseigner mit der Aufnahme von Fremdkapital freiwillig dieser Haftungshierarchie unterworfen hat.783) Denn wenn das Eigenkapital für die Finanzierung der Unternehmensaktivitäten nicht ausreicht, ist Fremdkapital nötig. Grundsätzlich profitiert somit auch der Anteilseigner vom aufgenommenen Fremdkapital, weil dies für ihn bedeutet, dass seine Unternehmung Gewinne erzielen kann, ohne dass er selbst sämtliche Kapitalmittel zur Verfügung stellen muss.784)
dd) Anteilsverlust als Folge des Nicht- Nachkommens der Finanzierungsverantwortung Teilweise wird der Anteilsverlust auch mit der Finanzierungsverantwortung der An- 294 teilseigner für das Unternehmen gerechtfertigt, der diese nicht nachgekommen sind.785) Diese kann zwar nicht als Pflicht ausgestaltet sein, weil dies dem gesellschaftsrechtlichen Grundsatz widersprechen würde, dass Gesellschafter keine Nachschusspflicht trifft, § 707 BGB.786) Sie kann allerdings als Obliegenheit verstanden werden, die bei Nichtbeachtung den Verlust der Anteilsrechte nach sich führen kann, weil die Insolvenz hier auch im Interesse der Gläubiger die notwendige Grenze zieht.787) Die Rechtsfolge dieser Obliegenheitsverletzung zeigt sich klassischerweise im Anteilsverlust nach Liquidation der Gesellschaft im Regelinsolvenzverfahren. ___________ 782) Der Ansatz von Madaus, ZGR 2011, 749, 755 ff. bezweifelt dies nicht, sieht die Verteilungshierarchie nach § 199 InsO aber nur als im Regelverfahren geltend an, nicht dagegen bei der Reorganisation. 783) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1524; Willemsen/Rechel, BB 2010, 2059, 2064. 784) Teils wird im Kontext der Fremdkapitalaufnahme auch auf den Gläubigerschutz abgestellt, der in einer Entscheidung des OLG Hamm, GmbHR 1987, 357 als bei der Abwägung vor dem Hintergrund des Art. 14 GG den Interessen der Anteilseigner übergeordneter Schutzgedanke anerkannt wurde und auch eine Auflösungsanordnung rechtfertigte, wenn das zwischenzeitlich vom Gesetzgeber hochgesetzte Mindestkapital nicht innerhalb einer Frist erreicht wurde, so Brüning, S. 275; ähnlich zuletzt auch Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 109 Fn. 52 mit Verweis auf BVerfG NJW 1979, 2510, wo es aber um den Entzug der Verwaltungs- und Verfügungsrechte geht, was mit der Begründung, dies diene dem Schutz der Gläubiger, für verfassungsgemäß erklärt wurde. 785) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1524. Siehe auch Spetzler, S. 55 f., die die Verantwortung für die Verursachung der Krise eindeutig den Anteilseignern zuweist und diese Verursachungsbeiträge bei der Interessenabwägung berücksichtigen will. 786) K. Schmidt, GesR, § 16 III 3 b cc (S. 473). 787) So zutreffend Spetzler, S. 57, dort auch gegen die Bedenken von Ulmer, ZHR 149 (1985), 541, 549 hinsichtlich der Tatsache, dass der Minderheitsgesellschafter am Nachkommen seiner Finanzierungsverantwortung aufgrund einer sanierungsunwilligen Mehrheit gehindert sein kann.
151
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
ee) Frühere Rechtslage als Verstoß gegen Art. 14 GG 295 Am Weitesten ging die Ansicht, die in der früheren Rechtslage sogar einen Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht der Gläubiger feststellte, weil der Zugriff auf den Rechtsträger, obgleich nach dieser Ansicht als Teil des Unternehmensvermögens den Gläubigern zugewiesen, nicht gelingen konnte.788) Dieser wäre durch die Reform nunmehr beseitigt.
ff) Zwischenergebnis 296 Somit sprechen gewichtige Gründe für eine Rechtfertigung des Eingriffs. Maßgeblich ist aber noch zu prüfen, ob dies auch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Anteilseigner vor Herausdrängung begründet werden kann.
d) Ausprägung des Anteilseigentums in der Rspr. des BVerfG zu Strukturmaßnahmen 297 Die verfassungsrechtlich zulässige Ausgestaltung des Anteilseigentums durch den Gesetzgeber ist in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich geprägt worden durch die Rechtsprechung des BVerfG zur Zulässigkeit strukturändernder Maßnahmen unter Herausdrängung von Anteilseignern aus dem Gesellschafterkreis.789) Die grundsätzliche Problematik ist somit keineswegs neu für das deutsche Recht und umfassend auch unter dem Aspekt des damit einhergehenden Entzugs der Rechtsposition als Verstoß gegen Art. 14 GG von Literatur und dem BVerfG untersucht worden. Diese Rechtsprechung wird im Folgenden kurz nachvollzogen werden; entscheidende Frage ist dann aber, ob die Wertungen übertragbar sind auf den Ausschluss von Gesellschaftern durch die Gläubigermehrheit (statt einer Anteilseignermehrheit), die im Folgenden untersucht wird.
aa) Feldmühle, DAT/Altana, Moto Meter, Edscha, HRE 298 In der Feldmühle-Entscheidung entschied das BVerfG bereits im Jahr 1962, dass die Mehrheitsumwandlung, bei der der Hauptgesellschafter mit 3/4-Mehrheit die Minderheitsaktionäre herausdrängen kann, eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung darstellt.790) Der Gesetzgeber könne es „aus gewichtigen Gründen des ___________ 788) Bitter, ZGR 2010, 147, 193 ff. Ähnlich, wenngleich nicht in dieser Deutlichkeit, wurde in der früheren Rechtslage ein Wertungswiderspruch darin gesehen, dass der Plan zwar in die Rechte der Gläubiger eingreifen durfte, nicht aber in die Rechte des vorrangig haftenden Kapitals (so die Stellungnahme des Insolvenzrechtsausschuss des DAV vom 10.3.1010, S. 4), worin in der Folge eine nach Art. 3 GG relevante Ungleichbehandlung hätte gesehen werden können, die zumindest eines gewissen Rechtfertigungsaufwandes bedurft hätte. 789) Eine Auflistung möglicher Maßnahmen des Gesellschafts- und insbesondere Umwandlungsrechts findet sich bei Spetzler, S. 61 f. 790) BVerfGE 14, 263.
152
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
Allgemeinwohls für angebracht halten, den Schutz des Eigentums der Minderheitsaktionäre hinter den Interessen der Allgemeinheit an einer freien Entfaltung der unternehmerischen Initiative im Konzern zurücktreten zu lassen“.791) In gleicher Weise verneinte es einen Verstoß gegen Art. 14 GG in der 1999 ergangenen DAT/Altana-Entscheidung, bei der es um eine Mehrheitseingliederung in eine Konzernstruktur ging, in dessen Folge die Minderheitsaktionäre ihre Gesellschaftsbeteiligung verloren.792) Dabei betonte es nochmals das beachtenswerte unternehmerische Interesse an Konzernierungs- und Strukturmaßnahmen mit dem Ziel der Schaffung von Synergien durch Koordination der Unternehmenseinheiten im Konzern.793) Zudem wies es 2000 in der Moto-Meter-Entscheidung darauf hin, dass ein Missbrauch wirtschaftlicher Macht nicht darin gesehen werde konnte, dass ein Mehrheitsaktionär das Ziel verfolge, „sich seiner verbliebenen Minderheitsaktionäre zu entledigen“.794) Ebenso wurde in der Edscha-Entscheidung aus dem Jahr 2007 über die Verfassungsmäßigkeit der Squeeze-Out-Regelungen der §§ 327a ff. AktG kein Verstoß festgestellt, weil sich das Anlageinteresse mangels Fehlens realer Einwirkungsmöglichkeiten auf die vermögensrechtliche Komponente konzentriere, die durch das Verfahren zur Ermittlung der angemessenen vollen Entschädigung gewahrt sei.795) Zuletzt bestätigt wurde dies 2011 im Fall HRE, bei dem ein Squeezeout sogar ab einer Anteilshöhe von 90 % für rechtmäßig befunden wurde.796) In allen diesen Fällen wurde darauf abgestellt, dass in der Aktie sowohl das Ver- 299 mögensrecht als auch das Mitverwaltungsrecht (umschrieben als Leitungsbefugnis) geschützt ist.797) Letzteres wird allerdings beim Minderheitsaktionär bereits durch die Tatsache eingeschränkt, dass aus der Minderbeteiligung keine direkte Entscheidungsbefugnis folgt, sondern diese sich regelmäßig als reine Kapitalanlage
___________ 791) BVerfGE 14, 263, 282. Zu den Vorteilen eines Konzerns a. a. O. S. 280: hierdurch ermöglichte Rationalisierung, Steigerung und Verbilligung der Produktion. Dabei erwähnt das Gericht auch potentielle Gegenargumente, etwa dass die Mehrheitsumwandlung durchgeführt werden kann, obwohl ein überzeugendes öffentliches Interesse oder ein legitimes Interesse der Gesellschaft an dieser Maßnahme nicht besteht, BVerfGE 14, 263, 279, und lehnt dennoch einen Verstoß ab. 792) BVerfGE 100, 289. 793) BVerfGE 100, 289, 303 f. 794) BVerfG ZIP 2000, 1670, 1673 – Moto Meter, in der es um die gesamte Übertragung des Gesellschaftsvermögens auf eine andere Konzerngesellschaft nach § 179a AktG und die anschließende Liquidation der leeren Gesellschaftshülle ging (sog. übertragende Auflösung). 795) BVerfG NJW 2007, 3269 – Edscha. 796) Ermöglicht durch § 12 Abs. 4 FMStBG für Unternehmen des Finanzsektors; diese Norm, obgleich wohl auf die HRE zugeschnitten, stellte dabei auch kein verbotenes Einzelfallgesetz dar, BVerfG ZIP 2011, 1955; siehe hierzu vorher ausführlich Engels, BKR 2009, 365 ff. 797) BVerfGE 14, 263, 278; BVerfGE 100, 289, 302.
153
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
darstellt.798) Somit muss das hieraus folgende Interesse hinter dem Interesse des Mehrheitsgesellschafters zurückstehen: die Berechtigung zum Ausschluss von Minderheitsaktionären beruht nach dem BVerfG bereits auf der nach seiner Aussage zulässigen Einschätzung, dass schon die Existenz der Minderheitsaktionäre „für den Großaktionär erheblichen Aufwand, potenzielle Schwierigkeiten und unter Umständen die Verzögerung der von ihm als sinnvoll erachteten unternehmerischen Maßnahmen mit sich bringt“.799) Die vermögensrechtliche Komponente, die bei allen entschiedenen Sachverhalten (es handelte sich um werbende Unternehmen) zweifellos einen Wert aufwies, wurde dabei als ausreichend berücksichtigt angesehen, wenn das den Eingriff ermöglichende Gesetz zugleich wirksame Rechtsbehelfe gegen den Missbrauch der wirtschaftlichen Macht vorsah und insbesondere Vorsorge getroffen wurde, dass die Aktionäre für den Verlust der Beteiligung voll entschädigt werden.800) Auch hier bestünden aber zumindest bzgl. des Verfahrens keine übermäßig hohen Anforderungen an den Gesetzgeber: eine analoge Anwendung der für Mehrheitseingliederungen und für Umwandlungsmaßnahmen geltenden Minderheitenschutzvorschriften auf den Fall einer Herausdrängung in Folge einer übertragenden Auflösung wurde als verfassungsrechtlich nicht geboten angesehen, solange die Entschädigungshöhe auch im Rahmen einer Anfechtungsklage überprüft werden könne.801) Dabei sei im Rahmen des Squeeze-Out auch eine Schaffung vollendeter Tatsachen durch Registereintragung möglich und es bestünde zugleich keine Verpflichtung des Gesetzgebers, ein Verfahren bereitzustellen, das dem zu Unrecht ausgeschlossenen Minderheitsaktionär die Wiedererlangung seiner Aktionärsstellung garantiere, wenn sich im Anfechtungsprozess später herausstellt, dass der Entzug zu Unrecht erfolgte.802) ___________ 798) BVerfGE 14, 263, 283 – Feldmühle; BVerfG ZIP 2000, 1670, 1671 f. – Moto Meter; BVerfG NJW 2007, 3269, 3270 – Edscha; In seinem Nichtannahmebeschluss in ZIP 2010, 1121 (Züblin) spricht das BVerfG aber davon, dass der Sachverhalt grundsätzlich für die Prüfung geeignet sei, „ob und wie weit der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz eines über eine Sperrminorität verfügenden Minderheitsaktionärs, dessen Beteiligung an der Gesellschaft regelmäßig auch von einem unternehmerischen Interesse getragen sein wird, gegenüber dem verfassungsrechtlich garantierten Schutzes eines weitgehend auf die vermögensrechtliche Komponente des Aktieneigentums konzentrierten Anlageinteresses des Kleinaktionärs differenzierter zu konkretisieren ist.“ Hier bleibt abzuwarten, ob das BVerfG eine solche Differenzierung weiter vorantreibt. 799) BVerfG ZIP 2000, 1670, 1671 – Moto Meter; die potentiellen Schwierigkeiten und Verzögerungen sah es dabei maßgeblich als Folge der Möglichkeit der quorumunabhängigen Anfechtungsklage nach §§ 243 ff. AktG und der Tatsache, dass nach der Holzmüller-Rspr. des BGH grundlegende Strukturveränderungen einer Billigung durch Beschluss der Hauptversammlung bedürfen. Dass diese Überlegungen auch auf der Problematik räuberischer Aktionäre beruhen, erwähnt das BVerfG in NJW 2007, 3269, 3270 – Edscha. 800) BVerfGE 14, 263, 283 – Feldmühle; BVerfGE 100, 289, 303 f. – DAT/Altana (wo diese Voraussetzung als nicht erfüllt angesehen wurde). 801) BVerfG ZIP 2000, 1670, 1672 f. – Moto Meter. 802) BVerfG NJW 2007, 3269, 3271. § 327e Abs. 2 AktG verweist auf §§ 319 Abs. 5, 6 AktG; § 319 Abs. 6 S. 11 AktG besagt, dass Mängel des Beschlusses nach seiner Eintragung seine Durchführung unberührt lassen und die Beseitigung dieser Wirkung der Eintragung auch nicht als Schadenersatz verlangt werden kann; siehe zu einem verfahrensfehlerhaft vorzeitig ins Handelsregister eingetragenen Squeeze-Out-Beschluss aber BVerfG ZIP 2010, 571.
154
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
bb) Übertragbarkeit auf Beschlüsse im Gläubigerinteresse? Es stellt sich allerdings die Frage, ob sich diese Grundsätze, die zur Herausdrän- 300 gung von Minderheitsaktionären durch Mehrheitsaktionäre herausgebildet wurden, übertragen lassen auf die Herausdrängung von Anteileignern auf Grundlage einer Gläubigerentscheidung. Denn auch wenn nach § 244 InsO sowohl Gläubiger als auch Anteilseigner einem Plan zustimmen müssen, der die Eliminierung der Anteilsrechte durch Kapitalherabsetzung vorsieht, so setzt sich nach den Wertungen des Obstruktionsverbots aus § 245 Abs. 1, Abs. 3 InsO n. F. im Ergebnis doch der Wille der zustimmenden Gläubiger durch, solange die Anteilseigner hierdurch nicht schlechter stehen als ohne Plan, sie gleichbehandelt werden mit anderen Anteilseignern und kein Gläubiger mehr als den vollen Wert seines Anspruchs erhält. Im Regelfall sind diese Voraussetzungen erfüllt, da diese zumeist dann gegeben sind, wenn die Anteile wertlos sind. Selbst wenn sie noch einen Restwert aufweisen, muss im Plan lediglich eine Abfindung dieses Werts vorgesehen werden803); aufgrund der beschränkten Rechtsmittel nach §§ 251 Abs. 3, 253 Abs. 1 Nr. 3 InsO n. F. kann der Anteilseigner einen Plan aber nicht mehr verhindern.
(1) Direkte Übertragbarkeit Die Übertragbarkeit wird verbreitet ohne weiteres bejaht: die Interessen der mit 301 dem Schuldnerunternehmen über Forderungs- und sonstige Rechte verbundenen Gläubiger seien in der Insolvenzsituation mindestens so schützenswert wie das Konzernleitungsinteresse oder das an einer übertragenden Auflösung bestehende Interesse einer Mehrheitsaktionärs.804) Eine direkte Übertragung würde allerdings den Unterschied zwischen Minderheits- 302 und Mehrheitsanteilseignern nicht ausreichend berücksichtigen. Daher sollte in der Prüfung differenziert werden: Handelt es sich allein um einen Minderheitsanteilseigner, so ist in der Tat nicht ersichtlich, warum ihm in der Insolvenz eine stärkere ___________ 803) Die Überlegungen zum Obstruktionsverbot gelten dann entsprechend a maiore ad minus für die Frage, ob ein Eingriff auch dann vorliegt, wenn die – ggü der Situation außerhalb der InsO abgesenkte – einfache Mehrheit der anwesenden Anteilseigner nach § 244 Abs. 3 InsO n. F. erreicht wurde oder die Zustimmung aufgrund gänzlicher Nichtbeteiligung sämtlicher Anteilseigner nach § 246a InsO n. F. fingiert wird. 804) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1524 und 1523: zwischen Gläubigergruppen und Anteilseignern bestehe „rechtliche Beziehung, die verfassungsrechtlich dem Konnex zwischen Mehrheitsund Minderheitsgesellschaftern gleichzustellen ist“; zustimmend Bitter, ZGR 2010, 147, 191 und Büchele, S. 126 f.; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 507 führen das Umdenken des Gesetzgebers im ESUG u. a. zurück auf die BVerfG-Entscheidung zum Squeeze-Out. Auch Madaus, ZGR 2011, 749, 671 sieht dies als gegeben an, weil die Voraussetzungen des BVerfG, insbesondere der Zweck eines im volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse liegenden Verwendung der Eigentumsrechte der Gesellschafter ebenso wie das Bestehen eines gerichtlichen Verfahrens zur Überprüfung der Zwangsbindung und etwaiger Entschädigungsansprüche erfüllt seien. Er hält dies aber nur bzgl. Art. 14 GG für unbedenklich, äußert bzgl. Art. 9 GG aber schwerstwiegende Bedenken, siehe unten IV. 3. d).
155
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
Stellung zukommen sollte als außerhalb der Insolvenz; aus seinem geringen Anteilsbesitz rührt keine Leitungsbefugnis her805), weshalb sich der Anteil für ihn als reine Kapitalanlage entsprechend den oben referierten Grundsätzen darstellt.806) Ob hier dann ein Hauptaktionär Interesse an der vollständigen Übernahme oder die Gläubigerschaft Interesse an der Übernahme des Rechtsträgers hat, macht aus Sicht des Minderheitsanteilseigners keinen Unterschied mehr, zumal die höhere Gewichtung der Interessen des Mehrheitsaktionärs vom BVerfG auch zu keinem Zeitpunkt mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht begründet wurde, sondern allein mit dem tatsächlich geringem Einfluss des Minderheitsaktionärs.
(2) Übertragbarkeit auf den (Mehrheits-)Anteilseigner 303 Fraglich ist, wie sich dies bzgl. eines vorherigen Mehrheitsanteilseigners darstellt. Bei diesem bestand vor der Insolvenz im Zweifel aufgrund seiner Stellung eine oftmals deutlich ausgeprägte unternehmerische Komponente, die insbesondere die Leitungsbefugnisse oder zumindest Veto-Rechte umfasste und somit nicht im Sinne der Feldmühle-Rechtsprechung des BVerfG von vornherein auf das Vermögensinteresse als Anleger beschränkt ist.
304 Hier könnte darauf abgestellt werden, dass zumindest diese Stellung aber mit Insolvenzverfahrenseröffnung in den maßgeblichen Punkten bereits beseitigt wird. Denn die Verfügungsbefugnis geht mit Verfahrenseröffnung nach § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über, der sich nach § 160 InsO für Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung einzuholen hat.807) Hierin zeigt sich, dass die mitgliedschaftliche Komponente bereits stark eingeschränkt ist.808) Dies ist auch früh im Verfahren bereits daran zu ersehen, dass es nach § 157 InsO der Gläubigerversammlung obliegt, über die Stilllegung oder vorläufige Fortführung des Unternehmens zu entscheiden und etwa auch den Insolvenzverwalter zu beauftragen, einen Insolvenzplan zu erstellen. Damit ist den Gläubigern mittelbar auch die Entscheidung über das Schicksal der
___________ 805) Dies könnte lediglich dann anders sein, wenn der Gesellschaftsvertrag auch Minderheitsanteilseignern besondere, über die Regelungen des Kapitalgesellschaftsrechts hinausgehende, Kompetenzen zugesteht, etwa Zustimmungsvorbehalte. Dies hinge dann vom Einzelfall ab. 806) So auch Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1939, die auch noch auf die Treuepflichten der Minderheitsaktionäre nach der Girmes-Rspr. des BGH verweisen. 807) Für die Eigenverwaltung gilt dies entsprechend nach § 276; zudem kann nach § 277 InsO eine Zustimmungsbedürftigkeit des Sachwalters für bestimmte Geschäfte angeordnet werden. 808) So auch Büchele, S. 127; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 465: „organisatorischen Mitgliedschaftsrechte nicht geschützt (…), wenn sie nur auf dem Papier stehen“; Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1939 f.: unternehmerische Komponente werde durch die Insolvenzantragsstellung weitgehend verdrängt; allein die vermögensrechtliche Komponente verbleibt, die lediglich in voller Höhe den Ausgleich eines (wenn überhaupt bestehenden) Restwertes verlangt.
156
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
Anteilsrechte eines Mehrheitseigners bereits zugewiesen.809) Sofern Vertrauensschutz geltend gemacht wird, kann gegenüber einem betroffenen Mehrheitseigner darauf verwiesen werden, dass dieser sich mit dem Anteilserwerb von vornherein der Gefahr der Einbüßung des Anteils in der Insolvenz begeben hat, so wie sich Minderheitsaktionäre sehenden Auges der Gefahr einer Unterstellung ihrer Interessen unter die unternehmerischen Interessen eines Mehrheitsaktionärs begeben haben.810) Freilich kann dies allein dann ein taugliches verfassungsrechtliches Argument dar- 305 stellen, wenn darauf abgestellt wird, dass bzgl. dieser u. a. in §§ 80, 157, 160 InsO verkörperten insolvenzrechtlichen Grundsätze, soweit ersichtlich, bisher weder von Literatur noch vom BVerfG Zweifel bzgl. der Verfassungsmäßigkeit geäußert wurden.811) Zweifelhaft ist diesbezüglich allerdings der oft zu findende Verweis auf fehlende Zweifel an der Auflösungsanordnung nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens;812) denn dabei wird übersehen, dass zu Zweifeln an dieser Norm nach bisherigem Recht auch kein Anlass bestand, gerade weil ja den Anteilseignern die Kompetenz zur Fassung des Fortsetzungsbeschlusses noch zugewiesen war, so dass sie die durch Gesetz erfolgte Auflösung rein theoretisch rückgängig machen konnten.813) ___________ 809) So etwa Spliedt, GmbHR 2012, 462, 465: schon qua lege wird den Alt-Anteilseignern die Verfügungsmacht über das Vermögen entzogen, daher sei es unbedenklich, auch gesellschaftsrechtliche Entscheidungen in die Hand der Beteiligtenversammlung zu legen. Denn außerhalb (der Insolvenz) sei nach BVerfG die Beschränkung der Minderheit auf das Wertinteresse möglich, weshalb dies innerhalb der Insolvenz auch für die Mehrheit gelten muss, da diesen schon durch Verfahrenseröffnung die Leitungsmacht genommen wird. 810) In diese Richtung Büchele, S. 127, dessen folgendes a-fortiori-Argument (Anteil besitzt schon in Normalsituation keine vorbehaltlose Bestandsgewähr, dann erst recht nicht in der Extremsituation der Insolvenz) aber nur für den Minderheitsaktionär gelten kann, weil der Anteil des Mehrheitsaktionärs außerhalb der Insolvenz sehr wohl „Bestandsgewähr“ genießt. 811) Darauf weist Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1523 Fn. 95 hin; ebenso Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 546. 812) So bei Brüning, S. 286, der darauf verweist, dass an der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG auch keine ernsthaften Zweifel bestünden (i. R. v. Art. 9 GG, die Argumentation wird aber mit gleichen Ansätzen auch bei Art. 14 GG geführt, a. a. O. S. 278 f.). Siehe auch Büchele, S. 134 f.: Im Hinblick auf die der Auflösung der Gesellschaft folgende Liquidation habe bisher auch noch niemand Bedenken in Hinblick auf Art. 9 Abs. 1 GG vorgetragen; ähnlich Spliedt, GmbHR 2012, 461, 465, der im Rahmen der verfassungsrechtlichen Abwägung auf Basis des Art. 14 GG auf diese Auflösungsgründe verweist; Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 8, nach dem die Anteilsrechte durch die Auflösungsanordnungen „in ihrem Bestand bereits auf die Abwicklung der Liquidationsgesellschaft beschränkt“ seien. Madaus, ZGR 2011, 749, 761 zieht aus den genannten Regelungen sogar das Gegenteil: da die Insolvenz der Gesellschaft „eben nur ein Auflösungsgrund“ sei, während der Verband grundsätzlich weiter bestehen bleibe, finde nach dem Insolvenzrecht eine „Personalexekution in die Person des Schuldners nicht statt“. 813) Dies ist ihnen dagegen bei einem Insolvenzplan, der ihre Anteilsrechte im Rahmen einer mit dem DES einhergehenden Kapitalherabsetzung untergehen lässt, nicht mehr möglich, sondern der Untergang ihres Anteils ist hier endgültig.
157
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
(3) „Unternehmerinteresse“ der Gläubiger und der Alt-Anteilseigner 306 Fraglich ist, ob eine Übertragbarkeit begründet werden kann mittels Abstellen auf den Vorrang eines aus der zitierten BVerfG-Rechtsprechung hergeleiteten „Unternehmerinteresses“. So wird darauf verwiesen, dass ein zum Unternehmerinteresse der Mehrheitsaktionäre bzw. der Konzernleitung vergleichbares „Interesse der Gläubiger an der Durchsetzung ihrer Forderungen durch eigenes unternehmerisches Handeln“814) besteht, das abgegrenzt wird vom fehlenden unternehmerischen Interesse der Alt-Anteilseigner: anders als die Gläubiger hätten „die Gesellschafter kein ersichtliches unternehmerisches Interesse mehr. Mit ihrer Weigerung zur Leistung von Sanierungsbeiträgen manifestieren sie ihren Willen, sich nicht mehr unternehmerisch zu betätigen“.815)
307 Dem ersten Teil der Aussage kann dabei im Kontext des DES zugestimmt werden: indem die Gläubiger statt Barbefriedigung neue Anteile als Befriedigungssurrogat nehmen, wandelt sich ihre bisherige Stellung in Richtung einer nunmehr „unternehmerischen“ Stellung. Die Aussage, die Anteilseigner816) hätten ersichtlich kein unternehmerisches Interesse mehr, könnte aber (im für § 245 InsO relevanten Fall) widerlegt sein aufgrund der Tatsache, dass in der Anteilseignergruppe ein Plan, der deren Anteile untergehen lässt, nach § 244 Abs. 3 InsO n. F. mehrheitlich abgelehnt wurde. Wären die Anteilseigner diesbezüglich indifferent, könnten sie diesem einfach zustimmen. Indem sie diesen aber abgelehnt haben, könnte sich ihr Wille manifestiert haben, auch weiterhin Anteile an der Gesellschaft zu halten.817) Jedenfalls könnte das fehlende unternehmerische Interesse dann nicht ohne weiteres angenommen werden, wenn sich Alt-Anteilseigner bereit erklären, im Rahmen des Insolvenzplan-DES daneben noch frisches Kapital in die sanierte Gesellschaft zu investieren. ___________ 814) Spetzler, S. 65. 815) So Spetzler, S. 65. 816) Für den Minderheitsgesellschafter könnte noch darauf verwiesen werden, dass ein fehlendes unternehmerisches Interesse dann nicht zwingend angenommen werden kann, wenn dieser zur Sanierung bereit ist, aber an einer sanierungsunwilligen Mehrheit scheitert. Insofern müsste aber auf die nach der BVerfG-Rspr. geringe Schutzbedürftigkeit seiner mitgliedschaftlichen Komponente hingewiesen werden: wenn er sich nicht gegen einen Mehrheitsaktionär wehren kann, der ihn herausdrängen will, so kann er diesen auch nicht zwingen, eine sanierende Kapitalerhöhung durchzuführen. 817) Die Reorganisation der Gesellschaft in dem Sinne, dass die Anteilseignerstruktur gleich bleibt, ist ebenfalls denkbar und stellt keineswegs eine unzulässige Verwertungsform dar, weil die Befriedigung dann in der Zukunft durch Einnahmen der Gesellschaft zu leisten wären. Sie dürfte ein Modell sein gerade bei sog. inhabergeführten Kleinunternehmen, wo die Gläubiger gar kein Interesse haben an einer Anteilseignerschaft, sich aber auch kein dritter Käufer findet. Damit gehen allerdings erhebliche agency-Probleme einher, weil der Anreiz der AnteilseignerGeschäftsleiter, Gewinne zu erzielen, regelmäßig gering ausgeprägt sein wird, wenn diese vollständig zur Befriedigung der Gläubiger verwendet werden.
158
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
Eine umfassende Untersuchung der Rechtfertigung muss sich somit zunächst noch 308 der Frage widmen, ob der Grundrechtsschutz aus Art. 14 GG nicht zumindest ein Bezugsrecht auf neue Anteile gebietet, das den Eingriff in die Rechte der Alt-Anteilseigner „abfedert“ und somit eine mildere Maßnahme zum gänzlichen Entzug jeglicher Anteilseignerstellung darstellen könnte.
e)
Zwingendes Bezugsrecht als mildere Maßnahme?
Ein solches Bezugsrecht besteht ohnehin: Bei Kapitalerhöhungen einer Kapitalgesell- 309 schaft gewährt das Gesellschaftsrecht allen bestehenden Anteilseignern die Möglichkeit, sich an der Kapitalerhöhung zu beteiligen und somit eine Verwässerung der bestehenden Anteilshöhe am Grundkapital zu verhindern.818) Entsprechend spricht § 225a Abs. 3 S. 3 InsO n. F. davon, dass der Insolvenzplan als eine mögliche Regelungsmaßnahme den Ausschluss von Bezugsrechten vorsehen kann. Somit wäre zu fragen, ob eine verfassungsgemäße Auslegung dieser Vorschrift ergeben muss, dass das Bezugsrecht nicht in Gänze ausgeschlossen werden darf, wenn zugleich die Anteile der Alt-Anteilseigner durch den Plan untergehen?
aa) Meinungsstand Teils wird die zwingend notwendige Gewährung eines solchen Bezugsrechts als 310 Ausfluss des Art. 14 GG befürwortet.819) Dabei wird darauf abgestellt, dass die Anteile auch bei Wertlosigkeit weiterhin ein Mitgliedschaftsrecht an der Gesellschaft vermitteln und dass daher ein gänzlicher Ausschluss aus der Gesellschaft einen zwangsweisen Eingriff in die Anteilsrechte darstellen würde, der ohne Möglichkeit der Teilhabe an einer Barkapitalerhöhung „unverhältnismäßig und mit Art. 14 GG820) nicht zu vereinbaren“821) wäre. Zumeist wird eine verfassungsrechtlichte Gebotenheit des Bezugsrechts dagegen 311 abgelehnt mit Verweis auf die fast immer bestehende Wertlosigkeit der Anteile.822) ___________ 818) Umfassend zu den Grundlagen des Bezugsrechts unten unter § 7. I. und eine Untersuchung zur Geltung der Maßstäbe des Bezugsrechts auch im Insolvenzplanverfahren unter § 7. II. 819) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125. 820) Hier ist fraglich, ob nicht eher auf Art. 9 GG abgestellt werden sollte, weil dieses Grundrecht den Kernbereich der Mitgliedschaft in einer Vereinigung schützt und durch Ausschluss ohne Bezugsrecht darin zweifellos ein Eingriff läge. Auf dieses Mitgliedschaftsrecht an der Gesellschaft stellen Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125 insbesondere ab, erwähnen Art. 9 GG dann aber nicht. Da auch im Rahmen des Art. 14 GG das Mitverwaltungsrecht geschützt ist, kann eine Prüfung letztlich bei beiden Grundrechten ansetzen. 821) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126; zustimmend H.-F. Müller, KSzW 2013, 65, 68; zweifelnd auch K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2088. 822) Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 19, der auf die Beschränkung der Stellung der AltAnteilseigner auf Teilhabe an einem Liquidationsüberschuss abstellt, der aber in der Praxis irrelevant sei.
159
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
Bei vermögensmäßiger Betrachtung könne dem Anteilsrecht und dem daraus folgenden Bezugsrecht „kein Wert beigelegt werden, der es rechtfertigen würde, jedenfalls im Insolvenzfall dem Bezugsrecht als Ausfluss des Eigentums am Anteil ein schützenswertes Interesse beizumessen.“823) Dieses Argument könnte insbesondere in Bezug auf den ursprünglichen Schutzzweck des Bezugsrechts vorgebracht werden: dieser besteht maßgeblich in der Verhinderung einer Verwässerung der Beteiligung. Bei eingetretener Insolvenz müsste gefragt werden, was noch verwässert werden kann, wenn kein Wert mehr vorhanden ist. Auch könnte zunächst leicht auf die Tatsache abgestellt werden, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG sogar werthaltige Anteile entzogen werden können, womit dies erst recht für wertlose Anteile gelten muss.
312 Diese Argumentation berührt allerdings maßgeblich die vermögensrechtliche Komponente des Eigentumsgrundrechts, beantwortet aber nicht die Frage, ob ein Eingriff in die mitgliedschaftliche Komponente nur angemessen sein kann, wenn dieser zugleich „abgefedert“ würde durch das Bezugsrecht.
bb) Abwägung der beteiligten Interessen (1) Interesse, keine anderen Inferenten neben sich zu haben 313 In Anknüpfung an die obigen Ausführungen würde dies zu der Fragestellung führen, ob bei einer Abwägung der Interessen der Alt-Anteilseigner mit den Interessen der Gläubiger letztere vorrangig sind. Nochmals konkreter würde es auf die Frage hinauslaufen, ob das Interesse der Gläubiger auch den Aspekt abdeckt, keine anderen Inferenten neben sich zu haben.824)
314 Dies könnte abgelehnt werden mit der Begründung, dass das geschützte Interesse der Gläubiger allein darin bestehen kann, eine bestmögliche Befriedigung durch Verwertung qua Unternehmensfortführung zu erhalten; dass aber das dafür benötigte frische Kapital allein von den Gläubigern stamme, sei davon nicht erfasst. Denn Barkapital ist Barkapital.
315 Allerdings ist nach der oben nachgezeichneten Rechtsprechung des BVerfG zu Strukturmaßnahmen die Herausdrängung der Minderheitsaktionäre schon dann möglich, wenn dies einem unternehmerischen Interesse an Konzernierungs- und Strukturmaßnahmen dient.825) Ein Missbrauch wirtschaftlicher Macht kann nicht darin ge___________ 823) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 45, die darauf verweisen, dass auch § 225a V InsO n. F. den ausscheidenden Anteilseigner auf den Wert bei Abwicklung (wohl Stilllegungswert) und damit faktisch auf eine Abfindung von 0 verweise. 824) Dies wohl bejahend Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 19; siehe auch Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 107, die darauf abstellen, dass es nachvollziehbaren Überlegungen entspreche, wenn „ein Neuinvestor oder eine geschlossene Gruppe von Investoren ihr Investment vom Ausschluss des Bezugsrechts für die Altaktionäre abhängig machen.“ 825) BVerfGE 100, 289, 303 f. – DAT/Altana.
160
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
sehen werden, dass ein Mehrheitsaktionär das Ziel verfolgt, „sich seiner verbliebenen Minderheitsaktionäre zu entledigen“.826) Ein Interesse der umwandelnden Gläubiger, keine anderen Inferenten neben sich zu haben, könnte aber als im Grundsatz wertungsgleich (und sogar weniger einschneidend) gesehen werden zu dem Interesse des Mehrheitsaktionärs, sich seiner Neben-Aktionäre zu entledigen. Diese Wertungsgleichheit ließe sich aber wiederum nur begründen, wenn belastbar auf das fehlende unternehmerische Interesse der Alt-Anteilseigner abgestellt werden könnte.827)
(2) Kein verbleibendes „unternehmerisches Interesse“ der Alt-Anteilseigner Dabei könnte das Fehlen eines „unternehmerischen Interesses“ zunächst aus dem 316 Nicht-Verhindern der Insolvenz zurückgeschlossen werden. Andererseits könnte es sich aber auch positiv darin ausdrücken, dass ein Bezugsrecht gerade eingefordert wird. Allerdings muss dann gefragt werden, ob dieses Interesse der Alt-Anteilseigner 317 überhaupt noch zu beachten ist, wenn eine folgenorientierte Betrachtung vorgenommen wird: denn selbst wenn den Anteilseignern ein solches Bezugsrecht zustehen würde, so würde dies nach den gesellschaftsrechtlichen Regeln zunächst nur aus der Tatsache resultieren, dass mit dem DES eine Kapitalerhöhung der Gläubiger stattfindet. Dann können die via Bezugsrechts-Barkapitalerhöhung erlangten Anteile von der Höhe her aber auch kaum wieder auf eine Anteilsmehrheit hinauslaufen, wenn ein beträchtlicher Teil des neuen Eigenkapitals bereits durch umgewandelte Forderungen als Sacheinlage eingebracht wird. Geht man davon aus, dass sich zudem kaum sämtliche Alt-Anteilseigner (oftmals mangels liquider Mittel) hieran beteiligen, so wird der Anteil noch geringer ausfallen. Dann aber wirkt dies insofern zurück, als dass hieraus gar kein beachtliches unternehmerisches Interesse der Alt-Anteilseigner erwachsen kann, das in der Lage wäre, die Übertragbarkeit der BVerfG-Rechtsprechungsgrundsätze auszuschalten. Denn insofern finden von vornherein die Überlegungen des BVerfG zur geringeren Schutzwürdigkeit von Minderheitsaktionären Anwendung. Ein weiteres unternehmerisches Interesse könnten die Mehrheitsanteilseigner viel- 318 mehr nur dadurch zeigen, dass sie auch in der Insolvenz noch eine Kapitalerhöhung durchführen, die den Insolvenzgrund entfallen lässt und die Anteile somit auch in wirtschaftlicher Sicht wieder wertvoll werden lässt.828) Solange dies aber nicht ge___________ 826) BVerfG ZIP 2000, 1670, 1673 – Moto Meter. 827) Ähnlich auch die Argumentation von Spetzler, S. 65 f. 828) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 465; Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 19; dass ihm diese Möglichkeit überhaupt noch verbleibt, wertet Spetzler, S. 66 sogar als Besserstellung des Gesellschafters in der Insolvenz gegenüber dem Minderheitsgesellschafter vor der Insolvenz, dem gegen seine Verdrängung durch den Mehrheitsaktionär keine Handhabe gegeben ist.
161
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
schieht, ist ihre Position durch die von ihnen nicht verhinderte Insolvenz gemindert und damit tatsächlich der des Minderheitsaktionärs vergleichbar. Wird dann darin eingegriffen, so ist die mitgliedschaftsrechtliche Komponente damit vernachlässigbar. Die in der Ablehnung des Insolvenzplans liegende vermeintliche Interessenbekundung an weiterem unternehmerischen Wirken müsste somit durch eine die Insolvenzgründe beseitigende Kapitalerhöhung unter Beweis gestellt werden, wobei der Kapitaleinsatz ein solcher sein müsste, der die Gesellschaft auch ohne Berücksichtigung solcher durch die InsO ermöglichten Sanierungsmaßnahmen saniert.829)
319 Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass sich nach der grundgesetzlichen Wertung keine zwingende Zuerkennung eines Bezugsrechts ergibt.830) In dieser Interessenabwägung sind die Gläubigerinteressen höher zu gewichten, zumal die Anteilseigner ohnehin mit Ausübung eines Bezugsrechts keinen ausreichenden Anteil erreichen könnten, der ein fortbestehendes unternehmerisches Interesse rechtfertigen würde.
f)
Zwischenergebnis
320 Eine „Abfederung“ des Anteilsentzugs durch zwingende Zugewährung eines Bezugsrechts ist somit nicht erforderlich.
321 Mit der dafür soeben dargelegten Begründung, dass nämlich ein „unternehmerisches Interesse“ gar nicht mehr anerkannt werden kann, weil dieses nur durch eine ausreichende Kapitalerhöhung, die den Insolvenzgrund entfallen lässt, unter Beweis gestellt werden könnte, ist zugleich der entscheidende Grund genannt, warum auch der gänzliche Entzug des Anteilsrechtes keinen Eingriff in die Rechte der AltAnteilseigner aus Art. 14 GG darstellen kann: Denn wenn ein unternehmerisches Interesse nicht einmal in Bezug auf neue Anteile anerkannt werden kann, so gilt dies erst recht in Bezug auf die bereits existierenden und durch den Insolvenzplan untergehenden Anteile. Auch hier muss ein unternehmerisches Interesse verneint werden mit Hinweis auf die Tatsache, dass die Anteilseigner die Insolvenz nicht durch eine Sanierungskapitalerhöhung verhindert haben.
___________ 829) Dieses Ergebnis mit dieser Argumentation könnte auch bereits dadurch erreicht werden, dass als Zeitpunkt der Feststellung eines entsprechenden Unwillens zur weiteren unternehmerischen Betätigung der Zeitpunkt kurz vor der Insolvenz gewählt wird: wenn die Anteilseigner keine sanierende Kapitalerhöhung durchgeführt haben, würde ihnen ein Berufen während des Insolvenzverfahrens auf ein Interesse an weiterer unternehmerischer Tätigkeit mit Verweis darauf abgesprochen werden. Dies würde im weitesten Sinne auf eine Verantwortlichkeit für fehlende ausreichende Finanzierung hinauslaufen, die in der Insolvenz Sanktionen nach sich zieht (so denn auch Spetzler, S. 56 f.). 830) Dies heißt nicht, dass es damit nie gewährt werden sollte. Ob die Zuerkennung eines Bezugsrechts aus systematischen oder anreiztechnischen Gründen angebracht sein kann, wird umfassend unten unter § 7. III. und IV. untersucht.
162
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
Damit bestätigt sich, dass ein Eingriff in die Gesellschaftsanteile auch vor dem 322 Hintergrund der mitgliedschaftlichen Komponente gerechtfertigt sein kann und insbesondere nicht auf ein durch den Plan zu gewährendes Bezugsrecht als milderes Mittel verwiesen werden kann, weil die verfassungsrechtlichen Vorgaben ein solches nicht verlangen.
g) Wirtschaftlich volle Entschädigung der Alt-Anteilseigner Die vermögensrechtliche Komponente (wenngleich vielfach auch fraglich ist, in- 323 wieweit diese bei Anteilen einer insolventen Gesellschaft noch besteht) ist allerdings allein nur dann ausreichend berücksichtigt, wenn der Gesetzgeber den AltAnteilseignern wirksame Rechtsbehelfe zu ihrem Schutz zur Verfügung stellt. Mit anderen Worten muss Vorsorge getroffen werden dafür, dass diese für den Verlust ihrer Rechtsposition wirtschaftlich voll entschädigt werden.831)
aa) Der Schutz der Anteilseigner durch § 245 sowie §§ 251, 253 InsO Nach dem Konzept des ESUG sind auch die Anteilseigner als Beteiligte in das In- 324 solvenzplanverfahren einbezogen; entsprechend wird ihr Schutz, ebenso wie der der Gläubiger, durch § 245 InsO und §§ 251, 153 InsO gewährleistet.
(1) Entschädigung bei Restwert der Anteile vorgeschrieben Eine explizite Abfindungsregel für Alt-Anteilseigner fand sich im DiskE des ESUG 325 noch in einem vorgesehenen § 225a Abs. 4 InsO-E, der für eine Maßnahme im Sinne von Absatz 2 oder 3 (insofern gleichgeblieben), die in die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen eingreift, bestimmte, dass im Plan eine angemessene Entschädigung vorzusehen sei.832) Schon im RefE und später im RegE des ESUG fand sich diese Regelung aber nicht mehr. Hieraus ist allerdings nicht zu schließen, dass damit eine Entschädigung niemals geschuldet sei. Vielmehr sprach die Gesetzesbegründung des RefE wie auch die des RegE des ESUG davon, dass im Falle der Einziehung der Anteile im Insolvenzplan eine finanzielle Kompensation vorgesehen werden muss, sofern die Anteile noch werthaltig sind.833)
___________ 831) Siehe oben d) aa), insb. BVerfGE 14, 263, 283 – Feldmühle; BVerfGE 100, 289, 303 – DAT/Altana; BVerfG ZIP 2000, 1670, 1672 – Moto Meter. 832) DiskE-ESUG, Beilage 1 zu ZIP 28/2010, S. 10. 833) RefE-ESUG, Beilage 1 zu ZIP 6/2011, S. 21; RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 32. Dafür solle der Insolvenzplan ggf. nach § 251 Abs. 3 InsO n. F. die erforderlichen Mittel im Sicherheitsfonds zur Verfügung stellen, womit sichergestellt sei, dass der Anteilseigner für den Verlust seines Anteilsrechts eine angemessene Entschädigung erhält (siehe hierzu sogleich). Zur Frage, ob Werthaltigkeit vorliegt und wie diese zu ermitteln ist, siehe unten § 10. II.
163
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
(2) Schutz der Anteilseigner-Mehrheit im Rahmen des Obstruktionsverbots 326 Lehnt eine Mehrheit innerhalb der Gruppe(n) der Anteilseigner den Plan ab, so kann dieser nur bestätigt werden, wenn diese Ablehnung als obstruktiv anzusehen ist, mithin ihnen gegenüber das Obstruktionsverbot greift. Dies hat zur Voraussetzung in § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass die Angehörigen dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden.834) Ein Plan kann also dann keinen Erfolg haben, wenn den Anteilseignern nicht mindestens der Wert als Entschädigung gewährt wird, der ihnen bei einer Rechtsträgerliquidation im Regelverfahren zustehen würde.835)
(3) Schutz der Anteilseigner-Minderheit im Rahmen der Rechtsmittel 327 Ähnliche Vorrausetzungen gelten auch für die Minderheit innerhalb einer Anteilseigner-Gruppe: nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO n. F. scheitert ein Plan, wenn dieser den Anteilseigner voraussichtlich schlechter stellt als ohne Plan, nach § 253 Abs. 2 Nr. 3 ___________ Eine solche Verpflichtung ist zuletzt auch aus rechtsökonomischer Sicht vorzugswürdig: Indem der Insolvenzplanersteller die Ausgleichszahlung antizipieren muss, wird er die Herausdrängung der bisherigen Anteilseigner allein dann vollziehen, wenn der Gewinn aus der Transaktion den Wert des Ausgleichsanspruchs (sofern bestehend) übersteigt. Erhält der Anteilseigner den wahren Wert seiner Beteiligung und lohnt sich das Ganze trotzdem noch, so ist die Transaktion insgesamt wohlfahrtssteigernd. Müsste kein solcher Ausgleich gezahlt werden, würden für den Insolvenzplanersteller dagegen auch solche Transaktionen lohnenswert, deren Mehrwert unter den Einbußen der Anteilseigner liegt. Hierdurch würde zu Transaktionen ermutigt, die insgesamt wohlfahrtsmindernd sind, was nicht erwünscht sein kann (vgl. Klöhn S. 43 f. zu Strukturmaßnahmen auf Veranlassung von Anteilseignern; diese Grundsätze dürften aber auf das Verhältnis Gläubiger zu Anteilseignern übertragbar sein). Dies gilt umgekehrt im Übrigen auch für den Fall, dass den Anteilseignern mehr gewährt werden muss als der wahre Wert. Wäre dies der Fall, so würden eigentlich wohlfahrtssteigernde Transaktionen unterbleiben, weil sie sich nicht lohnen. Dies würde zu einem suboptimalen volkswirtschaftlichen Transaktionsniveau führen (Klöhn, S. 44 mit Verweis jeweils auf Easterbrook/Fishel, 91 Yale L. J. 698, 708 ff. (1982). 834) Hinzu kommt, dass auch eine angemessene Beteiligung gewährt werden muss, was bei den Anteilseignern allerdings nur bedeutet, dass nach § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO n. F. kein anderer Anteilsinhaber bessergestellt werden darf und dass nach § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhalten darf, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen. Sollte also ein dominanter Gläubiger versuchen, über einen DES ein eigentlich profitables Unternehmen zu übernehmen, und können die Anteilseigner nachweisen, dass dieser auf diesem Wege zu über 100 % befriedigt würde, so könnten sie einen solchen Plan zu Fall bringen. Siehe zu den Auswirkungen dieser Regelung im Einzelnen oben § 5. I. 4. e) aa) sowie unten § 9. III. 2 und 3. b) bb). 835) Die Anteilseigner können aber eben auch nur Entschädigung verlangen, nicht aber den Untergang ihrer Anteile mit Verweis auf eine verbliebende Werthaltigkeit verhindern. Dies ergibt sich bereits aus dem Verweis auf das Regelverfahren, wo die Anteilseigner bei einer Befriedigung der Gläubiger über 100 % auch nur nach § 199 InsO den Überschuss bei der Schlussverteilung, also bloß monetären Ausgleich, beanspruchen können.
164
III. Art. 14 GG, Eigentumsfreiheit
InsO n. F. scheitert ein Plan, wenn dieser den Anteilseigner wesentlich schlechter stellt als ohne Plan.836)
bb) Zulässigkeit einer Sicherheitsleistung Mit einem gescheiterten Plan wäre den Anteilseignern (in vermögenstechnischer Hin- 328 sicht) aber noch nicht geholfen. Entscheidend wird für sie eher sein, dass sie die Entschädigung einklagen können. Dies geschieht über die sogenannte Sicherheitsleistung nach § 251 Abs. 3, § 253 Abs. 2 Nr. InsO n. F.837) Solange diese ausreichend bemessen ist838), ergibt sich hierdurch i. E. kein Nachteil für die Anteilseigner. Entsprechend sind verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich der Abfindungsregelungen, soweit ersichtlich, auch nicht geäußert worden.839) Auch die Tatsache, dass nur diejenigen Anteilseigner eine Abfindung erhalten, die dies vor den ordentlichen Gerichten geltend machen, wurde nicht beanstandet: es entspricht einem gängigen Prinzip, dass derjenige, der Entschädigung beanspruchen darf, diese auch geltend machen muss;840) die verfassungsrechtlichen Vorgaben verlangen nicht, dass ihm diese auf dem Tablett serviert wird.
5.
Zwischenergebnis
Somit kann eine Verfassungswidrigkeit der Neu-Regelungen im Hinblick auf 329 Art. 14 GG verneint werden mit Verweis auf den ausreichenden Entschädigungsmechanismus des Gesetzes und generell mit Verweis auf die Stellung der Anteilseigner im Insolvenzverfahren vor dem Hintergrund der absoluten Vorrangregel. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass eine solche wirtschaftliche Betrachtung ___________ 836) Hier ist zu beachten, dass bzgl. einer Minderheit der Anteilseigner in ihrer Gruppe aber allein auf den Vergleich zu Regelinsolvenz abgestellt wird, sie aber eine „Verteilungsgerechtigkeit“ nicht beanspruchen können, siehe hierzu § 5. I. 4. b), dort Fn. 451. 837) Siehe oben § 5. IV. 3. und 4. 838) Siehe RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 35: Gericht muss vor der Bestätigung des Plans prüfen, ob die bereitgestellten Mittel für die Beteiligten ausreichend sind, um eine Schlechterstellung des widersprechenden Beteiligten durch den Plan auszugleichen. Siehe hierzu im Einzelnen oben § 5. IV. 4. d). 839) Bedenken im Hinblick auf Art. 14 GG wurden lediglich von Spetzler, S. 71 ff. geäußert bzgl. der Minderheitsgläubiger, die auf diese Weise einen Reorganisationswert nicht reklamieren können, sofern dieser eine Befriedigung über 100 % ergebe (und der darüber hinausgehende Wert somit allein den Gläubigern (=Neu-Anteilseignern) zukommt, während der Vergleichswert der Rechtsträgerliquidation einen Wert ergebe, der unter der Summe der Verbindlichkeiten (= unter 100 % Befriedigung) liegt). Dies stelle eine nicht zu rechtfertigende Benachteiligung der Minderheitsgläubiger dar (die Mehrheit der Anteilseigner könne einen solchen Plan dagegen verhindern, da § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. erfüllt wäre, s. o. § 5. I. 4. e) aa)). Siehe hierzu im Einzelnen auch unten § 10. II.: daher Fortführungswert (ohne Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen) als Wertmaßstab anzusetzen. 840) Vgl. insofern zum aktienrechtlichen Freigabeverfahren nur K. Schmidt/Lutter/Schwab, AktG, § 246a Rn. 29; kritisch hierzu allerdings Heidel/Heidel, AktR, 3. Aufl., 2011, § 246a AktG Rn. 22e.
165
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
zwar der h. M. entspricht, allerdings nicht von allen geteilt wird. Insbesondere Madaus841) wirft einer solchen Betrachtung vor, dass sie die Gesellschafterautonomie nicht ausreichend berücksichtige, die bei der Reorganisation weiter Bestand habe. Dies leitet über zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit in Bezug auf Art. 9 GG.842)
IV. Art. 9 GG, Vereinigungsfreiheit 330 Als weiteres verletztes Grundrecht kommt die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 GG in Betracht.
1.
Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG
a) Grundlagen 331 Die Vereinigungsfreiheit schützt das Recht, sich durch das Bilden von Vereinigungen selbst zu organisieren. Der Wortlaut von Art. 9 Abs. 1 GG spricht von dem „Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden“. Die Freiheit zur Selbstorganisation umfasst dabei u. a. die Gründung wie auch den Fortbestand oder die Auflösung des Verbandes.843) Es wird für jede Art von Organisation gewährleistet, gleich welcher Rechtsform sich bedient wird.844) Der Gesetzgeber stellt verschiedene Arten von Gesellschaftstypen zur Verfügung, ohne dass hierdurch die Freiheit des Einzelnen beeinträchtigt würde. Da die Vereinigungsfreiheit in mehr oder minder großem Umfang auf Regelungen angewiesen ist, ist mit der verfassungsrechtlichen Garantie „seit jeher die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ausgestaltung dieser Freiheit verbunden, ohne die sie praktische Wirksamkeit nicht gewinnen könnte.“845) Organisationsrechtliche Regelungen ebenso wie Verfahrensregelungen bewirken daher keine Beschränkung der Vereinigungsfreiheit, sondern stellen einen „Zugewinn autonomer Handlungsoptionen“ dar.846) Je weiter eine Vereinigung dabei von dem Ideal des freien Zusammenschlusses gleichberechtigter Mitglieder entfernt ist, wie
___________ 841) Madaus, ZGR 2011, 749. 842) Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Schutzbereiche von Art. 9 GG und Art. 14 GG hier teils überschneiden und auch Art. 14 GG die mitgliedschaftsrechtliche Komponente schützt (s. o. III. 2.), weshalb die Problematik teils auch unter Art. 14 GG diskutiert wird (siehe etwa Brüning, S. 284 f., der für die Rechtfertigung bzgl. Art. 9 GG auf dieselben Argumente abstellt wie bei Art. 14 GG. Auch Spetzler, S. 82 sieht die Rechtfertigung im Rahmen von Art. 14 GG erst recht als für Art. 9 GG gültig.) Da die Ansicht von Madaus die Gesellschafterautonomie aber maßgeblich in Art. 9 GG verankert sieht, soll eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik und seinen Folgefragen auch dort erfolgen. 843) Sachs/Höfling, Art. 9 GG, Rn. 16; v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 Rn. 2. 844) v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 Rn. 12. 845) BVerfGE 50, 290, 354. 846) v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 Rn. 8, 10.
166
IV. Art. 9 GG, Vereinigungsfreiheit
etwa bei einer größeren Kapitalgesellschaft, desto weiter kann die zulässige Ausgestaltung gehen.847) Für die hier vorliegende Problematik relevant ist die Frage, wie weit das Recht zur 332 autonomen Willensbildung zu verstehen ist. Wenn nämlich die Ablehnung der Anteilseigner hinsichtlich eines Insolvenzplans mit gesellschaftsrechtlichen Regelungen unter dem Obstruktionsverbot nach § 245 Abs. 1, 3 InsO für irrelevant erklärt wird, so findet die Willensbildung nicht mehr durch die Mitglieder statt, sondern allein durch externe Dritte, nämlich maßgeblich durch die Gläubiger.
b) Schutzbereichseröffnung für Kapitalgesellschaften Auch die Kapitalgesellschaft stellt im Grundsatz eine durch Art. 9 GG geschützte 333 Vereinigung dar. Dies gilt ohne Zweifel, wenn es sich um eine Gesellschaft mit nur kleinem Anteilseignerkreis handelt, bei der das personale Element regelmäßig sehr ausgeprägt ist.848) Zwar könnte bei einer großen Kapitalgesellschaft gefragt werden, ob die Anteilsinhaberschaft daran tatsächlich Bestandteil der individuellen Lebensgestaltung ist und ob nicht die Bindung untereinander nur eine geringe Intensität aufweist.849) Art. 9 Abs. 1 GG als Freiheitsgrundrecht wird üblicherweise mit anderen Fällen in Verbindung gebracht wird, nämlich solchen, bei denen von staatlicher Seite der Zusammenschluss zu einer Gruppe mit bestimmter Zielrichtung verhindert oder erschwert wird. So hat das BVerfG ausgeführt, dass größere Kapitalgesellschaften „kaum dem Grundtyp einer Vereinigung (entsprechen), um den es in Art. 9 Abs. 1 GG geht“.850) Das personale Element trete bei größeren Kapitalgesellschaften bis zur Bedeutungslosigkeit zurück,851) die Aktie sei primär als bloßes Vermögensrecht zu betrachten.852) Das von den Gesellschaftern betriebene Unternehmen umfasse sowohl Gesellschaftsmitglieder als auch Nicht-Mitglieder; das Erreichen des Gesellschaftszwecks werde erst durch das Zusammenwirken beider ___________ 847) Jarass/Pieroth, Art. 9 Rn. 14. 848) Siehe etwa Jung, JZ 2001, 1004, 1015 f., der danach differenziert, ob es sich um einen Zusammenschluss von Unternehmergesellschaftern oder von Anlagegesellschaftern handle (diesbezüglich wird aber wiederum darauf verwiesen, dass die stark ausgeprägte mitgliedschaftsrechtliche Komponente des Unternehmergesellschafters aufgrund der Insolvenz weniger schwer wiegt, wenn in der Insolvenz der Gesellschaft ohnehin ein Ende der Mitverwaltung abzusehen ist, so etwa Brüning, S. 282). 849) Näher hierzu AK-GG/Rinken, Art. 9 Rn. 48. Zudem ist der Bereich der gemeinsamen Willensbildung durch das geltende Gesellschaftsrecht mit dem Prinzip der Fremdorganschaft bereits stark eingeschränkt: So ist der Vorstand der AG angehalten, die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten, § 76 I AktG. Über Fragen der Geschäftsführung kann die Hauptversammlung nur entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt, § 119 II AktG. Detaillierter in Bezug auf die Fremdorganschaft auch Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 Rn. 70. 850) BVerfGE 50, 290, 358. 851) BVerfGE 50, 290, 355. 852) BVerfGE 4,7, 26 (Zwangszuteilung von Aktien); BVerfGE 14, 263, 273 f. (Mehrheitsumwandlung).
167
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
Gruppen erreicht.853) Diese Ausführungen ergingen allerdings maßgeblich im Rahmen der Frage eines Verstoßes der Arbeitnehmer-Mitbestimmung gegen Art. 9 GG.854)
334 Vorliegend ist aber zu beachten, dass es bei dem hier relevanten Anteilsentzug nicht bloß um eine Einschränkung der Befugnisse geht (wie etwa bei der Frage der Arbeitnehmer-Mitbestimmung), sondern um den kompletten Verlust des Anteils mit Verlust aller dazugehörigen Rechte.855) Daher ist der Schutzbereich in Hinsicht auf alle Arten von Kapitalgesellschaften eröffnet.
2.
Eingriff
335 Das BVerfG hat zum Umfang des Schutzes festgestellt: „der Schutz des Grundrechts umfasst sowohl für die Mitglieder auch für die Vereinigungen die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte. Denn ohne solche Selbstbestimmung könnte von einem freien Vereinigungswesen keine Rede sein; Fremdbestimmung würde dem Schutzzweck des Art. 9 Abs. 1 GG zuwiderlaufen.“856) Ein Eingriff würde somit darin bestehen, dass die Gesellschafter im Hinblick auf Strukturmaßnahmen nicht mehr allein entscheiden können, wenn ihnen gegenüber ein Obstruktionsverbot Anwendung findet, das eine ablehnende Haltung der Anteilseigner für unbeachtlich erklärt unter Verweis auf die Gläubigerbefriedigung nach der absoluten Vorrangregel, worin im Ergebnis eine komplette Fremdbestimmung der Geschicke der Gesellschaft gesehen werden kann.857)
3.
Rechtfertigung
336 Wird somit ein Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit im Grundsatz bejaht, ist zu prüfen, ob dieser gerechtfertigt ist. ___________ 853) BVerfGE 50, 290, 355; folglich hat das Gericht die Frage, ob sich größere Kapitalgesellschaften auf Art. 9 GG berufen können, auch offengelassen, a. a. O. S. 356. 854) In der Literatur wird entsprechen auch vertreten, dass Kapitalgesellschaften, auch wenn sie über einen sehr großen Aktionärskreis verfügen, grundsätzlich als Vereinigungen anzuerkennen seien, vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 Rn. 20; Jarass/Pieroth, Art. 9 Rn. 5 (zu bejahen, wenn personaler Vereinigungsaspekt noch vorhanden). Merten, HstR VII, § 165 Rn. 43 spricht davon, dass der Grundrechtskatalog kein „Kleine-Leute-Katechismus“ sei, sondern die Aktie als mehrdimensional anzusehen sei, die sowohl Vermögensrechte als auch Mitgliedschafts- und Mitverwaltungsrechte umfasst. 855) Insofern zutreffend Madaus, ZGR 2011, 749, 764. 856) BVerfGE 50, 290, 354. 857) Ob die Verbandsautonomie auch in der Insolvenz noch Geltung erlangen kann, wird teils verneint (u. a. auch durch gänzliche Nichtbehandlung der Frage des Art. 9 GG), verbreitet aber auch bejaht: Nach Krull, S. 86 kann das Prinzip der Verbandsautonomie auch in der Insolvenz Geltung beanspruchen. Nach H.-F. Müller, S. 364 erstreckt sich der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG auch auf notleidende und vermögenslose Gesellschaften; sie hätten auch im Zustand der Insolvenz das Recht, über ihre inneren Verhältnisse selbst zu bestimmen.
168
IV. Art. 9 GG, Vereinigungsfreiheit
a) Schranken des Art. 9 GG Die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG kennt zwei Schranken: zum einen 337 die Schranke aus Art. 9 Abs. 2 GG, die das Verbot von Vereinigungen erlaubt, deren Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Da dies offensichtlich nicht einschlägig ist, kann von Relevanz lediglich die Schranke sein, die aus kollidierendem Verfassungsrecht resultiert. In Betracht kommen hier wiederum die Forderungen der Gläubiger, die unter dem Schutz des Art. 14 GG stehen.
b) Eigentumsschutz der Forderungen der Gläubiger als kollidierende Grundrechte Als Rechtfertigung kommen insbesondere kollidierende Grundrechte in Betracht. 338 Dies wären im vorliegenden Fall die durch Art. 14 GG geschützten Forderungen der Gläubiger.858) Da diese durch die Insolvenz letztlich vielfach nicht voll befriedigt werden, sondern durch die Kürzungen im Insolvenzplan teils untergehen, liegt ein Eingriff vor. Somit wären diese betroffenen Verfassungsgüter gegeneinander abzuwägen und in einen gerechten Ausgleich zu bringen.
c)
h. M.: Rechtfertigung auf Basis wirtschaftlicher Betrachtung
Die ganz h. M. sieht dabei eine ausreichende Rechtfertigung in den Interessen der 339 Gläubiger an der Haftungsverwirklichung in der Insolvenz, die einen Zugriff auch auf die Anteilsrechte ermöglichen muss, wenn nur auf diese Weise eine optimale Verwertung des Unternehmensvermögens unter Verwendung des Rechtsträgers ermöglicht wird.859) Die Argumentation läuft dabei parallel zu der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 14 GG im Hinblick auf dessen mitgliedschaftsrechtliche Komponente.860)
d) Madaus: Verstoß gegen Art. 9 GG als Folge systematischer Betrachtung Diesem wird in der Literatur allerdings widersprochen.861) Namentlich Madaus hält 340 die vom ESUG gewählte Regelung für einen Eingriff in den Kernbereich der Ver___________ 858) Verse, ZGR 2010, 299, 312 und 309 f.; Bitter, ZGR 2010, 147, 193 f. geht dabei sogar so weit, in der alten Rechtslage einen Verstoß gegen die Eigentumsgrundrechte der Gläubiger zu sehen, weil nach seiner Konzeption die rechtsträgergebundenen Berechtigungen Unternehmensvermögen darstellen, das somit den Gläubigern entzogen wird, s. o. III. 4. c) ee). 859) Spetzler, S. 82; Brüning, S. 284 ff.; Verse, ZGR 2010, 299, 312; Bitter, ZGR 2010, 147, 193 f.; von Sassenrath, ZIP 2003, 1517 und Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541 wird der Art. 9 GG gar nicht erst erwähnt. 860) Auf die unter III. 4. c) bb) gemachten Ausführungen und genannten Fundstellen wird verwiesen. 861) Früh bereits H.-F. Müller, S. 364 f. noch zu den Vorschlägen des Ersten Berichts; Krull, S. 85 zur Gesellschafterautonomie (ohne Art. 9 GG zu nennen).
169
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
einigungsfreiheit, der Anteilseignern gute Klagemöglichkeiten vor dem BVerfG geben solle.862) Seine Argumentation basiert dabei auf der vollstreckungsorientierten Konzeption der InsO, die einen Zugriff auf die Anteilsrechte im Regelverfahren nicht vorsieht, was er wiederum durch Art. 9 GG geschützt sieht. Durch die Regelung der § 225a InsO n. F. werde somit die Grenze der Gläubigerherrschaft im Insolvenzverfahren überschritten.
aa) Keine Gültigkeit des § 199 InsO-Rechtsgedankens im Reorganisationsszenario 341 Dabei wird abgestellt auf das Argument, dass Insolvenzrecht im Grundsatz Vollstreckungsrecht zugunsten der Gläubigergemeinschaft sei, das dem Insolvenzverwalter die (bestmögliche) Verwertung sämtlicher Vermögensgegenstände erlaube. Zu diesen Vermögensgegenständen gehören im Regelverfahren aber die Anteilsrechte (zweifellos) nicht, da sie von der eigentumsrechtlichen Zuordnung her den Anteilseignern zustehen, die im Falle einer juristischen Person nicht personengleich sind mit dem Schuldner.863) Auch durch das ESUG habe sich das Insolvenzverfahrensrecht von diesen exekutorischen Wurzeln in keiner Weise lösen wollen.864)
342 Im Hinblick auf das Insolvenzplanverfahren wird dabei die Interpretation der h. M. angezweifelt, dass sich aus § 199 InsO ergebe, dass in der (gesamten) Insolvenz die Gläubigerrechte vollständigen Vorrang genießen würden vor den Anteilseignerrechten.865) Dies sei eine Fehlinterpretation, weil § 199 InsO einzig und allein eine Erlösverteilungsregel für das Liquidationsszenario darstelle, die aber in keiner Weise übertragen werden könne auf das Reorganisationsszenario, das bei einem Zugriff auf den Rechtsträger durch Regelungen des Insolvenzplans bzgl. der Anteile, also insbesondere beim DES, relevant sei. Hier könne vielmehr aus § 201 InsO gefolgert werden, dass die einzelzwangsvollstreckungsrechtlichen Grundsätze gelten müssen, die keinen Zugriff auf Anteile zulassen.866) Ebenso wenig wie den Gläubi___________ 862) Madaus, ZGR 2011, 749 ff.; ihm zustimmend Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1819. 863) Siehe hierzu die Ausführungen oben § 5. VI. 4 c) zum Umfang der Insolvenzmasse nach § 35 InsO; zu einer Argumentation, dass aber aus aufopferungsrechtlichen Grundsätzen dies auch schon nach altem Recht den Gläubigern zustand, siehe das Konzept von Bitter, ZGR 2010, 147, 172 und 181 ff. 864) Madaus, ZGR 2011, 749, 752, wobei er sich auf die Formulierung des RegE beruft, dass die bestmögliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger weiterhin vorrangiges Verfahrensziel und die Erhaltung des Unternehmens in der marktwirtschaftlichen Ordnung kein Selbstzweck sei, RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 17; dabei erwähnt er auch die darin explizit genannte Zielsetzung, dass die Gläubiger den Ablauf des Insolvenzverfahrens noch stärker als bislang bestimmen können sollen, ohne dass er hierin einen Widerspruch zu seinen Grundaussagen sieht. A. A. als Madaus diesbezüglich K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087. 865) Siehe nur Bitter, ZGR 2010, 147, 191; Verse, ZGR 2010, 299, 310. 866) Madaus, ZGR 2011, 749, 756; die für eine Liquidation geltende gesellschafts- wie insolvenzrechtlichen Grundsätze seien damit nicht einschlägig im Reorganisationsszenario; zustimmend Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1819.
170
IV. Art. 9 GG, Vereinigungsfreiheit
gern Entscheidungsmacht darüber zukomme, ob und in welcher Weise der Schuldner nach Abschluss des Insolvenzverfahrens sein Vermögen mehre (über die Fortführung der Erwerbstätigkeit nach der Insolvenz und die Gläubigerbefriedigung entschieden allein die Gesellschafter des insolventen Schuldners), hätten die Gläubiger das Recht, an der fortgesetzten Erwerbstätigkeit des Schuldners gesellschaftsrechtlicher Teilhaber zu werden.867) Somit könne § 199 InsO einen „absoluten Gläubigervorrang in allen für die Insolvenzbewältigung auftretenden Fragen nicht begründen“.868)
bb) Folge: keine haftungsrechtliche Zuweisung rechtsträgergebundener Berechtigungen an die Gläubiger Da somit die Gläubigerrechte bei Rechtsträgerfortbestand „rein vollstreckungs- 343 technisch legitimiert“ seien, wäre den Gläubigern der Rechtsträger als Haftungsobjekt nicht zugewiesen. Somit seien auch die darin enthaltenen, ggf. werthaltigen rechtsträgergebundenen Rechtspositionen „unpfändbar“, dem Vollstreckungszugriff der Gläubiger unterliege in der Folge nicht die Willensbildungsautonomie der Alt-Anteilseigner.869) Die Zuerkennung des Anspruchs auf den Rechtsträger (als Anspruch auf die Person des Schuldners selbst) sei eine Rückkehr der Personalexekution in das Insolvenzrecht.870)
cc) „Fremdbestimmung“ durch Gläubiger als Verstoß gegen Art. 9 GG Dieser systematisch hergeleitete eingeschränkte Gläubigerzugriff und die damit 344 verbundene verbleibende Entscheidungshoheit der Anteilseigner wird dann als auch verfassungsrechtlich geschützt angesehen. Hierzu greift Madaus die vom BVerfG im Mitbestimmungsurteil gewählte Formulierung der „Fremdbestimmung“871) auf: sollen die Anteilseignerrechte zur autonomen Willensbildung vollständig im Sinne einer Fremdbestimmung (vorliegend durch die Gläubiger) beseitigt werden, so werde der Schutzgehalt des Art. 9 GG gänzlich verdrängt.872) Ein solcher Eingriff in den Kernbereich der Mitgliedschaft bedürfe aber einer besonderen Rechtfertigung.
___________ 867) Madaus, ZGR 2011, 749, 756. 868) Madaus, ZGR 2011, 749, 756. 869) Madaus, ZGR 2011, 749, 757. Wenn somit rechtsträgergebundene Positionen ohne Zustimmung der Alt-Anteilseigner nicht verwertbar seien, so sei dies auch kein „Geschäft zu Lasten der Gläubiger“, weil diesen gar kein Wert verloren ginge, der ihnen vorher haftungsrechtlich zugewiesen gewesen wäre. 870) Madaus, ZGR 2011, 749, 759. 871) BVerfGE 50, 289, 357. 872) Madaus, ZGR 2011, 749, 764; zustimmend Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1819.
171
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
dd) Unverhältnismäßigkeit des vollständigen Vorrangs der Gläubigerrechte 345 Im Rahmen einer Abwägung hält Madaus einen Vorrang der Forderungen der Gläubiger als nach Art. 14 GG geschütztes kollidierendes Verfassungsrechtsgut aus zwei Gründen für nicht überzeugend. Zum einen bestehe schon gar keine Kollision, da der Schutzbereich des Art. 14 GG nicht eröffnet sei bzgl. der Willensbildung oder der Gesellschafterrechte, weil diese nicht zum Vermögen zählen, das einzig dem Vollstreckungszugriff der Gläubiger ausgesetzt sei: „Der Zugriff auf diese von der Vereinigungsfreiheit geschützten Rechtspositionen ist zu keiner Zeit Teil der Forderungsrechte der Gläubiger, für welche diese ihrerseits den Schutz des Art. 14 GG beanspruchen könnten“.873) Jedenfalls könne bei einem nötigen Ausgleich der Grundrechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz eine Regelung im Ergebnis kaum zu einem „vollständigen Vorrang der Gläubigerrechte bei vollständiger Verdrängung der Gesellschafterrechte“ führen.874) Dies sei unverhältnismäßig, solange mildere Konfliktlösungen denkbar seien.875)
e)
Stellungnahme
aa) Zum Argument der Nicht-Kollision mit dem Schutzbereich des Art. 14 GG 346 Wenn zunächst eine Kollision verneint wird, weil sich aus der vollstreckungsrechtlichen Natur der Gläubigerrechte in der Insolvenz nur die Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen, nicht aber auf die Rechte der Gesellschafter876) (und damit im Ergebnis auf den Rechtsträger877) ergebe, so wird hier der Schutzbereich des Art. 14 GG der Gläubiger so angenommen, wie er vom Gesetzgeber vor der Reform durch ___________ 873) Madaus, ZGR 2011, 749, 765. 874) Madaus, ZGR 2011, 749, 765. 875) Diese bestehen bei Madaus, ZGR 2011, 749, 771 f. in einem nur bzgl. der Modalitäten der Befriedigung der Gläubigeransprüche bezogenen Obstruktionsverbot, das aber die Mitgliedschaftsrechte unangetastet lässt. Zu einer Bewertung siehe sogleich. Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1819 will dagegen nicht ausschließen, in „eng begrenzten Ausnahmefällen eine Verweigerung der Zustimmung seitens der Anteilseigner als wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlich anzusehen, etwa dann, wenn nur durch einen debt-for-equity-swap schwere Verluste der Gläubiger verhindert werden können und den Anteilseignern eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss ihres Bezugsrechts ohne nennenswerte eigene Nachteile zumutbar ist“. Ob dies aber z. B. gerade erfüllt ist, wenn die rechtsträgergebundenen Berechtigungen anders nicht verwertet werden können (drohende schwere Verluste der Gläubiger), spezifiziert er nicht. Kritisch diesbezüglich Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 110: würde für Praxis nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheiten nach sich ziehen. 876) Madaus, ZGR 2011, 749, 765. 877) Explizit Madaus, ZGR 2011, 749, 757: den Gläubigern vollstreckungsrechtlich nicht zugewiesen: der Rechtsträger bzw. Verband und die diesbezügliche Entscheidungshoheit der Gesellschafter.
172
IV. Art. 9 GG, Vereinigungsfreiheit
das ESUG ausgestaltet war.878) Allerdings kann der Gesetzgeber die bisherige Systematik durchaus ändern und dem Vollstreckungszugriff auch den Rechtsträger unterstellen, womit der Schutzbereich des Art. 14 GG hinsichtlich der Forderungen folglich erweitert würde. Damit käme es im Ergebnis dann zu einer Kollision der Schutzgüter. Madaus’ Argumentation würde im Ergebnis dazu führen, dass die Rechtslage, nach der der Zugriff nicht möglich ist, als gleichermaßen zementiert angesehen und jegliche Veränderung dieser Zuordnungen abgelehnt wird. Es liegt aber gerade im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, hier die Zuordnung zu ändern und in Richtung der Gläubiger zu verschieben. So ist anerkannt, dass Art. 9 Abs. 1 GG keine status-quo-Garantie enthält.879) Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus: „(Der Gesetzgeber) ist durch Art. 9 I GG nicht an die überkommenen Rechtsformen und Normenkomplexe des Vereins- und Gesellschaftsrechts gebunden. Aus der Notwendigkeit der Ausgestaltung kann nicht folgen, dass eine bestimmte bestehende Ausgestaltung Verfassungsrang erhielte.“880) Hierdurch ergibt sich zwar keine vollständige Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers: „(die Ausgestaltung) hat sich an dem Schutzgut des Art. 9 I GG zu orientieren; sie muss auf einen Ausgleich gerichtet sein, der geeignet ist, freie Assoziation und Selbstbestimmung der Vereinigungen unter Berücksichtigung der Notwendigkeit eines geordneten Vereinslebens und der schutzbedürftigen sonstigen Belange zu ermöglichen und zu erhalten. (…) In jedem Fall muss jedoch das Prinzip freier Assoziation und Selbstbestimmung grundsätzlich gewahrt bleiben.“881) Bezüglich dieses Ausgleichs mit schutzwürdigen sonstigen Belangen aber besteht eine Einschätzungsprärogative
___________ 878) Nach Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 10 übersieht Madaus auch, dass eine Kollision zwischen Art. 9 GG der Anteilseigner und Art. 14 GG der Gläubiger bereits „systemisch bedingt angelegt“ sei durch das Zur-Verfügung-Stellen haftungsbeschränkender Rechtsformen durch den Gesetzgeber, mit denen bereits die potenzielle Möglichkeit für Gesellschafter gegeben wird, ohne Schmälerung eigenen Vermögens in Eigentumsrechte der Gläubiger einzugreifen. Als Ausgleich sei ein Schutzinstrumentarium für potentiell betroffene Gläubiger nötig, die in der Statuierung von Insolvenzantragspflichten bestehe. In dieser „Wechselwirkung zwischen Haftungsbegrenzung und Schutzanspruch potenziell betroffener Gläubiger“ komme i. E. ein genereller Vorrang der Gläubigerrechte aus Art. 14 GG zum Ausdruck. 879) Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 Rn. 69. 880) BVerfGE 50, 290, 355. 881) BVerfGE 50, 290, 355.
173
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
des Gesetzgebers.882) Somit liegt eine Kollision sehr wohl vor. Die alte Systematik war lediglich eine mögliche Ausgestaltungsvariante des Gesetzgebers und wäre allein dann verfassungsrechtlich garantiert, wenn dies aus dem Kern der Vereinigungsfreiheit abgeleitet werden könnte und in einer Abwägung die Gesellschafterrechte Vorrang haben müssten.
bb) Wirtschaftliche Zuordnung und bloßer Formalismus 347 Auch Madaus sieht im Rahmen seiner systematischen Betrachtung die Anteilsrechte nicht dergestalt ausgestaltet, dass die Alt-Anteilseigner damit machen könnten, was sie wollen. Er hält diese zwar für unpfändbar, spezifiziert dann aber: sie „können folglich nur zum Vorteil der Gläubiger verwendet werden, wenn der Schuldner sie in Zukunft gewinnbringend nutzt“.883) Dies steht in einer Reihe mit dem Grundsatz, dass die Gläubiger das nach der Verfahrensaufhebung durch die Schuldnerin erwirtschaftete Neuvermögen „nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich beanspruchen können“, wenn der Insolvenzplan keine Restschuldbefreiung vorsieht.884) Damit wird aber eingestanden, dass die im Rechtsträger verkörperten Werte mittelbar doch den Gläubigern zugewiesen sind.885) Warum dann auf der bloß formalrechtlichen Position verharrt wird, ist nicht nachvollziehbar: eine Zuordnung des wirtschaftlichen Wertes mittels Zuweisung des Rechtsträgers an die ___________ 882) Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1819 begründet die Verfassungswidrigkeit damit, dass schon der InsO-Gesetzgeber die Einführung einer gegen den Willen der Anteilseigner möglichen insolvenzrechtlichen Reorganisation mit Verweis auf die unbedingt geschützte Verbandsautonomie abgelehnt habe und verweist dafür auf den DiskE zur InsO v. 15.8.1988, wo dies auf S. A 33, A 59 f. stehe. An dieser Stelle findet sich aber weder ein Verweis auf die Verbandsautonomie oder Art. 9 GG, sondern lediglich auf die „allgemeinen Prinzipien der Wirtschaftsverfassung“, die die Zustimmung der Betroffenen zur Fortsetzung durch den Schuldner, zu organisationsrechtlichen Zugeständnissen oder zu einem Eigentümerbeitrag verlangt, a. a. O. S. 59 f.; die Vereinigungsfreiheit wird explizit lediglich genannt hinsichtlich der Tatsache, dass kein Beteiligter gegen seinen Willen genötigt werden kann, Mitglied einer Gesellschaft zu werden, a. a. O. S. 60 (negative Vereinigungsfreiheit). Zudem ist darauf hinzuweisen, dass ein Verfassungsverstoß damals zwar diskutiert wurde, mehrheitlich aber verneint wurde. Die gesellschaftsrechtliche Enthaltsamkeit der InsO beruhte nicht allein auf geäußerten verfassungsrechtlichen Zweifeln, sondern i. E. auch maßgeblich auf dem Gedanken, das Insolvenzplanverfahren schlank zu halten, was daran zu erkennen ist, dass nicht mit einer unbedingten Schutzwürdigkeit des Anteilseigentums argumentiert wird, sondern ausdrücklich auf das Damoklesschwert der übertragenden Sanierung verwiesen wird, siehe RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 83. Ein ausdrücklicher Verweis auf die ansonsten bestehende Verfassungswidrigkeit findet sich auch sonst weder im RegE-InsO noch in den Materialien des Rechtsausschusses. 883) Madaus, ZGR 2011, 749, 757. 884) Madaus, ZGR 2011, 749, 771. 885) Zumindest bis zur vollständigen Befriedigung der Alt-Forderungen, die Madaus weiter in voller Höhe durch den Plan gewährleisten will, Madaus, ZGR 2011, 749, 771 f. Zu der (zweifelhaften) Frage, ob sich die Anteilseigner auf einen solchen Plan einlassen würden, wenn dieser ihnen das Hauptsanierungsmerkmal des Erlasses der rechtlichen Verbindlichkeiten nicht zuerkennt (das nach § 227 Abs. 1 InsO regelmäßig vorgesehen ist und ausdrücklich ausgeschlossen werden muss), siehe unten ee).
174
IV. Art. 9 GG, Vereinigungsfreiheit
Gläubiger ist nur noch ein weiterer Schritt. In dieser Hinsicht könnte auch die Frage gestellt werden, ob nach der Mindermeinung auch eine vertragliche Überleitung, wie sie in der Literatur angedacht wurde886), einen Verstoß gegen Art. 9 GG darstellen würde: denn immerhin würden hiermit Werte, die den Gläubigern vollstreckungsrechtlich nicht zugeordnet sind, wertmäßig an die Gläubiger gehen.887) Einziger Unterschied wäre, dass hierzu keine Zustimmungsfiktion der Anteilseigner (besagte Fremdbestimmung) nötig würde, vom Ergebnis her würde aber die gleiche Sachlage vorliegen.888)
cc) Systematik des insolvenzrechtlichen Zugriffs nicht verfassungsrechtlich geschützt Somit zeigt sich, dass bzgl. Madaus’ Argumentation zu trennen ist zwischen einer 348 systematischen889) Betrachtung und einer verfassungsrechtlichen Betrachtung. Man kann die Neuregelung, sofern man den Vorrang der Gläubigerinteressen vor Anteilseignerinteressen als Aussage des § 199 InsO im Reorganisationsszenario mit der Minderansicht nicht gelten lassen will, durchaus als Systembruch verstehen. Positiv formuliert könnte darauf abgestellt werden, dass sich die InsO damit noch weiter von dem ursprünglich rein exekutorischen Ansatz des Insolvenzrechts entfernt.890) Aber dieser Systembruch berührt unmittelbar noch keine Verfassungsbelange, da hiermit zunächst lediglich eine rein verfahrenstechnische Frage betroffen ist. Auch Madaus hütet sich, dies zu vermengen: im Rahmen von Art. 9 GG spricht er stets von der „besonderen Position der Mitgliedschaft in einem Verband“891) als ___________ 886) Siehe nur Noack/Bunte, KTS 2005, 129 ff. sowie die Nachzeichnung dieses Konzepts oben unter § 4. II. 1. c); Wallner, ZInsO 2010, 1419 ff. 887) Madaus, ZGR 2011, 749, 758: Verlustvorträge, besondere Genehmigungen, Vertragsbeziehungen seien Vorteile nicht übertragbarer Natur, die den Gläubigern „ohnehin vollstreckungsrechtlich nicht als Haftungsobjekt zur Verfügung stehen“. 888) Lediglich Verlustvorträge könnten auf diese Weise nicht genutzt werden; dass aber das Verfassungsrecht in Verlustvorträgen ein den Alt-Gesellschaftern verfassungsrechtlich garantiertes und unentziehbares Gut erblickt, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. 889) Nach Haas, NZG 2012, 961, 963 f. entspricht Madaus Funktionsverständnis von Insolvenzrecht schon gar nicht (mehr) der Konzeption der InsO; dies begründet er auch mit Verweis auf § 51 Nr. 1 InsO, nach dem ebenfalls schuldnerfremde Gegenstände in das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners einbezogen werden; siehe dort mit weitergehender Argumentation. 890) In diese Richtung K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087 in ausdrücklicher Abgrenzung zu Madaus, dem er a. a. O. Fn. 22 aber zugesteht, dass „exekutorisches Denken den Gesellschafterschutz nicht ausschließen muss“. 891) Madaus, ZGR 2011, 749, 762. Lediglich vermischt wird die bisherige vollstreckungsrechtliche Zuordnung und die verfassungsrechtliche Garantie bei der Frage der Kollision der Verfassungsgüter auf S. 765: „Forderungsrecht (kollidiert) in ihrem Schutzbereich überhaupt nicht mit der Vereinigungsfreiheit der Gesellschafter. Dies ergibt sich aus der vollstreckungsrechtlichen Natur der Gläubigerrechte in der Insolvenz“. Seine Alternativ-Argumentation stellt dann aber ebenso allein auf die geschützte Willensbildungsautonomie ab.
175
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
Schutzgut des Art. 9 GG, nicht von dem Rechtsträger und den daran hängenden werthaltigen Berechtigungen892) (wenngleich die Argumentation durch die Hintereinanderschaltung der systematischen Betrachtung und der verfassungsrechtlichen Betrachtung verschwimmt). Im Ergebnis läuft es auch bei Madaus auf die eine Frage hinaus: ist der Eingriff verhältnismäßig?
dd) Die Notwendigkeit einer Alles-oder-Nichts-Regelung 349 Hier kann Madaus zunächst grundsätzlich zugestimmt werden bezüglich der Aussage, dass eine Beseitigung der Anteilseignerstellung durch einen von den Anteilseignern nicht mehrheitlich angenommenen Plan einen Eingriff in den Kernbereich der Vereinigungsfreiheit darstellt.893) Problematisch ist allerdings die von ihm vorgenommene Abwägung. Denn er hält jeden Lösungsansatz, der auf eine Willensbildung der Gesellschafter gänzlich verzichtet, für unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig.
350 Jedoch ist es zum einen nicht so, dass auf die Willensbildung der Anteilseigner gänzlich verzichtet wird: zunächst sind diese zu beteiligen und ihre negative Abstimmung abzuwarten, so dass ihnen zumindest eine gewisse Mitwirkungsmöglichkeit verbleibt und sie nicht gänzlich aus dem Verfahren herausgehalten und ignoriert werden.894) Andererseits ist angesichts der Voraussetzungen des Obstruktionsverbots nicht auszuschließen, dass die Anteilseigner von vornherein untätig bleiben, da dessen Voraussetzungen wohl erfüllt sein werden. Allerdings ist dann in einer folgenorientierten Abwägung (wie Madaus sie vornimmt, nur umgekehrt) zu beachten, wozu eine Nichtanwendbarkeit des Obstruktionsverbots im Ergebnis führen würde: nämlich zur kompletten Durchsetzung des Gesellschafterwillens. Denn die Situation lässt nur eine Alles- oder Nichts-Regelung zu. Entweder wird die Ablehnung für unbeachtlich erklärt (unter den Voraussetzungen des § 245 InsO), oder sie setzt sich durch. Einen Zwischenweg gibt es nicht.895)
351 Die von Madaus nicht ausgeführte, aber implizit favorisierte Lösung tut somit genau dasselbe, was er vorher kritisiert, nur mit vertauschten Rollen: sie führt – in dieser einen Frage der Zulässigkeit von Eingriffen in Anteilseignerrechte – zu einem vollständigen Vorrang der Gesellschafterrechte unter vollständiger Hintanstellung ___________ 892) Diese erwähnt er vorher, auf S. 758, im Rahmen des systematischen Argumentation. 893) Madaus, ZGR 2011, 749, 764. 894) Insofern ist die hier untersuchte, vom ESUG gewählte Regelung über ein Obstruktionsverbot nach zunächst notwendiger Abstimmung abzugrenzen von einem Konzept, in dem der Insolvenzverwalter sämtliche Anteile von vornherein zwangseinziehen kann (gegen ein solches Konzept scheint sich Madaus Argumentation in ZGR 2011, 749, 765 Fn. 42 primär zu richten; erst im folgenden Satz wird dies auf das Obstruktionsverbot erstreckt, a. a. O. S. 766). 895) Das Insolvenzgericht ist in den Fällen des § 251 und des § 250 InsO lediglich erkennend tätig, es prüft also die Rechtmäßigkeit des Plans; es hat zu keiner Zeit materiellrechtliche Befugnisse zur inhaltlichen Gestaltung des Insolvenzplans, siehe Madaus, Insolvenzplan, S. 313.
176
IV. Art. 9 GG, Vereinigungsfreiheit
der Gläubigerrechte. Die Gläubiger können ihr Konzept nicht durchsetzen, die Gesellschafter haben mit ihrer Blockade Erfolg und behalten ihren Status im gesellschaftsrechtlichen Sinne.896) Eine Zwischenlösung, bei der etwa die Gesellschafter und die Gläubiger die Lasten der Reorganisation teilen, ist zwar auf dem Verhandlungswege denkbar, nicht aber als aus dem Gesetz resultierende Rechtsfolge. Somit kann nicht auf die „Radikalität“897) der ESUG-Lösung verwiesen werden; denn die einzig denkbare Alternative ist ebenso radikal.
ee) Das abgeschwächte Obstruktionsverbot als Alternative Dies wäre allein dann anders, wenn die von Madaus vorgeschlagene Methode eines 352 abgeschwächten Obstruktionsverbots eine gleich geeignete Alternative darstellen würde. Auch Madaus sieht einen durch ein Obstruktionsverbot zu sanktionierenden Missbrauch der Entscheidungsmacht durch die Anteilseigner dann gegeben, wenn diese die Zustimmung zu einem Insolvenzplan verweigern, der keine Restschuldbefreiung nach § 227 Abs. 1 InsO vorsieht und die Modalitäten der Befriedigung der in voller Höhe fortbestehenden Forderungen so regelt, dass der Anteilseigner diese Forderungen durch zukünftige Gewinne zu befriedigen hat. Sei sichergestellt, dass kein Gläubiger mehr als die volle Befriedigung seiner Restforderungen erhält, so könne ein solcher Insolvenzplan auch nach Madaus den Anteilseignern trotz deren Ablehnung aufoktroyiert werden, solange er nur ihre Mitgliedschaftsrechte unangetastet lässt.898) Denn dies würde den ohnehin notwendigen Gewinnverwendungsbeschluss zugunsten der vorrangigen Bedienung der alten Insolvenzgläubiger jeden Jahres, den die Gesellschafterversammlung „im eigenen Interesse“ ohnehin beschließen würde, nur vorwegnehmen.899) Ob eine solche Lösung in der Praxis Zuspruch finden dürfte, kann kaum prognosti- 353 ziert werden; es sprechen aber gute Gründe dafür, dass dies weder für Anteilseigner noch für Gläubiger eine Option wäre. Zunächst geht der § 227 Abs. 1 InsO nicht ohne Grund davon aus, dass der Schuldner mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit wird, wenn der Plan nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht. Denn ein Insolvenzverfahren ohne Forderungskürzung muss für den Schuldner (und damit seine Anteilseigner) gänzlich unattraktiv erscheinen. Ein frisches Durchstarten mit weiterhin in voller Höhe bestehenden Verbindlichkeiten muss die Frage stellen, warum die hohen Transaktionskosten des ___________ 896) Zwar ist dann die Liquidation noch möglich, doch in den Fällen, in denen der DES das Sanierungsmittel der Wahl darstellt, wird die übertragende Sanierung wohl wegen besagter dann verloren gehender Berechtigungen nicht die beste Verwertungsalternative darstellen. 897) So explizit Madaus, ZGR 2011, 749, 765: radikaler Lösungsansatz. 898) Madaus, ZGR 2011, 749, 771 f. 899) Madaus, ZGR 2011, 749, 772.
177
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
Insolvenzplanverfahrens überhaupt auf sich genommen wurden, wenn die Schuldnergesellschaft hierdurch in keiner Weise entlastet wird. Doch auch aus Gläubigersicht wäre hier Vorsicht angebracht, da agency-Probleme in erheblichem Ausmaß drohen: denn ein Anteilseigner, der den vollen Wert der Gewinnausschüttungen über Jahre hinweg nicht für sich selbst verwenden kann, sondern zusehen muss, dass diese zu 100 % an die Alt-Gläubiger gehen, wird nur wenig Anreiz haben, Gewinne überhaupt zu erzielen. Vielmehr wird er versuchen, sich selbst Teile des Gewinns über Abrechnung überhöhter Dienstleistungen, eine überhöhte Geschäftsführerkompensation (hierüber entscheiden die Anteilseigner), Cashback-Zahlungen o. ä. zu sichern. Dies können die Gläubiger nur durch einen hohen monitoringAufwand verhindern, der mangels gesetzlich statuierter Einsichtsrechte der Gläubiger (entsprechend Gesellschafterrechten) über covenants o. ä. zu regeln wären. Dieser hohe Aufwand dürfte sich für Gläubiger kaum lohnen900); lieber nehmen sie die niedrigere Liquidationsquote nach übertragender Sanierung auf sich. Damit aber kommt es nie zu einem Insolvenzplan, der die Anteilseigner an Bord belässt und ihnen im Gegenzug die Restschuldbefreiung unter ausdrücklicher Abweichung von § 227 Abs. 1 InsO verweigert.
354 Auch aus der Chapter 11-Praxis sind bei Fortführung der Unternehmung unter den bisherigen Anteilseignern für diese der (teilweise) Forderungserlass die Hauptmotivation, den sich diese durch das Einbringen frischen Kapitals erkaufen (new value exception).901) Zuletzt muss es für die Beteiligten auch unnötig erscheinen: das Insolvenzplanverfahren sieht nach §§ 251, 253 InsO als Untergrenze für die Minderheitenschutzrechte des Einzelnen und nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch für die Mehrheit in einer Abstimmungsgruppe immer die Stellung im Regelverfahren vor, also wertmäßig die Quote bei Rechtsträgerliquidation, die für Insolvenzgläubiger in der Regel im einstelligen Prozentbereich liegt; wieso sollten die Anteilseigner einen Plan favorisieren, der diesen Gläubigern 100 % zusichert über mehrere Jahre? Daher wäre hier tatsächlich eher eine Verhandlungslösung denkbar, bei der zumindest ein Teil-Forderungserlass ausgehandelt wird, weil dieser auch für die Anteilseigner interessanter wäre. Dieser steht dann aber wieder unter dem Vorbehalt der Zustimmung einer Mehrheit in jeder Gläubigergruppe, weil ein Verbleiben sämtlicher Anteilsrechte je nach Werthaltigkeit der Gesellschaft das Obstruktionsverbot nach § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO ausschalten kann.902)
___________ 900) Siehe zu der vergleichbaren Problematik, bei kleinen Firmen externe Investoren zu finden Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 15 (1991): da dies mit hohen monitoring-Kosten belastet, ist es für diese kaum interessant. Dies muss dann erst recht für Fremdkapitalgeber gelten, denen das monitoring noch zusätzlich erschwert ist. 901) Siehe hierzu die Ausführungen bei der Behandlung des Bezugsrechts unter § 7. III. 3. a). 902) Siehe hierzu nur Braun/Braun/Frank, § 245 Rn. 12 ff.
178
V. Ergebnis
Somit ist das vermeintlich mildere Alternativszenario kein solches, das ernsthaft in 355 Betracht kommen kann. Auch der Verweis auf den Debt Mezzanine Swap903) hilft hier nicht weiter, da damit wiederum besagte agency-Probleme einhergehen und die Gläubiger wiederum nur eine schuldrechtliche Forderung erhalten; dies ist aber aufgrund der Tatsache, dass damit wiederum keine Kontrollrechte einhergehen, nicht gleich effektiv. Damit bestätigt sich, dass nur eine Alles-oder-Nichts-Regelung erfolgen kann, mithin im Rahmen der Frage der Zulässigkeit des Zugriffs auf den Rechtsträger zwischen der vollständigen Bevorzugung der Anteilseigner und der vollständigen Bevorzugung der Gläubiger abzuwägen ist. Diese Abwägung muss mit den oben bereits aufgeführten Argumenten zugunsten der Gläubiger als den „wirtschaftlichen Eigentümern“ ausgehen; die Systematik der §§ 199 und 201 InsO ist kein ausreichender Grund, dies in voller Höhe zu Lasten der Gläubiger gehen zu lassen. Daher ist Madaus Konzept abzulehnen.
V. Ergebnis Somit stellt die Neuregelung durch das ESUG keinen verfassungswidrigen Eingriff 356 in die Grundrechte der Anteilseigner nach Art. 14 GG oder Art. 9 GG dar. Die Anteile können durch eine Kapitalherabsetzung auf Null untergehen und dies den AltAnteilseignern unter den Voraussetzungen des § 245 Abs. 3 InsO n. F. aufoktroyiert werden. Falls die Anteile noch einen Restwert haben, so ist dieser allerdings als Entschädigung an die Alt-Anteilseigner auszuzahlen.904)
VI. Annex: Negative Vereinigungsfreiheit der Gläubiger Kurz soll im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung noch auf die Frage ein- 357 gegangen werden, ob der Gesetzgeber nicht sogar (wie in der Reformdiskussion teils gefordert) auch eine Regelung hätte erlassen können, nach der die Gläubiger auch zwangsweise durch Umwandlung ihrer Forderungen zu Anteilseignern hätten werden können.905)
1.
Ermöglichung des Zwangs-DES?
Dabei ist zu fragen, ob ein sog. Zwangs-DES (also eine Umwandlung von Forde- 358 rungen in Eigenkapital auch gegen den Willen der Forderungs-Gläubiger) einen Verstoß gegen die negative Vereinigungsfreiheit bedeutet hätte.906) Die negative ___________ 903) Siehe hierzu oben § 1. VI. 904) Zur Frage, wie ein solcher ggf. bestehender Restwert zu errechnen ist, siehe unten § 10. II. 905) Dies ist im Folgenden teils relevant, etwa für die Frage der Umsetzbarkeit von Optionsmodellen, vgl. unten § 9. VII. 2. e). 906) Angesprochen bereits bei Flessner, ZRP 1982, 244, 245 m. w. N. auch zur Zwiespältigkeit der KfI diesbezüglich.
179
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
Vereinigungsfreiheit wird definiert als Freiheit, einer privaten Vereinigung fernzubleiben oder aus dieser auszutreten.907)
a) Zwangsweise Umwandlung auch gegen den Willen des Forderungsinhabers 359 Die schärfste Form hätte dabei ein Zwangs-DES dargestellt, der darin bestanden hätte, dass mit einer einfachen Mehrheit der Beteiligten die Umwandlung beschlossen werden kann, so dass einige Gläubiger auch gegen ihren ausdrücklichen Willen zu Anteilseignern würden.
360 Vorbild einer solchen Regelung hätte § 5 Abs. 3 Nr. 3 SchVG sein können, der eine Umwandlung von Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile durch Mehrheitsbeschluss zulässt. Nach Hölzle908) gibt es eine derartige Rechtsfolge im englischen Recht, sofern eine Mehrheit von 75 % diesem Zwangs-DES zustimmt. Dies wird von ihm auch für das deutsche Recht propagiert: seiner Argumentation nach vermitteln Forderungen als geschützte Rechtsposition nur noch einen geringen Wert, wenn ohne die Maßnahme eine Forderungsbedienung ohnehin nicht mehr in Gänze möglich ist. Da der InsO mit der par condicio creditorum auch eine Sozialisierung der Gläubigergemeinschaft nicht gänzlich unbekannt sei,909) solle ein Zwangs-DES möglich sein, sofern nur für hinreichend informierte Stimmrechtsausübung und effektiven Minderheiten- und Rechtsschutz gesorgt sei.910) Ein solches Vorgehen wurde auch von Maier-Reimer911) befürwortet: er bedauerte, dass die zwangsweise Umwandlung in Eigenkapital im ESUG nicht ermöglicht wurde, da hiermit der DES im Insolvenzplanverfahren seiner Ansicht nach zum „stumpfen Schwert“ würde.912) Dass die h. M. dies mit Verweis auf die negative Vereinigungsfreiheit nicht zulassen würde, sei aber keineswegs zwingend, solange die Beteiligung frei veräußerlich sei, das Risiko der Differenzhaftung ausgeschlossen sei und außerdem keine Ausfallhaftung für Mitgesellschafter bestünde. Eine solche Ausfallshaftung bestünde (anders als bei der AG) zwar bei der GmbH nach § 24 GmbHG; selbst dort sei dies aber kein Grund, den „Zwangsumtausch“ abzulehnen, wenn die Beteiligung keinen Veräußerungsbeschränkungen unterliege und die Veräußerung fak___________ 907) 908) 909) 910) 911) 912)
180
BVerfGE 10, 89, 102; BVerfGE 50, 290, 354. Hölzle, KTS 2011, 291, 323. Hölzle, KTS 2011, 291, 323 m. w. N. in Fn. 192, 193. Hölzle, KTS 2011, 291, 323 f. Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 116 f. Auch Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 511 hätten einen Zwangs-DES durch Mehrheitsentscheid für verfassungsrechtlich zulässig gehalten, sofern dieser an enge Voraussetzungen gebunden gewesen und auf Extremfälle beschränkt gewesen wäre (etwa gemessen an der „sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens, der Vielzahl der betroffenen Arbeitsplätze“). Ähnlich Bork, ZIP 2010, 397, 411 Fn. 133: „nur in Ausnahmefällen legitimierbar.“ Welche Formulierung dieser „Extremfall“ dann im Gesetzestext gefunden hätte, bleibt dabei aber offen; zu kritisieren ist, dass dies jedenfalls für große Rechtsunsicherheit gesorgt hätte.
VI. Annex: Negative Vereinigungsfreiheit der Gläubiger
tisch möglich sei, was dann spiegelbildlich dem § 29 UmwG entspreche.913) Dieser 29 UmwG ordne auch nur dann eine Barabfindung an, wenn der übernehmende Rechtsträger in anderer Rechtsform konstituiert sei oder die Anteile Veräußerungsbeschränkungen unterlägen. Daraus lasse sich ersehen, dass auch das Verschmelzungsrecht sachimmanente Grenzen der negativen Vereinigungsfreiheit voraussetze, weil durch diese Regelung schließlich die Freiheit, einer konkreten Vereinigung überhaupt beizutreten, bereits tangiert sei. Selbiges müsste daher auch für den DES im Insolvenzplanverfahren gelten.914) Eine solche Argumentation ist allerdings mehr als zweifelhaft, da § 29 UmwG, wie 361 Maier-Reimer selbst schreibt, ein Hineinzwingen eines Gesellschafters in eine andere Rechtsform ermöglicht; bei der hier relevanten Fragen geht es aber um die Frage, ob ein Gläubiger dazu gezwungen werden kann, überhaupt Gesellschafter zu werden. Daher hinkt der Vergleich in starkem Maße, da zwischen einem Gesellschafter einer bestehenden Gesellschaft und einem Gläubiger beachtliche Unterschiede bestehen. Gegen Hölzles Argumentation ist zu sagen, dass mit der par condicio creditorum zwar in der Tat ein Eingriff in Gläubigerrechte und eine gewisse Gleichschaltung bereits fester Bestandteil des Insolvenzverfahrens ist; damit lässt sich aber zunächst allein eine Kürzung der Forderungen rechtfertigen, nicht aber ohne weiteres auch das Hineindrängen in eine Anteilseignerstellung, die mit weitergehenden Pflichten verbunden ist und auch nicht zwingend ohne Weiteres zu Geld gemacht werden kann. Auch der Rekurs auf § 5 Abs. 3 Nr. 3 SchVG hilft hier nicht weiter: denn dort haben sich die Gläubiger einem für sie bindenden Mehrheitsentscheid, der in den Anleihebedingungen zu regeln ist (§ 5 Abs. 1 SchVG), freiwillig unterworfen. Der ZwangsDES würde dagegen für alle Gläubiger (etwa auch solche, deren Forderungen nicht vertraglich, sondern delikts- oder bereicherungsrechtlich begründet wurden) gelten. Daher ist zu begrüßen, dass der Zwangs-DES nicht ermöglicht wurde; der hierin liegende Eingriff hätte jedenfalls eines größeren Rechtfertigungsaufwandes bedurft.
b) Umwandlung von Forderungen, sofern nicht widersprochen wird Eine abgemilderte Variante hätte darin bestanden, dass allen Gläubigern gegen eine 362 Umwandlung ihrer Forderungen lediglich ein Widerspruchsrecht zugestanden worden wäre. Dies war von Eidenmüller/Engert 915) vorgeschlagen worden und im DiskEESUG auch noch enthalten.916) Davon wurde dann allerdings schon im RefE___________ 913) 914) 915) 916)
So Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 117 f. Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 118. Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 552. § 230 Abs. 2 InsO-E im DiskE-ESUG, Beilage 1 zu ZIP 28/2010, S. 11, der gelautet hätte: „Die Zustimmung des Gläubigers, der keine persönliche Haftung übernehmen soll, gilt als erteilt, wenn (1.) der Insolvenzverwalter oder der Schuldner ihm die geplante Maßnahme schriftlich erläutert und ihn dabei aufgefordert hat, binnen einer Frist von mindestens zwei Wochen seine Zustimmung zu erklären, und (2.) der Gläubiger innerhalb der Frist nicht schriftlich geantwortet hat, obwohl er bei der Aufforderung auf die Rechtsfolge eines solchen Verhaltens hingewiesen worden ist.“
181
§ 6 Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte
ESUG abgerückt.917) Dies geschah Berichten zufolge aufgrund des Einspruchs öffentlich-rechtlicher Gläubiger, die sich nicht in der Gesellschafterrolle wiederfinden wollten, wenn sie die Widerspruchsfrist verpasst hatten.918)
c)
Bewertung
363 Der Zwangs-DES ist weder in seiner schärfsten noch in der abgemilderten Form Gesetz geworden. Einer möglichen Kollision mit Verfassungsrecht wurde damit aus dem Weg gegangen. Zwar wäre damit die Notwendigkeit entfallen, die ausdrückliche (positive) Zustimmung jeweils einzuholen. Der Zwangs-DES auch gegen den Willen hätte aber den oben dargelegten Bedenken unterlegen. Die abgemilderte Variante in Form des nötigen Widerspruchs wäre dagegen verfassungsrechtlich wohl unbedenklich gewesen.919) Allerdings wäre fraglich gewesen, ob damit tatsächlich eine Verfahrensvereinfachung verbunden gewesen wäre. Denn es bleibt unklar, was passiert wäre, wenn sich im Nachhinein herausgestellt hätte, dass die Gläubiger über die bei Untätigkeit eintretende Rechtsfolge nicht ordnungsgemäß informiert wurden. Eine Rückabwicklung wäre dann kaum möglich gewesen, ein Rückkauf der ausgegebenen Anteile durch die reorganisierte Gesellschaft ggf. an gesellschaftsrechtlichen Hürden gescheitert. Auch wäre damit wieder Raum für Rechtsmittel eröffnet worden, die das Verfahren hätten verzögern können.920) Daher ist die nunmehr gewählte Variante zu begrüßen, die mit der Notwendigkeit einer ausdrücklichen Zustimmung auch auf die bewährten Praktiken der Anteilszeichnung zurück greifen kann.
2.
Austrittsrecht der Alt-Anteilseigner bei Hinzutritt neuer Anteilseigner
364 Die zweite Dimension der negativen Vereinigungsfreiheit zeigt sich darin, dass ein Austrittsrecht der Alt-Anteilseigner besteht, sofern deren Anteile durch den DES nicht gänzlich untergehen sollten: wird als gesellschaftsrechtliche Maßnahme keine Kapitalherabsetzung auf Null durchgeführt, sondern bleibt ein Teil des bisher be___________ 917) RefE-ESUG, Beilage zu ZIP 6/2011, S. 19. 918) So Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 65. 919) Kritisch gegenüber der Streichung im RefE-ESUG Hölzle, NZI 2011, 124, 128, der hierdurch eine bedeutende Entlastung des Verfahrens gesehen hätte, zumal die Begründung des RefEESUG (eine zwangsweise Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital sei nicht möglich, RefE-ESUG S. 48) nicht zutreffend gewesen sei, da ja ein Widerspruchsrecht bestanden hätte. Auch Frind, ZInsO 2011, 656, 657 bedauert dies und prophezeit, dass damit das „Instrument der Kombination „debt-equity-swap und Plan“ praktisch tot sei.“ Als „Plan-Tool“ sei die Umwandlung damit außerhalb des „Charmes der Mehrheitsentscheidung der Gruppe“; diese Einschätzung dagegen für nicht plausibel haltend Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508 Fn. 33. 920) Etwa das Vorbringen eines Gläubigers, bei Urlaub, Krankheit o. ä. ohne sein Verschulden an der Informationserlangung oder Widerspruchsausübung gehindert worden zu sein; damit wäre der ganze Plan blockiert gewesen.
182
VI. Annex: Negative Vereinigungsfreiheit der Gläubiger
stehenden Grundkapitals erhalten und werden die Forderungen dann im Rahmen einer Kapitalerhöhung eingebracht, so vergrößert sich lediglich der Anteilseignerkreis. In diesem Fall würden sich die Alt-Anteilseigner nunmehr in GesellschafterGemeinschaft mit neuen Anteilseignern befinden, die sie sich nicht ausgesucht haben. In einem solchen Fall wird Alt-Gesellschaftern vielfach ein besonderes Kündi- 365 gungsrecht zustehen, das sich je nach Einzelfall bereits aus der Satzung oder je nach Gesellschaftsform aus der Rechtslage zur Kündigungsmöglichkeit ergeben wird.921) Dass ein solches existiert, ergibt sich schon aus dem neuen § 225a Abs. 5 InsO n. F., der lautet: „(5) Stellt eine Maßnahme nach Absatz 2 oder 3 für eine am Schuldner beteiligte Person einen wichtigen Grund zum Austritt aus der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit dar und wird von diesem Austrittsrecht Gebrauch gemacht, so ist für die Bestimmung der Höhe eines etwaigen Abfindungsanspruches die Vermögenslage maßgeblich, die sich bei einer Abwicklung des Schuldners eingestellt hätte.“
Der DiskE enthielt eine solche Klausel noch nicht, weshalb verfassungsrechtliche 366 Bedenken geäußert wurden, dass hiermit in die durch Art. 9 GG geschützte negative Vereinigungsfreiheit der Altgesellschafter eingegriffen wird, wenn sich diese nunmehr in einem Verband mit neuen Mitgesellschaftern fänden, mit denen sie sich freiwillig nie zusammengetan hätten.922) Insofern liegt das maßgebliche Element des § 225a Abs. 5 InsO n. F. nicht in der 367 Schaffung eines solchen Rechts (nach dem Wortlaut setzt es die Kündigungsmöglichkeit bereits als bestehend voraus), sondern in einer Regelung zur Entschädigung bei Austritt aus der Gesellschaft. Das Austrittsrecht ist insgesamt nicht zu beanstanden; allerdings ist darauf hinzuweisen, dass dieser Fall selten sein dürfte in der Insolvenz, da der Fortbestand alter Anteilsrechte die Anwendung des Obstruktionsverbots auf obstruierende Gläubiger erschweren könnte, da hiermit nach § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO eine am Schuldner beteiligte Personen einen wirtschaftlichen Wert erhält. Dies kann nach der zugrunde liegenden absoluten Vorrangregel einzig dann der Fall sein, wenn die Gläubiger zu 100 % befriedigt werden könnten, was bei einem insolventen Unternehmen nur selten der Fall sein dürfte.
___________ 921) Siehe nur B/H/Hueck/Fastrich, Anh. Zu § 34, Rn. 18 ff. für die GmbH. Bei der AG ist dies dagegen nicht ohne weiteres der Fall, siehe hierzu Verse, ZGR 2010, 299, 322 f. Nähere Details auch bei K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 225a Rn. 40. 922) Brinkmann, WM 2011, 97, 100. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Aufoktroyierung von Mitgesellschaftern hat auch das BVerfG angestellt, ohne dass es einen solchen Fall aber bisher hätte entscheiden müssen, BVerfGE 50, 290, 356 f.
183
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht) Fraglich ist, ob den Alt-Anteilseignern die Möglichkeit gewährt werden sollte, sich 368 mit frischem Kapital an der per DES zu sanierenden Gesellschaft zu beteiligen. Diese Überlegung dürfte deswegen Charme haben, weil es in einer Abwägung hiermit nicht mehr um die oben diskutierte Frage ginge, ob den Anteilseignern in der Konsequenz ein Recht zur Blockade zusteht. Es ginge vielmehr um ein Recht auf weitere Partizipation, und zwar nicht aus einer Blockadeposition hinaus, die ihnen günstige Konditionen verschafft, sondern aus einer gleichberechtigten Stellung, bei der sie selbst nicht unerhebliche Summen aufbringen müssen. Zuerst vorgebracht wurde diese Forderung von Brinkmann923), der eine Regelung 369 begrüßt hätte, wonach es den Gesellschaftern nicht verwehrt werden dürfe, sich an der Sanierung zu beteiligen, wenn diese bereit wären, in demselben Umfang wie die Gläubiger Sanierungsbeiträge zu leisten.924) Dies spricht auch Hölzle925) an, der dabei aber klar stellt, dass dies nur durch effektive Einlageleistung per Bareinlage mit frischem Kapital nach §§ 14, 19 GmbHG, §§ 23, 182 AktG geschehen könne.926) Für den DES außerhalb der Insolvenz hatte schon Ekkenga927) ein Recht auf Barkapitalerhöhung zum Zwecke der Quotenerhaltung ausgemacht, wenn die Investitionsbereitschaft der Altgesellschafter von vornherein feststehe, der umwandelnde Gläubiger sich der Kooperation mit diesen aber entzieht. Simon/Merkelbach928) sehen ein solches Recht der sanierungswilligen Gesellschafter auf einen Verbleib in der
___________ 923) Brinkmann, WM 2011, 97, 101. 924) Auch K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2088 empfahl, „neuerlich über die Kombination von Kapitalherabsetzung auf Null und Bezugsrechtsausschluss im Insolvenzplan nachzudenken, mindestens, aber nicht nur, für die Insolvenz geschlossener Gesellschaften“, denn die Neuregelung verheiße für Unternehmenseigner „nicht Gutes, wenn nicht doch Abhilfe durch Auslegung oder durch Änderung der §§ 225a ff. InsO geschaffen wird.“ 925) Hölzle, KTS 2011, 291, 321 f., wobei fraglich ist, wie er zu verstehen ist: er fordert nämlich nicht explizit ein solches Recht der Anteilseigner, sondern spricht davon, dass eine weitere Beteiligung zuzulassen sei (also etwa nicht die Verweigerung der Planbestätigung zur Folge hätte); andererseits spricht er auch von der Erlaubnis, „sich finanziell an der effektiven Kapitalerhöhung (erneut) zu beteiligen und die früheren Mitgliedschaftsrechte so zu erhalten bzw. vor einer Verwässerung zu schützen“, was als „Recht“ auf Beteiligung verstanden werden könnte. Vgl. zuletzt Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 12: den Alt-Anteilseignern sei die Möglichkeit einzuräumen, durch Teilnahme an einer Barkapitalerhöhung einer vollständigen Enteignung entgegen zu wirken. 926) Hölzle NZI 2011, 124, 128; Hölzle, KTS 2011, 291, 321 f. Hiermit sollte klar gestellt werden, dass insbesondere eine Umwandlung von Forderungen eines Gesellschafters auf Rückzahlung eines Darlehens ausgeschlossen werden müsste, da diese in der Insolvenz nachrangig sind. 927) Ekkenga, ZGR 2009, 581, 611. 928) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125 ff.; zustimmend H.-F. Müller, KSzW 2013, 65, 68.
185
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
Gesellschaft als Ausfluss des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG.929) Rechtstechnisch ordnen sie es als Bezugsrecht ein.930) Dies ist insofern folgerichtig, als dass ein solches Bezugsrecht nach den gesellschaftsrechtlichen Regelungen jedem Anteilseigner bei der Kapitalerhöhung ohnehin zusteht und somit beim DES ausgeschlossen werden müsste, wenn die Anteilseigner von der weiteren Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollen.931)
370 Die Frage, inwiefern ein solches „Bezugsrecht“ besteht, inwiefern es ausgeschlossen werden kann und inwiefern der Insolvenzplanersteller dies im Insolvenzplan implementieren kann, soll hier unter vier maßgeblichen Gesichtspunkten untersucht werden. So sollen zunächst die Grundlagen des Bezugsrechts und insbesondere die von der Rspr. aufgestellten Regeln für einen Bezugsrechtsausschluss dargelegt werden (I.) und im Folgenden die Probleme aufgezeigt werden, die sich bei Übertragung dieser Grundsätze ins Insolvenzplanverfahren ergeben würden (II.). Im Anschluss soll dann untersucht werden, inwiefern ein solches Bezugsrecht aus systematischen (III.) und anreiztechnischen Gründen (IV.) vorzugswürdig sein kann.
371 Die folgende Analyse soll dabei nicht nur die Frage behandeln, ob die Alt-Anteilseigner ein solches Bezugsrecht erfolgreich für sich reklamieren können, sondern auch, ob sich die Gläubiger gegen einen Plan wehren können, der den Alt-Anteilseignern dieses Recht zuerkennt. Dabei wird auch die Frage des Insolvenzplaninitiativrechts, insbesondere bei der Eigenverwaltung, einzugehen sein. Dies führt zu drei verschiedenen Lösungen, die (unten in der Stellungnahme unter VII.) gegenübergestellt und deren Vor- und Nachteile untersucht werden:
372 Nach einer Lösung 1 wäre den Alt-Anteilseignern immer zwingend ein Bezugsrecht zuzuerkennen. ___________ 929) Siehe hierzu aber bereits oben § 6. III. 4. e), wo dargelegt wurde, dass ein Bezugsrecht nicht bereits zwingend aus Art. 14 GG folgt. 930) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126. 931) Siehe hierzu nur den Wortlaut des § 225a Abs. 2 S. 3 InsO n. F.: „Insbesondere kann der Plan (…) den Ausschluss von Bezugsrechten (…) vorsehen.“ Die Notwendigkeit des expliziten Ausschlusses könnte nur insofern in Frage gestellt werden, als dass beim DES in der Insolvenz in der Regel zugleich eine Kapitalherabsetzung auf Null vorgenommen wird, um die Alt-Eigner die aufgelaufenen Verluste tragen zu lassen, und erst danach das Kapital wieder erhöht wird. Hier könnte insofern angezweifelt werden, ob überhaupt ein solches Bezugsrecht besteht, wenn vorher die Anteile schon untergegangen sind. Allerdings ist zu beachten, dass der Kapitalschnitt im gestaltenden Teil des Insolvenzplans zu verankern ist, womit sämtliche gesellschaftsrechtlichen Regelungen zur selben Zeit, nämlich mit Insolvenzplanbestätigung bzw. mit Registereintragung, in Kraft treten. Somit handelt es sich um ein zusammenhängendes Paket, das auch als Ganzes zu betrachten ist. Der Insolvenzplanersteller könnte bei solch statischer Sichtweise das Bezugsrecht sonst auch einfach ausschalten, indem er die Kapitalherabsetzung zeitlich vorher eintreten lässt. Daher spricht vieles dafür, dieses ggf. bestehende Recht der Anteilseigner als Bezugsrecht zu begreifen. Es könnte auch anders bezeichnet werden; dies würde aber an der grundsätzlichen Frage der Gebotenheit oder Nicht-Gebotenheit eines solchen Rechts nichts ändern.
186
I. Grundlagen des Bezugsrechts
Nach einer Lösung 2 bestünde kein zwingendes Bezugsrecht, allerdings könnte ein 373 Insolvenzplan, der eine weitere Beteiligung der Alt-Anteilseigner gegen Barkapital vorsieht, von den Gläubigern nicht durch mehrheitliche Ablehnung innerhalb ihrer Gruppe verhindert werden. Nach einer Lösung 3 stünde den Alt-Eignern ebenfalls kein einforderbares Recht 374 auf weitere Beteiligung zu; zudem könnte ein Insolvenzplan, der eine solche weitere Beteiligung vorsähe, nicht gegen die Mehrheit der Gläubiger auch nur einer Abstimmungsgruppe durchgesetzt werden.932)
I.
Grundlagen des Bezugsrechts
1.
Herleitung
Das Recht, bei einer Kapitalerhöhung neue Anteile im Verhältnis seiner bisherigen 375 Anteilsquote zeichnen zu können, ist positivrechtlich allein im Aktienrecht in § 186 AktG geregelt. Nach dieser Vorschrift muss jedem Aktionär auf sein Verlangen ein seinem Anteil an dem bisherigen Grundkapital entsprechender Teil der neuen Aktien zugeteilt werden. Hiermit soll der einzelne Aktionär insbesondere auch davor geschützt werden, dass, neben seiner Beteiligungsquote, der Aktienkurs verwässert wird, da je nach Ausgabebedingungen der innere Wert der Beteiligungen leiden kann. Indem dem Aktionär die Möglichkeit der Zeichnung neuer Aktien gegeben wird, kann er von diesen Bedingungen ebenfalls profitieren.933) Art. 33 der Richtlinie 2012/30/EU934) sieht ein Bezugsrecht nur bei Barkapita- 376 lerhöhungen vor.935) Wenn die Rechtslage in Deutschland ein solches grundsätzlich auch bei Sachkapitalerhöhungen vorsieht, geht es (zulässigerweise) darüber hinaus. Im GmbH-Recht ist das Bezugsrecht nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt. Jedoch 377 ist allgemein anerkannt, dass sich ein solches aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der Treuepflicht ergibt.936) Dies wird damit begründet, dass die GmbHGesellschafter den Gefahren durch Verwässerung ebenso ausgesetzt seien wie die
___________ 932) Näher zu den drei Lösungen und deren jeweilige Anknüpfung an § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO jeweils unten VI. a. E. 933) Und sei es nur indirekt, indem er sein Bezugsrecht veräußert an einen Marktteilnehmer, der an den günstigen Ausgabebedingungen interessiert ist. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Bezugsrechts siehe K. Schmidt, GesR, § 29 III. 2. c) (S. 903) Fn. 113. 934) RL 2012/30/EWG v. 25.10.2012, Abl. L 315 S. 74; bis zum 3.12.2012: Art. 29 der 2. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie 77/91/EWG vom 13. Dez 1976, ABl. 1977 Nr. L 26, S. 1. 935) MüKo-AktG/Peifer, § 183 Rn. 38. 936) Wegmann, Münch Hdb. GesR, Band 3, § 53 Rn. 24; L/H/Lutter, § 55 Rn. 17.
187
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
Aktionäre; zudem seien Erstere durch die personalistische Struktur der GmbH sogar noch schutzwürdiger als die Aktionäre einer AG.937)
2.
Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss außerhalb der Insolvenz
378 Das dem Aktionär zustehende Bezugsrecht kann ausgeschlossen werden. Da die Rechtsprechung hierin aber einen besonders schweren Eingriff in die Mitgliedschaft sieht, wird ein Ausschluss nur unter engen Voraussetzungen zugelassen. § 186 AktG sagt selbst nichts aus über die Voraussetzungen, unter denen ein solcher Ausschluss möglich ist, sondern regelt lediglich in § 186 Abs. 3 AktG als formelle Voraussetzung, dass ein solcher Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts einer Mehrheit von ¾ der anwesenden Stimmberechtigten bedarf, wenn die Satzung hierfür nicht höhere Mehrheiten vorsieht. Eine niedrigere Schwelle ist dabei nach § 186 Abs. 3 S. 3 AktG nicht möglich.938)
a) Materielle Voraussetzungen 379 In materieller Hinsicht ist Voraussetzung für einen Ausschluss, dass dieser den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Die hierfür von Rspr. und Literatur entwickelte Inhaltskontrolle setzt an der Vorgabe an, dass der Bezugsrechtsausschluss das angemessene und am besten geeignete Mittel zur Verfolgung überwiegender Gesellschaftsinteressen ist.939) Im Detail bedeutet dies, dass die Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss dem wohl verstandenen Interesse der Gesell___________ 937) L/H/Lutter § 55 Rn. 17. Anders als bei der AG kann das Bezugsrecht bei der GmbH allerdings schon in der ursprünglichen Satzung ausgeschlossen werden, § 186 Abs. 3 S. 1 AktG gilt insofern nicht analog, L/H/Lutter § 55 Rn. 20. Dies ist insofern unproblematisch, als dass sich damit die Frage eines Bezugsrechts gar nicht stellen würde. Es wäre nur anders zu beurteilen, wenn man mit Rekurs auf Art. 14 oder Art. 9 GG zu der Erkenntnis kommt, dass ein Bezugsrecht zwingend zuerkannt werden muss (was vorliegend abgelehnt wurde, s. o. § 6. III. 4. e); auch dann müsste sich die Satzungsbestimmung aber durchsetzen, da auf Grundrechte zwischen Privatpersonen verzichtet werden kann. 938) Im Rahmen einer Bankenreorganisation sieht das KredReorgG in § 18 Abs. 3 S. 1 allerdings für den Fall eines Bezugsrechtsausschlusses (und für den Fall einer Kapitalherabsetzung) eine Mehrheit vor, die mindestens 2/3 der abgegebenen Stimmen oder des vertretenen Grundkapitals umfasst. Es reicht sogar die einfache Mehrheit, wenn die Hälfte des Grundkapitals vertreten ist. Insofern wird also von § 186 Abs. 3 S. 3 AktG abgewichen. Dies geschieht mit Blick auf die Tatsache, dass die spezifische Hauptversammlung in das Reorganisationsverfahren eingebunden ist (weshalb grundsätzlich die einfache Mehrheit reicht, § 133 AktG), die Zweite Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (bzw. nunmehr Nachfolgerichtlinie 2012/30/EWG) aber für bestimmte Beschlüsse qualifizierte Mehrheiten verlangt, RegE-KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 54. Das KredReorgG orientiert sich am AktG, weil der Großteil der für eine Reorganisation im Rahmen dieses Gesetzes in Betracht kommenden Kreditinstitute als AG organisiert sein dürften. Wo dies nicht der Fall ist, sind Gesellschafterbeschlüsse zwar auch nötig, aber wohl nicht im Rahmen einer gesonderten Hauptversammlung, da die in § 18 KredReorgG statuierten Sonderregeln eingefügt wurden, um den Vorgaben der 2. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zu genügen, so Schuster/Westphal, DB 2011, 221, 229. 939) BGHZ 83, 319, 321; BGHZ 125, 239, 244.
188
I. Grundlagen des Bezugsrechts
schaft dienen muss940) und der Ausschluss zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich ist.941) An der Geeignetheit und Erforderlichkeit kann es fehlen, wenn gleichwertige Alternativen möglich sind, die ohne einen Bezugsrechtsausschluss auskommen. Die Prüfung der Angemessenheit setzt voraus, dass eine Abwägung der Interessen 380 der Gesellschaft an dem Ausschluss und den dadurch den Aktionären entstehenden Nachteilen (Verwässerung der Beteiligung und des Anteilswerts) stattfindet. Nur wenn die Interessen der Gesellschaft im Einzelfall überwiegen und keine Alternativen in Sicht sind, die die Aktionäre weniger belasten, ist der Bezugsrechtsausschluss auch angemessen. Diese Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung sind dabei umso höher, je schwerwiegender der Eingriff in die Rechtsposition der Gesellschafter ist.942) Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob im Rahmen der Abwägung der an der Entscheidung beteiligten Organe „gesellschaftsfremde Erwägungen“943) Einfluss gefunden haben. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist dabei aber nicht die objektive Richtigkeit der Entscheidung, sondern allein die Vertretbarkeit des unternehmerischen Urteils.944) Als Grundregel kann angenommen werden, dass ein Bezugsrechtsausschluss bei 381 einer Barkapitalerhöhung im Zweifel unzulässig ist.945) Denn für die Gesellschaft ___________ BGHZ 136, 133, 140; Kraft/Krieger, in: Münch Hdb. GesR, Band 4, § 56 Rn. 77. Kraft/Krieger, in: Münch Hdb. GesR, Band 4, § 56 Rn. 78. Pujol, S. 38. BGHZ 71, 40, 50. LG Heidelberg, ZIP 1988, 1257, 1258; Lutter, ZGR 1979, 401, 407 (zu Kali + Salz-Entscheidung). Zur weiteren Kasuistik: ein Rechtfertigungsgrund wird zum Teil auch angenommen, wenn eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht aufgrund der schwierigen Situation auf dem Kapitalmarkt vermutlich scheitern würde und bei Ausschluss desselben die Platzierung möglich wäre, Kraft/ Krieger, Münch Hdb. GesR, Band 4, § 56 Rn. 82. Der Bezugsrechtsausschluss zwecks Erreichens einer Squeeze-Out-Mehrheit ist grundsätzlich nicht zulässig, a. a. O. Rn. 80. Dies kann aber anders sein in Sanierungssituationen, wenn hierdurch ermöglicht werden soll, Anteile en bloc zu vergeben. Dann allerdings gelten erhöhte Anforderungen an die Angemessenheitsprüfung und den Vorstandsbericht, a. a. O. Rn. 83; LG Frankfurt, DB 2003, 2541 f. Bei Sachkapitalerhöhung durch Einbringung eines Betriebes sind an die Rechtfertigung wiederum hohe Anforderungen zu stellen, wenn sich aus der Einbringung ergibt, dass die Gesellschaft in eine Abhängigkeitssituation gerät, Großkommentar/Wiedemann § 186 Rn. 172 (besondere Rechtfertigung); Kraft/Krieger, Münch Hdb. GesR, Band 4, § 56 Rn. 85; KK-AktG/Lutter, 2. Aufl., 1995, § 186 Rn. 71 u. 82. Die Zulässigkeit des Bezugsrechtsausschluss bei der rückwirkenden Umwandlung von Anleihen in Wandelanleihen auf Basis des neuen § 5 SchVG zwecks Durchführung eines DES wird bejaht, siehe Maier-Reimer, FS Goette, 2011, S. 301, 307: könne nicht ernstlich angezweifelt werden. 945) So BGH NJW 1982, 2444, 2446 – Holzmann; MüKo-AktG/Peifer § 186 Rn. 91; weniger streng sind die Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss, wenn die Kapitalerhöhung 10 % des bisherigen Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabepreis den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet, § 186 Abs. 3 S. 4 AktG (sog. vereinfachter Bezugsrechtsausschluss). Da der Gesetzgeber bei einer solch niedrigen Kapitalerhöhung die Gefahr der Verwässerung oder des Einflussverlustes als gering ansieht, sei das Schutzbedürfnis der bisherigen Aktionäre hier nicht gegeben. Dies gilt allerdings ausdrücklich nur für die Bareinlage, Kraft/Krieger, in: MünchHdb GesR, Band 4, §§ 56 Rn. 86. 940) 941) 942) 943) 944)
189
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
kann nur das Interesse bestehen, überhaupt Eigenkapital einzuwerben; von wem dies stammt, ist irrelevant. Im Gegenzug ist ein Bezugsrechtsausschluss oft gerechtfertigt, wenn eine Sacheinlage erbracht werden, also etwa ein Unternehmen eingebracht werden soll. Hier liegt es nahe, dass ein Interesse der Gesellschaft besteht, das Unternehmen einzubringen und deren bisherige Eigner mit einer gewissen Prozentzahl an der Gesellschaft zu beteiligen.946)
b) Bezugsrechtsausschluss bei Einbringung von Forderungen 382 Nun stellt die Kapitalerhöhung durch Einbringung von Forderungen gegen die Gesellschaft im Grundsatz eine Sacheinlage dar. Allerdings unterscheidet sie sich von der Sacheinlage z. B. in Form einer Maschine oder eines Unternehmens, an deren Erwerb das Unternehmen ein „dringendes Interesse“947) hat und bei der der Bezugsrechtsausschluss bereits in dieser Tatsache seine Rechtfertigung finden kann. Denn die Forderungen lauten lediglich auf eine Geldzahlung, womit das Interesse der Gesellschaft auf Einbringung der Forderung allein in deren Wegfall und damit der Verbesserung der Liquiditätslage liegt. Derselbe Effekt könnte aber auch durch eine Barkapitalerhöhung erzielt werden, um mit den daraus erzielten Mitteln den Gläubiger zu befriedigen.948)
383 Entsprechend höhere Anforderungen werden in diesem Fall an einen Bezugsrechtsausschluss gestellt.949) So vertritt die h. M. auch im Ausgangspunkt die NichtZulässigkeit des Bezugsrechtsausschluss trotz ihres Sacheinlagecharakters, solange die Mittel auch durch Barkapital beschafft werden könnten.950) Dies soll lediglich dann anders sein, wenn ein Sanierungsfall vorliegt und sich nur der Forderungsinhaber bereit erklärt, durch die Umwandlung seiner Forderungen in Eigenkapital einen Sanierungsbeitrag zu leisten, dies zugleich aber davon abhängig macht, dass eine hinreichende Beteiligungsquote erreicht wird.951) Dabei wird auch darauf abge___________ 946) So der Fall Kali+Salz BGHZ 71, 40; zu weiteren Beispielen, in denen ein Bezugsrechtsausschluss zugelassen wurde, siehe Kraft/Krieger, in: Münch Hdb. GesR, Band 4, § 56 Rn. 80 ff. 947) Im Sinne von BGHZ 71, 40, 46 (Kali + Salz). 948) GroßkommAktG/Wiedemann, § 186 Rn. 169. Zu der rechnerischen Tatsache, dass aus Sicht der Gläubiger eine Erhöhung der Aktiva durch Bareinlage sogar besser ist als eine bloße Reduzierung der Verbindlichkeiten (allerdings nur in dem Fall, dass auch nach der Kapitalerhöhung eine Überschuldung fortbesteht) siehe Spliedt, GmbHR 2012, 462, 463. 949) BGH NJW 1982, 2444, 2446 – Holzmann: „Bezugsrechtsausschluss nur verhältnismäßig selten sachlich zu rechtfertigen“. 950) Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rn. 35; MüKo-AktG/Peifer, § 183 Rn. 39; Füchsel, BB 1972, 1533, 1538. 951) Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rn. 35; MüKo-AktG-Peifer, § 183 Rn. 39; siehe auch Seibt, Der Konzern 2009, 270 Fn. 55 mit weiteren Nachweisen; GroßkommAktG/Wiedemann, § 186 Rn. 169 nennt als Beispiele: ein Gläubiger macht die vorzeitige Tilgung gerade seiner Forderung von einem Aktienbezug abhängig; ein Aktionär ist wegen des Vorwurfs einer (sonst drohenden) verdeckten Sacheinlage nicht willens oder finanziell nicht in der Lage, eine Geldeinlagepflicht zu übernehmen, während die Gesellschaft auf der anderen Seite auf die Tilgung gerade dieser Schuld besonders angewiesen ist.
190
I. Grundlagen des Bezugsrechts
stellt, dass eine insolvente Gesellschaft einem potentiellen Geldgeber gegenüber nicht eine vergleichbar starke Verhandlungsposition besitzt wie ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen und dabei nur vor der Wahl steht, die Bedingungen des Investors hinzunehmen oder die Sanierung scheitern zu lassen.952) Somit tritt im Rahmen der Abwägung das Interesse der Anteilseigner am Erhalt ihrer 384 Beteiligungsquote hinter dem Interesse an einer erfolgreichen Sanierung zurück.953) Mit Verweis auf diese Rspr. wird daher ein Bezugsrechtsausschluss bei eingetretener 385 Insolvenz auch für möglich gehalten, weil der DES in der Insolvenz immer zur Sanierung geschehe. Allerdings wird dabei gerade die entscheidende Frage selten gestellt, ob wirklich nur die umwandelnden Gläubiger zur Leistung von (daneben nötigem) Barkapital bereit sind. Teils wird diesbezüglich eine ausdrückliche Ausnahme gefordert für den Fall, dass über den distressed debt-Handel erworbene Forderungen umgewandelt werden sollen und die umwandlungswilligen Gläubiger jede Kooperation mit ebenfalls investitionsbereiten Alt-Anteilseignern ablehnen; dieser Fall sei anders zu behandeln, weil der Beteiligungswunsch des Sanierers dann keinen Rechtfertigungsgrund im Sinne der anerkannten Kategorien darstelle.954)
c)
Notwendige Barkapitalerhöhung bei Kapitalherabsetzung auf Null
Kann also der Einwand, eigentlich sei doch eine Barkapitalerhöhung vorzugswürdig, 386 noch abgewehrt werden mit Verweis auf den Sanierungszweck, wird dies beim DES in der Insolvenz zusätzlich dadurch problematisch, dass die Barkapitalerhöhung vielfach ohnehin stattfinden muss. Denn regelmäßig wird mit dem DES eine vereinfachte Kapitalherabsetzung auf Null einhergehen.955) Diese ist aber nur dann möglich, wenn durch eine zeitgleich beschlossene Kapitalerhöhung die Höhe des gesetzlich vorgeschriebenen Grundkapitals wieder erreicht wird. Dies kann allerdings nur per Bareinlage geschehen, da Sacheinlagen diesbezüglich nach § 58a Abs. 4 S. 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG ausdrücklich ausgeschlossen sind.956) Somit ergeben sich zwei Optionen: entweder muss neben der Sacheinlage in Form 387 der einzubringenden Forderungen von den Gläubiger-Investoren957) auch eine Bar___________ 952) LG Heidelberg, ZIP 1988, 1257, 1258; LG Frankfurt DB 2003, 2541; (weniger deutlich) BGH Holzmann, NJW 1982, 2444, 2446 – Holzmann. 953) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125; Noack, FS Zöllner, 1998, 411, 423 f. 954) Ekkenga, ZGR 2009, 581, 612 zur Situation außerhalb der Insolvenz. 955) Details siehe oben § 3. I. zur gesellschaftsrechtlichen Durchführung. 956) Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 75 befürwortet aus diesem Grund eine teleologische Reduzierung der § 58a Abs. 4 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG mit der Behauptung, der Gesetzgeber habe eine eigentlich notwendige Befreiung schlicht übersehen. Dieser Einschätzung kann aber kaum zugestimmt werden, da der Schutzgedanke der § 58a GmbHG, § 228 AktG im Grundsatz weiter Bestand haben kann und ein solches Übersehen des Gesetzgebers nicht ohne weiteres angenommen werden kann. 957) Oder Dritt-Investoren.
191
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
einlage erbracht werden in Höhe des jeweiligen Mindestkapitals.958) Oder es wird von einer Herabsetzung auf Null abgesehen und nur auf EUR 25.000 bzw. EUR 50.000 herabgesetzt; damit würden die Anteilseigner, wenngleich in der Anteilshöhe verringert, beteiligt bleiben. Letztere Option wäre aber sehr problematisch, da dies in der Insolvenz eine Wertzuwendung an die Alt-Anteilseigner (in Form einer Werterhaltung) i. S. d. § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO n. F. darstellen könnte, die eine Anwendung des Obstruktionsverbots gegenüber ablehnenden Gläubigern unmöglich machen würde.959)
388 Erstere Option ist somit für den Insolvenzplanersteller vielfach wünschenswerter. Dann stellt sich aber wieder die Problematik, dass die Anteilseigner entweder schon die Beteiligung an dieser Kapitalerhöhung auf EUR 25.000 oder 50.000 fordern werden, zumindest aber darauf verweisen werden, dass die Anforderungen an ___________ 958) Was wirtschaftlich ohnehin vernünftig ist, da der DES sich zumeist im Rahmen eines Gesamtsanierungskonzepts am besten eignet, bei dem regelmäßig auch frische Mittel investiert werden müssen. 959) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508: ohne neuen Kapitalbeitrag wird weitere Beteiligung der Alt-Anteilseigner „schwierig“. Eine abweichende Ansicht haben zuletzt Wieneke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 699 f. vertreten, die ein Stehenlassen und damit ein Verbleib etwa von 20 % der Anteilen bei den Alt-Anteilseignern wohl nicht als Verstoß gegen § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO sehen wollen. Dieses Ergebnis ist allerdings äußerst fraglich: zwar mag es vor dem ESUG h. M. gewesen sein, dass in der bloßen Fortführung der Gesellschaft durch deren Anteilseigner nicht zwingend eine Wertzuwendung an diese liegen sollte. Vielmehr sollte je nach Einzelfall geschaut werden, wie sich der bilanzielle Wert nach dem Plan darstellt, ob es dritte Interessenten als Käufer gab (umfassend hierzu N/R/Braun, § 245 Rn. 25 ff.) und ob nicht eine Kompensation der Wertzuwendung durch Wertzufuhr seitens der Alt=Neu-Anteilseigner erfolgt, siehe hierzu Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 704 ff. Daraus aber zu schließen, dass unter der neuen Rechtslage auch im Rahmen eines DES den Alt-Anteilseignern ohne weiteres ein Teil ihrer Anteile belassen werden könnte, obwohl gleichzeitig Gläubiger auf Forderungen verzichten, ist eine zweifelhafte Folgerung hieraus (abgesehen davon, dass die zitierte BraunKommentierung von 2005 als Referenz dafür genommen wird, dass eine andere Betrachtung „den durch das ESUG (von 2012, Anm. des Verfassers) geschaffenen Möglichkeiten jedenfalls nicht gerecht“ würde (Wieneke/Hoffmann a. a. O. Fn. 24 und 23)). Vielmehr begründete sich die früher h. M. wohl maßgeblich auch darauf, dass ohne die Zustimmung der AltAnteilseigner eine Fortführungsreorganisation gar nicht möglich war, so dass die Fortführung durch die selben Anteilseigner gewissermaßen pragmatisch hingenommen wurde, weil sonst § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO niemals erfüllt gewesen wäre, also das Obstruktionsverbot nie gegriffen hätte, was in der Tat nicht im Sinne des ursprünglichen InsO-Gesetzgebers hatte sein können. Nunmehr aber kann in die Anteilsrechte eingegriffen werden, womit ein solcher Pragmatismus nicht mehr nötig ist: vielmehr setzt sich nunmehr die absolute Vorrangregel durch, nach der die Alt-Anteilseigner erst etwas erhalten, wenn Gläubiger zu 100 % befriedigt wurden. Angemerkt sei auch, dass auch Braun a. a. O. Rn. 26 (zweiter Spiegelstrich) schon zum alten Recht dann eine Wertzuwendung an Alt-Anteilseigner bejahte, wenn durch die anderen Planmaßnahmen „der Verzicht oder die Entlastung in sonstiger Weise auf der Passivseite so stark wirkt, dass wieder ein positives Kapital entsteht“. Dies geschieht aber gerade (idealerweise) beim DES, so dass im Folgenden davon ausgegangen wird, dass eine Belassung von Anteilen bei den Alt-Anteilseignern, von Einzelfällen abgesehen, eine Wertzuwendung an diese darstellt, die eine Anwendung des Obstruktionsverbots auf obstruierende Gläubiger aufgrund von § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO unmöglich machen würde.
192
I. Grundlagen des Bezugsrechts
einen Bezugsrechtsausschluss bei der (dann ja stattfindenden) Barkapitalerhöhung (noch) höher sind.
d) Keine Vorzugswürdigkeit einer vorgeschalteten Barkapitalerhöhung Als Lösung wird für die Situation außerhalb der Insolvenz gelegentlich darauf ver- 389 wiesen, dass es nahe liege, zum Zwecke der Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Beteiligungsquote der Sachkapitalerhöhung eine Barkapitalerhöhung voranzuschicken.960) Erbringe die Barkapitalerhöhung ohne Bezugsrechtsausschluss von den Alt-Anteilseignern nicht die volle Höhe des benötigten Kapitals, so solle dies anschließend in einem zweiten Schritt durch (Teile der) umzuwandelnden Forderungen eingebracht werden. Diese auf den ersten Blick elegante Lösung stößt im Insolvenzplanverfahren aber 390 auf Grenzen: denn damit geht eine gewisse Planungsunsicherheit einher, die sich mit dem Insolvenzplan kaum verträgt. Zwar ist die Bewertung der Forderungen hiervon nicht primär betroffen, denn diese hängt nach hier vertretener Ansicht nicht davon ab, wie viel Barkapital neben den umgewandelten Forderungen aufgebracht wird.961) Auch die Tatsache, dass bei großem Interesse der Alt-Anteilseigner weniger Forderungen umgewandelt würden, ändert die Bewertung primär nicht: zwar würde die Gesellschaft hierdurch von weniger Verbindlichkeiten befreit; da aber auch mehr Barkapital aufgebracht wird, könnte dies zur Befriedigung der (gekürzten) Verbindlichkeiten benutzt werden, so dass sich hierdurch bei wirtschaftlicher Betrachtung zunächst nichts ändert. Es verbleibt allerdings die Problematik, dass sämtliche Beteiligten im Vorhinein 391 wissen müssen, wie die Kapitalstruktur des Unternehmens nach Insolvenzplanbestätigung aussehen soll, um entscheiden zu können, ob sie dem Plan zustimmen oder nicht.962) Ebenso muss das Gericht dies wissen, um über die Planbestätigung entscheiden zu können. Dies wäre nicht möglich, wenn zunächst eine Barkapitalerhö___________ 960) Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rn. 35; Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983, 984; auch GroßkommAktG/Wiedemann § 186 Rn. 169 spricht sich für eine gemischte Bar/Sacheinlage aus, die für den richtigen Interessenausgleich sorgen könne. Für das GmbH-Recht Bork/Schäfer/ Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rn. 28. Siehe auch KK-AktG/Lutter, 2. Aufl., 1995, § 186 Rn. 80 zu einer ähnlichen Konstruktion, bei der außerhalb der Insolvenz die Einnahmen aus der Barkapitalerhöhung genutzt werden, um nicht-umwandelnde Gläubiger abzulösen. 961) Dies würde erst recht gelten, wenn mit der h. M. auf die Quote abgestellt wird, die bei Liquidation des Rechtsträgers zu erwarten wäre, weil nach dieser Ansicht Sanierungseffekte überhaupt keine Berücksichtigung finden. Siehe hierzu unten § 10. IV 2. 962) Denkbar wäre höchstens das Vorsehen von genehmigtem Kapital im Insolvenzplan (§§ 202 ff. AktG, seit dem MoMiG auch in der GmbH nach § 55a GmbHG möglich). Damit verbliebe aber wieder die Frage, bis zu welcher Höhe dies zugelassen wird und was passiert, wenn die Höchstsumme erreicht wird, aber immer noch Interessenten vorhanden sind. Siehe zu einer „DES-Option“ über das genehmigte Kapital unten Fn. 1401.
193
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
hung durchzuführen wäre, deren Umfang noch unklar ist.963) Hinzu kommt auch, dass dies wieder Trittbrettfahrer anlocken könnte: die Anteilseigner könnten auf die Idee kommen, sich ihr Bezugsrecht mit Hinweis auf die hiermit mögliche Beschleunigung des Verfahrens abkaufen zu lassen.964) Daher ist diese Vorgehensweise keine gangbare Option im Insolvenzplanverfahren. Vielmehr muss im Vorhinein festgelegt werden, ob nur die benötigten EUR 25.000 oder 50.000 (oder mehr) per Bareinlage aufgebracht werden und wer diese Bareinlage erbringen wird. Dies kann durchaus zum Gegenstand der Verhandlungen gemacht werden.965) Entscheidende Frage bleibt aber, ob die Alt-Anteilseigner ihre Beteiligung erzwingen können.
II. Geltung dieser Maßstäbe im Insolvenzplanverfahren 1.
Problemaufriss
392 Fraglich ist aber, inwieweit die oben dargelegten Maßstäbe auch im Insolvenzplanverfahren noch Anwendung finden können. Eine Übertragung der Grundsätze auch auf die Insolvenzplansanierung nach dem ESUG wird vielfach angenommen: die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses sei in der Regel gegeben, wenn „die sanierungswillige Mehrheit von Gläubigern ihn im Interesse der Sanierung verlangt, diese anderenfalls gefährdet wäre“.966) Problematisch ist dabei allerdings, dass dies eben die Gläubigermehrheit beschließt, nicht die qualifizierte Mehrheit der Anteilseigner.
a) Keine Notwendigkeit der ¾-Mehrheit im Insolvenzplan 393 Denn dass der Bezugsrechtsausschluss im Interesse der Gesellschaft liegt, kann bei einem DES außerhalb der Insolvenz als vermuteter Regelfall angenommen werden: wenn die notwendige ¾-Mehrheit der Anteilseigner der Kapitalerhöhung zustimmt, ___________ 963) Auch ist zu klären, ob ein Interesse umwandlungswilliger Gläubiger, einen gewissen Anteil am reorganisierten Unternehmen zu erhalten, beachtlich sein kann. Selbst wenn es aber nicht als schutzwürdiges Interesse angesehen würde, so haben die umwandelnden Gläubiger jedenfalls aufgrund ihrer zwingend notwendigen Zustimmung zur Forderungsumwandlung (die Zwangsumwandlung ist nicht möglich) hier eine starke Verhandlungsposition, so dass eine solche Hintereinanderschaltung zweier Kapitalerhöhungen ohne Zustimmung sämtlicher umwandlungswilliger Gläubiger nicht möglich wäre. 964) So Ekkenga, ZGR 2009, 581, 611. 965) Zur Klarstellung muss hier erwähnt werden, dass hiermit nicht gesagt wird, dass nicht im Planaufstellungsprozess eruiert werden könne, ob die Alt-Anteilseigner an der Teilnahme an einer Barkapitalerhöhung interessiert seien. Ganz im Gegenteil ist dies eine denkbare Option, die vom Insolvenzverwalter überprüft werden sollte (so i. E. K. Schmidt bei seinem Vortrag auf dem Insolvenzrechtstag 2013 in Düsseldorf: Alt-Anteilseignern muss im Vorhinein zumindest das Angebot gemacht werden, sich zu beteiligen, sie dürften nicht gänzlich ignoriert werden). 966) Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 19. Nach MüKo-InsO/Eidenmüller, § 225a Rn. 50 soll ein Bezugsrechtsausschluss ohne Weiteres, insbesondere ohne Heranziehung materialer Kriterien (wie sachliche Rechtfertigung, Erforderlichkeit o. ä.) möglich sein.
194
II. Geltung dieser Maßstäbe im Insolvenzplanverfahren
so ist damit im Regelfall zugleich gesagt, dass es keine ausreichende Zahl von Anteilseignern gibt, die bereit sind, das Barkapital aufzubringen und die Gesellschaft mit frischem Kapital zu versorgen.967) Dies ist in der Insolvenz aber keineswegs zwingend ebenso der Fall. Hier garan- 394 tiert keine Notwendigkeit der ¾-Mehrheit, dass keiner der bisherigen Anteilseigner stattdessen die Erhöhung vornehmen will. Zwar kann eine Basis für eine solche Vermutung, wenngleich geschwächt, dann bestehen, wenn die Anteilseigner dem Insolvenzplan, der ihre Rechte untergehen lässt und ihr Bezugsrecht ausschließt, mehrheitlich968) zustimmen. Wenn die ablehnende Haltung der Alt-Anteilseigner (wie wohl oftmals) aber erst durch Anwendung des Obstruktionsverbots nach § 245 Abs. 1, Abs. 3 InsO überwunden werden muss, also dies auch gegen die ablehnende Mehrheit der Anteilseigner durchgesetzt wird, dann kann von einer solchen Vermutung nicht mehr ausgegangen werden. Im Rahmen des außerinsolvenzrechtlichen Gesellschaftsrechts sind die Regelungen 395 und die Kasuistik zum Bezugsrechtsausschluss somit als eine Art Minderheitenschutz zu sehen: zwar muss eine ¾-Mehrheit der (anwesenden) Anteilseigner erreicht werden, aber dennoch schützt sie nur die ¼ der Anteilseigner, die nicht zustimmen.969) Daher wäre zu fragen, ob die ablehnende Mehrheit in der Insolvenz mit der ab- 396 lehnenden Minderheit vor der Insolvenz vergleichbar ist. Zwar ist die Ausgangsbasis insofern gleich, als dass die Ablehnung einer Gruppe von Beteiligten für unbeachtlich erklärt wird; nur basiert dies einmal auf der Mehrheitsmacht innerhalb der selben Gruppe, beim anderen Mal dagegen auf der insolvenzhierarchischen Vorrangstellung einer anderen Gruppe. In diesem Kontext könnten aus der bisherigen Passivität der Alt-Anteilseigner in 397 Bezug auf Rettungsbemühungen zunächst zwei Rückschlüsse gezogen werden: Zum einen, dass sie ohnehin kein Kapital mehr haben. Zum anderen aber auch, dass sie bewusst abwarten. Entsprechend des ersten Rückschlusses könnte das Problem als in der Praxis nicht bestehend abgetan werden, da die Anteilseigner regelmäßig kein Kapital mehr haben werden, um dies in die Firma zu investieren. Allerdings sind eben durchaus Szenarien denkbar, in denen sie bewusst „auf Risiko gehen“ und das Durchlaufen des Insolvenzplanverfahrens abwarten wollen, in dessen Verlauf die Gesellschaft durch Forderungskürzungen und durch DES (Forderungsentfall) entschuldet wird. Wenn sie sich dann wieder an der Gesellschaft beteiligen ___________ 967) Die oben Fn. 952 bereits zitierte Entscheidung des LG Heidelberg, ZIP 1988, 1257 erging zwar zu einer Gesellschaft im Konkursverfahren; nach altem Recht hatten dort aber noch die Anteilseigner zu entscheiden über die Kapitalerhöhung und das damit einhergehende Bezugsrecht. 968) Nach dem neuen § 244 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 InsO n. F. muss lediglich die Summe der Beteiligungen der zustimmenden Anteilsinhaber mehr als die Hälfte der Summe der Beteiligungen der abstimmenden Anteilsinhaber ausmachen. 969) Was sich auch daraus ersehen lässt, dass § 186 Abs. 3 S. 3 AktG keine geringere Mehrheit per Satzung zulässt, sondern lediglich eine größere Kapitalmehrheit und ggf. weitere Erfordernisse.
195
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
können, so würden ihnen die Sanierungsschritte maßgeblich zugute kommen, obwohl sie selbst kaum einen Beitrag erbracht haben, von dem Verlust ihres ohnehin entwerteten Eigenkapitals und der Einbringung frischen Kapitals abgesehen.970) Letzteres müsste zudem nicht viel sein, wenn man mit der bisher h. M. eine Einbringung der Forderungen nur zum Liquidationswert für möglich hält. Mit wenig Barkapital würden sie hier auf einen hohen Anteil kommen. Es wäre auch denkbar, dass sie Finanziers finden, die die Alt-Eigner als Strohmann vorschicken und sich die Anteile dann abtreten lassen, um so relativ günstig an eine schuldenbefreite Firma zu gelangen.
398 Diese Problematik würde somit auf die (unten zu klärende)971) Frage hinauslaufen, ob Alt-Anteilseigner das Recht haben, die Insolvenz abzuwarten und von ihr zu profitieren bzw. Vorteile aus der Insolvenzplansanierung zu ziehen.
b) Keine Rechtfertigung allein aufgrund verbesserter Bilanzstruktur 399 Im speziellen Fall des DES wird eine Rechtfertigung für den Bezugsrechtsausschluss gerade auch daraus gezogen, dass bei Sanierungsbedürftigkeit der AG die eingebrachten Forderungen nicht mehr vollwertig sind (und daher auch nur zu einem gewissen Teil eingebracht werden können), sie aber zum Nennwert getilgt werden. Diese Verbesserung der Bilanzstruktur liege dann im Interesse der Gesellschaft und ihres Unternehmens.972)
400 Dieses Argument, das außerhalb der Insolvenz sicher beachtlich ist, kann in der Insolvenz aber nur noch begrenzt Geltung beanspruchen: denn hier findet eine Forderungskürzung in den allermeisten Fällen ohnehin statt. Vor der Insolvenz kann dagegen keiner der Gläubiger gezwungen werden, auf Teile seiner Forderung zu verzichten. Dieser Sanierungsmechanismus ist insofern dem Insolvenzverfahren immanent und keine besondere Folge des DES. Allerdings könnte man es für teilweise beachtlich halten, weil durch den DES im Insolvenzplanverfahren die umgewandelte Forderung in voller Höhe entfällt und nicht lediglich teilweise. Hiergegen spricht aber wieder, dass die gekürzte Forderung mit dem Barkapital der Alt-Anteilseigner ebenso befriedigt werden könnte.973) ___________ 970) Die umwandelnden Gläubiger verzichten dagegen auf die ihnen zustehende Forderung gegen die Insolvenzmasse. 971) Unten § 7. VII. 3. b). 972) So GroßkommAktG/Wiedemann, § 186 Rn. 169; Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 75. 973) Im Argumentationskontext der Bilanzstruktur würde dies bedeuten, dass anders als beim DES der Gesellschaft durch das Barkapital sogar Aktiva zufließen, was ebenfalls eine Verbesserung darstellt. Zudem ist zu beachten, dass das Argument von Wiedemann ja darauf abstellte, dass hiermit außerhalb der Insolvenz die Gesellschaft (und damit auch deren bestehende Gesellschafter) besser gestellt werden würde. Die Verbesserung der Bilanzstruktur hilft den Anteilseignern aber nicht mehr, wenn sie durch die mit dem DES im Insolvenzplanverfahren zumeist einhergehende Kapitalherabsetzung gleichzeitig ausscheiden.
196
II. Geltung dieser Maßstäbe im Insolvenzplanverfahren
2.
Problematik der Ausübung nach Insolvenzplanbestätigung
Offen ist zudem, wie ein solches Bezugsrecht überhaupt ausgeübt werden soll in 401 einem Sonderprozessverfahren wie der Abstimmung über den Insolvenzplan. Nach den Regeln des Gesellschaftsrechts steht den Altgesellschaftern das unent- 402 ziehbare Recht zu, nach Entstehung der Bezugsrechte über deren Ausübung zu entscheiden, § 186 Abs. 1 S. 2 AktG.974) Eine solche Unsicherheit über die Frage, ob die Bezugsrechte ausgeübt werden oder nicht, widerspricht aber fundamental der Idee des Insolvenzplans als geplantem und einheitlichem Maßnahmenpaket. Fraglich ist somit, ob der Insolvenzplan hier abweichende Regelungen vorsehen kann in dem Sinne, dass sanierungswillige Anteilseigner innerhalb einer bestimmten Frist, die vor Abstimmung der Gläubigergruppen endet, die Ausübung ihres Bezugsrechts erklärt und die Mittel zudem bereitgestellt haben müssen.975) Dafür würde sprechen, dass der Insolvenzplan jede gesellschaftsrechtliche Maßnahme vorsehen kann. Dagegen würde sprechen, dass eben diese dann doch den gesellschaftsrechtlichen Regeln folgen muss, nach denen von § 186 Abs. 1 S. 2 AktG nicht abgewichen werden darf. Auch gilt die allgemeine Regel, dass der Bezugsrechtausschluss nicht damit ge- 403 rechtfertigt werden kann, dass die Bezugsrechtsausübung ungewiss sei.976) Diese Regel hält aber etwa Ekkenga beim DES generell schon nicht für anwendbar, was in der Insolvenz wohl noch mehr gelten muss.977)
3.
Umfang des Bezugsrechts
Als Sonderproblem der konkreten Umsetzung stellt sich des Weiteren die Frage, 404 welchen Umfang dieses Bezugsrecht haben könnte. Zur Auswahl stehen (1.) die Höhe der Sachkapitaleinbringung (also die Summe der Einbringungshöhe aller einzubringenden Forderungen), (2.) die Höhe des ohnehin notwendigen Barkapitals in Form des Mindestkapitals oder (3.) die betragsmäßige Wiederherstellung des ursprünglichen, vorinsolvenzrechtlichen Anteils.978) Welche gewählt würde, so Simon/ Merkelbach, sei aber letztlich beliebig, da sämtliche Maßstäbe fehlten. Daher sei eine abstrakte Bezifferung nicht möglich, sondern müsse sich als Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Akteuren der Sanierung darstellen, folglich eine wirtschaftliche Lösung sein.979) In diesem Zusammenhang weisen sie darauf hin, dass den Anteilseignern kaum eine Verhandlungsposition zukommt, sie also keine be___________ 974) Ekkenga, ZGR 2009, 581, 613. 975) So Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126: Zeichnungs- bzw. Übernahmeerklärung, die in den Insolvenzplan aufzunehmen ist. 976) OLG Celle AG 2002, 292, 293; MüKo-AktG/Peifer § 186 Rn. 95. 977) Ekkenga, ZGR 2009, 581, 610. 978) 1. und 3. erwähnend Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126. Den bisherigen Anteil als Obergrenze ansprechend Hölzle, NZI 2011, 124, 128. 979) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 127.
197
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
stimmte Beteiligung durchsetzen könnten. Daher könne zu ihren Gunsten lediglich eine Missbrauchskontrolle vorgenommen werden im Rahmen einer gerichtlichen Zurückweisung des Plans nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO oder der Versagung der Planbestätigung nach § 250 Nr. 1 InsO. Diese sei dann erfüllt, wenn den Alt-Anteilseignern gar kein Bezugsrecht zugewiesen wird oder nur eins in solch geringem Umfang, dass es nur als vorgeschoben und rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren wäre.980)
405 Dieser Einschränkung ist grundsätzlich zuzustimmen. Klar sollte auch sein, dass von Gesellschaftern nicht ausgeübte Bezugsrechte (sog. sekundäre Bezugsrechte) nicht den anderen Gesellschaftern zur Verfügung stehen sollen981), da dies auf jeden Fall den Alt-Eignern einen Wert zuwenden würde.
406 In welcher Höhe Anteile durch frisches Kapital erworben werden können, hängt wohl auch davon ab, wie die Kapitalstruktur nach Verlassen des Insolvenzplanverfahrens aussehen soll. Bleiben etwa die gesicherten Ansprüche bestehen, so könnte schon mit relativ geringem Barkapital ein hoher Anteil erworben werden.982) Zuletzt könnte sich das Problem ergeben, dass zu klären wäre, ob die Alt-Anteilseigner die Anteile per Barkapitalerhöhung zum Nominalwert oder mit Aufgeld (Agio)983) erhalten dürfen. Letzteres ist insofern nicht unwahrscheinlich, als dass nach Sanierung idealerweise kein defizitäres Unternehmen mehr bestehen dürfte, was ein Agio rechtfertigen kann.
4.
Zwischenergebnis
407 Grundsätzlich sind die Grundsätze zum Bezugsrechtsausschluss somit auch in der Insolvenz anwendbar. Ausgerechnet die anerkannte Rechtfertigung bei Sanierungssituation und Vorhandenseins nur eines Investors greift aber dann nicht, wenn auch die Anteilseigner sich beteiligen wollen; auf eine aus der Zustimmung von ¾ der Anteilseigner zu ziehende Vermutung kann gerade nicht verwiesen werden. Somit kann nicht einfach auf die anerkannten Grundsätze rekurriert werden, sondern es bedarf genauerer Untersuchung von Anreizen und Folgen für die Beteiligten und einer Abwägung der insolvenzbedingten Positionen.
408 Es ist mithin eine auch wertende Untersuchung nötig, die sich teils orientieren kann an der Aussage von Karsten Schmidt: Der Ausschluss der Alt-Anteilseigner und Ausschluss des Bezugsrechts im Insolvenzplanverfahren verspreche „rapide und effektive Sanierungen. Aber ist es gerecht?“984) ___________ Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 127. Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126. Siehe etwa das Beispiel bei Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 152 f. (1997). Das Agio ist der Betrag, um den der Ausgabebetrag von Anteilen deren Nennwert übersteigt; es kann dazu dienen, bei einer Kapitalerhöhung die Existenz von Mehrvermögen der Gesellschaft (offene oder stille Reserven) zu berücksichtigen, weil ansonsten bei Nicht-Festsetzung eines Agio eine Umverteilung dieses Mehrvermögens von den an der Kapitalerhöhung nicht Teilnehmenden auf die Teilnehmenden stattfinden könnte, vgl. nur Scholz/Priester, § 55 Rn. 27. 984) K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087. 980) 981) 982) 983)
198
III. Systematische Argumente
III. Systematische Argumente Bei der obigen Prüfung wurde bereits festgestellt, dass weder Art. 14 GG noch 409 Art. 9 GG die Zuerkennung eines solchen Bezugsrechts an Alt-Anteilseigner erzwingen.985) Damit ist aber noch nicht gesagt, dass es nicht aus systematischen oder anreiztechnischen Gründen durchaus angebracht sein kann, das Bestehen eines solchen Bezugsrechts anzunehmen. Dies müsste nicht dazu führen, dass ein solches Recht aus dem Nichts geschaffen wird, wofür hohe Hürden bestehen würden. Vielmehr existiert es im Grundsatz ja bereits. Die folgenden Überlegungen müssten somit Berücksichtigung finden im Rahmen der Entscheidung des Gerichts über die Rechtmäßigkeit des Bezugsrechtsausschlusses, der Teil des Insolvenzplans ist und somit bei der Planbestätigung durch das Gericht zu überprüfen ist.
1.
Bezugsrecht als Ausfluss wertloser Anteile?
Als Argument gegen ein Bezugsrecht wird teils auf die Systematik des Insolvenz- 410 rechts verwiesen. Nach Altmeppen 986) wandelt sich die Rechtsstellung aus dem Mitgliedschaftsrecht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens in ein „aliud“ um, welches seinem Inhaber einzig noch die Teilhabe am Liquidationsüberschuss nach § 199 InsO vermittle, der aber praktisch irrelevant sei. Daraus könne dann aber auch kein garantiertes Bezugsrecht folgen.987) Daneben könnte in systematischer Hinsicht darauf verwiesen werden, dass die Po- 411 sition der Alt-Anteilseigner durch das ESUG bewusst geschwächt werden sollte und ein Bezugsrecht dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung entgegen laufen würde. Als zusätzlicher Beleg, dass insbesondere die Mitverwaltungsrechte der Anteilseigner kaum noch eine Rolle spielen, wird dabei das Ausreichen der Summenmehrheit bei der Abstimmung innerhalb der Anteilseigner-Gruppe angesehen, bei dem vorher bestehende Mehrstimmrechte o. ä. gerade keine Auswirkungen haben, sondern allein auf die Beteiligungshöhe abgestellt wird.988)
___________ 985) siehe oben § 6. III. 4. e). 986) Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 19. 987) Gänzlich andere Konzeption aber bei Madaus, ZGR 2011, 749, 756 ff.: keine Geltung des § 199 InsO-Rechtsgedankens in der Reorganisation; zur Ablehnung dieser Ansicht aber oben § 6. IV. 3. e). 988) So Spliedt, GmbHR 2012, 462, 469; ähnlich auch Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 106 mit Verweis auf die ohnehin folgende Einschränkung der Mitgliedschaftskompetenzen in der Insolvenz: Verengung der Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre entspreche dem Bedeutungsverlust der Hauptversammlung in der Insolvenz, da dieser keine Beschlusskompetenzen mehr zustehen für Beschlussgegenstände, die vermögensrelevant seien.
199
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
2.
Wiederum drohende Blockademöglichkeit
412 Es besteht auch die Gefahr, dass mit einem solchen Bezugsrecht wiederum eine Blockadeposition der Alt-Anteilseigner geschaffen werden könnte.989) Dies ergibt sich daraus, dass gerade die zwangsweise Umwandlung von Forderungen nicht möglich ist.990) Von der Zustimmung der umwandlungswilligen Gläubiger hängt mithin ab, ob die Sanierung per DES überhaupt stattfindet. Bestehen nun die AltAnteilseigner auf ihrem Bezugsrecht und würde dies dazu führen, dass die umwandelnden Gläubiger nicht die angestrebte Beteiligungshöhe erreichen, so würden sie ihre Forderungen gar nicht erst umwandeln. Damit würde es zu einer Totalblockade kommen, bei der die ganze Sanierung scheitern kann. Dies könnte den AltAnteilseignern gleichgültig sein, da sie in den allermeisten Fällen ohnehin nichts zu verlieren haben. Im Endeffekt würde es damit, entgegen Simon/Merkelbach991), doch wieder zu einer Blockade kommen. Damit geht die Gefahr einher, dass sich die Anteilseigner den Verzicht auf diese Position teuer abkaufen lassen könnten.
413 Dies wäre allein dann nicht der Fall, wenn der Umfang der durch Bezugsrecht zugeteilten Anteile so gering wäre, dass hierdurch die Erlangung der Mehrheitsherrschaft durch umwandelnde Gläubiger nicht gefährdet wird. Dann aber ist fraglich, wozu die Beteiligung der Alt-Eigner überhaupt noch dienen soll, außer ggf. sentimentalen Motiven oder dem Interesse, auch weiterhin Einblick in die Bücher zu erhalten. Vereinfacht gesagt könnten die Anteilseigner dann darauf verwiesen werden, dass sie ihr offensichtlich noch vorhandenes frisches Kapital auch irgendwo anders investieren könnten, wo es auch willkommen ist.
3.
Vergabe von Anteilen an Alt-Anteilseigner als Verstoß gegen die absolute Vorrangregel?
414 Fraglich ist des Weiteren, ob eine Ausgabe neuer Anteile auf Basis eines Bezugsrechts nicht bereits einen Verstoß gegen die absolute Vorrangregel darstellen würde. Diese ist im deutschen Insolvenzplanverfahrensrecht insbesondere in § 245 InsO verankert.992) Konkret führt eine Verletzung dieser Grundregel dazu, dass die Anwendung des Obstruktionsverbots auf ablehnende Gläubigergruppen nicht mehr möglich wäre.993) Diese Frage stellt sich, da hier die Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO erfüllt sein könnten, der die Fiktion der Zustim___________ 989) So auch Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 19, der keine Zweifel daran hat, dass kein Bezugsrecht besteht, da das ESUG die Stärkung der Gläubigerposition und die Beseitigung von Blockadepositionen der Alt-Anteilseigner gewollt habe. 990) Siehe oben § 6. VI. 991) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126. 992) Eingehend hierzu oben § 5. VI. 1. 993) Dies ansprechend Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 107. Das Vorliegen der Voraussetzungen des Obstruktionsverbots hat das Insolvenzgericht nach § 5 Abs. 1 S. 1 InsO von Amts wegen zu prüfen, LG Traunstein, NZI 1999, 461, 462 f.; siehe hierzu näher Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 697 f.
200
III. Systematische Argumente
mung einer Gläubigergruppe verbietet für den Fall, dass der Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält.994) Auf den ersten Blick wäre dies gegeben, da die Neu-Anteile keinesfalls wertlos sind, 415 sondern gerade nach erfolgter Sanierung einen gewissen wirtschaftlichen Wert aufweisen.995) Mit einer engen Auslegung könnte dagegen der Erhalt eines wirtschaftlichen Werts nur dann angenommen werden, wenn dieser auch unmittelbar aus der Insolvenzmasse stammt. Nur dann wäre es eine Wertzuwendung, die zu Lasten der Gläubiger geht, denen die Insolvenzmasse wertmäßig zugewiesen wird.996) Entsprechend wäre dies nicht der Fall, solange für die Anteile entsprechendes frisches Barkapital aufgebracht wird. Dies wäre wiederum nur dann anders zu sehen, wenn bereits in einem Bezugsrecht selbst aufgrund seines Optionscharakters ein Wert gesehen wird (siehe dazu sogleich unten a) dd).
a) Exkurs: Die new value exception des Chapter 11-Rechts Allerdings gibt es im amerikanischen Chapter 11-Recht mit der sog. new value ex- 416 ception eine von anerkannte Ausnahme, die genau diesen Fall betrifft. Nach dieser richterrechtlich entwickelten Ausnahme von der absolute priority rule kann der bisherige Anteilseigner auch bei nicht vollständiger Gläubigerbefriedigung Anteile an der reorganisierten Gesellschaft erhalten, wenn der Insolvenzplan vorsieht, dass er im Gegenzug der Gesellschaft neues Kapital zuführt. Diese Ausnahme wurde erstmals im Jahre 1939 vom Supreme Court im Fall Case v. Los Angeles Lumber begründet.997) Verfahrenstechnisch bedeutet dies: wenn die Mehrheit der Gläubiger innerhalb einer Gruppe für einen Plan votieren, der den Alt-Anteilseignern gegen frisches Kapital neue Anteile zuweist, so kann die überstimmte Gläubigerminder___________ 994) Die zur alten Rechtslage geführte Diskussion, ob allein in der Möglichkeit des Weiterbetriebs in selber Gesellschaft mit den selben Anteilseignern ein wirtschaftlicher Wert liegt oder ob dies erst dann erfüllt ist, wenn durch Forderungsverzichte etc. ein über das Haftkapital hinausgehendes positives Kapital entsteht (siehe N/R/Braun, § 245 Rn. 26; Becker, in: Kübler, HRI, § 41 Rn. 59 ff.; Madaus, Insolvenzplan, S. 288 ff.), ist hier nicht unmittelbar relevant, da es nur um eine Teil-Beteiligung der Alt-Eigner geht, diese dafür frisches Kapital zur Verfügung stellen müssen (und eben nicht die alten Anteile fortbestehen) und zudem die damalige starke Position der Alt-Anteilseigner in der Reorganisation (diese war ohne ihre ¾-Zustimmung nicht möglich) nunmehr durch das ESUG durch Unterwerfung unter § 245 Abs. 3 InsO n. F. stark eingeschränkt wurde. Siehe hierzu auch Fn. 959. 995) Siehe zu den hier bestehenden vergleichbaren Problemen auch Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 701 ff. 996) Siehe hierzu Madaus, Insolvenzplan, S. 288 f. Hier existiert das Problem, ob bei Fortführung des Unternehmens nach Reorganisation durch die selben Anteilseigner diesen ein Wert zugewendet wird, wenn sich ansonsten kein Interessent finden lässt; dies wird verneint, wenn die Alt=Neu-Anteilseigner etwa eine Ausgleichszahlung leisten. Mangelnde Interessenten sind aber beim DES im hier untersuchten Kontext nicht der Fall, vorliegend gibt es ja die an der Umwandlung interessierten Gläubiger. 997) Sie ist auch bekannt als „infusion-of-new-capital-exception“ oder „Los Angeles Lumberexception“ oder „contribution rule“, siehe Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 223 (1989).
201
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
heit dies nicht anfechten. Hat sich innerhalb einer Gruppe keine Mehrheit gefunden, so bedeutet dies sogar, dass ihnen der Plan dennoch per cram down aufoktroyiert werden kann. Es geht somit in der Diskussion stets um die Frage: can the owners participate over the dissent of the unpaid creditors?
aa) Voraussetzungen der new value exception 417 Die new value exception998) setzt zum einen voraus, dass Bedarf für diese Kapitalspritze besteht: „necessary to the success of the reorganization plan“.999) Des Weiteren wird verlangt, dass die neuen Anteile, die die bisherigen Eigentümer erhalten, „a participation reasonably equivalent to their contribution“1000) darstellen. Dies wird vielfach definiert als die Pflicht, einen fairen Preis für die Anteilsrechte zu zahlen.1001) Das Kapital, das die Eigentümer neu einschießen müssen, wird als „money or money’s worth“ bezeichnet,1002) das zudem „substantial“ sein muss.1003) ___________ 998) Siehe im Einzelnen Meyer, 24 Ind. L. Rev. 417, 421 (1990): The Court required that the contribution be (1) necessary to the success of the reorganization plan; (2) “fresh”; and (3) “reasonably equivalent” in value to the value of the equityholders’ continued participation in the reorganized firm. Weitergehend die Beschreibung von Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1333 (1992): The current new value criteria are that the proposed contribution consist of the following: (i) Fresh (ii) money or money's worth that is (iii) substantial iv) necessary, and (v) reasonably equivalent to the interest in the reorganized debtor that the owner of the debtorenterprise receives or retains. 999) Meyer, 24 Ind. L. Rev. 417, 421 (1990); von einigen Gerichten wurde dies so ausgelegt, dass die Alt-Eigner nur dann sich beteiligen können, wenn sich keine anderen Investoren finden lassen, m. w. N. und a. A. Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1053 und 1067 m. w. N. (1987). 1000) Case v. Los Angeles Lumber, 308 U.S. 106, 121 (1939). 1001) Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 43 (1991); Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1067 mit Details und 1052 (1987): “requires contributions to be based upon fair market value rather than liquidation value“. 1002) Dies wird von den Gerichten auch eng gehandhabt. So wird klargestellt, dass hiervon jedenfalls nicht „financial standing and influence in the community“ und auch nicht „continuity of management“ umfasst ist, siehe Case v. Los Angeles Lumber, 308 U.S. 106, 122 (1939): “They have no place in the asset column of the balance sheet of the new company. They reflect merely vague hopes or possibilities.“ In Ahlers hat der Supreme Court auch klargestellt, dass die das zur-Verfügung-Stellen seiner zukünftigen Arbeitskraft nicht anerkannt wird, Ahlers v. Norwest Bank Worthington, 485 U.S. 197, 204 (1988): “Viewed from the time of approval of the plan, respondents' promise of future services is intangible, inalienable, and, in all likelihood, unenforceable. It has no place in the asset column of the balance sheet of the new entity.“; dies analysierend und i. E. zustimmend Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 244 ff. (1989). 1003) Die „substantial“-Voraussetzung wird in der Los Angeles Lumber-Entscheidung selbst nicht erwähnt, wird aber später von anderen Gerichten und Kommentatoren hineingelesen (siehe etwa In re 222 Liberty Associates, 108 B.R. 971, 983 f. (Bankr. E.D. Pa. 1990); dieses Hineinlesen wird scharf kritisiert von Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 95 Fn. 166 (1991). Nach Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1334 (1992) soll die „substantial“-Voraussetzung dazu dienen, den sich wieder einkaufenden Alt-Eignern das Risiko des erneuten Scheiterns in ausreichendem Maße aufzuladen.
202
III. Systematische Argumente
Das frische Kapital wird dabei durchaus oft dazu genutzt, ungesicherte Gläubiger 418 zu befriedigen.1004) Die new value exception ist allerdings sowohl zwischen den Gerichten als auch in 419 der Literatur hoch umstritten. Ihre Validität wird aus verschiedenen Gründen angezweifelt. So ist zum einen umstritten, ob die im Jahre 1939 begründete Ausnahme die Neukodifizierung des Bankruptcy Code im Jahre 1978 überhaupt „überlebt“ hat in dem Sinne, dass der Gesetzgeber sie durch Nicht-Kodifizierung nicht abschaffen wollte. Die Gesetzgebungsmaterialien werden hier in verschiedener Weise gedeutet1005); auch stellt sich die generelle Frage, in welchem Umfang durch common law geschaffenes Recht nach der Kodifizierung weiter Bestand hat.1006) Dies soll hier nicht weiter behandelt werden, weil die Frage, ob der US-Kongress sie abschaffen wollte oder nicht, für die deutsche Rechtslage nichts hergibt. Auch der Supreme Court hat sich in einem no-comment der Frage ausdrücklich entzogen und sie unbeantwortet gelassen.1007) Anders als die Frage der gesetzgeberischen Intention oder der höchstrichterlichen 420 Judikatur, die letztlich eine rein inner-amerikanische Problemstellung darstellen, gibt die Diskussion über die Zulässigkeit der new value exception aber viel Material her für die Frage, wie sich ein solches Recht auf weitere Teilnahme systematisch einpasst und ob hiermit positive oder negative Anreize einhergehen.
bb) Grundlagendiskussion um die Verteilungsreihenfolge im Insolvenzrecht Die Behandlung der Frage der Zulässigkeit der new value exception muss dabei 421 zunächst die Grundlagendiskussion beachten, die darum geführt wird, welchen
___________ 1004) Etwa In re Landau Boat Co., 13 Bankr. 788 (Bankr. W.D. Mo. 1981), zitiert nach Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1066 Fn. 131 (1987) (Befriedigung der ungesicherten Gläubiger mit Quote 10 %); Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 142 Fn. 41(1997): “(…) was the only plan proposing to invest the new value in the firm instead of using it to pay unsecured creditors.“ Hierdurch wird in der Praxis oft sichergestellt, dass (durch diese bribe) die Zustimmung einer impaired class (Gruppe, deren Rechte durch den Plan beeinträchtigt werden) zu erhalten ist, a. a. O. S. 153 f. (1997). Siehe aber auch a. a. O. S. 152, wo diese Nutzung zur Befriedigung der Alt-Ansprüche als Fehlentwicklung beschrieben wird. 1005) Eine Auflistung der großen Anzahl an Beiträgen hierzu bei Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1314 Fn. 9 (1992). 1006) Siehe nur Kham & Nate’s Shoes No. 2, Inc. v. First Bank of Whiting, 908 F.2d 1351, 1361 f. (7th Cir. 1990)(Judge Easterbrook). 1007) Ahlers v. Norwest Bank Worthington, 485 U.S. 197, 203 (1988); ebenso Bank of America vs. 203 N. La Salle, 526 U.S. 434, 444 ff. (1999) mit ausführlicher Analyse. Aus Ahlers wird aber gezogen, dass der neue Bankruptcy Code zumindest eine Ausweitung der Ausnahme über die Grenzen der Los Angeles Lumber-Entscheidung hinaus verbietet, Kham & Nate’s Shoes No. 2, Inc. v. First Bank of Whiting, 908 F.2d 1351, 1362 (7th Cir. 1990)(Judge Easterbrook).
203
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
Zwecken das Insolvenzrecht überhaupt zu dienen hat.1008) Maßgeblich von Vertretern der Law & Economics-Lehre wird im Rahmen der creditors‘ bargain-Theorie1009) die Ansicht vertreten, dass das Insolvenzrecht in erster Linie der Respektierung der vorinsolvenzlich begründeten Ansprüche dienen soll. Diese Ansicht beurteilt die Regelungen des Insolvenzrechts danach, ob die beteiligten Akteure eine solche Regelung und Abwicklung auch von sich aus im Vorhinein vereinbart hätten.1010) Sie geht davon aus, dass sich die Beteiligten in einem solchen Fall auf eine kollektive Prozedur geeinigt hätten, die eine Verteilung der verbliebenen Werte vornimmt und sich dabei strikt an der vorinsolvenzlichen Gläubigerhierarchie orientiert, da auf diese Weise der Wert der Masse maximiert und die Kosten der Schuldeintreibung minimiert würden.1011) Die Entscheidung über die Verwertung liege somit allein bei den residual owners (also den Beteiligten, die, obwohl rangtechnisch an der Reihe, nicht voll befriedigt werden und denen daher das Unternehmen „gehört“; dies sind zumeist die ungesicherten Gläubiger, da die gesicherten Gläubiger in einer Reorganisation ihre Sicherungsrechte oftmals behalten und aus den zukünftigen Erträgen befriedigt werden sollen).1012) Diese allein dürften entscheiden, ob den Alt-Anteilseignern Anteile zugewiesen werden oder nicht. Lehnen diese dies ab, so dürfe ihnen dies auch nicht gegen ihren Willen im Rahmen eines cram down aufoktroyiert werden. Vertreter dieser Ansicht plädieren folglich für eine Abschaffung der new value exception, weil diese gerade jene Aufoktroyierung ermögliche und somit die vorinsolvenzlich durch Verträge begründete Hierarchie der Beteiligten missachte.1013) ___________ 1008) Diese Diskussion erstreckt sich auf Fragen der Behandlung insolventer Unternehmen wie auch insolventer Einzelpersonen, wodurch sie kaum übersehbare Ausmaße annimmt. Eine Übersicht gibt Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1011 ff. (1987). Hier soll die Darstellung der Diskussion (entsprechend des Untersuchungsgegenstandes der Dissertation) auf business bankruptcies (Unternehmensinsolvenzen) beschränkt werden. 1009) Grundlegend Jackson, 91 Yale L. J. 857 (1982). 1010) Jackson, 91 Yale L. J. 857, 860 f. (1982). 1011) Die strikte Einhaltung wird auch deswegen befürwortet, weil die Gläubiger sonst versuchen würden, über das Vollstreckungsrecht der Einzelstaaten ihre Rechtsposition zu sichern; hierdurch würden aber externe Kosten produziert, die ineffizient sind und das Ziel der Wertmaximierung unterminieren, Jackson, 91 Yale L. J. 857, 868 f. (1982) und Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 230 f. (1989). 1012) So auch ausdrücklich im Bankruptcy Code als Möglichkeit genannt, siehe 11 U.S.C. 1129(b)(2)(A)(i); Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1037 (1987); Dies hängt aber vom individuellen Einzelfall ab; im gebildeten Beispiel von Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 750 f. und 761 f. (1988) ist residual owner ein Sicherungsgläubiger mit dem ungesicherten Teil seiner Forderung. 1013) Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 239 (1989); Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1323 f. (1992); eine Aufoktroyierung ist nach der Theorie aber auch nicht nötig, denn sie geht davon aus, dass die Gläubiger stets die wertmaximierende Option wählen werden. Wenn diese darin besteht, dass die Anteilseigner wieder Anteile erhalten, so würden die Gläubiger diese Option schon von sich aus wählen; a. A. diesbezüglich Rusch a. a. O. S. 1328.
204
III. Systematische Argumente
Die Gegenansicht sieht den Zweck der insolvenzrechtlichen Regelungen dagegen 422 nicht nur darin, die Gläubigerhierarchie umzusetzen. Das Insolvenzrecht hätte vielmehr die Aufgabe, die durch eine Insolvenz eintretenden Verluste unter den Beteiligten nach gewissen Prämissen aufzuteilen (sog. loss allocation-Theorie).1014) Es solle das Erreichen einer Balance zwischen allen verlusterleidenden Beteiligten ermöglichen, in dessen Rahmen die competing values gegeneinander abzuwägen sind.1015) Dies kann auch eine Beschneidung der Gläubigerrechte mit sich bringen, sofern dies nur der social policy dient, den Fortführungswert eines Unternehmens und dessen ökonomische Aktivität zu erhalten1016), auch wenn dies nicht zwingend eine Wohlstandsmehrung zur Folge hat.1017) Dies geschieht auch mit der Begründung, dass somit eine Abmilderung der Auswirkungen von wirtschaftlichen Veränderungen ermöglicht wird, die die „Bedürftigsten“ am härtesten treffen würde.1018) Diese Ansicht sieht die new value exception als eine der zulässigen Gestaltungsoptionen einer Reorganisation, u. a. weil hiermit regelmäßig der Erhalt des Unternehmens ermöglicht und eine Liquidation verhindert werden kann.1019)
___________ 1014) Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1011 ff. (1987); Warren, 54 U. Chi. L. Rev. 775, 789 ff. (1987). 1015) Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1324 f. (1992); dies hatte auch der Gesetzgeber erkannt: “[r]eorganization, in its fundamental aspects, involves the thankless task of determining who should share the losses incurred by an unsuccessful business and how the value of the estate should be apportioned among creditors and stockholders.“, Rep. No. 989, 95th Cong., 2d Sess. 11, reprinted in 1978 U.S. CODE CONG. & ADMIN. NEWS 5796, zitiert nach Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1014 Fn. 4 (1987). 1016) Dass Erhalt des Fortführungswerts und der Produktivität eines der Ziele der Reorganisation sein können, wird ausgesprochen in In re Dollar Assoc. Inc. 172 B.R. 945, 950 (Bankr. N. D. Cal. 1994). 1017) Siehe Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 129 f. (1997); Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1019 f. (1987); Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1331 (1992): “even if creditor control and enhanced recovery lead to an efficient result according to economic theory, nothing in economic theory supports the proposition that efficiency is the desirable social order“. 1018) “softening the impact of changes in the economy that hit the neediest hardest“, so Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 130 (1997); damit wird aber auch zugleich ausgedrückt, dass eine Unterscheidung nötig ist zwischen kleinen inhabergeführten Unternehmen und großen Unternehmen mit breiter Anteilseignerstruktur, siehe dazu unten. 1019) Eine trennscharfe Abgrenzung ist dabei aber nicht immer möglich; relevant für die vorliegende Problemstellung wäre somit allein, ob überhaupt ein Verstoß gegen die absolute priority rule bejaht werden kann. Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1325 (1992) grenzt die beiden Theorien in Hinblick auf ihre Ziele voneinander ab: Während die creditors‘ bargain-Theorie der Verwirklichung der social order-Funktion des Insolvenzrechts dienen soll und die Bündelung der Kontrolle bei den Gläubigern (creditor control) sowie die umfassende gemeinsame Gläubigerbefriedigung (enhanced collective creditor recovery) als primäre soziale Werte anstrebt, ignoriert sie dabei die Streitschlichtungs- und Koordinationsfunktion. Diese Ziele könne zwar die loss allocationTheorie befördern; wenn aber die Koordination fehlschlage, so gebe sie keine ausreichenden Vorgaben her, welche Werte in der social order vorrangig seien und wie die Kontrolle und der Fortführungswert unter Gläubigern und Anteilseignern aufgeteilt werden sollten.
205
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
cc) Verstoß gegen die absolute priority rule? 423 Eines der maßgeblichen Argumente gegen die Anerkennung der new value exception liegt darin, dass sie die Zuteilung von neuen Anteilen an vormalige Anteilseigner erlaube, obwohl die in der Befriedigungsreihenfolge vorrangigen Gläubiger nicht gänzlich befriedigt sind.1020) Im Verfahren vor dem Supreme Court hatte insbesondere der Solicitor General die new value exception für unvereinbar mit § 1129(b)(2)(B) US-BC erklärt, weil sie es den bisherigen Eignern ermögliche, aufgrund ihrer vorherigen Stellung ein exklusives Zugriffsrecht auf die neuen Anteile zu erhalten. Somit würde dies eine präemptive Aufrechterhaltung (preemptive retention) der Anteils-Kauf-Rechte darstellen, die durch die absolute Vorrangregel gerade verboten sei.1021)
424 Die entscheidende Frage ist somit: haben die Alt-Eigner ihre neuen Anteile erlangt „on account of such junior claim or interest“1022), was einen cram down unmöglich machen würde?
425 Dies sehen die Befürworter der new value exception schon als nicht gegeben an: ein Verstoß gegen die Vorrangregel wird von ihnen generell angezweifelt, weil gar keine Ausnahme vorliege. Der Supreme Court spreche zwar von der exception, diese Bezeichnung sei aber falsch gewählt, da die hieraus resultierende Option der Alt-Anteilseigner nicht aus deren Anteilsrechten resultiere.1023) Die new value exception müsse lediglich als eine der Möglichkeiten für Alt-Anteilseigner gesehen werden, das Unternehmen mit frischem Geld zu kaufen. Es sei keine Ausnahme ___________ 1020) Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 236 f. (1989). 1021) Meyer, 24 Ind. L. Rev. 417, 423 f. (1990): “The Solicitor General contended that even allowing equityholders to make new capital contributions as part of a reorganization plan violates the terms of section 1129(b)(2)(B) unless section 1129(b)(2)(B)(i) is satisfied. Otherwise, the “interest that they receive or retain under the plan is received or retained on account of their pre-petition claim or interest” in the property of the debtor. In other words, the exclusive right of prior equityholders to purchase equity results in a “preemptive retention” of equity purchase rights by the equityholders, which the absolute priority rule forbids.” So auch der Standpunkt der amerikanischen Regierung als amicus curiae im Verfahren Bank of America vs. 203 N. La Salle, 526 U.S. 434, 451 (1999). 1022) So die Formulierung in § 1129(b)(2)(B)(ii): the condition that a plan be fair and equitable with respect to a class includes the following requirements: (…) (ii) the holder of any claim or interest that is junior to the claims of such class will not receive or retain under the plan on account of such junior claim or interest any property (…). 1023) Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 41 (1991); Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1051 (1987); zustimmend LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 645 (1991): Eine solche kausale Zuteilung wäre im Rahmen des 1129(b)(2)(B)(ii) durch den Bankruptcy Code auch eindeutig untersagt. Die InsO muss hier mit ihrem ähnlich formulierten Obstruktionsverbot (weder nachrangiger Gläubiger, Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält, § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO) und ihrer Ausrichtung an der absoluten Vorrangregel ebenso gelesen werden.
206
III. Systematische Argumente
zugunsten der Anteilseigner, sondern stelle sogar eine Beschränkung der Möglichkeiten dieser dar, die Anteile an dem insolventen Unternehmen zu erwerben.1024) Statt einer Bevorzugung der Alt-Anteilseigner sei sie vielmehr ein „judge-made tool to monitor the relationship between old equity and the new DIP“.1025) Es erlaube dem Gericht, die Beteiligung der Alt-Anteilseigner als Ergebnis der Verhandlungen zwischen DIP und Alt-Anteilseignern einer umfassenden Prüfung zu unterziehen1026) und diene damit insbesondere dem Gläubigerschutz.1027) Dies sei auch nötig, da sich die Reorganisation unter Zuteilung von Anteilen an Alt-Eigner letztlich als ein Kauf des wichtigsten Gegenstands der Insolvenzmasse, des Unternehmens, darstelle.1028) Somit erlaube die Regel dem Gläubiger gerade, die Frage der korrekten Bewertung aufzubringen und darzulegen, dass die von den Planerstellern gewählte Berechnung fehlerhaft sei.1029) Somit gelinge es nur der new value exception, eine Balance zu halten zwischen zwei unerwünschten Extremen, nämlich einem gänzlichen Beteiligungsverbot der Alt-Eigner auf der einen Seite und deren fast ungehinderten Wiedererlangung der Kontrolle über die insolvente Gesellschaft auf der anderen Seite.1030) Jedoch könnte darauf verwiesen werden, dass eine solche ungerechtfertigte Zuwei- 426 sung an die Anteilseigner einzig dann vorliegt, wenn das von ihnen erhaltene Ei___________ 1024) Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 41 (1991): “There is no „exception“ to the Code (…) Instead, the “new value exception“ is used to restrict the participation of old equity if it offers to purchase equitable ownership of the post-reorganization business under section 1123 (a)(5)(D).“ Daher habe die Regel wohl besser „scrutinize old equity participation rule“ heißen müssen, a. a. O. S. 42: “an accident of history results in a term that continues to mislead.“ 1025) Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 43 (1991); DIP steht für debtor in possession, ähnlich dem deutschen Eigenverwalter. 1026) Ähnlich der Supreme Court: “As a result of the filing of the petition in this case, the court, not the stockholders, acquired exclusive dominion and control over the estate. Hence, any strategic position occupied by the stockholders prior to these proceedings vanished once the court invoked its jurisdiction.“, Case v. Los Angeles Lumber, 308 U.S. 106, 130 (1939). 1027) Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 43 (1991). 1028) Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 44 (1991). 1029) Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 45 (1991) mit Verweis darauf, dass ja jeder Gläubiger die Berechnungen des Plans anzweifeln könne; hiergegen ist jedoch zu sagen, dass dies einen hohen Aufwand voraussetzen würde, der vielfach prohibitiv hoch sein dürfte. Wird der Plan zudem – wie nach der Lehre wünschenswert – nach kurzer Zeit zur Abstimmung gestellt, würde jedes Verzögern den Unternehmenswert weiter sinken lassen, weshalb Opposition gegen ein new-value-Plan zusätzlich abnehmen dürfte. 1030) Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 48 (1991). Dies wird versucht zu belegen mit Verweis auf den Fall In re Met-L-Wood, 861 F.2d 1012, 1019 (7th Cir. 1988), bei dem zwar –wie von der creditor‘s bargain-Theorie als vorzugswürdig empfunden- eine Auktion durchgeführt wurde, bei dem aber letztlich allein ein Strohmann der Alt-Eigner geboten habe; dennoch sei der Plan bestätigt worden mit der Begründung, „it is commonplace, and involves no impropriety, for the debtor himself to bid at a foreclosure sale“. Dies wird kritisiert bei Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 45 f. (1991) dahingehend, dass hiermit self-dealing erst ermöglicht worden sei.
207
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
genkapital mehr wert ist als das Kapital, das sie dafür hergeben. Wenn es dagegen dem Gericht gelingt, den korrekten Preis (=Ausgabekurs) zu ermitteln, sei dies eine reine quid pro quo-Transaktion.1031) Dies zeigt sich schon daran, dass der Supreme Court schließlich gerade zu diesem Zweck die „reasonably equivalent“-Voraussetzung aufgestellt hat.
dd) Unzulässige Werterlangung schon als Folge einer „Option“ der Anteilseigner? 427 Diese Diskussion kann auch in Bezug auf die Problematik des Bezugsrechts im deutschen Recht fruchtbar gemacht werden. Könnte mithin eine Bevorzugung der Alt-Anteilseigner vor den Gläubigern mit Verweis auf deren äquivalente Gegenleistung von frischem Kapital abgelehnt werden, so stellt sich aber die Frage, ob nicht eine Zuwendung wirtschaftlicher Werte an die Anteilseigner schon in der Option besteht, ihr Bezugsrecht überhaupt ausüben zu können.
428 Außerhalb des Insolvenzrechts ergibt sich die Werthaftigkeit einer solchen Bezugsrechtsoption schon daraus, dass mit dem Bezugsrecht gehandelt und dies somit für einen gewissen Preis an eine interessierte Partei verkauft werden kann.1032) Würde dies auch bei der Kapitalerhöhung der insolventen Gesellschaft per Insolvenzplan zugelassen, so ist leicht ersichtlich, dass hierin ein Wert läge, der den Anteilsinhabern zukommt und eine Anwendung von § 245 InsO auf Gläubiger unmöglich machen würde. Fraglich ist somit, ob die Optionswerthaltigkeit entfällt, wenn ein solcher Handel bei Kapitalerhöhung im Insolvenzplan von vornherein nicht zugelassen wird.1033) Hierfür würden zunächst gute Gründe sprechen. Es ist aber zu beachten, dass ein Wert einer solchen Option nicht allein dann besteht, wenn dieses einen Handelswert hat; auch ohne Übertragbarkeit kann ein solcher Wert angenommen werden.
429 Im Rahmen der new value exception wird davon gesprochen, dass sich gerade die Option der weiteren Beteiligung mit frischem Kapital als unverdiente Wertzuwendung (undeserved value) für die Alt-Anteilseigner aus deren vor-insolvenzlichen Rechten ableite.1034) Auch der Supreme Court hat im Anschluss an Douglas Baird festgestellt, dass das Recht, gegen eine äquivalente Hingabe von Kapital Anteile zu erhalten, einen Wert darstellt, da auch Optionen auf Zeichnung von Anteilen einen ___________ 1031) Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 237 (1989). Eine solche Interpretation des „on account of“ in Richtung „in exchange for“ aber mit ausführlicher Begründung ablehnend der Supreme Court in Bank of America vs. 203 N. La Salle, 526 U.S. 434, 449 f. (1999). 1032) Hierzu MüKo-AktG/Peifer, § 186 Rn. 25. 1033) Gegen die Ermöglichung eines solchen Handels etwa Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126 f. 1034) “as it is an option that descends from their pre-bankruptcy claims”; als option einordnend auch Kham & Nate’s Shoes No. 2, Inc. v. First Bank of Whiting, 908 F.2d 1351, 1360 (7th Cir. 1990) (Judge Easterbrook).
208
III. Systematische Argumente
positiven Wert haben: „The right to get an equity interest for its fair market value is ‚property‘ as the word is ordinarily used. Options to acquire an interest in a firm, even at its market value, trade for a positive price“.1035) So ist auch aus der Finanzierungslehre bekannt, dass z. B. der Wert einer call option 430 nicht nur in der ggf. erzielten Differenz im Ausübungszeitpunkt zwischen vereinbartem Preis und tatsächlichem Marktpreis besteht, sondern auch in der komfortablen Situation, eben nicht das Risiko der Preisveränderung tragen zu müssen und zudem die Wahl zu haben, ob man sie überhaupt ausübt (der sog. „option-value surplus“).1036) Wenn man die Ausübungsoption der new value exception und das letztlich ähnlich konstruierte Bezugsrecht damit vergleicht, so könnte den Anteilseignern auch ein darin verkörperter windfall (Mitnahmeeffekt, unverhoffter Gewinn) zukommen.1037) Im deutschen Recht würde es noch mehr zur Option, da nach bisheriger Handha- 431 bung das Bezugsrecht ein unentziehbares Recht der Gesellschafter darstellt, für dessen Ausübung nach der Entstehung eine Frist von mindestens zwei Wochen gewährt werden muss, § 186 Abs. 1 S. 2 AktG.1038) Diese beginnt bei der AG mit dem Hauptversammlungsbeschluss; beim Insolvenzplan, bei dem diese nach § 254a InsO n. F. durch den Plan ersetzt wird, müsste dies entsprechend der Zeitpunkt der Planbestätigung durch das Gericht sein, weil bei diesem erst entschieden wird, ob das Obstruktionsverbot nach § 245 InsO greift oder nicht. Diese Norm wollen allerdings Simon/Merkelbach1039) als Verfechter eines Bezugsrechts nicht anwenden; nach ihrem Konzept muss die Bereitschaft schon als Anlage zum Insolvenzplan
___________ 1035) Bank of America vs. 203 N. La Salle, 526 U.S. 434, 455 (1999) mit Verweis auf Baird, Elements of Bankruptcy, Rev. Ed. 1993, S. 261. Der Verweis auf einen trading-price heißt dabei aber nicht, dass der Supreme Court einen Wert nur annehmen würde, wenn tatsächlich mit der Option gehandelt wird; dieser wird vielmehr nur als Vergleich herangezogen. 1036) Siehe Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 136 (1997). 1037) Denn faktisch stellt es sich im Chapter 11 als eine Option dar durch die Tatsache, dass planinitiierende Anteilseigner den Plan vor confirmation ändern können, wenn ihnen der Erwerb der Anteile mit frischem Kapital (bei näherem Überlegen doch) nachteilhaft erscheint, so Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 135 Fn. 23 (1997). Nach Georgakopoulos, a. a. O. S. 145 f. resultiert allerdings der option-value surplus gar nicht aus der new value exception, sondern sei dem Anteilsrecht immer inhärent: dem Anteilseigner steht immer die Option zu, die Insolvenz durch Darlehensbedienung mit eigenen Mitteln zu verhindern. Daher sei das Eigenkapital auch immer mit dieser Option verbunden (die i. Ü. den Anteil auch dann wertvoll mache, wenn eine simple Aufrechnung der Schulden gegen die Verbindlichkeiten einen Wert von 0 ergebe; Details bei § 10. II. 1. b). 1038) Bei GmbH ist ebenfalls eine angemessene Frist nötig, die nicht kürzer als zwei Wochen sein darf, MüKo-GmbHG/Lieder, § 55 Rn. 76. 1039) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126.
209
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
erklärt werden. Damit wird der Optionscharakter zwar abgeschwächt, bliebe im Grundsatz aber erhalten.1040)
ee) Die Verbindung mit dem exklusiven Planinitiativrecht 432 Allerdings ergibt sich die Einordnung als werthaltige Option vor allem aus dem Umstand, dass im amerikanischen Chapter 11-Recht gem. § 1121(b) US-BC1041) zunächst ein exklusives Planinitiativrecht des bisherigen Managements gilt.1042)
433 Die starke Opposition gegen die new value exception erklärt sich in diesem Kontext vor allem damit, dass sie in einigen Fällen so extensiv angewendet wurde, dass dies leicht als missbräuchlich angesehen werden konnte. In der Praxis wurden in den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts teils new value-Pläne vorgelegt, die allein den bisherigen Anteilseignern die Möglichkeit gaben, neue Anteile durch Barkapitalerhöhung zu erhalten, während die Gläubiger mit ihren Forderungen teils ausfielen und sie auch keinerlei Möglichkeit erhielten, sich ebenfalls zu beteiligen. Dies war gängige Praxis gerade bei sog. single asset cases, bei denen es um ein einzelnes Immobilienobjekt ging, das auf diese Weise entschuldet wurde. Ein solches Vorgehen war insbesondere in der 1999 ergangenen Entscheidung 203 N. LaSalle intendiert worden.1043) In dieser Entscheidung hat auch der Supreme Court in der bloßen Option für die Alt-Eigner, auch nach der Reorganisation durch ihre Zufuhr frischen Kapitals Anteilseigner zu sein, einen wirtschaftlichen Wert gesehen.1044) Dabei wurde allerdings nicht allein auf die weitere Anteilseignerschaft abgestellt, sondern auf die Tatsache, dass den anderen Beteiligten nicht die Möglichkeit gegeben wurde, ihrerseits Anteile gegen frisches Kapital oder z. B. Forderungsumwandlung zu erwerben. Folglich wurde hiermit die new value exception nicht gänzlich abgeschafft, sondern nur stark eingeschränkt: ein cram down des Plans auf ablehnende Gläubiger sollte nicht möglich sein, wenn nicht dargelegt ___________ 1040) Etwa auch deshalb, weil auch ohne institutionalisierten Bezugsrechtehandel Investoren, die an Anteilen interessiert sind, die Alt-Anteilseigner vorschicken könnten und sich die qua Bezugsrecht erhaltenen Anteile dann abtreten lassen könnten. 1041) Dieser lautet: “Except as otherwise provided in this section, only the debtor may file a plan until after 120 days after the date of the order for relief under this chapter.“ Aus dem deutschen Schrifttum hierzu H.-F. Müller, S. 289. 1042) Die hiermit einhergehende Problematik wird dargelegt in Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1041 ff. (1987). Zu Zweifeln genereller Art an dem exklusiven Planinitiativrecht siehe Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 238 f. (1989: “The fact remains, however, that section 1121’s exclusivity is a potent weapon to be wielded on behalf of equityholders, especially in combination with their right of contribution“ (gemeint ist die new value exception). 1043) Bank of America vs. 203 N. La Salle, 526 U.S. 434 (1999); hierzu im deutschen Schrifttum Wittig, ZInsO 1999, 373 und Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 702 f. 1044) Siehe Bank of America vs. 203 N. La Salle, 526 U.S. 434, 455 f. (1999): “the Debtor’s partners necessarily enjoyed an exclusive opportunity that was in no economic sense distinguishable form the advantage of the exclusively entitled offeror or option holder. This opportunity should, first of all, be treated as an item of property in its own right“.
210
III. Systematische Argumente
wurde, dass keine anderen Bieter vorhanden waren, die mehr bezahlt hätten.1045) Pläne, die den Alt-Eignern ohne Wettbewerb und ohne Nachweis von Marktbewertung Anteile exklusiv zukommen ließen, können somit seither nicht gegen die Ablehnung einer Gläubigergruppe bestätigt werden. Dies schließt die Alt-Eigner aber nicht von jeglicher Beteiligung aus: wenn nachgewiesen wird, dass die Anteilseigner das höchste Gebot abgegeben haben, so kann der Plan bestätigt werden.1046)
ff) Recht auf weitere Teilnahme als Druckmittel für die AltAnteilseigner Auch ein weiterer Aspekt könnte diesbezüglich von Relevanz sein: Einige Autoren 434 wollen die new value exception gerade zulassen, um den Alt-Eignern eine verbesserte Verhandlungsposition zu verschaffen. Ihnen solle leverage an die Hand gegeben werden, um die Gläubiger an den Verhandlungstisch zu zwingen.1047) Die Ausnahme sei gerade für kleine, inhabergeführte Unternehmungen nötig, da den ungesicherten Gläubigern als den residual owners geradezu eine Blockadeposition zukomme, mit der diese die Liquidation erzwingen können. Dies hat den Hintergrund, dass es für Gesellschaften mit kleinem, oft familiärem Anteilseignerkreis (closely held companies) oftmals keinen Käufermarkt gibt1048) und somit ein Verkauf als ganzes Unternehmen nicht möglich ist.1049) Vor dem Hintergrund der ansonsten verlorenen Fähigkeiten und Expertise der Alt-Eigner wäre dies aber nicht zu rechtfertigen.1050) Entsprechend wird formuliert, dass die new value exception ___________ 1045) Bank of America vs. 203 N. La Salle, 526 U.S. 434, 458 (1999). 1046) Sog. Notwendigkeit „to pay top dollar“, siehe die Entscheidung Bank of America vs. 203 N. La Salle, 526 U.S. 434, 456 (1999). 1047) So maßgeblich Vertreter der loss-allocation-Theorie, siehe etwa Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1329, 1333 (1992) Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1051 f. (1987) sowie Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 147 f. (1997). 1048) Da die monitoring costs so hoch sind (weil Missbrauch durch die ehemaligen Eigner, jetzt angestellte Manager, droht), verlangen externe equity-Investoren regelmäßig einen Zuschlag, weshalb der Markt hier noch dünner ist, siehe Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 15 (1991) mit Verweis auf Marsh, The Choice Between Equity and Debt: An Empirical Study, 37 J. Fin. 121 (1982). 1049) Es muss allerdings erwähnt werden, dass die Liquidation als drohende Alternative vielfach auch von den DIP-Eignern genutzt werden kann, um Zustimmung zu einem Plan zu erhalten, der den Gläubigern zwar deutlich weniger als ihren vollen Anspruch zuwendet, aber mehr als in der Liquidationsalternative, siehe etwa Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1039 (1987) mit Details zu der Frage, wann die DIP-Eigner (fast immer) und wann die Gläubiger (nur mit „cause“) die conversion to liquidation verlangen können. 1050) Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1336 (1992). Nach der creditors‘ bargain-Theorie könnte dies zwar gar nicht vorkommen, da sie davon ausgeht, dass die Gläubiger stets die beste Verwertungsentscheidung treffen. Jedoch wird dies angezweifelt: so kann ein Gläubiger verschiedene Gründe haben, die wertvernichtende Liquidation zu bevorzugen, etwa aus Abschreckungsgründen ggü. anderen Gläubigern oder weil sie sofortige Barzahlung einer gestreckten Befriedigung über Zeit vorziehen, a. a. O. S. 1328.
211
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
letztlich nur eine Lösung darstelle für die Problematik, dass ungesicherte Gläubiger ihre Blockadeposition auszunutzen drohen (a solution (…) to the problems brought about by the hold-out-powers of junior creditors).1051)
435 Das Argument der Gewinnung von Verhandlungsmacht kann naturgemäß auch in die andere Richtung gewendet werden: so bemängeln die Kritiker, die new value exception gebe den Anteilseignern die Option, den Verhandlungsprozess ohne Recht zu verlassen, einen Plan zu erarbeiten, der ihnen Anteile gegen frisches Kapital zuweist und diesen dann via cram down den Gläubigern aufzuoktroyieren.1052) Diese Gefahr sehen die Befürworter wiederum nur bei den Alt-Anteilseignern wohlgesinnten oder ökonomisch inkompetenten Richtern, die es trotz des vielfach verbreiteten Bildes so gar nicht gebe.1053)
gg) Funktionen der new value exception 436 Ein kurzer Blick soll zuletzt – zum besseren Verständnis – auch noch auf die Funtkionen der new value exception gelegt werden, um eine bessere Einordnung auch zur Frage des Bezugsrechts zu ermöglichen. Rusch definiert die ersten vier Voraussetzungen der new value exception als dazu dienlich, das Risiko eines erneuten Scheiterns den Alt-Neu-Eignern aufzubürden. So stelle die Voraussetzung, dass es sich um money or money’s worth handeln muss, sicher, dass der Alt=Neu-Eigner selbst etwas riskiert mit seiner erneuen Anteilseignerschaft.1054) Indem dies auch fresh und substantial sein muss, werde sichergestellt, dass sich beim Alt-Eigner ___________ 1051) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 131 (1997). Es wird aber auch darauf verwiesen, dass dies nach der heutigen Version des Bankruptcy Code nur noch für die Mehrheit gilt, nicht mehr für eine blockierende Minderheit, siehe Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 133 (1997): die 3 %-Minderheit im Los Angeles Lumber- Fall hätte nach den heutigen Abstimmungsregelungen keine Blockadeposition innegehabt; siehe auch a. a. O. S. 133 f. zu einer Gegenargumentation. Dass diese Blockadeposition nicht mehr in vollem Umfang besteht, erwähnen auch Gerichte, siehe etwa Kham & Nate’s Shoes No. 2, Inc. v. First Bank of Whiting, 908 F.2d 1351, 1360 f. (7th Cir. 1990)(Judge Easterbrook). 1052) Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1329 Fn. 71 (1992): “new value exception provides an option for the owners of the debtor-enterprise to abandon the bargaining process“, unter Verweis auf das Beispiel bei Baird/Picker, 20 J. Legal Studies 311, 328 (1991). Auch Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 237 (1989) spricht die Gefahr an, dass die Eigner einen sie bevorteilenden Plan aufstellen, der nur bestätigt würde, weil die Verzögerung sonst noch weitere Werte vernichten würde. 1053) Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1329 (1992); a. A. Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 246 (1989) m. w. N. Das Vertrauen ist hier aber nicht blind: Nicht ohne Grund werden in der Literatur Verbesserungen der new value exception vorgeschlagen mit dem Ziel, eine Blockadeposition zu verhindern und zugleich die unkritische Planbestätigung zu verhindern, wie es etwa Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1330 ff. versucht. Letztlich werden dabei Maßstäbe (neu) formuliert, die aber vom Richter angewendet werden müssen: diese Ansichten unterstützen folglich die Idee eines großen (größtmöglichen) Entscheidungsspielraum für den Richter, um der individuellen Situation gerecht werden zu können. 1054) Daher sei es richtig, hier nur hard assets zuzulassen, Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1333 f. (1992).
212
III. Systematische Argumente
zum einen das Risiko des ersten Scheiterns auswirkt, zum anderen ein erneutes Risiko durch Leistung aus dem eigenen, nicht durch die Insolvenz gebundenen, Vermögen begründet wird. Indem es auch necessary sein muss, obliegt dem planerstellenden Eigner die Pflicht, darzulegen, warum gerade er und nicht jemand anderes dieses frische Kapital einsetzen sollte. Durch diese Begründungspflicht werde er eindeutig verantwortlich gemacht für das erste Scheitern, womit zugleich die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Scheiterns gemindert werde.1055) Diese Folge zeigt sich, wenn berücksichtigt wird, dass nach Ruschs Ansicht den Gläubigern offen stehen sollte, einen Alternativ-Investor zu benennen, der ebenso kompetent ist, das Geschäft zu führen. Somit könnten die Gläubiger Alternativen aufzeigen und es würde ein Wettbewerb darum entstehen, der der Ermittlung des besten Kandidaten dient.1056) Die fünfte Voraussetzung in Form des „reasonably equivalent“ habe den Zweck, 437 die Befriedigung der Gläubiger zu maximieren. Es müsse in diesem Zusammenhang unbedingt verhindert werden, dass den Alt-Neu-Anteilseignern der Teil des Fortführungswerts zukommt, der nicht allein auf ihrer weiteren Beteiligung beruht. Dies solle geschehen, indem die Beteiligten ihre Ansicht des Wertes des Unternehmens ohne Beteiligung des Alt-Anteilseigners vorbringen können. So könne die Differenz ermittelt werden, die als Einzige nicht im Rahmen des reasonably equivalent zu berücksichtigen sei; der gesamte Rest aber stehe allein den Gläubigern zu.1057) Teils wird der new value exception auch eine crash-mitigating function1058) zuge- 438 ordnet in der Hinsicht, dass hierdurch eine sanfte Adjustierung der Preise möglich sei. Denn wenn bei einer Immobilienkrise z. B. Immobilien in der Hand der bisherigen Eigner verbleiben und nicht alle als Folge zahlreicher Liquidationen auf einmal auf dem Markt angeboten werden, werde eine Beschleunigung der Preisspirale nach unten verhindert, womit vielfach der gesamten Branche geholfen sei.1059) Es ist allerdings ersichtlich, dass dies nur in bestimmten Wirtschaftsbereichen so sein kann; eine Verallgemeinerung auf sämtliche Unternehmen ist kaum möglich.
___________ 1055) Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1334 (1992). 1056) Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1334 f. (1992). 1057) Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1335 f. (1992). Ihr Resultat daher auch: “The application of the exception should allow reorganization with owner participation over the objection of unpaid, unsecured creditors as long as (i) the risks of business failure rest squarely with the owner, (ii) the maximum reorganization value is distributed to creditors, and (iii) the contributing owner’s continued operation of the business is the best option available for all of the creditors.“ 1058) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 139 und 167 (1997). 1059) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 139 und 167 (1997).
213
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
b) Erkenntnisse in Hinsicht auf § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO 439 Im Folgenden ist zu untersuchen, inwieweit hierfür Erkenntnisse auch für die Rechtslage unter der InsO gewonnen werden können.
440 § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO hat einen ähnlichen Wortlaut wie die amerikanische Regelung.1060) Auch hier wird eine angemessene Beteiligung der Gläubiger und damit die Anwendbarkeit des Obstruktionsverbots auf ablehnende Gläubiger-Gruppen verneint, wenn eine am Schuldner beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält. Allerdings verzichtet die deutsche Wortwahl auf die Notwendigkeit des Erhalts „on account of such junior claim or interest“.
441 Nach der Gesetzesbegründung zur InsO soll die Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner (als Verband der Alt-Anteilseigner) nicht zwangsläufig die Zuwendung eines wirtschaftlichen Wertes an diesen darstellen.1061) Es sollten vielmehr die Umstände des Einzelfalls zu beachten sein, nach der es insbesondere darauf ankomme, ob die Leistungen, die der Schuldner nach dem Plan zu erbringen habe, den noch vorhandenen Wert des Unternehmens aufwiegen würden. Im Zweifel sei dann nicht von einem wirtschaftlichen Wert auszugehen, wenn kein Dritter bereit sei, statt des Schuldners das Unternehmen zu den im Plan vorgesehenen Bedingungen fortzuführen.1062)
442 Fraglich ist, ob dieser Gedankengang, der offensichtlich auf eine Belassung des Unternehmens gänzlich in der Hand der alten Anteilseigner abstellt, übertragbar ist auf eine nur teilweise weitere Beteiligung, wie sie bei dem hier untersuchten Bezugsrecht entstehen würde. Dies wäre möglich, wenn ein wirtschaftlicher Wert mit der oben skizzierten Argumentation1063) bereits in der Option gesehen wird, die Anteile überhaupt zu zeichnen.1064) Wenn aber der Zusatzwert einer solchen Option, wie oftmals bei Gesellschaftsanteilen, maßgeblich in der Möglichkeit der Mehrheitsherrschaft, dem sog. control premium, gesehen wird, so wäre dieser Wert beim Bezugsrecht zumindest geringer bis nicht existent.
443 Jedenfalls dann müsste ein Wert angenommen werden, wenn das Bezugsrecht in vollem Umfang gewährt wird, mithin also neben der Möglichkeit der Übertragbarkeit und damit des Bezugsrechtehandels auch ein Zugriff auf sekundäre Bezugsrechte ermöglicht würde. Hier drückt sich der Wert bereits in einem Handelswert ___________ 1060) Vgl. Fn. 1022. 1061) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 209. 1062) RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 209; diesem zustimmend und zudem eine Übernahme der Grundsätze aus der 203 N. LaSalle-Entscheidung des Supreme Court befürwortend Wittig, ZInsO 1999, 373, 378 f. 1063) Siehe oben § 7. III. 3. a) dd). 1064) Das Wort „zeichnen“ soll hier verwendet werden nicht nur im engeren Sinne bei der AG, sondern auch für die GmbH, mithin als Teilnahme an einer Barkapitalerhöhung.
214
III. Systematische Argumente
aus. Dies führt aber zugleich zu der Erkenntnis, dass jedenfalls dies nicht ermöglicht werden sollte, sondern nur ein eingeschränktes Bezugsrecht zu gewähren ist, das allein die Teilnahme an einer Barkapitalerhöhung zulässt, sofern dies im Vorhinein erklärt wird und die Gelder auch bereit gestellt werden.1065) Zudem sollte je nach Einzelfall überlegt werden, im Insolvenzplan eine verschärfte Rückzahlungssperre sowie ein vertraglich geregeltes Dividendenausschüttungsverbot wie auch eine Vinkulierung der Aktien bzw. zumindest eine Behaftung der Anteile mit genannten Rückzahlungs- und Ausschüttungssperren vorzusehen. Auch nach allen diesen Maßnahmen könnte aber hierin noch ein Wert gesehen werden, da die Ausübungsoption zwar zeitlich und vom Umfang her eingeschränkt würde, aber im Grundsatz dennoch verbleibt. Auswirkungen für die Frage eines zwingenden Bezugsrechts im deutschen Recht 444 können sich aber auch daraus ergeben, dass die hieraus folgende Rechtsfolge in die Betrachtung mit einbezogen wird. Würde in der Möglichkeit der Teilnahme an der Barkapitalerhöhung bereits ein wirtschaftlicher Wert gesehen und somit ein Verstoß gegen die absolute Vorrangregel bejaht, so würde dies in der Konsequenz dazu führen, dass § 245 InsO seines Anwendungsbereiches faktisch beraubt wäre, da er gegenüber Gläubigern kaum noch anwendbar wäre. Denn wenn bloß einer der Alt-Eigner sein Bezugsrecht geltend macht, so würde ihm ein Wert zugewendet, womit § 245 InsO dann nicht mehr genutzt werden könnte, um den Plan gegen eine mehrheitlich ablehnende obstruierende Gläubigergruppe trotzdem zu bestätigen. Diese missliche und vom Gesetzgeber sicherlich unerwünschte Rechtsfolge könnte 445 durch zwei Annahmen verhindert werden: 1. Ein Bezugsrecht ist abzulehnen oder 2. In einem Bezugsrecht ist kein wirtschaftlicher Wert i. S. d. § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu sehen, solange für die neuen Anteilsrechte in voller Höhe frisches Barkapital erbracht wird. Letzteres wäre aber problematisch, da ein Bezugsrecht die weitere Teilnahme an der sanierten Gesellschaft ermöglichen würde und somit auch bei geringem Kapitaleinsatz eine gewisse Position aufgebaut werden könnte, die z. B. zumindest ein Veto-Recht verschafft. Dies könnte zwar versucht werden, wiederum über Vinkulierung von Aktien oder einen geringen Umfang der über Bezugsrecht zu verteilenden Aktien zu korrigieren. Es ändert aber nichts daran, dass aufgrund des Optionscharakters darin durchaus ein wirtschaftlicher Wert gesehen werden könnte. Würde dieser wenigstens zwingend aus verfassungsrechtlichen Vorgaben folgen, so wäre eine verfassungskonforme Auslegung des § 245 InsO vorzunehmen; dies ist oben1066) aber abgelehnt worden.
___________ 1065) Entsprechend den Vorstellungen von Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126 f.: Zeichnungs- und Übernahmeerklärung, die in den Plan aufzunehmen ist, und kein sekundäres Bezugsrecht. 1066) Unter § 6. III. 4. e).
215
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
446 Eine Vereinbarkeit des Bezugsrechts mit § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO wäre allein dann möglich, wenn davon ausgegangen wird, dass der „wirtschaftliche Wert“ tatsächlich nur dann ein solcher ist, wenn er direkt aus der Insolvenzmasse stammt. Dann gälte es, den Optionscharakter zu ignorieren. Dies soll unten untersucht und entschieden werden.1067) Somit ist zunächst festzuhalten, dass das Bezugsrecht nicht zwingend schon deswegen scheitert, weil es in systematischer Hinsicht mit § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO kollidiert. Bei entsprechender Auslegung wäre dies zu verneinen, womit es einem Bezugsrecht nicht im Wege stehen würde.
IV. Aus einem Bezugsrecht resultierende Anreize 447 Die Diskussion, ob die Zuerkennung eines Bezugsrechts vorzugswürdig ist oder nicht, muss auch die Anreize berücksichtigen, die mit einem solchen Recht bereits im Vorhinein einhergehen.
1.
Frühzeitige Verfahrenseinleitung
448 Ein unmittelbarer Anreiz würde darin bestehen, dass Anteilseigner bei Aussicht auf eine fortbestehende Beteiligung auch nach der Insolvenz frühzeitig das Insolvenzverfahren einleiten würden.1068) Bekanntlich ist die Sanierung eines Unternehmens dann am ehesten möglich, wenn in einem möglichst frühen Stadium solche Sanierungsschritte unternommen werden.1069) Wenn aber die Anteilseigner im Insolvenzverfahren vielfach mit dem völligen Verlust ihrer Rechtsposition rechnen müssen, so werden sie die Stellung des Insolvenzantrags möglichst lang herauszögern. Oftmals ist es dann schon zu spät für eine erfolgreiche Sanierung. Ohne Bezugsrecht wäre aber genau dies zu erwarten.1070)
449 So weist auch Karsten Schmidt1071) darauf hin, dass derjenige, der die Möglichkeit des völligen Ausschlusses der Eigentümer (ohne Bezugsrecht) propagiere, von dem „rechtspolitischen Gesäusel“ Abstand nehmen solle, dass hiermit den Gesellschaftern der frühe Einstieg in die schöne neue Welt des Insolvenzverfahrens und seiner Sanierungsoptionen anempfohlen würde. Ähnliche Gefahren sieht Spliedt1072), der die ___________ 1067) Siehe unten VIII. 1. 1068) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126. 1069) Wilden, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 3 Rn. 4; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 516 f. 1070) Weniger Bedenken legen diesbezüglich Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508 an den Tag: sie gehen (ohne Erwähnung eines Bezugsrechts) davon aus, dass die vollständige Verdrängung der Alt-Anteilseigner die Ausnahme sein wird, da auch für diese ein Plan, der ihnen eine weitere Kapitalbeteiligung zugesteht, sehr attraktiv sein könne. Dabei betonen sie, dass dies nur gegen frisches Kapital der Fall sein könnte; dennoch halten sie dies für ein starkes Motiv, schon frühzeitig diesen Weg (die Einleitung des Insolvenzverfahrens) einzuschlagen. 1071) K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087. 1072) GmbHR 2012, 462, 471.
216
IV. Aus einem Bezugsrecht resultierende Anreize
Anreizfunktion des Schutzschirmverfahrens konterkariert sieht durch die Gläubigerherrschaft im eröffneten Verfahren, in dessen Folge die Anteilseigner damit rechnen müssten, dass ihnen das Unternehmen „unter dem Hintern“ entzogen werde.1073)
2.
Verhinderung des Eingehens übermäßiger Risiken
Geschäftsleiter eines Unternehmens sind bekanntlich vor der Insolvenz besonders 450 geneigt, große Risiken einzugehen, weil die Anteilseigner1074) hierdurch aufgrund der Haftungsbeschränkung nur gewinnen, aber kaum verlieren können; es ist somit regelmäßig ein Risiko auf Kosten der Gläubiger.1075)
a) Vor der Insolvenz Würde aber über ein Bezugsrecht die Möglichkeit bestehen, dass Alt-Anteilseigner 451 auch nach der Insolvenz weiter beteiligt bleiben, so wäre damit der Anreiz verbunden, auch vor der Insolvenz im Angesicht des Totalverlusts kein übermäßig hohes Risiko einzugehen. Handelt es sich bei den Anteilseignern zugleich um die Geschäftsleiter, so gilt: je weniger Aussicht auf zukünftigen Einfluss, desto höher die Verzweiflung des Managements.1076) Wenn ihnen umgekehrt die Möglichkeit des Anteilserhalts aufgezeigt würde, so wäre weniger Anlass zu verzweifelten Schritten gegeben; im Ergebnis würden sie vernünftigere Entscheidungen treffen.1077) Für externes Management könnte dieser Anreiz dahingehend bestehen, dass sie bei Reorganisation unter Beteiligung der bisherigen Anteilseigner die Aussicht haben, ihren Geschäftsleiterposten zu behalten.
___________ 1073) So die Formulierung von Spliedt, GmbHR 2012, 462, 471; er zieht daraus den Schluss, dass ein innerhalb der Schutzschirmfrist von den Eigenverwaltern vorgelegter Insolvenzplan Vorrang haben sollte vor einem Gläubigerplan, wenn den Gläubigern kein gegenüber dem Planvollzug größerer Nachteil droht bzw. etwaige Nachteile nicht durch eine salvatorische Klausel im Stil von § 251 Abs. 3 InsO n. F. ausgeglichen werden könnten. Zur Ablehnung eines solchen Konzepts aufgrund der Gefahr Anteilseigner-bevorteilender Pläne siehe unten bei VIII. 6.b. 1074) Denen sie verpflichtet sind, wenn sie nicht sogar selbst zu den Anteilseignern gehören. 1075) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 157 f. (1997). 1076) „the more desperate and disenfranchised the owners, the more desperate their actions“, Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 158. (1997). 1077) Generell zu der Problematik des Anreizes zu einer riskanten Geschäftspolitik Eidenmüller/ Engert, ZIP 2009, 541, 544 m. w. N. Ein Anreiz besteht im US-Recht auch vor dem Hintergrund, dass bei der new value exception das Insolvenzgericht bei dem späteren Befinden über den Plan auch die gezeigte good faith der Eigner-Manager in seine Abwägung einzubeziehen hat. Wissen sie dies vorher, so werden sie nach Treu und Glauben ihre besten Leistungen erbringen – dies i. Ü. unabhängig davon, ob ihnen später im Plan Anteile zugeordnet werden oder nicht; der Anreiz wirke immer, siehe Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 157 f. (1997).
217
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
b) In der Insolvenz 452 Wird nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO angeordnet, so würde die Ermöglichung der weiteren Anteilseignerschaft auch den Anreiz vorhalten, während der Insolvenzplanerstellung die Firma angesichts des drohenden Verlusts aller Rechte daran nicht nur noch sorglos zu verwalten, sondern stattdessen „good management“ an den Tag zu legen.1078) Dabei kann sich etwa nach Georgakopoulus1079) auch die Ausgestaltung als Option positiv auswirken: hierdurch würde einer Risikoaversion des Managements entgegengewirkt, wodurch i. E. zukünftige Gewinne ermöglicht werden können. Diese Risikoaversion kann sich ergeben, weil sich in der Insolvenz die Anreize umkehren: aus der Regel, dass Geschäftsleiter kurz vor der Insolvenz die risikoreicheren Projekte bevorzugen, könnte zunächst gefolgert werden, dass auch Eigenverwalter keinen weiteren Anreiz brauchen, um hohe Risiken einzugehen. Dies sei aber falsch: debtor-inpossession-Manager seien vielmehr aufgrund der bei insolventen Firmen regelmäßig bestehenden Aussichtslosigkeit des Erreichens eines Solvenz-Status viel zu risikounfreudig, weil sie nichts zu gewinnen haben. Erst die Option einer Beteiligung verschaffe ihnen einen Anreiz, variable projects anzugehen.1080)
453 Im deutschen Recht wird dies allerdings, dies sei direkt angemerkt, allein bei der Eigenverwaltung der Fall sein. Solange es dabei bleibt, dass der Insolvenzverwalter der Regelfall ist, ist dieser Anreiz kaum gegeben; denn dessen Verwaltung ist nicht durch Anreize auf spätere Anteilsinhaberschaft beeinflussbar.
3.
Negative Anreize
454 Ein negativer Anreiz eines Bezugsrechts kann darin gesehen werden, dass bei Wissen um das Bestehen eines Bezugsrechts die Anteilseigner das Zuschießen frischen Kapitals vor der Insolvenz unterlassen und lieber auf ein Insolvenzverfahren hoffen, wo sie diese Mittel dann in ein frisch saniertes Unternehmen stecken können. Dieser Anreiz wird allerdings deutlich schwächer ausgeprägt sein, da auch das ESUG nichts daran geändert hat, dass mit einer Insolvenz erhebliche Wertverluste einhergehen und auch kein exklusives Planinitiativrecht besteht. Zudem geht es im vorliegenden Kontext um ein Bezugsrecht, das aus einem DES resultiert. Kommt dieser gar nicht erst zustande, so bleibt es bei dem Schicksal der Anteilseigner, dass sie ihre Position vollends verlieren. Zudem wäre dieser Nicht-Anreiz zu Sanierungskapitalspritzen wohl am ehesten ausgeprägt bei solchen Anteilseignern, die schon vorher keine Anteilsmehrheit besitzen. Für den vorherigen Mehrheitsanteilseigner wäre der Verlust seines Status als selbiger dagegen wenig attraktiv. ___________ 1078) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 157 (1997). 1079) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 157 (1997). 1080) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 158 (1997): “not only are managers motivated by the new value plan, but they are also nudged away from their natural risk aversion“.
218
IV. Aus einem Bezugsrecht resultierende Anreize
Einem Recht der Anteilseigner auf weitere Beteiligung wird aber entgegengehalten, 455 dass sich die hierin bestehende Abweichung von der absoluten Vorrangregel bereits weit im Vorfeld der Insolvenz negativ auswirken würde. Wenn das Insolvenzrecht eine volle Durchsetzung der begründeten Rechtspositionen verhindert, folglich die Entscheidung über das Schicksal des Unternehmens in der Insolvenz nicht allein in den Händen der Gläubiger liegt, so führt dies nur zu höheren Kreditkosten, die das Ausfallsrisiko miteinberechnen.1081) Hierdurch werden zugleich die Produktionskosten erhöht und die Produktivität gesenkt.1082) Dies leitet somit über zu der Diskussion, die um die Vor- und Nachteile einer fresh 456 start policy geführt wird.1083) So ist bekannt, dass die erleichterte Zulassung des Schuldenschnitts unter weiterer Beteiligung der Alt-Anteilseigner mit frischem Kapital unter dem Aspekt des fresh start zwar Vorteile haben kann in der Hinsicht, dass Kenntnisse und Fähigkeiten der bisherigen Gesellschafter-Geschäftsführer nicht ungenutzt bleiben. Denn wenn aus gescheiterten Unternehmungen Altlasten mit herumgetragen werden, die kaum jemals abzahlbar erscheinen, so eliminiert dies jeden Anreiz, wieder produktiv tätig zu werden.1084) Es ist aber auch bekannt und hinlänglich untersucht, dass mit einem erleichterten fresh start negative Anreize einhergehen, die bei Sorglosigkeit und exzessiver Kreditaufnahme beginnen und allzu schnell Gegenreaktionen erzeugen1085): Kreditgeber antizipieren das höhere Ausfallsrisiko durch höhere Kreditzinsen und durch zurückhaltende Kreditvergabe.1086) Allerdings betrifft die fresh start policy regelmäßig nur Einzelpersonen. Bei Un- 457 ternehmen und insbesondere Kapitalgesellschaften bedeutet das Scheitern1087) den ___________ 1081) Jackson, 91 Yale L. J. 857, 871 (1982). 1082) So die creditors-bargain-Theorie, s. o. Dagegen argumentieren die Befürworter einer weniger strikten Beachtung der Rangfolgen, dass ein Insolvenzrecht ohnehin schon eine ReAllokation von Ressourcen mit sich bringt, die teuer und schmerzhaft „in the short term“ ist. Zwar sei diese Re-Allokation auf lange Sicht vorteilhaft. Diese Vorteilhaftigkeit könne aber auch durch eine „more gradual reallocation“ erreicht werden, die ohne so viel „Schmerz“ auskomme – zumal sich dieser Schmerz meist auch auf am Vertrag (debt contract) Unbeteiligte (Arbeitnehmer, Lieferanten, etc.) ausweiten könne, siehe Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 130 (1997). 1083) Da die new value exception gerade als adäquates Werkzeug für kleine inhabergeführte Unternehmen angesehen wird, um diesen einen Neustart zu ermöglichen, wird dies diskutiert. 1084) Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1030 (1987); Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 160 (1997). 1085) Siehe nur Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 160 (1997) m. w. N. 1086) Natürlich können diese Aspekte auch positiv gedeutet werden in der Hinsicht, dass eine genauere Auswahl stattfindet und die Kreditnehmer besser überwacht werden, wodurch primär die zuverlässigen Kreditnehmer an die günstigen Kredite kommen. Insgesamt wird der fresh-start in Studien als mehr Vorteile als Nachteile beinhaltend eingeschätzt, so Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 160 (1997). 1087) Diesbezüglich nicht zu unterschlagen ist aber die vorteilhafte Folge, dass fehlallokierte Güter somit einer anderen Verwendung zugeführt werden, was für die Wirtschaft insgesamt vorteilhaft sein kann.
219
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
Verlust des Kapitals, ohne dass damit im Prinzip eine Nachhaftung der Anteilseigner einhergeht.1088) Eine Verbindung zwischen beiden kann erst dann entstehen, wenn es sich z. B. um sog. inhabergeführte Unternehmen handelt, bei denen ein fresh start auch in einem anderen Firmenmantel durch Wettbewerbsverbotsklauseln (z. B. in Franchise-Verträgen) verunmöglicht wird.1089) Vor diesem Hintergrund gründet sich die Befürwortung der new value exception1090) im US-Recht maßgeblich auf dem Gedanken, dass ohne diese der fresh start of family-owned businesses erschwert wird, obwohl jeder wettbewerbliche Markt der Existenz zahlreicher kleiner Unternehmen zwingend bedarf.1091)
458 Dass eine solche Aussage aber lediglich im Kontext kleiner Unternehmen gelten kann, liegt auf der Hand. Auf größere Unternehmen mit einer zersplitterten Anteilseignerstruktur, deren Anteile maßgeblich Charakter als Investitionsobjekt haben, ist dies kaum übertragbar. Eine derartige Bevorzugung der Alt-Anteilseigner ist hier nicht mit dem fresh start-Gedanken zu rechtfertigen. Denn es kommt in diesen Fällen selten auf die Person des Anteilseigners an, weil externes Management besteht.1092)
459 Um somit je nach Größe des Unternehmens und Einzelfall eine wertmaximierende Lösung zu finden, wird von den Befürwortern etwa im Fall der new value exception – die hier wiederum als Vergleich herangezogen werden kann – im Ergebnis größtmögliche Flexibilität für den Richter gefordert.1093) Im Rahmen eines solchen weiten Beurteilungsspielraums müsse dann eine Bevorzugung familiengeführter (bzw. closely-held) Unternehmen gelten, sofern auch deren Eigentümer in ihrer Existenz bedroht sind und sofern diese im bisherigen Verlauf good faith gezeigt ___________ 1088) Wo die persönliche Haftung auch des Anteilseigners via Bürgschaften oder Gesamtschuldbeitritten begründet wurde, muss der fresh-start-Gedanke auch auf diese übertragen werden; zugleich kann dies für eine Reorganisation sprechen, da damit auch die Bürschaft/Gesamtschuld der Forderungskürzung unterfällt. 1089) Hier sei die new value exception sogar die bessere Alternative zur Ungültigerklärung von Wettbewerbsverbot-Klauseln, siehe Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 159 ff., 165 (1997). 1090) Bei Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 165 (1997) sogar deren Erweiterung durch Aufgabe des strengen money or money’s worth-Standard und Zulassung auch von „debtor’s personal guarantees“. 1091) Die familiengeführten Unternehmen seien bekanntlich die „foundation of our society and economy“, so Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 164 (1997). 1092) Mit dieser Begründung wird auch in der deutschen Literatur die Vorzugswürdigkeit der erhaltenden Sanierung aufgrund der damit einhergehenden Verfügbarkeit der spezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten der Anteilseigner teils abgelehnt, siehe Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 42. 1093) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 166 (1997): „Because a legislative straightjacket cannot provide the flexibility necessary to achieve both goals, we must rely upon the courts' equity powers“.
220
V. Zuerkennung des Bezugsrechts zur Verhinderung von Missbrauch?
haben und weiter zeigen.1094) Bei einer solchen Lösung müssten die Alt-Anteilseigner ihre Fähigkeiten demonstrieren im Wettbewerb mit den Gläubigern, die die Vorteilhaftigkeit einer Übernahme durch sie selbst darzulegen haben. Unter Berücksichtigung der konkreten Situation müsse dann das Gericht im Rahmen seiner equity powers darüber entscheiden, ob zu Gunsten der Alt-Eigner die new value exception Anwendung finden sollte oder nicht. Dies sei besser und einfacher zu handhaben als die engen Voraussetzungen der cram down-Regelungen der 11 U.S.C. § 1129, die i. Ü. zu solch zweifelhaften Aktivitäten wie claims trading, impairment negotiations und classifications games geführt hätten.1095)
V. Zuerkennung des Bezugsrechts zur Verhinderung von Missbrauch? Damit bleibt noch die Frage, ob das Bezugsrecht dazu dienen kann, einem ggf. 460 drohenden Missbrauch durch die Aufkäufer notleidender Forderungen zu entgegnen, die eine Gesellschaft in die Insolvenz treiben, um sie dort zu übernehmen.1096) Ein Bezugsrecht würde eines der effektivsten Mittel gegen einen solchen Miss- 461 brauch darstellen, weil es die Macht der umwandlungswilligen Gläubiger einschränken würde, indem es den Alt-Eignern die Möglichkeit gibt, neue Anteile zu erwerben. Wenn hierdurch etwa eine beherrschende Stelllung mit ¾ der Anteile für den umwandelnden Gläubiger nicht mehr erreichbar wäre, so würde er von vornherein von seinen Plänen absehen. Allerdings geht die wirksame Verhinderung dieses Szenarios einher mit der nicht 462 zu unterschätzenden Gefahr, dass hiermit zum einen wieder für die Anteilseigner die bereits beschriebene Blockadeposition geschaffen wird, zum anderen aber auch diejenigen sanierungswilligen Gläubiger abgehalten werden, die den DES nicht allein dazu zweckentfremden wollen, die Gesellschaft feindlich zu übernehmen. Es ist also wiederum eine Abwägung vorzunehmen, welches Risiko als gefährlicher eingestuft wird. Klar sein muss dabei, dass auf die Idee der Vertreter einer new value exception, dass dem Richter umfassendes Ermessen zuerkannt werden sollte, hier nicht rekurriert werden kann: Dem deutschen Insolvenzrichter steht eine solche Gestaltungsmacht weder aus den Regelungen der InsO zu, noch besteht ein Ermessen vergleichbar den equity powers des US-Rechts. Einer Flucht in den Verweis auf die Notwendigkeit einer Entscheidung je nach konkretem Einzelfall, wenngleich theoretisch oft eine vorzugswürdige Lösung, sollte somit im Vorhinein direkt eine Absage erteilt werden. Zudem würde hierdurch auch wieder die Planbarkeit als eines der entscheidenden Elemente des Insolvenzplanverfahrens leiden.
___________ 1094) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 167 (1997). 1095) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 167 (1997). 1096) Siehe hierzu auch unten § 9. III. 2. und § 10. II. 3. d).
221
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
VI. Implikationen für das deutsche Recht 463 Fraglich ist, inwieweit aus den dargestellten Erkenntnissen aus der Chapter 11Diskussion Rückschlüsse gezogen werden können für das deutsche Recht. Dies könnte zunächst abgelehnt werden mit Verweis darauf, dass es bei der new value exception um die Frage geht, ob der Neuerwerb mit frischem Kapital gerechtfertigt werden kann vor dem Hintergrund der absoluten Vorrangregel, wenn ein von den Alt-Anteilseignern ausgearbeiteter Plan dies vorsieht. Aufgrund der Umstände stellt sich damit aber nicht die Frage, ob denn die Alt-Eigner ihre Beteiligung erzwingen können, falls der Plan die new value exception nicht vorsieht.1097) Genau dies ist aber die Frage beim Bezugsrecht: hier geht es gerade nicht um die Frage, ob die Gläubiger Einwände erheben dürfen, wenn die Alt-Eigner nach dem Plan beteiligt bleiben, sondern umgekehrt um die Frage, ob die Alt-Anteilseigner Einwände erheben dürfen, wenn sie nach dem Plan nicht beteiligt werden.
464 Eine Verbindung ergibt sich aber zum einen daraus, dass bei beiden Konstellationen die Frage gestellt werden muss, ob ein Verstoß gegen die absolute Vorrangregel vorliegt. Darüber hinausgehend könnte sich eine Vergleichbarkeit und damit die Übertragbarkeit der Argumente dadurch ergeben, dass in der speziellen Situation des Chapter 11-Verfahrens der debtor in possession den Regelfall darstellt und damit zunächst ein exklusives Planinitiativrecht nach 11 U.S.C. § 1121(b)1098) der fortbestehenden Geschäftsleitung (die meist auch die Anteilseigner sind oder zumindest indirekt Einfluss auf diese haben1099) einhergeht. Hieraus ergibt sich erst für diese die Chance, durch Nutzen der new value exception weiter Anteile am sanierten Unternehmen zu halten.1100) Somit existiert ein durch die Umstände begünstigtes „faktisches“ Bezugsrecht1101) in dem Sinne, dass die bisherigen Anteils___________ 1097) Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1068 (1987): “In effect, a new contribution is not available as of right. Its use must be justified by a benefit to dissenting creditors and by the owners’ willingness to undertake risks that are real and extraordinary. The leverage created for the owners is conditional, rather than absolute.“ 1098) Exklusivität für 120 Tage; siehe auch § 1121(c) (exclusivity period extends to 180 days if the debtor files plan within the initial 120 days). 1099) Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1060 f. (1987). 1100) Zwar obliegt dem Management theoretisch eine Obligation zur Rücksichtnahme gegenüber den Gläubigern, doch faktisch kontrollieren sie und nicht die Gläubiger die Planausarbeitung, Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1064 (1987); Siehe auch a. a. O. S. 1052, wo dies mit der Erwägung begründet wird, dass bekannte Investoren in der Praxis vorzugswürdiger seien gegenüber unbekannten Investoren. 1101) Zwar wird sogar von “preemptive retention” of equity purchase rights“ gesprochen (so der Solicitor General nach Meyer, 24 Ind. L. Rev. 417, 423 f. (1990) bzw. vom “equityholders' receipt of intangible value (the right to contribute)“, so Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 239 (1989). Dies muss aber ausgelegt werden als „Recht“, dass der vorgeschlagene Plan auch per cram down widerstrebenden Gläubigern aufgezwungen werden kann, so auch Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1053 (1987). Dieses faktische Bezugsrecht ergibt sich aber eben nur aus den Umständen und wird nicht auf einen verfassungsrechtlichen Schutz zurückgeführt.
222
VI. Implikationen für das deutsche Recht
eigner bei Vorliegen der Voraussetzungen der new value exception auch gegen den Willen der Gläubiger eine weitere Beteiligung erhalten können. Demnach können beide Szenarien auf die selbe Grundfrage zurückgeführt werden: 465 Ist es vorzugswürdig, den Anteilseignern ein „Recht“ (sei es ausdrücklich statuiert oder ergebe es sich aus den Umständen) zuzuerkennen, gegen frisches Kapital weiterhin am Unternehmen beteiligt zu bleiben? Eine Vergleichbarkeit könnte aber dann noch abgelehnt werden mit dem Argu- 466 ment, dass es bei der Frage des Bezugsrechts ja nur um die Frage geht, ob die AltEigner Teile des neuen Stammkapitals halten dürfen; bei der new value exception in seiner häufigen Form ging es dagegen um Fälle, bei denen die Alt-Eigner alleinige neue Eigner waren. Zuletzt könnte darauf hingewiesen werden, dass eine new value exception schon von ihren Voraussetzungen her nicht erfüllt wäre, wenn das frische, aber ungewollte Kapital der Alt-Anteilseigner nicht notwendig („necessary to the success of the reorganization“) wäre. Diesbezüglich muss aber darauf verwiesen werden, dass nach deutschem Gesellschaftsrecht bei vorheriger Kapitalherabsetzung auf Null ohnehin zwingend Barkapital aufzubringen ist, so dass dies bei entsprechender Anwendung auch „necessary“ wäre; hier geht es ja gerade um die Grundfrage, von wem dieses stammen soll. Zudem ist in der Sanierungspraxis auch regelmäßig frisches Barkapital nicht nur in Höhe des Mindestkapitals nötig, sondern darüber hinaus. Wenn darauf verwiesen würde, dass dieses bei Bereitstellung durch die umwandelnden Gläubiger wiederum bei selbigem Angebot der AltEigner nicht „necessary“ wäre, so läuft dies wieder auf die bereits oben angesprochene und hier zu entscheidende Grundfrage hinaus, ob die umwandelnden Gläubiger ein Recht haben, alleinige neue Anteilseigner zu werden. Somit ist im Grundsatz ein Vergleich möglich, zugleich muss aber differenziert 467 werden. Die soeben beschriebenen Unterschiede zeigen nämlich, dass sich die Frage einer weiteren Beteiligung der Alt-Anteilseigner in zwei Dimensionen stellt. Zum einen geht es um die Frage, ob ein Bezugsrecht zwingend gewährt werden sollte. Damit verbunden ist aber die zweite Dimension dieser Problematik, die fragt, ob ein Plan, der den Anteilseignern dieses Bezugsrecht ohne eine solche zwingende Verpflichtung zugesteht, den § 245 InsO ausschalten würde. Es stehen somit drei verschiedene Lösungsoptionen zur Auswahl:
468
Lösung 1:
Den Alt-Anteilseignern steht immer zwingend ein Bezugsrecht zu.
Lösung 2:
Ein Bezugsrecht besteht nicht. Sieht der Plan aber eine weitere Beteiligung der Alt-Eigner gegen Barkapital vor, so stellt dies keine Zuwendung eines wirtschaftlichen Wertes i. S. d. § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO dar und die Gläubiger können diesen Insolvenzplan folglich nicht durch mehrheitliche Ablehnung innerhalb ihrer Gruppe verhindern.
223
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
Lösung 3:
Den Alt-Eignern steht kein Recht auf weitere Beteiligung zu; sieht der Insolvenzplan sie dennoch vor, so kann dieser nicht gegen die Mehrheit der Gläubiger auch nur einer Abstimmungsgruppe durchgesetzt werden, da 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO nicht erfüllt wäre.
VII. Stellungnahme 1.
Kein Verstoß gegen die absolute Vorrangregel
469 Wie oben1102) bereits dargelegt, besteht bei Zuerkennung eines Bezugsrechts nach Lösung 1 das Problem, dass dies als Verstoß gegen die absolute Vorrangregel die Anwendbarkeit des § 245 InsO auf obstruierende Gläubigergruppen verhindern könnte. Würde folglich nur ein einziger Anteilseigner sein Bezugsrecht geltend machen, so würde der Schutz gegen obstruierende Gläubigergruppen sofort entfallen. Dies könnte dazu führen, dass sich bei Lösung 1 entweder die obstruierenden Gläubiger ihre Zustimmung oder die Anteilseigner ihre Nicht-Ausübung abkaufen lassen würden von denjenigen Gläubigern, die eine Annahme des DES-Plans als Ziel verfolgen. Beides wäre misslich. Dies wäre einfach dadurch zu lösen, dass Lösung 2 verfolgt wird, weil diese eine Blockademöglichkeit der Gläubiger wie auch der Anteilseigner eliminieren würde. Allerdings könnte diese Rechtsfolge1103) auch unter Lösung 1 erreicht werden, wenn davon ausgegangen wird, dass die aus einem Bezugsrecht folgende Ausübungsoption schon gar keinen wirtschaftlichen Wert darstellt, da sie kein aus der Insolvenzmasse stammender Wert ist. Für eine solche enge Auslegung sprechen dabei die besseren Gründe: denn solange das Bezugsrecht so ausgestaltet ist, dass hieraus lediglich eine Minderheitsbeteiligung folgen kann, ist der Wert gering (kein control premium), wenn zudem berücksichtigt wird, dass hierfür in voller Höhe (plus ggf. ein Agio) Barkapital aufgebracht werden muss. Sind die Anteile zudem vinkuliert bzw. zumindest bis zur Befriedigung der gestreckten Forderungen der Gläubiger (in gekürzter Höhe) von einem Ausschüttungsverbot belegt, so kann dies keinen Wert darstellen, für den nicht eine äquivalente Gegenleistung erbracht würde. Aufgrund der äquivalenten Gegenleistung werden somit die Gläubiger in ihren Vermögensinteressen primär nicht geschädigt. Mit diesem Resultat wären somit alle 3 Lösungen noch vertretbar.1104)
___________ 1102) Insb. unter IV. 3. b). 1103) Also die Beseitigung der hold-out-Position von mit der Ausübung drohenden Alt-Eignern bei gleichzeitiger mehrheitlicher Ablehnung durch eine Gläubigergruppe. 1104) Auch Lösung 3 ist hierdurch nicht verbaut, denn bei dieser geht es nicht um die Frage eines wirtschaftlichen Wertes in Form eines unentziehbaren Bezugsrechts, sondern um einen wirtschaftlichen Wert durch die weitere Beteiligung, die der Insolvenzplanersteller etwa mit Zustimmung des Gläubigerausschusses (siehe § 218 Abs. 3 InsO) von sich aus in den Plan geschrieben hat. Zu der Sonderkonstellation beim Eigenwalter siehe unten 6. b).
224
VII. Stellungnahme
2.
Vergleich mit anderen Verwertungsalternativen
Anknüpfend an die oben aufgeworfene Frage, ob bei Zuerkennung eines Bezugs- 470 rechts den Anteilseignern nicht unberechtigterweise die Vorteile einer Sanierung im Insolvenzplanverfahren zugute kommen würden, ohne dass sie (außer Einbringung des frischen Kapitals) eigene Anstrengungen unternehmen müssten, könnte gefragt werden, ob dies bei der übertragenden Sanierung nicht auch so ist, weshalb es in der Konsequenz hinzunehmen wäre. Dies wäre mithin ein Argument für die Vorzugswürdigkeit von Lösung 1. Es kommt in der Praxis in der Tat nicht selten vor, dass die Alt-Eigner das Unternehmen per übertragender Sanierung aus der Insolvenz kaufen und unter neuer Gesellschaft fortführen (siehe nur § 162 InsO). Ein beachtlicher Unterschied besteht allerdings darin, dass die Alt-Anteilseigner in einem solchen Fall eine größere Summe zusammenbekommen müssten, um das ganze Unternehmen zu kaufen, sie mithin nur die Wahl hätten, sehr viel oder gar nicht zu investieren.1105) Im Gegensatz zu einer solchen Alles-oder-Nichts-Situation könnten sie bei einem angenommenen Bezugsrecht dagegen mit einem vergleichsweise geringen Bargeldeinsatz zumindest zu einer Sperrminorität und damit zu Einfluss gelangen.1106) Generell muss dabei noch darauf verwiesen werden, dass den Anteilseignern auch 471 im Regelverfahren kein Recht auf weitere Beteiligung zusteht. Zwar könnten sie grundsätzlich einen Fortführungsbeschluss für die qua Insolvenzverfahrenseröffnung eigentlich aufgelöste Gesellschaft fassen. Dann würden aber mit dem Rechtsträger auch die Verbindlichkeiten verbleiben, weshalb dies für die Anteilseigner nicht dieselben Vorteile hätte wie beim Insolvenzplanverfahren, wo der Schuldner regelmäßig von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreit wird, § 227 Abs. 1 InsO. Somit könnte vor dem Hintergrund der Gleichwertigkeit der Verwertungsalternativen gefragt werden, wieso dies den Alt-Anteilseignern beim DES zustehen soll, nicht aber bei übertragender Sanierung oder anderen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen, bei denen das Kapital nicht erhöht wird?1107)
___________ 1105) Neben dem generellen Unterschied, dass bei der übertragenden Sanierung die rechtsträgergebundenen Berechtigungen nicht übergehen, was letztlich einer der Gründe für den DES darstellen kann. Dass der Käufer bei der übertragenden Sanierung auch deutlich mehr Liquidität aufbringen müsste als beim DES erwähnt Zabel, in: Kübler, HRI, § 27 Rn. 162. 1106) Hieraus erklärt sich bei der new value exception die Notwendigkeit, dass die new value „substantial“ sein muss; substantial bedeutet dabei: in gewisser Höhe, so dass damit auch ein Risiko für die Alt=Neu-Eigner einhergeht; kritisch dazu Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 95 Fn. 166 (1991). 1107) Hier kann auch nochmal darauf verwiesen werden, dass es den Gesellschaftern ja auch im Insolvenzverfahren noch freisteht, eine Kapitalerhöhung durchzuführen, hiermit die Insolvenzgründe zu beseitigen und somit die Gläubigerherrschaft zu beenden, siehe etwa Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 19 sowie oben § 6. III. 4. e) bb) (2).
225
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
3.
Abwägung der Interessen der Gläubiger gegen die der AltAnteilseigner
472 Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Frage eines Bezugsrechts mangels verfassungsrechtlich zwingender Vorgaben u. a. auf die Frage hinausläuft, ob ein zwingend gebotenes, einforderbares Bezugsrecht abzulehnen ist, weil die Interessen der umwandelnden Gläubiger an dem Erreichen der alleinigen Beteiligung oder einer gewissen Beteiligungsschwelle in einer Abwägung höher zu gewichten sind als die Interessen der Alt-Eigner.
a) Interessen der Alt-Anteilseigner 473 Die Vorzugswürdigkeit der Interessen der Alt-Anteilseigner könnte daraus gezogen werden, dass die Disposition auch über die Gesellschaftsanteile, obgleich nicht Teil der Insolvenzmasse, zur Optimierung der Gläubigerbefriedigung nunmehr faktisch in die Hände der Gläubiger gelegt wurde und als Ausgleich hierfür das Interesse der Alt-Eigner an weiterer Beteiligung, sofern vorhanden, Berücksichtigung finden müsse. Allerdings wurde oben dargelegt, dass hierfür eine Berufung auf das Grundrecht aus Art. 14 GG oder Art. 9 GG ausscheidet.1108) Abgesehen von der gestärkten Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren kann auch aus dem ESUG eine solche Prärogative nicht hergeleitet werden, zumal durch dieses ja die bisher bestehende Blockadeposition erst beseitigt und die hier geführte Diskussion damit erst notwendig gemacht wurde.
b) Interesse der Gläubiger an Erhalt einer gewissen Beteiligung 474 Jedenfalls würde das Interesse der Alt-Anteilseigner dann in den Hintergrund rücken, wenn das entgegenstehende Interesse der umwandelnden Gläubiger, eine gewisse Beteiligungsschwelle1109) zu erreichen, höher zu bewerten wäre.
475 Anknüpfend an die vom BGH aufgestellten Voraussetzungen des Bezugsrechtsausschlusses wäre somit zunächst zu fragen, ob das Interesse der Gläubiger an der Übernahme der Gesellschaft ein gesellschaftsfremdes Motiv ist.1110) Dies wäre nicht der Fall, wenn dies die einzige Möglichkeit der Sanierung darstellen würde. Wenn aber sowohl Gläubiger als auch Alt-Eigner bereit sind, Sanierungsbeiträge in Form von Barkapital zu leisten, letztere hiervon aber ausgeschlossen werden, so wäre dies keine gesellschaftsfremde, sondern eine gesellschafterfremde Erwägung.
___________ 1108) Siehe oben § 6. III. 4. e) bb). 1109) Siehe Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126: hinreichend interessante Beteiligungsquote. Siehe hierzu auch Spetzler, S. 57 f. im Rahmen der Prüfung von Art. 14 GG. 1110) BGHZ 71, 40, 50.
226
VII. Stellungnahme
Hier könnte argumentiert werden, dass eine höhere Bewertung der Gläubigerinte- 476 ressen aber aus zwei Prinzipien des Insolvenzverfahrens gezogen werden kann: Zum einen aus dem Grundsatz der Gläubigerautonomie, der besagt, dass allein die Gläubiger über die Verwertung entscheiden dürfen. Dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gläubigerherrschaft gilt, ist aus der Systematik der InsO zu erkennen.1111) Zudem erkennt die InsO nach der Reform durch das ESUG kein Mitwirkungsrecht der Anteilseigner mehr an, das nicht über § 245 Abs. 3 InsO n. F. überwunden werden könnte. Damit wird dem Prinzip der Gläubigerherrschaft in noch deutlicherem Maße Rechnung getragen. Zum anderen relevant sein könnte das Prinzip der absoluten Vorrangregel, das besagt, 477 dass Gläubiger vor Anteilseignern zu befriedigen sind. Daraus könnte geschlossen werden, dass deren Interessen auch immer vorrangig sein müssen und sich dies erst umkehrt, wenn sie zu 100 % befriedigt werden. Bei Heranziehung des letzteren Prinzips wäre allerdings das Problem, dass es bei der Frage des Bezugsrechts nur indirekt um Befriedigung geht; denn die Wertzuwendung an Gläubiger würde sich durch eine weitere Beteiligung der Alt-Anteilseigner mit frischem Kapital primär nicht ändern. Wenn hierdurch einige Gläubiger ihre Forderungen nicht umwandeln brauchen, so würden sie dafür nach den Regelungen des Insolvenzplans ebenso wie andere Gläubiger in gekürzter Höhe Zahlungen erhalten, für die auch Mittel bereitstehen würden durch das eingebrachte frische Kapital der Alt-Eigner. Jedenfalls könnte argumentiert werden, dass bei einem Recht der Alt-Eigner auf 478 weitere Beteiligung das Insolvenzverfahren mit seinen Sanierungsmöglichkeiten den Alt-Anteilseignern zugute kommen würde, ohne dass dies zu den Kernzielen des Insolvenzverfahrens gehören würde.1112) Dies würde, wenn wiederum der Vergleich zur übertragenden Sanierung gezogen wird, auch darauf hinauslaufen, dass dieses Recht auf Beteiligung maßgeblich daraus resultiert, dass die Alt-Anteilseigner ein Unternehmen geschaffen haben, bei dem aufgrund seiner rechtsträgergebundenen Berechtigungen eine optimale Gläubigerbefriedigung nicht über den Verkauf, sondern nur über Reorganisation erreicht werden kann. Eine Unterscheidung in diese Richtung unternimmt zwar Madaus1113), indem er deutlich zwischen Liquidationsszenario (auch mit übertragender Sanierung) und Reorganisationsszenario unterscheidet und bei letzterem die mitgliedschaftlichen Rechte der Gesellschafter in ihrem Kernbereich für unantastbar hält. Bei wirtschaftlicher Betrach___________ 1111) Auch der RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 17 sagt ausdrücklich: „Vorrangiges Ziel des Insolvenzverfahrens ist die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Daran wird festgehalten. Künftig sollen die Gläubiger den Ablauf des Insolvenzverfahrens sogar noch stärker als bislang bestimmen können.“ 1112) Dies dient primär der Gläubigerbefriedigung, § 1 InsO. Dieser Gefahr haben sich die Anteilseigner auch ausgesetzt, indem sie Fremdkapital aufgenommen haben, vgl. nur Willemsen/ Rechel, BB 2010, 2059, 2064. 1113) Madaus, ZGR 2011, 749, 755 ff.
227
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
tung kann dies aber keinen Unterschied machen, da es um die bestmögliche Verwertung zugunsten der Gläubiger gehen soll. Letztere Überlegungen würden somit gegen Lösung 1 und für Lösung 2 oder 3 sprechen.
479 Die Annahme, ein Bezugsrecht könne jedenfalls nicht erzwungen werden, würde im Endeffekt auch nur das ohnehin zumeist erzielte Ergebnis vorwegnehmen, indem es die starke Stellung der Gläubiger im Kontext eines DES berücksichtigt. Denn selbst wenn es sich schon nicht im Rahmen einer Abwägung ergäbe, so wäre es doch das Ergebnis in der Praxis, weil der umwandelnde Gläubiger insofern am längeren Hebel sitzt, als dass er seine Rechtshandlungen unter die Bedingung stellen würde, dass er einen gewissen Anteil erhält. Damit würde er einer Umwandlung nicht zustimmen, wenn er diesen Anteil nicht erhält. Das Bezugsrecht resultiert aber erst aus der Durchführung des DES. Es könnte mithin gefragt werden, warum sich die Beteiligten des Insolvenzplanprozesses hiermit aufhalten sollten, wenn sich die Position des Alt-Anteilseigners letztlich doch nicht durchzusetzen vermag.1114)
480 Auf Basis der oben gemachten Ausführungen sind auch keine zwingenden Gründe erkennbar, warum dieses Interesse der umwandelnden Gläubiger durch zwingende Zuerkennung eines Bezugsrechts an Alt-Anteilseigner eliminiert werden sollte. Ein solcher Grund könnte einzig darin gesehen werden, dass die Gläubiger ihre Bereitschaft zur Umwandlung dann nicht zurückziehen können1115), wenn sie die Forderungen allein mit dem Ziel aufgekauft haben, das Unternehmen in die Insolvenz zu treiben und es durch DES zu übernehmen. Dann würde ein zwingendes Bezugsrecht einen wirksamen Ausgleich gegen Missbrauch darstellen.
481 Die damit zugleich einhergehenden Blockademöglichkeiten dürfen dabei aber nicht übersehen werden. Die Verhinderung einer Missbrauchsposition (Übernahme durch die Hintertür des Fremdkapitals) mit der Stärkung der anderen Missbrauchsposition (weitere Blockademöglichkeit der Anteilseigner) zu rechtfertigen, fällt dabei argumentativ enorm schwer. Zudem gibt es andere Mittel gegen die Übernahme durch die Hintertür: die Insolvenz können die Anteilseigner abwenden durch Suche und Hereinnahme eines „weißen Ritters“, der per Barkapitalerhöhung die Aktiva erhöht und die Insolvenzgründe beseitigt. Außerdem wird in den Missbrauchsfällen nach der hier vertretenen Ansicht zumindest die Vermögensposition ___________ 1114) Zu diesen Überlegungen siehe näher unten VIII. 6. b). Das Selbe gilt für den denkbaren Ausweg, dann den DES nur mit Gläubigern durchzuführen, die nicht die Mehrheit anstreben. Dies wäre zwar nicht undenkbar, würde aber mit dem Nicht-Entfall bedeutender Verbindlichkeiten einhergehen und somit eine Sanierung wiederum mit einiger Gewissheit scheitern lassen. Selbst wenn diese Option angenommen würde, wäre sie mit hohen Transaktionskosten verbunden. Zudem müsste bei Erreichen der Anteilsmehrheit qua im Plan gewährten Bezugsrechts geprüft werden, ob nicht andere Investoren, also auch Gläubiger, interessiert waren. 1115) Dieses Szenario ansprechend Ekkenga, ZGR 2009, 581, 612: Gläubiger ist bereits in die Forderung investiert und steht somit mit den Altgesellschaftern „in einer Art Risikogemeinschaft, die bei der Interessenabwägung nicht außer Betracht bleiben kann“. Er folgert, dass damit – vor der Insolvenz – der Rechtfertigungsgrund für einen Bezugsrechtsausschluss entfällt.
228
VII. Stellungnahme
der Alt-Anteilseigner dadurch geschützt, dass hinsichtlich der Bewertung der AltAnteile keine Liquidationswerte, sondern Fortführungswerte (ohne Einbezug der Sanierungsmaßnahmen) anzusetzen sind. Droht den Anteilseignern ihre noch werthaltige Position durch den DES im Insolvenzplanverfahren missbräuchlich entzogen zu werden, erhalten sie hierfür Ausgleich.1116) Daher kann auch dieses Argument nicht allein für Lösung 1 streiten.
4.
Anreize
Die Tatsache, dass bei Aussicht auf weitere Beteiligung schon im Vorhinein der 482 Anreiz besteht, zum einen keine Hochrisikostrategie zu fahren, zum anderen frühzeitig Insolvenzantrag zu stellen, ist sicher als beachtlich einzustufen. Dies könnte als Beitrag zu einer neuen „Insolvenzkultur“ oder auch Sanierungskultur gesehen werden.1117) Dies würde erst recht gelten, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit auf Anordnung der Eigenverwaltung besteht, womit ein teilweises Insolvenzplaninitiativrecht einhergeht, in dessen Kontext dann sogar ein Insolvenzplan denkbar wäre, der den Alt-Eignern die Möglichkeit der Bareinlage in ausreichender Höhe zugesteht (Details siehe sogleich). Wenn allerdings ein Insolvenzverwalter eingesetzt wird, so ist dies in keiner Weise gesichert. Dieser kann auch eine Reorganisation1118) völlig ohne Beteiligung der Alt-Eigner intendieren. Es ist aber ohnehin fraglich, ob ein solcher Anreiz ins Gewicht fallen würde ange- 483 sichts der Tatsache, dass das Risiko des totalen Einflussverlustes für Anteilseigner in der Regel-Insolvenz weiterhin hoch sein wird. Das ESUG hat hier unterschiedliche Signale gesendet: einerseits hat es mit Erleichterung der Eigenverwaltung und Einführung des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO n. F.) die Position des Schuldners und damit zunächst dessen Eignern gestärkt, andererseits durch Einbeziehung der Anteilseigner in das Planverfahren und Unterwerfung derselben unter das Obstruktionsverbot eine vorher bestehende Verhandlungsposition bewusst eliminiert. Mit Zuerkennung eines Bezugsrechts würde die letztere Entscheidung relativiert. Da aber die Eigenverwaltung weiterhin nicht der Regelfall ist und ohne Eigenverwaltung kein irgendwie geartetes exklusives Insolvenzplaninitiativrecht besteht, würde ein solcher Anreiz allein keinen bestimmenden Einfluss haben auf das Verhalten der Geschäftsleiter und der Anteilseigner. Die Gefahr einer hieraus geschaffenen neuerlichen Blockadeposition aber bleibt. Dann würde sich aber die Frage stellen, ob dieser Anreiz in einer Abwägung höher 484 zu bewerten ist als die Einschränkung der Gläubigerrechte, die damit einher___________ 1116) Siehe unten § 6. III. 4. e) und oben § 10. II.; werden hierdurch zudem Gläubiger überkompensiert, so verhindert § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. den Insolvenzplan, siehe hierzu § 5. I. 4. e) aa) 1117) Siehe hierzu Thole, JZ 2011, 765 ff.; Vallender, NZI 2010, 838 ff. 1118) Bei für die Verwertungsfrage erheblichen rechtsträgergebundenen Berechtigungen, wenn also die übertragende Sanierung keine Option ist.
229
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
geht.1119) Dies knüpft an die vorherige Diskussion an und müsste hier konsequenterweise dazu führen, dass die mit einem solchen Bezugsrecht einhergehenden Gefahren ein größeres Risiko darstellen als der damit verbundene positive Anreiz.
485 Dies könnte zwar anders gesehen werden, wenn den Alt-Anteilseignern keine verstärkte Verhandlungsposition zugestanden, sondern lediglich ein Recht auf Missbrauchskontrolle zugewiesen würde.1120) Resultiert hieraus lediglich eine Beteiligung in kleinem Umfang, stellt sich aber die Frage, worin der Nutzen liegt, der den erhöhten Aufwand rechtfertigen würde, der in Transaktionskosten, Gerichtskosten und Beratungskosten besteht, die in nicht unbeträchtlichem Umfang anfallen dürften. Kostentreibende Faktoren wären insbesondere auch das Fehlen sämtlicher Maßstäbe etwa für die propagierte Missbrauchsschwelle.
486 Zwar kann auf den positiven Effekt verwiesen werden, dass bei weiterer Beteiligung der Anteilseigner hierdurch ein Markt etwa für Reorganisationsanleihen geschaffen würde, für den die vormals Beteiligten sicher eine Präferenz hätten, da sie das Unternehmen bereits kennen.1121) Dies spricht aber nur dafür, eine Beteiligung der Anteilseigner nicht generell zu verbieten, nicht aber dafür, diesen ein Recht auf Erzwingung derselben zu geben und somit nicht für Lösung 1.
5.
Die Beschränkung auf Fälle inhabergeführter Unternehmen mit kleinem Gesellschafterkreis
487 Die hier teils als Vergleich herangezogene new value exception (mit ihren durchaus vorzugswürdigen Funktionen), ist, wie dargestellt, besonders relevant bei kleinen inhabergeführten Unternehmen.1122) Bei größeren Unternehmen mit breiter Anteilseignerstruktur spielt sie dagegen keine große Rolle.1123) Selbst Vertreter der lossallocation-Lehre propagieren bei großen börsennotierten Unternehmen strikte Regeln, die den Aktionären wenig Verhandlungsspielraum lassen, weil deren Gesellschaftsanteile als bloßes Investitionsobjekt dienen.1124) Dies erkennt an, dass die frei gehandelte Aktie eines Unternehmens ein rein finanzielles Instrument, ebenso wie die Kreditgewährung für den Kreditgeber ein solches ist. Das Verhältnis zwischen beiden ist aber vertraglich eindeutig festgelegt: Ansprüche der Aktionäre sind nachrangig und die absolute priority rule hat Bestand, ohne dass Gründe ersichtlich sind, hiervon eine Aus___________ 1119) Auch diskutiert bei Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126: u. U. nicht mehr interessant für die Gläubiger, wenn sie somit nicht mehr in der Lage wären, eine hinreichend interessante Beteiligungsquote zu erreichen. 1120) Wie Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 127 dies intendiert haben. 1121) LoPucki/Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 152 Fn. 61 und S. 187 (1990). 1122) Sog. non-publicly held oder closely held businesses, Meyer, 24 Ind. L. Rev. 417, 425 (1990); Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1313 (1992). 1123) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 645 Fn. 51: negilible. 1124) Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1012, 1029, 1054 ff. (1987).
230
VII. Stellungnahme
nahme zu machen.1125) Damit verbindet sich die Notwendigkeit, hinsichtlich der Ermöglichung von new value contributions zwischen großen börsennotierten Unternehmen und kleinen inhabergeführten Unternehmen zu unterscheiden.1126) Entsprechend könnte versucht werden, auch im deutschen Recht nach Größe und An- 488 teilsstruktur zu differenzieren.1127) Die Unterscheidung zwischen sog. Anlagegesellschaftern und sog. Unternehmergesellschaftern ist dem deutschen Recht nicht gänzlich fremd.1128) Differenziert wird gerade im Rahmen der hier relevanten Frage, wann die materiellen Voraussetzungen für einen Ausschluss des Bezugsrechts erfüllt sind.1129) Anlagegesellschafter zeichnen sich dadurch aus, dass die Aktie bei ihnen regelmäßig eine reine Wertanlage darstellt, ohne dass damit großer Wert auf die Wahrnehmung der aus der Mitgliedschaft folgenden Kompetenzen gelegt wird. Es lässt sich also ersehen, dass hiermit zumeist Anteilseigner großer börsennotierter Aktiengesellschaften gemeint sind, die über keinen nennenswerten Anteil am Gesamtkapital verfügen. Unternehmergesellschafter dagegen verfügen über einen gewissen Anteil am Gesamtkapital und sind vielfach selbst Geschäftsleiter des Unternehmens. Es wird allerdings auch darauf verwiesen, dass eine „brauchbare Trennung von bloßen Anlageaktionären und Unternehmeraktionären mit Minderheitsbeteiligung bisher nicht gelungen (und wohl auch nicht ernsthaft versucht worden) ist“.1130) Auch spricht nichts in der Struktur oder dem Wortlaut der InsO dafür, eine solche 489 Unterscheidung vorzunehmen. Sie wäre deswegen schwer durchzuführen, weil ein solcher Spielraum für die Einzelfallentscheidung allein bei der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den einen Bezugsrechtsausschluss beinhaltenden Insolvenzplan gesehen werden könnte; hier fehlen aber Maßstäbe. Problematisch ist somit auch, dass keine klaren Regelungen gelten, was für das gesamte Planverfahren negative Anreize und Auswirkungen mit sich zieht.1131) Somit wäre eine Differenzie___________ 1125) Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1055 f. (1987); insbesondere gibt es hier (außer ggf. dem Management) keine von der Anteilsinhaberschaft abhängigen Personen (dependents), deren Schutz eine Ausnahme rechtfertigen würde. Insbesondere darf nicht versucht werden, den Schutz von dependents (wie z. B. Arbeitnehmer) durch den Schutz von Alt-Eignern zu erreichen, a. a. O. S. 1059. 1126) So ausdrücklich Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1068 (1987). 1127) In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass in der deutschen Insolvenzpraxis Reorganisationen per Insolvenzplan nach bisheriger Erfahrung und wohl auch in der Zukunft aufgrund der damit verbundenen Kosten zumeist nur bei großen Verfahren stattfinden, siehe Eidenmüller/ Engert, ZIP 2009, 541, 545. 1128) Siehe insbesondere die Habilitationsschrift von Jung, Der Unternehmergesellschafter als Kern der rechtsfähigen Gesellschaft, 2002. 1129) Siehe Dreier, S. 221 und MüKo/AktG-Hüffer, § 243 Rn. 90 f.; auch findet sich die Unterscheidung bei der Frage, ob nicht ausgeübte Bezugsrechte (sog. rump shares) auch externen Dritten angeboten werden können; dies solle ohne weiteres möglich sein bei börsennotierten AGs, bei personalistisch strukturierten AGs aber nur bei ausdrücklicher Regelung im Kapitalerhöhungsbeschluss, so Spindler/Stilz/Servatius, AktG, § 186 Rn. 21. 1130) MüKo/AktG-Hüffer, § 243 Rn. 91. 1131) Zu den negativen Anreizen, die regelmäßig bei uncertainty auftreten siehe Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 230 (1989).
231
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
rung nach Größe und Gesellschaftsform nicht praktikabel.1132) Eine solche müsste aber einhergehen mit einem Bezugsrecht, damit dies wiederum keine unerwünschten Auswüchse annimmt und nicht auch Aktionären großer Aktiengesellschaften zugute kommt, obwohl deren Anteile eine bloße Finanzanlage darstellen.
490 Eine Berücksichtigung der konkreten Größe und Organisationsform könnte aber deswegen für gar nicht nötig gehalten werden, wenn als ausreichend befunden wird, dass die Anteilseigner ja in Verhandlungen durchaus versuchen können zu erreichen, dass ihnen eine weitere Beteiligung gegen frisches Kapital gewährt wird. Bei kleineren inhabergeführten Unternehmen würden sich die Gläubiger hierauf ggf. einlassen, sofern sie erkennen, dass eine Zukunft mit dem Alt-Eigner an Bord besser aussieht als ohne. Dies spricht wiederum gegen Lösung 1. In konsequenter Ausführung dieses Gedankens würde dies sogar für Lösung 3 sprechen, die es notwendig macht, dass die Alt-Eigner sämtliche Gläubigergruppen davon überzeugen, ihnen gegen frisches Kapital neue Anteile zukommen zu lassen; gelingt dies nicht, so sei diese Gläubigerentscheidung aber zu beachten. Dies leitet über zu der Frage, ob Lösung 2 oder 3 vorzugswürdig wäre.
6.
Die koordinationsfördernde Wirkung
491 Fraglich ist, ob aber das Argument, dass durch eine anerkannte Ausnahme wie der new value exception (und damit einem im rechtspraktischen Ergebnis ähnlichen Bezugsrecht) erst die für ein ausgewogenes Ergebnis nötigen Verhandlungen ermöglicht werden, auch im deutschen Insolvenzplanverfahrensrecht seine Berechtigung hat. Insbesondere Simon/Merkelbach1133) als Vertreter eines zwingenden Bezugsrechts verweisen in Ermangelung gesetzlicher Maßstäbe darauf, dass die konkrete Höhe der durch Bezugsrecht zu erlangenden Anteile eine wirtschaftliche Lösung sein muss, die sich aus den Verhandlungen ergeben muss. Entsprechend wäre zu fragen, ob mit dem Bezugsrecht erst die Verhandlungen initiiert werden, die eine Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten ermöglichen.
492 Dass die Koordinationsfunktion in der US-Diskussion in solch besonderem Maße betont wird, hat damit zu tun, dass das Verhandlungselement bei Chapter 11Reorganisationen einen sehr großen Raum einnimmt. So ist man sich größtenteils einig, dass die Regeln des Chapter 11 ein Gerüst zur Verfügung stellen sollen, innerhalb dessen unter den Beteiligten verhandelt wird. Die Idee dahinter ist, dass desto eher eine globale Lösung zu finden ist, je mehr zwischen Gläubigern und Eignern verhandelt wird.1134) In diesem Verhandlungsraum sind die absolute Vorrangregel ___________ 1132) Siehe auch Madaus, ZGR 2011, 749, 764, Fn. 39: aus insolvenzrechtlicher Sicht kaum wünschenswert, ein Sonderinsolvenzrecht für börsennotierte AGs zu schaffen. 1133) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 127. 1134) Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1326 und 1316 Fn. 13 (1992) mit Verweis auf die Gesetzgebungsmaterialien.
232
VII. Stellungnahme
wie auch die new value exception „Werkzeuge“, die bei der Koordination der Interessen eingesetzt werden können.1135) Somit ist die new value exception auch eine Folge der Abwägung zwischen den zwei Prämissen, die das Chapter 11-Verfahren verfolgen soll1136): einerseits dem Schutz der Gläubigerrechte, andererseits aber auch der Förderung erfolgreicher Reorganisationen.1137) Das Chapter 11 gibt dem Richter zugleich die nötige Freiheit, auf die Situation des individuellen Unternehmens einzugehen. Bekanntlich sind die anzuwendenden tests auch im Rahmen eines cram down weiter gefasst und lassen mehr Flexibilität zu.1138)
a) Im Insolvenzplanverfahren unter Führung des Insolvenzverwalters Diese Idee der Verhandlungslösung ist zwar auch im deutschen Recht im Grund- 493 satz übernommen worden.1139) Jedoch ist der Regelfall immer noch die Einsetzung eines Insolvenzverwalters. Dieser hat, neben dem Schuldner, das Recht, einen Insolvenzplan aufzustellen, § 218 Abs. 1 InsO. Das deutsche Insolvenzrecht folgt deutlich mehr als das amerikanische Chapter 11 der Idee, dass der Insolvenzverwalter die bestmögliche Verwertung identifiziert und durchführt. Dieser Unterschied in der Konzeption ist zu beachten; zugleich schwächen sich damit die Argumente ab, die die Vorteile der new value exception oder eines äquivalenten Bezugsrechts in ihrer verhandlungsinitiierenden Funktion sehen. Die befürwortenden Ansichten in der US-Diskussion haben dabei gemeinsam, dass sie 494 stark auf den Richter vertrauen: dieser soll im Einzelfall die gerechte Verteilung anordnen.1140) Man vertraut ihm, dass er den listigen und eigensinnigen Eigenverwalter genauso erkennt und stoppt wie liquidationswütige Gläubiger, die die Zerstörung des going-concern-Werts aus eigensüchtigen Motiven hinnehmen.1141) Dass dies aber vielfach nicht gelang, ist hinlänglich dokumentiert1142) und wird primär zurückgeführt auf die Informationsasymmetrien zwischen Anteilseignern und Gläubigern, die in Verbin___________ 1135) Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1326 (1992). 1136) Siehe Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1012 (1987) (unter loss allocation-Lehre): “The rules allocate negotiating leverage among the parties, but do not mandate outcomes in most reorganizations. (…) The bargaining positions are shaped by differing leverage and are influenced by both the law and the financial circumstances of the parties as well as the skill and effort that each of the parties brings to the case. This is not a by-product of Chapter 11, but an intended result.“ 1137) Siehe etwa den Report of the Commission on the Bankruptcy Laws of the United States, H.R. Doc. No. 137, 93rd Cong., 1st Sess. pt. I, at 237 (1973), zitiert nach Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 223 Fn. 10: “The Code accomplishes this by "[providing a] framework for the protection of secured creditors during the pendency of the case, [while also giving]… substantial discretion [to] the court in balancing the rights of secured creditors and the needs of a successful reorganization.” 1138) Hirte/Knof/Mock, BB 2011, 632, 641, die darauf hinweisen, dass das Chapter 11 bei der Bestätigung „mehr Augenmaß beweist“. 1139) Siehe Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 44 f. zu dem Konzept des strukturierten Verhandlungsraums. 1140) Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1335 (1992); Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 44 (1991). 1141) Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 246 (1989). 1142) Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 246 (1989).
233
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
dung mit dem exklusiven Planinitiativrecht dazu führen, dass auch Pläne bestätigt wurden, die die Alt-Eigner bevorzugen: „The fact remains, however, that section 1121’s exclusivity is a potent weapon to be wielded on behalf of equityholders, especially in combination with their right of contribution“(=new value exception).1143)
495 Das deutsche Recht aber kennt keinen derart weiten Einschätzungsspielraum des Richters; dieser obliegt eher dem Insolvenzverwalter, der aber auch Anweisungen der Gläubigerversammlung ausführen muss. Der des Richters findet sich nur im Rahmen der Planzurückweisungskompetenz nach § 231 InsO und der Planbestätigungskompetenz nach § 250 InsO, die aber jeweils nur eine Ablehnung des Plans, also eine Alles- oder Nichts-Lösung erlauben, keine differenzierte, gestaltende Lösung. Damit ist es zugleich auch nicht möglich, eine Verhandlungsblockade durch Richterspruch in einem ausgleichenden Sinne aufzulösen; eine verhandlungsfördernde Funktion lässt sich somit nicht als im Gesetz angelegt erkennen.
496 Somit ist der Effekt einer kooperationsfördernden Wirkung gering im Regelverfahren unter Leitung eines Insolvenzverwalters (womit im Übrigen ein weiteres Argument für Lösung 1 entfallen würde).
497 In einer Abwägung zwischen Lösung 2 und 3 wäre Lösung 2 aber dann problematisch, wenn im Fall der angeordneten Eigenverwaltung durch die Umstände derselben der Einfluss des Eigenverwalters insofern unangemessen vergrößert würde, als dass dieser in der Lage wäre, einen Plan zu entwerfen, der ihn allein bevorteilt. Dann wäre allein Position 3 vertretbar. Insofern soll im Folgenden in einer Art Gegenprobe untersucht werden, ob Lösung 2 das Potential hat, bei der Eigenverwaltung zu unangemessenen Ergebnissen zu führen.
498 Denn mit Lösung 2 geht ein weiter Ermessensspielraum des Insolvenzplanerstellers einher. Entscheidet dieser sich gegen eine weitere Beteiligung der Alt-Anteilseigner, so können diese sie nicht erzwingen. Entscheidet er sich aber dafür, so können die Gläubiger dies zumindest nicht mit Verweis auf eine hierin liegende Wertzuteilung verhindern. Unter der Ägide eines Insolvenzverwalters als Planersteller könnte dieser weite Ermessensspielraum hingenommen werden mit Verweis auf seine Unabhängigkeit und den ausreichenden Einfluss während der Planerstellung durch Mitwirkung von Gläubigerausschuss, Betriebsrat und Schuldner, wie es § 218 Abs. 3 InsO ausdrücklich vorschreibt.1144) ___________ 1143) Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 239 (1989); siehe auch In re Timbers of Inwood Forest Assocs., 808 F.2d 363, 372 (5th Cir. 1987), der auf die auch von einem House Report identifizierte undue bargaining leverage abstellt. Dies wurde durch die oben zitierte 203 LaSalle-Entscheidung des Supreme Courts (Fn. 1043) zwar eingeschränkt, das exklusive Planinitiativrecht und die damit einhergehende Gefahr anteilseignerfreundlicher Pläne verbleiben im Grundsatz aber. 1144) Auch wenn im Rahmen des mit der ESUG-Reform weitergehend ermöglichten Gläubigereinflusses auf die Verwalterauswahl die Gefahr befangener Verwalter befürchtet wurde (etwa Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 19 f.), so ändert dies nichts an der grundsätzlich fortbestehenden Unabhängigkeit.
234
VII. Stellungnahme
b) Bei der Eigenverwaltung Bei angeordneter Eigenverwaltung kann sich die Situation anders darstellen. Hier 499 ist es primär der Schuldner, der den Plan ausarbeitet. § 218 InsO, nach dem der Schuldner und der Insolvenzverwalter zur Vorlage berechtigt sind, gilt auch im Rahmen der Eigenverwaltung. Allerdings gibt es bei der Eigenverwaltung keinen Insolvenzverwalter, sondern lediglich den Sachwalter. Dieser jedoch hat gerade kein originäres Planinitiativrecht1145), sondern kann (nur) nach § 284 InsO von der Gläubigerversammlung mit der Ausarbeitung des Plans1146) beauftragt werden. Dies ist jedoch erst im Berichtstermin möglich, der regelmäßig erst spät im Verfahren stattfindet.1147) Nach solch langer Zeit, in der im Zweifel bereits der Schuldner einen Plan ausgearbeitet hat1148), könnte es sinnwidrig erscheinen, der Masse die Kosten einer zusätzlichen Planausarbeitung aufzulasten. Hinzu kommt, dass der Schuldner sein eigenes Planinitiativrecht noch nicht mal dadurch verliert, dass die Gläubigerversammlung ihn nach § 284 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 InsO mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragt. Kommt es dazu, so soll der Schuldner berechtigt sein, zwei konkurrierende Pläne auszuarbeiten, die dann beide zur Abstimmung gestellt werden.1149) Bei dem von der Gläubigerversammlung in Auftrag gegebenen Insolvenzplan kann diese allerdings Eckpunkte und Ziel des Insolvenzplans vorgeben, § 157 S. 2 InsO. Im Ergebnis führt dies zu einer Position des Eigenverwalters, die der des debtor in 500 possession nahe kommt. Denn somit besteht ein Planausarbeitungsrecht des Schuldners, das auch zeitlich – nämlich bis zum Berichtstermin – exklusiv ist. Insbesondere können auch keine konkurrierenden Insolvenzpläne vorgelegt werden von interessierten, aber außenstehenden Dritten.1150) ___________ 1145) Braun/Riggert, InsO, § 284 Rn. 2; MüKo-InsO/Tetzlaff/Kern, § 284 Rn. 12; a. A. Hess, InsO, § 284 Rn. 4. 1146) Bzw. der Beratung des Schuldners bei der Ausarbeitung, siehe § 284 Abs. 1 InsO. 1147) Braun/Riggert, InsO, § 284 Rn. 5; MüKo-InsO/Tetzlaff/Kern, § 284 Rn. 8; zudem ist auch diese Regelung erst spät in die InsO gelangt, nämlich erst durch den Rechtsausschuss eingefügt worden; noch in allen vorherigen Entwürfen war dies gar nicht möglich, allein der Schuldner konnte einen Plan ausarbeiten. Die Einfügung geschah mit dem Ziel, das Verfahren weiter zu flexibilisieren und die Gläubigerautonomie zu stärken, siehe a. a. O. Rn. 6. Dies wurde u. a. mit dem Argument kritisiert, dass die Eigenverwaltung kaum Sinn mache, wenn am Ende doch der Sachwalter die Planausarbeitung übernimmt, vgl. MüKo-InsO/Wittig/Tetzlaff, 2. Aufl., 2008, § 284 Rn. 4 (abweichend aber auch 3. Aufl., 2014, § 284 Rn. 6). Dafür spricht darüber hinaus jedoch, dass der Sachwalter regelmäßig unabhängiger ist und damit eher geeignet, angesichts der vielen widerstreitenden Interessen den Plan auszuarbeiten (so auch Rechtsausschuss, BT-Drs. 12/7302, zu § 345, S. 186). 1148) Dass Eigenverwaltung in den allermeisten Fällen, aber nicht immer, mit Insolvenzplan einhergeht, erwähnen MüKo-InsO/Tetzlaff/Kern, § 284 Rn. 9. 1149) So MüKo-InsO/Wittig/Tetzlaff, § 284 Rn. 15. Spliedt, GmbHR 2012, 462, 471 hat dagegen vorgeschlagen, dass ein innerhalb der Schutzschirmfrist vorgelegter Insolvenzplan Vorrang haben soll vor einem Gläubigerplan, sofern den Gläubigern durch diesen keine Nachteile drohen. Zur Ablehnung dieses Konzepts siehe aber unten. 1150) Wittig, ZInsO 1999, 373, 379.
235
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
501 Zwar könnte darauf hingewiesen werden, dass die Eigenverwaltung ja immer noch komplett abgelehnt werden könnte, um dem Eigenverwalter den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dies ist allerdings seit dem ESUG nicht mehr so einfach möglich: In der Neufassung des § 270 InsO wurde das Regel-Ausnahme-Verhältnis nunmehr umgekehrt. Während früher die Voraussetzung galt, dass nicht zu erwarten war, dass die Anordnung zu einer Verzögerung des Verfahrens oder sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen würde (§ 270 Abs. 2 Nr. 3 a. F.), hat der Antragsteller nach neuer Rechtslage einen Anspruch auf Anordnung der Eigenverwaltung, wenn nicht konkrete Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 n. F.). Damit schaden Unklarheiten über mögliche Nachteile nicht mehr dem Schuldner.1151)
502 Auch die Aufhebung der angeordneten Eigenverwaltung ist seit der Reform durch das ESUG nicht mehr ohne weiteres möglich: es setzt entweder voraus, dass eine Mehrheit im Gläubigerausschuss nach Summe (§ 76 Abs. 2 InsO) und nach Köpfen (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) dies beantragt1152), oder es müssen Umstände bekannt geworden sein, die nunmehr erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird und dem Antragsteller durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile1153) drohen (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO), was zusätzlich vom beantragenden Gläubiger glaubhaft gemacht werden muss (§ 272 Abs. 2 S. 1 InsO n. F.).
503 Dabei ist auch der drohende, aus der mit einer neuen Planerstellung einhergehenden Verzögerung resultierende Schaden beachtlich. Wiederum aus der Chapter 11-Praxis ist dokumentiert, dass von Eignern aufgestellte, diese bevorteilende Pläne nur deswegen bestätigt wurden, weil die Verzögerung sonst noch weitere Werte vernichten würde.1154) Nach Ansicht der Gegner einer new value exception resultiert gerade hieraus eine erleichterte Ermöglichung von self-dealing,1155) da der Anreiz der Eigner als Insider erhöht wird, den Plan zu ihren Gunsten zu schneidern.1156) ___________ 1151) Neußner, in: Kübler, HRI, § 10 Rn. 32. 1152) Nach altem Recht reichte noch einfache Summenmehrheit, § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO a. F. 1153) Hier ist dann fraglich ist, ob das Nicht-Erreichen der gewünschten Beteiligungsquote für den umwandlungswilligen Gläubiger einen solchen Nachteil bedeutet, wenn seine Befriedigung seiner (in durch den Insolvenzplan gekürzter Höhe) bestehenden Forderungen hierdurch unmittelbar nicht gefährdet wird. 1154) Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 237 (1989). 1155) Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 239 (1989). 1156) Im Chapter 11 gibt es zwar auch die theoretische Möglichkeit, den debtor in possession durch Einsetzung eines trustee ersetzen zu lassen; dies setzt allerdings einen Gläubigerantrag und eine Anordnung durch das Gericht voraus. Während der ersten 120 Tage (dem exklusiven Planinitiativrecht) steht die Praxis einer solchen Anordnung allerdings aus prinzipiellen Gründen ablehnend gegenüber, weil dies dem Verhandlungscharakter des Verfahrens entgegenlaufen würde, siehe Terhart, S. 189 ff. zu weiteren Gründen wie ungenügendes Gläubigerengagement, Überlastung der Gerichte, etc. Somit ist im Chapter 11 zunächst der debtor in possession der Regelfall, der trustee die Ausnahme. Im deutschen Recht kann die Eigenverwaltung zwar deutlich leichter als vorher erreicht werden, setzt aber dennoch einen Anordnungsakt durch das Gericht voraus.
236
VII. Stellungnahme
Fraglich ist somit, ob die Gläubiger nach den reformierten Regeln der Eigenver- 504 waltung einem solchen Risiko derart ausgesetzt sind, so dass allein Lösung 3 vertretbar erschiene. Denn es besteht zwar mit der Notwendigkeit der mehrheitlichen Zustimmung innerhalb der Gläubigergruppen ein erstes Hindernis für eigensinnige Eigenverwalter. Deren Ablehnung könnte aber mit Lösung 2 unbeachtlich sein; allein Lösung 3 ermöglicht mit der darin liegenden Bejahung der Zuwendung eines wirtschaftlichen Werts an Alt-Anteilseigner und der damit einhergehenden Ausschaltung des Obstruktionsverbots hier eine Handhabe. Die Beantwortung dieser Frage muss dabei berücksichtigen, wie groß die Gefahr 505 eines Missbrauchs durch den Eigenverwalter sein kann. Erreicht diese Maßstäbe wie bei der new value exception vor der Entscheidung LaSalle1157), so wäre dies hochproblematisch. Davon ist allerdings aus mehreren Gründen nicht zwingend auszugehen: Zum einen besteht nach § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO für die Anwendbarkeit des Obstruktionsverbots die zusätzliche Voraussetzung, dass auch die Mehrheit der Gruppen zugestimmt haben muss; damit wäre also nicht wie im Chapter 11 bereits eine Anwendung des Obstruktionsverbots möglich, sobald bloß eine einzige Gruppe zugestimmt hat.1158) Außerdem ist im Kontext des konkreten Untersuchungsgegenstands der zwangsweise 506 DES nicht möglich. Wenn aber das Bezugsrecht erst aus einer Kapitalerhöhung durch DES resultiert, so bedarf es zunächst einer solchen Sacheinlage.1159) Zu dieser werden sich die umwandlungsinteressierten Gläubiger nicht bereit erklären, wenn die Anteilseigner parallel eine hohe Beteiligung ihrerseits mit frischem Kapital in den Plan schreiben. Damit wäre eine fortgesetzte Beteiligung also ohnehin kaum gegen die – im Kontext des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes – entscheidende Gruppe von umwandlungswilligen Gläubigern möglich. Damit ist aber auch dem von Spliedt1160) vorgeschlagenen Konzept eine Absage zu 507 erteilen: dieser hatte vorgeschlagen, einem innerhalb der Schutzschirmfrist vorgelegten Insolvenzplan Vorrang zu gewähren gegenüber einem abweichenden Gläubigerplan1161), solange nur sichergestellt sei, dass – wortlautorientiert an der Freigabeklausel des § 253 Abs. 4 InsO n. F. – den Gläubigern keine gegenüber dem Planvollzug größere Nachteile drohen bzw. etwaige Nachteile ausgeglichen werden ___________ 1157) Siehe dazu oben IV. 3. a) ee). 1158) Wie im US-Recht in 11 U.S.C. § 1129 (a)(10). Wenn also allein die Anteilseigner-Gruppe zustimmt, reicht dies nicht. Mit ihr zusammen müssen mehr als die Hälfte der Gläubigergruppen zugestimmt haben, § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO. 1159) Ohne Sacheinlage unter Einbringung der Forderungen kein Kapitalschnitt, damit auch keine Bareinlage in Höhe des Mindestkapitals. 1160) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 471. 1161) Der wiederum nur von der Gläubigerversammlung in Auftrag gegeben worden sein kann, da Gläubiger gerade kein Recht haben, einen Plan vorzulegen, § 218 InsO.
237
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
durch Zahlung aus dem Sicherheitenfonds nach § 251 Abs. 3 InsO n. F.1162) Hintergedanke dieses Vorschlags ist, dass ansonsten die Anreizwirkung des Schutzschirmverfahrens konterkariert werde, wenn den Anteilseignern das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung qua Gläubigereinfluss „unter dem Hintern“ entzogen werde.1163) Hier könnte zwar überlegt werden, ob ein Insolvenzplan, der den Anteilseignern einen beträchtlichen Teil der neuen Anteile gegen frisches Kapital zukommen lässt, nicht einen „größeren Nachteil“ darstellt, so dass die Voraussetzungen schon gar nicht erfüllt wären. Wie oben aber gezeigt wurde, wäre dies nicht zwingend der Fall, da sich die Gläubigerbefriedigung hierdurch primär nicht ändert. Allerdings wären die mit einer solchen Schuldnerplanexklusivität einhergehenden Gefahren zu groß, weshalb diese Interpretation abzulehnen ist.
508 Für Lösung 3 könnte dabei zwar sprechen, dass sie eine weitere Beteiligung der AltEigner keineswegs vollständig verhindert. Vielmehr würde es dazu führen, dass sich die Anteilseigner nur dann mit frischem Kapital beteiligen können, wenn sie es schaffen, sämtliche Gläubigergruppen von ihrem Konzept zu überzeugen.1164)
509 Gegen Lösung 3 spricht aber, dass dies in seiner Extreme zu weit gehen könnte. Die Ausschaltung des § 245 InsO bei auch nur der geringsten Alt-Eigner-Beteiligung würde auch die Idee hinter dem Obstruktionsverbot missachten. Diese besteht maßgeblich darin, dass eine Blockadeposition nicht missbraucht werden soll, obwohl der Beteiligte hierdurch nicht schlechter steht als ohne einen solchen Plan. Eine Schlechterstellung für umwandelnde Gläubiger könnte allein darin bestehen, dass sie die angestrebte Mehrheit nicht erreichen; wenn sie aber eine entsprechende Anzahl von Forderungen halten, um dies zu erreichen, so ist auch davon auszugehen, dass sie mit ihrer Nicht-Umwandlung drohen und damit die Sanierung scheitern lassen können. Dann gewinnen sie wieder Verhandlungsmasse zurück, so dass ihnen durch einen vom Eigenwalter ausgearbeiteten Plan mit AltEigner-Beteiligung ohnehin kein Ungemach droht. Warum aber dann ablehnende Gläubigergruppen, die über diese Verhandlungsmasse offensichtlich nicht verfügen, einen Plan aufgrund Nicht-Anwendbarkeit des § 245 InsO scheitern lassen dürften, ist nicht ersichtlich.
510 Zuzugestehen ist Lösung 3 aber, dass eine Anwendung des § 245 InsO zur Aufoktroyierung auf ablehnende Gläubigergruppen dann nicht ohne weiteres möglich sein sollte, wenn die Alt-Eigner laut Plan mit ihrem frischen Kapital die Mehrheitsbeteiligung erreichen sollen. Sieht ein vom Eigenverwalter ausgearbeiteter Insolvenz___________ 1162) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 471. 1163) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 471. 1164) So etwa Skeel, 63 Am. Bankr. L. J. 221, 247 (1989). Er verweist allerdings auch darauf, dass die Anteilseigner nach der Erfahrung ja auch so schon eine ausreichende Verhandlungsposition (leverage) hätten (was LoPucki später empirisch bestätigte, vgl. unten § 9. I. 2.), so dass sie auch diese bargaining dynamic nutzen sollten und daneben keine weitere brauchen.
238
VII. Stellungnahme
plan dies vor (und machen bei einem solchen DES trotzdem einige Gläubiger mit), so könnte vom Gericht im Rahmen der Abwägung verlangt werden, dass entweder alle Gläubigergruppen zustimmen oder dass – in Anlehnung an die in der LaSalleEntscheidung ausgearbeiteten Maßstäbe1165) – nachgewiesen wird, dass keine anderen Investoren vorhanden waren und auch unter den Gläubigern keine ausreichende Bereitschaft vorhanden war, durch Umwandlung die Anteilsmehrheit zu erreichen.
7.
Kein Widerspruch zu Annahme des Fortführungswerts bei eingebrachten Forderungen
Fraglich ist, ob aber eine Ablehnung eines zwingenden Bezugsrechts nicht in Wi- 511 derspruch steht zu der hier vertretenen Ansicht, dass bei der Bewertung der einzubringenden Forderungen auf den Fortführungs-Verkehrswert abgestellt wird.1166) Hier könnte argumentiert werden, dass mit Annahme des Fortführungswerts zugunsten der Gläubiger gezeigt wird, dass das Unternehmen noch einen Wert hat, womit die Anteilseigner hieran auch zumindest die Möglichkeit der weiteren Partizipation mit frischem Kapital haben sollten. Dieser Widerspruch besteht bei näherem Hinsehen allerdings nicht. Dies gilt zum 512 einen mit Verweis auf die zumeist vorliegende Wertlosigkeit der Anteile bei wirtschaftlicher Betrachtung; wenn dies in seltenen Fällen einmal nicht so sein sollte, so ist hierfür die Entschädigung vorgesehen, was als ausreichend angesehen werden müsste. Dies gilt erst recht, wenn ein Bezugsrecht zu keiner Mehrheitsbeteiligung führen würde; denn dann ist es eine reine Vermögensanlage, womit sich die rein wirtschaftliche Sicht bestätigt. Die Notwendigkeit eines Bezugsrechts bei Annahme von Fortführungswerten bei der 513 Umwandlung könnte aber auch als Rückschluss gezogen werden aus der Tatsache, dass im Kontext der Einbringung als Sacheinlage ein Abstellen auf den Liquidationswert der Forderungen auf keinen Fall einhergehen dürfte mit der Annahme eines Bezugsrechts. Würde dies nämlich befürwortet, könnten die Alt-Anteilseigner mit einem geringen Kapitaleinsatz zu einem relativ großen Anteil kommen, da die umgewandelten Forderungen zu Liquidationswerten in vielen Fällen keinen nennenswerten Anteil am neuen Grundkapital verschaffen können. Damit würde endgültig sämtliche Sanierungslast bei den Gläubigern liegen und den Alt-Eignern beträchtliche Anteile an einer sanierten Gesellschaft für einen geringen Kapitalaufwand in die Hände fallen. Dies würde eine Bevorteilung der Alt-Eigner darstellen, die schwer zu rechtfertigen wäre. Wer folglich bei der Forderungsbewertung mit der h. M. auf Liquidationswerte abstellt, müsste ein Bezugsrecht verneinen. ___________ 1165) Bank of America vs. 203 N. La Salle, 526 U.S. 434, 456 ff. (1999). Siehe hierzu Wittig, ZInsO 1999, 373. 1166) Siehe hierzu unten § 10. IV. 2. c).
239
§ 7 Beteiligung der Alt-Anteilseigner an der Kapitalerhöhung (Bezugsrecht)
514 Damit ist fraglich, ob als Rückschluss hieraus zu ziehen wäre, dass konsequenterweise bei Annahme von Fortführungswerten auch ein Bezugsrecht zuerkannt werden müsste. Hiergegen spricht aber, dass die Alt-Eigner durch eine Einbringung zum Liquidationswert genauso wenig berührt werden wie bei Einbringung zum Fortführungswert. Berührt werden könnten höchstens die Belange der Neu-Gläubiger.1167) Somit geht eine Einbringung zum Fortführungswert auch nicht zu Lasten der AltAnteilseigner. Dies wäre allein dann anders, wenn die Alt-Anteilseigner ihre Anteile behalten sollten; hiervon ist aber zum einen beim DES im Insolvenzplanverfahren nicht auszugehen, da eine Kapitalherabsetzung auf Null vorangehen wird.1168) Zum anderen wären die Anteile selbst bei Nichtannahme der völligen Wertlosigkeit zumindest wertgemindert, so dass sich ihre Interessen in einer Abwägung nicht durchzusetzen vermögen gegen die der Gläubiger. Daher wäre der Rückschluss beim DES in der Insolvenz nicht erlaubt.1169)
8.
Ergebnis
515 Vorzugswürdig erscheint somit Lösung 2: sie verschafft den Alt-Anteilseignern keine Blockademöglichkeit, nimmt ihnen zugleich aber auch nicht sämtliche Anreize, ihr Konzept den Gläubigern vorzustellen und damit die Möglichkeit einer weiteren Beteiligung zu erhalten. Diese Anreize wirken insbesondere auch vor der Insolvenz schon, weil damit der Verlust jeglicher Position in der Insolvenz nicht unwiederbringlich feststeht. Sind die Gläubiger von einem Sanierungskonzept unter Beteiligung der Anteilseigner nicht überzeugt, können sie die Umwandlung ihrer Forderungen verweigern und stattdessen die Befriedigung ihrer per Insolvenzplan gekürzten Forderungen verlangen. Da ihre Zustimmung zur Umwandlung ihrer Forderungen aber zwingend nötig ist, können sie somit bei ausreichender Forderungssumme immer noch erreichen, dass die Alt-Eigner nicht beteiligt werden.
516 Es bedarf somit weder eines garantierten Bezugsrechts noch eines Verbots der Beteiligung der Alt-Eigner mit frischem Kapital. Hiermit wird der Idee der Verhandlungslösung am ehesten Rechnung getragen, indem die Beteiligung der Alt-Eigner nicht erzwungen wird, aber möglich bleibt, zugleich aber obstruierenden Gläubigern eine hold-out-Position genommen wird. Zugleich wird der Kreis der Alt-Anteilseigner als potentielle Sanierungsinvestoren nicht von vornherein ausgeschlossen.
___________ 1167) Siehe hierzu die ausführlich dargestellte Diskussion bei der Frage der Wertberechnung der einzubringenden Forderungen unter § 10. III. 1. b) dd). 1168) Siehe oben I. 2. c), insb. Fn. 959. 1169) Außerhalb der Insolvenz dagegen wäre dies ein valides Argument, für dessen Diskussion und vorgebrachte Rechtfertigungsansätze aber wieder auf die Nennwertdiskussion verwiesen werden kann, wo sich das Problem bei Befürwortung der Nennwerteinbringung in noch deutlicherer Form stellt, siehe unten § 10. III. 1. b) ff).
240
§ 8 Vereinbarkeit mit Europarecht Die Frage der Vereinbarkeit mit Europarecht stellt sich – insofern nur bei der AG – 517 maßgeblich vor dem Hintergrund der Vorgaben der sog. Kapitalrichtlinie. Diese ursprünglich als RL 77/91/EWG erlassene (sog. Zweite Gesellschaftsrechtliche) Richtlinie1170) ist mit Wirkung zum 4.12.2012 neu kodifiziert worden in der RL 2012/30/EU.1171) In diesem Verlauf haben sich auch die relevanten Artikelnummern um vier Ziffern nach hinten verschoben. Deren Art. 29 Abs. 1 S. 1 n. F. (=Art. 25 Abs. 1 S. 1 a. F.) gibt vor, dass jede Kapitalerhöhung von der Hauptversammlung beschlossen werden muss.1172) Nach Art. 33 Abs. 1 n. F. (Art. 29 Abs. 1 a. F.) ist dabei ein Bezugsrecht für die bestehenden Anteilseigner vorgeschrieben, wenn es sich um eine Barkapitalerhöhung handelt (siehe allerdings die Ausnahmen in Abs. 4 S. 2). Jede Kapitalherabsetzung bedarf nach Art. 34 S. 1 n. F. (Art. 30 S. 1 a. F.) im Grundsatz ebenfalls eines Beschlusses der Hauptversammlung.
I.
Kapitalerhöhung
Problematisch ist dabei insbesondere die Kapitalerhöhung, da die Richtlinie bei de- 518 ren Vorgaben keine Ausnahmetatbestände1173) nennt von der Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses. Im Grundsatz ist die durch Art. 29 Abs. 1 S. 1 RL (= Art. 25 RL a. F.) geforderte Voraussetzung des Beschlusses durch die Hauptversammlung zwar gegeben, da der Insolvenzplan der Zustimmung der Anteilseigner-Gruppen bedarf.1174) Problematisch wird dies aber, wenn die Zustimmung der Anteilseigner-Gruppe(n) nicht zustande kommt, sondern nur über das Obstruktionsverbot nach § 245 Abs. 1, Abs. 3 InsO n. F. fingiert wird. Vor dem Hintergrund der Durchführung der hier untersuchten Kapitalerhöhung ist 519 allerdings als Vorfrage zu klären, ob die Richtlinie auf Kapitalmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren überhaupt Anwendung findet. ___________ 1170) Richtlinie 77/91/EWG v. 13.12.1976, ABl. 1977 Nr. L 26, S. 1; zu weiteren Fragen der Vereinbarkeit des ESUG mit europarechtlichen Vorgaben siehe Piekenbrock, NZI 2012, 905. 1171) RL 2012/30/EU v. 25.10.2012, ABl. L 315 S. 74; siehe zum Hintergrund der Neufassung Bayer/Schmidt, BB 2013, 3, 6. 1172) Eine Ausnahme besteht nur nach Art. 29 Abs. 2 RL (=Art. 25 RL a. F.) für genehmigtes Kapital und nach Art. 45 Abs. 1 RL (=Art. 41 RL a. F.) für die Förderung der Beteiligung von Arbeitnehmern oder anderer durch einzelstaatliches Recht festgelegter Gruppen von Personen am Kapital der Unternehmen. 1173) Die Ausnahme des Art. 45 Abs. 1 RL (=Art. 41 RL a. F.) („soweit dies für den Erlass oder die Anwendung von Vorschriften erforderlich ist, welche die Beteiligung der Arbeitnehmer oder anderer durch einzelstaatliches Recht festgelegter Gruppen von Personen am Kapital der Unternehmen fördern sollen“) ist offensichtlich bei Beteiligung der Gläubiger nicht erfüllt; kurze Subsumtion hierunter aber bei Spetzler, S. 29 f. 1174) Es ist nicht ersichtlich, dass die dort stattfindende Abstimmung die Voraussetzung der Hauptversammlungs-Definition nicht erfüllen würde.
241
§ 8 Vereinbarkeit mit Europarecht
1.
Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Karella, Syndesmos Melon und Pafitis
520 Bei verschiedenen Anlässen hatte der EuGH bereits über die Anwendbarkeit der Richtlinie auf Sachverhalte zu entscheiden, bei denen ein nationales Gesetz im Falle des Vorliegens einer Krise eine Kapitalerhöhung ohne Zustimmung der Anteilseigner ermöglichte.
521 Dabei betraf die Rechtssache Karella eine griechische Sondergesetzgebung, die im Fall einer Unternehmenskrise das Unterstellen einer Aktiengesellschaft unter die Verwaltung durch eine staatliche „Anstalt für Unternehmensneuordnung (OAE)“ ermöglichte, sofern ihre Sanierung im besonderen sozialen oder volkwirtschaftlichen Interesse lag.1175) Dabei endeten die Befugnisse der Geschäftsführungsorgane, die Hauptversammlung bestand im Grundsatz aber fort. Zu den Kompetenzen der OAE gehörte dabei auch, eine sanierende Kapitalerhöhung ohne Beteiligung der Anteilseigner beschließen zu können.1176)
522 Der EuGH entschied in diesen Fällen, dass derartige Sondergesetze mit Art. 25 RL (= Art. 29 n. F.) unvereinbar waren, weil durch eine solche Maßnahme der Geschäftsführung eine Erhöhung des Grundkapitals ohne jeden Beschluss der Hauptversammlung vorgenommen werden konnte, was dazu führte, dass die bisherigen Aktionäre gezwungen waren, ihre Einlage zu erhöhen, andernfalls ihnen der Eintritt neuer Aktionäre mit entsprechender Verwässerung der eigenen Beteiligung und des eigenen Einflusses aufgezwungen wurde.1177) Dies könne nach Ansicht des EuGH auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass dies nur in Krisensituationen möglich sei, denn der Anwendungsbereich der Richtlinie sei nicht auf das „normale Funktionieren der Gesellschaft beschränkt“.1178) Die Richtlinie stehe zwar nicht der Einführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder Abwicklungsregelungen entgegen, bei denen die Gesellschaft zum Schutz der Gläubigerrechte einer Zwangsverwaltungsregelung unterstellt würde. Bei einer bloßen Sanierungsregelung mit Beteiligung öffentlicher oder privatrechtlicher Gesellschaften sei dies aber nicht erfüllt.1179) Der Schutz der Gesellschafter durch die Richtlinie sollte nach EuGH ___________ 1175) EuGH v. 30.5.1991, C-19/90 u. 20/90 (Karella), Slg. 1991, I-2691, Rn. 3 f.; diese Zwangssanierung erging auf staatliche Initiative und wurde von der staatlichen Verwaltung in Form von Verwaltungsakten durchgeführt, siehe Georgakopoulus, ZEuP 1995, 639 m. w. D.; Nachvollziehung im Einzelnen auch bei Pujol, S. 191 f. 1176) EuGH v. 30.5.1991, C-19/90 u. 20/90 (Karella) Rn. 8; ihr Bezugsrecht blieb allerdings erhalten. 1177) EuGH v. 30.5.1991, C-19/90 u. 20/90 (Karella) Rn. 26. 1178) So hatte noch der Vortrag der OAE in der mündlichen Verhandlung gelautet, siehe EuGH v. 30.5.1991, C-19/90 u. 20/90 (Karella) Rn. 29; der EuGH begründet dies auch damit, dass Art. 19 Abs. 1 RL (=Art. 17 RL a. F.) ausdrücklich vorsieht, dass bei schweren Verlusten des gezeichneten Kapitals die Hauptversammlung gerade einberufen werden muss, um über notwendige Maßnahmen zu entscheiden, a. a. O. Rn. 28. 1179) EuGH v. 30.5.1991, C-19/90 u. 20/90 (Karella) Rn. 30.
242
I. Kapitalerhöhung
vielmehr so lange gewährt sein, wie die Gesellschaft „mit ihren eigenen Strukturen fortbesteht“.1180) In der ähnlich gelagerten Rechtssache Syndesmol Melon bestätigte der EuGH diese 523 Ansicht und stellte nochmals klar, dass Zweck der OAE eben nicht die Abwicklung der Unternehmen, sondern im Grundsatz die Erhaltung der Unternehmen im wirtschaftlichen und sozialen Interesse war; folglich könnten die der OAE zur Verfügung stehenden Maßnahmen, obwohl dazu auch ein Abwicklungsverfahren gehörte, keine Ausnahme von der Anwendbarkeit der Richtlinie rechtfertigen.1181) In der Rechtssache Pafitis ging es um eine griechische Bank in der Rechtsform der 524 Aktiengesellschaft, die durch Verfügung des Gouverneurs der Aufsicht durch einen kommissarischen Verwalter unterstellt wurde, der wiederum eine sanierende Kapitalerhöhung beschloss; anders als in den vorgenannten Entscheidungen erloschen mit Anordnung der Zwangsverwaltung aber zunächst alle Befugnisse und Zuständigkeiten der satzungsmäßigen Organe der Bank, also auch der Hauptversammlung, kraft Gesetzes.1182) Dies, so wurde argumentiert, führe dazu, dass die Gesellschaft nicht mehr mit ihren eigenen Strukturen fortbestehe und eine solche Maßnahme „in jeder Hinsicht dem Erlass von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und insbesondere einer Abwicklungsregelung im Sinne der Karella-Rechtsprechung“1183) entspreche.1184) Der EuGH folgte dem nicht, sondern sah die Anwendbarkeit der Richtlinie weiter 525 gegeben in einem solchen Fall einer „einfachen Sanierungsregelung“, die den Fortbestand der Gesellschaft sichern solle, auch wenn diese Regelung bewirke, dass die Aktionäre und die satzungsgemäßen Organe der Gesellschaft vorübergehend ihrer Rechte enthoben wurden.1185) Die vorherige Formulierung wurde insofern präzisiert, als dass nunmehr davon gesprochen wurde, dass die Richtlinie nicht ___________ 1180) EuGH v. 30.5.1991, C-19/90 u. 20/90 (Karella) Rn. 30. 1181) EuGH v. 24.3.1992, C-381/89 (Syndesmos Melon), Slg. 1992, I-2111, Rn. 29; der EuGH bestätigte die Aussagen der beiden Urteile nochmals in der Rechtssache EuGH v. 12.11.1992, C-134/91 (Kerafina), Slg. 1992, I-5699 sowie in den Rechtssachen EuGH v. 12.5.1998 (Kefalas), C-367/96, Slg. 1998, I-2843 und EuGH v. 23.3.2000 (Diamantis), C-373/97, Slg. 2000, I-1705, bei denen eine Berufung auf Gemeinschaftsrecht auch als nicht rechtsmissbräuchlich angesehen wurde. 1182) EuGH v. 12.3.1996, C-441/93 (Pafitis), Slg. 1996, I-1347, Rn. 6, 9. 1183) EuGH v. 12.3.1996, C-441/93 (Pafitis) Rn. 55. 1184) Siehe in dieser Rechtssache auch Schlussanträge GA Tesauro, Slg. 1996, S. I-1347 Rn. 21: das verfolgte Ziel der Zwangsverwaltung sei eher mit der Liquidation als mit der Neuordnung der unter Verwaltung gestellten Gesellschaft vergleichbar. 1185) EuGH v. 12.3.1996, C-441/93 (Pafitis) Rn. 57. Dabei wurde explizit darauf abgestellt, dass die Einsetzung des Verwalters die Alternative zur Liquidation war und die Einsetzung des kommissarischen Verwalters gerade den Zweck hatte, den Fortbestand der betroffenen Gesellschaft zu sichern, a. a. O. Rn. 58.
243
§ 8 Vereinbarkeit mit Europarecht
dem Erlass von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen entgegensteht, „durch die die Gesellschaft zum Erlöschen gebracht werden soll.“1186)
2.
Kritik an der EuGH-Rechtsprechung
526 Die Entscheidungen des EuGH wurden größtenteils akzeptiert, teils aber auch aufgrund der Vorgehensweise kritisiert: so könne eine Richtlinie nicht allein nach ihrem Wortlaut oder ihrem Zweck ausgelegt werden. Kollidiere eine Richtlinienvorgabe mit nationalem, nicht harmonisiertem Recht, könne eine Lösung nicht allein mit der Vorrangigkeit des EU-Rechts begründet werden, sondern müsse durch Abstimmung der Richtlinie mit dem restlichen nationalen Recht gesucht werden, da ansonsten die Kohärenz des nationalen Rechts und damit die für ökonomische Aktivität notwendige rechtliche Infrastruktur gefährdet wäre.1187)
527 Deutliche Kritik an dieser Rechtsprechung des EuGH wurde von Schön geübt: nach seiner Ansicht sei schon die weit ausgreifende Interpretation der Richtlinie durch den EuGH zweifelhaft, weil dabei deren Funktion im Allgemeinen und die Funktion der Artt. 29 ff. RL (=Artt. 25 ff. RL a. F.) im Besonderen grundlegend verkannt werde.1188) Diese stellten lediglich auf den Konflikt zwischen Privatrechtssubjekten zugeschnittene aktienrechtliche Kompetenzregeln dar, die den Zweck hätten, eine balancierte Kompetenzordnung innerhalb der Aktiengesellschaft herzustellen zwischen den Organen der Aktiengesellschaft bzw. zwischen Minderheit und Mehrheit im Aktionärskreis.1189) Der EuGH habe daraus – weitgehend unwidersprochen – ein „allgemeines Grundrecht auf Aktionärsdemokratie“ hergeleitet;1190) damit aber habe er sowohl die innere Teleologie der Richtlinie wie generell den Geist der EU-Gesellschaftsrechtsharmonisierung verfehlt.1191) Die Richtlinie sei mitnichten als „europarechtlich fundierter Grundrechtsschutz der Aktionäre gegen staatliche Zwangseingriffe“ gedacht.1192) Folge dieser Kritik ist, dass Schön alle Sachverhalte, die einen Konflikt zwischen der Aktiengesellschaft bzw. ihren Aktionären auf der einen Seite und einer staatlichen Eingriffsverwaltung auf der anderen Seite dem Regelungszweck des Art. 25 RL entzogen sieht; eine sinnvolle Abwä___________ 1186) EuGH v. 12.3.1996, C-441/93 (Pafitis) Rn. 57. 1187) Samara-Krispis/Steindorff, 29 CMLR 615, 621 f. (1992); dies könne nur durch eine Gesamtschau erreicht werden, bei der das Gericht ähnlich wie ein nationales Gericht die gesamte Systematik des nationalen Gesetzes in den Blick nehmen müsse, a. a. O. S. 622 f., Dabei wird auch ausdrücklich darauf verweisen, dass hiermit der Aufwand für das Gericht erheblich erhöht werde; dies hielten die Autoren aber für unvermeidbar, a. a. O. S. 623 f. 1188) Schön, ZHR 174 (2010), 155, 157. 1189) Schön, ZHR 174 (2010), 155, 157, 158 f. 1190) Schön, ZHR 174 (2010), 155, 157, 160 f. m. w. Details zu den einzelnen Entscheidungen des EuGH. 1191) Schön, ZHR 174 (2010), 155, 157 f. 1192) Schön, ZHR 174 (2010), 155, 157 f., insb. 159 m. w. N. auch zu den Materialien und Literatur der Richtlinienerarbeitung, die dies nicht hergäben.
244
I. Kapitalerhöhung
gung der Aktionärsrechte mit öffentlichen Eingriffszwecken sieht er im Verfassungsrecht verankert, nicht aber in der Richtlinie.1193) Im Ergebnis stelle sich daher als wirkliche Sanierungsbremse (dies der Anlass seines Beitrags) nicht die Richtlinie, sondern eine „fehlgeleitete und überschießende Judikatur“ des EuGH dar.1194)
3.
Einordnung des Insolvenzplanverfahrens
Wie die nunmehr durch das ESUG eingeführte Regelung sich hierzu verhält und 528 ob sie unter diese Kriterien fällt, ist streitig.
a) Gesetzesbegründung In der Gesetzesbegründung zum ESUG wird die Problematik ausdrücklich ange- 529 sprochen und dargelegt; dort heißt es, es dürfe allerdings aus den Vorgaben des EuGH nicht geschlossen werden, dass eine Zustimmung der Hauptversammlung lediglich bei reinen Liquidationsverfahren entbehrlich sei, sie also im Rückschluss zwingend notwendig sei im Rahmen einer erhaltenden Sanierung über einen Insolvenzplan.1195) Die Zustimmung sei nur notwendig bei einer einfachen Sanierungsregelung, die den Fortbestand der Gesellschaft außerhalb eines Insolvenzverfahrens sichern solle. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens dürfte nach Ansicht des Gesetzgebers aber die Voraussetzung gegeben sein, dass die Aktionäre und die satzungsgemäßen Organe der Gesellschaft ihrer Rechte enthoben wurden.1196) Auch wird darauf hingewiesen, dass in einem auf Sanierung abzielenden Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter die satzungsmäßigen Organe weitgehend aus ihren Aufgaben verdränge.1197) In der Begründung zum RegE-KredReorgG, das in § 19 Abs. 4 insofern ein gleich 530 strukturiertes Obstruktionsverbot enthält, wurden dagegen noch deutliche Bedenken angemeldet. So ist dort zu lesen: „Misst man das hier entwickelte Verfahren an den Vorgaben des EuGH, so lässt sich durchaus vertreten, dass für die Durchführung einer Kapitalerhöhung in einem Reorganisationsverfahren ein Hauptversammlungsbeschluss nicht zwingend erforderlich ist. (…) Es ist allerdings nicht sicher, ob diese Argumente den EuGH veranlassen werden, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen und in einem Reorganisationsverfahren eine Kapitalerhöhung ohne Zustimmung der Hauptversammlung zuzulassen. Dieses Risiko muss unter Berücksichtigung der künftigen Entwicklung abgeschätzt werden. Liegen insofern einschlägige Äußerungen der Kommission oder gar des Generalanwalts vor, ___________ 1193) Schön, ZHR 174 (2010), 155, 161: die Auslegung des EuGH würde zudem die klare Funktionstrennung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht verwischen, a. a. O. S. 162. 1194) Schön, ZHR 174 (2010), 155, 162. 1195) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 20. 1196) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 20. 1197) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 20.
245
§ 8 Vereinbarkeit mit Europarecht
so sollten die Bundesanstalt und der Reorganisationsberater davon Abstand nehmen, eine Kapitalerhöhung ohne zustimmenden Hauptversammlungsbeschluss durchzuführen.“1198)
531 Fraglich ist, ob die späteren, die Europarechtskonformität bekräftigenden Äußerungen des Gesetzgebers im RegE zum ESUG Teil eines Erkenntnisprozesses waren, der mangels Änderung der Umstände eher auf Hoffnung beruhte, oder ob hier eine unterschiedliche Einschätzung der Lage tatsächlich angebracht ist. Für ersteres würde sprechen, dass die Systematik, also die Ersetzung der Zustimmung der Anteilseigner unter gewissen Bedingungen, dieselbe geblieben ist, während sich weder bei der Richtlinie noch bei der EuGH-Judikatur Änderungen ergeben haben. Eine Rechtfertigung könnte aber darin gesehen werden, dass das Bankenreorganisationsverfahren tatsächlich andere Voraussetzungen hat als das herkömmliche Insolvenzverfahren.1199) So enthält es deutliche aufsichtsrechtliche Elemente und kann zudem eingeleitet werden, wenn die Bestandsgefährdung des Kreditinstituts (entsprechend § 48b Abs. 1 KWG) vorliegt und ein Sanierungsverfahren i. S. d. § 2 KredReorgG für aussichtslos gehalten wird oder gescheitert ist (§ 7 Abs. 1 KredReorgG); im Hinblick auf die besondere Verflechtung der Kreditinstitute untereinander sowie der Tatsache, dass ihre Gläubiger maßgeblich Einzelpersonen mit Sparguthaben sind, bestehen insofern bereits strukturelle Unterschiede zum Insolvenzverfahren.1200) Die Zurückhaltung des Gesetzgebers im Kontext des KredReorgG dürfte auch damit zu tun haben, dass die oben besprochene Pafitis-Entscheidung ein in die Krise geratenes Kreditinstitut zum Inhalt hatte, das nicht nur unter der Aufsicht eines Reorganisationsberaters, sondern sogar der eines Zwangsverwalters stand und der Fall somit zu vielen potentiellen Anwendungsfällen des KredReorgG offensichtliche Parallelen enthielt. Zudem hat der Gesetzgeber im KredReorgG eine Unterstellung dieses Verfahrens unter den Anwendungsbereich der Kapitalrichtlinie offensichtlich angenommen, da er hierfür in § 18 KredReorgG ausdrücklich die Einberufung einer Hauptversammlung vorsieht und auch die Mehrheitsanforderungen an die Vorgaben des Art. 44 der RL (Art. 40 a. F.) angepasst hat. Ohnehin besteht das maßgebliche Argument des Gesetzgebers bei der Bankenreorganisation darin, dass sich der EuGH angesichts einer Abwägung „umfassender Schutz vs. weltweite wirtschaftliche Verwerfungen“1201) der Möglichkeit eines Eingriffs in die Rechte der Anteilseigner nicht verschließen würde. Somit ist eine Differenzierung
___________ 1198) RegE-KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 56. 1199) So sprechen Schuster/Westphal, DB 2011, 221 vom KredReorgG als einem „der Insolvenz zeitlich ausreichend vorgelagertes, privatautonom eingeleiteten Reorganisationsverfahren“. 1200) Dies im worst case scenario eines gänzlichen Zusammenbruchs des Instituts und damit unabhängig von der Tatsache, dass nach § 12 Abs. 2 KredReorgG ein Eingriff in solche Forderungen nicht erfolgt, die durch ein Einlagensicherungssystem abgedeckt sind. 1201) Siehe RegE-KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 56.
246
I. Kapitalerhöhung
hier durchaus möglich und erlaubt nicht den Schluss, dass der Gesetzgeber selbst nicht an die Europarechtskonformität der ESUG-Regelung glauben würde.
b) Kritische Stimmen in der Literatur In der Literatur finden sich gewichtige Stimmen, die einen Verstoß der geltenden 532 Regelung des ESUG gegen Art. 29 RL (=Art. 25 RL a. F.) sehen wollen. Dies geschieht maßgeblich auf Basis einer engen Interpretation der vom EuGH in den oben genannten Urteilen aufgestellten Vorgaben. Da die Reorganisation (als die sich ein DES letztlich darstellt) auf den Erhalt des Unternehmens und des Unternehmensträgers abziele und eben keine Zwangsvollstreckungsmaßnahme darstelle, durch die die Gesellschaft zum Erlöschen gebracht werden solle, finde die Richtlinie volle Anwendung.1202) Zudem stimme die Aussage des Gesetzgebers, dass in der Insolvenz die satzungsmäßigen Organe ihre Rechte verlören und vom Insolvenzverwalter verdrängt würden, nicht: die Rechtsstellung der Aktionäre, um die es in Art. 29 RL (=Art. 25 RL a. F.) gehe, bliebe vielmehr unangetastet und werde erst durch den Insolvenzplan aufgehoben.1203) Die Verlagerung der gesellschaftsrechtlichen Beschlussgegenstände in das Insolvenzplanverfahren sei nur „prozedurale Kosmetik“, könne aber an der materiellen Zuordnung nichts ändern.1204) Der EuGH habe klargestellt, dass eine Kapitalerhöhung nicht durch „staatlichen Hoheitsakt“ verfügt werden könne; dabei sei unerheblich, ob dies durch eine staatliche Verwaltungsbehörde oder ein staatliches Gericht ergehe.1205)
c)
Befürwortende Stimmen in der Literatur
Andere Autoren wollen den EuGH dagegen so verstehen, dass die von ihm aufge- 533 stellten Voraussetzungen für die Nicht-Anwendbarkeit der Richtlinie bereits dann vorlägen, wenn die Aktionäre ihr Mitwirkungsrecht verlören, was der Fall sei, wenn in einem kollektiven Zwangsvollstreckungsverfahren die Gesellschaft und ___________ 1202) Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1820; H.-F. Müller, KTS 2011, 1, 13 (für KredReorgG) und S. 20 (für ESUG); so insbesondere auch Madaus, ZGR 2011, 749, 768, der dies als Bestätigung seiner These sieht, dass strikt zwischen einem Liquidationsszenario und einem Reorganisationsszenario zu unterscheiden sei (siehe hierzu bereits ausführlich oben § 6. IV. 3. d) und e)) und nur bei ersterem eine Beteiligung der Alt-Anteilseigner entbehrlich sei. 1203) Madaus, ZGR 2011, 749, 769; hier wäre allerdings zu fragen, ob nicht schon die Möglichkeit der Einbeziehung der Anteilsrechte in den Plan nach § 217 S. 2 InsO n. F. die „Unantastbarkeit“ ausschließt; zweifelnd auch Schuster, ZGR 2010, 325, 351 zum KredReorgG, der allerdings damit argumentiert, dass das die Rechte der Hauptversammlung „bislang“ vom deutschen Insolvenzrecht grundsätzlich unangetastet blieben. 1204) Madaus, ZGR 2011, 749, 770. 1205) So bereits H.-F. Müller, S. 366 noch zu den Vorschlägen der Insolvenzrechtskommission, die eine Ersetzung der Zustimmung der Gesellschafter via Beschluss des Insolvenzgerichts vorsahen (Leitsatz 2.2.20), siehe dazu oben § 4. I. 1. a) und II. 2. a).
247
§ 8 Vereinbarkeit mit Europarecht
ihr Vermögen nur noch den Gläubigern als Befriedigungsgegenstand dienten.1206) Dies sei bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens, mithin auch bei Nutzung des Insolvenzplanverfahrens, der Fall.1207) Dabei wird maßgeblich damit argumentiert, dass in dieser Situation der von der Richtlinie bezweckte Aktionärsschutz hinter dem Ziel der Gläubigerbefriedigung zurücktreten würde.1208)
534 Teils wird auch darauf abgestellt, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG die Auflösung kraft Gesetzes erfolgt, womit bereits das Erfordernis erfüllt ist, dass die Gesellschaft nicht mehr in ihren eigenen Strukturen fortbesteht.1209)
535 Spetzler fragt in ihrer Untersuchung dagegen, ob der Sachverhalt des DES überhaupt dem Regelungsbereich der Kapitalrichtlinie zuzuordnen ist oder ob dieser nicht der EuInsVO unterfällt.1210) Im letzteren Fall würden die Regelungen zum DES, also maßgeblich die §§ 225a, 244, 245 Abs. 3 InsO n. F. von der Kollisionsnorm erfasst, wenn diese zum Insolvenzstatut i. S. d. EuInsVO gehören würden. Bei der Abgrenzung, ob eine Zuordnung zum Insolvenzstatut oder zum Gesellschaftsstatut erfolgt, sei dabei allein die Tatsache, dass der DES im Rahmen des Insolvenzverfahrens stattfindet, noch nicht entscheidend: zum einen gelte die Kapitalrichtlinie nicht nur für dem Gesellschaftsrecht zuzuordnende Normen, sondern
___________ 1206) So Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 548; ähnlich bereits Georgakopoulus, ZEuP 1995, 639, 640, der dies auch als Grundgedanken des EuGH sieht; die „Scheindiskrepanz“ zum Tenor des Gerichtes in der Rechtssache Syndesmos Melon (s. o.) sei in der zu eng formulierten Vorlagefrage zu sehen, die keinen Bezug zum Insolvenzrecht hergestellt hätte, a. a. O. S. 643. Eine derart weite Auslegung ist aber sehr zweifelhaft; kritisch auch Pujol, S. 196 f., der auch darauf hinweist, dass die eigentümliche Interpretation durch Georgakopoulus auch daraus herrühren könnte, dass dieser die OAE vor dem EuGH als Rechtsanwalt vertreten hat. 1207) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 548; dabei wird das Insolvenzverfahren abgegrenzt zu einem vorbeugenden, vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren; nach ihrer Interpretation hätten die vom EuGH entschiedenen Fälle solche Sanierungen „im Vorfeld einer Insolvenz“ dargestellt. 1208) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 548; zustimmend Verse, ZGR 2010, 299, 314, der auf S. 313 Fn. 71a auch auf die Mitteilung der EU-Kommission vom 20.10.2009, COM(2009) 561 final verweist, wo es im Rahmen eines Reorganisationsverfahrens im Bankensektor auf S. 12 heißt: „the rights of shareholders accorded under EU law would normally not pose an obstacle to reorganisation measures taken under a regular insolvency procedure“. 1209) Hölzle, KTS 2011, 291, 319. 1210) Spetzler, S. 36 sowie in gekürzter Form auch in Spetzler, KTS 2010, 433, 440 ff.; im Rahmen der Bankenreorganisation hatte auch Eidenmüller in FS Hopt, 2010, 1713, 1730 für systemrelevante Kreditinstitute eine Restrukturierungsverwaltung mit der Möglichkeit des dauerhaften Anteilsentzugs befürwortet, weil ein solches Verfahren nach seinem Dafürhalten in den Anwendungsbereich der RL 2001/24/EG über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten gefallen wäre; a. A. Spetzler, KTS 2011, 433, 457: die RL 2011/24/EG erfasse dies gar nicht.
248
I. Kapitalerhöhung
auch für solche, die Gesellschaften zum Adressaten haben.1211) Zum anderen sei der Begriff des Insolvenzrechts in Art. 4 EuInsVO verordnungsautonom auszulegen.1212) Bei der Abgrenzung könne darauf rekurriert werden, ob die „Insolvenz lediglich Tatbestandsvoraussetzung einer Norm ist oder die Norm selbst unmittelbar insolvenzpolitischen Zielen dient“.1213) Im Rahmen einer teleologischen Auslegung des Art. 4 EuInsVO könne dabei nach ihren Ausführungen im Grundsatz die insolvenzrechtliche Zielsetzung einer Regelung über sanierende Kapitalerhöhungen im Insolvenzverfahren bejaht werden; zugleich sieht sie aber auch, dass diese als Regelungen über innerverbandliche Angelegenheiten klassischerweise dem Gesellschaftsstatut zugeordnet werden könnten.1214) Entscheidend sei daher, wie stark der Eingriff in die Gesellschaftsverfassung zu gewichten sei, der auf Grund einer Norm mit klar insolvenzrechtlicher Zielsetzung erfolge.1215) Dies sei nötig, da bei der Abgrenzung letztlich die Niederlassungsfreiheit zu beachten sei, die bei bloßer Abstellung auf insolvenzrechtliche Zielsetzung einer Norm sonst leicht beschränkt werden könne.1216) Allerdings würde die durch das Gesetz ermöglichte Erzwingung einer Kapitalerhöhung im Insolvenzverfahren in seinen Folgen (Verwässerung, Verlust der Anteile) im Ergebnis die Alt-Anteilseigner kaum härter treffen als die Liquidation. Da mit letzterer aber stets zu rechnen sei, werde die Entscheidung über Sitzverlegung hiervon nicht betroffen; damit würde eine solche Regelung keine offensichtliche Abweichung vom gemeinschaftsweiten Verständnis des Insolvenzrechts darstellen, womit im Ergebnis „gute Gründe“ dafür sprächen, den DES dem Insolvenzstatut i. S. v. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO zuzuordnen.1217)
d) Stellungnahme Die Ansicht, die einen Verstoß gegen Art. 25 RL (=Art. 29 n. F.) sieht, kann sich 536 insbesondere auf den Wortlaut der vom EuGH gemachten Vorgaben berufen. Indem dieser in der Pafitis-Entscheidung darauf abgestellt hat, dass die Richtlinie Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht entgegensteht, durch die die Gesellschaft zum Erlöschen gebracht werden soll, scheint er die Reorganisation als gesellschaftserhaltende ___________ 1211) Spetzler, S. 35. Bei der Abgrenzung ist zu beachten, dass die Vorgaben der Kapitalrichtlinie das Korrelat zur Niederlassungsfreiheit nach Artt. 49, 54 AEUV sind und die EuInsVO dieser bereits entgegenwirkt, wenn umherziehende Gesellschaften dem nationalen Insolvenzrecht des Gaststaates unterstellt werden; dies ist aus Gläubigerschutzgründen freilich gerechtfertigt, a. a. O. S. 36 f. mit Überblick zu dieser Problematik. 1212) Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO, Art. 4 Rn. 13. 1213) So Spetzler, S. 38 unter Bezugnahme auf Haß/Herweg, in: Haß/Huber, EuInsVO, Art. 4 Rn. 11. 1214) Spetzler, S. 40 f. 1215) Spetzler, S. 42 mit weitergehender Begründung. 1216) Spetzler, S. 42. 1217) Spetzler, S. 43. Kritisch hierzu Madaus, ZGR 2011, 749, 769 f., für den das Aufzwingen gesellschaftsrechtlicher Beschlüsse kaum als insolvenzrechtliche Regelung qualifizierbar sei, die unter den Anwendungsbereich der EuInsVO fallen könne.
249
§ 8 Vereinbarkeit mit Europarecht
Maßnahme den Vorgaben der Richtlinie unterstellen zu wollen. Als leichtsinnig muss in diesem Zusammenhang die Argumentation des Gesetzgebers in der Begründung zum RegE-ESUG gesehen werden, das Insolvenzplanverfahren sei „nicht nur auf eine Sanierung des Unternehmensträgers ausgerichtet (…), vielmehr kann der Plan auch die Liquidation des Schuldners, also eine geordnete Abwicklung, vorsehen“1218). Denn als Umkehrschluss hieraus müsste der DES wie auch jeder andere auf Reorganisation ausgerichtete Insolvenzplan immer den Vorgaben der Richtlinie unterfallen und dies wäre allein beim Liquidationsplan nicht der Fall; dies kann aber nicht Intention des deutschen Gesetzgebers gewesen sein. Zudem erinnert diese Argumentation an die der OAE im EuGH-Verfahren Syndesmol Melon, die darauf hinwies, dass innerhalb der Sonderregelungen zu einem besonderen Abwicklungsverfahren gegriffen werden kann.1219) Genau dies hatte der EuGH aber nicht als ausreichend angesehen, wenn die Grundausrichtung des Verfahrens in Richtung Sanierung und Erhalt des Unternehmens ausgerichtet ist.1220)
537 Auch ein Blick auf die neue, mit dem ESUG veränderte Systematik hilft hier nicht unmittelbar weiter. Denn einerseits bilden die Anteilseigner nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO n. F. eine eigene Gruppe, wenn deren Anteilsrechte in den Plan einbezogen werden; dies würde darauf hindeuten, dass sie gerade nicht „ihrer Rechte enthoben werden“. Andererseits erklärt § 245 Abs. 3 InsO n. F. ihre fehlende Zustimmung aber unter gewissen Bedingungen für unbeachtlich, so dass ihre Entscheidungsmacht praktisch alles andere als absolut ist.
538 Entscheidend ist somit die Subsumtion des Insolvenzplanverfahrens unter die vom EuGH verwendete Bezeichnung „Abwicklungsregelung“. Wörtlich genommen ist die Reorganisation im Planverfahren dies gerade nicht, weil weder Unternehmen noch Gesellschaft abgewickelt werden. Der EuGH hat aber weitergehend vorgegeben, dass es sich um Abwicklungsregelungen handeln muss, die „die Gesellschaft zum Schutz der Rechte der Gläubiger einer Zwangsverwaltungsregelung unterstellen“. Damit wird die Bezeichnung inhaltlich dahingehend präzisiert, dass es in dem Verfahren um den Schutz der Interessen der Gläubiger gehen muss. Dass das Insolvenzplanverfahren die Rechte der Gläubiger schützen will und maßgeblich zu Ihren Gunsten die Verwertung ermöglichen soll, ist unstreitig1221); dies gilt erst recht ___________ 1218) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 20. 1219) EuGH v. 24.3.1992, C-381/89 (Syndesmos Melon), dort Rn. 29 wörtlich: „auch wenn die zeitweilige Geschäftsführung des OAE zu dem besonderen Abwicklungsverfahren nach Art. 9 des Gesetzes (…) führen kann.“ 1220) EuGH v. 24.3.1992, C-381/89 (Syndesmos Melon) Rn. 29. 1221) Hier ist zu erwähnen, dass die OAE dies von ihrem Zwangsverwaltungsgesetz auch behauptet hat: es sei „mit den Kollektivvverfahren zur Gläubigerbefriedigung verwandt“, EuGH v. 24.3.1992, C-381/89 (Syndesmos Melon), Slg. 1992, I-2111, Rn. 25; der EuGH hat dies aber nicht gelten lassen und darauf verwiesen, dass das Gesetz schon von seinen Zielen der OAE her, die im Gesetz aufgeführt sind, auf finanzielle Sanierung und damit Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes ausgerichtet sei, a. a. O. Rn. 29.
250
I. Kapitalerhöhung
beim DES, der am Interesse der Gläubiger ausgerichtet ist und dabei auch hinsichtlich der anderen Problemstellungen die Verteilungshierarchie als Richtschnur hat, bei der die Anteilseigner an letztem Rang stehen.1222) Nur begrenzt weiterführend ist in diesem Kontext das Argument, der EuGH könne 539 nicht dahingehend verstanden werden, mit „Zwangsverwaltung“ und „Abwicklungsregelung“ allein die Liquidation im Insolvenzverfahren gemeint zu haben, denn bei der Liquidation bestünde schon kein Bedürfnis, das Grundkapital überhaupt zu erhöhen; die vom EuGH markierte Grenze des Anwendungsbereichs liefe bei einer solchen Interpretation praktisch ins Leere.1223) Die Gegenmeinung hält dies für einen Zirkelschluss, wenn aus dem „natürlich fehlenden Bedürfnis für eine Kapitalerhöhung in der Liquidation hergeleitet (werde), dass Art. 29 RL (=Art. 25 RL a. F.) für diesen Fragenkreis keine Relevanz habe“.1224) Für die erstere Ansicht spricht aber, dass in der Tat fraglich ist, worin der EuGH noch einen verbleibenden Anwendungsbereich sah. Entscheidend muss daher eine Gesamtabwägung sein. Folge der von der Gesetzes- 540 begründung und den befürwortenden Stimmen in der Literatur bevorzugten Interpretation wäre, dass sich die Abgrenzung u. a. auf die Frage verschiebt, ob eine vor-insolvenzliche Sanierungsregelung oder eine insolvenzrechtliche Sanierungsregelung vorliegt und bei letzterer Art. 29 RL (=Art. 25 a. F.) keine Anwendung findet.1225) Hiergegen wird eingewandt, dass es mit einer solchen Abgrenzung der nationale Gesetzgeber in der Hand habe, die Anwendbarkeit des Art. 29 RL (=Art. 25 a. F.) ganz einfach dadurch auszuschließen, dass ein Reorganisationsoder Sanierungsverfahren als Insolvenzverfahren deklariert würde.1226) Dieser Befürchtung kann zugestanden werden, dass sie mit einiger Wahrscheinlichkeit maßgeblicher Gedanke des EuGH bei seinen Entscheidungen war, da mit dem Erlauben einer Bereichsausnahme für Sanierungsverfahren in der Tat der kreativen Interpretation durch den nationalen Gesetzgeber Tür und Tor geöffnet würde und i. E. drohte, dass das angestrebte einheitliche Schutzniveau für Anteilseigner in Europa nicht mehr gewährleistet wäre.1227) Wird dies aber zu Ende gedacht, so könnte die Abgrenzung tatsächlich allein anhand des formellen Aspektes erfolgen, ob das ___________ 1222) Hier könnte auch darauf verwiesen werden, dass im Jahre 1991 und 1996 (bei Ergehen der genannten EuGH-Entscheidungen) vielfach noch die Insolvenz als Zerschlagungsverfahren angesehen wurde, sich seitdem auch in den anderen europäischen Rechtsordnungen aber zunehmend der Gedanke der Sanierung auch im Insolvenzverfahren Platz geschaffen hat; siehe zu einer Übersicht nur Piekenbrock, NZI 2012, 907 f. 1223) Verse, ZGR 2010, 299, 314 im Anschluss an Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 548; so auch RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 20. 1224) Madaus, ZGR 2011, 749, 768 f. 1225) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 548. 1226) Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1820. 1227) H.-F. Müller, KTS 2011, 1, 13, allerdings zum KredReorgG, das andere Antragsvoraussetzungen als die InsO hat; ähnlich Pujol, S. 201.
251
§ 8 Vereinbarkeit mit Europarecht
Verfahren materiell auf Erlöschen oder Erhalt der Gesellschaft gerichtet ist; im deutschen Recht müsste somit geschaut werden, was der Insolvenzplan beabsichtigt.1228) Allerdings ist fraglich, ob dies dann in einer Gesamtfolgenbetrachtung noch als richtig erscheinen kann; denn faktisch ist damit die Blockadeposition wiederhergestellt, die wirtschaftlich in den meisten Fällen bei eingetretener Insolvenz schlechthin nicht erklärt werden kann (siehe dazu oben1229); entsprechend wurde die rein formelle Unterscheidung zwischen Liquidation und Reorganisation auch bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit verworfen).1230) Somit ist fraglich, ob sich der EuGH bei einer Vorlagefrage1231) dieser Argumentation verschließen würde oder ob er im Einzelfall bereit wäre, zwischen einem Reorganisationsverfahren im Kontext einer Insolvenz und einer bloßen Sanierungsregelung zu unterscheiden.1232) Täte er dies, hätte die InsO aufgrund ihrer strikten Orientierung an den Interessen der Gläubiger und ihren einschneidenden Folgen für die Beteiligten gute Chancen, als nicht unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fallend angesehen zu werden.1233) Hier wäre auch zu beachten, dass die InsO mit der zwingenden Notwendigkeit des Vorliegens von Insolvenzgründen keine willkürliche oder missbräuchliche Einleitung des Verfahrens ermöglicht. Sofern diesem entgegengehalten wird, dass es den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO gibt, wäre dagegen vorzubringen, dass dieser nur den Schuldnerantrag ermöglicht, nicht den Fremdantrag, so dass zumindest keine Einleitung des Verfahrens von außenstehenden Personen oder Behörden, wie es in den griechischen Vorlagefällen der Fall war, ___________ 1228) So denn auch Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1820 und Madaus, ZGR 2011, 749, 768 f. 1229) Siehe oben § 4. II. 1230) Oben § 6. IV. 3. e); eine solche Beschränkung des Insolvenzverfahrens auf die Liquidation drohte zudem bei unkooperativen Anteilseignern und rechtträgergebundenen Berechtigungen im Ergebnis die durch die InsO eigentlich überwundene Zerschlagungsautomatik zurück zu bringen. 1231) Piekenbrock, NZI 2012, 905, 908 hält die Vorlage dieser Frage nach Art. 267 AEUV für unumgänglich. 1232) Eine abweichende, dennoch aber auf eine Abwägung herauslaufende „Hoffnung“ in Bezug auf eine Entscheidung des EuGH äußert die Gesetzesbegründung zum RegE-KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 56, wenn dort davon gesprochen wird, dass der Gerichtshof bei Eingreifen der Zustimmungsersetzung des KredReorgG im dortigen § 19 Abs. 4 (der strenge Voraussetzungen aufstellt) „abzuwägen habe, ob dem gemeinschaftsweit einheitlichen Mindestschutz der Aktionäre, also dem Recht der Anteilsinhaber, in einer Unternehmenskrise wirtschaftlich sinnvolle Lösungen zu verhindern, auch um den Preis weltweiter wirtschaftlicher Verwerfungen der Vorrang gebührt, obwohl die finanziellen Interessen der Anteilsinhaber vollständig gewahrt werden.“ Aufgrund der oben erwähnten Unterschiede zwischen KredReorgG und ESUG darf hieraus aber wiederum nicht der Rückschluss gezogen werden, in einer nicht weltweit wirtschaftliche Verwerfungen auslösenden Unternehmensinsolvenz dürfte die fehlende Zustimmung nie ersetzt werden; § 19 Abs. 4 KredReorgG setzt hier keinen „Mindeststandard“. 1233) Daran wird auch die Tatsache nichts ändern, dass mit den anderen mit dem ESUG einhergehenden Reformen (u. a. Schutzschirmverfahren, gestärkte Eigenverwaltung, etc.) die Interessen des Schuldners und damit zunächst seiner Anteilseigner gestärkt wurden; es bleibt im Ergebnis ein Verfahren, das einzig auf die Gläubigerbefriedigung ausgerichtet ist.
252
I. Kapitalerhöhung
droht. Das eingeleitete Insolvenzverfahren ist somit keine bloß präventive Sanierungsregelung im gesamtvolkswirtschaftlichen oder sozialen Interesse, sondern setzt bereits einen Zustand voraus, in dem die Gläubigerinteressen objektiv gefährdet sind. Zugleich kann diesen Gläubigerinteressen nicht allein durch Verwertung in Form der Liquidation Rechnung getragen werden, sondern auch durch sanierende Reorganisation. Dass das nunmehr gestärkte Reorganisationsverfahren unter Nutzung des Insolvenzplans dabei auf Erhalt der Gesellschaft angelegt ist, wäre nur noch eine förmliche Tatsache, die im Ergebnis keinen Unterschied machen kann. Es könnte im weitesten Sinne als Ergebnis der Rechtsentwicklung gesehen werden, die bei zunehmender Verbreitung immaterieller, an den Rechtsträger gebundenen Wertpositionen, gepaart mit erleichterter Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten und Verbesserungen des Planprozesses die Sanierung auch durch Erhalt des Rechtsträgers ermöglicht, ohne dass damit eine Aushöhlung von Anteilseignerrechten in der Form, wie sie durch die Richtlinie geschützt werden sollen, droht. Fraglich ist, wie die oben skizzierte, im Rahmen ihres Konzeptes gewichtige Kritik 541 von Schön hier hineinspielt. Denn er wendet sich maßgeblich dagegen, die Abwägung der Aktionärsrechte mit staatlichen Zwangseingriffen anhand der Richtlinie zu beurteilen; dies geschah im Kontext der geführten Diskussion um staatliche Zwangseingriffe in die gesellschaftsrechtliche Struktur von Kreditinstituten im Rahmen der Finanzkrise ab dem Jahr 2008.1234) Dabei erwähnt er zwar auch die damals intendierte Reform des Insolvenzrechts und explizit auch den DES; sein Fokus lag aber eben auf der staatlichen Eingriffsverwaltung.1235) Nun könnte der den Aktionären qua Obstruktionsverbot aufoktroyierte DES im weitesten Sinne als staatliche Eingriffsverwaltung gesehen werden, weil dies per Insolvenzplan unter Überwachung und Zustimmung des staatlichen Gerichts geschieht. Zugleich stellt es aber auch einen klassischen Kompetenzkonflikt zwischen Privatrechtssubjekten dar, allerdings nicht wie bei ihm erwähnt zwischen Organen der AG untereinander oder Aktionären untereinander1236), sondern zwischen Aktionären und Gläubigern; denn der aufoktroyierte Zugriff auf die Gesellschaftsstruktur ergeht zugunsten der Gläubiger. Wird allerdings davon ausgegangen, dass die Kompetenzen des EURechts nur so weit gehen, wie sie verliehen wurden (Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung), so könnte angenommen werden, dass auch dieser Konflikt nicht unter die Richtlinie fällt, sondern eine Frage allein des Verfassungsrechts ist. In diese Richtung ist Karsten Schmidt zu lesen, der unter Berufung auf Schön davon ausgeht, dass die Richtlinie die Rechte von Aktionären und Gläubigern nicht in jeder Hinsicht schütze, sondern „ihre Zuständigkeitsvorbehalte (…) von der Binnenverfassung und Gewaltenteilung in der Aktiengesellschaft“ handeln.1237) Auch eu___________ 1234) 1235) 1236) 1237)
Schön, ZHR 174 (2010), 155 f. Schön, ZHR 174 (2010), 155, 161. Schön, ZHR 174 (2010), 155, 157. K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1610.
253
§ 8 Vereinbarkeit mit Europarecht
ropäisches Aktienrecht sei eben nur Aktienrecht.1238) Folglich stelle die Richtlinie keine Einschränkung für die vom ESUG aufgeworfenen Probleme dar.1239)
542 Dieser Ansicht ist im Grundsatz zuzustimmen; dabei bedarf es auch nicht der von Spetzler vorgenommenen Abgrenzung zur EuInsVO, bei der sich eine Regelung dieser Materie durch die EuInsVO schwer begründen lässt. Zwar könnte man dies im weitesten Sinne als von der EuInsVO erfasst sehen, weil diese generell Regeln beinhaltet, die den Schutz von Gesellschaftern und Dritten koordinieren.1240) Allerdings regelt sie nicht explizit die Frage, inwieweit das nationale Recht die fehlende Zustimmung der Anteilseigner zu einer Kapitalerhöhung unter insolvenzrechtlichen Prämissen ersetzen kann. Die Lösung ist aber ohnehin nicht in einer verdrängenden Regelung durch einen anderen europäischen Rechtsakt zu sehen, sondern in einer einschränkenden Auslegung des Anwendungsbereichs der Richtlinie selbst. Solange der DES nicht explizit durch europäischen Rechtsakt geregelt wird, verbleibt dies eine Materie des nationalen Rechts. Dies dürfte allerdings kaum den EuGH überzeugen, der bisher eine extensive Auslegung betrieben hat. Daher ist auf die vorstehende Argumentation zurückzugreifen, dass die InsO im Ergebnis eine Zwangsverwaltungsregelung zum Schutz der Rechte der Gläubiger darstellt. Jedenfalls dürfte sich auch der EuGH, sollte er auch hier eine extensive Auslegung vornehmen, einer Rechtfertigung mit Verweis auf die hiermit (wieder-)erstarkende Rechtsposition der Alt-Anteilseigner nicht verschließen können; mag er auch aus einigen Vorgaben der Richtlinie ein Grundrecht der Anteilseigner konstruiert haben, so wird er dies kaum auch auf Anteilseigner erstrecken wollen, deren Anteile durch die Insolvenz wertlos oder stark wertgemindert sind und deren Obstruktion die Sanierung zugunsten der Gläubiger behindert.
II. Bezugsrechtsausschluss 543 Ein Bezugsrecht wird nach § 186 Abs. 1 AktG sowohl bei Bareinlage als auch bei Sacheinlage gewährt. Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie (=Art. 33 n. F.) verlangt dies allerdings nur bei einer Kapitalerhöhung mit Bareinlagen; das deutsche Recht geht insofern zulässigerweise über die europäischen Vorgaben hinaus.1241) Da der DES eine Sachkapitalerhöhung darstellt, stellt die Richtlinie hier unmittelbar kein Problem dar. Dieses könnte hier lediglich dann auftauchen, wenn der Insolvenzplan ___________ 1238) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1610 unter Bezugnahme auf Schön, ZHR 174 (2010), 155, 161 und Samara-Krispis/Steindorff, 29 CMLR 615, 621 f. (1992); kritisch hierzu Madaus, ZGR 2011, 749, 769, der davon ausgeht, dass dem Insolvenzrecht hierzu die Macht fehlt, weil der Verband auch in der Insolvenz erhalten bleibe und die Entscheidungshoheit über die Binnenorganisation zudem verfassungsrechtlich geschützt sei, a. a. O. S. 766; zur Kritik hieran siehe bei § 6. IV. 3. e). 1239) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1610. 1240) Spetzler, KTS 2010, 433, 441. 1241) Spetzler, S. 28.
254
III. Kapitalherabsetzung
zwecks Ausgleichs von Verlusten eine Kapitalherabsetzung auf Null nach § 228 Abs. 1 AktG vorsieht, da in diesem Fall der Mindestnennbetrag von Euro 50.000 durch Bareinlage aufgebracht werden muss, womit Art. 29 Abs. 1 (= Art. 33 n. F.) ein Bezugsrecht verlangt. Diesbezüglich ermöglicht Art. 29 Abs. 4 S. 2 zwar eine Beschränkung oder den Ausschluss des Bezugsrechts nach Beschluss der Hauptversammlung; nur kann diese nach ESUG wieder iRd § 245 Abs. 3 InsO n. F. ersetzt werden, so dass sich i. E. dieselbe Frage wie bei der Kapitalerhöhung stellt, nämlich ob in der Insolvenz eine Anwendung der Vorgaben der Kapitalrichtlinie nicht ausgeschlossen ist. Mit entsprechender Argumentation wie oben unter I. ist hier eine Anwendbarkeit zu verneinen.
III. Kapitalherabsetzung Von der Notwendigkeit eines Beschlusses der Kapitalherabsetzung durch die Haupt- 544 versammlung benennt Art. 30 Abs. 1 S. 1 ausdrücklich die Ausnahme, dass diese durch gerichtliche Entscheidung angeordnet wird. Eine solche gerichtliche Entscheidung kann darin gesehen werden, dass der Insol- 545 venzplan nach § 248 InsO der Bestätigung durch das Insolvenzgericht bedarf.1242) Als Maßstab für die Entscheidung des Gerichts nennt § 250 InsO die Einhaltung der Verfahrensvorschriften. Zudem ist bereits festgestellt worden, dass das Insolvenzgericht eine umfassende Prüfungskompetenz und sogar Prüfungspflicht trifft bezüglich der im Insolvenzplan enthaltenen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen.1243) Somit stellt dies eine taugliche gerichtliche Entscheidung dar.1244)
___________ 1242) So Verse, ZGR 2010, 299, 313; Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 547. 1243) Siehe oben § 5. II. 3.; zu erwähnen ist, dass in der Insolvenz die Kapitalherabsetzung zudem dem Verlustausgleich dient und damit lediglich die ohnehin notwendigen Maßnahmen bei Kapitalverlust umsetzt; eine solche Kapitalherabsetzung kann und wird regelmäßig eine der unmittelbaren Maßnahmen darstellen, die auf einer Hauptversammlung beschlossen werden, die nach Art. 19 Abs. 1 RL (= Art. 17 RL a. F.) bei schwerem Verlust des gezeichneten Kapitals einberufen werden muss. 1244) So insbesondere auch die Gesetzesbegründung, siehe RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 20; kritisch Büchele, S. 139 Fn. 639: gerichtliche Bestätigung gem. § 248 InsO könne „eher nicht als solche Anordnung gesehen werden, da dem Gericht insoweit nur die Aufgabe zufällt, die Rechtmäßigkeit des Plans zu überprüfen. Inhaltlich hat es keine Entscheidungsbefugnisse. Darüber hinaus dürfte es einen europarechtswidrigen Plan schon gar nicht bestätigen“. Ähnlich kritisch H.-F. Müller, KTS 2011, 1, 13: das Gericht stelle lediglich fest, dass die privatautonome Übereinkunft gemäß den gesetzlichen Vorgaben zustande gekommen ist (im Anschluss an Schuster, ZGR 2010, 325, 351).
255
§ 9 Analyse der Neuregelungen Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass die Neuregelung des DES durch das 546 ESUG weder mit Verfassungsrecht noch mit Europarecht unvereinbar ist. Eine Neuregelung muss allerdings nicht allein auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht untersucht werden, sondern auch unter der Fragestellung, ob sie unter Effizienz- und Missbrauchsgesichtspunkten stimmig ist und ob flankierende Regelungen etwa zu Sanierungsprivilegierung oder des Steuerrechts der Intention des Gesetzgebers nicht entgegenlaufen.
I.
Neuartiges Störpotential durch Beteiligung der Anteilseigner?
Fraglich ist, ob mit der nunmehr möglichen Beteiligung der Alt-Anteilseigner am 547 Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 S. 2 n. F., 222 Abs. 1 Nr. 4 n. F., 225a Abs. 1 InsO n. F. nicht neues Störpotential einhergeht.
1.
Aufblähung des Verfahrens durch das ESUG
Insbesondere Pape hatte die intendierte Beteiligung der Anteilseigner kritisiert: 548 Mit dem beträchtlichen Anschwellen des Regelwerks gingen entsprechende Widrigkeiten durch die Beteiligungsrechte der Anteilseigner einher, so dass die Einbeziehung der Anteilsrechte mit einem noch unbeweglicheren und für Blockaden anfälligeren Verfahren erkauft werde. Diese „Hypertrophie der Regelungsvorschläge gemessen am Wert der Mitgliedschaftsrechte“ sei sehr zweifelhaft; es vermittle einen paradoxen Eindruck, wenn Anteilseigner in einem komplizierten Verfahren über die Umgestaltung ihrer wertlosen Rechte mitentscheiden dürften.1245) Indem diesen dann auch noch Minderheitenschutz- und Beschwerdebefugnisse zuerkannt würden, würde das Verfahren vollends aus den Fugen geraten, da hierdurch Alteigner genauso große Rechte erhielten wie die Gläubiger. Durch eine solche Regelung würde aber das Verfahrensziel der Gläubigerbefriedigung außer Acht gelassen. Daher hätte Pape im Ergebnis eine Regelung befürwortet, nach der die Rechte der Alt-Anteilseigner analog zum wirtschaftlichen Wert ihrer Beteiligungen ausgestaltet worden wären. Dies hätte bedeutet, dass bei Feststellung der wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Anteile (was, wie er betont, fast immer der Fall sei) eine schlichte Verdrängung der Anteilseigner, also deren Nicht-Beteiligung am Planverfahren, die Folge gewesen wäre.1246) Dies sei allein dann anders, wenn ausnahmsweise genug Insol-
___________ 1245) Pape, ZInsO 2010, 2155, 2159. 1246) Pape, ZInsO 2010, 2155, 2159. Dabei verneint er ausdrücklich auch eine verfassungsrechtliche Gebotenheit der Beteiligung der Alt-Anteilseigner mit Verweis auf die Wertlosigkeit derer Anteile.
257
§ 9 Analyse der Neuregelungen
venzmasse vorhanden sei, um auch nachrangige Forderungen zu befriedigen, oder wenn die Alt-Eigentümer auch eine persönliche Haftung träfe.1247)
549 Auch Braun/Heinrich erkannten, dass eine komplette Heraushaltung der Anteilseigner einen „gewissen Charme“ besäße.1248) Denn selbst unter Berücksichtigung der mit dem Anteilseigentum verbundenen Mitgliedschafts- und Teilhaberechte müsse konstatiert werden, dass diese „im Rahmen einer Regelabwicklung und Liquidation immer endgültig und entschädigungslos untergehen“.1249) Ähnliche Modelle, bei denen die Anteilseigner keine eigene Gruppe bilden sollten, sondern ihre Zustimmung zu einer im Insolvenzplan vorgesehenen Einziehung der Anteilsrechte als erteilt galt, waren bereits vor dem ESUG vorgeschlagen worden.1250)
2.
Exkurs: der pre-emptive cram down als Reaktion auf die Machtstellung der Alt-Anteilseigner im Chapter 11
550 Die Idee, die Alt-Anteilseigner bei Wertlosigkeit ihrer Anteile schon von Anfang an aus dem Verfahren auszuschließen, ist dabei in der Diskussion zum USamerikanischen Chapter 11 bereits vorgeschlagen worden. Der sog. pre-emptive cram down war eine Reaktion auf eine in verschiedenen Praxisstudien festgestellte, als ungerechtfertigt empfundende Blockademacht der Alt-Anteilseigner im Planannahmeverfahren. Um deren Hintergründe näher zu erläutern, sollen in einem Exkurs zunächst die in der Praxis aufgetretenen Probleme dargestellt werden und danach das Konzept des pre-emptive cram down erklärt werden. In einem dritten Schritt soll geprüft werden, ob ähnliche Folgen auch im deutschen Recht zu erwarten sind und ob diesen daher mit einer vergleichbaren Regelung entgegengetreten werden sollte.
a) Die weitere Beteiligung der Alt-Anteilseigner am Unternehmen 551 Nach den Regeln des Chapter 11, wie sie durch den Bankruptcy Code und die Rechtsprechung ausgeformt wurde, besteht für die bisherigen Anteilseigner lediglich dann die Möglichkeit, weiter Anteile an der reorganisierten Gesellschaft zu ___________ 1247) Pape, ZInsO 2010, 2155, 2159 f. 1248) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 507. 1249) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508; letztlich halten sie die Beteiligung der Anteilseigner am Planverfahren aber für sachgerecht, „wenn mit einem Planverfahren eine für die Gläubiger vom Regelverfahren abweichende, aus ihrer Sicht vorteilhaftere Lösung angestrebt wird.“ Die jetzigen Eigentümerrechte (also in der Art, wie sie das ESUG berücksichtigt) würden dieses Ziel nicht beeinträchtigen. 1250) Siehe etwa Westphal/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 16 sowie Büchele, S. 221 ff., jeweils mit Verweis auf den ordentlichen Rechtsweg nach Abschluss des Planverfahrens für die Geltendmachung von Abfindungsansprüchen. Siehe auch den Leitsatz 2.4.9.5 des Ersten Berichtes der KfI (Ausschluss von Gesellschaftern wegen Wertlosigkeit der Anteile), näher hierzu oben § 4. II. 2. a) und d).
258
I. Neuartiges Störpotential durch Beteiligung der Anteilseigner?
halten, wenn eines der folgenden Szenarien eintrifft: (1.) wenn der Wert der reorganisierten Gesellschaft (nach going-concern-value) den Betrag der Forderungen übersteigt, mithin also bei der Schlussverteilung noch etwas übrig bleiben würde, was an die Anteilseigner ausgekehrt werden kann, (2.) sofern dies nicht zutrifft, wenn die anderen Gläubiger einer Zuweisung von Anteilen an die bisherigen Anteilseigner (unter Hinnahme der hiermit einhergehenden Verletzung der absolute priority rule) zustimmen1251) oder (3.) wenn Alt-Anteilseigner neue Mittel (fresh money) beisteuern und somit von der new value exception Gebrauch machen.1252) Abgesehen von der dritten, richterrechtlich entwickelten Ausnahme, stellt sich die Rechtslage hier also ebenso dar wie nunmehr im deutschen Recht, was kaum verwundert, da sich dies maßgeblich am Chapter 11-Recht orientiert hat. Dennoch ergab sich in der Praxis der Chapter 11-Reorganisationen in den 80er und 552 90er Jahren des letzten Jahrhunderts das Phänomen, dass Insolvenzpläne mehrheitlich angenommen wurden, in denen auch den Alt-Anteilseignern (ohne Leistung frischen Kapitals) Anteile am neu aufgestellten, reorganisierten Unternehmen zugewiesen wurden, und zwar auch dann, wenn eigentlich klar war, dass sie bei einer regulären Schlussverteilung nichts erhalten würden.1253) Die Gründe, warum die bisherigen Eigentümer trotz ihres geschäftlichen Schiff- 553 bruchs weiter an einer Firma beteiligt werden sollen, können dabei vielfältig sein. So kann den primär auf Verwertung ausgerichteten Gläubigern eine Weiterführung des Geschäfts unter den bisherigen Inhabern als lohnendere Alternative erscheinen, weil eine schnelle Verwertung der assets nicht möglich erscheint.1254) Eine Zuteilung von Anteilen an bisherige Anteilseigner kann auch darin begründet sein, dass diese über das nötige Know How verfügen, das in dem Segment als notwendig angesehen wird, um schnell wieder die Gewinnzone zu erreichen.1255) Vereinzelt wurden den Alt-Eignern auch neue Anteile zugewiesen, um diese weiter an die Firma zu binden und somit zugleich einen Markt für Reorganisations-Anleihen zu schaffen und diese weit zu streuen.1256) Die weitere Beteiligung der Alt-Anteilseigner kann im US-Recht aber zusätzlich 554 noch aus der Tatsache resultieren, dass das Planinitiativrecht beim Schuldner ___________ 1251) Zustimmung mit der qualifizierten Mehrheit von 2/3 der anwesenden Gläubiger nach Summe und ½ nach Köpfen, siehe 11 U.S.C. § 1126(c). Eine Minderheit innerhalb der Gruppe kann die Planbestätigung dann nicht verhindern, wenn sie durch den Plan mindestens so viel erhält, wie ihr bei einer Liquidation nach 11 U.S.C. Chapter 7 zustehen würde. 1252) Carr, 15 Ind. L. Rev. 547, 547 ff. (1982). Siehe zur new value exception ausführlich § 7. III. 3. a). 1253) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 632 (1991). 1254) Carr, 15 Ind. L. Rev. 547, 555 f. (1982). 1255) Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 47. 1256) LoPucki/Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 152 (1990); zuletzt können steuerliche Gründe ausschlaggebend sein, a. a. O. S. 153 Fn. 62 a. E. (wenngleich dies nach dortigen Erkenntnissen keine bedeutenden Auswirkungen hat).
259
§ 9 Analyse der Neuregelungen
liegt1257), der das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung als debtor in possession (DIP) weiter führt und dabei lediglich von einem Verwalter beaufsichtigt wird.1258) Hierdurch können im US-Recht insofern andere Anreizstrukturen bestehen, als dass sich das Management den Anteilseignern verpflichtet fühlt, weil es von diesen bestellt wurde und abberufen werden kann.1259) Wenn das Management zugleich Anteilseigner ist, gilt dies umso mehr.1260) Diese Bevorzugung kann auch aus der Tatsache resultieren, dass auf Seiten der Gläubiger agency-Probleme derart bestehen, dass sie nur einen kleinen Anteil der Ansprüche halten und daher nicht bereit sind, ein „socially efficient level of ressources“ darauf zu verwenden, einen guten Reorganisationsplan zu Stande zu bringen. Damit verbleibt entscheidende Verhandlungsmacht bei der einzig wirklich gut informierten Gruppe, nämlich dem Management, das daher diese Macht nutzen kann, um die Verhandlungen in Richtung Reorganisation und damit Erhalt ihrer Position zu leiten.1261)
b) Die Voraussetzungen des cram down 555 Dennoch ist nicht ohne weiteres ersichtlich, warum die Gläubiger mehrheitlich Plänen mit verbleibender Alt-Anteilseigner-Beteiligung zustimmten, obwohl dies zu ihren Lasten ging. Denn bei strikter Befolgung der absolute priority rule hätten sie den Alt-Anteilseignern auch Pläne ohne Alt-Eigner-Beteiligung per cram down aufoktroyieren können. Umgekehrt hätte jede Mehrheit von Gläubigern in jeder Gläubigergruppe einen Plan verhindern können, der den Alt-Eignern Anteile zuweist.
___________ 1257) In den ersten 120 Tagen, wobei regelmäßig Verlängerungen gewährt werden, siehe 11 U.S.C. § 1121 (b). Verlängerungen oder Verkürzungen können nach 11 U.S.C. § 1121 (d) vom Insolvenzgericht gewährt werden. Am Ende dieser Exklusivitätsperiode können auch Gläubiger konkurrierende Pläne einbringen, 11 U.S.C. § 1121 (c). Diese Exklusivitätsperiode war eine Antwort auf die vorher gängige „suicide threat“, bei denen die Planersteller aus dem Management mit Einleitung der Liquidation drohten und damit die ungesicherten Gläubiger auf Linie brachten, wenn deren Forderungen (übermäßig) gekürzt werden sollten, siehe Broude, 39 Bus. Law. 441, 443 (1984). 1258) LoPucki/Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 128 (1990). 1259) Wenn dies eigentlich auch nicht so sein sollte, weil sich mit Verfahrenseröffnung die Pflichtenbindung wandelt dahingehend, dass sie nun den Gläubigern verpflichtet sind, siehe hierzu LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 641 Fn. 71 (1990) m. w. N. 1260) Bradley/Rosenzweig, 101 Yale L.J. 1043 ff. (1992) gelangen bei ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass das Chapter 11-Verfahren im Ergebnis die Geschäftsleiter bevorzugt, weil diese, oftmals mit hohem Risiko, weiterspielen können, während das Risiko von den Aktionären und Gläubigern getragen wird. 1261) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 529 (1992). Konzessionen an die Eigentümer können auch daraus resultieren, dass das Risiko des Unterinvestitionsproblems reduziert werden soll, siehe Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 47.
260
I. Neuartiges Störpotential durch Beteiligung der Anteilseigner?
aa) cram down eines Plans gegenüber den Gläubigern Denn die Regelungen des 11 U.S.C. § 1129 sind strikt an der absolute priority rule 556 orientiert. In dem Fall, dass ein zur Abstimmung gestellter Plan den Alt-Anteilseignern auch weiterhin Anteile zuspricht, ist die Ablehnung des Plans durch eine Gruppe von Gläubigern regelmäßig beachtlich und kann auch nicht im Rahmen des cram down überwunden werden.1262) Dies gilt lediglich dann nicht, wenn der Wert des reorganisierten Unternehmens über den Passiva liegt und die ablehnenden Gläubiger somit entweder sofort oder im Rahmen von Teilzahlungen, die im Plan genau festgelegt sind, letztlich vollständig befriedigt werden.1263) Da dies seltenst der Fall ist, wäre zu erwarten gewesen, dass ein solcher Plan keine Chancen auf Bestätigung hätte. Dennoch kam es in der Praxis nicht selten zu genau solchen Plänen. Über den cram down musste dabei aber gar nicht erst entschieden werden, da keine der Gläubigergruppen dem Plan ihre mehrheitliche Zustimmung versagt hatte.1264) Die Zuwendung an die Anteilseigner als eigentlich niederrangige Klasse wurde mithin hingenommen, um eine Verzögerung des Verfahrens zu vermeiden.
bb) cram down eines Plans gegenüber Anteilseignern Diese Verzögerung ergab sich aus den komplementären Regelungen des cram down 557 gegenüber Anteilseignern. In 11 U.S.C. § 1129(b)(2)(C) ist bestimmt, wann die fehlende Zustimmung der Anteilseigner für die Annahme des Plans unbeachtlich ist. Wenn die Gruppe der bisherigen Anteilseigner nicht zustimmt, so gilt auch beim 558 cram down diesbezüglich, dass der fair and equitable test anzuwenden ist. Dieser ist bzgl. der equity holders dahingehend ausgestaltet, dass die Ablehnung durch die Anteilseigner dann vom Gericht als unbeachtlich betrachtet werden kann, wenn (1.) hierdurch keine niederrangigen Gruppen etwas erhalten oder (2.) die ablehnende Anteilseigner-Gruppe zumindest nicht weniger erhält, als ihr bei einer Liquidation zustehen würde.1265) Die erste Voraussetzung ist fast stets erfüllt, da die Anteilseigner regelmäßig an letzter Stelle bei der Verteilung der assets stehen. Auch der zweite Aspekt ist regelmäßig erfüllt, da den Anteilseignern, wiederum als letztrangige Gruppe, bei einer Liquidation nichts zukommt, da die Insolvenzmasse des Unternehmens nicht ausreicht, um alle vorrangigen Forderungen gänzlich zu begleichen. Somit wurde die absolute priority rule vom Gesetz her voll ___________ 1262) Siehe 11 U.S.C. § 1129(b)(2)(A),(B). Eine Ausnahme stellt die richterrechtlich entwickelte new value exception dar, bei der für die neuen Anteile aber auch frisches Kapital bzw. frische Sachwerte eingebracht werden. Siehe hierzu eingehend oben § 7. III. 3. a). 1263) Carr, 15 Ind. L. Rev. 547, 554 (1982). 1264) Mithin in jeder Gruppe die Mehrheit für die Zustimmung erreicht wurde, obwohl die Forderungen der Gruppenmitglieder durch den Plan gekürzt wurden (impaired class). 1265) Zu den darüber hinausgehenden Anforderungen des § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. siehe oben § 5. I. 4. e) aa).
261
§ 9 Analyse der Neuregelungen
umgesetzt. Mithin wäre der cram down gegenüber Anteilseignern in den meisten Fällen, wenn er denn durchgefochten worden wäre, erfolgreich gewesen. Das Blockadepotential ergab sich somit nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern aus den Umständen des Planbestätigungsprozesses.1266)
(1) Die nuisance value eines cram down hearing 559 Entscheidendes Element sind dabei die Schwierigkeiten, die mit der Bewertung einhergehen. Um die Funktion des cram down nutzen zu können, muss eine Entscheidung durch den Insolvenzrichter ergehen, in der dieser die Vorliegen der Voraussetzungen des 11 U.S.C. § 1129(b)(2)(C) feststellt. Schon dieses cram down hearing um jeden Preis zu vermeiden, lag aber im Interesse der Beteiligten. Vor die Alternative Verhandlungen oder richterliche Entscheidung gestellt, schien die richterliche Entscheidung (adjudication) die unverantwortliche Alternative zu sein.1267) Kernproblem ist dabei, dass eine „valuation“, also eine Bewertung der finanziellen Verhältnisse des Schuldners sowie der Wert der gegen ihn gerichteten Forderungen nötig würde.1268) Eine solche Bewertung birgt nicht nur für den Planersteller, sondern für viele Beteiligte Risiken.1269) Schon das geringe Risiko, dass ein cram down scheitern könnte, hatte dabei abschreckende Wirkung. Selbst wenn es, um das Scheitern abzuwenden, in dessen Rahmen zu einem Kompromiss gekommen wäre, hätte diese Änderung den ohnehin schon aufwändigen Abstimmungsprozess mit einer großen Anzahl von Beteiligten und langen Fristen für Zustimmung nochmals verzögert. Hinzu kommt, dass bereits durch das bloße Anberaumen des hearing Kosten entstanden wären, die vermieden werden sollten, weil sie zu Lasten der Insolvenzmasse gegangen wären.1270) Im Ergebnis wurde den Alt-Anteilseignern damit in Form eines geringen Anteils am Unternehmen der Lästigkeitswert (nuisance value) ihrer Blockadeposition ausgezahlt.1271) Dies wurde noch dadurch verstärkt, ___________ 1266) Siehe Baird/Bernstein, 115 Yale L. Rev. 1930, 1935 ff. (2006). 1267) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 632 (1991): (due to) “the shared belief among the professionals that to seek adjudication, except in the most extreme circumstances, is irresponsible, the process of adjudication has largely ceased to be a practical alternative for disposing of cases“. 1268) Broude, 39 Bus. Law. 441, 454 (1984); siehe generell auch Trost, 21 UCLA L. Rev. 540 ff. (1973). 1269) Zu den einzelnen Risiken siehe Broude, 39 Bus. Law. 441 (1984). 1270) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 628 (1991). 1271) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 627 (1991). Weitere nuisance-value-Strategien, die eine verbesserte Verhandlungsposition des equity committees hervorbringen können: Androhung der Einberufung einer Anteilseigner-Versammlung, wo das Management ggf. abgewählt werden kann; Untersuchung, ob dem Management Fehlverhalten vorzuwerfen ist, woraus Schadensersatzansprüche folgen können; Androhung einer Untersuchung, ob den Gläubigern Fehlverhalten aus lender liability, improper claims trading, o. ä. vorzuwerfen ist; PR-Auswirkungen; Änderung hinsichtlich der Vorstandvergütung; Drohung, einen konkurrierenden Insolvenzplan vorzulegen, siehe Coleman/Woodruff, 68 Am. Bankr. L. J. 295, 316 ff. (1994).
262
I. Neuartiges Störpotential durch Beteiligung der Anteilseigner?
dass 11 U.S.C. § 1126(g) eine Fiktion der Ablehnung des Plans durch die Gruppe ohne Notwendigkeit einer tatsächlichen Abstimmung fingiert, wenn dieser Gruppe durch den Plan keine Werte zugeteilt werden.1272) Da aber dann immer der cram down nötig wurde, musste ein Plan immerhin eine minimale Zuteilung an AltAnteilseigner vorsehen, um sich so die Chance zu erhalten, dass aus deren Gruppe eine Zustimmung erfolgt.
(2) Weitere Anreizgründe Meist genügte es, dass überhaupt ein equity committee existierte, und der Planer- 560 steller bedachte in vorausseilendem Gehorsam die bisherigen Anteilseigner mit neuen Anteilen.1273) Zwar kann bereits zweifelhaft sein, ob die Bildung eines equity committees, also einer Gruppe der bisherigen Anteilseigner, überhaupt sinnvoll ist angesichts der Tatsache, dass diese in der Verteilungsordnung nach der absolute priority rule am letzten Ende stehen. Dennoch wurde ein solches committee bei großen Insolvenzen meist gebildet.1274) Mitglieder sollen gemäß 11 U.S.C. § 1102(b)(2) die sieben größten Anteilseigner sein.1275) Entscheidend ist dabei, dass sich das equity committee, wie die anderen offiziell 561 eingesetzten Gruppen auch, professionell beraten lassen darf durch Anwälte, Buchhalter oder andere Agenten (11 U.S.C. § 1103(a)) und die hierfür anfallenden Kosten dann aus der Insolvenzmasse zu bezahlen sind.1276) Nach 11 U.S.C. §§ 328 ff. ___________ 1272) Diese lautet: 1126)(g): Notwithstanding any other provision of this section, a class is deemed not to have accepted a plan if such plan provides that the claims or interests of such class do not entitle the holders of such claims or interests to receive or retain any property under the plan on account of such claims or interests. 1273) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 633 (1991). 1274) Coleman/Woodruff, 68 Am. Bankr. L. J. 295, 296 (1994). Am Bedeutendsten ist dabei die Frage, ob der Schuldner solvent ist oder nicht. Denn wenn eindeutige Überschuldung vorliegt, so macht es keinen Sinn, die Insolvenzmasse auch noch mit den Kosten des equity committees zu befrachten. Kommt es zum Streit über die Notwendigkeit der Bildung einer solchen Gruppe, so befanden sich die Gläubiger oftmals in einem Dilemma: wenn sie vortrugen, dass der Schuldner eindeutig insolvent sei, so konnten sie damit zwar die Bildung des equity committees verhindern, zugleich aber ihre eigene Ausgangslage verschlechtern, wenn es um die Werthaltigkeit ihrer Forderungen und der ggf. entsprechend hierzu auszugebenden Anteilsrechte ging. Argumentierten sie dagegen, dass das Unternehmen noch einiges wert sei, um den Wert ihrer Forderungen hochzurechnen, so konnten auch die Anteilseigner auf diese Einschätzung verweisen und damit die Bildung eines equity committees verlangen, siehe Coleman/Woodruff, a. a. O. S. 299. 1275) Zur Haftung der Mitglieder des equity committee siehe Coleman/Woodruff, 68 Am. Bankr. L. J. 295, 311 ff. (1994): fiduciary duty to fellow shareholders exist, but “implicit grant of limited immunity“ (also nur in Fällen von willful misconduct), siehe a. a. O. mit jeweils umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen. 1276) Diese Kosten für alle committees haben mittlerweile eine signifikante Höhe erreicht, siehe hierzu die ABI Chapter 11 Professional Fee Study von Lubben aus dem Jahr 2007, abrufbar unter http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1020477.
263
§ 9 Analyse der Neuregelungen
kann eine Gruppe einen Berater im oben genannten Sinne beauftragen „on any reasonable terms and conditions“. Dabei kann das Gericht anordnen, dass aus der Insolvenzmasse Vergütung und Auslagen der Berater bezahlt werden in dem Umfang, in dem diese „actual and necessary“ waren.1277) Den hierin bestehenden Ermessensspielraum haben einige Gerichte genutzt, um den Umfang der erstattungsfähigen Leistungen mit Hinblick auf die zweifelhafte Existenzberechtigung eines equity committees bei Insolvenz des Schuldners zu begrenzen: so wurden in der Entscheidung In re Wang nur für jene Berater Erstattung gewährt, die einen „substantiellen Beitrag“ zu dem Fall geleistet hatten.1278) Ein solcher Beitrag lag aber z. B. vor, wenn den Anteilseignern neue Anteile zugewiesen wurden.1279)
562 Diese eigentlich sinnvolle Einschränkung hatte allerdings Folgen. Denn in rechtspraktischer Sicht, so spekulierten LoPucki und Whitford, handle es sich beim Verzögerungspotential unter anderem auch um eine „convenient myth“, die es einem kleinen Kreis von spezialisierten Anwälten, die regelmäßig bei den großen Restrukturierungen mitwirkten, ermöglichte, ihren Ruf als vernünftiger Verhandlungspartner zu bewahren.1280) Da diese Anwälte regelmäßig in verschiedenen Rollen auftauchten und in unterschiedlichen Verfahren unterschiedliche Gruppen repräsentierten, war ihnen daran gelegen, nicht zu hart zu verhandeln und sich lieber auf die über Zeit herausgebildete Übung zu besinnen, den Anteilseignern etwas zukommen zu lassen.1281) Erklären lässt sich dies auch aus der oben dargestellten Praxis, den Beratern des equity committee nur dann eine Bezahlung aus der Insolvenzmasse zuzuweisen, wenn diese tatsächlich etwas herausgeholt haben für die Anteilseigner.1282) Hier ist es ohne weiteres denkbar, dass diesen Beratern aus Kollegialitätsgründen etwas zugewiesen wurde, auf dass sie eine Bezahlung erhalten
___________ 1277) 11 U.S.C. § 331 und 330(a); eine Erstattung der ausgelegten Kosten der Mitglieder des committees ist zwar im Bankruptcy Code nicht vorgesehen, wird aber vereinzelt von Gerichten trotzdem gewährt auf Basis der judicial authority, siehe In re George Worthington Co. 921 F.2d.626 (6th Circ. 1990) und hierzu Coleman/Woodruff, 68 Am. Bankr. L. J. 295, 330 f. (1994). Es gibt allerdings eine Missbrauchsregelung, wonach das Gericht die Übernahme der Kosten verweigern kann, wenn diese nicht „in good faith“ entstanden sind, siehe O’Rourke, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 403, 435 (2005) m. w. N. 1278) In re Wang Lab., Inc. 149 B.R. 1,4 (Bankr.D.Mass.1992). 1279) In re Wang Lab., Inc. 149 B.R. 1,4 (Bankr.D.Mass.1992). Dies wurde insofern kritisiert, als dass hierdurch faktisch eine Bezahlung nur im Erfolgsfall (contingency fee) eingeführt wurde, was entweder dazu führen könnte, dass das equity committee gar keine Berater mehr findet (weil deren Bezahlung nicht gesichert ist) oder nur solche, die mit geringstem Aufwand versuchen werden, etwas herauszuschlagen. 1280) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 631 (1991); sollte dies so sein, stellt dies einen Fehler im System dar, der ungerechtfertigte Sondervorteile gewährt, vgl. Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 48. 1281) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 631 (1991). 1282) Coleman/Woodruff, 68 Am. Bankr. L. J. 295, 309 f. (1994).
264
I. Neuartiges Störpotential durch Beteiligung der Anteilseigner?
und dies bei einem anderen Verfahren, wo sie als Berater jeweils anderer Gruppen auftreten, den Gefallen erwidern. Zuletzt wurde die Zustimmung sämtlicher Gläubigergruppen aber häufig auch des- 563 wegen erreicht, weil dies für den einzelnen Gläubiger regelmäßig hinnehmbar erschien: die Zuteilungen an die Anteilseigner waren nicht von großem Volumen, zugleich wurden die damit verbundenen Belastungen unter allen beteiligten Gläubigern aufgeteilt.1283)
c)
Vorschlag eines pre-emptive cram down
Nachdem in mehreren Studien das soeben besprochene Phänomen, nämlich dass 564 die bloße Existenz einer organisierten Gruppe von Anteilseignern (equity committee) regelmäßig zu Zuteilungen an diese Gruppen geführt hatte, obwohl diesen bei strikter Befolgung der absolute priority rule nichts zugestanden hätte,1284) nachgewiesen worden war, wurde von LoPucki und Whitford der Vorschlag eines preemptive cram down gemacht.1285) Ein solcher preemptive cram down sollte eine Möglichkeit des Gerichts darstellen, 565 auf Antrag einer der Beteiligten schon vor Planausarbeitung eine Verfügung zu erlassen, die die Anteilseigner praktisch vom gesamten Verfahren ausschließt.1286) Eine solche radikale Maßnahme sollte aber allein in einem Fall möglich sein: wenn die Anteilsrechte an der sich im Chapter 11-Verfahren befindlichen Unternehmens offensichtlich wertlos („under water“) sind.1287) Nur wenn dies aufgrund der vorliegenden Daten festgestellt werden könne, sollte eine solche Verfügung erlassen werden können. Sollte dies aber streitig sein und würde die Entscheidung über diese Frage eine Bewertung des Unternehmens voraus setzen, so sei hiervon von vornherein abzusehen. Denn dann würde diese „vorgezogene“ Entscheidung durch die Richter keinerlei Verfahrenseffizienzen hervorrufen.1288) ___________ 1283) LoPucki/Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 178 (1990). 1284) LoPucki/Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 126 (1990); die Studie hatte untersucht, inwiefern Anteilseigner in Chapter 11-Plänen mit Anteilsscheinen bedacht werden, obwohl sie als letztrangige Gruppe eigentlich nichts bekommen dürfte; dabei ging es jeweils um große, börsennotierte (publicly held) Unternehmen. So waren alle großen Insolvenzen untersucht worden, bei denen der Schuldner assets im Wert von mindestens $ 100 Millionen aufwies sowie mindestens eine Gruppe Anteilseigner öffentlich gehandelter Wertpapiere existierten. Vorher hatte bereits Nimmer das Problem beschrieben und ebenfalls eine Ausschaltung der Kontrollrechte der Anteilseigner in der Insolvenz für nötig befunden, Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1063 f. (1987). 1285) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J., 625 passim (1991). 1286) LoPucki/Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 186 ff. (1990); LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625 f. (1991). 1287) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 643 f. (1991). 1288) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 643 (1991).
265
§ 9 Analyse der Neuregelungen
566 Dabei hätte ein preemptive cram down darin bestehen können, dass bereits am Anfang des Verfahrens durch eine order festgestellt würde, dass die Forderungen der Gläubiger den vorhandenen Wert und sogar den Restrukturierungswert derart übersteigen, so dass nicht vernünftigerweise erwartet werden kann, dass für die Gruppe der Anteilseigner etwas übrig bleiben wird: die Anteilsscheine würden dann keinen Wert i. S. d. 11 U.S.C. § 1129 (b)(2)(C) besitzen, womit deren Interessen nicht zu berücksichtigen seien.1289) Im Ergebnis hätte damit schon die Bildung eines equity committee verhindert werden können, so dass deren schiere Existenz auch nicht schon zu Zuwendungen an deren Mitglieder führen kann.1290) Als Grundlage für eine preemptive cram down order sollte nach Vorstellung der Autoren die Generalklausel des 11 U.S.C. § 105 dienen, nach dem das Insolvenzgericht solche Maßnahmen erlassen kann, die dem Schutz des Insolvenzmasse dienen. Zu schützen sei die Masse hier vor unnötigen Kosten für die Prozessführung, vor Belästigung und vor Fehlallokation von Massevermögen.1291)
567 Nach Ansicht der Autoren würden sich durch den preemptive cram down erhebliche Vorteile in Bezugs auf die Verfahrenseffizienz ergeben: Indem die Anteilseigner nicht mehr als Parteien betrachtet werden, können sie den Prozess nicht durch Eingaben o. ä. obstruieren.1292) Sie würden keine Benachrichtigungen und keine Kopie des Plans mehr erhalten. Es würden keine Anwaltskosten mehr entstehen, die der insolvente Schuldner zu tragen hätte.1293) Somit würde der preemptive cram down sowohl die Einhaltung der absolute priority rule als auch die Senkung von Transaktionskosten ermöglichen, indem die offensichtlich nicht zu beachtenden Anteilseigner von vorneherein ausgeschlossen werden.1294) ___________ 1289) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 633 (1991). 1290) Derjenige, der den preemptive cram-down beantragt hat, hätte dabei auch das Vorliegen der offensichtlichen Nichtberücksichtigung in einer hypothetischen Liquidation beweisen müssen, LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 634 Fn. 23 (1991). Problematisch bleibt die Frage, ob nicht schon die für diese Entscheidung erforderliche Anhörung vor dem Richter die Bildung eines equity committee voraussetzt, damit diese gehört werden und somit deren Rechte berücksichtigt werden. Dies würde jedoch einen Teil der Einsparungen, die durch Nichtzulassung eines equity committee bei Planbestätigung erreicht werden soll, wieder aufheben, da dies nunmehr nur vorverlagert wird. Daher schlagen die Autoren vor, dass kein equity committee gebildet wird, aber dennoch alle betroffenen Anteilseigner informiert werden und diese, wenn gewollt, angehört werden, a. a. O. 1291) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 636 (1991). Sollte sich die Vermögenslage des während des Verfahrens weiter werbenden Unternehmens schlagartig verbessern, so dass bei der Schlussverteilung doch noch etwas übrig bleiben sollte (die Anteilsrechte mithin nicht mehr „under water“ seien), so soll die ursprüngliche preemptive cram down order widerrufen werden können nach Rule 60 der Federal Rules of Civil Procedure, a. a. O. S. 642 (1991). 1292) Sie würden Parteistatus lediglich noch für den Fall erhalten, dass sie die ergangene order angreifen (attacks on the order by appeal), oder etwa für den Fall, dass sie bei unerwartet sich verbesserter Vermögenslage wieder bei der Schlussverteilung berücksichtigt werden (motion for relief from the order), siehe LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 646 (1991). 1293) jeweils LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 634 (1991). 1294) LoPucki/Whitford, 65 Am. Bankr. L. J. 625, 634 (1991).
266
I. Neuartiges Störpotential durch Beteiligung der Anteilseigner?
3.
Erkenntnisse für das deutsche Recht
a) Starke Gläubigerorientierung des InsO-Verfahrens Die Idee des pre-emptive cram down fand, soweit ersichtlich, keinen großen An- 568 klang. Dies könnte seine Ursache u. a. auch darin haben, dass die Praxis der Chapter 11-Reorganisationen mittlerweile eine Stärkung des Gläubigereinflusses erlebt hatte und das Problem zumindest teilweise eliminiert hatte.1295) Im Gefolge einer generell sich weiter entwickelnden creditor control hatte sich Chapter 11 von einem debtor-oriented zu einem creditor-oriented Verfahren entwickelt, womit zugleich die Blockadeposition der Alt-Anteilseigner in entscheidendem Maße geschrumpft war. Baird/Rasmussen konstatierten 2010: „In the round of Chapter 11s in the early 2000s, for example, it was settled that out-of-the-money-equity received nothing and played no role at the bargaining table. Plans that included equity, in the ordinary case, were no longer on the table.“1296) Auch das deutsche Insolvenzverfahren ist maßgeblich gläubigerorientiert ausgestaltet. 569 Hinzu kommt, dass im deutschen Recht die Einsetzung eines Insolvenzverwalters der Regelfall ist, dem in Abstimmung mit dem Gläubigerausschuss die Aufgabe zukommt, den Plan zu erstellen.1297) Dass dieser einen Insolvenzplan ausarbeitet, der die Anteilseigner bevorzugt, ist kaum zu erwarten. Wird allerdings die Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO (als deutsches Pendant zum debtor in possession) angeordnet, so ist es durchaus das bestehende Management, das den Plan ausarbeitet.1298) Auch bei einem prepackaged plan ist dieser zuvor maßgeblich von den Geschäftsleitern ausgearbeitet worden. Die Eigenverwaltung ist zudem durch das ESUG gestärkt worden dahingehend, dass sie unter den Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 InsO n. F. nicht mehr ohne weiteres abgelehnt und auch nicht mehr ohne weiteres aufgehoben werden kann.1299) Allerdings ist fraglich, ob hieraus bereits eine Position resultiert, die auch unter der 570 InsO in der Zukunft die Bestätigung von Insolvenzplänen erwarten lässt, die den Anteilseignern zu Lasten der Gläubiger Anteile zukommen lässt. Denn auch im deutschen Recht gilt mit § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO die eindeutige Vorgabe, dass mehrheitlich ablehnenden Gläubigergruppen ein Plan, der Zuwendungen an Alt-Eigner vorsieht, nicht aufgezwungen werden kann (solange nicht eine 100 %ige Gläubigerbefriedigung möglich ist) und umgekehrt ein Plan ohne Alt-Eigner___________ 1295) Skeel, 152 U. Pa. L. Rev. 917, 918 (2003). 1296) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 670 (2010); siehe auch Skeel, 152 U. Pa. L. Rev. 917, 918 ff. (2003). 1297) Daneben hat nach § 218 Abs. 1 InsO auch der Schuldner das Recht, einen Plan vorzulegen. Ein exklusives Planinitiativrecht wie im US-Recht (s. o.) besteht aber gerade nicht. 1298) Zum Einfluss der Anteilseigner auf die Gesellschaftsorgane bei der Eigenverwaltung siehe K/P/B-Pape, § 270 Rn. 44 ff. 1299) Siehe oben § 7. VII. 6. b).
267
§ 9 Analyse der Neuregelungen
Beteiligung den Alt-Anteilseignern nach § 245 Abs. 1 Nr. 2., Abs. 3 n. F. vielfach sehr wohl aufgezwungen werden kann.1300)
571 Ein Abstellen allein hierauf würde aber missachten, dass die Normen auch im Chapter 11 ja ebenfalls streng an der absolute priority rule orientiert waren, ohne dass diese in der Praxis aber konsequent verwirklicht worden wäre. Denn die Blockadeposition resultierte dort maßgeblich aus drei Umständen: Der Problematik der Bewertung (1.), der generellen Idee eines Entgegenkommens auf die AltEigner, auf dass diese keine Rechtsmittel geltend machen (2.) sowie Aspekten der Kollegialität unter den Anwälten, der anderen Seite einen kleinen Erfolg und damit Bezahlung aus der Insolvenzmasse zukommen zu lassen (3.).1301)
572 Der dritte Aspekt ist im deutschen Recht schon dadurch abgeschwächt, dass die Bezahlung der Berater nicht aus der Insolvenzmasse erfolgt. Zwar erhalten Mitglieder des Gläubigerausschusses eine Entschädigung; diese ist aber nicht daran geknüpft, dass diese einen substantiellen Beitrag geliefert haben.
b) Ausreichender Schutz durch eingeschränkte Rechtsmittel nach ESUG 573 Der zweite Aspekt ist ebenso abgeschwächt worden durch das ESUG: die Rechtsmittel der Alt-Eigner sind, wie für alle Beteiligten, eingeschränkt worden. Zudem ist die Entscheidung über Rechtsmittel bei Sicherheitsleistung im Plan in ein nachfolgendes Verfahren vor den ordentlichen Gerichten verwiesen worden, §§ 251 Abs. 3 n. F., 253 Abs. 1 Nr. 3 InsO n. F. Damit ist das zeitliche Blockadeelement fast vollständig beseitigt worden.1302)
574 Was verbleibt, ist aber die generelle Problematik der Bewertung. Diese gestaltet sich bei einem bereits insolventen Unternehmen ohne Frage außerordentlich schwierig.1303) Der Großteil der Probleme besteht allerdings bei der Frage, zu welchem Prozent___________ 1300) Denn auch bei Bestehen eines Restwerts der Anteile sind diese lediglich im Wege der Entschädigungszahlung abzufinden; eine zwingende Beteiligung an der neuen Anteilsstruktur (gegen Hingabe frischen Kapitals) kann dagegen nicht erzwungen werden, siehe die Ausführungen in Abschnitt § 6. III. 4. e) zum Bezugsrecht. 1301) Siehe oben Fn. 1281. 1302) Damit verbleibt als einzige potentielle Blockademöglichkeit ein Rechtsmittel auf der Basis der Behauptung, dass der Sicherheitenfonds nach § 251 Abs. 3 InsO n. F. nicht ausreichend mit finanziellen Mitteln ausgestattet ist. Dies ist aber ungleich schwerer zu begründen, weil die Anteile oftmals, wenn überhaupt, höchstens noch einen Bruchteil ihres ursprünglichen Werts aufweisen. Wird vorgebracht, dass diese aber beachtlich hoch seien, so muss zumindest in Teilen die ursprüngliche Einschätzung des Gerichts widerlegt werden, das immerhin das Vorliegen eines Insolvenzgrundes nach § 17 oder § 19 InsO bejaht hat (eine Eröffnung auf Basis der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO ist nur durch Schuldnerantrag möglich). Selbst dann aber verbleibt noch die Möglichkeit des Antrags nach § 253 Abs. 4 InsO n. F., die eine summarische Abwägung nötig macht und somit zusätzlich einer potentiellen Blockade entgegenwirken soll, siehe oben § 5. IV. 5. 1303) Siehe hierzu den folgenden Abschnitt § 10.
268
I. Neuartiges Störpotential durch Beteiligung der Anteilseigner?
satz eine Forderung noch werthaltig ist. Für die Frage, ob die Alt-Anteile noch werthaltig sind, reicht die Prüfung aus, ob der Unternehmenswert so hoch einzuschätzen ist, dass alle Gläubiger zu 100 % befriedigt werden und die Alt-Anteilseigner somit „in the money“ sind.1304) Glaubt man den Berichten aus der Praxis, ist dies so gut wie nie der Fall. Erste große Insolvenzverfahren unter der reformierten InsO haben folglich auch den Alt-Anteilseignern keinerlei Werte zukommen lassen, wie etwa bei der Pfleiderer-Insolvenz aus dem Jahr 2012.1305)
c)
Beteiligtenstellung der Alt-Anteilseigner als Farce?
Damit verbleibt aber die Grundfrage, ob das Verfahren, wie von Pape befürchtet, un- 575 nötig aufgebläht wurde durch Zuerkennung der Beteiligtenstellung an eine Gruppe, die in den allermeisten Fällen keinerlei aus wirtschaftlicher Sicht beachtenswerte Stellung mehr innehat. Dies mag vielfach so sein1306); aber es ist eben nicht in allen Fällen so. Solange aber Fälle denkbar sind, bei denen ein eigentlich profitables Unternehmen ggf. sogar in die Insolvenz getrieben wurde, um es dort zu übernehmen, kann es gute Gründe für die Mitwirkung der Alt-Anteilseigner geben. Dies muss gar nicht zwingend zur Verteidigung deren Interessen der Fall sein. Es sind daneben vielmehr auch Fälle kooperierender Alt-Eigner denkbar,1307) die den Sanierungsprozess unterstützend und mit eigenem frischem Kapital begleiten. Wenn dann noch ein Interesse der Gläubiger besteht, diese Alt-Eigner zur Bewahrung derer Kenntnisse und Fähigkeiten auch weiter an Bord zu halten, bietet hierfür das Insolvenzplanverfahren unter deren Beteiligung eine geeignete Plattform, die für diese Verhandlungen unter Aufsicht des Insolvenzgerichts auch ein legitimierendes Element aufweist für die Zurückweisung ggf. später vorgebrachter Rechtsmittel anderer Beteiligter. Betrachtet man somit den zu erwartenden faktisch geringen Einfluss der Alt-Eigner 576 in der Insolvenz, die eingeschränkten Rechtsmittel und die konsequente Umsetzung der absoluten Vorrangregel in ihrer Ausprägung durch das Obstruktionsverbot, so bestätigt sich vielmehr die Einschätzung derjenigen Autoren, die die nunmehr erfolgte „Mitbestimmung“ der Alt-Anteilseigner als euphemistisch bezeichnet haben1308) und ihr Stimmrecht als effektiv nicht gegeben.1309) Daher verbliebe ___________ 1304) Fraglich bleibt dann aber der Bewertungsansatz (Fortführungs- oder Liquidationswert), siehe unten § 10. II. 1305) Die dortige Herausdrängung der Alt-Eigner wurde zwar kritisiert, allerdings weniger aufgrund der vermeintlich noch bestehenden Werthaltigkeit der Alt-Anteile als vielmehr aus generellen Erwägungen, dass das Mitgliedschaftsrecht nicht allein wirtschaftlich zu betrachten sei, sondern auch eine mitgliedschaftliche Komponente besitze, siehe K. Schmidt, ZIP 2012, 2085; zur mitgliedschaftsrechtlichen Komponente auch Madaus, ZGR 2011, 749 sowie die Kritik hieran oben § 6. IV. 3. d). 1306) Siehe hierzu auch schon die Ausführungen von Büchele, S. 208. 1307) So auch Büchele, S. 216. 1308) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607. 1309) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125; siehe auch Hölzle, KTS 2011, 291, 322: Bestätigung des Plans als im rechtspraktischen Ergebnis unabhängig von der Zustimmung der Alt-Eigner.
269
§ 9 Analyse der Neuregelungen
nur die Frage, ob eine Heraushaltung der Alt-Anteilseigner bei direkter Feststellung der Wertlosigkeit nicht „ehrlicher“ gewesen wäre angesichts ihrer ohnehin unbedeutenden Stellung. In einer Abwägung mit der hiermit aber in Ausnahmefällen einhergehenden Einschränkung des Rechtsschutzes wäre dies aber nicht zwingend die bessere Lösung gewesen.
d) Kein Bedarf für einen preemptive cram down im deutschen Recht 577 Im Ergebnis wird daher die Entwicklung eines preemptive cram down auch für das deutsche Recht für vorerst nicht nötig befunden.1310) Ohnehin fehlt es an der Befugnis des Insolvenzgerichts, gewissen Beteiligten den Status als Gruppe abzuerkennen, wenn das ESUG im Fall der Anteilseigner diesen den Status durch die §§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO n. F. gerade erst gewährt hat und ihnen auch die i. R. v. §§ 245, 251, 253 InsO n. F. bestehenden Rechte ausdrücklich zuerkannt hat.1311) Eine Generalklausel wie im amerikanischen Recht steht dem Insolvenzrichter nach der InsO nicht zur Verfügung.1312) In Abwägung mit den auch möglichen positiven Aspekten der Beteiligung der Alt-Anteilseigner in Form eines kooperativen Verhaltens sowie der an anderer Stelle dargelegten, in Ausnahmefällen bestehenden Missbrauchsgefahren1313), ist eine Ausschließung der Alt-Eigner aus dem Prozess bei Wertlosigkeit ihrer Anteile abzulehnen.1314) Zudem ist zu beachten, dass die bereits ausgeführte mitgliedschaftliche Komponente der Anteilseignerschaft es rechtfertigt, dass sie zumindest am Verfahren beteiligt werden. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf die drohenden Missbrauchsmöglichkeiten, bei denen die AltAnteilseigner als Kenner des Unternehmens unberechtigte Wertverschiebungen etwa von gesicherten zu ungesicherten Gläubigern aufdecken und damit eine allgemeine Kontrollfunktion wahrnehmen können.1315) ___________ 1310) Auch Madaus, Insolvenzplan, S. 602 Fn. 581 lehnt dies ab, allerdings mit der Begründung, dass dies nur die wirtschaftlichen Aspekte der Gesellschafterstellung betrachten und den hierin liegenden Verstoß gegen das Prinzip der Verbandsautonomie ausblenden würde, siehe hierzu bereits oben § 6. IV. 3. d). 1311) Dies würde als Missachtung des eindeutigen Wortlauts wohl zu Problemen mit Art. 20 Abs. 3 GG führen. 1312) Dies findet seine Grundlage auch in unterschiedlichen Konzeptionen: während das US-Recht größtmögliche Flexibilität gewährt und damit einhergehende Missbrauchsrisiken durch umfangreiche Richterbefugnisse wieder einschränkt, gibt das deutsche Recht einen engeren Rahmen vor, bei dem aber dem Richter im Gegenzug keine umfangreichen Befugnisse zuerkannt werden, siehe hierzu Stürner, in: Leipold (Hrsg.), Insolvenzrecht im Umbruch, S. 41. 1313) Siehe unten III. 2. 1314) Dies gilt vorbehaltlich der Identifizierung einer Entwicklung in der Zukunft, die den Anteilseignern eine unerwartet starke Position einnehmen lässt. Dann verbleibt der preemptive cram down als einer der Optionen. 1315) Siehe oben unter § 5. I. 4. e) aa) sowie unten bei III. 3. bzgl. eines denkbaren Missbrauchs zu Lasten ungesicherter Gläubiger.
270
I. Neuartiges Störpotential durch Beteiligung der Anteilseigner?
e)
Zustimmungsfiktionen als mildere Lösung?
Wenn somit festgestellt ist, dass die Anteilseigner als eigene Gruppe mit allen da- 578 mit einhergehenden Erörterungs- und Einsichtsrechten zu beteiligen sind, so stellt sich die Frage, ob nicht zumindest deren Zustimmung oder Ablehnung unter gewissen Umständen fingiert werden sollte.
aa) Fiktion der Ablehnung bei Nichtzuteilung von Werten an AltAnteilseigner? Von Verse wurde eine Regelung erwogen, nach der die Ablehnung einer Gruppe 579 stets dann fingiert wird, wenn diesen durch den Plan keinerlei Werte zugewendet werden, also z. B. ihre Anteile durch Kapitalherabsetzung komplett untergehen und ihnen auch kein Bezugsrecht auf Teilnahme an einer Barkapitalerhöhung zugestanden wird.1316) Im Chapter 11 ist eine solche Regelung in § 1126(g) verankert.1317) Dann aber würde eine Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 245 InsO 580 immer zwingend nötig, obwohl gerade dies – wie gezeigt1318) – in der Praxis idealerweise verhindert werden soll. Daher würde die Einfügung einer solchen Regelung zwar die Kosten für eine Abstimmung ersparen; damit einhergehend wäre aber zwingend immer auch das Obstruktionsverbot vom Gericht zu prüfen. In dieser Abwägung erscheint es vorteilhafter, die Abstimmung durchzuführen und darauf zu setzen, dass die anwesenden Anteilseigner entsprechend den Mehrheitsanforderungen des § 244 Abs. 3 InsO n. F. zustimmen oder dass gar keine Anteilseigner erscheinen und die Zustimmung somit nach § 246a InsO n. F. als erteilt gilt.
bb) Fiktion der Zustimmung bei Wertlosigkeit der Anteile? Eine abgemilderte Variante des preemptive cram down hätte der Vorschlag von 581 Sassenrath dargestellt, nach dem die Zustimmung der Anteilseigner-Gruppe als erteilt gelten sollte für den Fall der Wertlosigkeit der Anteile.1319) Eine solche Regelung könnte argumentativ aufbauen auf der bereits seit Erlass der InsO geltenden Regelung des § 246 Nr. 1 InsO n. F. (Nr. 2 a. F.), nach der die Zustimmung einer Gruppe nachrangiger Gläubiger mit einem Rang hinter § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO als erteilt gilt, wenn kein Insolvenzgläubiger durch den Plan besser gestellt wird als die Gläubiger dieser Gruppen. Diese Fiktion führt dazu, dass hier die Vergleichsrechnungen des § 245 InsO mangels fingierter Ablehnung gar nicht erst vorge___________ 1316) Verse, ZGR 2010, 299, 319. 1317) Siehe oben Fn. 1272. 1318) Oben Fn. 1267. 1319) So angedacht von Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1528 f., allerdings maßgeblich im Kontext des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO-Quorum, siehe sogleich cc).
271
§ 9 Analyse der Neuregelungen
nommen werden müssen, sondern allein der Rechtschutz aus § 251 InsO geltend gemacht werden könnte. Wird dabei berücksichtigt, dass die Anteilsinhaber in der Verteilungsreihenfolge sogar hinter den nachrangigen Gläubigern stehen, stellt sich die Frage, warum eine solche Fiktion der Zustimmung nicht erst recht für die Anteilseigner vorgesehen wurde.1320)
582 Problematisch an einer solchen Lösung wäre aber gewesen, dass die Wertlosigkeit zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Abstimmung festgestellt werden müsste. Geschieht dies durch den Richter, so müsste im Rahmen dieser Entscheidung den Anteilseignern rechtliches Gehör gewährt werden (ähnlich wie beim Konzept des preemptive cram down1321). Damit würden aber die Streitigkeiten über die Unternehmensbewertung, von der die Wertlosigkeit abhängt, zeitlich nur vorverlagert.1322) Eine andere Möglichkeit würde darin bestehen, die Wertlosigkeit schon im Insolvenzplan festzustellen; dies wäre auch praktikabler, da sich der Plan ohnehin zur Werthaltigkeit des Unternehmens und zu Entschädigungszahlungen für Alt-Anteilseigner verhalten muss, die bei Wertlosigkeit der Alt-Anteile nicht erfolgen würden. Dann wären die Anteilseigner zunächst von der Beschlussfassung ausgeschlossen, ihnen müsste aber zumindest – wie bei den nachrangigen Gläubigern – Rechtsschutz gewährt werden nach § 251 InsO. Somit müsste bei Insolvenzplanbestätigung durch das Gericht im Rahmen der § 251 InsO-Prüfung festgestellt werden, dass die Wertlosigkeit tatsächlich vorlag und daher die Zustimmung der Anteilseigner fingiert werden durfte. Vom Ablauf her würde sich also zunächst allein der Unterschied ergeben, dass der Richter im Rahmen des § 251 InsO die NichtBeteiligung der Alt-Anteilseigner mit Verweis auf die Wertlosigkeit im Nachhinein für rechtmäßig erklärt, während er nach derzeitiger Rechtslage die Nicht-Beachtung der Ablehnung des Plans durch die Alt-Anteilseigner mit Verweis auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 245 Abs. 1, Abs. 3 InsO n. F. anordnet. Daher wären bei der Fiktionsmethode zunächst gegeneinander abzuwägen die Aufwandsersparnis durch die nicht mehr notwendige Abstimmung gegen das Risiko, dass ein Richter später feststellt, dass die Anteile nicht wertlos waren und daher eine Abstimmung durch die Anteilseigner nötig gewesen wäre. Allerdings ist nach neuer Rechtslage zu beachten, dass auch der Antrag nach § 251 InsO den Plan nicht
___________ 1320) Zum diesbezüglichen Wertungswiderspruch siehe Büchele, S. 211 ff. bei der thematisch noch vorher gelagerten Frage, ob diese überhaupt als eigene Gruppe am Insolvenzplanverfahren zu beteiligen sind. 1321) Siehe oben Fn. 1290. 1322) Vorteil könnte dann allein sein, dass dann die Frage der Wertlosigkeit geklärt werden könnte, während sich die anderen Beteiligten, insbesondere die Gläubiger, über den Plan informieren und ihre Entscheidung über Zustimmung und Ablehnung bilden; auch beim hier zum Vergleich herangezogenen § 246 Nr. 1 InsO entscheidet das Gericht aber erst im Rahmen des § 251 InsO nach erfolgter Abstimmung über den Plan, nicht vorher.
272
I. Neuartiges Störpotential durch Beteiligung der Anteilseigner?
mehr verhindern kann, sofern ausreichende Sicherheitsleistung gestellt wird, § 251 Abs. 3 InsO n. F.1323) Damit hätte die Fiktionsmethode einen klaren Zeitvorteil.1324) Damit ginge allerdings auch ein geringeres Schutzniveau einher: denn während es 583 bei § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO allein um die Frage geht, ob der Antragsteller voraussichtlich schlechter gestellt wird als ohne Plan, sind bei der Prüfung der Voraussetzungen des Obstruktionsverbots nach § 245 Abs. 1, Abs. 3 InsO n. F. weitergehende Aspekte zu beachten, die nicht allein an der absoluten Vorrangregel ausgerichtet sind, sondern etwa im Rahmen des § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. zusätzlich eine übermäßige Befriedigung einzelner Gläubiger prüft, womit i. E. Wertverschiebungen auch unter den Gläubigern1325) zu einem Scheitern des Aufoktroyierens auf Anteilseigner führen müssen.1326) Dies würde dann bedeuten, dass der Zeitvorteil der Fiktionsmethode erkauft wäre 584 mit einem geringeren Schutzniveau.1327) Dies könnte zwar befürwortet werden mit Blick darauf, dass aus wirtschaftlicher Sicht allein die Wertlosigkeit relevant sein kann und die Anteilseigner bei deren Vorliegen keine Stimme mehr haben sollte; wer den Zweck des Obstruktionsverbots aber (auch) in der Verhinderung der Schlechterstellung auch der Gläubiger untereinander sieht, wie hier erfolgt1328), der muss dem Konzept des Gesetzgebers folgen. Somit ist die derzeitige Regelung gegenüber einer Fiktionsmethode vorzugswürdig, weil sie einen weitergehenden Schutz vor Missbrauch gibt.
___________ 1323) Nach altem Recht waren die sog. salvatorischen Klauseln umstritten, weshalb Unklarheit herrschte und hierdurch kein Zeitvorteil erwachsen konnte, siehe oben § 5. IV. 4. a). 1324) Ein weiteres Rechtsmittel aus § 253 InsO soll hier nicht berücksichtigt werden, da dies noch geringere Anforderungen hat (wesentliche Schlechterstellung, § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO n. F.) als § 245 Abs. 1 Nr. 1 und § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO n. F. (voraussichtliche Schlechterstellung). Sollte es als Möglichkeit einer weiteren Überprüfung mit einbezogen werden, so ist zu beachten, dass es jedenfalls auch die Sicherheitsleistungs-Option beinhaltet (§ 253 Abs. 1 Nr. 3 InsO n. F.) und zudem sowohl bei vorheriger Prüfung des § 245 InsO (Regelung durch das ESUG) wie auch nur des § 251 InsO (angesprochene Fiktionsmethode) zur Verfügung stünde, während hier gerade die beiden Methoden verglichen werden sollen. 1325) Indem § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO verhindert, dass ein Gläubiger einen wirtschaftlichen Wert erhält, der den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigt (was fast immer zu Lasten der übrigen Gläubiger geht), siehe hierzu oben § 5. IV. 4. e) aa). 1326) Daher gilt der bei Büchele, S. 210 geäußerte Satz, sobald das Gericht sicher von der Wertlosigkeit ausgehen könnte, könnte es „auch zumeist die Voraussetzungen für eine Zustimmungsersetzung im Rahmen des Obstruktionsverbots bejahen“, nach den vom ESUG-Gesetzgeber gewählten Voraussetzungen nicht mehr zwingend. 1327) Zum unterschiedlichen Schutzniveau des § 245 InsO gegenüber § 251 InsO siehe auch Spetzler, S. 143 f. 1328) Siehe oben § 5. I. 4. e) aa).
273
§ 9 Analyse der Neuregelungen
cc) Aussparung der Anteilseignergruppe aus dem Quorum des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO? 585 Eine Fiktion der Zustimmung der Anteilseigner bei Wertlosigkeit ihrer Anteile wäre allerdings vom Ergebnis her aus einem anderen Grund hilfreich gewesen: denn nach deutschem Recht ist – abweichend vom US-Vorbild – die Aufoktroyierung des Plans qua Obstruktionsverbot nach § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO nur dann möglich, wenn auch aus der Gesamtzahl der abstimmenden Gruppen eine Mehrheit dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat.1329) Diese Voraussetzung sieht das US-Recht nicht vor; dort reicht es nach 11 U.S.C. § 1129(a)(10) aus, dass eine einzige Gruppe zugestimmt hat. Dies verkompliziert das deutsche Insolvenzplanverfahren, da die nicht ausdrückliche mehrheitliche Zustimmung der AltAnteilseigner als Ablehnung gilt und somit das Quorum des 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO bedroht. Dies ist nur dann anders gemäß § 246a InsO n. F., wenn sich keines der Mitglieder der Gruppe der Anteilsinhaber an der Abstimmung beteiligt, da dann die Zustimmung fingiert wird. Erscheint aber bloß ein einziger Anteilsinhaber zur Abstimmung und lehnt er den Plan ab, so wirkt diese Fiktion bereits nicht mehr und das Quorum ist bedroht.
586 Hier wäre es wohl ratsam gewesen, den § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO ganz zu streichen oder zumindest die Anteilseigner-Gruppen aus dem Quorum herauszunehmen. Letztere Lösung hätte gut begründet werden können mit der hinter dem neuen § 245 Abs. 3 InsO stehenden Konzeption, die der Planablehnung durch die Anteilseigner ohnehin keinen Entscheidungswert zugesteht, wenn keine 100 %-Befriedigung erreicht wird (und selbst dann deren Recht auf eine Äquivalenz-Abfindung nach § 199 InsO beschränkt ist). Diese Problematik wird sich dem Insolvenzplanersteller wie auch den anderen Beteiligten somit stellen und ggf. Rückwirkungen haben auf die Gruppenbildung.
4.
Ergebnis
587 Ein übermäßiges Störpotential durch die nunmehrige Beteiligung der Alt-Anteilseigner am Verfahren ist aufgrund der Gläubigerorientierung der InsO somit nicht zu erwarten. Daher besteht im deutschen Recht auch kein Bedarf für einen preemptive cram down. Angesichts der Möglichkeit der Aufoktroyierung des Plans auf Alt-Anteilseigner durch das Obstruktionsverbot nach § 245 InsO kann zwar gefragt werden, ob deren Beteiligtenstellung rechtspraktisch nicht völlig unbedeutend ist. Es lassen sich aber gute Gründe für die Beteiligung der Alt-Anteilseigner finden, da hiermit u. a. die Aufdeckung unberechtigter Wertverschiebungen im Plan ermöglicht wird. Eine Zustimmungsfiktion bei Wertlosigkeit der Anteile hätte zwar einen Zeitvorteil mit sich gebracht, aber diesbezüglich auch eine Schutzlücke be___________ 1329) Kritik hieran bei Gottwald/Braun, 4. Aufl, 2010, § 68 Rn. 57: durch diese nachträgliche Einfügung durch den Rechtsausschuss würde das pareto-optimum verkannt.
274
II. Anreiz zu verspäteter Insolvenzantragstellung?
deutet. Daher stellt die vom ESUG-Gesetzgeber gewählte Regelungstechnik, abgesehen von der Einbeziehung der Gruppe der Alt-Anteilseigner in das Quorum des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO, eine ausgewogene Konzeption dar.
II. Anreiz zu verspäteter Insolvenzantragstellung? Die zu späte Antragstellung wurde von der Praxis und dem Gesetzgeber als eines 588 der Hauptdefizite für die oft mangelhaften Sanierungschancen insolventer Unternehmen angesehen. Daher sollten den Beteiligten schon mit Erlass der InsO und zuletzt der Reform durch das ESUG Anreize gegeben werden, das Verfahren früher einzuleiten.1330)
1.
Negative Anreize
Einhergehend mit den neuen Eingriffsbefugnissen durch den Insolvenzplan stellt 589 sich allerdings die Frage, ob der Schuldner hierdurch von der frühzeitigen Antragstellung abgehalten wird. Dies wird verschiedentlich bejaht.1331) So würde mit Eingriffsbefugnissen eine self-fulfilling prophecy1332) einhergehen: weil der Anteilseigner befürchtet, seine Stellung einzubüßen, mache er eher weiter bis zum bitteren Ende, als sich vorzeitig in die Hände seiner Gläubiger zu begeben. Somit werde er die Insolvenz erst einleiten, wenn die Anteile bereits wertlos seien, worauf er alles verliere und einzig die Liquidation bleibe. Dies ist aus Anteilseignersicht bereits misslich, notfalls aber hinzunehmen. Fatal für die anderen Beteiligten kann aber sein, dass er damit einhergehend – um die Insolvenz abzuwenden – sich auf eine sehr riskante Strategie verlegt, die am Ende auch den Totalverlust der letzten verbliebenen Vermögenswerte zum Ergebnis haben kann.1333) Im Kontext der anderen Reformmaßnahmen des ESUG wird von einigen Autoren auch darauf verwiesen, dass durch die Möglichkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte die eigentlich sinnvolle Anreizfunktion des neuen Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO zur frühzeitigen Antragstellung konterkariert werde, wenn die Anteilseigner damit rechnen
___________ 1330) Siehe nur RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 80; RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 1. 1331) Krull, S. 188, H.-F. Müller, S. 367; besonders deutlich Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 21; siehe auch Verse, ZGR 2010, 299, 307 f. und Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 545 und Heinrich, NZI 2012, 235, 241; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 126 begründen ihre Idee des zwingenden Bezugsrechts der Alt-Anteilseigner beim DES damit, dass sich hiermit auch das gesetzgeberische Ziel der früheren Einleitung des Insolvenzverfahrens erreichen ließe. 1332) Krull, S. 188. 1333) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 538 (1992), die dann auch Argumente darlegen, warum eine “hard procedure that can be softened“ vorzugswürdig sei gegenüber einer soft procedure.
275
§ 9 Analyse der Neuregelungen
müssen, dass ihnen das Unternehmen im dann folgenden Insolvenz(plan)verfahren gegen ihren Willen entzogen wird.1334)
590 Die bloße Möglichkeit der Sanierung durch Insolvenzplan wurde bei Erlass der InsO noch als Anreiz angesehen für den Schuldner, die Insolvenz rechtzeitig zu beantragen. Denn wenn ihm zwingend immer nur die Liquidation oder der Verkauf als Verwertungsalternativen zur Verfügung stünden, so würde dies die Auslöseaktivitäten des Schuldners kaum beschleunigen.1335) Diese Überlegung war letztlich auch mitentscheidend dafür, dass die Reorganisation per Insolvenzplan in der InsO ermöglicht wurde.1336) Dieses Argument muss aber maßgeblich darauf zurückgeführt werden, dass nach altem Recht zumindest die Reorganisation ohne die Anteilseigner nicht möglich war, da die damit einhergehenden strukturändernden Maßnahmen der Zustimmung einer ¾-Mehrheit der Anteilseigner bedurften.1337) Dies kann postESUG nicht mehr gelten, wenn nunmehr die Kapitalherabsetzung auf Null und der DES ausdrücklich als Regelungsinhalt des Insolvenzplans ermöglicht wurden.1338) Entsprechend wird davon ausgegangen, dass der Anteilseigner im Insolvenzverfahren durch das ESUG „seinen Lästigkeitswert verloren“ habe.1339)
2.
Positive Anreize
591 Das drohende Anteilsverlust-Szenario könnte insofern aber auch positive Auswirkungen haben, als dass dies anreiztechnisch zu einer frühzeitigen Kooperationsbereitschaft der Anteilseigner führen könnte, mit der es im Ergebnis gar nicht erst zur
___________ 1334) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 471; zuletzt auch wieder K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2088: die Flucht unter den vom Gesetzgeber angebotenen Schutzschirm verspreche schon bei einem flüchtigen Blick auf § 270b Abs. 4 InsO wenig Sicherheit. 1335) Drukarczyk, ZIP 1989, 341, 350. 1336) Drukarczyk, ZIP 1989, 341, 350 mit näherer Analyse. 1337) Siehe oben § 4. II. 1338) Während der ESUG-Reformdiskussion wurde zwar auch vertreten, dass der DES durchaus Anreize auch für Anteilseigner beinhalten könne, da deren Einfluss durch Einsetzen des Insolvenzverwalters – auch vor einem Kapitalschnitt – ohnehin bedroht sei. Da auch der Wert der Beteiligung dann marginal werde, könne ein Interesse bestehen, an einer sanierten Gesellschaft zumindest eine kleinere prozentuale Beteiligung zu halten, Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1931. Dies kann allerdings vor dem hier gewählten Untersuchungsprämisse kaum gelten, da regelmäßig allein eine Kapitalherabsetzung auf Null das Verhältnis der Beteiligten entsprechend der allgemeinen Vorrangregel ausdrücken kann und eine Beteiligung der Alt-Eigner nur mit frischem Kapital möglich erscheint, worauf diese zudem keinen Anspruch im Sinne eines Bezugsrechts haben, siehe oben § 7. VII. 1339) So Meyer-Löwy/Bruder, GmbHR 2012, 432, 439. Hölzle, in: Kübler, HRI, 1. Aufl., 2012, § 31 Rn. 29 fragte noch, ob die neuen Regelungen zu einem Antrags- und Sanierungshemmnis führen könnten, weil die Gesellschafter und Geschäftsführer damit rechnen müssen, im Planverfahren ihrer Stellung „zwangsweise beraubt“ zu werden; dies sei abzuwarten.
276
II. Anreiz zu verspäteter Insolvenzantragstellung?
Insolvenz kommt.1340) Ist diese dann doch unausweichlich, so könnte die Antragsstellung nach § 18 InsO für den Gesellschafter (sofern er auch Organbefugnisse hat) deshalb attraktiv sein, da er den Antrag nach § 218 Abs. 1 S. 2 InsO mit der Vorlage eines Insolvenzplans verbinden kann. Wartet er damit dagegen zu lange, so droht die Antragstellung eines Gläubigers, worauf der Insolvenzverwalter einen solchen Plan vorlegt, der ggf. diesmal Eingriffe in die Stellung des Gesellschafters beinhaltet. Mithin könnte der Gesellschafter mit dem Schuldnerantrag, idealerweise mit gleichzeitiger Beantragung der Eigenverwaltung, einer Überrumpelung durch einen Gläubigerantrag, zuvorkommen.1341) Mit der erfolgten Stärkung der Eigenverwaltung durch das ESUG ist dies nunmehr leichter zu erreichen. Allerdings ist hier einschränkend darauf hinzuweisen, dass der Insolvenzplan dann immer noch der Zustimmung der Gläubiger bedarf. Drängen hier ein oder mehrere Großgläubiger auf einen DES, können sie über ihre Mehrheit in der Gläubigerversammlung nach § 284 InsO den Eigenverwalter oder sogar auch den Sachwalter mit der Erarbeitung eines Plans beauftragen, der einen DES beinhaltet.1342) Somit besteht für den antragstellenden Anteilseigner stets die Gefahr, dass das Insolvenzverfahren seiner Kontrolle entgleitet. Dies wäre nur anders gewesen mit dem Vorschlag von Spliedt, dass ein innerhalb der Schutzschirmfrist vorgelegter Schuldnerplan Vorrang habe vor einem abweichenden Gläubigerplan, sofern den Gläubigern durch den Schuldnerplan kein gegenüber dem Planvollzug größerer Nachteil drohe bzw. etwaige Nachteile durch eine salvatorische Klausel mit Ausgleichszahlungen nach § 251 Abs. 3 InsO n. F. ausgeglichen würden.1343) Zum einen ist hier aber gar nicht ersichtlich, was mit „gegenüber dem Planvollzug“ überhaupt gemeint sein soll. Zum anderen gibt es den „Gläubigerplan“, wie gezeigt1344), ohnehin nur über den Umweg des § 284 InsO, weil den Gläubigern gerade kein direktes Planvorlagerecht zusteht. Zuletzt ist dieser Vorschlag aber auch abzulehnen, weil hiermit zwar ein Anreiz auf frühzeitige Einleitung des Schutzschirmverfahrens gegeben würde, zugleich aber ein Missbrauch des Exklusiv-Planvorlagerechts ermöglicht würde. ___________ 1340) Dies allgemein andeutend Meyer-Löwy/Bruder, GmbHR 2012, 432, 438; in diese Richtung ist auch Heinrich, NZI 2012, 235, 241 zu sehen, der den Grund für eine (i. E. nicht durch den Gesetzgeber ermöglichte) „Ersetzungsbefugnis“ (die ähnlich einem Bezugsrecht wirken sollte) in der vom Gesetzgeber bezweckten Förderung früher Insolvenzanträge gesehen hätte, bei dem sich bei frühzeitigem Tätigwerden gerade auch über einen pre-packaged plan das Verfahren im Sinne der Anteilseigner bzw. zumindest unter Wahrung derer Interessen steuern ließe. 1341) Brüning, S. 225. 1342) Hier käme dem Eigenverwalter aber ggf. ein zeitliches Element zugute: denn da die Gläubigerversammlung diesen Auftrag erst nach dem Berichtstermin erteilen kann, der regelmäßig erst spät im Verfahren stattfindet (Braun/Riggert, InsO, § 284 Rn. 5; MüKo-InsO/Wittig/Tetzlaff, § 284 Rn. 5), könnte der Eigenverwalter-Plan gute Chancen auf Annahme haben, wenn auch letztlich nur, um die Sanierung nicht mit der Folge des weiteren Wertverlusts zu verzögern. 1343) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 471. 1344) Oben Fn. 1161.
277
§ 9 Analyse der Neuregelungen
Auch hier muss gelten: haben die bestehenden Geschäftsleiter einen Sanierungsplan, der die Gläubiger als maßgeblich von der Sanierung betroffene Beteiligte zu überzeugen in der Lage ist, so bedarf es eines solchen Exklusivrechts nicht; denn auch wenn dies nach Spliedts Vorschlag unter dem Vorbehalt einer summarischen Abwägung der drohenden Vor- und Nachteile steht, gehen hiermit wieder schwierige Bewertungsstreitigkeiten über die Vorzugswürdigkeit des einen oder des anderen Sanierungskonzepts vor dem Insolvenzrichter einher, die das Verfahren verzögern würden.
3.
Schlussfolgerungen
592 Die genannten möglichen positiven Szenarien dürften somit aus Sicht der AltAnteilseigner überdeckt werden durch das abschreckende Szenario, durch den Insolvenzplan seiner Anteilsrechte verlustig zu gehen. Fraglich erscheint aber letztlich, ob einer Argumentation mit diesen vom Insolvenzantrag abschreckenden Auswirkungen wirklich großes Gewicht zukommen kann mit Blick auf die sonstigen Regelungen der InsO. Es ist eine allgemein anerkannte ökonomische Weisheit, dass eine Sanierung im Insolvenz(plan)verfahren dann noch am meisten Chancen auf Verwirklichung hat, wenn dies frühzeitig geschieht. Doch nach der Konzeption der InsO besteht ohnehin nur selten ein Anreiz, frühzeitig den Antrag zu stellen. Schon jetzt werden nur wenige Anträge mit dem Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit gestellt, und wenn, dann wird dies zumeist gemacht, um den Verdacht einer Insolvenzverschleppung von sich zu lenken, obwohl längst der Status der Überschuldung eingetreten ist.1345) Dies gilt schon deshalb, weil das deutsche Recht etwa keinen „Gläubigerschutz“ (als Schutz vor Gläubigern) nach Prägung des amerikanischen Chapter 11 beinhaltet.1346) Auch das neue ESUG-Schutzschirmverfahren in § 270b InsO n. F., so dürfte zu erwarten sein, wird hier keine grundlegenden Änderungen bringen. Dies würde sich auch kaum in die bisher vorherrschende Insolvenzphilosophie einfügen. Ein wirklicher Anreiz zur frühzeitigen Antragsstellung wäre in dieser Hinsicht wohl nur auf Kosten der Gläubiger zu erreichen. Dann müsste das amerikanische Chapter 11 stärker nachgeahmt werden, mit automatic stay über debtor in possession bis hin zur new value exception. Soll das deutsche System aber beibehalten werden, so ist in Kauf zu nehmen, dass die Einleitung des Insolvenzverfahrens für das Management und die Eigentümer selten reizvoll sein wird. Nicht zuletzt deshalb setzt die deutsche Systematik mit den Insolvenzantragspflichten auf ein Zwangselement, das mit haftungs- und strafrechtlichen Sanktionen dieses Ziel zu erreichen versucht. Somit ist davon auszugehen, dass der abschreckende Effekt vernachlässigt werden kann, sich jedenfalls in einer Abwägung mit den aus den Eingriffsbefugnissen resultierenden Vorteilen aber ___________ 1345) Uhlenbruck, FS Drukarczyk, S. 441, 444; Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 22. 1346) Siehe nur H.-F. Müller, S. 287 f. und 367 f.
278
III. Missbrauchsgefahr
nicht durchsetzen kann. Es wäre auch rechtspolitisch fragwürdig, allein mit dem erklärten Ziel des Anreizes zur früheren Antragsstellung die Anteilseignerrechte im Insolvenzplanverfahren zu stärken, einen solchen Anreiz im Regelinsolvenzverfahren aber nicht in gleichem Ausmaß zu schaffen.1347) Zudem hat der ESUG-Reformgesetzgeber mit der Stärkung der Eigenverwaltung den Anreiz für den Schuldner zur früheren Verfahrenseinleitung erhöht.1348) Dies muss ausreichen, da jede weitere Anreizerhöhung Risiken zu Lasten der Gläubiger mit sich bringen würde.
III. Missbrauchsgefahr Eine Neuregelung, in der das Verfahren der Verwertungsentscheidung eines insol- 593 venten Unternehmens teils neu geregelt wird, muss auch unter der Fragestellung analysiert werden, ob hiermit nicht die Gefahr des Missbrauchs einhergehen kann.1349)
1.
Konsequenzen der Offenheit des Insolvenzplanverfahrens
Ob die Möglichkeit, im Rahmen des Insolvenzplans alle Verwertungsmöglichkeiten 594 zu verwirklichen, nicht auch Missbrauchsgefahren mit sich bringt, wurde schon bei Erlass der InsO diskutiert. So wurde gefragt, ob die Offenheit des Insolvenzplans für fast beliebige Regelungen nicht auch die Möglichkeit des Missbrauchs eröffnet.1350) Es wurde aber konstatiert, dass solche zwar denkbar seien, die InsO in dieser Hinsicht letztlich aber auf restriktive Regelungen verzichtet und auf das Urteilsvermögen der Beteiligten gesetzt habe: eine solche Lösung aus liberalem Geist sei vorzugswürdig, da sie auf paternalistische Schutzvorschriften verzichte und die Verfahrensbeteiligten selbst entscheiden lasse, sie dabei zugleich aber auch die Risiken der Entscheidung tragen lasse. Dies sei für die Fortführung des Unternehmens die beste Voraussetzung, denn damit unterliege die Suche nach der geeignetsten Lösung keiner Beschränkung.1351)
___________ 1347) Verse, ZGR 2010, 299, 307 f. 1348) So als Alternative zur Stärkung der Anteilseignerposition schon gefordert von Verse, ZGR 2010, 299, 307 f. 1349) Kein Gegenstand der Untersuchung ist dabei die Frage, ob das Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG nicht auch von bestehenden Mehrheits-Anteilseignern genutzt werden kann, um sich missliebiger Minderheitsanteilseigner zu entledigen. Dies wurde zuletzt kontrovers diskutiert im Kontext der Plan-Insolvenz des Suhrkamp-Verlages, vgl. hierzu nur Carsten Schäfer in der FAZ vom 21.8.2013. 1350) Hax, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, 1989, S. 21, 30. 1351) So Hax, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, 1989, S. 21, 30 Zur theoretischen Gefahr, das Planverfahren könne sich als Trojanisches Pferd erweisen, mit dem den Grundsätzen sozialistischer Planwirtschaft zum Durchbruch verholfen werden könnte, siehe Stürner, ZIP 1982, 761, 765.
279
§ 9 Analyse der Neuregelungen
595 Auch in der ESUG-Reformdiskussion wurde vereinzelt auf einen denkbaren Missbrauch zu Lasten der bestehenden Anteilseigner eingegangen.1352) So wies die Gesetzesbegründung zum DES im KredReorgG auf die überwiegend vertretene Auffassung hin, dass „zur Verhinderung von Missbräuchen“ eine solche Änderung der Kapitalstruktur nur im Rahmen eines Planverfahrens zulässig sein soll.1353) Dieser Aussage kann unschwer zugestimmt werden, da eine einschneidende Maßnahme wie der DES mit Auswirkungen sowohl auf Anteilseigner als auch auf Gläubiger kaum außerhalb eines geregelten gerichtlichen Verfahrens umgesetzt werden sollte. Im Folgenden soll es aber um die Frage gehen, ob auch dieses staatlich geregelte Planverfahren einem Missbrauch zugänglich ist.
2.
Missbrauch zu Lasten der Alt-Anteilseigner
a) Durch distressed debt-Investoren 596 Als primäre denkbare Akteure eines solchen Missbrauchs werden dabei distressed debt-Investoren ausgemacht, die oftmals als aggressiv auftretende Hedge-Fonds agieren.1354) So hatte bereits früh in der Reformdiskussion der Arbeitskreis für Insolvenzwesen Köln die Möglichkeit des DES im Insolvenzplanverfahren grundsätzlich begrüßt, allerdings auf die hieraus resultierenden Missbrauchsgefahren hingewiesen. So dürfe insbesondere „im Hinblick auf Finanzinvestoren oder Hedgefonds keine provozierte Kündigung des Kreditengagements genutzt werden, um später über ein Insolvenzplanverfahren die Übernahme des Unternehmens zu erzwingen. Eine ‚feindliche Übernahme‘ gerade beim Ankauf von Forderungen und
___________ 1352) Verse, ZGR 2010, 299, 308: mögliche Missbrauchsgefahren, die er aber weniger im Entzug der Anteile generell, sondern maßgeblich im kompensationslosen Entzug eines u. U. vorhandener Restwert der Anteile sieht; siehe zu der Gefahr der Verdrängung unliebsamer (Mit-) Anteilseigner auch Smid/Rattunde, InsO, § 221 Rn. 16 und Smid/Rattunde, Insolvenzplan, 2. Aufl., 2005, Rn. 6.26; Eidenmüller/Engert ZIP 2009, 541, 544 sprechen davon, dass die Besserstellung der Gläubiger nach der von ihnen erkorenen insolvenzrechtlichen Verteilungsregel einen Anreiz auslösen könnte, auch dann auf die Insolvenz hinzuarbeiten, wenn diese den Unternehmenswert schmälert. Auf S. 545 nennen sie als Instrument gegen eine missbräuchliche Auslösung des Insolvenzverfahrens durch Gläubiger zum Zwecke der Aneignung der Eigenkapitalposition „vertragsrechtliche Kündigungsschranken“, ohne dies aber näher zu definieren. Auch der Vorschlag von Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125 ff., den Anteilseignern beim DES ein Bezugsrecht zuzuerkennen, basiert letztlich auf der Idee, einem missbräuchlichen Entzug der Anteile vorzubeugen. 1353) RegE-KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 50. 1354) Große Bedenken diesbezüglich äußerte zuletzt Siemon, ZInsO 2014, 172, 175 ff., der diese Gefahr allerdings gerade auch mit dem Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO n. F. und der Möglichkeit der Insolvenzverwalterwahl durch die Gläubiger nach § 56a InsOn n. F. verknüpft sieht.
280
III. Missbrauchsgefahr
der sich daran anschließenden ebenfalls rigorosen Durchsetzung der Forderung (müsse) in jedem Fall vermieden werden.“1355) Sassenrath weist dagegen darauf hin, dass die Missbrauchsgefahr auch bei der über- 597 tragenden Sanierung bestehe. Da der Anteilseigner nach früherem Recht kein Beteiligter des Insolvenzverfahrens war, waren seine Kontrollmöglichkeiten äußerst gering. Eine Einbindung der Anteilseigner in das Verfahren (wie durch das ESUG erfolgt) verbunden mit deren Rechtsschutzmöglichkeiten könne daher sogar dazu führen, dass Missbrauchsgefahren effektiver begegnet werden könnte.1356)
b) Erfahrungen aus der Chapter 11-Praxis Die deutsche Lage am distressed debt-Markt ist allerdings bisher kaum dokumen- 598 tiert.1357) Es lohnt sich aber ein Blick auf die Lage in den USA, wo zum einen mit dem deutschen Insolvenzplanverfahren vergleichbar ausgestaltetes Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 existiert, zum anderen die dortige Aktivität von distressed debt-Investoren bereits ausführlich beschrieben und analysiert ist.
aa) Grundlagen des distressed debt trading In den USA existiert bereits seit längerer Zeit ein professioneller Markt für distressed 599 debt-Forderungen. Das claims trading wurde durch verschiedene Maßnahmen ermöglicht.1358) Anfangs hatten die Gerichte allerdings noch für sich in Anspruch genommen, diese Transaktionen überprüfen zu können. Dies änderte sich 1991, als das Rules Committee beschloss, die richterliche Überwachung (judicial oversight) einzuschränken, da befürchtet wurde, dass hierdurch die Handelsfähigkeit und damit die Liquidität von Forderungen beeinträchtigt würde.1359) Während sich der ___________ 1355) Arbeitskreis für Insolvenzwesen Köln e. V., Stellungnahme zu ESUG, unter 4. Ähnlich Siemon, ZInsO 2014, 172, 175: für das In-die-Insolvenz-Hineindrücken werde durch Einführung des DES ein Anreiz geschaffen. Teils wird die Gefahr, dass sich Konkurrenten über einen DES Lizenzen und Patente des insolventen Unternehmens sichern, aber auch hingenommen: ohne den DES würde ein Zugriff auf diese schuldrechtlichen Positionen, die je nach Sachlage den wesentlichen Wert des Unternehmens darstellen, gar nicht möglich sein, womit i. E. die Gläubigerinteressen hinter vermeintlichen Schuldnerbelangen zurückstehen müssten, was kaum richtig sein könne, so Heinrich, NZI 2012, 235, 241 (dies allerdings als allgemeine Aussage, ohne auf eine Missbrauchsgefahr einzugehen). 1356) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1526. Bei der übertragenden Sanierung ist es allerdings die Entscheidung des Insolvenzverwalters, mit welchen potentiellen Käufern er verhandelt, so dass die Gläubigermacht diesbezüglich nicht ebenso stark ausgestaltet ist. 1357) Siehe aber einige Zahlen bei Daimer, S. 7 ff. Zu einer Bestandsaufnahme in Hinsicht auf – i. E. nicht bestehende – Meldepflichten für Fremdkapitalkontingente auch im deutschen Recht, maßgeblich unter den §§ 21 ff. WpHG, zuletzt auch Bücker/Petersen, ZGR 2013, 802 ff. 1358) Überblick bei Baird/Rasmussen, 119 Yale. L. J. 648, 659 (2010) m. w. N. 1359) Baird/Rasmussen, 119 Yale. L. J. 648, 659 (2010) mit Verweis auf Logan, 2 Am. Bankr. Inst. L Rev. 495, 500 f. (1994).
281
§ 9 Analyse der Neuregelungen
Markt anfangs auf öffentlich gehandelte ungesicherte Forderungen beschränkte, werden mittlerweile auch gesicherte Forderungen gehandelt.1360) Dabei ist der Zweitmarkt für syndizierte Kredite ausreichend entwickelt, so dass ein Investor dort einen ausreichenden Teil einer Kredittranche erwerben kann, um anschließend die von ihm begehrten Maßnahmen durchzusetzen, die etwa auch in einem bestimmten reorganization plan bestehen können.1361) Auf diesem werden Forderungen oftmals mit dem Ziel einer „debt for equity exchange“1362) erworben, wofür es in den vergangenen Jahren zahlreiche Beispielsfälle gegeben hat.1363) Die Übernahmestrategie über distressed debt findet dabei Anwendung zumeist im Rahmen eines Chapter 11Reorganisationsverfahrens, da nur hier die bisherigen Anteilseigner herausgedrängt werden können.1364) Dementsprechend findet sich diese Maßnahme auch oft im Rahmen einer pre-packaged bankruptcy.1365) Der DES gilt dabei als lukrativer als das bloße Hoffen auf vollständige Rückzahlung der Darlehen: „robust returns are not the real play with distressed-debt, the more lucrative jackpot is turning debt into ownership of the company: loan-to-own.1366)
600 Der distressed debt-Investor wird dabei Interesse daran haben, die „fulcrum security“ zu erlangen, also die Kredit-Tranche, die ihm Zugriff auf die enterprise value ___________ 1360) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 671 (2010): „The same dynamic that plays out with publicly traded unsecured debt now plays out with respect to traditional bank debt as well“. 1361) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 669 (2010): „Today, hedge funds can purchase enough of a tranche in the secondary market so that they have the power to block any waiver of default, proposed amendment to the credit facility, or plan of reorganization that does not meet with their approval.“; Baird, 4 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 24, 31 (2009). Zur sich daneben stellenden Problematik der Konflikte der Gläubiger untereinander Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 167 f. (2011) sowie in Beispielsform bei Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 663 ff. (2010). 1362) So der Begriff, wie er etwa von Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 157 (2011) verwendet wird. Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 262 (2006) spricht dagegen vom debt-toequity-swap. 1363) Siehe die zahlreichen Fälle aus der Praxis bei Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 165 f., Fn. 32 ff. (2011), darunter erste Fälle aus England und Frankreich, a. a. O. Fn. 34; siehe auch, Freke, Reuters v. 9.6.2009 (zum Fall Monier in Frankreich). 1364) Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 169 (2011): “For public companies, the (debt-to-equity swap) typically requires a Chapter 11 filing under the Bankruptcy Code to extinguish the interests of public shareholders.“ Die Umwandlung in Eigenkapital per DES, dies sei erwähnt, ist allerdings nicht die einzige mögliche Maßnahme, im Rahmen einer (Kredit-)Restrukturierung ein Unternehmen zu übernehmen. Möglich ist dem Investor auch ein „credit bid in a sale of the company’s assets“. Hierbei handelt es sich um das Recht eines gesicherten Gläubigers, beim Einzelverkauf des Sicherungsgutes mitzubieten, indem er mit seiner Forderung bietet. Auf diese Weise kann er auch ohne cash bid das Sicherungsgut erlangen. Der credit bid ist geregelt in 11 U.S.C. § 363, Details bei Harner, a. a. O. S. 168 Fn. 50 (2011). 1365) Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 165 Fn. 34 (2011) mit zahlreichen Beispielen. 1366) Marston, 2009; ähnlich Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 671 (2010): “Banks want their money back; hedge funds loan to own“.
282
III. Missbrauchsgefahr
der Firma gewährt.1367) Dies werden in der Regel die gesicherten Forderungen sein.1368) Die Übernahme eines Unternehmens über distressed debt wird im amerikanischen Recht u. a. dadurch erleichtert, dass hierfür wenig Regulation und kaum Aufsicht existiert.1369) So gelten weder die disclosure requirements des Williams Act noch werden die anti-takeover defensive measures des Rechts der Einzelstaaten hierdurch ausgelöst.1370) Die Aufkäufer der distressed debt-Forderungen werden dabei oftmals andere Stra- 601 tegien verfolgen als herkömmliche Banken. Der Kredit und dessen Bedingungen bleiben zwar dieselben, die Akteure sind aber andere. Die traditionelle Bank strebt eine langfristige Beziehung mit den Kunden an, weil sie nicht nur Geld verleiht, sondern auch Service-Dienstleistungen zur Verfügung stellt1371). Zudem ist sie auf ihren Ruf auch bei anderen Unternehmen bedacht, weshalb sie bei einem Vorliegen eines covenant breach einem waiver viel eher zustimmen wird.1372) Dies wird sie auch deswegen tun, weil die Banken „keine Schlüssel haben wollen“1373) und daher eher bereit sein werden, einem teilweisen Forderungsverzicht zustimmen. HedgeFonds dagegen müssen sich keine derartigen Sorgen um ihren Ruf oder entgehende Service-Gebühren machen und sind teils sogar nur auf eine gewisse Zeit angelegt.1374)
bb) Vorgeschlagene Maßnahmen zur Eindämmung In dieser Entwicklung wurden teils Risiken gesehen, denen entgegengewirkt werden 602 müsse. Zwar könnte darauf verwiesen werden, dass das Chapter 11-Verfahren in der Theorie genügend Einfluss auch für andere Beteiligte vorhält, die dem aggressiv ___________ 1367) Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 161 (2011). 1368) Marston (oben Fn. 1366). 1369) Ausführlich Drain/Schwartz, 10 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 569 ff. (2002). 1370) Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 160 f., 180 f. (2011). 1371) Dass die Gebühren für solche Service-Dienstleistungen mittlerweile das Hauptgeschäft vieler Banken darstellt, während die Kredite sofort weitergereicht werden, wird anschaulich beschrieben bei Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 222 (2006). 1372) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 670 (2010). 1373) Siehe Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 670 (2010); dies kann nicht nur auf Nichteinpassung in das Geschäftsmodell der Banken beruhen, sondern auch auf gesetzlichen Vorgaben: „banks are limited in its ability to hold stock“ mit Verweis auf 12 U.S.C. § 1843(a), (c)(2)(2006), (“allowing banks to hold equity that has been converted from debt, but presumptively limiting the holding period to two years“), a. a. O. 1374) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 670 (2010). Eine positive Bewertung der Aktivität von distressed debt-Investoren findet sich bei Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 257 f. (2006) sowie Eisenberg im N. Y. L. J. vom 15. Oktober 2007. Ein Vorteil des distressed debt trading kann darin gesehen werden, dass es hiermit ermöglicht wird, die oftmals hoffnungslos fragmentierten Fremdkapitalstrukturen zu konsolidieren und die Koordination der Verhandlungen unter den Beteiligten somit zu erleichtern, Baird, 4 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 24, 35 (2009).
283
§ 9 Analyse der Neuregelungen
vorgehenden Investor Einhalt gebietet. Allerdings können diese anderen Beteiligten in der Rechtswirklichkeit aus verschiedenen Gründen unwillig oder daran gehindert sein, dies auch zu tun, etwa aufgrund einer schlechten Verhandlungsposition oder sogar einer Verbundenheit mit dem Investor.1375) Daher besteht die Herausforderung nach Ansicht einiger Autoren in der Schaffung eines „more balanced playing field in bankruptcy to provide an effective check on investors‘ activities“.1376)
603 Mit der Frage, wie die beobachtete Einflussmacht der distressed debt-Investoren eingedämmt werden könnte, hat sich in den vergangenen Jahren insbesondere Michelle Harner befasst. In mehreren Studien hat sie die neuen Machtverhältnisse empirisch belegt und dabei in Befragungen der Akteure auch deren Zielvorstellungen nachgezeichnet.1377) Sie schlägt dabei zum einen vor, die Pflichten und Rechte der Mitglieder des creditor committee stärker zu reglementieren.1378) Zum anderen aber sollte auch darüber nachgedacht werden, einen Treuhänder (estate representative) zu benennen, der im Interesse der Insolvenzmasse die Aktivitäten des Schuldners, der Gläubiger und der Anteilseigner überwacht und den Schuldner bei der Erstellung eines Reorganisationsplans berät.1379) Insofern ähnelt das Konzept dem des deutschen Insolvenzverwalters.1380) Eine alternative Maßnahme würde zeitlich vorher ansetzen und den Gläubigern Offenlegungspflichten für die von ihnen erworbenen Forderungsbestände (disclosure of debt acquisitions) auferlegen.1381) Auch Baird hat Überlegungen angestellt, wie dem allgegenwärtigen claims trading auch während der Insolvenz durch Offenlegungspflichten eine gewisse Regulierung verpasst werden könne; dabei geht es ihm aber maßgeblich darum, den Markt überhaupt zu regulieren und eine gewisse Transparenz zu erzeugen, damit die dort gewonnenen Er___________ 1375) Harner, 16 ABI L. Rev. 69, 106, 107 (2008), die bzgl. des Managements auch darauf verweist, dass diese nicht opponieren werden, um ihre Position zu erhalten. 1376) Harner, 16 ABI L. Rev. 69, 108 (2008). 1377) Harner, 77 Fordham L. Rev. 703 (2008); Harner, 16 ABI L. Rev. 69 (2008); Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155 (2011). 1378) Harner, 16 ABI L. Rev. 69, 107 (2008). 1379) Harner, 16 ABI L. Rev. 69, 108 (2008): “estate representative (…) fiduciary charged to protect and act in the best interests of the bankruptcy estate. (…) could both assist the debtor in possession in formulating a chapter 11 plan and monitor the activities of the debtor and its creditors and shareholders.“ Als Eigenschaft wird betont, dass dieser eine “disinterested person“ i. S. d. Bankruptcy Code sein sollte, a. a. O. S. 109. Zum Konzept eines neutral manager siehe Westbrook, 82 Tex. L. Rev. 795, 825 ff. (2003). 1380) Unterschiede bestehen allerdings insofern, als dass der estate representative die Aufgabe haben soll, zunächst die Reorganisationsmöglichkeiten zu prüfen und erst dann einen Verkauf am Markt, Harner, 16 ABI L. Rev. 69, 108 (2008). Unter der InsO sind dies dagegen gleichberechtigte Verwertungswege. Zudem soll er die anderen committees gänzlich ersetzen, a. a. O. S. 106, während im deutschen Recht der Gläubigerausschuss, sofern ein solcher gebildet wurde, daneben weiter besteht. Harner zieht dabei Parallelen zum administrator unter englischem Recht, a. a. O. S. 108 Fn. 177. 1381) Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 195 ff. (2011), die solche in Anlehnung an die Offenlegungspflichten für Anteilseigner nach dem Williams Act detailliert vorschlägt.
284
III. Missbrauchsgefahr
kenntnisse von Nutzen sein können z. B. für den Richter bei Bewertungsfragen1382) oder für andere Marktteilnehmer, wenn es um die Planverhandlungen geht.1383)
c)
Bewertung
Ob auch im deutschen Recht damit eine neue Praxis des corporate raiding1384) 604 droht, kann kaum vorhergesagt werden.1385) Das deutsche Pfandbriefrecht gilt als stark reguliert, so dass die – als fulcrum security zumeist interessanten – gesicherten Forderungen ggf. nicht ohne weiteres gehandelt werden können. Hinzu kommt, dass Basel-II und III für gesicherte Forderungen keine derart engen Regeln aufstellen wie für ungesicherte Forderungen. Es könnte aber spekuliert werden, ob nicht, wenn in der US-Praxis mit seinem exklusiven Schuldner-Plan-Initiativrecht viele solcher DES-Pläne zustande kommen, dies in Deutschland mit dem Planinitiativrecht beim Insolvenzverwalter (neben dem Schuldner) umso eher zu erwarten wäre. Dies dürfte im Ergebnis auch vom Insolvenzverwalter abhängen: Mit dem neuen Insolvenzverwaltervorschlagsrecht in § 56a InsO n. F. geht die Gefahr einher, dass die Großgläubiger das Verfahren dominieren (siehe sogleich unter 3.). Auch kann sich mit der möglichen Bündelung vieler Forderungen in einer Hand das Gefüge eines Gläubigerausschusses als maßgebliches Instrument der InsO ändern. Absehbar ist dies aber noch nicht. Auch in den USA, wo der wohl am besten entwickelte distressed debt-Markt existiert und wo zugleich viel Erfahrung mit Chapter 11Verhandlungen bei spezialisierten Anwälten und Marktakteuren besteht (und die Nachzeichnung und Deutung durch die Wissenschaft zugleich umfangreich geschieht), steht diese Diskussion noch am Anfang.1386) Dennoch wird an verschiedenen Stellen dieser Untersuchung die Frage aufgeworfen, 605 ob eine durch das ESUG eingeführte Regelung zu Missbrauch einlädt und wie dies ggf. verhindert werden könnte, so bei der Frage der Entschädigung der Alt-Anteilseigner1387) zu Fortführungswerten oder bei der Frage der Zuerkennung eines Bezugsrechts an Alt-Anteilseigner1388). Auf die dortige Behandlung wird verwiesen. ___________ 1382) Baird, 4 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 24, 27 ff. (2009). 1383) “Put simply, knowing the identity of the holders of property rights is a key assumption of Coasean bargaining“, Baird, 4 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 24, 31 (2009). 1384) So als Begriff verwendet bei Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155 (2011), insb. S. 206: “Debtbased takeovers (…) expose an already vulnerable company to value raiding“. 1385) Einen guten Überblick zur rechtlichen Situation in Deutschland hinsichtlich der Kapitalmarkttransparenz bei Restrukturierungen, insbesondere durch DES, geben Bücker/Petersen, ZGR 2013, 802 ff., die u. a. auch die Frage aufwerfen, inwieweit Transparenz überhaupt erzielbar ist und ab wann diese nur zu einer Informationsüberflutung führen kann, a. a. O. S. 828 f. 1386) Siehe nur Baird, 4 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 24, (2009): “too soon to provide many clear lessons about the costs and benefits of maintaining transparency in the trading of bankruptcy claims“. 1387) unten § 10. II. 3. d). 1388) oben § 7. V.
285
§ 9 Analyse der Neuregelungen
Als unmittelbare Antwort auf die vom AK InsO Köln befürchtete provozierte Kündigung des Kreditengagements1389) kämen zwar vertragsrechtliche Kündigungsschranken in Betracht.1390) Deren genaue Voraussetzungen müssten aber vorsichtig formuliert werden, weil sie ansonsten mit höheren Kreditkosten für den Schuldner einhergehen könnten; zudem ist fraglich, ob die Schuldner diese bei den Vertragsverhandlungen überhaupt durchsetzen könnten.1391)
606 Das Melderegime der §§ 21 ff. WpHG jedenfalls erfasst das „Anschleichen“ über Fremdkapital derzeit nicht und kann folglich auch keine Abhilfe schaffen, da dies bei einem DES frühestens greift, wenn der Fremdkapital-Investor bereits am Kapital beteiligt ist.1392) Auch ansonsten kennt es keine Meldepflichten für das Halten von Fremdkapitalkontingenten.1393)
607 Allerdings ist ohnehin eine nicht zu unterschätzende Schranke schon in § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. zu sehen: denn falls ein „Firmenjäger“ das Ziel verfolgt, sich durch Aneignung des Unternehmens einen Wert sogar über seinen Forderungswert hinaus zu verschaffen, so wird ihm hier zumindest durch eine (aufmerksame) Anteilseignermehrheit ein Riegel vorgeschoben.1394)
3.
Missbrauch zu Lasten ungesicherter Gläubiger
608 Vorgehend wurde ein Missbrauch des DES zu Lasten der Anteilseigner besprochen. Bedenken wurden aber auch geäußert bzgl. eines Missbrauchs des DES durch die gesicherten Gläubiger zu Lasten der ungesicherten Gläubiger.1395) Plakativ wurde dies damit ausgedrückt, dass der DES im Zusammenspiel mit den reformierten Regelungen zur Insolvenzverwalterwahl sich darstelle als „Trojanisches Pferd unter ___________ 1389) Stellungnahme des Arbeitskreis für Insolvenzwesen Köln e. V. zu ESUG, abrufbar unter http://www.ak-inso-koeln.de/index.php?id=658. 1390) So Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 545. 1391) Sofern mit „vertragsrechtlichen Kündigungsschranken“ nicht individualvertraglich ausgehandelte Schranken, sondern solche des Vertragsrechts (de lege ferenda oder durch Rechtsprechung zu etablierende Schranken) gemeint sein sollten, so müssten auch diese vorsichtigst definiert werden, um nicht die Kreditvergabe einzuschränken und mit höheren Kreditkosten den Schuldnern letztlich einen Bärendienst zu erweisen. Auch wäre dies ein Einschnitt in die Privatautonomie, der besonderer Begründung bedürfte. 1392) Näher hierzu Bücker/Petersen, ZGR 2013, 802, 811 ff. 1393) Bücker/Petersen, ZGR 2013, 802, 820 ff. mit weiteren Details. 1394) Gesetzt den Anteilseignern gelingt der Nachweis, dass der dominierende Gläubiger hiermit eine Befriedigung über 100 % erhält, siehe oben § 5. I. 4. e) aa). 1395) Wiederum aus dem US-Recht Harner, 16 ABI L. Rev. 69, 106, 101 (2008): „The presence of an activist distressed debt investor may, if possible, worsen the plight of junior creditors and shareholders. An activist investor maximizes either its return on the debt or its ownership interest in the reorganized company by reducing or even eliminating distributions to junior creditors or shareholders“.
286
III. Missbrauchsgefahr
fast vollständiger Abschaffung der par condicio creditorum in Sanierungsfällen.“1396) Diese Gefahr wird damit begründet, dass der Unternehmens- oder Firmenwert (good will) nach bisheriger Praxis zumeist den einzig nicht sicherungsverwerteten Wertgegenstand der Masse darstellt und der hierdurch erlöste Wert somit den ungesicherten Insolvenzgläubigern zukommt, indem er die freie Masse und damit die Quote erhöht.1397) Mit dem nunmehr möglichen Eingriff in die Gesellschafterrechte aber bestehe die Gefahr, dass sich die gesicherten Gläubiger nun auch diesen Wert aneignen: der DES erlaube immerhin den direkten Zugriff auf die Anteilsrechte, worin der Unternehmenswert nach der Sanierungsreorganisation verkörpert werde. Es wären dann Szenarien denkbar, bei denen dieser Zusatzwert erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens durch Verkauf der Anteile an einen Dritten (und somit gänzlich ohne Publizität) erlöst werde.1398) Ein solches missbräuchliches Vorgehen wäre zwar an sich mit einem unabhängigen Insolvenzverwalter nicht zu machen; daher sei Türöffner hier erst die Möglichkeit der Wahl des Insolvenzverwalters durch den Hauptgläubiger, ermöglicht unter den Voraussetzungen des § 56a InsO n. F. Erfolgsträchtige Beraterstrategie könne sein, einen Insolvenzverwalter zu finden, der einen Insolvenzplan entwerfe, der zunächst alle Anteile per DES an den Hauptgläubiger gehen lässt. Mit Verweis auf die benötigte Cash-Flow-Ausstattung würden dann die übrigen Gläubiger mit einer Lästigkeitsprämie abgefunden, die diese auch akzeptierten, um die Sanierung nicht zu gefährden. Damit falle im Ergebnis der Unternehmenswert als good will allein dem Hauptgläubiger zu, die ungesicherten Gläubiger würden diesbezüglich leer ausgehen.
a) Abhängigkeit von der Praxis der Insolvenzverwalterwahl Ob sich dieses Szenario so in der Zukunft als Gefahr darstellt, kann kaum vorher- 609 gesagt werden. Wie die Autoren selbst sagen, hängt es entscheidend davon ab, ob dem Großgläubiger die Bestellung eines ihm zugetanen Insolvenzverwalters gelingt oder ob die Gerichte die neuen Regelungen zur Insolvenzverwalterwahl nach § 56a InsO n. F. eng handhaben werden. Es bleibt zu hoffen, dass die anderen Beteiligten die Wahl eines abhängigen Insolvenzverwalters rügen werden. Das Szenario ist aber keineswegs abwegig, wenn zudem berücksichtigt wird, dass sich auf ___________ 1396) Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 20. 1397) Zur mangelnden Verwertbarkeit als Sicherungsgut siehe Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 19 Fn. 14 f. Demnach ist das hierin verkörperte Anspruchspotenzial oft höher als die Summe der insolvenzspezifischen Ansprüche wie Geschäftsführerhaftung (§ 64 GmbHG), Rückzahlung nach Insolvenzanfechtung (§§ 129 InsO), Rückschlagsperre (§ 88 InsO), Pauschalen aus Feststellung und Verwertung (§ 170 f. InsO), etc. 1398) Gemeint ist ein Dritter, der schon im Insolvenzverfahren gefunden wurde, der aber kein direktes Angebot abgegeben hat, Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 20. Den möglichen Interessenkonflikt zwischen einem Großgläubiger, der das Unternehmen zu Lasten der sonstigen Gläubiger günstig zu erwerben hofft, und Schranken diesbezüglich im Insolvenzplanverfahren erwähnt auch Spetzler, S. 140 f., die auch darauf verweist, dass aus diesem Grund letztlich die Regelungen zu § 162 InsO (Betriebsveräußerung an besonders Interessierte) eingeführt wurde.
287
§ 9 Analyse der Neuregelungen
dem distressed debt-Markt entsprechende Finanzmarktakteure tummeln, die um ihren guten Ruf – anders als etwa eine Bank – kaum fürchten müssen und daher auch aggressiven Strategien nicht abgeneigt sind. Das generelle Problem der Tätigkeit vieler Insolvenzverwalter auch als beratende Anwälte dürfte hier sein Weiteres tun.
b) Mögliche Mechanismen zur Verhinderung dieses Missbrauchs 610 Zunächst ist allerdings fraglich, ob diese Gefahr so, wie dargestellt, eigentlich besteht. Denn die Berücksichtigung der Interessen sowohl von kleinen als auch von großen Gläubigern sollte gerade erreicht werden durch den Abstimmungsmechanismus des § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO, der neben der Summenmehrheit auch eine Kopfmehrheit verlangt. Ein einzelner Großgläubiger ist qua seiner enormen Forderungssumme allein also noch nicht in der Lage, das Planverfahren zu dominieren. Daher beinhaltet das Szenario der Kritiker auch die Zustimmung der Gläubiger als Folge des aufgebauten Drucks durch ansonsten drohendem Scheitern der Sanierung1399); dies ist aber ein nur faktischer Druck, dem durch Darlegung der Alternativen durch aufmerksame Gläubiger ein Riegel vorgeschoben werden könnte. Angesichts des drohendenden, ökonomisch nachvollziehbaren Verfahrensdesinteresses ungesicherter Klein-Gläubiger1400) könnte dieser gegenläufige Effekt allerdings auch unterbleiben.
aa) Ausgleich über die Sicherheitsleistung nach § 251 Abs. 3 InsO n. F. 611 Eine unmittelbare Lösung könnte zunächst darin bestehen, dass jedem Gläubiger ein Teilnahmerecht am DES zuerkannt wird, gewissermaßen ein „GläubigerBezugsrecht“, mit dem der Gläubiger somit auch am (potentiellen) Fortführungsmehrwert partizipieren kann.1401) Nach Spliedt lasse sich aber aus dem Gesetz ein solches Bezugsrecht nicht herauslesen, weil „die Aufnahme einer Vielzahl ggf. missliebiger oder gar konkurrierender Gesellschafter jeden Sanierungsinvestor abschrecken würde“.1402) Allerdings ist mehr als fraglich, ob die Interessen eines Sanierungsinvestors hier Vorrang haben vor dem Recht der Gläubiger, sich die Chance auf den Fortführungsmehrwert zu erhalten. Hier könnte darauf verwiesen werden, dass die interessierten (und bisher noch nicht für die Umwandlung eingeplanten) ___________ 1399) Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 20. 1400) Siehe hierzu Wallner/Gerster/Weiß, ZInsO 2011, 16, 21 sowie die Überlegungen zur rationalen Apathie (allerdings bei Anteilseignern) oben unter § 5. IV. 4. c) cc), insb. Fn. 637. 1401) Hölzle, in: Kübler, HRI, § 30 Rn. 45 schlägt das Modell der Debt Equity Swap-Option vor, bei der jeder Gläubiger, der seine Forderung in Anteile umwandeln möchte, dies durch Ziehung der Option tun kann. Rechtstechnisch soll dies über genehmigtes Kapital geregelt werden. Hiermit würde nach Hölzle ein Teilhaben jedes Gläubigers am von ihm vermuteten Erwartungswert ermöglicht und zugleich jede Berechtigung zu Akkordstörertum und Verfolgung opportunistischer Interessen beseitigt werden. Ob diese DES-Option allerdings praktikabel ist, dürfte bezweifelt werden. Denn damit geht Unklarheit über die zukünftige Kapitalstruktur einher, die bei der Planbestätigung problematisch werden kann, vgl. insofern oben § 7. I. 2. d). 1402) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 468.
288
III. Missbrauchsgefahr
Gläubiger als Neu-Anteilseigner freiwillig in den Nachrang gehen und Ausschüttungen oftmals so schnell nicht möglich sein würden; zu ihren Gunsten könnte daher in der Abwägung der Interessen angeführt werden, dass die interessierten Gläubiger nicht lediglich einen behaupteten Fortführungsmehrwert einfordern, sondern bereit sind, zur Erlangung dieses Wertes selbst ein Risiko eingehen. Andererseits würde ihnen mit einem solchen „Gläubiger-Bezugsrecht“ eine Blockadeposition zuwachsen, die sie sich ggf. abkaufen lassen, wozu der Sanierungsinvestor in der Tat nicht bereit wäre. Daher wäre darüber nachzudenken, ein Gläubiger-Bezugsrecht nicht zu gewähren, dies aber über den Sicherheitenfonds in § 251 Abs. 3 InsO n. F. bzw. § 253 Abs. 1 Nr. 3 InsO n. F. zu regeln: können die ungesicherten Gläubiger nachweisen, dass ihnen durch der DES der eigentlich per übertragender Sanierung erreichbare good will entzogen wurde, so müsste ihnen dies ausgeglichen werden; diese Ausgleichsregelung stellt schließlich darauf, ab, dass der Antragssteller schlechter steht als ohne Plan. Da es hier zudem nur um eine Quotenverbesserung einzelner Gläubiger ginge (eine erga-omnes-Wirkung wie im Spruchverfahren besteht nicht), wäre hier auch keine hohe Summe zu erwarten. Da der Streit um solche Ausgleichsansprüche zudem in das nachgeordnete Verfahren verlagert ist, kommt diese Zeitverzögerung den ungesicherten Gläubigern sogar zugute: hat der zum Haupteigner gewandelte vormalige Hauptgläubiger seine Anteile kurze Zeit später mit Gewinn verkauft, könnte hieraus der Schluss gezogen werden, dass er sich unter Verletzung der par condicio creditorum den good will angeeignet hat. Zwar obliegt der Beweis dieses Umstands vor Gericht weiterhin dem nicht am DES beteiligten und deshalb Ausgleichsansprüche geltend machenden Gläubiger und dürfte eine nähere Substantiierung erforderlich machen. Entscheidend ist allerdings, dass somit ein Schutzmechanismus zugunsten ungesicherter Gläubiger besteht, der den DES selbst nicht verzögert. Denn in dem angerissenen Szenario geht es ja nicht um das Behalten einer bestimmten Position (wie bei Anteilseignern), sondern nur um rein monetären Ausgleich; hierfür sind die Regelungen der §§ 251 Abs. 3, 253 Abs. 1 Nr. 3 InsO n. F. gerade geschaffen worden.
bb) Verhinderung über das Obstruktionsverbot nach § 245 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 InsO Denkbar wäre aber auch, dass die Anteilseigner oder andere Gläubigergruppen 612 dies verhindern könnten, indem sie den Plan mehrheitlich ablehnen (was zumindest von Seiten der Anteilseigner ohnehin vielfach zu erwarten wäre). Denn die Anwendung des neuen Obstruktionsverbots nach § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. auf ablehnende Anteilseignergruppen wie auch des (bereits seit 1999 bestehenden) Obstruktionsverbots auf ablehnende Gläubigergruppen nach § 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO ist dann nicht möglich, wenn ein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen.1403) Hier wäre zwar fraglich, ob es einen ___________ 1403) Siehe hierzu auch schon § 5. I. 4. e) aa) zum Obstruktionsverbot.
289
§ 9 Analyse der Neuregelungen
Anreiz für die Anteilseigner gibt, eine Verletzung des § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. zu rügen, wenn hierdurch allein die ungesicherten Gläubiger besser gestellt werden.1404) Die ungesicherten Gläubiger jedenfalls hätten diesen Anreiz.
613 Das Obstruktionsverbot bietet hier allerdings keinen vollen Schutz, denn es verhindert die Aufoktroyierung allein dann, wenn der gesicherte Hauptgläubiger tatsächlich mehr als 100 % erlöst. Deckt dagegen z. B. sein Sicherungsgut nur 60 % seines Anspruchs ab und gewinnt er weitere 20 % über die Aneignung des good will hinzu, so bleibt er immer noch unter der Schwelle des vollen Betrages seines Anspruchs. Dies ist vom Gesetzgeber aber offensichtlich hingenommen worden; will der Insolvenzplanersteller einen (ggf. verfahrenslähmenden) Grundsatzstreit über die Angemessenheit eines Insolvenzplans in einem solchen Szenario verhindern, so müsste er in den Plan eine Sicherheitenfonds-Regelung entsprechend den oben genannten Kriterien hineinschreiben, der auch einen Ausgleich für den den ungesicherten Gläubigern teils entzogenen good will ermöglicht.
4.
Ergebnis
614 Die Gefahr einer missbräuchlichen Ausnutzung des reformierten Insolvenzplanverfahrens kann nicht von der Hand gewiesen werden. Die fortschreitende Entwicklung des distressed debt-Handels wird hierzu sicherlich mehr Gelegenheit bieten. Wie oben gezeigt wurde, besteht in § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. zumindest eine Schranke dergestalt, dass unter Umständen eine Aneignung des Firmenwerts durch einen Gläubiger, der hiermit mehr als seinen Forderungswert erhält, verhindert werden kann.
615 Ein Missbrauch durch gesicherte Gläubiger zu Lasten ungesicherter Gläubiger besteht dagegen nach den obigen Ausführungen nur in geringem Maße, wenn nämlich der Insolvenzplanersteller in Abhängigkeit zu einem dominanten, gesicherten Großgläubiger steht. Ein „Gläubiger-Bezugsrecht“, das jeden Gläubiger zur Teilnahme am DES berechtigt, sollte aufgrund der damit denkbaren Blockadeposition nicht angenommen werden, auch wenn dies die Gefahr des Missbrauchs eindämmen könnte. Um dem Missbrauchsvorwurf zu entgehen, kann der Insolvenzplanersteller die Möglichkeit des Ausgleichs zugunsten der nicht am DES beteiligten Gläubiger über eine Sicherheitenfonds-Klausel nach § 251 Abs. 3 InsO n. F. bzw. § 253 Abs. 1 Nr. 3 InsO n. F. ermöglichen.
IV. Nachrangigkeit nicht umgewandelter Restforderungen und Sanierungsprivileg 616 Verwendet ein Gläubiger für die Forderungsumwandlung nicht die volle Summe seiner gehaltenen Forderungen, sondern nur Teile davon, so kann sich die Proble___________ 1404) Siehe auch oben § 5. I. 4. e) aa) a. E.
290
IV. Nachrangigkeit nicht umgewandelter Restforderungen und Sanierungsprivileg
matik ergeben, dass er mit den verbliebenen Darlehen (ebenso wie mit später neu gewährten Darlehen) nach § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 S. 1 InsO in einer Folgeinsolvenz als nachrangiger Gläubiger behandelt würde.1405) Dies gilt allerdings unter zwei Voraussetzungen nicht: zum einen tritt diese 617 Rechtsfolge für ihn nicht ein, wenn er unter das sog. Kleinbeteiligungsprivileg nach § 39 Abs. 5 InsO fällt. Dies ist der Fall, wenn er mit 10 % oder weniger am Haftkapital der Gesellschaft beteiligt und zudem nicht geschäftsführender Gesellschafter dieser Gesellschaft ist. Hinzu kommt das sog. Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 S. 2 InsO.
1.
Voraussetzungen des § 39 Abs. 4 S. 2 InsO
Nach dieser Norm findet die Nachrangigkeitsanordnung nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO 618 keine Anwendung auf Forderungen aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen oder auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, wenn der Gläubiger die Anteile bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung zum Zweck ihrer Sanierung erworben hat. Diese Norm fand sich mit ähnlichem Wortlaut im § 32a Abs. 3 S. 3 GmbHG a. F. 619 und wurde mit dem MoMiG in die InsO verpflanzt. Die Voraussetzungen des Merkmals „zum Zwecke der Sanierung“ sind im Einzelnen bei der Anwendung außerhalb der Insolvenz umstritten.1406) Der BGH hat die Voraussetzungen (noch zum § 32a Abs. 3 GmbHG a. F.)1407) dahingehend präzisiert, dass der Sanierungszweck vorrangig objektiv zu bestimmen ist, so dass nach der pflichtgemäßen Einschätzung eines objektiven Dritten die Gesellschaft zum Zeitpunkt des Anteilserwerbs sanierungsfähig sein muss und die für die Sanierung konkret in Angriff genommenen Maßnahmen zusammen objektiv geeignet sein müssen, die Gesellschaft in überschaubarer Zeit durchgreifend zu sanieren.1408) Der Sanierungswille wird daneben regelmäßig vermutet.1409) Die somit notwendige ex-ante-Prognose hat dabei auf Basis eines dokumentierten Sanierungskonzepts zu erfolgen, durch das zugleich der Nachweis für den subjektiven Sanierungszweck des Anteilser___________ 1405) Diese Rechtsfolge tritt maßgeblich ein bei GmbH und AG; durch die rechtsformneutrale Formulierung in § 39 Abs. 4 S. 1 InsO sind auch solche (Personen-)Gesellschaften und Auslandsgesellschaften erfasst, die keinen persönlich haftenden Gesellschafter (auch nicht indirekt) haben; siehe im Einzelnen Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 39 Rn. 58 ff.; bereits vor dem MoMiG wurden die Regelungen des GmbHG auch auf die AG angewendet, siehe nur Redeker, BB 2007, 673, 676 m. w. N. 1406) Zur Änderung des Wortlauts siehe Weitnauer, BKR 2009, 18, 21; siehe i. Ü. Diffring, S. 81 ff. m. w. N. 1407) Damalige Formulierung: „zum Zweck der Überwindung der Krise“. 1408) BGH NZI 2006, 604, 605; zustimmend Himmelsbach/Achsnick, NZI 2006, 561, 563. 1409) BGH NZI 2006, 604, 605.
291
§ 9 Analyse der Neuregelungen
werbs geliefert wird.1410) Das Vorliegen der Sanierungsprivilegierung hängt dabei aber nicht von dem tatsächlichen Eintritt des Sanierungserfolges ab.1411)
620 Bei Anteilserwerb durch DES im Insolvenzplanverfahren werden die Voraussetzungen regelmäßig erfüllt sein, da zum einen ein Insolvenzgrund vorgelegen hat, zum anderen durch die Anforderungen an den Insolvenzplan als zusammenhängendes Sanierungskonzept die Voraussetzungen für eine objektive Eignung der Sanierungsmaßnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt sein werden. Bereits vor dem ESUG wurde die Ansicht vertreten, dass bei einer Sanierung unter Anteilserwerb im Insolvenzplanverfahren die Voraussetzungen erfüllt sind, da die gerichtliche Supervision für die notwendige Seriosität bürgt.1412) Der Gesetzgeber hat im RegE zum ESUG ausdrücklich klargestellt, dass bei Gläubigern, die Anteile im Rahmen eines DES im Insolvenzplan erwerben, davon auszugehen ist, dass diese zum Zwecke der Sanierung erworben wurden und ihnen somit das Sanierungsprivileg zugute kommen soll.1413)
2.
Wirkung nur bis zur nachhaltigen Sanierung
621 Problematisch sind somit beim DES in der Insolvenz nicht die Voraussetzungen, sondern die zeitliche Beschränkung in Form der Tatsache, dass das Sanierungsprivileg nur „bis zur nachhaltigen Sanierung“ wirkt.1414) Wenn diese zwischenzeitlich erreicht wurde, es später aber erneut zur Krise kommt, so werden stehengelassene Forderungen wieder als nachrangig i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO behandelt.1415) Dies wird als unnötiger Druck auf die neuen Anteilseigner gedeutet, die hiermit gezwungen sein könnten, entweder die neuen Anteile oder die Forderungen zügig wieder zu verkaufen.1416) Hinzu kommt, dass das Merkmal so unbestimmt ist, dass niemand vorhersehen kann, wann ein Gericht sein Vorliegen rückblickend als gegeben ansehen wird.1417) Als Gegenmaßnahme wurde vorgeschlagen, statt dem unbestimmten Merkmal „bis zur nachhaltigen Sanierung“ eine zeitliche Komponente ___________ 1410) BGH NZI 2006, 604, 605. 1411) BGH NZI 2006, 604, 605. 1412) H.-F. Müller, S. 410; zustimmend Pujol, S. 100. 1413) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 32. 1414) Nachhaltigkeit soll nach Wittig, FS K. Schmidt, 2009, S. 1743, 1758 vorliegen, wenn die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft für mindestens zwölf Monate wiederhergestellt ist; ebenso Haas, ZInsO 2007, 617, 625, der aber auch die Gefahr sieht, dass damit der Verhaltensanreiz gesetzt würde, den Sanierungsversuch vorzeitig abzubrechen. 1415) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 289 m. w. N.; Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 511; Westphal, ZGR 2010, 385, 394 Fn. 21. 1416) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 552; Wittig, FS K. Schmidt, 2009, S. 1743, 1757; Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 511. 1417) Obermüller, NZI 2011, 81, 89 zum KredReorgG, das in § 9 Abs. 1 S. 4 den § 39 Abs. 4 S. 2 und Abs. 5 InsO ausdrücklich für anwendbar erklärt; gleiches muss für das ESUG gelten.
292
V. Fehlentwicklungen durch risikoverlagernde Derivative
einzuführen, etwa zwei Jahre1418), drei Jahre1419) oder vier Jahre1420) ab Eintritt der nachhaltigen Sanierung. Diesem ist der Gesetzgeber nicht gefolgt, sondern hat es bei der bisherigen Regelung belassen. Dies wird dahingehend kritisiert, dass damit der Geburtsfehler des Sanierungsprivilegs, nämlich die Unsicherheit über die Dauer der Privilegierung, beibehalten worden sei.1421)
V. Fehlentwicklungen durch risikoverlagernde Derivative Ein Problem für das Resultat von Entscheidungsprozessen können auch risikover- 622 lagernde Derivative darstellen. Weil diese es ermöglichen, das Risiko (teilweise) gegen Gebühr auf andere Akteure abzuschieben, entscheiden bei einem work-out vor der Insolvenz oder in der Insolvenz selbst Akteure über das weitere Vorgehen, die die Folgen der Entscheidung ökonomisch gar nicht (mehr) tragen.1422) Hat etwa der Gläubiger einen credit default swap abgeschlossen, so hat sich sein Gegenüber gegen Zahlung einer Gebühr verpflichtet, im Fall des Forderungsausfalls (sog. default)1423) dessen Summe auszugleichen. Derart abgesichert, hat der Gläubiger im Fall der Krise gar keinen Anreiz mehr, ein work-out anzugehen. Denn die Insolvenz ist für ihn sogar der bessere Fall, weil die Versicherungssumme aus dem credit default swap ihm dann sofort ausgezahlt wird.1424) Der Versicherer wird zwar ein Interesse am work-out haben, damit die ihn zur Zahlung verpflichtende Insolvenz (default) nicht eintritt. Ihm fehlen aber die Kontrollrechte, dies durchzusetzen, da er vielfach gar nicht Beteiligter der Verhandlungen ist. Eine ähnliche Gefahr droht von total return swaps, bei denen das Risiko ebenfalls ausgelagert ___________ 1418) Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 511. 1419) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 552. Für eine Orientierung an einer Dreijahresfrist K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 225a Rn. 32 mit der Begründung, dass eine Planüberwachung nach § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO längstens über diese Frist laufen darf. 1420) Obermüller/Kuder, ZInsO 2010, 2017, 2019. 1421) Obermüller, NZI 2011, 81, 89 wiederum zum KredReorgG, das aber die gleiche Rechtsfolge wie das ESUG beinhaltet. Die Gesetzesbegründung zum ESUG hat diesen Punkt sogar angesprochen, allerdings eine Notwendigkeit einer Präzisierung vorerst verneint: „Vereinzelt wurde im Interesse einer größeren Planungssicherheit eine Änderung des Sanierungsprivilegs des § 39 Absatz 4 InsO gefordert und vorgeschlagen, die Dauer des Sanierungsprivilegs zeitlich klarer zu fassen. Da die Regelung jedoch erst aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) zum 1. November 2008 in neuer Formulierung in die InsO eingefügt wurde, sollen zunächst die Auswirkungen des geltenden Sanierungsprivilegs auf das gestärkte Insolvenzplanverfahren beobachtet werden.“, RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 18. 1422) Grundlegend Lubben, 81 Am. Bankr. L. J. 430 (2007). 1423) Zumeist per definitionem die Insolvenz, nicht zwingend aber etwa auch das Schutzschirmverfahren im deutschen Recht. 1424) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 681 (2010); siehe auch Economist v. 7. März 2009, S. 80: „Burning Down the House: Why Credit Default Swaps Make Restructuring Harder To Pull Off“, zitiert nach Baird/Rasmussen a. a. O. Fn. 167.
293
§ 9 Analyse der Neuregelungen
und von den Kontrollrechten getrennt wird.1425) Zwar ist davon auszugehen, dass sich auf einem funktionierenden Markt auch diese Nachteile irgendwann ausgleichen; dies wäre zu erwarten gerade durch das Auftreten von distressed debt Investoren, die sowohl die Expertise als auch den Anreiz haben, den work out durchzuführen.1426) Dabei besteht das Problem dann aber ggf. darin, dass die die Kontrollrechte haltenden Akteure, selbst wenn man von deren rationalem Handeln ausgehen würde, vielfach unbekannt sind, was die Verhandlungen enorm erschweren kann.1427) Als weiteres Problem der weitgehend freien Handelbarkeit kann sich die Gefahr von Interessenverquickungen darstellen, wenn ein Akteur Forderungen verschiedener Art/Tranchen, daneben aber auch Anteilsrechte hält. Hier können in Ausnahmesituationen Anreize zu schädigendem Verhalten zu Lasten anderer Beteiligter gegeben sein, die auch durch Transparenz nicht immer gelöst werden können.1428) Wenn solche Fehlentwicklungen zutage treten, müsste hier überlegt werden, den jeweiligen Beteiligten das Stimmrecht abzuerkennen. Im amerikanischen Recht kann dies über die good faith-Voraussetzung geregelt werden1429); das deutsche Recht kennt eine entsprechende Ausnahme, etwa über § 242 BGB, für diesen Sonderfall derzeit noch nicht.
VI. Steuerlich relevante Fragestellungen 623 Der DES als komplexe Maßnahme unter Interaktion verschiedener Akteure zieht sowohl auf Gesellschaftsebene als auch auf Inferentenebene steuerliche Folgen nach sich.1430) Im Folgenden soll kurz auf die Rechtslage bzgl. der Nutzung bestehender Verlustvorträge sowie Besteuerung von Sanierungsgewinnen, die gerade durch des DES entstehen, eingegangen werden.
1.
Entfall von steuerlichen Verlustvorträgen
624 Einer der Gründe für die Übernahme eines insolventen Unternehmens durch seine Gläubiger kann darin bestehen, neben dem Geschäftsmodell die in der Zeit vor der Insolvenz angefallenen Verlustvorträge zu nutzen, um die Steuerlast zu senken.1431) Diese Verlustnutzung kann bei Körperschaften allerdings durch § 8c Abs. 1 KStG ___________ 1425) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 684 (2010). 1426) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 684 (2010). 1427) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 685 (2010). 1428) Beispiele bei Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 686 f. (2010). 1429) Vgl. 11 U.S.C. § 1126(e): “the court may designate any entity whose acceptance or rejection of such plan was not in good faith (…)“. 1430) Siehe hierzu im Einzelnen Diffring, S. 114, 132 ff. sowie Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983, 985 f. 1431) Dies als Motiv angesprochen bei H.-F. Müller, S. 303; Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1164 m. w. N. in Fn. 121; Uhlenbruck, NZI 2008, 201, 203; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 583.
294
VI. Steuerlich relevante Fragestellungen
verhindert werden.1432) Nach dieser Norm liegt ein sog. schädlicher Beteiligungserwerb vor, wenn innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 % der Anteile an einen Erwerber übergehen; dies führt nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG zu einem quotalen Untergang des Verlustabzugs in Höhe des Anteilseignerwechsels.1433) Vollzieht sich der Anteilseignerwechsel sogar in einer Höhe von mehr als 50 %, so führt dies nach S. 2 zum vollständigen Entfall des Verlustabzugs. Intention hinter dieser Norm war es, den Missbrauch von Mantelkäufen zu verhindern.1434) Dabei ist nach S. 4 ausdrücklich eine Kapitalerhöhung, die zu einer Veränderung der Beteiligungsquoten am Kapital der Körperschaft führt, der Übertragung der Anteile gleichgestellt, so dass der DES hiervon erfasst ist. Eine Gruppe von Erwerbern gilt nach S. 3 dann als ein Erwerber, wenn diese gleichgerichtete Interessen verfolgen.
a) Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG Um Sanierungen zu fördern, hat der Gesetzgeber allerdings mit Einfügung des § 8c 625 Abs. 1a KStG im Jahre 2009 eine sog. Sanierungsklausel geschaffen, die die Rechtsfolgen des § 8c Abs. 1 in bestimmten Sanierungskonstellationen verhindert.1435) Demnach findet diese Rechtsnorm keine Anwendung bei Beteiligungserwerben „zum Zwecke der Sanierung des Geschäftsbetriebs der Körperschaft“. Sanierung wird dabei nach S. 2 definiert als Maßnahme, die darauf gerichtet ist, die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu verhindern oder zu beseitigen und zugleich die wesentlichen Betriebsstrukturen zu erhalten.1436) Würden somit bei einem DES die von der Norm im Folgenden weiter dargelegten Voraussetzungen der Erhaltung der wesentlichen Betriebsstruktur eingehalten, so würde der DES im Insolvenzplanverfahren aufgrund der damit intendierten Sanierung regelmäßig unter diesen Ausnahmetatbestand fallen.
b) Aussetzung in Folge eines festgestellten Beihilfenverstoßes Allerdings hat die EU-Kommission bereits im Juli 2009 ein beihilferechtliches Un- 626 tersuchungsverfahren eingeleitet und mit Entscheidung vom 26.1.2011 die Nicht___________ 1432) Für die Erhebung der Gewerbesteuer gilt die Norm nach § 10a S. 10 GewStG entsprechend. 1433) Zimmer, ZInsO 2011, 950. 1434) Zimmer, ZInsO 2011, 950; eingehend zur Geschichte des § 8c KStG und der Vorgängernorm § 8 Abs. 4 KStG a. F. Diffring, S. 137 f. 1435) Zur Einführung durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung vom 16.7.2009, BGBl. I 2009, 1959 und das Aufheben der ursprünglichen Befristung durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22.12.2009, BGBl. 2009, 3950 siehe Blümich/Brandis, KStG § 8c Rn. 4 f. 1436) Siehe im Einzelnen Blümich/Brandis, KStG § 8c Rn. 72; nach S. 4 der Norm liegt keine Sanierung vor, wenn die Körperschaft ihren Geschäftsbetrieb im Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs im Wesentlichen eingestellt hat oder nach dem Beteiligungserwerb ein Branchenwechsel innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren erfolgt.
295
§ 9 Analyse der Neuregelungen
vereinbarkeit mit EU-Recht aufgrund eines Verstoßes gegen europäisches Beihilfenrecht festgestellt.1437) Hiergegen hatte die Bundesregierung Nichtigkeitsklage erhoben;1438) bis zur Entscheidung des EuG war die Sanierungsklausel somit suspendiert worden.1439) Aufgrund der Wirkung ex tunc waren damit bereits gewährte Beihilfen in Form von Steuervorteilen, von einigen Ausnahmen abgesehen1440), zurückzufordern.1441) Die Nichtigkeitsklage der Bundesregierung wurde vom EuG wegen formaler Mängel (Versäumnis der Klagefrist um einen Tag durch die Bundesregierung) als unzulässig zurückgewiesen, ohne dass auf materielle Fragen eingegangen wurde.1442) Anhängig verblieben damit nur die Privatklagen betroffener Unternehmen, über die das EuG noch zu entscheiden hat.1443)
627 Dies dürfte in der Praxis negative Folgen für den DES haben; so wird damit gerechnet, dass der DES im Insolvenzplan mangels Erhalt der Verlustvorträge für gewisse Bereiche unattraktiv werden dürfte.1444)
2.
Steuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen
628 Kernelement des DES ist, dass bei bestehender Insolvenz die Forderungen, die als Eigenkapital eingebracht werden, regelmäßig nur in Teilen werthaltig sind, dennoch aber in voller Höhe entfallen. Dies führt rein technisch dazu, dass bei der Gesellschaft ein steuerpflichtiger Sanierungsgewinn entsteht.1445)
629 Mit dem sog. Sanierungserlass1446) wurden allerdings Vorgaben geschaffen, nach denen unter bestimmten Voraussetzungen die Stundung bzw. sogar der Erlass von ___________ 1437) EU-Kommission vom 26.1.2011, C 7/2010, K (2011) 275 endg.; hierzu eingehend Drüen, DStR 2011, 289; umfassende Analyse mit Alternativvorschlägen bei Diffring, S. 170 ff., 175 ff. Zur Vereinbarkeit des § 8c KStG mit Art. 3 GG siehe die Vorlage zum BVerfG durch das FG Hamburg, DStR 2011, 1172. 1438) Siehe nur Blümich/Brandis, KStG § 8c Rn. 5 a. E. 1439) BMF-Schreiben v. 30.4.2010 – IV C 2 – S 2745-a/08/10005/002; abgedr. in DStR 2010, 928, nach dem die Klausel bereits mit Einleitung des förmlichen Prüfungsverfahrens durch die EUKommission ausgesetzt worden war; siehe m. w. N. Blümich/Brandis, KStG § 34 Rn. 56 ff. 1440) Siehe Pressemitteilung des BMF 4/2011 vom 9.3.2011. 1441) Zimmer, ZInsO 2011, 950, 951; Scheunemann, BB Heft 23/2011, Seite I. 1442) EuG, Beschluss vom 18.12.2012 – T-205/11 (Bundesrepublik Deutschland/Europäische Kommission), abgedruckt in IStR 2013, 101. 1443) Nähere Details in der Anmerkung von Kippenberg, IStR 2013, 106. 1444) Mit näheren Details Zimmer, ZInsO 2011, 950, 953, der zum Ergebnis kommt, dass durch die Kommissionsentscheidung der Anwendungsbereich verkleinert wurde. Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 377 weisen aber darauf hin, dass das Problem des Entfalls des Verlustvortrags nach § 8c Abs. 1 KStG dadurch relativiert wird, dass nach dem Sanierungserlass (siehe sogleich unter 2.) eine Stundung bzw. ein Erlass erst vorgesehen ist, nachdem eine Verrechnung insbesondere des Verlustvortrags mit dem Sanierungsgewinn erfolgt ist. 1445) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 468; zur Historie der Besteuerung des Sanierungsgewinns und der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a. F. siehe Diffring, S. 185 f. 1446) BMF-Schreiben vom 27.3.2003, IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240.
296
VI. Steuerlich relevante Fragestellungen
Sanierungsgewinnen aus sachlichen Billigkeitsgründen sowie die unbeschränkte Verlustverrechnungsmöglichkeit mit vorhandenen Verlustvorträgen erklärt werden kann. Diese Vorgaben gelten für außergerichtliche Sanierungen ebenso wie für solche in der Insolvenz.1447) Dabei wird der Sanierungserlass ausdrücklich damit begründet, dass die Besteuerung von Sanierungsgewinnen mit den Zielen der InsO im Zielkonflikt steht.1448) Der Sanierungsgewinn wird demnach definiert als Erhöhung des Betriebsvermö- 630 gens, die dadurch entsteht, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden.1449) Ein solcher Sanierungsgewinn ist aber nur begünstigt, wenn Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Unternehmens sowie die Sanierungseignung des Schuldenerlasses sowie die Sanierungsabsicht der Gläubiger vorliegen; bei Vorliegen eines Sanierungsplans kann davon ausgegangen werden, dass dies erfüllt ist.1450) Rechtsfolge des Vorliegens der Voraussetzungen ist zunächst, dass eine Verrechnung des Sanierungsgewinns mit allen Verlusten und Verlustvorträgen erfolgen kann.1451) Darüber hinaus kann auf Antrag des Steuerpflichtigen die Steuer nach § 163 AO abweichend festgesetzt und nach § 222 AO mit dem Ziel des späteren Erlasses (§ 227 AO) gestundet werden.1452) Der Sanierungserlass ist dabei nicht unumstritten; so wurde er teils mangels ge- 631 setzlicher Grundlage als rechtswidrig bezeichnet.1453) Nochmals erheblicher sind aber die Bedenken bzgl. der Beihilfenrechtswidrigkeit1454), die auch gerade deswegen nicht abwegig sind, weil sich die Rechtslage ähnlich wie bei der Sanierungsklausel (oben unter 1.) darstellt.1455) Am problematischsten dürfte sich aber die Rechtsunsicherheit darstellen, die mit der überhaupt erst notwendigen Steuerstundung und Steuererlass einhergeht. Denn der Steuererlass wird zumeist erst mit der Jahresveranlagung ausgesprochen werden, die je nach Einzelfall erst einige Zeit nach Insolvenzplanbestätigung stattfinden wird; während der Stundung müsste die Steuerlast
___________ 1447) 1448) 1449) 1450)
BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (Fn. 1446), Rn. 1. BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (Fn. 1446), Rn. 7. BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (Fn. 1446), Rn. 3. BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (Fn. 1446), Rn. 4; zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen siehe Geist, BB 2008, 2658, 2661 ff. sowie Diffring, S. 188 ff. 1451) Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983, 985. 1452) BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (Fn. 1446), Rn. 8. 1453) So das FG München, DStR 2008, 1687; anders aber BFH, ZIP 2010, 1807; siehe hierzu Diffring, S. 187. 1454) Siehe hierzu nur Wehner, NZI 2012, 537 sowie Diffring, S. 195 ff., jeweils m. w. N., die den Sanierungserlass beide i. E. als rechtswidrige Beihilfe einordnen. 1455) Entsprechend fürchtet Spliedt, GmbHR 2012, 462, 469, für den Fall der Bestätigung der Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG als rechtswidrige Beihilfe durch den EuG bzw. letztinstanzlich den EuGH Konsequenzen auch für den Sanierungserlass.
297
§ 9 Analyse der Neuregelungen
passiviert werden.1456) Gerade in der Insolvenzsituation stehen die Beteiligten unter Zeitdruck. Zumeist wird es nötig sein, eine verbindliche Auskunft des zuständigen Finanzamts nach § 89 Abs. 2 AO einzuholen.1457) Hinzu kommt das bei Sanierungen in der Insolvenz generell bekannte Problem bei Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten, dass für Stundung und Erlass der Gewerbesteuer auch weiterhin die jeweilige Gemeinde zuständig ist.1458)
632 Im Ergebnis verbleiben damit nach derzeitiger Rechtslage nicht unerhebliche steuerliche Risiken des DES. Diesbezüglich wurde auch kritisiert, dass sich das ESUG diesen dringlichen steuerlichen Fragen nicht angenommen hat.1459)
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle) 633 Um die bei Durchführung eines DES auftretenden Probleme zu eliminieren, wurden alternative Modelle der Anteilszuteilung vorgeschlagen. Die Idee solcher „Optionsmodelle“ hatte ihren Ursprung in den in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts zunehmend beklagten Ineffizienzen der Chapter 11-Reorganisation. Die dort notwendigen Verhandlungen führten vielmals zu Zuweisung von Werten an ehemalige Anteilseigner, obwohl diesen nach der Verteilungsregel der absolute priority rule in einer Liquidation (unter Verkauf der Einzelteile oder des ganzen Unternehmens) keine Zahlungen zugestanden hätten.1460) Eine Konsequenz aus diesem Missstand war zum einen die insbesondere von Baird und Jackson vorgeschlagene Eliminierung des Reorganisationsverfahrens zugunsten eines Liquidationsverfahrens.1461) Vor dem Hintergrund der damit aber verbundenen Probleme (fehlender Käufermarkt, Unterbewertung durch den Markt, Vorhandensein rechtträgergebundener Berechtigungen)1462) plädierten zum anderen viele Autoren für eine Optimierung des Reorganisationsverfahrens unter Berücksichtigung von Erkenntnissen der ökonomischen Analyse des Rechts. Eines der Produkte dieser Diskus___________ 1456) Was wiederum aufgrund andauernder bilanzieller Überschuldung eine Aufhebung des Insolvenzverfahrens verhindern könnte, siehe Spliedt, GmbHR 2012, 462, 469. Um dies zu verhindern, bedürfte es eines gesonderten insolvenzrechtlichen Überschuldungsstatus unter Berücksichtigung der Erlassaussicht, der aber wiederum die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO voraussetzt, die einige Zeit in Anspruch nehmen kann, siehe Spliedt a. a. O. 1457) Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 288; Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 560 Fn. 18. 1458) Siehe BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (Fn. 1446), Rn. 15; dies kritisch sehend Diffring, S. 195. Zu den aber in jüngerer Zeit zunehmend ergangenen Entscheidungen der Finanzgerichte, über den Gewerbesteuererlass im Kontext des Gewerbesteuermessbetrags (den nach § 184 Abs. 2 AO das auch für den Ertragssteuererlass zuständige Finanzamt festsetzt) zu entscheiden, siehe Spliedt, GmbHR 2012, 462, 469. 1459) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 515 und Heinrich, NZI 2012, 235, 242. 1460) Siehe oben I. 2. 1461) Wie es die deutsche InsO mit der übertragenden Sanierung dann auch in der Praxis faktisch vollzogen hatte; siehe hierzu § 2. VII. 1. a). 1462) Siehe oben § 2. IV.
298
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
sion waren die im Folgenden vorzustellenden Optionsmodelle, die letztlich einen DES im Insolvenzplanverfahren darstellen, bei dem die zukünftigen Anteilseigner aber erst durch Zuhilfenahme von Marktmechanismen ermittelt werden. Da hiermit zugleich implizit eine Unternehmensbewertung auf Basis eines Marktmechanismus stattfinden sollte, ist ein Verständnis dieser Modelle auch hilfreich für die im folgenden Abschnitt § 10 relevante Problematik der Unternehmensbewertung in der Insolvenz.
1.
Grundidee
Die Idee der Optionsmodelle haben zunächst alle denselben Ursprung: Sie setzen 634 an bei der in der Praxis der Reorganisation nach Chapter 11 vielfach verwirklichten Idee, dass das Unternehmen bei Insolvenz zunächst in die Hände seiner Gläubiger gelegt wird, wenn es fortführungswürdig ist.1463) Hierbei werden die Verbindlichkeiten getilgt und stattdessen neue Anteilsscheine ausgegeben. Dabei stellt sich aber das Problem, wie diese neuen Anteilsscheine unter den Gläubigern zu verteilen sind.1464) Richtigerweise hat sich die Verteilung dabei streng nach der absolute priority rule zu richten: erst wenn höherrangige Gläubiger (senior creditors) befriedigt sind, kann mit der Verteilung an niederrangige Gläubiger (junior creditors) begonnen werden. Am Ende der Kette stehen die Alt-Anteilseigner (equity oder interest holders). Ob eine Gläubigergruppe komplett befriedigt wird und ob und wie viel für die nie- 635 derrangigen Gläubiger übrig bleibt, hängt maßgeblich ab von dem zu ermittelnden Unternehmenswert. Vielfach haben die Beteiligten unterschiedliche Vorstellungen vom Unternehmenswert, die auch durch die nach der Gesetzeskonzeption des Chapter 11 ausdrücklich erwünschten Verhandlungen1465) (sog. bargaining) nicht in Einklang gebracht werden können. Diese Verhandlungen sind schon deshalb schwierig, weil zwischen den verschiedenen Gläubigergruppen Einigkeit erzielt werden muss darüber, wer was zugeteilt bekommt. Hinzu kommt aber, dass auch ___________ 1463) Das ursprünglich von Ökonomen ersonnene Optionsmodell ist dabei simpel: fällt der Unternehmenswert unter die Höhe des Fremdkapitals, so übernehmen die Gläubiger die Firma. Steigt der Unternehmenswert wieder über die Höhe des Optionspreises, so kaufen die Anteilseigner die Firma zurück von den Gläubigern, indem sie die Schulden tilgen. Das Problem ist, dass dieses Verhalten in den Besonderheiten einer 2 oder 3 Jahre andauernden Insolvenz nicht stattfinden kann, siehe Roe, in Bhandari/Weiss (Hrsg.), Corporate Bankruptcy, S. 354 (gekürzte Version des ansonsten inhaltsgleichen Beitrags aus 83 Colum. L. Rev. 527 (1983). 1464) Bebchuk selbst ging von einer reinen Eigenkapitalstruktur der rekapitalisierten Gesellschaft aus, dies allerdings aus Vereinfachungsgründen. Es ist aber gut denkbar, dass nicht immer nur Anteilsscheine, sondern auch neubegründete Darlehensansprüche verteilt werden, wenn die Kapitalstruktur des reorganisierten Unternehmens nämlich auch einen gewissen Anteil an Fremdkapital enthält, was aus verschiedenen Gründen vorzugswürdig sein kann (siehe hierzu Drukarczyk/Schöntag, S. 8 sowie die obigen Ausführungen zur optimalen Kapitalstruktur oben § 5. V.). 1465) Roe, in Bhandari/Weiss (Hrsg.), Corporate Bankruptcy, S. 352.
299
§ 9 Analyse der Neuregelungen
entschieden werden muss, was generell mit der Firma geschieht, also ob sie liquidiert und verkauft oder reorganisiert werden soll. Hierüber kann Uneinheit bestehen, da es für gesicherte Gläubiger besser sein kann, die Firmenwerte zu Geld zu machen und somit sofortige Befriedigung zu erlangen, während es für ungesicherte Gläubiger interessanter ist, eine Sanierung der Firma zu versuchen, da sie damit nur vom upside potential profitieren könnten, während sie nicht das downside-Risiko tragen müssen.1466)
636 Folglich wird in solchen Fällen dann ein Richterspruch nötig, der allerdings das Verfahren verzögert.1467) Zudem ist die Bewertung notorisch schwierig.1468) Sind sich die Beteiligten somit in einem ersten Schritt einig, dass die Reorganisation vorzugswürdig ist, so stellt sich als nächstes Problem, dass unterschiedliche Wertvorstellungen der Beteiligten bestehen. Diese können zum einen auf tatsächlich unterschiedlicher individueller Bewertung beruhen. Vielfach haben sie aber auch taktische Gründe. Selbst wenn alle Beteiligten (insgeheim) vom selben Unternehmenswert ausgehen sollten, so würden sie doch versuchen, diesen als niedriger oder höher darzustellen.1469) So würden die gesicherten Gläubiger1470) das Unternehmen regelmäßig niedrig bewerten, so dass ihnen ein großer Anteil am zukünftigen Grund-/ Stammkapital der reorganisierten Gesellschaft zukommt. Umgekehrt haben die ungesicherten Gläubiger ein Interesse an einem möglichst hohen Unternehmenswert, so dass sie mit einem möglichst großen Anteil beteiligt werden.1471) Die AltAnteilseigner haben zumeist keine Befriedigung zu erwarten, weshalb es sich für sie lohnt, das Verfahren zu verzögern und so ggf. im Verhandlungswege im Gegenzug für die Aufgabe ihrer temporären Blockadeposition eine Zuwendung zu erhalten.1472)
637 Den im Folgenden darzustellenden Modellen ist dabei gleich, dass sie der Aussage entgegentreten, dass eine Bewertung durch den Markt zu keinen zufriedenstellenden ___________ 1466) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 529 (1992) und oben § 2. I. 3. b). 1467) Roe, in Bhandari/Weiss (Hrsg.), Corporate Bankruptcy, S. 352. 1468) Dabei hatte sich gezeigt, dass die Richter eine Bewertung durch den Markt zumeist ablehnten, da dieser nach deren Meinung aufgrund der aus der Insolvenz folgenden Unsicherheiten den Wert regelmäßig zu niedrig ansetze, Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 789 (1988); Roe, in Bhandari/Weiss (Hrsg.), Corporate Bankruptcy, S. 352, 355 benennt als Gründe: Stigma, Informationshindernisse, Unsicherheit und institutionelle Überlegungen verzerren die Erwartung des Marktes bzgl. des Werts über längere Zeit (a. a. O. S. 352). 1469) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 793 f. (1988). 1470) Zur Klassifizierung: mit gesicherten Gläubigern sind absonderungsberechtigte Gläubiger gemeint, sofern durch den Insolvenzplan in deren Rechte eingegriffen werden kann nach § 223 Abs. 2 InsO, siehe Achsnick, S. 77. Ungesicherte Gläubiger sind im Sinne der deutschen Terminologie die Insolvenzgläubiger, die nicht nachrangig sind i. S. d. § 39 Abs. 1 InsO. 1471) Roe, in Bhandari/Weiss (Hrsg.), Corporate Bankruptcy, S. 354 f. 1472) Siehe oben I. 2.
300
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
Ergebnissen führen könne.1473) Sie sehen zwar, dass diese nicht ohne Hürden ist, weil Fehlanreize auftreten können, die die Bewertung verfälschen. Jedoch wollen sie mit ihren Modellen gerade erreichen, dass diese Fehlanreize so weit wie möglich zurückgedrängt werden.1474)
a) Roe Roe unternahm als Erster den Versuch, ein Modell zu ersinnen, das die Bewertung 638 des Unternehmens durch den Richter verhindern könnte und stattdessen auf einer Bewertung durch den Markt aufbauen sollte. Dabei schlug er vor, einen Anteil von 10 Prozent der Anteilsscheine am Markt zu verkaufen und aus dem hierfür von Marktteilnehmern erlösten Ertrag den Gesamtwert des Unternehmens hochzurechnen.1475) Das Problem bei einem Verkauf von nur 10 % der Anteile ist aber, dass dieser in 639 vielfältiger Weise manipuliert werden kann.1476) Zudem kann ein Anteil von nur 10 % auch für einen einzelnen Investor unattraktiv sein, da er keinen hinreichenden Kontrollanteil darstellt.1477) Gegen Roes Modell wird auch vorgebracht, dass die Marktbewertung erst erfolge, nachdem die Gläubiger vorher schon die Ent___________ 1473) Zwar würde eine Nutzung des Marktmechanismus auch beim Verkauf (im Rahmen z. B. einer übertragenden Sanierung) stattfinden; dies kann dann aber daran scheitern, dass für große Firmen ganz einfach keine Käufer am Markt sein werden, Roe, 83 Colum. L. Rev. 527, 573 (1983). Daher die folgenden Modelle. 1474) Ein weiteres Modell stellt das sog. Auktions-Modell von Bradley/Rosenzweig, 101 Yale L. J. 1043 (1992) dar, das ebenfalls vorsieht, das Unternehmen in die Hände der Gläubiger als neue Eigentümer zu legen. Dies soll allerdings als eine Art “automatischer Rekapitalisierungsmechanismus“ erfolgen und schon weit vor der Insolvenz durch kautelarische Ausgestaltung greifen: dabei werden die zur Unternehmensfinanzierung dienenden Kredite bereits als eine Art “bedingte Anteilspapiere“ ausgegeben, die sich im Fall der Insolvenz automatisch in Eigenkapital wandeln. Die Verteilung erfolgt ebenfalls anhand der vorinsolvenzlich begründeten Rechte, nur mit dem Unterschied, dass die Anteile zunächst an die rangniedrigste Gruppe gehen, die diese allerdings an die nächsthöhere verliert, wenn sie nicht bereit ist, die ranghöhere Gruppe zu befriedigen (Kurzbeschreibung des Modells bei Achsnick, S. 63 f.). Es hat somit dasselbe Ziel, nämlich Befriedigung nach der absolute priority rule und Zuweisung von Anteilsscheinen an diejenige Gläubigergruppe, die in dem Unternehmen einen Mehrwert verkörpert sieht und dies durch ihre Bereitschaft der Befriedigung der vorrangigen Gläubiger auch umsetzt. Allerdings ist eines der Ziele dieses Modells gerade, das Insolvenzverfahren durch die Automatik der Rekapitalisierung bei Erreichen einer gewissen Intensität der Krise zu vermeiden. Da es somit nicht im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens Anwendung finden soll, wird es hier nicht weiter behandelt, so auch Achsnick a. a. O. S. 64. 1475) Roe, in Bhandari/Weiss (Hrsg.), Corporate Bankruptcy, S. 352. Naturgemäß ließ sich dies nicht auf jedes beliebige Unternehmen anwenden, sondern er hielt das Modell maßgeblich dann für geeignet, wenn es sich um ein größeres Unternehmen handelt, dessen Anteilsscheine gehandelt werden können, a. a. O., S. 358; für die small enterprises, die letztlich einen Großteil der Chapter 11-Reorganisationen darstellen, sei dies keine Option, da hier unbestreitbar kein effektiver Markt vorhanden sei. 1476) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 790 (1988). 1477) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 99.
301
§ 9 Analyse der Neuregelungen
scheidung über Liquidation oder Reorganisation getroffen haben müssen.1478) Dies würde aber implizieren, dass die Gläubiger vorab in der Lage seien, den Unternehmenswert nach Reorganisation zu antizipieren. Eine solche vorausschauende Unternehmensbewertung sei jedoch realitätsfern, da sie ja gerade das entscheidende Problem hinsichtlich der Frage über Vorzugswürdigkeit einer Fortführung sei.1479) Gerade die Bewertung soll ja durch den 10 %-Verkauf erst ermöglicht werden.
b) Bebchuk 640 Das Modell von Bebchuk arbeitete mit einer Kombination aus Anteils- und Optionsrechten, die den jeweiligen Beteiligten zugeteilt werden und die sie ausüben können. Tun sie dies, so sichern sie sich Anteile am zukünftigen Unternehmen und ermöglichen damit zugleich eine Befriedigung vorhergehender Gläubigerklassen.
aa) Durchführung 641 Die Ermittlung der künftigen Verteilung würde wie folgt erfolgen: Die Anteile gehen zunächst an die höchstrangige Gläubigergruppe. Jede weitere, im Rang niedrige Gläubigergruppe, mit den Alt-Anteilseignern am Ende der Hierarchie, erhält Optionen, deren Ausübungspreis dem nominalen Wert der Ansprüche sämtlicher vorhergehender Gläubigergruppen pro Eigenkapitaltitel entspricht.1480) Wer die Option ausübt, befriedigt mit dem gezahlten Preis die vorhergehenden Gläubiger und erhält dafür die Anteile am Unternehmen. Dies soll anhand eines für die hiesige Darstellung vereinfachten Beispiels illustriert werden:1481) Die zukünftige Kapitalstruktur wird im Vorhinein festgelegt und in Bebchuks Beispiel in 100 Einheiten unterteilt.1482) Es gibt drei1483) Klassen von Beteiligten, entsprechend der Verteilung nach der absolute priority rule: class A mit den senior creditors, class B mit den junior creditors und class C mit den equity holders. Im Beispiel von Bebchuk halten sowohl die class-A als auch die class-B-Gläubiger jeweils $ 100 an Forderungen gegen die Gesellschaft.
___________ 1478) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 99 Fn. 115, der diesbezüglich aber darauf hinweist, dass Roes Position hier nicht ganz klar ist. 1479) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 100; Huelsdunk, KTS 1999, 291, 305. 1480) Drukarczyk/Schöntag, S. 7. 1481) Nach Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 781 f. (1988). 1482) Diese Einheiten müssen nicht zwingend gleich sein mit einem Anteilsschein, sondern können für jede beliebige Anzahl durch Anordnung von Titeln bestehen; in Bebchuks Beispiel also z. B. auch aus einer normalen Aktie und eine Vorzugsaktie, siehe Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 781 f. (1988). 1483) Es können auch mehr Klassen gebildet werden, deren Hierarchie sich nach der vorinsolvenzrechtlichen Rangfolge richtet. Für das Beispiel sollen hier aber nur die drei Klassen genügen.
302
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
Würde der Unternehmenswert $ 100 betragen, so würden alle Einheiten an die 642 class-A-Gläubiger verteilt, class B und C gingen leer aus.1484) Beträgt er $ 200, so würden die Einheiten jeweils hälftig an class A und B verteilt, class C erhielte nichts. Liegt er über $ 200, so müsste der über $ 200 herausgehende Wert an class C gehen, also an die vorherigen Anteilseigner (wiederum in Form von Einheiten). Das Problem ist aber gerade, dass ein objektiver Wert des Unternehmens nicht be- 643 kannt ist. Dies ist aber insofern unschädlich, als dass es bei dem Modell einzig darauf ankommt, wie die Gläubiger als Marktteilnehmer den Wert jeweils für sich einschätzen. Um die zukünftige Verteilung zu ermitteln, werden zunächst sämtliche Einheiten den class A-Gläubigern zugewendet. Liegt der Unternehmenswert unter dem Wert der class-A-Ansprüche, so erhalten diese demnach den gesamten Wert der Firma, jeweils pro rata nach ihrem Anteil. Sie erhalten aber keine Befriedigung in Form von Barzahlungen. Parallel dazu erhalten die niederrangigen Gruppen Optionsrechte, die type-B-rights und type-C-rights genannt werden. Das type-B-right besteht dabei darin, dass der junior creditor gegen Zahlung von $ 1 eine Einheit an dem reorganisierten Unternehmen erwerben kann. Dieser $ 1 wird dazu genutzt, die vorrangigen senior creditors zu befriedigen. Der type-B-Gläubiger wird dies tun, wenn er den Wert des Unternehmens als über $ 100 liegend einschätzt, da er dann den über $ 100 hinausgehenden Mehrwert anteilig für sich erhält. Entsprechend kann der type-C-Gläubiger eine Einheit erwerben, indem er seine Option nutzt, diese für $ 2 zu erwerben. Diese $ 2 würden entsprechend genutzt, die beiden vorrangigen Gläubigerklassen mit je $ 1 zu befriedigen. Dies wird der type-C-Gläubiger dann tun, wenn er von einem Unternehmenswert von über $ 200 ausgeht, da er dann den entsprechenden Mehrwert für sich sichern kann. Entscheidend ist dabei, dass ein gewisser Zeitraum1485) gelassen wird, innerhalb 644 dessen die Rechte frei gehandelt werden können, da nicht alle Optionsberechtigten Interesse daran haben werden, Anteilseigner zu werden: viele werden nur ein Interesse daran haben, ihre Option zu verkaufen, um somit sofortige Bar-Befriedigung zu erhalten. Am Stichtag dann werden die gezogenen Optionen gesichtet, die hierdurch eingenommene Summe addiert und die Verteilung vorgenommen. Ist mehr als $ 100 zusammengekommen, so werden diese verwendet, um die class-AGläubiger zu befriedigen.1486) Ist mehr als $ 200 zusammengekommen, werden folglich die class-A und die class-B-Gläubiger je zu 100 % befriedigt und alle Ein-
___________ 1484) Ist er niedriger als $ 100, so erhalten class-A-Gläubiger einen entsprechenden pro-rata-Anteil. 1485) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 785 (1988) schlug hierfür 5 Tage vor. 1486) Optionsausübende Class-B- und Class-C-Gläubiger erhalten dann die Einheiten an dem reorganisierten Unternehmen.
303
§ 9 Analyse der Neuregelungen
heiten gehen an die class-C-Gläubiger, die ihre Option ausgeübt haben.1487) Man könnte mit anderen Worten zusammenfassen: die Alt-Anteilseigner können die Firma wieder übernehmen, allerdings erst, wenn sie diese entschuldet haben.1488)
645 Am Ende gehören die Einheiten, je nachdem wie die Ausübung im konkreten Fall erfolgt ist, den optionsausübenden type-C-Gläubigern, den optionsausübenden typeB-Gläubigern, deren Rechte nicht ausgezahlt wurden und den type-A-Gläubigern, deren Rechte nicht ausgezahlt wurden.1489) Schwieriger ist die Verteilung, wenn die Optionen nur teilweise ausgeübt werden. In diesem Fall werden die vorrangigen Gläubiger teils bar befriedigt, teils erhalten sie Anteile.1490) Eine Folge dieses Modells ist damit zugleich, dass bei fehlendem Interesse der übrigen Beteiligten einige Gläubiger (oftmals die gesicherten Gläubiger der type-A-Gruppe) gezwungen werden, an dem Unternehmen Anteile zu halten.1491)
bb) Vorteile 646 Bebchuk preist an diesem Modell, dass es den vorrangigen Beteiligten nicht weniger garantiert, als ihnen zusteht, ihnen zugleich aber auch nicht den Mehrwert zuwen___________ 1487) Dieses einfache Beispiel verkompliziert sich, wenn nur ein Teil der type-B oder der type-CGläubiger ihre Rechte ausgeübt haben. Solche Situationen sollten nach Bebchuk aber selten sein, da durch den öffentlichen Handel die optimistischen type-B-Gläubiger die nicht ausgeübten Optionen der pessimistischen type-B-Gläubiger aufkaufen, die jene auch gern für Barzahlung weitergeben werden, siehe Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 787 Fn. 33. (1988) (natürlich unter dem Vorbehalt ausreichender Finanzressourcen der aufkaufenden Gläubiger). 1488) Achsnick, S. 79. 1489) “The 100 RC-units will be given to those submitting type-C-rights, those submitting type-Brights that are not going to be redeemed, and those holding type-A-rights that are not going to be redeemed.“, Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 788. (1988). 1490) Siehe hierzu die Rechenbeispiele bei Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 787 ff (1988) für den Fall, dass type-B-Rechte nur teilweise und type-C-Rechte gar nicht ausgeübt werden oder dass alle type-B, aber nur Teile der type-C-Rechte ausgeübt werden. Eidenmüller, Unternehmenssanierung bringt auf S. 105 ein nochmals komplexeres eigenes Rechenbeispiel für den Fall, dass die Hälfte der type-B- und die Hälfte der type-C-Rechte ausgeübt werden. Dieses Beispiel dürfte aber auf einem funktionierenden Markt an sich nicht vorkommen, da es für den Inhaber eines type-C-Rechts keinen Sinn macht, $ 2 für die Ausübung zu zahlen. Eher würde er das type-B-Recht am Markt zu einem niedrigen Preis (der unter § 1 liegen würde) erwerben, um für seine Ausübung dann (nur) $ 1 zu zahlen (so ausdrücklich Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 788 Fn. 34 (1988). Dennoch ist ein solches Szenario natürlich dann denkbar, wenn sich die type-B-Gläubiger nämlich passiv verhalten und ihre Optionen somit am Markt nicht erhältlich sind. Eine weitere Verfeinerung dieses Modells schlagen Hart/La Porta Drago/Lopez-de-Silanes/Moore vor, bei dem den Gläubiger verpflichtet werden, das Geld, das ihnen durch die Optionsausübung niederrangiger Gläubiger zufließt, dazu zu verwenden, ihrerseits ihre Optionen auszuüben, so dass auf jeden Fall zunächst die höherrangigen Gläubiger in bar befriedigt werden; siehe hierzu näher Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 110 Fn. 135. 1491) „That method was to force at least some creditors to remain invested in the bankrupt firm“, so LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 10 (2008).
304
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
det, der eigentlich den niederrangigen Gläubigern zustehen würde.1492) Sein Modell versuche gar nicht erst, den Marktwert zu ermitteln und setze auch noch nicht einmal eine ungefähre Ahnung des Werts der Anteile voraus. Dies schade nicht, denn jeder Gläubiger könnte sich auch passiv verhalten und würde trotzdem als Untergrenze das erhalten, was ihm zusteht.1493) Zugleich sei aber eine Manipulation des Marktpreises nicht möglich, da jeder Optionsinhaber seine Behauptung des Unternehmenswerts durch eine entsprechende Zahlungsbereitschaft darlegen müsse.1494) An diesem Modell wurde auch gepriesen, dass sämtliche Vergleichsrechnungen aus den Äquivalenzszenarien unterbleiben können und somit ein schlanker Reorganisationsplan möglich würde, der helfe, die direkten und indirekten Insolvenzkosten begrenzen.1495) Als Problem könnte allerdings angesehen werden, dass Bebchuks Modell die eigent- 647 lich anfangs zu stellende Frage nicht beantworten kann, welches die effizienteste Verwertungsform für das insolvente Unternehmen ist, ob also überhaupt eine Reorganisation vorzugswürdig ist oder das Unternehmen nicht liquidiert werden sollte. Indem es lediglich die Kapitalstruktur neu ordnet, präjudiziert es die Frage andererseits aber auch nicht.1496) Daher können die neuen Eigentümer diese Frage nach der Neuordnung entscheiden. Da ihre Interessen diesmal (anders als ggf. während des bargaining im Chapter 11) aufgrund ihrer nunmehrigen Eigentümerstellung gleichgerichtet sind, werden sie diese Entscheidung danach treffen, welches Vorgehen eine Wertmaximierung bedeutet. Dabei könnten sie sogar auf die Erkenntnisse aus den gezahlten Preisen für die Optionen zurückgreifen.1497)
c)
Aghion, Hart und Moore
Aghion, Hart und Moore1498) bauten auf dem Modell von Bebchuk auf, wollten dies 648 aber nochmals verfeinern. ___________ 1492) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 789 (1988). Zudem funktioniere das Modell, anders als das von Roe, auch bei Firmen, deren Anteile nicht öffentlich gehandelt werden; in der Realität kann dies aber anders aussehen, da die Anteile an GmbHs wenig fungibel sind, siehe unten Fn. 1528. 1493) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 790 (1988). Daher können sich die Beteiligten auch nicht beschweren, wenn der Markt ihrer Meinung nach das Unternehmen zu niedrig bewertet (und sie deswegen anfangs ihre Rechte nicht zum Marktpreis verkaufen können). Denn wenn sie von der Unterbewertung überzeugt sind, können sie sich ja die Einheiten sichern (je nach Rang durch Halten der Rechte und/oder durch Ausüben der Option), um dann, wenn der Markt den wahren Wert erkennt, hiervon zu profitieren. 1494) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 106. 1495) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 108 f. 1496) So Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 108. 1497) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 108. 1498) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 524 und 533 f. (1992).
305
§ 9 Analyse der Neuregelungen
aa) Angebotssondierung durch dritte Person 649 Dazu gehört, dass zunächst eine Person (z. B. Richter oder Verwalter) damit beauftragt wird, eingehende Angebote für das Unternehmen einzuholen und zu sichten.1499) Diese Angebote können von verschiedenen Gruppen abgegeben werden (z. B. bisheriges Management, bisherige Anteilseigner oder auch Externe) und sollen detaillierte Planungen enthalten für die Kapitalstruktur des neu aufzustellenden Unternehmens, die Zusammensetzung des Managements und generell die Unternehmensplanung. Ein solches Angebot kann als Barangebot für die Firma ergehen (sog. cash bids) und demensprechend mit einem Eigentümerwechsel verbunden sein. Es kann aber auch ein sog. noncash bid sein, also eine Struktur vorsehen, die einer Reorganisation oder eine Rekapitalisierung entspricht und den bisherigen Gläubigern oder auch Anteilseignern wieder Anteile zuweist.1500)
bb) Ermittlung der zwischenzeitlichen Anteilseigner nach Bebchuk-Modell 650 Welches der Modelle umgesetzt werden soll, entscheidet ein Kreis neuer „zwischenzeitlicher“ Anteilseigner. Wie sich dieser Kreis neuer Anteilseigner aber überhaupt zusammensetzt, soll unter Rückgriff auf Bebchuks Modell ermittelt werden. Damit sich die Beteiligten eine Meinung über den Wert der Optionen bilden können, soll dies geschehen, nachdem die abgegebenen Angebote vom Richter offengelegt wurden.1501) Der neue Anteilseignerkreis wird sich also maßgeblich zusammensetzen aus bisherigen Gläubigern oder aus bisherigen Anteilseignern, je nachdem, wie die Optionen von den Beteiligten gehalten, verkauft oder ausgeübt wurden.1502) ___________ 1499) Dies solle während einer Zeitdauer von ca. 3 Monaten geschehen. Außerdem muss er in dieser Zeit, wie in jeder Insolvenz auch nach dem bisherigen System, die bestehenden Gläubigerforderungen sichten und deren Status und Rang klären (z. B. Kredit-, Steuer-, Deliktsverbindlichkeiten, Pensionsverpflichtungen, etc.), Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 534 (1992). Dass solche Streitigkeiten das von den Autoren vorgeschlagene Modell deutlich erschweren können, erkennen sie auch, wollen dies aber dadurch abfedern, dass – bei angenommenen 10 % streitbefangenen Forderungen – eben die geklärten 90 % abstimmen können und die durch Vollzug des von ihnen präferierten Modells erlangten Gelder auf einem Treuhandkonto gehalten werden, um sie nach Streitentscheid zu verteilen. Auch könnten nach Streitentscheid frische Anteile an die siegreichen Kläger ausgegeben werden, was allerdings das Problem mit sich bringt, dass dann der Anteil der 90 % ehemals unbestrittenen Forderungen (jetzt: Eigenkapital) verwässert würden. I. E. würde dies aber den Prozess nicht aufhalten, a. a. O. S. 541. Im deutschen Recht aber könnte dies enorme Probleme der Kapitalaufbringung mit sich bringen, es sei denn, es wird als eine Art genehmigtes Kapital o. ä. behandelt. 1500) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 533 (1992). 1501) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 535 (1992). Durch die Offenlegung wird den Optionsberechtigten zugleich ein Anhaltspunkt dafür gegeben, wie andere Beteiligte das Unternehmen bewerten, woraus dann Rückschlüsse auf den Wert einer Option gezogen werden können. 1502) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 534 f. (1992).
306
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
cc) Vorteil der größtmöglichen Flexibilität Den Vorteil dieses Modell sehen die Autoren darin, dass es die Vorteile von Bebchuks 651 Modell hinsichtlich der Anteils- und Wertverteilung verknüpft mit einer größtmöglichen Flexibilität der Verwertung und einer vorzugswürdigen Balance zwischen Liquidation und Reorganisation.1503) Sie beschreiben es als dezentralisierte Version der Chapter 7-Liquidation, indem es den Verkauf des Unternehmens oder auch nur seiner Einzelteile ermöglicht. Zugleich kann es aber auch als eine dezentralisierte Version der Chapter 11-Reorganisation gesehen werden, in der die beklagten Interessenkonflikte zwischen den Gläubigergruppen ebenso wie eine Bevorteilung des bisherigen Managements verhindert werden, indem zunächst eine Homogenisierung der Eigentümerschaft vorgenommen wird.1504) Hiermit könnten die zwei maßgeblichen Ziele ausbalanciert werden: zum einen die ex-post-Wertmaximierung des Unternehmens und die angemessene Verteilung dieses Werts unter den Gläubigern, zum anderen die Aufrechterhaltung der disziplinierenden und ggf. (durch Insolvenz) bestrafenden Wirkung von Fremdkapital für das Management.1505) Durch die mögliche Auswahl zwischen den jeweils verschieden strukturierten Angeboten entfällt die im Chapter 11 bekannte und beklagte Verhandlungs- oder Entscheidungsmacht einzelner Beteiligter wie bisherigem Management, Repräsentanten der einzelnen Gruppen oder auch des Richters.1506) Denn das Angebot des bisherigen Managements für eine Reorganisation kann in Konkurrenz stehen zu einem KaufAngebot in bar, welches die Gläubiger ggf. bevorzugen werden.1507) Andererseits können die Nicht-Bar-Angebote aber einer Unterbewertung durch den Markt entgegenwirken, weil er oft von Insidern ergehen wird, die aufgrund der nur ihnen zur Verfügung stehenden Informationen den Unternehmenswert zutreffender taxieren können.1508) Ein Vorteil dieses Modells wurde auch darin gesehen, dass die Angebote nur dem Insolvenzrichter zugehen und dieser alle Angebote gleichzeitig präsentiert. Auf diese Weise wird die Gefahr vermieden, dass sich Marktteilnehmer
___________ 1503) 1504) 1505) 1506) 1507) 1508)
Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 536 (1992). Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 524 f. (1992). Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 532 f. (1992). Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 537 (1992). Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 538 (1992). Huelsdunk, KTS 1999, 291, 311.
307
§ 9 Analyse der Neuregelungen
die Kosten der Informationsermittlung sparen wollen und erst dann als Bieter aufspringen, wenn ein anderer Bieter ein Angebot abgegeben hat.1509)
dd) Problematik 1: fehlende Informationen 652 Die Schwachstelle des Modells könnte aber zum einen darin bestehen, dass den Beteiligten die nötigen Informationen fehlen, um eine verantwortliche Entscheidung zu treffen. Ein Erfolg dieses Optionsmodells in der Umsetzung kann nur dann gewährleistet werden, wenn die Bereitstellung umfangreicher Informationen über das Unternehmen erfolgt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich zu viele Beteiligte passiv verhalten.1510) Diesen Einwand erkennt auch Bebchuk; er weist aber darauf hin, dass das selbe Informationsbedürfnis schon im derzeitigen System besteht, da die Beteiligten auch für das bargaining und bei dessen Scheitern für die ggf. notwendige litigation die Informationen sammeln müssten, die für ihre argumentative Ausgangslage nötig ist. Ohnehin müsse sich der Optionsinhaber gar keine exakte Einschätzung des Werts bilden, sondern sich allein die Frage stellen, ob er das Unternehmen höher bewertet als ein Marktteilnehmer, der ihm ein Kaufangebot macht.1511)
653 Das weiterentwickelte Modell von Aghion/Hart/Moore hat dabei den Vorteil, dass die eingegangenen Angebote vor der Optionsausübungsperiode abgegeben werden, so dass den Optionsberechtigten hiermit eine weitere Informationsquelle zur Ver___________ 1509) Huelsdunk, KTS 1999, 291, 311. Zur Vervollständigung: die Autoren fragten sich auch, ob ihr Modell auch dann durchführbar wäre, wenn die Bebchuksche Optionsausübung entfiele und stattdessen der Unternehmenswert und damit die Zusammensetzung des zukünftigen stimmberechtigen „Anteilseignerkreises“ nicht auch anders, nämlich simpler, ermittelt werden könnte (wenn man nämlich davon ausginge, dass Bebchuks Modell in der Praxis nicht funktioniert). Dies könnte geschehen durch eine Analyse der eingegangenen Angebote durch Experten wie eine Investmentbank und der Ermittlung des Unternehmenswerts nach demjenigen Modell, das Wertmaximierung verspricht. Wenn der Unternehmenswert somit bekannt ist, ist die Verteilung an die bisherigen Gläubiger anhand ihrer Forderungen und deren Rang einfach. Alternativ könnte auch als maximaler Unternehmenswert einfach das höchste Bargebot genommen werden und als Basis für die Verteilung dienen, Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 540 (1992). Nochmals simpler wäre eine Verteilung an die Gläubiger je nach Höhe ihrer Forderung unter Reservierung eines gewissen Prozentsatzes der Anteilsscheine für die bisherigen Anteilseigner, oder, wiederum kruder, die Vergabe aller Anteile an die gesicherten Gläubiger. Nachteil einer solch simplen Prozedur wäre aber, dass damit die Einhaltung der absolute priority rule oftmals verfehlt werden dürfte, da das Risiko besteht, dass den ungesicherten Gläubigern regelmäßig zu viel oder zu wenig zugesprochen würde, a. a. O. S. 540. 1510) Achsnick, S. 91 f. Dazu kann auch gehören, dass ernsthaft Kaufinteressierten Einblick in die Geschäftsbücher des Unternehmens gewährt werden. 1511) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 795 (1988); außerdem könne sein Modell die Notwendigkeit der Informationssuche des Einzelnen sogar verringern, wenn sich nämlich mehrere Gläubiger desselben Ranges zusammentun, um z. B. einen Spezialisten zu Rate zu ziehen, a. a. O. S. 795 f.
308
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
fügung steht.1512) Hat etwa das bisherige Management ein eigenes Angebot abgegeben, so sind die Informationen der wohl am besten über das Unternehmen unterrichteten Gruppe eingeflossen, die Rückschlusse auf den Unternehmenswert zulassen. Ohnehin könnte argumentiert werden, dass es nicht zwingend schadet, wenn einige Akteure nicht über ausreichende Informationen verfügen. Denn diejenigen, die diese Informationen haben, werden sich bemühen, die Optionen aufzukaufen und somit ihr Wissen effektiv zu nutzen.1513) Als positiver Aspekt könnte dies insofern gedeutet werden, als dass das Unternehmen somit im Ergebnis denjenigen gehöre, die die darin gebundenen Ressourcen am besten nutzen können und es somit auch am höchsten bewerten.1514)
ee) Problematik 2: fehlende finanzielle Ressourcen/ Finanzierungsrestriktionen Ein weiteres Problem könnte darin bestehen, dass einige Beteiligte nicht die finan- 654 ziellen Ressourcen aufweisen, um ihre Optionen auszuüben und damit die vorrangigen Gläubiger zu befriedigen.1515) Auch dieses Problem sieht Bebchuk aber als begrenzt an: denn zum einen müssen viele Beteiligte gar nicht investieren, da sie ohnehin befriedigt würden oder ihre Rechte zum Marktpreis verkaufen könnten. Problematisch könnte dies aber sein für solche Beteiligte, die aufgrund ihres niedrigeren Ranges keine Bar-Zahlung erwarten könnten und die zugleich glauben, dass der Markt ihre Rechte zu niedrig bewertet. Denn dann würden sie nicht das erhalten, was ihnen eigentlich zustehen würde. Hier argumentiert Bebchuk aber, dass für diese Gläubiger der Investitionsaufwand wohl ohnehin niedrig sei im Vergleich zu ihrem Gesamtvermögen. Und auch für die, bei denen der Aufwand hoch sei im Vergleich zum Gesamtvermögen, ließe sich das Problem lindern, indem sie Kredite aufnehmen, um das Kapital zur Ausübung der Option zu erhalten. Auf einem funktionierenden Kapitalmarkt dürfte dies unproblematisch sein, da sie die angestrebte Einheit als Sicherheit verwenden könnten.1516) Diese Argumentation übersieht allerdings, dass eine Besicherung von potentiellen Kreditgebern dann als nicht ausreichend angesehen werden wird, wenn diese dem Markt in seiner Bewer___________ 1512) MüKo-InsO/Drukarczyk, § 245 Rn. 115. 1513) Diesen Aspekt benennt Huelsdunk, KTS 1999, 291, 307. Dies könnte aber dann problematisch sein, wenn der informationsunkundige ungesicherte Gläubiger deshalb die Optionen zu einem so niedrigen Preis verkauft, der unter dem Wert liegt, den er in einer Liquidation erhalten würde. Denn dann kriegt er weniger, als ihm eigentlich zusteht (die Quote). Dies wird wohl in Kauf genommen. 1514) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 106. 1515) Dies ist letztlich einer der Gründe, warum Roe nur 10 % der Anteile am Markt verkaufen will, nämlich weil es nur sehr wenige Käufer am Markt mit den nötigen finanziellen Ressourcen gibt, die dies zu 100 % kaufen könnten, siehe Roe, 83 Colum. L. Rev. 527, 572 (1983). 1516) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 796 f. (1988).
309
§ 9 Analyse der Neuregelungen
tung folgen und der Einheit daher keinen ausreichend hohen Wert beimessen.1517) Das Problem der fehlenden finanziellen Ressourcen trifft dabei insbesondere die AltAnteilseigner. Denn wenn sie die Ressourcen hätten, die Gläubiger auszuzahlen, so wäre es ggf. gar nicht erst zur Insolvenz gekommen, sondern sie hätten rechtzeitig eine Rekapitalisierung vorgenommen. Somit betrifft sie eine Unterbewertung durch den Markt in besonderer Weise, da sie aus dem Verfahren ausscheiden, obwohl sie ggf. den Unternehmenswert richtig taxieren, sofern es ihnen nicht gelingt, Dritte (also insbesondere Kreditgeber) davon zu überzeugen, dass der Unternehmenswert höher liegt als vom Markt vermutet.1518) Im Ergebnis würde das Modell von Bebchuk damit doch nicht gänzlich ohne Unternehmensbewertung durch den Markt auskommen1519); denn ohne Zugang zu Fremdfinanzierung könnten einige Anteilseigner ihr Insiderwissen nicht zur Investition nutzen. Auch in Bezug auf ungesicherte Gläubiger können Finanzierungsrestriktionen Nachteile beinhalten1520), die letztlich zu einer Ausschaltung des Obstruktionsverbots führen könnten.1521)
ff) Weitere Schwachstellen 655 Zuletzt stellt sich die Problematik mit Großgläubigern: diese könnten entsprechend ihrem Anteil bei Nichtausübung von Optionen der unteren Ränge einen Anteil am Unternehmen erhalten, der eine Kontrollmehrheit bedeutet und somit mehr wert ist als die Anteile von Minderheitsanteilseignern.1522) Dieses Problem will Bebchuk dadurch lösen, dass dem Mehrheitsaktionär die Verpflichtung auferlegt wird, seine Mehrheit über einen gewissen Zeitraum durch Aktienverkäufe zu reduzieren, so ___________ 1517) Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 539 (1992); Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 140 Fn. 36 (1997) sieht ein Versagen der Modelle in Fällen von Rezessionen oder z. B. Immobiliencrashs, weil dann auch die ungesicherten Gläubiger nicht die Finanzierung erlangen könnten, um die Rechte zu kaufen, so dass die Anteile immer bei den (gesicherten) Gläubigern landen, wo sie aber keiner vernünftigen Verwendung zugeführt werden (dies im Rahmen der Befürwortung einer new value exception, die die Anteile in Krisen (teils) wieder den Alt-Eignern gegen frisches Kapital zuteilen will, weil diese am besten wissen, sie zu verwenden, siehe hierzu oben § 7. III. 3. a). 1518) Drukarczyk, Theorie und Politik der Finanzierung, 2. Aufl., 1993, S. 387; Achsnick, S. 89 f. mit umfangreicherer Darstellung des Problems. 1519) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 106 f.; siehe zur Finanzierung durch Dritte auch Drukarczyk, BFuP 1995, 40, 53 f. 1520) Um das Finanzierungsproblem weiter einzudämmen, wurde von denselben Autoren später ein leicht verändertes Modell vorgelegt, bei dem die durch Kreditsicherheiten gedeckten Forderungen als Fremdkapital stehen bleiben. Sie nehmen lediglich mit ihrem unbesicherten Teil – neben den anderen unbesicherten Forderungen – an der Optionsausübung teil, siehe nur Hart, Firms, Contracts and Financial Structure, S. 174 und Aghion/Hart/Moore, 11 Insolvency Law and Practice 67 (1995). Hierdurch würden die Optionspreise sinken und somit die Finanzierungsproblematik für nachrangige Gläubiger gemildert, MüKo-InsO/Drukarczyk, § 245 Rn. 115. 1521) Siehe sogleich 2. a) bb). 1522) Dieser Mehrwert wird bei Unternehmensübernahmen als control premium bezeichnet.
310
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
dass den Minderheitsaktionären das Ablegen des Status als Minderheit ermöglicht wird und somit ihre Anteile denselben Wert haben wie die des anfänglichen Mehrheitsaktionärs.1523) Sowohl Roe als auch Bebchuk weisen von sich aus darauf hin, dass gesicherte For- 656 derungen (secured claims) ein Problem darstellen können. Denn diese müssen ohnehin bewertet werden, um den Anteil an der Konkursmasse, die dem gesicherten Gläubiger zusteht, ersehen zu können. Dies würde dann wieder Verhandlungen, Gerichtsentscheidungen und damit Verzögerung nach sich ziehen.1524) Roe behandelt das Problem nicht weiter, sondern weist darauf hin, dass nicht alle Unternehmen einen signifikanten Bestand an gesicherten Forderungen ausstehen hätten und dass in vielen Fällen die Sicherheit so wertvoll sei, dass die Forderung unstreitig in voller Höhe gesichert sei. Bebchuk benennt zwar die Problematik, sieht diese Tatsache aber nicht als Gefahr für sein Modell, da sich die nach seinem Modell intendierte Verteilung nach dem geltenden Recht richte, wie es auch ausgestaltet sein mag (in Bezug auf Ermittlung des vollen Werts und die bei Nichtvollwertigkeit ggf. nötige Einordnung des selben Gläubigers in zwei verschiedene Gläubigergruppen, gesicherte und ungesicherte.)1525)
2.
Anwendbarkeit der Modelle auch im InsO-Planverfahren?
Die besprochenen Optionsmodelle mögen zwar die dargelegten Schwachstellen 657 haben, aufgrund ihrer strikten Ausrichtung an der absoluten Vorrangregel und zugleich effizienten Verteilmethodik haben sie aber auch unbestreitbare Vorteile. Fraglich ist, ob solche theoretischen Modelle auch unter der InsO Anwendung finden können und ob sie insbesondere durch das ESUG erleichtert wurden.
a) Insolvenzplanrechtliche Hindernisse Die mit dem Modell von Aghion/Hart/Moore1526) verfolgten Zwecke stimmen viel- 658 fach mit den vom deutschen InsO-Gesetzgeber verfolgten Zielen überein: Respektierung vorinsolvenzlicher Positionen, Verhinderung von Entscheidungen zu Lasten Dritter und Begrenzung der Transaktionskosten.1527) Dennoch stehen seiner Um-
___________ 1523) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 803 f. (1988). 1524) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 802 f. (1988); Roe, in Bhandari/Weiss (Hrsg.), Corporate Bankruptcy, S. 365. 1525) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 802 (1988). 1526) Da das Modell von Aghion/Hart/Moore als das ausgefeilteste der Modelle bezeichnet werden kann, soll es im Folgenden als Grundlage für die Frage der Umsetzbarkeit dienen. 1527) Drukarczyk/Schöntag, S. 3.
311
§ 9 Analyse der Neuregelungen
setzung im deutschen Insolvenzplanverfahren gewichtige Hindernisse entgegen.1528) So muss zunächst klar sein, dass nur der Insolvenzplanersteller ein solches Modell initiieren könnte; das Insolvenzgericht hat kein aktives Gestaltungspotential, so dass es eine Verteilung nach dem Optionsmodell nicht von sich aus anordnen könnte.1529)
b) Gesellschaftsrechtliche Hindernisse: Notwendigkeit einer Barkapitalerhöhung 659 In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht besteht das Problem, dass eine Kapitalherabsetzung auf Null mit gleichzeitiger effektiver Kapitalerhöhung unter Einbringung einer Sach- statt Bareinlage nicht erlaubt ist1530), so dass Änderungen am Gesetz nötig wären.1531)
c)
Anwendbarkeit des Obstruktionsverbots, § 245 InsO
660 Problematisch könnte auch sein, ob durch das Obstruktionsverbot nach § 245 InsO eine Aufoktroyierung des Plans, der eine Durchführung des Optionsmodells vorsieht, auch auf Gläubigergruppen möglich ist, die den Plan mehrheitlich abgelehnt haben. Dass dies in Bezug auf Gläubiger überhaupt thematisiert werden muss, bedarf zunächst besonderer Erläuterung: Denn eigentlich ist es ja gerade einer der angepriesenen Vorzüge des Modells, dass hiermit genau die absolute Vorrangregel eingehalten wird und somit niemand mehr bekommt, als er in einer Liquidation ___________ 1528) Zu weiteren Problemstellungen der Umsetzung im Insolvenzplanrecht vor dem ESUG siehe Huelsdunk, KTS 1999, 291, 312 (nach der das Insolvenzplanverfahren schon nach altem Recht die Spielräume eröffnete, um die nach dem Modell von Aghion/Hart/Moore wirtschaftlich möglichst sinnvolle Gestaltung zu verwirklichen) sowie umfassend Achsnick, S. 128 ff., 237 ff. (nach dem eine Implementierung de lege lata zwar denkbar, aufgrund der dargelegten Problemfelder aber mit großen rechtlichen Risiken behaftet war). Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 112 ff. wies bereits zur alten Rechtslage darauf hin, dass ein reger Handel mit Anteilen und Optionen einer GmbH, die das Gros der insolventen Unternehmen stellen, eher nicht vorstellbar sei, womit auch das von ihm am ehesten präferierte Modell von Aghion/ Hart/Moore nur für große, potentiell börsennotierte Aktiengesellschaften wirklich in Frage komme. 1529) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 112. 1530) Siehe hierzu oben § 3. I. 1. b) bb). Bei nur teilweiser Ausübung des Optionen kann auch problematisch sein, dass damit die höherrangigen Gläubiger ihre Berechtigungen auch nur teilweise verlieren, so dass der Anteilseignerkreis sehr viel größer wird. Damit werden ein angemessenes Stückelungsmaß und möglichst kleine Nennbeträge der Neuanteile nötig, was gerade bei der GmbH zu Problemen führen kann, siehe Achsnick, S. 93. Auch das Verbot des Erwerbs eigener Aktien würde bei Konzernunternehmen zu Problemen führen, Achsnick, S. 144. 1531) Schon bei Roes Modell stellte sich die Frage der Vereinbarkeit mit den Kapitalaufbringungsregeln für Kapitalgesellschaften, da nach einer Kapitalherabsetzung auf Null im Rahmen einer sich anschließenden Kapitalerhöhung die Notwendigkeit der Aufbringung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestkapitals als Bareinlage besteht, womit der Verkauf von 10 % der Anteile mindestens € 25 000 bzw. 50 000 erbringen müsste, was keinesfalls garantiert ist, siehe Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 101 Fn. 117.
312
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
(ggf. mit übertragender Sanierung) erhalten würde. Der § 245 InsO gibt – auch in seiner neuen Form – genau die absolute Vorrangregel wieder, so dass hier eigentlich gar keine Konflikte auftreten dürften. Dies ist aber auch nur auf den ersten Blick so, wie im Folgenden gezeigt werden soll.1532)
aa) § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO Je nach Ausgang der Optionsrechteausübung könnte zunächst ein Verstoß gegen 661 § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO1533) drohen, wenn nachrangige Gläubiger und Alt-Anteilseigner einen wirtschaftlichen Wert erhielten, indem sie eine Beteiligung an dem Unternehmen erlangen. Allerdings wird angezweifelt, ob im Anteilserwerb von Alt-Anteilseignern durch Optionsausübung überhaupt die Zuwendung eines wirtschaftlichen Werts gesehen werden kann.1534) Im Ergebnis wird überwiegend dafür plädiert, den § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO teleologisch zu reduzieren. So schlug etwa Eidenmüller eine berichtigende Auslegung vor, die darauf beruht, dass bei einer Beteiligung der Alt-Anteilseigner ja immer eine Befriedigung der vorrangigen Gläubiger vorliege, womit diese technisch nach § 237 Abs. 2 InsO gar kein Stimmrecht hätten.1535)
bb) § 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO Des Weiteren stellt sich die Frage, ob durch die Implementierung des Optionsmo- 662 dells ein Verstoß gegen § 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO drohen kann. Nach dieser Norm fehlt es an einer angemessenen Beteiligung der ablehnenden Gläubigergruppe am wirtschaftlichen Wert, sobald ein anderer Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen. Diese Gefahr besteht namentlich in dem Fall, dass Optionsrechte nicht ausgeübt werden und somit der hohe, aber vom Markt nicht erkannte Unternehmenswert in Form von Anteilen nur an die gesicherten Gläubiger ginge. Die gesicherten Gläubiger würden dann mehr und die ___________ 1532) Zudem setzt § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO voraus, dass die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan zugestimmt hat. 1533) Dieser Absatz wurde in Bezug auf seine Voraussetzungen durch das ESUG nicht geändert. 1534) Büchele, S. 61 f.; er knüpft dabei an die (auch außerhalb von Optionsmodellen) erfolgende Diskussion an, ob eine Zuwendung wirtschaftlichen Werts an bisherige Anteilseigner vorliegt, wenn ansonsten niemand bereit ist, das Unternehmen fortzuführen; siehe hierzu auch Achsnick S. 133. Siehe zu der ähnlichen Problematik im Rahmen des Bezugsrechts oben § 7. III. 3. b) sowie § 7 VII. 1. 1535) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 114 Fn. 140; ähnlich Büchele, S. 61, der allerdings damit argumentiert, dass eine Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen in dem Fall, dass die Eigentümer einen Wert erhalten, gar nicht mehr möglich sei, da die Gläubiger bereits voll befriedigt seien. Nach Achsnick, S. 133 sei es nur zu einer Bilanzsanierung gekommen, weshalb die Alt-Anteilseigner das Unternehmen nur als „Erwerbsquelle ohne Restvermögenssubstanz“ zurückerhielten, womit noch kein Vermögenswert verbunden sein muss.
313
§ 9 Analyse der Neuregelungen
ungesicherten Gläubiger weniger erhalten als in einer Liquidation, was nach wörtlicher Auslegung ein Verstoß gegen § 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO darstellen würde.1536)
663 Diesbezüglich wird aber vielfach für eine einschränkende Auslegung plädiert, die auf einer wirtschaftlichen Betrachtung beruhen soll. Denn zum einen sei ein solches Szenario nicht wahrscheinlich, da bei einem hohen antizipierten Unternehmenswert die Optionen ausgeübt werden würden; somit dürfe ein solch unrealistisches Szenario auch nicht das ganze Modell torpedieren (hier ist zu berücksichtigen, dass die Abstimmung über den Insolvenzplan zeitlich vor der Phase des Optionshandels und der Optionsausübung erfolgt). Sei dies aber in seltenen Fällen nicht der Fall, so seien die Optionsinhaber nun einmal einer Fehleinschätzung unterlegen, deren Konsequenzen sie zu tragen hätten.1537) Es könne nicht zu ihren Gunsten eine fehlende angemessene Beteiligung angenommen werden, wenn es an ihnen selbst liege, dass andere Gläubiger einen wirtschaftlichen Wert erhielten, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen. Sie könnten den vorrangigen Gläubigern diesen behaupteten Mehrerlös ja durch Optionsausübung abnehmen.1538) Sei ihnen das Risiko einer Fehleinschätzung zu hoch, so könnten sie sich nicht beschweren, denn damit fiele den gesicherten Gläubigern zwar ggf. ein etwaiger Mehrerlös zu; es müsse aber auch bedacht werden, dass diesen damit zugleich auch die übrigen mit der Gesellschafterstellung verbundenen Risiken zufielen.1539) Hiergegen könnte allein eingewendet werden, dass dieser Vorwurf den nichtausübenden Gläubigern nur begrenzt gemacht werden könnte, wenn die unterbleibende Optionsausübung ihren Grund in den (bereits dargestellten)1540) Finanzierungsrestriktionen hat. Dies könnte andererseits aber dem Risiko der ungesicherten Gläubiger1541) zugerechnet werden, so dass sie nicht vorbringen können, dass sie schlechter gestellt werden, weil sie ihre Kreditgeber nicht von ihrer Bewertung überzeugen können.1542) ___________ 1536) Allerdings ist bei einem Vergleich auch zu beachten, dass zugunsten der gesicherten Gläubiger ggf. sowohl Aufzinsungsbeiträge als auch Abnutzungsentschädigungen für aufgegebene Sicherheiten eingerechnet werden könnten sowie die Fortführungs- und Haftungsrisiken als die Neu-Anteile wertmindernd berücksichtigt werden könnten, womit der den umwandelnden gesicherten Gläubigern zukommende Wert erheblich niedriger sei als auf den ersten Blick, siehe hierzu Achsnick, S. 130. 1537) Büchele, S. 60. 1538) Achsnick, S. 130 f. 1539) Achsnick, S. 129 ff.; zustimmend Büchele, S. 60 f. 1540) Oben 1. c) ee). 1541) Nach neuem Recht auch den Anteilseignern, siehe § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. 1542) Hier wäre darauf abzustellen, dass ihnen ein gewisses Risiko durchaus zugemutet werden kann, da ansonsten der § 245 InsO zur umfassenden Absicherungsnorm werden würde, die so sicherlich nicht intendiert war. Ohnehin drohen diese Gefahren ja auch bei einer Unternehmensbewertung durch Gutachten oder bei Marktbewertung durch eine übertragende Sanierung. Diese Risiken sind daher nicht optionsmodellspezifisch, sondern ein generelles Problem der Wertverteilung in der Insolvenz.
314
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
d) Erleichterungen durch das ESUG aa) In Bezug auf Alt-Anteilseigner Eine erleichterte Umsetzung kann sicherlich konstatiert werden in Bezug auf die 664 durch das ESUG beseitigte Blockadeposition1543) der Anteilseigner hinsichtlich der notwendigen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen. Indem die Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit der bisherigen Anteilseigner nunmehr nicht mehr nötig ist, sondern entsprechende gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan geregelt werden (§ 225a Abs. 2, 3 InsO n. F.) und die Anteilseigner diesem Plan unterworfen werden können, wird die Durchführung erheblich erleichtert. Insbesondere besteht nicht mehr die Notwendigkeit, den Insolvenzplan als bedingten Plan nach § 249 InsO zu beschließen. Auch das neue Obstruktionsverbot gegenüber Anteilseignern nach § 245 Abs. 3 InsO 665 n. F. dürfte hier wohl wenige Probleme bereiten. Zwar besteht weiterhin die Problematik, dass nach § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. eine angemessene Beteiligung der Anteilseigner nicht vorliegt, wenn ein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn Optionen nicht ausgeübt werden, obwohl sich die Optionsinhaber (also vorliegend die Alt-Anteilseigner) damit den Mehrwert sichern könnten. Somit gilt auch hier das oben dargelegte Argument fort, dass sie keinen Grund zur Beschwerde haben, wenn sie diese Chance nicht wahrnehmen.1544)
bb) In Bezug auf Alt-Gläubiger/Neu-Anteilseigner: Verminderte Haftungsrisiken Eine gesteigerte Attraktivität könnte das ESUG insofern für Optionsmodelle mit 666 sich bringen, als dass das Risiko einer Differenzhaftung nunmehr nicht mehr besteht.1545) Diese drohende Differenzhaftung wegen Überbewertung der eingebrachten Forderungen war nach bisheriger Rechtslage einer der Gründe, warum die Implementierung eines Optionsmodells in das Insolvenzplanverfahren vielfach nicht die notwendigen Mehrheiten erhalten hätte.1546) Denn der Erhalt eines Anteilswerts ist ohnehin schon riskant, weil dessen Wert nach unten volatil sein kann und der darin enthaltene Mehrwert ggf. erst nach längerer Zeit realisiert werden kann. Wenn dann aber aus Differenzhaftung noch Bar-Nachzahlungspflichten in einer Folgeinsolvenz drohen, so hätten wohl nur wenige Gläubiger ein Interesse daran gehabt, ___________ 1543) Büchele, S. 6 sah (nach altem Recht vor dem ESUG) dies als entscheidendes Hindernis: die Umsetzung in einem Insolvenzplan sei möglich, sofern die gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen umgesetzt werden könnten und sofern es gelinge, das Blockadepotential der AltAnteilseigner auszuschalten. 1544) Siehe soeben 2. c) bb). 1545) Siehe § 254 Abs. 4 InsO n. F. sowie umfassend oben § 5. II. 1546) Achsnick, S. 141.
315
§ 9 Analyse der Neuregelungen
im Rahmen eines Optionsmodells auch nur die Möglichkeit der Übernahme einer Anteilseignerschaft zu erhalten. Dies galt selbst dann, wenn sie sich von dem erhaltenen Anteil schnell wieder trennen können.1547) Nunmehr statuiert § 254 Abs. 4 InsO n. F. aber, dass die Differenzhaftung ausgeschlossen ist, wenn die Werthaltigkeit durch das Insolvenzgericht vor Insolvenzplanbestätigung geprüft wurde.1548) Ist das Gericht von der Effizienz des Optionsmodells hinreichend überzeugt, so würde es den Plan bestätigen.
667 Die Problematik einer Einstufung anderer Darlehen als nachrangig nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO1549) kann dagegen fortbestehen: sollte der Neu-Anteilseigner eine Bank sein, so sind dessen Darlehen als Gesellschafterdarlehen zu qualifizieren und i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig. Somit wird entweder die Bank wenig Interesse an der Übernahme einer Gesellschafterstellung haben oder der rekapitalisierten Gesellschaft könnte sich das Problem stellen, dass diese Bank als zukünftiger Darlehensgeber ausfällt. Dies kann insbesondere relevant werden, wenn das gewählte Konzept keine reine Eigenkapitalstruktur aufweist, sondern aus steuerlichen Gründen eine Einheit z. B. neben einem Anteil auch einen Fremdkapitaltitel enthält.1550) Dieser wäre dann in einer Folgeinsolvenz nachrangig; andererseits wäre dies weniger gewichtig, da das Sanierungsprivileg greifen würde.1551)
e)
Keine zwangsweise Umwandlung in Eigenkapital
668 Als entscheidende Problematik stellt sich aber dar, dass nach dem Wortlaut des § 230 Abs. 2 InsO die Zustimmung jedes einzelnen Gläubigers zur Übernahme von Anteilsrechten nach § 230 Abs. 2 InsO in schriftlicher Form dem Insolvenzplan beigefügt werden muss. Zwar wurde beim ESUG zeitweilig über eine Zustimmungsfiktion bei Unterlassen eines ausdrücklichen Widerspruchs nachgedacht (§ 230 Abs. 2 DiskE-ESUG), jedoch wurde auch dieser Gedanke schon früh im Gesetzgebungsverfahren wieder verworfen.1552) Als Rückschluss könnte gezogen werden, dass die Notwendigkeit der Zustimmung jedes einzelnen Gläubigers in Hinsicht auf die gesicherten Gläubiger also uneingeschränkt gilt, da eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese nach Methodik des Bebchuk`schen Verteilungsmodells in Form von Anteilen am Unternehmen befriedigt werden, wenn die niederrangigen Gläubiger und Anteilseigner ihre Optionen nicht vollständig ausüben. ___________ 1547) Wobei Verkäufer und Erwerber auch dann z. B. bei der GmbH beide parallel weiterhaften, § 16 Abs. 2 GmbHG. 1548) Siehe oben § 5. II. 3. c). 1549) Hierzu Achsnick, S. 143. 1550) So wie es Bebchuk aus Vereinfachungsgründen nicht vorgesehen hatte, z. B. aber Drukarczyk/ Schöntag S. 8 wegen den damit einhergehenden steuerlichen Vorteilen (tax shield) empfehlen. 1551) Siehe aber oben IV. 2. zur Problematik der Wirkung nur bis zu nachhaltigen Sanierung. 1552) Siehe oben § 6. VI.
316
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
Die wohl größte Gefahr für die Umsetzung eines Optionsmodells droht damit von 669 widerstrebenden Gläubigern. Diese können weder gezwungen werden, über einer gewisse Schwelle hinaus auf ihre Forderung zu verzichten, noch kann ihnen durch Mehrheitsentscheidung der Zwang auferlegt werden, ihre Forderungen in Eigenkapital umzuwandeln.1553) In Bezug auf ungesicherte Gläubiger wurde zwar teils eine Anwendbarkeit des 670 § 230 Abs. 2 InsO verneint1554), was bedeuten würde, dass das Gericht den Plan nicht schon nach § 231 InsO zurückzuweisen hätte, wenn nicht alle Gläubiger ihre Zustimmung erklärt haben. So hatte Achsnick gegen eine Anwendbarkeit von § 230 Abs. 2 InsO auch in Bezug auf ungesicherte Gläubiger damit argumentiert, dass eine Zustimmungspflicht sämtlicher Gläubiger zu einem Wertungswiderspruch führen würde, da somit nicht mehr nach den Abstimmungsprinzipien der §§ 244 ff. InsO (Ausreichen einer einfachen Kopf- und Summen-Mehrheit der abstimmenden Gläubiger) über eine geplante Rekapitalisierung per Optionsmodell entschieden würde, sondern nunmehr Einstimmigkeit1555) notwendig wäre (und dies sogar zeitlich noch vor der tatsächlichen Abstimmung über den Plan). Für den Fall, dass ein Plan die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital vorsehe, würden somit die §§ 244 ff. InsO durch 230 Abs. 2 InsO unterlaufen, womit sich 230 Abs. 2 InsO als „Fremdkörper“ im Abstimmungskonzept des Insolvenzplans darstelle.1556) Eine darauf aufbauende Argumentation könnte lauten, dass der Gesetzgeber den DES nunmehr ausdrücklich nach § 225a Abs. 2 InsO n. F. ermöglicht hat und er damit gezeigt hat, dass die Umwandlung eine der ausdrücklich möglichen Optionen sein muss; so wurde der DES in der Gesetzesbegründung auch ausdrücklich als wünschenswerte Sanierungsoption bezeichnet.1557) Damit würden die Wertungen der 244 ff. InsO noch stärker gegenüber dem § 230 Abs. 2 InsO. Es verbliebe auch dann aber die Grenze der §§ 245, 251, 253 InsO (keine Schlechterstellung als ohne Plan). Da je nach Ablauf der Optionsausübung die Gläubiger am Ende mit wenig werthaltigen Anteilen dastehen könnten statt mit einer Barbefriedigung in Höhe der Quote, verbleibt ein gewisses Risiko. Es ist fraglich, ob auch dieses Risiko vernachlässigt werden kann mit einer zielorientieren, normativen Argumentation, dass der DES unbedingt ermöglicht werden solle und die Optionsmodelle eine effiziente Wertzuteilung ermöglichen. Eine solche Interpretation wäre in dieser Weite kaum zu begründen, zumal auch die ESUG-Gesetzgebungsgeschichte hierfür keine Anhaltspunkte liefert. § 230 Abs. 2 InsO findet somit volle Anwendung. ___________ 1553) Andernfalls drohe für sie eine Schlechterstellung gegenüber einer Abwicklung ohne Plan, was den Plan in Hinsicht auf § 245 I Nr. 1 und § 251 I Nr. 2 InsO (a. F. wie n. F.) scheitern lassen würde, siehe Achsnick, S. 137 f. Generell zum nicht gegebenen Möglichkeit des Zwangs-DES oben § 6. VI. 1. 1554) Siehe Achsnick S. 134 ff. mit umfangreichen Argumenten. 1555) Und zwar sämtlicher existierender (und nicht nur bei Abstimmung anwesender) Gläubiger. 1556) Achsnick, S. 136. 1557) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 18 und 31.
317
§ 9 Analyse der Neuregelungen
671 Dies hat zur Folge, dass den ungesicherten Gläubigern bei Nichtteilnahme zumindest ein Baranspruch auf den Wert garantiert werden müsste, der ihnen ohne Plan zustehen würde – also den potentiellen Quotenanspruch bei Verwertung im Regelinsolvenzverfahren.1558)
672 Die fehlende Möglichkeit des Aufzwingens des Plans ist auch in Bezug auf gesicherte Gläubiger problematisch: eine Schlechterstellung nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO (wie auch nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO und § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO n. F.)1559) könnte leicht erfüllt sein, weil diese in einer Liquidation ihre Sicherheiten sofort verwerten könnten. Mithin können sie auch nicht gezwungen werden, auf eine Befriedigung in Form von aus den Anteilen resultierenden Wertsteigerungen und Dividenden zu „hoffen“.1560) Somit könnte ein Optionsmodell auch diesbezüglich nur darauf rekurrieren, diesen Beteiligten ggf. eine Barbefriedigung in Höhe der hypothetischen Liquidationsquote anzubieten.1561)
673 Zwar kann der Gläubiger hinsichtlich dieses Ausgleichsanspruchs mit dem neuen § 251 Abs. 3 InsO n. F. auf spätere Geltendmachung vor den ordentlichen Gerichten verwiesen werden. Dies würde auch Sinn machen, da die Höhe seines hypothetischen Liquidationsquotenanspruchs davon abhängt, wie die Optionsausübung im Ergebnis verläuft: werden etwa alle type-C-Optionen eingelöst, so erhalten die ungesicherten Gläubiger sogar volle Befriedigung. Dies wäre aber unrealistisch, zumal ein BarAnspruch bei Abwicklung ohne Plan ja auch nur auf die Insolvenzquote, seltenst aber auf 100 % Befriedigung gehen würde. Damit verbleibt aber ein großes Risiko.1562)
674 Da somit oftmals klar sein dürfte, dass den umtauschunwilligen gesicherten und ungesicherten Gläubigern ein § 251 Abs. 3 InsO-Anspruch in Höhe des potentiellen Erlöses aus dem Sicherungsgut bzw. ihrer potentiellen Insolvenzquote zusteht, dessen Höhe nur fraglich wäre, taucht wieder die Verzögerungsproblematik auf: da jedem Richter ___________ 1558) Es verbleibt im Folgenden auch die umfangreiche Problematik, wie ein Ausgleichsanspruch überhaupt zu ermitteln wäre. Sind zugunsten der umwandlungsunwilligen Gläubiger die zukünftigen Sanierungsleistungen der anderen Gläubiger und der reorganisationsbedingte Mehrwert einzuberechnen? Oder gilt der Einzel-Liquidationswert (im Sinne eines Stilllegungswertes bei Insolvenzverfahrenseröffnung)? Siehe hierzu im folgenden Abschnitt § 10. II. die Überlegungen zur Gegenüberstellung Stilllegungswert/Liquidationswert/Fortführungswert bei Berechnung eines Ausgleichsanspruchs für herausgedrängte Anteilseigner. 1559) Hier müsste allerdings sogar eine wesentliche Schlechterstellung vorliegen. 1560) Achsnick, S. 138. Eine solche mangelnde Kooperationsbereitschaft eines eigentlich sinnvollen wirtschaftlichen Vorhabens sei auch nur in sehr begrenztem Maße als rechtsmissbräuchlich und damit Schadensersatzpflichten auslösend anzusehen, da die Wertung der §§ 244 f., 251 InsO hier abschließend sei. 1561) Achsnick, S. 137 f. Für gesicherte Gläubiger bedeute dies, dass dabei ggf. auch Sondervorteile und Aufzinsungsbeiträge einberechnet werden müssten. 1562) Dies wäre nur dann anders, wenn man Planspiele aufstellt, bei denen es (im obigen Beispiel) etwa ausreichen würde, wenn nur 10 % der type-C-Optionen eingelöst werden. Denn dies müsste heißen, dass damit immerhin 5 % der type-B-Rechte bar befriedigt werden, was der hypothetischen Liquidationsquote entsprechen könnte. Damit begibt man sich aber auf das Gebiet der spekulativen Planspiele.
318
VII. Alternative Reorganisationsmodelle (Optionsmodelle)
auffallen würde, dass einige Gläubiger die Sicherheitsleistung mit Sicherheit anzapfen können und werden, hätte er somit zu prüfen, ob der Ausgleichsfonds ausreicht für die später geltend gemachten Forderungen.1563) Wenn also nicht ein großer Ausgleichsfonds geschaffen wird oder ein finanzstarker Beteiligter den Ausgleich der umwandlungsunwilligen Gläubiger garantiert, dürfte mit dem Optionsmodell auch postESUG ein zu großes Risiko einhergehen. Zwar könnte zuletzt versucht werden, die Weigerung einzelner Gläubiger (insbesondere gesicherter Gläubiger), einen Anteil zu übernehmen, als übermäßig ängstlich zu brandmarken, auf die unbestreitbare Effizienz der Optionsmodelle zu verweisen und ihnen damit ihr Weigerungsrecht abzusprechen mit der Begründung, dass damit eine für alle vorteilhaftere Verwertung faktisch vereitelt würde. Hiergegen würde aber sprechen, dass die Gedanken der Mehrheitsherrschaft und der Erzwingung der effizientesten Lösung im Insolvenzplanverfahren so weit wohl nicht ausdehnbar sind; hinzu kommen die Bedenken verfassungsrechtlicher Art in der Form, dass hiermit die negative Vereinigungsfreiheit berührt wäre.1564)
3.
Fazit
Die durch das ESUG erfolgte Reform des Insolvenzplanverfahrens hat die Umset- 675 zung von Optionsmodellen somit in Teilen erleichtert, aber einige der entscheidende Risiken nicht beseitigen können und wollen (was aus Gläubigergleichbehandlungsund Kapitalschutzgesichtspunkten auch gute Gründe hatte). Die Modelle haben in der Theorie unbestreitbare Vorteile, doch die Implementierung in und die Abstimmung mit dem Insolvenzplanrecht und insbesondere dem Gesellschaftsrecht ist nur schwer möglich. Nicht ohne Grund ist dieses Modell auch bisher im angelsächsischen Raum nicht Gesetz geworden.1565) Sind insbesondere die gesicherten Gläubiger nicht im Boot, so hat das Optionsmodell kaum Chancen. Die für sie notwendige Barabfindung wäre zu hoch, denn sie würden bei Verwertung durch Rechtsträgerliquidation im Regelinsolvenzverfahren die sofortige Befriedigung aus Verwertung erlangen und somit ohne Plan schnell über bare Befriedigung verfügen. Dies muss ihnen erst einmal in bar ausgeglichen werden.1566) ___________ 1563) Siehe hierzu bereits oben § 5. IV. 4. d). 1564) Siehe hierzu oben § 6. VI. 1565) Obwohl der revidierte Vorschlag von Aghion/Hart/Moore als Auftrag der britischen Regierung erging, ein Modell für die Umsetzung zu erarbeiten. 1566) Nach Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 260 (2006) bringt aber der distressed debtHandel faktisch den Vorteil, den Roe sich erhofft habe: “The solution to the residual claimant problem in bankruptcy is to get creditor classes to think like shareholders in a financially solvent firm. The thesis of this study is that the emergence of distressed debt investors has largely accomplished informally what Roe and Adler proposed for government regulation. Distressed debtors think more like shareholders than bondholders in Chapter 11 proceedings.“ Siehe auch Madaus, ZGR 2011, 749, 774 Fn. 68, der einen Vorteil in einem debt-mezzanineswap sieht, bei dem den Gesellschaftern die Möglichkeit gegeben werden sollte, den Gläubigern diese Genussrechte abzukaufen, womit die Optionsmodelle nach seiner Ansicht Anwendung finden könnten.
319
§ 10 Bewertungsfragen “In practice, no problem in bankruptcy is more vexing than the problem of valuation. Volumes have been written on it, literally thousands of cases each year involve disputes about it, and virtually every aspect of the bankruptcy system turns on it. Nonetheless, there is little conceptual guidance for valuing most assets, beyond some general sense of liquidation values and going-concern values.“1567)
I.
676
Unternehmensbewertung im Insolvenz(plan)verfahren
Die Möglichkeit der Gesamtverwertung des Unternehmens im Insolvenz(plan)ver- 677 fahren bringt es mit sich, dass in einigen Fällen eine Unternehmensbewertung vorzunehmen ist. Dies war schon vor der Reform durch das ESUG u. a. dann der Fall, wenn einzelne Gläubiger sich durch einen Insolvenzplan schlechter gestellt sahen als ohne Plan. Durch die nunmehrige Einbeziehung der Alt-Anteilseigner als eigene Gruppe in das Verfahren kommt hinzu, dass auch diese eine solche Schlechterstellung geltend machen können. In diesen Fällen wird nach §§ 245, 251, 253 InsO ein Vergleich zu einer Abwicklung ohne Insolvenzplan notwendig. Diese Vergleichsrechnungen sind auch als sog. Äquivalenzrechnungen bekannt.1568) Eine weitere Dimension erhält die Bewertungsproblematik zudem dadurch, dass 678 seit dem ESUG auch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Plan verankert werden können (§ 225a Abs. 2, 3 InsO n. F.). Damit folgt die Entscheidung über solche Maßnahmen nunmehr den Regelungen der InsO über die Annahme eines Insolvenzplans, ebenso wie die Frage von Rechtsmitteln allein nach InsO-Regelungen geregelt wird. Da hiermit – etwa bei der Bewertung der als Sacheinlage einzubringenden Forderungen – weitere Bewertungsfragen verbunden sind, stellt sich nunmehr auch in diesem Bereich der Insolvenzplanregelungen die Problematik der Unternehmensbewertung; die korrekte Bewertung wird damit elementar für die Frage, ob der Insolvenzplan den gesetzlichen Vorschriften genügt. Im Folgenden sollen zunächst einheitlich die Grundlagen der Unternehmensbewer- 679 tung erläutert werden, bevor im konkreten Kontext untersucht werden soll, welche Maßstäbe hierbei im Einzelnen gelten. ___________ 1567) Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 13 f. (1991). Siehe auch Roe/Skeel, 108 Mich. L. Rev 727, 742 f. (2010) „Such valuation contests are notoriously difficult, as each party comes to court with experts sporting a number remarkably supportive of the client’s interests. But that’s the system we’re saddled with, and judges have done the best they can under the circumstances.“; sowie die Aussage eines Richters, zitiert in Fortgang/Mayer, 32 UCLA L. Rev. 1061, 1131 f. (1985): “crystal ball; (…) total absurdity that anybody could fix a value with that degree of precision, but for the lawyers who want me to make that fool estimate, I have just made it.“ 1568) Siehe zu diesem Problemkomplex MüKo-InsO/Drukarczyk, § 245 Rn. 50 ff.; generell zur Unternehmensbewertung in der Insolvenz auch Nickert, FS Haarmeyer, 2013, S. 175 ff., insb. S. 179.
321
§ 10 Bewertungsfragen
1.
Grundlagen der Unternehmensbewertung
680 Der Wert des Unternehmens richtet sich nach seinem Verkehrswert.1569) Dabei ist jedoch zu beachten, dass ein mathematisch genauer Verkehrswert eines Unternehmens im Prozess gar nicht ermittelt werden kann, da dieser auf den Verkaufsfall auf einem vollkommenen Markt abstellen soll, der aber gerade nicht erfolgt.1570) Es ist ein hypothetisches Ereignis.1571) Da die Bewertung notorisch schwierig und von vielen Prognoseelementen geprägt ist, ist anerkannt, dass letztlich nur ein Schätzwert erreicht werden kann.1572) Dabei kann das Ziel der Verfahrenseffizienz und der Vermeidung unverhältnismäßig hoher Rechtskosten in Konflikt treten mit der Notwendigkeit, alle Anknüpfungstatsachen zu beachten und einen ausreichenden Realitätsbezug zu garantieren.1573) Ohne die Expertise eines Gutachters ist dem Richter die Unternehmensbewertung regelmäßig nicht möglich.
2.
Grobkategorien: Liquidationswert und Fortführungswert
681 Bei der Unternehmensbewertung können in einem groben Schema zwei verschiedene Kategorien genannt werden: der Liquidationswert und der Fortführungswert.1574) Der Liquidationswert wird definiert als die Summe der mit ihren Veräußerungspreisen angesetzten einzelnen Vermögensgegenstände abzüglich Schulden und Li___________ 1569) Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 139 ff. 1570) Meinert, DB 2011, 2397; Consolidated Rock Products v. Dubois, 312 U.S. 510, 526 (1941), zitiert nach Fortgang/Mayer, 32 UCLA L. Rev. 1061, 1131 Fn. 346 (1985): “requires a prediction as to what will occur in the future, an estimate, as distinguished from mathematical certitude, is all that can be made“. Siehe auch das Zitat bei Coogan, 32 Case W. Res. L. Rev. 305, 313 Fn. 62 (1981): valuation involves a „guess compounded by an estimate“. 1571) Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 141. 1572) Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 154 ff. Siehe auch Klöhn, S. 41: “Bislang wurde unterstellt, dass die Anspruchsberechtigten volle Abfindung erhalten. In der Praxis ist dies keineswegs garantiert, ganz im Gegenteil: Unternehmensbewertung ist keine exakte Wissenschaft“. 1573) Meinert, DB 2011, 2397, 2398. Soweit es um eine Abfindungszahlung geht (etwa der Anteilseigner im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten, siehe sogleich unter II.), würden die Grundsätze des Zivilprozesses es dem Richter gemäß § 287 Abs. 1 ZPO erlauben, bei der Schadensermittlung den Schaden unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu schätzen. In diesem Kontext wird aus Gründen der Prozessökonomie in Kauf genommen, dass der Schätzwert ggf. mit der Wirklichkeit nicht komplett übereinstimmt, BGH NJW 1964, 589. Gleiches gilt gemäß § 287 Abs. 2 ZPO für andere Fälle vermögensrechtlicher Streitigkeiten, soweit die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgeblichen Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen. Ist die Bewertung verfahrensstreitig, so hat der Richter bei seiner Entscheidung die tatsächlichen Grundlagen seiner Schätzung darzulegen, BGH NJW 1991, 2340, 2342. Bei der Frage der Kapitalaufbringung (sogleich unter III. und IV.) ist § 287 ZPO dagegen nicht unmittelbar heranziehbar. 1574) Eine Gegenüberstellung findet sich bei Fortgang/Mayer, 32 UCLA L. Rev. 1061, 1063 f. (1985).
322
I. Unternehmensbewertung im Insolvenz(plan)verfahren
quidationskosten.1575) Fortführungswert ist derjenige Wert, der sich bei fortgesetzter Geschäftstätigkeit ergibt.1576) Liquidationswert und Fortführungswert sind im Kontext der Insolvenz regelmäßig 682 in zwei Bereichen besonders relevant: Zum einen bei der Ermittlung der Überschuldung nach § 19 InsO, zum anderen bei dem vom Insolvenzverwalter zu erstellenden Verzeichnis der Massegegenstände. Hier sind nach § 151 Abs. 2 InsO beide Werte anzugeben, sofern der Wert davon abhängt, ob das Unternehmen fortgeführt oder stillgelegt wird.1577) Allerdings sind die dortigen Maßstäbe nicht immer ohne weiteres übertragbar, da sie teils anderen Zwecken dienen1578); vielmehr müssen Maßstäbe jeweils im konkreten Kontext hergeleitet werden.
3.
Notwendige weitere Differenzierungen bei der Unternehmensbewertung in der Insolvenz
Eine besondere Prägung erhält die Unternehmensbewertung in der Insolvenz da- 683 durch, dass bei den Äquivalenzrechnungen nach §§ 245, 251, 253 InsO ein fiktives Vergleichsszenario aufgezogen werden muss. Da in der Insolvenz verschiedene Verwertungsmodalitäten möglich sind, sind gerade im Kontext des Planverfahrens weitere Differenzierungen nötig. ___________ 1575) Peemöller/Bömelburg, DStR 1993, 1036, 1038; dort auch zu dem Umstand, dass (außerhalb der Insolvenz) der Liquidationswert maßgeblich durch die Determinanten Liquidationsintensität (Teil- oder Gesamtverkauf) und Zeitraum der Zerschlagung bestimmt wird, siehe hierzu auch Piltz, Unternehmensbewertung, S. 32 f. und Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 1260 f. Der Liquidationswert ist abzugrenzen vom sog. Substanzwert: dies ist der Wert ist, den ein potentieller Käufer maximal zu zahlen bereit ist, da er die Summe darstellt, die er aufwenden müsste, um das selbe Geschäft aufzuziehen. Mithin werden die werthaltigen, im Unternehmen zusammengefassten Wertgegenstände zu Wiederbeschaffungspreisen addiert. Der Substanzwert ist – im Gegensatz zum Liquidationswert- ein Fortführungswert, siehe Piltz, Unternehmensbewertung, S. 31, der aber immaterielle Vermögensgegenstände wie Geschäftswert, etc. nicht berücksichtigt, a. a. O. S. 35. Ihm wird heute aber nur noch Hilfsfunktion bei der Ermittlung gewisser benötigter Werte im Rahmen der Unternehmensbewertung zugewiesen. In Enteignungsentschädigungsfällen wird zwar vielfach vom Substanzwert des Unternehmens gesprochen, der zu ersetzen sei. Dies ist nach Piltz, a. a. O. S. 206 m. w. N. aber tatsächlich der Unternehmenswert, der (auch) nach Ertragswertmethode zu ermitteln sei. 1576) Auch als going concern-Wert bezeichnet; dieser ist den Gläubigern auch zugewiesen, da das Unternehmen als Zusammenfassung der Unternehmenswerte in die Insolvenzmasse nach § 35 InsO fällt, siehe nur Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 637 Fn. 40 m. w. N.; siehe hierzu auch Gerhardt, FS Gaul, 1997, S. 139, 144: Unternehmen oder Geschäft des Schuldners unterliegen dem Konkursbeschlag, auch wenn diese nicht dem Einzelzwangsvollstreckungszugriff unterliegen. 1577) Entsprechendes gilt nach § 153 Abs. 1 S. 2 InsO für die Vermögensübersicht, siehe hierzu unten IV. 1. d); sehr kritisch gegenüber einem „Fortführungsertragswert“ aber Förster, ZInsO 1999, 555 f. Bilanzrechtlich relevant ist der going concern-Wert auch im Rahmen von § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, wo dessen Ermittlung und Ansatz umstritten ist, siehe hierzu nur Kaiser, ZIP 2012, 2478 ff. 1578) So ist Zweck der Wert- und Vermögensübersichten nach §§ 151 ff. InsO maßgeblich die Information der Gläubiger, um deren Verwertungsentscheidung zu ermöglichen. Die Äquivalenzrechnungen der §§ 245, 251, 253 stellen seit der ESUG-Reform aber teils auch auf die Perspektive der Anteilseigner ab.
323
§ 10 Bewertungsfragen
a) Verschiedene mögliche Definitionen des Liquidationswerts 684 So ergibt sich bei einer Insolvenzplansanierung unter Fortführung im selben Rechtsträger zunächst die besondere Problematik, dass die Systematik des Gesellschaftsrechts zwischen dem Rechtsträger und dem Unternehmen selbst unterscheidet. Ist ein Unternehmen fortführungswürdig, so wird es ggf. im Wege der übertragenden Sanierung als Ganzes vom Insolvenzverwalter verkauft und vom Käufer fortgeführt. Im Grunde ein Fall der Fortführung, stellt sich dies von der gesellschaftsrechtlichen Vorgehensweise her aber als Liquidation dar. Denn nachdem der werthaltige Unternehmensteil im Wege des asset deal verkauft wurde, bleibt nur noch die gesellschaftsrechtliche Hülle, die regelmäßig liquidiert wird – schon damit die daran gebundenen Verbindlichkeiten mit dieser untergehen.1579) Daher ist die Verwendung des Begriffs „Liquidationswert“ zumindest bzgl. der Kapitalgesellschaft problematisch, denn die Liquidation des Unternehmens erfolgt nicht zwingend. Es folgt lediglich die Liquidation des Unternehmensträgers. Dies bedingt eine weitere Differenzierung in zwei verschiedene Kategorien: zum einen als Wert bei Liquidation des Unternehmensträgers, zum anderen als Wert bei Liquidation des Unternehmens selbst.1580)
aa) Auslegung als Stilllegungswert, L(St) 685 In einer ersten Variante wäre der Liquidationswert (nur) ein solcher, wie er durch die Unternehmensbewertungslehre definiert wird, nämlich der Wert, der sich unter der Annahme der Nicht-Weiterführung des Betriebes (Auflösung des Unternehmens) und Veräußerung aller Vermögenswerte bei Einzelveräußerung ergeben würde.1581) Dieser ist in der Regel gering, weil die Vermögenswerte in der Einzelbetrachtung einen niedrigeren Wert haben und die Stilllegungskosten einzurechnen sind. Dieser Wert soll im Folgenden als L(St) bezeichnet werden, als Liquidationswert bei Stilllegung oder auch als Stilllegungswert.1582)
___________ 1579) Siehe oben § 2. III. 1. 1580) Die Lehre von der Unternehmensbewertung dürfte sich mit einer solchen Unterscheidung selten beschäftigen, da sie fast immer nur dann zum Einsatz kommt, wenn ein lebendiges, werthaltiges Unternehmen verkauft wird oder Aktionäre aus einem solchen herausgedrängt werden. Ob dieses im Rahmen der Transaktion letztlich als Verband erhalten bleibt, verschmolzen wird, o. ä., ist nicht relevant, da kein Vergleichsszenario wie das einer Insolvenz beachtet werden muss. 1581) Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 1260 f. 1582) Madaus, Insolvenzplan, S. 440 Fn. 17 plädiert für die Verwendung des Begriffs „Zerschlagungswert“, eben weil Resultat einer Verwertung durch Liquidation auch der Erlös des Fortführungswerts sein könne; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 612 spricht dagegen davon, als Zerschlagungswert den „im Fall einer möglichen Gesamtveräußerung des insolventen Unternehmens zu realisierenden Fortführungswert zugrunde zu legen“. Dieses Beispiel zeigt bereits, dass die Begriffe unterschiedlich verwendet werden und keine Einigkeit über deren genauen Inhalt vorliegt, was sich – etwa bei der Literatur zur ESUG-Reform in Aufsatz- und Handbuch-Form – fortsetzt und daher eine Übersicht über den Meinungsstand erheblich verkompliziert.
324
I. Unternehmensbewertung im Insolvenz(plan)verfahren
bb) Auslegung als Rechtsträgerliquidationswert, L(R) Würde dagegen auf die zweite, allein auf Rechtsträgerliquidation zielende Variante 686 abgestellt, so ist trotz des Begriffs „Liquidationswert“ durchaus ein hoher zu ermittelnder Wert möglich. Dies ergibt sich dann, wenn eine übertragende Sanierung möglich ist, in dessen Rahmen sich die zukünftig erzielbaren, abdiskontierten Überschüsse indirekt bei der Preisermittlung auswirken. Dabei ist zu beachten, dass die zukünftig erwarteten Überschüsse gerade durch das Zurücklassen der alten Verbindlichkeiten im Rechtsträger ermöglicht werden. Damit kann er Elemente eines Fortführungswerts beinhalten.1583) Der so definierte Wert soll im Folgenden als L(R) bezeichnet werden, als Liquidationswert bei Rechtsträgerliquidation. Dies bedeutet aber zugleich, dass L(R) durchaus L(St) entsprechen kann, nämlich dann, wenn eine übertragende Sanierung nicht in Betracht kommt.
b) Verschiedene Definitionen des Fortführungswertes Auch beim Fortführungswert kann eine Differenzierung notwendig werden. Denn 687 der Fortführungswert kann sich sowohl durch Weiterführung des Betriebs im selben Rechtsträger (so regelmäßig Zweck des Debt Equity Swap) als auch nach übertragender Sanierung und Gesamtverkauf an einen anderen Rechtsträger ergeben. Letzterer Fall wäre allerdings in den meisten Fällen identisch mit dem L(R), wenn von der Annahme ausgegangen wird, dass der vom Käufer bei der übertragenden Sanierung gezahlte Kaufpreis den Unternehmenswert widerspiegelt. Im Folgenden soll bei Verwendung des Terminus „Fortführungswert“ nur der Fortführungswert bei Verbleib im Rechtsträger gemeint sein, da nur dies das Ziel des hier zu untersuchenden DES ist1584) (alternativ möglich wäre es, dies den Reorganisationswert zu nennen). Innerhalb des Fortführungswerts muss allerdings differenziert1585) werden, ___________ 1583) Siehe etwa RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 211: „Wäre ohne einen Plan eine Gesamtveräußerung des insolventen Unternehmens möglich, so wird der Minderheit allerdings der so zu realisierende Fortführungswert gewährleistet.“ 1584) Eine Fortführung per Insolvenzplan im selben Rechtsträger, die aber ohne die finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahme des Debt Equity Swap auskommt, ist zwar auch denkbar, kann im Folgenden aber ausgeblendet werden, da davon auszugehen ist, dass ein alternativer Plan, der eine bessere Verwertung der insolventen Gesellschaft zu Gunsten der Gläubiger möglich mache, auch vom Insolvenzverwalter vorgelegt würde (zu einer solchen Annahme siehe Drukarczyk, Insolvenzplan und Obstruktionsverbot, S. 20). Dies können die Beteiligten über die Gläubigerversammlung unter den Voraussetzungen des § 157 InsO auch beeinflussen, da nach dieser Norm dem Insolvenzverwalter die Ausarbeitung eines Plans und das Ziel des Plans aufgegeben werden kann. 1585) Eine parallele Problematik kennt die Unternehmensbewertung außerhalb der Insolvenz bei der Frage, ob sogenannte Verbundvorteile Berücksichtigung finden oder nicht; nach der Rechtsprechung des BGH ist dies nicht der Fall, es gilt vielmehr das stand-alone-Prinzip. Dies wird damit begründet, dass der Eintritt von Verbundeffekten letztlich von der Person des Vertragspartners (etwa bei einem Beherrschungsvertrag) abhängen. Maßstab der Bewertung müsse aber der Grenzwert der Desinvestitionsentscheidung des Aktionärs sein; siehe hierzu im Einzelnen Meinert, DB 2011, 2397, 2340 sowie Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 330 ff.
325
§ 10 Bewertungsfragen
nämlich zwischen einem Fortführungswert unter Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen1586) F(S) und einem Fortführungswert ohne Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen F(oS).1587)
aa) Berücksichtigung von leistungswirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen? 688 Ob Sanierungsmaßnahmen, seien sie bereits vom Insolvenzverwalter ergriffen worden oder erst in der Zukunft geplant (insbesondere im Insolvenzplan selbst), Berücksichtigung finden sollen, ist im Einzelnen umstritten (siehe hierzu unten unter II. und IV. im jeweiligen Kontext).1588)
689 Hinsichtlich der Sanierungsmaßnahmen kann dabei noch im Hinblick auf deren Ansatzpunkt differenziert werden. So gibt es zum einen die Kategorie der leistungswirtschaftlichen Sanierung, die maßgeblich produkt- und absatzwirtschaftlich geprägt ist.1589) Ihr Ziel ist es, die Defizite im operativen Bereich, die sich z. B. ___________ 1586) So wohl Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 124: Wert, „wie er sich auf Basis der nach dem Insolvenzplan vorgesehenen Sanierung ergibt“; siehe beispielhaft für die Bandbreite der verwendeten Termini auch Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464, der – im Kontext der Bewertung einzubringender Forderungen – unterscheidet zwischen einem Fortführungswert, der sich allein aufgrund des DES ergibt und einem Fortführungsmehrwert, der „durch das zusätzliche Engagement anderer (Neu-)Gesellschafter entsteht, indem mit ihrer Hilfe z. B. Synergieeffekte herbeigeführt oder neue Märkte erschlossen werden können.“ Er bezeichnet diesen auch als Käufergrenzpreis, der daraus resultiert, dass „über den Swap hinaus weitere Mittel zufließen und dadurch auch zusätzliche Erträge generiert werden können.“ a. a. O. S. 467 definiert er diesen als Fortführungsmehrwert, „der sich daraus ergibt, dass die Schuldnerin nach der Sanierung besser dasteht als zuvor“. 1587) Dabei ist direkt anzumerken, dass der F(oS) auch oftmals negativ sein kann, da ein defizitäres Unternehmen zumeist keine Ertragsüberschüsse erwirtschaften kann. Nach den gängigen Methoden der Unternehmensbewertung ist in solchen Fällen aber die Untergrenze des zu errechnenden Wertes der Liquidationswert (Details siehe sogleich unter c). Eine vergleichbare Unterscheidung mit/ohne Sanierungsmaßnahmen auch im Bereich der Liquidationswerte wäre, dies sei zur Verdeutlichung gesagt, nicht sinnhaft, da Sanierungsmaßnahmen vor einer Stilllegung (L(St)) nicht sinnvoll sind und bei Liquidation des Rechtsträgers und möglicher übertragender Sanierung (L(R)) die Sanierungsmaßnahmen maßgeblich bereits im Zurücklassen der Verbindlichkeiten im Rechtsträger liegen, also implizite Sanierungsmaßnahmen darstellen. 1588) Eine weitere Frage, die das Gesetz nicht definiert, die aber für die Bewertung von entscheidender Bedeutung ist, ist die, welcher Zeitpunkt relevant sein soll für die Bewertung. Zu verschiedenen Zeitpunkten können verschiedene Wertermittlungen möglich sein. Es kommen maßgeblich vier verschiedene Zeitpunkte in Betracht: Insolvenzantragstellung, Insolvenzverfahrenseröffnung, Abstimmung der Beteiligten über den Plan, Bestätigung des Insolvenzplans durch das Gericht (bzw. Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung bzw. letzte mündliche Verhandlung im Rechtsmittelverfahren). Diese Frage überkreuzt sich allerdings mit der Frage, ob Sanierungsleistungen durch den Insolvenzverwalter (operative Sanierung) und durch Forderungsverzichte der Gläubiger (finanzwirtschaftliche Sanierung) zu berücksichtigen sind, denn diese können zum Teil schon vorliegen, zum Teil mit dem Plan umgesetzt werden. Daher wird die Frage des relevanten Zeitpunkts nicht separat diskutiert; siehe allerdings unten Fn. 1675. 1589) Maier-Reimer, in: Recht der Sanierungsfinanzierung, § 4 Rn. 2.
326
I. Unternehmensbewertung im Insolvenz(plan)verfahren
durch falsche Schwerpunktsetzung, veraltete Produktionsmethoden, falsches Produktportfolio, etc. ergeben, zu beseitigen. Die InsO ermöglicht die Durchführung verschiedenster leistungswirtschaftlicher Sanierungsmaßnahmen, wie etwa die erleichterte Kündigung von Verträgen und Arbeitsverhältnissen, etc.1590) Hinzu kommt als maßgebliches Element die Anreicherung der Insolvenzmasse durch Anfechtung, §§ 129 ff. InsO. Unter der finanzwirtschaftlichen Sanierung wird die nicht nur kurzfristige Beseitigung 690 der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit verstanden.1591) Sie ist notwendig, wenn die erlittenen Verluste (auch) auf einer zu hohen Zinslast beruhen, obwohl der operative Bereich eigentlich profitabel arbeiten könnte. Sie setzt maßgeblich Zugeständnisse externer Beteiligter voraus, die in der Erklärung des Verzichts, der Stundung, der Gewährung neuer Mittel (als Eigenkapital oder eigenkapitalähnlich) und, speziell im Fall des DES, der Umwandlung bestehender Fremdkapitalmittel bestehen.
bb) Errechnung des Fortführungswerts nach der Ertragswertmethode Nach heute gängiger Praxis sind Basis für die Bewertung eines Unternehmens auf 691 going concern-Basis die Überschüsse (Erträge), die die Anteilseigner dem Unternehmen tatsächlich entziehen können1592), die mithin auf der Ebene der Überschussempfänger konsumtiv verwendbar sind.1593) Im Idealfall werden nur die Mittel ausgeschüttet, die bei Verbleib im Unternehmen keine positiven Wertzuwächse auslösen können, die also innerhalb des Unternehmens nicht dieselbe Rendite erwirtschaften, die sie außerhalb des Unternehmens bei einer alternativen Kapitalanlage erwirtschaften könnten (sog. Free Cashflow).1594) Auch der IDW-Standard, der als maßgeblich gilt (wenngleich er auch keinen Normcharakter hat, sondern lediglich eine Empfehlung darstellt) orientiert sich am Zuflussprinzip: Der Wert des Eigenkapitals wird abgeleitet von den Nettozuflüssen an die Unternehmenseigner über die Zeit.1595) In der Rechtsprechung wird zur Ermittlung der Zuflüsse regelmäßig ein Zwei-Phasen-Modell zugrunde gelegt, das aus einer Detailplanungsphase ___________ 1590) Dies kann auch für den Eigenverwalter gelten, siehe etwa Warren, 1991 Ann. Surv. Am. L. 9, 12 f. (1991): “The DIP reshapes the business through assumption and rejection of contacts, setting aside voidable preferences, dropping unprofitable ventures and pursuing new business plans. (The) estate is run to maximize its own value, using both ordinary business practice and the extraordinary procedures available in bankruptcy.“ 1591) Maier-Reimer, in: Recht der Sanierungsfinanzierung, § 4 Rn. 2. 1592) IDW S 1 2008 Tz. 25. 1593) So Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 91; die Ertragswertmethode für ungeeignet haltend Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 612 f., allerdings vor dem Hintergrund, dass er zumindest bei Äquivalenzrechnungen die Berücksichtigung der intendierten Sanierungsmaßnahmen (Übernahme der Planprämissen) ablehnt; ohne Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen bleibe aber immer nur die Bewertung nach „Substanzwert“. 1594) Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 92. 1595) IDW S 1 i. d. F. 2008, Tz. 4, 24 – 27; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 142, 205.
327
§ 10 Bewertungsfragen
und einer Rentenphase besteht.1596) Die Detailplanungsphase beinhaltet dabei die voraussichtliche Entwicklung des Unternehmens in den nächsten 3-5 Jahren (ggf. auch länger), die in dieser Zeit plausibel beurteilt und prognostiziert werden kann. Die Rentenphase (auch: ewige Rente) basiert, vereinfacht gesagt, auf der langfristigen Fortschreibung von Trendentwicklungen.1597)
692 Dieses Abstellen auf Überschüsse wird im Kontext der Unternehmensbewertung in der Insolvenz teils für ungeeignet gehalten mit der Begründung, dass Eigenkapitalgeber in der Insolvenz regelmäßig nicht mehr bedient würden.1598) Wenn Ziel eines Insolvenzplans mit Forderungsumwandlung per DES aber gerade die Befriedigung (teils) durch Anteilszuweisung ist, so liegt in den zukünftigen Ausschüttungen an die dann neuen Anteilseigner zum Teil die Befriedigung, was den Ansatz nach Ertragswertmethode i. E. jedenfalls für die Frage der Höhe der eingebrachten Forderungen rechtfertigen kann.1599) Für die Vergleichsrechnungen, also maßgeblich die Frage einer Anteilseignerabfindung, kann dieser Einwand dagegen durchaus berechtigt sein.1600)
c)
Liquidationswert als Untergrenze der Ertragsprognose
693 Nach dem IDW S 1 und der Mehrheit des Schrifttums soll der Liquidationswert die Wertuntergrenze der Ertragsprognose darstellen.1601) Dieser betriebswirtschaftliche Grundsatz wird damit begründet, dass ein rational handelnder Verkäufer den Einzelverkauf der Unternehmensgegenstände dem Verkauf des Gesamtunternehmens vorziehen würde, wenn damit ein höherer Erlös zu erzielen wäre. Der Barwert der Einnahmeüberschüsse aus der Liquidation ist dann höher als der Barwert der Einnahmeüberschüsse bei Fortführung.1602) Dieser Grundsatz ist relevant bei Ansatz des F(oS), ___________ 1596) Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 432 ff.; Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 235 ff. Zu ggf. nötigen Modifikationen im besonderen Zustand der Insolvenz siehe Nickert, BewP 2012, 82, 87. 1597) Vergleichende Übersicht zu zahlreichen ergangenen Gerichtsentscheidungen der Untergerichte bei Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 236 ff. 1598) Nickert, BewP 2012, 82, 85. 1599) Auch Nickert, BewP 2012, 82, 88, hält eine Bewertung nach Ertragswert i. E. aber für möglich, wenn, wie in seinem Modell, die Gläubiger als Eigenkapitalgeber betrachtet werden; zu Details siehe unten Fn. 1612 ff. 1600) Siehe hierzu allerdings die Überlegungen im konkreten Kontext unter II. und die i. E. hier vertretene Lösung, dennoch nach F(oS) zu bewerten. 1601) IDW S 1 i. d. F. 2008, Tz. 150; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 144; Meinert, DB 2011, 2455, 2457 m. w. N.; siehe auch BGH NZG 2006, 805, 907. 1602) Piltz, Unternehmensbewertung, S. 31 f., nach dem dies i. Ü. zeige, dass auch bei Ansatz des Liquidationswerts als Untergrenze nicht von dem Grundsatz abgewichen würde, dass sich der Unternehmenswert als Barwert der Einnahmeüberschüsse bildet: der Liquidationswert könne somit auch als Ertragswert verstanden werden; dies sei lediglich dann anders, wenn aufgrund gesetzlicher Vorschriften, sozialen Gründen o. ä. das Unternehmen trotz seiner Unrentabilität fortgeführt werden muss, a. a. O. S. 32.
328
I. Unternehmensbewertung im Insolvenz(plan)verfahren
wenn ohne Sanierungsmaßnahmen operative Überschüsse nicht zu prognostizieren sind und daher auch ein Fortführungswert auf den Liquidationswert zurückfallen würde.
d) Methodik der Unternehmensbewertung Weder durch den Gesetzgeber noch durch die höchstrichterliche Rechtsprechung 694 wird zur Ermittlung des Unternehmenswertes eine bestimmte Bewertungsmethode vorgegeben.1603) Auch der U.S. Congress hat sich bei Schaffung des jetzigen Bankruptcy Code, der teils als Vorbild für die deutschen Insolvenzplanregeln diente, der Festlegung einer bestimmten Bewertungsmethode ausdrücklich enthalten. Stattdessen sollten die Gerichte die Bewertung von Fall zu Fall vornehmen und dabei die Fakten und konkurrierenden Interessen eines jeden Einzelfalls berücksichtigen.1604) Der Supreme Court hat mehrfach entschieden, dass die Gerichte sich nicht allein danach orientieren sollen, was dritte Bieter bereit wären zu zahlen. Vielmehr sollte das Kriterium der earning capacity das entscheidende sein.1605) Auch in der deutschen Rechtsprechung wird zumeist auf die Ertragswertmethode abgestellt.1606) Die Gerichte werden für die Unternehmensbewertung regelmäßig auf Sachverstän- 695 digengutachten zurückgreifen. In dem Spannungsfeld einerseits einer gewissen Methodenfreiheit und anderseits des angestrebten Ziels der Verfahrenseffizienz haben Instanzgerichte bei Fragen der Unternehmensbewertung vereinzelt darauf abgestellt, dass es als ausreichend anzusehen ist, wenn die von Sachverständigen vorgenommene Bewertung einer Plausibilitätskontrolle standhält.1607) In diesem Zu___________ In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein den Ertragswert übersteigender Liquidationswert regelmäßig nur dann vorliegen wird, wenn stille Reserven vorhanden sind, siehe KG Berlin v. 14.1.2009, 2 W 68/07 (juris); ein weiterer, wenngleich seltener Fall kann vorliegen, wenn ein Konzern ineffizient groß geworden ist und in seinen Einzelteilen mehr wert wäre, die bisherige Unternehmensleitung sich einem Verkauf von Unternehmensteilen aber verweigert, weil sie einen Verlust an Macht verhindern will, vgl. Aghion/Hart/Moore, 8 J. L. Econ. & Org. 523, 527 (1992). 1603) OLG München, BB 2007, 2395; siehe Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 88 mit Überblick über die sich mit der Zeit wandelnden Bewertungsmethoden und deren Berechnungsmodus. 1604) H. R. Rep. No. 95-595, S. 216 und S. 356. 1605) “the criterion of earning capacity is the essential one of the enterprise is to be freed from the heavy hand of past errors, misallocations or disaster, and if the allocation of securities among the various claimants is to be fair and equitable“, Consol. Rock Prods. Co. v. DuBois, 312 U.S. 510, 526 (1941), zitiert nach O’Rourke, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 403, 425. 1606) Siehe Meinert, DB 2011, 2397, 2399 Fn. 36 m. w. N.; dies ist auch mit Art. 14 GG vereinbar, BVerfG NZG 2011, 235, 237. 1607) So das KG Berlin, 2 W 68/07 (juris): „Vor diesem Hintergrund kann es im Spruchverfahren von vornherein nicht darum gehen, mit gleichsam naturwissenschaftlich-mathematischer Genauigkeit eine objektiv verifizierbare Berechnung vorzunehmen. Vielmehr genügt es, wenn das Gericht – erforderlichenfalls mit sachverständiger Unterstützung – zu der Überzeugung gelangt, dass eine bestimmte konkret vorgenommene Berechnung auf der Grundlage zutreffender Ausgangszahlen zu einem plausibel hergeleiteten Ergebnis führt. Maßgeblich sind damit – richtige Ausgangsdaten vorausgesetzt – im Wesentlichen Plausibilitäten“.
329
§ 10 Bewertungsfragen
sammenhang wird allerdings darauf verwiesen, dass ein nach innen plausibles Bewertungsergebnis (aufgrund Beachtung der der Bewertungsmethode inhärenten Maßstäbe und Verfahren) aber auch nach außen plausibel sein muss, d. h. dass sich der Richter in gewissem Umfang mit den verwendeten Bewertungsverfahren auseinandersetzen muss.1608)
696 Eine Bewertung nach der sog. Vergleichswertmethode kann Anwendung finden, wenn der Vergleich mit Marktwerten bzw. gezahlten Preisen von vergleichbaren Unternehmen nach der Multiplikator-Methode vorgenommen wird.1609) Diese Methode wird z. T. gerade bei der Bewertung in der Insolvenz für vorzugswürdig gehalten, weil das Ertragswertverfahren aufgrund des mit der Insolvenz einhergehenden Risikos nur Scheingenauigkeiten liefern könne.1610) Allerdings ist fraglich, ob dann der Rückgriff auf alte Werte vor der Insolvenz besser weiterhilft, zumal eine Gewinn-Multiplikatormethode den Wert eines Unternehmens schwerlich abbilden kann, wenn zuletzt keine Gewinne mehr erzielt wurden.1611)
697 Sofern die Ertragswertmethode abgelehnt wird, weil ein Abstellen auf die Ausschüttungen an Anteilseigner in der Insolvenz systemwidrig erschiene, kann allerdings darauf verwiesen werden, dass zuletzt Methodenvorschläge gemacht wurden, die die besondere Insolvenzsituation und die zugleich durch den Insolvenzplan intendierte Unternehmensfortführung berücksichtigen können. So hat in diesem Kontext zuletzt Nickert ein Modell vorgeschlagen, bei dem die Eigenkapitalanteile komplett ausgebucht werden und stattdessen die einfachen Insolvenzforderungen als fiktives Eigenkapital eingestellt werden.1612) Hierauf aufbauend soll dann eine Planung der finanziellen Überschüsse erfolgen.1613) Durch den so vorgenommenen Perspektivenwechsel sieht er auch die Möglichkeit der Ermittlung nach Ertrags___________ 1608) Meinert, DB 2011, 2397, 2398. Strittig ist in diesem Zusammenhang auch, ob es sich bei der Wahl der anzuwendenden Bewertungsmethode um eine Rechts- oder Tatfrage handelt. Nach dem BGH obliegt es jedenfalls dem Richter, das von den Sachverständigen ermittelte Ergebnis frei zu würdigen, siehe nur Meinert, a. a. O. S. 2398 m. w. N. und Piltz, Unternehmensbewertung, S. 123 f. 1609) So außerhalb der Insolvenz teils das Vorgehen der Finanzverwaltung, siehe Drukarczyk/ Schüler, Unternehmensbewertung, S. 86. 1610) Steffan, ZInsO 2003, 106, 109. 1611) Siehe auch Förster, ZInsO 1999, 555 f.: Fortführungswerte werden aus den alten unternehmerischen Daten abgeleitet, Fortführung in der betriebswirtschaftlichen Konstruktion basiert aber auf völlig neuen Berechnungsgrundlagen, auch weil der allfällige Verzicht der Gläubiger auf Teile ihrer Forderungen zur „völligen Auflösung des alten Kalkulationsgefüges“ führt; kritisch auch Nickert, BewP 2012, 82, 89: Datenbasis zu gering, als Verprobungsrechnung aber durchaus brauchbar. 1612) Nickert, BewP 2012, 82, 86. Um aber den Masseverbindlichkeiten und dem Status der Absonderungsberechtigten zu genügen, sind diese dabei im Rahmen von Korrekturen zu berücksichtigen; siehe insgesamt a. a. O. S. 86. 1613) Zu den einzelnen Details der dabei zu berücksichtigenden Effekte siehe Nickert, BewP 2012, 82, 87 f.
330
I. Unternehmensbewertung im Insolvenz(plan)verfahren
wertmethode nach dem sog. Equity-Ansatz.1614) Ein solches Modell dürfte sich gerade für Bewertungsfragen im Kontext eines DES eignen.
e)
Parameter der Unternehmensbewertung
Das Ergebnis einer vorzunehmenden Bewertung hängt im Übrigen bereits davon 698 ab, welche Parameter angesetzt werden: denn die für den Fortführungswert entscheidend relevanten Ertragsüberschüsse hängen u. a. ab von intendierten bzw. prognostizierten Ausschüttungssperren, Thesaurierungsstrategien, Investitionsauszahlungen, Veränderungen der Fremdkapitalbestände, der Gestaltung der Kapitalstruktur1615) etc.1616) Auch die Risikozuschläge können unterschiedlich gewählt werden.1617) Relevant sind zudem die Unternehmens- und Einkommenssteuern1618), die wiederum von der prognostizierten Leistungsfähigkeit abhängen; bei einem Krisenunternehmen sind diesbezüglich die Parameter der Unternehmensbewertungsmethode ggf. anzupassen, weil Steuereffekte nicht sicher berechnet werden können, wenn statt Ertragsüberschüssen Verlustrückträge und Verlustvorträge vorliegen.1619) Berücksichtigt werden müssen bei den Äquivalenzrechnungen auch die Kosten des 699 Insolvenzverfahrens. Diese können bestehen aus den direkten Kosten der Insolvenz (Vergütung/Kosten des Insolvenzverwalters, Insolvenzgerichts, etc.), die mit 1 – 2 % des Marktwertes vor dem Insolvenzverfahren veranschlagt werden können.1620) Hinzu kommen die indirekten Kosten durch Zeitaufwand für die Erstellung des Sanierungskonzepts, Schließung nicht-profitabler Bereiche, etc., aber auch Wertverluste durch Reputationsverlust oder Abspringen wichtiger Kunden. ___________ 1614) Nickert, BewP 2012, 82, 88. Den equity-Ansatz lehnt er eigentlich ab, da es in der Insolvenz nicht auf Ausschüttungen auf wertlose Anteile ankommen könne, solange keine vollständige Gläubigerbefriedigung erfolgt. Durch den Perspektivenwechsel werde dies aber möglich. Weitere Folge der Betrachtung der Gläubiger als Eigenkapitalgeber ist, dass der jeweils relevante Kapitalisierungszinsatz der eines Existenzgründungsunternehmens sein soll, siehe a. a. O. S. 89. Insolvenzspezifische Risiken sollen dagegen nicht im Kapitalisierungszinssatz, sondern im Rahmen einer erwartungsgetreuen Planungsrechung berücksichtigt werden, a. a. O. S. 90. 1615) In diesem Zusammenhang kann allerdings generell bezweifelt werden, ob ein Richter die durch Fremdkapital erreichten steuerlichen Vorteile (tax shield) überhaupt einbeziehen sollte. Denn hierdurch wird im makroökonomischen Sinne kein höherer Wert generiert, sondern es wandert lediglich von einer Tasche in die andere, ohne dass hierdurch ein evidenter sozialer Zuwachs einhergehen würde; diese Problematik angesprochen bei Roe, 83 Colum. L. Rev. 527, 591 (1983): no evident social gain. 1616) Aufzählung aus Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 198. 1617) Siehe Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 198 f. zu weiteren Details. 1618) Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 106. 1619) So aus Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 373 f.; dies führt zu der interessanten Frage, wem die Verlustvorträge zugute kommen sollen? Den neuen Anteilseignern oder den alten? 1620) Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 414.
331
§ 10 Bewertungsfragen
4.
Die ökonomische Kompetenz des Insolvenzgerichts
700 Ob an den Insolvenzgerichten die ökonomische Kompetenz zur sachgerechten Lösung dieser intrikaten Fragen vorhanden ist, wird in der Diskussion teils (indirekt) bezweifelt.1621) Allerdings ist fraglich, ob für eine solch pessimistische Aussicht Anlass besteht. Unternehmensbewertung ist gerade bei Fragen der Anteilseignerabfindung, aber auch bei Enteignungen und Schadensersatz für den Richter tägliches Geschäft.1622) Zudem wird sich auch der Richter dabei Sachverständigen bedienen, die nach denselben Methoden arbeiten, die auch auf dem freien Markt Anwendung finden würden.1623)
5.
Zwischenfazit
701 Stellt sich die Unternehmensbewertung schon außerhalb eines Insolvenzszenarios, also wenn die in der Vergangenheit erzielten Gewinne ein Parameter der Berechnung sind, als schwierig dar, so gilt dies erst recht in der Insolvenz, wenn in der Vergangenheit finanzielle oder unternehmerische Fehlstellungen vorlagen.1624) Eine Unternehmensbewertung hängt immer vom Einzelfall ab. Dies führt aber nicht dazu, dass Gutachter oder Richter in ihrer Bewertung völlig frei wären. Die Grundsätze und Maßstäbe können und müssen vielmehr vorgegeben werden, um den Interessen der Beteiligten gerecht zu werden. Welche Grundsätze im Einzelfall gelten, soll im Folgenden bei den konkreten Fragestellungen geklärt werden. ___________ 1621) Siehe hierzu aus dem US-Schrifttum nur Jackson, Bankruptcy Law, S. 219 f.; Baird, 15 J. Legal Studies 127, 136 f. (1986), insb. Fn. 14 m. w. N.; Roe, 83 Colum. L. Rev. 527, 547 (1983): “bankruptcy judges are unlikely to make an astute independent determination of either the firm’s value or the impact on firm viability of a questionable level of debt. Bankruptcy courts lack substantial financial expertise; they are judges, not investment bankers.“; weitere Zitate zur vermeintlichen Unfähigkeit der bankruptcy judges aufgelistet bei LoPucki/Whitford, 106 Mich. L. Rev. 1, 10 (2007). Verteidigung der Richter bei Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1329 f., dort u. a. auch: es komme nur zum cram down, wenn die Verhandlungen und damit der Markt gescheitert sind. Komme es aber zu Marktversagen, so legt das Rechtssystem die Entscheidung regelmäßig in die Hände dritter Parteien, die eine Bewertungsentscheidung zu treffen haben. 1622) Es soll dabei aber nicht unerwähnt bleiben, dass es auch Stimmen gab, die eine durch das Gericht vorgenommene Bewertung gänzlich verhindern wollten, weil diese zwangsläufig nur ungenau sein könne. So bemängelte Stürner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 46 f. schon im Beratungsprozess zur InsO, dass der Wertvergleich im Rahmen des Obstruktionsverbots stets Prognoseelemente und Wertungen enthalte und bei gerichtlicher Entscheidung in der Folge die Wertrealisierung durch Schätzung ersetzt werde. Wer aber jemals bei Gericht mit Wertungen zu tun gehabt habe, der wisse um die Sachverständigenschlachten und das damit einhergehende Labyrinth von Bewertungstheorien. Es werde eine Größe für objektivierbar verkauft, die es schlechterdings nicht gebe. Siehe a. a. O. S. 47 auch zu verfassungsrechtlichen Bedenken: es könnte eine unnötige Verkürzung des Rechtsschutzes darstellen, wenn tatsächliche Wertrealisierung durch Schätzung ersetzt werde. Daher sprach er sich gegen die Vergleichsrechnungen beim Obstruktionsverbot und für eine 2/3-Mehrheit nach Köpfen und Summen sowie ein lediglich im Ausnahmefall greifendes Verbot rechtsmissbräuchlicher Zustimmungsverweigerung aus. 1623) LoPucki/Whitford, 106 Mich. L. Rev. 1, 11 (2007). 1624) Carr, 15 Ind. L. Rev. 547, 549 (1982).
332
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner 1.
Generelle Werthaltigkeit oder generelle Wertlosigkeit?
Die Problematik der Werthaltigkeit der Anteile in der Insolvenz ist keineswegs neu. 702 Sie wurde bereits bei den Beratungen zur InsO und auch später immer wieder diskutiert.1625)
a) Die Diskussion um eine verbleibende Werthaltigkeit So ist zur Frage der Werthaltigkeit von Anteilen in vielen Beiträgen zu lesen, dass 703 die Anteile keinen Wert haben können, wenn sich die Gesellschaft in der Insolvenz befindet. Zumeist wird dies aber von einem „in der Regel“1626) begleitet, um darauf hinzuweisen, dass in den allermeisten Insolvenzen, von Ausnahmen abgesehen, die Anteilseigner keinerlei Zahlungen erhalten.1627) Zum Teil wird die Wertlosigkeit ___________ 1625) Siehe nur die Monographien von Krull, S. 85; Brüning, S. 218 ff. und zuletzt wieder Büchele, S. 100 ff. Die Diskussion könnte insofern überraschen, als dass man sich einig war, dass in den meisten Fällen die Anteile an einem insolventen Unternehmen keinen Wert haben. Es fragt sich somit, warum diese Frage überhaupt so kontrovers diskutiert wurde. Die Antwort ist darin zu sehen, dass die Möglichkeit eines Eingriffs in Anteilseignerrechte bis zum ESUG nicht möglich war (siehe oben § 4. zur Rechtslage vor dem ESUG). Diejenigen, die sie einforderten, argumentierten dabei maßgeblich mit der Wertlosigkeit der Anteile. Die Wertlosigkeit lieferte mithin erst die Rechtfertigung, dass überhaupt eingegriffen werden dürfe. Hält man jetzt den Eingriff (mit dem ESUG) für möglich und die ggf. erforderliche Abfindung als nötigen Mechanismus, um die Verfassungskonformität in Bezug auf Art. 14 GG herzustellen, so stellt sich nunmehr erstmals die Frage nach der konkreten Berechnung dieser Abfindung. Die „neue“ Fragestellung ähnelt mithin der zur alten Rechtslage diskutierten, aber sie stellt sich jetzt im umgekehrten Kontext. Sie ist gewissermaßen die Folge daraus, dass sich der Gesetzgeber in der vorherigen Kontroverse für die Zulässigkeit des Eingriffs entschieden hat. Dies ist zu beachten, wenn der Meinungsstand zur Werthaltigkeit im Folgenden dargestellt wird. 1626) So z. B. Frind, ZInsO 2011, 656, 657; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1044; Wimmer, jurisPR-InsR 5/2011 Anm. 1; 1627) Wo dies nicht der Fall ist, etwa bei Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508, die von immer vorliegender Wertlosigkeit ausgehen, wird zugleich als Argument hierfür eine „ökonomische Betrachtung“ vorgebracht. Damit ist zugleich aber gesagt, dass eine ökonomische Vergleichsrechnung zu ziehen ist zu dem Zustand im Regelverfahren. Sollte hier einer der seltenen Fälle vorliegen, bei dem ein Überschuss nach § 199 InsO auch an die Anteilseigner auszuzahlen ist, müssen folglich auch die Befürworter dieser Ansicht ausnahmsweise zu einer Werthaltigkeit kommen. Eine Ansicht, die davon ausgeht, dass eine Wertlosigkeit immer – unabhängig von Vergleichsrechnungen – vorliegt, wird soweit ersichtlich nicht vertreten; auch die Insolvenzrechtskommission, die gern als vermeintlicher Urheber einer solchen Ansicht genannt wird (an der sich dann zahlreiche Kritiker störten, s. u.), hat dies so apodiktisch nicht formuliert. In der Begründung zu LS 2.2.20 (Erster Bericht, S. 192), der die Ersetzung eines nicht zustande gekommenen Gesellschafterbeschlusses durch das Gericht ermöglicht, ist zu lesen: die Ersetzung sei auch deshalb eine vertretbare Lösung, weil „die Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter wertlos, zumindest stark entwertet seien werden, wenn das noch vorhandene Gesellschaftsvermögen zur vollständigen Befriedigung der Gläubiger nicht ausreicht.“ Zum einen wird eben nicht stets von Wertlosigkeit ausgegangen, sondern auch von einer möglichen „starken Entwertung“. Zum anderen gibt die Begründung hier nur die absolute Vorrangregel wieder: wenn das Vermögen zur vollständigen Befriedigung der vorrangigen Gläubiger nicht ausreicht, so sind die Anteile wertlos.
333
§ 10 Bewertungsfragen
zumindest immer bei bestehender Überschuldung genannt.1628) Dass diesbezüglich aber auch zwischen Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung selten Unterschiede bestehen, wird dabei damit begründet, dass – wiederum unter dem Vorbehalt „in der Regel“ – die Überschuldung der Zahlungsunfähigkeit vorausgehe; da aber in der Praxis oftmals erst bei Zahlungsunfähigkeit Antrag gestellt werde, seien die Anteile fast immer ökonomisch wertlos.1629) Dabei wird noch unterschieden zwischen ökonomischer Überschuldung und insolvenzrechtlicher Überschuldung i. S. v. § 19 InsO: das Vorliegen der Voraussetzungen von § 19 InsO sei für die ökonomische Überschuldung allenfalls Indiz, aber keinesfalls Beleg.1630)
704 Hiergegen hat sich eine Reihe von Autoren gewandt, die sich für eine Werthaltigkeit der Anteile auch in der Insolvenz ausgesprochen haben. So sollte den Anteilen an einer überschuldeten Gesellschaft sehr wohl ein gewisser Wert beigemessen werden, und zwar unter der Reorganisationsprognose.1631) Die mögliche Expropriierung der Gesellschafter gehe an der Tatsache vorbei, dass die Anteile an der überschuldeten Gesellschaft nur unter der Zerschlagungsprognose wertlos seien, nicht aber unter der Reorganisationsprognose.1632) Unter der Reorganisationsprognose würde die insolvente Gesellschaft noch eine lebensfähige Grundlage darstellen.1633) Bei einem angestrebten Sanierungsverfahren könnten die Anteile aufgrund der damit verbundenen Aussicht auf wirtschaftliche Gesundung einen erheblichen wirtschaftlichen Wert haben.1634) Bei Lüer war zu lesen, schon die Annahme, die Anteilsrechte seien in der Insolvenz per se wertlos, sei wirtschaftlich betrachtet falsch, was sich offenkundig zeige im Fall einer Insolvenzeröffnung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit.1635) Aber selbst bei Zahlungsunfähigkeit oder sogar ___________ 1628) So Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 507: „rein ökonomische Betrachtung kommt zu dem Ergebnis, dass bei vorliegender Überschuldung den Anteilsrechten kein Wert zugeschrieben werden kann.“ So auch Büchele, S. 106 und 108. Dass eine Werthaltigkeit bei Nicht-Vorliegen von Überschuldung gegeben sein kann, zeigt etwa der Fall der geplanten Insolvenz des SuhrkampVerlages: hier lag als Eröffnungsgrund Zahlungsunfähigkeit, nicht aber Überschuldung vor (vgl. den Beitrag von Carsten Schäfer in der FAZ vom 21.8.2013). In der Folge sah der Insolvenzplan nach Zeitungsberichten auch eine weitere Beteiligung der Alt-Anteilseigner, wenn auch in geringerem Maße, vor. 1629) Bitter, ZGR 2010, 147, 192; MüKo-InsO/Eidenmüller, 2. Aufl., 2008, § 217 Rn. 75. 1630) So Drukarczyk/Schöntag, S. 20. 1631) Siehe Brüning, S. 220 Fn. 894 m. w. N. 1632) K. Schmidt, Gutachten zum 54. DJT, 1982, S. D 8 (im Kontext der damals oft getätigten Aussage, dass die Anteile der Gesellschafter stets wertlos seien). 1633) K. Schmidt, Gutachten zum 54. DJT, 1982, S. D 83; dies allerdings im Kontext der Frage, ob das Stimmrecht der Gesellschafter automatisch mit Eintritt der Insolvenz für substanzlos erklärt werden kann (was i. Ü. auch das ESUG nicht tut, denn es lässt die Anteilseigner schon entscheiden, wendet aber ggf. das Obstruktionsverbot an). 1634) Neumann, S. 421, womit sich dieser wiederum gegen den Vorschlag der Insolvenzrechtskommission wendete, einen nicht zustande gekommenen Gesellschafterbeschluss unter gewissen Bedingungen durch das Gericht ersetzen zu lassen, Leitsatz 2.2.20 Abs. 3. 1635) Uhlenbruck/Lüer, 13. Aufl., 2010, § 217 Rn. 18.
334
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
bei Überschuldung könne keineswegs von einer Wertlosigkeit der Anteile ausgegangen werden, denn solange das Unternehmen sanierungsfähig sei, sei es auch unter going-concern-Gesichtspunkten zu bewerten. Solange einem sanierungsfähigen Unternehmen künftige Ertragsaussichten zugebilligt würden, erscheine eine Bewertung der Anteile als wertlos als nicht gerechtfertigt.1636) Selbst wenn eine goingconcern-Bewertung ausscheide und die Anteilseigner keinen wirtschaftlichen Zufluss aus künftigen Erträgen erwarten könnten, so ließe sich auch dann nicht von einer Wertlosigkeit der Anteile ausgehen, denn auch dann sei ein etwaiger Liquidationsüberschuss zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen, was schon die bloße Existenz der Regelung in § 199 InsO zeige.1637) In ihrem Kontext gelesen, wehren sich die Autoren hiermit aber maßgeblich gegen 705 die Aussage, dass die Anteile in der Insolvenz stets wertlos seien. Einzig Krull bezog eindeutig Position zugunsten einer Werthaltigkeit unabhängig von der Frage, ob der Vermögenswert zur Befriedigung sämtlicher Gläubiger ausreiche. So führt er aus, die Mitgliedschaften seien durchaus noch potentiell werthaltig. Daran ändere sich auch nichts dadurch, „dass dieser Wert nur gemeinsam mit den Gläubigern zu realisieren ist, denn auch auf deren Seite wird solche Verhandlungsbereitschaft nur bei Vorteilen der Reorganisation gegenüber der übertragenden Sanierung bestehen. Bereits in dem daraus resultierenden Verhandlungsspielraum der Anteilsinhaber manifestiert sich die Werthaltigkeit.“1638)
b) Werthaltigkeit aufgrund Option der Anteilseigner, Kapital zuzuführen? Bei anderen Autoren ist zu lesen, dass die Anteile jedenfalls noch einen „Residu- 706 alwert, eine Art Hoffungswert“1639) haben könnten, was sich aus der Tatsache ableiten lasse, dass der Unternehmensträger reorganisiert werden solle. Dies ähnelt vom Grundgedanken her den Ansichten, die sich gegen eine bloße Wertermittlung durch Gegenüberstellung von Vermögenswerten und Schulden wenden und eine Werthaltigkeit darin sehen, dass die Anteilseigner stets die Option haben, neues Kapital zuzuführen und somit das Unternehmen in ihrer Hand zu behalten: „Accountants, who determine the equity’s position by substracting debt from assets, ___________ 1636) Uhlenbruck/Lüer, 13. Aufl., 2010, § 217 Rn. 18. 1637) Uhlenbruck/Lüer, 13. Aufl., 2010, § 217 Rn. 19, der sich mit einem weiteren Argument eindeutig gegen die Ansicht von Braun, FS Fischer, 2008, S. 53, 69 f. (siehe hierzu oben § 4. II. 1. a) wehrt: wenn die Anteile tatsächlich wertlos seien, dann würde die von Braun propagierte Pflicht zur Abtretung keinen Sinn machen. In Wirklichkeit solle hier die Abtretung gerade doch erfolgen, um sie noch zu verwerten. 1638) Krull, S. 171; diese „Werthaltigkeit“ der Mitgliedschaft sei i. Ü. einer der Gründe gewesen, warum Zwangseingriffe in die gesellschaftsrechtliche Organisation auf der Grundlage von Gläubigerinteressen grundsätzlich abzulehnen seien. 1639) Balz, Sanierung, S. 61.
335
§ 10 Bewertungsfragen
would say this firm has ‚zero equity‘. But this equity holder’s position has an expected value greater than zero because the value of the firm may increase again. Thus, a ‚zero equity‘ position has value.“1640) Diese value soll maßgeblich aus der Option resultieren, die Insolvenz durch Darlehensbedienung unter Verwendung anderer Mittel oder durch Kapitalerhöhung zu verhindern: „equity holders own a valuable option regardless of the firm’s solvency“.1641) Zudem könne ein Wert etwa bei Unternehmensprojekten darin bestehen, dass sie die Möglichkeit zu networking und damit Gelegenheiten zu anderen potentiell profitablen Geschäften geben.1642)
c)
Stellungnahme
707 Letztere Argumentation ist zwar nicht völlig abwegig, allerdings muss ihr entgegengehalten werden, dass hierin allein dann ein Wert für die Anteilseigner gesehen werden kann, wenn sie die Option auch ausüben. Es ist eben eine bloße Option, die Chancen eröffnet, die aber auch ergriffen werden müssen. Würde den Anteilseignern die Chance genommen, dies zu tun, so würde ihnen in der Tat ein Wert entzogen. Doch die Anteilseigner können durchaus auch in der Insolvenz noch eine Kapitalerhöhung durchführen. Jedoch müsste diese so bemessen sein, dass sie den Insolvenzgrund entfallen lässt und somit § 212 InsO greift.1643) Bleibt sie aber unter diesem Betrag, so besteht nach h. M. das Recht des Insolvenzverwalters, die durch eine Kapitalerhöhung erlangten Mittel zur Masse zu ziehen.1644) Damit würde eine Kapitalerhöhung für Anteilseigner unattraktiv. Die bloße Existenz der Option ist somit nur ein Wert gleichsam „virtueller“ Art, der im Übrigen auch nicht ohne weiteres erlöst werden kann. Wenn dies doch der Fall ist, so müsste ein Anteilseigner darauf verwiesen werden, dass er diesen potentiellen Erlös durch Anteilsverkauf an einen sanierungsbereiten Dritten auch für sich hätte sichern müssen; tut er dies nicht, sondern sieht er dem Eintritt der Insolvenz tatenlos zu, so kann hier___________ 1640) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 144 (1997). Siehe hierzu auch noch Fortgang/ Mayer, 32 UCLA L. Rev. 1061, 1129 (1985): “common stock is never completely worthless; It represents an unlimited opportunity to participate in future earnings“. 1641) Diese Option sei auch konkret genug, so dass Sachverständige ihren Wert errechnen könnten unter Anwendung der Berechnungsmethoden, die für die Wertberechnung von Optionen nach der Black-Scholes-Merton-Methode etabliert seien, Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 145 (1997), der auch noch auf einen Artikel von Cornell/Logstaff/Schwartz verweist (in 24 Real Estate Econ. 23 (1996)), die eine Formel für die Wertberechnung der Anteile (equity) entwickelt haben, die auch ausdrücklich die Option berücksichtigt, die sich aus der Weiterführung des Unternehmens ergibt („general formula for calculation the value of equity – including its option to keep the project going by making debt payments“), a. a. O. S. 145 Fn. 50 mit Auflistung der Formel. 1642) Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 145 (1997). 1643) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 465 sowie oben Fn. 288 m. w. N. Zudem müsste dies schnell gesehen, da ansonsten der Insolvenzverwalter ggf. bereits mit Verwertungsmaßnahmen, Vertragskündigungen etc. begonnen hat. 1644) Siehe oben § 3. II.
336
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
aus auch keine Werthaltigkeit erwachsen. Daher wäre der Schluss aus der Option auf eine zwingende Werthaltigkeit zumindest im Insolvenzverfahren unzulässig. Im Übrigen ist den sonstigen gegen die h. M. geäußerten Stellungnahmen gleich, 708 dass sie alle den Konjunktiv benutzen: es „könnte“ noch ein Wert vorhanden sein. Damit wenden sie sich gegen die pauschale Aussage, dass die Anteile immer wertlos seien. Stattdessen sei auf den jeweiligen Einzelfall abstellen. Dieser Aussage kann leicht zugestimmt werden. Denn die Aussage, die Anteile seien in der Insolvenz stets wertlos, ist ebenso falsch wie die von Krull geäußerte Meinung, dass eine Wertlosigkeit der Anteilsrechte nie vorliegen könnte, solange die Gesellschaft sanierungsfähig ist.1645) Ob die Mitgliedschaftsrechte wertlos sind, hängt nicht kausal davon ab, ob das Unternehmen sich in der Insolvenz befindet oder nicht oder ob es sanierungsfähig ist oder nicht. Diese Frage ist allein danach zu klären, ob die vorhandenen Vermögenswerte ausreichen, um die Gläubiger vollständig zu befriedigen. Ist dies nicht möglich, so sind die Anteile wertlos. Die richtige Lösung muss sich, mit anderen Worten, allein an der absoluten Vorrangregel orientieren. So sieht es auch die ganz überwiegende Anzahl der Autoren.1646) Schon der RegE zur InsO sprach mehrfach davon, dass die Vermögensrechte des Schuldners „in der Regel entwertet sein werden“.1647) Im Zusammenspiel mit § 199 InsO bedeutet dies, dass nur dann ein Wert an die Anteilseigner ausgekehrt wird, wenn die Forderungen aller Insolvenzgläubiger in voller Höhe befriedigt werden. Durch den neuen Absatz 3 Nr. 1 des § 245 InsO n. F. wird die Geltung der absoluten Vorrangregel auch hinsichtlich einer Abfindung für Anteilseigner eindeutig festgelegt: solange kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, liegt den Anteilseignern gegenüber keine unangemessene Beteiligung vor. Sofern also nicht die (seltene) Situation vorliegt, dass die Gläubiger in voller Höhe ihres Anspruchs befriedigt werden, haben die Anteile keinen Vermögenswert.1648) Das von Krull angeführte Argument, die Werthaltigkeit manifestiere sich gerade im Verhandlungsspielraum der Anteilseigner1649), kann spätestens seit dem ESUG nicht mehr gelten, denn seit der Reform sind diese ebenso dem Insolvenzplan unterworfen und haben keine Blockadeposition mehr, die nicht per Obstruktions-
___________ 1645) Krull, S. 85: Der Ausschluss von Gesellschaftern oder die gerichtliche Ersetzung ihrer Entscheidung sei „allenfalls durch die Wertlosigkeit ihrer Mitgliedschaftsrechte zu rechtfertigen – woran es im Fall der Sanierungsfähigkeit des Unternehmensträgers gerade fehlt“. 1646) Siehe nur H.-F. Müller, S. 356 (rechnerische Wertlosigkeit der Anteile, wenn Masse zur Befriedigung nicht ausreicht); Balz, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 1, 6 f.; Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 563 (Möglichkeit, vor allem im Fall der Überschuldung neu zu bewerten und den Wert der Anteile dabei auf Null zu setzen). 1647) RegE-InsO, BT-DRs. 12/2443, S. 92 und 99. 1648) So auch die Begründung des RegE-ESUG, Bt-Drs. 17/5712, S. 32. 1649) Krull, S. 171.
337
§ 10 Bewertungsfragen
verbot überwunden werden könnte.1650) Dieses Obstruktionsverbot orientiert sich, wie gezeigt, strikt an der absoluten Vorrangregel.
709 Im Ergebnis ist somit für die Frage der Werthaltigkeit eine Prüfung nötig, ob die Gläubiger zu 100 % befriedigt werden können und darüber hinaus noch ein zusätzlicher Wert verbleibt.1651) Nur wenn dies der Fall ist, sind die Anteile werthaltig und eine Abfindung an herausgedrängte Anteilseigner nötig. Dies korrespondiert auch mit den zu Art. 14 GG erzielten Ergebnissen.
2.
Berechnung der Anteilswerte bei Insolvenzplansanierung
710 Damit ist die entscheidende Problemstellung eine andere, nämlich die Frage des Wertansatzes: Die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital ist gerade keine Liquidation mit anschließender Schlussverteilung der hieraus erzielten Erträgen unter den Gläubigern. Vielmehr erfolgt nach vollzogenem DES die Befriedigung der (umwandelnden) Gläubiger durch die Ausgabe von Anteilsscheinen am reorganisierten Unternehmen. Daher ist dessen Wert zu ermitteln, um so errechnen zu können, ob die Gläubiger durch die Insolvenzplansanierung womöglich vollständig befriedigt werden, so dass ein bestehender Restwert an die Anteilseigner auszuzahlen wäre.
711 Für diese Unternehmenswertberechnung stehen dabei die oben bereits angesprochenen vier möglichen Bewertungsansätze zur Verfügung: Der Stilllegungswert L(St), der Liquidationswert bei Rechtsträgerliquidation L(R), der Fortführungswert ohne Sanierungsmaßnahmen F(oS) oder der Fortführungswert mit Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen F(S). Diese müssen nicht zwingend vier verschiedene Werte ergeben. L(R) kann derselbe Wert sein wie L(St), nämlich dann, wenn eine übertragende Sanierung nicht möglich ist und sowohl Rechtsträger als auch Unternehmen liquidiert werden.1652) Ebenso kann L(R) ähnlich sein wie F(oS), wenn nämlich der Fortführungswert ohne Sanierungseffekte genau so hoch ___________ 1650) Dies wäre nur dann anders, wenn man hierin einen Verstoß gegen Art. 14 GG sieht, was hier nicht vertreten wird, s. o. § 6. III. Auch die Ansicht von Madaus zieht die propagierte Verfassungswidrigkeit nicht aus einem verbleibenden Restwert der Anteile, der einen Eingriff unter Art. 14 GG verbiete. Vielmehr hält er den Eingriff für verfassungswidrig, weil dabei – unabhängig von irgendwelchen Restwerten – die von Art. 9 GG geschützte Gesellschafterautonomie missachtet werde, siehe oben § 6. IV. 3. d). 1651) Die Abgrenzung in dieser Thematik ist durchaus schwer zu ziehen, da die Grenzen der Argumente fließend sind. So schwingt in der soeben skizzierten Diskussion auch auf die implizit diskutierte Grundfrage mit, ob durch die InsO-Sanierungsmaßnahmen erreichte Wertsteigerungen einberechnet werden sollen (so einige Autoren, die folglich zu einer Werthaltigkeit gelangen) oder nicht. Dies wird unten näher diskutiert. 1652) Diese Differenzierung kann nicht deswegen abgelehnt werden, weil der DES maßgeblich nur dann zur Anwendung komme, wenn mit der übertragenden Sanierung der Verlust von rechtsträgergebundenen Berechtigungen und zu große Reibungsverluste einhergingen. Denn in vielen Szenarien kann der DES die beste Verwertungsalternative sein, die übertragende Sanierung aber die zweitbeste, die immer noch besser ist als die Liquidation. Daher ist dessen Möglichkeit im Kontext der Anteilsbewertung mit einzubeziehen.
338
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
ist wie der Wert, den ein potentieller Investor im Rahmen der übertragenden Sanierung bereit wäre zu zahlen. Der Gesetzestext enthält zur Frage des Wertansatzes keine Vorgaben. Aus § 251 712 und § 253 InsO sowie § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist einzig zu entnehmen, dass die Anteilseigner als Beteiligte nicht schlechter stehen dürfen, als sie ohne einen Plan stünden.1653) Welches genaue Vergleichsszenario „ohne Plan“ aber damit heranzuziehen ist, sagt das Gesetz nicht.
a) Liquidationswert bei Rechtsträgerliquidation, L(R) Die Gesetzesbegründung des RegE-ESUG spricht davon, dass „im Insolvenzver- 713 fahren regelmäßig von einer Wertlosigkeit der Anteile auszugehen“ ist.1654) Aus dieser Aussage ziehen einige Autoren, dass der Gesetzgeber hiermit klargestellt habe, dass der Liquidationswert der Anteile maßgeblich sein solle.1655) Dies ist aber keine zwingende Schlussfolgerung.1656) Denn sowohl nach Fortführungswert F(oS) als auch nach Liquidationswert können die Anteile wertlos sein. Vielfach werden sie sogar auch nach F(oS) wertlos sein. Denn für die Frage, ob eine vollständige Befriedigung der Gläubiger erfolgt, ist auf die Höhe der ursprünglichen Forderungen abzustellen, nicht auf die Höhe der regelmäßig im Insolvenzplan gekürzten Forderungen.1657) Die Umwandlung der Forderungen lohnt sich für die Gläubiger aber nicht erst, wenn sie damit über 100 % befriedigt werden, sondern bereits dann, ___________ 1653) Im Detail fordert § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO n. F. ebenso wie § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine voraussichtliche Schlechterstellung als ohne Plan, während § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO n. F. eine wesentliche Schlechterstellung als ohne Plan voraussetzt. 1654) RegE ESUG, Br-Drs. 127/11, S. 45. Die Interpretation von Obermüller/Kuder, ZInsO 2010, 2017, 2020, dass in der gleichlautenden Begründung des DiskE hiermit klargestellt worden sei, dass eine Entschädigung nicht in Betracht komme, wenn ohne Bestätigung des Reorganisations-/Insolvenzplans ein Insolvenzverfahren hätte eröffnet werden müssen, ist dabei abwegig. Das ESUG sieht gerade vor, dass eine gesellschaftsrechtliche Maßnahme nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wird. Daher kann die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht zwingend zu einer Wertlosigkeit der Anteile führen. 1655) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 124. 1656) Auch die von Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 124 Fn. 28 zitierten Quellen sehen dies, entgegen derer Behauptung, nicht genau in diesem Sinne: so geben Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 518 lediglich wieder, was in der Begr. zum RegE-ESUG steht. Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508 schreiben, dass die Anteilsrechte bei Regelabwicklung und Liquidation immer endgültig und entschädigungslos untergehen; dies ist aber lediglich eine Feststellung und nicht dahingehend zu lesen, dass damit auch bei der Reorganisation immer der Liquidationswert anzusetzen sei. Hölzle, NZI 2011, 124, 127 spricht lediglich davon, dass die Anteilsrechte nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens ohnehin keinen Vermögenswert mehr vermitteln; auch dies ist lediglich eine Feststellung in Bezug auf das Regelverfahren, das aber nicht auch für das Reorganisationsverfahren gelten muss. 1657) Siehe hierzu Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1047 f. (1987), der ebenso wie die allermeisten Gerichte einen no-value-Ansatz ablehnt, der den Anteilseignern alles zuwenden würde, was sich als Wert über den gekürzten Forderungen hinaus ergeben würde.
339
§ 10 Bewertungsfragen
wenn die Fortführung eine höhere Befriedigungsquote ermöglicht als die Liquidation (ggf. mit übertragender Sanierung).1658) Mit anderen Worten: Der Fortführungswert kann höher sein als L(R) (und höher als L(St) sowieso), ohne dass damit eine vollständige Gläubigerbefriedigung erfolgt.
714 Deutlich aber ist die Aussage der Begründung des RegE an anderer Stelle: Im Kontext des § 251 InsO schreibt der Gesetzgeber, dass durch den Minderheitenschutz sichergestellt werde, „dass die Anteilsinhaber den Liquidationswert ihrer Rechtsstellung nicht verlieren und durch den Plan nicht schlechtergestellt werden, als bei einer Abwicklung des Rechtsträgers.“1659) Dies deutet vom Wortlaut her deutlich darauf hin, dass der Gesetzgeber eine Abfindung auf Basis von Liquidationswerten bei Rechtsträgerliquidation will, also L(R). Dieser kann aber, je nach Einzelfall, ähnlich einem Fortführungswert sein, nämlich dann, wenn ein solcher im Rahmen einer übertragenden Sanierung erlöst werden könnte.
b) Stilllegungswert, L(St) 715 Teils wird auch davon ausgegangen, dass für die Wertberechnung der Anteile der Stilllegungswert anzusetzen sei.
aa) Kommission für Insolvenzrecht 716 Eine Definition des Liquidationswertes als Stilllegungswert hatte etwa die Kommission für Insolvenzrecht im Sinn: In Leitsatz 2.4.9.9 Absatz 3 heißt es: „Der Abfindungsanspruch ist auf der Grundlage des Liquidationswerts des Gesellschaftsvermögens zu berechnen“.1660) Indem ausdrücklich auf das Gesellschaftsvermögen abgestellt wird, wurde klargestellt, dass es nicht um den bei Liquidation der Gesellschaft zu erzielenden Wert gehen sollte.
bb) Parallele zu § 225a Abs. 5 InsO n. F.? 717 Der Gesetzgeber hat für einen Spezialfall eine Abfindungsregelung geschaffen, bei der er auch zur Berechnungsmethode Stellung nimmt. Der (erst in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses ins Gesetz gelangte) § 225a Abs. 5 InsO n. F. behandelt den Fall, dass eine gesellschaftsrechtliche Maßnahme im Insolvenzplanverfahren eine Umgestaltung der Gesellschaft bewirkt hat, bei der die bestehenden Anteilseigner nicht komplett herausgedrängt wurden, diese hierdurch aber ein Austrittsrecht erlangen. Demnach ist, sofern der DES für die verbliebenen Gesellschafter einen wichtigen Grund zum Austritt aus der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit darstellt und von diesem Austrittsrecht Gebrauch gemacht ___________ 1658) Simon, CFL 2010, 448, 455; Spetzler, S. 68. 1659) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 34. 1660) KfI, Erster Bericht, S. 287.
340
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
wird, für „die Bestimmung der Höhe eines etwaigen Abfindungsanspruches die Vermögenslage maßgeblich, die sich bei einer Abwicklung des Schuldners eingestellt hätte.“1661) Der Gesetzestext ist hier allerdings nicht deutlich, da von der Abwicklung des 718 Schuldners die Rede ist. In den übrigen Regelungen der InsO ist Schuldner jeweils die Gesellschaft (siehe z. B. § 227 Abs. 2), also der Rechtsträger. Wird dieser abgewickelt, heißt dies nicht, dass auch das Unternehmen stillgelegt wird. Es könnte auch der Fall der übertragenden Sanierung gegeben sein. Jedoch könnte die Begründung des Rechtsausschusses weiterführen. Laut dieser soll durch § 225a Abs. 5 InsO n. F. geregelt werden, dass „bei der Bestimmung der Höhe des Abfindungsanspruchs in Rechnung zu stellen (sei), dass die Nichtdurchführung des Plans zur Folge hätte, dass das Unternehmen zu liquidieren wäre.“1662) Durch die Benutzung des Wortes „Unternehmen“ könnte hier der Wille des Gesetzgebers zum Ansatz des Stilllegungswertes L(St) entnommen werden. Denn hätte er L(R) gewollt, so hätte er von der Abwicklung des „Rechtsträgers“ gesprochen, wie er es in der Begründung des RegE zu § 251 InsO n. F. getan hat.1663) Fraglich bleibt, ob die Wortwahl in der Eile der letzten Sitzung des Rechtsausschusses eingehend geprüft wurde. Problematisch könnte damit auch werden, dass damit nach hiesiger Interpretation der Gesetzesmaterialien für eine Abfindung des von sich aus (freiwillig) austretenden Anteilseigners nach § 225a Abs. 5 InsO n. F. andere Maßstäbe (L(St)) gelten würden als für den (unfreiwillig) herausgedrängten Anteilseigner (L(R)).1664)
c)
Fortführungswert
Auch der Ansatz von Fortführungswerten bei der Berechnung der Alt-Anteile wird 719 vertreten. Dabei wird Fortführungswert in fast allen Fällen als F(S) verstanden, also als tatsächlicher Wert eines reorganisierten und sanierten Unternehmens.
aa) KredReorgG Das KredReorgG1665) enthält in § 9 Abs. 2 S. 2 ausdrücklich die Vorgabe, dass den 720 bisherigen Anteilsinhabern für eine Debt Equity Swap-Maßnahme eine „angemessene
___________ 1661) Mit Verweis auf § 225a Abs. 5 InsO n. F. geht etwa Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 17 davon aus, dass eine Bewertung zu Fortführungswerten de lege lata nunmehr „nicht mehr haltbar“ sei. 1662) Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses v. 26.10.2011, BT-Drs. 17/7511, S. 49. 1663) Oben Fn. 1659. K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 225a Rn. 53 geht (allerdings ohne Auseinandersetzung mit dem Wortlaut) dagegen davon aus, dass auch bei freiwilligem Austritt des Anteilseigners ein potentiell möglicher Gesamtverkauf zu berücksichtigen sei. 1664) Oben II. 2. a) a. E. 1665) Grundlagen hierzu in Abschnitt § 5. V.
341
§ 10 Bewertungsfragen
Entschädigung“ zu leisten ist.1666) In der Gesetzesbegründung wird zur Höhe einer solchen Kompensation erläutert: „Wird das Unternehmen als sanierungsfähig eingestuft, so muss regelmäßig auch im Fall der Überschuldung nach dem Grundsatz der Unternehmensfortführung von einem Wert der Gesellschaftsanteile ausgegangen werden.1667) Beachtenswert ist hier, dass dies sogar ausdrücklich auch bei Vorliegen von Überschuldung der Fall sein soll.1668) Erst recht gelte dies, wenn lediglich Liquiditätsprobleme vorlägen, da diese nicht ohne Weiteres den Schluss auf die Aufzehrung des Gesellschaftskapitals zuließen.1669) Im Rahmen des Obstruktionsverbots gegenüber Anteilseignern, das im KredReorgG eine besondere Ausprägung findet, erläutert der RegE weiter: Bei Eingriffen in die Anteilseignerrechte seien aus verfassungsrechtlichen Gründen zusätzliche Einschränkungen zu beachten, „da es nicht zulässig wäre, die Anteile auf eine rein vermögensmäßige Position zu reduzieren, um dann unter Hinweis auf die Überschuldung des Kreditinstituts diese Vermögensposition mit Null zu bewerten.“1670) Aus diesen Ausführungen wird geschlossen, dass damit auf den Fortführungswert auch unter Beachtung der Sanierungsmaßnahmen, insbesondere der Forderungsverzichte der Gläubiger, abgestellt werde1671) und die Alt-Anteilsinhaber auch an reorganisationsbedingten Wertzuwächsen partizipieren sollen.1672)
bb) Literatur 721 Lüer tendiert zu einem Ansatz des Fortführungswerts unter Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen, also einem F(S): Im Hinblick auf die künftigen Ertragsaussichten, die dem sanierungsfähigen Unternehmen zugebilligt werden, stehe „vielmehr außer Zweifel, dass Unternehmen, welche außerhalb der Insolvenz noch Ver___________ 1666) Der zunächst im DiskE des ESUG fast wortgleich enthaltene § 225a Abs. 4 ist, anders als im KredReorgG, später gestrichen worden. 1667) Reg-E KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 51. 1668) Eingriffe in Anteilseignerrechte sind im KredReorgG nur möglich im Rahmen des Reorganisationsverfahrens (nicht aber im Rahmen eines schon vorher möglichen Sanierungsverfahrens, das eine niedrigere Schwelle für deren Einleitung aufweist). Das Reorganisationsverfahren kann eingeleitet werden, wenn (gewissermaßen als „Reorganisationsgrund“) eine Gefährdung der Stabilität des Finanzsystems besteht, § 1 Abs. 1 S. 2 KredReorgG. 1669) Reg-E KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 51. 1670) RegE-KredReorgG, BT-Drs. 17/3024, S. 55. 1671) Siehe etwa Obermüller, NZI 2011, 81, 89: Gläubiger macht durch Verzicht auf Teile seiner Ansprüche erst möglich; Bankenverband, Anmerkung zu § 9 KredReorgG: Gläubiger werde es schwer fallen, teilweisen Verlust seiner Forderung zu akzeptieren, wenn Entschädigung zu Fortführungswerten an Anteilseigner gezahlt werden; ähnlich Schuster/Westphal, DB 2011, 221, 227, die dem nicht folgen wollen, weil doch erst die Gläubigerbeiträge die Unternehmensfortführung ermöglichen. 1672) H.-F. Müller, KTS 2011, 1, 9. Stengel, Beilage 4 zu Heft 13, DB 2011, S. 11, 12 führt aus, dass sich die Anteilseignerentschädigung „allerdings lediglich am Fortführungswert des betroffenen Instituts“ orientiert. Unklar bleibt hier, warum die Formulierung „lediglich“ verwendet wird.
342
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
luste erwirtschafteten, gleichwohl einen positiven künftigen Wert haben können, nämlich dann, wenn sie nach Durchführung gewisser Maßnahmen ertragsversprechend sind.“1673) Auch Simon zeigt letztlich Sympathie für einen Ansatz des Fortführungswerts, der sogar die durch die Sanierung erhofften Wertsteigerungen zugunsten der Anteilseigner einberechnet.1674)
cc) Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen bei der Bewertung? Somit zeigt sich, dass auch bei Ansatz eines Fortführungswertes nochmals differen- 722 ziert werden muss: zunächst erscheint möglich, gänzlich auf den Ertragswert der sanierten Gesellschaft nach Durchlaufen der Insolvenzplansanierung abzustellen, mithin die intendierten, aber noch nicht durchgeführten Sanierungsmaßnahmen sowohl finanzwirtschaftlicher als auch leistungswirtschaftlicher Art zu berücksichtigen.1675) Die ganz h. M. lehnt dies aber ab und spricht sich diesbezüglich gegen eine Berück- 723 sichtigung solcher Sanierungsmaßnahmen aus, die erst durch die Leistungen des Insolvenzverwalters, Gläubiger oder Dritter während des Verfahrens ermöglicht ___________ 1673) Uhlenbruck/Lüer, 13. Aufl., 2010, § 217 Rn. 18. 1674) Simon, CFL 2010, 448, 456, der i. E. aber darauf verweist, dass sich sachgerechte Ergebnisse nur auf Basis der individuellen Fallgestaltung und der erforderlichen Sanierungsbeiträge ermitteln ließen; in einer späteren Publikation sieht er dann aber auf Basis des ESUG keine Möglichkeit, diesen Wertansatz zu wählen, da der Gesetzgeber es anders gewollte habe, siehe Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 124. Siehe auch Drukarczyk/Schöntag, S. 6: Wenn der Fortführungswert des Unternehmens nach operativer Sanierung die Höhe der Gläubigeransprüche (vor deren Sanierungsbeiträgen) unterschreitet, kann den Eigentümern bei strikter Einhaltung der im § 245 InsO angelegten Zuteilungsrangfolge kein wirtschaftlicher Wert zugesprochen werden. 1675) Siehe die soeben in der vorherigen Fn. zitierten Ansichten. Dies würde dann in die oben definierte Kategorie F(S) fallen. Anzumerken ist, dass eine Analyse auch ausgehen könnte von der Frage, welcher Zeitpunkt als Anknüpfungspunkt für die Unternehmensbewertung gewählt werden soll. Balz, Sanierung, S. 61 plädiert (im Rahmen der Frage, wann eine Beteiligung wertlos ist) dafür, auf den Liquidationswert im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung abzustellen (ebenso Brüning, S. 221; abweichend Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1529: Insolvenzantragstellung). Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 90 tendiert dazu, für Bewertungsfragen (im Rahmen des Minderheitenschutzes für Gläubiger) auf den Zeitpunkt der Gläubigerabstimmung abzustellen, weil danach sich ergebende Veränderungen das Kalkül der Gläubiger nicht mehr beeinflussen; dies ist aber auf die Frage der Anteilseigner-Abfindung nicht übertragbar, weil es hier nicht um eine subjektive Einschätzung des Gläubigers geht, sondern eine objektive Bewertung der Anteile. Allerdings überschneidet sich die Frage nach dem Zeitpunkt maßgeblich mit der Frage nach der Berücksichtigung von reorganisationsbedingten Wertsteigerungen. So müsste am Stichtag Antragstellung und Verfahrenseröffnung keine Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen erfolgen, während beim Stichtag Insolvenzplanbestätigung, wenn davon ausgegangen wird, dass der Großteil der Sanierungsmaßnahmen im Plan bestimmt sind, genau diese Sanierungsmaßnahmen zu berücksichtigen wären, da sie in der juristischen Sekunde der Planbestätigung auch eintreten (zumindest die, die im gestaltenden Teil stehen. Bezüglich derer im darstellenden Teil wäre es wiederum schwierig).
343
§ 10 Bewertungsfragen
werden.1676) Zumeist wird dies damit begründet, dass der entscheidende Zeitpunkt derjenige während des Verfahrens sei, bei dem die Sanierung erst noch anzugehen ist. Ein Verlegen dieses Zeitpunkts in die Zukunft, wenn eine ggf. reorganisierte Gesellschaft wieder profitabel sein könnte, sei unzulässig, entscheidend sei der Horizont der Verfahrenseröffnung.1677) Potentiell werthaltig sei nicht gleichbedeutend mit werthaltig, sondern nur Ausdruck einer Chance zukünftiger Werterzielung, weshalb eine Wertermittlung unter der Reorganisationsprognose spekulativ sei.1678) Schon die Kommission für Insolvenzrecht hatte in ihrem Ersten Bericht sogar ausdrücklich in Leitsatz 2.4.9.9 Abs. 3 S. 2 festgelegt: „Reorganisationsbedingte Wertzuwächse werden nicht berücksichtigt“, was damit begründet wurde, dass sich der ausscheidende Gesellschafter nicht an der Reorganisation beteilige.1679)
dd) Berücksichtigung des durch die Reorganisation erzielten Mehrwertes? 724 Abweichend hiervon kann aber auch gefragt werden, ob solche Wertzuwächse zugunsten der Anteilseigner zu berücksichtigen sind, die gerade infolge der Reorganisation zu erwarten sind. So wird vertreten, dass „reorganisationsbedingte Zuwächse“ bei der Anteilsbewertung mitberücksichtigt werden sollen.1680) Dies wird damit begründet, dass sich ein Wert der Anteile eben gerade darin zeige, dass sich ___________ 1676) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1529; Spetzler, S. 69; Balz, Sanierung, S. 61; siehe auch Stellungnahme des Insolvenzrechtsausschuss des DAV vom 10.3.2010, in: NZI 22/2010 zu DiskE-ESUG: „Hilfreich wäre eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung, dass für die Berechnung des Werts der Anteile von der Situation auszugehen ist, die ohne die Beiträge der Gläubiger vorläge, d. h. in der Regel von einer Überschuldung und damit einem Anteilswert von Null“ (dort wird in diesem Zusammenhang außerdem angesprochen, dass § 225a Abs. 4 InsO-E räuberischen Aktionären zu viel Stoff für Rechtsstreitigkeiten gegeben hätte); im Rahmen des KredReorgG gegen die Berücksichtigung von Sanierungserfolgen durch Gläubigerverzichte z. B. Obermüller, NZI 2011, 81, 89; Schuster/Westphal, BB 2011, 221, 227 (beide mit Verweis darauf, dass erst durch die Kürzung der Gläubigerforderungen die Fortführung überhaupt ermöglicht werde). Überlegungen zu einer Verteilung des „Sanierungserfolges“ auch bei Simon, CFL 2010, 448, 456. 1677) Balz, Sanierung, S. 49, 61. 1678) Brüning, S. 221. Siehe auch Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997, S. 613 im Rahmen einer generellen Kritik an der Anwendung der Ertragswertmethode: „Die Antizipation beabsichtigter Umgestaltung des Unternehmens, bspw. durch Übernahme der Planprämissen würde dazu führen, dass der Zerschlagungswert durch Gesamtveräußerung gleich dem Planwert des reorganisierten Unternehmens wäre. Dass dies unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung des Wertes, der auch ohne Plan dem Gläubiger zusteht, ersichtlich sinnwidrig ist, liegt auf der Hand“; entsprechendes könnte auch hinsichtlich der Anteilseigner argumentiert werden. 1679) KfI, Erster Bericht, S. 287. 1680) Verse, ZGR 2010, 299, 310 f. lässt dabei im Unklaren, ob er Wertzuwächse allein durch die Reorganisation oder sämtliche Sanierungswertzuwächse berücksichtigen will; Spetzler, S. 69 stellt dagegen klar, dass Wertsteigerungen durch Leistungen der Gläubiger, des Insolvenzverwalters oder Dritte nicht berücksichtigt werden, sondern als Aufwand abgezogen werden müssen.
344
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
„die Haftungsmasse nur durch Nutzung des Rechtsträgers maximieren“ lasse.1681) Dieser Wert könne im Rahmen einer vollen Entschädigung schwerlich unberücksichtigt bleiben.1682) Wenn sich mithin der Umstand ergäbe, dass die Unternehmensträgerreorganisation 725 einen höheren Wert ergibt als die übertragende Sanierung (eben weil nur erstere die gewinnbringende Nutzung der rechtsträgergebundenen Berechtigungen erlaubt) und dieser Wert zudem über den Verbindlichkeiten des Unternehmens liegt1683), so würde sich dann die Frage stellen, wem der Wert zusteht, der über die Summe der Verbindlichkeiten hinausgeht. Die h. M., die stets auf den Vergleich zur Regelabwicklung abstellt, müsste dies den Neu-Anteilseignern zuweisen, weil im Vergleichsbeispiel der Rechtsträgerliquidation kein Wert für Anteilseigner übrig bliebe. Hiergegen wehrt sich die Mindermeinung mit der Begründung, dass dies für die umwandelnden Gläubiger ein Geschenk des Himmels darstelle und dies gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der vollen Entschädigung verstoße.1684) Denn wenn der durch die Trägerreorganisation erzielte Mehrwert den umwandelnden Gläubigern zugute kommen (und den Alt-Anteilseignern entzogen) würde, so würde „die Legitimation für den Eingriff in die Anteilsrechte, der Schutz der Befriedigungsinteressen der Gläubiger, überschritten“.1685) Mithin dürfte das Vergleichsszenario und damit Maßstab der Anteilseigner-Abfindung niemals der zu erzielende Liquidationswert sein, sondern der Fortführungswert bei Reorganisation.1686)
3.
Stellungnahme
a) Zum Ansatz eines Stilllegungswertes Für den Stilllegungswert könnte die (pointierte) Fragestellung sprechen, ob den An- 726 teilseignern die Eigentümlichkeiten eines Vergleichsszenarios der übertragenden Sanierung – Abstreifung der Verbindlichkeiten unter Nichtanwendbarkeit des § 25 HGB – eigentlich zugute kommen soll oder darf. Denn ohne Insolvenz wäre diese Abstreifung nicht möglich, da § 25 HGB greifen und die Verbindlichkeiten übergehen lassen würde; entsprechend niedriger wäre ein Kaufpreis außerhalb der In___________ 1681) Verse, ZGR 2010, 299, 311. 1682) Andererseits wird aber auch gesehen, dass „der Wertzuwachs nur dem zustehen sollte, der sich (wie die Gläubiger im Rahmen eines DES) durch besondere Sanierungsbeiträge an der Reorganisation beteiligt“, Verse, ZGR 2010, 299, 311. 1683) Beispiel bei Verse, ZGR 2010, 299, 310 f. sind Verbindlichkeiten von 2 Mio, ein Liquidationswert (inkl. übertragender Sanierung) von 1,5 Mio und ein Ertragswert des reorganisierten Unternehmens von 2,2 Mio. Spetzler, S. 70 geht aus von Verbindlichkeiten von 100, einem Liquidationswert (inkl. übertragender Sanierung) von 80 und einem Wert bei Trägerrestrukturierung von 110. 1684) Spetzler, S. 70. 1685) Verse, ZGR 2010, 299, 311. 1686) Spetzler, S. 70.
345
§ 10 Bewertungsfragen
solvenz, da dieser das Übergehen der Verbindlichkeiten auf den Käufer berücksichtigen würde.1687) Dies könnte dazu führen, gar nicht den Erlös einer übertragenden Sanierung als Vergleich heranzuziehen, sondern den Zerschlagungs-Einzel-Verkaufswert. Hiergegen spricht allerdings zunächst die gesetzgeberische Intention, bei den Vergleichsrechnungen1688) den Vergleich mit dem Regelinsolvenzverfahren zu ziehen, nicht den Vergleich ohne Insolvenz.1689) Abweichend von diesem Verständnis könnte aber darauf abgestellt werden, dass ein per übertragender Sanierung zu erzielender Wert zu Recht bei einer Vergleichsrechnung betreffend die Gläubiger berücksichtigt wird, weil das Insolvenzverfahren den Gläubigern dient und ein Ausgleich dafür darstellt, dass die gläubigerschützende Norm des § 25 HGB ausnahmsweise ausgeschlossen ist. Eben weil § 25 HGB aber nur die Gläubiger und nicht den Anteilseigner schützen soll, dürfte sie bei Vergleichsrechnungen betreffend der Anteilseigner keine Berücksichtigung finden.
727 Gegen den Stilllegungswert muss allerdings vorgebracht werden, dass dieser über das Ziel hinausschießt: zwar kann eine solche Argumentation nicht allein mit dem Hinweis geschehen, dass durch den DES ja gerade gezeigt werde, dass keine Stilllegung stattfinde; dies würde übersehen, dass es bei dieser Problematik immer zwingend um Vergleichsrechnungen und damit eben um ein hypothetisches Szenario geht. Warum aber in einem solchen hypothetischen Alternativszenario stets zwingend auf die Stilllegung abgestellt werden sollte, obwohl eine Fortführung im Wege übertragender Sanierung im konkreten Fall möglich ist, ist nicht ersichtlich und würde die Anteilseigner über Gebühr benachteiligen. Letztlich auswirken würde es sich, wenn die übertragende Sanierung eine volle Gläubigerbefriedigung ermöglichen würde, eine Stilllegung dagegen nicht. Dass aber dann die Gläubiger i. E. mehr als 100 % Befriedigung erlangen sollen, kann aus dem Rechtsgedanken des § 25 HGB gerade nicht hergeleitet werden. Der Ansatz eines Stilllegungswertes L(St) ist daher abzulehnen.
b) Zum Ansatz eines Fortführungswerts F(S) 728 Für einen Fortführungswert F(S), der sämtliche Sanierungsmaßnahmen (auch die Gläubigerverzichte) berücksichtigt, wird angeführt, dass sich die Werthaltigkeit gerade in der intendierten Reorganisation zeige und diese Werthaltigkeit somit auch den Anteilseignern zukommen müsse. Argumentativ könnte dies folglich an dem Gedanken ansetzen, dass die Anteilseigner durch ihre vorherige Arbeit einen ___________ 1687) Siehe oben unter § 2. III. 2.: der Sanierungseffekt der übertragenden Sanierung liegt in der Trennung von Vermögen und Verbindlichkeiten. 1688) § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO, § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO n. F. und § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO n. F. 1689) Auch wenn der Gesetzeswortlaut von „Schlechterstellung als ohne Plan“ spricht, ist aus der Gesetzesbegründung zu ersehen, dass mit „ohne Plan“ ein Szenario im Regelinsolvenzverfahren gemeint ist, RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 34 f.: „durch den Plan nicht schlechtergestellt werden, als bei einer Abwicklung des Rechtsträgers.“
346
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
Teil des Fortführungswerts geschaffen hätten. Durch Erbringung verschiedener organisatorischer Leistungen, Tätigung von Investitionen und beispielsweise Erlangung von Genehmigungen sei erst das „Substrat“ geschaffen worden, das jetzt (unter Zuhilfenahme der Sanierungsmaßnahmen) Ertragsüberschüsse erwirtschaften könnte. Noch deutlicher formuliert könnte man argumentieren, dass die bisherigen Anteilseigner ein Unternehmen geschaffen hätten, das zum einen sanierungswürdig ist und zum anderen so viele rechtsträgergebundene Berechtigungen erworben hat, dass ohne diese Leistung der Anteilseigner schon kein Unternehmen bestehen könnte, das überhaupt die intendierten Erträge erzielen könne.1690) Mit einer solchen Anerkennung der „unternehmerischen Grundsatzleistung“ könnte eine Berücksichtigung der Sanierungsbeiträge zu deren Gunsten durchaus begründet werden. Allerdings müsste dann hiergegen vorgebracht werden, dass die Anteilseigner zwar 729 grundsätzlich das Substrat geschaffen hätten, das jetzt Basis der Sanierung sein solle. Dann müsste aber konsequenterweise zu ihren Lasten auch berücksichtigt werden, dass unter ihrer Eigentümerschaft das Unternehmen in die Krise geführt wurde und Verluste erwirtschaftet hat. Außerdem haben sie sich durch Aufnahme von Fremdkapital und Vornahme von Geschäften mit anderen Gläubigern zugleich den insolvenzrechtlichen Regelungen unterworfen und somit das erschaffene Substrat mit der insolvenzrechtlichen Verwertungsrangfolge „belastet“.1691) Diese Verwertung setzt aber am Unternehmen in der Insolvenzmasse am Tag der Insolvenzeröffnung an, nicht nach Durchführung verschiedener Sanierungsmaßnahmen. Daher ist der ganz h. M. zuzustimmen, die zumindest eine Berücksichtigung der erst im Rahmen der Insolvenz ermöglichten finanzwirtschaftlichen und leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen ablehnt.
c)
Defizite des Liquidationswertes
Der Liquidationswert im Sinne eines L(R) dagegen scheint primär die beste Lösung 730 zu sein: hiermit kann ein im Unternehmen verkörperter, im Wege der übertragenden Sanierung realisierbarer Wert abgebildet werden, ohne den Anteilseignern einen Wert zukommen zu lassen, der maßgeblich durch Sanierungsbeiträge anderer Beteiligter (der Gläubiger) und Sanierungsleistungen des Insolvenzverwalters erreicht wurde. Hierauf scheint auch der Gesetzgeber hinaus zu wollen. Dies ist legitim, weil eine Sanierung nur in seltenen Fällen ohne einen teilweisen Forderungsverzicht der Gläubiger gelingen kann; wenn aber ein solcher Sanierungsbeitrag durch
___________ 1690) Bildhaft formuliert und angelehnt an die von K. Schmidt in ZIP 2012, 2085 genutzte Metapher könnte davon gesprochen werden, dass die Gläubiger die von den Alt-Anteilseignern errichtete „Burg“ nunmehr bewohnen. 1691) So Willemsen/Rechel, BB 2010, 2059, 2064.
347
§ 10 Bewertungsfragen
die Gläubiger vorliegt, zeigt dies, dass ohne diesen eine Fortführung nicht möglich gewesen wäre1692) und somit keine Werthaltigkeit der Anteile vorliegt.
731 Diese in den allermeisten Fällen zutreffende Bewertung gerät allerdings dann an ihre Grenzen, wenn ein Szenario vorliegt, bei dem der per übertragender Sanierung zu erreichende Liquidationswert unter der Gesamthöhe der Verbindlichkeiten, der durch bloßen Rechtsträgererhalt zu erreichende Wert aber über der Summe der Verbindlichkeiten liegt (mithin im Reorganisationsszenario eine vollständige Befriedigung der Gläubiger möglich ist).1693) Diese Fälle werden sehr selten sein, da an ein Szenario angeknüpft wird, in der durch bloßes Fortführen des Unternehmens (Sanierungsbeiträge der Gläubiger oder Dritter sowie Sanierungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters werden ausdrücklich herausgerechnet1694) ein Wert erzielt werden könnte, der über den Verbindlichkeiten liegt und zudem dieser Wert auch durch die Alt-Anteilseigner erlöst werden könnte.1695)
732 Wenn dieser Wert aber von den Alt-Anteilseignern nicht im Vorfeld der Insolvenz erlöst wurde, so liegt zunächst die Argumentation nahe, den Alt-Anteilseignern dann auch die Berufung auf Abfindung eines solchen Mehrwerts zu verwehren, wenn sie selbst inaktiv geblieben sind. Es könnte hier dann darauf abgestellt werden, dass ohne die Insolvenz aufgrund der Untätigkeit der Alt-Anteilseigner ein volkswirtschaftlich sinnvoller Erhalt des Unternehmens vereitelt worden wäre, weshalb dieser Erhalt nun in der Insolvenz geschieht und folglich auch den Gläubigern zugute kommen darf.1696) Haben es die Anteilseigner vor der Insolvenz versäumt, diesen Wert für sich zu reklamieren, können sie es jetzt nicht mehr tun.
733 Allerdings wäre an einer solchen Argumentation problematisch, dass hiermit ein Verschuldensvorwurf (Inaktivität trotz möglicher, effizienterer Verwendung) in die Abwägung eingebracht würde, obwohl anerkannt ist, dass ein Unternehmen nicht zwingend maximal effizient betrieben werden muss und auch auf Gewinne verzichtet werden kann, solange nur die Gläubiger des Unternehmens zu 100 % be___________ 1692) Auch eine übertragende Sanierung beinhaltet in den allermeisten Fällen implizit eine Kürzung der Gläubigerforderungen durch die simple Tatsache, dass diese im insolventen Rechtsträger verbleiben und eine Befriedigung durch die Quotenzahlung (bei ungesicherten Gläubigern) bzw. den für das Sicherungsgut erlangten Wert (bei gesicherten Gläubigern) erfolgt. 1693) Siehe das oben c) dd) beschriebene Szenario mit den dort nachgezeichneten Beispielsrechnungen von Verse und Spetzler. 1694) So Spetzler, S. 69; ungenau aber Verse, ZGR 2010, 299, 311, der von einem denkbaren Wertzuwachs durch „besondere Sanierungsbeiträge“ der Gläubiger im Rahmen eines DES spricht; dies dürften konsequenterweise allein die Übernahme der Anteilseignerstellung sein, nicht auch ein teilweiser Verzicht auf die Forderung, da sonst seine Argumentation mit der Legitimation für den Eingriff in Anteilseignerrechte (a. a. O. S. 311) entfallen würde. 1695) So ausdrücklich Spetzler, S. 70: Mehrwert, den auch schon die Alt-Anteilseigner erzielen könnten, dies aber nicht getan haben (weil ihnen die Freiheit zustehe, von einer wirtschaftlicheren Nutzung keinen Gebrauch zu machen, a. a. O. S. 72). 1696) Siehe hierzu Spetzler, S. 71 m. w. N. zur Frage, ob die Unternehmenserhaltung ein eigenes Verfahrensziel der InsO darstellt oder nicht.
348
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
friedigt werden1697) (die vollständige Befriedigung ist in dem angesprochenen Szenario ja der Fall).
d) Berücksichtigung eines Missbrauchsszenarios Dabei muss die Betrachtung allerdings nicht stehen bleiben: Denn ein bloßes Ab- 734 stellen auf eine vorherige Untätigkeit der Anteilseigner würde wiederum nicht berücksichtigen, dass durch das neue Recht Situationen denkbar sind, in denen die Anteilseigner gar nicht mehr rechtzeitig aktiv werden können, weil die Gläubiger ihren Einfluss in zweierlei Weise nutzen: zum einen durch Ausübung von Kündigungsrechten, zum anderen durch die neue, qua ESUG verliehene Macht der Gläubiger im Insolvenzplanverfahren.1698) Denn auch im Rahmen der Bewertungsfrage muss berücksichtigt werden, dass mit den durch das ESUG eingefügten Änderungen ein Paradigmenwechsel einhergeht: der Zugriff auf die Anteile durch eine Entscheidung der Gläubiger ist bereits ein bedeutender Einschnitt, die wirkliche Brisanz ergibt sich aber erst im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Sicherheitenfonds in § 251 Abs. 3 und § 253 Abs. 1 Nr. 3 InsO n. F., mit der die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels verhindert werden kann. Damit kann nach der neuen Systematik (zumindest für eine Minderheit der Anteilseigner)1699) ein Zugreifen der Gläubigerschaft auf die Anteile nicht mehr verhindert werden; diese können lediglich Entschädigung hierfür verlangen. Dies ist im Grundsatz verfassungsrechtlich zulässig, da bei einer Abwägung die Gläubigerinteressen die Anteilseignerinteressen überwiegen und ohne diese Regelung als andere unerwünschte Folge eine Blockadeposition bestünde1700); es zwingt damit aber zugleich dazu, Szenarien zu berücksichtigen, in denen ein rechtsmissbräuchliches Ausnutzen dieser neuen, nochmals erweiterten Herrschaftsmacht der Gläubigerschaft für eigennützige Zwecke droht. Dies soll verdeutlicht werden anhand von zwei Szenarien: Szenario 1: Ein Unternehmen arbeitet defizitär, zugleich drücken es hohe Verbindlichkeiten. Dennoch sehen die Gläubiger in dem Unternehmen eine Zukunft, gerade wegen der rechtsträgergebundenen Berechtigungen. Im Rahmen eines Sanierungskonzepts verzichten sie auf Forderungen, wandeln die verbleibenden Forderungen in Eigenkapital um und unternehmen mithilfe von Sanierungsmaßnahmen, ___________ 1697) So denn auch Spetzler, S. 72. 1698) Siehe hierzu zuletzt etwa Siemon, ZInsO 2014, 172, 175 ff., insb. S. 178 und S. 182. 1699) Eine ablehnende Mehrheit könnte einen Plan dagegen stoppen, da ihnen gegenüber das Obstruktionsverbot keine Anwendung finden darf, wenn es ihnen gelingt nachzuweisen, dass durch die intendierte Planreorganisation ein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. Eine Mehrheit der Alt-Anteilseigner könnte zudem auch in der Insolvenz noch eine Kapitalerhöhung mit einer so hohen Summe durchführen, dass der Insolvenzgrund entfällt (siehe etwa Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 19); auch hier wäre aber dann in der Praxis die Frage zu stellen, ob dies noch lohnend ist. Die Minderheit könnte dies ohnehin nicht ohne weiteres tun. 1700) Siehe eingehend oben § 6. III.
349
§ 10 Bewertungsfragen
die gerade durch die InsO ermöglicht werden, auch eine leistungswirtschaftliche Sanierung.
735 Hier erscheint der Ansatz, hinsichtlich einer von den Anteilseignern geforderten Abfindung nur den Liquidationswert anzusetzen, folgerichtig. Da dieser niedrig ist und regelmäßig nicht die Höhe der Gläubigerforderungen erreicht, erhalten die Anteilseigner keine Ausgleichs-/Abfindungszahlung. Szenario 2: Ein Unternehmen kriselt, doch es ist noch nicht verloren. Überschuldung liegt nicht vor.1701) Finanzmarktakteure kaufen auf dem Markt für distressed debt notleidende Forderungen gegen dieses Unternehmen mit Abschlag auf und stellen diese fällig.1702) Es gelingt dem Unternehmen nicht, diese durch andere Kredite abzulösen.1703) Die Gläubiger stellen Insolvenzantrag. Da der Insolvenzeröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit infolge der fällig gestellten Kredite vorliegt, wird das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Gläubiger beschließen mit ihrer Mehrheit in der Gläubigerversammlung den DES unter Herausdrängung der bisherigen Anteilseigner und werden dessen neue Eigentümer. Sie nutzen das Insolvenzplanverfahren mit seinen erleichterten Sanierungsmöglichkeiten und erbringen auch finanzwirtschaftliche Sanierungsopfer, wenngleich nur in geringerem Umfang.1704) Sie haben das Unternehmen mit seinen wertvollen rechtsträgergebundenen Berechtigungen durch die Hintertür übernommen, also die Chancen des durch das ESUG ___________ 1701) Nach dem neuen Überschuldungsbegriff in § 19 Abs. 2 InsO erst recht nicht, da eine positive Fortführungsprognose besteht. 1702) Zu einer solchen „Loan-to-own“-Strategie umfassend oben § 2. I. 2. d) sowie § 9. III. 2. b). Dass eine solche Strategie von hierauf spezialisierten Finanzinvestoren verfolgt wird, berichten Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 280; v. Sydow/Beyer, AG 2005, 635 ff., Kunz/ Ehnert, Finanzbetrieb 2007, 395 und Siemon, ZInsO 2014, 172 ff. Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 544 erwähnen, dass die Verletzung engmaschiger Covenants eine solche Kündigung ggf. zulässt. Zu den Strategien von distressed debt-Investoren, zu denen insbesondere der Kauf von notleidenden Forderung zum Zwecke der Umwandlung in Eigenkapital gehört, siehe auch Daimer, S. 9 ff. Zu der Macht, die durch Aufkauf von distressed debt am Zweitmarkt erworben werden kann, siehe auch das Beispiel bei Baird/Rasmussen, 119 Yale L. Rev. 648, 669 (2010). 1703) Dass dies nicht gelingt, ist sogar wahrscheinlich, denn dann würde der neue Kredit dazu verwendet, die fälligstellenden Gläubiger zu 100 % zu befriedigen. Distressed debt-Investoren hätten damit auf einen Schlag den vom Nennwert abgezogenen Abschlag als Gewinn realisiert, während auf der Gesellschaft immer noch dieselbe Höhe der Schulden lastet, nur diesmal bei einem anderen Gläubiger. Daher würde sich wohl kaum eine Bank finden, die dies finanziert. Selbst wenn diese an das Geschäftsmodell glaubt und selbst plant, ihre Neukredite in Beteiligungen umzuwandeln, würde sich dies für sie erst lohnen, wenn sie eine Befriedigung von über 100 % hierdurch erlangen. Es hätte für sie nahegelegen, lieber vorher selbst die distressed debt-Forderungen mit Abschlag aufzukaufen und den DES durchzuführen, um somit nicht den größten Teil der Gewinnspanne den anderen Forderungskäufern zu überlassen. 1704) Ihre Forderungen wandeln sie nicht zum Nennwert um, sondern zu einem darunter liegenden Wert, um nicht eine Versagung der Planbestätigung zu riskieren; dies ist ihnen auch nicht unmittelbar wichtig, da sie auch bei Abzug von Abschlägen bei der Sacheinbringung eine so beherrschende Stellung erreichen, dass ihnen das Unternehmen „gehört“.
350
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
neu geregelten Insolvenzplanverfahrens mit der Möglichkeit des Zugriffs auf die Anteile genutzt.1705) Würde auch hier für die Abfindung der Anteilseigner der Liquidationswert ange- 736 setzt, so erschiene dies nicht wie im ersten Szenario angemessen. Dieser wird so niedrig sein, dass er nicht die Höhe von 100 % der Gläubigerforderungen erreichen wird und somit keine Zahlungen an die Alt-Anteilseigner notwendig werden.1706) Ergibt aber eine Bewertung unter Ansatz eines Fortführungswertmaßstabes auch ohne Berücksichtigung der insolvenzspezifischen Sanierungsmaßnahmen einen positiven Wert, der über der Summe der Verbindlichkeiten liegt, so würde dieser im Ergebnis allein an die Gläubiger gehen. Mit anderen Worten wäre den AltAnteilseignern der Wert ihres Unternehmens entzogen worden und sie würden nicht an zukünftigen Erträgen partizipieren. Dies würde vermieden werden, wenn zu ihren Gunsten der Wert F(oS) angesetzt würde.1707) ___________ 1705) Siehe hierzu Stellungnahme des Arbeitskreis für Insolvenzwesen Köln e. V. zu ESUG, abrufbar unter http://www.ak-inso-koeln.de/index.php?id=658 : es dürfe „im Hinblick auf Finanzinvestoren oder Hedgefonds keine provozierte Kündigung des Kreditengagements genutzt werden, um später über ein Insolvenzplanverfahren die Übernahme des Unternehmens zu erzwingen“. Siehe hierzu auch Siemon, ZInsO 2014, 172, 174 ff. 1706) Das Szenario ist auch angerissen bei Simon, CFL 2010, 448, 456; die Gefahr drohe, dass bei kompensationslosem Ausscheiden der Alt-Anteilseigner der erhoffte Sanierungserfolg im Wert des Eigenkapitals vollumfänglich den neuen Anteilsinhabern zugewiesen würde. Hierin sieht Simon die Gefahr eines Anreizes für die Gläubiger, in der Krisensituation „auf dessen Insolvenz „hinzuwirken“, um im Rahmen eines Planverfahrens das Schuldnerunternehmen zu übernehmen und zu sanieren.“; allerdings ist zu beachten, dass ein „Sanierungserfolg“ wohl nur dann gegeben wäre, wenn die Gläubiger über 100 % bekommen, weil alles bis 100 % Befriedigung unter „bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens“ fallen muss. Die Frage müsste wohl präzisiert werden: wie zu sanieren? Nur durch leistungswirtschaftliche Maßnahmen, oder auch durch finanzwirtschaftliche Maßnahmen, die eine Kürzung der eigenen Forderungen umfasst? Der a. a. O. S. 456 ebenfalls genannte (entgegengesetzte) Anreiz für Anteilseigner, bei Ansatz von Fortführungswerten ihre Gesellschaft in die Insolvenz zu treiben, auf Kosten der Gläubiger zu sanieren, kann dagegen als gering betrachtet werden; auch nach dem ESUG ist die Unsicherheit für die Anteilseigner bezüglich der Verwertung und damit ihrer eigenen Zukunft im Anteilseignerkreis derart hoch, dass diese kaum von sich aus auf die Insolvenz hinarbeiten werden. 1707) Entgegen Spetzler, S. 71 ff. ist dieser Ansatz aber nicht die einzig verfassungskonforme Vorgehensweise; auch der Ansatz des L(R) wäre dies noch im Rahmen des verfassungsrechtlich zulässigen, denn mit der Insolvenz geht zumeist ein deutlicher Wertverlust einher, der allein mit Einleitung des kollektiven Befriedigungsverfahrens eintritt. Dies bedeutet nicht, dass damit jeder Anteilseigner oder etwa auch jeder Sicherungsgläubiger, dessen Sicherungsgut durch die Insolvenz an Wert verliert, Art. 14 GG geltend machen kann. Daher kann durchaus auf das Alternativszenario der Liquidation und den damit einhergehenden Wertverlust als Vergleichsszenario abgestellt werden; dieses Risiko geht der Anteilseigner ein, wenn seine Gesellschaft Verbindlichkeiten begründet. Dies heißt aber nicht, dass auf diesem Mindeststandard verharrt werden muss; gerade wenn es darum gehen soll, Anreize zu dem beschriebenen „räuberischen Gläubigertum“ zu unterbinden, wäre der Ansatz des F(oS) vorzugswürdig. Diese Drohkulisse könnte dann – nach dem Prinzip des bargaining in the shadow of the law – bereits im Vorhinein Auswirkungen haben auf die Vorgehensweise und die Verhandlungen in der Insolvenz.
351
§ 10 Bewertungsfragen
e)
Stand-alone-Bewertung
737 Somit zeigt sich, dass ein Fortführungswert zur Verhinderung von Missbrauch nötig ist, dieser zugleich aber auf keinen Fall unter Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen, die allein durch die (übrigen, nicht umwandelnden) Gläubiger, Dritte oder den Insolvenzverwalter bedingt sind, ermittelt werden darf. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zu gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen: hier ist anerkannt, dass Verbundvorteile, die erst durch den Zusammenschluss und durch etwa darauf folgende Synergieeffekte bei dem anderen Unternehmen anfallen, bei der Bewertung gerade ausgeschlossen sind.1708) Denn in Bezug auf die Berücksichtigung von erst später bekannt gewordenen Entwicklungen der Zukunft wird in der Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung zumeist auf die sog. Wurzeltheorie abgestellt, die besagt, dass später bekannt gewordene Umstände nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie in den am Stichtag bestehenden Verhältnissen bereits „angelegt“ sind.1709)
738 Überträgt man diese Grundsätze auf die Anteilsbewertung einer insolventen Gesellschaft, so spricht dies gegen eine Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen. Denn der für die Anteilseigner relevante Stichtag kann nicht nach erfolgter Insolvenzplansanierung liegen: Die Sanierungsmaßnahmen sind frühestens mit Planbestätigung „angelegt“, seine Rechtsposition als Anteilseigner wurde aber bereits mit Insolvenzverfahrenseröffnung und Eingreifen der Insolvenzhierarchie zum überwiegenden Teil beseitigt. Nur dieser Zeitpunkt kann für die Bewertung seiner Anteile relevant sein.1710) ___________ 1708) BGH NJW 1998, 1866; siehe Klöhn, S. 43 Fn. 61 f. m. w. N.; Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 108 ziehen aus dem Grundsatz der stand-alone-Bewertung dagegen, dass ein Liquidationswert anzusetzen ist, da Bewertungsanlass eine Sanierungskapitalerhöhung sei, bei Ausblendung dieser es aber bei der angeordneten Auflösung der Gesellschaft (§ 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) bleibe. Diese Sichtweise ist aber zu statisch und berücksichtigt wiederum nicht, dass die Insolvenz erst durch eine konzertierte Kreditkündigung hervorgerufen worden sein kann. 1709) BGH, NZG 1998, 379, 380; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 305 AktG Rn. 56a. Darüber wird zum Teil hinausgegangen, wenn auch spätere Entwicklungen wesentlich großzügiger Berücksichtigung finden sollen, da sich ansonsten eine gravierende Benachteiligung der abfindungsberechtigten Anteilseigner einstelle oder gänzlich unrealistische Ergebnisse nicht vermeiden ließen, Emmerich a. a. O. Rn. 59. Gegen eine solche retrospektive Plausibilitätskontrolle wird aber vorgebracht, dass damit von dem Verkehrswert als Bewertungsziel abgerückt würde, da maßgeblicher Wert derjenige sein muss, den ein gedachter Erwerber am Bewertungsstichtag für das Unternehmen bezahlt hätte, Meinert, DB 2011, 2397, 2400. Auch wird vorgeschlagen, ein optimistisches und ein pessimistisches Szenario zu entwerfen und hieraus einen Mittelwert zu bilden, vgl. OLG Düsseldorf vom 10.6.2009, 26 W 1/07, BeckRS 2009, 27937. 1710) Da zu diesem Zeitpunkt eine Fortführung qua Trägerreorganisation möglich ist, ist zugunsten des Alt-Anteilseigners aber auch der hierbei zu erzielende Fortführungswert (ohne Sanierungsmaßnahmen) anzusetzen, s. o. d) a. E.
352
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
f)
Rückschlüsse aus dem Sonderfall der Bankenreorganisation
Der hier befürwortete Ansatz des F(oS) stellt allerdings ein Abweichen vom Kon- 739 zept des Gesetzgebers im KredReorgG dar: hier wollte der Gesetzgeber, wie oben dargelegt, eine Bewertung der Alt-Anteile zu Fortführungswerten (selbst bei Überschuldung) und unter Berücksichtigung aller Sanierungsmaßnahmen, also F(S).1711) Allerdings kann das Setzen anderer Maßstäbe durch das KredReorgG durchaus gerechtfertigt werden im Hinblick auf die Tatsache, dass dieses nur auf Kreditinstitute1712) anwendbar ist. Diese sind mit normalen Unternehmen nur begrenzt vergleichbar; ihnen kommt aufgrund der umfangreichen Verflechtungen mit anderen Akteuren des Finanzsektors eine Sonderstellung zu. Kreditinstitute haben weniger Zeit, eine angespannte Liquiditätssituation oder eine drohende Überschuldung zu beseitigen, da ein massiver Vertrauensverlust droht.1713) Zugleich können sich Risiken durch Kaskadeneffekte ungemein stärker auswirken, ohne dass damit stets direkt das ganze Institut wertlos wird. Zuletzt ist auch zu beachten, dass Fortführungswert und Stilllegungswert bei Banken nicht in gleichem Maße auseinanderklaffen wie bei produzierenden Unternehmen: die assets bestehen maßgeblich in Forderungen oder Wertpapieren, deren Wert nicht von einer Gesamtzusammenfassung zu einer produzierenden Einheit abhängt. Ihr Wert bestimmt sich maßgeblich nach der Solvenz des einzelnen Kreditnehmers, Anleiheschuldners oder Aktienemittent und hängt nicht davon ab, wer ihr Inhaber ist. Unabhängig davon ist aber ohnehin fraglich, ob sich der vom Gesetzgeber beim 740 KredReorgG gewollte Wertansatz F(S) überhaupt im konkreten Praxisfall durchsetzen kann. Schon im Gesetzgebungsprozess hatten die Aussagen des Gesetzgebers im RegE Kritiker auf den Plan gerufen.1714) Dabei wird prophezeit, dass Gläubiger bei der Bankenreorganisation darauf Wert legen würden, dass zu ihren Gunsten zumindest von solchen üblichen Instrumenten wie Besserungsschein, Rangrücktritt oder Genussrechten Gebrauch gemacht würde.1715) Sollte sich dies als zutreffend ___________ 1711) Oben 2. c) aa). 1712) Dies gilt erst recht, wenn es sich um systemrelevante Kreditinstitute handelt, deren Systemrelevanz (Verhinderung erheblicher negativer Folgeeffekte bei anderen Unternehmen des Finanzsektors infolge der Bestandsgefährdung des Kreditinstituts und Verhinderung einer Instabilität des Finanzsystems) beim Obstruktionsverbot nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 KredReorgG eigenes Tatbestandsmerkmal ist. 1713) So Obermüller/Kuder, ZInsO 2010, 2017. 1714) So wurde dem Gesetzgeber zwar zugestanden, dass bei lediglichem Vorliegen von Liquiditätsproblemen noch nicht auf die Aufzehrung des Eigenkapitals geschlossen werde könne. Es sei aber einem Gläubiger schwer verständlich zu machen, dass er Zahlungen an die Anteilseigner dulden soll, obwohl er durch den Verzicht auf einen Teil seiner Ansprüche die Sanierung erst möglich gemacht habe, so Obermüller, NZI 2011, 81, 89. Mit dieser Argumentation sieht auch die Stellungnahme des Bundesverbands deutscher Banken zum KredReorgG, vom 4. Oktober 2010, S. 14, die Gefahr einer Ablehnung eines an sich sachgerechten Reorganisationsplans. 1715) Obermüller, NZI 2011, 81, 89.
353
§ 10 Bewertungsfragen
herausstellen und kann davon ausgegangen werden, dass Gläubiger die Verhandlungsmacht haben, dies durchzudrücken, so stellt sich die Frage, was ein Ansetzen des Fortführungswerts F(S) dann noch bringt: denn dies hätte allein das Entstehen von hohen Transaktionskosten bei wirtschaftlich ähnlichem Ergebnis zur Folge (denn bei der Ertragswertberechnung müssten nunmehr die Nachzahlungen an Gläubiger aus Besserungsscheinen oder Genussrechten berücksichtigt werden, die den Ertragswert und damit eine Abfindung erheblich mindern würden). Dann könnte auch von vornherein auf einen F(oS)-Wert abgestellt werden.
741 Aus den Ausführungen zum KredReorgG kann aber für alle anderen (nicht unter das Sonderinsolvenzrecht für Banken, sondern unter die InsO fallenden) Unternehmen der Rückschluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber keinen Ansatz von F(S) wollte: Denn während die Regelungen ungefähr zur gleichen Zeit im gleichen Ministerium1716) entstanden sind, findet sich das Abstellen auf den Fortführungswert unter Berücksichtigung aller Sanierungsmaßnahmen nur im KredReorgG. Gerade die Tatsache, dass sich ansonsten viele Passagen in den jeweiligen Gesetzesbegründungen gleichen, deutet darauf hin, dass hier bewusst ein anderer Maßstab gewollt war.1717)
g) Berücksichtigung eines Börsenwerts? 742 Wird somit für die Berechnung der Alt-Anteile der Ansatz des F(oS) für vorzugswürdig befunden, so stellt sich noch die Frage, ob hierfür in der Praxis bei bestehender Börsennotierung des insolventen Unternehmens auf den Börsenwert zurückgegriffen werden sollte.
743 Bei Strukturmaßnahmen außerhalb der Insolvenz kann nach ständiger Rspr. des BVerfG bei der Bemessung der Barabfindung nicht allein der Wert der quotalen Unternehmensbeteiligung, errechnet nach betriebswirtschaftlichen Methoden, relevant sein, sondern es bedarf unter Umständen auch der Berücksichtigung des Börsenwertes.1718) Die Frage, ob dies auch bei der Anteilswertberechnung bei Entzug
___________ 1716) Für das Konzept des KredReorgG wie auch des ESUG zeichnete sich das Bundesministerium der Justiz verantwortlich, vgl. Eidenmüller, FS Hopt, 2010, S. 1713, 1722 ff.; dort auch zu einem alternativen Konzept des BMWi, das aber keine Verwirklichung gefunden hat. 1717) Für eine freundliche Gesinnung des Gesetzgebers gegenüber den Anteilseignern spricht auch, dass er in § 2 Abs. 2. S. 6 KredReorgG nicht mehr, wie noch im RegE geplant, auf § 264 Abs. 3 InsO verweist (der § 39 Abs. 1 Nr. 5 für anwendbar erklärt) und ihnen damit für den Fall eines Sanierungsdarlehens durch die Anteilseigner nicht wie ursprünglich geplant in einer Folgeinsolvenz trotz Sanierungsdarlehen nachrangigen Status gewährt; kritisiert worden war die RegE-Regelung von Obermüller/Kuder, ZInsO 2010, 2017, 2019 mit der Begründung, dass dies negative Auswirkungen auf ein Engagement derjenigen Personen habe, die aufgrund ihrer Gesellschafterstellung am ehesten für eine Unterstützung geworben werden könnten. 1718) BVerfGE 100, 289, 309.
354
II. Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner
der Anteile im Insolvenzplan gelten muss, wurde anfangs teils noch bejaht,1719) zumeist aber mit der besseren Begründung verneint.1720) Das BVerfG begründet eine Orientierung am Börsenkurs in seiner Rechtsprechung 744 mit der freien Desinvestitionsmöglichkeit eines Aktionärs.1721) Es lässt eine Ausnahme von dieser Orientierung aber u. a. dann zu, wenn dieser ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt.1722) Es spricht vieles dafür, einen solchen Ausnahmetatbestand dann als gegeben anzunehmen, wenn die Insolvenz eingetreten ist.1723) Die Aktien börsennotierter Unternehmen notieren auch während des Insolvenzverfahrens oftmals noch im niedrigen einstelligen Cent-Bereich.1724) Allerdings ist dieser Wert zumeist nur durch einen verbleibenden Spekulationswert zu erklären, der in einer Wette auf die Beteiligung an einem Sanierungskonzept1725) oder auch auf einer erhofften nuisance value beruhen dürfte. Da Art. 14 GG keine bloßen Hoffnungen schützt1726), kann der Börsenkurs in diesen Fällen keine Relevanz haben. Zudem spielt bei der Abfindung außerhalb der Insolvenz der Meistbegünstigungsgedanke (Zuwendung des höheren Wertes bei Vergleich innerem Wert und Börsenkurs) eine Rolle, da es um das Verhältnis zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter geht. Eine Übertragung auf das Verhältnis Gläubiger zu Alt-Anteilseigner wäre daher fraglich, da die Befriedigungsinteressen der Gläubiger Vorrang haben und diese somit das Risiko der Überbewertung an der Börse nicht tragen sollten.1727) Daher ist eine Berücksichtigung am Börsenwerts nicht geboten.
h) Ausgestaltung als Missbrauchskontrolle Die Lösung der beschriebenen Bewertungsproblematik sollte somit im Ansatz des 745 Fortführungswerts F(oS) gesucht werden. Hierdurch könnte den Anteilseignern im oben beschriebenen Szenario 2 (zumindest) eine Abfindung gesichert werden dafür, dass die umwandelnden Gläubiger ein wertvolles Unternehmen erhalten haben. Es würde im 1. Szenario aber auch gewährleisten, dass die Anteile der Altgesellschafter nicht zu mehr als ihrem Liquidationswert L(R) angesetzt werden, denn bei Ermittlung eines Fortführungswertes nach der Ertragswertmethode bildet der Li___________ 1719) Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1529. 1720) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 466 f.; Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 507. 1721) BVerfGE 100, 289, 306. 1722) BVerfGE 100, 289, 309. 1723) Zutreffend Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 111, die darauf verweisen, dass der Markt gar nicht in der Lage wäre, alle Aktien aufzunehmen, wenn diese nur noch für einzelne Akteure Spekulationswert haben. 1724) Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 111. 1725) Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 111. 1726) BVerfGE 28, 119, 142; BVerfGE 78, 205, 211. 1727) So selbst Verse, ZGR 2010, 299, 311 f., der ansonsten sogar eine Berücksichtigung reorganisationsbedingter Zuwächse befürwortet.
355
§ 10 Bewertungsfragen
quidationswert bei defizitären Unternehmen die Untergrenze1728); damit erhalten die Alt-Anteilseigner im Regelfall keine Abfindung, weil der Liquidationswert nicht den Wert der Gläubigerforderungen erreicht.
746 Hier ist allerdings noch darüber nachzudenken, ob immer F(oS) anzusetzen ist, wenn dieser in den allermeisten Fällen ja doch auf L(R) oder L(St) zurückfällt, weil die prognostizierten Ertragsüberschüsse des nicht sanierten Unternehmens negativ sein werden. Dies könnte dafür sprechen, den Ansatz des F(oS) als eine Art Missbrauchskontrolle vorzusehen. So sollte grundsätzlich für die Anteilseigner der Wertansatz L(R) gelten, weil dieser in den allermeisten Fällen sachgerecht ist und ohnehin als Untergrenze des Ertragswerts Anwendung findet. Wenn das Unternehmen aber auch ohne Sanierungsmaßnahmen Ertragsüberschüsse generieren kann, so muss kurz angeprüft werden, ob F(oS) zu einem Unternehmenswert führen könnte, der über L(R) liegt. Dies könnte als „Missbrauchsverhinderungstest“ dann vom Planersteller, Gericht oder vom Gutachter kurz anfangs geprüft werden. Anhalte hierfür können insbesondere das Nichtvorliegen von Überschuldung sein, wenn also das Verfahren nur nach Fremdantrag aufgrund des Vorliegens von Zahlungsunfähigkeit eröffnet wurde.1729)
4.
Ergebnis
747 Somit ist im Ergebnis entgegen der h. M. nicht zwingend immer auf den Liquidationswert bei Rechtsträgerliquidation abzustellen. Die neuen Möglichkeiten des Zwangseingriffs auf Basis von Gläubigerinteressen verlangen, dass ein bei Insolvenzverfahrenseröffnung bestehender Fortführungswert Berücksichtigung findet; dieser ist aber allein ein F(oS), also ein Ertragswert ohne Berücksichtigung von Sanierungseffekten. Ergibt dieser einen Wert, der über der Summe der Verbindlichkeiten liegt, so ist diese Differenz an die Alt-Anteilseigner als Abfindung zu zahlen. Da dies aber nur selten der Fall sein wird, ist der F(oS) lediglich als Missbrauchsprüfung heranzuziehen, wenn für das Gericht nicht ausgeschlossen ist, dass eine Ausnutzung der Rechtsposition dominierender Gläubiger droht. In den meisten Fällen wird auch dieser F(oS)-Wert auf den L(R)-Wert zurückfallen, der bei der Ertragswertrechnung die Untergrenze bildet. Eine Streitigkeit über die Wertermittlung des F(oS)-Wertes, dies sei abschließend erwähnt, müsste dabei noch nicht ___________ 1728) IDW S 1 i. d. F. 2008, Tz. 150; Piltz, Unternehmensbewertung, S. 31 f; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 144 sowie oben I. 3. c). 1729) Ein solches Szenario lag bei der Insolvenz des Suhrkamp-Verlages vor, der zahlungsunfähig, nicht aber überschuldet war (vgl. den Beitrag von Carsten Schäfer in der FAZ vom 21.8.2013). Beim Suhrkamp-Konflikt liegt der Fokus zwar auf einer geplanten Eigenverwaltung nach vorherigen Gesellschafterkonflikten und nicht auf einem dominanten Großgläubiger; die Frage der Werthaltigkeit der Alt-Anteile stellt sich aber auch dort. Ein vergleichbares Szenario war bereits vorher angesprochen worden bei Willemsen/Rechel, BB 2010, 2059, 2064.
356
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
einmal den Planprozess verzögern, denn eine Abfindung könnte aus dem Sicherheitenfonds des § 251 Abs. 3 InsO n. F. gezahlt werden.
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen 1.
Die Diskussion um Einbringung zum Nennwert oder Verkehrswert
Zu welchem Wert die Forderungen bei einem DES eingebracht werden können, ist – 748 vor allem für die Frage, wie dies im DES außerhalb der Insolvenz zu handhaben sei – hoch umstritten. Die in diesem Kontext geführte Diskussion soll hier im Folgenden zunächst nachgezeichnet werden, da sie teils auch zum DES im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens erfolgte, maßgeblich aber deshalb, weil aus den dabei vorgebrachten Argumenten teils Erkenntnisse gezogen werden können für die unter IV. zu behandelnde Frage, ob bei der Forderungsbewertung Liquidationswerte oder Fortführungswerte anzusetzen sind. Dabei stehen die Vertreter der Einbringung zum Nennwert, die die Forderung in 749 ihrer vollen Höhe als neues Eigenkapital umwandeln wollen, den Vertretern der Einbringung zum Verkehrswert gegenüber, die eine Umwandlung nur in Höhe des (in der Krise regelmäßig reduzierten) Verkehrswerts für zulässig halten.
a) Konzept der Nennwerteinbringung Innerhalb der Riege der Vertreter der Nennwerteinbringung gibt es zwei verschiedene 750 Strömungen. Nach der einen Ansicht, die insbesondere in früherer Zeit vertreten wurde, ist die Umwandlung von Forderungen gegen die Gesellschaft in Stammkapital als Bareinlage zu qualifizieren.1730) Nach dieser Ansicht bedarf es weder einer Werthaltigkeitsprüfung noch einer Offenlegung, dass Forderungen in Stammkapital umgewandelt wurden.1731) Die in neuerer Zeit vertretenen Ansichten im Rahmen des Konzepts der Nennwert- 751 einbringung gehen dagegen (insoweit mit der ganz h. M.)1732) von einer Sacheinlage aus; abweichend argumentieren sie aber, dass dabei die Werthaltigkeitsprüfung
___________ 1730) Karollus, ZIP 1994, 589, 597; Heim, DNotZ 1955, 358, 361 f.; Geßler, FS Möhring, 1975, 173, 187; Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 23 ff., insb. S. 31 spricht von der fehlenden Notwendigkeit der Beachtung der Sacheinlagevorschriften bei „offener Einlage einer gegen die Gesellschaft gerichteten Forderung“; zuletzt wieder vertreten im Rahmen der MoMiGDiskussion von Krolop, GmbHR 2007, 117 ff. 1731) Karollus, ZIP 1994, 589, 597; differenzierend insofern Geßler, FS Möhring, 1975, 173, 189 f., 192, dessen Konzept davon ausgeht, dass die Vollwertigkeit der Forderungen durch eine vorhergehende Kapitalherabsetzung sichergestellt wird, bei der die bisherigen Anteilseigner die Verluste übernehmen und beseitigen. 1732) Oben Fn. 260.
357
§ 10 Bewertungsfragen
entbehrlich sei.1733) Diese sei weder aus Gründen des Gläubigerschutzes noch des Gesellschafterschutzes notwendig. Es sei vielmehr ausreichend, dass die Umwandlung bei Eintragung ins Handelsregister offengelegt werde. Rechtstechnisch soll dies geschehen durch eine teleologische Reduktion der Sacheinlagevorschriften aus den §§ 56, 19, 5 GmbHG, §§ 27, 183 AktG; demnach soll zwar die dort vorgeschriebene Offenlegung der Sacheinlage erfolgen, nicht aber die durch § 5 Abs. 4 GmbHG, §§ 27, 34 AktG vorgeschriebene Werthaltigkeitsprüfung.1734) Dies gilt ausdrücklich auch für den Fall, dass die Gesellschaft insolvent oder insolvenzreif ist.1735) Diese Ansicht steht somit von ihren Anforderungen her zwischen Sacheinlage und Bareinlage.
752 Im Folgenden soll dieses letztere Konzept der h. M. gegenübergestellt werden. Dabei werden zugleich aber auch die Argumente der Vertreter der Qualifizierung als Bareinlage mit aufgeführt, weil diese mit ihren niedrigeren Anforderungen erst recht für die Qualifizierung als teleologisch reduzierte Sacheinlage gelten.
b) Gegenüberstellung der Argumente aa) Perspektive, aus der die Einbringung zu betrachten ist 753 Die Frage, ob zum Nennwert oder nur zum wirtschaftlichen Wert eingebracht werden kann, hängt zunächst maßgeblich davon ab, aus welcher Perspektive die Betrachtung vorgenommen wird. Es geht, anders formuliert, um die Frage, ob sich der Wert danach richtet, was die Einbringung den umwandelnden Gläubiger kostet, oder danach, was sie der Gesellschaft bringt.1736)
754 Die h. M. nimmt hierbei die Perspektive des Gläubigers ein, der seine Forderung als Sacheinlage einbringt. Ähnlich wie er bei Einbringung eines Gegenstandes als Sacheinlage dessen Wert dem Gesellschaftsvermögen zuführe, lege er auch den Wert dieser Forderung ein. Ist die Gesellschaft aufgrund mangelnder Vermögens___________ 1733) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 249 f.; dies, DB 2010, 1629 ff.; dies, DB 2012, 501 ff.; Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 118 ff. 1734) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 249 f.: dabei soll der DES nicht als Sonderfall der Bareinlage angesehen werden, auf den die Offenlegungsvorschriften aus den Grundsätzen der Sacheinlage angewendet werden, sondern er soll als Sacheinlage qualifiziert werden, bei der aber qua teleologischer Reduktion nur die Offenlegungsvorschriften Anwendung finden, a. a. O. Vorteil einer solchen Vorgehensweise ist, dass eine direkte Unvereinbarkeit mit der allgemein anerkannten Lehre von der verdeckten Sacheinlage vermieden wird (wenngleich diese in der Argumentation durchaus eine Rolle spielt, siehe unten b) hh). Würde der DES nämlich als Bareinlage verstanden, läge die Bejahung einer verdeckten Sacheinlage schnell nahe. So aber kann eine Fokussierung erfolgen auf Aspekte des Gläubigerschutzes, des Gesellschafterschutzes und der bilanz-/buchmäßigen Behandlung des DES. 1735) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 244: insolvent; Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 31: überschuldet oder von zweifelhafter Bonität. 1736) So plastisch Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 124.
358
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
deckung (oder mangelnder Liquidität1737) aber nicht in der Lage, alle seine Forderungen vollständig zu begleichen,1738) so hat die einzelne Forderung einen geringeren Wert;1739) dies würde sich gerade in einem Insolvenzverfahren zeigen, wenn der ungesicherte Gläubiger regelmäßig nur Befriedigung auf seine Forderung in Höhe der Quote erhält. Hierzu wird z. T. auch auf die Perspektive eines außenstehenden Dritten verwiesen: dieser würde nicht den Nennwert hierfür zahlen, sondern höchstens den objektiven Vermögenswert.1740) Hiergegen argumentieren die Befürworter der Nennwerteinbringung, dass dies in 755 inkonsequenter Weise die Perspektive wechsle.1741) Es komme nämlich nicht auf die bilanziellen Auswirkungen der Einlageleistung beim Inferenten an (also welchen Wert er hierdurch aufgebe), sondern vielmehr auf die hierdurch folgende Entlastung bei der Gesellschaft selbst: diese werde sowohl wirtschaftlich als auch zivilrechtlich bilanziell in voller Höhe des Nennwerts entlastet. Schließlich müsse nach § 253 HGB auch eine Gesellschaft in der Krise die Forderung in voller Höhe passivieren und könne sie nicht mit Verweis auf die zweifelhafte Einbringlichkeit lediglich mit der voraussichtlichen Befriedigungsquote bilanzieren. Daher müsse auf die Schuldbefreiung für die Gesellschaft abgestellt werden, die in voller Höhe des Nennwerts erfolge, weil die Gesellschaft bereits hierdurch einen effektiven Gegenwert erhalte, der wertmäßig auch eindeutig feststellbar sei.1742) Für diese Perspektive spreche auch, dass der Zweck der Kapitalaufbringungsvorschriften immerhin darin bestehe, dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft einen Haftungsfonds in gewisser Höhe vorweisen könne. Daher sei der Wert aus ihrer Perspektive (ggf. noch aus der Perspektive der anderen Gläubiger, jedenfalls nicht des einbringenden Gläubigers) zu beurteilen.1743) Von Seiten der h. M. hält man es allerdings für unzulässig, allein aus den bilanziel- 756 len Auswirkungen der Einbringung auf einen objektiven Vermögenszufluss zu ___________ 1737) Wobei hier wohl zu differenzieren wäre; mangelnde Liquidität bei eigentlicher Schuldendeckung kann und wird dennoch regelmäßig zu einer nur quotalen Befriedigung führen, da ggf. Liquidationswerte angesetzt werden müssen (die Insolvenz als Wertvernichter). 1738) BGHZ 90, 371, 373. 1739) Es ist – auch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – von einer gleichmäßigen Verteilung des Vermögens auf alle Gläubiger auszugehen, BGHZ 90, 371, 373; siehe hierzu aber auch Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1630, die darauf verweisen, dass es außerhalb des Insolvenzverfahrens eine Einschränkung der Gläubiger auf nur anteilige Befriedigung eigentlich nicht gebe, a. a. O. Fn. 12. 1740) Lutter, FS Stiefel, 1987, 505, 517. 1741) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 243; Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 24. 1742) Karollus, ZIP 1994, 589, 595; Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 243. 1743) Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 124, wo zur Bestätigung ein Vergleich gezogen wird zur durch Drittsicherheit besicherten Forderung, die diese für den Gläubiger vollwertig mache, für den Wert aus der Sicht der Gesellschaft aber keinen Unterschied mache und daher unbeachtlich sei; folglich sei nicht auf die Sicht des Gläubigers abzustellen.
359
§ 10 Bewertungsfragen
schließen.1744) Nur weil aus der Einbringung auf der Passivseite ein Wegfall in voller Höhe resultiere, hieße dies aus der entscheidenden Perspektive des Gesellschaftsrechts keineswegs, dass der Gesellschaft damit auch ein Vermögenswert zufließe. Objektiv gesehen sei dies gerade nicht der Fall, da die Forderung z. T. uneinbringlich und damit z. B. auch nicht veräußerlich wäre.1745) Die h. M. argumentiert in diesem Zusammenhang des Weiteren mit dem Grundsatz der realen Kapitalaufbringung, der zwecks Bereitstellung eines gewissen Haftungsfonds einen Risikobeitrag der Gesellschafter verlange, womit zugleich der Beweis zu erbringen sei, dass die Gesellschafter willens und in der Lage seien, diesen Betrag zu riskieren.1746) Dieses bewährte deutsche Haftkapitalsystem habe der Gesetzgeber ausdrücklich beibehalten wollen.1747) Dies sei aber auch keine willkürliche Entscheidung des Gesetzgebers, sondern finde seine Berechtigung gerade in der Funktion des Nennkapitals als Risikokapital, das Signalwirkung habe für potentielle Gläubiger.1748) Hinsichtlich des nicht-werthaltigen Teils der Forderung sei genau dieser Risikobeitrag vom Inferenten aber nicht geleistet.1749)
757 Die Gegenseite wehrt sich diesbezüglich allerdings dagegen, aus diesen anerkannten Grundsätzen die „wenig sinnvolle“1750) Folgerung zu ziehen, der Inferent müsse etwas opfern.1751) Es gehe nicht um das Erbringen eines Opfers, sondern um die Zuführung von Vermögen an die Gesellschaft; daher sei auch deren Perspektive maßgeblich.1752)
758 Die Tatsache, dass der Inferent in der Vergangenheit bereits einmal eine Leistung an die Gesellschaft erbracht habe und somit ein realer Vermögenszufluss bereits stattgefunden habe, hält die h. M. aber für kein taugliches Argument. Denn diese sei zum damaligen Zeitpunkt in der Erwartung einer Gegenleistung oder Rückzah-
___________ 1744) Drygala, SZW 2006, 245, 250. 1745) Drygala, SZW 2006, 245, 250. 1746) Priester, DB 2010, 1445, 1446. 1747) BT-Drs. 16/6140, S. 25. 1748) Siehe Drygala, SZW 2006, 245, 251 mit weiteren Nennungen zu neueren Ansätzen zur Funktion des Grund- oder Stammkapitals, insbesondere vor dem Hintergrund der aufkommenden europäischen Gesellschaftsformen, die kein substantielles Nennkapital erfordern. 1749) Drygala, SZW 2006, 245, 251. 1750) Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 125. 1751) Maier-Reimer, FS Goette, 2011, 299, 309; zu diesem von den Gesellschaftern zu erbringendem „Opfer“ Wiedemann, DB 1993, 141, 147. 1752) Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 125. Für ein Abstellen auf die Perspektive der Gesellschaft könnte auch angeführt werden, dass eine Gesellschaft bei Schädigung durch einen Dritten (gleich welcher Art) auch dann einen Schaden in Höhe der ihr hierdurch verursachten Verbindlichkeit erleidet, wenn sie überschuldet ist; hierauf verweist Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 24.
360
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
lung geschehen.1753) Damit war sie aber keineswegs mit der Einlage von neuem Kapital vergleichbar, womit darin auch kein eigener Risikobeitrag unter bewusster In-Kauf-Nahme der Nachrangigkeit gesehen werden könnte.1754) Die Nennwerteinbringung könnte in der Konsequenz auch dazu führen, dass eine 759 Gesellschaft gegen sich gerichtete notleidende Forderungen, die dann regelmäßig mit Abschlag gehandelt werden, aufkaufen könnte. Dann würden diese faktisch für weniger als den Nennbetrag getilgt, womit die Befreiung von der Forderung – auch aus Perspektive der Gesellschaft – weniger als den Nennbetrag wert sei.1755) Ein solcher Einwand geht nach Ansicht der Befürworter der Nennwerteinbringung allerdings an der Sache vorbei. Denn solange weder das Insolvenzverfahren eröffnet sei noch ein Zahlungsverbot nach §§ 92 Abs. 2 AktG oder 64 GmbHG eingreife, blende ein Vergleich mit dem hypothetischen Aufkauf der Forderungen die vor einem der beiden Zustände mögliche Handlungsalternative der Durchsetzung des Anspruchs in voller Höhe unzulässigerweise aus.1756) Ohnehin wäre ein solches Vorgehen aber nur für einen geringen Teil der Gesellschaften möglich, nämlich solche, deren Verbindlichkeiten überhaupt gehandelt würden.1757) Um eine nähere Einordnung auch in die gängigen zivilrechtlichen Kategorien hat 760 sich insbesondere Ekkenga1758) bemüht. Nach seiner Analyse könne die Einbringung und der darin zugrunde liegende Leistungsinhalt in dreierlei Hinsicht gedeutet werden: Zum einen könne die Schuldbefreiung als Folge eines Erfüllungsgeschäfts nach § 362 Abs. 1 BGB angenommen werden, wenn man sie nämlich mit Hilfe einer Barzahlungsfiktion (virtuelle Barleistung des Inferenten, die zum Zwecke der Forderungstilgung virtuell wieder an ihn zurückfließe) einordne. Dies allerdings kann als Folgeproblem ggf. einen Verstoß gegen die Zahlungsverbote der §§ 92 Abs. 2 AktG, 64 GmbHG darstellen; auch könnte es zu Konflikten mit den Anrechnungsregeln der §§ 27 Abs. 3 S. 3, 4 AktG, § 19 Abs. 4 S. 3, 4 GmbHG führen. Eine andere Einordnung würde den DES als realen Vermögenstransfer begreifen, bei der der Inferent die Forderung auf die Gesellschaft überträgt. Hier ginge sie nicht in Folge einer Erfüllungshandlung unter, sondern ipso iure dadurch, dass Gläubiger und Schuldner nicht identisch sein können. Damit erlange die Gesellschaft die ___________ 1753) Drygala, SZW 2006, 245, 252; zudem habe es der Gesellschaft zu keinem Zeitpunkt zur endgültigen freien Verfügung gestanden, da eine Gegenleistungs-/Rückzahlungsverpflichtung bestand, a. a. O. S. 252. 1754) Drygala, SZW 2006, 245, 252. Gegen eine solche Argumentation lässt sich aber anführen, dass mit der nunmaligen Umwandlung ein solcher Risikobeitrag übernommen werde und damit ein freiwilliger Gang in den Nachrang erfolge; dass dies zu einem späteren Zeitpunkt erfolge, könne dann keinen Unterschied machen. 1755) So selbst als mögliches Gegenargument nennend Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 243. 1756) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 243. 1757) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 244. 1758) Ekkenga, DB 2012, 331, 333 f.; dies als wenig zielführende Begriffsdefinierung bezeichnend Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 13 Fn. 60.
361
§ 10 Bewertungsfragen
Forderung nur für eine logische Sekunde. Nach dieser Sichtweise (die der bisher herrschenden/überkommenen entspricht) sei naheliegenderweise auf den Verkehrswert der Forderung abzustellen, der regelmäßig gemindert sei.1759)
761 Eine dritte Interpretation stelle dagegen darauf ab, dass die Leistung des Inferenten darin bestehe, dass er das „vorhandene Aktivvermögen der Gesellschaft von seiner Zweckbindung als Schuldendeckungsmasse befreit, indem er das Erlöschen der Schuld rechtsgeschäftlich herbeiführt“.1760) Entscheidend sei mithin, dass durch die Schuldentlastung die verbandsinterne Verfügbarkeit des vorhandenen Aktivvermögens erhöht werde.1761) Für die Vorzugswürdigkeit einer solchen Betrachtung wird angeführt, dass die beiden anderen Ansätze unberücksichtigt lassen würden, dass gar kein nachhaltiger Zugang von Vermögen bei der Gesellschaft eintrete: die Forderung stehe der Geschäftsführung nicht, wie eigentlich vorgeschrieben, zur freien Verfügung.1762) Daher sei mit der „Neutralisierungs-These“1763) darauf abzustellen, inwieweit bisher gebundenes Vermögen nunmehr wieder zur Verfügung stehe.1764) Dies stelle auch keine Umgehung der kapitalgesellschaftsrechtlichen Aufrechnungsverbote1765) dar; mangels Vermögensbewegungen irgendwelcher Art liege es auch fern, darin ggf. einen Verstoß gegen die Zahlungsverbote der §§ 92 AktG, 64 GmbHG zu sehen.1766) Zudem schärfe sich damit der Blick auf die Ak-
___________ 1759) Ekkenga, DB 2012, 331, 333 f. 1760) Ekkenga, DB 2012, 331, 334. 1761) Ekkenga, DB 2012, 331, 334. Dies gleiche damit eher einer „werkvertraglichen Notoperation im Gesellschaftsvermögen“ als einer Übertragung eigenen Vermögens des Inferenten in das Gesellschaftsvermögen. 1762) Das nach §§ 7 Abs. 3, 57 Abs. 2 S. 1 GmbHG, §§ 37 Abs. 2 S. 1, 188 Abs. 2 S. 1 AktG vorgeschriebene „Stehen zur freien Verfügung“ sieht die h. M. als nicht gewährleistet, wenn nur auf die Forderung aus Sicht der Gesellschaft geschaut werde und nicht Voraussetzung sei, dass diese auch bisher gebundenes Aktivvermögen freisetze. Die freie Verfügung des Vorstands stehe dann nur auf dem Papier, habe aber „nichts Reales an sich“, so Ekkenga, DB 2012, 331, 334. Dagegen sehen die Befürworter der Nennwerteinbringung beim DES gar keine Gefahr, dass diese Voraussetzung des Stehens zur freien Verfügung nicht erfüllt sei: sie beziehe sich nur auf den Gegenstand der Sacheinlage selbst, nicht aber auf den Gegenwert im Gesellschaftsvermögen und solle lediglich sicherstellen, dass keine Verwendungsbeschränkung des Vorstands über den Gegenstand vorbehalten wird. Da aber gar keine effektive Vermögenszuführung bei der Gesellschaft eintrete, an die das Erfordernis der freien Verfügung des Vorstands anknüpfen könnte, bestehe diese Gefahr auch gar nicht, so Cahn/Simon/ Theiselmann, DB 2012, 501, 504. 1763) Ausgeführt bei Priester, DB 2010, 1445, 1448; vorher schon Lutter, Kapital, S. 234. 1764) Wobei Ekkenga und Priester in der Folge dann differieren bei der Frage, wie der Umfang des freiwerdenden Aktivvermögens zu bestimmen ist –also etwa, ob stille Reserven zu berücksichtigen sind. Siehe dazu unten IV. 1. c). 1765) §§ 66 Abs. 1 AktG, 19 Abs. 2 GmbHG. 1766) Ekkenga, DB 2012, 331, 334.
362
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
tivseite der Bilanz, aus der zu erlesen sei, ob überhaupt ein Entlastungserfolg eintrete und in welcher Höhe der Einbringungswert sich darstelle.1767) In der Folge bedeutet dies, dass nach dieser Ansicht die vermögensmäßige Situa- 762 tion der Gesellschaft entscheidend sein soll1768): würden die Verbindlichkeiten die Aktiva derart übersteigen, dass auch durch den Entfall des Fremdkapitalpostens kein Aktivvermögen in Höhe des Wegfalls frei werde, so sei eine Einbringung nur zu einem geringeren Betrag möglich. Mit anderen Worten: der Einbringungswert entspricht dann der auf die eingebrachte Forderung entfallenden Deckungsquote.1769)
bb) Drohende Aufblähung der Bilanz Gegen die Freisetzungsthese wird aber vorgebracht, dass deren funktionelle1770) 763 Bestimmung der Vollwertigkeit letztlich mit dem Ziel geschehe, vergleichbare Wirkungen beim DES wie bei anderen Kapitalerhöhungen zu erreichen. Dies übersehe aber, dass bei diesen anderen Kapitalerhöhungen ein gleich hoher Zugang auf Aktiv- wie auf Passivseite erfolge, eine solche Operation also eine Bilanzverlängerung zur Folge habe. Dies sei beim DES aber gerade nicht der Fall, weil dieser sich allein auf Passivseite der Bilanz abspiele.1771) Damit könne eine Gefahr der Aufblähung der Bilanz und der Vorspiegelung eines tatsächlich nicht vorhandenen Verlustdeckungspotentials schon buchhalterisch nicht begründet werden.1772) Mit der Reduzierung der Verbindlichkeiten um den Nennbetrag der eingebrachten Forderung erhöhe sich zugleich das Eigenkapital (das ebenfalls auf der Passivseite bilanziert wird) in gleichem Umfang.1773) Das Erfordernis der Freisetzung von Aktivvermögen sei ein ungeschriebenes zusätzliches Merkmal, das ins Gesetz hineininterpretiert werde.1774) Hierfür bestehe aber kein Anlass, da keiner der beteiligten Gruppen Gefahren drohten.1775) Es hätte zur Konsequenz, dass dann, wenn die Umwandlung nicht die Überdeckung des Vermögens herbeiführen könne, davon ___________ 1767) Ekkenga, DB 2012, 331, 334. 1768) Ekkenga, DB 2012, 331, 336. 1769) Ekkenga, DB 2012, 331, 336. Zu den bilanziellen Auswirkungen dieser Ansicht insbesondere im Hinblick auf den Bilanzposten „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ siehe die Beispielsrechnungen unten III. 3. e). 1770) So explizit Priester, DB 2010, 1445, 1147. 1771) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1630; Maier-Reimer, FS Goette, 2011, 299, 309: Wenn die Aktivseite unverändert bleibe und sich ausschließlich die Passivseite mindere, so habe die resultierende Veränderung jedenfalls stattgefunden und es bedürfe einer Wertprüfung nicht: denn eine „Irreführung von Gläubigern ist nur denkbar, wenn die Aktivseite überbewertet ist – aber dies ist nicht Gegenstand der Einlage“. 1772) Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 79. 1773) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1630. 1774) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 504. 1775) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 502. Aus diesem Grund bestehe auch für „komplizierte Theorienbildung zur dogmatischen Erfassung des DES kein Anlass.“
363
§ 10 Bewertungsfragen
ausgegangen werden müsse, dass gar nichts eingebracht worden sei, was aber offensichtlich nicht so sei.1776) Andererseits sollten aus dem Überschuss der Aktiva über die Verbindlichkeiten bestehende, nicht identifizierbare Aktiva als eingebracht gelten, was aber den tatsächlichen Einlagegegenstand ignoriere.1777)
764 Damit sei in Bezug auf den Gläubigerschutz zugleich verbunden, so das maßgebliche Argument der Vertreter der Nennwertthese, dass die Durchführung einer Vollwertigkeitsprüfung schlichtweg nicht notwendig sei, weil zu keiner Zeit eine Benachteiligung für die Gläubiger bestehe. Da sich der DES als reiner Passivtausch darstelle, bestehe nicht das Risiko, dass ein minderwertiger Gegenstand zu einem zu hohen Wert eingebracht werde. Eine solche „Aufblähung“ der Bilanz drohe bei Sacheinlagen, die zu hoch bewertet werden, weil dann erhöhte Aktiva ausgewiesen werden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden seien. Zu diesem Zweck werde bei „normalen“1778) Sacheinlagen, die die Einbringung eines Gegenstands betreffen, eine Werthaltigkeitsprüfung zu Recht angeordnet. Da hier aber die Aktivseite gar nicht berührt werde, bestehe diese Gefahr auch nicht.1779) Auch bestehe bei der Einbringung einer Forderung das sonst drohende Risiko der Einbringung einer negativen Sacheinlage, die das Gesellschaftsvermögen belaste statt bereichere1780), nicht.1781) Eine Forderung kann nämlich höchstens einen Wert von null haben, aber niemals einen negativen Wert.
765 Hiergegen argumentiert die h. M., dass zwar die Bilanzsumme in der Tat durch den reinen Passivtausch nicht aufgebläht werde. Indem aber das Nennkapital erhöht werde, ohne dass tatsächlich Werte zugeführt oder zumindest bisher gebundenes Vermögen freigesetzt werden, werde sehr wohl das Nennkapital aufgebläht.1782)
cc) Schutz der gegenwärtigen (=Alt-)Gläubiger 766 Hauptargumentationsstrang der Nennwertthese ist des Weiteren, dass der Gläubigerschutz bei der Nennwerteinbringung nicht gefährdet sei. Dies wird mit verschiedenen Beispielen belegt, die jeweils zeigen sollen, dass die Gläubiger durch die Nennwerteinbringung besser gestellt, zumindest aber nicht benachteiligt werden
___________ 1776) Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 123 f. 1777) Maier-Reimer, FS Goette, 2011, 299, 310. 1778) Diesen Begriff verwendend auch Maier-Reimer, FS Goette, 2011, 299, 308. 1779) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 244. 1780) Womit zugleich der Vorrang der Gläubiger vor den Gesellschaftern unterlaufen werde. 1781) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 244. 1782) Priester, DB 2010, 1445, 1449; Lutter, FS Stiefel, 1987, S. 505, 517: „Kapitalregeln zwingen also zu materieller Sanierung statt zur Aufblähung des Kapitals als reinem Hoffungswert“.
364
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
gegenüber der Einbringung der Forderungen zum tatsächlichen Wert.1783) Es findet also eine „konzeptvergleichende Folgenbetrachtung“1784) statt. Gängiges Argument für die Zulässigkeit der Nennwerteinbringung ist dabei, dass 767 die bestehenden (Alt-)Gläubiger hierdurch nicht benachteiligt werden können.1785) Vielmehr würden sich durch den Wegfall eines Konkurrenten um das vorhandene Gesellschaftsvermögen als Haftungsmasse deren Befriedigungschancen sogar erhöhen.1786) Der umwandelnde Gläubiger gebe seine gleichrangige Position mit den anderen Gläubigern auf und begnüge sich stattdessen mit der letztrangigen Position, die den Gesellschaftern in der Insolvenz als Residualgläubigern zukommt.1787) Dieses Argument gelte i. Ü. völlig unabhängig von der Vermögenslage der Gesellschaft. Auch bei einer insolventen Gesellschaft könne der mit dem DES verbundene Rangrücktritt konkurrierender Gläubiger für die anderen Gläubiger nur vorteilhaft sein.1788) Mit diesem Nachrang gegenüber den verbleibenden Gläubigern sei auch zugleich verhindert, dass sich der Inferent durch die Umwandlung eine vollständige Befriedigung vor den anderen Gläubigern verschaffen könne. Denn auch bei völliger Entwertung der Forderung sei die hiermit erlangte Beteiligung aufgrund des Nachrangs notwendigerweise weniger wert als die bisherige Forderung.1789) Daher bestehe auch nicht die Gefahr, dass schlechtes Geld in gutes Kapital umgewandelt werde.1790) ___________ 1783) Beispielsrechnungen bei Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1630. 1784) So Ekkenga, DB 2012, 331, 332; diese „Rechtsfolgenbetrachtung“ wird von ihm aber auch gerade als unzureichend kritisiert. 1785) Dies ist i. Ü. hinsichtlich der Tatsache, dass die Einbringung zu keiner Liquiditätseinschränkung der Gesellschaft führt, unstreitig, siehe nur BGHZ 110, 47, 62 (IBH/Lemmerz). 1786) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 244; Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 132; Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 26; Vrbaski, SZW 2005, 59, 62; Hölzle, in: Kübler, HRI § 31 Rn. 83: tauschen ihre Forderung gegen eine bloße Geschäftschance, die „sich nur realisieren kann, wenn und soweit sämtliche Gläubiger befriedigt oder jedenfalls aus dem Gesellschaftsvermögen zu befriedigen sind.“ 1787) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 244; dies hatte auch schon einmal das Reichsgericht nebenbei ausgeführt, ohne hieraus aber Konsequenzen zu ziehen, RGZ 152, 292, 301 a. E. Hierzu ist allerdings zu sagen, dass dies ja ohnehin der Fall ist beim DES, unabhängig davon, in welcher Höhe eingebracht wird; dies erkennen auch die Vertreter der Nennwertthese, siehe Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 244. 1788) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 244; aus Sicht der Inferenten erhalte dieser für schlechtes Geld ja sogar eine schlechte Beteiligung, die im Falle einer Insolvenz rangmäßig noch schlechter angesiedelt ist als die vorherige Gläubigerposition, die er innehatte. 1789) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 244 f.; dies wird dann a. a. O. in Fn. 55 wieder mit einem Beispiel belegt, in dem der Verzicht der nicht-wandelnden Gläubiger auf 80 % ihrer Forderungen (nicht: der DES) die mangelnde Vermögensüberdeckung nicht beseitigt: „sofern der Verzicht der Gläubiger nicht zu einem positiven Eigenkapital geführt hat, beträgt der aktuelle anteilige Residualwert 0“; Bei der Sanierung im Insolvenzplanverfahren wäre aber zu beachten, dass der Verzicht auch im Insolvenzplan die Vermögensüberdeckung idealerweise ganz knapp zustande bringt, womit dieses Argument entfallen würde. 1790) So aber KK-AktG/Lutter, 2. Aufl., 1995, § 183 Rn. 30. Dagegen Karollus, ZIP 1994, 589, 595: aufgrund der Krise erhalte er eine „schlechte“ Beteiligung.
365
§ 10 Bewertungsfragen
768 Hiergegen könnte nun aber vorgebracht werden, dass bei erfolgreicher Sanierung der Gesellschaft die Anteile wieder werthaltig würden (ggf. sogar werthaltiger als der ursprüngliche Anspruch in Nominalhöhe) und die Anteilseigner somit direkt oder indirekt an den Gewinnen teilhaben könnten. Dies wollen die Befürworter aber nicht gelten lassen: diese Chance auf eine über den Nominalbetrag der eingebrachten Forderung herausgehende Wertsteigerung beruhe letztlich auf der Risikobereitschaft des Inferenten.1791) Damit sei es die Kehrseite des Rangrücktritts, der zunächst für die anderen Gläubiger vorteilhaft sei; wegen deren Befriedigungsvorrang könne sich dies aber unter keinen Umständen zu ihrem Nachteil auswirken.1792)
769 Die Vertreter der h. M. weisen allerdings darauf hin, dass das Ausscheiden der Inferenten aus der Gläubigerkonkurrenz allein dann einen tatsächlichen Vorteil darstellt, wenn hohe Aktiva vorhanden sind, um die dann eine geringere Anzahl von Gläubigern konkurrieren.1793) Sind allerdings kaum Aktiva vorhanden (etwa bei einem Unternehmen aus der Dienstleistungsbranche), so verbessere sich die Situation der verbleibenden Gläubiger kaum; die Neu-Gläubiger aber fänden nach Umwandlung der Forderungen ein hohes Eigenkapital vor, ohne dass hierdurch Aktiva in nennenswertem Umfang frei geworden wären: hierdurch sei „buchstäblich Luft in garantiertes Eigenkapital verwandelt“ worden.1794)
770 Die Gegenseite gesteht durchaus zu, dass sich die Befriedigungsaussichten im Fall kaum vorhandener Aktiva nicht verbessern. Jedoch bemüht sie wiederum einen Rechtsfolgenvergleich und verweist darauf, dass sie sich zumindest aber auch nicht verschlechtern: denn in beiden Fällen wäre die Gesellschaft (weiterhin) insolvenzreif; das Insolvenzverfahren würde mangels Masse aber gar nicht erst eröffnet werden (§ 26 Abs. 1 InsO), was nur die Auflösung der Gesellschaft nach sich ziehe (§§ 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG, 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG). Die einzig verbleibende Möglichkeit der versuchten Durchsetzung der einzelnen Ansprüche sei dann wohl kaum erfolgreich.1795) Damit aber bestehe, ob DES oder nicht, die selbe Position. In dem angesprochenen Szenario sei es daher ohnehin kaum realistisch, dass sich einzelne Gläubiger auf einen DES einlassen würden.1796) Dies sei dann anders, wenn in einem solchen Fall alle Gläubiger umwandeln würden, da sie sich somit zumindest die Chance erhalten würden, das Unternehmen nach den eigenen Vorstellungen zu sanieren und sich die Chance auf Wertsteigerungen zu erhalten.1797) ___________ 1791) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 245. 1792) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 245; ohnehin stelle dies wieder auf die Sicht des Inferenten ab, worauf es aber nicht ankomme: es gehe allein um den Kapitalschutz und darum, dass die Gesellschaft in ausreichendem Umfang Kapital erhält, so Karollus, ZIP 1994, 589, 595. 1793) Drygala, SZW 2006, 245, 252. 1794) Ekkenga, DB 2012, 331 mit einem Extrembeispiel. 1795) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 502. 1796) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 502 (ohne nähere Begründung). 1797) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 502.
366
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
Zwar stehe dann weiter dem neuen hohen Kapital auf Passivseite ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag auf Aktivseite gegenüber (da das Eigenkapital aber in der Überschuldungsbilanz nicht als Passivum berücksichtigt wird, liegt immerhin keine Insolvenzreife vor); den wandelnden Gläubigern würde aber auch nichts genommen, denn sie ließen sich hierauf ja freiwillig ein. Alternative sei schließlich der vollständige, unwiederbringliche Verlust der Forderung, so dass der DES aller Gläubiger wenigstens eine Chance darstellen würde.1798)
dd) Schutz der Neu-Gläubiger Hauptkritikpunkt der h. M. an der Nennwertthese ist, dass hiermit das unmittelbare 771 Risiko heraufbeschworen werde, dass (eigentlich vermögenslose) Gesellschaften ein hohes Stammkapital ausweisen würden, dem bei Einbringung keine reale Vermögenszuführung gegenübergestanden habe.1799) Es sei das maßgebliche Ziel des deutschen Kapitalaufbringungsrechts, dies zu verhindern. Als Korrelat zum Privileg der Haftungsbeschränkung und der darin liegenden Externalisierung des Haftungsrisikos müsse sichergestellt werden, dass dem Nenn-/Stamm-Kapital als vorrangigem Haftungsfonds und Verlustpuffer auch tatsächliche Werte entgegenstehen.1800) Ansonsten drohe bekanntlich die Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung von Verlusten (zu Lasten der Gläubiger).1801) Die Vertreter der Nennwertthese sehen diesen Schutz allerdings ausreichend ge- 772 währleistet, solange nur offengelegt werde, dass das Nennkapital durch Umwandlung einer gegen die Gesellschaft bestehenden Forderung erhöht wurde (neben der Offenlegung der Identität des Inferenten). Diese Offenlegung sei tatsächlich unverzichtbar, aber auch ausreichend, um den unzutreffenden Eindruck bei Dritten zu verhindern, dass der Gesellschaft durch einen Geldgeber zusätzliche Mittel zugeführt wurden, die zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung stünden, was aber aufgrund des (bloßen) Passivtauschs nicht der Fall sei.1802) Durch die Offenlegung werde dieser Eindruck verhindert; zugleich würden die gegenwärtigen und neuen Gläubiger hierdurch darüber informiert, dass der einbringende Gläubiger mit der Übernahme der Beteiligung ein Risiko eingegangen sei.1803) Diese Änderung der Vermögenslage sowohl bei der Gesellschaft als auch beim Inferenten stelle eine ___________ 1798) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 502. 1799) BGHZ 110, 47, 62 (IBH/Lemmerz); Ekkenga, DB 2012, 331, 334. 1800) Drygala, SZW 2006, 245, 250; K. Schmidt, GesR, § 37 I. (S. 1111 f.). 1801) Priester, DB 2010, 1445, 1446. 1802) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 247. Ein irgendwie geartetes Publizitätsinteresse gänzlich ablehnend dagegen Karollus, ZIP 1994, 589, 597; ähnlich Honsell, FS Frotz, 1993, 307, 317: behauptete Gläubigererwartung im Hinblick auf frisches Geld sei unzutreffend, weil bei Kapitalschnitt jedermann wüsste, dass die Gesellschaft Verluste erlitten hat, welche das Eigenkapital angegriffen haben. 1803) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 247.
367
§ 10 Bewertungsfragen
Information von erheblicher Bedeutung dar, mit deren Hilfe es den potentiellen Gläubigern möglich sei, sich „ein realistisches Bild von der Vermögens- und Finanzlage der Gesellschaft und von der Qualität der eingebrachten Vermögenswerte“ zu machen.1804)
773 Damit einhergehend wird die Bedeutung des Postens Stammkapital bzw. Grundkapital für die Entscheidungsfindung zukünftiger Gläubiger angezweifelt: Diese würden die Aufnahme künftiger Geschäftsbeziehungen kaum von „irgendwelchen Vorstellungen über Art und Weise einer früher durchgeführten Kapitalerhöhung abhängig machen“.1805) Hinsichtlich des Verlustdeckungspotenzials seien sie vielmehr an der Vermögensausstattung der Gesellschaft interessiert, die durch den DES aber unberührt bleibe. Das Gesellschaftskapital sei für die künftigen Gläubiger vorrangig in der Hinsicht von Interesse, als dass hieraus Aussagen über Ausschüttungssperren zu entnehmen seien (worin sich der Vorrang der Gläubiger vor den Gesellschaftern spiegle).1806) Es helfe einem Gläubiger ohnehin auch nicht, dass ein Kapitalbeitrag einmal eingebracht worden sei; maßgeblich sei für ihn allein, was davon noch vorhanden sei.1807) Entscheidend sei, dass nur einmal eine Verbesserung der Vermögenslage um den Erhöhungsbeitrag stattgefunden habe1808); aus der Perspektive der Gesellschaft sei dies der Fall durch die Schuldbefreiung in Höhe des Nennwerts.1809)
774 Statt an das im Handelsregister verlautbarte Kapital solle, so die Nennwertthese weiter, unter dem Aspekt des Gläubigerschutzes lieber an das Vorliegen der mate___________ 1804) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 247, 1805) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1631; siehe auch Karollus, ZIP 1994, 589, 597: rein spekulativer Charakter statistisch nicht belegter Aussagen über die angeblichen Erwartungen des Publikums. Dort weiter: jede sanierende Kapitalerhöhung erfolge mit dem Ziel, das neue Kapital zur Tilgung von Verbindlichkeiten zu verwenden; dabei sei aber irrelevant, ob die Schulden des Inferenten oder andere Schulden hiermit getilgt würden, so oder so finde bestenfalls ein „kurzfristiger Liquiditätszufluss statt, der letztlich doch nur in der Beseitigung von Passiven einen Niederschlag findet“, a. a. O. S. 597. Hiergegen könnte gesagt werden, dass Neu-Gläubiger dies in der Tat nicht tun; sie denken nämlich gar nicht darüber nach, ob dieses Kapital durch Aufbringung bei Gründung, durch Kapitalerhöhung, etc. aufgebracht wurde. Gerade deshalb aber sei dessen Aufbringung so wichtig, da sich die Gläubiger eben an dieser Kennzahl orientieren. Vrbaski, SZW 2005, 59, 62 erkennt dagegen schon gar kein schutzwürdiges Vertrauen des Rechtsverkehrs, solange eine Verrechnung nicht gänzlich verboten sei (siehe näher Fn. 1924). Solange somit die Verrechnung unter gewissen Umständen seitens der Gesellschaft zugelassen werde, könne sich der Rechtsverkehr nicht stets sicher sein, dass ein realer Substanzzufluss tatsächlich stattgefunden habe. Dies wird bei Drygala, SZW 2006, 245, 254 aber als Zirkelschluss bezeichnet, weil die Verrechnung nur bei Vollwertigkeit möglich sei; somit unterstütze diese Verrechnungsmöglichkeit gerade den Kapitalaufbringungsschutz und konterkariere ihn nicht. 1806) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1631. 1807) Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 128; ders., FS Goette, 2011, 299, 309. 1808) Siehe hierzu Maier-Reimer, FS Goette, 2011, 299, 309 f. 1809) Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 128.
368
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
riellen Insolvenz angeknüpft werden. Denn seit Aufgabe des Postulats der wertgleichen Deckung bei Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister könne eine Überschuldung, selbst wenn sie durch die Kapitalerhöhung anfangs beseitigt wurde, längst wieder eingetreten sein (eine der Vorbelastungshaftung entsprechende Schutzmaßnahme besteht bei der Kapitalerhöhung nicht).1810) Könne daher dem Publizitätskapital noch nicht einmal im Zeitpunkt der Handelsregister-Eintragung eine sichere Schuldendeckungsquote entnommen werden, so erwachse hieraus auch kein Befriedigungsvertrauen.1811) Dies könne allein die Insolvenzantragspflicht gewährleisten.1812) Ähnlich wird argumentiert, dass Außenstehende keinerlei Anlass hätten, aus der Ein- 775 bringung einer Forderung zum Nennwert zu folgern, dass das Vermögen der Gesellschaft die Schulden auch schon vor Einbringung übersteige.1813) Denn eine Bonitätsprüfung der kapitalerhöhenden Gesellschaft gehört auch bei sonstigen Kapitalerhöhungen nicht zum Prüfungsprogramm des Registerrichters. Daher sei ein diesbezüglicher Irrtum seitens eines Gläubigers, dies sei so, auch nicht durch „Aufstellung nicht durchdachter Rechtssätze zu schützen“.1814) Auf derartige Ausführungen antwortet die h. M., dass dies dann aber als Systemfrage 776 zu stellen sei, die für alle Arten von Sachkapitalerhöhungen gleich zu beantworten sei.1815) Dann könne die Notwendigkeit einer Werthaltigkeitskontrolle auch als gänzlich überflüssig angesehen und ganz abgeschafft werden.1816) Der Gesetzgeber habe sich aber für die Werthaltigkeitskontrolle entschieden, weil er der bloßen Offenlegung offensichtlich keinen ausreichenden Schutzcharakter zugestehen würde.1817) Hinzu kommt, dass die Registerpublizität von der h. M. als nicht ausreichend angesehen wird. Indem die Nennwertthese nämlich darauf verweise, dass einem potentiellen Neu-Gläubiger durch Blick auf die Handelsbilanz ein ausreichender Überblick über die Vermögenssituation möglich sei, werde suggeriert, dass aus der Summe des Aktivvermögens der maximal freisetzbare Wert ersehen werden könne.1818) ___________ 1810) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 463; Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 128 m. w. N. Es gebe aber keinen Grund, an die Umwandlung strengere Anforderungen zu stellen als an die Bareinlage, bei der es nach BGH außer Betracht zu bleiben habe, dass eine zwischenzeitliche Minderung durch andere Verluste eingetreten sei, a. a. O. S. 128 f. 1811) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464. 1812) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464. 1813) Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 27 f. 1814) Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 28. 1815) Priester, DB 2010, 1445, 1449; Ekkenga, DB 2012, 331, 335. 1816) Drygala, SZW 2006, 245, 253: fraglich, ob ein so verstandenes System den damit verbundenen Aufwand überhaupt noch wert sei. Zur Frage, ob das deutsche Kapitalschutzsystem überhaupt noch leistungsfähig ist auch angesichts europäischer Entwicklungen, siehe Wagner, 7 EBOR 217 ff. (2006). 1817) Ekkenga, DB 2012, 331, 335. 1818) Kanzler/Mader, GmbHR 2012, 992, 994.
369
§ 10 Bewertungsfragen
Wenn aber stille Reserven zu berücksichtigen seien1819), würde die Bilanz dies mangels Abbildung nicht ermöglichen, womit unklar sei, ob der freigesetzte Wert nicht doch höher sei, womit sich i. E. allein die Registerpublizität als kein ausreichendes Pendant darstelle.1820)
ee) Kapitalschutz nach bilanzrechtlichen Maßstäben/buchmäßige Behandlung der eingelegten Forderung bei fehlender Vollwertigkeit 777 Einen erheblichen Angriffspunkt im Konzept der h. M. sehen die Vertreter der Nennwertthese darin, dass die bilanzielle Behandlung des DES bei Einbringung zum wirtschaftlichen Wert im Ergebnis sogar einen schwächeren Gläubigerschutz bewirken würde als die Nennwerteinbringung. Diese (auf den ersten Blick) paradoxe Situation entstehe dadurch, dass das Verbuchen im Nennkapital eine höhere Kapitalbindung erzeuge als das Einstellen in Kapitalrücklagen, von wo ausgerechnet der nicht werthaltige Teil leichter ausschüttbar wäre.1821)
778 Zu diesem Zustand kann es kommen, da sich der DES als reiner Passivtausch darstellt. Der nicht werthaltige Teil der Forderung „verpufft“ in der Bilanz nicht etwa (es findet keine Bilanzverkürzung statt)1822), sondern kann auf zweierlei Weise verbucht werden1823): zum einen kommt eine Einstellung in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 HGB in Betracht. In deren Unterkategorien würde eine Einstellung in die Agio-Rücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB1824) oder in die Zuzahlungsrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB möglich sein.1825) Zum anderen kann er – handelsbilanziell – als Ertrag über die Gewinn- und Verlust-Rechnung verbucht werden.1826)
___________ 1819) Was streitig ist, siehe unten IV. 1. c). 1820) Kanzler/Mader, GmbHR 2012, 992, 994. 1821) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 245; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 463. 1822) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 502; wohl aber eine „Verkürzung der Passivseite“, siehe Fromm, ZInsO 2012, 1253, 1254. 1823) Hannemann, DB 1995, 2055. 1824) Dies aber anzweifelnd Maier-Reimer, FS Goette, 2011, 299, 310 für die Differenz zwischen Nennbetrag der Forderung und tatsächlichem Wert. Dieser könne nicht als Agio bezeichnet werden, weshalb er auch nicht der Bindung nach § 150 Abs. 4 AktG unterliege. Eine Einstellung in die Agio-Rücklage hält er aber für möglich für den Betrag, der den Nennbetrag von einzubringenden Schuldverschreibungen übersteigt. 1825) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 246. 1826) So Groh, BB 1997, 2523, 2527; Groß, GmbHR 1983, 290, 292. Diesbezüglich wurde aber vorgebracht, dass dies dem Grundsatz widersprechen würde, dass Einlagen nur die Vermögenssphäre berühren, so Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 25 f. Im Hinblick auf die steuerliche Behandlung führt das auch zu dem Problem, dass bei ertragswirksamer Buchung Ertragssteuern anfallen können.
370
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
Mit anderen Worten: die Forderung landet aus bilanzrechtlicher Sicht ohnehin zu 779 100 % im Eigenkapital. Dies liegt an der bilanzrechtlichen Definition des Eigenkapitals in § 266 Abs. 3. A. HGB: demnach setzt es sich zusammen aus
dem gezeichneten Kapital1827)
Zuzüglich der Kapitalrücklage
Zuzüglich der Gewinnrücklagen
Zuzüglich des Gewinnvortrags bzw. abzüglich des Verlustvortrags
Zuzüglich des Jahresüberschusses bzw. abzüglich des Jahresfehlbetrags.
Wenn somit die Forderung nach h. M. bei verminderter Werthaltigkeit nur zu einem 780 Teil im gezeichneten Kapital landet, so erhöht der nicht werthaltige Teil doch die Kapitalrücklage oder vermindert den Verlustvortrag bzw. führt zu einem Gewinnvortrag. Die Summe des Eigenkapitals bleibt bilanzrechtlich aber grundsätzlich gleich.1828) Diese zunächst rein bilanzielle Darstellung bzw. die damit einhergehende vermögens- 781 mäßige Nicht-Auswirkung hat aber Auswirkungen auf die Ausschüttungsfähigkeit der Gesellschaft. Nach beiden Methoden, so die Nennwertthese, stehe der nicht werthaltige Teil der Forderung nämlich jedenfalls früher wieder zur Ausschüttung bereit.1829) Bei einer Einbuchung in voller Höhe des Nennwerts in das Stammkapi___________ 1827) Bezeichnet als Stammkapital bei der GmbH, Grundkapital bei der AG; dieser Posten wird außerhalb des Bilanzrechts oft als Eigenkapital bezeichnet, obwohl er es nur zum Teil ist. Damit wird aber die vielfach genutzte Beschreibung des DES als „Wandlung von Fremdkapital in Eigenkapital“ nicht falsch: wie sogleich gezeigt wird, geht die Forderung auf jeden Fall ins Eigenkapital; nur ist streitig, wo sie dort aufgeführt wird. 1828) Hier muss darauf verwiesen werden, dass auch durch eine Kapitalherabsetzung in der Krise das EK nicht zwingend vermindert wird. Wenn das Nennkapital herabgesetzt wird, sich aber zugleich der Verlustvortrag hierdurch vermindert, so bleibt die Summe des EK gleich; auch bei einer Kapitalherabsetzung handelt es sich um einen reinen Passivtausch, bei der das bilanzielle EK unberührt bleibt und sich lediglich die gesellschaftsrechtliche Kapitalbindung betragsmäßig ändert, siehe MüKo-GmbHG/Vetter, § 58 Rn. 23. Wird die Kapitalherabsetzung zum Ausgleich einer Unterbilanz durchgeführt, so ist die Gegenbuchung zur Minderung des gezeichneten Kapitals die Minderung des Verlustvortrages, a. a. O. Rn. 24. Zu einer Bilanzverkürzung kommt es nur, wenn die Kapitalherabsetzung der Rückzahlung von Einlagen dient, und auch dann erst, wenn die zwischenzeitlich in die Kapitalrücklage eingestellte und dann als Verbindlichkeit ggü. Gesellschaftern bilanzierte Auszahlungssumme tatsächlich ausgezahlt wird, a. a. O. Rn. 25. 1829) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 245; dies untermauern sie in der DB 2010, 1629, 1630 mit einer Beispielsrechnung, in der sich die Befriedigungsquote der Alt-Gläubiger bei der Nennwerteinbringung im Vergleich zur Verkehrswerteinbringung nicht verändert, während bei der Verkehrswerteinbringung schneller wieder eine Ausschüttung ermöglicht wird; diese Rechnung wird allerdings von Ekkenga, DB 2012, 331, 334 angezweifelt mit dem Hinweis, dass diese einen Differenzhaftungsanspruch auf Aktivseite unzulässigerweise nicht berücksichtige. Dagegen Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 503: der vermeintlich ausgeblendete Zusatzeffekt der Differenzhaftung beruhe auf „unrealistischen Annahmen, die keine taugliche Grundlage für die Bildung von Rechtsregeln für den DES darstellen“. Denn wenn ein Differenzhaftungsanspruch gegen die Inferenten zu passivieren sei, so würde dies die Gläubiger davon abhalten, überhaupt zu wandeln; sie würden i. E. weder Bargeld noch einen Sanierungsbeitrag leisten.
371
§ 10 Bewertungsfragen
tal dagegen wäre es vollständig in das gläubigerschützende Kapitalschutzsystem einbezogen; eine Ausschüttung sei hier deutlich erschwert, da Aktiva in selber Höhe einer Ausschüttung entzogen seien.1830) Daher sei die h. M. widersprüchlich, wenn sie die Nennwerteinbringung mit der Begründung mangelnden Gläubigerschutzes ablehne, dann aber das Einstellen in die Kapitalrücklage dulde, wodurch die Möglichkeit künftiger Ausschüttungen erleichtert werde.1831) Auch sei mit der Nennwerteinbringung keine größere Irreführung verbunden als mit der Einstellung in die Kapitalrücklage.1832) Die „Minderbewertung wegen Zahlungsunfähigkeit“ lasse sich, anders formuliert, „bilanzmäßig gar nicht darstellen“.1833) Die bilanzmäßige Auswirkung sei aber „ein Spiegelbild für die Tatsache, dass an einer Minderbewertung der Einbringung einer gegen die Gesellschaft gerichteten Forderung gar kein Interesse besteht“.1834)
782 Zu dieser grundsätzlich richtigen Aussage muss allerdings ergänzend darauf hingewiesen werden, dass mit dem DES zwar nicht zwingend, aber doch vielfach, eine (vereinfachte) Kapitalherabsetzung1835) einhergeht. Hiermit sind nach §§ 58d GmbHG, 233 AktG bereits strenge Anforderungen an zukünftige Ausschüttungen aufgestellt. Zudem ist die Ausschüttung erschwert, wenn die Bilanz einen Verlust(vortrag) bzw. einen Bilanzverlust ausweist. Die Ausschüttungsfähigkeit differiert dabei zwischen GmbH und AktG. Bei der GmbH bestehen hier weniger Schranken; geschützt gegen Ausschüttung ist nach § 30 GmbHG nur das Nennkapital. Bei der AG ist § 150 Abs. 3, 4 AktG zu beachten, der eine Verwendung von in der gesetzlichen Rücklage und den Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB eingestellten Guthaben maßgeblich nur zum Ausgleich von Jahresfehlbeträgen bzw. Verlustvorträgen er___________ 1830) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 246; Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 502; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 3. 1831) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 502. 1832) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 503. 1833) Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 26. 1834) Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 26. 1835) Als Argument ist in diesem Kontext auch zu lesen, dass die Aufgabe der Beseitigung einer ggf. bestehenden Vermögensunterdeckung doch der Kapitalherabsetzung zukomme, nicht aber einer Vollwertigkeitsprüfung. So gehen einige Vertreter der Nennwerteinbringung davon aus, dass selbstverständlich erst die Überschuldung durch eine Kapitalherabsetzung zu beseitigen sei, womit die Forderung dann auch vollwertig werde, so etwa Geßler, FS Möhring, 1975, S. 173, 192. Dass dies zwar oft, aber nicht zwingend immer der Fall sei und zudem hierzu keine Verpflichtung besteht, erwähnt der BGH in BGHZ 110, 47, 61 f. (IBH/Lemmerz): Der Umfang einer Kapitalherabsetzung müsse nicht so bemessen sein, dass (bereits hierdurch) eine vollständige Sanierung erfolge, infolgedessen sie ihren vollen Wert wiedererlange. Hinzu kommt, dass der Überhang der Verbindlichkeiten über den Aktiva auch höher sein kann als das Stammkapital, so dass eine Kapitalherabsetzung, auch wenn sie durchgeführt würde, die Vollwertigkeit nicht herbeiführen könne. Somit taugt der Verweis hierauf nicht als Argument, es sei denn, man verweigert die Einbringung einer Forderung gänzlich, wenn die vorhergehende Kapitalherabsetzung nicht reicht, die mangelnde Vermögensdeckung zu beseitigen.
372
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
laubt. Bis zu einer gewissen Schwelle kann auch der Jahresüberschuss nicht völlig frei verwendet werden: Sofern die gesetzlichen Rücklagen und die genannten Kapitalrücklagen die Schwelle von 10 % oder höher des Grundkapitals noch nicht erreicht haben, schreibt § 150 Abs. 2 AktG auch die Verwendung von 5 % des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschuss zur Umbuchung in diese Rücklagen zwingend vor. Allerdings ist die Möglichkeit der Einstellung in die Kapitalrücklage ohnehin eine 783 Option, die die Nennwertthese auf Basis der h. M. folgert, deren Vertreter aber nicht zwingend so sehen. Dabei wird danach differenziert, ob Schuldendeckung vorliegt oder nicht. So kommt nach Priester bei nicht vollständiger Vermögensdeckung die Einstellung in die Kapitalrücklage nicht in Betracht: es handle sich bei den wertlosen Teilen der Forderung weder um Aufgelder (Agio) nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB noch um Zuzahlungen in das Eigenkapital nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB.1836) Damit verbliebe nur die handelsbilanzielle Abbildung des nicht werthaltigen Teils als Ertrag über die GuV; dies führe aber keineswegs zur Ausschüttbarkeit in dieser Höhe, da hierdurch lediglich der aufgelaufene Verlust gemindert werde.1837) Im Fall vorhandener Schuldendeckung dagegen sieht auch Ekkenga keine Hindernisse in der Einbuchung des nicht werthaltigen Teils der Forderung in die freie Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB. Die Option der freien Rücklagenbildung gehöre „gerade zu jenen strategischen Vorteilen, ohne die in vielen Sanierungsfällen praktisch nicht auszukommen“1838) sei. Weder im Recht der GmbH noch der AG seien Mengenvorgaben für das Ausmaß der Kapitalerhöhung vorgesehen, was so auch für das angestrebte Gläubigerschutzniveau gelten müsse.1839) Im Übrigen sei mit einem niedrigeren Grund-/Stamm-Kapital auch weniger Gläubigerschutz verbunden, ohne dass hiermit etwas Widersprüchliches oder Systemwidriges verbunden sei.1840) Dies kritisiert wiederum die Nennwertthese mit bemerkenswerter Argumentation: „Die fehlende Kapitalaufbringungskontrolle ändert nichts daran, dass es unzulässig ist, derartige Zuzahlungen willkürlich überzubewerten und dadurch die Bilanz künstlich aufzublähen. Denn die Freistellung von ___________ 1836) Priester, DB 2010, 1445, 1449. 1837) Priester, DB 2010, 1445, 1449; damit müsste Priester aber bei Nicht-Vorliegen eines Verlusts wohl eingestehen, dass Ausschüttbarkeit erleichtert werde (was bei insolventen Gesellschaften andererseits selten der Fall sein wird). Nach Groß, GmbHR 1983, 290, 292 ist eine Zuführung des Ertrages in die Rücklage ist nur insoweit möglich, wie „das um einen Verlustvortrag geminderte Jahresergebnis den Betrag der Forderung deckt“. Eine direkte Umbuchung in die Kapitalrücklage sei nur zulässig, wenn der Gläubiger bereits zum Bilanzstichtag Gesellschafter ist und die Forderung vereinbarungsgemäß in das nicht gezeichnete Kapital eingebracht wird. 1838) Ekkenga, DB 2012, 331, 334. Es sei auch anerkannt, dass die freien Zuzahlungen in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB weder der Kapitalaufbringungskontrolle noch dem Kapitalerhaltungsgebot unterliegen, a. a. O. Fn. 40. 1839) Ekkenga, DB 2012, 331, 334. 1840) Ekkenga, DB 2012, 331, 334.
373
§ 10 Bewertungsfragen
der Kapitalaufbringungskontrolle ist kein Freibrief dafür, willkürlich Zahlungsrücklagen zu bilden, denen keine werthaltige Gesellschafterleistung gegenübersteht. (…) Konsequenterweise (dürfte die h. M.) auch hier nicht zulassen, dass eine Rücklagenerhöhung bewusst in Gänze aus einer vollständig wertlosen Leistung gespeist wird. Genau das wäre aber vom Ausgangspunkt der h. M. der Fall, denn ihr zufolge ist gerade der (vermeintlich) wertlose Teil der eingebrachten Forderung in voller Höhe in die Zuzahlungsrücklage umzubuchen.“1841)
784 Aus diesen Szenarien erleichterter Ausschüttung wird dann zurückgeschlossen auf allgemeine Prinzipien. So sei, da dem Gläubigerschutz durch die Nennwerteinbringung besser genügt werde, das Verständnis der h. M. vom Grundsatz der realen Kapitalaufbringung keineswegs zwingend, sondern würde sich vielmehr auf ein „bestimmtes Vorverständnis der Kapitalaufbringung“ stützen, das aber im Gesetz keine hinreichende Grundlage finde.1842) Ähnlich attestiert Maier-Reimer den Gegnern der Nennwerteinbringung beim DES ein Unbehagen an deren Vorgehen, das einem Prinzip, nicht aber irgendwelchen Interessen geschuldet sei. Ein solches Prinzip dürfe aber nicht verabsolutiert werden, sondern müsse seine Begrenzung finden, wenn es Gestaltungen verhindere, die „im Interesse aller durch das Prinzip geschützten Interessen liegen, ohne auch nur denkbare Interessen zu beeinträchtigen.“1843) Karollus konstatierte, das Einzige, was noch für die Beibehaltung des Vollwertigkeitserfordernisses spreche, sei die „altehrwürdige Tradition.“1844)
ff) Schutz der Alt-Gesellschafter 785 Eine Gefahr für die bestehenden Gesellschafter sieht die h. M. in der Nennwerteinbringung insofern, als dass eine Verwässerung der Beteiligung der bisherigen Anteilseigner droht.1845) Dies sei aber nicht angebracht, da „der Verlust in der Weise geteilt werden (muss), dass ein Gläubiger nur in Höhe des werthaltigen Teils seiner ___________ 1841) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 502. Diese Argumentation ist vom Standpunkt der Nennwertthese aus in sich konsistent, bemerkenswert ist dieses Argument aber deshalb, weil hier der h. M. vorgeworfen wird, dass sie es zulasse, die Bilanz künstlich aufzublähen, was eigentlich die h. M. der Nennwertthese im Generellen vorwirft (oben bb). 1842) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 246. 1843) Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 132. 1844) Karollus, ZIP 1994, 589, 596: Die Vollwertigkeitsthese führe nicht zur realen Kapitalaufbringung, sondern zur realen Kapitalvermehrung. 1845) BGHZ 110, 47, 62 (IBH/Lemmerz). Daneben besteht auch insofern ein Risiko für bestehende Gesellschafter, als dass die Solidarhaftung des § 24 GmbHG auch bei der Kapitalerhöhung mit Sacheinlage in Höhe eines etwaigen Differenzhaftungsbetrages droht, siehe MüKo-GmbHG/ Schütz, § 24 Rn. 14. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Alt-Gesellschafter nicht an der Kapitalerhöhung beteiligt hat, a. a. O. § 24 Rn. 23. Allerdings droht nach der Nennwertthese ja gerade keine Differenzhaftung, solange die Einbringungshöhe nicht über dem Nennwert liegt (bzw. die Bilanzwerte nicht berichtigungsbedürftig sind). Daher hat dieses Argument keine Relevanz, solange es um die hier behandelte Grundsatzfrage geht.
374
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
Forderung Anteile am Nennkapital erwerben darf“.1846) Sei der Wunsch der umwandelnden Gläubiger nach Einfluss durch hohe Beteiligung am Nennkapital auch nachvollziehbar, dürfe dies doch nicht zu Lasten der bisherigen Anteilseigner gehen.1847) Die Nennwertthese hingegen zweifelt bereits an, ob die Kapitalaufbringungsvor- 786 schriften überhaupt dem Schutz der Gesellschafter zu dienen bestimmt sind.1848) Ohnehin sei die Frage einer etwaigen Benachteiligung der Alt-Anteilseigner aber nicht bei der Frage der Einbringungshöhe der Forderung zu klären, sondern bei der Festsetzung des Ausgabepreises für die neuen Anteile.1849) Denn auch bei Bestehen von Ausfallsrisiken könne ein Aufgeld bei der Anteilsausgabe (Agio) in gewissen Fällen angebracht sein.1850) Hier, und nicht bei den starren und zwingenden Regelungen der Kapitalaufbringung, sei die Frage nach dem Schutz der Gesellschafter richtig angesiedelt.1851) Der Ermittlungsprozess zur Festlegung des Agio laufe zwar auch auf eine Bewertung der Gesellschaft hinaus; dies ändere aber nichts daran, dass die Sacheinlageprüfung nur einen begrenzten Gesetzeszweck habe, der dies nicht umfasse.1852) Jedenfalls aber drohe den Alt-Anteilseignern ohnehin niemals Gefahr durch die 787 Einbringung zum Nennwert: denn wenn Forderungen gegen die Gesellschaft aufgrund schlechter Vermögenslage nicht werthaltig sind, bedeute dies zugleich, dass das Eigenkapital bereits vollständig aufgezehrt sei und die Anteile somit ohnehin
___________ 1846) Priester, DB 2010, 1445, 1450. mit Verweis auf Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 543 (gesellschaftsrechtliche Verteilungsregel); diese aber kritisierend Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 132 Fn. 102: es sei nicht verständlich, warum auch bei gesellschaftsrechtlicher Verteilungsregel überhaupt ein (Rest)-Wert der Anteile angenommen werde, obwohl in dem dazu gebildeten Beispiel Forderungsabschläge aufgrund eines quantifizierten Ausfallrisikos angenommen werden. Sei dies der Fall, so sei das Eigenkapital bereits komplett wertlos. 1847) Priester, DB 2010, 1445, 1450. 1848) Nähere Ausführungen bei Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 241 f.: Zumindest bei der Sachkapitalerhöhung diene die Werthaltigkeitskontrolle nach herkömmlichem Verständnis allein dem Gläubigerschutz. Der Schutz der Gesellschafter vor Verwässerung durch überbewertete Sacheinlagen erfolge zunächst durch das Recht, gegen den Beschluss zu stimmen. Sind sie als Minderheit (weniger als 1/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals) unterlegen, so bleibe die Anfechtung nach § 255 AktG. Auf diese Weise könne eine unabhängige Wertprüfung durchgeführt werden. Zudem wird darauf verwiesen, dass eine Verwässerung nur droht, wenn das Bezugsrecht ausgeschlossen wird; hierfür bedürfe es aber stets einer besonderen Begründung, die sachlich voll nachprüfbar ist, Karollus, ZIP 1994, 589, 596. 1849) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 247; dies, DB 2010, 1629, 1632. 1850) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 247; eine Ausgabe über pari hält Ekkenga, ZGR 2009, 581, 600 Fn. 99 aber in Sanierungsfällen für fernliegend. 1851) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501. 1852) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 247; wortgleich dies, DB 2010, 1629, 1632.
375
§ 10 Bewertungsfragen
keinen (Residual-)Wert mehr hätten.1853) Da Verluste zunächst auf das Eigenkapital durchschlagen, werde dies auch als erstes aufgezehrt. Nach Meilicke komme die Einbringung „nur“ zum Nennwert daher in Form einer damit einhergehenden höheren Bewertung an sich schon wertloser Anteile den Alt-Anteilseignern sogar zugute; daher dürften nicht diese eine Minderbewertung der einzulegenden Forderung, sondern vielmehr in umgekehrter Weise die Neu-Anteilseigner eine Minderbewertung der Alt-Anteile verlangen (was dann i. E. auf die Notwendigkeit einer vorherigen Kapitalherabsetzung hinausläuft).1854)
788 Im Kontext der bereits eingetretenen Insolvenz ist bereits hier aber zu erwähnen, dass das Argument des ausreichenden (Individual-)Schutzes für Alt-Anteilseigner durch Mehrheitserfordernisse und Beschlussanfechtungsrechte keine Geltung mehr hat, da eben abgesenkte Mehrheitserfordernisse sowie die eingeschränkten Rechtsmittel des Insolvenzplanrechts gelten.1855) Generell ist in der Insolvenz mit einem Weiter-Bestehen der alten Anteilsrechte im Regelfall nicht zu rechnen, schon da ansonsten eine Anwendung des Obstruktionsverbots aus § 245 InsO nicht möglich wäre.1856) Folglich soll der Aspekt des Alt-Anteilseigner-Schutzes hier nicht näher vertieft werden. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass die Nennwertanrechnung dann ein entscheidendes Problem verursacht, wenn neben der DES-Sacheinlage auch Bareinlagen erfolgen.1857) Denn dann droht eine bereits anfängliche Verwässerung der durch Barkapitalerhöhung erlangten Anteile, weil für diese Bar___________ 1853) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 246; dies, DB 2010, 1629, 1632; Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 132; Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 26; die Begründung von Karollus, ZIP 1994, 589, 595, die Alt-Anteilseigner hätten sogar einen Vorteil, weil durch Wegfall der Forderung u. U. eine Überschuldung beseitigt, ausschüttungsfähige Gewinne ermöglicht und in der Liquidation vorrangige Gläubiger wegfallen, gilt generell für den DES, unabhängig von Nennwerteinbringung, und taugt daher nicht als Argument. Zumal zweifelhaft ist, ob die schnelle Wiederermöglichung von Ausschüttungen überhaupt wünschenswert ist. 1854) Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 27. Zu erwähnen ist hinsichtlich der Alt-Anteilseigner noch, dass die Sacheinlagefähigkeit von Gesellschafterdarlehen früher z. T. allgemein verneint wurde, da sie bei Qualifizierung als eigenkapitalersetzende Darlehen einer Rückzahlungssperre unterlagen und es somit an der Durchsetzbarkeit fehlte, siehe MüKo-GmbHG/ Schwandtner, § 5 Rn. 131; G. Müller, ZGR 1995, 327, 336 m. w. N.; Karollus, ZIP 1994, 589, 597; kritisch aber Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 28. Nach Wegfall der §§ 32a, 32b GmbHG und der Rechtsprechungsregelungen durch das MoMiG wird daher nunmehr gefolgert, dass die Einlagefähigkeit gegeben sei, siehe Priester, DB 2010, 1445, 1448; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464. Es wird aber darauf verweisen, dass aber die Bewertung der Forderung problematisch bleibe angesichts der Tatsache, dass Gesellschafterdarlehen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO generell in der Insolvenz nachrangig sind. 1855) Siehe oben § 5. I. 3. und § 5. IV. 1856) Da hierin vielfach eine Zuwendung eines wirtschaftlichen Wertes gem. § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO liegen würde, die das Obstruktionsverbot ausschaltet. Daher ist zumeist eine mit dem DES einhergehende Kapitalherabsetzung auf Null nötig, siehe hierzu näher oben § 7 Fn. 959 sowie § 6 Fn. 729. 1857) Was bei einer vorherigen Kapitalherabsetzung auf Null ohnehin nötig ist nach § 58a Abs. 4 S. 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG.
376
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
kapital in vollem Wert gegeben wurde, während die zum Nennwert eingetauschten Forderungen nur teils werthaltig waren.1858)
gg) Vereinbarkeit mit der Kapital-Richtlinie Die einzelstaatliche Auslegung der Kapitalerhaltungsgrundsätze findet ihre Grenze 789 bzw. ihren Mindeststandard im Bereich der Aktiengesellschaften in der sog. Kapitalrichtlinie.1859) Nach deren Vorgaben ist eine Werthaltigkeitskontrolle für Sacheinlagen, nicht aber für Bareinlagen vorgeschrieben (Art. 31 Abs. 2 RL). Folglich geht die Nennwertthese auch davon aus (bzw. muss sie davon ausgehen), dass der DES zumindest im europarechtlichen Sinne als Bareinlage zu qualifizieren sei.1860) Dies wird begründet mit einer autonomen Auslegung der Vorgaben der Richtlinie: diese benutze zwar die Begriffe Bareinlage und Sacheinlage, gebe hierfür aber keine verbindliche Definition vor. Daher müsse die Abgrenzung zwischen Bar- und Sacheinlage durch Auslegung erfolgen, die ein weites Begriffsverständnis durchaus ermögliche. Dabei wird darauf verwiesen, dass das deutsche Recht selbst mit dem § 194 Abs. 1 S. 2 AktG die Wandlung einer Schuldverschreibung in Bezugsaktien als Bareinlage definiere, obwohl dies letztlich die Umwandlung einer Forderung in Eigenkapital darstellt.1861) Zudem wird der Vergleich gezogen zu anderen europäischen Rechtsordnungen, die den DES ebenfalls in langer Tradition als Bareinlage begreifen, ohne dass dies aus europarechtlicher Sicht angezweifelt worden sei.1862) Im Ergebnis wird hiermit ein weites Begriffsverständnis verfolgt, das über das Verständnis der Sacheinlage, wie es im deutschen Recht kodifiziert ist, hinausgeht.1863) ___________ 1858) Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 38 und 37; so i. E. auch eingestehend MaierReimer, in: VGR 2011, 107, 116 zum Fall, dass die Alt-Anteilseigner neue Anteile per Barkapital zeichnen. Dieser Aspekt wird dann weniger gewichtig, wenn die gesamte Kapitalerhöhung (Sach- und Barkapital) als konzertierte Sanierungsmaßnahmen im Insolvenzplan erfolgt, weil hier alle Inferenten ihre Zustimmung erteilen müssen, so dass zumindest keiner „gegen seinen Willen“ verwässert würde. 1859) Richtlinie 2012/30/EU v. 25.10.2012, ABl. L 315 S. 74; bis zum 04.12.2012 war dies Art. 27 der Richtlinie 77/91/EWG v. 13.12.1976, ABl. 1977 Nr. L 26, S. 1. 1860) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 250. 1861) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 250. 1862) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 250 erwähnen insbesondere Section 583(3)(d) des Companies Act 2006, der dies aufbauend auf einer langen Tradition als Sacheinlage behandelt. Zweifelnd gegenüber der Vergleichbarkeit in Belgien und Frankreich (von GA Tesauro angeführt) aber Groh, BB 1997, 2523, 2529; demnach dürften Besonderheiten im französischen Aufrechnungsrecht und mangelhafter Kapitalschutz in Großbritannien keine wirksamen Argumente darstellen, zumal auch die Richtlinie dem Konzept der effektiven Kapitalaufbringung folge. 1863) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 250, wo dies u. a. auch mit dem bereits mehrfach bemühten Argument begründet wird, dass die herrschende Einordnung des DES dem Gläubigerschutz eher widerspreche, als ihn zu fördern. Als Rückschluss aus der Einordnung als Bareinlage in anderen EU-Mitgliedsländern wird auch geschlossen, dass sich „die Annahme (verbiete), der Zweck der koordinierten Wertprüfungsvorschriften für Sacheinlagen müsse es sein, die Verwendung der Verbindlichkeiten einer in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Gesellschaft für die Kapitalaufstockung zu verhindern“, so Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 30.
377
§ 10 Bewertungsfragen
790 Nach der Gegenansicht passt es aber nicht zusammen, wenn europarechtlich so getan werde, als sei der DES eine Bareinlage, auf Basis des einzelstaatlichen Rechts dann aber zum Zweck des Gläubigerschutzes auf die Publizitätserfordernisse der Sacheinlage verwiesen werde.1864) Hiergegen können die Vertreter der Nennwertthese allerdings vorbringen, dass in der teleologischen Reduktion die deutsche Regelung lediglich auf den europarechtlichen Mindeststandard zurückgeführt werde, über den der deutsche AktG-Gesetzgeber hinausgegangen sei, als er den DES als Sacheinlage qualifiziert habe.1865) Diese Einordnung des deutschen Gesetzgebers werde grundsätzlich geachtet; hinsichtlich der Anforderungen werde aber (zulässigerweise) teleologisch reduziert, und zwar auf das Maß der Bareinlage nach europäischem Verständnis (die, wie gezeigt, keine Wertprüfung notwendig macht).1866) Allerdings wird auch wiederum darauf verwiesen, dass der europäische Gesetzgeber nunmehr in Art. 11 der Richtline1867) ausdrückliche Fälle benennt, in denen die Mitgliedsstaaten die Anwendung der Gründungsprüfungsvorschriften bei Sacheinlagen ausschließen können und damit die Annahme weiterer ungeschriebener Ausnahmen (wie nach Nennwertthese beim DES nötig) wenig naheliegend seien.1868)
hh) Sonderfall der verdeckten Sacheinlage 791 Die h. M. argumentiert auch damit, dass eine Einbringung zum Nennwert nicht zu den Anrechnungsregeln im Tatbestand der verdeckten Sacheinlage passen würde.1869) Seit dem MoMiG gilt für den Fall des Vorliegens einer verdeckten Sacheinlage nicht mehr die Rechtsfolge, dass die Einlageleistung bei Nicht-Beachtung der Vorgaben der Sacheinlagevorschriften nochmals in voller Höhe zu erbringen ist. Nach der Neuregelung in §§ 19 Abs. 4 GmbHG, 27 Abs. 3 AktG n. F. ist vielmehr auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht der Wert des Vermögensgegenstandes anzurechnen.
792 Würde man den DES nun aufspalten in eine Bareinlage in Höhe des Nennwerts, die voll eingezahlt würde, und eine sofortige Rückzahlung an den Inferenten zwecks Forderungstilgung, würde dies eine verdeckte Sacheinlage darstellen. Dann aber ___________ 1864) Ekkenga, DB 2012, 331, 335. 1865) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 503. Diese Argumentation wird erst dann problematisch, wenn davon ausgegangen wird, dass der europäische Gesetzgeber den DES zwingend als Bareinlage qualifiziert habe und der deutsche Gesetzgeber darüber nicht hinausgehen dürfe, weil ein größerer Schutz der einen Gruppe zu Lasten der anderen Gruppen ginge; siehe zu dieser Minderansicht und Argumente dagegen näher Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 31. 1866) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 503. 1867) Ehemals Art. 10a der RL 77/91/EWG, eingefügt durch RL 2006/68/EG v. 6. Sep. 2006, ABl. Nr. L 264 vom 25. Sep. 2006. 1868) So Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 32 f. Daher seien die Beachtung der Sonderregeln für Sacheinlagen zwingend, womit insbesondere eine externe Werthaltigkeitsprüfung geboten sei. 1869) Ekkenga, DB 2012, 331, 333; Priester, DB 2012, 1445, 1449.
378
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
wäre der Inferent von seiner Einlageverpflichtung auch nur in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung befreit.1870) Zudem würde er nach §§ 19 Abs. 4 S. 5 GmbHG, 27 Abs. 3 S. 5 AktG auch die Beweislast für die Werthaltigkeit tragen.1871) Warum dann aber ein Unterschied bestehen sollte zwischen solchen realen Zahlungsvorgängen und einer „verdeckten Bareinlage“, vermöge nicht einzuleuchten.1872) Diese Gefahr sehen auch die Vertreter der Nennwertthese, ziehen daraus aber allein 793 die Einschränkung, dass eine Prüfung des Werts einer Leistung dann ausnahmsweise geboten sei, wenn diese Grundlage der Geldforderung eines Inferenten ist und die Einlage dieser Geldforderung in einem derartigen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht, dass sie als verdeckte Sacheinlage zu betrachten wäre.1873) In diesem besonderen Zusammenhang sei die Gefahr einer Umgehung der Wertprüfungsvorschriften durch einen DES gegeben, was insbesondere eine Gefahr der Überbewertung des Gegenstandes mit sich bringe. Denn bei zu hoher Vereinbarung der Gegenleistung im Kaufvertrag könnte dies bei Einlage zum Nennwert zu einem überhöhten Ausweis im Gesellschaftsvermögen führen, womit zugleich die drohende Vorspiegelung eines in Wahrheit nicht vorhandenen Verlustdeckungspotentials einherginge. Dies stelle zugleich eine Verfälschung der maßgeblichen Bilanzkennzahlen dar.1874) Hieraus könnte somit ein Argument gezogen werden gegen die Nennwertthese: 794 Denn die Etablierung einer solchen Ausnahme würde wiederum Differenzierung und Prüfung im Einzelfall nötig machen, zumal es für den Außenstehenden kaum erkennbar wäre, ob eine verdeckte Sacheinlage vorlag oder nicht. Zwar wäre da ja noch das Registergericht, das ggf. prüfen könnte, aus welchem Verhältnis der Anspruch stammt und ob dies aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs als verdeckte Sacheinlage zu werten ist, weshalb dann ausnahmsweise eine Wertprüfung vorzunehmen wäre; dann bleibt aber das Problem, dass die verdeckte Sacheinlage in Nachhinein geltend zu machen ist, wenn das Registergericht dies nicht rügt. Damit entfällt das Argument teilweise, dass die Nennwerteinbringung umfangreiche Prüfungen überflüssig machen würde und damit eine schnelle Sanierung ermögliche.
ii) Parallelwertung aus § 194 Abs. 1 S. 2 AktG (und einer geplanten Aktienrechtsnovelle) Der Grundsatz der realen Kapitalaufbringung als Grundpfeiler des Kapitalaufbrin- 795 gungsrechts ist bereits mehrfach angesprochen worden. Frage ist, ob der Gesetzge___________ 1870) BGHZ 182, 103. 1871) Ekkenga, DB 2012, 331, 333. 1872) Ekkenga, DB 2012, 331, 333. 1873) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 248; Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 133; Karollus, ZIP 1994, 589, 596, insb. Fn. 60, sowie S. 597, der daneben auch die Verrechnung mit gegen die AG erworbenen Gewinnansprüchen davon ausnehmen will. 1874) Cahn/Simon/Theiselmann, CF 2010, 238, 248.
379
§ 10 Bewertungsfragen
ber diesen wirklich durchhält, so dass er als ehernes Prinzip zu beachten ist. Denn das geltende Aktienrecht kennt mit der Möglichkeit der Hingabe von Schuldverschreibungen im Umtausch gegen Bezugsaktien einen Fall der Umwandlung von Verbindlichkeiten in Grundkapital, der den Offenlegungs- und Wertprüfungsvorgaben der Sacheinlagevorschriften gänzlich entzogen ist. Rechtstechnisch wird dies denkbar leicht erreicht: Nach § 194 Abs. 1 S. 2 AktG gilt dieser Umtausch nicht als Sacheinlage. Vielmehr wird der ursprünglich für den Erwerb der Anleihe gezahlte Betrag nunmehr als Einlage akzeptiert, ohne dass die Werthaltigkeit der Forderung relevant ist.1875)
796 Hieraus gewinnen die Befürworter der Nennwertthese insofern ein Argument, als dass sie daraus eine nicht rechtfertigbare Ungleichbehandlung eines eigentlich vergleichbaren Sachverhalts herleiten: auch beim DES gebe es eine frühere Geldzuführung1876), aus der eine Rückzahlungsforderung resultiere, auf deren Basis nun eine Umwandlung der Gläubigerstellung in eine Aktionärsstellung vorgenommen werde.1877) Es stellt sich somit die Frage, ob § 194 Abs. 1 S. 2 AktG eine bloße nicht analogiefähige Sonderregelung darstellt, oder ob darin vielmehr ein verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke enthalten ist?
797 Die h. M. hält § 194 AktG noch nicht einmal für eine Sonderausnahmenorm: die Einstufung als Sacheinlage habe lediglich deklarierende Funktion, da das Wandlungsrecht schon von seiner Konstruktion her als Ersetzungsbefugnis des Gläubigers einzuordnen sei.1878) Die ursprüngliche Zahlung des Gläubigers werde durch Ausübung des Wandlungsrechts ex tunc in eine Bareinlage geändert,1879) somit also eine rückwirkende Umgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Anleihegläubiger und Gesellschaft vorgenommen.1880) Es wird also nicht auf die Rückzahlungsforderung abgestellt (die unter der h. M. als Sacheinlage eingebracht werden müsste), sondern auf die ursprüngliche Zahlung, die umdeklariert wird.
798 Eine solche Annahme ruft aber verständlicherweise die Kritiker auf den Plan: wenn im Rahmen der verdeckten Sacheinlage immer eine wirtschaftliche Betrachtung angebracht sei, bei der die konkrete Konstruktion irrelevant sei, warum dürfe dann bei § 194 Abs. 1 S. 2 AktG fein differenziert werden, wenn doch wirtschaft___________ 1875) Henssler/Strohn/Hermanns, § 194 AktG Rn. 3. 1876) Karollus, ZIP 1994, 589, 591 ff. will nur auf einer früheren Geldleistung basierende Darlehensforderung zur Umwandlung zulassen. 1877) Karollus, ZIP 1994, 589, 592; Vrbaski, SZW 2005, 59, 63. 1878) Siehe Karollus, ZIP 1994, 589, 592 m. w. N. für diese Ansicht und in Fn. 26 auch für die früher h. M., wonach ein eigentlich als Sacheinlage zu behandelnder Vorgang konstitutiv zur Bareinlage erklärt werde. Selbst wenn man darin keine rein deklaratorische Regelung sehen will, sei es jedenfalls ein gesetzlicher Ausnahmetatbestand, der nicht analogiefähig sei, vgl. Drygala, SZW 2006, 245, 254. 1879) Hölters/v. Dryander/Niggemann, AktG, § 194 Rn. 6; G. Müller, ZGR 1995, 327, 334. 1880) MüKo-AktG/Fuchs, § 194 Rn. 7.
380
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
lich gesehen genau dasselbe geschehe wie bei der Umwandlung einer Darlehensforderung in Grundkapital?1881) Hiermit einhergehend wird darauf hingewiesen, dass ja auch der durch die Anleihe eingenommene Betrag bei Ausübung des Wandlungsrechts bereits verbraucht sein kann, ohne dass dies der Kapitalerhöhung schade.1882) Die Nicht-Anwendung der Werthaltigkeitsprüfung bei der Wandelanleihe sei allein mit dem Vertrauen der Anleihegläubiger auf das Umtauschrecht und damit mit einem Interesse an einem funktionierenden Wertpapierverkehr zu erklären, bei dem auch eine Kollision mit dem herrschenden Verständnis der Kapitalaufbringung hingenommen werde.1883) Auch wird darauf verwiesen, dass die h. M. nicht zu der nur unter sehr engen Voraussetzungen möglichen Tilgungswirkung von Voreinzahlungen auf Kapitalerhöhungen passe.1884) Dies alles spreche aber dafür, dass es sich um eine analogiefähige Norm halte. Dafür könne auch angeführt werden, dass diese analog bereits auf Optionsanleihen angewendet werde.1885) Insgesamt sei eine Analogie zwanglos möglich, weil hiermit keine zwingenden Vorgaben des Kapitalaufbringungsrechts preisgegeben würden.1886) In ähnlicher Konsequenz aber verneint die h. M. die Analogiefähigkeit: die mit der 799 Anleihe gewährte Aktienerwerbsoption rücke den Gläubiger, anders als etwa bei einem Bank-Darlehen, in eine besondere Nähe zur Mitgliedschaft.1887) Auch unterliege schon die Ausgabe der Wandelanleihe kapitalschutzrechtlichen Schranken, während dies bei anderen Fremdfinanzierungen nicht der Fall sei.1888) Zum einen bestehe schon bei Anleihenausgabe eine strenge Äquivalenzkontrolle vor dem Hintergrund des § 57 AktG (Verbot der Einlagenrückgewähr).1889) Zum anderen stelle § 199 Abs. 2 AktG sicher, dass dem Äquivalenzgedanken auch bei der Ausgabe der Bezugsaktien Rechnung getragen wird: so ist nach § 199 Abs. 2 S. 1 AktG eine Differenz zwischen Ausgabebetrag der Schuldverschreibungen und einem höheren geringsten Ausgabebetrag der Bezugsaktien entweder vom Umtauschberechtigten ___________ 1881) So im Ergebnis Karollus, ZIP 1994, 589, 592. 1882) Karollus, ZIP 1994, 589, 592. Zuletzt sei nicht ersichtlich, warum eine nachträgliche Umwandlungsvereinbarung bedenklicher sein sollte als eine bereits bei Darlehensgabe erfolgte Vereinbarung, dass das Darlehen später in Stammkapital umzuwandeln sei, a. a. O. S. 593. 1883) Karollus, ZIP 1994, 589, 593. 1884) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 136; siehe zu diesen Voraussetzungen BGH NJW 2007, 515, 516 Rz. 15 und grundlegend Lutter/Hommelhoff/Timm, BB 1980, 737, 745 ff. sowie Hüffer/Koch, AktG, § 188 Rn. 7 f. 1885) Weitere Details bei Karollus, ZIP 1994, 589, 593 f. 1886) Karollus, ZIP 1994, 589, 595 f. (insofern dann anknüpfend an die generelle hier nachgezeichnete Diskussion). 1887) G. Müller, ZGR 1995, 327, 335; Ekkenga, DB 2012, 331, 332; KK-AktG/Arnold, § 27 Rn. 57. 1888) Ekkenga, DB 2012, 331, 335. 1889) Ekkenga, DB 2012, 331, 335 mit weiteren Details auch zu der Frage, ob ein ggf. darunter fallender Vermögenstransfer causa societatis veranlasst sei: aufgrund des Bezugsrechts der Aktionäre gem § 221 Abs. 4 AktG zu bejahen.
381
§ 10 Bewertungsfragen
zu zahlen oder diese aus einer anderen Gewinnrücklage zu begleichen.1890) Somit müsse eine bei der Ausgabe der Wandelanleihe (nicht: später!) entstandene Unterdeckung erst beseitigt werden, bevor die Umwandlung möglich sei.1891)
800 Neuen Auftrieb hat die Diskussion allerdings insofern erhalten, als dass vom Gesetzgeber geplant ist, das Privileg der Wandelschuldverschreibungen zu erweitern. Bisher war die Umwandlung zum Nennwert nämlich allein den Schuldverschreibungsinhabern vorbehalten, § 194 Abs. 1 S. 2 AktG (der Wortlaut spricht von „Hingabe“). Dass diese die Umwandlung aber in der Krise erklärten, war eher unwahrscheinlich, da sie damit in den letztrangigen Status des Aktionärs zurückgestuft würden.1892) Die Aktienrechtsnovelle 2012 nach dem Stand des RegE1893) hat als Änderung vorgeschlagen, dass § 194 Absatz 1 Satz 2 wie folgt gefasst wird: „Als Sacheinlage gilt nicht der Umtausch von Schuldverschreibungen gegen Bezugsaktien.“ Indem nunmehr von „Umtausch“ gesprochen wird, ist die Umwandlung damit auch für die Gesellschaft (und insbesondere auch in der Krise) möglich. Diese Änderung wurde zuletzt von den Sachverständigen ganz überwiegend begrüßt.1894) Die Regelung war zuletzt auch in dem vom Bundestag am 27.6.2013 verabschiedeten „Gesetz zur Verbesserung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Änderung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften (VorstKoG)“, das einige Regelungen des ursprünglich als Aktienrechtsnovelle bekannten Gesetzesvorhaben beinhaltete, enthalten.1895) Mangels Passieren des Bundesrats und aufgrund der Diskontinuität der abgelaufenen Legislaturperiode1896) ist das Gesetz aber nicht in Kraft getreten. Sollte dies aber (wie zu erwarten ist)1897) noch geschehen, so müsste sich der Gesetzgeber fragen, wie konsequent er den Grundsatz der realen Kapitalaufbringung noch verfolgen will.1898) ___________ 1890) Siehe hierzu mit weiteren Details Spindler/Stilz/Rieckers, AktG, § 199 Rn. 16 ff. 1891) Ekkenga, DB 2012, 331, 335; zu weiteren Normen, die den Ausnahmecharakter der Vorschriften über die Schuldverschreibung belegen, siehe Drygala, SZW 2006, 245, 254. 1892) Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 43. 1893) http://gesetzgebung.beck.de/sites/gesetzgebung.beck.de/files/RegE_Aktienrechtsnovelle.pdf. 1894) Siehe die Sachverständigen-Anhörungen von Habersack, Hoffmann-Becking, Koch und Simon unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/archiv/ 51_Aktienrechtsnovelle_2012/04_Stellungnahmen/index.html. 1895) BT-Drs. 17/8989 (i. d. F. der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/14214). 1896) Der Bundesrat hat das Gesetzgebungsvorhaben gestoppt, indem er den Vermittlungsausschuss anrief. In der Folge ist das Gesetz der Diskontinuität des Bundestags zum Opfer gefallen, vgl. NJW-Spezial 2013, 625. 1897) Die oben beschriebene Änderung ist auch in der sog. Aktienrechtsnovelle 2014 enthalten, siehe BT-Drs. 18/4349, S. 9. 1898) Siehe hierzu insbesondere die Stellungnahme von Koch zur Aktienrechtsnovelle 2012 (http:// www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/archiv/51_Aktienrechtsnovelle_ 2012/04_Stellungnahmen/Stellungnahme_Koch.pdf), in der er auf die Gefahren hinweist, nach einer Abwägung dem Vorhaben aber zustimmt.
382
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
jj) Vergleich zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln Mit Verweis auf die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln begründet insbesondere 801 die h. M., dass eine Werthaltigkeitskontrolle unverzichtbar sei.1899) Diese ist in §§ 57c ff. GmbHG, 207 ff. AktG geregelt und wird definiert als Kapitalerhöhung durch Umwandlung von Rücklagen in Stammkapital. Dabei gelten aber strenge Vorgaben: so ist eine Umwandlung nach § 57d Abs. 2 GmbHG nicht möglich, soweit in der zugrundegelegten Bilanz ein Verlust, einschließlich eines Verlustvortrages, ausgewiesen ist. Die umzuwandelnden Rücklagen müssen folglich tatsächlich durch Aktiva gedeckt sein, was nach §§ 57d Abs. 1, 57f GmbHG bzw. §§ 208 Abs. 1, 209 Abs. 1, 2 AktG durch eine geprüfte und zeitnah erstellte1900) Bilanz nachzuweisen ist. Hieraus schließt die h. M., dass auch im Parallelfall der Kapitalerhöhung durch Einbringung von Forderungen eine Umwandlung zum Nennwert nicht in Betracht kommen dürfe, solange durch Verluste bzw. einen Verlustvortrag eine Vermögensunterdeckung ausgewiesen sei.1901) Genau dies würde die Nennwerteinbringung aber zulassen. Dass dies nicht nur einen zum Vergleich herangezogenen „Parallelfall“, sondern 802 tatsächlich teils denselben Vorgang darstellt, wird dabei anhand von Beispielen demonstriert, bei denen die Einbringung der Forderung als Sacheinlage gedanklich in verschiedene Schritte zerlegt wird: In einem ersten Schritt sei ein Verzicht auf die gesamte Forderung (also einschließlich des werthaltigen Teils) zu erklären. Dies führt zu einem Ertrag, der in den Jahresüberschuss eingeht, welcher in einem zweiten Schritt in die Gewinnrücklage eingestellt wird. Diese wird dann in einem dritten Schritt aufgelöst, um die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln durchzuführen.1902) Diese Stammkapitalerhöhung aber würde deutlich niedriger ausfallen als der Nennbetrag der Forderung, die eingebracht wurde, da zunächst eine Verrechnung mit dem Verlustvortrag vorzunehmen sei, der in der Krise regelmäßig bestehen würde.1903) Somit stelle es einen Verstoß gegen den Rechtsgedanken aus § 57d Abs. 2 GmbHG dar, mit der Nennwertthese auf die Notwendigkeit werthaltiger Aktiva zur Abdeckung der Erhöhung des gezeichneten Kapitals zu verzichten und eine Erhöhung des gezeichneten Kapitals zuzulassen, obwohl in der Bilanz Verluste ___________ 1899) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 376; Ekkenga, ZGR 2009, 581, 603 Fn. 122, der darauf verweist, dass die Rspr. in vergleichbaren Fällen davon ausgegangen ist, dass sich Kapitalerhöhung gegen Entschuldung und Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln „aufbringungstechnisch komplementär zueinander verhalten“, so etwa in BGHZ 135, 381, 384 ff. zum „Schütt-aus-Hol-zurück“-Verfahren und OLG Hamm, AG 2008, 713, 714 zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. 1900) Bilanzstichtag darf höchstens acht Monate vor der Anmeldung des Beschlusses zur Eintragung in das Handelsregister liegen, §§ 57e Abs. 1 GmbHG, 209 Abs. 1 AktG. 1901) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 376. 1902) So das Beispiel bei Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 376. 1903) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 376.
383
§ 10 Bewertungsfragen
bzw. Verlustvorträge verzeichnet sind.1904) Ein Prüfer i. S. d. § 57f Abs. 2 GmbHG würde einer Umwandlung in Höhe des vollen Nennbetrages kaum zustimmen, solange nicht vorher der Verlustvortrag bzw. die bilanzielle Unterdeckung beseitigt wäre.1905)
803 Die Nennwertthese verneint hier aber die Zulässigkeit besagter Parallele: sie entbehre einer Grundlage, da keine Vergleichbarkeit der beiden Gestaltungen gegeben sei. Während die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln eine rein nominelle1906) Kapitalerhöhung sei, stelle der DES eine effektive Kapitalerhöhung dar.1907) Da die Gewinnrücklagen aus bilanzieller Sicht Teil des Eigenkapitals seien (§ 266 Abs. 3 A. III. HGB), ändere sich durch die Umschichtung in das gezeichnete Kapital nichts an der Vermögenssituation und dem Wert der Gesellschaft.1908) Der DES dagegen stelle in seinen Wirkungen eine tatsächliche Besserung der Vermögenssituation der Gesellschaft dar durch Befreiung der Gesellschaft von den Verbindlichkeiten, wodurch auch der Wert der Gesellschaft steige.1909) Die engen Vorgaben bei der Nominalkapitalerhöhung ergäben sich daher auch daraus, dass bei vorliegenden Verlusten bzw. Verlustvorträgen das Eigenkapital in Höhe dieser Posten bereits aufgezehrt sei, aber eine Verrechnung im bilanziellen Ausweis noch nicht erfolgt sei. Daher sei nur der Saldo umschichtbar.1910) Denn wenn bilanzielle Rücklagen die Grundlage der Kapitalerhöhung sind, müssten diese auch in tatsächlichem Umfang vorhanden sein. Dies sei aber bei der Einbringung von Forderungen anders, da diese allein Grundlage der Kapitalerhöhung seien. Für „Bestand und Höhe dieser Verbindlichkeit sind Umfang und Höhe der Aktiva der Gesellschaft ohne Bedeutung. Dementsprechend ist auch keine Bewertung des Vermögens der Gesellschaft not___________ 1904) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 376. 1905) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 376. Problematisch an der Argumentation von Weber/ Schneider ist allerdings, dass gegen die Nennwertthese ein Vergleich mit der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln gezogen wird, dies aber dann im weiteren Verlauf des Beitrages hinsichtlich der Ermittlung der Forderungswerthaltigkeit nicht durchgezogen wird; denn für die Vollwertigkeit soll dann gerade nicht auf die bilanziellen Zahlen rekurriert werden, sondern auf eine zukünftige Fähigkeit, Forderungen zu erfüllen (siehe hierzu unten Fn. 1940). 1906) Dagegen betont Ekkenga ausdrücklich den Systemzusammenhang des DES mit der nominellen Kapitalerhöhung im Rahmen der Frage, ob hinsichtlich der Forderungswertermittlung Bilanzwerte oder tatsächliche Vermögenswerte anzusetzen seien, siehe Ekkenga, DB 2012, 331, 336. 1907) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1632. Bezüglich dieser Aussage müssen sich die Autoren aber entgegenhalten lassen, dass sie in einem späteren Beitrag im Kontext der Problematik des Stehens der Sacheinlage zur freien Verfügung formulieren: „Strukturell entspricht der Debt Equity Swap einer nominellen Kapitalerhöhung“, Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 504. Sie müssen also erklären, warum der DES bezogen auf die Vermögenssituation eine effektive Kapitalerhöhung darstellen soll, strukturell aber eine nominelle Kapitalerhöhung sei. Dies ist möglich, schwächt das Argument aber ab. 1908) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1632. 1909) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1632. 1910) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1632.
384
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
wendig, um sich über Bestand und Höhe der einzubringenden Verbindlichkeit zu vergewissern.“1911) Je nach konkreter Vorgehensweise kann sich aber auch die h. M. nicht immer voll 804 überzeugend auf das Argument eines Parallellaufs zwischen Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und DES berufen: so argumentiert nämlich Priester zwar mit dessen Vergleichbarkeit1912), will aber dann nicht so weit gehen, ebenso wie dort die Buchwerte zugrunde zu legen, sondern will eine „davon unabhängige Bewertung des Aktivvermögens der Gesellschaft“, bei der auch stille Reserven berücksichtigt werden können.1913) Ekkenga dagegen ist hier stringenter und will auch innerhalb der h. M. allein an Buchwerte anknüpfen und damit stille Reserven wie auch einen etwaig vorhandenen Geschäftswert ausblenden.1914)
c)
Stellungnahme
Die Nennwertthese hat beachtliche Argumente auf ihrer Seite; insbesondere aus bi- 805 lanzrechtlicher Betrachtungsweise kann sie eine stärkere Bindung des umgewandelten Kapitals erzeugen.1915) Insofern könnte die Frage gestellt werden, ob nicht ein ausreichender Gläubigerschutz sogar die Nennwerteinbringung zwingend nötig macht. Dies ginge aber zu weit.1916) Denn es darf nicht vergessen werden, dass auch die Nennwerteinbringung eine Gefahr bedeutet: der damit einhergehende hohe Ausweis des Stamm-/Grundkapitals kann ein stark verzerrtes Bild der Gesellschaft erzeugen. Nicht ohne Grund halten auch die Vertreter der Nennwertthese (zumindest in neuerer Zeit) die Offenlegung für erforderlich. Eine zu hohe Ausweisung dieser ___________ Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1632. Priester, DB 2012, 1445, 1449. Priester, DB 2012, 1445, 1448. Ekkenga, ZGR 2009, 581, 600: Ekkenga, DB 2012, 331, 336. Zur näheren Diskussion siehe unten IV. 1. c). 1915) Es könnte auch daran angeknüpft werden, dass als einer der Vorteile der Reorganisation qua Insolvenzplanverfahren ja gerade sein soll, dass damit die Verlustvorträge unter gewissen Bedingungen erhalten bleiben. Dieses Ziel würde mit der h. M. dann am wenigsten erreicht, wenn die Werthaltigkeit der Forderung niedrig und damit der Ertrag durch deren Entfall hoch anzusiedeln ist, was die Verlustvorträge vermindert. Dies könnte dafür sprechen, die Nennwerteinbringung zu befürworten; allerdings stellt sich dann hier wieder das Problem, inwiefern die Ermöglichung von Sanierungen einen argumentativen Wert besitzt, wenn andere Grundsätze damit drohen geschliffen zu werden. Dass die Nennwertthese aber an ihre Grenzen gerät, wenn im Insolvenzplanverfahren neben ungesicherten Gläubigern auch gesicherte Gläubiger ihre Forderungen einbringen wollen (der Ansatz des Nennwerts für beide Arten von Forderungen würde dann den tatsächlich viel höheren Wert der gesicherten Forderung im Regelinsolvenzverfahren ignorieren), wird unten im Annex unter V. näher dargelegt. Siehe dort auch zu möglichen Lösungen für dieses Problem auf Basis der Nennwertthese. 1916) So auch Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 38: „Ziel der Kapitalaufbringungsvorschriften kann auch nicht die Maximierung des Gläubigerschutzes sein“.
1911) 1912) 1913) 1914)
385
§ 10 Bewertungsfragen
Kennzahl wird durch die Verkehrswerteinbringung verhindert; es könnte argumentiert werden, dass um dieses Zwecks willen auch hingenommen werden muss, dass damit die wirtschaftlich gesehen nicht zwingend logische Folge einhergeht, dass die Gesellschaft schneller wieder ausschüttungsfähig ist. Dies könnte als hinnehmbar angesehen werden vor dem Hintergrund des Prinzips der realen Kapitalaufbringung, das in seinen Grundsätzen Vertrauen erfährt im Geschäftsverkehr.1917) Eine krasse Ausnahme von diesem Prinzip, die völlig ohne Bewertung auskommt, ist dem Rechtsverkehr nicht bekannt, folglich ist er zu schützen. Darüber hilft auch die Offenlegung nicht hinweg, die den Neu-Gläubigern die Nachvollziehung auferlegen würde, dass durch den DES nur zu einem Teil Werte zugeführt wurden.1918) Hier ist auch anzumerken, dass nicht darauf verwiesen werden kann, dass doch schon in der Diskussion vor dem MoMiG (die hier nicht nachgezeichnet werden kann) mit beachtlichen Argumenten darauf verwiesen wurde, dass die Stammkapitalziffer als solche keine Aussage trifft; denn die damaligen Befürworter einer Änderung des bestehenden rigiden Kapitalaufbringungssystems hätten ein offenes niedriges Stammkapital gewollt, womit einem Postulat der Ehrlichkeit und Transparenz gefolgt worden wäre1919) und ein Vertrauen in die Stammkapitalziffer gar nicht erst entstanden wäre. Nach dem durch das MoMiG weiterhin geltenden System aber wird ein solches Vertrauen grundsätzlich gewährleistet, nur würde sich eine Ausnahme finden im DES, wenn dort die Nennwerteinbringung zugelassen würde. Ein grundsätzliches Vertrauen, das in Ausnahmefällen als nicht schutzwürdig angesehen wird, ist aber hoch problematisch. Dies bedeutet: die Nennwerteinbringung kann sich nicht auf den Sonderfall des DES berufen, sondern könnte nur im Zusammenhang mit einem generellen Systemwechsel ihre Vorteile ausspielen. Dazu ist es aber weder durch das MoMiG noch durch das ESUG gekommen. Denn hier ist nochmals darauf hinzuweisen, dass mit dem Ausschluss der Differenzhaftung in § 254 Abs. 4 InsO n. F. mitnichten die Bewertung für überflüssig befunden wurde; vielmehr ist auch unter dem ESUG an dem Prinzip der Einbringung nur in Höhe der Vollwertigkeit festgehalten worden. Zuletzt wird auch die Aktienrechtsnovelle 2014 nach derzeitiger Planung dieses Prinzip nicht in Frage stellen, da hiermit lediglich ein besonders gelagerter Einzelfall abweichend geregelt würde. Wenn allerdings zunehmend derartige Sonderfälle vom Gesetzgeber zugelassen würden, so wäre ab einem gewissen Zeitpunkt die Frage zu stellen, welchen Wert das Prinzip der realen Kapitalaufbringung noch haben soll. Auch allein auf die bei Entfall der Notwen-
___________ 1917) Ähnlich Drygalla, SZW 2006, 245, 254: die Argumente der Nennwertthese klingen für sich genommen jeweils plausibel, in ihrer Gesamtheit aber nicht geeignet, wesentliche Grundsätze der Finanzverfassung der Kapitalgesellschaft über Bord zu werfen. 1918) So auch Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 14 f. 1919) Siehe hierzu Römermann, GmbHR-Report 2011, 369, 370 und Römermann, NJW 2012, 645, 651.
386
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
digkeit der Forderungsbewertung erleichterte Durchführung des DES1920) und damit der Sanierung allgemein kann hier nicht verwiesen werden; wie gezeigt, ist bei der Nennwerteinbringung im Einzelfall etwa darauf zu achten, dass keine auf Sachleistungen beruhende Geldforderung eingebracht wird, da hier eine verdeckte Sacheinlage drohen könnte, was wieder eine eingehende Prüfung erfordert. Damit zeigt sich, dass sich die Forderungsbewertung im Einzelfall zwar nicht einfach gestalten wird, diese Probleme aber angesichts der mit der Nennwerteinbringung einhergehenden Risiken unvermeidbar sind.1921) Hier soll aber insofern keine umfassende, abschließende Stellungnahme erfolgen, 806 als dass Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit der DES im Insolvenzplanverfahren ist. Hier hat der Gesetzgeber zunächst klar entschieden: für die Einbringungshöhe der Forderungen gilt das Vollwertigkeitsprinzip, also das Abstellen auf den Verkehrswert.1922) Dies haben auch die maßgeblichen Befürworter der Nennwerteinbringung festgestellt.1923) Ob dort aber dann Liquidationswerte oder Fortführungswerte gelten, wurde nicht entschieden. Dies soll im Folgenden untersucht werden; dabei wird auch auf die soeben skizzierten Argumente zurückgegriffen, die somit teils die Grundlage für die folgenden Ausführungen darstellen.
2.
Forderungsbewertung auf Grundlage der h. M.
Auf Grundlage der h. M. kann eine Forderung nur in der Höhe eingebracht werden, 807 in der sie vollwertig ist; dies wird zumeist als Verkehrswert bezeichnet. Wie dieser allerdings zu ermitteln ist, wird im Einzelnen unterschiedlich gesehen.
a) h. M.: Einbringung nur, soweit „vollwertig, fällig und liquide“ Nach ständiger Rspr. kann eine als Sacheinlage eingebrachte Forderung nur dann 808 das Einlageversprechen erfüllen, wenn sie fällig, liquide und wirtschaftlich voll___________ 1920) Siehe etwa Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 84: Wenn kein Anlass bestehe, nicht zum Nennwert einzubringen, so bestehe auch kein Anlass, ein kostenträchtiges Gutachten einzuholen. 1921) Zu dem Argument, diese Problematik könne besser über das Insolvenzanfechtungsrecht gelöst werden (etwa Meilicke, Verschleierte Sacheinlage, S. 29 und Vrbaski, SZW 2005, 59, 63) siehe zutreffend Drygalla, SZW 2006, 245, 254: Anfechtung als Rückgängigmachung einer Verringerung des Schuldnervermögens durch Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers kurz vor Insolvenzverfahrenseröffnung ist zu unterscheiden von der strikt gesellschaftsrechtlich einzuordnenden Frage, ob ein ausreichender Vermögenszufluss erfolgt ist, die insbesondere auch dem Schutz potentieller Neu-Gläubiger und nicht nur bestehender Gläubiger dient. 1922) RegE-ESUG, BT-Drucks, 17/5712, S. 31 f. 1923) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 503 f., die sich aber dagegen wehrten, hieraus Schlüsse zu ziehen für den vor-Insolvenzlichen DES; auch Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 123 verwiesen bzgl des Streits darauf, dass „jedenfalls für den vorinsolvenzlichen DES“ besser nach Nominalwerteinbringung verfahren werden sollte, für den DES im Insolvenzplanverfahren aber das Vollwertigkeitsgebot gelte.
387
§ 10 Bewertungsfragen
wertig ist.1924) Zur Ermittlung der Vollwertigkeit will der BGH dabei auf die Gesamtheit der Gläubiger abstellen. Demnach ist die einzelne Forderung im Wert gemindert, wenn das Vermögen der Gesellschaft nicht mehr ausreicht, alle gegen sie gerichteten und fälligen Ansprüche zu erfüllen.1925) Somit ergibt sich ein zweigliedriger Wertbegriff, der auf Vermögenssubstanz der Gesellschaft (=Schuldendeckungsgrad), aber auch Liquidität (=Leistungsfähigkeit) abstellt.1926) Hinsichtlich des Vermögensstatus seien dabei den Vermögenswerten sämtliche Verbindlichkeiten1927) gegenüberzustellen.1928) Gewissermaßen als Vermutungsregel hat der BGH präzisiert, dass eine Forderung offensichtlich nicht vollwertig ist, wenn im Zeitpunkt ___________ 1924) RGZ 68, 121, 122; RGZ 134, 262, 268 f.; BGHZ 90, 370, 373 für den Fall einer eigentlich geschuldeten Bareinlage, die durch Verrechnung mit einem gegen die Gesellschaft bestehenden Darlehensrückzahlungsanspruch erfüllt werden sollte. Die Erfüllung des Einlageversprechens kann an sich nicht durch Aufrechnung mit einer gegen die Gesellschaft bestehenden Forderung geschehen. Jedoch wird dies ausnahmsweise zugelassen, sofern die Aufrechnung von Seiten der Gesellschaft erklärt wird, da somit ein nutzloses Hin- und Herzahlen vermieden werden soll, so schon RGZ 85, 351, 354; B/H/ Hueck/Fastrich, § 19 Rn. 33. Auch hierfür kommen aber allein sog. Neu-Forderungen in Betracht; Alt-Forderungen, die vor der Kapitalerhöhung entstanden sind, sind immer per Sacheinlage einzubringen, siehe nur L/H/Bayer, § 19 Rn. 27. Ausnahmen von dem Grundsatz der Nicht-Zulässigkeit der Verrechnung bei fehlender Vollwertigkeit bestehen allein, wenn die Bareinlage-Forderung gegen den Inferenten aufgrund dessen schlechter wirtschaftlicher Lage uneinbringlich ist und sie auch im Kaduzierungsverfahren nach den §§ 21 ff. GmbHG nicht eintreibbar ist. Dahinter steht der Gedanke, dass sich das Aufrechnungsverbot dann zum Schaden der Gesellschaft auswirken würde, RGZ 141, 204, 212; BGHZ 15, 52, 59 f. 1925) BGHZ 90, 371, 373; BGHZ 125, 141, 145. Diese Formulierung wird als missverständlich kritisiert, weil darin Elemente des Überschuldungstatbestandes mit solchen des Zahlungsunfähigkeitstatbestandes vermischt würden, so etwa MüKo-GmbHG/Märtens, 1. Aufl., 2010, § 19 Rn. 97. In der Literatur wird allerdings ebenfalls nicht immer stringent zwischen diesen beiden Aspekten getrennt; jedenfalls werden sie aber beide als die Vollwertigkeit potentiell beeinträchtigend angesehen (a. A. insofern aber Scholz/Schneider/Westermann, GmbHG, 10. Aufl., 2010, § 19 Rn. 65, die allein auf Zahlungsunfähigkeit abstellen wollen). 1926) So die Darstellung bei Ekkenga, DB 2012, 331, 336, der dies als wohl h. M. bezeichnet; siehe im Einzelnen Toth-Feher/Schick, ZIP 2004, 491, 496; B/H/Hueck/Fastrich, § 19 Rn. 33; Henssler/ Strohn/Verse, § 19 GmbHG, Rn. 26. 1927) Auch die nicht fälligen: MüKo-GmbHG/Märtens, 1. Aufl., 2010, § 19 Rn. 97. 1928) Die Zahlungs(un)fähigkeit soll auf Grundlage eines Liquiditätsstatus ermittelt werden, bei dem die liquiden Mittel den fälligen Verbindlichkeiten gegenübergestellt werden, MüKo-GmbHG/ Märtens, 1. Aufl., 2010, § 19 Rn. 97. Diesbezüglich sei Vollwertigkeit gegeben, wenn die Gesellschaft die Forderung ohne Kapitalerhöhung neben ihren sonstigen Verbindlichkeiten aus eigenen Mitteln befriedigen könnte (GroßkommAktG/Röhricht, 1996, § 27 Rn. 81; K. Schmidt/ Lutter/Bayer, AktG, § 27 Rn. 20; Hüffer/Koch, AktG, § 27 Rn. 17; Toth-Feher/Schick, ZIP 2004, 491, 496). Gerade dieses Abstellen auch auf fehlende Liquidität (und nicht nur auf Überschuldung) kann dabei dazu führen, dass die Forderung bereits bei hieraus folgenden Zweifeln an der Bonität des Schuldners als nicht vollwertig angesehen werden kann (hierauf weisen Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629 hin). Die Liquidität spielt im Rahmen der Diskussion zum DES-Einbringungswert aber eine untergeordnete Rolle; sie wird lediglich relevant, wenn auf die Liquidität in der Zukunft nach discounted cash flow-Methode abgestellt werden soll, siehe hierzu sogleich b).
388
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
der Einbringung eine Überschuldung der Gesellschaft vorliegt.1929) Liegt lediglich eine Unterbilanz1930) vor, so soll es darauf ankommen, ob bei noch rechtzeitiger Abwicklung eine vollständige Befriedigung aller Gläubiger aus dem Gesellschaftsvermögen möglich wäre.1931) Allerdings wird teils darauf hingewiesen, dass diese Maßstäbe maßgeblich entwickelt 809 wurden in Urteilen, bei denen es zumeist um die Frage ging, ob eine Bareinlageverpflichtung (außerhalb des Tatbestandes der verdeckten Sacheinlage) durch Aufrechnung mit einer Forderung bzw. durch Zahlung an einen Drittgläubiger der Gesellschaft erfüllt werden kann, oder ob die Vollwertigkeit Voraussetzung des Heilens einer verdeckten Sacheinlage durch Einbringung der ursprünglichen Forderung ist.1932) Aus diesem Hinweis schwingt der unterschwellige Vorwurf mit, dass hier Bareinlage und Sacheinlage vermischt werden, obwohl keine Vergleichbarkeit besteht.1933) Hierzu ist zu sagen, dass dies der h. M. als genereller Vorwurf gemacht werden kann, wenn sie die oben genannten Maßstäbe ansetzt. Ein Missverstehen des BGH in dieser Sache ist aber ausgeschlossen: in seiner IBH/Lemmerz-Entscheidung ging es zwar um die Frage, ob eine Bareinlageverpflichtung nicht erfüllt ist, weil die eingelegte Summe sogleich zur Rückführung des Darlehens genutzt wurde1934); allerdings hat der BGH dabei explizit das Problem angesprochen, dass dies eigentlich als Sacheinlage hätte erfolgen müssen1935) und dass sich die Werthaltigkeit dann nach den soeben dargelegten Grundsätzen bestimmt.1936)
b) Liquiditätsbezogene Betrachtungsweise (Anwendung der DCF-Methode) Teils wird in der Literatur auch darauf abgestellt, wie es um die Liquiditätslage der 810 Gesellschaft bestellt ist. Vollwertigkeit sei dann nicht gegeben, wenn die Gesellschaft die Forderung neben ihren sonstigen Verbindlichkeiten nicht ohne Kapital___________ 1929) BGHZ 90, 371, 373; BGHZ 125, 141, 146. Diese Überschuldung ist nach BGH zu ermitteln anhand eines Vermögensstatus der Gesellschaft im Sinne einer Überschuldungsbilanz, bei der auch stille Reserven zu berücksichtigen sind. Die fortgeführten Buchwerte dagegen seien nicht maßgeblich, BGHZ 125, 141, 146. 1930) „Nicht überschuldet war, sondern lediglich an Kapitalmangel litt oder ihr Reinvermögen einschließlich der noch offenen Einlageforderungen das in dem Gesellschaftsvertrag ausgewiesene Stammkapital unterschritt“, BGHZ 125, 141, 146 (was die Unterbilanz konstituiert, siehe MüKoGmbHG/Märtens, 1. Aufl., 2010, § 19 Rn. 98). 1931) BGHZ 125, 141, 146; BGHZ 90, 371, 374. 1932) Dies vorbringend Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 121 f., insbesondere S. 122 Fn. 73 mit Auflistung der BGH-Entscheidungen. 1933) Anderswo ist zu lesen, dass es in der überwiegenden Zahl der entschiedenen Fälle um Masseanreicherung gegangen sei, weshalb die Rspr. jeweils die Verrechnung nicht zugelassen habe, siehe Vrbaski, SZW 2005, 59, 64; dieser „Verdacht“ wird aber nicht weiter belegt. 1934) So der Sachverhalt in BGHZ 110, 47, 49 f. 1935) BGHZ 110, 47, 60 ff. 1936) BGHZ 110, 47, 61.
389
§ 10 Bewertungsfragen
erhöhung aus eigenen Mitteln befriedigen könnte.1937) Ähnlich wird formuliert, dass Vollwertigkeit nur dann angenommen werden dürfe, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Aufrechnung in der Lage sein müsste, alle fälligen Forderungen ihrer Gläubiger zu befriedigen.1938) Plastisch formuliert muss die Forderung dann „so gut wie Bargeld“ sein.1939)
811 Für eine ebenfalls an der Liquidität orientierte Berechnung des Forderungswerts anhand der Discounted Cash Flow-Methode haben sich insbesondere Weber/ Schneider1940) ausgesprochen, wobei aber nicht wie bei den vorgenannten Ansichten auf eine Liquidität im Zeitpunkt der Einbringung abgestellt werden soll, sondern ausdrücklich eine Forderungswertermittlung stattfinden soll anhand der (prognostizierten) zukünftigen Zahlungsmittelzuflüsse, abdiskontiert auf den Stich-
___________ 1937) Siehe nur GroßkommAktG/Röhricht, 1996, § 27 Rn. 81 Fn. 1928 m. w. N.; sogar allein Zahlungsunfähigkeit für relevant haltend Scholz/Schneider/Westermann, GmbHG, 10. Aufl., 2010, § 19 Rn. 65. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Forderung bewertet werden sollte aufgrund der Renditeaussichten des Inferenten; dies wird abgelehnt mit der Begründung, dass die Befreiung von der Forderung zwar einem Opportunitätsgewinn der Gesellschaft entspreche durch Ersparnis der Zinsbelastung, es hierdurch aber nicht zu einer Erhöhung des bilanziellen Vermögens komme, Ekkenga, ZGR 2009, 581, 599, 601. Dieses Abstellen auf die Liquidität ist allerdings, dies sei zur Verdeutlichung gesagt, nicht zu verwechseln mit der Voraussetzung, dass die Forderung „liquide“ sei. Dies wird allgemein als die Notwendigkeit verstanden, dass die Forderung unbestritten ist, also ihrer rechtlichen Realisierbarkeit nicht im Wege steht, siehe Spindler/Stilz/Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rn. 37; Groß, GmbHR 1983, 290, 291; L/H/Bayer, § 19 Rn. 30; dies als irreführenden Ausdruck bezeichnend Priester, DB 1976, 1801, 1803: besser „unbestritten“ zu verwenden. 1938) RG JW 1938, 1400, 1401; so auch L/H/Bayer, § 19 Rn. 31: unter Einschluss der aufzurechnenden Gegenforderung; zur selben Ansicht bzgl. Gesellschafterforderungen siehe Nachweise bei Priester, DB 1976, 1801, 1803 Fn. 34. Siehe auch Groß, GmbHR 1983, 290, 293, der darauf verweist, dass diese Voraussetzungen gerade in der Krise selten gegeben sein werden. 1939) L/H/Bayer, § 19 Rn. 28. Aus der Diskussion um die Ermittlung der Überschuldung nach § 19 Abs. 2 InsO ist allerdings das Argument bekannt, dass eine realistische Bewertung des Unternehmens nicht von der (ggf. mangelhaften) Finanzkraft des Schuldners abhängen kann, sondern ein erfolgreiches Unternehmenskonzept einen selbständigen Wert verkörpert; schließlich gebe es in diesem Fall stets die Möglichkeit für die Gläubiger, das Unternehmen als Ganzes an einen finanzstarken Käufer zu veräußern, der ihm zusätzliche Liquidität verschafft, so Hüttemann, FS K. Schmidt, 2009, S. 761, 765 f. (zum zwischenzeitlichen, von 1999 bis 2008 geltenden Überschuldungsbegriff). Indem dabei auf die Sicht der Gläubiger abgestellt wird, könnte dieses Argument in der Insolvenz ebenso angebracht werden, da diese die Verwertung zugunsten der Gläubiger zum Ziel hat und auch insofern Vergleichbarkeit gegeben ist, als dass der hier untersuchte DES im Insolvenzplanverfahren die Übergabe der Inhaberschaft an neue Eigentümer zum Ziel hat. 1940) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 378 f. Dies wurde vorgeschlagen im Zusammenhang mit dem DES im Insolvenzplanverfahren. Problematisch am Weber/Schneider-Ansatz ist weniger sein Ergebnis, sondern dass u. a. eine Argumentation geführt wird mit der Vergleichbarkeit zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Diese stellt nämlich unstreitig nur auf Bilanzwerte ab und lässt stille Reserven wie auch den Geschäftswert als plakatives Beispiel für Fortführungswerte gerade außer Betracht, siehe dazu im Folgenden.
390
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
tag der Bewertung.1941) Der operative Cash-Flow als zu erwartender Zahlungszufluss in der Zukunft (als Finanzkennzahl als EBITDA bezeichnet)1942) soll dabei auf den Forderungsbestand vor dem DES verteilt werden.1943) Entscheidend sei insofern die prognostizierte Fähigkeit der Gesellschaft, die Forderung in der Zukunft zu tilgen.1944) Für die Anwendung dieser Methode kann argumentiert werden, dass sie in der Praxis 812 die gängige Methode der Unternehmensbewertung ist und sich somit hierfür etablierte Standards herausgebildet haben.1945) Sie wird von einigen Autoren aber abgelehnt u. a. mit der Begründung, dass zwischen Fremdkapitalzins und Kapitalisierungszins für Eigenkapital keine Risikoäquivalenz bestehe, wodurch sie nicht identisch seien.1946) Fraglich ist auch, ob sich eine solche an zukünftigen Zahlungsflüssen orientierte Ermittlung mit den tradierten Grundlagen des Kapitalerhaltungsrechts und deren formaler Strenge1947) verträgt. Insbesondere die mit einer solchen Ermittlung verbundene Prognoseunsicherheit passt nur schwer in das Konzept der Kapitalaufbringung und der vorgeschriebenen Wertermittlung bei der Sacheinlage. Andererseits ist im Folgenden gerade zu fragen, ob dieses Prinzip beim DES im Insolvenzplanverfahren angesichts der Planprämissen ggf. eine teils abweichende Auslegung erfahren kann. Zuletzt wird dieser Ansicht vorgeworfen, sie führe letztlich zu nichts anderem als 813 der Möglichkeit der Nennwerteinbringung.1948) Dies ist aber nicht zwingend so. Es wäre allein dann der Fall, wenn diese Zahlungsströme isoliert betrachtet würden.1949) Wenn sie dagegen dem Forderungsbestand vor der Insolvenzplansanierung gegen___________ 1941) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 378 f. Ein solcher „Kapitalwert“ der Forderung könnte nach Ekkenga, ZGR 2009, 581, 599, 601 darin gesehen werden, wie er sich in einer Investitionsrechnung unter Berücksichtigung des erwarteten Zinseinnahmen darstellt; i. E. lehnt Ekkenga dies aber ab, s. u. 1942) Siehe Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 379. 1943) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 379. 1944) Je nach verfolgter Grundphilosophie, welche Kapitalstruktur vorzugswürdig ist, kann dabei auch eine hinreichende Liquidität in der Zukunft für ausreichend gehalten werden, siehe hierzu aus dem US-amerikanischen Schrifttum etwa Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 168 (1997): “Because owning a firm with negative equity has value, reorganizations need not produce balance-sheet solvent firms, as commonly believed, merely firms with positive cash flows“. 1945) Siehe Richter/Pernegger, BB 2011, 876, 879, die für die Bewertung im Rahmen des DES im Insolvenzplanverfahren ausdrücklich auf den Zeitwert der Forderung aus Sicht der Gesellschaft abstellen wollen, der sich anhand der zukünftig zu erwartenden Rückflüsse für die Gläubiger über einen gewissen Zeitraum auf Basis der diskontierten Zahlungsströme des Schuldners anhand einer Unternehmensplanung bemesse. 1946) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464; näher K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 225a Rn. 25. 1947) Dies ansprechend und daher eine Berücksichtigung von Prognosen und dynamischen Einflussfaktoren ablehnend Ekkenga, DB 2012, 331, 336. 1948) Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464; ähnlich Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 555; dagegen K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087 Fn. 29. 1949) Dies wollen Weber/Schneider aber nicht, siehe sogleich. Eine solche isolierte Betrachtung wäre denkbar in einem Stadium vor der Insolvenz; die Autoren haben es aber für das Insolvenzplanverfahren vorgeschlagen.
391
§ 10 Bewertungsfragen
übergestellt werden1950), so ist dies keineswegs so; denn dabei würde weder der Forderungsentfall durch den DES noch die regelmäßig gleichzeitig erfolgende Forderungskürzung durch den Insolvenzplan, sondern die volle Summe der bestehenden Verbindlichkeiten berücksichtigt. Dann würde regelmäßig, selbst bei zukünftigen positiven Kapitalflüssen, nur eine teilweise Werthaltigkeit das Ergebnis sein.1951) Entscheidend an dieser Ansicht ist, dass sie durch Abstellen auf zukünftige Überschüsse bei der Bewertung auch zukünftige Sanierungseffekte einbezieht, was im folgenden Verlauf1952) noch näher diskutiert wird.
c)
Marktwert
814 Vereinzelt wird auch für die Frage der Einbringungshöhe auf den Wert abgestellt, den der Markt hierfür zahlen würde.1953) Problematisch ist dabei aber, dass der Marktwert der Forderung beeinflusst werden kann durch hierfür gestellte Drittsicherheiten, ohne dass dies etwas mit dem Vermögensstatus der Gesellschaft zu tun hätte.1954) Da diese Drittsicherheit, sofern akzessorisch oder vergleichbar ausgestaltet, mit Erlöschen der Forderung bei der Gesellschaft ebenfalls erlischt, ohne dass der Gesellschaft damit ein Wert zufließt, dürfte sie nach dem herrschenden Kapitalaufbringungsverständnis nicht berücksichtigt werden.
815 Ist keine Drittbesicherung gegeben, so ist allerdings fraglich, ob dies überhaupt ein anderes Bewertungsergebnis hervorbringen würde.1955) Auch der Markt bedient sich im Zweifel letztlich einer Rechnung, die die Schuldendeckung wie auch die nach zukünftigen Zahlungsmittelzuflüssen mögliche Tilgung einbezieht. Insofern kann den Ansichten gefolgt werden, die grundsätzlich die Ermittlung des Zeitwerts ___________ 1950) Wie dies Weber/Schneider als Vertreter dieser Ansicht wollen, siehe ZInsO 2012, 374, 379. 1951) So kommen Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 379 auch keineswegs zu einer Nennwerteinbringung, sondern zu einer Einbringung zu nur 11 % des Nominalwertes. 1952) Siehe unten IV. 2. b) und c). 1953) Siehe Gottwald/Drukarczyk/Schöntag, InsR-Hdb, 4. Aufl., 2010, § 3 Rn. 78 unter Darstellung des Fair Value-Ansatzes; auch MüKo-AktG/Pentz, § 27 Rn. 29: „objektiver Wert der Forderung, also danach, zu welchem Wert ein Dritter die Forderung erwerben würde“; dies als Argument auch erwähnend KK-AktG/Lutter, 2. Aufl., 1995, § 183 Rn. 30 und GroßkommAktG/ Röhricht, 4. Aufl., 1996, § 27 Rn. 81: kein Dritter würde zu vollem Nennwert erwerben; siehe hierfür etwa auch Goldschmid, 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191, 263 (2006): „By creating a market for distressed debt, claims are valued on a liquid market, rather than behind a judicial bench.“ Gegen einen Marktwert aber etwa Priester, DB 2010, 1445, 1447. 1954) Diffring, S. 68. 1955) Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 19 f. sieht nunmehr gerade durch die Möglichkeit der Forderungsumwandlung im Insolvenzplanverfahren die Forderungen im Wert steigen (neuer „Handelswert“), weil hiermit die Möglichkeit erwächst, eine qualifizierte Mehrheit am Unternehmen zu erreichen. Dies sei der eigentliche Clou der Neuregelung; er zieht daraus aber nicht die Konsequenz, dass sie damit auch zu einem erhöhten Wert eingebracht werden könnten. Dies sei allein zum Liquidationswert möglich, aber auch nicht von Wichtigkeit, da es um die Kontrollübernahme gehe, nicht um die Höhe des Eigenkapitals.
392
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
der Forderung anstreben, einen ggf. vom Investor für die Forderung gezahlten Kaufpreis aber – außer bei Drittbesicherung – als Anhaltspunkt heranziehen wollen.1956) Diese soeben dargelegten drei Bewertungsmethoden1957) ähneln sich von der bilan- 816 ziellen Vorgehensweise aber insofern, als dass (unter Ansatz jeweils unterschiedlicher Parameter) jeweils eine Schuldendeckungsquote ermittelt wird, die die Werthaltigkeit der Forderung (und damit deren Einbringungshöhe) bestimmt. Teils wird aber hinsichtlich der Höhe, mit der die Forderung beim DES eingebracht werden kann, eine abweichende Methode vorgeschlagen.
d) Vollwertigkeit nur in Höhe des freigesetzten Aktivvermögens So verfolgen Priester und Ekkenga hinsichtlich der Vollwertigkeit insofern einen 817 anderen Ansatz, als sie allein auf den Vermögensstatus der Gesellschaft abstellen und dabei eine Vollwertigkeit nur in der Höhe anerkennen, in der die umzuwandelnde Forderung bisher Aktiva neutralisiert hat1958); umgekehrt bedeutet dies, dass der einzubringenden Forderung entsprechende Vermögenswerte auf der Aktivseite gegenüberstehen müssen1959), die durch das Entfallen des Passivums „freigesetzt“ werden.1960) Der entscheidende Unterschied zur h. M. besteht darin, dass die h. M. im Regelfall 818 zu einer Schuldendeckungsquote gelangt, mit der die Forderungen eingebracht werden können; da diese aus der Gegenüberstellung sämtlicher Verbindlichkeiten zu den Aktiva errechnet wird, kommt mithin die Aufgabe der Deckung eines ggf. bestehenden nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags allen Gläubigern (also auch den nicht umwandenden) gleichermaßen zu.1961) Bei der Neutralisierungsthese dagegen müssen zunächst allein der umwandelnde Gläubiger (bzw. im Plural die umwandelnden Gläubiger nach dem Verhältnis ihrer Einbringung) den Fehlbetrag auffüllen; beispielhaft ergibt sich dies dadurch, dass in einem von Priester verwendeten Beispiel die Forderung nur zu 50 % werthaltig (bei 200 also 100) ist.1962) ___________ 1956) Redeker, BB 2007, 673, 675 mit Verweis darauf, dass die Forderung aber bei Ausfallsrisiko auf den niedrigeren beizulegenden Wert abzuschreiben ist (Niederstwertprinzip, § 253 Abs. 1 HGB, siehe hierzu Gottwald/Drukarczyk/Schöntag, InsR-Hdb, 4. Aufl., 2010, § 3 Rn. 78); die Redeker-Ansicht ablehnend Ekkenga, ZGR 2009, 581, 601. 1957) Diese Methoden können nicht immer sauber gegeneinander abgegrenzt werden, sondern überschneiden sich teils. Versuche einer Einordnung in verschiedene Kategorien auch bei Blöse, GmbHR 2012, 471, 476; Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 122 ff. 1958) Priester, DB 2010, 1445, 1447; Ekkenga, DB 2012, 331, 334 (der dies aber als „Verzichtsthese“ statt „Neutralisierungsthese“ bezeichnet haben will); auch schon Lutter, Kapital, S. 234; Groß, GmbHR 1983, 290, 293. 1959) Priester, DB 2010, 1445, 1448. 1960) Ekkenga, ZGR 2009, 581, 598; ders., DB 2012, 331, 335. 1961) Siehe auch Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 41. 1962) Da in Höhe von 100 ein nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag besteht, siehe Priester, DB 2010, 1445, 1448 Beispiel 2. Dieser beträgt handelsbilanziell 200, aufgrund stiller Reserven von 100 aber nur die Differenz von 100.
393
§ 10 Bewertungsfragen
Würde dagegen die Schuldendeckungsquote (in seinem Bsp. 9/10)1963) auf die Forderung von 200 angewendet, so wäre sie zu 180 einbringbar.
819 An einer derartigen Betrachtungsweise wird kritisiert, dass diese zu sehr dem insolvenzrechtlichen Überschuldungsbegriff ähnele, somit die Liquiditätslage außer Betracht lasse und im Übrigen abweichende Maßstäbe ansetze als die von den der h. M. für den Bereich der Einbringung von Forderungen gegen Dritte entwickelten Maßstäbe.1964) Letzteres Begriffsverständnis habe der Gesetzgeber aber einer Reihe neuerer gesetzlicher Regelungen zugrunde legen wollen.1965)
3.
Beispielsrechnungen
820 Die Auswirkungen einer Einbringung nach Nennwerteinbringung, nach Höhe der Schuldendeckungsquote (h. M.), nach der sog. „Freisetzungsthese“ (Ekkenga, Priester) sowie einer weiteren von Fromm ins Spiel gebrachten Methode sollen im Folgenden durch ein Beispiel verdeutlicht werden.1966)
a) Grundlagenbeispiel 821 Das verwendete Bilanzbeispiel soll in seiner Grundform auf dem von Priester beruhenden und von Cahn/Simon/Theiselmann1967) modifizierten Beispielsfall beruhen: Eine Gesellschaft verfügt über Aktiva in Höhe von 1000 und über Verbindlichkeiten von 1400. Das Nennkapital beträgt 200. Im vergangenen und laufenden Geschäftsjahr ist ein Verlust(vortrag) angefallen von 600. Somit ergibt sich ein nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag von 400. Die Gesellschaft ist damit handelsbilanziell und auch i. S. einer Überschuldungsbilanz überschuldet.1968) ___________ 1963) Aktiva 800+stille Reserven 100 (=900) zu 1000 Verbindlichkeiten. 1964) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629; kritisch auch Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 13 und Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 41. 1965) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1620. Dagegen auch Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 123 f., allerdings mit einer Argumentation, dass bei Einbringung mit Forderungswert unterhalb des negativen Eigenkapitals mitnichten (trotz Schulderlass) gar nichts eingebracht worden sei. 1966) Dass dieses Bilanzbeispiel ein vereinfachtes ist, ist der Komplexität der Materie geschuldet; es basiert aber auf der zum DES geführten Diskussion, siehe sogleich. 1967) Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 160. 1968) Die Bilanz soll in allen Beispielen im Grundsatz eine testierte Handelsbilanz sein, bezogen auf den Stichtag der Durchführung des DES. Es soll somit nicht etwa die letzte aufgestellte Bilanz sein, deren Werte mittlerweile berichtigungsbedürftig sind; eine solche Annahme würde die gesamte Diskussion durcheinanderbringen. Dieses Bilanzbeispiel ist auch nicht als unrealistisch abzutun mit Verweis auf die im Insolvenzverfahren sich regelmäßig ergebende Insolvenzquote von 3-10 %. Denn diese ergibt sich dadurch, dass Teile der Masse bereits als Sicherheit genutzt wurden und somit bei der Verteilung im Fall der Insolvenz primär den gesicherten Gläubigern zur Verfügung stehen. Zum Zwecke der hier zunächst nachgezeichneten Diskussion wird (noch) nicht zwischen gesicherten und ungesicherten Gläubigern unterschieden. Dies ist möglich, da Sicherheiten außerhalb der Insolvenz zunächst bilanzneutral sind. Eine Differenzierung zwischen gesicherten und ungesicherten Forderungen erfolgt aber unten bei der parallelen Fragestellung der Einbringung im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens.
394
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
Aktiva
Passiva
Diverse Aktiva 1000
Eigenkapital: Nennkapital 200 ./. Verlustvortrag 600 (= ./. 200)1969)
Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag 400
Verbindlichkeiten 1400
Bilanzsumme 1400
Bilanzsumme 1400
Dabei sollen 100 stille Reserven existieren. Werden diese berücksichtigt (was streitig 822 ist), würde sich damit das negative Eigenkapital auf 300 reduzieren. Per DES eingebracht werden soll eine Forderung in Höhe von 1000.1970)
823
b) Erläuterungen zum Bilanzposten „nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag“ Entscheidender Unterschied zwischen der h. M. und der sog. Freisetzungsthese von 824 Ekkenga und Priester ist die Behandlung des Bilanzpostens „nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag“. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu beachten, dass es in diesem Kontext maßgeblich zwei verschiedene Arten von Bilanzen gibt: die Handelsbilanz und die Überschuldungsbilanz. Handelsbilanz ist diejenige, die eine Gesellschaft unter gewissen Bedingungen unter den Vorgaben des HGB zu erstellen hat. Überschuldungsbilanz dagegen ist in der InsO und im AktG angesiedelt und soll im Rahmen des Überschuldungstatbestandes dazu dienen, die Insolvenzreife nach § 19 InsO festzustellen; nach § 92 AktG kann sie auch gewisse Vorstandspflichten auslösen. Der Posten „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ ist nach § 268 Abs. 3 825 HGB in der Bilanz auf der Aktivseite aufzuführen, wenn das Eigenkapital durch Verluste aufgebraucht ist und sich ein Überschuss der Passivposten über die Aktivposten ergibt. Faktisch stellt er somit negatives Eigenkapital dar. Existiert dieser Posten in der Handelsbilanz, so gilt die Gesellschaft als handelsbilanziell überschuldet. Dies muss nicht zwingend auch die für § 19 InsO relevante Überschuldung bedeuten, denn dort werden auch stille Reserven etc. mit einbezogen; jedoch kann seine Existenz ein Indikator für die insolvenzrechtliche Überschuldung sein.1971) ___________ 1969) Der Verlustvortrag wird auf Passivseite innerhalb des Eigenkapitals nur mit 200 angezeigt, weil das EK niemals unter Null bilanziert werden kann. Übersteigen die bilanziell ausgewiesenen Verluste (600) das Nennkapital (200), so wird dieses auf Null gesetzt und die Differenz (400) auf Aktivseite als nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag angezeigt, siehe Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, Rn. 734. 1970) Eine vorhergehende Kapitalherabsetzung findet hier noch keine Berücksichtigung, da sich diese bei Überschuldung und je nach Höhe auch bei Unterbilanz ohnehin zunächst nicht unmittelbar auswirken würde, siehe näher unten IV. 1. a). 1971) Staub/Hüttemann, HGB, § 268 Rn. 24; MüKo-HGB/Reiner/Haußer, § 268 Rn. 28.
395
§ 10 Bewertungsfragen
c)
Bilanzbeispiel auf Basis der Nennwerteinbringung
826 Vorab soll kurz gezeigt werden, wozu die Nennwerteinbringung, obgleich hier nicht mehr unmittelbar relevant1972), führen würde. Indem die Forderung zu 100 % ins Eigenkapital wandert, würde sich folgendes Bilanzbeispiel ergeben: Aktiva
Passiva
Diverse Aktiva 1000
Eigenkapital: Nennkapital 1200 ./. Verlustvortrag 600
Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag 0
Verbindlichkeiten 400
Bilanzsumme 1000
Bilanzsumme 1000
d) Bilanzbeispiel auf Basis der h. M. 827 Wird mit der wohl h. M.1973) die Vollwertigkeit der Forderung (allein) nach der Schuldendeckungsquote errechnet, so würde dies folgendes ergeben:
828 Da sich 1100 Aktiva (1000 Bilanz-Aktiva plus 100 stille Reserven) zu 1400 echten Passiva gegenüberstehen, ergibt sich eine Schuldendeckungsquote von 0,785. Damit besteht bei 1000 Nennwert eine einbringbare Forderung von 785. Die Differenz von 215 werden als Ertrag verbucht, der Verlustvortrag vermindert sich folglich um 215 auf 385. Aktiva
Passiva
Diverse Aktiva 1000
Eigenkapital: Nennkapital 985 ./. Verlustvortrag 385
Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag 0
Verbindlichkeiten 400
Bilanzsumme 1000
Bilanzsumme 1000
e)
Bilanzbeispiel auf Basis der „Freisetzungsthese“
829 Bei der sog. „Freisetzungsthese“, wie sie insbesondere Priester1974) vertreten hat, muss zunächst der nicht durch EK gedeckte Fehlbetrag aufgefüllt werden; darin ___________ 1972) Beim DES in der Insolvenz soll nach dem Gesetzgeber die Nennwerteinbringung nicht Anwendung finden, siehe oben III. 1. c) a. E. Zu Veranschaulichungszwecken werden ihre Auswirkungen hier aber kurz dargestellt. 1973) So insbesondere Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 41 f. 1974) Priester, DB 2010, 1445, 1448 mit Beispielsrechnungen, weshalb hier seine Vorgehensweise näher untersucht wird.
396
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
besteht bei ihm aber zugleich die mangelnde Vollwertigkeit der Forderung, so dass keine weiteren Abschläge vorgenommen werden müssen.1975) Das oben verwendete Bilanzbeispiel würde folglich bei Priester Folgendes ergeben: 830 Da die Forderung von 1000 zunächst in Höhe von 3001976) den nicht durch EK gedeckten Fehlbetrag auffüllen müsste, wäre sie zu 700 einbringbar. Dabei würde ein Ertrag von 300 entstehen. Aktiva
Passiva
Diverse Aktiva 1000
Eigenkapital: Nennkapital 900 ./. Verlustvortrag 300
Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag 0
Verbindlichkeiten 400
Bilanzsumme 1000
Bilanzsumme 1000
f)
Bilanzbeispiel bei doppelter Abwertung (Fromm)
Die extremste Position vertritt dagegen Fromm1977): dieser will zunächst anhand 831 der Handelsbilanz prüfen, ob die Forderung überhaupt sacheinlagefähig ist. Seiner Ansicht nach taugt die Forderung nämlich insoweit schon gar nicht als Sacheinlagegegenstand, wie die Einbringung nur das negative Eigenkapital auffüllen würde.1978) ___________ 1975) Er spricht in diesem Zusammenhang davon, dass „Kapitalerhöhungen gegen Entschuldung (…) keinen Erfolg haben (können), wenn nicht hinreichend Aktivvermögen freigesetzt“ werde, Priester, DB 2010, 1445, 1448. Allerdings sollte dies nicht so gedeutet werden, dass bei Vorliegen einer Überschuldung die Einbringung gar nicht möglich sei (so interpretiert dies aber Ekkenga, DB 2012, 331, 332: „Im Ergebnis scheint Priester eine Kapitalerhöhung in toto ausschließen zu wollen, selbst wenn die Schuldbefreiung den Überschuldungsstatus beenden und durch die Maßnahme Aktivvermögen wenn auch nicht i. H. des Forderungsnennwertes, so doch in reduziertem Umfang freisetzen würde.“ Ebenso interpretieren dies Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1630). In seinem eigenen Beispiel hält Priester in einem solchen Fall aber sehr wohl eine Einbringung für möglich, allerdings nur bei Berücksichtigung der Verminderung der Forderung um den Wert des nicht durch EK gedeckten Fehlbetrags. Siehe bei Priester a. a. O. das 2. Szenario, bei dem Aktiva + stille Reserven von 900 einem Nennkapital von 100, Verlustvortrag von 100 und Verbindlichkeiten von 1000 gegenüberstehen. Der nicht durch EK gedeckte Fehlbetrag nach Überschuldungsbilanzmaßstäben beträgt somit 100. Darin besteht bei ihm die mangelnde Vollwertigkeit der Forderung, denn bei Einbringung der 200-Forderung kann dann eine Kapitalerhöhung um 100 stattfinden. Somit ist seine Aussage wohl zu lesen als: können keinen Erfolg haben, „soweit“ nicht hinreichend Aktivvermögen freigesetzt wird. 1976) Priester will stille Reserven berücksichtigen, siehe DB 2010, 1445, 1448. 1977) Fromm, ZInsO 2012, 1254, 1255. 1978) Fromm, ZInsO 2012, 1254, 1255; es könne auch das negative Eigenkapital, berechnet nach den Grundsätzen der Überschuldungbilanz, aufgefüllt werden (was in seinem Beispiel niedriger ist, da stille Reserven existieren); dies lehnt er aber ab mit der Begründung, dass nur die Handelsbilanz die richtige Bezugsgröße sei, da es um die Kapitalzuführungspflicht in Form der Möglichkeit der freien Verfügbarkeit gehe. An die Handelsbilanz würden auch sämtliche anderen Vorschriften der Stammkapitalbehandlung anknüpfen, wie etwa §§ 30, 43a, 49 Abs. 3 GmbHG, a. a. O.
397
§ 10 Bewertungsfragen
Vom ggf. darüber hinausgehenden Restbetrag müsse zudem noch der nicht werthaltige Teil abgezogen werden, der nach der Deckungsquote der Forderungssumme zu errechnen sei. Diese wiederum sei zu ermitteln durch Gegenüberstellung der Gesamtverbindlichkeiten zu den aktiven Vermögenswerten nach den Grundsätzen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsbilanz.1979) Er will somit eine zweistufige Prüfung: zunächst die Frage der Sacheinlagefähigkeit nach Handelsbilanz, dann die Frage der Werthaltigkeit nach Überschuldungsbilanz.1980) Für die hier relevante Frage bedeutet dies, dass die Forderung bei einer Überschuldung gewissermaßen doppelt abgewertet wird.1981)
832 Bei einer Anwendung dieser Methode auf das oben geführte Bilanzbeispiel bei Zugrundelegung der Handelsbilanz für die Frage der Einlagefähigkeit würde (bei Annahme der Existenz von stillen Reserven von 100 und der Einbringung eines Forderungsbetrages von 1000 Nennwert) die Bilanz danach folgendermaßen aussehen:
833 Die Deckungsquote beträgt 0,785.1982) Die Forderung wäre somit 785 wert. Hiervon aber sind die 400 nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag abzuziehen. Somit wäre eine Einbringung zu 385 möglich. Die 615 als Differenz zu 1000 müssten als Ertrag verbucht werden, womit sich der Verlustvortrag von 600 zu einem Gewinnvortrag von 15 wandelt. Aktiva
Passiva
Diverse Aktiva 1000
Eigenkapital: Nennkapital 585 + Gewinnvortrag 15
Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag 0
Verbindlichkeiten 400
Bilanzsumme 1000
Bilanzsumme 1000
___________ 1979) Fromm, ZInsO 2012, 1254, 1255. 1980) Alternativ überlegt er auch, sowohl Einlagefähigkeit als auch Werthaltigkeit nach Überschuldungsbilanz zu ermitteln; dies hält er aber für weniger vorzugswürdig, siehe Fromm, ZInsO 2012, 1253, 1255. 1981) Eine Anwendung der Fromm-Methode auf das 2. Szenario bei Priester DB 2010, 1445, 1448 (Fn. 1975) zeigt dabei nochmals den gravierenden Unterschied: bei Priesters tatsächlichen Aktiva (einberechneten stillen Reserven) von 900 und Verbindlichkeiten von 1000 müsste nach Fromms Methode bei Zugrundelegung der Überschuldungsbilanz für die Frage der Einbringungsfähigkeit zunächst der nicht durch EK gedeckte Fehlbetrag von 100 aufgefüllt werden, der Rest könnte dann nach Deckungsquote eingebracht werden. Diese würde im zweiten Priester-Szenario 9/10 (von 200 = 180) betragen, womit nur eine Kapitalerhöhung um 80 möglich wäre. Geht man mit Fromm noch weiter und legt für die Frage der Einbringungsfähigkeit die Handelsbilanz zugrunde, so würde eine Erhöhung des Grundkapitals gar nicht möglich sein, da die 200 DES-Verbindlichkeit zunächst den handelsbilanziellen nicht durch EK gedeckten Fehlbetrag von 200 auffüllen würde. 1982) 1100 Aktiva zu 1400 echten Passiva.
398
III. Bewertung der einzubringenden Forderungen
Würden dagegen hinsichtlich der Frage der Sacheinlagefähigkeit die Überschul- 834 dungsbilanz zugrunde gelegt (was Fromm erwähnt, aber ablehnt), mithin die 100 stillen Reserven berücksichtigt, so wären statt 400 nur 300 negatives EK abzuziehen. Somit wäre der Einbringungswert 785 – 300 = 485. Die Bilanz würde folgendermaßen aussehen: Aktiva
Passiva
Diverse Aktiva 1000
Eigenkapital: Nennkapital 685 ./. Verlustvortrag 85
Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag 0
Verbindlichkeiten 400
Bilanzsumme 1000
Bilanzsumme 1000
g) Zwischenergebnis Wie gezeigt, führen alle Ansätze zu unterschiedlichen Ergebnissen. Gegen die Me- 835 thode von Fromm ist aber zu sagen, dass diese die Forderung unnötigerweise doppelt abwertet, obwohl hierfür kein Anlass besteht: selbst das gängige Verständnis der h. M. vom Grundsatz der realen Kapitalaufbringung würde einen solch vorsichtigen Ansatz kaum für nötig befinden. Die Freisetzungsthese stellt zwar sicher, dass Aktiva auch wirklich in voller Höhe frei werden; sie legt zugleich die Last der Auffüllung des negativen Eigenkapitals aber allein den umwandelnden Gläubigern auf (zugunsten der übrigen Gläubiger), ohne dass ersichtlich ist, dass diese allein dafür verantwortlich wären (dieser Gedanke wird im Folgenden gerade vor dem Hintergedanken der Gleichbehandlung der Gläubiger in der Insolvenz noch eine Rolle spielen). Für den Ansatz einer Schuldendeckungsquote nach Lesart der h. M. kann vorgebracht werden, dass hiermit ausreichend berücksichtigt wird, dass die Verbindlichkeiten bei einer überschuldeten Gesellschaft nicht mehr vollständig durch Aktiva neutralisiert werden.1983) Zugleich wird aber auch die wenig nachvollziehbare Rechtsfolge vermieden, dass bei Einbringung einer Forderung, die das negative Eigenkapital wertmäßig nicht erreicht, diese als wertlos angesehen werden müsste, obwohl die Gesellschaft durch ihren Entfall sehr wohl entlastet wird.1984) Im Folgenden soll daher davon ausgegangen werden, dass die Forderung in Höhe 836 ihrer Schuldendeckungsquote entsprechend dem Vorgehen der h. M. einzubringen ist. Damit ist zu der entscheidenden Frage überzugehen: sind beim DES in der be-
___________ 1983) Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 41. 1984) Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 41; so auch schon Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 122 f.
399
§ 10 Bewertungsfragen
sonderen Situation des Insolvenzplanverfahrens dabei Liquidations- oder Fortführungswerte anzusetzen?
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik in der besonderen Situation des Insolvenzplanverfahrens 837 Das bisher dargestellte Meinungsspektrum beruht maßgeblich auf einer Forderungseinbringung außerhalb der Insolvenz. Für die Frage des DES im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens muss allerdings ein besonderer Blickwinkel eingenommen werden. Die Argumente aus der vorhergehenden Diskussion gelten in großen Teilen fort; dies ergibt sich schon dadurch, dass auch das reformierte Insolvenzplanverfahren nur einen Rahmen darstellt, innerhalb dessen aber grundsätzlich das Gesellschaftsrecht herrscht.1985) Allerdings muss dieses z. T. modifiziert werden unter insolvenzrechtlichen Aspekten.1986) Die Frage lautet daher, ob sich in der Insolvenz eine abweichende Auslegung u. a. dadurch ergibt, dass alle Gläubiger gleichbehandelt werden müssen (im Sinne der par condicio creditorum), dass die Verwertungs- und Befriedigungsfunktion im Vordergrund steht, dass eine Sanierung gefördert werden soll und dass die Interessen der bisherigen Anteilseigner hinter den Gläubigerinteressen zurücktreten?
1.
Fragen grundsätzlicher Art
838 Die Frage der Forderungsbewertung hat zahlreiche Facetten. Bevor eine abschließende Analyse zur vorzugswürdigen Methode erarbeitet werden soll, sind zunächst einige Grundfragen zu klären, die in den maßgeblichen Fragenkreis des Bewertungsmaßstabs hineinspielen.
a) Die Rolle einer vorhergehenden Kapitalherabsetzung 839 Im Insolvenzplanverfahren ist vor der Kapitalerhöhung eine vorher durchzuführende Kapitalherabsetzung zu Sanierungszwecken grundsätzlich zu empfehlen; in den in der Literatur verwendeten Bilanzbeispielen taucht sie dennoch selten auf.1987) ___________ 1985) Siehe § 225a Abs. 2 InsO n. F.: jede Regelung, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist. 1986) Siehe auch Maier-Reimer, VGR 2011, 107, 110, nach dessen Einschätzung eine gewisse Skepsis gegenüber dem DES und dessen Ermöglichung durch das ESUG auch daraus resultiert, dass „die insolvenzrechtlichen Möglichkeiten des Debt Equity Swap zu sehr durch die Brille des allgemeinen Gesellschaftsrechts gesehen werden“. Wenig Hilfestellung kann in dieser Hinsicht vom US-Vorbild erwartet werden: da dort kein dem deutschen Recht vergleichbares strenges Kapitalerhaltungssystem besteht, ist die konkrete Bewertung der einzubringenden Forderungen jeweils Ergebnis der Verhandlungen; somit besteht der Hauptstreitpunkt meist in der Werthaltigkeit im Verhältnis der verschiedenen Forderungsklassen (gesichert, ungesichert, nachrangig, etc.) zueinander. 1987) Nicht berücksichtigt bei Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1630; Priester, DB 2010, 1445, 1448; Groß, GmbHR 1983, 290, 294; berücksichtigt bei Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 562 (Herabsetzung auf Null) und Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1934, die aber nur eine Kapitalherabsetzung auf das Mindestkapital, nicht auf Null, annehmen.
400
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
Dies hat zum einen damit zu tun, dass diese zumeist in einer Sanierungssituation, aber noch außerhalb eines Insolvenzverfahrens angesiedelt sind. Dies ist aber dann unschädlich, wenn die Kapitalherabsetzung lediglich dazu dient, einen in der Bilanz stehenden Verlust zu vermindern, sie mithin nicht zu einer Ausschüttung an die Gesellschafter führt. Die Kapitalherabsetzung bei Überschuldung (und je nach Höhe auch bereits bei 840 Unterbilanz) führt nämlich lediglich dazu, dass neben dem Nenn-/Grundkapital der aufgelaufene Verlust(vortrag) in dieser Höhe vermindert wird.1988) Das bilanzielle Eigenkapital bleibt hierdurch unberührt, die Aktiva werden mangels Ausschüttung nicht vermindert. Insofern handelt es sich auch bei der Kapitalherabsetzung um einen reinen Passivtausch.1989) Auf Basis des oben verwendeten Bilanzbeispiels wirkt sich eine Kapitalherabset- 841 zung um 200 auf Null folgendermaßen aus: Aktiva
Passiva
Diverse Aktiva 1000
Eigenkapital: Nennkapital 0 (vorher: 200) ./. Verlustvortrag 4001990) (vorher: 600)
Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag 400
Verbindlichkeiten 1400
Bilanzsumme 1400
Bilanzsumme 1400
Somit zeigt sich: die Kapitalherabsetzung führt dazu, dass allein die bisherigen Ge- 842 sellschafter die Verluste tragen; sie führt aber, solange der Verlustvortrag anfangs höher ist als das Nennkapital, zu keiner Veränderung auf der Aktivseite. Dazu kommt es in der Praxis nur, weil die Regeln über die vereinfachte Kapitalherabsetzung ein Absenken auf Null nur dann zulassen, wenn gleichzeitig das Mindestkapital per Bareinlage (wieder-)aufgebracht wird, §§ 58a Abs. 4 S. 1 GmbHG, 228 Abs. 1 AktG. Dann stehen dort entsprechend 25.000 (GmbH) oder 50.000 (AG) mehr an Aktiva, parallel zur entsprechenden Erhöhung des Nennkapitals. Hierdurch wird aber der angefallene Verlust(vortrag) nicht gemindert.1991) ___________ 1988) MüKo-GmbHG/Vetter, § 58 Rn. 24. 1989) MüKo-GmbHG/Vetter, § 58 Rn. 23. 1990) Bzw. Verlustvortrag 0 (vorher: 200), siehe oben Fn. 1969. 1991) Siehe das Beispiel einer Bar-Kapitalerhöhung bei Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629, 1630 Variante 1. Dort erhöht sich zwar auf den ersten Blick der Verlustvortrag sogar um den Betrag der Bareinlage; dies findet aber seinen Grund in der Regel der Bilanzdarstellung, dass der Verlustvortrag immer nur in Höhe des Nennkapitals angezeigt werden kann, die Differenz als n.d.EK.ged. Fehlbetrag auf Aktivseite angezeigt wird. Im Beispiel war die Summe von Verlustvortrag (wie auf Passivseite angezeigt) und n.d.EK.ged.FB vor und nach Barkapitalerhöhung jeweils 600.
401
§ 10 Bewertungsfragen
843 Da im Folgenden der DES im Insolvenzplanverfahren behandelt werden soll, soll davon ausgegangen werden, dass der Kapitalerhöhung durch Einbringung einer Forderung grundsätzlich eine Kapitalherabsetzung auf Null vorangeht. Dies ergibt sich fast zwingend bereits aus der Rangfolge in der Insolvenz, bei der die Anteilseigner am letzten Rang stehen. Ein Verlust der Anteilsrechte durch die Kapitalherabsetzung auf Null wird regelmäßig dann durchgeführt werden, wenn Überschuldung vorliegt und diese somit fast immer wertlos sind.1992) Eine Herabsetzung auf einen Rest-Betrag und damit ein Erhalt der Beteiligung für die Alt-Anteilseigner könnte allein dann geschehen, wenn deren Anteile noch einen Restwert haben, was selten der Fall sein wird, gleichwohl vorkommen kann, wenn z. B. die Gesellschaft nicht überschuldet ist.1993) Dennoch soll auch in einem solchen (seltenen) Fall davon ausgegangen werden, dass nach der Insolvenzplan-Reorganisation keine RestBeteiligung der Alt-Anteilseigner verbleibt, sondern vielmehr trotzdem eine Kapitalherabsetzung auf Null durchgeführt wird und die Anteilseigner für den Restwert ihrer Anteile eine im Insolvenzplan festgelegte Entschädigung, jedenfalls aber einen Anspruch hierauf aus dem hierfür nach § 251 Abs. 3 InsO n. F. zu bildenden Sicherheitenfonds erhalten.1994) Dies bedeutet zugleich, dass auch davon ausgegangen werden soll, dass die nach §§ 58a Abs. 4 GmbHG, 228 Abs. 1 AktG zwingend vorgeschriebene Wieder-Auffüllung des Mindestkapitals per Bareinlage durch die umwandelnden Gläubiger vorgenommen wird.1995) Eine solche vorhergehende Kapitalherabsetzung und folgende Bar-Kapitalerhöhung stellt dabei einen dem DES vorhergehenden, durchaus wichtigen Sanierungsbeitrag dar. Hierdurch kann sich die Werthaltigkeit einer Forderung verändern; ob dieser „Sanierungserfolg“ als Resultat einer finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahme aber auch bei der Einbringung berücksichtigt werden soll, ist umstritten und wird unten als Sonderproblem diskutiert.
b) Irrelevanz des Forderungswerts aufgrund eingetretener Insolvenz? 844 Fraglich ist, ob nicht jegliche Bewertung unterbleiben kann, solange der DES im Insolvenzplanverfahren durchgeführt wird. Eine derartige Haltung nimmt Maier___________ 1992) Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 17. 1993) Siehe oben II. 1. 1994) Damit wird zugleich die Problematik umgangen, dass bei weiterer Beteiligung der AltAnteilseigner ohne Leistung frischen Kapitals sonst ggf. die Gläubiger nicht sachgerecht behandelt werden, ebenso Maier-Reimer, VGR 2011, 107, 113. 1995) Ebenso Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 113 Fn. 34. Zwar wäre auch denkbar, für eine solche Barkapitalerhöhung mit frischem Kapital die Alt-Anteilseigner zuzulassen. Wie oben unter § 7. festgestellt, kann der Insolvenzplanersteller ein solches „Bezugsrecht“ zwar in den Plan implementieren, die Alt-Anteilseigner können dies aber nicht erzwingen. Für die folgenden Ausführungen wird daher davon ausgegangen, dass das nötige Barkapital von den umwandelnden Gläubigern aufgebracht wird.
402
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
Reimer1996) ein: nach seiner Ansicht gelten die allgemeinen Grundsätze der Kapitalaufbringung in der Insolvenz nicht. Eine angemessene „Bewertung“ der gewandelten Forderungen sei schon gedanklich nicht möglich.1997) Es bestünde aber auch keine Gefahr, denn Insolvenzverwalter wie auch Gläubiger würden „im Interesse der künftigen Dividendenfähigkeit (…) davon absehen, ein unangemessen hohes Kapital festzulegen“.1998) Solange nur das bisherige Nennkapital auf Null herabgesetzt werde, spiele es „für das Maß der Beteiligung der Gläubiger, deren Forderungen gewandelt werden, an dem fortbestehenden Unternehmen keine Rolle, auf welche Nennwerte sich die für die Forderungen ausgegebenen Anteile belaufen.“1999) Eine Bewertung in Höhe der Insolvenzquote sei zwar in der amtlichen Begründung erwähnt, finde aber im Gesetz keinen Niederschlag.2000) Ohnehin würde dies der Interessenlage und dem Sinn des Insolvenzplans zuwider laufen. Dem Interesse künftiger Gläubiger würde es vielmehr entsprechen, „das Kapital möglichst hoch festzusetzen und damit die Hürde möglichst hoch zu legen, die von der Ausschüttung von Dividenden überwunden werden muss.“2001) Umgekehrt würde das Interesse der wandelnden Gläubiger an künftigen Dividenden verhindern, dass exorbitant hohe Nennkapitalbeträge festgelegt würden.2002) In eine ähnliche Richtung, wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit, geht Simon, 845 wenn er davon spricht, dass auch in der Insolvenz zum Nennwert eingebracht werden könnte, aber ggf. vor Umwandlung ein initial hair cut nötig sei, der sich an betriebswirtschaftlichen und bilanziellen Erfordernissen ausrichten solle, nicht aber „allein an der in der Praxis ohnehin kaum belastbar zu ermittelnden Werthaltigkeit der Forderung“.2003) Die Aussage Maier-Reimers, dass die Festlegung der Anteilswerte letztlich in das 846 Belieben der Beteiligten gestellt sei, ist dabei auf den ersten Blick befremdlich. Gerade im Kapitalaufbringungsrecht ist man daran gewohnt, dass es nur einen festen Wert einer Sacheinlage gibt, nicht aber einen beliebig bestimmbaren. Ausdruck dieser Denkweise ist gerade die verschuldensunabhängige Differenzhaftung, die auch bei ___________ 1996) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 113. 1997) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 113. Die Bewertungsproblematik würde sich allein dann stellen, wenn Anteilseigner bereit seien, als Sanierungsbeitrag frisches Kapital zur Verfügung zu stellen, da dann die gewandelten Forderungen im Verhältnis zu den neuen BarEinlagen zu bewerten seien, a. a. O. S. 115 f. 1998) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 115. 1999) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 113 mit Verweis darauf, dass die wandelnden Gläubiger notfalls die bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung erforderliche Bareinlage in Höhe des Mindestbetrages von 25.000 bzw. 50.000 EUR aufbringen. 2000) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 113. 2001) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 114. 2002) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 114. 2003) Simon, CFL 2010, 448, 453; siehe hierzu auch unten Fn. 2174.
403
§ 10 Bewertungsfragen
kleinsten Abweichungen vom tatsächlichen Wert eingreift. So ist Maier-Reimers Verständnis gut begründbar auch nur auf Basis der These von der Zulässigkeit der Nennwerteinbringung.
847 Entsprechend gehen die übrigen Autoren dann auch ohne weiteres davon aus, dass auch im Insolvenzplanverfahren die Einbringungshöhe der Forderungen keineswegs frei bestimmbar ist, sondern sich an der tatsächlichen Werthaltigkeit, zu ermitteln nach den gängigen Maßstäben, zu orientieren hat.2004) Im Folgenden soll zunächst auf Basis dieser h. M. dargelegt werden, welche Maßstäbe hierfür allgemein gelten.
c)
Relevanz der Bilanz-Buchwerte oder der tatsächlichen Vermögenswerte?
848 Sowohl beim Ansatz einer Schuldendeckungsquote wie auch bei der Neutralisierungsthese ist insofern – außerhalb der Insolvenz – für die Ermittlung der Rechengrößen ein Rückgriff auf die Bilanzwerte nötig.2005) Denn der Wert soll sich maßgeblich aus der Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva ergeben, wie sie in einer Bilanz verzeichnet sind. Fraglich bleibt dann aber, ob die Aktiva auch tatsächlich nach Buchwerten bestimmt werden sollen (also z. B. Anschaffungskosten, linear abgeschrieben) oder ob vielmehr tatsächliche Werte anzusetzen sind, mithin stille Reserven2006) und ein Geschäftswert zu berücksichtigen sind.
849 Dass Bilanzwerte auch in der Insolvenz noch eine Rolle spielen und nicht völlig ignoriert werden können, soll im Folgenden angenommen werden. Begründbar wäre dies mit dem Gedanken, dass das Insolvenzplanverfahren, um das es hier geht, gerade eine Fortführung der Gesellschaft im selben Gewand ermöglichen soll. Dies beinhaltet zwar regelmäßig eine Kürzung der Forderungen; teils bleiben sie aber eben bestehen. Die Kürzung muss auch bei allen Gläubigern eines Typus (also ungesicherte, gesicherte, etc.) jeweils gleichmäßig vorgenommen werden (Grundsatz der par condicio creditorum). Somit verringern sich die Werte der Bilanz hierdurch zwar (insbesondere auf Passivseite, durch Kürzung der Verbindlichkeiten), ___________ 2004) Siehe etwa Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1934; Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 378 f.; Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 47. 2005) Zu anderen Marktwert- oder liquiditätsorientierten Ansätzen s. o. Der am zukünftigen Cash Flow orientierte Ansatz von Weber/Schneider (oben Fn. 1940) wird letztlich seine Werte auch nicht aus der Luft greifen, ist aber nicht – auch nicht als Basis – an Bilanzwerte gebunden. 2006) Stille Reserven müssen auch nicht vorher aufgelöst werden, um die vereinfachte Kapitalherabsetzung überhaupt durchführen zu können, da anerkannt ist, dass die hieraus entstehende Steuerbelastung ansonsten die Sanierungsbemühungen vereiteln könnten, siehe Hüffer/Koch, AktG § 229 Rn. 11; L/H/Lutter § 58a Rn. 12. Es könnte gefragt werden, ob in der Insolvenz überhaupt noch stille Reserven übrig sind, wenn diese ggf. vorher in der Krise schon zu Geld gemacht wurden. Stecken diese aber z. B. in für die Produktion wichtigen Gütern, so ist dies nicht zwingend der Fall. Es kann aber wohl davon ausgegangen werden, dass bei einem bereits insolventen Unternehmen weniger stille Reserven vorhanden sind als bei einem solchen, das nicht insolvent ist.
404
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
ihre grundsätzliche Struktur bleibt im Regelfall aber erhalten. Dies rechtfertigt es auch, die in Bezug auf bilanzrechtliche Auswirkungen vorgetragenen Argumente im Kontext des Insolvenzplanverfahrens grundsätzlich zu berücksichtigen.
aa) Buchwerte Für eine statische Sicht unter Zugrundelegung von Buchwerten spricht sich insbe- 850 sondere Ekkenga2007) aus: nach seiner Ansicht ist auf den hier abgebildeten Vermögensstatus abzustellen, denn der Gesellschaft werde durch die Umwandlung in Nennkapital nicht Vermögen zugeführt, sondern ihr Vermögen werde in gewisser Höhe von der Schuld befreit. Daher sei eine rein bilanzielle Betrachtungsweise nötig, bei der allein maßgeblich sei, ob durch die Umwandlung ein Fremdkapitalposten bei der Gesellschaft wegfällt.2008) Es bedürfe einer reinen Substanzbewertung, die ohne prognostische Aspekte und ohne dynamische Einflussfaktoren wie etwa erwarteter Cash-flow auskommt. Dies begründet er damit, dass nur statische Methoden geeignet seien; die mit dynamischen Methoden einhergehende Rechtsunsicherheit würde sich hingegen „mit der formalen Strenge des Kapitalaufbringungsrechts schlechterdings nicht vertragen“.2009) Aus diesem Grund sei für die Berechnung der Werthaltigkeit die Deckungsquote der Forderung nach Bilanzwerten relevant, die nach Buchwerten (historische Anschaffungspreise, fortgeschrieben) zu ermitteln seien. Dies begründet er damit, dass ein Vermögenstransfer zu Marktkonditionen gerade nicht stattfinde. Auch sei allein eine strikt handelsbilanzielle Betrachtung geeignet, den Systemzusammenhang mit der nominellen Kapitalerhöhung zu wahren.2010) Probleme, die aufgrund der Unzulänglichkeit der Buchwerte auftauchen, seien z. B. durch „Minimierung der Kapitalerhöhungsziffer in Kombination mit einem Kapitalschnitt“ zu bewältigen.2011)
bb) Tatsächliche Vermögenswerte Die überwiegende Anzahl der Autoren spricht sich dagegen gegen die Berücksich- 851 tigung von Buchwerten und für die Heranziehung tatsächlicher Vermögenswerte aus, wie es auch in der Überschuldungsbilanz geschieht.2012) Bezüglich des Über___________ 2007) Ekkenga, DB 2012, 331, 335 f. 2008) Was z. B. nicht der Fall sein kann bei gleichzeitiger Besserungsabrede, so Ekkenga, DB 2012, 331, 335. 2009) Ekkenga, DB 2012, 331, 336; eine derartige Ablehnung der Berücksichtigung dynamischer Einflussfaktoren ist auch aus der Diskussion um den Überschuldungsbegriff bekannt, weil sich eine Dynamisierung mit der gesetzlich intendierten Schuldendeckungskontrolle nicht vereinbaren ließe, siehe Hüffer, FS Wiedemann, 2002, S. 1047, 1060. 2010) Ekkenga, DB 2012, 331, 336. Siehe hierzu bereits oben III. 1. b) jj) a. E. 2011) Siehe dazu Ekkenga, ZGR 2009, 581, 604 und 613. 2012) Priester, DB 2010, 1445, 1448; Groß, GmbHR 1983, 290, 294; MüKo-GmbHG/Märtens, 1. Aufl., 2010, § 19 Rn. 97; G. Müller, ZGR 1995, 327, 335 f.; Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 558; Diffring, S. 69 mit der zweifelhaften Begründung, dass bei Abstellen auf Buchwerte konsequenterweise auch die Forderung zum Buchwert (=Nennwert) eingebracht werden müsste.
405
§ 10 Bewertungsfragen
schuldungsstatus ist anerkannt, dass dieser nicht aus der Handelsbilanz bestehen kann, da diese wegen ihrer formalisierten Bewertungsgrundsätze nicht als Grundlage dienen kann: Die Ermittlung des (wahren) Vermögenswerts (und deren Gegenüberstellung zu den Verbindlichkeiten zwecks Ermittlung des Grades der Schuldendeckung) kann nicht gelingen aus den Fortschreibungen der Anschaffungskosten zu Buchwerten sowie den Abschreibungen.2013) Es müssen vielmehr die tatsächlichen Vermögenswerte ermittelt werden, womit weder die handelsrechtlichen Bewertungsregeln noch das Vorsichtsprinzip gelten.2014)
852 Entsprechend wird argumentiert, dass nicht ersichtlich sei, wieso stille Reserven bei der Ermittlung der Überschuldung i. S. d. § 19 InsO berücksichtigt werden dürften, bezüglich der Vollwertigkeit einer Forderung aber nicht.2015) Zudem gehe es nicht um eine Ausschüttungsbegrenzung wie bei § 30 GmbHG, sondern um eine hinreichende Deckung durch Vermögen.2016) Da stille Reserven2017) bei Verkauf des Gegenstandes gehoben werden könnten, seien sie auch zu berücksichtigen.2018) Auch könne sich das Registergericht bei der Sacheinlage aufgrund seiner weitergehenden Prüfungskompetenz von dem Vorhandensein stiller Reserven überzeugen. Somit sei der wirkliche Wert des Betriebsvermögens heranzuziehen; Gläubiger seien ausreichend geschützt durch die Prüfungspflicht des Registergerichts, die Differenzhaftung2019) und dadurch, dass die Gesellschaft erst dann Gewinne ausschütten darf, wenn sie ihre Verlustvorträge vollständig getilgt hat.2020) Im Kontext der Forderungsbewertung hat sich auch Fromm2021) (der hinsichtlich der Frage der Sacheinlagefähigkeit in einem vorhergehenden Prüfungsschritt allerdings auf die Handelsbilanz abstellen will und die Sacheinlagefähigkeit in Höhe eines etwaigen nicht ___________ 2013) K/P/B/Pape, § 19 Rn. 52; Jaeger/H.-F. Müller, InsO, § 19 Rn. 43; BGHZ 125, 141, 146; es wird aber darauf verwiesen, dass eine Abweichung von tatsächlichen Werten nach IFRS aufgrund derer Orientierung am fair value wohl geringer ausfallen würde als bei der klassischen HGB-Bilanz, siehe Hüttemann, FS K. Schmidt, 2009, S. 761, 768. 2014) HK-InsO/Kirchhof, § 19 Rn. 12. Allerdings kann der Ausweis des Postens „nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag“ Anlass sein, eine Überschuldungsprüfung vorzunehmen. Dies soll jedoch nicht präjudiziell sein, da stets noch stille Reserven bestehen können, siehe K/P/B/Pape, § 19 Rn. 53. 2015) G. Müller, ZGR 1995, 327, 335 f. 2016) So Priester, DB 2010, 1445, 1448. 2017) Dabei bleibt aber unklar, ob die stillen Reserven zu Liquidations- oder Fortführungswerten anzusetzen sind, siehe Ekkenga, DB 2012, 331, 336; so auch schon G. Müller, ZGR 1995, 327, 336 (werde wohl in das freie Ermessen des Tatgerichts gestellt). 2018) Priester, DB 2010, 1445, 1448, der mit ähnlicher Begründung auch einen originären Firmenwert berücksichtigen will, nicht aber einen erst zukünftig aufgrund der Sanierung erwarteten Geschäftswert. 2019) Diese ist beim DES im Insolvenzplanverfahren zwar gerade nach § 254 Abs. 4 InsO n. F. ausgeschlossen; eine Schutzkomponente besteht aber durch die Prüfungspflicht des Insolvenzgerichts, siehe hierzu unten in der Stellungnahme im Textteil zu Fn. 2027. 2020) Groß, GmbHR 1983, 290, 294. 2021) Fromm, ZInsO 2012, 1254, 1255.
406
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags verneint2022) dafür ausgesprochen, auf den Überschuldungsstatus abzustellen: Es gehe um einen rein vermögensrechtlichen Aspekt, weshalb der tatsächliche Wert der Forderung heranzuziehen sei, der insbesondere unter Aufdeckung stiller Reserven und auch unter Berücksichtigung von Rangrücktritten (als insolvenzrechtliche Besonderheit, die das Eigenkapital entlastet) zu ermitteln sei.2023) Somit will er die Forderungsbewertung nach der Deckungsquote in einer Überschuldungsbilanz abgebildet haben, die Einlagefähigkeit aber an der Handelsbilanz anknüpfen.2024)
cc) Stellungnahme Für Buchwerte kann angeführt werden, dass diese sich sofort und ohne weiterge- 853 hende Bewertung aus der Bilanz ablesen lassen, was eine Verfahrenserleichterung darstellen kann; dies gilt allerdings auch nur dann, wenn man nach Ekkenga für die gesamte Berechnung nur die Buchwerte heranziehen will. Will man mit Fromm die Sacheinlagefähigkeit nach Handelsbilanz, die Werthaltigkeit aber nach Überschuldungsbilanz ermitteln, so ist dieser Vorteil dahin. Im Kontext der bereits eingetretenen Insolvenz spricht aber viel dafür, auch die 854 rein insolvenzrechtliche Betrachtung anzunehmen, gerade weil maßgebliches Verfahrensziel die Verwertung ist und dabei immer auch stille Reserven und Geschäftswert verwertet und zur Schuldendeckung verwendet werden können.2025) Es war schon vor dem ESUG generell anerkannt, dass im Rahmen der Bewertung im Insolvenzverfahren keine Bindung an handels- oder steuerbilanzielle Werte gilt.2026) ___________ 2022) Siehe auch bereits oben Fn. 1979; diese Frage sei nicht deckungsgleich mit der Frage der Forderungsbewertung, sondern vor dem Hintergrund des Gläubigerschutzes und des damit einhergehenden Vorsichtsprinzips zu beleuchten. Dabei knüpfe das Gesetz insbesondere an der Kapitalzuführungspflicht in Form der freien Verfügbarkeit für den Vorstand an. Hierfür sei aber allein die Handelsbilanz nach den GoB (inkl. Vorsichtsprinzip) die richtige Bezugsgröße. Dafür spreche, dass auch sämtliche andere Vorschriften der Stammkapitalbehandlung an den handelsbilanziellen Grundsätzen anknüpfen (er nennt §§ 30, 43a, 49 III GmbHG). Vorteil wäre auch, dass sich die Einlagefähigkeit somit leicht aus der Bilanz erlesen lasse, siehe Fromm, ZInsO 2012, 1254, 1255. Den Aspekt der Notwendigkeit des Stehens zur freien Verfügung halten i. Ü. Cahn/Simon/ Theiselmann für nicht relevant, da beim DES keine effektive Vermögenszuführung stattfinde, die Anknüpfungspunkt für das Erfordernis der freien Verfügung sein könnte, und somit keine Gefahr bestehe, die diese Regelung verhindern wolle, siehe Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501, 504. Siehe hierzu aber auch Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 103. 2023) Fromm, ZInsO 2012, 1254, 1255; so auch Groß, GmbHR 1983, 290, 293; Scholz/Priester, § 56 Rn. 13. 2024) Fromm, ZInsO 2012, 1254, 1255 und oben III. 3. f). 2025) So auch Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 558; dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass in modernen Technologiebranchen der Geschäftswert größere Bedeutung hat als in klassischen Branchen (old economy), weshalb es zwischen diesen Branchen zu Ungleichbehandlungen kommen könnte, vgl. Hüttemann, FS K. Schmidt, 2009, S. 761, 774. 2026) K/P/B-Otte, § 229 Rn. 7; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 535 f.; Mitlehner, ZIP 2000, 1825; Nickert, BewP 2012, 82.
407
§ 10 Bewertungsfragen
Zwar kann die Argumentation pro tatsächlicher Werte im Kontext des Insolvenzplanverfahrens nur begrenzt auf das Argument zurückgreifen, die Gläubiger seien ausreichend geschützt durch die Prüfungspflichten des Registergerichts und die Differenzhaftung. Letztere ist durch § 254 Abs. 4 InsO n. F. gerade ausgeschlossen, und bezüglich der Prüfungspflichten ist umstritten, wie weit diese gehen. Nach hier vertretener Ansicht muss aber im Rahmen der Insolvenzplanbestätigung zwingend eine Prüfung durch das Insolvenzgericht stattfinden, so dass diesbezüglich Schutz gewährleistet wird.2027)
855 Hinzu kommt, dass die gesetzlichen Anforderungen an den Insolvenzplan ohnehin eine Bewertung des Vermögens nötig machen (siehe sogleich d), so dass diese auch direkt genutzt werden kann für eine Werteinbringung, die der Realität entspricht. Ein Abstellen auf tatsächliche Vermögenswerte ergibt sich auch aus der Systematik des Insolvenzplanrechts: Denn wie §§ 251, 253 InsO zeigen, ist Maßstab für das Vorgehen im Insolvenzplanverfahren immer die Regelinsolvenz.2028) In diesem Rahmen kann auch eine übertragende Sanierung erfolgen, bei der ebenfalls ein Bewertungsprozess stattfindet (wenn auch durch den Markt), der auf den tatsächlichen Vermögenswerten aufbaut. Daher müsse auch hier eine Bewertung anhand tatsächlicher Werte vorgenommen werden.
856 Daher ist vorzugswürdig, die tatsächlichen Vermögenswerte zu nehmen, die sich aus den in der Handelsbilanz ausgewiesenen Aktiva zzgl. stiller Reserven und eines ggf. bestehenden Geschäftswerts zusammensetzt.
d) Vorüberlegungen: Vorhandensein einer Datenbasis für die Bewertung im Insolvenz(plan)verfahren 857 Eine Analyse des vorzugswürdigen Bewertungsmaßstabs muss auch die Frage berücksichtigen, ob Werte (seien es Liquidations- oder Fortführungswerte) überhaupt ermittelt werden können bzw. ob hierfür auf bestehendes Datenmaterial zurückgegriffen werden kann. Dass solches Datenmaterial im Grundsatz zur Verfügung steht, soll im Folgenden kurz dargestellt werden.
858 Die Regelungen der InsO zur Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse in §§ 151 ff. InsO sowie zur Vermögensübersicht gemäß § 229 InsO kennen maßgeb-
___________ 2027) Siehe oben § 5. II. 3. c). 2028) Oben Fn. 1689.
408
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
lich zwei Werte: den Stilllegungswert2029) und den Fortführungswert2030). Als eigens anzugebender Wert werden sie gefordert zum einen durch die Angaben im Rahmen der Sicherung der Insolvenzmasse in §§ 151 ff. InsO, zum anderen im Rahmen der Anlagen zum Insolvenzplan gemäß § 229 InsO.
aa) Stilllegungswert und Fortführungswert nach § 151 InsO Nach § 151 InsO hat der Insolvenzverwalter ein Verzeichnis der Einzelgegenstände 859 der Insolvenzmasse aufzustellen und dabei grundsätzlich bei jedem Gegenstand dessen Wert anzugeben. Dies ist zunächst immer der Stilllegungswert, der als der bei Einzelveräußerung voraussichtlich erzielbare Wert abzüglich der Verwertungskosten definiert wird.2031) Dieser hängt vom konkreten Einzelfall ab und muss somit auch die tatsächliche Marktsituation sowie die ggf. durch die Insolvenz erschwerte Verwertung mit einbeziehen.2032) Hierfür kann zurückgegriffen werden auf empirische Daten, etwa aus Verkaufsdatenbanken von Auktionshäusern, die über die Zeit aufgebaut wurden.2033) ___________ 2029) Vielfach wird statt Stilllegungs- oder Zerschlagungswert auch die Bezeichnung Liquidationswert verwendet. Dass dieser Begriff unklar ist, wurde bereits oben erwähnt: der Liquidationswert bei Liquidation des Rechtsträgers und Verkauf des Unternehmens im Rahmen einer übertragenden Sanierung (L(R)) kann deutlich höher liegen als der Stilllegungswert (L(St)), siehe oben I. 3. a). Allerdings wird der „Liquidationswert“ im Zusammenhang der §§ 151 und 229 InsO fast immer als Stilllegungswert verstanden, weil er hier stets vom Fortführungswert abgegrenzt wird (den potentiellen Kaufpreis bei übertragender Sanierung als Fortführungswert einordnend BerlKomm/Breutigam, § 151 Rn. 24; Uhlenbruck/Maus, § 151 Rn. 8; Braun/Haffa/Leichtle, § 151 Rn. 10; abweichend MüKo-InsO/Füchsl/Weihäupl/Jaffé, § 151 Rn. 9 und HambKomm/Jarchow, § 151 Rn. 17, die diesen auch dann als Liquidationswert einordnen (wenngleich dieser auch höher sein könne als Einzel-Liquidationswert), wenn einzelne Gegenstände nur in ihrer Gesamtheit veräußerbar sind bzw. konkrete Anhaltspunkte für Verkaufsmöglichkeiten zusammenhängender Aktiva oder Teilbetriebe vorliegen). Wird dagegen vom Liquidationswert gesprochen, so ist dies meist auf den Einzelgegenstand bezogen, so etwa Höffner, ZIP 1999, 2088, 2089, der vom Zerschlagungswert des Unternehmens spricht, der sich aus den einzelnen Liquidationswerten der Gegenstände ergibt. Siehe hierzu auch Madaus, Insolvenzplan, S. 440 Fn. 17, der für die Verwendung des Begriffs „Zerschlagungswert“ plädiert, gerade da am Ende einer Liquidation auch der Fortführungswert erlöst werden kann, wenn das Unternehmen als Ganzes veräußert wird. 2030) Ein Ansatz von Fortführungswerten ist nur möglich, wenn eine leistungswirtschaftliche Sanierung möglich ist, aus der die Möglichkeit erwächst, dass das sanierte Unternehmen in der Zukunft einen positiven operativen Cash-Flow vorweisen kann; dies hat der Insolvenzverwalter im Vorhinein zu prüfen.2030 In einer solchen Ertrags- und Finanzplanung sind aufgrund der mit der bereits eingetretenen Insolvenz einhergehenden Unsicherheiten vorsichtige Planansätze und hohe Risikozuschläge anzusetzen, vgl. Steffan, ZInsO 2003, 106, 108. 2031) Zabel, in: Kübler, HRI, § 27 Rn. 61, a. A. N/R/Andres, § 151 Rn. 16: Verwertungskosten als Masseschulden zu erfassen. 2032) MüKo-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 151 Rn. 9; HambKomm/Jarchow, § 151 Rn. 17. 2033) Nickert, BewP 2012, 82, der aber auch darauf verweist, dass aus diesen empirischen Daten auch Substanzwerte als Wiederbeschaffungswerte entnommen werden können.
409
§ 10 Bewertungsfragen
860 Nach § 151 Abs. 2 S. 2 InsO sind im Verzeichnis der Massegegenstände neben dem Stilllegungswert auch der Fortführungswert anzugeben, sofern eine Fortführung des Unternehmens möglich ist. Gedanke hinter dieser Anordnung ist, dass den Gläubigern, denen die Verwertungsentscheidung obliegt, auf diese Weise ermöglicht werden soll, sich einen Überblick über die Alternativen zu verschaffen und der wertsteigernderen Verwertungsvariante den Vorzug zu geben.2034) Was als Idee nachvollziehbar klingt, kann aber in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen, da eine Bewertung zu Fortführungswerten für die Bewertungspraxis technisch komplex ist.2035) Probleme bereiten u. a. die immateriellen Rechtspositionen wie Know-How, Marktstellung, Kundenkartei2036), die zudem oftmals gerade aufgrund der eingetretenen Insolvenz als unsicher gelten.2037) Hinzu kommt die generelle Problematik, dass die gängigen Methoden der Unternehmensbewertung maßgeblich auf zukünftige Überschüsse abstellen, die aber bei einem insolventen Unternehmen schwer zu prognostizieren sind.2038)
861 Teils wird dabei auch die Ermittlung des Einzel-Fortführungswerts nötig.2039) Zumeist wird davon ausgegangen, dass er in zwei Schritten zu errechnen ist2040): zunächst ist der Unternehmenswert2041) zu ermitteln2042); dieser Wert ist dann auf die Einzel-Vermögenswerte zu übertragen2043), um das Aktivvermögen zu ermitteln und zugleich die Frage zu beantworten, welche Aktiva absonderungsberechtigten ___________ 2034) Uhlenbruck/Maus, InsO, § 151 Rn. 6. 2035) Nickert, BewP 2012, 82; Uhlenbruck/Maus, § 151 Rn. 6; BerlKomm/Breutigam, § 151 Rn. 25; dies führt dazu, dass die Ermittlung eines Fortführungswerts vereinzelt als schlechthin unmöglich angesehen wird, weshalb man davon absehen sollte, ihn überhaupt zu errechnen (Quadratur des Kreises), siehe Förster, ZInsO 1999, 555, 556. Dies wird allerdings maßgeblich damit begründet, dass bei eingetretener Insolvenz die Ertragswertbestimmung mangels Rendite nicht möglich sei, a. a. O. S. 556. Mit einer derartigen Unsicherheit hat die Unternehmensbewertung aber oftmals zu kämpfen, ohne dass mit dieser Begründung direkt resigniert wird. 2036) BerlKomm/Breutigam, § 151 Rn. 25; Höffner, ZIP 1999, 2088, 2089; 2037) Zu weiteren Faktoren, die bei gesicherten Forderungen zu Wertabschlägen führen können, siehe Eckert/Harig, ZInsO 2012, 2318. 2038) MüKo-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 151 Rn. 11; Höffner, ZIP 1999, 2088, 2091. 2039) Dies gilt jedenfalls für absonderungsberechtigte Gläubiger und den Wert des Absonderungsguts, weil nach § 152 Abs. 2 S. 3 InsO für den mutmaßlichen Ausfall auch der Einzel-Fortführungswert (aufgrund des Verweises in § 152 Abs. 2 InsO a. E. auf § 151 Abs. 2 S. 2 InsO) zwingend zu ermitteln ist, vgl. Uhlenbruck/Maus, § 151 Rn. 8 a. E. (der ansonsten eine EinzelAufstellung der Fortführungswerte als nicht nötig ansieht). 2040) Aufzählung der gängigen Methoden hierfür bei HambKomm/Jarchow, InsO, § 151 Rn. 22; Zabel, in: Kübler, HRI, § 27 Rn. 62 verweist darauf, dass diese aber in der Praxis zumeist keine Anwendung finden, sondern auf Schätzungen rekurriert wird. 2041) Kritisch diesbezüglich aber MüKo-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 151 Rn. 12 f. 2042) Ist eine Fortführung im Insolvenzplanverfahren angestrebt, wird hierfür auch die Anwendung des DCF-Verfahrens für möglich gehalten, siehe HambKomm/Jarchow, § 151 Rn. 22; Mitlehner, ZIP 2000, 1825, 1827. 2043) Siehe auch IDW RH HFA 1.010, Rn. 37.
410
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
Gläubigern zugeordnet sind. Die Aufstellung gibt dabei üblicherweise einen Gesamtwert an, zeigt aber zugleich, welcher Teil davon den absonderungsberechtigten Gläubigern zusteht.2044) Für die konkrete Aufteilung des Gesamtvermögenswerts auf die einzelnen Gläubiger wird eine Anlehnung an die Teilwertfiktion nach § 6 EStG vorgeschlagen2045): Teilwert ist demnach der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt.
bb) Fortführungswert im Rahmen des § 229 InsO Speziell für das Insolvenzplanverfahren gibt es die Norm des § 229 InsO, die zu- 862 sätzliche Voraussetzungen aufstellt für den Fall, dass das Unternehmen durch Sanierung per Insolvenzplan fortgeführt werden soll und die Befriedigung durch Erträge aus dieser Fortführung geschieht.2046) Unter Erträgen, aus denen die Gläubiger bei Fortführung befriedigt werden, wird auch der Gewinnanspruch bei Ausgabe von Anteilsscheinen, mithin auch der Fall des DES, verstanden.2047) So ist nach § 229 S. 1 InsO dem Insolvenzplan zum einen eine Vermögensüber- 863 sicht beizufügen, in der die Vermögensgegenstände und die Verbindlichkeiten mit ihren Werten aufgeführt werden, wie sie sich im Zeitpunkt des Wirksamwerden des Plans gegenüberstünden. Insofern unterscheidet sich diese Aufstellung von der nach §§ 151, 153 InsO, die auf den Zeitpunkt der Insolvenzverfahrenseröffnung zu erstellen ist.2048) Bezüglich § 229 InsO ist anerkannt, dass die von ihm vorausgesetzte Vermögensübersicht bei Ansatz von Fortführungswerten die leistungswirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Sanierungseffekte in der sanierten Gesellschaft zu berücksichtigen hat.2049) Mit der ergänzenden Notwendigkeit der Auflistung der zu erwartenden Aufwen- 864 dungen und Erträge für den Zeitraum, während dessen die Gläubiger befriedigt
___________ 2044) Etwa im Rahmen des ohnehin anzugebenden mutmaßlichen Ausfalls der absonderungsberechtigten Gläubiger nach § 152 Abs. 2 S. 3 InsO (siehe oben Fn. 2039). 2045) Steffan, ZInsO 2003, 106, 109; kritisch aber BerlKomm/Breutigam, § 151 Rn. 25, die auf die wenig praxisgerechte Ausgestaltung dieses sehr komplexen Instituts verweisen; insgesamt ablehnend Höffner, ZIP 1999, 2088, 2091. 2046) Siehe hierzu Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 528 ff. 2047) HK-InsO/Haas, § 229 Rn. 2. 2048) HK-InsO/Haas, § 229 Rn. 3; K/P/B-Otte, § 229 Rn. 4; Braun/Braun/Frank, § 229 Rn. 3. 2049) So Steffan, ZInsO 2003, 106, 110; HambKomm/Thies, § 229 Rn. 4 bzgl. Forderungsverzichten, die mit Insolvenzplan-Inkrafttreten eintreten, nicht aber Änderungen im sich anschließenden Zeitraum (Plan-GuV und Liquiditätsplanung dagegen für gesamten Sanierungszeitraum); BerlKomm/Flöther/Wehner, InsO, § 229 Rn. 4 bzgl. bereits erzielter Verhandlungsergebnisse.
411
§ 10 Bewertungsfragen
werden sollen (§ 229 S. 2 InsO), wird ein Ergebnisplan (als Plan-GuV)2050) verlangt. Zuletzt ist nötig eine Darstellung, durch welche Abfolge von Einnahmen und Ausgaben die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens während dieses Zeitraums gewährleistet werden soll (§ 229 S. 2 a. E. InsO). Dies wird als Finanzplan im Sinne einer Liquiditätsrechnung verstanden.2051) Bei beiden muss die beabsichtigte Fortführung anhand belastbarer betriebswirtschaftlicher Daten, die auf den Annahmen des darstellenden Teils des Plans beruhen, nachvollzogen werden, was zumeist anhand einer (Plan-)Verprobungsrechnung geschieht.2052) Sie stellen somit, da auf die Zukunft bezogen, notwendigerweise Prognoserechnungen unter handelsrechtlichen Gesichtspunkten dar,2053) die jeweils auch Sondereffekte aus dem Insolvenzplan zu berücksichtigen haben.2054) Wichtig ist dabei, dass diese einen Zeitraum umfassen, der mit Insolvenzplanbestätigung beginnt und zumeist bis zum Ende der per Plan intendierten Gläubigerbefriedigung geht.2055)
865 Die Berechnungen des Fortführungswerts sowohl im Rahmen des § 151 InsO als auch des § 229 InsO werden als notorisch schwierig2056) bezeichnet. Die dabei auftretenden Schwierigkeiten reichen von grundsätzlichen Fragen der Ermittlung des Einzelfortführungswerts, den die Betriebswirtschaftslehre in diesem Sinne nicht kennt2057), zu Einzelfragen, etwa wie Dauerschuldverhältnisse und deren Kündi___________ 2050) Braun/Braun/Frank, § 229 Rn. 5 ff.; K/P/B-Otte, § 229 Rn. 14 ff; BerlKomm/Flöther/ Wehner, § 229 Rn. 6; problematisch ist diesbezüglich, dass diese vielfach auf Vergangenheitswerten aufbauen, die nach handelsbilanziellen Grundlagen ermittelt wurden, während für die Vermögensübersicht tatsächliche Vermögenswerte unter Einbeziehung etwa stiller Reserven gelten, siehe N/R/Braun, InsO, § 229 Rn. 27 f. und Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 539 f. im Detail. Die a. a. O. S. 540 auf den DES bezogene Problematik gilt dagegen nach dem hier untersuchten DES nicht, da in dieser Untersuchung nicht davon ausgegangen wird, dass Alt-Anteilseigner weiterhin beteiligt bleiben. 2051) BerlKomm/Flöther/Wehner, § 229 Rn. 9; Braun/Braun/Frank, § 229 Rn. 7. Durch das ESUG ist dies in S. 3 dahingehend ergänzt worden, als dass dabei auch die Gläubiger zu berücksichtigen sind, die zwar ihre Forderungen nicht angemeldet haben, jedoch bei der Ausarbeitung des Plans bekannt sind. Dies soll verhindern, dass ein Plan durch nachträglich angemeldete Forderungen doch noch scheitert und ist daher im Zusammenhang mit §§ 259a, 259b InsO n. F. zu sehen. Nähere Details und Kritik diesbezüglich bei HambKomm/Thies, § 229 Rn. 6 ff. 2052) Zabel, in: Kübler, HRI, § 27 Rn. 94. 2053) Zabel, in: Kübler, HRI, § 27 Rn. 102, 121; BerlKomm/Flöther/Wehner, § 229 Rn. 6. 2054) In einem zweiten Schritt nach einer Planrechnung zunächst ohne diese Sondereffekte, zu Details siehe Zabel, in: Kübler, HRI, § 27 Rn. 112 ff. zu der Plan-GuV und 137 ff. zu einer PlanBilanz, aus der dann der Finanzplan entwickelt wird. 2055) BerlKomm/Flöther/Wehner, InsO, § 229 Rn. 6; Zabel, in: Kübler, HRI, § 27 Rn. 102. 2056) Förster, ZInsO 2003, 555 f.; Mitlehner, ZIP 2000, 1825, 1826; Nachweise auch bei Höffner, ZIP 1999, 2088, 2089 Fn. 29, der auch insgesamt zu dem wenig befriedigenden, wenngleich nachvollziehbaren Ergebnis kommt, dass die Fortführungswerte gar nicht anzugeben seien, notfalls auf Wiederbeschaffungswerte abzustellen sei mit der Anmerkung, dass diese nicht mit den eventuellen Befriedigungschancen übereinstimmen, a. a. O. S. 2092. 2057) Siehe Nickert, BewP 2012, 82, 85.
412
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
gung sowie daraus resultierende Schadensersatzansprüche2058) zu berücksichtigen sind. Insofern werden regelmäßig Sachverständigengutachten eingeholt werden.2059) Allerdings hat der BGH entschieden, dass es im Verantwortungsbereich des Insolvenzrichters liegt, welche Anforderungen an die im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens vorzulegenden Übersichten und Prognoserechnungen zu stellen sind, da bindende Vorgaben für alle in Betracht kommenden Planverfahren schon wegen der Vielfalt der in Betracht kommenden Pläne und der unterschiedlichen Schuldner nicht gemacht werden können.2060)
cc) Bedeutung für die vorliegende Untersuchung Datenmaterial ist somit im Insolvenzplanverfahren idealerweise vorhanden. Prob- 866 lematisch könnte allerdings sein, dass die soeben dargestellten Anforderungen für Werte im Insolvenzplan nicht per se die selbe Zweckrichtung haben wie die Kapitalaufbringungsgrundsätze, die als Grundpfeiler der Forderungsbewertung zu beachten sind. §§ 151, 153 InsO und insbesondere § 229 InsO sollen maßgeblich den gegenwärtigen Gläubigern dabei behilflich sein, sich einen Überblick über die Verwertungsentscheidung generell und über das Plankonzept im Einzelnen zu verschaffen und später die Plandurchführung zu überwachen.2061) Daneben dienen sie auch dem Gericht, im Rahmen der §§ 245, 247, 251 sowie ggf. des § 231 InsO über die Rechtsmäßigkeit des Plans zu entscheiden.2062) Die Regeln zur Kapitalaufbringung sollen dagegen maßgeblich den zukünftigen Geschäftsverkehr, insbesondere in Person der Neugläubiger, schützen.2063) Dies macht die Werte aber nicht unbrauchbar; die §§ 151, 229 InsO sind im Kontext der Abgrenzung Fortführungswert zu Liquidationswert insofern relevant, weil sie zeigen, dass Fortführungswerte kein völliges Novum im Insolvenzplanverfahren sind.2064)
___________ 2058) Braun/Braun/Frank, § 229 Rn. 10; siehe hierzu auch im Rahmen der Bewertung von Sicherheiten beim DES Eckert/Harig, ZInsO 2012, 2318, 2321. 2059) MüKo-InsO/Eilenberger, § 229 Rn. 12; BerlKomm/Flöther/Wehner, § 229 Rn. 3: durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zu kontrollieren. 2060) BGH ZIP 2010, 341 in Bezug auf einen Insolvenzplan im Rahmen einer Freiberufler-Insolvenz. 2061) Zabel, in: Kübler, HRI, § 27 Rn. 1 und 42 ff.; Graf-Schlicker/Kebekus/Wehler, § 229 Rn. 3; kritisch diesbezüglich Mitlehner, ZIP 2000, 1825, 1826 f., der diese Funktion nicht von 151, wohl aber auf Basis der Angaben nach § 229 InsO erfüllt sieht. 2062) Braun/Braun/Frank, § 229 Rn. 4. 2063) Und daneben die gegenwärtigen Anteilsinhaber, s. o., was in der hier geführten Diskussion aber keine Rolle spielt, da diese regelmäßig ausscheiden. 2064) Auch der Grundsatz der sorgfältigen Prognose wird im Rahmen des § 153 InsO inhärent gesehen, obwohl dieser auf den Stichtag der Verfahrenseröffnung abstellt, Zabel, in: Kübler, HRI, § 27 Rn. 46 ff.
413
§ 10 Bewertungsfragen
e)
Unterscheidung zwischen gesicherten und ungesicherten Gläubigern
867 Fraglich ist noch, welche Auswirkungen die Existenz gesicherter neben ungesicherten Gläubigern auf die Forderungsbewertung hat.
868 Außerhalb der Insolvenz ist streitig, ob die Tatsache, dass eine Forderung gesichert ist, Einfluss hat auf deren Bewertung.2065) Gegen eine solche Berücksichtigung spricht sich im konkreten Kontext des DES etwa Ekkenga aus mit der Begründung, dass die für eine Forderung bestellten Sicherheiten bilanzneutral und damit unbeachtlich seien und ihnen zudem „regelmäßig eine Regressforderung des Sicherungsgebers gegen die Gesellschaft gegenüber stehen wird“.2066) Dagegen gehen andere Autoren davon aus, dass sich der Wert gesicherter Forderungen nach dem Wert der Sicherheit richtet.2067) So könne Vollwertigkeit einer Forderung trotz Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ausnahmsweise vorliegen, wenn sie durch eine den Nennwert erreichende werthaltige Sicherheit gedeckt ist.2068)
869 Fraglich ist, wie sich dies im Insolvenzverfahren darstellt. Dort nehmen die gesicherten Gläubiger regelmäßig die stärkste Stellung ein.2069) Aufgrund ihres Absonderungsrechts ist es oftmals wahrscheinlich, dass sie an einer Liquidation interessiert sind, weil sie auf diese Weise den erzielten Wert ihrer Sicherheit abzüglich 9 % erhalten. Dies ist aber nicht immer der Fall: Für sie kann auch ein DES von Interesse sein, wenn eine übertragende Sanierung (und damit der Einzelpreis für das ___________ 2065) Beim Überschuldungsstatus ist anerkannt, dass dingliche Sicherheiten, Bürgschaften o. ä., die Dritte für Forderungen gegen die Gesellschaft gegeben haben, unberücksichtigt bleiben auf Aktivseite, auch wenn diese Forderung im Insolvenzfall vollwertig wäre. Ob Firmenwert aktiviert werden kann, ist streitig; nach derzeitigem Überschuldungsbegriff ist dies aber auch nicht unmittelbar relevant, da bei positiver Fortführungsprognose ohnehin nicht nach Fortführungswerten aufgestellt werden muss, da dann schon gar keine Überschuldung vorliegen kann, K/P/B/Pape, § 19 Rn. 62. 2066) Ekkenga, ZGR 209, 581, 600 f., was aber aufgrund dieser Erwähnung darauf hindeutet, dass er hiermit maßgeblich Drittsicherheiten meint; ebenso gegen die Berücksichtigung BeckOKGmbHG/Ziemons, § 19 Rn. 123. 2067) Michalski/Ebbing, GmbHG, § 19 Rn. 91; Henssler/Strohn/Verse, § 19 GmbHG, Rn. 26; Paulus, DZWiR 2008, 6, 9; L/H/Bayer, § 19 Rn. 28; mit umfassenden weitergehenden Überlegungen Hölzle, in: Kübler, HRI, § 31 Rn. 87 ff., insb. Rn. 90; Groß, GmbHR 2009, 290, 293 f., der das Beispiel der Einbringung einer Forderung bringt, die durch ein Grundpfandrecht voll abgedeckt ist. Dann stehe die Umwandlung der Forderung der Einlage des belasteten Grundstücks zum Rückzahlungsbetrag gleich, da in dieser Höhe der Sicherungsgegenstand als Haftungsgrundlage für Verbindlichkeiten frei werde. 2068) MüKo-GmbHG/Märtens, 1. Aufl., 2010, § 19 Rn. 100; RGZ 94, 61, 63 f. zu einem Fall, bei dem eine Sicherung in Form einer Hypothek bei Kapitalerhöhung einer AG relevant war. 2069) Dass ohne die gesicherten Gläubiger eine Reorganisation vielfach nicht möglich ist, ist i. Ü. eines der maßgeblichen Argumente der creditors‘ bargain-Theorie: indem ihre Rechte voll respektiert werden und sie nicht drohen, im Rahmen der Reorganisation zugunsten der ungesicherten Gläubiger und Anteilseigner Werte zu verlieren, können sie erst von der Zustimmung zum Plan überzeugt werden, siehe Jackson, 91 Yale L. J. 857, 868 ff. (1982).
414
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
Sicherungsgut) wenig einbringt oder kein Käufer vorhanden ist, das Sicherungsgut aber alleinstehend auch kaum Wert hat (z. B. speziell gelegenes Betriebsgrundstück2070), sonderangefertigte Maschine2071).2072) Ebendiese begrenzte Nutzbarkeit wirkt sich dann auch auf einen Liquidationswert aus, der bei Stilllegung niedrig ausfällt.2073) Die höhere Rangposition gesicherter Gläubiger gegenüber ungesicherten Gläubi- 870 gern führt dabei zu abweichenden Resultaten: die außerhalb der Insolvenz von der h. M. aufgestellte Notwendigkeit der Ermittlung einer Schuldendeckungsquote zur Ermittlung des Forderungswerts kann nicht mehr allgemein für sämtliche Forderungen aufgestellt werden. Vielmehr müssen die als Sicherheit verwendeten Vermögensgegenstände ebenso ausgeklammert werden wie die hiermit gesicherten, absonderungsberechtigten Forderungen.2074) Dies darf bzgl. der gesicherten Forderungen aber nur in der Höhe des erwarteten Absonderungserlöses2075) geschehen, da sie mit dem unbesicherten Teil Insolvenzgläubiger sind. Hinzu kommt, dass die Bewertung bei Sicherheiten wie Grundpfandrechten (asset-based) ggf. leichter zu ermitteln ist als bei solchen, bei denen die Sicherheit cash-flow based ist, zumal bei letzterer der Wert auch von der Frage der Fortführung oder Stilllegung abhängt.2076) ___________ 2070) Steffan, ZInsO 2003, 106, 108. 2071) So das Beispiel bei Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 558, bei dem der Maschinenpark als maßgebliches Anlagevermögen einen Fortführungswert hat (3 Mio. €), der den Wert unter (Einzel-) Liquidationsgesichtspunkten (100.000 €) bei weitem übersteigt. 2072) Die gesicherten Gläubiger sind auch dann nicht biased towards liquidation, wenn sie von vornherein die Übernahme der Firma intendiert haben, siehe oben § 2. VII. 1. d), insb. Fn. 208. 2073) Nach Ansicht von Simon, CF 2010, 448, 452 kann aber auch eine gesicherte Forderung einen geringen Wert haben. Zunächst folge deren Wert nämlich nicht aus dem Fortführungswert des Schuldnerunternehmens, sondern aus dem Wert der vorhandenen Sicherheiten. Diese Gläubiger seien aber dann regelmäßig zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Aus diesem Zustand müsse dann aber zugleich ein Wertabschlag resultieren, denn in die Rechte der Absonderungsberechtigten könne durch den Insolvenzplan eingegriffen werden, so dass diese nicht unabhängig vom Verfahrensausgang mit einer vollen Befriedigung rechnen könnten. Gegen diese Betrachtung spricht aber, dass Grundprinzip des Insolvenzplans bei Vergleichsrechnungen immer der Vergleich mit einer Situation ohne Plan ist (kein Eingriff in die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger), und nicht der mit einer mit anderem möglichen Plan, der ggf. in ihre Rechte eingreift. Mit anderen Worten: ein Wertabschlag kann nicht daraus resultieren, dass in irgendeinem denkbaren anderen Szenario ein Eingriff möglich wäre. Zudem ist der Eingriff in Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger ohne deren Zustimmung nur schwer möglich unter § 245, 251, 253 InsO, da ihnen zumindest immer das zu gewährleisten ist, was sie in der Regelinsolvenz erhalten würden, siehe MüKo-InsO/ Eidenmüller, vor §§ 217 bis 269, Rn. 26 a. E. 2074) Siehe Nickert, BewP 2012, 82, 86, dort als Korrektur 3 bezeichnete Einordnung der Absonderungserlöse als Außenverbindlichkeiten. 2075) Auf die Bewertung von Sicherheiten, die den Wert gesicherter und im Rahmen des DES einzubringender Forderungen bestimmen, gehen Eckert/Harig, ZInsO 2012, 2318 ff. näher ein. 2076) Zum asset-based lending und den damit einhergehenden niedrigeren Überwachungskosten siehe Brinkmann, S. 51 f.
415
§ 10 Bewertungsfragen
871 Der Gesetzestext der InsO enthält zu dieser Frage keine Aussage. Auch der RegEESUG hatte sich hierzu nur teils geäußert: „Zugleich sind Regelungen für eventuell bestellte Sicherheiten zu treffen. Ein Gläubiger, dessen Forderung gesichert ist, wird sich regelmäßig überlegen müssen, ob er einer Umwandlung seiner Forderung in einen Anteil zustimmt und hierdurch möglicherweise seine Sicherung verliert oder ob er seine Forderung behält und den Ausfall beim Sicherungsgeber geltend macht.“2077) Der Gesetzgeber scheint durch Verweis auf den Sicherungsgeber, bei dem ein Ausfall geltend zu machen ist (dies kann nur eine andere Person als der Schuldner sein), hier auch nur die Drittsicherheiten zu meinen und trifft zudem keine direkte Aussage zu der Frage, ob sich die Besicherung auch auf die Forderungsbewertung auswirkt.2078)
872 Eine Irrelevanz der Besicherung könnte allenfalls damit begründet werden, dass die gesicherten Forderungen ja durch eigene2079) Aktiva der Gesellschaft gesichert sind und somit einer fixen Summe Verbindlichkeiten eine fixe Summe Aktiva gegenübersteht. Dass die Inhaber gesicherter Forderungen bei der Verteilung im Falle der (Regel-)Insolvenz privilegiert sind, so könnte argumentiert werden, ändere nichts am grundsätzlichen Verhältnis von Aktiva zu echten Passiva und damit nichts an der grundsätzlichen Vermögenssituation.
873 Eine solche Überlegung würde aber ausblenden, dass die Insolvenz bereits eingetreten ist und somit die Verwertungsfunktion bereits im Vordergrund steht. Eine generelle Deckungsquote ohne Berücksichtigung der Verwendung von Teilen der Aktiva als Sicherungsgut würde gesicherte und ungesicherte Gläubiger gleich behandeln und den durch vorherige Sicherheiteneinräumung erzielten Vorteil eliminieren. Gerade in der Insolvenz aber soll sich dieser Vorteil nach der Konzeption der InsO auswirken.2080) Somit ist die Besicherung bei der Berechnung der einzelnen Forderungen immer zu berücksichtigen.2081) Hierdurch entsteht aber nicht zwingend weiterer Aufwand, da die als Sicherheit verwendeten Aktiva in der Vermögensübersicht ohnehin ausgewiesen werden2082) (siehe § 152 Abs. 2 InsO) und die Werte somit ohnehin ermittelt werden müssen.2083) ___________ 2077) RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 31. 2078) HambKomm/Thies, § 225a Rn. 23 deutet dies dennoch dahingehend, dass der Wert der Sicherheit regelmäßig in die Forderungsbewertung mit einzubeziehen ist. 2079) Drittbesicherung wäre nicht zu berücksichtigen, da diese durch den DES entfallen würde und somit der Gesellschaft der in der Drittbesicherung liegende Wert nicht zukommen würde. 2080) Für den zudem im Zweifel niedrigere Zinsen in Kauf genommen wurden, was den gesicherten Gläubiger nochmals belasten würde. 2081) So geht auch das Beispiel bei Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 586 f. davon aus, dass Anteile in Höhe des Werts der Sicherheit umgewandelt werden. Eingehend zu der Frage der Bewertung von Sicherheiten beim DES, maßgeblich im Fall der Globalzession, Eckert/Harig, ZInsO 2012, 2318 ff. 2082) N/R/Braun, § 229 Rn. 22. 2083) Siehe oben c).
416
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
Die Forderungswertermittlung kann, dies sei in diesem Zusammenhang erwähnt, 874 im Einzelfall auch davon abhängen, welche Kapitalstruktur das Unternehmen nach der Plansanierung aufweist. Es ist denkbar, dass absonderungsberechtigte Gläubiger ihre bestehenden Darlehen zum Teil stehen lassen2084) und dafür auch die Sicherheiten behalten. So ist es in der Praxis des Chapter 11 üblich, dass die Sicherungsrechte der gesicherten Gläubiger bestehen bleiben, wenn das Unternehmen im Rahmen einer Reorganisation fortgeführt wird. Dass dieses Fortbestehen des lien des secured creditor üblich ist, hat sich sogar in den cram down rules in § 1129(b)(2)(A) US-BC niedergeschlagen.2085) Allerdings kann das bisherige Darlehen nur in Höhe des Werts der Sicherheit fortbestehen; mit dem ungesicherten Teil (Ausfall) wird der Darlehensgeber regulärer ungesicherter Gläubiger (junior creditor). Im Ergebnis ist somit die Besicherung einer Forderung bei deren Bewertung zu be- 875 rücksichtigen.
2.
Bewertungsmaßstab für die Ermittlung des Verkehrswerts
Während sich der Gesetzgeber grundsätzlich gegen eine Nennwerteinbringung beim 876 DES im Insolvenzplanverfahren ausgesprochen hat2086), so hat er doch eine Präzisierung unterlassen, ob im Rahmen des Vollwertigkeitsprinzips auf Liquidationswerte oder auf Fortführungswerte abzustellen ist.2087) Dies ist aber die Kernfrage des DES, weil hiervon die Einbringungshöhe der einzelnen Forderungen abhängt.
___________ 2084) Zabel, in: Kübler, HRI, § 27 Rn. 139. 2085) Diese lautet: For the purpose of this subsection, the condition that a plan be fair and equitable with respect to a class includes the following requirements: (A) With respect to a class of secured claims, the plan provides – (i) (I) that the holders of such claims retain the liens securing such claims, whether the property subject to such liens is retained by the debtor or transferred to another entity, to the extent of the allowed amount of such claims; and (II) that each holder of a claim of such class receive on account of such claim deferred cash payments totaling at least the allowed amount of such claim, of a value, as of the effective date of the plan, of at least the value of such holder’s interest in the estate’s interest in such property; siehe hierzu auch Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1318 (1992) und Broude, 39 Bus. Law. 441, 451 f. (1984). 2086) Siehe RegE-ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32: „Die Werthaltigkeit der Forderung wird aufgrund der Insolvenz des Schuldners regelmäßig reduziert sein und der Wert wird nicht dem buchmäßigen Nennwert entsprechen, sondern deutlich darunter liegen.“ 2087) Brinkmann, WM 2011, 97, 101.
417
§ 10 Bewertungsfragen
a) Liquidationswert 877 Einige Autoren wollen auf den Wert abstellen, der der eingebrachten Forderung im Insolvenzverfahren zukommen würde, wenn es zur Liquidation käme.2088) Dabei wird darauf verwiesen, dass für die Frage der Werthaltigkeit nach allgemeinen Grundsätzen der Sachkapitalerhöhung auf den Zeitpunkt der Anmeldung zum Handelsregister abgestellt wird.2089) Da zu diesem Zeitpunkt noch eine in der Insolvenz befindliche, mangels Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen offensichtlich nicht lebensfähige Gesellschaft vorliegt, bleibe nur der Liquidationswert. In die Richtung des Liquidationswerts wird z. T die amtliche Begründung zum ESUG interpretiert, wenn sie davon spricht, dass „hierbei (…) auch die Quotenerwartung berücksichtigt werden (kann).2090) Aus dieser Erwähnung der Quotenerwartung wird vereinzelt gefolgert, dass auch der Gesetzgeber den Liquidationswert wolle.2091) Dies ist aber nicht zwingend so zu lesen: man könnte dies als Untergrenze des anzusetzenden Wertes verstehen, wenn etwa eine Rechtsträgerliquidation und übertragende Sanierung nicht in Betracht kommt, weil damit wichtige rechtsträgergebundene Berechtigungen untergehen würden.2092) Damit ist aber nicht gesagt, dass dies zwingend der anzunehmende Wert ist.
b) Fortführungswert 878 Die Gegenansicht will dagegen auf den Fortführungswert abstellen.2093) Sie hält das Abstellen auf den Stichtag der Anmeldung zum Handelsregister für ein rein ___________ 2088) Simon, CF 2010, 448, 452; Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 555; Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 15; Fuhst, DStR 2012, 418, 423 (jeweils aber ohne darauf einzugehen, ob dies bei Liquidation allein des Rechtsträgers (L(R)) oder des Unternehmens insgesamt (L(St)); Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464 spricht sich dafür aus, durchaus den Unternehmensgesamtwert bei Rechtsträgerliquidation (L(R)) zu nehmen, sofern sich das Unternehmen veräußern ließe. 2089) Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 555 unter Verweis u. a. auf BGHZ 132, 141, 155 und L/H/Bayer, § 9 Rn. 5. Es ist auch zu lesen, dass der Liquidationswert deswegen angesetzt werden müsse, weil Liquiditätsbeschaffung in der Krise regelmäßig ausscheide, da die Beleihung des Vermögens kaum mehr möglich sei, siehe Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464. Hiergegen könnte angeführt werden, dass die Frage, ob in der Krise Liquidität beschafft werden kann (durch Verwertung einzelner Vermögensgegenstände), im Stadium der Insolvenz insofern an Relevanz verliert, als dass das Insolvenzverfahren maßgeblich der Befriedigung der Gläubiger dient, so dass die Verwertung bereits Verfahrensziel ist. Gleichzeitig stellt die Insolvenz auch eine Art „Schutzraum“ dar, in dem das Unternehmen zunächst weiterarbeiten soll, ohne unmittelbar von Vollstreckungsmaßnahmen bedroht zu sein. Zuletzt lässt das Insolvenzplanverfahren auch gerade eine Streckung der Gläubigerbefriedigung zu, womit die Liquidität nicht mehr alles bestimmend im Vordergrund steht. Damit sollte dieser Aspekt auch nicht bestimmend für den Bewertungsansatz sein. 2090) RegE-ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32. 2091) Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 642. 2092) Auch Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 556 als Vertreter der Liquiditätsansatzes gesteht ein, dass aus dem Verweis auf die Quote nichts geschlossen werden kann. 2093) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 376 f.; K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087; Horstkotte/ Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 47. Siehe generell zum Begriff des Fortführungswertes im Insolvenzplanverfahren Madaus, Insolvenzplan, S. 439 ff.
418
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
formales Argument. Vielmehr sei anerkannt, dass auch bei Sachgesamtheiten wie Unternehmen die Einbringung als Sacheinlage nicht daran scheitert, dass deren Wertermittlung einer Prognose bedarf.2094) Mit Hinblick auf das Stattfinden im Insolvenzplanverfahren wird argumentiert, dass der unter der Fortführungsprämisse geschätzte gegenwärtige Verkehrswert heranzuziehen sei, da dies die Planperspektive sei.2095) Es spreche nichts dagegen, going concern-Gesichtspunkte zugrunde zu legen, solange verantwortlich von einer erfolgreichen Plansanierung ausgegangen werden könne.2096) Die Argumentation, dass zukünftige Sanierungserfolge keine Berücksichtigung finden dürften, sei „jedenfalls undifferenziert“.2097) Dabei wird zur Begründung auf die Formulierung des BGH in der IBH/Lemmerz- 879 Entscheidung abgestellt, nach der „der Aktionär (…) eine Umwandlung seiner Darlehensforderung nur in einer Höhe verlangen (kann), in der die Gesellschaft sie entsprechend ihrem Leistungsvermögen erfüllen kann; denn danach bemisst sich ihre Werthaltigkeit.“2098) Da aber die Tilgung der Forderung in der Zukunft liege, könne hiermit auch nur die zukünftige Leistungsfähigkeit gemeint sein, was dann auch sich erst in der Zukunft auswirkende Sanierungsmaßnahmen beinhalte.2099) ___________ 2094) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 376 f. und 378; a. A. Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 556: während bei Unternehmen eine Bewertung nach Ertragswertmethode anerkannt sei, sei eine Forderung damit aber nicht zu vergleichen. 2095) K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087; a. A. Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 15: nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens scheide „Fortführung“ als Grundlage der Bewertung im Ansatz aus; unklar insofern Eidenmüller, Bankrechtstag 2011, S. 129, 149, nach dem es auf den Einzelfall ankomme, „also darauf, ob unter den gegebenen Umständen die Unternehmensfortführung oder die Liquidation des Unternehmens die ökonomisch sinnvolle Lösung ist“; damit müsste wohl der Fortführungswert genommen werden, denn wenn ein DES stattfindet, geschieht dieser immer mit dem Ziel, das Unternehmen fortzuführen, was die Gläubiger nur beschließen werden, wenn es sich als ökonomisch sinnvollere Lösung darstellt. Kann dagegen objektiv festgestellt werden, dass die Liquidation ökonomisch sinnvoller ist, würde der Plan nach §§ 251, 253 InsO am Widerstand bloß eines Gläubigers scheitern, weil diese dann in der Fortführung weniger erlangen würden als bei Liquidation. Auf den Fortführungswert mit Verweis auf die beabsichtigte Fortführung im Insolvenzplan hatten auch schon Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 543 abgestellt. Diesen Wert wollen sie bei ihren nachfolgenden Überlegungen zur internen Verteilung aber sowohl bei der gesellschaftsrechtlichen als auch der insolvenzrechtlichen Verteilungsregel anwenden. Zweifelhafte Interpretation aber bei Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 12 Fn. 58, der den Fortführungswert als Ergebnis der gesellschaftsrechtlichen Verteilungsregel sieht. Bei letzterer geht es aber um die interne Verteilung der Kapitalanteile nach durchgeführtem DES, eine Frage, die durch das ESUG eindeutig in Richtung „insolvenzrechtliche“ Verteilungsregel gelöst worden ist. Die Frage der Bewertung geht der Verteilung somit vor, soll aber nicht Folge einer solchen Verteilungsmethode sein. 2096) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 47: dies auch, wenn es mit gravierender Veränderung der leistungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen einhergehe. 2097) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 379. 2098) BGHZ 110, 47, 61. 2099) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 379.
419
§ 10 Bewertungsfragen
880 Es wird auch zurückgegriffen auf den Ansatz der true value-Bewertung2100): Bewertungsabschläge seien demnach (ausgehend von den Anschaffungskosten) nur dann vorzunehmen, wenn diese zu einer dauerhaften Wertminderung führen (mit Verweis auf § 253 Abs. 3 HGB), womit anerkannt sei, dass auch prognostische Aspekte berücksichtigt werden könnten.2101) In der Tat gilt in der Insolvenz der Grundsatz, dass die „wahren Werte“ anzusetzen sind, womit der zu erzielende Preis gemeint ist; dabei gibt es keine Obergrenzen z. B. in Höhe der Anschaffungsoder Herstellungskosten.2102)
881 Als gewissermaßen zielbezogenes Argument wird vorgebracht, dass bei Abstellen auf den Liquidationswert der „Sanierungsansatz“ des Insolvenzplans diskreditiert würde.2103) Denn dies würde zu einer Konterkarierung des gesetzgeberischen Anliegens führen, das darin bestand, die Sanierung per Insolvenzplan zu fördern; eine Orientierung allein an Zerschlagungswertgesichtspunkten sollte durch die Plansanierung gerade überwunden werden.2104) Die Planalternative würde ad absurdum geführt, wenn lediglich Zerschlagungswerte angesetzt werden könnten.2105)
882 Dass auch der Gesetzgeber zukünftige Sanierungserfolge habe einbeziehen wollen, zieht diese Ansicht als Rückschluss aus dem Ausschluss der Differenzhaftung nach § 254 Abs. 4 InsO n. F. Diese Regelung wäre kaum nötig gewesen, wenn der Gesetzgeber den Ansatz des Forderungswerts ohne Berücksichtigung von zukünftigen Zahlungsmittelzuflüssen und Sanierungserfolgen (also des Liquidationswerts) gewollt habe, denn dann wäre eine Differenzhaftung gar nicht in Betracht gekommen.2106) Indem er diese aber ausdrücklich ausgeschlossen habe, habe er gezeigt, dass er auch ein Scheitern der Sanierung für möglich gehalten habe, deren potentielles Gelingen aber nichtdestotrotz habe berücksichtigen wollen.2107) Zuletzt kann hierfür auch eine Parallele zur übertragenden Sanierung, dem Vergleichsszenario des Insolvenzplans, gezogen werden: ihr wird die Funktion zugesprochen, die Erzielung des Fortführungsmehrwerts zugunsten der Gläubiger zu ermöglichen.2108)
___________ 2100) Hierzu Gottwald/Drukarczyk/Schöntag, InsR-Hdb, 4. Aufl., 2010, § 3 Rn. 78. 2101) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 47. 2102) Nickert, BewP 2012, 82. 2103) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 47. 2104) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 47. 2105) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 47. 2106) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 379. 2107) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 379; dagegen Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 557: auch der Liquidationserlös in der Zerschlagungsinsolvenz ist zu prognostizieren und kann Fehleinschätzungen beinhalten, weshalb allein diesbezüglich Kalkulationssicherheit gegeben werden sollte. 2108) Vgl. Kluth, ZinsO 2002, 258, 262.
420
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
c)
Stellungnahme
aa) Heranziehbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes? Fraglich ist, ob ein Fortführungswert unter Berücksichtigung von Sanierungseffekten 883 nicht schon deswegen für zwingend nötig befunden werden kann, weil im Insolvenzverfahren das Gebot der Gläubigergleichbehandlung gilt. Maier-Reimer2109) befürwortet im Kontext der Forderungsbewertung, zukünftige 884 Sanierungserfolge mit einzubeziehen. Nach seinem Modell kann eine Forderung zum vollen Nennwert eingebracht werden, sofern die Summe der umgewandelten Forderungen so groß ist, dass durch ihren Entfall der Status der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit überwunden wird. Diese Berücksichtigung des Sanierungseffekts des DES bei der Forderungswertermittlung begründet er damit, dass mit der Umwandlung zugleich die verbleibenden Forderungen der anderen (nicht umwandelnden) Gläubiger vollwertig würden. Dieser Effekt tritt zwar unabhängig davon ein, ob zu Verkehrswert oder zu Nennwert umgewandelt wird, weil die Höhe des Nennkapitals nichts damit zu tun hat, welche Verbindlichkeiten auf dem Unternehmen lasten. Werde aber nur der Verkehrswert genommen, so Maier-Reimer, so würden die umwandelnden Gläubiger im Verhältnis zu den nicht-umwandelnden Gläubiger diskriminiert, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund bestehe.2110) Dieser Ansatz könnte im Kontext des Insolvenzplanverfahrens zwar nicht vom Er- 885 gebnis, wohl aber von der Argumentation her weiterentwickelt werden: indem im Insolvenzverfahren – anders als vor der Insolvenz – grundsätzlich die Gläubigergleichbehandlung gilt, müssen die Gläubiger hinsichtlich der Auswirkungen der durch den DES erfolgten Sanierung auch gleichbehandelt werden. Die nichtumwandelnden Gläubiger müssen im Insolvenzplan zwar regelmäßig eine Kürzung ihrer Forderungen hinnehmen; auch nach Kürzung werden die ihnen verbleibenden Rest-Forderungen aber höher sein als die bei Liquidation.2111) Ihnen wird somit gewissermaßen ein Teil des Fortführungswerts zugewendet.2112) Daher stellt sich
___________ 2109) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 126 f. 2110) Maier-Reimer, in: VGR 2011, S. 107, 127. 2111) Jedenfalls dürfen sie nicht niedriger sein, da sie ansonsten schlechter gestellt würden als ohne Insolvenzplan und sich daher ggf. auf § 245 Abs. 1 Nr. 1, § 251 Abs. 1 Nr. 2 oder § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO berufen könnten. 2112) Siehe die Beispielsrechnung bei Steffan, ZInsO 2003, 106, 107 f.: insgesamt höhere Befriedigung sowohl für gesicherte als auch für ungesicherte Gläubiger. Dagegen geht Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 17 davon aus, dass auch die nicht-umwandelnden Gläubiger nur die Liquidationsquote ausgezahlt bekommen, keinesfalls mehr; damit erklärt sich teils dann wohl auch seine Opposition gegen ein Abstellen auf den Fortführungswert.
421
§ 10 Bewertungsfragen
die Frage, warum dies bei den umwandelnden Gläubigern anders sein sollte und sie auf den Liquidationswert „reduziert“ werden?2113)
bb) Drohender spill over-Effekt? 886 Die Tatsache, dass andere Kapitalgeber von Handlungen des umwandelnden Gläubigers profitieren, ist in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur zum DES als sog. spill over-Effekt bekannt.2114) Er bezeichnet den Vermögenstransfer von den umwandelnden Gläubigern hin zu den übrigen Gläubigern.2115) Konkret besteht der Vermögenstransfer in der Reduktion des Risikos der anderen Fremdkapitalgeber, weil durch den DES eine Sanierung ermöglicht wird, die die Erfüllung der verbleibenden Forderungen wieder wahrscheinlicher macht. In dessen Folge sinkt aber entsprechend der Anreiz der umwandlungswilligen Gläubiger, die Umwandlung durchzuführen.2116) Als Konsequenz wird hieraus gezogen, dass es ohne die Bereitschaft der anderen Gläubiger, sich ebenfalls in gewisser Weise an der Restrukturierung zu beteiligen und somit indirekt auf zumindest einen Teil der spill over-Effekte zu verzichten, außerhalb der Insolvenz nicht zu einem DES kommen wird.2117)
887 Allerdings ist im Insolvenzplanverfahren zu beachten, dass eine solche Kürzung der Forderungen auch der anderen (nicht umwandelnden) Gläubiger regelmäßig durch den Insolvenzplan geschieht, und zwar – sofern die Voraussetzungen der Insolvenzplanannahme bzw. der §§ 245, 251, 253 InsO erfüllt sind – auch gegen den ___________ 2113) Dies wäre etwa relevant in einem Szenario, in dem ein Teil der neuen Anteile (z. B. 30 %) aus Barkapital als Bareinlage und der andere Teil (z. B. 70 %) per DES-Sacheinlage aufgebracht wird und sich aber nur die Hälfte der Gläubiger an der Umwandlung beteiligt, während die andere Hälfte ihre gekürzte (aber nicht so stark wie im Regelverfahren gekürzte) Forderung weiterbestehen lässt. Hier wäre ein berechtigtes Interesse der DES-Inferenten zu erkennen, für ihre Forderungsumwandlung auch einen dem Fortführungswert (der erst durch ihre DESSanierungsleistung erreicht werden kann) entsprechenden Anteil am reorganisierten Unternehmen zu erhalten. 2114) Siehe die Ausführungen von Daimer, S. 30 unter Rückgriff auf James, 8 Review of Financial Studies 1209, 1213 ff. (1995). 2115) An sich profitieren vom spill over-Effekt auch die Anteilseigner; da deren Residualanspruch in der Krise und erst recht in der Insolvenz aber zumeist wertlos ist, wird dieser Effekt bei Debt Equity Swaps ausgeblendet, siehe Daimer, S. 30. 2116) Daimer, S. 30. 2117) Daimer, S. 30. Dies wird bei Daimer anhand eines Modells nachgewiesen, das post-ESUG erst recht Geltung haben muss, da nunmehr auch Überwindung der Ablehnung des Plans durch die Gruppen der Alt-Anteilseigner unter Anwendung des Obstruktionsverbots nach § 245 Abs. 1, 3 InsO möglich ist. Das Modell ging nämlich davon aus, dass die Zustimmung der Alt-Anteilseigner unproblematisch möglich sei, „da diese aufgrund der Überschuldung des Unternehmens durch den Debt-Equity-Swap nicht schlechter gestellt werden können“; diese Annahme mochte auf wirtschaftlicher Vernunft begründet sein, übersah aber die hold-outRisiken nach altem Recht. Indem diese nunmehr beseitigt sind, gilt das Ergebnis der Modellrechnung erst recht: „Folglich sind unter den Annahmen des Modells ein DES erst dann möglich, wenn die übrigen Fremdkapitalgeber im Rahmen der Restrukturierung auf einen Teil ihrer Ansprüche verzichten und sich ebenfalls an der Restrukturierung beteiligen (…)“, a. a. O. S. 31 f.
422
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
Willen einiger oder aller Gläubiger. Insofern wird bereits hierdurch der spill overEffekt ganz überwiegend ausgeschaltet. Eine taugliche Argumentation mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung 888 kann aber nur dann gelingen, wenn ein zwingender Zusammenhang zwischen Besserstellung der nicht-umwandelnden Gläubiger durch Ansetzen von Liquidationswerten beim DES der umwandelnden Gläubiger hergestellt werden könnte. Gerade dies gelingt im Insolvenzplanverfahren aber regelmäßig nicht, da die Vermögenssituation der Gesellschaft (als Indikator der Werthaltigkeit der verbleibenden, nicht umgewandelten Forderungen) nicht unmittelbar dadurch verbessert wird, dass die umzuwandelnden Forderungen nur zu einem geringen Anteil zu Nennkapital umgewandelt werden. Indem im Insolvenzplanverfahren, wie gezeigt, zudem der spill-over-Effekt größtenteils ausgeschaltet wird, gibt es auch keine anderweitigen Auswirkungen. Zudem ist der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzplanverfahren bereits eingeschränkt: so ist nach § 226 Abs. 1 InsO die Ungleichbehandlung innerhalb einer Gruppe unzulässig, nicht zwingend aber die Ungleichbehandlung von Gläubigern unterschiedlicher Gruppen, solange nur die Gewährleistung des Vermögenswerts gesichert ist, den der Gläubiger in der Regelabwicklung erlangt hätte.2118) Was in Anbetracht des fehlenden zwingenden Zusammenhangs aber verbliebe, wäre 889 eine generelle „Gleichbehandlungs“-Idee: wenn die nicht-umwandelnden Gläubiger durch den DES besser gestellt werden, als sie bei der Liquidation der Gesellschaft stünden, dann könnte dies auch den umwandelnden Gläubigern zuerkannt werden, indem zu ihren Gunsten bei der Forderungsbewertung die Sanierungseffekte, die durch ihren DES erst erreicht werden, einberechnet werden.2119) Dieser Gedanke wird im Folgenden noch Berücksichtigung finden2120); entscheidend ist aber zunächst, dass die Berücksichtigung von Sanierungseffekten damit nicht bereits durch die par condicio creditorum erzwungen wird.
___________ 2118) N/R/Braun, § 226 Rn. 1 a. E., Rn. 3. Andererseits erfolgt die Einteilung in Gruppen regelmäßig anhand derer Rechtsstellung, vgl. § 222 Abs. 1 (also klassischerweise ungesicherte Gläubiger, absonderungsberechtigte Gläubiger, etc.). Ob deshalb auch etwa zwischen ungesicherten umwandelnden und ungesicherten wandelnden Gläubigern differenziert werden kann, hängt vom Einzelfall ab; § 222 Abs. 2 InsO verlangt für die Bildung von Gruppen mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen aus einer Masse von Beteiligten gleicher Rechtsstellung eine sachgerechte Abgrenzung und die Angabe dieser Kriterien im Plan. Es spricht aber vieles dafür, hinsichtlich der umwandelnden Gläubiger eine eigene Gruppe zu bilden, so HambKomm/ Thies, § 222 Rn. 19; zustimmend K. Schmidt/Spliedt, § 222 Rn. 16. 2119) Denn die höhere Bewertung würde sich etwa in dem in Fn. 2113 aufgezeigten Szenario vorteilhaft auswirken. 2120) Seine Beachtlichkeit hängt maßgeblich davon ab, ob damit zugleich andere Beteiligte geschädigt werden könnten; siehe hierzu unten cc).
423
§ 10 Bewertungsfragen
cc) Statische Bezugnahme auf Zeitpunkt der Anmeldung? 890 Ohnehin wird der oben dargestellte, von Maier-Reimer gezogene Rückschluss von anderen Autoren schon im Grundsatz bestritten: Aus der Tatsache, dass verbleibende Forderungen nach Verwirklichung der Sanierungsmaßnahme vollwertig würden, dürfe nicht abgeleitet werden, dass die umgewandelten damit vollwertig würden.2121) Einzig relevant sei auch in der Insolvenz der Zeitpunkt der Einbringung; wenn zu diesem Zeitpunkt die Forderungen nicht vollwertig waren und folgerichtig eine Abwertung vorgenommen wird, könne damit auch keine sachwidrige Ungleichbehandlung einhergehen.2122) Nach Simon setzt die Annahme von Fortführungswerten „die Umsetzung eines Sanierungskonzepts gerade voraus, dessen Teilakt der Debt Equity Swap selbst ist.“2123) Ein Wechsel im Bewertungskonzept von Zerschlagungszu Fortführungswerten können daher ohne eine weitergehende gesetzliche Regelung in der InsO (die nicht ausdrücklich erfolgt ist) nicht angenommen werden.2124)
891 Ersteres Argument spricht bei näherer Betrachtung aber gar nicht gegen die oben angenommene Schlussfolgerung, sondern wiederholt nur den Standpunkt des Abstellens auf den Liquidationswert: denn es geht ja gerade um die Frage, ob statisch auf den Zeitpunkt der Anmeldung (damit keine Berücksichtigung von Sanierungseffekten) abgestellt wird oder ob bereits durch den Plan ermöglichte Sanierungseffekte mit einbezogen werden können. Das Argument von Simon ist ebenfalls nicht zwingend: man könnte umgekehrt sagen, dass der Fortführungswert gerade zu berücksichtigen sei, weil der DES ein Teilakt des Sanierungskonzepts ist und somit dessen Auswirkungen zu beachten sind; mit dieser Argumentation müsste, wenn schon nicht sämtliche Sanierungsmaßnahmen, zumindest der aus dem DES resultierende Sanierungseffekt berücksichtigt werden.
892 Die Vorzugswürdigkeit des Fortführungswert-Ansatzes könnte auch aus der Systematik des reformierten Insolvenzplanrechts gezogen werden. Diese zieht in verschiedenen Normen den Liquidationswert immer als Untergrenze heran, wie u. a. aus §§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 251 Abs. 1 Nr. 2, 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO ersichtlich wird. Daher könnte gefragt werden, warum die umwandelnden Gläubiger auf diesem Mindeststandard hängenbleiben sollten, wenn doch die Unternehmensfortführung im Insolvenzplanverfahren der Realisierung des Fortführungswerts zugunsten der Gläubiger dienen soll.2125) Auch spricht hier einiges dafür, den besonderen Kontext ___________ 2121) Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 556; Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 15. 2122) Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 556. 2123) Simon, CF 2010, 448, 452. 2124) Simon, CF 2010, 448, 452. 2125) Dies würde auch nicht übersehen, dass auch bei übertragender Sanierung ein „Fortführungswert“ realisiert werden kann, denn der DES wird immer gerade dann eine Option sein, wenn bei Durchführung einer übertragenden Sanierung entscheidende Werte verloren gehen würden.
424
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
des Insolvenzplanverfahrens zu beachten und darauf abzustellen, dass durch den Plan die Fortführung des Unternehmens beabsichtigt wird.2126)
dd) Sanierungsförderung als taugliches Argument? Zwar ist fraglich, ob ein taugliches Argument darin bestehen kann, dass der Ge- 893 setzgeber Sanierungen habe fördern wollen und somit ein Ansatz von Liquidationswerten „den Sanierungsansatz konterkarieren“2127) würde. Denn „Sanierung als Selbstzweck“ oder „Sanierung um jeden Preis“ wird nach deutschem Verständnis vielfach abgelehnt.2128) Vergleichbare Ansätze für eine solche Argumentation finden sich zwar etwa in Gesetzesmaterialien und Literatur zur Chapter 11-Reorganisation, wo Abweichungen von den sonst geltenden Regeln (konkret von der absolute priority rule) zu Lasten einiger Gläubiger damit gerechtfertigt werden, dass „promotion of successful reorganizations“ eines der Ziele des Chapter 11 sei.2129) Auch das französische Recht kennt eine solche Privilegierung im Sanierungsfall.2130) ___________ 2126) In diese Richtung K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087: der „unter der Fortführungsprämisse geschätzte gegenwärtige Verkehrswert“ (der nicht zwingend zugleich der Nennwert ist), denn dies sei die Planperspektive. 2127) So Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 47; zu deren Argumentationsverlauf wird verwiesen auf den Text oben zu den Fn. 2103 bis 2105. 2128) Siehe etwa Kanzler/Mader, GmbHR 2012, 992: Opferung auf dem „Altar insolvenzrechtlicher Sanierungsinteressen“. Zu dem Begriff der „Insolvenzkultur“ siehe Vallender, NZI 2010, 838; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 517. 2129) Dass Erhalt des Fortführungswerts und der Produktivität eines der Ziele der Reorganisation sein können, wird vom Gericht ausgesprochen in In re Dollar Assoc. Inc. 172 B.R. 945, 950 (Bankr. N. D. Cal. 1994); siehe auch Georgakopoulos, 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125, 158 (1997): Society has a diversified stake in all firms, not only as the taxing authority, but also as the beneficiary of increased economic activity.“ Zugleich ergeben sich die Unterschiede in der amerikanischen Diskussion auch etwa daraus, dass die Gesetzgebungsmaterialien durchaus offen gelassen haben, wem die Differenz zwischen Liquidations- und Fortführungswert zustehen soll (was bei strikter Beachtung der absolute priority rule eigentlich unstreitig sein sollte): “In any particular case, especially a reorganization case, the determination of which entity should be entitled to the difference between the going concern value and the liquidation value must be based on equitable considerations based on the facts of the case.”, H.R. REP. No. 595, 95th Cong., 1st Sess. 339 (1978), zitiert nach Nimmer, 36 Emory L. J. 1009, 1046 Fn. 89 (1987); ähnlich für das deutsche (Vergleichs)-Recht noch Balz, ZIP 1988, 1438, 1441; siehe auch Meyer, 24 Ind. L. Rev. 417, 434 Fn. 128 (1990) und Rusch, 19 Pepp. L. Rev. 1311, 1316 (1991). 2130) Im französischen Recht gab es mit Art. 626-17 S. 2 code de commerce eine Regelung, die sogar die Nennwerteinbringung ermöglichte, wenn dies im Rahmen eines Insolvenzplans geschah. Art. L 626-17 S. 2 code de commerce lautet: Les associés ou actionnaires sont tenus de libérer le capital qu'ils souscrivent dans le délai fixé par le tribunal. En cas de libération immédiate, ils peuvent bénéficier de la compensation à concurrence du montant de leurs créances admises et dans la limite de la réduction dont elles sont l'objet dans le plan sous forme de remises ou de délais. Zu der Frage, ob in einer Abwägung der gesamtwirtschaftliche Nutzen durch die so ermöglichte Sanierung tatsächlich höher zu bewerten sei oder ob die mit dem Sanierungsprivileg einhergehende Gefahr und der zu erwartende Schaden bei den Gläubigern außer Verhältnis stehe zu besagtem Nutzen, siehe Pujol S. 385.
425
§ 10 Bewertungsfragen
894 In der Tat ist auffällig, dass der Gesetzgeber etwa den Ausschluss der Differenzhaftung in § 254 Abs. 4 InsO n. F. trotz grundsätzlichem Anerkenntnis dieser Haftung als eines der Fundamente des Kapitalaufbringungsgrundsatzes damit begründet, dass ansonsten vor dem Szenario der drohenden späteren Haftung kein Gläubiger einen DES durchführen würde und daher deren Ausschluss „nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu geboten (sei), um der Zielsetzung des Regierungsentwurfs zu genügen.“2131) Der Wille zur Ermöglichung der Sanierung zeigt sich auch im § 259a InsO n. F., nach dem Zwangsvollstreckungen nach Verfahrensaufhebung aufgehoben oder untersagt werden können, wenn hierdurch die Sanierung gefährdet würde.2132) Die Förderungswürdigkeit der Sanierung wäre aber allein dann ein taugliches Argument, wenn hierdurch keine anderen Beteiligten, insbesondere nicht zukünftige Gläubiger, schlechter gestellt bzw. gefährdet werden.2133) In diesem Kontext hat die Diskussion zur Nennwerteinbringung gezeigt, dass mit einer von der bisherigen h. M. abweichenden Bewertung nicht zwingend Gefahren einhergehen, abgesehen von einem Abweichen vom bisher herrschenden Verständnis der realen Kapitalaufbringung. Die Argumentation mit der intendierten Sanierung gelingt aber wohl besser, wenn auf das ansonsten drohende Szenario abgestellt wird: die Gläubiger könnten den DES und damit die entscheidende Sanierungsmaßnahme (die neben dem Aufbringen von neuem Barkapital zwingend nötig wäre) gänzlich unterlassen, weil sie hiermit nur einen geringen Anteil am Unternehmen erreichen würden. Diese Erkenntnis, dass ansonsten bei hieran scheiternder Sanierung erst Recht Werte zerstört würden, in Verbindung mit einem strengen Maßstab und einer Prüfungspflicht des Gerichts bei Planbestätigung2134), könnte hier einen handhabbaren Ausgleich schaffen.
ee) Abstellen auf Fortführungswerte als Ausdruck der Unternehmensfortführung als Planprämisse? 895 Insoweit verdichtet sich die Problematik auf die Frage: ist im Insolvenzplanverfahren tatsächlich mit Verweis auf den Zeitpunkt der Handelsregisteranmeldung allein ein Abstellen auf Liquidationswerte möglich, oder kann eine teils abweichende Auslegung des Grundsatzes der realen Kapitalaufbringung erfolgen mit Verweis auf die Unternehmensfortführung als Planprämisse? Wenn letzteres bejaht würde: ist dies vorzugswürdig oder birgt dies zu hohe Risiken? Zu einer Einschätzung dieser Frage kann wiederum auf die Erkenntnisse der Debatte um die Nennwerteinbringung zu___________ 2131) Siehe Gegenäußerung der Bundesregierung, Anlage 4 zu RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 67 ff., dort S. 70. Siehe zur Kritik an dieser Aussage aber oben § 5. II. 5. 2132) So ausdrücklich RegE-ESUG, BT-Drs. 17/5712, S. 37 als Erläuterung der Gesetzesformulierung „Gefährdung der Durchführung des Insolvenzplans“. 2133) Siehe hierzu auch Diffring, S. 73 zu der Rechtfertigung einer Sanierungsprivilegierung und ggf. auftretenden Marktverzerrungen. 2134) Wie hier vertreten, siehe oben § 5. II. 3. c) und 5.
426
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
rückgegriffen werden. Dort wurde gezeigt, dass im speziellen Fall eines DES den (verbleibenden und neuen) Gläubigern mit Umwandlung zu einem niedrigen Wert nicht zwingend geholfen ist, da mit einem großen Wertabschlag auf die Forderung zugleich der Verlustvortrag verringert wird, womit die Gesellschaft schneller wieder ausschüttungsfähig wird. Dies wird noch dadurch beschleunigt, dass bei einem niedrigen Nenn-/Grundkapital zukünftige Zuflüsse in geringerer Höhe in das gläubigerschützende Kapitalschutzsystem eingebunden werden.2135) Hinzu kommt, dass in der Insolvenz in fast allen Fällen die Eigentümerschaft komplett wechselt, weil die Alt-Anteile schon vor dem Hintergrund der absoluten Vorrangregel untergehen müssen, will man nicht riskieren, dass der Plan an § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO scheitert.2136) Somit wäre für die DES-Investoren die Höhe des Nennkapitals letztlich nicht alles entscheidend, solange sie nur ein für ihre Zwecke ausreichendes Stimmrechtsquorum erreichen.2137) Damit wären die Gefahren einer zu früh wieder ermöglichten Ausschüttungsfähigkeit bei Ansatz eines niedrigeren Bewertungsansatzes (des Liquidationswerts) aber nicht ohne weiteres vernachlässigbar. Zugleich ist zu betonen, dass ein Ansatz von Fortführungswerten kein Freibrief für 896 die Inferenten sein wird, ihre Forderungen zu beliebigen Werten umzuwandeln. Dieser Eindruck wird in verschiedenen Horrorszenarien immer wieder vermittelt, wenn im Zusammenhang mit dem durch § 254 Abs. 4 InsO n. F. verfügten Ausschluss der Differenzhaftung zugleich von gänzlich stammkapitallosen Gesellschaften die Rede ist, die aus der Insolvenz austreten und in den Markt eintreten würden.2138) Dieser Ausschluss der Differenzhaftung soll allerdings in dem zwei-stufigen Schutzkonzept des Gesellschaftsrechts lediglich die zweite Stufe entfallen lassen, die in der ex post-Haftung besteht. Dass damit auch die ex ante-Kontrolle durch das Gericht (ob Insolvenzgericht oder Registergericht2139) entfallen soll, würde die mit § 254 Abs. 4 InsO n. F. intendierte Regelung überinterpretieren.2140) Bei dieser Prüfung wäre ein Fortführungswert dann auch wenig problematisch, da – anders ___________ 2135) Siehe oben III. 1. b) ee). 2136) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 508 Fn. 28 und oben § 7. Fn. 959. 2137) Dies gilt wiederum nur eingeschränkt, sofern daneben neue Anteile per Bar-Kapitalerhöhung geschaffen werden, da im Verhältnis zu diesen dann die Einbringungshöhe doch relevant ist, siehe oben Fn. 2113. Dies wäre wiederum nur anders, wenn sämtliches Barkapital auch von den umwandelnden Gläubigern stammt, im gleichen Verhältnis zu ihren jeweiligen DESSacheinlagen. Dies dürfte aber selten der Fall sein, weil ggf. nicht jeder umwandelnde Gläubiger auch Interesse hat, neben seiner Forderung auch Barkapital zu investieren. 2138) Siehe etwa Hölzle, KTS 2011, 291, 324; ders., NZI 2011, 124, 129; Römermann, GmbHRReport 2011, 369, 370. 2139) Siehe hierzu umfassend bereits oben § 5. II. 3. 2140) Insofern auch nicht zutreffend die Bewertung des § 254 Abs. 4 InsO n. F. durch Simon/ Merkelbach, NZG 2012, 121, 124, dass hiermit „das System der effektiven Kapitalaufbringung und damit auch das Abstellen auf die Vollwertigkeitsthese ad absurdum“ geführt werde – dies wäre nur der Fall, wenn gar nicht mehr geprüft würde, nicht aber, wenn ex ante eine sorgfältige Prüfung durchgeführt wird.
427
§ 10 Bewertungsfragen
als bei der Nennwerteinbringung – ja kein offensichtlich überhöhter Wert angesetzt wird, sondern den Gläubigern in Form des sanierten Unternehmens tatsächlich durch die Sanierung erhöhte Werte als Haftungsmasse zur Verfügung stehen.2141) Dies beinhaltet natürlich, dass allein solche Sanierungsschritte berücksichtigt werden dürfen, die mit dem Insolvenzplan unmittelbar umgesetzt werden; die Konstruktion des Insolvenzplans ermöglicht dies, da mit § 254 Abs. 1 InsO etwa der Verzicht der Gläubiger auf Teile der Forderungen oder mit § 254a InsO n. F. die Zeichnung der neuen Anteile gegen Entfall der Forderung nicht noch individuell erklärt werden müssen, sondern mit Insolvenzplanbestätigung unmittelbar Wirkung erlangen. Dies unterscheidet die hiermit erreichten Effekte etwa von bloßen Sanierungshoffnungswerten außerhalb der Insolvenz, die etwa noch der Umsetzung durch die Geschäftsleitung in der Zukunft bedürfen oder noch von zu erklärenden Forderungsverzichten einiger Gläubiger abhängen. Phantasiewerte sind nicht zulässig, konkret abschätzbare Sanierungseffekte aber müssen keinesfalls ignoriert werden. Indem der Insolvenzplan in seinem gestaltenden Teil ein Gesamt-Sanierungspaket enthält, können dessen Auswirkungen auch bei der Bewertung berücksichtigt werden.
897 Insofern ist eine Berücksichtigung zukünftiger Sanierungserfolge im Rahmen eines Fortführungswert-Ansatzes keineswegs ausgeschlossen.
ff) Weitergehende Differenzierung zwischen verschiedenen zu berücksichtigenden Sanierungsmaßnahmen? 898 Es bleibt aber die Frage, ob aus anderen Gründen, namentlich solchen der Gläubigergleichbehandlung, innerhalb des Fortführungswertes noch zwischen den einzelnen Sanierungsmaßnahmen zu differenzieren ist. In Betracht kommen hierfür: 1. Sämtliche Sanierungsmaßnahmen: Zunächst käme in Betracht, für die Forderungsbewertung auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens nach Durchführung der Sanierungsmaßnahmen in ihrer Gesamtheit abzustellen. 2. Nur durch den DES bewirkte finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen: Möglich wäre des Weiteren der Ansatz eines Fortführungswertes, der nur die durch den DES herbeigeführten finanzwirtschaftlichen Sanierungseffekte (also maßgeblich den Forderungsentfall, ggf. hierdurch verbesserte Kreditkonditionen) berücksichtigen würde.2142) ___________ 2141) Siehe Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467; Nickert, BewP 2012, 82: In die Masseverzeichnisse müssen die zu erwartenden Preise (zu Fortführungswerten, siehe oben) aufgenommen werden, da mit nicht realisierbaren Werten alleine kein Schuldendeckungspotential ausgewiesen wird; umgekehrt könnte hieraus geschlossen werden, dass dann, wenn sich die wirtschaftliche Situation durch die Sanierung tatsächlich verbessert, auch ein höheres Schuldendeckungspotential gegeben ist. 2142) Zu den finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen siehe näher oben I. 3. b) aa).
428
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
3. Nur leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen: In Betracht kommt auch die Berücksichtigung der sog. leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen2143) (allein oder neben denen finanzwirtschaftlicher Art). 4. Gar keine Sanierungsmaßnahmen: Zuletzt käme in Betracht ein Fortführungswert, der gar keine Sanierungsmaßnahmen berücksichtigt. Im Rahmen der Frage der Bewertung der Alt-Anteile wurde dieser als F(oS) bezeichnet und maßgeblich deswegen berücksichtigt, weil hiermit einem Missbrauch der neuen Regelungen entgegengewirkt werden könnte, der darin bestehen würde, dass ein eigentlich profitables und damit fortführungswürdiges Unternehmen seinen bisherigen Anteilseignern entschädigungslos entzogen würde durch Zugrundelegung von Liquidationswerten.2144) Vertreter des Ansatzes von Fortführungswerten wollen dabei auch leistungswirt- 899 schaftliche Sanierungsmaßnahmen berücksichtigen,2145) die in Maßnahmen des Insolvenzverwalters oder des Eigenverwalters bestehen. Diese Annahme ist insofern plausibel, als dass sie insbesondere damit begründet werden könnte, dass sich diese auch bei der übertragenden Sanierung im Kaufpreis spiegeln. Weiter gefasst könnte sie damit begründet werden, dass die Sanierungswerkzeuge, die dem Insolvenzverwalter zur Verfügung stehen, allen Gläubigern zugute kommen sollen, somit auch den umwandelnden Gläubigern. Finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen, die nicht im DES bestehen (sondern 900 z. B. in der Zuführung frischen Kapitals durch die umwandelnden Gläubiger oder durch Dritte), dürften dagegen keine Berücksichtigung finden, denn diese werden
___________ 2143) Zu den leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen siehe Maier-Reimer, in: Recht der Sanierungsfinanzierung, § 4 Rn. 2 und oben I. 3. b) aa). 2144) Dieser Wert würde oftmals einem L(R), also dem Liquidationswert bei Liquidation des Rechtsträgers unter Verkauf des Unternehmens (übertragende Sanierung) entsprechen und hätte jedenfalls als Untergrenze bei einem defizitär arbeitenden Unternehmen den Liquidationswert bei Unternehmensstilllegung, L(St) (siehe oben I. 3. b) und c). 2145) Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374, 379: operativer Cash-Flow, der sich in Zukunft tatsächlich, also unter Berücksichtigung der Sanierungsmaßnahmen im leistungswirtschaftlichen Bereich, tatsächlich einstellt. So auch Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 563 Fn. 47: Bewertung hat zu erfolgen „unter Berücksichtigung prognostischer Aspekte, also der Annahme der Unternehmensfortführung – und sei es auch unter mehr oder minder gravierender Veränderung der leistungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen.“ Bei beiden Autorenpaaren ist davon auszugehen, dass sie dabei auch die finanzwirtschaftlichen Sanierungseffekte durch den DES – die Forderungskürzung – mitberücksichtigen; dies geschieht bei Weber/Schneider implizit, indem deren Rechnung davon ausgeht, dass nur in Höhe von 11 % des Wertes die Forderungen bedient werden könnten, was dann auch zugleich die Einbringungshöhe darstellt.
429
§ 10 Bewertungsfragen
von anderen erbracht.2146) Die hieraus resultierenden Sanierungseffekte sind weder durch den DES bedingt noch werden sie von der InsO durch Eingriff in die Rechtspositionen anderer ermöglicht. Sie sind daher auszublenden. Ihre Berücksichtigung ist aber auch deswegen schon nicht nötig, da aufgrund Zuführung frischen Kapitals per Barkapitalerhöhung erworbene neue Anteile ohnehin über die Wertsteigerung dieser Anteile oder durch Dividenden von einem potentiellen Sanierungserfolg profitieren können. Sofern diese Bareinlagen von den umwandelnden Gläubigern stammen, würde die Berücksichtigung des hierdurch erzielten Sanierungseffekts auch für die Werthaltigkeit der umgewandelten Forderungen für diese sogar einen doppelten Vorteil bedeuten, was diese ohne ersichtlichen Grund bevorteilen würde.2147)
gg) Weitere Verkomplizierung des Bewertungsprozesses 901 Es soll nicht unterschlagen werden, dass eine solche Differenzierung die Bewertung nochmals verkompliziert. Das Abstellen auf den Liquidationswert hat gerade den (vordergründigen) Vorteil für sich, dass dabei auf bewährte Werte zurückgegriffen werden kann, nämlich die nach Erfahrung z. B. in einer Auktion erzielbaren Einzelpreise.2148) Allerdings ist dies schon bei Möglichkeit einer übertragenden Sanierung nicht mehr so einfach möglich, da auch hier ein Fortführungswert2149) ermittelt werden muss, so dass sich der Vorteil schnell relativiert.2150) Es würde somit auf die Frage hinauslaufen, ob ein Bewertungsmaßstab abzulehnen ist, weil er komplexer Bewertungsprozesse bedarf. Die Ermittlung des Fortführungswertes ___________ 2146) Ebenso Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464: „Der Käufergrenzpreis hingegen, der daraus resultiert, dass über den Swap hinaus weitere Mittel zufließen und dadurch auch zusätzliche Erträge generiert werden können, ist nicht maßgebend.“ Er verweist darauf, dass eine solche Bewertung ohnehin nicht zu machen sei mit Investoren, die fresh money einbringen, weil sie sonst durch die hiermit erreichte Unternehmenswertsteigerung indirekt eine Aufwertung der Forderungen der Altgläubiger mit der Konsequenz eines höheren Anteils derselben finanzieren würden. Denn fresh money-Investoren würden auch das Unternehmen besser stellen, während die umwandelnden Alt-Gläubiger zunächst nur den Vermögensträger besser stellen, a. a. O. S. 467. Siehe allerdings auch K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 225a Rn. 25: „Sogar ein Fortführungswert darf (…) angesetzt werden, der nur dadurch realisiert werden kann, dass Investoren mit neuem Geld oder neuen Geschäftsverbindungen Erträge erwirtschaften, die der Schuldner in der bisherigen Konstellation nicht hätte realisieren können“. 2147) Fraglich bleibt somit aber noch, ob eine direkte Zuordnung in eine der beiden Kategorien leistungswirtschaftlich und finanzwirtschaftlich immer gelingen kann. Dies ist fraglich aufgrund des breiten Spektrums an Sanierungsmaßnahmen. Somit müsste bei der konkret geplanten Sanierungsmaßnahme geschaut werden, zu welchen Lasten diese Maßnahme geht bzw. von wem die Opfer erbracht werden, und ob sie daher den Inferenten zugute kommen sollte oder nicht. Die jeweilige Zuordnung sollte zur Nachprüfbarkeit im Insolvenzplan bzw. im Sachverständigengutachten gesondert begründet werden. 2148) Siehe oben Fn. 2033. 2149) So auch Spliedt, GmbHR 2012, 462, 464. 2150) Dass auch auf der Grundlage der zu erwartenden Insolvenzquote Bewertungsschwierigkeiten bestehen, erwähnt Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 16.
430
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
einzelner Forderungen ist, wie gezeigt, außerordentlich schwierig.2151) Allerdings ist dies bei der Einbringung eines Unternehmens ebenso, ohne dass dies als unvereinbar mit dem Grundsatz der realen Kapitalaufbringung in seiner derzeitigen Form angesehen wird.2152) Daher sollte dies nicht als Argument dafür dienen, den Fortführungswert abzulehnen. Die konkrete Ermittlung mag streitig und schwierig sein, sie betrifft aber eben auch nur die konkrete Handhabung und kann, so könnte argumentiert werden, keine Auswirkungen haben auf die Frage, ob es vor dem Hintergrund der Systematik und Zielsetzung des Insolvenzplanverfahrens vorzugswürdig ist, auf den Liquidationswert oder den Fortführungswert abzustellen. Auch hier kann darauf verwiesen werden, dass § 229 InsO ohnehin umfangreiche Anforderungen an den Insolvenzplanersteller stellt, die von Vermögensübersichten für die Zukunft über Plan-GuV-Rechnungen zu Liquiditätsplänen reicht. Zahlenmaterial dürfte daher verfügbar sein. Mit Hilfe von Sachverständigen-Gutachten auf Basis anerkannter Prognosemethoden kann damit ein Ergebnis erreicht werden, das die Interessen der Beteiligten in Ausgleich bringt. Das Risiko einer sich als falsch herausstellenden Prognose ist im Insolvenzplanverfahren ohnehin hinzunehmen2153) und ist der Preis für das Ziel der InsO, die Zerschlagungsautomatik hinter sich zu lassen. Hier darf ausnahmsweise einmal der Rückschluss aus dem Ausschluss der Differenzhaftung nach § 254 Abs. 4 InsO n. F. gezogen werden, dass der Gesetzgeber hiermit die Zuweisung des Risikos einer sich im Nachhinein als falsch herausstellenden Prognose auf die umwandelnden Gläubiger ausschließen wollte.2154) Hier kann auch darauf verwiesen werden, dass eine falsche Prognose auch im Rahmen der übertragenden Sanierung vorkommen kann. War diese zu optimistisch angesetzt, würde aber niemand auf die Idee kommen, im Nachhinein den Kaufpreis zu reduzieren und die Quote für die Gläubiger zu senken. Zuletzt ist eine nicht immer exakt mögliche Wertermittlung ein auch anderen rechtlichen Problemstellungen hingenommener Faktor: wie sich etwa im positiven Gesetzesrecht ___________ 2151) Siehe hierzu oben bei IV. 1. d). 2152) Gegen die von Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 556 vertretene fehlende Vergleichbarkeit von Unternehmen als Sacheinlage und Forderung als Sacheinlage könnte vorgebracht werden, dass die Forderungswertermittlung letztlich nur ein Schritt mehr ist als die Unternehmenswertermittlung, da diesem Wert lediglich die Verbindlichkeiten gegenüber gestellt werden müssen. Da diese aber immer sofort aus der Tabelle ersichtlich sind, ist kein weiterer Unsicherheitsfaktor existent als der, der bereits aus der allgemeinen Unternehmensbewertung resultiert. Allerdings ist ihm zuzugestehen, dass in der Insolvenz sich als weitere Schwierigkeit darstellt, dass, wie oben gezeigt, zwischen gesicherten und ungesicherten Forderungen zu unterscheiden ist. 2153) Siehe auch Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 17: Etwaige Fehler bei der Berechnung der Insolvenzquote (die Altmeppen ansetzen will als Forderungswert) müssen von umwandelnden und nicht umwandelnden Gläubigern gleichermaßen in Kauf genommen werden. 2154) Dies heißt aber nicht, dass mit Verweis auf § 254 Abs. 4 InsO n. F. von vornherein ein Freibrief gegeben werden sollte, Forderungen gegen beliebig hohe Anteile einzutauschen, wie dies gelegentlich formuliert wird, siehe etwa Römermann, GmbHR-Report 2011, 369, 370; siehe hierzu auch oben ee) a. E.
431
§ 10 Bewertungsfragen
aus § 287 Abs. 2 ZPO2155) ergibt, hindert dies nicht daran, dennoch zu einem rechtsgültigen Ergebnis zu gelangen.2156)
hh) Gefahr des Missbrauchs? 902 Damit bleibt zuletzt die Gefahr des Missbrauchs des Insolvenzplanverfahrens: wenn hier der Ansatz von Fortführungswerten unter Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen, anders als außerhalb der Insolvenz, für möglich gehalten wird, so führt dies zu der Frage, ob die Gefahr droht, dass vorsätzlich die Insolvenz eingeleitet wird, um mit einem hohen Grundkapital daraus wieder entlassen zu werden, obwohl die hierin verkörperten Werte im Zeitpunkt der Handelsregistereintragung (nur) als Sanierungserwartungswerte vorhanden sind. Diese Gefahr kann allerdings als gering betrachtet werden: dass jemand sein Unternehmen bewusst in die Insolvenz schickt, um dort ein hohes Stammkapital zu erlangen, ist aufgrund der mit einem Insolvenzverfahren bis heute verbundenen Risiken, Unwägbarkeiten (die Gläubigerversammlung könnte den DES ablehnen) und zuletzt dem Reputationsverlust als gering anzusehen. Hier kann hilfsweise auch darauf verwiesen werden, dass ein hohes Nenn-/Grundkapital nur bei isolierter Betrachtung falsche Vorstellungen zukünftiger Gläubiger hervorrufen kann. Wie in der Nennwertdiskussion gezeigt wurde, werden insbesondere Kreditgeber weniger auf die Höhe des Nennkapitals schauen, als auf die letzte Handelsbilanz, die die Möglichkeit einer Vermögensübersicht gibt2157) und bei Umwandlung zu einem höheren Wert auch in Zukunft einen gewissen Verlust(vortrag) aufweisen wird.2158)
903 Zuletzt stellt sich die Frage, warum dann nicht gleich auf den Nennwert abgestellt wird, wenn keine reelle Gefahr für Neu-Gläubiger droht und die Bewertung derart kompliziert ist? Hierauf muss geantwortet werden, dass dadurch mit der Differenz zwischen hier präferiertem Fortführungswert und Nennwert ein Wert eingebracht würde, der auch bei geplantem Verlauf der Sanierung nicht zu erlangen wäre.2159) Dies würde aber zu weit gehen und sich von den Grundsätzen des Kapitalaufbringungsrechts unzulässig weit entfernen. Im Übrigen ist auch fraglich, ob ein ernst___________ 2155) Würdigung nach freier Überzeugung des Richters ausreichend, wenn vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen; siehe zur Rolle des § 287 ZPO im Rahmen der Unternehmensbewertung die Nachweise oben Fn. 1573. 2156) Die regelmäßige Konfrontation der Justiz mit Bewertungen und Prognosen betonend und daher die von der Literatur entworfenen „Schreckensgespenster“ als krass überzeichnet empfindend auch H-F. Müller, S. 297. 2157) Siehe Römermann, GmbHR-Report 2011, 369, 370: „wer als Neugläubiger auf derartige Kennzahlen vertraut, mag selber schuld sein.“ 2158) Zu den bei höherer Einbringungshöhe verbleibenden Verlustvorträgen siehe oben III. 1. a) ee) sowie die Bilanzbeispiele unter III. 3. 2159) Bei Ansatz des Fortführungswertes dagegen, dies sei nochmal zu betonen, steht den Gläubigern der durch die Sanierung erhöhte Werte in Form des sanierten Unternehmens ja tatsächlich als Haftungsmasse zur Verfügung, siehe insofern Spliedt, GmbHR 2012, 462, 467.
432
IV. Die Forderungsbewertungs-Problematik des Insolvenzplanverfahrens
haftes Interesse in der Praxis besteht, zum Nennwert umzuwandeln. Wenn damit nämlich die Verlustvorträge bestehen bleiben würden, könne kaum von einer nachhaltigen Sanierung gesprochen werden. Vielmehr sei kurze Zeit später schon wieder eine Kapitalherabsetzung zwecks Ausgleich der unvermindert hohen Verlustvorträge nötig, womit im Ergebnis das selbe Resultat besteht wie bei der Einbringung zu Verkehrs-Fortführungswerten.
ii) Ergebnis Somit ist im Ergebnis der Ansatz des Fortführungswerts unter Berücksichtigung 904 der leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen wie auch der durch den DES unmittelbar bewirkten finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen als vorzugswürdig anzusehen. Nicht zu berücksichtigen sind dagegen finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen, die durch frisches Kapital von den Gläubigern2160) erbracht werden sowie lediglich für die Zukunft intendierte Sanierungsmaßnahmen, die aber im gestaltenden Teil des Plans nicht enthalten sind. Für die Ermittlung der Fortführungswerte sind die tatsächlichen Vermögenswerte zu ermitteln, eine Bindung an die handelsrechtlichen Buchwerte besteht nicht; dies ist nur folgerichtig, wenn die Fortführungsprognose als Grundlage genommen wird, da in dieser als Wert auch stille Reserven und ein Geschäftswert entscheidende Relevanz haben. Für jede einzubringende Forderung ist einzeln zu ermitteln, welchen Wert sie hat; dabei ist zwischen ungesicherten und gesicherten Forderungen zu unterscheiden. Bei gesicherten Forderungen ist dies der Wert der Sicherheit zu Fortführungswerten. Bei ungesicherten Forderungen ist die freie Masse zu Fortführungswerten unter Berücksichtigung der oben identifizierten Sanierungsmaßnahmen sämtlichen Insolvenzforderungen gegenüber zu stellen, um die prozentuale Werthaltigkeit zu ermitteln. Insofern kann im Grundsatz auf die Vermögensübersichten in §§ 151 ff., 229 InsO zurückgegriffen werden. Der so ermittelte Fortführungswert sollte dann, dies soll nochmals verdeutlicht werden, dazu genutzt werden, hieraus die Werthaltigkeit der Forderung anhand der Schuldendeckungsquote zu berechnen. Hierdurch würde dem im vorigen Verlauf bereits angeführten Gedanken am besten Rechnung getragen, dass die Sanierung eine Aufgabe aller Gläubiger ist, weil diese auch alle davon profitieren.2161) Damit obliegt aus bilanztechnischer Sicht die Aufgabe des Auffüllens des nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrages nicht allein den umwandelnden Gläubigern (wie dies Priester und Ekkenga wollen2162), sondern gemeinsam allen Gläubigern. Dies wird durch den Ansatz der Schuldendeckungsquote erreicht.2163) ___________ 2160) Ggf. auch frisches Kapital von den bisherigen Anteilseignern (oder Dritten, wobei dies in der hier zugrunde liegenden Hypothese nicht angenommen wurde). 2161) Zwar erbringen alle Gläubiger eine Sanierungsleistung bereits durch die Kürzung der Forderungen im Insolvenzplan. Dies spricht aber nicht dagegen, auch hinsichtlich der Forderungsbewertung zu berücksichtigen, dass alle Gläubiger den vorherigen Fehlbetrag aufzufüllen haben. 2162) Siehe oben Fn. 1958. 2163) Ebenso Arnold, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29, 41.
433
§ 10 Bewertungsfragen
d) Gleichlauf der Bewertung bzgl. Alt-Anteile und Forderungen 905 Fraglich ist zuletzt aber, ob das so gefundene Ergebnis deshalb zu verwerfen ist, weil damit ein anderer Bewertungsmaßstab als bei der Abfindung für Alt-Anteilseigner angewendet wird. Als Argument für die Notwendigkeit der Forderungsbewertung zu Liquidationswerten wird in dieser Richtung vorgebracht, dass dies notwendig sei, da ja auch die Gesellschaftsanteile der Alt-Anteilseigner in der Insolvenz zu Liquidationswerten bewertet werden.2164) Daher dürfe kein abweichender Bewertungsmaßstab gelten.2165)
906 Zum einen ist nach hier vertretener Ansicht aber keineswegs auch für die Anteilseigner zwingend der Liquidationswert anzusetzen. Es kann – im Rahmen einer Missbrauchsprüfung – auch auf einen Fortführungswert abgestellt werden, der allerdings keine Sanierungsmaßnahmen berücksichtigen darf. Letztlich wird dieser F(oS) zwar oft, aber nicht immer, dem L(R) entsprechen. Allerdings würde damit i. E. immer noch eine unterschiedliche Behandlung vorgenommen, da hinsichtlich der Forderungswerte gewisse Sanierungseffekte Berücksichtigung finden, hinsichtlich der Alt-Anteilswerte dagegen nicht.
907 Fraglich ist aber generell, ob ein Gleichlauf zwischen Anteilsbewertung und Forderungsbewertung überhaupt zwingend notwendig ist. Gegen einen zwingenden Gleichlauf würde sprechen, dass die Anteilseigner mit dem Untergang ihrer Anteile2166) keinerlei Sanierungsleistung erbringen: die Gesellschaft wird nicht dadurch besser gestellt, dass die Anteile im Wege der Kapitalherabsetzung untergehen. Denn letztere wird nur dann nötig, wenn die Anteile ohnehin schon wertlos sind.2167) Das Nenn-/Grundkapital dient grundsätzlich als Verlustpuffer. Demnach bestehen bei Aufbrauch dieses Verlustpuffers auch keine Ansprüche der Gesellschaft gegenüber den Alt-Anteilseignern mehr, deren Entfall irgendeine Art von Sanierungsleistung darstellen könnte. Zwar verringert sich der Verlustvortrag; dies stellt aber letztlich nur eine Berücksichtigung des bereits eingetretenen Verlusts dar, die die Bilanz nur richtig stellt, ohne dass damit eine Sanierungsleistung verbunden wäre. ___________ 2164) Siehe die Ansichten oben II. 2. a) und b). 2165) Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 558 ff., 560; Altmeppen, FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 15; auch Meyer/Degener, BB 2011, 846, 849, die dies allerdings als Frage formulieren; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1045; in diese Richtung auch Graf-Schlicker/Kebekus/Wehler, InsO, § 225a Rn. 6; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 124 mit konkretem Bezug auf die Abfindung für freiwillig austretende Alt-Anteilseigner, deren Abfindung sich nach § 225a Abs. 4 InsO n. F. richtet. Hiergegen könnte aber sprechen, dass diese, wenn der Planersteller sie beteiligen wollte, diese hierzu aber nicht bereit sind, sie halt weniger bekommen, weil sie sonst wieder eine potentielle Blockadeposition erlangen könnten. 2166) Hier wird davon ausgegangen, dass diese Anteile wertlos sind. Ist dies (in seltenen Fällen) einmal anders, so ist hierfür Ausgleich zu leisten. Wenn Anteilseigner diesen aber erhalten, so besteht auch kein Zwang, zu ihren Gunsten von einem Gleichlauf auszugehen, da dann kein schutzwürdiges Interesse mehr besteht. 2167) Oder stark wertgemindert und der noch feststellbare Restwert nur als Entschädigung ausgezahlt werden muss.
434
V. Annex: Gedanken zur Wertverteilung bei Nennwerteinbringung
Die Gläubiger dagegen erbringen bei Fortführung des Unternehmens im Insolvenz- 908 planverfahren regelmäßig einen Sanierungsbeitrag, indem ihre Forderungen gekürzt werden (sei dies für eine Minderheit auch unfreiwillig, da die Mehrheit dies beschließt). Die umwandelnden Gläubiger erbringen diesen Beitrag durch Verzicht auf ihre Forderung und Gang in den Nachrang sogar freiwillig. Damit ist ein entscheidender Unterschied gegeben: eine Seite erbringt Sanierungsleistungen, die andere nicht. Dies bedeutet zugleich: Argumente gegen die Einbringung zum Fortführungswert, 909 die auf der hieraus vermeintlich resultierenden Benachteiligung bestehender AltAnteilseigner beruhen, können im Insolvenzplanverfahren in den allermeisten Fällen keine Relevanz haben, da ebendiese Alt-Anteilseigner bereits durch die vorhergehende Kapitalherabsetzung ausgeschieden sind. Folglich können auch ihre Interessen nicht mehr schutzwürdig sein.2168)
V. Annex: Gedanken zur Wertverteilung bei Nennwerteinbringung Der ESUG-Gesetzgeber hat sich zwar in der Regierungsbegründung2169) beim DES 910 im Insolvenzplanverfahren gegen eine Einbringung zum Nennwert ausgesprochen. Auch für die Frage des Insolvenzplanverfahrens vertreten einige Autoren allerdings die Möglichkeit der Nennwerteinbringung; dies erfolgt wenngleich meist mit der Formulierung, dass die Einschränkung des Gesetzgebers auf die Notwendigkeit der Vollwertigkeit einer Forderung gar nicht nötig gewesen wäre.2170) Allerdings wird vereinzelt auch darauf hingewiesen, dass diese Intention im Gesetzestext nicht zum Ausdruck komme.2171) Im Folgenden soll kurz dargelegt werden, wie eine Nennwerteinbringung aussehen könnte.
1.
Nennwerteinbringung nach initial hair cut?
Zum einen können die Forderungen mit der vollen Höhe ihres Nennwerts einge- 911 bracht werden, also die Höhe, die sie auch vor der Insolvenz hatten. Nach den Argumenten der Nennwertthese wäre dies ohne Probleme möglich: schließlich wird die Gesellschaft tatsächlich in dieser Höhe entlastet.2172) Die umwandelnden Gläubiger treten freiwillig im Rang zurück, und durch den bei Nennwert nicht er___________ 2168) Ähnlich im Übrigen auch die Argumentation der Vertreter der Nennwertthese, warum eine Verwässerung der Beteiligung der Alt-Anteilseigner zwar geschieht, dies aber durch Wertlosigkeit der Anteile gerechtfertigt ist, siehe oben III. 1. b) ff). 2169) BT-Drs. 17/5712 S. 32: „Die Werthaltigkeit der Forderung wird aufgrund der Insolvenz des Schuldners regelmäßig reduziert sein und der Wert wird nicht dem buchmäßigen Nennwert entsprechen, sondern deutlich darunter liegen. Hierbei kann auch die Quotenerwartung berücksichtigt werden. Der Insolvenzplan hat eine entsprechende Wertberichtigung vorzusehen.“ 2170) HambKomm/Thies, InsO, § 225a Rn. 24; Eidenmüller, Bankrechtstag 2011, S. 129, 149. 2171) So verweist Maier-Reimer, in: VGR 2011, 107, 113 darauf, dass die Auffassung, dass der Wert der Forderung regelmäßig unter dem Nennwert liege, im Gesetz keinen Niederschlag finde. 2172) Oben III. 1. b) a).
435
§ 10 Bewertungsfragen
folgenden Ausweis eines Ertrags bleibt ein Verlustvortrag auch in voller Höhe bestehen, so dass so schnell keine Ausschüttung möglich ist.2173)
912 Die andere Möglichkeit würde darin bestehen, die Einbringung zwar grundsätzlich in Höhe des Nennwerts zuzulassen, allerdings nur in Höhe des Nennwerts einer vorher gekürzten Forderung. Hintergrund dieses Vorgehens ist, dass insbesondere nach derzeitiger Praxis des Insolvenzplanverfahrens sämtliche Forderungen einer Gruppe – also etwa der ungesicherten Forderungen – in gleicher Höhe gekürzt werden. Insbesondere Simon2174) hatte sich grundsätzlich für eine Nennwerteinbringung auch in der Insolvenz ausgesprochen, dies allerdings in entscheidender Weise relativiert: Nach seinem Vorschlag sollten dabei auch die umwandlungswilligen Gläubiger „vorab einen Teilverzicht auf ihre Forderungen als Sanierungsbeitrag leisten (…)“.2175) Ein solcher initial hair cut sei auch in der vor-insolvenzlichen Praxis üblich und solle sich an betriebswirtschaftlichen und bilanziellen Erfordernissen ausrichten, nicht aber an einer in der Praxis ohne kaum belastbar zu ermittelnden Forderungswerthaltigkeit.2176) Für eine solche Nennwerteinbringung nur unter Berücksichtigung der vorher erfolgten Kürzung würde dabei sprechen, dass somit am besten eine Gläubigergleichbehandlung zu erreichen sei. Insbesondere ist zu beachten, dass die gleichmäßige (rasenmäherartige) Kürzung der Forderung nur im Insolvenzplanverfahren möglich ist. Vor Insolvenz bedürfte sie der Zustimmung jedes einzelnen Gläubigers.
913 Diese Form der Einbringung unterscheidet sich dann aber, ja nach Umfang des hair cut, ggf. nicht mehr großartig von der hier für vorzugswürdig empfundenen Verkehrswerteinbringung zu Fortführungswerten.
2.
Abweichen von Nennwerteinbringung bei Beteiligung gesicherter Gläubiger?
914 Ist aber eine Nennwerteinbringung ohne vorherige Kürzung intendiert, so stellt sich das Problem, dass diese ggf. den Interessen gesicherter Gläubiger gegenüber ungesicherten Gläubigern nicht vollends gerecht werden kann. Die Forderungen gesicherter Gläubiger werden regelmäßig einen deutlich höheren Wert haben als die der ungesicherten Gläubiger.2177) Würde man für alle Gläubiger, ob gesichert oder ungesichert, die Nennwerteinbringung zulassen, so würden sie Anteile erhalten in der selben Größenordnung wie die von ungesicherten Gläubigern. Ihr Status bei Regelinsolvenz würde sich also deutlich unterscheiden von dem bei Planinsolvenz, ihr Anteil am reorganisierten Unternehmen würde nicht dem Wert entsprechen, der ihnen am Gesamtvermögen vor der Insolvenz und bei einer Regelinsolvenz zustehen würde. ___________ 2173) Oben III. 1. b) ee). 2174) Simon, CF 2010, 448, 453. 2175) Simon, CF 2010, 448, 453. 2176) Simon, CF 2010, 448, 453. 2177) Zu den gesicherten Gläubigern, die durch ihren Widerspruch zur Umwandlung den Plan scheitern lassen können, siehe Pape, ZInsO 2011, 1033, 1040.
436
V. Annex: Gedanken zur Wertverteilung bei Nennwerteinbringung
Dies sieht auch Maier-Reimer, der an sich eine Einbringung zu Nennwert (bzw. zu 915 jedem möglichen Wert bis hin zum Nennwert, s. o.) für möglich hält.2178) Hinsichtlich der Problematik absonderungsberechtigter, ergo gesicherter Gläubiger, führt er dann aus: grundsätzlich könne zwar zu Nennwert eingebracht werden, aber der Wert der Forderung würde dann durchaus Bedeutung erlangen, wenn es um die (im Zweifel sehr wichtige) Frage gehe, welche relative Bewertung im Vergleich zu den Positionen anderer anzunehmen ist. Denn eine relative Überbewertung anderer gewandelter Forderungen drohe, wenn auch gesicherte Gläubiger an der Umwandlung teilnehmen würden, was diese dann benachteiligen könne.2179) Hieraus könnte als Konsequenz gezogen werden, dass in einem solchen Fall ein re- 916 lativ ausgeglichenes Verhältnis nur hergestellt werden kann, wenn die potentielle Insolvenz-Quote der beiden Gläubigerarten angesetzt werde. Denn sobald für ungesicherte Gläubiger ein Wert höher als der Quote angesetzt wird, müsste der Wert für die gesicherten Gläubiger entsprechend höher liegen. Damit besteht die Gefahr, dass dies über Nennwert liegt, nämlich dann, wenn die Sicherheit die Forderung zu einem erheblichen Teil abdeckt und somit im Regelverfahren für den gesicherten Gläubiger eine hohe Befriedigungsquote nahe den üblichen 91 % zu erwarten wäre. Dass eine solche Über-Nennwert-Einbringung aber möglich wäre, vertreten selbst die Befürworter der Nennwerteinbringung nicht. Sie würde auch dem Argument widersprechen, dass die Gesellschaft durch die Einbringung in genau dieser Höhe befreit wird und dass die Forderung immer in voller Höhe des Nennwerts das Nennkapital erhöht.2180) Einen darüber hinaus gehenden Einbringungswert deckt diese Begründung aber nicht mehr ab; selbst aus Perspektive der Gesellschaft wäre daher eine Anrechnung über Nennwert nicht zu rechtfertigen. Damit würde aber – auf den ersten Blick – die seltsame Situation entstehen, dass 917 nach der Nennwertthese ungesicherte Forderungen grundsätzlich zum Nennwert eingebracht werden könnten, es sei denn, es soll ebenfalls eine gesicherte Forderung eingebracht werden. Eine solche unterschiedliche Behandlung scheint schwerlich erklärbar – jedenfalls dann, wenn die Insolvenz schon eingetreten ist und damit der Sicherungsfall eingetreten ist. Vorher mag die Sicherung der Forderung irrelevant sein, weil die Forderung nicht deshalb höher bilanziert wird, weil sie gesichert ist2181) und auch nicht vorrangig durchgesetzt werden kann, weil sie gesichert ist.2182) Nach Insolvenzeröffnung aber ist dies anders. ___________ 2178) Siehe oben Fn. 1996 ff. 2179) Maier-Reimer, VGR 2011, 107, 115; dies sei jedenfalls relevant für die Frage, ob auf eine Gläubigergruppe das Obstruktionsverbot Anwendung finden würde. 2180) Oben Fn. 1742. 2181) Oben Fn. 2066. 2182) Sofern nicht die Sicherungsvereinbarung oder covenants den sofortigen Zugriff auf das Sicherungsgut erlauben. Abhängig von der Bedeutung des Sicherungsguts würde dies aber erst recht die Insolvenz hervorrufen.
437
§ 10 Bewertungsfragen
918 Damit blieben für die Vertreter der Nennwertthese drei Möglichkeiten: 1. Sie können die Einbringbarkeit gesicherter Forderungen generell verneinen und stattdessen die Sicherheit wie auch die durch sie gesicherte Forderung (in Höhe des Wertes der Sicherheit) bestehen lassen. Denkbar ist dies, da nur die Fähigkeit zu Tilgungs- und Zinszahlungen durch den Plan gesichert sein muss. Dann kommt den gesicherten Gläubigern keine Blockadeposition zu, denn das Obstruktionsverbot nach § 245 InsO würde auf sie grundsätzlich Anwendung finden. 2. Sie müssten für den Fall der Beteiligung auch nur eines gesicherten Gläubigers ihren Standpunkt verlassen und doch die Einbringung zu einem (relativen) wirtschaftlichen Wert propagieren. Dies ist aber schon deswegen abwegig, weil sie damit genau die Gläubigergefährdung befürworten würden, die sie im Grundsatzstreit der h. M. vorwerfen.2183) 3. Allerdings verbleibt der Nennwertthese auch eine weitere Möglichkeit: sie kann darauf verweisen, dass die Frage der internen Verteilung zwischen gesicherten und ungesicherten Gläubigern, die jeweils zur Umwandlung bereit wären, dann eine Frage der Verhandlungen innerhalb des Insolvenzplanprozesses sei. Dies könnte so aussehen: sowohl ungesicherte als auch gesicherte Gläubiger bringen ihre Forderungen jeweils zum Nennwert ein. Da dies allerdings den „Befriedigungsvorrang“ der gesicherten vor den ungesicherten Gläubigern in der neuen Gesellschafterstruktur nicht wiederspiegeln würde, müssten sich die gesicherten Gläubiger Sonderrechte zuerkennen lassen. So wäre etwa denkbar, dass diese ein vertraglich gesichertes vorrangiges Zugriffsrecht auf die Dividenden erhalten, und zwar solange, bis die Höhe des Wertes des Sicherungsguts (mit Verzinsung, aber abzüglich der 9 % Verwertungspauschale) hierdurch erreicht wird. Eine solche vertragliche Vereinbarung wäre ohne weiteres möglich, da sie keinen gläubigergefährdenden Charakter hat; sie betrifft lediglich die interne Verteilung der Neu-Anteilseigner, ohne eine Ausschüttung zu erleichtern. Lassen sich die gesicherten Gläubiger hierauf nicht ein, so verbleibt ihnen die Möglichkeit, den Sicherungswert zu behalten und dafür eine gesicherte Forderung in Höhe des Wertes des Sicherungsgutes abzüglich 9 % zu erhalten. Lehnen dagegen einzelne ungesicherte Gläubiger dies ab, so könnten sie zur Umwandlung nicht gezwungen werden, würden aber auch nur knapp oberhalb der Insolvenzquote ausbezahlt (die zudem noch gestreckt werden könnte).
___________ 2183) Siehe oben Fn. 1831.
438
§ 11 Zusammenfassung der Ergebnisse I.
Ergebnisse der Untersuchung
Zu § 2: Durch den DES wird die Liquiditätslage eines Krisenunternehmens ent- 919 scheidend entlastet. Auch kann hiermit ein ausgeglichener Verschuldungsgrad hergestellt werden, der eine Weiterführung des Unternehmens unter neuen Eigentümern ermöglicht. Zugleich ergibt sich damit die Möglichkeit für die Gläubiger, am Fortführungswert des insolventen Unternehmens teilzuhaben. Der DES ist eine attraktive Sanierungsoption in der Insolvenz maßgeblich dann, wenn ansonsten mit Liquidation des Rechtsträgers im Regelinsolvenzverfahren rechtsträgergebundene Berechtigungen untergehen würden. Zunehmender Gebrauch dürfte vom DES auch daher gemacht werden, weil die mit voranschreitender Fortentwicklung der Finanzmärkte erleichterte Handelbarkeit von Forderungen auf dem sog. distressed debt-Markt die Bündelung eines großen Anteils der bestehenden Forderungen in der Hand übernahmewilliger Investoren möglich macht. Die Entwicklung in den USA zeigt hier eine Renaissance der Chapter 11-Reorganisation und der aktiven Teilnahme von Gläubigern am Insolvenzverfahren, weil nur auf diese Weise der Erhalt gewisser Berechtigungen unter zeitgleicher Übernahme über das Fremdkapital möglich ist. Eine ähnliche Entwicklung ist in Deutschland aufgrund vergleichbarer Rahmenbedingungen nicht ausgeschlossen. Zu § 3: Der DES geschieht durch Einbringung der Forderung als Sacheinlage und 920 vollzieht sich nach den Vorschriften des Gesellschaftsrechts. Zumeist wird ein Kapitalschnitt damit einhergehen, bei dem das bestehende Stamm-/Grundkapital nach den Vorschriften zur vereinfachten Kapitalherabsetzung nach §§ 58a ff. GmbHG, 229 ff. AktG herabgesetzt wird, um die bisher aufgelaufenen Verluste abzubilden. Die Kapitalerhöhung sollte dabei im Rahmen eines Insolvenzplans geschehen, da die neuerlangten Bar-Kapitalmittel ohne eine solchen Plan ansonsten zur Masse gezogen werden können. Zu § 4: Mit der unter der früheren Rechtslage bestehenden gesellschaftsrechtlichen 921 Neutralität des Insolvenzplanverfahrens ging ein kaum begründbares Blockadepotential für Alt-Anteilseigner einher. Zu dessen Beseitigung wurden in der Reformdiskussion im Vorgang zum ESUG verschiedenste Vorschläge sowohl de lege lata als auch de lege ferenda gemacht. Die Ansätze de lege lata brachten nach alter Rechtslage zumeist das Problem mit sich, dass diese erst vor Gericht hätten durchgesetzt werden müssen, wozu in der Insolvenzsituation regelmäßig keine Zeit bestand. Daher war eine Reform unumgänglich. Zu § 5: Der Gesetzgeber hat mit der ESUG-Reform den Eingriff in Anteilseigner- 922 rechte durch den Insolvenzplan erstmals ermöglicht. Zur Wahrung der Rechte und Interessen der Anteilseigner hat er sich für deren Einbeziehung als eigene Gruppe in das Insolvenzplanverfahren entschieden. Damit dürfen die Anteilseigner erst-
439
§ 11 Zusammenfassung der Ergebnisse
mals über den Plan mitentscheiden, werden aber zugleich in § 245 Abs. 3 InsO n. F. einem Obstruktionsverbot unterworfen, wenn sie u. a. durch den Plan nicht schlechter gestellt werden als im Regelinsolvenzverfahren. Eine Aufoktroyierung des Plans auf die Anteilseigner dürfte in vielen Fällen möglich sein, da Anteilseigner in der Regelinsolvenz als letztrangige Beteiligte in der Insolvenzhierarchie regelmäßig nichts erhalten. Sie scheitert allerdings in dem Fall, dass nur ein einzelner Gläubiger über 100 % befriedigt wird. Hiermit können somit auch Alt-Anteilseigner einen Plan verhindern, obwohl sie selbst hierdurch nicht unmittelbar betroffen sind, weil die ihnen in der Verteilungshierarchie vorrangige Gläubigerschaft im Ganzen nicht zu 100 % befriedigt wird; dies ist vor dem Hintergrund der absoluten Vorrangregel zwar nicht zwingend nötig, im Interesse einer umfassenden Absicherung gegen Reichtumsverschiebungen durch einen Insolvenzplan aber durchaus mit positiven Effekten verbunden.
923 Zum weiteren Abbau von Blockademöglichkeiten wurden die Rechtsmittelmöglichkeiten in entscheidendem Umfang eingeschränkt. Neben erhöhten Voraussetzungen in Form einer formalen und materiellen Beschwer kann der Insolvenzplanersteller einem Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung nehmen, wenn er nach § 251 Abs. 3, § 253 Abs. 1 Nr. 3 InsO n. F. im Insolvenzplan eine Sicherheitsleistung als Ausgleichsfonds bereitstellt. Die Geltendmachung eines Ausgleichs aus diesem Fonds erfolgt dann in einem nachgeordneten Verfahren vor den ordentlichen Gerichten. Wer Anspruchsgegner einer solchen Ausgleichsforderung ist, ist im Plan festzulegen; im Zweifel ist dies die Gesellschaft, es kann aber etwa auch der den DES betreibende Großgläubiger sein. Eine Geltendmachung ist, vorbehaltlich einer anderen Regelung im Plan, denjenigen Gläubigern verwehrt, die für den Plan gestimmt haben. Für diejenigen Beteiligten, die diesen abgelehnt haben, ist eine vorherige Geltendmachung eines Rechtsmittels im Planverfahren nicht nötig, um später Ausgleich einklagen zu können, da es sinnwidrig wäre, wenn diese erst ein offensichtlich unzulässiges Rechtsmittel einlegen müssten. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines „Freigabeverfahrens“ nach § 253 Abs. 4 InsO, mit der die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels durch Antrag ans Landgericht verhindert werden kann, das über den Antrag nach summarischer Prüfung unter Abwägung der Folgen bei sofortiger Planbestätigung entscheiden wird; auch hierbei gibt es – entsprechend dem als Vorbild dienenden aktienrechtlichen Freigabeverfahren in § 246a AktG – die Möglichkeit, im Nachgang seinen hierdurch ggf. erlittenen Schaden als Schadensersatz zu liquidieren.
924 Eine Betrachtung der Neuregelung aus systematischer Sicht ergibt, dass sich diese als konsequente Verwirklichung der sog. absoluten Vorrangregel darstellt. Zugleich wird damit einem neuen Grundverständnis von Gesellschafterrechten in der Insolvenz Rechnung getragen, das auf eine Aufweichung der früher klaren Abgrenzung zwischen den Finanzierungsformen Fremdkapital und Eigenkapital zu-
440
I. Ergebnisse der Untersuchung
rückgeführt werden kann. Ein Verstoß gegen die Idee der Verhandlungslösung kann hierin nicht gesehen werden. Zu § 6: Die Möglichkeit, in einem Insolvenzplan mit DES die Alt-Anteile auch 925 gegen den Willen derer Inhaber untergehen zu lassen, stellt keinen Verstoß gegen deren Grundrechte aus Art. 14 oder Art. 9 GG dar. Die Rechtsprechung des BVerfG zu strukturändernden Maßnahmen erlaubt den Entzug von Anteilen unter gewissen Voraussetzungen. Die Grundsätze der Unterordnung des Willens der Minderheitsanteilseigner unter den des Mehrheitsanteilseigners, wie etwa beim Squeeze-Out nach § 327a AktG, können entgegen einer Ansicht in der Literatur auf das Verhältnis zwischen Alt-Anteilseignern und Gläubigern als insolvenzhierarchisch vorrangig Berechtigen übertragen werden. Auch gebietet die grundrechtliche Wertung, entgegen einer Literaturansicht, nicht, dass den Alt-Anteilseignern – als milderes Mittel – zwingend das Bezugsrecht auf Erwerb neuer Anteile per Barkapitalerhöhung zu gewähren ist. Dies begründet sich maßgeblich darauf, dass Alt-Anteilseignern in der Insolvenz kein nach der Rechtsprechung des BVerfG relevantes unternehmerisches Interesse mehr zuerkannt werden kann, wenn diese die Insolvenz nicht durch eine Sanierungskapitalerhöhung verhindert haben bzw. den Insolvenzgrund nicht durch eine solche Sanierungskapitalerhöhung wieder entfallen lassen. Einer Zuerkennung eines auch in der Insolvenz fortbestehenden, durch Art. 9 GG 926 geschützten unentziehbaren Kernbereichs der Mitgliedschaft, der einen Eingriff in diesen bei der Insolvenz-Reorganisation verbietet, ist eine Absage zu erteilen. Eine solche Betrachtung widerspricht diametral der tatsächlichen Hierarchie aus wirtschaftlicher Betrachtung und bevorzugt die Anteilseigner in unberechtigter Weise im Vergleich zu ihrem Schicksal in der übertragenden Sanierung. Der Zugriff des Insolvenzplans auf den Rechtsträger dient maßgeblich dem Ziel, die daran gebundenen werthaltigen Berechtigungen zu Gunsten der Gläubiger verwerten zu können; wäre dies nicht möglich, so wären sie ggf. endgültig verloren, weil auch die AltAnteilseigner diese in der Insolvenz nicht mehr nutzen könnten. Die Möglichkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte durch das ESUG stellt zwar im Vergleich zur früheren Systematik der InsO durchaus einen Systembruch dar; die frühere Rechtslage war aber nicht verfassungsrechtlich geboten. Die durch das Gesetz angeordnete Allokation von Rechtsgütern bei Kollision von unterschiedlichen jeweils grundrechtlich geschützten Positionen konnte vom Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative zulässigerweise in Richtung der Gläubiger verschoben werden. Zu § 7: Eine Abfederung der zwangsweisen Herausdrängung der Alt-Anteilseigner 927 aus ihrer Gesellschaft könnte durch ein Bezugsrecht erreicht werden, das diesen ein Recht auf Teilhabe an der Kapitalerhöhung mit frischem Kapital gibt. Ein Ausschluss dieses bei jeder Kapitalerhöhung grundsätzlich bereits bestehenden Bezugsrechts nach den gängigen Kriterien des Gesellschaftsrechts wird zwar ganz überwiegend für zulässig erachtet, kann in der Insolvenz aber nicht ohne weiteres mit der beim DES bestehenden Erforderlichkeit zur Sanierung gerechtfertigt werden; 441
§ 11 Zusammenfassung der Ergebnisse
denn anders als außerhalb der Insolvenz ist nach den neuen Abstimmungsmechanismen des Insolvenzplanverfahrens keine ¾-Mehrheit für den Bezugsrechtsausschluss nötig, aus der als Rückschluss geschlossen werden könnte, dass kein überwiegendes Interesse der Alt-Eigner an der zukünftigen Teilhabe besteht.
928 Zwar würden mit einem solchen Bezugsrecht positive Anreize für die Alt-Anteilseigner einhergehen, das Insolvenzverfahren frühzeitig einzuleiten und kurz vor der Insolvenz keine übermäßigen Risiken einzugehen. Auch wäre ein solches Bezugsrecht geeignet, einen Missbrauch des Planverfahrens-DES durch Gläubiger zu verhindern, weil sie ggf. nicht die erwünschte hohe Beteiligungsquote erlangen würden. Damit würde den Alt-Anteilseignern aber zugleich wieder eine teilweise Blockadeposition zukommen, bei der die Gefahr droht, dass sie sich diese abkaufen lassen. In einer Abwägung setzt sich daher ein Interesse der umwandelnden Gläubiger, keine Inferenten gegen ihren Willen neben sich zu haben, gegen ein Interesse der Anteilseigner an der weiteren Beteiligung an „ihrer“ Gesellschaft durch. Eine Differenzierung nach familiär geprägten Gesellschaften mit kleinem Anteilseignerkreis und Aktiengesellschaften mit einer großen Zahl an Aktionären wäre zwar durchaus wünschenswert, ist mit der derzeitigen Ausgestaltung der InsO allerdings insbesondere deshalb nicht zu erreichen, weil dem deutschen Insolvenzrichter keine umfassende Gestaltungsmacht zukommt, die eine Differenzierung im Einzelfall ermöglichen würde. Eine Berücksichtigung des Interesses der Alt-Anteilseigner an weiterer Beteiligung kann daher von diesen nur über die Verhandlungen über den Insolvenzplan erreicht werden. Dies kann geschehen, indem es ihnen gelingt, die Gläubiger vom Konzept der Fortführung unter Beteiligung auch der Alt-Eigner zu überzeugen.
929 Dies bedeutet zugleich, dass es dem Insolvenzplanersteller nicht untersagt ist, den Alt-Anteilseignern eine zukünftige Teilhabe an der Gesellschaft unter Einbringung von frischem Kapital zu ermöglichen (ihnen also im Vorhinein die Ausübung eines „Bezugsrechts“ anzubieten). Es kann kein Verstoß gegen die absolute Vorrangregel allein darin gesehen werden, dass der Insolvenzplan die Beteiligung der Alt-Anteilseigner mit frischem Kapital zulässt, obwohl die Gläubiger beträchtliche Forderungskürzungen hinnehmen müssen und nicht zu 100 % befriedigt werden. Aus diesem Grund würde ein im Insolvenzplan verankertes Bezugsrecht bei vorzugswürdiger Auslegung des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO auch nicht das Obstruktionsverbot gegenüber ablehnenden Gläubigergruppen ausschalten, da den Anteilseignern allein hiermit noch kein wirtschaftlicher Wert zugewendet wird. Auch mit der Stärkung der Eigenverwaltung durch das ESUG geht keine so große Gefahr einher, dass übermäßig gläubigerbenachteiligende Pläne durch das (fort)-bestehende Management zu erwarten wären; denn mit dem DES als das Bezugsrecht erst aktivierendem Element haben die Gläubiger ausreichende Verhandlungsmacht, um für sie nachteilige Pläne zu verhindern.
442
I. Ergebnisse der Untersuchung
Zu § 8: Ein Verstoß gegen europäische Vorgaben könnte beim DES im Rahmen 930 eines Insolvenzplanverfahrens darin gesehen werden, dass über das Obstruktionsverbot in § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 InsO n. F. eine Kapitalerhöhung den Anteilseignern auch gegen deren ausdrückliche Ablehnung aufoktroyiert werden kann. Denn Art. 29 n. F. (=Art. 25 a. F.) der sog. Kapital-Richtlinie verlangt für eine Kapitalerhöhung immer zwingend eine Entscheidung der Hauptversammlung. Zwar könnte generell mit guten Gründen gefragt werden, ob die Richtlinie überhaupt einen Kompetenzkonflikt zwischen Gläubigern und Aktionären regeln soll oder ob sie von ihrer Schutz-Intention nicht auf Konflikte zwischen Aktionären untereinander bzw. Aktionären und Organen reduziert ist. Jedenfalls aber dürfte die Regelung des DES im Insolvenzplanverfahren unter die vom EuGH aufgestellten Kriterien fallen, unter denen die Anwendbarkeit der Richtlinie suspendiert ist: zwar bleibt die Gesellschaft durch den DES im Grundsatz in ihren Strukturen erhalten, was nach dem EuGH keine Ausnahme zulassen würde. Dies geschieht allerdings unter dem Regime der InsO, die ein Zwangs-Kollektivverfahren mit dem maßgeblichen Ziel der Gläubigerbefriedigung darstellt. Die InsO mit ihren einschneidenden Folgen für alle Beteiligten ist gerade abzugrenzen von einer bloßen (nach Ansicht des EuGH nicht ausreichenden) staatlichen Eingriffsregelung, etwa bei einer Krise einer als wichtig empfundenen Industrie, sondern hat als Voraussetzung, dass die Interessen Gläubigerschaft bereits akut gefährdet sind. Dass die Verwertung des Unternehmensvermögens zugunsten der Gläubiger dabei durch Rechtsträgererhalt geschieht, macht lediglich einen formalen Unterschied. Wollte man dies anders sehen, so wäre eine auch vom EuGH kaum zu erklärende Blockadeposition der Alt-Anteilseigner (wieder-)hergestellt. Nach einer Gesamtabwägung verstößt die ESUG-Regelung daher nicht gegen europäisches Recht. Zu § 9: Eine drohende Aufblähung des Verfahrens durch die nunmehrige Einbe- 931 ziehung der Anteilseigner als Beteiligte des Insolvenzplanverfahrens ist nicht ausgeschlossen. Dies wird aber teils kompensiert durch eine hiermit einhergehende Kontrollfunktion, die der Verhinderung von Wertverschiebungen durch missbräuchliche Gestaltung des Insolvenzplans dient. Zudem können mit der Einbeziehung der Alt-Anteilseigner nach den vorstehenden Erkenntnissen diese ggf. als Investoren weiter gewonnen werden. Ein pre-emptive cram down, bei dem unter der Voraussetzung der am Anfang des Verfahrens vom Gericht festgestellten Wertlosigkeit der Anteile die Anteilseinhaber von der weiteren Teilhabe am Unternehmen ausgeschlossen werden, ist nicht nötig. Ein solches Konstrukt war im US-amerikanischen Chapter 11-Recht als Reaktion auf eine unerwartet starke Machtfunktion der AltAnteilseigner vorgeschlagen worden, weil diese in der Praxis – vielfach unter Verletzung der absolute priority rule – durch den Insolvenzplan Anteile zugewiesen bekommen hatten, ohne dass die Gläubiger zu 100 % befriedigt worden waren. Hintergrund war, dass die für den dem Obstruktionsverbot ähnlichen cram down der Anteilseigner nötigen Vergleichsrechnungen von den Beteiligten unbedingt vermieden werden sollten, weil diese lange Gerichtsverfahren zur Folge hatten, die 443
§ 11 Zusammenfassung der Ergebnisse
den ganzen Sanierungsprozess behinderten. Eine derartige Blockadeposition ist unter der InsO nicht zu erwarten, da diese in deutlicherem Maße als das Chapter 11 gläubigerorientiert ausgestaltet ist. Auch gäbe es, anders als unter einer Generalklausel im Chapter 11, unter der InsO de lege lata keine Handhabe für eine solche präemptive Ausschließung der Anteilseigner aus dem Verfahren. Problematisch ist allerdings, dass nach dem ESUG eine vielfach zu erwartende Ablehnung des Plans durch die Anteilseignergruppe(n) die mehrheitliche Zustimmung auf Gruppenebene nach § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO bedroht und damit die Nutzbarkeit des Obstruktionsverbots beeinträchtigt. Hier wäre es ratsamer gewesen, die Anteilseignergruppen aus diesem Quorum herauszunehmen.
932 Mit der Möglichkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte gehen teils positive, überwiegend aber negative Anreize in Bezug auf eine frühzeitige Insolvenzantragstellung der Alt-Anteilseigner einher, da diesen nunmehr in noch deutlicherem Maße droht, dass sie im Rahmen einer Reorganisation ihre Anteile verlieren. Dies ist aber hinnehmbar, da ein wirklicher Anreiz zur frühzeitigen Antragstellung nur mit stärkeren Einschränkungen der Gläubigerrechte ermöglicht werden würde, was nicht gewollt sein kann. Ein Missbrauchsrisiko der durch das ESUG geschaffenen Regelungen etwa durch einen Hedge-Fonds, der Forderungen günstig auf dem distressed debtMarkt einkauft und damit anstrebt, das Unternehmen über einen DES durch die Hintertür zu übernehmen, besteht in nicht unbeträchtlichem Maße. Entsprechende Erfahrungen gibt es bereits im Chapter 11 der USA, wo ein ausdifferenzierter distressed debt-Markt besteht und heutzutage eine nicht unbeträchtliche Zahl von Firmenübernahmen über das Fremdkapital im Rahmen eines Reorganisationsplans in der Insolvenz läuft. Dies wird befördert durch einen Wandel in der Geschäftspraxis der Banken, in der diese die Kredite immer öfter syndizieren und weiterreichen und ihr Geschäft weniger mit langfristigen Kreditbeziehungen als mit ServiceGebühren betreiben. Kontrollmechanismen gegen Missbrauch können aber bestehen in § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO n. F. sowie in einer Bewertung der Anteile zu Fortführungswerten (ohne Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen). Weitergehender Schutz wäre wiederum allein mit einem neuen Blockadepotential für Alt-Anteilseigner verbunden, was der insolvenzhierarchischen Rang-Stellung widersprechen würde. Ob eine Gefahr des Missbrauchs des Verfahrens durch gesicherte Großgläubiger droht, die sich mit Zugriff auf den Rechtsträger zugleich den – eigentlich den ungesicherten Gläubigern als Befriedigungsobjekt zugeordneten – good will aneignen, kann bezweifelt werden. Dies ist zum einen nur mit einem willfährigen Insolvenzverwalter möglich und müsste zum anderen die nicht unbeachtliche Hürde der Kopf-Mehrheit (neben der Summen-Mehrheit) bei der Gläubiger-Abstimmung nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO überwinden. Will der Insolvenzplanersteller eine Verzögerung des Verfahrens aufgrund von Streitigkeiten um die Zuordnung des good will verhindern, so sollte er über eine Sicherheitenklausel im Insolvenzplan einen Ausgleich hierfür aus dem Sicherheitenfonds nach § 251 Abs. 3 InsO ermöglichen.
444
I. Ergebnisse der Untersuchung
Der DES wird durch die Geltung des Sanierungsprivilegs gefördert, wobei prob- 933 lematisch sein kann, dass dessen Wirkung nur bis zur nachhaltigen Sanierung gilt, nicht aber etwa in einer Folge-Krise. Die steuerrechtlichen Begleitumstände befördern den DES derzeit wenig: zwar hilft der sog. Sanierungserlass weiter, indem er auf Gesellschaftsebene die Entstehung eines steuerpflichtigen Sanierungsgewinns infolge des Wegfalls einen Teils der Verbindlichkeiten verhindert. Dieser setzt aber die Zustimmung der Finanzdirektion voraus, die nicht immer leicht zu erreichen sein wird. Seit der Aussetzung der sog. Sanierungsklausel nach § 8c Abs. 1a KStG in Folge der Feststellung der Nicht-Vereinbarkeit mit europäischem Beihilfenrecht durch die EU-Kommission ist die Nutzung von Verlustvorträgen durch den DESInvestor zudem erheblich erschwert worden. Alternative Reorganisationsmodelle, nach denen Gläubiger und Anteilseigner durch 934 Zuteilung von Anteilen und ausübbaren Optionen auf Anteile am reorganisierten Unternehmen anhand ihrer persönlichen Einschätzung des Unternehmenswertes die bestmögliche Verwertung des Unternehmens unter gleichzeitiger effizienter Befriedigung der Gläubiger betreiben können, haben in der Theorie unbestreitbare Vorteile. Während das Modell von Roe noch erheblichen Schwierigkeiten begegnet, sind die Modelle von Bebchuk und in seiner ausgefeilteren Form von Aghion/Hart/ Moore zielführend, wenngleich mit Informationsdefiziten und dem ggf. erschwerten Zugang zu Finanzierungmitteln für die Beteiligten nicht alle Probleme des Reorganisationsverfahrens eliminiert werden können. Die Umsetzung eines Optionsmodells unter der InsO ist durch das ESUG zwar insbesondere dadurch erleichtert worden, dass die Differenzhaftung ausgeschlossen wurde und der Eingriff in Anteilseignerrechte auch gegen deren Willen ermöglicht wurde. Jedoch trifft sie auch weiterhin auf entscheidende Hindernisse durch Vorgaben des Gesellschaftsrechts und insbesondere des Insolvenzplanrechts. Ohne die Möglichkeit der Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital auch gegen den Willen der betroffenen Gläubiger („Zwangs-DES“) hat das Modell aber nur wenig Aussicht auf Erfolg, da umfangreiche Abfindungssummen insbesondere für gesicherte Gläubiger vorzuhalten wären. Zu § 10: Eine Unternehmensbewertung wird beim DES maßgeblich in zwei Situa- 935 tionen nötig: zum einen hinsichtlich der Frage der Abfindung der Alt-Anteilseigner im Rahmen eines DES, bei dem ihre Alt-Anteile im Rahmen der Kapitalherabsetzung auf Null untergehen, zum anderen bei der Frage der Bewertung der einzubringenden Forderungen. Im besonderen Kontext des Insolvenzplanverfahrens kommen hinsichtlich des mög- 936 lichen Wertansatzes dabei maßgeblich vier Kategorien in Betracht: der Stilllegungswert, der Liquidationswert bei Rechtsträgerliquidation, der Fortführungswert ohne Sanierungsmaßnahmen und der Fortführungswert unter Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen.
445
§ 11 Zusammenfassung der Ergebnisse
937 Im Rahmen des KredReorgG wollte der Gesetzgeber bei insolventen Kreditinstituten den Ansatz eines Fortführungswerts, und zwar selbst bei vorliegender Überschuldung. Bei der Bewertung der Anteile der Alt-Anteilseigner bei „normalen“ Unternehmen wird überwiegend auf den sog. Liquidationswert abgestellt. Dieser regelmäßig zu einem niedrigen Gesamtunternehmenswert führende Ansatz führt vielfach zu gerechten Ergebnissen, da es im Vergleichsszenario der Regelinsolvenz regelmäßig zur Liquidation kommt. Hierdurch können die Anteilseigner aber dann unangemessen benachteiligt werden, wenn der durch die Rechtsträgerreorganisation erreichbare Wert über den Verbindlichkeiten liegt, da der Mehrwert bei Ansatz eines Liquidations-Vergleichswertes den über die Verbindlichkeiten hinausgehenden Mehrwert allein den umwandelnden Gläubigern zuweisen würde. Hinzu kommt die durch das ESUG erhöhte Gefahr des Missbrauchs des Insolvenzverfahrens durch „räuberische Gläubiger“, die distressed-debt-Forderungen in großem Stil aufkaufen und durch deren Fälligstellung die Insolvenz erzwingen, in dessen Rahmen sie sich das Unternehmen über einen DES aneignen. Der Ansatz eines Liquidationswertes würde auch hier den tatsächlichen Wert nicht abbilden können, weshalb unter Ansatz eines Fortführungswerts (allerdings ohne Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen) zu prüfen wäre, ob der so ermittelte Unternehmenswert trotz Insolvenz über den Verbindlichkeiten liegt. Auf diese Weise kann die Übernahme zwar, je nach Konstellation, nicht mehr verhindert werden; zumindest würde den Alt-Anteilseignern aber eine Abfindung zustehen. Da solche Fälle nicht ausgeschlossen, wenngleich aber selten sind, ist ein solcher F(oS)-Wert lediglich als eine Art Missbrauchskontrolle anzusetzen, wenn Anhaltspunkte für das Vorliegen eines vorgenannten Missbrauchsszenarios vorliegen (etwa Insolvenzverfahrenseröffnung nur wegen Zahlungsunfähigkeit bei nicht vorliegender Überschuldung). Der Börsenwert ist dabei nicht als Referenz zu nehmen, da dieser bei insolventen Unternehmen vielfach nur noch einen Spekulationswert bzw. eine nuisance value widerspiegelt; das Risiko einer solchen Überbewertung an der Börse sollten nicht die Gläubiger tragen.
938 Die Frage, in welcher Höhe die gegen ein (insolventes) Unternehmen bestehende Forderung als Sacheinlage eingebracht werden kann, ist hoch umstritten. Nach einer Ansicht in der Literatur kann dies zum Nennwert geschehen, weil die Gesellschaft durch den Entfall in dieser Höhe tatsächlich entlastet werde und weil damit dem Gläubigerschutz besser genüge getan werden könne, indem hiermit die Ausschüttung zukünftiger Gewinne erschwert werde. Die h. M. hält dies dagegen für unvereinbar mit dem Grundsatz der realen Kapitalaufbringung als einem der Grundpfeiler des Kapitalgesellschaftsrechts. Diese Argumente haben deshalb mehr Gewicht, weil zwar mit Recht angezweifelt werden kann, ob und inwieweit zukünftige Gläubiger überhaupt noch Vertrauen in die Kapitalziffer haben oder ob sie sich nicht eher an den Bilanzen orientieren, in denen die tatsächlichen Vermögensverhältnisse abgebildet sind. Hierzu hätte es aber einer gänzlichen Systemänderung bedurft, bei der Kapitalgesellschaften mit einem offen ausgewiesenen niedrigen Stammkapital hätten 446
I. Ergebnisse der Untersuchung
operieren können; dies wurde aber durch das MoMiG nicht geändert, so dass hier keine Ausnahmen zugelassen werden sollten, da das Vertrauen des Marktes auf die Kapitalziffer damit im Grundsatz fortbesteht. Dies wird allerdings zunehmend problematisch, sofern der Gesetzgeber, wie etwa zuletzt mit der Aktiennovelle 2012 (bzw. Aktiennovelle 2014) geplant, hier eine weitere Ausnahme für Wandelschuldverschreibungen zulassen sollte. Bezüglich des DES im Insolvenzplanverfahren hat der ESUG-Gesetzgeber klarge- 939 stellt, dass er der h. M. darin folgt, dass allein zum Verkehrswert der Forderung eingebracht werden kann, der bei einer insolventen Gesellschaft regelmäßig weit unter dem Nennwert liegen wird. Ob hierfür aber der Liquidationswert (der sich zumeist in Höhe der Insolvenzquote belaufen wird) oder ein darüber liegender Fortführungswert angesetzt werden kann, ist dabei noch ungeklärt. Die h. M. vertritt mit Verweis auf den Zeitpunkt der Handelsregisteranmeldung, dass nur der Liquidationswert Ansatz finden dürfe. Dagegen will die Gegenansicht mit Verweis auf die Ermöglichung der Unternehmensfortführung gerade durch die im Insolvenzplan unternommene Sanierung einen Fortführungswert in Form des going-concernWerts ansetzen. Die besseren Argumente sprechen hier für den Ansatz eines Fortführungswerts, der auch die im gestaltenden Teil des Insolvenzplans unmittelbar verankerten Sanierungsmaßnahmen einbeziehen muss. Bei Ansatz eines Liquidationswerts würde der durch die Insolvenzplansanierung generierte Mehrwert sich nicht in einer entsprechenden Anteilshöhe zugunsten der umwandelnden Gläubiger widerspiegeln, ohne dass für diese Ungleichbehandlung zu den nicht-umwandelnden Gläubigern (deren stehen bleibende Forderungen durch die Insolvenzplansanierung wertvoller sind als bei bloßer Liquidation) sowie zu den Bar-Inferenten ein Grund erkennbar wäre. Eine Gefährdung zukünftiger Neu-Gläubiger ist hiermit nicht verbunden, da diese Sanierungsmaßnahmen aufgrund der Konstruktionsweise des Insolvenzplans mit dessen Bestätigung unmittelbar eintreten, ohne dass es weiterer Akte der die Sanierungsopfer erbringenden Beteiligten bedarf. Zu den berücksichtigungsfähigen Effekten zählen vor allem die durch die InsO ermöglichten klassischen leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen wie auch finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen wie die Forderungskürzung und der Forderungsentfall durch den DES selbst. Nicht dagegen berücksichtigt werden dürfen bloße Sanierungshoffnungswerte etwa in Form noch in Zukunft von der Geschäftsführung durchzuführender Maßnahmen oder solche Unternehmenswertsteigerungen, die allein durch Zuschuss frischen Kapitals ermöglicht werden. Für eine solche Ablehnung des Liquidationswertansatzes kann auch zurückgegriffen werden auf die von der Nennwertthese nicht zu Unrecht vorgebrachte Argumentation, dass mit einem niedrigen Grundkapital ggf. eine Gläubigergefährdung eintritt, weil zu einem früheren Zeitpunkt Ausschüttungen ermöglicht werden. Weiter umstritten ist, ob eine Einbringung nur in der Höhe möglich ist, in der vor- 940 her gebundene Aktiva tatsächlich frei werden, oder ob die Einbringungshöhe zu
447
§ 11 Zusammenfassung der Ergebnisse
ermitteln ist anhand der Schuldendeckungsquote, die durch Gegenüberstellung sämtlicher Verbindlichkeiten zu sämtlichen Aktiva zu ermitteln ist. Die besseren Argumente sprechen hier für die letztere Methode, denn hiermit obliegt es nicht allein den umwandelnden Gläubigern, den nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag aufzufüllen. Bei der konkreten Berechnung der Schuldendeckungsquote und damit der Einbringungshöhe besteht keine Bindung an handelsbilanzielle Werte; es ist auch in den anderen bewertungsrelevanten Vorschriften der InsO gängig, die tatsächlichen Werte anzusetzen, womit insbesondere eine Berücksichtigung stiller Reserven und des Geschäftswerts möglich wird. Dabei kann auf das im Rahmen der Insolvenzplanerstellung vom Planersteller ohnehin zu sammelnde und darzustellende Datenmaterial zurückgegriffen werden. Die bereits eingetretene Insolvenz verlangt zudem eine Differenzierung zwischen gesicherten und ungesicherten Gläubigern bei der Bewertung der einzelnen Forderungen, womit durch Einbringung gesicherter Forderungen ein je nach Wert des Sicherungsguts höherer Anteil am zukünftigen Grundkapital erlangt werden kann als mit ungesicherten Forderungen.
II. Ausblick 941 Die Änderungen des Insolvenzplanrechts mit Ermöglichung des DES und die Möglichkeit des Eingriffs in Anteilseignerrechte werden nicht ohne Berechtigung als „wichtiger und richtiger Schritt auf dem Wege zur Entwicklung eines deutlich verbesserten Sanierungsklimas“2184) bezeichnet. Der DES wurde dabei mit großen Vorschusslorbeeren bedacht, was aber nicht heißt, dass sich dieser auch als eine in der Praxis nützliche Vorgehensweise herausstellen wird.2185) Insbesondere die Planbarkeit der Sanierung stellt sich aber, insbesondere im Vergleich zur früheren Rechtslage, als entscheidendes Element dar; denn hiermit kann zugleich erreicht werden, dass für den Investor die Hemmschwelle des Insolvenzverfahrens als Wertvernichter nicht mehr besteht.2186) Hierzu bedarf es aber auch der Kommunizierung der neuen Möglichkeiten.2187) Die umfangreiche Diskussion des ESUG auch unter Einbezug der Insolvenzpraktiker dürfte hierzu beigetragen haben.
942 Dabei ist aber klarzustellen, dass die Reform der Verbesserung der Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzplanverfahren dienen, aber keine Präferenz des Gesetzgebers für die rechtsträgererhaltende Sanierung darstellen sollte. Treffend wird ___________ 2184) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 580. 2185) Kritisch etwa Kleindiek, FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 563: Stellenwert wird überschätzt; Simon, CFL 2010, 448, 451: wird nur in geringem Umfang gebraucht werden (bei Festhalten am Vollwertigkeitserfordernis; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 470: als Sanierungsinstrument in der Insolvenz überschätzt, relevant maßgeblich vor der Insolvenz, um Überschuldung zu beseitigen. Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 520: nur für sehr wenige Sanierungssituationen durch das ESUG attraktiver geworden. 2186) So Meyer-Löwy/Bruder, GmbHR 2012, 432, 439. 2187) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 517 mit weiteren Details.
448
II. Ausblick
daher formuliert, dass der Insolvenzplan kein Allheilmittel, kein Wert an sich und auch nicht der Ort für den planverliebten Verwalter sein sollte. Die übertragende Sanierung wird wohl weiterhin Mittel der Wahl sein, da durch die Planerstellung nicht unbeträchtliche zusätzliche Kosten entstehen können.2188) Mit dem DES wird aber das Spektrum erweitert, so dass bei Vorzugswürdigkeit der Reorganisation zwecks Erhalt der rechtsträgergebundenen Berechtigungen dies ein taugliches Instrument darstellt, das insolvente Unternehmen zugunsten der Gläubigerschaft zu verwerten. Ob der DES Gegenstand einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts2189) oder des EuGH2190) werden wird, kann kaum vorhergesagt werden; aufgrund der damit einhergehenden Probleme ist dies aber nicht unwahrscheinlich. Doch auch abseits der Frage der Vereinbarkeit der Regelung mit höherrangigem Recht dürften die Einzelfragen, insbesondere die Bewertungsfragen und die Frage der Anwendbarkeit des Obstruktionsverbots auf gewisse Gruppen von Beteiligten, die Praxis und Wissenschaft noch länger beschäftigen. In der Praxis wurden die neuen Möglichkeiten des Insolvenzplans bereits genutzt, was aber sogleich mit einer Debatte über die Folgen der Reform einherging.2191) Mit dieser Untersuchung sollte der Versuch unternommen werden, hierzu einen Beitrag zu leisten.
___________ 2188) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 572 Fn. 89. 2189) Zwar ist das BVerfG derzeit infolge der Kontroverse um den Insolvenzplan in der SuhrkampInsolvenz mit der Verfassungsmäßigkeit des ESUG beschäftigt; hierbei geht es aber um einen gesellschafterinternen Konflikt, nicht um das Verhältnis zwischen Gesellschaftern und Gläubigern. Siemon, ZInsO 2014, 172, 181 Fn. 130 verweist auf eine Verfassungsbeschwerde in einem Fall eines Distressed-Debt-Investments, die durch Beschluss vom 16.10.2013 aber nicht zur Entscheidung angenommen wurde. 2190) Nach Piekenbrock, NZI 2012, 905, 908 könne über die Europarechtskonformität der Regelung ohne Vorlage an den EuGH nach Artikel 267 AEUV kaum abschließend entschieden werden. 2191) Vgl. etwa den Beitrag von Carsten Schäfer in der FAZ vom 21.8.2013 („Gefahr für Schutz der Minderheit – Ist die Reform des Insolvenzrechts verfassungswidrig“), wo die nunmehr per Insolvenzplan ermöglichten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen kritisch beäugt werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Insolvenz des Suhrkamp-Verlages, bei dem es nicht unmittelbar um einen DES geht, wo aber per Insolvenzplan der bisherige Minderheitsanteilseigner aus dem Unternehmen gedrängt wird. Schäfer fragt in diesem Kontext, ob nicht mit der „Gläubigerfreundlichkeit übertrieben“ wurde und ob hier nicht Missbrauchspotenzial insbesondere in der Hinsicht droht, dass das „feingestrickte gesellschaftsrechtliche Minderheitenschutzsystem eingerissen“ werde.
449
Literaturverzeichnis Achsnick, Jan Options-Modelle im Insolvenzplanverfahren, Diss. Humboldt-Universität Berlin 2001, Berlin 2002 (zit.: Achsnick) Adler, Barry E. Bankruptcy And Risk Allocation, in: 77 Cornell L. Rev. 439 – 489 (1991) Adler, Barry E./Ayres, Ian A Dilution Mechanism for Valuing Corporations in Bankruptcy, in: 111 Yale L. J. 83 – 150 (2001) Aghion, Philippe/Hart, Oliver/Moore, John The Economics of Bankruptcy Reform, in: 8 J. L. Econ. & Org. 523 – 546 (1992) Ahrens, Martin/Gehrlein, Markus/Ringstmeier, Andreas (Hrsg.) Fachanwaltskommentar Insolvenzrecht, Köln 2012 (zit.: A/G/R/Bearbeiter) Aleth, Franz/Böhle, Jens Neue Transaktionsformen als Folge der Finanzmarkt-/Wirtschaftskrise – handels-, gesellschafts- und insolvenzrechtliche Aspekte, in: DStR 2010, 1186 Alternativ-Kommentar zum GG Hrsg. von Axel Azzola, Band 1, Neuwied 1989, (zit.: AK-GG/Bearbeiter) Altmeppen, Holger Zur Rechtsstellung der Gläubiger im Konkurs gestern und heute, in: Erle, Bernd/Goette, Wulf/Kleindiek, Detlef/Krieger, Gerd/Priester, Hans-Joachim/Schubel, Christian/Schwab, Martin/Teichmann, Christoph/Witt, Carl-Heinz (Hrsg.), Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, Köln 2012, S. 1 – 20. Arbeitskreis für Insolvenzwesen Köln e. V. Stellungnahme zu ESUG, abrufbar unter http://www.ak-inso-koeln.de/index.php?id=658 Arnold, Arnd Nennwertanrechnung beim Debt Equity Swap – Paradigmenwechsel durch das ESUG und die Aktienrechtsnovelle 2012?, in: Krieger, Gerd et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, München 2013, S. 29 – 44 Backhaus, Richard Aktuelle Entwicklungen im Wirtschaftsrecht, Bericht zum 2. Alumni-Seminar am 22.10.2010, Österberg Tübingen, in: NZG 2011, 416 – 422
451
Literaturverzeichnis
Baird, Douglas G. The Bankruptcy Exchange, in: 4 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 23 – 38 (2009) ders. The Elements of Bankruptcy, 4th ed., New York 2006, (zit.: Baird, Elements of Bankruptcy) ders. The New Face Of Chapter 11, in: 12 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 69 – 99 (2004) ders. Revisiting Auctions In Chapter 11, in: 36 J. L. & Econ. 633 – 653 (1993) ders. The Uneasy Case For Corporate Reorganizations, in: 15 J. Legal Stud. 127 – 147 (1986) Baird, Douglas G./Bernstein, Donald S. Absolute Priority, Valuation Uncertainty, and the Reorganization Bargain, in: 115 Yale L. J. 1930 – 1970 (2006) Baird, Douglas G./Jackson, Thomas H. Bargaining After the Fall and the Contours of the Absolute Priority Rule, in: 55 U. Chi. L. Rev. 738 – 789 (1988) Baird, Douglas G./Picker, Randal C. A Simple Noncooperative Bargaining Model of Corporate Reorganizations, in: 20 J. Legal Stud. 311 – 349 (1991) Baird, Douglas G./Rasmussen, Robert K. Antibankruptcy, in: 119 Yale L. J. 648 – 699 (2010) dies. Chapter 11 At Twilight, in: 56 Stan. L. Rev. 673 – 699 (2003) Balz, Manfred Die Ziele der Insolvenzordnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: das neue Insolvenzrecht in der Praxis, Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e. V. Köln (Hrsg.), 2. Auflage, Berlin/Herne 2000, S. 3 – 22 ders. Die Ziele des Reformentwurfs, in: Kübler, Bruno (Hrsg.), Neuordnung des Insolvenzrechts, Köln 1989, S. 1 – 19 ders. Logik und Grenzen des Insolvenzrechts, Zugleich eine Besprechung von Jackson, The Logic and Limits of Bankruptcy Law, in: ZIP 1988, 1438 – 1445
452
Literaturverzeichnis
ders. Sanierung von Unternehmen oder von Unternehmensträgern?, Zur Stellung der Eigentümer in einem künftigen Reorganisationsverfahren, Köln 1986 (zit.: Balz, Sanierung) Bauer, Andreas/Dimmling, Andreas Endlich im Gesetz(entwurf): Der Debt-Equity-Swap, in: NZI 2011, 517 – 521 Baumbach, Adolf/Hueck, Alfred GmbHG, Kommentar, 20. Aufl., München 2013 (zit.: B/H/Bearbeiter) Bay, Karl-Christian/Seeburg, Dirk/Böhmer, Martin Debt-Equity-Swap nach § 225a Abs. 2 S. 1 des geplanten Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), Überblick über gesetzgeberische Ziele, Voraussetzungen und Verfassungsmäßigkeit nach Art. 14 GG, in: ZInsO 2011, 1927 – 1941 Bayer, Walter/Schmidt, Jessica BB-Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsreport Europäisches Unternehmensrecht 2012, in: BB 2013, 3 – 16 Bebchuk, Lucian Arye A New Approach to Corporate Reorganizations, in: 101 Harv. L. Rev. 775 – 804 (1987) Beck’scher Online-Kommentar zum GmbHG hrsg. von Ziemons, Hildegard/Jaeger, Carsten, Stand: 15.06.2015, unter beck-online (zit.: BeckOK-GmbHG/Bearbeiter) Berliner Kommentar zum Insolvenzrecht Loseblattsammlung, hrsg. von Jürgen Blersch, Hans-W. Goetsch, Ulrich Haas, Stand Oktober 2013 (zit.: BerlKomm-Bearbeiter) Bitter, Georg Sanierung in der Insolvenz – Der Beitrag von Treue- und Aufopferungspflichten zum Sanierungserfolg, in: ZGR 2010, 147 – 200 Bitter, Georg/Laspeyres, Anne Rechtsträgerspezifische Berechtigungen als Hindernis übertragender Sanierung, in: ZIP 2010, 1157 – 1165 Blöse, Jochen Haftung der Geschäftsführer und Gesellschafter nach dem ESUG, in: GmbHR 2012, 471 – 478 Blümich Blümich – EStG, KStG, EStG, Kommentar, herausgegeben von Bernd Heuermann und Peter Brandis, Stand: November 2014 (126. Ergänzungslieferung) (zit.: Blümich/Bearbeiter)
453
Literaturverzeichnis
Bork, Reinhard Grundfragen des Restrukturierungsrechts, Prolegonema zu einer Reform des deutschen Insolvenzrechts, in: ZIP 2010, 397 – 413 Bork, Reinhard/Schäfer, Carsten (Hrsg.) Kommentar zum GmbHG, 2. Auflage, Köln 2012 (zit.: Bork/Schäfer/Bearbeiter, GmbHG) Bormann, Jens Kreditreorganisationsgesetz, ESUG und Scheme of Arrangement, in: NZI 2011, 892 – 898 Bradley, Michael/Rosenzweig, Michael The Untenable Case For Chapter 11, in: 101 Yale L. J. 1043 – 1089 (1992) Braun, Eberhard Eingriff in Anteilseignerrechte im Insolvenzplanverfahren, Das U. S.amerikanische Konzept in Chapter 11 Bankruptcy Code und seine deutsche Entsprechung, in: Ganter, Hans-Gerhard et al. (Hrsg.), Haftung und Insolvenz, Festschrift für Gero Fischer zum 65. Geburtstag, München 2008, S. 53 – 70 ders. Das Obstruktionsverbot in der Praxis: Ein überzeugender Start, in: NZI 1999, 473 – 478 Braun, Eberhard (Hrsg.) Insolvenzordnung, Kommentar, 6. Aufl., 2014, München (zit.: Braun/Bearbeiter) Braun, Eberhard/Heinrich, Jens Auf dem Weg zu einer (neuen) Insolvenzplankultur in Deutschland – Ein Beitrag zu dem Regierungsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, in: NZI 2011, 505 – 517 Braun, Eberhard/Uhlenbruck, Wilhelm Unternehmensinsolvenz: Grundlagen, Gestaltungsmöglichkeiten, Sanierung mit der Insolvenzordnung, Düsseldorf 1997 (zit.: Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz) Brinkmann, Moritz Wege aus der Insolvenz eines Unternehmens – oder: Die Gesellschafter als Sanierungshindernis, in: WM 2011, 97 – 103 ders. Kreditsicherheiten an beweglichen Sachen und Forderungen, Eine materiell-, insolvenz- und kollisionsrechtliche Studie des Rechts der Mobiliarsicherheiten vor dem Hintergrund internationaler und europäischer Entwicklungen, Habil. Univ. Köln 2009, Tübingen 2011 (zit.: Brinkmann)
454
Literaturverzeichnis
Broude, Richard F. Cramdown and Chapter 11 of the Bankruptcy Code: The Settlement Imperative, in: 39 Bus. Law. 441 – 454 (1984) Brüning, Marc Gesellschafter und Insolvenzplan: Eine Untersuchung ihrer Stellung in der Reorganisation insolventer Gesellschaften im Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO), Diss. Univ. Erfurt 2006 (zit.: Brüning) Büchele, Moritz Eingriff in Gesellschafterrechte im Insolvenzplan, Diss. Univ. Regensburg 2011, Frankfurt 2011 (zit.: Büchele) Bücker, Thomas/Petersen, Sven Kapitalmarkttransparenz bei Restrukturierungen – Loan-to-own-Strategien im Lichte des derzeit geltenden Melderegimes, in: ZGR 2013, 802 – 831 Budde, Matthias Finanzielle Restrukturierung von Private Equity-Portfoliounternehmen, in: ZInsO 2010, 2251 – 2276 Bufford, Samuel L. What Is Right About Bankruptcy Law And Wrong About Its Critics, in: 72 Wash. U. L. Q. 829–848 (1994) Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e. V. Stellungnahme zum Gesetzentwurf (DiskE Juli 2010) „Weitere Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ vom 9.8.2010, abrufbar unter http://bak-inso.de/ index.php?option=com_phocadownload&view=category&id=12&Itemid=95 (zit.: Stellungnahme des BAKInsO zum DiskE-ESUG vom 9.8.2010) Bundesministerium der Finanzen Schreiben vom 27.3.2003, Betreff: Ertragssteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen; Steuerstundung und Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (§§ 163, 222, 227 AO) (zit.: BMF-Schreiben vom 27.3.2003) Bundesverband Deutscher Banken Stellungnahme zum KredReorgG vom 4. Oktober 2010, abrufbar unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a07/anhoerungen/ 2010/029/Stellungnahmen/7_Bundesverband_deutscher_Banken_e_V.pdf (zit.: Stellungnahme des Bundesverbands deutscher Banken zum KredReorgG, vom 4. Oktober 2010) Buth, Andrea/Hermanns, Michael Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz (Handbuch), 3. Aufl., 2009, München, (zit.: Bearbeiter, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz)
455
Literaturverzeichnis
Cahn, Andreas/Simon, Stefan/Theiselmann, Rüdiger Nennwertanrechnung beim Debt Equity Swap!, Replik zu Prof. Dr. Ekkenga, DB 2012, S. 331, in: DB 2012, 501 – 504 dies. Forderungen gegen die Gesellschaft als Sacheinlage? – Zum Erfordernis der Forderungsbewertung beim Debt-Equity-Swap, in: CF 2010, 238 – 250 dies. Debt Equity Swap zum Nennwert! – Erwiderung auf Prof. Dr. Priester, DB 2010, S. 1445, in: DB 2010, 1629 – 1632 Carli, Winfried/Rieder, Markus/Mückl, Norbert Debt-to-Equity-Swaps in der aktuellen Transaktionspraxis, in: ZIP 2010, 1737–1743 Carr, James M. When Can the Owners Participate in the Reorganized Debtor? – Cram Down as a „Shield“ for Creditors, in: 15 Ind. L. Rev. 547 – 560 (1982) Coleman, Thomas H./Woodruff, David E. Looking Out for Shareholders: The Role of the Equity Committee in Chapter 11 Reorganization Cases of Large, Publicly Held Companies, in: 68 Am. Bankr. L. J. 295 – 317 (1994) Daimer, Andreas Distressed Debt Investments: Debt-Equity-Swaps am deutschen Markt, Hamburg 2009 (zit.: Daimer) DAV Stellungnahme des DAV durch den Insolvenzrechtsausschuss vom 10.3.2010, abrufbar unter http://anwaltverein.de/downloads/stellungnahmen/SN-10/ SN132010.pdf Decher, Christian/Voland, Thomas Kapitalschnitt und Bezugsrechtsausschluss im Insolvenzplan – Kalte Enteignung oder Konsequenz des ESUG?, in: ZIP 2013, 103 – 114 Deutscher Industrie- und Handelskammertag Positionspapier DIHK „Zehn Vorschläge zur Unternehmenssanierung in der Insolvenz“ v. 18.11.2009, abrufbar unter http://www.dihk.de/ressourcen/downloads/ position_insolvenzplanverfahren.pdf Deutscher Notarverein Stellungnahme des DNotV zum DiskE-ESUG vom 14.10.2010, abrufbar unter http://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bibliothek/Geset zesmaterialien/17_wp/Esug/stellung_dnotv_diske.pdf?__blob=publicationFile (zit.: Stellungnahme des DNotV vom 14.10.2010) 456
Literaturverzeichnis
Diffring, Philipp Umwandlung von Forderungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, Gestaltungen und Privilegierungen im Steuer- und Wirtschaftsrecht, Diss. Universität Bonn 2012, Berlin 2012 (zit.: Diffring) Drain, Robert D./Schwartz, Elizabeth J. Are Bankruptcy Claims Subject to the Federal Securities Laws?, in: 10 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 569 – 624 (2002) Dreier, Peter Bezugsrechtsausschluss im Aktienrecht – Reduzierung der Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung, Diss. Univ. Münster 2005 (zit.: Dreier) Drouven, Ralph Neue Wege: „Reverse Debt-to-Equity-Swap“, in: ZIP 2009, 1052 – 1053 Drouven, Ralph/Nobling, Jesko Reverse Debt-Equity-Swaps – Auch steuerlich eine Alternative?, in: DB 2009, 1895 – 1900 Drüen, Klaus-Dieter Die Sanierungsklausel des § 8c KStG als europarechtswidrige Beihilfe, Anmerkungen zur Beihilfeentscheidung der EU-Kommission vom 26.1.2011, in: DStR 2011, 289 Drukarczyk, Jochen Insolvenzplan und Obstruktionsverbot, Regensburger Diskussionsbeiträge zur Wirtschaftswissenschaft; Nr. 315, Regensburg 1998 (zit.: Drukarczyk, Insolvenzplan und Obstruktionsverbot) ders. Verwertungsformen und Kosten der Insolvenz, in: BFuP 1995, 40 – 57 ders. Theorie und Politik der Finanzierung, 2. Aufl., 1993, München (zit.: Drukarczyk, Theorie und Politik der Finanzierung, 2. Aufl., 1993) ders. Insolvenzrecht als Versuch marktkonformer Gestaltung von Verwertungsentscheidungen und Verteilungsregeln, in: ZIP 1989, 341 – 351 Drukarczyk, Jochen/Schöntag, Stefanie Insolvenzplan, optionsbasierte Lösungen, Verlustvorträge und vom Gesetzgeber verursachte Sanierungshemmnisse, Regensburger Diskussionsbeiträge zur Wirtschaftswissenschaft Nr. 414 (Juli 2006) (zit.: Drukarczyk/Schöntag) Drukarczyk, Jochen/Schüler, Andreas Unternehmensbewertung, 6. Aufl., 2009, München (zit.: Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung)
457
Literaturverzeichnis
Drygala, Tim Die Kapitalerhöhung durch Aufrechnung mit einem Guthaben gegenüber der AG nach deutschem Recht, in: SZW 2006, 245 – 255 Easterbrook, Frank H./Fischel, Daniel L. Corporate Control Transactions, in: 91 Yale L. J. 698 – 737 (1982) Eckert, Rainer/Harig, Florian Zur Bewertung von Sicherheiten beim Debt Equity Swap nach § 225a InsO im Insolvenzplanverfahren, in: ZInsO 2012, 2318 – 2324 Eidenmüller, Horst Unternehmenssanierung nach der Insolvenzrechtsreform 2011, in: Habersack, Mathias et al. (Hrsg.), Stärkung des Anlegerschutzes – Neuer Rechtsrahmen für Sanierungen (Bankrechtstag 2011), Berlin, 2012, S. 129 – 161 (zit.: Eidenmüller, Bankrechtstag 2011) ders. Reformperspektiven im Restrukturierungsrecht, in: ZIP 2010, S. 649 – 660 ders. Restrukturierung systemrelevanter Kreditinstitute, in: Grundmann, Stefan (Hrsg.), Unternehmen, Markt und Verantwortung, Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010, Berlin, 2010, S. 1713 – 1731 ders. Finanzkrise, Wirtschaftskrise und das deutsche Insolvenzrecht, Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 10. Juni 2009, Berlin 2009 (zit.: Eidenmüller, Finanzkrise) ders. Leveraged Buyouts und die Effizienz des deutschen Restrukturierungsrechts, in: ZIP 2007, 1729 – 1737 ders. Gesellschafterstellung und Insolvenzplan, in: ZGR 2001, 680 – 711 ders. Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz – Mechanismen der Unternehmensreorganisation und Kooperationspflichten im Reorganisationsrecht, Habil. Univ. München 1998, Köln 1999 (zit: Eidenmüller, Unternehmenssanierung) Eidenmüller, Horst/Engert, Andreas Reformperspektiven einer Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital (Debt-Equity-Swap) in Insolvenzplanverfahren, in: ZIP 2009, 541 – 554
458
Literaturverzeichnis
Eisenberg, Martin When Hedge Funds Invest In Distressed Debt, in: New York Law Journal v. 15. Oktober 2007, abrufbar unter http://www.thompsonhine.com/publications/ pdf/2007/10/whenhedgefunds1247.pdf Ekkenga, Jens Neuerliche Vorschläge zur Nennwertanrechnung beim Debt-Equity-Swap – Erkenntnisfortschritt oder Wiederbelebungsversuche am untauglichen Objekt?, in: DB 2012, 331 – 337 ders. Sachkapitalerhöhung gegen Schuldbefreiung, in: ZGR 2009, 581 – 622 Engels, Andreas „Ley Hypo Real Estate“ – Das Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz auf verfassungsrechtlichem Prüfstand, in: BKR 2009, 365 – 371 Fassbach, Burkhard Die „cram down power“ des amerikanischen Konkursgerichtes im Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 des Bankruptcy Code – Vorbild für das Obstruktionsverbot in der deutschen Insolvenzordnung, Diss Univ. Frankfurt (Main) 1997, Frankfurt 1997 (zit.: Fassbach) Fischer, Gero Das neue Rechtsmittelverfahren gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wird, in: NZI 2013, 513 – 521 Flessner, Alex Sanierung und Reorganisation, Insolvenzverfahren für Großunternehmen in rechtsvergleichender und rechtspolitischer Untersuchung, Habil. 1978 Univ. Hamburg, Tübingen 1982 (zit.: Flessner) ders. Sanierung von Unternehmen, in: ZRP 1982, 244 Flume, Johannes W. Vermögenstransfer und Haftung – eine Studie zur Nutzbarmachung der Universalsukzession für die Unternehmenspraxis, Diss. Univ. Köln 2008, Berlin 2008 (zit.: J. W. Flume, Vermögenstransfer und Haftung) Förster, Karsten Klartext: Das Geheimnis des going concern, in: ZInsO 1999, 555 – 556 Fortgang, Chaim J./Mayer, Thomas Moers Valuation in Bankruptcy, in: 32 UCLA L. Rev. 1061 – 1132 (1985)
459
Literaturverzeichnis
Frankfurter Kommentar zur InsO Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, mit EuInsVO, InsVV und weiteren Nebengesetzen, hrsg. von Klaus Wimmer, 6. Auflage, Neuwied 2011 sowie 8. Auflage, Neuwied 2015 (zit.: FK-InsO/Bearbeiter) Freke, Tom Lenders mount loan-to-own bid for Monier, Reuters v. 9.6.2009, abrufbar unter http://www.reuters.com/article/2009/06/09/ us-monier-restructuring-idUSTRE55833420090609 Frind, Frank Problemanalyse zur geplanten Neuregelungen des Plan- und Eigenverwaltungsverfahrens nebst Insolvenzstatistik, in: ZInsO 2011, 656 – 661 ders. Die Grenze zwischen Gestaltung und Manipulation im Insolvenzplanverfahren, in: NZI 2007, 374 – 378 Fromm, Andreas Der Debt-Equity-Swap als Sanierungsbeitrag im Zeitpunkt der Überschuldung, in: ZInsO 2012, 1253 – 1256 Füchsel, Hans Probleme des Bezugsrechtsausschlusses im deutschen Aktienrecht, in: BB 1972, 1533 – 1540 Gehrlein, Markus Banken – vom Kreditgeber zum Gesellschafter – neue Haftungsfallen? (Debt-Equity-Swap nach ESUG), in: NZI 2012, 257 – 261 Geist, Andreas Die Besteuerung von Sanierungsgewinnen – Zur Anwendbarkeit, Systematik und Auslegung des BMF-Schreibens vom 27.3.2003, in: BB 2008, 2658 – 2666 Georgakopoulus, Leonidas Anmerkung zur Entscheidung des EuGH v. 24.3.1992, Rs. C 381/89 – Syndesmos Melon, in: ZEuP 1995, 639 – 645 Georgakopoulus, Nicholos L. New Value, Fresh Start, in: 3 Stan. J. L. Bus. & Fin. 125 – 168 (1997) Gerhardt, Walter Zur Reichweite der Vermögenshaftung – Dargestellt am Beispiel der vollstreckungs-, insolvenz- und anfechtungsrechtlichen Zugriffs auf Unternehmen und Freiberuflerpraxen, in: Schilken, Eberhard/Becker-Eberhard, Ekkehard/Gerhardt, Walter (Hrsg.), Festschrift für Hans-Friedhelm Gaul zum 70. Geburtstag, Bielefeld 1997, S. 139 – 151 460
Literaturverzeichnis
Geßler, Ernst Die Umwandlung von Krediten in haftendes Kapital, in: Hefermehl, Wolfgang (Hrsg.), Festschrift für Philipp Möhring zum 75. Geburtstag, München 1975, S. 173 – 196 Goldschmid, Paul More Phoenix than Vulture: The Case For Distressed Investor Presence In The Bankruptcy Reorganization Process, in: 2005 Colum. Bus. L. Rev. 191 – 274 (2005) Gottwald, Peter (Hrsg.) Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Auflage, München 2010 sowie 5. Auflage, München 2015 (zit.: Gottwald/Bearbeiter, InsR-Hdb) Graf-Schlicker, Marie Luise (Hrsg.) Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl., Köln 2014 (zit.: Graf-Schlicker/Bearbeiter) Gravenbrucher Kreis Stellungnahme zum Diskussionsentwurf eines Insolvenzrechtsreformgesetzes, in: ZIP 1989, 468 – 475 Groh, Manfred Einlage wertgeminderter Gesellschafterforderungen in Kapitalgesellschaften, in: BB 1997, 2523 – 2529 Gross, Paul Die Umwandlung von Forderungen gegen eine notleidende GmbH in Gesellschaftskapital, in: GmbHR 1983, 290 – 297 Großfeld, Bernhard Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., Köln 2012 (zit.: Großfeld, Unternehmensbewertung) Großfeld, Bernhard/Luttermann, Claus Bilanzrecht, Die Rechnungslegung in Jahresabschlusß und Konzernabschluß nach Handelsrecht und Steuerrecht, Eroparecht und IAS/IFRS, 4. Aufl., Heidelberg 2005 (zit.: Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht) Gundlach, Ulf/Frenzel, Volkhard/Schmidt, Nikolaus Die Kapitalerhöhung in der Insolvenz, in: NZI 2007, 692 – 695 Haarmeyer, Hans/Wutzke, Wolfgang/Förster, Karsten (Hrsg.) Handbuch zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., München 2001 (zit.: Haarmeyer/Wutzke/Bearbeiter, Hdb)
461
Literaturverzeichnis
Haas, Ulrich Mehr Gesellschaftsrecht im Insolvenzplanverfahren – Die Einbeziehung der Anteilsrechte in das Insolvenzverfahren, in: NZG 2012, 961 – 967 ders. Das neue Kapitalersatzrecht nach dem RegE-MoMiG, in: ZInsO 2007, 617 – 629 Habersack, Mathias/Stilz, Eberhard Zur Reform des Beschlussmängelrechts – Bestandsaufnahme nach ARUG und Perspektiven -, in: ZGR 2010, 710 – 732 Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht Schmidt, Andreas (Hrsg.), Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Auflage, Köln 2015 (zit.: HambKomm/Bearbeiter) Hanau, Peter/Berscheid, Ernst-Dieter Übertragende Sanierung von und in der Insolvenz, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: das neue Insolvenzrecht in der Praxis, Arbeitskreis für Insolvenzund Schiedsgerichtswesen e. V. Köln (Hrsg.), 2. aktualisierte und wesentlich erweiterte Auflage, Berlin/Herne 2000, S. 1541 – 1583 Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), Band VII: Freiheitsrechte, 3. Auflage, Heidelberg 2009 (zit.: Bearbeiter, in: HStR VII) Hannemann, Hans Zur Bewertung von Forderungen als Sacheinlagen bei Kapitalgesellschaften, in: DB 1995, 2055 – 2056 Harner, Michelle M. Activist Distressed Debtholders: The New Barbarians at The Gate?, in: 89 Wash. U. L. Rev. 155 – 206 (2011) dies. The Corporate Governance And Public Policy Implications of Activist Distressed Debt Investing, in: 77 Fordham L. Rev. 703 – 773 (2008) dies. Trends in Distressed Debt Investing: An Empirical Study of Investors’ Objectives, in: 16 ABI L. Rev. 69 – 110 (2008) Hart, Oliver Firms, Contracts and Financial Structure, Clarendon Press, Oxford 1995 (zit.: Hart, Firms, Contracts and Financial Structure) Häsemeyer, Ludwig Insolvenzrecht, 4. Auflage, Köln 2007 (sowie als 3. Auflage, Köln 2003), (zit.: Häsemeyer, Insolvenzrecht)
462
Literaturverzeichnis
Haß, Detlef/Huber, Peter/Gruber, Urs/Heiderhoff, Bettina EU-Insolvenzverordnung, Kommentar zur Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO), München 2005 (zit.: Bearbeiter, in: Haß/Huber, EuInsVO) Hax, Herbert/Marschdorf, Hans-Joachim Anforderungen an ein Insolvenzrecht aus betriebswirtschaftlicher Sicht, in: BFuP 1983, S. 112 – 130 Heidel, Thomas (Hrsg.) Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 3. Auflage, Baden-Baden 2011 (zit.: Heidel/Bearbeiter, AktR) Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung hrsg. von Gerhard Kreft, 7. Aufl., Heidelberg 2014 (zit.: HK-InsO/Bearbeiter) Heim, Justus Aufrechnung von Geldeinlageforderungen aus einer GmbH-Kapitalerhöhung gegen Gesellschafterforderungen (zu § 19 Abs. 3 GmbHG), in: DNotZ 1955, 358 – 367 Heinrich, Jens Insolvenzplan „reloaded“ – Zu den Änderungen im Insolvenzplanverfahren durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, in: NZI 2012, S. 235 – 242 Henssler, Martin/Strohn, Lutz (Hrsg.) Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. München 2014 (zit.: Henssler/Strohn/Bearbeiter) Hess, Harald/Weis, Michaela/Wienberg, Rüdiger Insolvenzordnung, 2. Aufl., Heidelberg 2000 (zit.: Hess, InsO) Himmelsbach, Rainer/Achsnick, Jan Investments in Krisenunternehmen im Wege sanierungsprivilegierter debtequity-swaps, in: NZI 2006, 561 – 564 Hirte, Heribert Restrukturierung nach der InsO: Gesetzesplan, Fehlstellen und Reformansätze innerhalb einer umfassenden InsO-Novellierung, in: ZGR 2010, 224 – 247 ders. Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung – Minderheitenschutz bei Eingriffen in die Beteiligungsstruktur der Aktiengesellschaft, Diss. Univ. Köln 1985 unter dem Titel: „ Genehmigtes Kapital“, Köln 1986 (zit.: Hirte, Bezugsrechtsausschluss) Hirte, Heribert/Knof, Bela/Mock, Sebastian Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (Teil I), in: DB 2011, 632 – 643
463
Literaturverzeichnis
dies. Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (Teil II), in: DB 2011, 693 – 698 Hofert, Sebastian/Möller, Christian GmbHG-Finanzierung: Debt Mezzanine Swap – der bessere Debt Equity Swap für Unternehmen in der Krise, in: GmbHR 2009, 527 – 531 Höffner, Dietmar Fortführungswerte in der Vermögensübersicht nach § 153 InsO, in: ZIP 1999, 2088 – 2092 Hölzle, Gerrit Die „erleichterte Sanierung von Unternehmen“ in der Nomenklatur der InsO – ein hehres Regelungsziel des RefE-ESUG, in: NZI 2011, 124 – 131 ders. Die Sanierung von Unternehmen im Spiegel des Wettbewerbs der Rechtsordnungen in Europa – Eine Betrachtung der Sanierungs- und Insolvenzstandortes Deutschland de lege lata und de lege ferenda im europäischen Vergleich am Beispiel Englands, in: KTS 2011, 291 – 341 Hölzle, Gerrit/Pink, Andreas Mezzanine-Programme und Gestaltungspotenzial der Sanierungseigenverwaltung im ESUG, in: ZIP 2011, 360 – 368 Honsell, Heinrich Umwandlung von Kredit in Haftkapital – „verschleierte“ Sacheinlage?, in: Enzinger, Michael/Hügel, Hanns/Dillenz, Walter (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Frotz zum 65. Geburtstag, Wien 1993, S. 307 – 318 Hopt, Klaus/Wiedemann, Herbert (Hrsg.) Großkommentar zum Aktiengesetz, Sechster Band, 4. Aufl., Berlin 2006 (zit.: GroßkommAktG/Bearbeiter) Horstkotte, Martin/Martini, Torsten Die Einbeziehung der Anteilseigner in der Insolvenzplan nach ESUG, MusterArbeitshilfen für Aktiengesellschaft und Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in: ZInsO 2012, 557 – 581 Hotchkiss, Edith/Mooradian, Robert Vulture investors and the market for control of distressed firms, in: 43 J. Fin. Econ. 401 – 432 (1997) Huelsdunk, Inke Liquidation oder Reorganisation im Insolvenzplan – Alternativen aus der Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts, in: KTS 1999, 291 – 312 Hüffer, Uwe/Koch, Jens Aktiengesetz, Kommentar, 11. Aufl., München 2014 (zit.: Hüffer/Koch, AktG) 464
Literaturverzeichnis
Hüffer, Uwe Bewertungsprobleme in der Überschuldungsbilanz, in: Wank, Rolf/Hirte, Heribert/ Frey, Kaspar/Fleischer, Holger/Thüsing, Gregor (Hrsg.) Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, München 2002, S. 1047 – 1068 Hüttemann, Rainer Überschuldung, Überschuldungsstatus und Unternehmensbewertung, in: Bitter, Georg/Lutter, Marcus/Priester, Hans-Joachim/Schön, Wolfgang/Ulmer, Peter (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, Köln 2009, S. 761 – 778 Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW) (Hrsg.) IDW Rechnungslegungshinweis: Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand 13.6.2008, in: IDW Prüfungsstandards IDW Stellungnahmen zur Rechnungslegung, Band II (zit.: IDW RH HFA 1.010) Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW) (Hrsg.) IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i. d. F. 2008), Stand 2.4.2008, in: IDW Prüfungsstandards IDW Stellungnahmen zur Rechnungslegung, Band II (zit.: IDW S 1 i. d. F. 2008) Jackson, Thomas H. Comment On Baird, „Revisiting Auctions In Chapter 11“, in: 36 J. L. & Econ. 655 – 669 (1993) ders. Bankruptcy, Non-Bankruptcy Entitlements, and the Creditors’ Bargain, in: 91 Yale L. J. 857 – 907 (1982) Jaffé, Michael/Friedrich, Andreas Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Insolvenzstandorts Deutschlands, in: ZIP 2008, 1849 – 1858 Jarass, Hans D./Pieroth, Bodo Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 11. Aufl., München 2011 (zit.: Jarass/Pieroth) Jung, Peter Der Unternehmergesellschafter als personaler Kern der rechtsfähigen Gesellschaft, Habil Univ. Freiburg 2002, Tübingen 2002 (zit.: Jung, Der Unternehmergesellschafter als personaler Kern der rechtsfähigen Gesellschaft) ders. Individualschutz durch Wirtschaftsgrundrechte im Gesellschaftsrecht, in: JZ 2001, 1004 – 1017 Kaiser, Thomas Die Crux mit dem Going Concern – Einige Gedanken zu § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, in: ZIP 2012, 2478 – 2489 465
Literaturverzeichnis
Kaltmeyer, Christoph Der Insolvenzplan als Sanierungsmittel des Schuldners – Unter Berücksichtigung des EGInsOÄndG v. 19.12.1998 (Teil II), in: ZInsO 1999, 316 – 324 Kanzler, Oliver/Mader, Florian Sanierung um jeden Preis? – Schutz der Neugläubiger nach Durchführung eines insolvenzrechtlichen Debt-Equity-Swaps, in: GmbHR 2012, 991 – 998 Karollus, Martin Die Umwandlung von Geldkrediten in Grundkapital – eine verdeckte Sacheinlage?, in: ZIP 1994, S. 589 – 599 Kassing, Uwe Mediation im Insolvenzplanverfahren – eine Verhandlungstechnik zur Durchsetzung von Insolvenzplänen?, in: ZInsO 1999, 266 – 270 Kautz, Oliver Die gesellschaftsrechtliche Neuordnung der GmbH im künftigen Insolvenzrecht, Diss. 1994, Frankfurt 1994 (zit.: Kautz) Kestler, Matthias/Striegel, Andreas/Jesch, Thomas Distressed Debt Investments – Insolvenzrechtliche Instrumentarien der Unternehmenssanierung über Fremdkapital, in: NZI 2005, 417 – 424 Kippenberg, Johannes Anmerkung zu Beschluss des EuG vom 18.12.2012 – T-205/11, in: IStR 2013, 106 Klee, Kenneth N. All You Ever Wanted to Know About Cram Down Under the New Bankruptcy Code, in: 53 Am. Bankr. L. J. 133 – 171 (1979) Kleindiek, Detlef Debt-Equity-Swap im Insolvenzplanverfahren, in: Erle, Bernd/Goette, Wulf/Kleindiek, Detlef/Krieger, Gerd/Priester, Hans-Joachim/Schubel, Christian/ Schwab, Martin/Teichmann, Christoph/Witt, Carl-Heinz (Hrsg.), Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, Köln 2012, S. 543 – 563 Klöhn, Lars Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, Habil. Univ. Göttingen 2007, Tübingen 2009 (zit.: Klöhn) Kluth, Thomas Die „wertlosen Gesellschaftsanteile“ – der Stein des Anstoßes im SanierungsInsolvenzplan, in: ZInsO 2002, 258 – 264 Knops, Kai-Oliver/Bamberger, Heinz-Georg/Maier-Reimer, Georg (Hrsg.) Recht der Sanierungsfinanzierung, Berlin 2005 (zit.: Bearbeiter, in: Recht der Sanierungsfinanzierung)
466
Literaturverzeichnis
Kölner Kommentar zum Aktiengesetz Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. von Zöllner, Wolfgang/Noack, Ulrich, Band 1, 3. Aufl., 2011 (zit.: KK-AktG/Bearbeiter) Band 5/1, 2. Aufl., 1995 (zit.: KK-AktG/Bearbeiter, 2. Aufl., 1995) Kommission für Insolvenzrecht Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz, Köln 1985 (zit.: KfI, Erster Bericht) Kresser, Matthias Debt-equity-swaps im Insolvenzplanverfahren de lege ferenda – Zur Änderung der Stellung der Anteilsinhaber im Insolvenzplanverfahren durch den Diskussionsentwurf des BMJ für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, in: ZInsO 2010, 1409 – 1418 Krolop, Kaspar Deregulierung bei der Sacheinlage durch Regulierung von Gesellschafteraufrechnung – Vorschlag für eine Erleichterung der Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital, in: GmbHR 2007, 117 – 125 Krull, Helge Bedingter Insolvenzplan und Kapitalschnitt, Diss. Univ. Hamburg 2000, Berlin 2000 (zit.: Krull) Kübler, Bruno (Hrsg.) Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, Eigenverwaltung und Insolvenzplan, 1. Aufl., 2012 sowie 2. Aufl., 2014, (zit.: Bearbeiter, in: Kübler, HRI) Kübler, Bruno/Prütting, Hanns/Bork, Reinhard (Hrsg.) InsO, Kommentar zur Insolvenzordnung, Loseblattsammlung, Stand April 2015, Köln (zit.: K/P/B/Bearbeiter) Kunz, Hartmut/Ehnert, Thoralf Debt for Equity Swaps – Turnaround Investment in Deutschland, in: Finanzbetrieb 2007, S. 395 – 406 Löbbe, Marc Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten des Debt Equity Swap, in: Hoffmann-Becking, Michael (Hrsg.), Liber amicorum für Martin Winter, Köln 2011, S. 423 – 446 Logan, W. Andrew Claims Trading: The Need For Further Amending Federal Rule of Bankruptcy Procedure 3001(e)(2), in: 2 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 495 – 505 (1994)
467
Literaturverzeichnis
LoPucki, Lynn M./Whitford, William C. Corporate Governance in the Bankruptcy Reorganization of Large, Publicly Held Companies, in: 141 U. Pa. L. Rev. 669 – 800 (1993) dies. Preemptive Cram Down, in: 65 Am. Bankr. L. J. 625 – 647 (1991) dies. Bargaining Over Equity’s Share in the Bankruptcy Reorganization of Large, Publicly Held Companies, in: 139 U. Pa. L. Rev. 125 – 196 (1990) LoPucki, Lynn M./Doherty, Joseph W. Bankruptcy Fire Sales, in: 106 Mich. L. Rev. 1 – 59 (2007) Lutter, Marcus Verdeckte Leistungen und Kapitalschutz, in: Lutter, Marcus (Hrsg.), Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, München 1987, S. 505 – 533 ders. Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktienund GmbH-Rechten der EWG – eine Untersuchung zur Ausfüllung von Artikel 54 Absatz 3 lit.g des Vertrages über die Errichtung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Habil. Univ. Mainz 1963, Karlsruhe 1964 (zit.: Lutter, Kapital) ders. Materielle und förmliche Erfordernisse eines Bezugsrechtsausschlusses – Besprechung der Entscheidung BGHZ 71,40 (Kali + Salz), in: ZGR 1979, 401 – 418 Lutter, Marcus/Hommelhoff, Peter (Hrsg.) GmbHG-Kommentar, 18. Auflage, Köln 2012 (zit.: L/H/Bearbeiter) Lutter, Marcus/Hommelhoff, Peter/Timm, Wolfram Finanzierungsmaßnahmen zur Krisenabwehr in der Aktiengesellschaft, in: BB 1980, 737 – 750 Madaus, Stephan Die Rechtsbehelfe gegen die Planbestätigung nach dem ESUG, in: NZI 2012, 597 – 600 ders. Umwandlungen als Gegenstand eines Insolvenzplans nach dem ESUG – Zugleich eine Untersuchung der Grenzen der gesellschaftsrechtlichen Regelungsmacht des neuen Insolvenzplans, in: ZIP 2012, 2133 – 2139 ders. Der Insolvenzplan – Von seiner dogmatischen Bedeutung als Vertrag und seiner Fortentwicklung in eine Bestätigungsinsolvenz, Habil. Univers. Rostock 2010, Tübingen 2011 (zit.: Madaus, Insolvenzplan) 468
Literaturverzeichnis
ders. Keine Reorganisation ohne die Gesellschafter, Von den Grenzen der Gläubigermacht in der Insolvenz, in: ZGR 2011, 749 – 775 ders. Sind Vorzugsaktionärsrechte letztrangige Insolvenzforderungen? Zur Neubestimmung der Reichweite von Insolvenzplänen durch BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, in: ZIP 2010, 1214 – 1220 Maier-Reimer, Georg Zwangsumwandlungen von Schuldverschreibungen in deutsche Aktien, in: Habersack, Matthias (Hrsg.), Festschrift für Wulf Goette zum 65. Geburtstag, München 2011, S. 299 – 311 ders. Debt Equity Swap, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, Jahrestagung 2011, Köln 2011, S. 107 – 140 Markell, Bruce A. Owners, Auctions, and Absolute Priority in Bankruptcy Reorganizations, in: 44 Stan. L. Rev. 69 – 128 (1991) Marsch-Barner, Reinhard Nochmals: Umgehung der Sacheinlagevorschriften durch Wandelschuldverschreibungen und Wandelgenußrechte?, in: DB 1995, 1497 Marston, David W. Distressed Debt: Forget the Vultures, Your Lenders May Be Circling, 2009, abrufbar unter http://www.gibbonslaw.com/news_publications/ articles.php?action=display_publication&publication_id=2879 (zit.: Marston, 2009) Martens, Klaus-Peter Das Bundesverfassungsgericht und das Gesellschaftsrecht, in: ZGR 1979, 491 – 523 Maunz/Dürig, GG Grundgesetz, Kommentar, Loseblattsammlung, Stand: Februar 1999 (Art. 9 GG) und Juli 2010 (Art. 14 GG), München (zit.: M/D/Bearbeiter) Maus, Karl Heinz Der Insolvenzplan, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: das neue Insolvenzrecht in der Praxis, Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e. V. Köln (Hrsg.), Berlin/Herne 1997, S. 707 – 733 Meilicke, Wienand Die „verschleierte“ Sacheinlage – eine deutsche Fehlentwicklung, Schriftenreihe Der Betrieb, Stuttgart 1989 (zit.: Meilicke, Verschleierte Sacheinlage)
469
Literaturverzeichnis
Meyer, Derek J. Redefining the New Value Exception to the Absolute Priority Rule in Light of the Creditors’ Bargain Model, in: 24 Ind. L. Rev. 417 – 438 (1990) Meyer, Heinrich/Degener, Jan-Moritz Debt-Equity-Swap nach dem RegE-ESUG, in: BB 2011, 846 – 851 Meyer-Löwy, Bernd/Bruder, Florian Beratung der Gläubiger einer GmbH in Krise und Insolvenz nach dem ESUG, in: GmbHR 2012, 432 – 439 Meyer-Löwy, Bernd/Poertzgen, Christoph/Eckhoff, Lars Einführung in das US-amerikanische Insolvenzrecht, in: ZInsO 2005, 735 – 740 Michalski, Lutz Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 2. Aufl., München 2010 (zit.: Michalski/Bearbeiter) Mitlehner, Stephan „Fortführungswert“ der Massegegenstände, in: ZIP 2000, 1825 – 1828 Mohrbutter, Harro/Ringstmeier, Andreas (Hrsg.) Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl., Köln 2007 (zit.: Bearbeiter, in: Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung) Möhring, Philipp Erbringung von Stammeinlagen bei einer GmbH durch Aufrechnung, in: Reichert-Facilides, Fritz (Hrsg.), Festschrift für Reimer Schmidt, Karlsruhe 1976, S. 85 – 100 Mülbert, Peter O./Leuschner, Lars Die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 14 GG und Art. 2 Abs. 1 GG für die Gesellschafterstellung – wo bleibt die Privatautonomie?, in: ZHR 170 (2006), S. 615 – 672 Müller, Gerd Zur Umwandlung von Geldkrediten in Grundkapital fallierender Gesellschaften, Besprechung der Entscheidung BGHZ 125, 141, in: ZGR 1995, 327 – 340 Müller, Hans-Friedrich Der Debt-Equity-Swap als Sanierungsinstrument, in: KSzW 2013, S. 65 – 69 ders. Reorganisation systemrelevanter Banken, Das Restrukturierungsgesetz für Kreditinstitute vor dem Hintergrund der Diskussion über die Reform des allgemeinen Unternehmensinsolvenzrechts, in: KTS 2011, 1 – 24
470
Literaturverzeichnis
ders. Der Verband in der Insolvenz, Habil. Universität Köln 2001, Köln 2002 (zit.: H.-F. Müller) Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Band 3, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, hrsg. von Priester, Hans-Joachim/Mayer, Dieter/Wicke, Hartmut, 4. Aufl., München 2012 Band 4, Aktiengesellschaft, hrsg. von Hoffmann-Becking, Michael, 3. Aufl., München 2007 (zit.: Bearbeiter, in: Münch Hdb. GesR) Münchener Kommentar zum Aktiengesetz Hrsg. von Goette, Wulf/Habersack, Mathias, Band 1, 3. Aufl., 2008, Band 4, 3. Aufl., 2011 (zit.: MüKo-AktG/Bearbeiter) Münchener Kommentar zum GmbHG Hrsg. von Fleischer, Holger/Goette, Wulf, 1. Auflage, München 2011, 2. Auflage (Band 1), München 2015 (zit.: MüKo-GmbHG/Bearbeiter) Münchener Kommentar zum HGB Hrsg. von Schmidt, Karsten/Ebke, Werner F., Band 4, 3. Aufl., 2013 (zit.: MüKo-HGB/Bearbeiter) Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung Hrsg. von Kirchhof, Hans-Peter/Eidenmüller, Horst/Stürner, Rolf, 2. Auflage, München 2008 sowie 3. Auflage, München 2014, (zit.: MüKo-InsO/Bearbeiter) Nerlich, Jörg/Römermann, Volker Insolvenzordnung, Loseblattkommentar, Stand August 2014, 27. Ergänzungslieferung, München 2014 (zit.: N/R/Bearbeiter) Neuhof, Rudolf Unternehmenssanierung – ein neues Geschäftsfeld für Insolvenzverwalter?, in: ZIP 2011, 307 – 313 Neumann, Friedrich Die Gläubigerautonomie in einem künftigen Insolvenzverfahren eine rechtsvergleichende Betrachtung, Diss. Univ. Regensburg 1993, Bielefeld 1995 (zit.: Neumann)
471
Literaturverzeichnis
Nickert, Cornelius Erfordernis einer Unternehmensbewertung in der Insolvenz?, in: Grote, Hugo/ Obermüller, Manfred/Pape, Gerhard (Hrsg.), Festschrift für Hans Haarmeyer zum 65. Geburtstag, Köln 2013, S. 175 – 190 ders. Unternehmensbewertung in der Insolvenz, in: Bewertungs-Praktiker 2012, S. 82 – 91 Nimmer, Raymond T. Negotiated Bankruptcy Reorganization Plans: Absolute Priority And New Value Contributions, in: 36 Emory L. J. 1009 – 1084 (1987) Noack, Ulrich Unternehmensinsolvenz: Reorganisation des Rechtsträgers oder Vertragsnachfolge bei übertragender Sanierung, in: Crezelius, Georg/Hirte, Heribert/Vieweg, Klaus (Hrsg.), Festschrift für Volker Röhricht zum 65. Geburtstag, Köln 2005, S. 455 – 466 ders. Gesellschaftsrecht, Sonderband I zu Kübler/Prütting (Hrsg.), InsO, Köln 1999 (zit.: Noack, GesR) ders. Reorganisation der Schuldnergesellschaft nach neuem Insolvenzrecht, in: Lieb, Manfred/Noack, Ulrich/Westermann, Peter Harry (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zöllner zum 70. Geburtstag, Köln 1998, S. 411 – 428 Noack, Ulrich/Bunke, Caspar Gläubigerbeteiligung an Sanierungserträgen und Vertragsüberleitung bei übertragender Sanierung in der Gesellschaftsinsolvenz, in: KTS 2005, 129 – 153 O’Rourke, Kerry Valuation Uncertainty in Chapter 11 Reorganizations, in: 2005 Colum. Bus. L. Rev. 403 – 449 Obermüller, Manfred Das Bankenrestrukturierungsgesetz – ein kurzer Überblick über ein langes Gesetz, in: NZI 2011, 81 – 90 Obermüller, Manfred/Kuder, Karen Die Entwicklung der Gesetzgebung zu Bankinsolvenzen, in: ZInsO 2010, 2016 – 2022 Oelke, Herbert/Wöhlert, Helge-Torsten/Degen, Stephan Debt Mezzanine Swap – Königsweg für die Restruktuierungsfinanzierung?, in: BB 2010, 299 – 303
472
Literaturverzeichnis
Pannen, Klaus (Hrsg.) Europäische Insolvenzverordnung, Kommentar, Berlin 2007 (zit.: Pannen/Bearbeiter, EuInsVO) Pape, Gerhard Erleichterung der Sanierung von Unternehmen durch Insolvenzverfahren bei gleichzeitiger Abschaffung der Gläubigergleichbehandlung?, in: ZInsO 2010, 2155 – 2162 Patzschke Reorganisation der Kapitalgesellschaften im Insolvenzverfahren, Diss. Univ. Düsseldorf 2000, Hamburg 2000 (zit.: Patzschke) Paulus, Roman Die ausländische Sanierung über einen Dept-Equity-Swap als Angriff auf das deutsche Insolvenzrecht, in: DZWiR 2008, 6 – 14 Peemöller, Voker H./Bömelburg, Peter Unternehmensbewertung ertragsschwacher Unternehmen, in: DStR 1993, 1036 – 1043 Pesch, Jürgen Restrukturierung von Unternehmen durch Distressed Debt-Investoren – Beispiele und Probleme, in: Moll, Wilhelm (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jochem Lüer zum 70. Geburtstag, München 2008, S. 77 – 91 Piekenbrock, Andreas Das ESUG – fit für Europa?, in: NZI 2012, 905 – 912 Piltz, Detlev Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl., Düsseldorf 1994 (zit.: Piltz, Unternehmensbewertung) Pleister, Christian Stellungnahme von Christian Pleister zum ESUG, abrufbar unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/archiv/ 12_Sanierung_von_Unternehmen/04_Stellungnahmen/ Stellungnahme_Pleister.pdf Pleister, Christian/Kindler, Steffi Kapitalmaßnahmen in der Insolvenz börsennotierter Gesellschaften, in: ZIP 2010, 503 – 512 Poelzig, Dörte/Meixner, Philipp Die Bekämpfung missbräuchlicher Anfechtungsklagen gegen börsennotierte Gesellschaften – Anregungen zu einem UMAG II, in: AG 2008, 196 – 208 Priester, Hans-Joachim Debt-Equity-Swap zum Nennwert?, in: DB 2010, 1445 – 1450
473
Literaturverzeichnis
ders. Die Verwendung von Gesellschafterforderungen zur Kapitalerhöhung bei der GmbH, in: DB 1976, 1801 – 1806 Pujol, Michael Die Sanierung der Schuldnergesellschaft vor dem Hintergrund der gesellschaftsrechtlichen Neutralität des Insolvenzrechts nach deutschem und französischem Recht, Diss. Univ. Freiburg 2006, München 2006 (zit.: Pujol) Rattunde, Rolf Das neue Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, in: GmbHR 2012, 455 – 462 Redeker, Rouven Kontrollerwerb an Krisengesellschaften: Chancen und Risiken des Debt-Equity-Swap, in: BB 2007, 673 – 680 Reuter, Axel Das Problem der Vollwertigkeit von Gesellschafterforderungen im Zusammenhang mit deren Verwendung zur Kapitalerhöhung bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, in: BB 1978, 1195 – 1196 Richter, Bernd/Pernegger, Isabelle Betriebswirtschaftliche Aspekte des RegE-ESUG, in: BB 2011, 876 – 882 Roe, Mark J. Bankruptcy and Debt: A New Model for Corporate Reorganization, in: 83 Colum. L. Rev. 527 – 602 (1983) (in kurzer Form veröffentlicht in: Bandhari, Jagdeep S./Weiss, Lawrence A. (Hrsg.), Corporate Bankruptcy, Economic and legal Perspectives, Cambridge 1996, S. 351 – 369) Roe, Mark J./Skeel, David A. Assessing the Chrysler Bankruptcy, in: 108 Mich. L. Rev. 727 – 771 (2009) Römermann, Volker Neues Insolvenz- und Sanierungsrecht durch das ESUG, in: NJW 2012, 645 – 652 ders. ESUG: Aufweichung des GmbHG-Kapitalaufbringungsrechts?, in: GmbHR 24/2011, R 369 – 370 Römermann, Volker/Praß, Jan-Philipp Beratung der GmbH als Schuldnerin in Krise und Insolvenz nach dem ESUG, in: GmbHR 2012, 425 – 431 Roth, Günther H./Altmeppen, Holger Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kommentar, 7. Aufl., 2012 (zit.: Roth/Altmeppen)
474
Literaturverzeichnis
Rusch, Konrad/Brocker, Till Debt Mezzanine Swap bei Unternehmensfinanzierungen – rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen, in: ZIP 2012, 2193 – 2198 Rusch, Linda J. The New Value Exception to the Absolute Priority Rule in Chapter 11 Reorganizations: What Should the Rule Be?, in: 19 Pepp. L. Rev. 1311–1336 (1991) Samara-Krispis, Anastasia/Steindorff, Ernst Commentary on Joined Cases C-19/90 and 20/90, Karella and Karellas vs. AOE, in: 29 CMLR 615 – 624 (1992) Sassenrath, Gerd Der Eingriff in Anteilseignerrechte durch den Insolvenzplan, in: ZIP 2003, 1517 – 1530 Sauerbruch, Florens Das Freigabeverfahren gemäß § 246a Aktiengesetz – Eine rechtsökonomische Untersuchung, Diss. Univ. Hamburg 2009, Wiesbaden 2009 (zit.: Sauerbruch) Scheunemann, Marc Sanierungsklausel vor dem EuG – ein Sanierungsfall für den Gesetzgeber!?, in: BB Heft 23/2011, Seite I Scheunemann, Marc/Hoffmann, Guido Debt-Equity-Swap, Steuerliche Strukturierung und zivilrechtliche Rahmenbedingungen, in: DB 2009, 983 – 986 Schiessler, Wolfram Der Insolvenzplan, Diss. Univ. Regensburg 1996, Bielefeld 1997 (zit.: Schiessler) Schlaus, Wilhelm Auskauf opponierender Aktionäre, in: AG 1988, 113 – 117 Schleusener, Ann-Kathrin Der Debt Equity Swap, Diss. Univ. Hamburg 2011, Frankfurt 2012 (zit.: Schleusener) Schmidt, Karsten Debt-to-Equity-Swap bei der (GmbH & Co.-)Kommanditgesellschaft – ESUG, „Sanieren oder Ausscheiden“ und vor allem: Fragen über Fragen!, in: ZGR 2012, 566 – 584 ders. Schöne neue Sanierungswelt: Die Gläubiger okkupieren die Burg! – Recht und Realität der ESUG-Reform, in: ZIP 2012, 2085 – 2088 ders. Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht im ESUG-Entwurf, in: BB 2011, 1603–1610
475
Literaturverzeichnis
ders. Gesellschaftsrecht, 4. Auflage, Köln 2002 (zit.: K. Schmidt, GesR) ders. Insolvenzordnung und Unternehmensrecht – Was bringt die Reform, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung: das neue Insolvenzrecht in der Praxis, Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e. V. Köln (Hrsg.), 2. aktualisierte und wesentlich erweiterte Auflage, Berlin/Herne 2000, S. 1199 – 1217 ders. Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, Befunde, Kritik, Perspektiven, Köln 1990 (zit.: K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen) ders. Das Insolvenzverfahren neuer Art – Kernprobleme der Insolvenzrechtsreform nach dem Kommissionsbericht – in: ZGR 1986, 179 – 218 ders. Die sanierende Kapitalerhöhung im Recht der Aktiengesellschaft, GmbH und Personengesellschaft, in: ZGR 1982, 519 – 538 ders. Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht, Gutachten D zum 54. Deutschen Juristentag, München 1982 (zit.: K. Schmidt, Gutachten 54. DJT) ders. Organverantwortlichkeit und Sanierung im Insolvenzrecht der Unternehmen, in: ZIP 1980, 328 – 337 Schmidt, Karsten/Lutter, Marcus Aktiengesetz, Kommentar, 2. Aufl., Köln 2010, (zit.: K. Schmidt/Lutter/Bearbeiter, AktG) Schmidt, Karsten/Uhlenbruck, Wilhelm Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl., Köln 2009 (zit.: Bearbeiter, in: K. Schmidt/Uhlenbruck) Schmidt, Mario/Schlitt, Michael Debt Equity Swap – Eine attraktive Form der Restrukturierung, in: Der Konzern 2009, 279 – 290 Schnorr v. Carolsfeld, Ludwig Bemerkungen zum Aktienrecht, in: DNotZ 1963, 404 – 421 Scholz, Franz (Hrsg.) Kommentar zum GmbH-Gesetz, 10. Auflage, Köln 2010 sowie 11. Auflage, Köln 2014 (zit.: Scholz/Bearbeiter) 476
Literaturverzeichnis
Schön, Wolfgang Die Europäische Kapitalrichtlinie – eine Sanierungsbremse?, in: ZHR 174 (2010), 155 – 162 Schuster, Gunnar Zur Stellung der Anteilseigner in der Sanierung, in: ZGR 2010, 325 – 355 Schuster, Gunnar/Westphal, Lars Neue Wege zur Bankensanierung – Ein Beitrag zum Restrukturierungsgesetz (Teil I), in: DB 2011, 221 – 230 Schwalme, Sebastian Die Stellung des Anteilseigners in der Unternehmensinsolvenz, in: DZWiR 2004, 230 – 233 Seibt, Christoph Sanierungskapitalerhöhungen: Dogmatische Überlegungen und Praxisgestaltungen, in: Der Konzern 2009, 261 – 272 Siemon, Klaus Das Distressed Debt Investing in der deutschen Insolvenz 2013, in: ZInsO 2013, S. 172 – 182 Simon, Stefan Der Debt-Equity-Swap nach dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), in: CF 2010, 448 – 459 Simon, Stefan/Merkelbach, Matthias Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, in: NZG 2012, 121 – 129 Skeel, David A. Creditors’ Ball: The „New“ New Corporate Governance in Chapter 11, in: 152 U. Pa. L. Rev. 917 – 951 (2003) ders. Markets, Courts, And The Brave New World Of Bankruptcy Theory, in: 1993 Wis. L. Rev. 465 – 520 (1993) ders. The Uncertain State Of An Unstated Rule: Bankruptcy’s Contribution Rule Doctrine After Ahlers, in: 63 Am. Bankr. L. J. 221 – 247 (1989) Smid, Stefan Zu den Grenzen der sofortigen Beschwerde gegen einen Insolvenzplan, in: DZWiR 2005, 364 – 369 ders. Voraussetzungen der sofortigen Beschwerde gegen die Bestätigung eines Insolvenzplans gem. §§ 251, 253 InsO, in: NZI 2005, 296 – 382
477
Literaturverzeichnis
Smid, Stefan/Rattunde, Rolf Der Insolvenzplan – Handbuch für das Sanierungsverfahren gemäß §§ 217 bis 269 InsO mit praktischen Beispielen und Musterverfügungen, 2. Auflage, Stuttgart 2005 (zit.: Smid/Rattunde, Insolvenzplan, 2. Aufl., 2005) Smid, Stefan/Rattunde, Rolf/Martini, Torsten Der Insolvenzplan, Handbuch für das Sanierungsverfahren gemäß §§ 217 bis 269 InsO mit praktischen Beispielen und Musterverfügungen, 3. Auflage, Stuttgart 2012 (zit.: Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan) Spetzler, Sophie Eingriffe in die Rechte von Anteilseignern im Insolvenzverfahren, Ausgliederung als Alternative zum Debt-Equity-Swap, Dissertation Univ. Hamburg 2011, Köln 2011 (zit.: Spetzler) dies. Insolvenzrechtsreform und Bankenreorganisation, in: KTS 2010, 433 – 461 Spindler, Gerhard/Stilz, Eberhard Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage, München 2010 (zit.: Spindler/Stilz/Bearbeiter) Staub, Großkommentar zum HGB Staub, Großkommentar zum HGB, hrsg. von Canaris, Claus-Wilhelm/Schilling, Wolfgang/Ulmer, Peter, Band 5, 4. Aufl., Berlin 2002 (zit.: Staub/Bearbeiter, HGB) Steffan, Bernhard Der Fortführungswert im Vermögensstatus nach § 153 InsO als Ausfluss des Fortführungskonzepts, in: ZInsO 2003, 106 – 111 Stenger, Yvonne Das Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz: Rechtliche Aspekte der zukünftigen Sanierung und Reorganisation von Kreditinstituten, in: DB, Beilage zu Heft 4, S. 11 – 16 Stern, Klaus Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, München 1988 (zit.: Stern, Staatsrecht, Band III/1) Stöber, Michael Die Kompetenzverteilung bei Kapitalerhöhungen im Insolvenzverfahren, in: ZInsO 2012, 1811 – 1821 Stürner, Rolf Aufstellung und Bestätigung des Insolvenzplans, in: Leipold, Dieter (Hrsg.), Insolvenzrecht im Umbruch – Analysen und Alternativen, Köln 1991, S. 41 – 49
478
Literaturverzeichnis
Terhart, Peter Chapter 11 bankruptcy code: eine Alternative für Deutschland? – Dokumentation, Analyse und Bewertung des amerikanischen Reorganisationsverfahrens mit einer kritischen Stellungsnahme zur neuen deutschen Insolvenzordnung, Diss. Univ. Regensburg 1995, Frankfurt 1996 (zit.: Terhart) Theiselmann, Rüdiger (Hrsg.) Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Köln 2010 (zit.: Bearbeiter, in: Theiselmann, Praxishandbuch RestrukturierungsR) Thole, Christoph Vom Totengräber zum Heilsbringer? – Insolvenzkultur und Insolvenzrecht im Wandel, in: JZ 2012, 765 – 774 Toth-Feher, Geza/Schick, Olaf Distressed Opportunities – Rechtliche Probleme beim Erwerb notleidender Forderungen von Banken, in: ZIP 2004, 491 – 497 Trost, J. Ronald Corporate Bankruptcy Reorganizations: For the Benefit of Creditors or Stockholders?, in: 21 UCLA L. Rev. 540 – 552 (1973) Uhlenbruck, Wilhelm/Hirte, Heribert/Vallender, Heinz (Hrsg.) Insolvenzordnung, Kommentar, 13. Aufl., München 2010 sowie 14. Aufl., München 2015 (zit.: Uhlenbruck/Bearbeiter) Uhlenbruck, Wilhelm Gesellschaftsrechtliche Defizite der Insolvenzordnung, in: Moll, Wilhelm (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jochem Lüer zum 70. Geburtstag, München 2008, S. 461 – 477 ders. Zur fehlenden Akzeptanz des Insolvenzauslösers „drohende Zahlungsunfähigkeit“, in: Richter, Frank (Hrsg.), Festschrift für Jochen Drukarczyk zum 65. Geburtstag, München 2003, S. 441 – 454 ders. Zur Kollision von Gesellschafts- und Insolvenzrecht in der Unternehmensinsolvenz, in: Gerhard, Walter/Haarmeyer, Hans/Kreft, Gerhart (Hrsg.), Insolvenzrecht im Wandel der Zeit, Festschrift für Hans-Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, Recklinghausen 2003, S. 479 – 506 ders. Die Bedeutung des Diskussionsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Insolvenzrechts für das Gesellschafts- und Unternehmensrecht, in: GmbHR 1989, 101 – 113
479
Literaturverzeichnis
Ulmer, Peter Die gesellschaftsrechtlichen Aspekte der neuen Insolvenzordnung, in: Kübler, Bruno (Hrsg.), Neuordnung des Insolvenzrechts, Köln 1989, S. 119 – 134 ders. Die gesellschaftsrechtlichen Regelungsvorschläge der Kommission für Insolvenzrecht, in: ZHR 149 (1985), 541 – 574 Ulmer, Peter/Habersack, Mathias/Winter, Martin (Hrsg.) GmbHG Großkommentar, Tübingen 2005 (zit.: Ulmer/Bearbeiter) Urlaub, Jasmin Notwendige Änderungen im Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) zur Verhinderung von Missbräuchen, in: ZIP 2011, 1040 – 1045 v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.) Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 6. Aufl., München 2010 (zit.: v. Mangoldt/Klein/Starck/Bearbeiter) Vallender, Heinz Insolvenzkultur gestern, heute und morgen, in: NZI 2010, 838 – 844 Vaupel, Christoph/Reers, Ulrich Kapitalerhöhungen bei börsennotierten Aktiengesellschaften in der Krise, in: AG 2010, 93 – 105 Verse, Dirk Anteilseigner im Insolvenzverfahren – Überlegungen zur Reform des Insolvenzplanverfahrens aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, in: ZGR 2010, 299 – 324 von Sydow, Christian/Beyer, Oliver Erwerb von notleidenden Krediten und anschließende Kapitalerhöhung mit Sacheinlage – Rechte und Pflichten nach dem WpÜG – in: AG 2005, 635 – 644 Vrbaski, Rastko Zur Liberierung durch Verrechnung der sanierenden Kapitalerhöhung nach schweizerischem und deutschem Aktienrecht, in: SZW 2005, 59 – 65 Wagner, Gerhard Distributions to Shareholders and Fraudulent Transfer Law, in: 7 EBOR 217 – 231 (2006) Wallner, Jürgen Partielle Universalskzession durch Insolvenzplan, Ein Betrag zur Diskussion um den debt to equity swap, in: ZInsO 2010, 1419 – 1426 Wallner, Jürgen/Gerster, Erwin/Weiß, Rüdiger Steuerbarkeit von Sanierungsprozessen trotz Insolvenz – Ein Alternativvorschlag zum Diskussionsentwurf des BMJ, in: ZInsO 2011, 16 – 30
480
Literaturverzeichnis
Warren, Elizabeth A Theory Of Absolute Priority, in: 1991 Ann. Surv. Am. L. 9 – 48 (1991) dies. Bankruptcy Policy, in: 54 U. Chi. L. Rev. 775 – 814 (1987) Weber, Jens/Schneider, Petra Die nach dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vorgesehene Umwandlung von Forderungen in Anteils – bzw. Mitgliedschaftsrechte (Debt-Equity-Swap), in: ZInsO 2012, 374 – 384 Wehner, André Der Sanierungserlass des BMF vom 27.3.2003 – Ein Verstoß gegen EU-Beihilferecht?, in: NZI 2012, 537 – 540 Weitnauer, Wolfgang Die Gesellschafterfremdfinanzierung aus Sicht von Finanzinvestoren – ein Resümee der Änderungen des MoMiG und der derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen vor dem Hintergrund der Finanzkrise, in: BKR 2009, 18 – 25 Westbrook, Jay Lawrence The Control of Wealth in Bankruptcy, in: 82 Tex. L. Rev. 795 – 861 (2004) Westphal, Lars Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, in: ZGR 2010, 385 – 436 Westphal, Lars/Janjuah, Riaz K. Zur Modernisierung des deutschen Sanierungsrechts – Ein Beitrag zur aktuellen Diskussion über die Reformbedürftigkeit des deutschen Insolvenzrechts, in: Beilage zu Heft 3 der ZIP 2008, S. 1 – 28 White, Michelle J. Does Chapter 11 Save Economically Inefficient Firms?, in: 72 Wash. U. L. Q. 1319 – 1340 (1994) Wiedemann, Herbert Entwicklungen im Kapitalgesellschaftsrecht, in: DB 1993, 141 – 153 Willemsen, Reinhard/Rechel, Janine Die Reform des Insolvenzplanverfahrens – Ein Zwischenstandsbericht: Anmerkungen zur den vorgeschlagenen Änderungen, in: BB 2010, 2059 – 2068 dies. Insolvenzrecht im Umbruch – ein Überblick über den RegE-ESUG, in: BB 2011, 834 – 840 Wimmer, Klaus Der Gesetzentwurf zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, in: jurisPR-InsR 5/2011 Anm. 1 (juris)
481
Literaturverzeichnis
Winter, Martin Die Anfechtung eintragungsbedürftiger Strukturbeschlüsse de lege lata und de lege ferenda, in: Habersack, Mathias et al. (Hrsg.), Festschrift für Peter Ulmer zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, S. 699 – 723 Wittig, Arne Das Sanierungsprivileg für Gesellschafterdarlehen im neuen § 39 Abs. 4 S. 2 InsO, in: Bitter, Georg/Lutter, Marcus/Priester, Hans-Joachim/Schön, Wolfgang/ Ulmer, Peter (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, Köln 2009, S. 1743 – 1760 ders. Übernahme der Gesellschafterstellung an Krisenunternehmen als Sanierungsbeitrag der finanzierenden Kreditinstitute, in: Prütting, Hanns/Vallender, Heinz (Hrsg.), Insolvenzrecht in Wissenschaft und Praxis: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck zum 70. Geburtstag, Köln 2000, S. 685 – 722 ders. Obstruktionsverbot und Cram Down – § 245 InsO im Lichte der LaSalle Street Entscheidung des U. S. Supreme Court v. 3.5.1999, in: ZInsO 1999, 373 – 379 Zimmer, Frank Thomas Abschaffung der Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) und Debt-Equity-Swap nach ESUG, in: ZInsO 2011, 950 – 953 Zipperer, Helmut „Übertragende Sanierung“ – Sanierung ohne Grenzen oder erlaubtes Risiko?, in: NZI 2008, 206 – 210 Zöllner, Wolfgang Evaluation des Freigabeverfahrens, in: Aderholz, Lutz (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, Köln 2008, S. 1631 – 1647 Zöllner, Wolfgang/Noack, Ulrich Zulässigkeitsgrenzen des gesetzgeberischen Eingriffs in Gesellschafterrechte, in: AG 1991, 157 – 165
482
Stichwortverzeichnis 363-sale 75 ff., 84
Absolute Vorrangregel/absolute priority rule 84, 258 f., 329, 414 ff., 423, 469, 487, 492, 551, 555 f., 567, 576, 633 ff., 660 ff., 708, 893 Abstimmungsquoren 149 ff., 208 Aktienrechtsnovelle 2014 795 ff. Anreizwirkungen 231, 352, 447 ff., 452, 454, 482, 507, 554, 560 f., 588 ff., 612, 622, 637, 736, 886 Anteilseigentum 279, 297 Arbeitsverhältnisse 48, 689 Auktionslösung 73
Bareinlage
94, 102, 369, 386, 391, 659, 750, 789, 842 bargaining in the shadow of the law 79, 736 Besicherung der Sicherheitsleistung 240 Bezugsrecht (für Anteilseigner) 36, 309 ff., 368 ff., 401, 404, 409, 447, 460, 543, 605 Bezugsrecht (für Gläubiger) 611 bias towards liquidation 32, 79, 635 Bilanzwerte 848 ff. Blockadeposition 119, 142, 224, 258, 266, 351, 412, 434, 462, 469, 481, 509, 540, 548, 559, 568, 573, 611, 615, 363, 664, 708, 918 Börsenwert 742 f.
Change-of-Control-Klauseln 204 f. Chapter 11 32, 71, 73 ff., 78, 133, 155, 211, 354, 416 ff., 463, 492, 503 ff., 551 ff., 568, 579, 592, 598 ff., 633 ff., 874, 893 company voluntary agreement 142 creditors-bargain-Theorie 83, 260, 421, 455 Debt mezzanine swap 68, 355 Derivative 622 Differenzhaftung 103, 192, 170 ff., 250, 360, 666, 852, 882, 896 distressed debt 18 ff., 24 ff., 32, 78 ff., 82, 85, 385, 596 ff., 599 ff., 603, 609, 614, 622, 675, 735
Eigenverwaltung
304, 452, 473, 483, 499, 501 ff., 569, 591, 929 Ertragswertmethode 691 f., 697, 740, 747 EuInsVO 535, 542 Europarechtskonformität 517 ff.
Feldmühle-Entscheidung 298, 303 Finanzierungsverantwortung 294 Finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahme 690, 722, 843, 898, 900 Fortführungswert 292, 422, 681, 687 f., 719 ff., 858 ff., 862 ff., 878, 891, 895, 898 ff. Freigabeverfahren 213, 226, 234, 239, 242 ff. Freisetzungsthese 817 f., 829 f. fresh start policy 456 ff. Gesellschaftsrechtliche Neutralität
110, 117, 281 Gesicherte Gläubiger 867 ff., 914 Gläubigerschutz 172, 592, 751, 764, 774, 777, 781, 805 good will 57, 167 f., 608, 611 Gruppenbildung 145 ff., 251, 586, 641 f.
Homogenisierung der Eigentümerstruktur 32, 650 f.
Informationsdefizite 51, 73, 155, 652 f. Inhalts- und Schrankenbestimmung 283, 298 Insolvenzplanbestätigung 181, 188, 197, 211, 220, 401 f., 896 Insolvenzverwaltervorschlagsrecht 604, 608 f. Kapitalaufbringungsgrundsätze
175 f., 771, 894 Kapitalerhöhung 96 ff., 105 ff., 170 ff., 178 ff., 386 ff., 518 ff., 776, 801 ff. Kapitalherabsetzung 89 ff., 273, 386, 544, 782, 839 ff. Kapitalrichtlinie 517, 531, 535, 789 ff. Kapitalschnitt 88, 273 Kommission für Insolvenzrecht 112, 130, 716 Koordinationsfunktion 434, 491
483
Stichwortverzeichnis Kopfmehrheit 610 KredReorgG 4, 228, 247 ff., 530 f., 595, 720, 739 ff.
Lästigkeitswert
119, 559, 590, 608, 744 Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahme 688, 722, 898, 904 Liquidationswert 157, 161, 208, 514, 684 ff., 713 ff., 730 ff., 869, 877 ff., 885, 891, 393 Lizenzen 54, 59 loan to own 22 ff., 79, 599, 735
Rechtsträgergebundene Berechtigungen 56 ff., 119, 138, 262, 287, 291, 343, 725, 728, 734 Risiken des DES 38, 42
Nennwertthese 750 ff., 862, 910 ff. new value exception 354, 416 ff., 436, 457, 459, 463, 466, 487, 491, 503, 551, 592
Sacheinlage 97 ff., 170 ff., 382, 751, 808 Salvatorische Klausel 134, 225, 582, 591 Sanierungserlass 42, 628 ff. Sanierungsklausel 625 ff. Sanierungsprivileg 618 ff., 667 Schuldverschreibungen 360, 789, 795 ff., 800 Schutzschirmverfahren 449, 473, 483, 507, 589, 591 Sicherheitsleistung 225 ff., 238 ff., 328, 573, 582, 611 ff., 674 spill-over-Effekt 39, 886 ff. stand-alone-Bewertung 737 Steuerliche Behandlung 623 ff. Stilllegungswert 685, 715 ff.,726, 859 Störpotential 548 ff., 664
Obstruktionsverbot/cram down
Transaktionskosten
Missbrauchsgefahr
85, 155, 168, 240, 352, 460 ff., 480, 505, 575, 584, 593 ff., 608, 614 f., 734 f., 745, 902
36, 153 ff., 253, 277, 326, 332, 345, 352, 394, 414, 421, 435, 459, 505, 530, 555 f., 580, 585 f., 612 f., 660, 665, 700, 788, 874 Optionsmodelle 633 ff. Optionswert 427 ff.
Par condicio creditorum
166, 360 f., 608, 611, 849, 885, 888 f. Planinitiativrecht 73, 116, 432 ff., 464, 482, 494, 499 ff., 554 pre-emptive cram down 550 ff. Prüfungskompetenz bzgl. Werthaltigkeit der Forderungen 178 ff., 198, 545
Rationale Apathie 237, 610 Rechtsmittel 131, 207 ff., 211 ff., 251, 327, 363, 559, 573, 678, 734, 788
484
27 ff., 54, 65, 85, 353,
485, 567, 658, 740
Übertragende Sanierung
30, 45 ff., 119, 287, 470, 478, 684, 725, 869
Verdeckte Sacheinlage
100, 791 ff., 805 Vereinigungsfreiheit 331 ff., 347 – negative Vereinigungsfreiheit 357 ff., 668 ff., 674 Vergessene Forderungen 203 Verhandlungslösung 265 f., 354, 493 Verkehrswert 680, 744, 748, 806, 807 ff., 876 Vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren 533, 538
Zustimmungsfiktion
347, 578, 668