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German Pages 333 Year 1995
DIETER ZÖLLNER
Der Datenschutzbeauftragte im Verfassungssystem
Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik Herausgegeben von Prof. Dr. Horst Ehrnano und Prof. Dr. Rainer Pitschas
Band 13
Der Datenschutzbeauftragte im Verfassungssystem Grundsatzfragen der Datenschutzkontrolle
Von
Dieter Zöllner
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Zöllner, Dieter: Der Datenschutzbeauftragte im Verfassungssystem : Grundsatzfragen der Datenschutzkontrolle I von Dieter Zöllner.- Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik; Bd. 13) Zug!.: Bonn, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08501-9 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0940-1172 ISBN 3-428-08501-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Meiner Frau
Vorwort Die vorliegende Arbeit hat im Wintersemester 199411995 der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation vorgelegen. Das Manuskript wurde im Juni 1994 abgeschlossen; später erschienene Literatur konnte nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Josef lsensee, danke ich sehr herzlich fiir vielfiiltige Anregungen und für das fortwährende Vertrauen, das er in das Gelingen der Arbeit gesetzt hat. Herrn Prof. Dr. Jost Pietzcker schulde ich Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens. Gedankt sei auch dem Land Nordrhein-Westfalen und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ftlr die Gewährung eines Stipendiums nach dem Graduiertenförderungsgesetz. Den Herausgebern der "Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik", Herrn Prof. Dr. Horst Ehrnano und Herrn Prof. Dr. Rainer Pitschas, danke ich ebenso wie Herrn Prof. Dr. jur. h.c. Norbert Sirnon fiir die Aufnahme in das Verlagsprogramm des Verlags Duncker & Humblot.
Ansbach, im Juli 1995
Dieter Zöllner
Übersicht
Einleitung - Themenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Erster Abschnitt
Der organisations- und dienstrechtliche Status des Datenschutzbeauftragten A. Der organisatorische Standort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
B. Die persönliche Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
Zweiter Abschnitt
Die Aufgaben und Befugnisse des Datenschutzbeauftragten A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
B. Kommunikation mit BUrgern und Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
C. Kooperation mit Parlament und Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
Dritter Abschnitt
Die sachliche Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten A. Gesetzlicher Umfang der Unabhangigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167
B. Verfassungsrechtliche Zulllssigkeit der Unabhangigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhangiger Datenschutzkontrolle? . . . . . . . . . . .
174
Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
298
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305
Inhaltsverzeichnis
Einleitung - Themenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Erster Abschnitt
Der organisations- und dienstrechtliche Status des Datenschutzbeauftragten A. Der organisationsrechtliche Standort(§ 22 V I, 3-5, VI BDSG) . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das "Amt" des Datenschutzbeaufuagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21
II. Die Organisationskompetenz des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . ....... . .. ·. . .
22
I. Die Besonderheiten der Regierungsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
2. Die Beziehung des Beaufuagten zum Ministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die genaue organisationsrechtliche Rangstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24 26
IV. Die haushaltsrechtliche Sonderstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Das Mitwirkungsrecht bei der Stellenbesetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 31
B. Die persönliche Rechtsstellung (§ 22 1-III, IV I, V 2, § 23 BDSG) . . . . . . . . . . . . . .
33
I. Das "öffentlich-rechtliche Amtsverhältnis" eigener Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l. Die rechtliche Möglichkeit von Sonderverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 33
2. Die Vereinbarkeil mit dem Funktionsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Zugangsvoraussetzungen filr das Beaufuagtenamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 36
l. Das geforderte Mindestalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die deutsche Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36 37
3. Die Verpflichtung zur Verfassungstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
4. Die notwendige Befllhigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
III. Der Modus der Berufung des Beaufuagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Problematik der Inkompatibilitätsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 47
V. Das Anwendungsfeld der Dienstaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
Inhaltsverzeichnis
12
Zweiter Abschnitt
Die Aufgaben und Befugnisse des Datenschutzbeauftragten A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen (§§ 24, 25 BDSG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Typusmerkmale der Datenschutzkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 52
I. Die Selbständigkeit der Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
2. Die Parteilichkeit der Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
3. Die Unverbindlichkeit der Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
a) Die verfahrensrechtliche Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
b) Die materiell-rechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
c) Die verwaltungsprozessuale Konsequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
II. Die Datenschutzkontrollen als Kompetenzeingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
1. Der Spielraum im administrativen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Konkurrenzverhältnis zur Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
3. Der kompetentielle Eigenbereich der Verfassungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
III. Die Kontrollmaßnahmen als Grundrechtseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
1. 2. 3. 4.
64
Der Begriff des informationellen Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7I
Insbesondere: Der kontrollbedingte Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Derinformationelle Gesetzesvorbehalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
Die notwendige Regelungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
5. Die Beachtung entgegenstehender Willensäußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
B. Kommunikation mit Bürgern und Behörden(§§ 21, 26 IV, V BDSG) . . . . . . . . . . . .
90
C. Kooperation mit Parlament und Regierung (§ 26 1-III BDSG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tätigkeitsberichte gegenüber dem Bundestag (§ 26 I BDSG) . . . . . . . . . . . . . . . .
93 93
1. Die faktische Bedeutung der Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
2. Die äußere Form der Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
a) Die Verfilgungsbefugnis des Bundestags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
b) Die publizistische Verwertung durch den Beauftragten . . . . . . . . . . . . . . . .
95
aa) Der Öffentlichkeitsauftrag des Datenschutzbeauftragten . . . . . . . . . . . . .
96
a) Rechtspolitische Anstoßfunktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
ß) Öffentlichkeit als Kontrollinstanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
bb) Die Teilhabe an der parlamentarischen Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . .
102
3. Die verfassungsimmanenten Grenzen der Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
a) Die Beachtung des informationeBen Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . .
104
b) Die Bindung an die Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
c) Die Wahrung der grundgesetzliehen Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . .
109
aa) Die Informationsbeziehungen zwischen Exekutive und Parlament . . . . . .
110
bb) Art. 43 GG als die Zentralnorm des parlamentarischen Kontakts . . . . . .
I 12
a) Parlamentsrechte nach Art. 43 I GG ß) Regierungsrechte nach Art. 43 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
112
I 13
Inhaltsverzeichnis
13
cc) Der Beaufuagte der Regierung nach Art. 43 II GG . . . . . . . . . . . . . . . .
I IS
dd) Die Sperrwirkung des Art. 43 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117
a) Das Informations- und Auskunftsmonopol der Bundesregierung . . . . .
117
ß) Der Ausnahmefall: "Ministerialfreiheit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
y) Das Argument der Kontrolleffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . o) Der Bundestag als Datenschutzorgan? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126 129
ee) Zum Vergleich: Berichtspflichten in anderen Gesetzen . . . . . . . . . . . . .
133
a) Die Berichterstattung durch Administrativorgane . . . . . . . . . . . . . . .
133
ß) Die Berichterstattung durch Bundeskabinett oder Bundesminister . . . . II. Pflichtuntersuchungen im Parlamentsaufuag (§ 26 II l BDSG) . . . . . . . . . . . . . . .
13S 141
I. Die begriffliche Unterscheidung der Aufuagsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141
2. Der Beaufuagte als de-facto-Organ des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142
a) Der Umfang des parlamentarischen Untersuchungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . b) Die legislatorische Fehlleistung im Bundesdatenschutzgesetz . . . . . . . . . . . .
143 146
III. Parlamentarische Kontrollersuchen (§ 26 II 2 BDSG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
IV. Direktzugang zum Bundestag(§ 26 II 3 BDSG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ISO
l. Flucht an die parlamentarische Öffentlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
l SO
2. Rederecht aufgrundeinfachen Gesetzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ISI
3. Anspruch aufparlamentarische Sachbehandlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1S9
4. Beschlußmöglichkeiten des Bundestags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
V. Die datenschutzrechtliche Beratung im Gesetzgebungsverfahren (§ 26 III BDSG) . .
163
Dritter Abschnitt
Die sachliche Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten A. Gesetzlicher Umfang der Unabhängigkeit(§ 22 IV 2-3 BDSG) . . . . . . . . . . . . . . . . .
167
B. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle? . . . . . . . . . . .
174
I. Das Meinungsbild vor dem Volkszählungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17S
II. Die Äußerungen des BVerfG zur Institution des Datenschutzbeaufuagten . . . . . . .
181
l. Das Urteil zur Volkszählung 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kammerbeschlüsse zur Volkszählung 1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
181 184
3. Der Senatsbeschluß zur Strategischen Fernmeldeüberwachung . . . . . . . . . . . . .
l8S
III. Das FUr und Wider im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187
IV. Die allgemeine Rechtsweg- und Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191
l. Der gesetzliche Ausschluß des Rechtswegs nach dem G I 0 . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verhinderung der Gerichtskontrolle durch behördliche Auskunfts-
I 92
verweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200
14
Inhaltsverzeichnis a) Die rechtlichen Voraussetzungen einer Auskunftssperre b) "Kompensatorisches" Tätigwerden des Datenschutzbeauftragten? ... . ... . .
202 204
c) Die Unverzichtbarkeit richterlichen Rechtsschutzes ... . ... . . .. . . .. . . .
211
3. Die Rechtsschutzerschwerung wegen schlichter Unkenntnis interner Verfahrensabläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die ablaufbedingten TransparenzdefiZite bei der Datenverarbeitung . . . . . . .
218 219
b) Die Pflicht der Verwaltung zur Offenlegung von Informationsvorgängen . . . c) Die notwendige Eigeninitiative des Rechtssuchenden . . . . . . . . . . . . . . . . .
221 224
V. Die grundrechtsspezifischen Anforderungen an das Organisations- und Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die informationeHe Selbstbestimmung als Abwehrgrundrecht . . . . . . . . . . . . . 2. Die organisations-und verfahrensrechtlichen lmplikationen der Volkszählungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Grundrechte als Ausdruck "objektiver Wertentscheidungen" . . . . . . . . .
229 229 231 232
b) Die Möglichkeiten einer abwehrrechtlichen Begründung von organisationsund verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234
c) Die Grenzen des negatorischen Grundrechtsschutzes "im" Verfahren . . . . . . 3. Die funktionsgerechte Absicherung der Einzelgrundrechte "durch" Organisation
241
und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die verschiedenen Grade der Verfahrensabhängigkeit von Grundrechten . . .
243 244
b) Die materiell-grundrechtliche Rechtsschutzverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Auffassung(-en) des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
248 248
bb) Das Meinungsspektrum in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Verwandlung "grundrechtsrelevanter" in "grundrechtsgeschUtzte"
252
Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Versuch einer einheitlichen verfahrensrechtlichen Schutzkonzeption . . . . . .
254 257
a) Die Grundrechte als Prinzipien (Alexy) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
258
b) Die Forderung nach "optimalem" Grundrechtsschutz durch Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen "Gegenprinzipien" . . . . . . aa) Die einer Kontrollausweitung entgegenstehenden grundrechtliehen
259 260
Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 bb) Das formelle Prinzip der staatlichen Funktionsteilung . . . . . . . . . . . . . 262 a) Die Hervorhebung des richterlichen Elements im Grundgesetz . . . . . 262 ß) Die Entlastung des Verwaltungsverfahrens von spezifischen Rechtsschutzaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 d) Die abwägungsrelevanten Wirkungen im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 aa) Der Verlust an administrativer Effizienz durch kontradiktorische Verfahrensstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269
bb) Der Gewinn an effektiver Grundrechtsgeltung durch rechtsschutzintensive Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
270
Inhaltsverzeichnis cc) Die spezifischen Rechtsschutzeffekte einer unabhängigen Datenschutzkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ersatz ftlr zu spat kommenden Gerichtsschutz? . . . . . . . . . . . . . . . ß) Ausgleich ftlr Bereiche geringer Regelungsdichte? . . . . . . . . . . . . . dd) Der generelle Wertungs- und Handlungsvorsprung der Vollzugsorgane . a) Besonderheiten der Datenverarbeitung gegenüber anderen Verwaltungsbereichen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ß) Verpflichtung zur "Neutralisierung" der vollziehenden Gewalt? . . . . . e) Das Ergebnis der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Bedeutung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 5. Grundrechtlicher Bestandsschutz von grundrechtsschUtzendem Recht? . . . . . . . a) Die Theorie vom Eingriffscharakter restriktiver Normänderungen (LUbbe-Wolft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die bisherige Verfassungsrechtsprechung zum "Eingriff' in grundrechtsschützende Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die GrUnde gegen einen erhöhten Bestandsschutz grundrechtssichernder Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 272 274 279 281 283 284 288 289 291 292 293 295
Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Einleitung - Themenstellung Keine andere Sparte des öffentlichen Rechts dUrfte so sehr mit einer speziellen Institution oder Person identifiziert werden - jedenfalls im Bewußtsein des durchschnittlichen Rechtsanwenders - wie die vergleichsweise junge Teildisziplin des Datenschutzrechts. Wer heute eine behördliche Maßnahme "aus Sicht des Datenschutzes" bewertet wissen will, fragt meist nicht nach der einschlägigen Rechtsprechung oder Kommentarliteratur, sondern nach der Rechtsauffassung des zuständigen (Bundes- bzw. Landes-) Datenschutzbeauftragten. Die Auskünfte, Gutachten und Tätigkeitsberichte dieses unabhängigen Kontrollorgans gelten vielerorts als wichtigste Erkenntnisquelle und als gleichsam authentische Interpretation des geltenden Rechts; sie bestimmen demzufolge in weiten Bereichen der Verwaltung den tatsächlichen Umgang mit personenbezogenen Daten. Dabei behandeln die genannten Stellungnahmen neben der Gesetzesanwendung oft auch aktuelle Fragen der Gesetzgebung. Kaum ein anderer öffentlicher Amtsträger außerhalb des eigentlichen Regierungsapparats hat in den letzten Jahren mit Beiträgen zu den verschiedensten innenpolitischen Streitthemen 1 so viel publizistische Aufmerksamkeit erfahren und so häufig persönliches Gehör gefunden wie der Datenschutzbeauftragte2 • Bei keinem anderen staatlichen Funktionsträger ist auch jemals auf parlamentarisch-politischer Ebene so heftig und teilweise erbittert um Einzelheiten des organisatorischen und persönlichen Status gerungen worden wie bei ihm. Insbesondere während der jahrelangen Debatte, die der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes 1990 vorausging3, 1 Vgl. aus neuerer Zeit Äußerungen des Bundesbeauftragten in der Süddeutschen Zeitung v. I . 3. 1990, S. 2 (Einigungsvertrag); 30. I. 1991, S. 5 (Stasi-Akten); 30. 4./1. 5. 1992, S. 6 (Asylverfahren); 22. 5. 1992, S. 2; 26. 6. 1992, S. 6; 10. 9. 1993, S. 2 Geweils "Großer Lauschangriff''); 19. 5. 1993, S. I, 6 (Innere Sicherheit; Gesundheitsreform; Wirtschaftskriminalität; Sozialhilfe usw.); 28. 9. 1993, S. 2 (Bekämpfung des Sozialleistungsmißbrauchs); 5./6. 2. 1994, S. 2 (Verbrechensbekämpfungsgesetz).
2 Ebenso das Fazit bei Schlink, VVDStRL 48 (1990), 233 (252): "erstaunliches politisches Gewicht". 3
Art. I des G. zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes v. 20. 12.
1990, BGBI. I S. 2954. 2 Zöllner
18
Einleitung - Themenstellung
stand für viele die Stärkung der Position des Bundesbeauftragten im Mittelpunkt aller Reformbemühungen4 ; das Maß seiner Kontrollrechte erschien damals wie heute als wichtigster Indikator für den Entwicklungsstand des öffentlichen Datenschutzrechts insgesamt5 • Dem faktisch weitgehend etablierten Vertretungs- und Deutungsmonopol des Beauftragten in Sachen Datenschutz entspricht ein gewandeltes normatives Verständnis dieser Institution. Während in der Frühphase der bundesdeutschen Datenschutzgesetzgebung (ca. 1970 - 1982) vielerorts noch Zweifel am Sinn einer externen Kontrollinstanz bestanden, wird in neuerer Zeit unter dem Eindruck der Volkszählungsrechtsprechung des BVerfG6 immer häufiger aus dem (unbestrittenen) Grundrechtsrang der informationeilen Selbstbestimmung ein ungeschriebener Verfassungsrang des "zugehörigen" staatlichen Schutzorgans abgeleitet. Allem Anschein nach wird der Tätigkeit des Beauftragten mittlerweile sogar ein höherer Stellenwert beigemessen als dem in Art. 19 IV, 92 GG garantierten richterlichen Rechtsschutz. Selbst auf Staatsrechtslehrertagungen regt sich kein Widerspruch mehr gegenüber der These, zur Kontrolle des Datenschutzes seien "noch vor den Verwaltungsgerichten die Datenschutzbeauftragten berufen "7 • Ob diese Faustformel tatsächlich geeignet ist, die erst in den siebziger Jahren entstandene Institution einigermaßen bruchlos in das tradierte Verwaltungsrechtssystem der Bundesrepublik Deutschland einzufügen, hängt weitgehend vom rechtspolitischen Standort des Betrachters ab und mag hier dahinstehen8 • Unabweisbar stellt sich dagegen die Frage, ob das geltende Verfassungsrecht eine solche Schwerpunktverlagerung von der judikativen zur exekutivischen Rechtskontrolle überhaupt zuläßt oder gar verlangt. Worin liegen also, gemessen an den herkömmlichen Formen richterlicher Kontrolle, die weitergehenden bzw. wirksameren Kontrollmöglichkeiten eines unabhängigen Datenschutzbeauf-
4 Dieses Verständnis spiegelt sich auch in manchen Stellungnahmen von Datenschutzsachverständigen und innenpolitischen Experten gegenüber dem zuständigen Ausschuß, s. BT-Anhörung BDSG 1986 u. 1989, BT-Anhörung BVerjSchG u.a. 1989. 5 Exemplarisch MdL Hahnzog, in: Bayer. Landtag, Plenarprotokoll Nr. 121118, S. 7960: "Effektiver Datenschutz lebt von einem effektiven Datenschutzbeauftragten." 6
BVerjGE 65, I (46, 60); NJW 1987, 2805 (2806 f.); vgl. auch BVerjGE 61, 157 (183).
7
Schlink, VVDStRL 48 (1990), 233 (251 u. 263 [Leitsatz 8]).
• Bejahend Schlink, VVDStRL 48 (1990), 233 (252); eher skeptisch Häber/e, VVDStRL 46 (1988), 273 f.; ders., Die Verwaltung 22 (1989), 409 (417f.).
Einleitung - Themenstellung
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tragten? Umgekehrt gefragt: Inwiefern ergeben sich filr den Rechtsschutz gegenüber der datenverarbeitenden Verwaltung besondere Anforderungen, die möglicherweise mit den klassischen Instrumenten allein nicht ausreichend erfilllt werden können? Wie weit reicht auf diesem Gebiet der grundgesetzliche und insbesondere grundrechtliche Schutzauftrag und welcher verwaltungspolitische Gestaltungsspielraum verbleibt dabei dem parlamentarischen Gesetzgeber? Die vorliegende Arbeit behandelt diese Grundfragen der Datenschutzkontrolle am Beispiel des Bundesbeauftragten filr den Datenschutz (§§ 21-26 BDSG). Aus verfassungsrechtlicher Sicht wird dabei zunächst auf den ungewöhnlichen organisations- und dienstrechtlichen Status (Erster Abschnitt) sowie auf die unterschiedlichen Aufgaben und Befugnisse des Beauftragten (Zweiter Abschnitt) eingegangen, ehe unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse die Frage nach der spezifischen Funktion und damit nach der Notwendigkeit einer solchen unabhängigen Kontrollinstanz im Rechtsschutzsystem des Grundgesetzes beantwortet werden kann (Dritter Abschnitt). Da die Regelungen über Kontrollorgane und Kontrollverfahren auf Bundesund Landesebene weitgehend übereinstimmen, lassen sich die hier gefundenen Ergebnisse vielfach auf die Landesbeauftragten filr Datenschutz übertragen, sofern filr sie - wie bislang filr den Bundesbeauftragten - keine speziellen Verfassungsnormen existieren9 • Darüber hinaus versteht sich die Untersuchung der verfassungsimmanenten Möglichkeiten und Grenzen des Datenschutzbeauftragten auch als Beitrag zur allgemeinen Dogmatik des "öffentlich-rechtlichen Beauftragten", zu einer Rechtsfigur also, deren vielgestaltige Erscheinungsformen zunehmend wissenschaftliche Beachtung finden 10 und der offenbar von verschiedenster Seite die Bewältigung selbst der schwierigsten politischen Grundsatzprobleme und Interessenkonflikte zugetraut wird11 • Maßgeblich ge-
9 So aber in den Landesverfassungen von Nordrhein-Westfalen (Art. 77 a), Niedersachsen (Art. 46 a), Brandenburg (Art. 74 I), Sachsen-Anhalt (Art. 63 111) und Sachsen (Art. 57). Vgl. auch Weicher/, CR 1992, 738 (745); Wippermann, DÖV 1994, 929 (931 f.; 939 f.). 10 Vgl. nur Fuchs, "Beauftragte", passim; ders., DÖV 1986, 346-372; Schmitt G/aeser/Mackeprang, Die Verwaltung 24 (l99I), I 5-3 I; Krepo/d, Der öffentlich-rechtliche Beauftragte, passim; aus älterer Zeit v. Pfuh/stein, FS Schäfer, 375 (405-426).
11 Gefordert wurden bisher u.a. Beauftragte (Ombudsmänner) ftlr - Technologiebewertung (Quick, Wissenschaftliche Beratung, 102 ff.) - Sicherheit von Kernkraftwerken (Roßnage/, Radioaktiver Zerfall der Grundrechte, 218) - Gleichberechtigung (Hanau, in: BMJFG-Anhörung AntidiskriminierungsG, 111 [I I 7]; Similis, ebda.; I68 [I73 f.]) - Verbandswesen (s. Fuchs, "Beauftragte", 54 m. Fn. 66)
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Einleitung - Themenstellung
prägt sind solche Erwartungen und Forderungen meist durch das Modell des unabhängigen Datenschutzbeauftragten, der unbestrittenermaßen von allen derzeit tätigen (Sonder-) Beauftragten ein Höchstmaß an rechtlicher Verfestigung und Komplexität der Aufgaben erreicht 12 und damit die Richtung weist, in die sich der organisationsrechtliche Typus künftig entwickeln dürfte.
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Naturschutz (Roth, Der Weg aus der Krise, 123) Tierschutz (Erbet, DÖV 1992, 189-199) Kriegswaffenkontrolle (Ehmke, Referat z. 45. DJT, E 38; Schön, ZParl 17 [1986], !59 [165]) Pressefreiheit (Groß, FS Stein, 73 ff.) Verbraucherschutz (v. Hippe!, Verbraucherschutz, 104 ff.) Berufsbeamtenturn (Wilhelm, ZBR 1967, 165 ff.) Planung (Böckenförde, Staat II [1972], 429 [454]; Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 174 f.) Kartellrecht (Fikentscher, WuV 1971, 789 [796]) Subventionen (Bleckmann, Gutachten z. 55. DJT, D 69; Möllemann, in: SZ v. 6. 6. 1991, S. 2) Strukturfragen (CDU Saarland, SZ v. 5. 9. 1994, S. 5) Bekämpfung extremistischer Gewalt (SPD, BT-Fraktion, SZ v. 28./29. 8. 1993, S. I) Sekten (SPD, BT-Fraktion, SZ v. 12. 10. 1994, S. 7) Beschleunigung des Asylverfahrens (FDP, BT-Fraktion, SZ v. 20. 3. 1989) Nachrichtendienste (Gusy, Die Verwaltung 17 [1984], 273 [294]; Geiger, DVBI. 1990, 748 [749]) Kontrolle der Polizei (Waechter, ZRP 1986, 293-295) Menschenrechtsfragen (Junge Union, SZ v. 18. 8. 1986, S. 5) Abwehr justizstaatlicher Übertreibungen (Franzen/Apel, NJW 1988, 1059 [1063]) Durchsuchungen im Strafprozeß (Bandisch, NJW 1987, 2200 [2205]) Patienten (SPD, LT-Fraktion, Bayer. LT-Dr 13/1425) Kinder (Deutscher Kinderschutzbund, SZ v. 18. 5. 1987, S. 6) Strafgefangene (Köhler, ZRP 1988, 213) Arbeitslose (MdB Wernitz, BT-Dr 10/2395 Nr. 36) 12
Schlink, VVDStRL 48 (1990), 233 (251 f.).
Erster Abschnitt
Der Organisations- und dienstrechtliche Status des Datenschutzbeauftragten A. Der organisationsrechtliche Standort(§ 22 V 1, 3-5, VI BDSG) I. Das "Amt" des Datenschutzbeauftragten
Der fiir die Datenschutzkontrolle zuständige Funktionsträger wird im Gesetz als "Bundesbeauftragter" tituliert. Ein Beauftragter im ursprünglichen Sinne des Wortes ist er jedoch nicht. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Datenschutzbeauftragte ganz wesentlich von jenen (Regierungs-)Beauftragten, die als "unabhängige Persönlichkeiten" z.B. einzelne Mißstände im behördlichen Vollzugsapparat untersuchen 1, spezielle Informations- und Beratungstätigkeiten ausüben2 oder in halboffizieller Mission zwischenstaatliche Kontakte herstellen sollen3 • Im Gegensatz zu ihnen bezieht er seine Legitimation nicht aus einem höchstpersönlich erteilten und als Privatmann übernommenen "Auftrag", der
1 Vgl. dazu Partsch, Gutachten z. 45. DJT, 196 m. Fn. 232; Fuchs, "Beaufuagte", 144 f., 203 f., 227 ff. - Betreffen derartige Untersuchungen nicht lediglich die Entstehung von "Pannen" (wie z. B. beim sog. Höcher/-Bericht, BT-Dr 8/1881), sondern ein möglicherweise strafbares Fehlverhalten von Amtsträgem, wie etwa die polizeiliche Verantwortung ftlr den Tod eines Demonstranten (vgl. SZ v. I. 10. 1985, S. 2) oder einer Geisel bei einem Bankraub (vgl. SZ v. 27. 8. 1988, S. 2), so entstehen u. U. bedenkliche Überschneidungen mit dem gesetzlichen Untersuchungsauttrag von Staatsanwaltschaft und Justiz (krit. daher FAZ v. 3. 10. 1985, S. 3; SZ v. 5./6. 10. 1985, S. 4). 2 Vgl. Grinde/, Ausländerbeauftragte, 23 ff., 119 ff., zur Rolle des Ausländer- und des Behindertenbeaufuagten der Bundesregierung. Weniger bekannt war der "Sonderbeaufuagte fur Fragen der atlantischen Verteidigung" (Bulletin BReg v. 2. 8. 1963, 1201); zu ihm krit. Böckenförde, Organisationsgewalt, 182, 191; Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 65 f. 3 Vgl. Weisert, Die Ausübung von auswärtiger Gewalt durch Privatpersonen, 127 ff., 143 ff.; Dittmann, Die Bundesverwaltung, 150; Heintzen, Auswärtige Beziehungen, 46 f.; aus der Rechtsprechung BGHSt 32, 275 ff. (Fall Tabatabai). -Zu den besonderen Problemen bei der Beauftragung von Parlamentariern s. Partsch, VVDStRL 16 (1958), 74 (98 f. m. Fn. 96); Heintzen, s.o., 45 f.
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Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
jederzeit ohne besonderen Grund widerrufen bzw. einseitig aufgekündigt werden könnte. Er ist auch nicht, wie ein Staatskomrnissar4 oder ein Stellvertreter, nur in besonderen Ausnahmesituationen und bloß vorläufig tätig. Der Begriff "Datenschutzbeauftragter" bezeichnet vielmehr ein reguläres öffentliches Amt im organisatorischen Sinne, also einen von der individuellen Person des Amtswalters unabhängigen, rechtlich institutionalisierten Inbegriff von Wahrnehmungszuständigkeiten6.
II. Die Organisationskompetenz des Gesetzgebers
Das Bundesdatenschutzgesetz überläßt die nähere Ausgestaltung dieses Amtes nicht dem organisatorischen Ermessen der Regierung (Art. 86 S. 2 GG), sondern legt den Grad der Selbständigkeit (§ 22 IV 2, 3, V, VI), den Aufgabenkreis(§§ 24 I - III; 26 I, II 1, 2, IV, V) und die amtlichen Befugnisse des Beauftragten(§§ 24 IV, V; 25; 26 II 3, III) sehr detailliert fest. Es trifft damit alle Entscheidungen, die zur äußeren "Errichtung" des Amtes gehören7 • Daß der parlamentarische Gesetzgeber zum Erlaß derartiger Vorschriften grundsätzlich berechtigt ist, kann kaum zweifelhaft sein. Der Bundesbeauftragte fiir den Datenschutz gehört zwar-trotzseiner Wahl durch den Bundestag(§ 22 I BDSG) und gewisser Beziehungen zu den Organen der Ersten Gewalt (§ 26 I, II BDSG) - insgesamt zum Funktions- und Organbereich der vollziehenden Gewalt8 • Die Organerrichtungskompetenz auf diesem Sektor steht aber nach
4 Zum Kommissars. Rasch, Verwaltungsorganisation, 53 ff.; Wolff!Bachof, VerwaltungsR II, § 76 II e) 2 .; zur wechselvollen Geschichte des Begriffs Er/er/Kaufmann, Handwörterbuch z. Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. II, Sp. 974 ff.; Bilfinger, Der Reichssparkommissar, 33 ff.; Schmitt, Die Diktatur, 32 ff., in AnknUpfung an die schon von Bodin getroffene Unterscheidung von amtlicher und kommissarischer Tätigkeit. 5
Hierzu insbesondere Wahl, Stellvertretung, 51 ff. rn.w.N.
Zur Abgrenzung des "institutionalisierten" Amtes vorn lediglich "personalen" Auftrags. Wolffl Bachof, § 73 I c) 2; zur modernen republikanischen Amtsidee lsensee, in: Benda/Maihofor/Vogel, HdbVerfR, ll49 (ll52 f.). 6
7 Zum Begriff der Errichtung - im Unterschied zur inneren Einrichtung (Geschäftsverteilung, Ausstattung usw.)- s. Böckenförde, Organisationsgewalt, 47 ff.; Wolff!Bachof, § 74 III (§ 73 I d); Rasch, Verwaltungsorganisation, 95 ff.; nurterminologisch abweichend Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 257 ("Schaffung"); Oldiges, Bundesregierung, 225 ("Entstehung"). 8 Vgl. Dammann, in: Similis u.a. , BDSG, § 22 Rn. 5; z. früheren Recht ders. , Datenschutzkontrolle, 187; Schweinoch, in: Gallwas u. a., BDSG, § 17 Rn. 2, 5, 13; Auernhammer, BDSG, § 17 Rn. 13; Schwan, in: Kamlah u. a., BDSG, § 17 Rn. ll; Schaffland/Wilifang, BDSG, § 17 Rn. I.
A. Der organisationsrechtliche Standort
23
heutigem Verständnis keineswegs allein der Regierung zu, wie es der früheren Vorstellung von der Organisationsgewalt als einem "Hausgut der Exekutive" entsprach. Auch fiir Maßnahmen organisatorischer Art gilt vielmehr unter gewissen Voraussetzungen der Vorbehalf und ansonstenjedenfalls der Vorrang des Gesetzes 10• Schon aus letzterem ergibt sich, selbst wenn man die mit dem (rechtsstaatlichen und institutionellen) Gesetzesvorbehalt verbundenen Fragen einstweilen unberücksichtigt läße 1, die prinzipielle Zulässigkeit von gesetzlichen Detailregelungen auf dem Gebiet der institutionellen Datenschutzkontrolle.
1. Die Besonderheiten der Regierungsorganisation
Daß das Amt des Bundesbeauftragten unmittelbar "beim Bundesminister des Innem eingerichtet" und diesem auch dienst- und haushaltsrechtlich zugeordnet worden ist (§ 22 V BDSG), erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich. Der Gesetzgeber hat damit aber nicht etwa die Grenzen seiner Regelungsgewalt überschritten und in einen der Regierung vorbehaltenen Bereich eingegriffen. In der Staatsrechtslehre herrscht allerdings die Auffassung vor, die Organisation der Kabinetts- und Ministerialebene sei grundsätzlich dem Zugriff der Legislative entzogen; sie habe sich den häufig wechselnden Zielvorstellungen und Arbeitsschwerpunkten der politischen Führung anzupassen und könne deshalb nicht im selben Umfang wie bei der übrigen Exekutive förmlich festgelegt werden 12 • Auf dieser Ebene dürfe der Gesetzgeber allenfalls punktuelle Organisationsmaßnahmen treffen 13 bzw. müsse sich mit bloßen Grundsatzoder Rahmenregelungen zum Aufbau der Ministerien begnügen 14•
9
Böckenjörde, 89 ff.; Ossenhühl, 262 ff.; Oldiges, 226 ff.
S. Art. 86 S. 2 GG; allgemein Wolffi'Bachof, § 78 I a), II c) 4.; Böckenjörde, 103 ff.; Ossenhühl, 261 f. 10
11
Dazu Zweiter Abschnitt, A.III.3; Dritter Abschnitt, B.
Köttgen, VVDStRL 16 (1958), 154 (166 f.); Böckenförde, 106, 290 f.; Schmidt-Aßmann, in: FS Jpsen, 333 (347, 351); Schnapp, VVDStRL 43 (1985), 172 (192); Kölhle, in: Jeserich/Pohl/ v. Unruh, Deutsche Verwa1tungsgeschichte, Bd. V, 174 (181 ); z. T. widersprüchlich Oldiges, 240 f., 242; a. A. offenbar Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (70, These 4); Steinberg, Politik und Verwa1tungsorganisation, 343 ff.; H Meyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 4 Rn. 57 f. 12
" In diese Richtung Oldiges, 242 m. Fn. 230; s. auch Schröder, in: Jsensee/Kirchhoj, HdbStR II, § 50 Rn. 12. 14
So anscheinend Böckenjörde, a.a.O., 292 f.
24
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
Selbst wenn man der zuletzt genannten Variante dieser Auffassung folgt, bestehen aber gegen die detailgenaue gesetzliche Ausgestaltung eines "beim" Bundesinnenminister angesiedelten Datenschutzbeauftragten keine Bedenken. Dieser gehört nämlich, wie die beiden nachfolgenden Abschnitte zeigen werden, weder im formell-organisatorischen noch im funktionellen Sinne zum Vorbehaltshereich der Regierung. Zwar betrachtet ein erheblicher Teil der datenschutzrechtlichen Spezialliteratur das Amt des Beauftragten als einen "eingegliederten" Teil des Ministeriums und versetzt ihn damit auf die Ebene einer obersten Bundesbehörde 15 • Diese Klassifizierung, die den Datenschutzbeauftragten aufwerten soll zu einem protokollarisch wie auch besoldungsrechtlich 16 auf der Rangstufe der Minister stehenden Amtsträger, entspricht jedoch nicht der geltenden Gesetzeslage.
2. Die Beziehung des Beauftragten zum Ministerium Wird ein mit eigenen Zuständigkeiten versehenes Amt "bei" einem anderen Amt bzw. bei einer Behörde gebildet (Beispiel: die Justizprüfungsämter "beim" OLG-Präsidenten bzw. Justizminister17), so handelt es sich in aller Regel um eine bloße "Angliederung". Bei dieser Form der organisatorischen Verbindung bleibt die rechtliche Selbständigkeit der beiden Teile und damit auch ihr jeweiliger Rang innerhalb der Behördenhierarchie uneingeschränkt erhalten. Lediglich der Personal- und Sachapparat ist (teilweise) identisch, da die Stammbehörde die Bedarfsverwaltung der angegliederten Stelle zu übernehmen und ihr die notwendigen Mittel aus eigenen Beständen zur VerfUgung zu stellen hat18 •
1' Z.B. Schweinoch, § 17 Rn. 13 f.; Auernhammer, § 17 Rn. 12; Ordemann/Schomerus, BDSG, § 17 Anm. 5; Schwan,§ 17 Rn. 13; keine Eingliederung, aber eine "unmittelbare Zuordnung" zum Minister nehmen an Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 22 Rn. 21; Scha.ffland/Wi/tfang, § 17 Rn. 9; vgl. auch Schweinoch/Geiger!Weigert, BayDSG, Art. 27 Rn. 2, 5. -Die organisatorische Selbständigkeit betonen demgegenüber Bergmann/Möhr/e/Herb, Datenschutzrecht, BDSG, § 22 Rn. 14; F/anderka, Bundesbeauftragter, 26; Tinnefe /d/Ehmann, CR 1989, 637 (638); Stäh/er, DSG NW, § 21 Rn. 7. 16
Zu letzterem s. Dammann, Datenschutzkontrolle, 190 f.
§§ 4 I 2; 26 I 2 nwJAG; § 2 I BayJAPO; dazu ausfUhrlieh Müller, DRiZ 1978, 193 ff.; ders. , JuS 1985, 497 (505 m. Fn. 126 ff.); OVG Münster, OVGE 30, 15 (17 f.) u. 20 (21 f.). 17
18 Wo/ff/Bachof, § 77 IV d) 2.; Müller, DRiZ 1978, 193 (195 ff.) ; OVG Münster, OVGE 30, 15 (17 f.), m. w. N.; ebenso i. E. Bachof, AöR 83 (1958), 208 (245 ff.), der allerdings von "nebengeordneten Stellen" spricht.
A. Der organisationsrechtliche Standort
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Der praktische Vorteil einer solchen "Topfwirtschaft" liegt vor allem in der Tatsache, daß sich damit auch filr kleinere und besonders spezialisierte Dienststellen, die allein nur wenig Aufstiegsmöglichkeiten bieten würden, qualifizierte Mitarbeiter aus der allgemeinen Verwaltung gewinnen lassen. Diese behalten nämlich trotz des Vorgesetztenwechsels (vgl. § 3 II 2 BBG) ihren bisherigen dienstrechtlichen Status bei (z. B. den Anspruch auf die Ministerialzulage 19), nehmen in gleichem Umfang wie bisher an hausinternen Aufstiegsmaßnahmen teil und haben aufgrund des Personalverbunds eine gesicherte Aussicht, ihre berufliche Karriere zu einem späteren Zeitpunkt im selben Ressort fortsetzen zu können, von dem sie ursprünglich abgeordnet worden sind20 • Daß der Bundesgesetzgeber lediglich in diesem Sinne die personalwirtschaftliche und ausstattungsmäßige Anhindung des Datenschutzbeauftragten sicherstellen und dessen Dienststelle nicht etwa in das Ministerium integrieren wollte, kommt in§ 22 V 3 (I. Halbsatz) und den benachbarten Bestimmungen deutlich zum Ausdruck. So hätte es etwa der in Satz 2 ausdrücklich getroffenen Regelung über die ministerielle Dienstaufsicht nicht bedurft, wenn der Beauftragte bereits aufgrundvon Satz 1 dem Innenministerium angehören würde (s. § 3 II 3 BBG)21 • Auch die in Satz 3 (2. Halbsatz) verlangte Zuweisung eines eigenen Haushaltskapitels läßt erkennen, daß der hier angesprochene Amtsträger nur zum externen Ressortbereich, nicht dagegen zur Behörde des Innenministers gehören soll22 • Die speziellen rechtspolitischen Gründe, die den Gesetzgeber zu dieser organisatorischen Trennung bewogen haben, liegen auf der Hand. Wäre der
19 Diese liefert daher entgegen Dammann, Rn. 21, gerade keinen Hinweis auf die organisatorische Rangstufe. 20 Zu diesem Aspekt der Rekrutierung und Motivation der Mitarbeiter, der de lege ferenda (auch nach Ansicht der meisten Datenschutzbeauftragten) gegen eine engere Anhindung des Amtes an das Parlament spricht, s. 9. Tätigkeitsbericht (TB) des Bundesbeauftragtenfor den Datenschutz (BfD), BT-Dr 10/6826, S. 12 f.; Bundesregierung, BT-Dr 10/5922; Similis, in: BT-Anhörung BDSG 1989, 148; Leuze, ebda., 152; Maier-Bode, ebda., 154; Schapper, ebda., 161; Einwag, ebda., 164, 320 (Anlage I); vgl. auch Tinnefeld/Ehmann, CR 1989, 637 (641); eher kritisch Riegel, DuD 1988, 277 (280) = ders., Datenschutz, 129; Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 51 tf.; Flanderka, Bundesbeauftragter, 28; Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 22 Rn. 26; Wippermann, DÖV 1994, 929 (933 f.). - Zum Parallelproblem bei der Personalausstattung des Ausländerbeauftragten s. Grinde/, Ausländerbeauftragte, 35.
21 Vgl. speziell z. Datenschutzbeauftragten Müller, JuS 1985, 497 (502); zu § 26 IV nwJAG OVG Münster, OVGE 30, 15 (18). 22 Vgl. Müller, JuS 1985, 497 (502), der eine organisatorische Eingliederung bei bestehender haushaltsrechtlicher Verselbständigung schon begrifflich ftlr ausgeschlossen hält.
26
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
Datenschutzbeauftragte, ähnlich wie zuvor der Bundesbeauftragte für den Zivildienst (§ 2 II ZDG), "im" und nicht bloß "beim" Ministerium angesiedelt worden, so hätte er dort nicht mehr seine eigenen, sondern nurmehr fremde, d.h. ministerielle Aufgaben wahrnehmen können23 • Daran hätte sich auch dann nichts geändert, wenn er wegen seiner besonderen Bedeutung "dem Minister unmittelbar zugeordnet" worden wäre24 , wie dies bei den zahlreichen durch exekutiven Organisationsakt eingesetzten Beauftragten mit Stabsfunktionen der Fall ist25• Bei einer solchen Position in direkter Nähe zur Verwaltungsfiihrung wäre im übrigen leicht der Eindruck entstanden, dem als unabhängig bezeichneten (§ 22 IV 2 BDSG) Kontrolleur fehle in Wahrheit die gebotene Distanz.
111. Die genaue organisationsrechtliche Rangstufe
Abgesehen von dem oben beschriebenen Personal- und Sachmittelverbund sowie von dem in § 22 VI BDSG besonders geregelten Verfahren zur Bestellung eines geeigneten Vertreters26 im Falle einer (objektiv unvorhersehbaren) vorübergehenden Verhinderung27 bestehen zwischen dem Amt des Datenschutzbeauftragten und dem Bundesministerium des Innem keine besonderen Rechtsbeziehungen, insbesondere auch keine ablauforganisatorischen Zusam-
23 Der Zivildienstbeauftragte, mit dessen Errichtung der Gesetzgeber "in bemerkenswerter Weise die (freie) Organisationsbefugnis des Bundesministers... abgesteckt" hat (so Harrer/Haberland, ZDG, § 2 Anm. 5), gehört organisatorisch voll zum Ministerium (Harrer!Haberland, ebda.; unrichtig Kugele, Politische Beamte, 132 ff.: "Amtschef des Bundesamtes filr den Zivildienst") und erledigt dort gemäß ministerieller Anordnung bestimmte Ressortaufgaben, s. BVerjGE 48, 126 (181); zur Praxis Grinde/, Ausländerbeauftragte, 119. 24
So die These von Dammann, § 17 Rn. 21; Schaffland/Wiltfang, § 17 Rn. 9.
Hierzu Fuchs, "Beauftragte", 134 f., 211 ff. Beispiele solcher Stabsstellen sind die Beauftragten filr Nord-SUd-Verhandlungen und (froher) filr innerdeutsche Wirtschaftsbeziehungen, die Koordinatoren filr deutsch-französische und deutsch-amerikanische Zusammenarbeit (alle im Auswärtigen Amt), der Koordinator filr die Luft- und Raumfahrt (Bundeswirtschaftsministerium), der frühere Berlin-Bevollmächtige (Bundeskanzleramt) sowie zahlreiche Frauenbeauftragte bzw. "Gleichstellungsstellen" in Bund und Ländern (Überblick bei Krautkrämer-Wagner, Frauenpolitische Einrichtungen, 20 ff. [Stand 1983]). 2'
26
Ein Fall der "Ersatzvertretung" im Sinne von Wahl, Stellvertretung, 27 ff.
Von der Dauer dieses Zustands hängt, wie Wahl, Stellvertretung, 30 ff., gezeigt hat, die Notwendigkeit einer formellen Vertretung keineswegs ab (so aber Dammann, in: Simitis u.a. , BDSG, § 22 Rn. 31 ; Schaffland/Wi/tfang, BDSG, § 17 Rn. 10; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 17 Rn. 15). 27
A. Der organisationsrechtliche Standort
27
menhänge28 • Der Beauftragte gehört also nicht zu der - dem gesetzgeberischen Zugriff prinzipiell entzogenen - Ministerialorganisation i.e.S. Er hat vielmehr den Status eines unmittelbar fiir den Bund handelnden Organs29 und, soweit er nach außen hin Zuständigkeiten wahrnimmt (§§ 21, 26 V 6 BDSG)30, den einer selbständigen Behörde3 1• Die Selbständigkeit des Beauftragten hat für die politisch-staatliche Integration des Gemeinwesens allerdings erkennbar kein solches Gewicht, daß er als ein Verfassungsorgan bzw. oberstes Bundesorgan32 angesehen werden könnte. Dem würde auch schon der Umstand entgegenstehen, daß er im Grundgesetz an keiner Stelle erwähnt wird33 • Aus demselben Grund gehört er auch nicht zu den "obersten Bundesbehörden" im Sinne von Art. 36 I 1, 85 III 1 GG34, deren Kreis nach herrschender Auffassung nicht ohne Verfassungsänderung erweitert werden kann35 • Im Unterschied zum Bundesrechnungshof (Art. 1I4 II GG) und zu den Leitungsorganen der Deutschen Bundesbank (Art. 88 GG) dürfte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz somit auch vom einfachen Gesetzgeber (vgl. § I S. I BRHG; § 29 I BBankG) nicht in den formellen Rang
28 Ebenso Fuchs, "Beauftragte", 138 f., der jedoch die organisatorische Sonderstellung dieses Beauftragten (wie auch der dem Arbeitsministerium aufahnliehe Weise angegliederten Ausländerund Behindertenbeauftragten) nur als Zeichen einer "inhaltlich-politischen Uneinigkeit" zu deuten vermag. 29 Vgl. Wolff/Bachoj, § 74 I f). Auf Institutionen mit staatsinternen Hilfsfunktionen (Beratung etc.) läßt sich der klassische Organbegriff nur mit einigen Schwierigkeiten übertragen, s. zuletzt Kämper, Der Sachverständigenrat, 65 ff. m.w.N. 30 Zu diesem einschränkenden Merkmal Laubinger, VA 76 (1985), 449 (461 f., m.w.N.), am Beispiel des Personalrats.
31 Ebenso Fuchs, "Beauftragte", 83; Flanderka, Bundesbeauftragter, 27; zum bayer. Datenschutzbeauftragten VG München, CuR 1989, 318; implizit auch VGH München, CuR 1989, 317 f.; offengelassen ftlr NRW vom OVG Münster, RiA 1983, 152. - In der letztgenannten Entscheidung ging es primär um die Eigenschaft als "Dienststelle" im personalvertretungsrechtlichen Sinne. Sie fehlte dem an ein Ministerium "angegliederten" Beauftragten, jedenfalls solange ihm nicht einmal Mitwirkungsrechte (s. nunmehr §§ 22 V 4 u. 5; 23 IV 2 BDSG 1990) hinsichtlich einzelner Dienstaufsichtsmaßnahmen zustanden (vgl. Schmitt, in: Lorenzen u.a., BPersVG, § 6 Rn. 3 b, z. Wehrbeauftragten). 32 Die beiden Begriffe werden praktisch inhaltsgleich verwendet, s. zu Art. 53 a GG BVerjG, NJW 1991, 2474 (2478)- Mehrheitsvotum -, (2479)- Minderheitsvotum -. 33
Zu diesem und weiteren Begriffsmerkmalen Stern, StaatsR I, 342 ff. m.w.N.
34
So aber offenbar Dammann, Rn. 21.
35
Vgl. Köttgen, DÖV 1954, 4 (6); ders., JöR II (1962), 173 (258 f.); v. Mangoldt/Kiein, GG,
Art. 85 Anm. IV 2 d) ee); Rupp, in: Anhörung zum BDSG 1989, Anlage I, 288 f.; a.A. offenbar W Müller, DRiZ 1978, 193 (197).
28
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
einer obersten Bundesbehörde erhoben werden, wie dies verschiedentlich gefordert worden ise 6 • Die noch im einzelnen zu behandelnde sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten (§ 22 IV 2 BDSG)37 bedeutet zwar, daß seine Mitarbeiter keinen "nächsthöheren Vorgesetzten" (§ 56 II 2 BBG) haben, wirkt sich aber auf den allgemeinen organisationsrechtlichen Rang der Behörde nicht aus. Der Rechtssatz, wonach die obersten Bundesbehörden generell weisungsfrei sind38, läßt sich nämlich keinesfalls dahingehend umkehren, daß alle weisungsfreien Stellen genau dieser Behördenstufe angehören müßten. Eine solche Forderung ist bisher auch für andere "ministerialfreie" Verwaltungseinheiten niemals aufgestellt worden (z.B. § 5 II 1 AsylVfG; § 10 GjS). Im allgemeinen Verwaltungsaufbau kann hiernach dem Datenschutzbeauftragten - nicht anders als dem Beauftragten ftlr die Stasi-Unterlagen, ftlr den sich dies bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (§ 35 I 1 StUG) - nur die organisationsrechtliche Stellung einer Bundesoberbehörde zukommen39 • Damit beantwortet sich zugleich die im Schrifttum aufgeworfene Frage40 nach der Gesetzgebungskompetenz im Verhältnis zu den Ländern: Soweit dem Bundesgesetzgeber nach Art. 72 ff. GG überhaupt das Recht zum Erlaß von "materiellen" Datenschutzvorschriften zusteht41 , verfügt er nach Art. 87 III 1 GG auch über die Kompetenz zur Errichtung einer selbständigen Bundesoberbehörde mit zentralen Kontroll- und Beratungsaufgaben, wobei die vom Verfassungsgeber ausdrücklich vorausgesetzte organisatorische Verselbständigung42 ein gewisses Zusammenwirken mit anderen Stellen des Bundes nicht ausschließt43 •
36 Vgl. Leuze, Anhörung BDSG 1989, 152; Schapper, ebda., 160; Tinnefeld/Ehmann, CR 1989, 637 (641); Entwurf der GRÜNEN zum BDSG, BT-Dr 11/2175. Eine entsprechende Regelung besteht in Berlin, § 19 II I BIDSG. 37
Dazu unten, Dritter Abschnitt.
31
E. Klein, Ministerialfreier Raum, 66 Fn. 41.
39 So zutreffend Becker, Öffentliche Verwaltung, 294; offengelassen bei Schuppert, Verselbstllndigte Verwaltungseinheiten, 240; a.A. Schweinoch, in: Gallwas u.a., BDSG, § 17 Rn. 14; Auernhammer, BDSG, § 17 Rn. 12; i.E. wie hier OVG Münster, OVGE 30, 15 (18), zum Landesjustizprüfungsamt; E. Klein, Ministerialfreier Raum, 81, zum Bundespersonalausschuß. 40 Similis, in: ders. u.a., BDSG, § I Rn. 69; Fuchs, DÖV 1986, 363 (365). Beide verweisen zur Lösung des Problems nur pauschal auf Art. 86 GG. 41
Auch dazu problematisierend Similis, Rn. 68.
42
Sie verlangt nicht unbedingt Weisungsfreiheit, s. Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 87 Rn. 83.
43
Ebenso schon BVerjGE 14, 197 (210 f.).
A. Der organisationsrechtliche Standort
29
Daß die genaue Bestimmung des organisationsrechtlichen Standorts ftir die Praxis durchaus bedeutsam werden kann, zeigt sich spätestens dann, wenn gegen einzelne Maßnahmen der Behörde Rechtsschutz begehrt wird. So bedarf es vor Erhebung einer gegen den Bundesbeauftragten gerichteten Anfechtungsoder Verpflichtungsklage44 eines Widerspruchsverfahrens, da die Ausnahmebestimmung des § 68 I 2 Nr. I VwGO (Verwaltungsakt einer obersten Bundesoder Landesbehörde) nicht anwendbar ist. Den Widerspruchsbescheid erläßt allerdings der Beauftragte als unmittelbar nachgeordnete Stelle i.S.d. § 73 I 2 Nr. 2 VwGO selbst45 •
IV. Die haushaltsrechtliche Sonderstellung
Herausgehoben aus dem Kreis der übrigen Bundesoberbehörden wird der Bundesbeauftragte ftir den Datenschutz dadurch, daß ihm der Gesetzgeber die notwendigen Personal- und Sachmittel sowie eine gesonderte Ausweisung der Finanzmittel ausdrücklich garantiert (§ 22 V 3 BDSG). Daß hiermit nur eine objektiv-rechtliche Verpflichtung statuiert und dem Beauftragten kein klageweise durchsetzbarer Rechtsanspruch auf einen bestimmten Mindestetat gewährt werden sollte46 , ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie aus ihrer Entstehungsgeschichte, in der keine Hinweise auf eine weitergehende Regelungsabsicht zu finden sind47 • Was den Umfang der Ausstattung angeht, besitzt die genannte Vorschrift des BDSG ohnehin nur deklaratorischen Charakter, da der Haushaltsgesetzgeber und auch der zuständige Minister bereits von Verfassungs wegen verpflichtet sind, die zur Erftillung der gesetzlichen Pflichtaufgaben benötigten Mittel den jeweiligen Behörden im Wege der Budgetbewiiiigung bzw. der ressortinternen Verteilung vorbehaltlos zur VerfUgung zu stellen48 •
44
Z.B. auf Einsicht in das Register nach § 26 V 4 BDSG.
Vgl. den Fall VG München, CR 1989,318, bzw. VGH München, ebda., 317; allg. W Müller, DRiZ 1978, 193 ( 197 f.). -Nicht unmittelbar entscheidungsbefugt ist der Bundesbeauftragte in den beamtenrechtlichen Angelegenheiten seiner Mitarbeiter (vgl. § 22 V 4 u. 5 BDSG), so daß er insoweit - im Unterschied zu einigen Behördenleitern der gleichen Organisationsstufe - auch nicht über etwaige Widersprüche zu entscheiden hat (s. §§ 172 BBG, 126 IIl Nr. 2 S. 2 BRRG, dazu Anordnung des Bundesministers des Innem vom 18. 3. 1994, BGBI. I S. 883). 45
46
So aber Flanderka, Bundesbeauftragter, 28 f.; Dammann, in: Similis u.a. , BDSG, § 22 Rn. 33.
47
Hierzu ausfUhrlieh unten, Zweiter Abschnitt, A.I.3.c.
48
Vgl. Böckenförde, Organisationsgewalt, 109 ff., 305 ff.
30
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
Eine Besonderheit bei der haushaltsrechtlichen Behandlung des Datenschutzbeauftragten liegt hingegen in dem Gebot, seine Personal- und Sachmittelausstattung jeweils im Einzelplan des Bundesministers des Innem49 "in einem eigenen Kapitel auszuweisen" (§ 22 V 3, 2. Hs. BDSG). Diese an § 16 III WehrbeauftrG angelehnte Bestimmung hat zwar in der Sache nur geringe Bedeutung, da die alleinige Entscheidungsbefugnis des Bundesbeauftragten über die Mittelverwendung50 schon aus seiner sachlichen Unabhängigkeit folgt (§ 22 IV 2 BDSG) und keiner Bestätigung im jährlichen Haushaltsplan bedarf. Dennoch erscheint die Vorschrift, die bei der Aufstellung des Bundesetats zwingend zu beachten ist, aus verfassungsrechtlicher Sicht höchst problematisch. In der gesetzlichen Festschreibung eines ganz bestimmten Grads an haushaltsrechtlicher Selbständigkeit (vgl. § 13 li 2 BHO) liegt nämlich ein Stück Haushaltsplanung außerhalb des im Grundgesetz und in § 95 GO BT vorgeschriebenen Verfahrens. Die in § 22 V 3, 2. Hs. BDSG getroffene Dauerregelung verstößt damit zum einen gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Periodizität und der Annuität (Art. 110 II GG). Zum anderen beeinträchtigt sie die politische Gestaltungsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers, der vom "ordentlichen Gesetzgeber" nur auf allgemeine Grundsätze i.S.d. Art. 109 III GG verpflichtet werden kann5 1, und verletzt in gleichem Maße auch schon das Einbringungsmonopol der Bundesregierung (Art. 110 III GG). Der letztgenannte Gesichtspunkt schließt übrigens auch ein eigenes Haushaltsvorlagerecht des Beauftragten gegenüber dem Parlament aus, wie es zur Stärkung seiner Unabhängigkeit mitunter vorgeschlagen wird52 •
49 Im SPD-Entwurf (BT-Dr 11/3730) folgt aus der dienst- und organisationsrechtlichen Anbindung konsequenterweise auch die haushaltsrechtliche Zuordnung zum Deutschen Bundestag (§ 23 II BISG). 50
Hierzu Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 22 Rn. 25.
S. VogeVWiebe/, in: BK, Art. 109 Rn. 171 f.; Piduch, BundeshaushaltsR, Art. 109 Tz. SO f.; allgemein Püttner, DÖV 1970, 322 (323 ff.); Janssen, Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, 89 ff. 51
52 Tinnefeld/Ehmann, CR 1989, 637 (642). - Mangels Verfassungsstatus dUrfte bereits eine Einbeziehung des Beauftragten in die §§ 28 III, 29 III BHO unzulässig sein.
A. Der organisationsrechtliche Standort
31
V. Das Mitwirkungsrecht bei der Stellenbesetzung
Seit der Novellierung des BDSG im Jahre 1990 ist die ausdrückliche Zustimmung des Bundesbeauftragten fiir die Neubesetzung von Stellen sowie fiir die nichtfreiwillige Versetzung, Abordnung und Umsetzung der Mitarbeiter zwingend vorgeschrieben (§ 22 V 4 u. 5 BDSG). Hierbei behält der Bundesinnenminister zwar seine - auf der organisationsrechtlichen Angliederung an das Ministerium beruhende - formelle Position als alleiniger Dienstvorgesetzter (§ 3 II I BBG) aller bei der Behörde Beschäftigten53 • Die Neuregelung gewährt aber dem Datenschutzbeauftragten, der als Träger eines "funktionsgebundenen Amtes" einen subjektiven Anspruch auf Wahrnehmung eines konkreten Tätigkeitsbereichs bislang nur fiir sich selbst geltend machen konnte54, das gleiche Recht nunmehr auch in Bezug auf seinen gesamten Mitarbeiterstab und schützt ihn damit vor personell bedingten Qualitätseinbußen durch einen möglichen Entzug von Fachkräften. Darin liegt ein sowohl praktikabler als auch systemgerechter55 und zudem verfassungskonformer Kompromiß zwischen dem Unabhängigkeitsanspruch des Beauftragten und der in Art. 65 S. 2 GG garantierten Personalhoheit des Ministers. Die Entscheidungen über Einstellung, Bef6rderung, Versetzung und sonstige personelle Angelegenheiten der Beamten gehören nach Auffassung des BVerfG zu denjenigen Regierungsaufgaben, die wegen ihrer politischen Tragweite nicht generell der Regierungsverantwortung entzogen und auf Stellen übertragen werden dürfen, die von Regierung und Parlament unabhängig sind56• Von einem solchen Eingriff in den gubernativen Kernbereich kann hier noch keine Rede sein. In § 22 V 4 u. 5 BDSG geht es nämlich um keine "generelle Übertragung der Entscheidungsgewalt in allen personellen Fragen"57, sondern nur um ganz bestimmte Stellenbewirtschaftungsmaßnahmen gegenüber einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Bundesbeamten. Außerdem
53 S. Dammann, in: Similis u.a. , BDSG, § 22 Rn. 29; Schweinoch, in: Ga/lwas u.a., BDSG, § 17 Rn. 16; Auernhammer, BDSG, § 17 Rn. 14; a.A. Schwan, in: Kamlah u.a. , BDSG, § 17 Rn. 14; Schaffland/Wiltfang, BDSG, § 17 Rn. 9; Flanderka, Bundesbeaufuagter, 30 f. 54 Vgl. dazu näher Wolff/Bachof, VerwaltungsR II, §§ 73 I11 b) 3. ß); 109 I b) 5.; 110 VI a); BVerwGE 40, 229 (230).
55 Krit. aber Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 22 Rn. 27: "institutionell unbefriedigend"; gegen jedes Mitspracherecht Flanderka, Bundesbeaufuagter, 31 f. 56
BVerjGE 9, 268 (282)- Bremer Personalvertretung -.
57
Vgl. dazu BVerjGE 9, 268 (283).
32
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
wird statt einer Zuständigkeitsverlagerung lediglich ein Zustimmungsvorbehalt begründet, so daß dem Minister das personalrechtliche Initiativrecht vorbehalten bleibt. Zu einer anderen verfassungsrechtliche Bewertung käme man allerdings dann, wenn - wie gelegentlich gefordert58 - dem Bundesbeauftragten die Personalhoheit innerhalb seiner Behörde vollständig und zur alleinigen Wahrnehmung übertragen würde. Hierdurch wäre eine einheitliche und langfristige Personalplanung innerhalb des Ministeriums praktisch ausgeschlossen, da der alle filnf Jahre mögliche Wechsel im Amt des Datenschutzbeauftragten jedesmal Anlaß zu umfangreichen personellen Veränderungen böte. Zudem wären die betroffenen Beamten in ihren dienstrechtlichen Angelegenheiten einem Amtsträger unterstellt, der filr ein etwaiges Fehlverhalten weder (wie ein Minister) parlamentarisch zur Verantwortung gezogen noch (wie ein Beamter) disziplinarrechtlieh belangt werden könnte oder auch nur einer fachaufsichtliehen Kontrolle unterläge. Die zu den allgemeinen Grundsätzen des Berufsbeamtenturns (Art. 33 V GG) zählende Treue- und Gehorsamspflicht setzt aber in einem demokratischen Rechtsstaat nach höchstrichterlicher Rechtsprechung voraus, "daß der Beamte nur Stellen seines Dienstherrn verantwortlich ist, die durch ein hierarchisches Über- und Unterordnungsverhältnis eine Einheit bilden, und daß auch nur diese Stellen zu seiner Beurteilung und zu den Maßnahmen befugt sind, die seine Laufbahn bestimmen"59 • Ein Amtsträger, der wie der Datenschutzbeauftragte lediglich einer (beschränkt wirksamen60) Rechtsaufsicht durch die Bundesregierung unterliegt (§ 22 IV 3 BDSG), kann danach nicht die Funktion eines alleinigen Dienstvorgesetzten gegenüber seinen Mitarbeitern übernehmen.
'"Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 22 Rn. 28; Tinnefeld/Ehmann, CR 1989, 637 (642), jeweils mit Hinweis auf§ 31 II 2 HessDSG; vgl. auch Art. 27 III 2 u. 3 BayDSG. 59 BVerjGE 9, 268 (286 f.); ebenso StGH BW, ESVGH 23, 135 (146 f.) m.w.N.; Lecheler, Personalgewalt, 195 f. 60
Näher hierzu unten, Dritter Abschnitt, A.
B. Die persönliche Rechtsstellung
33
B. Die persönliche Rechtsstellung (§ 22 1-111, IV 1, V 2, § 23 BDSG)
I. Das "öffentlich-rechtliche Amtsverhältnis" eigener Art
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz ist - anders als die meisten seiner Kollegen in den Ländern - kein Beamter im staatsrechtlichen Sinne. Er steht vielmehr nach Maßgabe des Gesetzes zum Bund in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis sui generis (§ 22 IV I BDSG)61 • Der besondere Status soll seine formal herausgehobene, an den politischen Bereich angenäherte Stellung innerhalb der vollziehenden Gewalt unterstreichen und einen funktionsgerechten Zuschnitt seiner persönlichen Rechte und Pflichten ermöglichen. Je weiter sich die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes allerdings von den Grundsätzen des Beamtenrechts entfernen, desto mehr nähern sie sich verfassungsrechtlichen Grenzzonen.
1. Die rechtliche Möglichkeit von Sonderverhältnissen
Zumindest dem Grundsatz nach gelten außerbeamtenrechtliche Dienstverhältnisse im Bereich der Exekutive mittlerweile allgemein als zulässig. Die früher häufiger vertretene Auffassung, staatliche Amtsträger dürften in keiner anderen öffentlich-rechtlichen Form als dem Beamtenverhältnis beschäftigt werden62 , hat insbesondere beim BVerfG63 und beim BVerwG64 aus gutem Grund keine Zustimmung gefunden. Die Vorschriften des Art. 33 IV u. V GG enthalten zusammengenommen nur eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums, nicht dagegen eine für jeden Einzelfall verbindliche Festlegung auf diesen besonderen dienstrechtlichen Typus65 • Auch die Aufzählung der "Beamten und Angestellten" in Art. 85 II 2 GG bzw. der "Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richter" in Art. 137 I GG verweist lediglich auf die begrenzte Reichweite dieser beiden
61
Ihm nachgebildet neuerdings auch der Stasi-Unterlagen-Beauftragte, s. § 35 V 1 StUG.
62
Nachweise dazu bei Benkler, Rechtsverhältnisse, 13 ff. m. Fn. 57-64.
63
BVerjGE 39, 334 (372); vgl. auch BVerjGE 16, 6 (22); 17, 317 (377 ff.); 18, 288 (297 f.).
Grundlegend BVerwGE 49, 137 (142 ff.); vgl. auch BVerwG, DÖV 1970, 823; NJW 1989, 1374 (1375). Ebenso nunmehr BAGE 38, 259 (266 f.). 64
65
BVerwGE 49, 137 (142); DÖV 1970, 823; Stober, Der Ehrenbearnte, 77; Benkler, 13 ff.
3 Zöllner
34
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
Vorschriften und enthält nicht etwa einen abschließenden Katalog verfassungsrechtlich zulässiger Tätigkeitsfonnen66. Zur Begründung kann vor allem auf die 1969 neugefaßte Vorschrift des Art. 96 IV GG verwiesen werden, die alle in einem "öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis" zum Bund stehenden Personen der Disziplinargerichtsbarkeit unterwirft. Mit dieser allgemein gehaltenen Fonnulierung sollten, wie die Entstehungsgeschichte zeigt, gerade auch die dienstrechtlichen Sonderverhältnisse außerhalb des Beamtenrechts erfaßt werden67. Es entspricht in der Tat nicht nur dem vorkonstitutionellen Gesamtbild, sondern gehört ebenso zum heutigen Nonnalbild der vollziehenden Gewalt, daß neben dem regulären Status des Lebenszeitbeamten eine Vielzahl sonstiger, meist zeitlich befristeter Amtsverhältnisse auf öffentlich-rechtlicher Grundlage existiert. Einige davon lassen sich sogar auf eine im Grundgesetz zumindest implizit enthaltene Regelungsennächtigung stützen, wie etwa die Bestimmungen über die Grenzschutzangehörigen und die Ersatzdienstleistenden (Art. 12 a I, II GG), den Wehrbeauftragten (Art. 45 b GG) sowie die Mitglieder der Bundesregierung (Art. 66 GG) und des Bundesrechnungshofs (Art. 114 II I GG). Die anderen dagegen beruhen lediglich auf einem einfachen Gesetz (z.B. § 1 III Par!StG; § 7 IV BBankG; § 12 III PostVerfG; Art 35 I I BayHSchLG) oder sogar nur auf untergesetzlichen Rechtsnonnen68 , ohne daß hiergegen bisher verfassungsrechtliche Einwände erhoben worden wären. Auch die Bestimmung des § 22 IV 1 BDSG erscheint daher jedenfalls im Grundsatz unbedenklich.
2. Die Vereinbarkeif mit dem Funktionsvorbehalt Daß der Bundesbeauftragte fiir den Datenschutz in einem speziellen "öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis" steht, verstößt auch nicht gegen das Funktionsprivileg des Art. 33 IV GG. Selbst wenn man den dort verwendeten Begriff der "Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse" Uber die unmittelbare Eingriffsverwaltung hinaus auf schlicht-hoheitliches Staatshandeln einschließlich der ver-
66 Teilweise abweichend Benkler, 18, 21, 26, der dem Angestelltenverhältnis (!)einen prinzipiellen Vorrang gegenüber den unbenannten öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnissen einräumen
will.
67
Vgl. Herzog, in: Maunz!Dürig, GG, Art. 96 Rn. 33.
Gesamtüberblick bei Benkler, 91 ff., geordnet nach haupt- und nebenberuflichen, ehrenamtlichen und sonstigen Tätigkeitsformen. 68
B. Die persönliche Rechtsstellung
35
waltungsintemen Beratungs- und Kontrolltätigkeiten erstreckt69 und unter dem geforderten "öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis" allein das Beamtenverhältnis im staatsrechtlichen Sinne verstehe0, bleibt die Schaffung eines dienstrechtlichen Sonderstatus filr den Datenschutzbeauftragten zulässig. Der verfassungsrechtliche Auftrag zur Verbeamtung der hoheitlich handelnden Funktionsträger stellt nämlich nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 33 IV GG nur die "Regel" dar, die in bestimmten Fällen Ausnahmen zutäße 1• Der statusrechtliche Spielraum, den die Verfassung insoweit gewährt, darf allerdings nicht dazu mißbraucht werden, die Institution des Berufsbeamtenturns durch beliebig vermehrbare "Ausnahrnefiille" nach und nach auszuhöhlen und dabei personalpolitische Opportunitätserwägungen zum alleinigen Maßstab der Formenwahl zu erheben. Zu fordern ist vielmehr in jedem Einzelfall ein besonderer sachlicher Grund, der die Abkehr vom Beamtenverhältnis als dem dienstrechtlichen Normaltypus wenn schon nicht erzwingt, so dochjedenfalls objektiv rechtfertigt72 • Beim Datenschutzbeauftragten lassen sich, ohne daß dies allerdings im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich erörtert worden wäre73 , gleich mehrere dienstrechtliche Besonderheiten anfilhren, die jedenfalls zusammengenommen so gewichtig sind, daß sie die Entscheidung filr einen speziellen Status legitimieren74. Besonders zu erwähnen ist hier der Verzicht auf eine bestimmte lautbahnmäßige Vorbildung, die zeitliche Begrenzung der Amtszeit auf zweimal fünf Jahre (§ 22 III BDSG) und vor allem die dem Amtsinhaber eingeräumte Weisungsfreiheit (§ 22 IV 2 BDSGf5 • In jedem dieser Punkte weicht die Rechtsstellung des Beauftragten von den "hergebrachten Grundsätzen des Be-
69 Zu den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten /sensee, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, 1149 (1171 ff.) m.w.N. 70 A.A. offenbar BVerwG, NVwZ 1988, 532 (534). Die Frage ist bislang noch kaum geklärt, s. nur Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag, 15 ff. m.w.N. 7 1 StGH Baden-Württemberg, ESVGH 23, 135 (144 ff.); BVerwG, NVwZ 1988, 532 (534); Isensee, 1171, unter Hinweis auf BVerjGE 9, 268 (284). 72
Ausfuhrlieh Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 69 ff.
S. etwa den Bericht des BT-Innenausschusses, BT-Dr 7/5277, S. 5 u. 8. Zur vorangegangenen rechtspolitischen Diskussion Dammann, Datenschutzkontrolle, passim. 73
74
Vgl. auch Benk/er, Rechtsverhältnisse, 135 f.
Zum Umfang der persönlichen Weisungsfreiheit und der- mit ihr eng zusammenhangenden (vgl. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 136 ff.) - organisatorischen bzw. sachlichen Unabh!lngigkeit s.u., Dritter Abschnitt, A. 75
36
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
rufsbeamtentums" ab, die über Art. 33 V GG das gewöhnliche Beamtenverhältnis kennzeichnen. Verschiedene Beispiele auf Länderebene (z.B. § 21 II nwDSG) belegen freilich, daß auch die allgemeinen Vorschriften über das Beamtenverhältnis flexibel genug sind, um sich der unbürokratischen Funktionsweise eines Datenschutzbeauftragten anzupassen. Die Beamtengesetze erlauben unter bestimmten Voraussetzungen durchaus eine Ausnahme vom Lautbahnprinzip (§§ 4 III, 16 BRRG; 21 BBG) sowie vom Lebenszeitprinzip (§§ 3 I Nr. 2, 95 ff. BRRG; 5 IV BBG)76 und sehen selbst eine Durchbrechung des Grundsatzes der Weisungsgebundenheit ausdrücklich vor(§§ 37 S. 3 BRRG; 55 S. 2 BBG)77• Auch filr den Bundesbeauftragten wäre demnach eine beamtenrechtliche Ausgestaltung des Dienstverhältnisses in Frage gekommen. Sie hätte sich aber wegen der speziellen Aufgabenstellung zwangsläufig so weit vom Grundtypus des Beamten entfernt, daß gegenüber der heute bestehenden Regelung am Ende nur noch ein nomineller Unterschied bestanden hätte.
II. Die Zugangsvoraussetzungen für das Beauftragtenamt
1. Das geforderte Mindestalter Als einziges persönliches Eignungsmerkmal verlangt § 22 I 2 BDSG filr die Berufung zum Datenschutzbeauftragten die Vollendung des 35. Lebensjahres78 • Der Gesetzgeber bringt damit zum Ausdruck, daß die geforderte Tätigkeit ein gewisses Maß an Lebenserfahrung sowie an persönlicher Überzeugungs- und Durchsetzungskraft verlangt, über das jüngere Bewerber in der Regel noch nicht verfUgen. Deswegen ist die genannte Zugangsvoraussetzung auch mit Art. 33 II GG vereinbar, der die Vergabe öffentlicher Ämter von der- auf das jeweilige Anforderungsprofil bezogenen79 - persönlichen Eignung abhängig macht. Die
76
Vgl. BVerjGE 7, 155 (163 f.); 70, 251 (265); Isensee, 1182 f.
Vgl. etwa§ 9711 BBG (Bundespersonalausschuß); § 5111 Asy1VfD (Einzelentscheider beim Bundesamt); al1g. Isensee, 1184 f. 77
78 Vgl. auch §§ 14 I WehrbeaufuG, 35 II 2 StUG, 125 II GVG, 15 II1 VwGO, 14 II FGO, 42 II ArbGG; noch strenger§ 3 I BVerfDG. 79
Vgl. BVenru, NJW 1992, 773 (774); Isensee, 1162 ff.
B. Die persönliche Rechtsstellung
37
gesetzliche Mindestaltersgrenze bildet hier außerdem einen gewissen Ausgleich für die fehlende Normierung fachspezifischer Laufbahnanforderungen.
2. Die deutsche Staatsangehörigkeit
Eine weitere rechtlich zwingende80 Voraussetzung für die Ernennung zum Datenschutzbeauftragten ist die - im Gesetz allerdings nicht eigens aufgeftlhrte81 - Eigenschaft als Deutscher im Sinne des Art. 116 GG. Sie ergibt sich jedenfalls mittelbar aus der Bestimmung des § 23 I 3 BDSG, wonach die (unfreiwillige) Entlassung aus dem Amt nur aus solchen Gründen zulässig ist, die bei Lebenszeitrichtern zur Beendigung des Dienstverhältnisses führen können. § 21 I Nr. 1 DRiG erklärt den Richter bei Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes ft1r entlassen und verweist damit auf die entsprechende Ernennungsvoraussetzung des § 9 Nr. 1 DRiG, bei der übrigens im Unterschied zu den beamtenrechtlichen Vorschriften weder eine generelle Erstreckung auf EG-Staatsangehörige noch ein individueller Dispens zugunsten einzelner ausländischer Bewerber vorgesehen ist82• Auch der Bundesbeauftragte ftlr den Datenschutz muß daher, solange das BDSG keine ausdrücklich entgegenstehende Regelung enthält83 , dieses persönliche Merkmal von Anbeginn an erfüllen. Er darf während der Amtszeit auch nicht ohne Zustimmung seines Dienstvorgesetzten, also des Bundesinnenministers (§ 22 V 2 BDSG), seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthaltsort ins Ausland verlegen (§ 21 I Nr. 2 DRiG). Der Grund für die entsprechende Anwendung der beiden Bestimmungen des Richterdienstrechts liegt auf der Hand: Wer kraft Amtes unmittelbaren Zugang zu sämtlichen Verwaltungsbereichen und Zugriff selbst auf streng geheime Verwaltungsvorgänge hat ( vgl. § 24 IV BDSG), darf als Person keinesfalls auch nur den äußeren Anschein
80 Wie hier Auernhammer, BDSG, § 18 Rn. 4; a.A. zu Unrecht Schweinoch, in: Gal/was u.a., BDSG, § 17 Rn. 6; Flanderka, Bundesbeauftragter, 22 f.
81 Vgl. dagegen §§ 8 I 4 BBahnG, 12 II 4 PostVerfD; 14 I WehrbeauftrG (neugef. d. G. v. 30.3.1990, BGBI I S. 599). 82 §§ 4 I, II BRRG; 7 I, II BBG (i.d.F. d. G. v. 20.12.1993, BGBI. I S. 2136). Zur verfassungs· rechtlichen Problematik s. Isensee, in: Benda/Maihofer/Voge/, HdbVerfR, 1149 (1163). 83 Unzutreffend daher Flanderka, Bundesbeauftragter, 22 f. • Modifiziert bzw. verdrangt durch speziellere Normen(§§ 22 II, III I, 23 I 3 [1. Alt.], II BDSG) werden nur die Entlassungsgründe nach §§ 21 I Nr. 3 u. 4, II DRiG.
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Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
entstehen lassen, er sei fremden Interessen verpflichtet. Die deutsche Staatsangehörigkeit und der inländische Wohnsitz sind insoweit eine notwendige Konsequenz aus der im Amtseid niedergelegten Verpflichtung des Beauftragten, seine Kraft allein "dem Wohle des deutschen Volkes (zu) widmen" (§ 22 S. I BDSG)84.
3. Die Verpflichtung zur Verfassungstreue
Aus der dem Datenschutzbeauftragten übertragenen Verantwortung erwächst vor allem die Forderung, daß der Amtsinhaber die Gewähr bieten muß, jederzeit filr die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten (vgl. § 9 Nr. 2 DRiG)85 . Dieses weitere persönliche Eignungsmerkmal klingt ebenfalls bereits in der Eidesformel an, nach der sich der Beauftragte zur Wahrung und Verteidigung des Grundgesetzes verpflichtet. Es dürfte im übrigen auch in der Sache einleuchten, daß bei einer staatlichen Instanz, die fiir die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen einschließlich der jeweils einschlägigen grundgesetzliehen Normen sorgen soll, eine aktive Identifikation mit der geltenden Verfassungsordnung unabdingbar notwendig ist86 . Diese Forderung verliert nicht etwa deshalb an sachlicher Überzeugungskraft, weil der Datenschutzbeauftragte des Bundes in einem besonderen öffentlichrechtlichen Amtsverhältnis steht. Auf solche Rechtsverhältnisse, die nicht dem Beamtenrecht unterfallen, läßt sich zwar der aus Art. 33 V GG hergeleitete Grundsatz der politischen Treuepflicht in der Tat nicht unmittelbar anwenden87. Vielmehr bedarf es, wie das BVerwG am Beispiel eines Lehrbeauftragten dargelegt hat, einer funktionsbezogenen Bestimmung der Verfassungs-
"'So wohl auch Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 17 Rn. 6. 85 Im Richterdienstrecht bildet die fehlende Verfassungstreue zwar keinen gesetzlich normierten Entlassungsgrund. Sie kann aber bei entsprechender Betätigung als Dienstvergehen gewertet werden (§ 46 DRiG i.V.m. § 52 II BBG) und zur Entlassungaufgrund eines Disziplinarverfahrens filhren.
86 Zum Inhalt der sog. politischen Treuepflicht BVerjGE 39, 334 (346 ff.); vgl. auch BVerjG, NJW 1981, 2683. 87 Vgl. bereits BVerjGE 39, 334 (372 ff.), wo das besondere öffentliche Verhältnis als eine mögliche Alternative zum Beamtenverhältnis ftlr die Zeit des Vorbereitungsdienstes diskutiert wird.
B. Die persönliche Rechtsstellung
39
treueanforderungen88 . Dabei kann sich jedoch im Einzelfall durchaus ergeben, daß die charakterlichen Anforderungen genauso hoch gesteckt werden müssen wie bei einem Beamten: "Eine der beamtenrechtlichen Treuepflicht entsprechende Gewähr, sich mit der Verfassung des Grundgesetzes zu identifizieren, kann... von dem Bewerber um ein Amt erwartet werden, aus dessen Anforderungen die mit dem Beamtenstatus verbundenen besonderen Voraussetzungen der Verfassungstreue zu rechtfertigen sind" 89 . Beim Amt des Datenschutzbeauftragten liegen solche erhöhten Anforderungen ohne Zweifel vor.
4. Die notwendige Befähigung Daß das BDSG filr den Datenschutzbeauftragten keine fachliche Mindestqualifikation verlangt, mag angesichts seiner anspruchsvollen Aufgaben verwundem90. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre die Regelungsabstinenz des Gesetzgebers indes nur, wenn dadurch die in Art. 33 II GG normierten Kriterien der Ämtervergabe faktisch außer Kraft gesetzt würden. Von einer solchen Wirkung kann aber keine Rede sein. Die im Grundgesetz vorgegebenen Auswahlgesichtspunkte der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung sind als grundrechtsgleiches Recht auch dann zu beachten, wenn der einfache Gesetzgeber sie nicht auf konkrete Mindestanforderungen hin spezifiziert und formalisiert hat, wie dies etwa in den beamtenrechtlichen Laufbahnbestimmungen in weitem Umfang geschehen ise•. Die volle Anwendbarkeit des Art. 33 II GG scheitert beim Bundesbeauftragten filr den Datenschutz nicht etwa daran, daß dieser Amtsträger durch einen parlamentarischen Wahlakt auf Vorschlag der Bundesregierung bestellt wird (§ 22 I BDSG) und mit der Regierungsebene auch organisatorisch verbunden ist(§ 22 V BDSG)92 . Generell gilt allerdings die Feststellung, daß die Zugangsvoraussetzungen des öffentlichen Dienstes nicht unbesehen auf die
88 BVerwG, NJW 1989, 1374 (1375 f.), im Anschluß an die Rechtsprechung des BAG zur abgestuften Loyalitätspflicht von Angestellten im öffentlichen Dienst. 89
BVerwG, vorige Fn., 1376.
Für Benkler, Rechtsverhältnisse, 136, liegt darin sogar ein "erheblicher Regelungsmangel". Vgl. dagegen § 21 I 2 DSG NW sowie §§ 3 II1 BRHG; 12 II 5 PostVerfG; 8 I 5 BBahnG. 90
91 Vgl. zu der- selbst in den Beamtengesetzen meist nicht ausdrücklich genannten - gesundheitlichen Eignung des Bewerbers VGH München, BayVBI. 1989, 83.
92
Zur rangmäßigen Klassifizierung s. o., A.lll.
40
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
Führungsämter der Demokratie übertragen werden können93 • Solche Ämter verlangen weniger fachspezifische als vielmehr politische Qualitäten; die politische Eignung läßt sich nicht an rechtlich bestimmbaren Qualifikationsmerkmalen festmachen. Die demokratischen Wahlämter beziehen ihre Legitimation demzufolge nicht aus dem Leistungsprinzip, sondern in erster Linie aus dem politischen Vertrauen in die Person des Gewählten. Um ein solches "vertrauenslegitimiertes Amt" (Isensee) handelt es sichjedoch beim Datenschutzbeauftragten gerade nicht. Es erscheint bereits sehr fraglich, ob der einfache Gesetzgeber ohne eine spezielle Verfassungsermächtigung überhaupt befugt wäre, ein neu eingeführtes Amt als politisches Führungsamt bzw. Vertrauensamt zu definieren und es damit gezielt den rechtlichen Zugangsanforderungen des Art. 33 II GG zu entziehen. Eher dürfte insoweit ein numerus clausus anzunehmen sein, dem innerhalb der staatlichen Exekutive wohl nur die parlamentarisch verantwortlichen Leitungspersonen (Kanzler; Minister) und ihre engsten Mitarbeiter (Parlamentarische Staatssekretäre; Bedienstete mit Stabsfunktionen; "politische Beamte"94) angehören. Ein wesentliches Kennzeichen dieser Ämterkategorie liegt darin, daß das zugrundeliegende Vertrauensverhältnis sich nicht in der einmaligen Auswahlentscheidung erschöpft, sondern über die gesamte Amtszeit fortbestehen muß; bei einem nachträglich eintretenden Vertrauensverlust kann der betreffende Amtsinhaber jederzeit umstandslos abberufen werden (vgl. Art. 64 I, 67 GG; § 4 S. 1 ParlStG; § 36 I BBG)95 • Gemessen hieran ist die Position des vom Bundestag gewählten Datenschutzbeauftragten um einiges stabiler. Er kann gegen seinen Willen vor Ablauf der filnfjährigen Amtszeit nur unter gleich engen Voraussetzungen wie ein (Lebenszeit-) Richter aus dem Amt entfernt werden
93 Zum nachfolgenden grdl. Jsensee, 1169 f.; ihm folgend etwa Schröder, in: Jsensee!Kirchhof, HdbStR III § 67 Rn. 32 ff.; zum Sonderfall der kommunalen Wahlbeamten BVerjGE 7, ISS (165 ff.); BayVerjGH, BayVGE 12, 91 (108 ff.); BVerwG, NVwZ 1989, 972; 1990, 772; OVG Lüneburg, DVBI. 1992, 982; OVG Sch/eswig, NVwZ 1993, 1124 f.
94 Selbst bei dieser letzteren Gruppe wird allerdings an den formellen Laufbahnvoraussetzungen noch weitgehend festgehalten. So konnte z. B. ein früherer Zivildienstbeauftragter, obwohl in § 36 l Nr. 6 BBG ausdrücklich als politischer Beamter klassifiziert (dazu krit. Wagner, RiA 1985, 272 [27S]), nur im Angestelltenverhaltnis beschäftigt werden, weil der Bundespersonalausschuß seiner beantragten Verbeamtung wegen fehlender Verwaltungserfahrung widersprochen hatte (s. Karwatzki, BT-Sten.Prot. 10/52, S. 3720 B). 95 Schröder, Rn. 34; vgl. auch schon M Weber, Politik als Beruf, 505 f. -Auch bei der Abberufung kommunaler Wahlbeamter beschränkt sich die Rechtsprechung i.d.R. auf eine bloße Mißbrauchskontrolle, vgl. OVG Lüneburg, DVBI. 1992, 982 m. Anm. J. Jpsen.
B. Die persönliche Rechtsstellung
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(§ 23 I 3 BDSG); eine vorzeitige Entlassung allein wegen politischer Differenzen scheidet aus. Auf das ständige Vertrauen von Parlament oder Regierung ist der Beauftragte also zumindest rechtlich nicht angewiesen96 ; seine Aufgabenstellung verlangt im Gegenteil sogar eine gewisse Konfliktbereitschaft und innere Distanz gegenüber der politischen Führung. Mit der Gewährleistung weitgehender persönlicher Unabhängigkeit will der Gesetzgeber freilich auf dem Gebiet des Datenschutzes keine Nebenregierung etablieren, die eigene politische Konzepte entwickeln und propagieren könnte. Der Bundesbeauftragte hat primär die Einhaltung des jeweils geltenden Datenschutzrechts zu überwachen(§ 24 BDSG) und etwaige Verstöße zu rügen(§ 25 BDSG); seine unaufgefordert erteilten Ratschläge und Empfehlungen gemäß § 26 III BDSG gelten demgemäß in erster Linie dem Gesetzesvollzug und weniger der Gesetzgebung97 . Ob und in welchem Maß er diese- im weiteren Sinne administrativen - Aufgaben tatsächlich erfilllen kann, hängt ausschließlich von seiner fachlichen Leistungsflihigkeit und individuellen Leistungsbereitschaft ab, die daher im Einklang mit Art. 33 li GG den einzig legitimen Maßstab seiner Wahl bilden98 . Im praktischen Ergebnis bedeutet dies, daß von einem Bewerber um das Amt des Datenschutzbeauftragten nicht bloß die allgemeine Amts- und Dienstflihigkeit99 gefordert werden muß, sondern auch die Beflihigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst und eine mehrjährige praktische Verwaltungserfahrung, zu der auch Einblicke in EDV-gestützte Verfahrensabläufe gehören sollten 100• Wer die Rechtsanwendung in der gesamten Verwaltung kontrollieren und bei Bedarf selbst oberste Bundesbehörden fachlich beraten
96
Ebenso nunmehr Wippermann, DÖV 1994, 929 (938).
A.A. Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 24 Rn. 12. -Zur beschränkten Rolle des Beauftragten im politischen Meinungskampf und im Gesetzgebungsverfahren s.u., Zweiter Abschnitt, C.l.2 b.aa. und C.V. 97
98 A.A. offenbar OVG Münster, DVBI. 1995, 375 (376): "politisch geprägte Auswahlentscheidung"; wie hier VG Schleswig, NJW 1992, 2440 f. (zur Richterwahl).- Richtigerweise dürfen auch bei der (nur unter engsten Voraussetzungen möglichen) vorzeitigen Entlassung des Beauftragten politische Motive keine Rolle spielen, näher dazu Wippermann, DÖV 1994, 929 (935 ff.). 99
Vgl. dazu § 23 I 3 BDSG i.V.m. §§ 21 II Nr. 5 (2. Alt.), 24 DRiG.
Vgl. Woertge, Prinzipien des Datenschutzrechts, 172 f., unter Hinweis auf den Beauftragten ftlr Asylangelegenheiten (§ 6 III 2 AsyiVfG); wesentlich vorsichtiger Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 22 Rn. 10;Auernhammer, BDSG, § 17 Rn. 4 ;Schweinoch, in: Gallwasu.a., BDSG, § 17 Rn. 6; Schaifland/Wiltfang, BDSG, § 17 Rn. 4; krit. Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 44 ff. 100
42
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
soll, muß sich auf den wichtigsten Gebieten des öffentlichen Rechts wie auch in der Verwaltungspraxis auskennen. Das Amt taugt daher nicht als Betätigungsfeld filr verdiente Parlamentarier ohne spezielle Sachkunde, die leicht versucht sein könnten, sich auf eine politische Richtungskontrolle der Verwaltung zu beschränken und die Behandlung datenschutzrechtlicher Detailfragen ausschließlich ihren Mitarbeitern zu Uberlassen 101 . Ob umgekehrt die Stelle des Datenschutzbeauftragten als Sprungbrett filr eine künftig angestrebte oder sogar gleichzeitig betriebene politische Karriere dienen sollte 102, ist weniger ein dienstrechtliches Problem - etwa hinsichtlich der Inkompatibilität (§ 23 II BDSG) oder der nachwirkenden Verschwiegenheitspflicht (§ 23 V BDSG)- als vielmehr eine Frage des öffentlichen Ansehens des Amtes sowie des jeweiligen Amtsträgers 103 , wobei auch hier festzustellen ist, daß schon der äußere Anschein einer Verquickung dienstlicher Interessen mit persönlichen Motiven erheblichen Schaden anrichten kann 104 .
111. Der Modus der Berufung des Beauftragten
An dem regulär alle filnf Jahre(§ 22 III BDSG) stattfindenden Verfahren zur Berufung eines Bundesbeauftragten filr den Datenschutz sind nicht weniger als vier Verfassungsorgane beteiligt. Die eigentliche Entscheidung trifft dabei nunmehr105 der Deutsche Bundestag, der einem Personalvorschlag der Bundesregierung106 in offener Wahl 107 mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder zustimmen muß (§ 22 I 1 BDSG), ehe die förmliche Ernennung durch den Bundespräsidenten(§ 22 I 3 BDSG) und die Vereidigung durch den Bundesminister des Innern (§ 22 II BDSG) erfolgen kann. Die vom Gesetzgeber geforderte absolute Mehrheit bei der Wahl des Datenschutzbeauftragten108 widerspricht dem Grundsatz des Art. 42 II 1 GG, wo101 A.A. offenbar Dammann, Datenschutzkontrolle, 191, der das Amt durch eine möglichst gute Dotierung (!) ftlr erfolgreiche Bundestagsabgeordnete attraktiv machen will. 102
Beispiele hierftlr gibt es auf Bundes- und Landesebene in allen politischen Lagern.
103
Vgl. auch Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 22 Rn. 8.
104
AusfUhrlieh zum Problem Mann, ZParl 12 (1981), 353 ff.
105
BDSG in der Neufassung des Gesetzes vom 20. 12. 1990, BGBI. I S. 2954.
Listenvorschläge wären wohl zulässig, aber wenig sinnvoll; vgl. Dammann, in: Similis u.a. , BDSG, § 22 Rn. 7 f. 106
107 Eine Wahl mit verdeckten Stimmzetteln(§ 49 GeschoBn ist- anders als beim Präsidenten des Bundesrechnungshofs (§ 5 I BRHG) - weder im BDSG noch in der GeschOßT vorgesehen.
B. Die persönliche Rechtsstellung
43
nach filr die Beschlußfassung im Parlament die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt 109 • Für vom Bundestag vorzunehmende Wahlen können zwar nach Art. 42 II 2 GG auch andere, insbesondere höhere Quoren verlangt werden. Diese Ausnahmen müssen aber, was bislang nur für die Wahl des Bundestagspräsidenten geschehen ist (§ 2 II GeschOBT), ausdrücklich in der Geschäftsordnung (Art. 40 I 2 GG) zugelassen werden. Förmliche Gesetze stellen dagegen nach der Verfassung kein zulässiges Instrument dar, um fi1r Wahlen ein bestimmtes Quorum rechtsverbindlich festzulegen. Der eigenständige Rang der Parlamentsgeschäftsordnung als "Verfassungssatzung" 110 läßt ein Abweichen von der grundgesetzlich vorgeschriebenen Rechtsetzungsform nicht zu 111 • Auch für die Wahl zum Bundesdatenschutzbeauftragten genügt daher, solange eine entsprechende Bestimmung in der Geschäftsordnung fehlt, entgegen § 22 I 1 BDSG schon die Mehrheit der tatsächlich abgegebenen Stimmen (Art. 42 II 1 GG) 112 • Abgesehen von diesem speziellen Problem bestehen gegen die Übertragung der personellen Entscheidungsbefugnis auf das Parlament in der vorliegenden Form keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Es verstößt nicht gegen das Demokratieprinzip oder etwa gegen den Grundsatz des freien Mandats (Art. 38 I 2 GG), daß die Abgeordneten ihre Entscheidung Ober die Person des Bundesbeauftragten anband der zwingenden Merkmale des Art. 33 li GG treffen und insofern ihre politischen Präferenzen zurückstellen müssen. Um eine Wahl im klassischen Sinne, für die es in der Tat außer dem passiven Wahlrecht keine rechtlichen Maßstäbe geben darrt 13 , handelt es sich nach dem oben Ge-
108 Ebenso z.B. § 35 II I StUG; § 13 S. I WehrbeaufuG; § 5 I 2 BRHG; § 4 III NachrichtendienstkontroiiG. -Anders bei Wahlen in ParlamentsausschUssen: § 12 I Richterwah!G (einfache Mehrheit); § 6 V BVerfGG (Zweidrittelmehrheit).
109 Zum Parallelproblem auf der Ebene des Landesverfassungsrechts s. StGH Bremen, DÖV 1992, 669 f. 110 Dazu grdl. Böckenförde, Organisationsgewalt, 124 f; ders., Sondervotum, in: BVerjG, NJW 1986, 907 (914); Dreier, JZ 1990, 310 (313); näher unten, Zweiter Abschnitt, C.IV .2.
111 In den meisten Kommentierungen zu Art. 42 II GG wird dies offenbar filr selbstverständlich gehalten, z.B. Versteyl, in: v.Münch, GG, Bd. II, Art. 42 Rn. 26; Schulte, in: v.Mangoldt/Kiein, GG, Art. 42 Rn. 44; a.A. ohne nähere Begrundung Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 42 Rn. 26 f.; Zeh, in: Jsensee/Kirchhof, HdbStR II, § 43 Rn. 48. 112 Zum demokratischen Legitimationsgehalt der einfachen Mehrheits. BayVerjGH, NVwZ 1993, 1081 (1082). 1"
Isensee, in: Benda!Maihofer/Vogel, HdbVerfR, 1149 (1169).
44
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
sagten ohnehin nicht. Wird der vorgeschlagene Kandidat von der Volksvertretung "gewählt", so liegt darin - ähnlich wie etwa bei der Berufung von Bundesrichtern(§ 11 RichterwahlG)- weder ein politischer Vertrauensbeweis noch eine Richtungsentscheidung über die künftige Entwicklung des Datenschutzes, sondern lediglich eine Bestätigung der persönlichen und fachlichen Eignung für das Amt. Die Zustimmung des Bundestags ist Teil eines leistungsgesteuerten Ausleseverfahrens und unterliegt den hierfür allgemein geltenden rechtlichen Bindungen einschließlich der gerichtlichen Kontrolle114 • Grundsätzlich gehören dienstrechtliche Individualakte dieser Art allerdings zur Personalhoheit des Ministers, die als wesentlicher Bestandteil der Ressortleitungsbefugnis (Art. 65 S. 2 GG) sogar einen gesetzesfesten Vorbehaltsbereich bildetm. Die im Grundgesetz nicht ausdrücklich festgeschriebene 116 generelle Zuordnung zur Gubernative schließt aber nach der Rechtsprechung des BVerfG eine gewisse Gewichtsverlagerung zugunsten der Volksvertretung keineswegs aus 117 • Parlamentarische Bestätigungsrechte und ähnliche Formen der Mitwirkung an Personalentscheidungen, wie sie im Bundes- und Landesrecht verschiedentlich vorkommen (z.B. § 5 I BRHG), sind mit dem Grundgesetz vereinbar, jedenfalls solange sie auf wenige Einzelfll.lle beschränkt bleiben und die Personalpolitik der Regierung insgesamt nicht blockieren 118 • Jenen Amtsträgern, die wie der Datenschutzbeauftragte nicht (vollständig) der ministeriellen Weisungsgewalt unterstehen, verschafft die parlamentarische Bestätigung am Anfang ihrer Amtszeit ein erhöhtes Maß an persönlicher Legitimation119, wodurch ihr Legitimationsdefizit im sachlich-inhaltlichen Bereich
114 Zurverwaltungsgerichtlichen Kontrolle von Berufszugangsentscheidungen B VerjG, NJW 1991, 2005 u. 2009. 115 Ausfilhrlich Lecheler, Personalgewalt, 142 ff., 169 ff., 213 ff.; 0/diges, Bundesregierung, 390; Schnapp, VVDStRL 43 (1985), 172 (196 f.). 116 Anders Art. 58 VerfNW, wonach das sog. materielle Ernennungsrecht nur der Landesregierung zusteht (s. Böckenförde, Richterwahl, 20 ff.). Zur Wahl des Datenschutzbeaufuagten durch den Landtag bedurfte es hier in Gestalt von Art. 77a VerfNW einer Verfassungsänderung. 117
BVerjGE 9, 268 (280)- Brem. Personalvertretungsgesetz -.
Vgl. BVerjGE 9, 268 (280); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. V Rn. 107; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (70 These 6); Schnapp, VVDStRL 43 (1985), 172 (197); W. Schmidt, NVwZ 1984, 545 (550); speziell zum Datenschutzbeaufuagten Dammann, Datenschutzkontrolle, 172 f. 118
119
Vgl. Dammann, in: Simitis u.a., BDSG, § 22 Rn. 5.
B. Die persönliche Rechtsstellung
45
weitgehend ausgeglichen wird 120• Gerade bei ihnen läßt sich der Eingriff in die Personalgewalt der Exekutive auch am ehesten hinnehmen, da der an sich zuständige Ressortminister filr die Amtsfilhrung des Gewählten mangels direkter Leitungsbefugnisse ohnehin keine parlamentarisch-politische Verantwortung trägt und demzufolge kein verfassungslegitimes Eigeninteresse an der Besetzung des Amtes geltend machen kann 121 • Aus dem letztgenannten Grund bestehen auch keine ernsthaften verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, daß das Vorschlagsrecht filr die Neuwahl des Datenschutzbeauftragten nicht dem Bundesminister des Innern als künftigem Dienstvorgesetzten (§ 22 V 2 BDSG), sondern der Bundesregierung insgesamt zusteht(§ 22 I I BDSG). Diese Zuständigkeitsverlagerung geht allerdings über das bei wichtigen Personalentscheidungen auf Bundesebene sonst·übliche, von einzelnen Autoren bereits als unzulässige Beschränkung der Ressortselbständigkeit angesehene122 regierungsinterne Zustimmungsverfahren nach §§ 15 II a), 18 GeschOBReg123 deutlich hinaus. Sie erscheint aber deshalb gerechtfertigt, weil der Beauftragte nicht bloß gegenüber Dienststellen des Innenressorts, dem er organisationsrechtlich zugeordnet istl 24 , sondern quer durch alle ministeriellen Geschäftsbereiche tätig wird (vgl. § 24 I I BDSG) und daher mehr als andere Amtsträger einer breiten Legitimationsbasis bedarf, wie sie allein durch den förmlichen Beschluß 125 des Bundeskabinetts geschaffen wird. Daß damit dem Regierungskollegium auf einfachgesetzlicher Grundlage eine völlig neue, im Grundgesetz nicht ausdrücklich aufgeführte Entscheidungsbefugnis zuwächst, dürfte kein besonderes Problem darstellen, da die Kompetenzen des Kabinetts
120 Zu den verschiedenen Formen demokratischer Legitimation und ihrem Zusammenwirken Böckenförde, in: Isensee/Kirchhoj, HdbStR I,§ 22 Rn. 14 ff. (23). Ausfilhrlich zu diesem Problemkreis unten, Dritter Abschnitt, B. 121
Vgl. Böckenförde, Richterwahl, 23; Oldiges, Bundesregierung, 385 ff.
Krit. insbesondere Böckenjörde, Organisationsgewalt, 209 f.; Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 59. 122
123 Dazu näher Honnacker/Grimm, GeschOBReg, § 15 Anm. 6 ff.; § 18 Anm. I ff.; vgl. auch Beinhofer, Kollegialitätsprinzip, 85 f. 124 Dazu oben, A.ll.2. - Ein "unabhängiges Bundesorgan im Organisationsbereich der Bundesregierung" (so Bull, in: AK-GG, Art. 86 Rn. 30; ders., Allg. VerwaltungsR, Rn. 998; Simitis, in: ders. u.a., BDSG, § I Rn. 69) könnte der Beauftragte selbst de lege ferenda nicht sein, weil das Kabinett "ressortfrei" bleiben muß (Böckenförde, Organisationsgewalt, 181, 255) und daher nicht einmal exekutivische Querschnittsfunktionen an sich ziehen darf, näher Oldiges, Bundesregierung, 388 ff. m.w.N.
125
Für das Verfahren gilt die GeschOBReg (insbes. §§ 20 ff.).
46
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
nach heute ganz überwiegender Auffassung 126 in der Verfassung nicht abschließend nonniert sind. Zuständig für die Vorbereitung des Wahlvorschlags der Regierung ist ähnlich wie bei anderen Kabinettsagenden 127 - dasjenige Regierungsmitglied, in dessen Ressort die Angelegenheit fällt, hier also der Bundesminister des Innern 128 • Er wird, obwohl die auf politische Beamte abzielende Vorschrift des § 8 II BBG weder unmittelbar (mangels Beamtenstatus des Beauftragten) noch analog (mangels spezifischer Vertrauensbeziehung zum Minister) anwendbar ist, in der Regel auf eine fönnliche Stellenausschreibung verzichten können129, da deren Infonnationszweck bereits durch die allgemeine Publizität des Amtes und den festen Turnus der Amtszeiten hinreichend erfüllt ist. Dies entbindet den Minister aber nicht von der Pflicht, auch unaufgefordert eingereichte Bewerbungen unter ausschließlich leistungsbezogenen Gesichtspunkten zu prüfen und in eine mögliche Rangliste der Kandidaten einzubeziehen. Nachdem den beteiligten Verfassungsorganen bei der Auswahl des Bundesbeauftragten wegen des Fehlens gesetzlicher Laufbahnvoraussetzungen ein relativ weiter personalrechtlicher Beurteilungsspielraum zusteht und der nur für das Beamtenrecht im engeren Sinne zuständige Bundespersonalausschuß (§§ 95 ff. BBG) als unabhängiges Korrektiv ausfällt, muß zumindest durch die Verfahrensgestaltung sichergestellt sein, daß ein externer Bewerber sein Recht aus Art. 33 II GG wirksam zur Geltung bringen kann. Dieneuere Rechtsprechung zur beamtenrechtlichen Konkurrentenklage 130 verlangt, den unterlegenen Bewerber über den Ausgang des Auswahlverfahrens so genau und rechtzeitig vor der Ernennung des Mitbewerbers zu infonnieren, daß noch gemäß Art. 19 IV GG vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz in Anspruch genommen werden kann. Bei der Wahl eines neuen Datenschutzbeauftragten dürfte es freilich einer individuellen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses schon wegen der fiir Parlamentssitzungen bestehenden Öffentlichkeit (Art. 42 I 1 GG)
126 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 65 Rn. 72 f.; Achterberg, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 52 Rn. 62; ausfilhrlich 0/diges, Bundesregierung, 373 ff.; Beinhofer, Kollegialitatsprinzip, 69 ff. ; zweifelnd Sachs, NJW 1987, 2338 (2341 m. Fn. 47). 127 Hierzu Böckelfförde, Organisationsgewalt, 180; Oldiges, Bundesregierung, 162 ff.; vgl. auch § 21 II GeschOBReg. Zu Iandesrechtlichen Besonderheiten bei der Ernennung von Beamten Christ// Kathke, BayVBI. 1992, 103 ff. 128
Dammann, in: Simitis u.a., BDSG, § 22 Rn. 6.
129
Ebenso Dammann, vorige Fn., ohne weitere Begründung.
" 0
S. BVerjG, NJW 1990, SOl f.; VG FrankfUrt, NVwZ 1991, 1210.
B. Die persönliche Rechtsstellung
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nicht mehr bedürfen. Um rechtsuchende Konkurrenten nicht unmittelbar danach vor vollendete Tatsachen zu stellen, sollte aber der Bundespräsident vor der Aushändigung der Ernennungsurkunde, durch die erst das öffentlich-rechtliche Amtsverhältnis als prinzipiell unentziehbare subjektive Rechtsposition begründet wird (§ 23 I BDSG), eine angemessene Frist von einigen Tagen verstreichen lassen. Die formelle Ernennung und die vorzeitige Entlassung des Bundesbeauftragten - ihrer Rechtsnatur nach jeweils mitwirkungsbedürftige Verwaltungsakte131 - gehören nicht zu den verfassungsrechtlich begründeten Zuständigkeiten des Staatsoberhaupts, da die einschlägige Bestimmung des Art. 60 I GG ausdrücklich nur die Dienstverhältnisse der Richter, Beamten und Offiziere erwähnt. Nach ganz überwiegender Auffassung können dem Bundespräsidenten jedoch in begrenztem Umfang auch durch einfaches Gesetz neue Exekutivaufgaben übertragen werden, zumal wenn sie wie hier mit seinen sonstigen Zuständigkeiten eng zusammenhängen 132• Ebenso wie bei den in der Verfassung genannten Rechtsakten, die auf die förmliche Inkraftsetzung vorangegangener Entscheidungen anderer Verfassungsorgane abzielen (Art 59 I, 60 I, 64 I, 82 I GG), wird man ihm auch im Rahmen von § 23 I BDSG die Befugnis zur rechtlichen Überprüfung der anstehenden Maßnahme zugestehen müssen 133 •
IV. Die Problematik der Inkompatibilitätsregelung
Um die Integrität des Amtes auf Dauer zu sichern und mögliche Interessenkonflikte von vornherein auszuschließen, verbietet § 23 II I BDSG dem Bundesbeauftragten fiir den Datenschutz spätestens ab dem Zeitpunkt seiner Ernennung die Ausübung eines anderen besoldeten Amtes, Gewerbes oder Berufs, die Tätigkeit in der Leitung oder dem Aufsichtsrat von Wirtschaftsunternehmen und die Mitgliedschaft in der Regierung oder der gesetzgebenden Körperschaft des
131
Zur Begründung vgl. Kämper, Sachverständigenrat, 99 f.
m Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (352); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 54 Rn. 72; ausfUhrlieh am Beispiel von§ 7 IIl BBankG Gram/ich, DÖV 1986,455 (459 f.); i.E. offenlassend Schlaich, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 49 Fn. 8. 133 So auch- allerdings nur zur früheren Rechtslage- Dammann, in: Similis u.a. , BDSG 1977, § 17 Rn. 6; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 17 Rn. 5, 18 Rn. 5; Flanderka, Bundesbeauftragter, 3 f.; a.A. Bergmann/Möhrle/Herb, Datenschutzrecht, BDSG, § 22 Rn. 4.
48
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
Bundes oder eines Landes 134• Soweit damit in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und in das Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 33 II GG) eingegriffen wird, dürfte dies in fonneUer Hinsicht vom Grundgesetz gedeckt und auch in der Sache gerechtfertigt sein 135 • Anders sieht es aber mit dem (an Art. 55 I, 94 I 3 GG angelehnten) gesetzlichen Ausschluß des Beauftragten von den staatlichen Legislativorganen aus. Für diese Regelung fehlt, so zwingend der Gedanke der Inkompatibilität gerade hier erscheinen mag, in der Verfassung eine hinreichende Ennächtigungsgrundlage. Einschränkungen des passiven Wahlrechts zu den Volksvertretungen von Bund und Ländern sind ausschließlich aufgrund von Art. 137 I GG zulässigll6. Diese Vorschrift betriffi indes nicht den öffentlichen Dienst insgesamt, sondern nur einzelne Gruppen öffentlich Bediensteter, nämlich Beamte, Angestellte, Berufssoldaten, freiwillige Soldaten auf Zeit und Richter. Wer hierbei als "Beamter" anzusehen ist, bestimmt sich nach den Vorschriften des allgemeinen Beamtenrechtsm. Der in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehende Bundesbeauftragte filr den Datenschutz (§ 22 IV I BDSG) läßt sich weder dieser noch einer anderen dienstrechtlichen Kategorie zuordnen und fällt daher aus dem Anwendungsbereich des Art. 137 I GG heraus. Eine analoge Anwendung dieser Bestimmung muß hier ebenso wie in anderen Fällen ausscheiden, da keine unbeabsichtigte Regelungslücke vorliegt. Die Existenz von Amts- und Dienstverhältnissen sui generis war in der Vergangenheit zumindest dem verfassungsändernden Gesetzgeber durchaus bekannt und hat 1969 zu einer Änderung des Art. 96 IV GG gefilhrt, mit der alle Arten "öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse" erfaßt wurdenn 8 • Von einer ent-
134
Wortgleich übernommen ftlr den Stasi-Unterlagen-Beaufuagten in § 36 II StUG.
s Krit. aber Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 23 Rn. 12, der unter Hinweis auf§ 4 II DRiG, 3 IV BVerfUG die Tätigkeit als Hochschullehrer mit der des Beaufuagten ftlr sachlich vereinbar 13
hält.
136 BVerjGE 38, 326 (336); 48, 64 (82); 57, 43 (57) u.ö.; Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 137 Rn. 3 ff.; HH Klein, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 41 Rn. 25; v.Campenhausen, in: v.Mangoldt/K/ein, GG, Art. 137 Rn. 23.
111 BVerjGE 18, 172 (180); 48, 64 (83); 57, 43 (59 f.); v.Campenhausen, in: v.Mango/dt/Kiein, GG, Art. 137 Rn. 23.; krit. Stober, in: BK, Art. 137 I Rn. 76; 286 ff. Beamteneigenschaft besitzen trotz richterlicher Unabhängigkeit (§ 3 IV BRHG) auch die Mitglieder des Bundesrechnungshofs (vgl. § 134 BRRG). 138
Vgl. oben, B.l.l., bei Fn. 67.
B. Die persönliche Rechtsstellung
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sprechenden Änderung des Art. 137 I GG wurde damals und in der Folgezeit abgesehen, so daß aus heutiger Sicht von einer bewußten Beschränkung auf die im Verfassungstext genannten dienstrechtlichen Grundtypen ausgegangen werden muß. Auch fiir ungeschriebene lnkompatibilitäten besteht neben Art. 137 I GG grundsätzlich kein Raum 139 • Insbesondere genügt die Berufung auf den allgemeinen Grundsatz der Gewaltenteilung nicht, um weitere Wählbarkeitsbeschränkungen zu legitimieren 140 • Nur wenn sich unmittelbar aus dem Grundgesetz Anhaltspunkte fiir eine funktionelle Unvereinbarkeit bestimmter Ämter mit dem Abgeordnetenmandat ergeben, mag eine entsprechende (deklaratorische) Regelung in einem Gesetz oder auch in einer Geschäftsordnung vertretbar sein 141 • Das Amt des Bundesdatenschutzbeauftragten wird jedoch nirgendwo in der Verfassung auch nur erwähnt 142 • Der Ausschluß des Amtsinhabers vom passiven Wahlrecht zum Bundestag und zu den Landtagen steht daher, was bislang durchweg übersehen wurde 143 , mit geltendem Verfassungsrecht nicht in Einklang 144 •
V. Das Anwendungsfeld der Dienstaufsicht
Im Gegensatz zu der - im Zusammenhang mit der sachlichen Unabhängigkeit noch eingehender zu behandelnden 145 - Rechtsaufsicht über den Datenschutzbeauftragten, die wegen des ressortübergreifenden Wirkungskreises von allen
139 BVerjGE 48, 64 (83); 57, 43 (59 f.); Stern, StaatsR I, 3I8; Stober, in: BK, Art. 137 I Rn. 283 f.; HH Klein, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 4I Rn. 25, widersprUchlieh dazu Rn. 26. 140
Stern,StaatsR I, 359.
So filr die Mitglieder des Bundesrats (§ 2 GeschOBR) als natürlichen Gegenspielers und ftlr den Wehrbeauftragten (§ I4 III WehrbeauftrG) als "Hilfsorgan" des Bundestags HH Klein, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 4I Rn. 26; i.E. auch v.Campenhausen, in: v.Mangoldt/Kiein, GG, Art. 137 I Rn. 21 ; ablehnend Stober, in: BK, Art. 137 Rn. 295. 141
142 Anders z.T. auf Landesebene, s. Einleitung, Fn. 8. - Zur umstrittenen Frage einer mittelbaren verfassungsrechtlichen Legitimation der Datenschutzbeauftragten s.u., Dritter Abschnitt, C. 143 Z.B. von Stober, in: BK, Art. 137 I Rn. 84 ff.; Tsatsos, in: Schneider/Zeh, ParlamentsRund Parlamentspraxis, § 23 Rn. 9. - Immerhin erwähnt, aber nicht weiter problematisiert wird die Regelung bei HH Klein, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 41 Rn. 26, und v.Campenhausen, in: v.Mangoldt/Klein, GG, Art. 137 I Rn. 21. 144
Ebenso die inhaltsgleiche Regelung in § 36 II StUG.
145
Unten, Dritter Abschnitt, A.
4 Zöllner
50
Erster Abschnitt: Organisations- und dienstrechtlicher Status
Regierungsmitgliedern gemeinsam ausgeübt wird (§ 22 IV 3 BDSG), hat der Gesetzgeber hinsichtlich der Dienstaufsicht (§ 22 V 2 BDSG) mit Recht keine Veranlassung gesehen, von der verfassungsrechtlich verankerten Regelzuständigkeit des Ressortministers abzuweichen 146 • Neben den im Gesetz ausdrücklich genannten Anwendungsfallen - Abnahme des Amtseides (§ 22 II BDSG) 147, Ersuchen um interimistische Weiterfiihrung der Amtsgeschäfte (§ 23 I 6 BDSG) 148, Entscheidung über die Verwendung empfangener Geschenke(§ 23 III BDSG) sowie über die Erteilung von Aussagegenehmigungen (§ 23 V 3 BDSGY 49 - bleibt allerdings fiir dienstaufsichtliche Maßnahmen ohnehin kaum mehr ein Spielraum. Als weitgehend leerlaufend erweist sich die Dienstaufsicht vor allem dann, wenn nach einer rechtlich zulässigen Möglichkeit gesucht wird, den Datenschutzbeauftragten im öffentlichen Interesse des Dienstherrn an die Wahrnehmung der mit dem Amt übernommenen Verpflichtungen zu erinnern. Theoretisch könnten sich der Bundesinnenminister oder sein persönlicher Vertreter150 zwar auf § 22 V 2 BDSG berufen, um einen wenig aktiven Amtsinhaber zu einer mindestens äußerlich ordnungsgemäßen Erledigung der gesetzlich umschriebenen Aufgaben anzuhalten, ihm also Zeit und Maß der Arbeit vorzugeben. Innerhalb des Aufgabenkatalogs sind aber nur die Dokumentations- und Berichtsverpflichtungen (§ 26 I, II, V BDSG) so genau festgelegt, daß der Beauftragte sie binnen einer bestimmten Frist und in einer bestimmten Form erfiillen muß. In welcher Rangfolge, welchem Umfang und welcher Art und Weise die übrigen Aufgaben erfilllt werden sollen, hat der Gesetzgeber dagegen offen gelassen und damit in das Ermessen des jeweiligen Amtsinhabers gestellt. Der Datenschutzbeauftragte kann insoweit sein eigenes Amtsverständnis zur
146 Zustimmend dazu Oldiges, Bundesregierung, 386 f. m. Fn. 56; abweichend in § 23 I 2 SPDEntwurf BISG (BT-Dr 11/3730, S. 12 f.): Dienstaufsicht des Bundestagspräsidenten. 147 Naher Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 22 Rn II f. - Die dort sowie im SPD-Entwurf (vorige Fn., § 22 III BISG) favorisierte Eidesabnahme durch den Bundestags- bzw. Bundespräsidenten würde entgegen dem hier vertretenen Standpunkt bedeuten, daß es sich um ein politischrepräsentatives Amt handelte (vgl. Art. 56, 64 II GG; § 14 IV WehrbeauftrG); vgl. auch BVerjGE 33, 23 (31), zu Form und Inhalt des Amtseids bei Verfassungsämtem; BVerjG, BayVBI. 1989, 207 (209) m. krit. Anm. Rzepka, zur gewissensbedingten Suspendierung von der Eidespflicht bei sonstigen Wahlämtem. 148
Sog. Geschäftswaltung, vgl. Wahl, Stellvertretung, 75 f.
149
Hierzu näher Flanderka, Bundesbeauftragter, 16 ff., sowie unten, Dritter Abschnitt, C.IV.2.b).
Zur höchstpersönlichen Ausübung der ministeriellen Dienstaufsichtsbefugnisse VG Ansbach, BayVBI. 1993, 153 ff. 150
B. Die persönliche Rechtsstellung
51
Geltung bringen und dabei auch entscheiden, mit welchem persönlichen Einsatz er sich seiner Sache widmet. An den aus Art. 33 V GG abgeleiteten beamtenrechtlichen Pflichtenkatalog ist er nicht unmittelbar gebunden 151 • Daher sind dienstaufsichtliche Ermahnungen und Hinweise an die Adresse des Bundesbeauftragten rechtlich kaum begründbar; sie könnten auch hier - ähnlich wie bei der Richterdienstaufsicht nach § 26 I, II DRiG - nur allzu leicht als Eingriff in die sachliche Unabhängigkeit verstanden werden 152 • Offenbar aus dem gleichen Grund hat der Gesetzgeber dem zuständigen Bundesinnenminister keinerlei Disziplinarbefugnisse gegenüber dem Datenschutzbeauftragten eingeräumt, obwohl dafür nach der heutigen Fassung des Art. 96 IV GG auch bei diesem besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis die formellen Voraussetzungen gegeben gewesen wären153 • Als mögliche Dienstaufsichtsmaßnahmen bleiben demnach in der Praxis nur Entscheidungen, die sich aus der Leistungs- und Fürsorgepflicht des öffentlichen Dienstherrn ergeben und daher vorrangig im Interesse des jeweiligen Amtsinhabers ergehen. Zu denken ist dabei z.B. an die Gewährung von Urlaub und sonstigen dienstfreien Tagen, an die Berechnung der Amts- und Versorgungsbezüge (§ 23 VII BDSG) sowie an die Bewilligung von Beihilfen und Aufwandsentschädigungen.
151 Wippermann, DÖV 1994, 929 (932 Fn. 32), spricht aus diesem Grund der Dienstaufsicht über den Datenschutzbeauftragten jede innere Berechtigung ab. 152 So der Sache nach auch Flanderka, Bundesbeauftragter, 24 f.; Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 22 Rn. 17, 22; Bergmann/Möhrle/Herb, Datenschutzrecht, BDSG, § 22 Rn. 14; Wippermann, DÖV 1994, 929 (933). 153 Vgl. oben, B.l.l., bei Fn. 67. - § 8 BMinG schließt (zur Klarstellung) Disziplinarverfahren sogar ausdrücklich aus.
Zweiter Abschnitt
Die Aufgaben und Befugnisse des Datenschutzbeauftragten
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen (§§ 24, 25 BDSG) Die primäre Aufgabe des Bundesbeauftragten für den Datenschutz besteht darin, bei den öffentlichen Stellen des Bundes (§ 2 I, III 1, IV 2 BDSG) 1 die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften innerhalb eines gesetzlich festgelegten Rahmens zu kontrollieren (§ 24 I - III BDSG). Alle anderen Aufgaben und Befugnisse lassen sich aus dieser Kontrollfunktion unmittelbar ableiten(§§ 21; 24 IV, V; 25; 26 I BDSG) oder mit ihr zumindest verbinden (§ 26 II- V BDSG). Es bedeutet daher keine unzulässige Verkürzung, wenn der Datenschutzbeauftragte insgesamt als Kontrollorgan bzw. Kontrollbehörde bezeichnet wird.
I. Die Typusmerkmale der Datenschutzkontrolle
Exakt definiert wird der Begriff der Kontrolle weder im Bundesdatenschutzgesetz noch etwa im Grundgesetz, das nur die "parlamentarische Kontrolle" im Zusammenhang mit dem Wehrbeauftragten ausdrücklich erwähnt (Art. 45 b S. 1 GG). Organisationswissenschaft und Verwaltungslehre verstehen unter Kontrolle jeden planvoll durchgeführten Soll-Ist-Vergleich, der eine bereits getroffene Entscheidung bewerten und/oder eine noch zu treffende Entscheidung beeinflussen soll2 • In diesem allgemeinen Sinne kann jede gezielte Einwirkung von staatlichen Organen oder von gesellschaftlichen Kräften (Medien, Interessenver-
1
Zur Einbeziehung der öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsunternehmen s. § 27 I I Nr. 2 a), 2
BDSG.
2 Vgl. nur Brunner, Kontrolle, 74 f.; Krebs, Kontrolle, 4 ff.; Püttner, Verwaltungslehre, 338; enger Becker, Öffentliche Verwaltung, 870.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
53
bänden etc.) auf die vollziehende Gewalt als Verwaltungskontrolle verstanden werden3 • Einem derart unspezifischen Kontrollbegriff kommt allerdings nur geringer Erkenntniswert zu. Die rechtliche und tatsächliche Bedeutung einer Kontrolle läßt sich nur erfassen, wenn zunächst die Besonderheiten des Kontrollverfahrens sowie der gewählte Kontrollmaßstab und die verfügbaren Kontrollmittel bestimmt werden. Anband dieser Parameter können einzelne Grundeigenschaften der Kontrolle definiert werden, die zusammengenommen einen Kontrolltypus ergeben. Für die Datenschutzkontrollen erscheinen in diesem Sinne drei Merkmale wesensbestimmend: ihre Selbständigkeit, ihre Parteilichkeit und ihre Unverbindlichkeit.
1. Die Selbständigkeit der Kontrolle Im Gegensatz zur Kontrolle durch Gerichte oder Rechtsaufsichtsbehörden setzen datenschutzrechtliche Kontrollen grundsätzlich weder den Antrag eines Rechtssuchenden noch den Anfangsverdacht eines Rechtsverstoßes voraus(§ 24 I 1 BDSG). Der Beauftragte kann jederzeit selbst die Initiative ergreifen und entweder durch Stichproben oder in systematischer Form nachprüfen, ob alle Datenschutzbestimmungen eingehalten werden. Eine Ausnahme von diesem Prinzip der "aktiven Kontrolle"4 gilt allerdings für solche personenbezogenen Daten, die in Akten verarbeitet oder genutzt werden (§ 24 I 2 BDSG) oder die der Kontrolle durch die G-10-Kommission unterliegen(§ 24 II 4 Nr. 1 BDSG): Hier darfjeweils nur auf Anfrage bzw. aufkonkrete Anhaltspunkte hin ermittelt werden (sog. Anlaßkontrolle). Die Selbständigkeit der Datenschutzkontrolle hat neben der prozeduralen auch eine organisatorische Seite. Trotz ihrer personellen und etatmäßigen Angliederung an das Innenministerium ist die Kontrollinstanz eine eigenständige Fachbehörde5 mit zentraler Zuständigkeit für alle Bereiche des Bundes. Der Daten-
3 S. etwa die Monographien von Loewenstein, Verfassungslehre (1969); Brunner, Kontrolle (1972); Meyn, Kontrolle (1982); Krebs, Kontrolle (1984); aus dem übrigen Schrifttum z.B. Wol.ff! Bachof, VerwaltungsR 111, §§ 161 ff.; Puttner, Verwaltungslehre, 335 ff.; Thieme, Verwaltungslehre, Rn. 502 ff.; Hecker, Öffentliche Verwaltung, 870 ff. 4
Dazu Brunner, Kontrolle, 79; s. auch Krebs, Kontrolle, lOS ff.
' Naher dazu oben, Erster Abschnitt, A. III.
54
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
schutzbeauftragte wird auch dort, wo er verfahrensbegleitend6 kontrolliert und berät, nicht in die jeweilige datenverarbeitende Stelle integriert, sondern steht ihr nach wie vor als ein externes Prüfungsorgan gegenüber7 • Die Kontrolle nach § 24 I BDSG unterscheidet sich damit grundlegend von der in § 18 II 2 BDSG geforderten datenschutzrechtlichen Selbstkontrolle, insbesondere von der Kontrolle durch behördeninterne Datenschutzbeauftragte8 • Die funktionelle Selbständigkeit der externen Datenschutzkontrolle9 wird zur Exekutivspitze hin abgesichert durch die Garantie weitgehender sachlicher Unabhängigkeit (§ 22 IV 2 BDSG) 10 und durch die richtergleiche persönliche Unabhängigkeit des Bundesbeauftragten (z.B. § 23 I 3 BDSG) 11 • Das Gesetz schließt damit - zumindest im Rahmen der regulären Kontrolltätigkeie 2 praktisch jede Möglichkeit der Fremdbestimmung aus.
2. Die Parteilichkeit der Kontrolle Den Kontrollmaßstab bilden nach § 24 I I BDSG die im Bundesdatenschutzgesetz und anderswo aufgeführten "Vorschriften über den Datenschutz" 13 • Dem Wortlaut nach handelt es sich also um eine reine Rechtskontrolle, für die objektiv bestimmbare Kriterien gelten müßten 14 • Schon durch die Einbezie-
6 Zur zeitlichen Dimension von Kontrollen (vorgängig, begleitend, nachträglich) s. Bnmner, Kontrolle, 79; Püttner, Verwaltungslehre, 339. 7
Zur Unterscheidung von externer und interner Kontrolle z.B. Brunner, Kontrolle, 75.
S. dazu umfassend Strößenreuther, Kontrolle, 216 ff.; zur Parallele bei den Rechnungshöfen Fittschen, VA 83 (1992), 165 (174 f.), m.w.N. 8
9 Der Begriff "externe Verwaltungskontrolle" setzt nur ein fachübergreifendes Tätigwerden voraus, nicht dagegen einen Standort außerhalb der Verwaltung, s. Püttner, Verwaltungslehre, 343 ff.; Thieme, VA 74 (1983), 305 (307); a.A. Becker, Öffentliche Verwaltung, 878, 883; vgl. auch Strößenreuther, Kontrolle, 98 ff.
10
Zum Umfang unten, Dritter Abschnitt, A.
11
Zum persönlichen Status s.o., Erster Abschnitt, B.
Bei den fremdinitiierten ("passiven") Kontrollen nach § 26 li 1, 2 BDSG ist der Beauftragte auch nur insoweit gebunden, als er nicht gänzlich von einer Kontrolle und von der entsprechenden Rückmeldung absehen kann. 12
13 Zur umstrittenen Einbeziehung von Verwaltungsvorschriften s. Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 24 Rn. 8 m.w.N.
14 Zum Zusammenhang von Narrnativität und Objektivität einer Kontrolle s. Brunner, Kontrolle, 76 ff.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
55
hung des heute allgemein anerkannten ungeschriebenen Rechts auf informationeile Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. I I GG) 15, das als grundrechtliebes "Prinzip" und objektiv-rechtliche Wertentscheidung auf die Anwendung des einfachen Rechts ausstrahlt16, verschiebt sich aber der Maßstab von der Rechtskontrolle hin zu einer Art Richtungskontrolle17 • Dementsprechend soll der Bundesbeauftragte über die bloße Einhaltung des geschriebenen Rechts hinaus auch prüfen dürfen, ob das Verhalten der datenverarbeitenden Stellen insgesamt eine datenschutzfreundliche Tendenz erkennen läßt und so dem in § I I BDSG genannten Zweck des Gesetzes gerecht wird 18 • Der vom Gesetzgeber erteilte Handlungsauftrag geht - nicht nur nach dem Verständnis der bisherigen Amtsinhaber19 und den Erwartungen der Öffentlichkeit20 - sogar noch einen entscheidenden Schritt weiter. Nachdem die Kontrolle von vornherein nur unter einem ganz speziellen Gesichtspunkt erfolgen soll und hiermit verschiedene Vorschlags-, Empfehlungs- und Beratungsrechte "zur Verbesserung des Datenschutzes" verbunden sind (§§ 24 V 2; 26 III BDSG), muß dem Beauftragten im Gegensatz zu anderen öffentlichen Amtsträgem (s. § 35 I 2 BRRG) das Recht und konsequenterweise auch die Pflicht zu einer einseitigen Interessenwahrnehmung zuerkannt werden21 . Er soll mit den öffentlichen Stellen des Bundes als amtlich bestellter "Anwalt des Datenschutzes"22 bzw. als eine zur "Institutionalisierung des Bürgerinteresses" geschaffene "Gegeninstanz"23 verhandeln und dabei "seinem" Anliegen möglichst weitgehend zur Durchsetzung verhelfen.
15
Grdl. BVerjGE 65, I (38 ff.).
Zur "prinzipiellen" bzw. objektivierenden Deutung des Grundrechts s.u., Dritter Abschnitt, C.V.3.b) u. 4.b). 16
17
Zum Begriffs. Brunner, Kontrolle, 78.
Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 24 Rn. 12; § 25 Rn. 4; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 12: "rechtspolitische Kontrolle"; Ordemann/Schomerus, BDSG, § 19 Anm. 2. 18
19
Dazu naher Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 60 ff.
20
Dazu krit. Schmilt Glaeser/Mackeprang, Die Verwaltung 24 (1991), 15 (27m. Fn. 75).
Wie hier z.B. Fuchs, "Beauftragte", 194, 215 f.; Bryde, VVDStRL 46 (1988), 181 (196); Häberle, ebda., 273 f.; Brohm, in: /sensee/Kirchhoj, HdbStR II, § 36 Rn. 4; Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, 474; Fiedler, CR 1989, 131 (135); Schmilt G/aeser/Mackeprang, Die Vewaltung 24 (1991), 15 (18). Allgemein zur "Piuralisierung der Staatsperson" Schuppert, Verse1bstllndigte Verwaltungseinheiten, 356 f. 21
22
Vgl. Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 64 ff.
23
Birke/bach, in: Krauch, Erfassungsschutz, 10 (20).
56
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Der Datenschutzbeauftragte gehört also nicht zu jenen Staatsbeauftragten24 oder Vertretern des öffentlichen Interesses25 , die in einem Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren die Belange des Gemeinwohls gegenüber möglichen Ressortoder Individualinteressen verstärkt zur Geltung bringen sollen26 • Er vertritt nicht "das" öffentliche Interesse schlechthin27 , sondern nur "ein" öffentliches (Partikular-) Interesse, nämlich das grundrechtsgeschützte Interesse an einem möglichst wirksamen Datenschutz. Rechtsphänomenologisch und rechtspolitisch steht diese Form der "parteilichen" Interessenwahrnehmung am ehesten mit den verschiedenen Modellen altruistischer Verbands- bzw. Treuhandklagen28 in einem Zusammenhang29 •
3. Die Unverbindlichkeit der Kontrolle Die aus der staatlichen Neutralitäts- und Gemeinwohlverpflichtung resultierenden Verfassungsbedenken gegen jede Art von amtlich betriebenem Lobbyismus30 haben zwar auch im Falle des Datenschutzbeauftragten einiges Gewicht. Sie lassen die Institution aber bei nüchterner Betrachtung ihrer rechtlich gesicherten Einwirkungsmöglichkeiten31 noch nicht als ernsthafte Gefahr fUr den Prozeß der staatlichen Integration erscheinen. Dabei ist vor allem zu berücksich-
24 Wie z.B. der Bundesbeauftragte filr Asylangelegenheiten (§ 6 AsyiVfG; dazu BVerwG, NVwZ 1983, 413); allgemeindelege ferenda Kopp, BayVBI. 1980, 97 (102 f.).
25 §§ 35 ff. VwGO; § 316 LAG; vgl. auch Noack, DVBI. 1957,452 ff.; Bettermann, VVDStRL 17(1959), 118(172). 26 Vgl. BVerwGE 12, 119 (127 f.) zu§ 316 LAG; Reich/er, VR 1979, 232 (233); allg. Kopp, Gutachten z. 54. DJT, B 65 ff.; verfehlt insoweit Dammann, in: Simitis u.a., BDSG, § 21 Rn. 16 a.E.
27 Zur Ermittlung des öffentlichen Interesses vgl. Gassner, Treuhandklage, 24 ff. ; Rzepka, BayVBI. 1992, 295 ff.- Unterschiedliche Weisungsabhängigkeiten der verschiedenen Vertreter des öffentlichen Interesses könnende facto zu abweichenden Standpunkten fuhren, s. BVerwGE 75, 337 (339).
28
Grdl. dazu Gassner, Treuhandklage, insbes. 21 ff., 40 ff.
So auch Häberle, Die Verwaltung 22 (1989), 409 (417 f.); vgl. allgemein Schomerus, NuR 1989, 171 ff. 29
30 Hierzu im vorliegenden Zusammenhang Fuchs, "Beauftragte", 215 f.; Schmitt Glaeserl Mackeprang, Die Verwaltung 24 ( 1991 ), 15 (27 f.) m.w.N .; allgemein Böckenförde, Organisationsgewalt, 251 f. 31 S. auch unten, C.l. u. IV, zu den (beschränkten) Möglichkeiten, öffentlich bzw. parlamentarisch aufZutreten.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
57
tigen, daß den im Kontrollverfahren getroffenen Feststellungen nach dem Gesetz keine inhaltliche Rechtsverbindlichkeit zukommt.
a) Die verfahrensrechtliche Wirkung § 24 IV 2 BDSG gewährt dem Bundesbeauftragten zwar ähnlich weitreichende Informationsbefugnisse (Auskunfts-, Einsichts-, Betretungsrecht)32, wie sie den meisten "Inspektionsbeauftragten"33 im Rahmen staatsaufsichtlicher Verhältnisse zugebilligt werden34 • Im Unterschied zu ihnen wird aber der Datenschutzbeauftragte grundsätzlich in eigener Zuständigkeit und nicht als Vertreter einer Aufsichtsbehörde tätig. Seine Kontrolluntersuchungen sind kein integrierender Bestandteil eines aufsichtliehen (Korrektur-) Verfahrens35 • Sie können allerdings unter Umständen Aufsichtsmaßnahmen veranlassen, insbesondere wenn die bei der Kontrolle festgestellten Mängel gemäß § 25 I BDSG gegenüber der obersten aufsichtsführenden Stelle formell "beanstandet" worden sind.
Eine solche datenschutzrechtliche Mängelrüge löst nach geltendem Rechtl 6 keinen Suspensiveffekt aus, wie er etwa eintritt, wenn der Vorsitzende eines kollegialen Vertretungsorgans einen Beschluß für rechtswidrig hält und beanstandetl7. Eine unmittelbare verfahrensrechtliche Folge hat die "Beanstandung" durch den Datenschutzbeauftragten aber insoweit, als die Aufsichtsbehörde im Regelfall aufgefordert wird, binnen einer bestimmten Frist zu dem
32 Entgegen Flanderka, Bundesbeauftragter, 40, kann durchaus von eigenen, wenn auch nicht klageweise durchsetzbaren "Rechten" (besser: Kompetenzen) des Beauftragten und nicht nur von einseitigen Pflichten der kontrollierten Stellen gesprochen werden. 33 Zu diesem - neben dem klassischen Staatskommissar oft übersehenen - Typus Böckenförde, Organisationsgewalt, 31 Fn. 34; Wolff/Bachof, VerwaltungsR II, § 77 II d) l.; zum historischen Hintergrund ("ius supremae inspectionis") s. nur Triepel, Reichsaufsicht, 112 ff. 34 Vgl. etwa zum Beauftragten nach Art. 84 III GG Schäfer, AöR 78 (1953), I (23); v.Mangoldtl Klein, GG, Art. 84 Anm. VI 2 b; zum Beauftragten nach Art. 85 IV GG Schäfer, DÖV 1960, 641 (648); Haun, Bundesaufsicht, 133 f.; zu den Beaufuagten bei den öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten Köttgen, JöR 3 (1954), 67 (112, 128 f.); v.P.fuhlstein, FS Schäfer, 375 (414 f.); zum Inspekteur der Bereitschaftspolizeien Drews/Wacke, Polizeirecht, 544 f.; Grawert, Verwaltungsabkommen, 211 f. 35 Aufsicht unterscheidet sich von Kontrolle (i.e.S.) durch weitergehende Einwirkungs- bzw. Durchsetzungsmöglichkeiten; dazu grdl. Triepel, Reichsaufsicht, 108 ff.; Salzwedel, VVDStRL 22 (1965), 206 (213). 36
Vgl. aber § 27 V 2 SPD-Entwurf BISG, BT-Dr 1113730.
37
Hierzu Wolff/Bachof, VerwaltungsR II, § 75 11I d) 7.
58
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
betreffenden Vorgang Stellung zu nehmen (§ 25 I 1, III BDSG). Bei dieser Aufforderung mit Fristsetzung handelt es sich um eine rechtsverbindliche Einzelfallregelung, die gegenüber rechtsfahigen Verwaltungseinheiten und Verbänden (vgl. § 25 I 1 Nr. 4 BDSG) sogar Außenwirkung besitzt und damit als Verwaltungsakt angesehen werden muß. Weder die Stellungnahmeverpflichtung noch das ihr vorausgehende Informationsverlangen läßt sich freilich mit Zwangsmitteln wie z.B. der Festsetzung von Zwangsgeld (§ 11 VwVG) gegenüber Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts durchsetzen (§ 17 VwVG), so daß umgekehrt auch fiir eine theoretisch mögliche Klage38 gegen derartige Aufforderungen des Datenschutzbeauftragten kein Rechtsschutzbedürfnis erkennbar wäre39•
b) Die materiell-rechtliche Bedeutung Im Gegensatz zur spezifisch aufsichtliehen Beanstandung, mit der die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens in verbindlicher Form festgestellt wird40, besitzt die "Beanstandung" nach § 25 BDSG fiir sich gesehen keine unmittelbare Rechtswirkung, so daß insoweit nicht von einem selbständigen Verwaltungsakt gesprochen werden kann41 • Die vom Datenschutzbeauftragten getroffenen Feststellungen und Wertungen stellen schlichte Tatsachen- bzw. Rechtsbehauptungen dar und entfalten keinerlei Bindungswirkung gegenüber den jeweiligen Adressaten42 • Ob und wie diese von ihren Aufsichtsbefugnissen Gebrauch machen, müssen sie unter Beachtung ihrer allgemeinen Verpflichtung aus Art. 20 III GG selbst entscheiden; der Beauftragte kann jedenfalls von
38 Im Wege der Rechtsaufsicht (§ 22 IV 3 BDSG) kann hier gegen den Bundesbeauftragten wegen dessen sachlicher Unabhängigkeit nicht vorgegangen werden, s.u., Dritter Abschnitt, A. 39 Vgl. auch Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 25 Rn. 20. - Zur ahnliehen Situation im Rahmen der Rechnungsprüfung Fittschen, VA 83 (1992), 165 (193), der allerdings die gesetzlichen Prüfungsrechte der Rechnungshöfe ftlr selbständig einklagbar und verwaltungsgerichtlich vollstreckbar hält. 40 Vgl. vor allem Salzwedel, WDStRL 22 (1965), 206 (250). -Andere Autoren betonen vor allem die aus der Rechtswidrigkeilsfeststellung folgende Vollzugshemmung, s. Wolff/Bachof, VerwaltungsR II, § 77 II d) 3. ß).
41 Bergmann/Möhrle/Herb, Datenschutzrecht, BDSG, § 25 Rn. 25.- Das BVerwG (DÖV 1992, 536) hat einer Gemeinde, die die Beanstandung eines Landesbeauftragten in Weisungsangelegenheiten angefochten hatte, mangels Außenwirkung außerdem die Klagebefugnis abgesprochen. 42
Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 25 Rn. 11.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
59
Gesetzes wegen keine Änderung einer rechtswidrigen oder für rechtswidrig erachteten Verarbeitungspraxis beanspruchen43 • Die vorn Gesetzgeber als unverbindlich konzipierten "Beanstandungen" und sonstigen Äußerungen der Kontrollbehörde werden auch nicht indirekt dadurch sanktioniert, daß die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung von ihrer hinreichenden Beachtung abhinge. Eine solche Fehlerfolge wäre zwar nach den allgerneinen Verfahrensgesetzen (VwVfG; SGB X; AO) prinzipiell denkbar. Nach den einschlägigen Bestimmungen hängt aber die mittelbare Außenwirkung verwaltungsinterner Stellungnahmen durchweg davon ab, ob es sich um eine im Rechtssinne "erforderliche Mitwirkung" einer anderen Behörde handelt (vgl. § 45 I Nr. 5 VwVfGt4 • Von einem generell bestehenden Erfordernis, die Kontrollinstanz an datenschutzrelevanten Verfahren zu beteiligen, kann jedoch in den Fällen des § 24 I l BDSG schon deshalb keine Rede sein, weil es jeweils im Ermessen des Beauftragten liegt, ob er einzelne Vorgänge kontrolliert oder nicht. Ermessenswidrig dürfte ein Kontrollverzicht nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes allerdings dort sein, wo die kontrollunterworfenen Stellen einzelne ihrer Maßnahmen unaufgefordert der Kontrollbehörde zu melden haben, also insbesondere bei der Einrichtung automatisierter Abrufverfahren (§§ 10 III l BDSG; 79 III SGB X; 475 II l StPO; 29 Ia 4 GenTG) und bei der Rasterfahndung (§ 98 b IV 2 StPO). Auch solche bereichsspezifischen Mitteilungspflichten der jeweiligen Fachbehörden begründen jedoch filr den Bundesbeauftragten noch keine echten Mitwirkungsrechte im Verwaltungsverfahren. Meist erfolgt hier die datenschutzrechtliche Überprüfung ohnehin erst nach Abschluß der Maßnahme; eine etwaige Beanstandung richtet sich dabei wie in allen übrigen Fällen nur an die Aufsichtsbehörde (§ 25 I BDSG) und nicht an die primär handelnde Stelle. Eine Pflicht zur vorherigen Anhörung45 des Beauftragten existiert bislang nur in wenigen Randbereichen (§§ 36 II BGSG; lOOa II 3 SGB X); auch dort besteht aber jeweils kein so enger Zusammenhang mit einer anfechtbaren Einzelfallrnaßnahme, daß der betroffene Bürger eine unterbliebene Mitwirkung der Datenschutzbehörde als Verfahrensfehler geltend machen könnte.
43
Ebenso Flanderka, Bundesbeauftragter, SO m.w.N.
44
S. am Bsp. des Personalrats Laubinger, VA 76 (1985), 449 (458 ff.).
Zur damit verbundenen Beteiligung am eigentlichen Entscheidungsvorgang s. Laubinger, VA 76 (1985), 449 (466 ff.). 45
60
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Die unabhängige Datenschutzkontrolle erfiillt innerhalb des staatlichen Rechtsschutzsystems lediglich eine Ermittlungs- und Anregungs-, nicht aber eine Entscheidungs- oder gar Durchsetzungsfunktion46 • Dementsprechend haben die aus der unmittelbaren Kontrollaufgabe abgeleiteten Informationstätigkeiten ebenfalls nur ergänzenden oder unterstützenden Charakter. So kann der Beauftragte z.B. neben den fachlich zuständigen Aufsichtsorganen (§ 25 BDSG) auch den politisch verantwortlichen Leitungsorganen die festgestellten Mängel melden und damit Fremdkontrolle ermöglichen (§ 26 I, II BDSG) oder sich darauf beschränken, den unmittelbar betroffenen datenverarbeitenden Stellen zum Zwecke der Selbstkontrolle Vorschläge zu unterbreiten (§ 24 V 2 BDSG) bzw. Ratschläge zu erteilen (§ 26 III BDSG). In keinem dieser Fälle besteht fiir den Adressaten der Mitteilung irgendeine Verpflichtung, dem Sachverhalt weiter nachzugehen oder die Anregung inhaltlich aufzugreifen. Der tatsächliche Einfluß der Kontrollinstanz auf die Datenverarbeitung im Bund beruht demnach weniger auf ihren rechtlichen Kompetenzen als vielmehr auf der Überzeugungskraft ihrer Argumente47 •
c) Die verwaltungsprozessuale Konsequenz Es widerspräche diesem kontrollpolitischen Gesamtkonzept, wollte man dem Datenschutzbeauftragten darüber hinaus Klagemöglichkeiten vor dem Verwaltungsgericht zuerkennen. Hierzu zwingt auch nicht etwa die allgemeine Stellung des Beauftragten als Hüter individueller Rechte und als "Kontrastorgan" zur datenverarbeitenden Verwaltung48 • Der bloße Umstand, daß ein öffentliches Partikularinteresse vom Gesetzgeber einer eigens hierzu errichteten Behörde in besonderer Weise anvertraut worden ist, begründet noch kein im Innenrechtsstreit gegenüber anderen Behörden durchsetzbares subjektiv-öffentliches Recht49 • Auch die fehlende hierarchische Einbindung eines öffentlichen Funktionsträgers genügt fiir sich allein noch nicht, um eine selbständige Klagebefugnis
46
Vgl. dazu allgemein Lorenz, Rechtsschutz, 271 ff.
47
Zu Recht spricht Dammann, Datenschutzkontrolle, 123, von einer "persuasive authority".
48 S. nur Bryde, VVDStRL 46 (1988), 181 (196).- Zu den möglichen Begründungsansätzen ftlr wehrfähige Innenrechtspositionen s. Erichsen, in: FS Menger, 211 (225 ff.) m.w.N. 49 So zutreffend Dolde, NVwZ 1991, 960 (961 f.), in krit. Auseinandersetzung mit BVerwG, NVwZ 1991, 162 (164 ff.); präziser nunmehr BVerwG, NVwZ 1993, 890 (891).
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
61
annehmen zu können 50• Die prozessuale Geltendmachung der eigenen Kompetenzen gegenüber anderen Behörden desselben Rechtsträgers setzt weiter voraus, daß dem klagenden Organ (jedenfalls auch) um seiner selbst willen ein Stück rechtlicher Freiheit gewährt worden ist51 , z.B. um Raum zu schaffen für eine demokratische Teilhabe an Verwaltungsentscheidungen oder für eine Pluralität der Interessen und Sichtweisen52• An einem solchen gesetzgeberischen Motiv fehlt es in der Regel dort, wo eine staatliche Behörde lediglich in fürsorgerischer Manier rechtlich geschützte Einzelinteressen fördern soll. Die Normierung spezieller Interorgankompetenzen und die Gewährung funktioneller Unabhängigkeit dienen hier nur einer effektiveren Aufgabenerfüllung und sind nicht Ausdruck einer sujektiv-öffentlichen Rechtsstellung53 • Für den Datenschutzbeauftragten bedeutet dies, daß nicht nur seine materiellen Rechtsstandpunkte im Kontrollverfahren 5\ sondern ebenso seine Untersuchungsbefugnisse nach § 24 IV 2 BDSG und auch seine organisatorischen Sonderrechte nach § 22 IV, V BDSG nicht selbständig einklagbar sind. Sollten öffentliche Stellen unberechtigterweise eine datenschutzrechtliche Fremdkontrolle ablehnen oder in die gesetzlich garantierte Unabhängigkeit des Beauftragten eingreifen, so läge darin in jedem Falle ein von § 25 BDSG erfaßter Verstoß gegen "Vorschriften dieses Gesetzes". Nachdem der Gesetzgeber zur Geltendmachung und Behebung derartiger Mängel ausdrücklich das Beanstandungsverfahren und damit den Weg über die zuständige Aufsichtsbehörde sowie als weiteres Mittel die Anrufung des Parlaments nach § 26 II 3 BDSG vorgesehen hat, muß der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten bei allen amtlich veranlaßten Konflikten des Datenschutzbeauftragten mit öffentlichen Stellen des Bundes als ausgeschlossen gelten5 5 • Umgekehrt können zumindest diejenigen datenverarbeitenden Stellen, die der ministeriellen Leitung oder Aufsicht unterstehen, gegen eine Überschreitung der 50 BVerwGE 45,207 (209 f.); Dolde, FS Menger, 423 (439 f.); weitergehend offenbar Erichsen, ebda., 211 (228). 51 Vgl. 0 VG Münster, ZBR 1992, 25 (26), zur pädagogischen Selbstverantwortung des Lehrers; BVerwG, NVwZ 1993, 890 f., zu§ 9 BNatSchG; allgemein Dolde, FS Menger, 423 (438).
52
Hierzu etwa Erichsen, in: FS Menger, 211 (229 f.); Dolde, ebda., 423 (439).
53
Vgl. Dolde, in: FS Menger, 423 (440); BVerwG, NVwZ 1993, 890 (891).
54
Insoweit gleicher Auffassung Dammann, in: Simitis u.a., BDSG, § 25 Rn. 21.
" A.A. ftlr Streitigkeiten mit dem Bundesminister des Innem nach § 22 BDSG Dammann, in: Simitis u.a., BDSG, § 25 Rn. 21 ; ftlr einen Rechtsstreit mit dem Haushaltsgesetzgeber (!) Flanderka, Bundesbeaufuagter, 28 f. Vgl. auch Fittschen, VA 83 (1992), 165 (185 ff., 194 f.), zur Durchsetzung der Prüfungsrechte unabhängiger Rechnungshöfe.
62
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
gesetzlichen Grenzen des Kontrollbereichs (§ 24 I 2, II, III BDSG) gleichfalls keine gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Für einen In-sich-Prozeß fehlt hier das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Die Bundesregierung kann nämlich bei Bedarf auch gegenüber dem Datenschutzbeauftragten jederzeit rechtsaufsichtlich einschreiten (§ 22 IV 3 BDSG)56 und so den Kompetenzkonflikt mit verbindlicher Wirkung filr alle Beteiligten entscheiden57•
II. Die Datenschutzkontrollen als Kompetenzeingriffe
Daß die Untersuchung und Bewertung von Datenverarbeitungsvorgängen durch eine externe Kontrollbehörde unter Umständen in rechtlich geschützte Kompetenzbereiche der datenverarbeitenden Stellen eingreift, war in der bisherigen datenschutzrechtlichen Diskussion allenfalls ein Randthema. Auch der Gesetzgeber hat dieser möglichen Konfliktlage bei der Festlegung des Kontrollumfangs und der Kontrollbefugnisse nur wenig Beachtung geschenkt. Es hängt daher weitgehend vom Gespür und von der Differenzierungsbereitschaft des jeweiligen Datenschutzbeauftragten ab, inwieweit der in unterschiedlichem Maße vorhandene rechtliche Eigenbereich der betroffenen Organe bei den Kontrollen Berücksichtigung findet.
1. Der Spielraum im administrativen Bereich
Geht man allein von der gesetzlichen Nonnalkonstellation aus, bei der eine zur unmittelbaren Staatsverwaltung gehörende Behörde von den Mitarbeitern des Datenschutzbeauftragten inspiziert wird, so kann freilich von einem Rechtseingriff im strengen Sinne keine Rede sein. Aus der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung innerhalb des staatlichen Verwaltungsapparats ergeben sich filr die einzelnen Organe keine eigenen Rechtspositionen, in die durch Verwaltungsakt eingegriffen werden könnte58 • Mögliche Kompetenzkonflikte zwi-
56
Zum Inhalt und Umfang der entsprechenden Befugnisse s.u., Dritter Abschnitt, A.
57
Vgl. dazu allgemein Kopp, VwGO, § 63 Rn. 10.
58 S. zutreffend Stackmann, BayVBI. 1993, 362 (365 f.), am Beispiel der fehlenden Außenwirkung von Rechnungshofkontrollen (gegen Fittschen, VA 83 [1992], 165 [184 ff.]: "In-sichVerwaltungsakt").
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
63
sehen Behörden desselben Rechtsträgers lassen sich auch nicht unter Rückgriff auf das gängige Eingriffsschema lösen, indem z.B. nach der Notwendigkeit oder Verhältnismäßigkeit einer Kompetenzeinschränkung gefragt würde. Wie der Gesetzgeber rein administrative Wahrnehmungszuständigkeiten jeweils verteilt und gegeneinander abgrenzt, bleibt seiner freien Entscheidung überlassen. Die einmal verliehenen Kompetenzen kann er, solange die Verfassung keine Aufgabenvorbehalte zugunsten bestimmter Behörden statuiert, jederzeit wieder entziehen, beschränken oder auf verschiedene Stellen aufteilen. Dabei können aus Gründen der Zweckmäßigkeit auch fachübergreifende Querschnittszuständigkeiten begründet werden. Sie verstoßen zumindest dann nicht gegen das verfassungsmäßige Ressortprinzip (Art.65 S. 2 GG), wenn sie wie die Datenschutzkontrolle nur eine inhaltlich beschränkte Rechtmäßigkeitsprüfung zum Gegenstand haben und die sachliche Entscheidungskompetenz der kontrollierten Stellen sowie der übergeordneten Leitungsinstanzen unangetastet lassen (vgl. §§ 24 V; 25 BDSG)59• Selbst wenn das Kontrollorgan die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der zu prüfenden Verwaltungsmaßnahmen ausschließlich nach eigenem Kenntnisstand bzw. nach subjektivem Wertverständnis und damit möglicherweise abweichend von der primär zuständigen Fachbehörde beurteilt, so liegt darin noch kein verfassungsrechtlich bedenklicher Übergriff in den Vorbehaltshereich der vollziehenden Gewalt60 • Es handelt sich vielmehr um eine partielle Zuständigkeitskonkurrenz innerhalb der Verwaltung, wie sie unter anderen Vorzeichen z.B. aus dem Recht der Anlagengenehmigungen bekannt ist, wo mitunter mehrere Fachbehörden denselben Lebensvorgang unabhängig voneinander zu beurteilen haben 61 • Je stärker sich die gesetzlichen Handlungsaufträge und die daraus entwickelten Zielvorstellungen der konkurrierenden Behörden unterscheiden, desto größer ist freilich die Gefahr, daß sich die auftretenden Wertungsdifferenzen zu einem Dauerkonflikt auswachsen, der beide Seiten übermäßig beanspruchen und ständige Vermittlungsversuche übergeordneter Stellen erforderlich machen kann. Will der Gesetzgeber solche Reibungsverluste vermeiden, wozu er von Ver-
59 Zum Geschäftsleitungs- und Weisungsrecht als "unangreifbares Reservat der jeweiligen Exekutivspitze" s. Schnapp, VVDStRL 43 (1985), 172 (195) m.w.N.
60 Zum sog. Verwaltungsvorbehalt Maurer, VVDStRL 43 (1985), 135 ff.; Schnapp, ebda., 172 ff. 61
Vgl. dazu nur Gaentzsch, NJW 1986, 2787 ff. m.w.N.
64
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
fassungs wegen nicht in jedem Falle verpflichtet ist, so muß er irgendeine Art von Zuständigkeitsvorrang festlegen. Bei einer externen Rechtskontrolle kann dies z.B. dadurch geschehen, daß die Überprüfung der kontrollierten Stellen nur "unbeschadet der ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben obliegenden fachlichen Beurteilung und Verantwortlichkeit"62 zugelassen wird. Ein mit eben dieser Formulierung unternommener Versuch, einen der Datenschutzkontrolle prinzipiell entzogenen fachlich-situativen Bewertungsspielraum der datenverarbeitenden Stellen abzustecken63 , wie er ähnlich auch im gerichtlichen Verfahren anerkannt ist64 , scheiterte bei der Novellierung des BDSG im Jahre 1990 allerdings am Widerstand des Bundesrats65 • Es bleibt also nach dem Willen des Gesetzgebers auch künftig dem jeweiligen Bundesbeauftragten überlassen, inwieweit er bei der Überprüfung der Notwendigkeit von informationeilen Eingriffen die sachliche Richtigkeit der zugrundeliegenden Verwaltungstätigkeit selbständig bewertet oder sich auf die spezielle Fachkompetenz bzw. auf die meist größere praktische Erfahrung der kontrollierten Stelle verläßt66 •
2. Das Konkurrenzverhältnis zur Rechtspflege Verficht der Beauftragte zur Rechtmäßigkeit des jeweiligen Aufgabenvollzugs dezidiert eigene Standpunkte, so kann dies zu erheblichen Autoritätskonflikten insbesondere mit den Organen der Rechtspflege führen. Zwar unterliegen zumindest die Bundesgerichte, soweit sie Rechtsprechungsaufgaben wahrnehmen und daher verfassungsrechtlich gesicherte Unabhängigkeit genießen (Art. 92 i.V.m. 97 I GG), ausdrücklich nicht der Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten (§§ 21 S. 2; 24 III BDSG). Nach dem Gesetz können aber auch
62
BT-Dr 11/4306, S. 13 (§ 22 I RegE BDSG).
Vgl. die Begründung des Entwurfs, BT-Dr 11/4306, S. 48, wonach die Prüfungskompetenz des Datenschutzbeauftragten nur datenschutzspezifische Vorschriften und keine datenschutzfremden (Vor-) Fragen betreffen sollte. 63
64
Vgl. die Kommentierungen zu § 114 VwGO.
Dazu Auernhammer, BDSG 1990, § 24 Rn. 3 ff.; Similis u.a. , BDSG, § I Rn. 44, 52, 55; ders., CR 1987, 602 (611 f.). 65
66 Vermittelnd insoweit BjD, 9. TB, BT-Dr 10/6816, S. 78. Gegen ein Zurückweichen vor einer "vermeintlichen Beurteilungsprärogative der Fachbehörden" Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 24 Rn. II a.E.; zurückhaltender Bergmann/Möhrle/Herb, Datenschutzrecht, BDSG, § 24 Rn. 8.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
65
solche Behördenmaßnahmen, die bereits in einem gerichtlichen Verfahren67 überprüft und für rechtmäßig erklärt worden sind, ohne jede Einschränkung datenschutzrechtlich kontrolliert werden68 • Kommt der Bundesbeauftragte hierbei zu einem anderen Ergebnis als der zuvor mit derselben Angelegenheit befaßte Richter, so erscheint der an sich schon erledigte Rechtsstreit nachträglich in einem völlig neuen Licht69 • Der unterlegene Bürger wird die gerichtliche Entscheidung in der Regel nicht (mehr) akzeptieren und sich fortan als Opfer eines Justizirrtums fühlen, ohne eine Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens erreichen zu können. Der beteiligten Behörde ist durch die unverbindliche Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten post festurn ebensowenig geholfen; sie weiß auch für die Zukunft nicht, an welcher der beiden gegensätzlichen Auffassungen der Kontrollorgane sie sich orientieren so!F0 • Am gravierendsten aber dürfte der Ansehensverlust für das Gericht selbst sein, das seinen Rechtsstandpunkt in dem konkreten Fall zwar durchsetzen kann, sich danach aber von der zentralen Datenschutzinstanz des Bundes zumindest indireke 1 vorhalten lassen muß, gegen geltendes Datenschutzrecht verstoßen und eine Fehlentscheidung zu Lasten des rechtsuchenden Bürgers getroffen zu haben. Auch innerhalb einer Staatsanwaltschaft als einem ebenfalls in besonderer Weise zu Neutralität und Legalität verpflichteten und mit entsprechendem Personal ausgestatteten Rechtspflegeorgan kann der amtlich erhobene Vorwurf eines datenschutzrechtlichen Verstoßes zu erheblichen Motivations- und Akzeptanzproblemen führen 72 • Nicht zu übersehen ist hier ebenso wie bei den Sicherheitsbehörden außerdem die Gefahr, daß während laufender Ermittlungen ein Betroffener den Datenschutzbeauftragten - statt eines Anwalts oder zusätz-
67 Statt eines nachträglichen Rechtsschutzverfahrens kann es sich hierbei auch um eine Vorwegprüfung kraft Richtervorbehalts (z.B. Art. 13 II GG; § 98 b I StPO n.F) handeln.
68 Anders nur Art. 30 IV 2, 3 BayDSG n.F. bei Datenerhebungen im Rahmen der StrafVerfolgung und StrafVollstreckung. 69
Vgl. auch Dammann, in: Similis u.a. , BDSG, § 21 Rn. 16.
Vgl. dazu auch die Doppelzuständigkeit in § 98 b I, IV 2 StPO. - Konkretes Beispiel einer Bewertungsdivergenz: Bei der Auslegung des (strafrechtlichen) Tatbestandsmerkmals der "unbefugten" Aufuahme von Raumgesprächen (§ 201 I Nr. 2 StGB) verwirft das OLG Düsseldorf, NJW 1995, 975, ausdrücklich die zuvor geäußerte Rechtsauffassung des Landesdatenschutzbeauftragten. 70
71 Weitergehend fur eine Zulässigkeil unmittelbarer Rechtsprechungsanalysen durch den Beauftragten Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 24 Rn. 33.
72
Schoreit, ZRP 1987, 1153 (157); Stoiber, BayLT, Prot. 12/87 v. 22.4.1993, S. 5802 f.
S Zöllner
66
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
lieh zu diesem- nur deshalb einschalten könnte, um das Verfahren zu verzögern oder um Verwirrung zu stiften. Es wäre daher durchaus der Überlegung wert, ob nicht auch auf Bundesebene in Anlehnung an die neugeschaffene bayerische Regelung die Kontrollkompetenz des Datenschutzbeauftragten für die Dauer des Strafverfahrens vorübergehend ruhen sollte73 • So sinnvoll ein gesetzlicher Kontrollausschluß während eines vorbereitenden Verfahrens oder nach Verkilndung einer rechtskraftfähigen gerichtlichen Entscheidung auch erscheinen mag, verfassungsrechtlich geboten ist er unter den jetzigen Verhältnissen nicht. Die Unabhängigkeit des Richters und die Eigenverantwortung des Staatsanwalts werden durch begleitende oder nachfolgende Datenschutzkontrollen zum selben Gegenstand nicht so stark beeinträchtigt, daß von einem unzulässigen Eingriff in die Gerichtsverfassung des Grundgesetzes gesprochen werden müßte. Die traditionellen Rechtspflegeorgane müssen die Konkurrenz mit der neugeschaffenen Rechtsschutzinstanz grundsätzlich hinnehmen, solange nicht unmittelbar in ihre Kompetenzbereiche bzw. in einzelne Entscheidungsvorgänge eingegriffen wird. Daß sich aus dem verfassungsrechtlich festgeschriebenen Funktionsvorbehalt zugunsten der rechtsprechenden Gewalt zumindest ein Verbot direkter Kontrollen ergibf4 , kommt in§ 24 III BDSG deutlich zum Ausdruck. Demgegenüber fehlt im Gesetz bisher eine Bestimmung ilber das Verhältnis der Datenschutzkontrolle zur öffentlichen Finanzkontrolle75 • Hieraus darf jedoch nicht der Schluß gezogen werden, als "öffentliche Stelle des Bundes" (§ 24 I i.V.m. § 2 I BDSG) sei auch der Bundesrechnungshof uneingeschränkt kontrollierbar. Immerhin wird dieser obersten Bundesbehörde in Art. 114 II GG- ähnlich wie den Bundesgerichten in Art. 95 I GG - ein Kernbereich eigener Zuständigkeiten institutionell garantiert; den einzelnen Mitgliedern gewährt die Verfassung zudem richterliche Unabhängigkeit. Der Kontrollzugriff des Datenschutzbeauftragten darf sich deshalb auch hier - in verfassungsgebotener Analogie zu § 24 III BDSG - nur auf rein administrative Vorgänge erstrecken. Im Rahmen seiner eigentlichen Prüfungs- und Beratungstätigkeit muß der Rechnungshof dagegen
V.
73 Art. 30 IV I BayDSG; s. LT-Dr 12/10711, 28 f. (Begr.); Regensburger, BayLT Prot. 12/96 8. 7. 1993, S. 6456 f.
74 Sogar der Parlamentskontrolle sind Rechtsprechungsakte nach h.M. entzogen, vgl. Schleich, Untersuchungsrecht, 58 f. 75
Allgemein zum Problemfeld Hockenbrink, DÖV 1991, SOff.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
67
möglichst unbeeinflußt urteilen können76 ; in diesem Bereich dürfen demzufolge keine datenschutzrechtlichen Kontrollen stattfinden77 •
3. Der kompetentielle Eigenbereich der Verfassungsorgane
Ganz ähnlich liegen die Dinge bei den obersten Staatsorganen Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident und Bundesregierung. Auch sie können ihren politischen Führungs- und Vertretungsauftrag nur erfiillen, wenn ihre funktionelle und organisatorische Selbständigkeit gewährleistet bleibt. Der Einfluß anderer Organe darf jeweils über ein verfassungsverträgliches Maß nicht hinausgehen. Wie am Beispiel der Regierung mittlerweile auch verfassungsgerichtlich geklärt ist, muß den verantwortlichen Amtsträgem ein unausforschbarer "Initiativ- und Beratungsbereich" verbleiben, um strittige Fragen zunächst in vertraulichen Gesprächen klären und eigene Konzepte entwickeln zu können78 • Dieser Internbereich entzieht sich nach allgemeiner Auffassung selbst dem grundgesetzlich festgeschriebenen Informations- und Kontrollanspruch der anderen Verfassungsorgane79 • Erst recht stoßen hier die einfachgesetzlichen Inspektionsbefugnisse des Datenschutzbeauftragten an verfassungsunmittelbare Grenzen. Dieser kann also- ungeachtet des Wortlauts von § 24 IV 2 BDSGweder Auskunft über den Inhalt von Kabinettssitzungen und ähnlichen politischen Beratungen verlangen noch entsprechende Unterlagen oder Aufzeichnungen einsehen, um etwaigen Datenschutzverstößen im Bereich der Gubemative nachzuspüren. Bei den gesetzgebenden Körperschaften liegen die Dinge auf den ersten Blick insofern etwas anders, als zumindest der abschließende Teil des "organintemen" 76 Auch öffentliche Stellungnahmen ohne formelle Beanstandung (wie im 10. TB des BjD, BT· Dr 11/1693, 59 ff.) können bereits die Unabhängigkeit der Rechnungsprüfer berühren.
77
Ebenso Hockenbrink, 54 f.; vgl. auch Art. 2 VI BayDSG n.F. (Begr. LT-Dr 12/10711, S. 18).
HessStGH, ESVGH 17, I (13 ff.); HambVetjGH, DÖV 1973,745 ff.; BVetjGE 67, 100 (139); BayVetjGH, BayVBl. 1986, 234 (237); Magiera, Parlament und Staatsleitung, 320 ff. ; H. Thieme, Parlamentarische UntersuchungsausschUsse, 108 ff.; Maurer, WDStRL 43 (1985), 135 (163 f.); Puh/, Minderheitsregierung, 134; Busse, DÖV 1989, 45 ff. ; M Schröder, in: /sensee/Kirchhoj, HdbStR II, §50 Rn. 13; allg. Kuh/, Der Kernbereich der Exekutive, 1993. 78
79 Vgl. vorige Fn. Nach den dort angeftlhrten Entscheidungen und Stellungnahmen endet am "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" selbst das parlamentarische Untersuchungsrecht nach Art. 44 GG.
68
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Entscheidungsprozesses öffentlich abläuft (Art. 42 I I, 52 III 3 GG) und damit fiir Datenschutzkontrollen hinreichend transparent ist. Die den Plenarsitzungen vorangehende Arbeit innerhalb der Fraktionen und Ausschüsse geschieht allerdings ebenfalls meist hinter verschlossenen Türen80, so daß die Öffentlichkeit das Verhandlungsergebnis erst nachträglich von den Beteiligten erfährt. Eine in allen Phasen wirksame Verfahrenskontrolle setzte auch hier den uneingeschränkten Zugang des Beauftragten zum Sitzungsbereich und zu den Sitzungsprotokollen voraus. Eine derartige Befugnis besteht jedoch nach gegenwärtiger Rechtslage nicht. Bei rein datenschutzrechtlicher Betrachtung könnte man zwar zu dem Ergebnis gelangen, auch der Deutsche Bundestag sei in seiner Eigenschaft als "öffentliche Stelle des Bundes" (§§ I II Nr. I und 2 I BDSG) vollständig an die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes gebunden. Der umfassende Geltungsanspruch des öffentlichen Datenschutzrechts läßt sich aber mit dem besonderen Status der Volksvertretung als Verfassungsorgan nicht vereinbaren. Nur soweit die einfachgesetzlichen Datenschutzbestimmungen rechtsstaatliche oder grundrechtliche Verfahrensgebote wiedergeben, ist das Parlament auch in Ausübung seiner Gesetzgebungsfunktion daran gebunden (Art. I III, 20 III GG). Das Bundesdatenschutzgesetz allein begründet daher noch keine Verpflichtung der Volksvertreter, sich von einer unabhängigen Kontrollbehörde überprüfen zu lassen. Selbst wenn sich aus dem Grundgesetz eine institutionelle Garantie der unabhängigen Datenschutzukontrolle ergäbe81 , könnte dies nur die Gestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers beschränken, nicht dagegen die verfassungsmäßigen Organrechte des Deutschen Bundestags. Für die innerhalb der Volksvertretung ablaufenden Meinungsbildungs- und Entscheidungstindungsprozesse gilt der allgemeine Vorrang des Gesetzes nicht. Soweit es sich um den Gang der Beratungen im Plenum und in den Ausschüssen handelt, hat nicht der Bundesgesetzgeber, sondern allein das Parlament im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie82 zu entscheiden, ob dem zur Exekutive gehörenden Bundesbeauftragten Kontrollen erlaubt werden, ob man statt seiner eher
80
Vgl. §§ 69 GeschOßT, 37 II GeschOBR.
81
Zu dieser Streitfrage ausfuhrlieh unten, Dritter Abschnitt, C.
Zum Vorrang der (Verfassungs-) Geschäftsordnungen gegenüber einfachem (Datenschutz-) Recht s.u., C.IV.2. 82
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
69
eine "hauseigene" Kontrollinstanz schaffen83 oder aber (wie bisher) auf jede Fonn institutionalisierter Datenschutzkontrolle verzichten sollte84 • Bei allen Bemühungen um einen wirksamen Datenschutz im Organbereich des Parlaments muß stets darauf geachtet werden, daß die einzelnen Abgeordneten wegen ihrer Äußerungen und ihres Abstimmungsverhaltens persönlich in keiner Weise "außerhalb des Bundestags zur Verantwortung gezogen" werden dürfen (Art. 46 I 1 GG). Die Verfassung schützt sie insoweit nicht nur vor strafrechtlicher Ahndung, sondern auch vor jeder sonstigen externen Sanktionierung. Eine fonnliche Beanstandung von Datenschutzverstößen, verbunden mit der Aufforderung zur Stellungnahme (§ 25 I 1 BDSG), wäre daher in jedem Falle unzulässig, so daß das Gesetz als denkbare Adressaten solcher Mängelrügen zu Recht ausschließlich exekutivische Stellen und nicht auch parlamentarische Organe (Präsidium; Ältestenrat) erwähnt. Dem Beauftragten bleibt hiernach im Verhältnis zum Bundestag nur die Möglichkeit, fonnlos auf datenschutzrechtliche Konfliktlagen hinzuweisen und Beratung anzubieten85 • Um die fiir solche Hilfsdienste erforderlichen Infonnationen zu bekommen, ist er in jedem Falle auf die Mitwirkungsbereitschaft der Volksvertreter angewiesen. Auch bei politischen Aktivitäten außerhalb des offiziellen Sitzungsbetriebs sind die Abgeordneten nicht verpflichtet, Kontrollen durch den Beauftragten hinzunehmen oder ihn gar von sich aus über datenbezogene Vorgänge zu infonnieren86 • Auf die Frage, ob der einzelne Mandatsträger noch als "öffentliche Stelle" im Sinne von §§ 1 II Nr. 1, 2 I BDSG anzusehen ist, kann es dabei letztlich nicht ankommen. Es wäre zumindest ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des freien Mandats (Art. 38 I 2) und des lnfonnantenschutzes (Art. 47 GG), wenn eine zentrale Kontrollbehörde generell ennächtigt würde, Auskünfte über Kontakte von Parlamen-
83 Z.B. eine paritätisch besetzte Datenschutzkommission oder einen internen Beaufuagten filr den Datenschutz, wie bei den Sozialversicherungsträgem (§ 79 SGB X i.V.m. §§ 36 f. BDSG) und bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (s. § 42 BDSG; § 18 Staatsvertrag "Deutschlandradio"; Art. 22 Bayer. RundfunkG). 84 Ein Beispielliefert die "formlose" Überprüfung von Abgeordneten auf frühere Stasi-Mitarbeit durch den Immunitätsausschuß, s. Süddeutsche Zeitung v. 7./8. 12. 1991, S. 2.
as S. etwa 10. TB des BjD, BT-Dr 11/1693, S. 14 f., betr. den Umgang mit personenbezogenen Daten im Petitionsausschuß. 86 Vgl. zum Problem der Kontrolle von Abgeordnetenpost aufgrund von G 10-Maßnahmen Dach, ZRP 1992, I ff.; Borchert, DÖV 1992, 58 ff.; hierzu nunmehr§ 2 II 3-5 G 10 (G. v. 27. 5. 1992, BGBI. I S. 997). Zur (Rechnungshof-) Kontrolle der Parlamentsfraktionen s. etwa Müller, NJW 1990, 2046 ff.; Schmidt-Bens, ZRP 1992, 281 ff.; Jekewitz, ZRP 1993, 344 (348 f.).
70
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
tariern zu Bürgern, Verbänden und Medien einzuholen oder gar die in den Abgeordnetenbüros vorhandenen Unterlagen zu inspizieren87 • Hätte der Datenschutzbeauftragte den unvermittelten Zugriff auf alle politisch brisanten Informationen, so würde ihm persönlich unvermeidbar eine politisch bedeutsame Machtposition zufallen, die mit dem im Grundgesetz verankerten parlamentarischen Regierungssystem kaum vereinbar wäre. Er allein hätte dann einen vollständigen Einblick in die vertraulichen Unterlagen und Planungen sämtlicher Akteure und Gruppierungen und könnte daher in politischen Streitfragen als überlegener "Schiedsrichter" auftreten. Nach außen hin bliebe er freilich gemäß § 23 V BDSG verpflichtet, über alle amtlich bekanntgewordenen Angelegenheiten auch nach Beendigung seines Amtsverhältnisses Verschwiegenheit zu bewahren. Das notwendige Vertrauen in die Einhaltung dieser Vorschrift dürfte sich aber auf Dauer bei einer immer größeren Anhäufung von "Herrschaftswissen" nur noch schwer aufrechterhalten lassen. Allein schon die stattliche Zahl früherer Bundes- und Landesdatenschutzbeauftragter, die aus der aktiven Politik rekrutiert wurden oder nach Beendigung ihres Kontrollauftrags politische Wahlämter bzw. Parteifunktionen übernommen haben, könnte Zweifel am dauernden Fortbestand der Neutralität des Amtes begründen und damit dessen Effektivität geflihrden88 • Insgesamt dürften somit unabhängig von den dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken auch praktische Erwägungen gegen eine originäre Kontrollzuständigkeit des Beauftragten im politischen Bereich sprechen.
111. Die Kontrollmaßnahmen als Grundrechtseingriffe
Die Inspektionen, zu denen der Datenschutzbeauftragte und seine Mitarbeiter gemäß § 24 I - IV BDSG befugt sind, gelten nach ihrer Zielrichtung eindeutig dem Datenverarbeitungsverhalten der staatlichen Exekutive. Gleichwohl stellen sie keine ausschließlich verwaltungsinternen Vorgänge dar, sondern berühren zumeist auch die persönliche Rechtsstellung einer Vielzahl von Bürgern. Daß diese faktische Außenwirkung unter Umständen zum Problem werden kann,
87 Zur kommunikationstechnischen Ausstattung der Abgeordnetenbüros s. BjD, 10. TB, BT-Dr 11/1693, S. 14. 88
Allgemein zum Problem Mann, ZParl 12 (1981), 353 ff.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
71
wurde allerdings im einschlägigen Schrifttum lange Zeit fast gänzlich übersehen89. Erst vor wenigen Jahren ist die Frage nach den externen (Grundrechts-) Kosten der Datenschutzkontrolle zu einem Thema insbesondere im Rahmen der Novellierungsdiskussion geworden90 •
I. Der Begriff des informationellen Eingriffs
Den Anstoß dazu hat offensichtlich die neuere Verfassungsrechtsprechung gegeben, die dem einzelnen das Recht zuerkennt, "grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen"91 . Nach Ansicht des BVerfG, dem sich der weit überwiegende Teil des Schrifttums angeschlossen hat, schützt das aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG abgeleitete "Recht auf informationeHe Selbstbestimmung" nicht bloß vor der erstmaligen Erhebung und Speicherung, sondern ebenso vor jeder späteren Weitergabe oder Preisgabe der personenbezogenen Daten92 • Es stellt demnach einen Grundrechtseingriff dar, wenn die bei einer staatlichen Stelle gespeicherten Informationen an einen anderen Funktionsträger weitergegeben oder ihm zur Einsichtnahme in einer Weise zugänglich gemacht werden, daß er über die persönlichen Verhältnisse einzelner Bürger Kenntnis erlangen kann93 . Genau dies trifft aber fiir das datenschutzrechtliche Kontrollverfahren nach § 24 IV 2 Nr. I BDSG zu. Daß der Bundesbeauftragte und seine Mitarbeiter dabei nicht allein den äußeren Ablauf der Datenverarbeitung in Augenschein nehmen, sondern auch einen Blick auf den unmittelbar personenbezogenen Inhalt der zu schützenden Aufzeichnungen werfen, läßt sich praktisch nicht vermeiden94. Ob der behördliche Umgang mit Daten den rechtlichen Anforde-
89 Außer Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 31, ging vor Inierafttreten des § 24 II BDSG 1990 keiner der BDSG-Kommentatoren auf dieses Problem ein. 90 Vgl. etwa Kniesei/Tegtmayer/ Vahle, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, Rn. 283; Vogelgesang, Die Verwaltung 20 (1987), 81 ff.; Similis, CR 1987,602 (612 f.); Riegel, DuD 1988, 277 (282) = ders., Datenschutz, 134 f.
91 BVerjGE 65, 1 (43); 67, 100 (142 ff.); 76, 363 (388); 77, 1 (46 f.); 78, 77 (84); NJW 1988, 3009 U.Ö.
92
S. die Nachweise in der vorigen Fn.
Vgl. den neugefaßten Begriff der "Übermittlung" von Daten in § 3 V Nr. 3 a) u. b) BDSG 1990. 93
94
Vgl. S. TB BjD, BT-Dr 9/2386, S. 6 f. (Ziff. 1.3.2); Kniesei/Tegtmayer/ Vahle, Datenschutz
72
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
rungen entspricht, kann in der Regel erst dann beurteilt werden, wenn Art und Wirkung der getroffenen Maßnahmen zumindest Stichprobenhaft anband einzelner Fälle untersucht worden sind95 • Um bereits abgeschlossene Datenübermittlungen noch nachträglich überprüfen zu können, müssen bisweilen sogar an sich fällige Lösebungen vorläufig unterbleiben oder zusätzliche Aufzeichnungen personenbezogenen Inhalts gefertigt werden (vgl. § 14 IV BDSG), die dann - wie der Bundesbeauftragte selbst festgestellt hat - "ihrerseits unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes bedenklich sein können" 96 • Je intensiver der Datenschutzbeauftragte seine gesetzliche Kontrollfunktion wahrnimmt, desto stärker partizipiert er am exekutivischen Sonderwissen. AusfUhrliehe und häufig wiederkehrende Inspektionen97 fiihren demnach unweigerlich zu einer Ansammlung personenbezogener Informationen in den Prüfungsunterlagen oder zumindest in den Köpfen der Datenschützer ein Grundrechtsrisiko, das bei allen Forderungen nach weiterem Ausbau der Kontrollen bedacht werden muß98 • Die daraus unmittelbar abzuleitende Konsequenz, daß Datenschutzkontrollen selbst als rechtfertigungsbedürftige Eingriffe zu behandeln sind99, stößt allerdings häufig auf entschiedenen Widerspruch. Nach Ansicht der Kritiker kann die Preisgabe von Daten an ein Kontrollorgan "schlechterdings kein Thema des Grundrechts auf informationeile Selbstbestimmung sein" 100, da das geschützte Rechtsgut durch diesen Vorgang gar nicht beeinträchtigt werde 101 • Der Datenbei den Sicherheitsbehörden, Rn. 283; Similis, CR 1987, 602 (612): "Eine Kontrolle, ohne bestimmte personenbezogene Daten offenzulegen..., kann es nicht geben." 95
Vgl. Similis, 612 f.
96
8. TB BjD, S. 24 (Ziff. 7.1.3.).
97
Zu deren Umfangs. Lutterbeck, DuD 1980, 3.
98
Übersehen wird dies etwa von Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 287 ff.
So Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 31; Knieselffegtmayer/Vahle, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, Rn. 283; Vogelgesang, Die Verwaltung 20 (1987), 81 ff. Vgl. auch BjD, 9. TB, BT-Dr 10/6816, S. 79. 99
100 Löwer, JURA 1985, 358 (367), zum insoweit vergleichbaren Fall der parlamentarischen Verwaltungskontrolle (Aktenvorlage an Untersuchungsausschuß); ähnlich Seibert, NJW 1984, I 00 I (1008 f.). 101 So ohne weitere Begründung Riegel, RiA 1984, 121 (127), bezogen auf die Überwachungsmaßnahmen nach dem G 10; ebenso i.E. Similis, CR 1987, 602 (613), der das fehlende Einverständnis des Betroffenen nur als "Verarbeitungssperre" und nicht als "Kontrollsperre" auffaßt. Anders offenbar der Bundesbeauftragte selbst, der in seinem 9. TB (BT-Dr 10/6816, S. 79) von einem "auch insoweit bestehenden Recht auf inforrnationelle Selbstbestimmung" spricht.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
73
schutzbeauftragte verfolge bekanntlich keine eigenen "Verarbeitungsziele" 102 oder "Verwaltungsvollzugszwecke" 103 , sondern suche lediglich die Datenverarheiter zur Einhaltung der gesetzlichen Schutzbestimmungen zu veranlassen. Wenn er in persönliche Daten Einblick nehme, so liege dies im (wohlverstandenen) Interesse der betroffenen Bürger104• Die Wahrnehmung derartiger Aufsichts- und Kontrollbefugnisse stelle jedenfalls eine Form der Verarbeitung bzw. Nutzung von Daten dar, die vom ursprünglichen Erhebungszweck vollständig gedeckt sei (vgl. nunmehr § 14 III 1 BDSG 1990)105 • Derartige Einwände verkennen jedoch den weiten Schutzbereich der informationeilen Selbstbestimmung. Das BVerfG hat diesen Teilaspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 106 gerade deshalb zu einer selbständigen Rechtsposition fortentwickelt, um die grundrechtliche Verteidigungslinie ein Stück weit in Richtung auf "abstrakte" Freiheitsgefährdungen vorzuverlegen 107 • Schon ein rechtlich ungeregelter und insoweit unkalkulierbarer (staatlicher) Umgang mit bestimmten Daten kann nämlich zu solchen Unsicherheiten und Ängsten in der Bevölkerung fUhren, daß der einzelne Bürger seine grundrechtliehen Entfaltungsmöglichkeiten nicht mehr frei und unbefangen in Anspruch zu nehmen vermag 108 • Damit derartige Gefahrenpotentiale gar nicht erst entstehen und etwaige Mißbräuche frühzeitig erkannt werden, muß das staatliche Interesse an der Gewinnung und Nutzung persönlicher Daten von vornherein lückenlos offengelegt und sachlich begründet werden. Es entspricht der generalpräventiven Zielsetzung des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung, daß jeder externe Zugriff auf personenbezogene Daten zunächst einmal - unabhängig von dem damit verfolgten Zweck - als Grundrechtsbeeinträchtigung aufgefaßt wird und daher einer gesetzlichen Legitimation bedarf. Nur durch diesen umfassenden
102
Similis, CR 1987, 602 (613).
So Löwer, JURA 1985, 358 (367), im Hinblick auf die parlamentarische Enquete. Ähnlich Herlel, DuD 1985, 193 Ziff. 5. 103
104 So vor allem Similis, CR 1987, 602 (612 f.); vgl. auch Oberhauser, in: Anhörung BDSG 1989, Anlage I, 254: "Vor dem Datenschutzbeauftragten braucht der BUrger nicht geschützt zu werden." 105 Im Regierungsentwurf zu dieser Vorschrift war noch lediglich von "Aufsichts- und Weisungsrechten" die Rede (BT-Dr 10/4737, S. 8, § 9 II 2 E-BDSG); eine ausdrUckliehe Erwähnung der externen Datenschutzkontrollen wurde filr entbehrlich gehalten (ebda., S. 38). 106
Zu den weiteren Fallgruppen Jarass, NJW 1989, 857 (858 f.).
107
Zutreffend Gallwas, NJW 1992, 2785 (2786 f.); ders., BDSG, § I Rn. 6 u. 10.
108
BVerjGE 65, I (42 f.).
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
informationsrechtlichen Gesetzesvorbehale 09 kann sichergestellt werden, daß die datenmäßige Erfassung der Persönlichkeit auf das Notwendigste beschränkt bleibt und die betroffenen Bürger jederzeit ohne unzumutbaren Aufwand feststellen können, "wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß" 110 • Das Recht auf informationeile Selbstbestimmung schützt also "generell vor staatlicher Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten" 111 und entfaltet nicht etwa erst dann unmittelbare Wirkung, wenn das Wissen über eine Person filr konkrete Verwaltungszwecke tatsächlich nutzbar gemacht wird 112 • Erlangt eine Behörde aufgrund eigener Ermittlungen oder durch Mitteilungen anderer Stellen Kenntnis von Daten, die sie filr ihre eigene Amtstätigkeit nicht oder nur in anonymisierter Form 113 verwenden kann, so ändert dieser Umstand also nichts am materiellen Eingriffscharakter der jeweiligen Maßnahme; auf den beabsichtigten Gebrauch und den daraus abzuleitenden Gefahrdungsgrad kommt es immer erst bei der weiteren Frage nach der Zulässigkeit des Eingriffs und den hierbei einzuhaltenden Sicherungsvorkehrungen an 114 • Dementsprechend hat das BVerfG auch Datenerhebungen zu statistischen, wissenschaftli-
109 Zutreffend Ga/lwas, VVDStRL 46 (1988), 311 : "Totalvorbehalt", gegen Haverkate, ebda., 248 f.; tautologisch Scherer, ebda., 311 f. : "Das Verfassungsrecht gebietet datenschutzrechtliche Regeln nur, aber überall dort, wo sie wegen der Grundrechtsrelevanz erforderlich sind ..." -Der im Anschluß an das Volkszählungsurteil vielfach unternommene Versuch, den Gesetzesvorbehalt auf die automatisch betriebene Datenverarbeitung oder vergleichbare Gefahrenpotentiale zu beschränken (zuletzt etwa Haverkate, s.o., 247 f.), ist grundrechtsdogmatisch kaum begründbar und zu Recht auch vom BVerjG (E 78, 77 [84]) zurückgewiesen worden (ebenso etwa Bu/1, in: Hohmann, Freiheitssicherung durch Datenschutz, 173 (178]). 110
BVerjGE 65, I (43).
111
BVerjGE 78, 77 (84).
So aber Schmitt G/aeser, in: Isensee/Kirchhoj, HdbStR VI, § 129 Rn. 96, der die bloße Datenerhebung "aufkeinen Fall" schon als Beeinträchtigung des informationeBen Verftlgungsrechts gelten lassen will. Auf das Volkszählungsurteil beruft er sich dabei (in Fn. 312) jedoch zu Unrecht: Anhand des Verwendungszusammenhangs prüft das Gericht nicht etwa den Eingriffscharakter der Datenerhebung, sondern nur die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Beschränkung (BVer:fGE 65, I [45]). 112
113 Zur Beachtung des informationeBen Selbstbestimmungsrechts bei Abfassung der Tätigkeitsberichte s.u., C.I.3.a. 114 S. Leisner, Staatliche Rechnungsprüfung Privater, 144. Zwischen der Bestimmung des grundrechtlichen Schutzbereichs und der Rechtfertigung von Eingriffen wird - entgegen der berechtigten Forderung in BVerjG, NJW 1992, 1875 f. -leider häufig nicht hinreichend unterschieden, s. etwa Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 25 ff., 36 f., 79 ff.; Voge/gesang, Informationelle Selbstbestimmung, 144 ff., 174 ff., 197 ff.; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhoj, HdbStR VI, § 129 Rn. 95 ff.; Ga/lwas, in: ders. u.a., BDSG, § I Rn. II f., 14.2 ff., 28.2.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
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eben und militärstrategischen Zwecken, bei denen es jeweils nicht um die Identifizierbarkeit der einzelnen Person ging, ohne Zögern als tatbestandsmäßige Beeinträchtigungen der informationeilen Freiheiten gewertet und hierauf die allgemeinen Regeln über Grundrechtseingriffe angewandt115 •
2. Insbesondere: Der kontrollbedingte Eingriff Dient die Einblicknahme in Daten ausschließlich der Verwaltungskontrolle, so muß in der Frage des Eingriffscharakters allerdings zwischen den beiden Grundformen der internen und externen Kontrolle unterschieden werden 116 • Erstere gehört untrennbar zur jeweiligen Sachentscheidungskompetenz und kann daher aus informationsrechtlicher Sicht nicht als selbständige Datenerhebung oder -Verarbeitung klassifiziert werden. Dies gilt selbst in den Fällen, in denen das behördeninterne Kontrollwesen einer fachlich spezialisierten und organisatorisch exponierten (Stabs-) Stelle übertragen worden ist. Der im Datenschutzrecht maßgebende "funktionale Stellenbegriffri 17 verlangt keineswegs, den Zugriff auf zweckgebundene Daten innerhalb der Verwaltung nur dem federfilhrenden Sachgebiet oder gar nur dem zuständigen Sachbearbeiter vorzubehalten. Viele Aufgaben der Exekutive lassen sich nur lösen, wenn sie in mehrere Bearbeitungsschritte zerlegt und auf verschiedene Verantwortungsbereiche verteilt werden. Der fiir eine solche Arbeitsteilung notwendige innerbehördliche Austausch personenbezogener Informationen stellt regelmäßig weder eine Übermittlung im Sinne der Datenschutzgesetze (arg. § 15 VI BDSG) noch einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte infonnationelle Selbstbestimmung dar 118 •
m Vgl.BVerjGE 65, I (47 ff., 69 f.); 67, !57 (172 ff.).; anders in einem ähnlichen Fall Schlink, Amtshilfe, 290 f. 116
Dazu oben, 1.1.
BVerjG, NJW 1988, 959 (961); Dammann, in: Simitis u.a., BDSG 1977, § 2 Rn. 140 ff., § 7 Rn. 10 ff.; Gallwas, BDSG, § 2 Rn. 29; Tubies, DuD 1979, 157 ff.; Sch/ink, Amtshilfe, 151 f. ; 203 m. Fn. 86; Simitis, NJW 1986, 2795 (2800) m.w.N.; Riegel, Datenschutz, 57, 77; z.T. a.A. bisher Ordemann!Schomerus, BDSG, § 7 Rn. 2; Auernhammer, BDSG, § 2 Rn. 17, § 7 Rn. 7. 117
118 Vgl. BVerjG, NJW 1988, 959 (961), wonach die Durchsetzung der Auskunftsverpflichtung bei der Volkszählung anderen Amtsträgem als den zur Erhebung eingesetzten Beamten Obertragen werden durfte. Weitere Beispiele ftlr einen zulässigen behördeninternen Informationsaustausch, insbesondere im Sozialbereich, bei Hecke/, NVwZ 1994, 224 (226 f.).
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Nicht nur die Mitarbeiter technischer Hilfseinrichtungen (Schreibbüros, Zahlstellen, Datenverarbeitungszentralen)119 dürfen daher - im Rahmen ihrer Tätigkeit - Einblick in vorhandene Dateien nehmen, sondern ebenso alle organinternen Kontrolleinheiten wie z.B. die unmittelbaren Fach- und Dienstvorgesetzten120, die zuständigen Rechtsabteilungen oder -referenten 121 sowie die mittlerweile in jeder größeren Behörde zahlreich vorhandenen "Beauftragten" z.B. fiir Haushalts- 122, Geheimschutz- 123 oder andere Querschnittsangelegenheiten124. Die ftir die Eigenkontrolle des Datenschutzes und der Datensicherung (§ 18 BDSG) verantwortlichen Funktionsträger (innerbehördliche bzw. betriebliche Datenschutzbeauftragte) 125 gehören zur seihen Kategorie: Auch sie sind ein organisatorischer oder zumindest funktioneller Bestandteil der datenverarbeitenden Stelle und können sich deshalb bei ihren Inspektionen in der Regel auf den ursprünglichen Erhebungs- bzw. Verarbeitungszweck berufeni26. Anders liegen die Dinge beim externen (Bundes- oder Landes-) Datenschutzbeauftragten. Er wird ungeachtet seiner organisatorischen Anhindung (§ 22 V BDSG) behörden- und ressortübergreifend tätig (§ 24 I 1 BDSG), ist in Ausübung seines Amtes unabhängig (§ 22 IV 2 BDSG) und besitzt über den bloßen Untersuchungsauftrag hinaus noch eine Reihe sonstiger Kompetenzen (§ 26 BDSG). Die Preisgabe grundrechtlich geschützter Daten an ein solches Organ der Fremdkontrolle stellt in jedem Falle einen Eingriffsakt dar, der nach heutigem Verständnis einer gesetzlichen Legitimation bedarfund außerdem gewissen
119
Vgl. Oebbecke, DVBI. 1987, 866 (874): "zentrale Dienste".
Oebbecke, vorige Fn.; OVG Münster, NJW 1990, 1867 f.- Besondere Anforderungen gelten allerdings filr die in Personalakten enthaltenen Daten von Behördenmitarbeitem, vgl. BVerwG, NJW 1987, 1214 f.; BAG, NJW 1988, 791 f.; OVG Münster, NWVBI. 1995, 13. 120
121 Vgl. den Hinweis in BVerjG, NJW 1988, 959 (960), auf jene innerbehördlichen Stellen, die "mit der Bearbeitung von Rechtsbehelfen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren" befaßt sind. 122
§ 9 BHO/LHO; dazu Strößenreuther, Kontrolle, 170 ff.
123
§§ 5 ff. SiRiL BReg v. 11. II. 1987, abgedruckt u.a. in RDV 1989, 264 ff.
Dazu Fuchs, Beauftragte, 167, 175; Strößenreuther, Kontrolle, 215 ff.; allgemein Becker, Öffentliche Verwaltung, 877 f. 124
125 Zu ihnen BT-Dr 7/1027, S. 27; Dammann, in: Similis u.a., BDSG 1977, § 15 Rn. 2; Schweinoch, in: Gallwas u.a., BDSG, § 15 Rn. 11 ff.; Auernhammer, BDSG, § 15 Rn. 2; Ordemannl Schomerus, § 15 Anm. 2; ausf. Strößenreuther, Kontrolle, 216 ff. 126 Auch filr sie gelten allerdings Beschränkungen im besonders sensiblen Bereich der Personalakten, s. Bayer. LjD, 15. TB, S. 74.; vgl. auch OVG Münster, NWVBI. 1995, 13 (zur Gleichstellungsbeauftragten).
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
77
Verfahrensbindungen unterliegt 127 • Gerade für die Datenschutzkontrolle mag diese Feststellung zwar auf den ersten Blick widersinnig erscheinen. Sie wird jedoch plausibler, wenn man sich zum Vergleich die anderen Formen organübergreifender Verwaltungskontrollen vor Augen hält. Auch dort wird nämlich mittlerweile ganz überwiegend von Grundrechtseingriffen gesprochen, falls es zu einer kontrollbedingten Offenlegung oder Übermittlung von personenbezogenen Daten kommt, so beispielsweise an einen parlamentarischen Untersuchungs_128 oder Petitionsausschuß 129, an einen einzelnen Parlamentsabgeordneten 130 oder an den unabhängigen Rechnungshofm.
3. Der informationeile Gesetzesvorbehalt
Bei den eben angefilhrten parlamentarischen Kontrollen liegt die Besonderheit darin, daß sich der Anspruch auf Einsicht in die exekutivischen Datenbestände zumindest indirekt aus der Verfassung ergibt 132 • Das der Volksvertretung und ihren Unterorganen zustehende Recht auf umfassende Information und der vornehmlich in Art. 2 I i.V.m. 1 I GG verankerte grundrechtliche
127 So muß etwa den Betroffenen - entgegen den Austubrungen Haverkates, AöR 107 (1982), 539 ff., zur vergleichbaren Frage bei Rechnungshofkontrollen -grundsätzlich das rechtliche Gehör gewährt werden, wobei allerdings eine Reihe gegenläufiger Gesichtspunkte (notwendiger Überraschungseffekt, Massencharakter und Praktikabilität der Kontrollen) Einschränkungen zulassen (s. allg. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 151 ff.). Die Anwendung des VwVfG dürfte dagegen an der Spezialität des datenschutzrechtlichen Prüfungsverfahrens scheitern (vgl. auch Stackmann, BayVBI. 1993, 363 [365 f.] m.w.N.). 128 BVeifGE 67, 100 (142 ff.); 77, I (46 ff.); vgl. auch HambVerjGH, DÖV 1989, 119 (120 f.), wonach in der Vorlage von Unterlagen aus einer Telefonüberwachung an einen Untersuchungsausschuß ein neuer Eingriff in das Fernmeldegeheimnis liegt. 129 10. TB des BjD, BT-Dr 11/1693, S. 29; OVG Münster, NJW 1988, 2496 (2497); Würtenberger, in: BK, Art. 45c Rn. 88 a.E.; Hablitzel, BayVBI. 1986, 97 (103).
uo Dazu 6. TB d. BjD, BT-Dr 10/877, S. 20 (schriftliche Anfrage eines MdB); Weis, DVBI. 1988,268 (272); allg. Magiera, in: Schneider/Zeh, ParlamentsRund Parlamentspraxis, § 52 Rn.72. 131 OVG Lüneburg, NJW 1984, 2652 (2653); BVerwG, NJW 1989, 2961 (2962); BAG, RDV 1988, 197 (198); Leisner, Staatliche Rechnungsprüfung Privater, 128 f., 144; vgl. auch 10. TB d. BJD, BT-Dr 11/1693, S. 61.
132 So ftlr parlamentarische Einzelanfragen BVeifGE 57, I (5); ftlr UntersuchungsausschUsse und den Petitionsausschuß BVeifGE 67, 100 (127 ff.); filr letzteren auch Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, 59 ff. m.w.N.; offengelassen insoweit von OVG Münster, NJW 1988, 2496 (2497); ablehnend besonders nach bayerischem Verfassungsrecht Hablitzel, BayVBI. 1986, 97 (99 ff.); näher zum Ganzen unten, C.l.4.b.
78
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Datenschutz "stehen sich... auf der Ebene des Verfassungsrechts gegenüber und müssen im konkreten Fall einander so zugeordnet werden, daß beide so weit wie möglich ihre Wirkungen entfalten" 133 • Von einer solchen "immanenten", d.h. aus dem Prinzip der Einheit der Verfassung folgenden Begrenzung der informationeilen Selbstbestimmung kann hingegen bei der Kontrolle durch den unabhängigen Datenschutzbeauftragten keine Rede sein. Seine Ermittlungen beruhen nicht auf einer grundgesetzlichen, sondern nur auf einer einfachgesetzlichen Untersuchungskompetenz, woran sich nicht einmal dann etwas ändern würde, wenn man ihn fiir eine grundrechtlich gebotene Institution hielte 134 • Soweit er öffentliche Gewalt ausübt, ist der Beauftragte wie jedes andere Rechtsschutz- oder Kontrollorgan in vollem Umfang an die Grundrechte gebunden (Art. I III GG) 135 • Greift er in die informationeilen Freiheitsrechte des Bürgers ein, so müssen dafiir dieselben formellen und materiellen Anforderungen erfiillt sein wie in anderen Bereichen staatlichen Handelns. Auch bei ihm bedarf es also fiir jeden Zugriff auf personenbezogene Daten "einer (verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und fiir den Bürger erkennbar ergeben" 136• Die Berufung auf allgemeine Amtshilfegrundsätze reicht dafiir heute allein nicht mehr aus; notwendig ist vielmehr eine funktions- und aufgabenbezogene ("bereichsspezifische") Regelung des Datentransfers 137 • Eine solche Eingriffsermächtigung kann weder in der allgemeinen Aufgabenbeschreibung des § 24 I BDSG gesehen werden 138 noch in dem an alle öffent-
133 BVerjGE 67, 100 (143 f.); 77, I (47); vgl. auch OVG Münster, NJW 1988, 2496 (2497); zur verfassungsrechtlich notwendigen Rechnungsprüfung BVer~, NJW 1989,2961 (2962); allg. eher fllr einen Vorrang der Grundrechte Stern, StaatsR 11111, 1288 ff. 134 Vgl. Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151 (169); Grimm, NVwZ 1985, 865 (869); unzutreffend Vage/gesang, VA 78 (1987), 81 (85 f.). • Ausftlhrlich zur Frage einer Verfassungsgarantie der Datenschutzkontrolle unten, Dritter Abschnitt, C.
"' Sehr ums!)!ndlich begrUndet von Vage/gesang, vorige Fn., 84 ff. 136
BVerjGE 65, I (44).
Hierzu allgemein BVerjGE 65, I (46);BayVerjGH, NJW 1986,915 (916); Similis, NJW 1986, 2795 (2798 ff.). - Streitig ist heute im Grunde nur noch, wie weit oder wie eng die gesetzliche Aufgabenbeschreibung ausfallen darf bzw. muß; s. die Extrempositionen von Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 184 f., einerseits(" Sicherheit" als Verarbeitungszweck), und von Similis, NJW 1984, 398 (400) andererseits (Ablehnung aller Generalklauseln); vermittelnd Bryde, VVDStRL 46 (1988), 181 (204 ff.); Kramer, NJW 1992, 2732 (2736 ff.). 137
138
Zur informationsrechtlichen Trennung zwischen Aufgabe und Befugnis vgl. etwa Knemeyer,
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
79
liehen Stellen des Bundes gerichteten Gebot, die Kontrollinstanz "bei der Erfilllung ihrer Aufgaben zu unterstützen" (§ 24 IV 1 BDSG). Das BVerwG hat zwar vor einiger Zeit eine ähnlich lautende Vorschrift, nämlich die in § 1 VerfSchG a.F. niedergelegte Verpflichtung von Bund und Ländern zur Zusammenarbeit und zu "gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung" in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes, als Ermächtigungsnorm für informationeile Eingriffe genügen lassen 139• Diese vielkritisierte Entscheidung betraf jedoch den besonderen Fall der Datenübermittlung zwischen (Landes-) Behörden mit zwar verschiedener örtlicher und verhandlicher, aber gleicher sachlicher Zuständigkeit. Hier reicht, wie vor allem Schlink nachgewiesen hat, eine unspezifische ("querschnittsgesetzliche") Grundlage für den Informationsaustausch regelmäßig aus, da keine der beteiligten Stellen neue Eingriffsmöglichkeiten hinzugewinne40. Anders sieht sieht die Lage dann aus, wenn durch den Datentransfer die Grenzen (auch) der sachlichen Zuständigkeit überwunden werden sollen. Da der Empfängerbehörde hierbei mittelbar jene Datenerhebungsbefugnisse zugute kommen, die ursprünglich allein auf den Aufgabenkreis der übermittelnden Stelle zugeschnitten waren, fordert der informationshilferechtliche Gesetzesvorbehalt in solchen Fällen eine arn einzelnen Verwendungszweck ausgerichtete (spezialgesetzliche) Weitergabeermächtigung 141 . Das bloße Kooperationsgebot des § 24 IV 1 BDSG wird dieser Anforderung keinesfalls gerecht. Es stellt nicht einzelne, genau bezeichnete Befugnisse der einen Behörde in den Dienst bestimmter Aufgaben einer anderen, sondern wiederholt - wenn auch weniger
NVwZ 1988, 193 (194 f.). 139
BVerwGE 69, 53 (63) - Fall Narr -.
Schlink, Amtshilfe, 152, 202; ders., NVwZ 1986, 249 (251, 254 f.); i.E. ebenso Barbey, in: FS Jurist. Gesellschaft zu Berlin, 25 (43 f.); nach anderer Auffassung (z.B. Bryde, VVDStRL 46 [1988], 181 [204 ff.]) soll es weniger auf die formelle Zuständigkeit als auf die materielle Aufgabenstellung ankommen; vgl. nunmehr auch§ 15 I i.V. m. § 14 I BDSG.- Daߧ I VerfSchG a.F. lediglich örtliche bzw. bundesstaatliche Zuständigkeitsgrenzen überwand und daher keinen detaillierteren Inhalt als die allgemeinen Amtshilferegeln zu haben brauchte, wurde sowohl vom BVerwG (E 69, 53 [60 f.]) als auch von seinen Kritikern übersehen (z.B. Bäum/er, DÖV 1984, 513 [514 f.]; Simitis/Wellbrock, NJW 1984, 1591 [1592]; Bu/1, JZ 1984, 740 f.; vgl. aber Vage/gesang, Informationelle Selbstbestimmung, 223 ff.). 140
141 Schlink, Amtshilfe, 149 ff., 202, 243; zustimmend Knemeyer, NVwZ 1988, 193 (196); ähnlich Barbey (vorige Fn.), 25 (42 f.); Kopp, VwVfG, § 5 Rn. 14 a.E., 16; vgl. nunmehr auch § 15 I i.V.m. § 14 II Nr. 1 BDSG.
80
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
deutlich als einige Vorschriften ähnlichen Inhalts 142 - im Grunde nur den allgemeinen Verfassungs- und Verfahrensgrundsatz der Amtshilfe, der nach heute einhelliger Auffassung keine informationsrechtliche Eingriffsgrundlage abgibe43. Für den Datenschutzbeauftragten bedeutet dies aber noch nicht, daß seine Inspektionen gesetzlich nicht ausreichend legitimiert wären. Seine Befugnis zu kontrollbedingten Eingriffen in die informationeHe Selbstbestimmung ergibt sich nämlich aus der im Anschluß an das allgemeine Unterstützungsgebot normierten Verpflichtung der datenverarbeitenden Stellen, ihm und seinen Beauftragten "Einsicht in alle Unterlagen und Akten... zu gewähren, die im Zusammenhang mit der Kontrolle... stehen"(§ 24 IV 2 Nr. I BDSG) 144. Auch diese Bestimmung bezieht sich zwar, wie die nachfolgende Nr. 2 (Betretungsrecht) verdeutlicht, in erster Linie auf das organisationsrechtliche Innenverhältnis zwischen dem Bundesbeauftragten und den von ihm kontrollierten Stellen 145. Das hindert aber nicht daran, ihr zugleich informationsrechtliche Außenwirkung beizumessen. Die für Eingriffsgesetze besonders wichtigen Gebote der Klarheit und Bestimmtheit der Norm dürften dieser Auslegung nicht entgegenstehen. Die Verfassung verlangt vom Gesetzgeber nicht den Nachweis optimaler Normenklarheit146, sondern läßt es - auch beim Umgang mit personenbezogenen Da-
142 Z.B. § 20 BDO, § 19 IV WehrpflG, § 135 FlurbG; dazu näher Schlink, Amtshilfe, 213 f. m. Fn. 36. 143 Vgl. Schlink, Amtshilfe, 214 Fn. 38, 225 ff., mit näherer Begründung dazu, daß in der Hilfeleistungaufgrund solcher Bestimmungen keine Erfilllung "eigener Aufgaben" i.S.d. § 4 II Nr. 2 VwVfD liegt. Dasselbe dUrfte - entgegen Flanderka, Bundesbeaufuagter, 44 - ftlr die Unterstützungspflicht nach § 24 IV 1 BDSG gelten, die allerdings Ober den klassischen Rahmen der Amtshilfe hinausginge, wenn sie entsprechend der Oberwiegenden Kommentarliteratur (z.B. Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 24 Rn. 37; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 29; a.A. offenbar Schweinoch, in: GaUwas u.a., BDSG, § 19 Rn. 16) auch ohne besonderes Ersuchen (dazu Schlink, s.o., 158 ff., 221 ff.) aktuell werden könnte. 144 Ebenso Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 31 ; 5. TB d. BJD, BT-Dr 9/2386, S. 23 f., 114; grundsätzlich auch Vogelgesang, VA 78 (1987), 81 (82 f.); Begründung BDSG-E, BT-Dr 11/ 4306, S. 44; anders jedoch Kniese/ffegtmayer/Vahle, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, Rn. 283, die filr den Beaufuagten nicht einmal eine generalklauselartige Eingriffsermächtigung erkennen können. Zur ähnlichen Vorschrift des § 95 BHOILHO s. OVG Lüneburg, NJW 1984, 2652 (2654); BVerwG, NJW 1989, 2961 (2962); BAG, RDV 1988, 197 (198). 145 Nur in diesem Sinne wird die Vorschrift von allen BDSG-Kommentatoren mit Ausnahme Schwans (vorige Fn.) verstanden. 146
Zutreffend Schenke, NJW 1987, 2777 (2779); Kramer, NJW 1992, 2732 (2736).
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ten - durchaus genügen, wenn sich der Zweck einer Regelung erst "aus dem Zusammenhang ergibt, in dem der Text des Gesetzes zu dem zu regelnden Lebensbereich steht" 147 • Eine ausdrückliche Klarstellung des Eingriffscharakters von § 24 IV 2 Nr. I BDSG war hiernach, auch wenn sie das Verständnis der Vorschrift wesentlich erleichtert hätte, nicht unbedingt geboten. Aus dem Zusammenhang der getroffenen Bestimmungen geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, daß der Gesetzgeber eine ungehinderte, umfassende und wirksame Datenschutzkontrolle ermöglichen wollte 148 • Die dem Beauftragten dazu eingeräumten Inspektionsrechte wären in der Praxis nur von geringem Wert, wenn zwar die datenverarbeitenden Stellen die Einsichtnahme dulden müßten, nicht jedoch die davon unvermeidlich mitbetroffenen Bürger. Die Verpflichtung der Verwaltung zur Offenlegung ihrer gespeicherten Daten mußte daher, um überhaupt wirksam werden zu können, notwendigerweise an eine drittgerichtete Eingriffsermächtigung gekoppelt werden 149 •
4. Die notwendige Regelungsdichte
Als Befugnisnorm betrachtet, scheint § 24 IV 2 Nr. I BDSG freilich der allgemeinen Forderung nach bereichsspezifischen Eingriffsgrundlagen nicht gerecht zu werden, da die Vorschrift sich auf personenbezogene Informationen verschiedenster Art bezieht (Personal-, Steuer-, Sozial-, Patientendaten etc.) und diese allesamt gleichbehandelt Vor allem während der Novellierungsdiskussion vor Erlaß des BDSG I990 haben einige Autoren darin einen gravierenden Mangel der gesetzlichen Kontrollermächtigung gesehen und angesichts der unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit eine Abstufung der Einsichtsbefugnisse filr verfassungsrechtlich unabdingbar erklärt. Hinter diesen Einwänden gegen
147 BVerfGE 65, I (54); NJW 1991, 1246 (1247). - Nach einer Kammerentscheidung des Zweiten Senats des BVerjG (DVBI. 1988, 530 f., m. krit. Anm. Kutscha) soll sogar die allgemeine beamtenrechtliche Unterstützungspflicht (§ 55 BBG) als gesetzliche Grundlage filr die Datenerhebung genügen. 148 Das gegenteilige Fazit von Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 58, wonach "die Gestaltung des neuen Amtes absichtsvoll dessen Wirkungslosigkeit zur Folge haben sollte", entspringt einer einseitig verzerrten Betrachtungsweise. Vgl. auch Schuppert, Verselbstllndigte Verwaltungseinheiten, 228m. Fn. 165. 149 Ebenso zur Rechnungshofkontrolle (§ 95 BHOILHO): O VG Lüneburg, NJW 1984, 2652 (2654); BVerwG, NJW 1989,2961 (2962). - Das BVerjG (NJW 1992, 1875 [1877]) läßt allerdings Eingriffe nach Art. I 0 II GG nicht zu, wenn sich die dafilr notwendige Ermächtigung nur indirekt aus einer Datenschutzbestimmung ableiten läßt (§ 30 II 4 PostVerfD).
6 Zöllner
82
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
ein einheitliches Datenschutzkontrollrecht werden bei genauerem Hinsehen zwei ganz gegensätzliche Motive sichtbar. Während die eine Seite mit ihrer Kritik erreichen will, daß in den grundrechtlich besonders sensiblen Bereichen die Informations- und Beteiligungsrechte des Datenschutzbeauftragten über das sonst übliche Maß hinaus erweitert und gesetzlich konkretisiert werden 150, geht es der anderen darum, bestimmte Datenbestände wegen ihres höchstpersönlichen Bezugs dem uneingeschränkten Zugriff der Kontrollbehörde zu entziehen 151 • Beide Seiten verweisen dabei auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, beide allerdings zu Unrecht. Im allgemeinen ergibt sich die Notwendigkeit bereichsspezifischer Vorschriften aus der Überlegung, daß es im heutigen Rechtsstaat Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers sein muß, die "verhältnismäßige Zuordnung" von staatlichen Aufgaben einerseits und hoheitlichen Befugnissen andererseits vorzunehmen152. Die Abwägung zwischen der Schwere eines Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe darf nicht durch allzu abstrakte Regelungen im vollen Umfang auf die zuständige Verwaltungsbehörde abgeschoben werden 153 • Dieser Gedanke hat indes für die vorliegende Fallkonstellation ausnahmsweise keine praktische Bedeutung. Informationelle Eingriffe aufgrund von Datenschutzkontrollen weisen die Besonderheit auf, daß sie sich in der Regel gegen dasselbe Rechtsgut richten, das mittels der Kontrolle vor einer (anderweitigen) Beeinträchtigung durch die datenverarbeitende Verwaltung geschützt werden soll 154 • Die Verhältnismäßigkeitsprüfung muß deshalb - zumindest aus der generalisierenden Sicht des
150 BjD, 7. TB, BT-Dr 10/2777, S. 91; Hauck-Scholz, NJW 1987, 2769 (2776): "bereichsspezifische... Eingriffsbefugnisse der Datenschutzbeaufuagten". Auch Scholz!Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 149, fordern filr die Volkszählung "sondergesetzliche" Kontrollkompetenzen; ähnlich Tinnefeld, CR 1989,43 (48), ftlr die Forschung; vgl. allgemein Similis, NJW 1989, 21, der den Kontrollbestimmungen in den allgemeinen Datenschutzgesetzen offenbar nur noch eine Auffangfunktion zugesteht. 151 Vor allem Vogelgesang, VA 78 (1987), 81 (86 ff.), ftlr Personaldaten; KnieseVTegtmayer/ Vahle, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, Rn. 283, ftlr polizeilich gespeicherte Daten; Bundesrat, BT-Dr 10/5343, S. 81, ftlrSteuerdaten;Bundesregierung, BT-Dr 10/1719, S. 34, sowie Badura, in: BT-Anhörung BDSG 1986, S. 151 f., jeweils ftlr Daten aus dem Post- und Femmeldebereich. 152
Vgl. Schlink, Amtshilfe, 105 ff., 143 f., 250m. Fn. 156.
m Haverkate, VVDStRL 46 (1988), 217 (250). 154 Für umfassender angelegte Rechtskontrollen und auch ftlr Rechnungshofkontrollen triffi diese Feststellung nicht zu.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
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Gesetzgebersiss - immer wieder zur seihen Abwägungsrelation und damit zum seihen Abwägungsergebnis fUhren, mag auch die Schutzbedürftigkeit der betreffenden Datenbestände höchst unterschiedlich sein. Handelt es sich bei dem Objekt der Einsichtnahme z.B. um Angaben mit ausgesprochen geringem Persönlichkeitsbezug ("Trivialdaten"), deren etwaiger Mißbrauch die Betroffenen in der Regel wenig belasten würde, dann ergibt sich daraus zwar nur eine schwache Legitimation ftir entsprechende Kontrolleingriffe; diese wiegen aber ihrerseits nur sehr leicht und halten sich daher im angemessenen Rahmen. Für die empfindlicheren Bereiche der Datenverarbeitung gilt mit umgekehrtem Vorzeichen die gleiche Überlegung: Wo es erkennbar um die Verhinderung schwerwiegender Grundrechtsverletzungen geht, da rechtfertigt dieser Zweck auch vergleichsweise gravierende Beschränkungen der informationeilen Selbstbestimmung, wie sie eine gezielte Prüfung in derartigen Fällen mit sich bringen kann. Der sachliche Nutzen der datenschutzrechtlichen Kontrolle und die Intensität der durch sie bewirkten Eingriffe stehen also schon "von Natur aus" in unmittelbarer Korrelation. Der Gesetzgeber braucht deshalb die Einsichtsbefugnisse des Beauftragten nicht in jedem Kontrollbereich gesondert auf das spezifische Gewicht der wahrzunehmenden Aufgaben abzustimmen, sondern kann sich, wie in § 24 IV 2 Nr. I BDSG geschehen, mit einer globalen Kompetenzbestimmung begnügen. Für die Diskussion über den gebotenen bzw. zulässigen Umfang der Datenschutzkontrolle lassen sich daraus einige wichtige Schlußfolgerungen ziehen. So muß auf der einen Seite die oben 1s6 angesprochene Vorstellung zurückgewiesen werden, die besondere "Sensibilität" bestimmter Daten oder der "hohe Rang" der betroffenen Persönlichkeitsrechte seien bereits ftlr sich genommen ein zwingender Grund, um dem Datenschutzbeauftragten auf einzelnen Gebieten zusätzliche Kontrollkompetenzen und Kontrollkapazitäten zu gewähren. Solche Forderungen nach einer insgesamt höheren Kontrolleffizienz sind oft Ausdruck einer maximalistisch-eindimensionalen Betrachtungsweise; sie verdrängen die grundlegende Einsicht, daß jede Intensivierung der Kontrollen durch eine entsprechende Vermehrung der kontrollbedingten Grundrechtseingriffe erkauft werden muß lS7.
155
Zur Einzelfallbetrachtung s. nachfolgend 5.
156
S.o., Fn. 150.
m Zu den möglichen Grenzen einer vor allem quantitativen Kontrollausweitung s.u., Dritter Abschnitt, C.V.4.c)aa).
84
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Auf der anderen Seite bedeutet dieser Zusammenhang jedoch nicht, daß fiir die Datenschutzkontrolle eine abstrakte Obergrenze festgelegt werden könnte oder gar müßte, wie es diejenigen Autoren annehmen, die dem Beauftragten als Kontrollbarriere z.B. das (grund-) gesetzlich "besonders geschützte" Personalakten-, Steuer-, Arzt- oder Fernmeldegeheimnis entgegenhalten wollen 158 • Hierbei wird übersehen, daß das Eindringen in solche Tätigkeitsbereiche der Verwaltung, in denen mit besonders schützenswerten Daten umgegangen wird, durch das gerade dort bestehende Bedürfuis nach einer wirksamen Kontrolle in vollem Umfang gerechtfertigt sein kann. Da die als lex specialis anzusehende Einsichtnahmebefugnis nach § 24 IV 2 Nr. 1 BDSG ausnahmslos alle mit der Datenverarbeitung zusammenhängenden Unterlagen und Akten erfaßt, bedarf es fiir die damit notwendigerweise verbundene Durchbrechung der sog. besonderen Amtsgeheimnisse und der Berufsgeheimnisse keiner zusätzlichen Ermächtigung159• Die 1990 eingefügte Bestimmung des § 24 II 1 BDSG hat somit, wie auch aus den Gesetzesmaterialien hervorgeht, lediglich deklaratorische Bedeutung 160• Nur die kontrollbedingten Eingriffe in das grundrechtlich besonders geschützte Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) mußten im Gesetz ausdrücklich genannt und in ihrem Umfang begrenzt werden (§ 24 II 2 u. 3 BDSG), da insoweit das Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG giltl 61 und zudem Rechte unbeteiligter Dritter berührt sein können 162 •
158
S.o., Fn. 151.
Vgl. BjD, 5. TB, BT-Dr 9/2386, S. 23 f.; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 33, zu § 19 III 2 Nr. I BDSG 1977. 159
160 S. BT-Dr 11/4306, S. 48 (zu§ 22 II BDSG-E). -Unter der Geltung des BDSG 1977 hielten einige Behörden und Autoren die Datenschutzkontrollen ftlr unzulässig, soweit spezielle Amts- oder Berufsgeheimnisse bestanden, vgl. Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 5 m. Fn. 13; dagegen mit Recht Similis, NJW 1984, 398 (403); Dammann, in: Similis u.a., BDSG 1977, § 19 Rn. 43 m.w.N.; Flanderka, Bundesbeauftragter, 45.
161
So auch BjD, 3. TB, BT-Dr 9/93, S.30, 47 ff.; 5. TB, BT-Dr 9/2386, S. 32, 114.
Zu den hier geltenden Anforderungen BVerjG, NJW 1992, 1875 (1877); vgl. auch unten, Dritter Abschnitt, C. IV I . 162
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
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5. Die Beachtung entgegenstehender Willensäußerungen Aus den soeben genannten Gründen besteht auch keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Kontrollmaßnahmen vom Einverständnis der Betroffenen abhängig zu machen bzw. im Falle eines Widerspruchs von der individuellen Überprüfung abzusehen, wie es im Anschluß an vereinzelt erhobene Forderungen163 die neu ins Gesetz aufgenommene Vorschrift des § 24 II 4 Nr. 2 BDSG ftlr bestimmte Verwaltungszweige (Post, Gesundheitswesen, Personalverwaltung) verlangt164. Zwingend geboten - dann allerdings auch filr andere Bereiche wie etwa die Finanz- und Sozialverwaltung - wäre eine solche Regelung nur, wenn die Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten ausschließlich im privaten Interesse der betroffenen Personen erfolgte. Gerade dies ist jedoch nicht der Fall. Im Unterschied zu den gerichtlichen Kontrollen, die ein individuelles Rechtsschutzbegehren voraussetzen, finden Datenschutzkontrollen grundsätzlich165 von Amts wegen statt. Bei ihnen geht es nicht so sehr um die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit als vielmehr um die flächendeckende Anwendung der geltenden Datenschutzvorschriften 166, aus der allein das notwendige Vertrauen der Bürger in die datenverarbeitende Exekutive erwachsen kann167. Gemessen an dem damit verfolgten besonderen öffentlichen Interesse168 erscheinen die mit der Kontrolle verbundenen Erschwernisse für den einzelnen als weniger gewichtig. Von dem Kontrollorgan gehen aufgrund seiner meist nur punktuellen Einblicke und der sachlich begrenzten Aufgabenstellung nur geringe Mißbrauchsgefahren aus 169. Daß aufgrund der datenschutzrechtlichen In-
163
S. Vage/gesang, VA78 (1987), 81 (86 ff.).
Ob nach dem Willen des Gesetzgebers schon der Widerspruch einzelner Betroffener genügen sollte, um je nach den Umständen bei einer ganzen Datei (mit vielen weiteren Betroffenen) jede systematische bzw. verfahrensbezogene Kontrolle auszuschließen, darf freilich bezweifelt werden (verneinend Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 24 Rn. 28 f.; s. auch zum Entwurf BjD, 9. TB, BT-Dr 10/6816, S. 79). 164
165
Zu den privaten Kontrollersuchen nach § 21 BDSG s.u., B.
Similis, CR 1987, 602 (612); vgl. allgemein zu diesem Kontrolltypus Krebs, Kontrolle, 170 ff., 203 ff. 166
167 Zum Grundvertrauen in die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandeins als Voraussetzung fllr den effektiven Einsatz staatlicher lnfonnationsbefugnisse BVer.fGE 65, I (49 ff.). 168
Dazu auch Similis, CR 1987, 602 (612 f.); Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 8, II.
169
Ähnlich filr die Rechnungshofkontrolle BVerwG, NJW 1989, 2961 (2962).
86
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
spektionen die Gesamtzahl der über einen persönlichen Sachverhalt informierten Amtsträger wächst, stellt zwar filr sich allein schon eine rechtserhebliche Belastung dar170, kann aber unter diesen Umständen dem Betroffenen in der Regel zugemutet werden. Dem Bundesgesetzgeber steht es daher jederzeit frei, die in § 24 II 4 Nr. 2 BDSG normierte generelle Widerspruchslösung wieder fallenzulassen 171 , zumal an deren Praktikabilitätangesichts des nicht unerheblichen Mehraufwands 172 und der fehlenden Sanktionierung 173 ernsthafte Zweifel bestehen. Daß die neuen Bestimmungen des § 24 II BDSG aufgrund der pauschalen Verweisung in Absatz 6 auch filr die Datenschutzbeauftragten der Länder gelten sollen 114, hat von deren Seite zu einigen Protesten gefilhrt115 , die aus Sicht der Verfassung in einem bestimmten Umfang berechtigt sind. Zu kurz greift in diesem Zusammenhang allerdings der Einwand, dem Bund fehle es gegenüber Landesbehörden, die ausschließlich Landesrecht ausfilhrten, an der erforderlichen Gesetzgebungszuständigkeit filr solche Datenschutzregelungen, die Organisations- oder verfahrensrechtlicher Art seien (Art. 83 ff. GGY 76 • Nachdem § 24 II BDSG die Kontrolluntersuchungen gerade nicht unter dem Aspekt der Interorganbeziehungen und damit als Verwaltungsinterna behandelt, sondern als (mögliche) Eingriffe in die informationeHe Sphäre des Einzelnen, kann es
170 Vgl. auch BVerwGE 75, 17 ff., zur Beschränkung des mit Personalakten befaßten Personenkreises. 171 Zu weitgehend Similis, CR 1987, 602 (613); ders., BDSG, § I Rn. 58, der das Widerspruchsrecht ftlr verfassungswidrig hält; krit. auch 9. TB d. BjD, BT-Dr 10/6816, S. 79; Riegel, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, 2. Aufl., 175.
112 Vgl. BT-Dr 11/4306, S. 48. Den Betroffenen muß danach nur allgemein und nicht gesondert vor jeder Kontrolle die Gelegenheit zum Widerspruch gegeben werden; übertrieben daher die Beftlrchtungen von Similis, CR 1987, 602 (613). 173 Weisen die kontrollierten Stellen auf das Widerspruchsrecht nicht in der gebotenen Weise hin, so steht dies der Zulässigkeil von datenschutzrechtlichen Kontrollen nicht entgegen (§ 24 II 4 Nr. 2 S. 2 BDSG: "unbeschadet"; vgl. Dammann, in: Similis u.a. , BDSG, § 24 Rn. 30 f.). 174 Der im RegE zu Abs. 6 enthaltene Zusatz, es müsse sich um die Kontrolle der Anwendung oder Ausftlhrung von Bundesrecht handeln, wurde auf Anregung des Bundesrats gestrichen, um auch bei der Kontrolle von Landesrecht die bundesrechtlichen Amtsgeheimnisse als Kontrollhindernisse auszuschalten, s. Auernhammer, BDSG 1990, § 24 Rn. 19 ff. 175 S. die Gemeinsame Erklärung der Datenschutzbeauftragten v. 3.6.1991, abgedr. in: Similis u.a, BDSG, Anh. Dok. F; wiedergegeben auch in FAZ v. 5.6.1991 ; weitere Nachw. bei Similis, s.o., § 1 Rn. 58. 176 So aber Similis, in: ders. u.a., BDSG, § 1 Rn. 58 m.w.N.; vgl. auch Dammann, ebda., § 24 Rn. 32.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
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insoweit auch im Bund-Länder-Verhältnis nur auf die Frage der materiellen Regelungskompetenz ankommen (Art. 70 ff. GG) 171 • Allgemein muß dabei der Grundsatz gelten, daß der (Bundes- oder Landes-) Gesetzgeber jeweils "seinen" Beauftragten nur zur Durchbrechung solcher Amts- oder Berufsgeheimnisse ermächtigen darf, die er selbst statuiert hat oder hätte statuieren können. Auch § 24 II 1, VI BDSG betrifft demzufolge nicht sämtliche, sondern nur die bundesgesetzlich geregelten oder regelbaren besonderen Verschwiegenheitspflichten. Zu ihnen gehört das auf Art. 73 Nr. 7 GG beruhende und ganz speziell an die Beschäftigten im Post- und öffentlichen Fernmeldedienst gerichtete Gebot zur Wahrung des Post-, Fernsprech- und Telegraphengeheimnisses (§§ 5 PostG, 10 F AG). Nicht ihm ist jedoch in § 24 II 4 Nr. 2 a, VI BDSG der prinzipielle Vorrang gegenüber dem Kontrollbegehren der Landesdatenschutzbeauftragten eingeräumt worden, sondern dem für alle staatlichen Stellen geltenden Postund Fernmeldegeheimnis als Grundrecht (Art. 10 GG). Da in dessen Schutzbereich nach heute einhelliger Auffassung auch durch Landesgesetze (z.B. Polizeigesetze) eingegriffen werden da.rf 78, fehlt dem Bundesgesetzgeber die materielle Alleinzuständigkeit für eine Verarbeitungsregelung, die alle dem Grundrecht unterliegenden Daten erfaßt. § 24 II 4 Nr. 2 a, VI BDSG kann somit bei verfassungskonformer Auslegung nur für jene Daten gelten, die von der Deutschen Bundespost oder dem Setreiber einer öffentlichen Fernmeldeanlage verwaltet werden und deshalb über Art. 10 GG hinaus auch durch die einfachgesetzlich festgeschriebenen Amtsgeheimnisse nach dem PostG und dem FAG geschützt sind179 • Für die personenbezogenen Daten in Personalakten läßt sich dagegen ein Recht des Bundesgesetzgebers, bestehende Kontrollkompetenzen der Landesdatenschutzbeauftragten materiell einzuschränken(§ 24 II 4 Nr. 2 c [l. Alt.], VI BDSG), aus der in Art.75 Nr. 1 GG normierten Zuständigkeit zum Erlaß von Rahmenvorschriften über den öffentlichen Dienst ableiten. Bestätigt wird dies
177
Unzutreffend insoweit Similis, vorige Fn., Rn. 69 f.
""S. etwa v.Mangoldt/Klein, GG, Bd. I, Art. 10 Anm. VI 4 m.w.N.; Badura, in: BK, Art. 10 Rn. 45; v.Münch, GG, Bd. 1, Art. 10 Rn. 21. 179 Ohne die besondere Regelung im BDSG stunde der Wortlaut von § 10 I FAG ("vorbehaltlich... Bundesgesetz") einer Kontrolle der Landesbeaufuagten im Fernmeldebereich zwingend entgegen, während nach § 5 I PostG ("anderen Rechtsvorschriften ") ein Zurücktreten des Postgeheimnisses hinter die Landesdatenschutzgesetze möglich wäre.
88
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
durch die arn 1.1.1993 in Kraft getretenen Bestimmungen der§§ 56 III, 56d, 56f BRRG 180, die den Zugang zu den Personalakten und die Verarbeitung darin enthaltener Daten beschränken. Der Gestaltungsspielraum der Landesgesetzgeber ist hierdurch in solchem Maße eingeengt worden, daß auch den externen Kontrollinstanzen, sofern sie im BRRG nicht ausdrücklich genannt sind, kein Recht zur Einsichtnahme mehr gewährt werden kann 181 • Ohne die von vielen Datenschützern kritisierten Regelungen in § 24 II, VI BDSG hätte also auf diesem wichtigen Gebiet in Zukunft überhaupt keine Datenschutzkontrolle bei den Landesbehörden mehr stattfinden dürfen. Auf die in § 24 II 4 Nr. 2 c (2. Alt.) BDSG erwähnten Akten über die Sicherheitsüberprüfung sind diese Überlegungen nicht übertragbar. Insoweit handelt es sich nämlich um keinen Regelungsgegenstand des öffentlichen Dienstrechts (vgl. § 56 I 4 BRRG), sondern um eine sicherheits- und insbesondere verfassungsschutzrechtliche Materie, bei der der Bundesgesetzgeber länderbezogene Vorschriften nur unter dem besonderen Aspekt des föderativen Zusarnmenwirkens nach Art. 73 Nr.lO GG erlassen da:rfl 82 • Eine generelle bundesrechtliche Regelung über die Datenverarbeitungsbefugnisse der an Sicherheitsüberprüfungen beteiligten Landesbehörden wäre nicht mehr von der grundgesetzlichen Zuständigkeitsordnung gedeckt; die Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der überprüften Personen und einem etwaigen öffentlichen Interesse an den erlangten Informationen obliegt vielmehr ausschließlich dem Landesgesetzgeber183 • Nur er ist demnach auch berechtigt, die Einsichtnahme durch einen unabhängigen Datenschutzbeauftragten allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen. Die entsprechende Bestimmung in § 24 II 4 Nr. 2 c (2. Alt.), VI BDSG verletzt demzufolge die Gesetzgebungshoheit der Länder. An der legislativen Kompetenz des Bundes zur Begrenzung landesrechtlicher Kontrollen fehlt es auch bezüglich der Daten, die dem Arztgeheimnis unterliegen (§ 24 .II 4 Nr. 2 b, VI BDSG). Der positivrechtliche Anknüpfungspunkt dieser berufsbezogenen Schweigepflicht liegt nämlich gemäß Art. 70 I GG eindeutig im Landesrecht bzw. im auf landesgesetzlicher Ermächtigung beru-
180
Art. 2 des Gesetzes v. 11.6.1992, BGBI. I S. 1030.- Zum Tarifpersonal s. § 13 BAT.
Zur Zulässigkeit solcher punktueller Vollregelungen im Geltungsbereich von Art. 75 GG s. BVerjGE 43, 291 (343). 181
182
Vgl. nunmehr §§ 3 II I Nr. I u. 2, 5 I, 6 BVerfSchG.
183
S. z.B. Art. 3 II Nr. I u. 2 i.V.m. Art. 14 BayVSG.
A. Kontrolle der datenverarbeitenden Stellen
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benden Standesrecht184. Darüber hinwegsetzen darf sich der Bundesgesetzgeber nur ausnahmsweise aufgrund eigener konkurrierender Regelungszuständigkeiten185. Für eine generelle Einschränkung des Patientendatenschutzes zugunsten der Landesbeauftragten kann er sich dagegen weder auf Art. 74 Nr. I9 ( 2. Alt.) GG stützen, der bloß die Zulassung zu den Heilberufen und nicht auch deren Ausübung betriffi186, noch auf Art. 74 Nr. I (2. Alt) GG, der allein die strafrechtliche Seite der ärztlichen Schweigepflicht zum Gegenstand hat. Die geltende Widerspruchsregelung verstößt somit in wichtigen Teilen gegen die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung. Auch dort, wo keine unmittelbare Bindung an den Widerspruch eines Betroffenen nach§ 24 II 4 Nr. 2 BDSG besteht, sind bei der Auskunftserteilung bzw. Einsichtsgewährung gegenüber dem Datenschutzbeauftragten die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen. Ebenso wie bei anderen Formen der sog. Informationshilfe 187 muß auch im Rahmen von § 24 IV 2 Nr. I BDSG 188 eine zusätzliche Abwägung seitens der um Mitteilung ersuchten Stelle erfolgen189. Dieser ungeschriebene, aus dem rechtsstaatliehen Übermaßverbot abzuleitende Prüfungsvorbehalt darf freilich nicht als Handhabe dienen, um die im BDSG getroffene Grundentscheidung fiir ein umfassendes Kontrollrecht zu korrigieren. Er soll lediglich jenen außergewöhnlichen Interessen- und Konfliktlagen Rechnung tragen, die der Gesetzgeber nicht vorhersehen und demzufolge nicht (abschließend) regeln konnte 190. Nachdem die Wahrung von Staatsgeheimnissen und sonstige Sicherheitserfordemisse wegen der speziellen Regelung in § 24 IV 3 u. 4
184 Z.B. Art. 19 Nr. I bayer. KammerG v. 9.3.1978 (BayRS 2122-3-1) i.V.m. der Berufsordnung filr die Ärzte Bayerns. 185
S. etwa§ 100 SGB X (Art. 74 Nr. 12 GG); § 4 BSeuchenG (Art. 74 Nr. 19, I. Alt GG).
186
S. auch Maunz, in: ders./Dürig, GG, Art. 74 Rn. 215.
Spezial- und querschnittsgesetzliche Informationsbefugnisse stehen sich dabei gleich, s. Schlink, Amtshilfe, 243 f. 187
188
Die folgenden Überlegungen gelten entsprechend filr die Landesdatenschutzgesetze.
Die von Schlink, Amtshilfe, 245, 255 ff., angestellten Überlegungen zur Frage, wer bei der Datenweitergabe die Prüfungsverantwortung trägt, sind insoweit übertragbar. A.A. offenbar Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 31. 189
190 Vgl. OVG Münster, NJW 1988, 2496 (2497), unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Einschränkung selbst verfassungsrechtlich begründeter Aktenvorlagepflichten; Schlink, Amtshilfe, 243 ff., z. Bundespersonalausschuß (Fn. 142).
90
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
BDSG 191 keine zusätzlichen Abwägungsgesichtspunkte mehr darstellen können, wird es dabei in der Regel allein von der Schwere der persönlichen Beeinträchtigungen abhängen, ob die Informationsweitergabe an den Datenschutzbeauftragten ausnahmsweise als unverhältnismäßig anzusehen ist. Dem ausdrücklichen und ernsthaften Widerspruch des Betroffenen gegen eine verarbeitungsunabhängige Kontrolle der gespeicherten Daten kann insoweit jedenfalls Indizwirkung für ein objektiv schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse zukommen. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben darauf bislang - auch vor Erlaß der (Teil-) Regelung des § 24 II 4 Nr. 2 BDSG bereits von sich aus Rücksicht genommen und in der Regel auf Einzelfallprüfungen verzichtet, die dem erklärten Willen der betroffenen Person widersprochen hätten 192 •
B. Kommunikation mit Bürgern und Behörden (§§ 21, 26 IV, V BDSG)
Eine (meist konkludente) Einwilligung in die kontrollbedingte Dateneinsichtnahme liegt vor, wenn sich der Betroffene gemäß § 21 BDSG aus eigenem Entschluß an den Datenschutzbeauftragten gewandt hat, um Aufschluß über eine vermutete Verletzung seines informationeilen Selbstbestimmungsrechts zu erhalten. Bei einem solchen Begehren handelt es sich - ähnlich wie bei der Anrufung des Wehrbeauftragten nach § 7 WBeauftrG 193 - um eine grundrechtsgeschützte Petition im Sinne von Art. 17 GG 194 • Zwar ist der Datenschutzbeauftragte, falls er tatsächlich eine Rechtsverletzung feststellt, nicht selbst zur Abhilfe befugt (s. § 25 BDSG). Dies ist jedoch auch gar nicht das unmittelbare Ziel des Petenten. Er will lediglich einen bestimmten Sachverhalt von einer unabhängigen Stelle rechtlich überprüfen lassen und das Ergebnis mitgeteilt bekommen. Hierfür ist der Beauftragte nach der geltenden Kompetenzordnung zweifellos die "zuständige Stelle", so daß ein direkter Anwen-
191
Dazu näher unten, Dritter Abschnitt, C. IV. 2. b.
S. BjD, 10. TB, BT-Dr 10/6816, S. 79; LJD SH, DuD 1989, 302 (304); Leuze, in: BT-Anhö· rung BDSG 1989, Anlage I, 261; Einwag, ebda., 321 ; Riegel, DuD 1988, 277 (282) = ders., Datenschutz, 135. 192
193
Hierzu Oberzeugend Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, 132 f.
Zu Unrecht wird im Schrifttum von einer bloßen Ähnlichkeit zum Petitionsrecht ausgegangen, s. Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 21 Rn. 12; Schweinoch, in: GaUwas u.a., BDSG, § 21 Rn. 4; Dammann, in: Simitis u.a, BDSG, § 21 Rn. 2. 194
B. Kommunikation mit Bürgern und Behörden
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dungsfall des Art. 17 (1. Alt) GG vorliegt 195 . Das in § 21 BDSG normierte Anrufungsrecht hat also nur deklaratorischen Charakter; fiir die Beantwortung der Anfragen gelten konsequenterweise dieselben Maßstäbe wie beim Petitionsrecht196. Nicht mehr von diesem Grundrecht gedeckt ist hingegen die Einsichtnahme des Bürgers in das vom Bundesbeauftragten gefiihrte Register der automatisiert betriebenen Dateien (§ 26 V 4 BDSG). Mit der Verwaltung dieses Registers nimmt der Beauftragte eine selbständige Informationsfunktion wahr, die seiner eigenen Kontrolltätigkeit zugute kommen und vor allem auch dem Rechtsuchenden ein Stück Orientierung vermitteln soll 197 • Ob der Gesetzgeber diese administrative Hilfsaufgabe in die richtigen Hände gelegt hat, darf freilich bezweifelt werden. Je mehr Verantwortung fiir die rechtsstaatlich notwendige Transparenz der Datenverarbeitung auf die unabhängige Kontrollbehörde abgewälzt wird, desto geringer wird deren fachliche und organisatorische Distanz zu den datenverarbeitenden Stellen. Eine kontinuierliche Mitarbeit beim Vollzug der Datenschutzvorschriften- auch durch ständige Mitwirkung in entscheidungsvorbereitenden Gremien (z.B. § 4 III Nr. 3 BStatG) - kann den vorrangigen Kontrollauftrag konterkarieren und den Beauftragten unter Umständen selbst zu einer datenverarbeitenden Stelle werden lassen. In einer anderen Grauzone bewegt sich die Regelung des § 26 IV BDSG über die Kooperation mit den Landesbeauftragten und den ebenfalls zur Länderexekutive gehörenden Aufsichtsbehörden nach § 38 BDSG. Da die Kontrolle der Datenverarbeitung immer nur entweder einen bundes- oder einen landesrechtlichen Gesetzesvollzug zum Gegenstand haben kann, stellt sich hier die kompetentielle Frage, ob fiir die gesetzlich gewünschte "Zusammenarbeit" überhaupt ein gemeinsames Betätigungsfeld besteht. Noch keine unzulässige "Mischverwaltung" sind informatorische Kontakte und informelle Absprachen im Vorfeld der eigentlichen Aufgabenerledigung 198, also z.B. vereinte Bemü-
195
Vgl. Burmeister, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 32 Rn. 46.
Ebenso i.E. OVG Münster, NVwZ-RR 1994, 25 f.; Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 21 Rn. 18 ff.- Nur einen Bescheidungsanspruch im Sinne von Art. 17 GO (s. BVerjG, NJW 1992, 196
3033) vermittelt auch die Sonderregelung in § 81 I SGB X.
197 Krit. zu dieser Regelung Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 26 Rn. 23 ff.; s.u., Dritter Abschnitt, C. IV. 3. c. 198 S. allgemein Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 99 Rn. 17; Lerche, in: Maunz/ Dürig, GO, Art. 83 Rn. 105; speziell zur Bund-Länder-Koordination im Datenschutz Bergmann/ Möhrle/Herb, Datenschutzrecht, BDSG, 26 Rn. 17 ff.
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
hungen um die Klärung allgemeiner Datenschutzprobleme. Solche Aktivitäten müssen allerdings einen spezifischen Bezug zur Kontroll- und Beratungsaufgabe des jeweiligen Beauftragten aufweisen und dürfen nicht lediglich der konzeptionellen "Fortentwicklung des Datenschutzrechts" dienen; ein solch allgemeiner Forschungsauftrag läßt sich zumindest der geltenden Fassung des Bundesdatenschutzgesetzes nicht entnehmen. Kompetenzrechtlich bedenklich ist aus diesem Grund auch die gegenwärtig geübte Praxis, nach der die "Ständige Konferenz" 199 der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern offizielle Stellungnahmen zu "aktuellen Fragen" aus dem Bereich der (Bundes- oder Landes-) Gesetzgebung verbreitet2°0 • Abgesehen von der nach hiesiger Auffassung fehlenden rechtlichen und demokratischen Legitimation zu solchen Äußerungen201 liegt in der amtlichen Kommentierung legislatorischer Vorhaben meist auch ein unzulässiges Hineinwirken der Landesbeauftragten in die Bundesgesetzgebung202 oder umgekehrt des Bundesbeauftragten in die Länderhoheif03 • Eine vom gesetzlichen Wirkungskreis unabhängige "Befassungskompetenz", wie sie den politischen Vertretungskörperschaften zugebilligt wird204 , steht dem Datenschutzbeauftragten auch für "sein" Thema nicht zu; er hat sich insoweit wie alle anderen Verwaltungsorgane an die verfassungsrechtlich vorgegebene Zuständigkeitsordnung zu halten205 •
199
Hierzu Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 26 Rn. 20.
Vgl. die Presseberichte in der SZ vom 28.6. 1991 (zum Entwurf eines Gesetzes gegen organisierte Kriminalitllt), vom 30.4/1.5. 1992 (zu geplanten Neuregelungen im AsylVfG), vom 5.10. 1992 (zur Diskussion um den sog. Großen Lauschangrift) u. vom 18.2. 1993 (zur Aufnahme eines Datenschutz-Grundrechts in die Verfassung). 200
201 Dazu nachfolgend C.l.2.b.aa., C.V. -Nicht gelöst scheint innerhalb der Konferenz auch das Problem des Minderheitenschutzes, vgl. Die Welt v. 1.7.1991; SZ vom 5.10.1992; Bayer. LjD, 15. TB, 103. 202 Vgl. etwa die Ausftlhrungen im 17. TB des hessischen Datenschutzbeauftragten, S. 12 ff., 34 ff., zu rein bundesrechtlichen (Gesetzgebungs-)Fragen. 203 Zur zustllndigkeitswidrigen Mobilisierung von politischem Druck im Bund-Länder-Verhältnis BVerjGE 8, I 04 (117 ff.); zur generellen Gefahr einer Verwischung von Verbandskompetenzen durch Verwaltungsbeauftragte Fuchs, "Beauftragte", 85 ff., 217 ff.; ders., DÖV 1986, 363 (365, 371).
204
S. Ossenbühl, VVDStRL 43 (1985), 222 (Diskussionsbeitrag).
Vgl. BVerwG, NVwZ 1993, 891 (892), zur Unzulässigkeit landesrechtlicher Kontrollen gegenüber Bundesbehörden. Nur scheinbar eine Ausnahme bildet die auf Ortsangelegenheiten begrenzte "Allzustllndigkeit" der Gemeinden, s. BVerwG, BayVBI. 1991, 440 (442); Kästner, NVwZ 1992, 9 (13). 205
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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C. Kooperation mit Parlament und Regierung (§ 26 1-111 BDSG) I. Tätigkeitsberichte gegenüber dem Bundestag(§ 26 I BDSG)
1. Die faktische Bedeutung der Berichte
Nach § 26 I I BDSG erstattet der Bundesbeauftragte filr den Datenschutz dem Deutschen Bundestag206 alle zwei Jahre207 einen "Tätigkeitsbericht". Der ursprünglichen Intention nach handelt es sich hierbei nicht um ein eigenes kompetenzmäßiges Recht, sondern um eine besondere Amtspflicht gegenüber dem Parlament, vor dem der weisungsunabhängige Beauftragte gleichsam Rechenschaft ablegen soll208 • In der Praxis kommt diesem Pflichtmoment allerdings nur geringe Bedeutung zu, da der Bundestag keine rechtliche Handhabe besitzt, um den Datenschutzbeauftragten auf eine bestimmte kontrollpolitische Linie festzulegen oder ihn, wie es der Bundesregierung grundsätzlich möglich wäre(§§ 22 IV 3, 23 I 3 BDSG), fiir etwaiges Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen. Die Tätigkeitsberichte dienen daher heute in erster Linie dem Beauftragten als Medium zur Verbreitung der Kontrollergebnisse, wobei er seine eigenen Bewertungen und Rechtsauffassungen vor allem zu jenen Punkten darlegen kann, bei denen ein Dissens mit den datenverarbeitenden Stellen bzw. den zuständigen Ressortministern bestehtl09 • Die Erläuterung der wesentlichen Anwendungsprobleme des Datenschutzrechts - seit der Novellierung 1990 auch den nicht-öffentlichen Bereich einschließend (§ 26 I 2 BDSG)210 - soll nach herrschendem Verständnis außerdem den allgemeinen Informationsstand der
206 Der Vorschlag, dem Bundesrat insoweit die gleiche Rechtsstellung einzuräumen (Einwag, in: BT-Anhörung BDSG 1989, Anlage I, S. 320), ist ohne Resonanz geblieben. 207 Die im BDSG 1977 enthaltene Einjahresfrist wurde im Zuge der Novellierung 1990 auf Wunsch des Beaufuagten verlängert, s. BT-Dr 10/4737, S. 41; Hertel, DuD 1987, 324. 208 So auch Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 86 Rn. 71 Fn. 172; allgemein Schuppert, Verselbständigte Verwaltungseinheiten, 378; a.A. Flanderka, Bundesbeaufuagter, 55. 209
Dazu v.Schoeler, BT-Sten.Prot 9/86, S. 5197 D; Dammann, in: Similis u.a. , BDSG, § 26
Rn. 1 ff.; Ordemann/Schomerus, BDSG, § 19 Anm. 2.2.; Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 4; Schweinoch, in: Gallwas u.a., BDSG, § 19 Rn. 14; Flanderka, Bundesbeaufuagter, 55 f.; Similis, CR 1987, 602 (609).
210 Zur früheren, vom damaligen Gesetzeswortlaut nicht mehr gedeckten Berichtspraxis s. BT-Dr 10/1719, S. 7 Nr. 20; Stange, DuD 1988, 276; Similis, CR 1987, 602 (609).
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Parlamentarier verbessern, ihr Problembewußtsein fördern und sie zu gesetzgeberischen Aktivitäten anregen211 • Unmittelbare Rechtswirkungen etwa im Sinne einer Verpflichtung der Regierung, zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen212, entfalten die Berichte des Bundesbeauftragten nicht213 • Dennoch gelten sie vielerorts als "das eigentliche Wirkungsmittel" des Beauftragten214 • Ob sich dies nicht nur empirisch belegen, sondern auch rechtlich begründen läßt, hängt letztlich von den verfassungsimmanenten Beschränkungen ab, denen die Datenschutzberichte hinsichtlich ihrer Form und ihres Inhalts unterworfen sind.
2. Die äußere Form der Berichterstattung a) Die Verfiigungsbefugnis des Bundestags Seiner Verpflichtung aus § 26 I BDSG kann der Bundesbeauftragte für den Datenschutz nach einhelliger Auffassung nur durch die Vorlage eines schriftlichen Berichts nachkommen215 , nicht also durch mündlichen Vortrag vor dem Parlament oder seinen Ausschüssen216 • Anders als bei dem Zugangsrecht nach § 26 II 3 BDSG217 stellt sich daher auch nicht die Frage, ob dem Beauftragten im Zusammenhang mit seinen Tätigkeitsberichten irgendwelche Anwesenheits- oder Rederechte gegenüber der Volksvertretung zustehen. Die Entscheidung, ob und aufwelche Weise die in gedruckter Form eingereichten Kontrollbilanzen parlamentarisch behandelt werden, ist vom Deutschen Bundestag gemäß den einschlägigen Geschäftsordnungsbestimmungen (§§ 75 I e, 77 II
211
Vgl. nur Schweinoch, in: Gallwas u.a., BDSG, § 19 Rn. 14.
So etwa§ 24 b V 3 GWB, § 6 I 3, 4 SachverstllndigenratsG (G. v. 14.8.1963, BGBI. I S. 685, geändert durch G. v. 8.6. 1967, BGBI. I S. 582). 212
213 Anders bei einigen Landesbeauftragten, z.B. § 27 S. 2 DSG NW; s. auch Gesell, in: Hoffmann u.a., Numerierte Bürger, 109; Dammann, Datenschutzkontrolle, 124, 192. 214
S. etwa Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 73.
Der in der ursprünglichen Fassung enthaltene Zusatz "erstmals zum I. Januar 1979" (§ 19 II 2 BDSG 1977) ließ das Schriftlichkeitsgebot noch deutlich erkennen. 215
216
Vgl. allgemein Bücker, in: FS Schellknecht, 39 (41).
217
Hierzu näher unten, IV.2.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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GeschOßT) jeweils neu zu treffen218 • Üblicherweise werden die Berichte im Plenum sowie im Innenausschuß beraten und schließlich als Bundestagsdrucksache auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht219 • Insofern besteht zu sonstigen parlamentarischen Vorlagen kein Unterschied.
b) Die publizistische Verwertung durch den Beauftragten In der Kommentarliteratur findet sich die Aussage, dem Ersteller des Parlamentsberichts stehe eine weitere Veröffentlichung frej2 20 • Aus dem Gesetz läßt sich diese Ansicht jedoch ebensowenig begrilnden221 wie die derzeitige Praxis, wonach der Datenschutzbeauftragte anläßlich der Berichtsübergabe in einer Pressekonferenz einzelne Ergebnisse vorab bekanntgibt und die Beseitigung der aufgedeckten Mißstände anmahnt222 • Durch solche öffentlichen Appelle kann zwar den schriftlichen Austubrungen des Beauftragten eine gesteigerte Aufmerksamkeit gesichert werden. Bedenken erweckt dieses Vorgehen aber im Hinblick auf die gesetzlich festgeschriebene Rolle des Deutschen Bundestags als Berichtsempfänger, die neben einem Recht zur alleinigen Verwendung auch eine politische Wertungsprärogative des Parlaments implizieren dürfte223 • Letztlich geht es hier um die grundsätzliche Frage, ob der Datenschutzbeauftragte lediglich eine dienende oder aber eine selbständige Funktion im Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung ausüben darf. Es liegt auf der Hand, daß die Antwort hierauf den verfassungsrechtlichen Standort des Amtes entscheidend bestimmt.
218
S. Vonderbeck, ZParl 1983, 311 (334).
219
Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 4; Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 26 Rn. 3.
220 Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 26 Rn. 3; vgl. auch v.Schoeler, in: BT-StenProt 8/139, S. 11060 B. - Eine "Zweitverwertung" liegt auch vor, wenn ein Datenschutzbeauftragter Teile seines amtlichen Berichts einem privaten Verlag zum Nachdruck überläßt, wie z.B. Similis, in: Hohmann, Freiheitssicherung durch Datenschutz, 352-363. 221
vor. 222
Dagegen sieht § 6 II 3 SachverständigenratsG ein Selbstveröffentlichungsrecht ausdrUcklieh Vgl. den Bericht der SZ vom 19.5.1993, S. I u. 5.
Vgl. Leisner, Staatliche Rechnungsprtlfung Privater, 66 f.; Krebs, Kontrolle, 215 Fn. 309, wonach die Österreichische Bundesverfassung dem dortigen Rechnungshof ausdrUcklieh untersagt, seine Berichte vor Beginn der Beratungen im Nationalrat zu veröffentlichen. 223
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
aa) Der Öffentlichkeitsauftrag des Datenschutzbeauftragten Die politische Bedeutung, die das Amt des Bundesbeauftragten ftlr den Datenschutr24 in den mehr als 15 Jahren seines Bestehens erlangt hat, beruht ganz wesentlich auf dem Bild seiner Tätigkeit in den Medien. Die Öffentlichkeit erwartet und akzeptiert von ihm dezidierte Stellungnahmen zu allen politischen Kontroversen, die mit der Auslegung oder auch der Novellierung datenschutzrelevanter Vorschriften im Zusammenhang stehen. Unklar bleibt jedoch, aufwelchen Kompetenztitel dieser generelle Publizitätsanspruch gestützt werden kann, nachdem der Gesetzgeber auch als Adressaten seiner Beratung ausdrücklich nur die Bundesregierung und die sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes genannt hat (§ 26 III BDSG). Es bleibt zu fragen, ob zumindest in der gesetzlichen Berichtspflicht (§ 26 I BDSG) eine hinreichende Legitimationsgrundlage gesehen werden kann ftlr ein Amtsverständnis, demzufolge der Bundesbeauftragte als personifiziertes "Gewissen des Datenschutzes"225 das in der Gesellschaft bestehende (unterentwickelte) Datenschutzbewußtsein zu schärfen226 und demokratische Diskussionsprozesse in Gang zu setzen habe227• Diese im datenschutzrechtlichen Schrifttum von Beginn an vorherrschende Auffassung, die in dem durch Skandalmitteilungen ausgelösten Protestverhalten der Öffentlichkeit die beste Rückendeckung ftlr den Beauftragten und sein Anliegen erblicktl28 , sucht das Fehlen direkter Korrekturkompetenzen offenbar durch eine extensive Auslegung der publizitären Wirkungsmöglichkeiten auszugleichen229. Sie bleibt aber nicht nur den genauenNachweis eines unmittelbar im Gesetz verankerten Öffentlichkeitsauftrags schuldig, wie er etwa ftlr den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
224 Die nachfolgenden Ausftlhrungen gelten ohne Abstriche auch filr die Landesdatenschutzbeauftragten. 225
Schweinoch, in: GaUwas u.a., BDSG, § 19 Rn. 6.
Dammann, Datenschutzkontrolle, 124 f., 191 f.; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 22; v.Schoeler, in: BT-StenProt 8/164, S. 13121. 226
227 Ordemann/Schomerus, BDSG, § 17 Anm. 2, § 19 Anm. 2.2.; Dammann, in: Hoffinann u.a., Numerierte Bürger, 103; ders., in: Similis u.a., BDSG, § 24 Rn. 3, 12; Riegel, DuO 1988, 277 (280). 228 Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 18 Rn. 36; ders., Vorgänge 1983, 134 (139); Schweinoch, in: GaUwas u.a., BDSG, § 19 Rn. 9; Kauft, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 419 ff. u. passim; krit. Ruckriegel, ÖVD 1979, H. 3, S. 2; Becker, DuO 1981, 67. 229 S. Dammann, Datenschutzkontrolle, 125; ders., in: Hoffmann u.a., Numerierte Bürger, 103; Gola!Hümmerich/Kerstan, Datenschutzrecht I, 48.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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sowie neuerdings für den Stasi-Unterlagen-Beauftragten besteht230, sondern stößt auch sehr schnell an verfassungsrechtliche Grenzen.
a) Rechtspolitische Anstoßfunktion?
Soweit es um amtliche Stellungnahmen des Bundesbeauftragten zu aktuellen Streitfragen politischer Art geht, insbesondere um den angemessenen Stellenwert des Datenschutzes im Verhältnis zu anderen öffentlichen Aufgaben, ist an die vom BVerjG wiederholt formulierten Grundsätze zur Unterscheidung von Staat und politisch-gesellschaftlicher Öffentlichkeit zu erinnem231 • Danach findet in der Demokratie ein offener Prozeß der Meinungs- und Willensbildung statt, der sich vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin zu vollziehen hat232 • Die in der öffentlichen Meinung zum Ausdruck kommenden Zielvorstellungen, politischen Auffassungen und Überzeugungen, die eine "Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes" bewirken, dürfen durch Handlungen staatlicher Stellen grundsätzlich nicht (gezielt) beeinflußt werden233 • Hieraus ergeben sich verfassungsrechtliche Schranken einer unmittelbar werbenden Öffentlichkeitsarbeit von Exekutivorganen. Nach dem Grundgesetz ist zwar eine verantwortungsakzessorische Informationstätigkeit legitim und im Interesse einer demokratischen Kontrolle sogar geboten, wenn sie lediglich der Vermittlung einer im eigenen Zuständigkeitsbereich getroffenen Sachentscheidung dienen und deren Akzeptanz erhöhen soll234 • Dieser Gedanke, der in einigen beamten- und presserechtliehen Bestimmungen seinen Niederschlag
230 Nach § I SachverständigenratsG wird der Rat u.a. tätig "zur Erleichterung der Urteilsbildung in der Öffentlichkeit"; dazu ausführlich v.Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 329 ff. Ähnlich auch§ 2 I Nr. 2 des Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes (G. v. 22. 7. 1974, BGBI I S. 1505). Zur im Einzelfall höchst problematischen Öffentlichkeitsunterrichtung nach § 37 I Nr. 5 StUG s. VG Berlin, NJW 1993, 2548 ff. (Fall Stolpe). 231 BVerjGE 20, 56 (97 ff.)- Parteienfinanzierung-; 44, 125 (138 ff.)- Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung -.
232
BVerjGE 20, 56 (99).
BVerjGE 20, 56 (99 ff.); NJW 1989, 2877 (2878). - Allgemein zu den Grenzen der staatlichen "Erziehungsaufgabe" gegenüber mündigen Bürgern Bull, Staatsaufgaben, 318 ff. 233
234 BVerjGE 63, 230 (242 f.) m.w.N.; BVerwG, NJW 1989, 2272 (2273 f.); aus der Lit. etwa Kempen, Öffentlichkeitsarbeit, 214 ff.; K/oepfer, Information als Intervention, 13 ff.; Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 (2706 ff.); bedenklich weitgehend Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, 152 ff.
7 Zöllner
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
gefunden hat235 , rechtfertigt die übliche Öffentlichkeitsarbeit von Behörden und Regierungsstellen. Eine darüber hinausgehende direkte Einwirkung auf die öffentliche Meinung zum Zwecke der Kräfteverschiebung im tagespolitischen Meinungskampf darf dagegen den Amtsträgern der vollziehenden Gewalt, selbst wenn sie weisungsfrei gestellt sind, nicht zugestanden werden236 • Aus diesen Prinzipien demokratischer Willensbildung folgen für den Datenschutzbeauftragten rechtliche Beschränkungen in der Propagierung eigener sowie in der Würdigung fremder Gesetzesvorschläge im Rahmen seiner amtlichen Berichterstattung237 • Er darf den "Gang an die Öffentlichkeit" nicht als ein Mittel einsetzen, um die eigenen Vorstellungen über eine künftige Fortentwicklung des Datenschutzrechts mit der bloß geliehenen Autorität seines Amtes238 zu verbreiten und dadurch die öffentliche Meinung und vor allem den Wählerwillen in bestimmte Richtungen zu lenken. Keine der im politischen Meinungskampf vertretenen, miteinander konkurrierenden Datenschutzkonzeptionen darf durch wertende Äußerungen der Kontrollbehörde in ihrer Durchsetzungschance bevorzugt oder benachteiligt werden239 • Es macht dabei selbstverständlich keinen Unterschied, ob ein politisierender Amtsträger mehrheitsbzw. regierungskonforme Auffassungen propagiert240, parteipolitisch umstritte-
235 Z.B. § 63 BBG, § 4 nwPresseG. Auf den Bundesbeauftragten sind diese Normen allerdings nicht unmittelbar anwendbar. 236 Zusammenfassend Kempen, Öffentlichkeitsarbeit, 265 ff.; Schmitt G/aeser, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR li, § 31 Rn. 31; speziell am Bsp. von Wahlen BVerjGE 44, 125 (140 ff.); 63, 230 (243 f.); zum Btv neuerdings ebenso OVG Münster, DVBI. 1995, 375 (376). - Um ein anders gelagertes Problem handelt es sich bei der - zumeist an die Stelle imperativer Regelungen tretenden (s. BVerjGE 39, I [45])- appellativenBeeinflussungdes Bürgers, die diesen zu einem bestimmten privaten Verhalten (Gesundheits-, Umwelt-, Verbraucherbewußtsein) veranlassen will (ausfllhrlich Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR 111, § 59 Rn. 77 ff. m.w.N.). Hier können vor allem grundrechtliche (Ziel-) Konflikte aufueten. 237 Vgl. die Kontroverse im Bundestags-Innenausschuß, BT-Dr 9/2330, S. 6 ff.- Anders als hier vor allem Kloepfer, Information als Intervention, 7 f. (zu den Tätigkeitsberichten des Bundeskartellamtes). 238 Vgl. zur Stellung des Beamten und Richters BVerwG, NJW 1988, I 747 f., 1748 ff.; BVerjG, NJW 1989, 93 f. 239 Vgl. allg. C. Schmitt, Legalität und Legitimität, 30 ff., zur gleichen Chance der politischen Machtgewinnung. - Auch dem Bundesbeauftragten fllr die Stasi-Unterlagen steht es ungeachtet seines generellen Öffentlichkeitsauftrags nicht zu, "unter Hinweis auf gewonnene Erkenntnisse öffentlich Ober politische Konsequenzen zu spekulieren" (VG Berlin, NJW 1993, 2548 [2550], n.rk.). 240 Vgl. etwa den bayer. Datenschutzbeauftragten nach dem Bericht der SZ v. 5.10.1992: pro "Großen Lausch angriff''.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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ne Vorhaben also schon im vorhinein "absegnet"241 , oder ob er sich selbst als einen "advocatus oppositionis"242 versteht und für die Ablehnung von Regierungsentwürfen wirbt243 . Für keinen dieser beiden Fälle enthält der Vertrau-
ensbonus, den der unabhängige Datenschutzbeauftragte in der Öffentlichkeit kraft Amtes genießt, einen legitimen politischen Mehrwert.
ß) Öffentlichkeit als Kontrollinstanz? Auch zur Durchsetzung der bereits geltenden Datenschutzbestimmungen gegenüber den kontrollierten Staatsorganen der vollziehenden Gewalt darf sich der Bundesbeauftragte nicht ohne weiteres direkt an die Bürger bzw. an die Massenmedien wenden244. Dies hätte nämlich zur Voraussetzung, daß - über den Gesetzeswortlaut hinaus - das Volk unmittelbarer Adressat der Kontrollberichte245 und damit die eigentliche Kontrollinstanz wäre, auf deren (publizistisch vermittelten) politischen Meinungsdruck es im Verhältnis zu den kontrollierten Stellen letztlich ankäme. Bei dieser Auslegung würde das Staatsvolk - neben Beauftragtem und Parlament - in das Geflecht der datenschutzrechtlichen Kontrollbeziehungen, und das hieße: in den staatsorganschaftliehen Bereich, einbezogen. Jedes Tätigwerden des Volkes als Staatsorgan, auch wenn es sich im Vorfeld rechtsverbindlichen Entscheidens abspielt, ist jedoch nach der Rechtsprechung des BVerfG246 durch Kompetenznormen verfas-
241 Krit. hierzu Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 65: Die These der Datenschutzbeauftragten, "bei der Bundesrepublik handle es sich nicht um einen Überwachungsstaat, (sei) zugleich geeignet, eine stark unter öffentlichen Rechtfertigungsdruck geratene Exekutive zu verteidigen". 242 Ausdruck von Böckenjörde, Staat II (1972), 429 (452); vgl. auch Schuppert, Verselbstllndigte Verwaltungseinheiten, 35 5: "institutionalisierte Oppositionsnester". 243 Vgl. etwa die in der SZ vom 22.5. u. 26.6. 1992 sowie vom 10.9. 1993 wiedergegebenen dezidierten Äußerungen des Bundesbeauftragten contra "Großer Lauschangrifl" oder die in der SZ vom 28.9. 1993 enthaltene Stellungnahme gegen "Rundumkontrollen" zur Aufdeckung von Sozialleistungsmißbrauch. - S. allgemein Dammann, in: Hoffmann u.a., Numerierle Bürger, 104: "Ein Amtsträger, der Erfolg und öffentliche Anerkennung sucht, gerät deshalb zwangsläufig in ein gewisses Spannungsverhältnis zur amtierenden Regierung und in eine gewisse Affinität zu denjenigen politischen Kräften, deren Rolle es ist, die Regierung zu kritisieren." 244
So aber ausdrücklich Dammann, Datenschutzkontrolle, 124 f., 129 f.
s Dies postuliert seit langem v.Arnim (Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 379; ders. , Wirksame Finanzkontrolle, 27 ff.; ders. , DÖV 1982, 917 [923 f.]; ders. , DVBI. 1983, 664 [674] u.ö.) filr die Prüfberichte des Bundesrechnungshofs (§ 97 BHO) und anderer unabhängiger Kontrollorgane. 24
246
BVerjGE 8, 104 (112 ff.) - Volksbefragung -; vgl. auch Burmeister, in: Jsensee/Kirchhoj,
100
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
sungsrechtlich begrenzt; es stellt sich aus der Sicht des einzelnen Bürgers dar als ein Stück Ausübung von Staatsgewalt im status activus. Für eine gesetzlich organisierte Mitwirkung der Bevölkerung (bzw. der öffentlichen Meinung247) an der Datenschutzkontrolle im Bereich der öffentlichen Stellen des Bundes fehlt die danach erforderliche Zuständigkeitsnorm des Verfassungsrechts. Zwar gehört zum grundgesetzliehen Demokratiegebot untrennbar auch die Forderung nach Publizität und Transparenr48 • Hinter Begriffen wie dem der "demokratischen Öffentlichkeit" verbirgt sich aber kein organähnliches Gebilde, das eine aus der Volkssouveränität abgeleitete Oberaufsicht über jedwede Staatstätigkeit auszuüben hätte, sondern lediglich eine soziologische Grundvoraussetzung für den politischen Prozeß der Willens- und Meinungsbildung249 • Die Formung des Staatswillens durch das Volk vollzieht sich nach Art. 20 II 2 GG ausschließlich im Wege von "Wahlen und Abstimmungen" der Aktivbürgerschaft; eine hiervon unabhängige direkte Einflußnahme auf einzelne Sachentscheidungen der demokratisch gebildeten "besonderen Organe" findet in der Verfassung keine Grundlage. Auch die der Datenschutzkontrolle unterworfenen Stellen der vollziehenden Gewalt haben sich demnach nicht an beliebigen und diffusen Äußerungen des "Volkswillens" auszurichten250, sondern unterliegen allein der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 III GG)251 • An einer nüchternen, unbefangenen und unparteiischen Amtsführung wären diese Organe gehindert, wenn sie zusätzlich zu den verfassungsrechtlich vorgesehenen Kontroll- und Aufsichtsverfahren auch noch der "Prangerwirkung"252 solcher Datenschutzberichte ausgesetzt würden, denen der Beauftragte auf publizistischem Wege unabhängig vom Bundestag öffentliche Beachtung verschafft hat. Die Befugnis zu einem der-
HdbStR II, § 32 Rn. 20; Krause, ebda., § 39 Rn. 6. 247
Zur Vielgestaltigkeit der Öffentlichkeit s. Püttner, Verwaltungslehre, 3 70 ff.
BVerjGE 40, 296 (316 f., 327); Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 50 ff. ; Maurer, Wehrbeauftragter und Parlament, 43; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 152. 248
249 Vgl. BVerjGE 8, 104 (112 f.); 20, 56 (98 ff.); Woljf/Bachof, VerwaltungsR III, § 161 Rn. 3 ff.; Krie/e, WDStRL 29 (1971), 46 (67); E. Klein, Ministerialfreier Raum, 164 ff.; H Thieme, UntersuchungsausschUsse, 44 ff.; aufschlußreich auch Jerschke, ZParl 1972, 516 (517 f.).
250
Vgl. allgemein P. Kirchhof, VA 66 (1975), 370 (385).
251
Woljf/Bachof, VerwaltungsR III, § 161 Rn. 5.
252
Ordemann/Schomerus, BDSG, § 19 Anm. 2.2.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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artigen "lmmediatvortrag beim Souverän"253 darf angesichts ihrer Bedeutung ftir die grundgesetzliehen Verantwortungsstrukturen nur Verfassungsorganen oder allenfalls noch verfassungskonstituierten Organen254 zugestanden werden; bereits ftir den Wehrbeauftragten (Art. 45 b GG) und den Bundesrechnungshof (Art. 114 II GG) läßt sich ein so weitreichender Öffentlichkeitsauftrag de constitutione 1ata kaum mehr überzeugend nachweisen255 • Hieran gemessen, kann dem Bundesdatenschutzbeauftragten, der keinen verfassungsrechtlichen Organstatus besitzt256 , weder ein datenschutzpolitisches Mandat zur öffentlichen Meinungs- und Willensbildung zugestanden werden noch ein Recht auf Alarmierung der außerparlamentarischen Öffentlichkeit, um seine Standpunkte gegenüber den datenverarbeitenden Stellen bzw. den politischen Leitungsinstanzen besser durchsetzen zu können. Die verfassungsrechtlichen Einwände dagegen hat Böckenförde bereits vor drei Jahrzehnten am Beispiel des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf den Punkt gebracht; sie sind auf die Rechtsfigur des unabhängigen Beauftragten ohne weiteres übertragbar: "Durch seinen unmittelbaren Zugang zur Öffentlichkeit erhalten seine Gutachten eine indirekte Verbindlichkeit. So nimmt er, auch ohne eigene Entscheidungszuständigkeit, die Sachentscheidung schon mehr oder minder vorweg ... Nicht nur die Exekutive, auch der einfache Gesetzgeber kann nicht Instanzen schaffen, die die vom Grundgesetz als einheitlich gedachte Regierungsgewalt unterlaufen und dabei selbst keinerlei Kontrolle und Verantwortlichkeit unterliegen." 257
253
Formulierung von Kisker, NJW 1983, 2167 (2170).
254
Zur Abgrenzung dieser Kategorien VogeVKirchhof, in: BK, Art. 114 Rn. 177 m.w.N.
255 Verneinend ftlr den Wehrbeauftragten etwa Maurer, Wehrbeauftragter und Parlament, 39 ff.; Müser, Wehrbeauftragter, 69 ff.; Maunz/Dürig, GG, Art. 45 b Rn. 21; Busch, in: BK, Art. 45 b Rn. 225; a.A. Vogt, Militllr und Demokratie, 191; wohl auch Hernekamp, in: v.Münch, GG, Art. 45 b Rn. 35. FUr den Bundesrechnungshofverneinend S. Tiemann, Finanzkontrolle, 229 f.; Kisker, NJW 1983, 2167 (2170); Krebs, Kontrolle, 214 f.; Leisner, Staatliche RechnungprUfung Privater, 66 ff.; a.A. v.Arnim, Staatslehre, 413 ff.; ders., DVBI. 1983, 664 (674) u.ö.; Greifeld, Rechnungshof, 107; Sigg, Rechnungshöfe, 77. 256 Anders nur in NRW, Art. 77 a LVerf, sowie in einigen der neuen Bundesfander (dazu Weichert, CR 1992, 738 [745]). - Zur Frage einer grundgesetzliehen Bestandsgarantie ftlr die Institution s. ausfuhrlieh unten, Dritter Abschnitt, C. 257
Böckenförde, Organisationsgewalt, 258 u. 259.
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
bb) Die Teilhabe an der parlamentarischen Öffentlichkeit
Mit der Bestellung eines Bundesbeauftragten filr den Datenschutz ist, ebenso wie mit der gesetzlichen Errichtung von unabhängigen Sachverständigenräten filr andere Bereiche, keine "autonome Autorität in die Verfassungswirklichkeit eingetreten"258, die der Bundesregierung und dem Bundestag "öffentlich Fragen... stellen und sie so zur Begründung und Rechtfertigung zwingen" dürfte259. Insbesondere im Verhältnis zum Parlament hat die weisungsfreie Kontrollinstanz nicht die Aufgabe, durch Mobilisierung der Öffentlichkeit bzw. der Presse gleichsam von außen den Gesetzgebungsvorgang zu beeinflussen260• Die Funktion des Datenschutzbeauftragten besteht vielmehr allgemein darin, parlamentarische und exekutivische Entscheidungsprozesse durch Vermittlung von Erfahrungen und Sa~hkenntnissen vorzubereiten261 • Diese Rolle als eine den Verfassungs- und Verwaltungsorganen zuarbeitende Institution hat auch filr die Tätigkeitsberichte im Vordergrund zu stehen262 • Die Berichte mögen zwar "stets auch mit einem Seitenblick auf die Öffentlichkeit geschrieben werden" 263 • Der Bundesbeauftragte muß es aber den parlamentarischen Akteuren und hier insbesondere der Opposition überlassen, aus seinen Berichten die politischen Schlußfolgerungen und Nutzanwendungen zu ziehen264 • Daß es dabei nicht zu einem Totschweigen unliebsamer Äußerungen kommen kann, ist bereits durch den Grundsatz der Parlamentsöffent-
258 So aber Kaiser, in: Die Staatskanzlei, 233 (239), bezogen auf den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. -Daß dieses Gremium sich einer Verwicklung in (partei-) politische Kontroversen eher entziehen will, zeigte sich bei der Weigerung, die Schiedsrichterrolle beim Parteienkompromiß über die Pflegeversicherung zu übernehmen (SZ v. 22. 3. 1994, s. 2).
259
So aber v.Arnim, DÖV 1982, 917 (923), allgemein filr Kontrollinstanzen.
Gegen eine mögliche "Fremdsteuerung" des Gesetzgebers durch "verfassungsunbenannte Kontrollorgane" auch Pitschas!Aulehner, NJW 1989, 2353 (2355). 260
261 Ähnlich filr den Bundesrechnungshof Krebs, Kontrolle, 215. Der Stasi-Unterlagen-Beauftragte darfnach VG Berlin, NJW 1993, 2548 (2551), nicht durch eigene Bewertungen die Beweiswürdigung in einem laufenden Untersuchungsausschuß vorwegnehmen und so das Untersuchungsergebnis entwerten. 262
Ruckriege/, ÖVD 1979, H. 3, S. 2.
263
Maurer, Wehrbeauftragter und Parlament, 40 (zur Berichtspflicht nach § 2 WehrbeauftrG).
Vgl. Kisker, NJW 1983,2167 (2170); Tomuschat, Staat 19 (1980), 1 (20); Leisner, Staatliche Rechnungsprüfung Privater, 67; jeweils zum Rechnungshof. 264
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
103
lichkeit (Art. 42 I GG) sichergestellt265 ; ftir eine weitere, womöglich noch "publikumswirksamere" Präsentation der Kontrollergebnisse durch den Beauftragten selbst besteht weder verfassungsrechtlicher Spielraum noch verfassungspolitischer Bedarf. Die mit dieser Auslegung verbundenen Beschränkungen der öffentlichen Wirkungsmöglichkeiten des Datenschutzbeauftragten liegen im wohlverstandenen Interesse des Amtes und seiner Unabhängigkeit. In dem gleichen Maße nämlich, in dem der Bundesbeauftragte sich zu einem Faktor von politischem Eigengewicht entwickelte, würde der Bestellungsvorgang (§ 22 I BDSG) zu einer rein politisch oder parteitaktisch motivierten Personalentscheidung degenerieren266. Dem Ziel eines wirksamen Datenschutzes wäre damit auf Dauer kaum gedient267 •
3. Die verfassungsimmanenten Grenzen der Berichtspflicht Auch bei der inhaltlichen Gestaltung seiner Tätigkeitsberichte ist der Datenschutzbeauftragte nicht in jeder Hinsicht frei. Er muß trotz des in § 26 I BDSG enthaltenen generellen Informationsauftrags in jedem Einzelfall prüfen, ob der Weitergabe amtlich erlangter Informationen an den Deutschen Bundestag ein anderweitig begründetes Auskunftsverbot entgegensteht. Die genaue Reichweite derartiger Verbote, die auf grundrechtlichen, dienstrechtlichen oder staatsorganisationsrechtlichen Vorschriften beruhen können, läßt sich allerdings nur mit einigem interpretatorischen Aufwand feststellen. Dies mag erklären, warum die nachfolgend behandelten Probleme in den bisher vorliegenden Datenschutzberichten und auch in der Kommentarliteratur noch kaum angesprochen worden sind.
265 S. Leisner, Staatliche Rechnungsprüfung Privater, 63 ff.; Maurer, Wehrbeauftragter und Parlament, 44, spricht treffend von einer "Reflexwirkung der Öffentlichkeit und des parlamentarischen Betriebs" zugunsren der Berichte.
266 Ebenso Maunz!Dürig, GG, Art. 114 Rn. 51; Piduch, Bundeshaushaltsrecht I, Art. 114 Rn. 3 7, jeweils zum Bundesrechnungshof; vgl. auch Mann, ZParl 12 (1981), 353 ff. 261 Anders aber Schwan, Vorgänge 1983, 134 (139); und vor allem Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, passim. - Zu den Gefahren sachfremder EinflUsse auf die Personalauswahl s. auch Riegel, DuD 1988, 277 (280) = ders., Datenschutz, 128 f., der hier aus eigener Erfahrung sprechen kann (s. den Bericht in CR 1986, 518; Kauß, 54 ff.).
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
104
a) Die Beachtung des informationeilen Selbstbestimmungsrechts Wie bereits an anderer Stelle dargelegt wurde268 , erlangt der Datenschutzbeauftragte anläßlich seiner Kontrollen zulässigerweise Kenntnis von einer Vielzahl personenbezogener Daten. Daß diese nicht ohne weiteres in den Tätigkeitsbericht aufgenommen und damit einem größeren Personenkreis bekannt gemacht werden dürfen, folgt zwingend aus dem grundrechtliehen Schutz vor Eingriffen in die informationeile Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. 1 I GG)269 • Zur Begründung hierfür genügt allerdings nicht schon ein undifferenzierter Hinweis auf das verfassungsrechtliche Übermaßverbot270 • In der Regel hängt zwar das Verständnis datenschutzrechtlicher Streitfragen und die Wirksamkeit der parlamentarischen Kontrolle, um die es bei bei den Berichten an den Deutschen Bundestag geht, nicht von der Nennung einzelner Namen und individueller Umstände ab. Es kann jedoch Sonderfiille geben, in denen bereits aus wenigen äußeren Angaben ohne großes Zusatzwissen für jeden erkennbar wird, um wen es geht (z.B. bei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens)271 , oder in denen der Berichtsempfiinger an der Identität des Betreffenden interessiert ist (z.B. um ihn zu strittigen Punkten persönlich zu befragen), sie aber ohne die Hilfe des Datenschutzbeauftragten entweder überhaupt nicht272 oder nicht schnell genug in Erfahrung bringen kann. Die Übermittlung personenbezogener (-beziehbarer) Daten wäre also mitunter durchaus geeignet und erforderlich, um den Zweck der Berichtspflicht zu erreichen. In der Weitergabe grundrechtsgeschützter Informationen zur Ermöglichung parlamentarischer Kontrolle kann auch nicht von vomherein eine unverhältnismäßige Belastung des betroffenen Bürgers gesehen werden. Dies belegen zahlreiche Gerichtsentscheidungen aus jüngerer Zeit, in denen zwischen dem parlamentarischen Untersuchungsrecht auf der einen und dem informationeilen
268
S.o., A.IIl.l.
S. zum gleichgelagerten Problem bei der Veröffentlichung von Rechnungshofberichten Stern, StaatsR II, 440 f.; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 120; Leisner, Staatliche Rechnungsprüfung, 146 f.; z.T. abweichend Haverkate, AöR 107 (1982), 539 (552 ff.); allg. Magiera, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, § 52 Rn. 72. 269
270
S. aber Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 18 Rn. 20 ff.
271
Beispiel bei Haverkate, AöR 107 (1982), 539 (555).
Z.B. im Bereich der "weisungs-und unterrichtungsfreien Räume", wo das parlamentarische Auskunftsrecht gegenüber der Regierung i.d.R. leerläuft, s.u., c.dd.ß. 272
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
105
Selbstbestimmungsrecht auf der anderen Seite abgewogen und häufig zugunsten des ersteren entschieden wurde273 • In diesen soeben erwähnten Fällen hatten allerdings jeweils parlamentarische Untersuchungsausschüsse von ihrem verfassungsmäßigen Recht auf Auskunft bzw. Akteneinsicht (s. Art. 44 II I GG) Gebrauch gemacht, so daß eine hinreichende Legitimation fitr die damit verbundenen Grundrechtseingriffe vorlag274. Werden der Volksvertretung dagegen außerhalb eines solchen verfassungsrechtlich geregelten Verfahrens personenbezogene Daten übermittelt, so muß dafiir eine den grundrechtliehen Anforderungen entsprechende einfachgesetzliche Ermächtigung vorliegen. Als informationeile Eingriffsnorm in diesem Sinne kommt aber die Vorschrift des § 26 I BDSG schon deshalb nicht in Betracht, weil ihr insoweit die erforderliche275 Klarheit und Bestimmtheit fehlt. Daß der Datenschutzbeauftragte alle zwei Jahre einen Tätigkeitsbericht zu erstatten hat, kann bereits vom Wortlaut her nur als Zuweisung einer Pflichtaufgabe und nicht (gleichzeitig) als Verleihung einer Befugnis zur Datenübermittlung aufgefaßt werden276 • Anders als bei § 24 IV 2 Nr. I BDSG277 fordert hier auch der Sinn und Zweck der Bestimmung keine erweiternde Auslegung, denn die mit der Berichtspflicht verfolgten Ziele sind jedenfalls in der Regel auch ohne Weitergabe personenbezogener Daten zu erreichen. Soll in den verbleibenden Fällen, bei denen der datenschutzrechtliche Sachverhalt ausnahmsweise nicht in anonymisierter Form darstellbar ist, die informationeile Selbstbestimmung des einzelnen künftig gegenüber dem öffentlichen Informationsinteresse zurücktreten, so müßte also eine zusätzliche Ermächtigung in das Gesetz aufgenommen werden. Als Modell daftlr könnte die I990 geschaffene Bestimmung des§ I6 II 2 BVerfSchG dienen, nach der die Bekannt-
273
Grundlegend BVerjGE 67, 100 (142 ff.); vgl. weiter BVerjGE 77, I (43 ff.) ; OVG Münster,
NVwZ 1987, 606 (607); OVG Hamburg, NVwZ 1987, 610 (611); LG Frankfurt, NJW 1987, 790 (791 f.), alle zum parlamentarischen Untersuchungsausschuß.
274 Vgl. die in der vorigen Fn. zitierten Entscheidungen. Enger offenbar Stern, StaatsR Ill/1, 1290 m.w.N.; OVG Münster, DÖV 1989, 78 f., zum parlamentarischen Petitionsausschuß; ablehnend OVG Münster, DVBI. 1995, 375 f., zur Datenübermittlung an Mitglieder eines Innenausschusses. 275
Hierzu BVerjGE 65, I (44), u. oben, A.IIIJ.
Ebenso OVG Lüneburg, NJW 1992, 192 (194 f.), zum vergleichbaren Fall einer Datenbekanntgabe im (Landes-) Verfassungsschutzbericht 276
277
Dazu oben, A.III.3.
106
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
gabe personenbezogener Daten in den allgemein zugänglichen Jahresberichten des Bundesamts filr Verfassungsschutz zulässig ist. Der Gesetzgeber hat hier den informationeilen Eingriff, da es sich aufgrund der Öffentlichkeitswirkung um eine besonders belastende Maßnahme handelf78 , nicht nur an bestimmte Tatbestandsmerkmale gebunden, sondern auch von einer die konkreten Umstände berücksichtigenden Interessenahwägung abhängig gemacht279•
b) Die Bindung an die Verschwiegenheitspflicht Es liegt nahe, bei der Frage nach möglichen Beschränkungen des Informationsaustauschs zwischen einem Verwaltungsorgan und dem Parlament auch das dienstrechtliche Prinzip der Amtsverschwiegenheieso ins Auge zu fassen. In der Tat existiert auch filr den Datenschutzbeauftragten, angelehnt an die zu den "hergebrachten Grundsätzen" i.S.d. Art. 33 V GG zählenden Normen des Beamtenrechtsm, ein gesetzliches Verbot, sein Wissen über amtliche Angelegenheiten preiszugeben (§ 23 V BDSG). Die Verschwiegenheitspflicht, so wichtig sie gerade hier angesichts der einzigartigen Einblicksmöglichkeiten auch erscheine82, läuft jedoch in der Praxis - zumindest während der aktiven Amtszeit des Beauftragten - weitgehend leer. Der Grund dafilr liegt in der filr dieses Amt spezifischen Kombination aus gesetzlich garantierter Unabhängigkeit und unmittelbarem Zugang zum parlamentarischen Raum. Die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit knüpft an keine materiellen Geheimhaltungsgründe an, sondern stellt im "Normalfall" des weisungsunterworfenen Beamten lediglich sicher, daß der einzelne Amtsträger seine dienstlich erlangten Informationen nicht aus eigener Machtvollkommenheit nach außen
271 Zum Öffentlichkeitsaspekts. Stern, AöR 109 (1984), 199 (286); Linck, ZRP 1987, 11 (14 ff.); OVG Hamburg, DÖV 1989, 119 (120 f.); OVG Münster, DVBl. 1995, 375 (376).- Nach BVerjG, NVwZ 1990, 1162, liegt in der öffentlichen Bekannbnachung nicht-anonymisierter Daten eine (regelmäßig unzulässige) "DatenObermittlung auf Vorrat". 279
Zum (ungeschriebenen) Abwagungserfordemis bei der Datenübermittlung s.o ., A.III.5 (a.E.).
Zur verfassungsrechtlichen Verortung BVerfGE 28, 191 (198 ff.); 57, 250 (284). Vgl. auch BVerwG, NJW 1992, 1713 ff. 280
281
§ 39 BRRG; § 61 BBG; vgl. auch§ 6 BMinG; § 7 ParlStG; § 10 WehrbeaufuG.
282 Vgl. Auernhammer, BDSG, § 18 Rn. 8; Scha.flland/Wi/tfang, BDSG, § 18 Rn. 7. Schwan, in: Kam/ah u.a., BDSG, § 18 Rn. 22, § 19 Rn. 31, sieht in dem Beauftragten sogar den "Großen Bruder, der alles weiß oder doch zumindest erfahren kann".
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
107
gibe83 . "Sie kanalisiert den Informationsfluß von der Verwaltung an die Öffentlichkeit beim Behördenleiter"284 und wird dabei ergänzt durch die ebenfalls in den Beamtengesetzen (z.B. § 63 BBG) oder zumindest in internen Dienstordnungen enthaltenen Bestimmungen über das Auskunftsprivileg des Behördenvorstands gegenüber Presse und Öffentlichkeit. Ein solches Privileg scheint zwar auch das Bundesdatenschutzgesetz anerkennen zu wollen, indem es dem Bundesminister des Innern die Genehmigung nicht nur filr Aussagen vor Gericht285 , sondern auch filr alle außergerichtlichen Erklärungen des Datenschutzbeauftragten vorbehält (§ 23 V 3 BDSG). Gleichzeitig wird aber der Beauftragte in mehreren Vorschriften (§ 26 I, II BDSG) ausdrücklich ermächtigt oder verpflichtet, in eigener Verantwortung Berichte, Gutachten und Stellungnahmen gegenüber dem Deutschen Bundestag und dessen Unterorganen abzugeben. Da diese Erklärungen an das Parlament nach der Gesetzessystematik ein regulärer Bestandteil seiner Amtstätigkeit sind, findet die Verschwiegenheitspflicht darauf von vornherein keine Anwendung286. Sie vermag wegen ihres ausschließlich dienstrechtlichen Charakters weder den kompetenzrechtlichen Umfang noch die tatsächliche Ausübung der amtlichen Handlungsbefugnisse zu beeinflussen287 • Der Vorrang der Aufgabenerfüllung gegenüber dem generellen Geheimhaltungsgebot findet seine Bestätigung in der Vorschrift des§ 23 V 2 (1. Alt.) BDSG, wonach "Mitteilungen im dienstlichen Verkehr" von der Verschwiegenheitspflicht durchweg ausgenommen sind288 . Bei der Übernahme dieser im Dienstrecht gängigen Klausel289 in das Bundesdatenschutzgesetz dürfte dem Gesetzgeber die gewöhnliche Fallkonstellation
283 Zu Recht spricht Schlink, Amtshilfe, 239, von einer "formellen", weil nur die Form des Informationsflusses betreffenden Geheimhaltungspflicht Diesen Ausgangspunkt übersieht Flanderka, Bundesbeauftragter, 10 ff.
214
Schlink, Amtshilfe, 239 m.w.N.
285
Dazu ausfUhrlieh unten, Dritter Abschnitt, C.IV.2 .b.
Dammann, in: Similis u.a. , BDSG, § 23 Rn. 26; ders., Datenschutzkontrolle, 125; Ordemannl Schomerus, § 18 Anm. 2.2.; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 18 Rn. 33 u. 53, § 19 Rn. 20, § 20 Rn. 14. Unklar Flanderka, Bundesbeauftragter, 54. Allg. Kopp, VwVfG, § 5 Rn. 21. 286
287 S. bereits Dammann, Datenschutzkontrolle, 125: "Die Pflicht zur AmtsverschwiegenheiL ist durch die Öffentlichkeitsaufgabe begrenzt." S. auch allg. Schlink, Amtshilfe, 239 f. ; Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, 130 ff. 288
Insoweit zutreffend Flanderka, Bundesbeauftragter, 54.
289
Vgl. § 39 I 2 BRRG; § 61 I 2 BBG; § 6 I 2 BMinG; § 10 I 2 WehrbeauftrG.
108
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
vor Augen gestanden haben, bei der die Mitteilung im exekutivinternen Dienstverkehr zwischen zwei Bediensteten bzw. Behörden erfolgt. Allein hier bleibt nämlich die Ausnahme vom Grundsatz der Amtsverschwiegenheit ohne größere Auswirkung: Der Mitteilungsempfänger darf Ober das neu erlangte Wissen ebenfalls nur im Rahmen seiner rechtlich begrenzten Zuständigkeit verfügen und ist selbst wiederum an eine dienstliche Verschwiegenheitspflicht gebunden29o. Völlig anders verhält es sich dagegen bei amtlich veranlaßten Mitteilungen an die parlamentarische oder gar an die allgemeine Öffentlichkeit. Informationen aus dem Bereich der Verwaltung werden, sobald sie der Volksvertretung oder den Medien offiziell zugehen und dort Interesse finden, zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Ihre weitere Verwendung unterliegt danach in der Regel weder einer rechtlich sanktionierten Geheimhaltung291 noch irgendwelchen anderen festen Regeln. Selbst Fakten, deren Preisgabe soeben noch allen Amtsträgem strengstens untersagt war, können sich auf diese Weise unversehens in "Tatsachen, die offenkundig sind" (§ 23 V 2 [2. Alt.] BDSG), verwandeln und damit jeden dienst- oder strafrechtlichen Schutz ein für allemal verlieren. Gestattet man nun durch Gesetz einem einzelnen Amtsträger wie dem Datenschutzbeauftragten, seine bei der Kontrolle anderer Behörden gewonnenen Erkenntnisse periodisch (§ 26 I I BDSG) oder bei Bedarf sogar jederzeit (§ 26 II 3 BDSG) unabhängig vom Willen anderer staatlicher Organe292 unmittelbar in die parlamentarisch-politische Diskussion einzubringen, so gewährt man ihm damit im Ergebnis nichts geringeres als das Recht, sich selbst (und indirekt auch die kontrollierten Amtsträger) nach eigenem Ermessen von der Verschwiegenheitspflicht zu dispensieren293 • Die übrigen Behörden können hiergegen nicht einmal ihre - immerhin ebenfalls gesetzlich begründeten - Auskunftszuständigkeiten nach§§ 19 BDSG, 15 BVerSchG, 99 VwGO usw. ins Feld führen, da diese strenggenommen nur die Beantwortung konkreter Anfragen von
290 S. Kopp, VwVfG, § 5 Rn. 24. Nach BDiszG, NJW 1992, 2107 f., gehören Mitteilungen an Disziplinar- und Verwaltungsgerichte nur deshalb noch zum "dienstlichen Verkehr", weil dort die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann.
291 Die Geheimschutzordnung des Bundestags (GeschOßT, Anlage 3) kommt nur dann zur Anwendung, wenn der Mitteilende einen bestimmten Geheimhaltungsgrad festgelegt hat(§ 3 II 1). 292
S. dazu Dammann, Datenschutzkontrolle, 124: "unzensiert".
Von einem durch die Verschwiegenheitspflicht auferlegten "Maulkorb" (so Schwan, in: Kamloh u.a., BDSG, § 18 Rn. 33 u. 35) kann somit ernsthaft keine Rede sein. 293
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
109
Bürgern und Gerichten betreffen294, nicht aber sonstige Formen der Informationsverbreitung295. Das Amtsgeheimnis als "klassisches" Geheimhaltungsinstrument der Verwaltung stellt also für publizitätsträchtige Mitteilungen des Datenschutzbeauftragten an den Deutschen Bundestag rechtlich und praktisch kein Hindernis dar. Umso wichtiger erscheint daher die Frage, ob zumindest die organisationsrechtlichen Bestimmungen der Verfassung seinen Kontakten zum Parlament Grenzen setzen.
c) Die Wahrung der grundgesetzliehen Kompetenzordnung Gemessen am herkömmlichen Bild gesetzlich formalisierter Organbeziehungen bedeutet der direkte Zugang eines nicht der Regierung angehörenden Amtsträgers zum Parlament zweifellos ein Novum. Eine Parallele bilden allenfalls die an Bundestag und Bundesrat adressierten Berichte des Bundesrechnungshofs (§§ 97, 99 BHO), wobei die Zuordnung dieser mit Verfassungsrang ausgestatteten (Art. 114 II GG) Kontrollbehörde zur vollziehenden Gewalt bekanntlich nicht ganz unumstritten ist296. Da ftlr den Datenschutzbeauftragten des Bundes bisher keine vergleichbare institutionelle Garantie in das Grundgesetz aufgenommen worden ist, erscheint die verfassungsrechtliche Zulässigkeit seiner informationeilen Beziehungen zur Volksvertretung zumindest problematisch. Konkret stellt sich ftlr die Berichterstattung nach § 26 I 1 BDSG die Frage, ob und inwieweit der Beauftragte datenschutzpolitisch relevante bzw. brisante Erkenntnisse, die er bei Kontrollen in den verschiedenen Zweigen der Bundesverwaltung gewonnen hat, ohne Zustimmung oder Mitwirkung des jeweils zuständigen Ressortministers unmittelbar dem Deutschen Bundestag mitteilen darf. Um hierauf eine verfassungsrechtlich fundierte und differenzierte Antwort geben zu können, muß zunächst geklärt werden, in welchem Umfang das Grundgesetz überhaupt einen gewaltenübergreifenden Auskunftsverkehr zuläßt.
294
Genaueres s. Dritter Abschnitt, C. IV. 2. b.
Der Bundesbeauftragte sucht nach eigenem Bekunden (9. TB, BT-Dr 10/6816, S. 62 f.) dennoch dem erklärten Geheimhaltungswillen bestimmter Behörden im Rahmen seiner Berichtstätigkeit Rechnung zu tragen, z.B. durch Erklärung einzelner Teile des Berichts zur "Verschlußsache", die nur den Mitgliedern des BT-Innenausschusses zugänglich gemacht wird (krit. Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 227 ff.). 295
296
Vgl. nur Maunz/Dürig, GG, Art. 114 Rn. 24; Fittschen, VA 83 (1992), 165 ff., m.w.N.
110
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
aa) Die Informationsbeziehungen zwischen Exekutive und Parlament Ausdrückliche Regelungen über die Zulässigkeit direkter Kontakte zwischen dem Bundestag und jenen Exekutivorganen, die unterhalb bzw. außerhalb der Bundesregierung angesiedelt sind, enthält das Grundgesetz nicht. Auch die Staatsrechtslehre befaßt sich hiermit auffallend wenig; eine systematische Untersuchung des Bezugsfelds Parlament - Verwaltungsorgane fehlt bislang297 • Immerhin einen ersten Eindruck vermitteln aber einige AustUbrungen von Jarass in seiner verfassungstheoretischen Studie über Politik und Bürokratie298 • Er kommt aufgrund einer knappen Bestandsaufnahme zu dem Ergebnis, daß es zwischen Parlament und Verwaltung keine organisatorischen Abhängigkeiten gebe299 • Anders als etwa im präsidentiellen Regierungssystem der USA, wo Bundesbehörden mit Kongreßausschüssen unmittelbar in Verbindung treten und wo zahlreiche Verwaltungsstellen nur mit Senatszustimmung besetzt werden dürfen, gelte es in der Bundesrepublik als "selbstverständlich, daß das Parlament nur über die Regierung zur Verwaltung Kontakt hat" 300. Bildlich gesprochen liege die Verwaltung, vom Parlament aus gesehen, "hinter" der Regierung und damit jenseits einer die Bürokratie vom Politikbereich trennenden Systemgrenze301. Die beiden in der Verfassung festgeschriebenen Institutionen des Bundesrechnungshofs und des Wehrbeauftragten versteht Jarass als Ausnahmeflille insofern, als hierdurch direkte und auf gesicherter Rechtsgrundlage ruhende Informationsbeziehungen zwischen Parlament und Verwaltung hergestellt werden. NamentIich der Wehrbeauftragte habe die verfassungspolitische Neuerung gebracht, daß der Bundestag sich mit seinen Fragen nicht mehr allein an den zuständigen Minister wenden müsse302 • Ein kurzer Blick in die heutige Praxis zeigt, daß vor allem im Bereich der Parlamentsausschüsse gewisse Formen des unmittelbaren Zusammenwirkens mit Verwaltungsstellen entstanden sind, die sich aber meist noch im Vorfeld einer
297
Nur eine Materialsammlung bietet Kißler, Öffentlichkeitsfunktion, 216-277.
298
Jarass, Politik und Bürokratie, 48.53.
299
Jarass, 48.
300
Jarass, 49.
301
Jarass, 53.
302
Jarass, 50 f. m.w.N.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
111
organisatorischen Verfestigung bewegen. So hat sich beispielsweise in allen Parlamenten von Bund und Ländern die Übung herausgebildet, bei der Erarbeitung von Gesetzesvorlagen im Ausschuß einzelne Experten der Ministerialbürokratie zum Zwecke der Beratung und Formulierungshilfe heranzuziehen303. Die betreffenden Beamten werden für diese Art der Nebentätigkeit in der Regel von den Weisungen der Exekutivspitze vorübergehend freigestellt, da anderenfalls unlösbare Loyalitäts- und Glaubwürdigkeitsprobleme auftreten wUrdenJo4. Gleichfalls mit Billigung des vorgesetzten Ministers erfolgen vielfach unmittelbare Kontakte einzelner Abgeordneter und Fachausschußmitglieder mit den Referenten nachgeordneter Verwaltungsstellen. Zusammenkünfte dieser Art dienen der gegenseitigen Informationsvermittlung und gehen in ihrer Intensität über den gewöhnlichen Publikumsverkehr einer Behörde weit hinaus; sie sind Ausdruck "parlamentsfreundlichen Verhaltens" der Verwaltung305 . Allerdings behält sich dabei der zuständige Fachminister meist die Möglichkeit vor, Form und Zeitpunkt der Kontaktaufnahmen zu steuern und bestimmte Informationen nur persönlich oder durch besonders beauftragte Personen an die Parlamentarier weiterzugeben, so daß die gerade für die Parlaments- und Ausschußopposition wichtigen informellen Auskunftsstränge in allen politisch heiklen Angelegenheiten kurzfristig abgeschnitten werden können306. Insgesamt läßt dieser Blick in die Verfassungswirklichkeit kein ausreichend klares Bild erkennen, um daraus erste Konturen eines Systems parlamentarischadministrativer Interorganbeziehungen ableiten zu können. Bei den Informationskontakten unterhalb der Regierungsebene handelt es sich offenbar durchweg um "marginale Erscheinungen, ohne rechtliche Grundlage und ständig vom Verdikt der Verfassungswidrigkeit bedroht"307 • Wo die verfassungsrechtliche Grenze genau verläuft, kann sich nur aus einer Gesamtbetrachtung der grundgesetzliehen Organisationsstruktur ergeben.
303 Vetter, ParlamentsausschUsse, 277. Schenke, Verfassungsorgantreue, 109, sieht in der Bereitstellung der Beamten sogar eine ungeschriebene Verfassungspflicht der Regierung. 304 Näher Vetter, ParlamentsausschUsse, 263 f.; Bischo.ff/Bischo.ff, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, § 54 Rn. 50 f. Zur Situation bei Bundestags-Hearings (§ 70 GeschOBl) Kißler, Öffentlichkeitsfunktion, 240 f.; vgl. auch Kipke, UntersuchungsausschUsse, 23 Fn. 9. 305 Vonderbeck, ZParl 1983, 311 (320 f.); Vetter, Par1amentsausschUsse, 264; krit. Leisner, ZBR 1981, 143 (145 f.). 306
Vgl. Berg, in: BK, GG, Art. 45 a Rn. 167 a.E.
307
Jarass, Politik und Bürokratie, 50.
112
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
bb) Art. 43 GG als die Zentralnorm des parlamentarischen Kontakts Die allgemeinen organisationsrechtlichen Beziehungen308 zwischen Parlament und vollziehender Gewalt hat das Grundgesetz in den Art. 43 bis 45 c geregelt. Hiervon betreffen die Art. 44 bis 45 c bestimmte Sonderformen parlamentarischer Informationsgewinnung (Untersuchungsausschuß, Auswärtiger Ausschuß und Verteidigungsausschuß, Wehrbeauftragter, Petitionsausschuß); diese Bestimmungen können im folgenden zunächst außer Betracht bleiben. Im Vordergrund steht, aus regelungssystematischer wie auch aus verfassungshistorischer Siche09 , die Doppelnorm des Art. 43 GG. Sie enthält in ihren beiden Teilen die Ansätze zu einem System wechselseitiger Informationsbeziehungen und bildet daher den notwendigen Ausgangspunkt aller weiteren verfassungsrechtlichen Überlegungen.
a) Parlamentsrechte nach Art. 43 I GG
Art. 43 I GG gewährleistet dem Plenum des Bundestags sowie seinen Ausschüssen das Recht, durch Mehrheitsbeschluß (Art. 42 II 1 GG) die Anwesenheit jedes Mitglieds der Bundesregierung zu verlangen (Zitierrecht). Über den unmittelbaren Normtext hinausgehend erblickt die heute herrschende Meinung hierin zugleich die verfassungsrechtliche Grundlage eines auf den jeweiligen Beratungsgegenstand bezogenen parlamentarischen Fragerechts und einer entsprechenden Antwortpflicht des zitierten Kabinettsmitglieds310 • Die zur Präsenz Verpflichteten sollen sich nach dem erkennbaren Zweck der Vorschrift nicht auf stummes Dabeisitzen beschränken, sondern als Verantwortliche dem Parlament Rede und Antwort stehen311 • Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 43 I GG bezieht sich die Informationsverpflichtung allerdings nur auf das Verfassungsorgan Bundesregierung und seine Mitglieder (Art. 62 GG); sonstige Amtsträger des Exekutivbereichs
308 Ausgeklammert werden hier die speziellen Formen des Zusammenwirkens im Gesetzgebungsverfahren (Art. 76, 110 111 GG). 309
Zu letzterer Magiera, Staatsleitung, 308 Fn. 178 m.w.N.
Einzelheiten bei Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 42 tf.; Maunz/Dürig, GG, Art. 43 Rn. 8; a.A. Achterberg, Parlamentsrecht, 462. - Zur Frage einer weitergehenden, ungeschriebenen Auskunftspflicht des Kabinetts s.u., 4.b. 310
311
So bereits Anschütz (zit. b. Magiera, Staatsleitung, 309).
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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können -jedenfalls auf dieser verfassungsunmittelbaren Grundlage - weder zum Erscheinen noch zur Auskunft verpflichtet werden312 • Nicht mehr vom Grundgesetz gedeckt ist daher die vom Bundestag geübte Praxis, die Parlamentarischen Staatssekretäre als politische Vertreter ihrer Minister formell zu zitieren313. Zwar sollen diese Amtsträger nach § I des Gesetzes über die Parlamentarischen Staatssekretäre314 die jeweiligen Fachminister gerade bei Erfüllung ihrer "Regierungsaufgaben" unterstützen, zu denen unbestreitbar auch die Vertretung der Regierungspolitik im Parlament gehört. Aus Gründen der Normenhierarchie reicht aber die bloß einfachgesetzliche Funktionszuweisung nicht aus, um filr die Ministergehilfen eine den Kabinettsmitgliedern gleichwertige Rechtsstellung zu begründen, wie sie Art. 43 I GG für den Umgang mit anderen Verfassungsorganen voraussetze 15 • Wegen des beschränkten Adressatenkreises dieser Norm bleibt also der parlamentarische Informationszugang, soweit er sich auf das Grundgesetz stützt, eng an die Person des Ressortministers gebunden. Ist dieser aus objektiven Gründen verhindert, so können die Parlamentsgremien nach allgemeiner Auffassung nicht auf beliebige Auskunftspersonen z.B. im Ministerialbereich zurückgreifen, sondern müssen sich entweder mit einem ausdrücklich ermächtigten Vertreter zufrieden geben oder ihr Verlangen nach persönlicher Anwesenheit des betreffenden Regierungsmitglieds vorübergehend zurückstellen316 •
ß) Regierungsrechte nach Art. 43 II GG
Gewissermaßen als ein Gegenrecht zur parlamentarischen Informationsbefugnis des Abs. I gewährt Art. 43 II I GG der Bundesregierung den uneingeschränkten Zutritt zu allen Sitzungen des Bundestags und seiner Ausschüsse317. Die Exekutivspitze erhält dadurch, unabhängig von dem außerhalb der Plenarsitzungen nur lückenhaft verwirklichten Grundsatz der Parlamentsöffent-
312
Meier, Zitierrecht, 130 f. m.w.N.; Stern, StaatsR II, 54; Schröder, in: BK, Art. 43 Rn.34.
m Ganz h.M., vgl. Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 34 m.w.N. 314
G. v. 24. 7. 1974, BGBI. I S. 1538.
315
Ebenso Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 38.
316
Vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 43 Rn. 7; Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 39.
Gegen eine innerliche Verknüpfung von Zitier- und Zutrittsrecht allerdings Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 51 ff. m.w.N. 311
8 Zöllner
114
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
lichkeit (Art. 42 I GG), ein unentziehbares318 Recht auf Informationsteilhabe gegenüber der Volksvertretung. In der Praxis wird aus der verfassungsrechtlichen Zutrittsberechtigung sogar ein unmittelbarer Rechtsanspruch hergeleitet, vom Parlament über Sitzungstermine und Beratungsgegenstände in Kenntnis gesetzt und mit denselben Unterlagen beliefert zu werden wie ein Abgeordneter319. Angesichts seiner primär informatorischen Funktion ist das Anwesenheitsrecht nicht reduzierbar auf eine bloße Hilfskompetenz im Dienste des in Art. 43 II 2 GG darüber hinaus eingeräumten Rederechts320 • Es handelt sich vielmehr um ein eigenständiges Instrument des Kontakts und der Kooperation zweier prinzipiell ebenbürtiger Verfassungsorgane321 • Das Recht auf Zutritt dient primär der Informationserlangung, das jederzeitige Gehör dagegen der Informationsverbreitung durch die Regierung. Im auffälligen Gegensatz zur Regelung des Abs. I werden die Kommunikationsrechte des Art. 43 li GG nicht allein den Mitgliedern der Bundesregierung (Art. 62 GG), sondern daneben ausdrücklich auch ihren "Beauftragten" gewährt. Zutritt zum Bundestag haben danach offenbar auch Amtsträger ohne eigenen Verfassungsstatus. In dem System grundgesetzlich normierter Informationsbeziehungen zwischen den Organen der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt scheint hier eine Einbruchstelle zu liegen fiir unmittelbare Parlamentskontakte von Verwaltungsangehörigen. Auch die Berichtsmöglichkeiten des Bundesbeauftragten für den Datenschutz ließen sich damit verfassungsrechtlich ohne weiteres legitimieren, falls ihm ein "Beauftragten"-Status im Sinne der genannten Vorschrift zukäme.
318 Zu den ungeschriebenen Grenzen unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfllhigkeit s. Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 72 ff. 319 So besonders Hablitzel, BayVBI. 1984, 673 (676), filr die Parallelbestimmung des Art. 24 II BayVerf. S . auch Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 71; §§ 20 II, 61 III GeschOßT. 320 So die - bislang ohne positive Resonanz gebliebene - These von Schönfeld, Zitierrecht, 96, 106 f. 321
Schröder, in: BK, Art. 43, Rn. 54, 58; Meier, Zutrittsrecht, 157.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
115
cc) Der Beauftragte der Regierung nach Art. 43 II GG Ständiger Parlamentspraxis im Plenum des Bundestags entspricht es, allein die beamteten Staatssekretäre bzw. an deren Stelle die 1967 eingeführten Parlamentarischen Staatssekretäre als Beauftragte der Bundesregierung anzuerkennen322. Diese überaus restriktive Auslegung findet jedoch im Wortlaut des Grundgesetzes keinen Anhaltspunkt und kann deshalb den Kreis möglicher Beauftragter nicht rechtswirksam beschränken323 • Immerhin kommt darin aber das legitime Bestreben zum Ausdruck, die Beauftragtenstellung mit den verfassungsrechtlichen Funktionen des Zutrittsund Rederechts in Einklang zu bringen. Die Kontaktrechte des Art. 43 II GG dienen dazu, das Verfassungsorgan Bundesregierung als Gesprächspartner des Parlaments in die Plenar- und Ausschußarbeit fortlaufend einzubeziehen324 • Dieser Zielsetzung müssen Amt und Person des Beauftragten jederzeit genügen. Wer als Abgesandter der Regierung nach Art. 43 II GG vor parlamentarischen Gremien auftritt, soll kraft seiner dienstlichen und persönlichen Stellung die Regierungslinie in solchem Maße verkörpern, daß er vorbehaltlos als Repräsentant der Bundesregierung behandelt werden kann. Wesentlich ist somit ein eindeutig feststehendes, rechtlich gesichertes Näheverhältnis des Beauftragten zu "seinem" auftraggebenden Bundesminister oder zum Bundeskabinett insgesamt325 • Er muß generell oder zumindest fiir einen bestimmten Fragenkreis ermächtigt sein, "Erklärungen und Auskünfte fiir und wider die Bundesregierung ... abzugeben oder entgegenzunehmen"326, wobei er sich durch einen gewissen Handlungsspielraum von einem bloßen Erklärungs- und Empfangsboten unterscheidet327 • Die jederzeitige inhaltliche Übereinstimmung des Beauftragten mit den von der Regierung formulierten Positionen ist die ungeschriebene Voraussetzung 122 Schönjeld, Zutrittsrecht, 98; Meier, Zutrittsrecht, 157; Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 69 m.w.N. Zur regierungsinternen Regelungs. §§ 14 ll, 14 a, 23 li GeschOßT. -In Ausschußsitzungen werden auch sonstige Regierungsvertreter akzeptiert.
m Ganz h.M., s. Maunz!Dürig, GG, Art. 43 Rn. 13; Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 69; Meier, Zitierrecht, 156; a.A. jedoch Schönfeld, Zitierrecht, 98 ff. 324
Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 58.
m Praeter Iegern wird auch der Regierung als Kollegium das Recht zur Bestellung von Parlamentsbeauftragten zugebilligt, s. Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 68 m.w.N. 326
Maunz!Dürig, GG, Art. 43 Rn. 15; Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 62.
327
Schönje/d, Zutrittsrecht, 96; Meier, Zutrittsrecht, 153.
116
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
seines Auftretens im Bundestag; erst sie läßt die parlamentarische Gleichbehandlung im Verhältnis zu den Regierungsmitgliedern als gerechtfertigt erscheinen. Zur verfassungsrechtlichen Beauftragung im Sinne des Art. 43 II GG gehört daher untrennbar eine Bindung an Weisungen des auftraggebenden Verfassungsorgans328 • Sie folgt unmittelbar aus dem Zweck der grundgesetzliehen Regelung und ist somit unabhängig vom gleichzeitigen Bestehen einer dienstrechtlichen Gehorsamspflicht329 • Das Amt des Beauftragten besteht nicht im Eigeninteresse des jeweiligen Inhabers, sondern im Interesse der Regierung und ihres Informationsbedarfs. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz läßt sich hiernach keinesfalls mehr zu den "Beauftragten" im Sinne des Art. 43 II GG rechnen. Er kann schon im nominellen Sinne kaum als "Beauftragter der Bundesregierung" gelten, nachdem er vom Regierungskollegium nur vorgeschlagen, nicht aber gewählt und ernannt wird (§ 22 I BDSG). Zwar untersteht er während seiner Amtsführung der Rechtsaufsicht der Bundesregierung sowie der Dienstaufsicht des Bundesministers des Ionern (§ 22 IV 3, V 2 BDSG). Diese Instrumente bieten aber wegen der zugleich garantierten sachlichen Unabhängigkeit (§ 22 IV 2 BDSG) keinerlei Handhabe, den Beauftragten in datenschutzrechtlichen Streitfragen auf die regierungsamtliche Linie festzulegen 330• Während seiner Amtszeit kann ihn die Regierung nach § 23 I 2, 3 BDSG auch nicht einfach abberufen, wie dies für einen Beauftragten nach Art. 43 II GG gefordert werden muß331 • Aus dieser Verfassungsbestimmung läßt sich demnach für den Datenschutzbeauftragten kein Recht auf unmittelbaren Zugang zur Volksvertretung ableiten332 •
328 Besonders deutlich Hablitzel, BayVBI. 1984, 673 (674 f., 676); s. auch Schönfeld, Zitierrecht, 96, 100; unklar Maunz!Dürig, GG, Art. 43 Rn. 13.
329
Nach Hablitzel, vorige Fn., 676, gelten hilfsweise die §§ 662 ff. BGB.
Dazu ausftlhrlich, Erster Abschnitt, B.V. (Dienstaufsicht) u. Dritter Abschnitt, A (Rechtsaufsicht). 330
331 Hablitzel, BayVBI. 1984, 673 (675); vgl. auch Meier, Zitierrecht, 157; Fauser, Die Stellung der Regierungsmitglieder, 28. 332 Ebenso Vonderbeck, DVBI. 1980,439 (440 f.); Flanderka, Bundesbeauftragter, 56; anders de lege ferenda Geiger, DVBI. 1990, 748 (752).
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
ll7
dd) Die Sperrwirkung des Art. 43 GG Die bisherigen Überlegungen haben ergeben, daß das Grundgesetz die Informationsbeziehungen zwischen Parlament und Exekutive - klammert man die Sondervorschriften der Art. 44 bis 45 c GG zunächst aus - nur im Verhältnis der beiden Verfassungsorgane Bundestag und Bundesregierung ausdrücklich regelt und die Frage direkter Kontakte zwischen der Volksvertretung und nachgeordneten bzw. regierungsunabhängigen Verwaltungsstellen nicht eigens thematisiert. Dieses Schweigen des Verfassungsgebers erlaubt, vordergründig betrachtet, zwei entgegengesetzte Deutungen. Zum einen ließe sich aus Art. 43 I GG der Schluß ziehen, wenn der Bundestag sogar die Regierungsmitglieder als ranghöchste Vertreter der Exekutive zu sich zitieren und befragen könne, müsse er ähnliche Auskunftsrechte auch und erst recht gegenüber den unterhalb der Kabinettsebene angesiedelten Verwaltungsstellen besitzen oder zumindest auf einfachgesetzlichem Wege erhalten können. Hiernach wäre gegen eine Verpflichtung einzelner Amtsträger zur regelmäßigen Berichterstattung gegenüber dem Parlament, wie sie in § 26 I I BDSG normiert ist, verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. Umgekehrt läßt die Formulierung des Art. 43 I GG aber auch die Deutung zu, der Bundestag und seine Ausschüsse seien zur Erlangung von Auskünften zwingend auf die Mitglieder der Bundesregierung verwiesen und dürften niemand anderen zum Sachvortrag heranziehen; die Verfassung habe den Informationsaustausch zwischen den Gewalten generell auf wenige leitende Amtsträger beschränkt, wie die in Art. 43 II GG enthaltene Begrenzung des Anspruchs auf persönlichen Zugang zur Volksvertretung erkennen lasse. Daß allein diese letztere Auffassung zutreffend ist, zeigt eine systematische Betrachtung anband der grundlegenden Verfassungsentscheidungen fiir Gewaltenteilung, parlamentarische Regierungsverantwortlichkeit und Ministerialsystem.
a) Das Informations- und Auskunftsmonopol der Bundesregierung
Nach dem Vorstellungsbild der Verfassung ist die Bundesregierung, ungeachtet ihrer im parlamentarischen Regierungssystem begründeten personellen Abhängigkeit vom Bundestag, kein bloßer "Vollzugsausschuß des Parlaments", sondern ein selbständiges, die politische Führung der Exekutive ausübendes
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
118
oberstes Bundesorgan333 • Sie verkörpert denjenigen Teil der vollziehenden Gewalt, der unmittelbar in die Sphäre des eigentlichen Verfassungslebens hineinragt und an der staatlichen Gesamtleitung nach Maßgabe konkreter verfassungsrechtlicher Kompetenzzuweisungen mitentscheidend teilhat. Die Regierungsmitglieder, die nach Art. 65 S. 2 GG jeweils für einen exekutiven Sachbereich als Leitungs- und Aufsichtsinstanz persönlich zuständig sind334, tragen die Verantwortung für den ihnen unterstellten Verwaltungsapparat nicht nur kabinettsintern, sondern auch gegenüber der Volksvertretung335. In dieser parlamentarischen Verantwortlichkeit der Minister, die in die deutsche Verfassungsentwicklung erst verhältnismäßig spät Eingang gefunden hat336, liegt die wichtigste Nahtstelle in den Beziehungen zwischen Parlament und Exekutivbereich337 • Die Rechenschafts- und Einstandspflicht gegenüber dem Bundestag trifft nach geltendem Recht ausschließlich den Leiter des Ressorts in seiner mit Verfassungsrang ausgestatteten Funktion als Regierungsmitglied; sonstige Amtsträger der vollziehenden Gewalt werden davon nicht erfaßt338 • Diese Begrenzung externer Verantwortlichkeit auf die Inhaber der spezifisch politischen Führungsämter ist ein Element der im Grundgesetz verwirklichten Gewaltenteilung; der Verwaltung bleiben dadurch Handlungsfahigkeit und relative Selbständigkeit erhalten339 • Einwendungen des Parlaments, die gegen die Amtsführung hierarchisch nachgeordneter Stellen gerichtet sind, finden demgemäß ihren legitimen Adressaten allein in dem zuständigen Minister als Chef des Ressorts340• Dessen Verantwortlichkeit freilich kann nach außen nicht weiter reichen als
m Friesenhahn, VVDStRL 16 (1 958), 9 (33); Maunz/Dürig, GG, Art. 62 Rn. 65; Hesse, VerfassungsR, Rn. 637; 0/diges, Bundesregierung, 240; Beinhofer, Kollegialitlltsprinzip, 6. 334
Einzelheiten z. B. bei Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 24 ff.
m Ganz h.M., vgl. Kröger, WDStRL 33 (1975), 159; Stern, StaatsR II, 310; Liesegang in: v.Münch, GG, Art. 65 Rn. 21; Oebbecke (vorige Fn.), 95 ff. 336
Näheres bei Stern (vorige Fn.), 314 f.
Böckenförde, Organisationsgewalt, 145; ähnlich schon Köttgen, JöR 3 (1954), 67 (104): "Gelenkstelle"; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 32 m.w.N. 337
338 Böckenförde (vorige Fn.), 145 f. ; Wahl, Stellvertretung, 36 f.; Stern, StaatsR 11, 315; /sensee, in: Benda/Maihofer/ Voge/, HdbVerfR, 1149 (1154); Losche/der, in: /sensee/Kirchhof, HdbStR III, § 68 Rn. 86 f. 339
Wahl (vorige Fn.), 96 f.; Hesse, VerfassungsR, Rn. 538.
° Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 19, 76 m.w.N .; Loschelder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR
34
Ill, § 68 Rn. 41.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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seine Aufsichts- und Lenkungsbefugnisse innerhalb der Exekutive; daher gehören zu den notwendigen Folgen und Funktionsbedingungen des Ministerialsystems die Verwaltungshierarchie als Organisationsprinzip sowie die dienstrechtlichen Grundsätze der Weisungsgebundenheit und der Gehorsamspfliche 41 • Die verfassungsrechtliche Vorrang- und Sonderstellung des Ministers spiegelt sich auch in den hier interessierenden Beziehungen zwischen Exekutive und Parlament. Die in Art. 43 I GG normierte Pflicht zum Erscheinen und zur Auskunftserteilung wird allgemein als Beleg und als wichtigste normative Ausprägung der Ministerverantwortlichkeit angesehen342 • Gerade hierin liegt der sachliche Grund für die Beschränkung dieser Vorschrift auf die Regierungsmitglieder. Alle anderen Amtsträger der vollziehenden Gewalt trifft mangels parlamentarischer Verantwortlichkeit auch keine verfassungsrechtliche Informationsverpflichtung gegenüber dem Bundestag343 • Die daraus abzuleitenden Folgerungen reichen aber noch einen Schritt weiter. Da im hiesigen Regierungssystem, wie Dürig formuliert hat, "die Schleusen der Gewaltenvermengung lediglich zwischen Regierung (Kabinett) und Parlament geöffnet sind"344, wäre die direkte Weitergabe behördlicher Informationen an den Bundestag unter Umgehung der Bundesregierung sogar verfassungswidrig. Art. 43 I GG hat nämlich nicht bloß Verpflichtungscharakter, sondern enthält darüber hinaus auch ein verfassungsrechtliches Auskunfts- und Informationsprivileg der Kabinettsmitglieder. Die Begründung dafür ergibt sich vornehmlich aus dem Prinzip der Gesamthierarchie der vollziehenden Gewalt345 • Das Amt des Ministers bildet nach dem Grundgesetz nicht nur innerhalb der Bundesverwaltung, sondern auch nach außen, d.h. vor allem gegenüber den übrigen Verfassungsorganen, die "Spitze" des gesamten Ressorts und damit den alleinigen organisationsrechtlichen Anknüpfungspunkt für mögliche Interorganbeziehungen346 •
341
Isensee, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, 1149 (1154) m.w.N.
Nachweise bei Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 22; vgl. auch Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 142 f. 342
343
Vgl. Brohm, VVDStRL 30 (1972), 245 (295); ders., in: Isensee/Kirchhoj, HdbStR II, § 36
Rn. 54 (ftlr ein weitergehendes Auskunftsrecht des Parlaments de constitutione ferenda).
344 Maunz/Dürig, GG, Art. 17 Rn. 31 (wobei ftlr Beamtenpetitionen eine Ausnahme angenommen wird). 345
Dazu E. Klein, Minsterialfreier Raum, 56 m.w.N.
346
Ebenso Böckenförde, Organisationsgewalt, 205, ftlr das Verhältnis zu Kanzler und Kabinett.
120
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Für die Frage der Informationskontakte bedeutet dies, daß auf Seiten der Exekutive der Informationsfluß kanalisiert und auf die institutionell höchste Ebene geleitet wird, nämlich die des Bundeskabinetts. Die darunter angesiedelten Funktionsträger der vollziehenden Gewalt werden zur Vermeidung von Loyalitätskonflikten aus der Kommunikation zwischen Regierung und Parlament herausgehalten und damit in politischer Hinsicht neutralisiert347• Volksvertretung und nachgeordnete Verwaltungsstellen dürfen auf direktem Wege nicht miteinander in Kontakt treten; der jeweilige Ressortchef schirmt den ihm unterstellten Apparat und das dort verfilgbare Amtswissen vor einem unmittelbaren parlamentarischen Zugriff ab. Da allein der Minister nach Art. 43 I GG dem Bundestag Rede und Antwort steht, verbleibt ihm auch stets die letzte Entscheidung darüber, welche verwaltungsinternen Informationen seinen Zuständigkeitsbereich zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form verlassen und in die parlamentarische Erörterung einfließen sollen348 • Angesichts der hiermit verbundenen Möglichkeit, das Erscheinungsbild der gesamten Exekutive in der parlamentarischen Öffentlichkeit aktiv zu bestimmen, kann das geschilderte Informationsmonopol der Regierung349 als deren kompetenzmäßiges "Recht auf politisch-informationelle Selbstdarstellung" bezeichnet werden. Die ministerielle Alleinverantwortung und Alleinvertretung hinsichtlich der Informationspolitik ist nicht nur ein Ausdruck der grundgesetzlich garantierten Ressortselbständigkeit (Art. 65 S. 2 GG), sondern entspricht darüber hinaus in besonderer Weise dem Status der Bundesregierung als einem funktionell selbständigen, dem Bundestag prinzipiell ebenbürtigen Leitungsorgan in einem auf Gewaltenbalance angelegten Verfassungssystem350• Das vom Grundgesetzgeber intendierte Zusammenwirken der beiden obersten Bundesorgane im Sinne eines fortlaufenden "staatsleitenden Dialogs"351 setzt voraus, daß von Seiten der Exekutive mit nur einer Stimme gesprochen wird.
347 Vgl. auch zum Verfassungsgebot eines parteipolitisch neutralen Beamtenturns Isensee, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, 1149 (1155). 348
Kißler, Öffentlichkeitsfunktion, 163.
349
Dazu in anderem Zusammenhang auch Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, 62.
350
Ebenso Magiera, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, § 52 Rn. 58.
351
Magiera, Staats1eitung, 311.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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Hieraus folgt nicht nur fiir das Regierungskollegium die - in § 12 GeschO BReg ausdrücklich normierte - verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Geschlossenheit und zur Kabinettssolidarität352, sondern ebenso und erst recht filr die nachgeordneten Verwaltungsorgane das prinzipielle Verbot, sich dem Bundestag gegenüber mit eigenen Stellungnahmen zu Wort zu melden. Das Parlament seinerseits verstieße gegen das ungeschriebene Verfassungsgebot der Rücksichtnahme353 bzw. gegen den Gedanken der "Verfassungsorgantreue"35\ nähme es Informationskontakte zu einzelnen Amtsträgern der vollziehenden Gewalt auf, ohne dabei die verantwortlichen Kabinettsmitglieder einzuschalten. Gesprächspartner und Auskunftsstelle der Volksvertretung ist nach dem Grundgesetz in erster Linie die Bundesregierung355 ; nur wo die Verfassung selbst hiervon Ausnahmen vorsieht oder zuläßtl 56, kommen parlamentarisch-administrative Direktkontakte in Frage. Da es sich bei dem hier dargestellten Informationsmonopol der Regierungsmitglieder um eine aus der Leitungsfunktion folgende verfassungsunmittelbare Annexkompetenz handelt357, darf auch der (einfache) Gesetzgeber den Kabinettsvorbehalt nicht einfach unterlaufen, indem er einzelne Funktionsträger des nachgeordneten Bereichs zur Weitergabe ihres dienstlich erlangten Wissens unmittelbar an das Parlament verpflichtet oder ermächtigt. Zwar gilt im Prinzip filr die Regierung nicht weniger als filr Verwaltungsorgane der in Art. 20 III GG niedergelegte Vorrang des Gesetzes, so daß auch sie jederzeit mit einem bis an die Grenze des eingriffsfesten "Kernbereichs" zulässigen358 - legislativen Entzug von Aufgaben und Kompetenzen rechnen muß. Diese Feststellung bezieht sich aber nicht auf den besonderen Bereich der Interorganbeziehun-
352
Ausftlhrlich dazu 0/diges, Bundesregierung, 436 ff. m.w .N .; Busse, DÖV 1989, 45 (49 f.).
"'Dazu allgemein BVerjGE 35, 193 (199); 45, I (39); Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 88 f. 354
Vgl. die gleichnamige Schrift von Schenke (1977), passim.
Ebenso Köttgen, JöR 11 (1962), 173 (212); Gusy, ParlamentarischerGesetzgeber und BVerfG, ll7; am Beispiel des Verfassungsschutzamtes OVG Münster, DVBI. 1995, 375 (376). 355
356
Dazu unten, II.2.a.
Ganz ähnlich wie die "lnformationshoheit" wird auch die Personalhoheit des Ressortministers aus dem Verfassungszusammenhang begründet, s. Lecheler, Personalgewalt, 190 ff. 357
358 Hierzu 0/diges, Bundesregierung, 241 m.w.N . -Nachdem die Personalhoheit des verantwortlichen Ministers wegen ihrer "politischen Tragweite" zu den gernaß Art. 28 I 1 GG (Homogenitätsgebot) unentziehbaren Regierungsaufgaben zählt (so BVerjGE 9, 268 [281 ff.]), muß dies filr die hier erörterte Informationshoheit mindestens ebenso gelten (a.A. offenbar Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 4).
122
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
gen359 • Die gegenseitigen Rechte und Pflichten sowie die Einwirkungsmöglichkeiten der Verfassungsorgane untereinander sind auf der Ebene des formellen Verfassungsrechts geregelt und können daher nicht ohne Grundgesetzänderung aufgehoben oder angereichert werden360. Die Ordnungsfunktion der Verfassung gebietet es auch, daß sich der Dialog zwischen der Volksvertretung und den verantwortlichen Amtswaltern der Exekutive in verfassungsrechtlich vorgezeichneten Bahnen vollziehtl 61 . Der insoweit bestehende Verfassungsvorbehaltl62 setzt den Vorrang des förmlichen Gesetzes außer Kraft. Damit bestätigt sich die Erkenntnis, daß in einem gewaltengliedemden Verfassungsstaat das Parlament auch in Ausübung seiner Gesetzgebungszuständigkeiten weder "Organsouveränität" noch etwa "Kompetenz-Kompetenz" besitzt, sondern an die den obersten Staatsorganen vorgegebene Zuständigkeitsverteilung gebunden bleibe63 . Die soeben aufgezeigten verfassungsrechtlichen Grenzen werden indes von der Regelung des § 26 I 1 BDSG, so wie sie bisher interpretiert und praktiziert worden istl64 , deutlich überschritten365 . Dem Bundestag wird durch die umfassenden Berichte des Datenschutzbeauftragten eine Informationsquelle erschlossen, die im Gegensatz zu dem allgemeinen parlamentarischen Informationsanspruch von der Regierung unabhängig ist. Die Parlamentarier können am
359
Goessl, Organstreitigkeiten, 100, spricht insoweit treffend vom "Verfassungsverfahrensrecht".
Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, !II; Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 115; WitteWegmann, Anfragen, 82; Stellungnahme des Bundesrats, BT-Dr 7/3495; Trossmann, JöR 28 ( 1979), I (67 f.); Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 19; Vetter, DÖV 1986,590 (591); Voge/gesang, ZRP 1988, 5 (9); Tomuschat, in: Magiera/Merten, Bundesländer und EG, 35; unklar Dobiey, ZParl 1974, 316 (324). 360
361
Würtenberger, in: BK, Art. 45 c Rn. 24.
Würfenherger (vorige Fn.), Rn. 22 ff.; grds. auch 0/diges, Bundesregierung, 385 Fn. 50. Die Problematik der Interorganbeziehungen Obersieht Bleckmann, JR 1978, 221 (226 f.). 362
363 Dazu allgemein Böckenförde, Organisationsgewalt, 106, 287 ff.; Schnapp, VVDStRL 43 (1985), 172 (181 ff., 188 f.); H. Thieme, UntersuchungsausschUsse, 38 ff.; Stellungnahme des Bundesrats, BT-Dr 7/3495 (2.). Auch das BVerjG (E 49, 89 [124 ff.]; 68, 1 [68 f.]) wendet sich gegen einen "aus dem Demokratieprinzip flllschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts". - Bei der Regelung von Interorganbeziehungen wären die Gesetzgebungsorgane im übrigen, wie Tomuschat (in: Magiera/Merten, Bundesländer und EG, 35 f.) zutreffend festgestellt hat, "in gewisser Weise Partei". 364
V gl. oben, C.l.l .
Angedeutet schon bei Ruckriegel u.a., Datenschutz NRW, § 31 Er!. 3: "Daßein der Exekutive angehörendes Organ unmittelbar dem Landtag berichtet, mag verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Bedenken unterliegen." 365
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exekutivischen Kontrollwissen des Beauftragten unmittelbar teilhaben und dadurch ihre eigene (regierungsbezogene) Kontrolltätigkeit über das gewöhnliche Maß hinaus intensivieren366 • Auf das von vielen als unzureichend empfundene grundgesetzliche Kontrollinstrumentarium sind sie wegen des einfachgesetzlichen Informationsstrangs im Bereich des Datenschutzes nicht mehr unbedingt angewiesen. Ob diese Durchbrechung des Informationsmonopols der Regierung in jedem Falle verfassungswidrig oder zumindest teilweise zulässig ist, hängt von der Frage ab, inwieweit hier auch gegenläufige Verfassungsgesichtspunkte zu berücksichtigen sind.
ß) Der Ausnahmefall: "Ministerialfreiheit" Die Umgehung des regierungsamtlichen Auskunftswegs läßt sich nicht einfach durch die Überlegung rechtfertigen, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz sei schließlich "unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen" (§ 22 IV 2 BDSG); er gehöre also selbst nicht zum nachgeordneten Ressortund Verantwortungsbereich der Bundesregierung, so daß seine Tätigkeitsberichte auch deren Informationsvorrechte nicht berühren könnten. Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt dieses Gedankengangs, wonach das verfassungsrechtliche Informationsmonopol der Kabinettsmitglieder für "weisungs- und unterrichtungsfrei" organisierte367, d.h. keiner fachlichen Aufsicht unterliegende Verwaltungsstellen insoweit nicht gelten kann, als es um Auskünfte geht, die nur von den betreffenden Behörden selbst und nicht (auch) von einem Minister erlangt werden können368 • Die Regierung kommt als primärer und originärer Ansprechpartner des Parlaments dort von vornherein nicht in Betracht, wo sie keine - zumindest mittelbare - Sachverantwortung trägt und über kein größeres Wissen verfügt als jeder sonstige Außenstehende369 • 366 Aufschlußreich MdB Schäfer, in: BT-Anhörung BDSG 1986, S. 99: "Wir als Parlamentarier können unsere Kontrollkompetenz, was das Umgehen mit Daten von Bürgern bei den Nachrichtendiensten angeht, letztlich nur aufgrund der Berichte des Bundesbeauftragten fllr den Datenschutz wahrnehmen." Vgl. auch die Äußerungen in BT- Sten. Prot. 9/21, 901, 903; 9/86, 5194, 5197. 367
Zu den Begriffen s. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 7 f.
Oebbecke (vorige Fn.), 109; Linck, DÖV 1979, 116 (121); ders., ZRP 1987, II (13 Fn. 30); Krebs, Kontrolle, 147 Fn. 171; Müller, JuS 1985, 497 (498); vgl. auch Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, 61 ff., I 02 ff. 368
369 Entsprechend eingeschränkt: das Fragerecht des einzelnen Parlamentariers nach § I 05 GeschOBT i.V.m. Anlage 4 Nr. 2 Abs. I.
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Um diesen Sonderfall geht es jedoch bei der Anwendung des § 26 I 1 BDSG regelmäßig nicht. Soweit der Datenschutzbeauftragte durch seine Tätigkeitsberichte überhaupt Informationen von politischer Brisanz oder sonstiger Bedeutung an den Bundestag weitergibt, sind ihm diese meist erst aufgrundvorheriger Kontrollen durch Einsichtnahme in Akten und Dateien sowie durch die Untersuchung bestehender Arbeitsabläufe bekanntgeworden (s. § 24 IV 2 BDSG). Sie stammen also nicht ursprünglich aus seiner eigenen Organsphäre, sondern von den datenverarbeitenden Stellen des Bundes einschließlich der ministeriellen Ressorts. Der in Art. 43 I GG vorgezeichnete normale Auskunftsweg über die Regierung stünde für diese Informationen im Regelfall durchaus zur Verfügung. Es besteht daher kein allgemein zwingender Grund, das gesamte Querschnittswissen des Beauftragten über die Datenverarbeitung im Bund dem Parlament durch eine direkte Mitteilung zugänglich zu machen. Lediglich für jenen schmalen Bereich der Bundesexekutive, der mangels Weisungs- und Unterrichtungsrechten des Kabinetts als "ministerialfrei" bezeichnet werden kann, darf der Datenschutzbeauftragte ersatzweise in die Position des Informanten einrücken. In den weit zahlreicheren Fällen, in denen die inspizierten Verwaltungshereiche einem Kabinettsmitglied unterstellt sind, dürfen dagegen die Kontrollergebnisse nur dann vollständig in die Berichte übernommen werden, wenn der Minister die (erstmalige) Darstellung eines verwaltungsinternen Sachverhalts gegenüber der parlamentarischen Öffentlichkeit ausdrücklich dem Datenschutzbeauftragten überlassen hat. Kraft seines verfassungsrechtlichen Informationsprivilegs ist der Ressortleiter in dieser Entscheidung frei. Erklärt er bestimmte Vorgänge für nicht mitteilungsreif oder behält er sich eine bestimmte Art der Bekanntgabe vor, so ist der Beauftragte daran gebunden. Er kann in diesen Fällen über die gewonnenen Erkenntnisse selbst dann, wenn er sie für dringend diskussionsbedürftig hält, nicht gemäß § 26 I I BDSG aus eigener Sicht berichten. Insoweit verbleibt ihm nur die Möglichkeit, in abstrakter Form auf bestehende Regelungslücken oder Auslegungsprobleme hinzuweisen. Sein dienstlich erlangtes Wissen über konkrete, bisher nicht bekanntgewordene Verwaltungsvorgänge muß er dagegen für sich behalten - ähnlich wie ein Beamter, der in einer rechtswissenschaftliehen oder rechtspolitischen Abhandlung seine persönliche Meinung zu einem Thema aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich zu Papier bringt. Die Berichterstattung nach § 26 I I BDSG ist demnach in erster Linie ein Instrument der fachlichen Beratung; sie darf - entgegen der bisherigen Praxis nur zum Teil, nämlich in den kraft Gesetzes ministerialfreien oder vom Minister
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freigegebenen Bereichen, als ein zusätzliches Informations- und Kontrollmittel des Parlaments eingesetzt werden. Die hierin liegende verfassungskonforme Einschränkung des Berichtsinhalts läßt sich mit der Entstehungsgeschichte sowie mit dem Wortlaut des Gesetzes noch in Einklang bringen. Zwar wurde der Datenschutzbeauftragte in der abschließenden Plenarberatung vor Erlaß des BDSG 1977 als ein "wichtiger Verbündeter des Parlaments" bezeichnet, wobei im weiteren Verlauf der Debatte auch das Problem des parlamentarischen Zugangs zu Regierungsinformationen erwähnt wurde370• Daraus allein ergibt sich aber ohne zusätzliche Anhaltspunkte noch nicht die eindeutige Absicht, einen von der Bundesregierung unabhängigen Informationsweg zwischen Erster und Zweiter Gewalt eröffnen zu wollen. Derartige Vorstellungen sind auch in die spätere Novellierung des Gesetzes nicht eingeflossen. Nach wie vor verlangt der Gesetzgeber keinen umfassenden Zustands- oder Mängelberichtl 71 zum Umgang mit personenbezogenen Daten innerhalb der Bundesverwaltung, sondern begnügt sich ausdrücklich mit einem bloßen "Tätigkeitsbericht" des Datenschutzbeauftragten. Nimmt man die Bestimmung des§ 26 I 1 BDSG beim Wort und berücksichtigt man die verfassungsrechtlichen Vorgaben, so steht also nicht das Verhalten der datenverarbeitenden Stellen, sondern das eigene Handeln des Beauftragten im Mittelpunkt der Berichterstattung. Über die verschiedenen Kontrolltätigkeiten, die einen Schwerpunkt seiner Arbeit bilden (§ 24 I 1 BDSG), soll er dem Parlament zwar ebenfalls berichten. Dabei muß er sich aber grundsätzlich auf die äußerlichen Aspekte beschränken (Art, Umfang und Dauer der Inspektionen etc.) und darf die im einzelnen gewonnenen Erkenntnisse über den verwaltungspraktischen Vollzug des Datenschutzrechts nicht ohne Zustimmung des verantwortlichen Fachministers preisgeben. Auch die konkreten Anlässe fiir etwaige Beanstandungen (§ 25 BDSG) können nur im Einvernehmen mit der obersten Aufsichtsbehörde im Tätigkeitsbericht dargestellt werden; anderenfalls muß sich der Deutsche Bundestag selbst und aus eigenem Recht (Art. 43 ff. GG) beim zuständigen Minister um die Aufklärung strittiger Sachverhalte bemühen.
370
Wernitz, in: BT-Sten. Prot. 1f250, S. 17740; Gerster, ebda., S.l7745.
Ein solcher wird jedoch seit der Novelle 1990 filr den nicht-öffentlichen Bereich erwartet (§ 26 I 2 BDSG), wobei zu fragen ist, ob der nur im öffentlichen Bereich kontrollierende Bundesbeauftragte dafilr hinreichend sachkundig ist. 371
126
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
y) Das Argument der Kontrolleffizienz
Gegen das hier vertretene restriktive Verständnis des § 26 I 1 BDSG könnte eingewandt werden, die Vorschrift diene durch eine Verbesserung der parlamentarischen Informationsbasis letztlich einer effektiveren Kontrolle der Exekutive und sei daher auch in der bisher gängigen weiten Auslegung noch durch den verfassungsrechtlichen Kontrollauftrag des Bundestags gedeckf 72 • In der Tat wird das im Grundgesetz verwirklichte parlamentarische Regierungssystem grundlegend durch die Kontrollfunktion des Parlaments geprägt, die in verschiedenen Verfassungsbestimmungen ihren Ausdruck gefunden hat. Sie bildet ein Gegengewicht zur starken verfassungsrechtlichen Stellung der Bundesregierung und gebietet, wie das BVerfG festgestellt hat, "eine Auslegung des Grundgesetzes dahin, daß parlamentarische Kontrolle wirksam sein kann" 373 • Da gerade das in Art. 43 I GG verankerte Zitier- und Fragerecht als ein Instrument parlamentarischer Kontrolle angesehen wird374, stellt sich unter diesem allgemeinen Blickwinkel erneut die Frage, ob der Auskunftsanspruch über die Mitglieder des Kabinetts hinaus auf sämtliche Stellen der Exekutive erstreckt werden kann. Zweifellos könnte das Parlament seine Kontrolltätigkeit gegenüber der Zweiten Gewalt um einiges intensivieren, erhielte es die erforderlichen Informationen nicht mehr nur "gefiltert" über die Ressortspitze, sondern entweder direkt durch den jeweiligen Sachbearbeiter oder in zusammengefaßter Form durch den Bericht eines regierungsunabhängigen Beauftragten. Die im parlamentarischen Regierungssystem angelegte Kontrollfunktion stellt indes kein verfassungsrechtliches a priori dar, aus dem sich ohne weiteres alle möglichen Kontrollrechte ableiten ließen; sie bedarf vielmehr der Ausformung
372 In diesem Sinne allgemein Matthes, Der Bürgerbeauftragte, 209; Dobiey, ZParl 1974, 316 (317 f.); vgl. auch Würtenberger, in: BK, Art. 45 c Rn. 28 ff. (filr den Petitionsausschuß); Ehmke, Referat z. 45. DJT, E 49 These 2 (filr den Untersuchungsausschuß); Schulze-Fie/itz, in: Dreier/Hofmann, Parlamentarische Souveranität, 118 f.
373
BVer.fGE 67, 100 (130).
Vgl. nur Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 21 m.w.N.- Zum Zusammenhang von Kontrollkompetenz und Infonnationsanspruch s. auch Bodenheim, Kollision, 40 ff. m.w.N.; differenzierend Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, 50 f.: Nichtjedes parlamentarische Infonnationsverlangen diene der Kontrolle. 374
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
127
durch konkrete Verfassungsnonnen375 • Die Ausdehnung des parlamentarischen Infonnationszugriffs über die Regierung hinaus auf alle nachgeordneten Behörden würde daher zumindest voraussetzen, daß nach dem Grundgesetz der Bundestag zur Verwaltungskontrolle in ähnlicher Weise berufen ist wie zur Kontrolle der Regierung. Gerade hier liegen jedoch die entscheidenden Unterschiede. Zwar umfaßt die Kontrollaufgabe des Parlaments in gegenständlicher Hinsicht gleichennaßen den gubemativen wie den administrativen Handlungsbereich der Exekutive376• Dies bedeutet aber keineswegs, daß "die Verwaltung" im organisationsrechtlichen Sinne (Behörden, einzelne Amtsträger) unmittelbar durch die Volksvertretung oder deren Ausschüsse kontrolliert werden dürfte377 • Sie unterliegt vielmehr im Regelfall378 allein der Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht der vorgesetzten Stellen und schuldet nur in dieser Hinsicht dienstliche Loyalität379• Die Kontrollfunktion des Parlaments kann demzufolge allein auf dem Umweg über den verantwortlichen Ressortminister wirksam werden380 • In dieser eingeschränkten Reichweite381 liegt kein abhilfebedürftiges Funktionsdefizit parlamentarischer Kontrolle382, sondern vielmehr eines ihrer We-
375 Achterberg, Parlamentsrecht, 462; Krebs, Kontrolle, 41; Hablitzel, BayVBI. 1986, 97 (101): "Kontrolle ist kein alles überlagerndes Verfassungsprinzip." S. auch allgemein Schlink, Amtshilfe, 130 f. 376 E. Klein, JuS 1974, 362 (365); ders., Ministerialfreier Raum, 38 ff.; Krebs, Kontrolle, 139 f., 146 ff.; Meyer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, § 4 Rn. 70 f. In diesem Sinne ist der gängige Ausdruck "parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung" zu verstehen, z.B. Linck, NJW 1984, 2433; ders., ZRP 1987, ll (13). Differenzierend zwischen "informativer" und "sanktionierender" Kontrolle Bayer, Aufhebung, 141 f.; vgl. auch Meyn, Kontrolle, 341 f.; Busse, DÖV 1989, 45 (48). 377 E. Klein (vorige Fn.), 363; ders., Ministerialfreier Raum, 36 f., 123; Vetter, Parlamentsausschüsse, 278 f.; Loschelder, in: Jsensee/Kirchhof, HdbStR Ill, § 68 Rn. 41; Bischo.ff/Bischoff, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, § 54 Rn. 64. 378 Ausnahmen gelten ftlr weisungsfreie Stellen (Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 102 ff.). Die parlamentarischen Staatssekretäre werden dagegen noch der Regierungsebene zugerechnet (s. Wahl, Stellvertretung, 245 ff.). 379
Näher Jsensee, ZBR 1988, 141 (149).
Oben, a.; s. auch Bischo.ff/Bischoff, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, §54 Rn. 64; Vonderbeck, Parlamentarische lnformationsbefugnisse, 44 (am Beispiel der Nachrichtendienste). 380
381
Krebs, Kontrolle, 148 ff., spricht von einer "Begrenzung der Kontrolldichte".
So aber offenbar H.P. Schneider, AöR 105 (1980), 4 (25 f.); vgl. auch Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und BVerfG, 116 ff. 382
128
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
sensmerkmale. Parlamentskontrolle ist, nach den Worten des BVerfG, "politische Kontrolle, nicht administrative Überkontrolle"m. An politischen Maßstäben soll und darf aber legitimerweise nur gemessen werden, wer nach politischen Maximen eigenverantwortlich zu handeln berufen ist, also allein die Ressortspitze, nicht jedoch die an Gesetz und Weisung gebundenen nachgeordneten Amtsträger. Besteht somit keine unmittelbare parlamentarische Kontrollkompetenz gegenüber dem eigentlichen Verwaltungsapparat, so läßt sich daraus auch kein direkter Informationsstrang konstruieren. "Der Weg ins Ministerium fiihrt nur über den Minister, nicht an ihm vorbei." 384 Die beiden im Grundgesetz angelegten Ausnahmen bestätigen diese Regel. Für Untersuchungsausschüsse (Art. 44, 45 II a GG) und fiir den Petitionsausschuß (Art. 45 c GG) besteht aufgrund besonderer verfassungsrechtlicher Ermächtigung385 die Möglichkeit, ohne den Umweg über die Bundesregierung unmittelbar im nachgeordneten Behördenbereich Nachforschungen anzustellen und dort Auskünfte einzuholen. Als spezialisierte Unterorgane verfUgen diese Ausschüsse über Ermittlungsbefugnisse, die dem Bundestag ansonsten nicht zustehen386 • Obwohl dem parlamentarischen Auskunftsanspruch in diesen Fällen unbestreitbar Verfassungsrang zukommt387, bleiben selbst hier die im Hierarchieprinzip der Verwaltung begründeten Loyalitätsbindungen sowie die Informationsvorrechte der Regierung nicht gänzlich ungeschützt388 : Die Auskunftserteilung steht ebenso wie die Aktenvorlage unter dem - zumindest verfahrensrechtlich bedeutsamen - Vorbehalt einer vorherigen Genehmigung des
383 BVerjGE 67, 100 (140); vgl. auch Memminger, DÖV 1986, 15 (22); Oebbecke, Weisungsund unterrichtungsfreie Räume, 100; E. Klein, Ministerialfreier Raum, 41 f.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung filr die Risiken der Technik, 55 f.; Meyer, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, § 4 Rn. 75 f. 384 Böckenförde, Organisationsgewalt, 205 (dort allerdings bezogen auf das Verhältnis des Ressortministers zum Bundeskanzler und zum Bundeskabinett). 38s Art. 44 II I GG i.V.m. den Vorschriften der StPO zur Beweisaufnahme; Art. 45 c II GG i.V.m. dem Gesetz Ober die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages (G. v. 19. 7. 1975, BGBI. I S. 1921). 386 Zu Art. 44 GG: BVerjG, NJW 1984, 2271 (2.b.); Partsch, Gutachten z. 45. DJT, 13; Oebbekke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 111; Di Fabio, Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, 32 ff. Zu Art. 45 c GG: Würtenberger, in: BK, Art. 45 c Rn. 63, 71; Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, 73; Oebbecke, 115; allgemein auch Vetter, DÖV
1986, 590 (597). 387
Am Beispiel des Aktenvorlageanspruchs der Untersuchungsausschüsse entschieden von
BVerjGE 67, 100 (134). 388
Vgl. Bogs, JZ 1985, 112 (116 f.); Würtenberger, in: BK, Art. 45 c Rn. 76.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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extern verantwortlichen Ressortministers (§§ 54, 96 StPO; § 39 BRRG, §§ 61, 62 BBG)389• Auch im Anwendungsbereich der "schärfsten Waffen des Parlaments" wird also daftlr gesorgt, daß es zu einem vom Wissen und Wollen der Regierung völlig unabhängigen Informationsfluß nicht kommen kann. Für parlamentarische Untersuchungsausschüsse existiert im übrigen noch eine ganz andere verfassungsrechtliche Schranke, die auch im vorliegenden Zusammenhang beachtet werden muß: Eine aus ständigen Überprüfungen bestehende "mitlaufende Kontrolle" der eigentlichen Verwaltungstätigkeit durch Vertreter des Parlaments würde unweigerlich "den Charakter einer quasi exekutivischen Staatsaufsicht annehmen"390 und damit nach fast einhelliger Auffassung gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz verstoßen391 • Es kann nicht angehen, daß der einfache Gesetzgeber diese (vor allem quantitativ zu verstehende) Sperre einfach umgeht, indem er eine formell außerhalb des Parlaments angesiedelte unabhängige Kontrollbehörde "beauftragt", das administrative Geschehen mittels weitreichender Inspektionsbefugnisse permanent zu beobachten und den parlamentarischen Gremien darüber periodisch zu berichten.
ö) Der Bundestag als Datenschutzorgan? Ein über das verfassungsrechtliche Normalmaß hinausgehendes parlamentarisches Kontroll- und Informationsrecht läßt sich auch ftlr das besondere Gebiet des grundrechtliehen Datenschutzes nicht nachweisen. Wie noch ausfUhrlieh darzulegen sein wird392, besteht seit dem Volkszählungsurteil des BVerfG393 eine lebhafte Kontroverse darüber, ob die Verfas-
389 Zum Untersuchungsausschuß: Scholz, AöR 105 (1980), 564 (614 f.): "Verfahrensvorbehalt"; ihm in der Sache folgend BVerjGE 67, 100 (137 ff.); L6wer, DVBI. 1984, 757 (766); Bogs (vorige Fn.), 116 f.; Schleich, Parlamentarisches Untersuchungsrecht, 73 f.; früher bereits Fenk, ZBR 1971 , 44 (46 f.); enger Düwel, Amtsgeheimnis, 136 ff.
J90
Scholz (vorige Fn.), 598.
391 Scholz, 598; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (37 f.); Maunz!Dürig, GG, Art. 44 Rn. 17, Art. 45 c Rn. 14; 86ckenförde, AöR 103 (1978), I (17 f.); Achterberg, ParlamentsR, 449; Vetter, ParlamentsausschUsse, 272; Schleich, Parlamentarisches Untersuchungsrecht, 56 ff. ; H Thieme, Parlamentarische UntersuchungsausschUsse, 9 ff., 105 ff. ; Schulte, in: v.Mangoldt!Klein, GG, Art. 44 I Rn. 62 ff.; a.A. vor allem Ehmke, Referat z. 45. DJT, E 32 ff.; z.T. auch Kipke, UntersuchungsausschUsse, 40 ff. Vgl. auch Partsch, Gutachten z. 45. DJT, E 196. 392
S.u., Dritter Abschnitt, C.
9 Zöllner
130
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
sung den Fortbestand einer bestimmten Art von Datenschutzkontrolle institutionell garantiert. Selbst wenn man diese Frage unter Berufung auf einzelne höchstrichterliche Äußerungen bejahen würde394, ergäbe sich aber daraus noch keine Rechtfertigung fiir einen direkten Informationszugang des Datenschutzbeauftragten zur Volksvertretung. Alle bisherigen Aussagen des BVerfG über die Bedeutung unabhängiger Kontrollinstanzen beziehen sich nämlich erkennbar nur auf deren Mitwirkung beim behördlichen Vollzug datenschutzrelevanter Gesetze und Bestimmungen, d.h. sie betreffen das Verhältnis der Beauftragten zur datenverarbeitenden Verwaltung. Auf die verfassungsrechtlich weitaus problematischeren Beziehungen der Kontrollbehörden zu den Verfassungsorganen Parlament und Regierung brauchte das Gericht aus seiner damaligen Sicht nicht einzugehen395 ; wegen der im einzelnen unterschiedlichen Gesetzeslage in Bund und Ländem 396 hätte darüber ohnehin keine generelle Aussage getroffen werden können. Schon aus diesem Grund kann nicht ernsthaft angenommen werden, das BVerfG habe bei seiner positiven Würdigung der Rolle der Datenschutzbeauftragten zugleich alle ihnen damals zustehenden Kompetenzen überprüft und gebilligt mit der Folge, daß sie fortan der verfassungsrechtlichen Detailkritik zumindest ein Stück weit entzogen wären 397• Erst recht lassen sich aus der Tatsache, daß ein bestehender Rechtszustand höchstrichterliche Billigung erfahren hat, keine verfassungsrechtlich begründeten Forderungen an den Gesetzgeber ableiten, z.B. nach weiterer Verselbständigung der Beauftragten gegenüber der Regierung 398 oder nach einer stärkeren Zuordnung zum parlamentarischen Bereich 399• '"' BVerjGE 65, I (46, 60). Zur weiteren Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung s. Dritter Abschnitt, C. II. 394
Zum Stand der Meinungen s. Dritter Abschnitt, C. 111.
m Das Recht zur unmittelbaren Berichterstattung gegenüber dem Parlament wird vom BVerjG nirgendwo erwähnt, obwohl es von dem damaligen Bundesbeauftragten noch in der mündlichen Verhandlung zum Volkszählungsgesetz 1983 ausdrücklich filr "unverzichtbar" erklärt worden war (s. BjD, 6. TB., BT-Dr 10/877, S. 66 Zitf. 7). 1% Einen ersten Überblick vermittelt Schimmel, DuD 1979, 25 tf. In mehreren Bundesländern sind die Beauftragten in den letzten Jahren enger an das Parlament angebunden worden.
m Gegenüber solchem "BVerfG-Positivismus" zu Recht kritisch Schlink, Der Staat 28 (1989), 161 (168 tf.); ders., NJW 1989, II (16). 1''" So jedoch die gutachterliehe Stellungnahme Schwans, in: BT-Anhörung BVertSchG u.a. 1989, Anlage I, S.l 5 I (gegen das fortbestehende Vorschlagsrecht der Bundesregierung). 1''9
So aber z.B. Mückenberger, KritJ 1984, I (18); Sieber, NJW 1989, 2569 (2576).
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
131
Der exekutivische Datenschutz und seine Kontrolle gehören, auch nach dem Verständnis des BVerfG400, in erster Linie in den Bereich des individuellen Rechtsschutzes. Zu dessen Verwirklichung sind nach der grundgesetzliehen Funktionsverteilung die datenverarbeitenden Stellen selbst - durch eine grundrechtswahrende Verfahrensgestaltung401 - sowie die Gerichte aufgerufen402 . Die Parlamente dagegen können den Individualrechtsschutz nicht zu ihren ureigenen Aufgaben rechnen403 . Nach traditionellem Verständnis kann die Volksvertretung auf die Durchsetzung privater Rechtspositionen in einem behördlichen Verfahren nur dann (mittelbaren) Einfluß nehmen, wenn ihr eine entsprechende Petition zugegangen ist (Art. 17, 45 c GG)404 . Insoweit wird ihr auch von jeher ein über die regierungsabhängigen Informationsrechte hinausgehendes selbständiges Auskunftsrecht (sog. Petitionsinformierungsrecht) gegenüber der Exekutive zugestanden405. Zur Erfüllung weitergehender und speziellerer Rechtsschutzziele erscheint dagegen ein Organ wie der Deutsche Bundestag schon aufgrund seiner politisch-repräsentativen Struktur und seiner besonderen Verfahrensweisen wenig geeignet406 ; überdies kämen die verfassungsrechtlich zentralen Funktionen des Parlaments (Gesetzgebung; politische Richtungskontrolle) bei einer zunehmenden Beschäftigung mit Einzeltallen auf längere Sicht wohl zu kurz.
400
BVerjGE 65, I (42 ff.).
Insoweit muß freilich nach Ansicht des BVerjG (E 65, I [59]) bereits durch gesetzliche Regelungen weitgehend sichergestellt sein, "daß das Notwendige geschieht" (s. dazu unten, Dritter Abschnitt, C.V.2.b.). 401
402 Auf den gerichtlichen Rechtsschutz wird vor allem in den späteren Beschlüssen zur Volkszählung 1987 hingewiesen, BVerjG, NJW 1987, 2805 (2806 ff.); 1988, 962 (963 f.). 403 Näher Lorenz, Rechtsschutz, 169 ff. ; BayVer}GH, BayVBI. 1992, 141 (142). Zumindest mißverständlich Geiger, DVBI. 1990, 748 (751 ff.). 404 Die Petitionsbehandlung ist schwerpunktmäßig nicht parlamentarische Kontrolle, sondern "Rechts- und Interessenschutz des Petenten" (Vitzthum, PetitionsRund Volksvertretung, 52 ff.; vgl. auch Burmeister, in: lsensee/Kirchhof, HdbStR II, § 32 Rn. 8; a.A. VGH München, BayVBI. 1987, 620 f.). 405 Mit der Pflicht zur Petitionsbehandlung korrespondierte nach herrschender Auffassung auch schon vor Erlaß des Ausfuhrungsgesetzes zu Art. 45 c GG ein Recht des Parlaments auf Inforrnationsbeschaffung, vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 17 Rn. 75; Würtenberger, in: BK, Art. 45 c Rn. 81; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 114 ff. ; Vitzthum (vorige Fn.), 59 ff.; enger allerdings nach bayerischem Recht Hablitzel, BayVBI. 1986, 97 ff. 4(){, Lorenz, Rechtsschutz, 172 f. Zum Kriterium der Organadäquanz BVerjGE 68, I (70); Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, 250 ff.; Magiera, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, § 52 Rn. 46 f.
132
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Den verfassungsändernden Gesetzgeber hindem derartige Überlegungen freilich nicht, die parlamentarische Rechtsschutzfunktion über den bisherigen Stand hinaus zu erweitern und zu effektuieren. Dies ist aber bislang nur auf zwei eng umgrenzten Teilgebieten mit besonders hoher Grundrechtsgefährdung geschehen, nämlich für den Wehrbereich (Art. 45 b GG)407 und für bestimmte Fälle der Post- und Fernmeldeüberwachung (Art. 10 II 2 GGt08 . Für eine spezielle "Datenschutzfunktion" des Bundestags, wie sie in der institutionalisierten Zusammenarbeit mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz zum Ausdruck kommt, fehlt dagegen eine vergleichbare verfassungsrechtliche Grundlage409 . Der Hinweis auf diese- von verschiedenen Abgeordneten in der Tat nachdrücklich wahrgenommene - Funktion reicht daher keinesfalls aus, um die im Grundgesetz festgeschriebene Informationslage des Parlaments zu verbessern. Solange die Verfassung hierfür keine zusätzlichen Auskunftswege eröffnet, hängt die Effektivität des vom Bundestag im Einzelfall zu gewährenden Rechtsschutzes letztlich von der Einschaltung der im Grundgesetz vorgesehenen Kontrollorgane ab (I-etitionsausschuß; Wehrbeauftragter; G-1 0Kommission). Eine im weiteren Sinne "grundrechtsschützende" Aktivität wird heute allerdings vom parlamentarischen Gesetzgeber zumindest insoweit erwartet, als er die aktuellen Entwicklungen im Datenverarbeitungs- und Kommunikationsbereich410 ebenso wie in anderen grundrechtssensiblen Bereichen der Technik (Strahlenschutz; Immissionsschutz; Neue Medien etc.t 11 fortlaufend beobachten muß, um faktisch überholte oder rechtlich leerlaufende Schutzvorschriften möglichst trubzeitig "nachbessem" zu können412 • Aus dieser verfassungsrechtlichen Pflicht (oder besser: Obliegenheit) ergeben sich jedoch keine speziellen,
407 Der Wehrbeauftragte ist u.a. filr den Schutz der Grundrechte der Soldaten zuständig, Art. 45 b GG, § I III Wehrb~auftrG. 408 Zum parlamentarischen Organbereich gehört allerdings nur das Abgeordnetengremium (§ 9 I G IO), nicht dagegen die Kontrollkommission(§ 9 II-IV G IO); s.u., Fn. 465. 409 Von diesem Beauftragten als einem "klassischen" parlamentarischen Kontrollinstrument zu sprechen (so Schulze-Fie/itz, Parlamentarische Gesetzgebung, 293 Fn. 225), erscheint daher höchst mißverständlich. 410 Neben technischen Fortentwicklungen gehört dazu auch die Verfeinerung der verwaltungsund sozialwissenschaftliehen Arbeitsmethoden, z.B. im Bereich der Statistik (BVerjGE 65, I [56]). 411
BVerjGE 49, 89 (130); 56, 54 (78); 73, 118 (18I f.).
Näher dazu Stern, StaatsR 111/1, 1315 f. m.w.N.; Roßnage I, ZRP 1992, 55 ff., mit Folgerungen de lege ferenda. 412
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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über das Normalmaß hinausgehenden Informationsansprüche der Legislativorgane gegenüber den datenverarbeitenden Stellen der Verwaltung. An die im Grundgesetz vorgegebene Kompetenzordnung bleibt der einfache Gesetzgeber unbestrittenermaßen auch dann gebunden, wenn er grundrechtliche Schutzaufträge zu erfiillen sucht413 • ee) Zum Vergleich: Berichtspflichten in anderen Gesetzen Die oben aufgezeigten Grenzen der Berichtstätigkeit des Datenschutzbeauftragten mögen auf den ersten Blick als zu eng erscheinen angesichts einer Staatspraxis, die seit längerem auch auf anderen Gebieten gesetzliche Berichtspflichten von Exekutivorganen kennt. Eine genauere Untersuchung der Vergleichsfälle bestätigt jedoch die hier aufgestellte These, wonach das Grundgesetz eine parlamentsunmittelbare Berichterstattung durch Verwaltungsbehörden prinzipiell ausschließt. a) Die Berichterstattung durch Administrativorgane
Die wohl einzige nachkonstitutionelle414 Gesetzesbestimmung, die als Ermächtigung bzw. Verpflichtung einer Behörde zur unmittelbaren Berichterstattung gegenüber der Volksvertretung gedeutet werden kann, findet sich in § 50 II GWB. Hiernach ist der alle zwei Jahre zu erstattende Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts zusammen mit einer Stellungnahme der Bundesregierung unverzüglich dem Bundestag zuzuleiten. Die seinerzeit ohne nähere Begründung in den Entwurf des GWB eingefUgte Vorschrift415 läßt das Parlament neben der Öffentlichkeit (s. § 50 I GWB) zum vorrangigen Adressaten der Berichte werden. Der fiir die Wettbewerbspolitik zuständige Bundeswirtschaftsminister verliert hingegen - vordergründig betrachtet - seinen Einfluß auf das Informationsverhalten des Bundesamtes416
413 Ebenso /sensee, Grundrecht auf Sicherheit, 42 ff.; ders., in: HdbStR V, § 111 Rn. 148 ff.; v.Mutius, NJW 1982,2150 (2158); Sachs, in: Stern, StaatsR III/1, 738; Kästner, NVwZ 1992, 9 ff. 414 Die nach Art. 123 I GG fortgeltende Vorschrift des§ 139 b lll GewO berührt Sonderprobleme der Bundesaufsicht nach Art. 84 lll GG und soll daher hier außer Betracht bleiben. 415
Zur Entstehungsgeschichte Langen, Kartellgesetz, § 50 Rn.7.
Das Amt ist als Bundesoberbehörde (§ 48 I GWB) nach h.M. grundsätzlich an ministerielle Weisungen gebunden, vgl. Müller/Gießler/Scholz, GWB, Bd. II, § 48 Rn. 5 ff. m.w.N. 416
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
und muß sich auf nachträgliche Anmerkungen zu den Berichten beschränken. Einige Kommentatoren werten dies als Ansatz zu einer unvermittelten Teilhabe des Bundestags am kartellrechtlichen "Herrschaftswissen der Exekutive" und folgern daraus ein gesetzliches Mandat des Bundeskartellamts zur Formulierung eigener, regierungsunabhängiger wettbewerbspolitischer Positionen417 • Zumindest in dieser pointierten Auslegung ist die Vorschrift des § 50 II GWB jedoch nach überwiegender Auffassung mit dem geltenden Verfassungsrecht unvereinbar418 • Wie oben bereits dargestellt, erlaubt das Grundgesetz prinzipiell keine direkten Einflußnahmen von Administrativorganen auf den Vorgang der Staatswillensbildung419 • Insbesondere weisungsgebundene Fachbehörden dürfen demgemäß weder von Kabinettsmitgliedern in politische Meinungskämpfe hineingezogen werden, noch darf ihnen etwa unter Berufung auf ihre besondere, vermeintlich "überparteiliche" Sachkenntnis die konzeptionelle Gestaltung der Regierungspolitik in Einzelbereichen übertragen oder auch nur stillschweigend überlassen werden420. Ein aus der Berichtspflicht abgeleiteter wirtschaftspolitischer Öffentlichkeitsauftrag der zentralen Kartellbehörde würde die verfassungsrechtlich unentziehbare Alleinverantwortung der Bundesregierung verwischen und damit die parlamentarische Kontrolle im Ergebnis eher erschweren als erleichtern. Dem zuständigen Ressortminister muß deshalb in grundgesetzkonformer Auslegung des § 50 GWB das Recht vorbehalten bleiben, filr die Tätigkeitsberichtekraft seiner Leitungskompetenz konkrete inhaltliche Vorgaben festzulegen421 . Die vom Gesetz geforderte Stellungnahme des Bundeskartellamts zur "Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet" soll und kann kein wettbewerbspolitisches Kontrastprogramm enthalten, sondern lediglich eine Situationsbeschreibung unter Zugrundelegung der Regierungslinie422 • Jedes andere Normverständnis würde die verfassungsmäßig garantierte "Einheit der Regierungsgewalt"423 sprengen.
411
S. vor allem Kloepfer, Information als Intervention, 7 f.
Müller/Gießler/Scholz, GWB, Bd. II, § 48 Rn. 2 ff.; § 50 Rn. 2; Zuck, NJW 1971, 1633 ff.; ders., BB 1973, 20 ff. 418
419
S.o., 2.b.aa.
420
Vgl. Zuck, NJW 1971, 1633 ff., mit zutreffendem Hinweis auf BVerjGE 9, 268.
421
Ebenso Zuck, NJW 1971, 1633 (1636).
422
Vgl. Müller/Gießler/Scholz, GWB, Bd. II, § 50 Rn. 4.
423
Böckenförde, Organisationsgewalt, 295.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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ß) Die Berichterstattung durch Bundeskabinett oder Bundesminister
Alle sonstigen gesetzlichen Berichtspflichten treffen die Bundesregierung selbst oder eines ihrer Mitglieder. Zu nennen sind hier beispielsweise der Jahreswirtschaftsbericht und der Subventionsbericht (§§ 2 u. 12 II StabG), der Raumordnungsbericht (§ 11 ROG), der Umweltzustandsbericht (§ 11 UIG), der Rentenversicherungsbericht (§ 154 SGB VI), der Jugendbericht (§ 84 SGB VIII), der Mietenbericht (§ 8 VII WoGG), der Immissionsbericht (§ 61 BlmSchG), der Statistikbericht (§ 5 III BStatistikG), der Bundespostbericht (§ 26 PostVerfG) und der Tierschutzbericht (§ 16 d TierSchGt24 • Die genannten Berichte dienen, neben anderen Zielen wie etwa der Verbesserung der Gesetzgebungsarbeit425 , vor allem einer verstärkten parlamentarischen Kontrolle der Exekutive, wobei sowohl die politische Gesamtlinie der Regierung als auch (mittelbar) der Gesetzesvollzug nachgeordneter Stellen Kontrollgegenstand sein können426 • Es geht in jedem Falle darum, dem Bundestag aus dem Wirkungsbereich der vollziehenden Gewalt zusätzliches Tatsachenmaterial zukommen zu lassen. Im Unterschied zum Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten nach § 26 I I BDSG sind aber alle diese Mitteilungen, was die Aufbereitung und Darstellung des Tatsachenmaterials angeht, letztlich abhängig von der "Selektionsvorgabe der Regierung"427 • Die Informationen laufen nicht am zuständigen Minister vorbei zum Parlament, sondern werden unter seiner Regie politisch gewichtet und mit den Interessen der übrigen Ressorts abgestimmt. Das Informationsprivileg der Regierungsmitglieder gegenüber den parlamentarischen Gremien bleibt auf diese Weise gewahrt. Dennoch können auch die gesetzlichen Berichtsaufträge an das Bundeskabinett nicht als verfassungsrechtlich völlig unproblematisch angesehen werden. Die Statuierung einer Rechtspflicht, die ein Verfassungsorgan (Regierung) gegenüber einem anderen (Parlament) zu erfilllen hat, gehört nämlich der Sache nach zum Regelungsbereich jener lnterorganbeziehungen, die in der Verfassung 424 Weitere Beispiele bei Mößle, Regierungsfunktionen, 182; P. Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, 120 f .
."Dazu vor allem Mößle (vorige Fn.), 183 ff. 426 Linck, DÖV 1979, 116 (118); Mößle, 182 f.; Hansmann/Kutscheidt, BlmSchG, § 61 Rn. 2; Der/ien, ZParl 1975, 42 (45 ff.); Häberle, Öffentliches Interesse, 107 Fn. 153; zu § 12 StabG s. auch BVerjGE 67, 100 (140). Zur legislativen Wirksamkeitskontrolle vgl. H Schneider, Gesetzgebung, Rn. 149 ff.; krit. Steinberg, Der Staat 15 (1976), 185 (203); v.Arnim, Staatslehre, 429. 427
Schreckenberger, VA 68 (1977), 28 (40).
136
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
prinzipiell abschließend festgelegt sind428 ; jede substantielle Änderung in diesem organisationsrechtlichen Beziehungsgeflecht bedarf mangels einfachen Gesetzesvorbehalts einer Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers429. Durch ein schlichtes Mehrheitsgesetz dürfen also die verfassungsunmittelbaren Organkompetenzen des Parlaments gegenüber der Regierung weder verkürzt430 noch erweitert oder verstärkt werden, so dringlich letzteres mancherorts auch erscheinen mag. Der Bundestag muß sich daher mit seinen grundgesetzlich verbürgten Auskunfts- und Informationsrechten gegenüber den übrigen Verfassungsorganen begnügen - es sei denn, er fmdet (auch beim Bundesrat, Art. 79 II GG) die erforderliche Mehrheit zur Verfassungsänderung. Akzeptiert man diesen verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt, so kann die Frage nach der Zulässigkeit gesetzlicher Berichtsaufträge nicht mehr mit einem bloßen Hinweis auf die generelle Bindung der Bundesregierung an das förmliche Gesetz (Art. 20 III GG) beantwortet werden431 . Diese Bindung besteht nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, zu der auch die grundgesetzlieh vorgezeichneten Beziehungen zwischen den obersten Bundesorganen gehören. Der einfache Gesetzgeber kann danach der Bundesregierung nur solche Verpflichtungen gegenüber dem Bundestag auferlegen, die im beiderseitigen Organverhältnis bereits von Verfassungs wegen angelegt sind432 • Die rechtliche Problematik der Regierungsberichte reduziert sich damit im vorliegenden Zusammenhang433 auf die Frage, ob eine Verpflichtung des Ka-
428
Dazu schon oben, 3 .c.dd.a.
Ausftlhrlich Würtenberger, in: BK, Art. 45 c Rn. 22 ff.; Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, lll; Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 115; Tomuschat, in: Magiera/Merten, Bundesländer und EG, 34 ff.; vgl. auch Roewer, NachrichtendienstR, PKGG § I Rn. 4; abschwächend 0/diges, Bundesregierung, 385 Fn. 50. 429
430 Dazu Löwer, DVBI. 1984, 757 (764); Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Rliume, ll2 ff., ll6 f. 431 So jedoch ohne weitere Begründung Linck, DÖV 1979, 116 (119); Lechner/Hülshoff, Parlament und Regierung, § ll5 GeschOBT (a.F.) Anm. I ; Kißler, Öffentlichkeitsfunktion, 203; Pietzner, Petitionsausschuß und Plenum, 45 Fn. 31; ähnlich Vonderbeck, Parlamentarische Inforrnationsbefugnisse, 27 ff.
432
74 f.
Vetter, DÖV 1986, 590 (592); Tomuschat, in: Magiera!Merten, Bundesländer und EG, 36,
433 Ein andere, hier nicht weiter zu erörternde Schwierigkeitliegt darin, daß die Berichtspflichten des Regierungskollegiums mit dem ungeschriebenen Grundsatz der Ressortfreiheit des Kabinetts sowie mit der alleinigen Ressortverantwortlichkeit des einzelnen Fachministers in Übereinstimmung
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
137
binetts zur umfassenden schriftlichen Information des Parlaments im Grundgesetz zumindest implizit enthalten ist. Bisher wurde dieses Thema, soweit ersichtlich, immer nur bezüglich der parlamentarischen Auskunftsersuchen in Gestalt von schlichten Parlamentsbeschlüssen434 oder von Großen, Kleinen, Mündlichen und Schriftlichen Anfragen behandelt435 • Es besteht jedoch kein Grund, die in Gesetzesform gekleideten Berichtsaufträge von dieser Diskussion auszunehmen und sie damit anders zu behandeln als die "nur" geschäftsordnungsmäßig abgesicherten Informationsbegehren. In beiden Fällen läßt sich ein zwingender Rechtsanspruch der Volksvertretung gegenüber der Regierung nur begründen, wenn er allgemein in der Verfassung bereits angelegt ist und durch die jeweilige parlamentarische Willensäußerung (Entschließung, Einzelanfrage oder Gesetzesbeschluß) nur noch aktiviert und konkretisiert werden muß. Ein beachtlicher Teil der Staatsrechtslehre436 und auch die parlamentarische Praxis (vgl. § 102 GeschOßT) erkennen keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Bundesregierung zur schriftlichen Berichterstattung gegenüber dem Bundestag an. Ein Auskunftsanspruch bestehe lediglich nach Art. 43 I GG; er könne sich nur gegen einzelne Regierungsmitglieder richten und allein den jeweiligen Gegenstand der parlamentarischen Beratung betreffen437 • Da schriftliche Auskünfte und Berichte der Regierung schon wegen ihrer größeren Ausführlichkeit keinesfalls als ein "minus" im Verhältnis zur mündlichen Beantwortung anzusehen seien438 , fehle für solche weitergehenden Informationswünsche die verfassungsrechtliche Grundlage. Parlamentarische Berichtsersuchen in Form von Entschließungen oder Anfragen seien rechtlich unverbindliche Willensäußerungen und könnten lediglich politisch-faktische Bedeutung erlangen439 • gebracht werden milssen; vgl. dazu Köttgen, JÖR II (1962), 173 (212); Beinhofer, Kollegialitätsprinzip, 71 f.; vgl. auch 0/diges, Bundesregierung, 376 f., 385 ff. 434
Dazu Linek, DÖV 1979, 116 ff.; Vonderbeck, Parlamentarische Informationsbefugnisse, 27 ff.
m Witte-Wegmann, Anfragen, 80 ff.; Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 5 ff.
Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, 112 f.; Sehönfe/d, Zitierrecht, 8 ff.; Witte-Wegmann (vorige Fn.), 80 ff.; Kiß/er, JöR 26 (1977), 68 f.; Kremer, ZParl 1977, 11 (17); Linck, DÖV 1979, 116 (119 f.); v.Einem, Auskunftspflicht, 79; Lechner/Hülshojf, Parlament und Regierung,§ 106 GeschOßT (a.F.) Anm. 1; Sehröder (vorige Fn.), Rn. 15 f., 20; Aehterberg, ParlamentsR, 462 f.; Voge/gesang, ZRP 1988, 5 (6 f., 8 f.). 436
437
Zusammenfassend Vogelgesang (vorige Fn.), 6 f.
Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 15; Vonderbeek, Parlamentarische Informationsbefugnisse, 22; Achterberg, ParlamentsR, 463; Maunz/Dürig, GG, Art. 17 Rn. 75; Art. 45 c Rn. 24 Fn. 8. 438
439
Achterberg (vorige Fn.), 463: Iex de iure imperfecta, de politicis perfecta; Sehröder (vorige
138
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Überträgt man diese anband der geschäftsordnungsmäßigen Auskunftsersuchen entwickelten Überlegungen auf die einfachgesetzlich statuierten Berichtsaufträge, so käme hier freilich eine "bloße Unbeachtlichkeit" aufgrund mangelnder normativer Bindungswirkung kaum ernsthaft in Betracht440 . In einem etwaigen Streitfall müßte das BVerfG vielmehr die betreffenden Vorschriften bei festgestellter Unvereinbarkeit mit den grundgesetzliehen Interorganbeziehungen nach den allgemeinen Regeln des Verfassungsprozeßrechts fiir nichtig erklären44t. Diese Konsequenz braucht jedoch dann nicht gezogen zu werden, wenn man sich der mittlerweile herrschenden Gegenauffassung anschließt, wonach unabhängig von der sitzungsbezogenen Regelung des Art. 43 I GG ein ungeschriebenes allgemeines Informationsrecht442 besteht, das auch detaillierte schriftliche Auskünfte der Regierung umfaßt443 . Von den zahlreichen dazu entwickelten Begründungsansätzen (z.B. Verfassungsgewohnheitsrecht, Verfassungsorgantreue, Prinzip der Ministerverantwortlichkeit444) überzeugt am ehesten der Gedanke einer verfassungsrechtlichen Annex-Kompetenz445 , mit de-
Fn.), Rn. 15; z.T. abweichend Vonderbeck, Parlamentarische 1nformationsbefugnisse, 29 f., der in jedem Ersuchen um schriftliche Stellungnahme "hilfsweise" eine Ausübung des rechtsverbindlichen mUndliehen Fragerechts erblickt. 440 So jedoch Stern/Münch/Hansmeyer, Stabilitätsgesetz, § 2 Anm. II: "nichterzwingbar und auch sonst sanktionslos"; Landmann/Rohmer/Hansmann, BlmSchG, § 61 Rn. 12: die Pflichtversäumnis habe "keine rechtlichen Folgen". 441 Zu einer "bloßen Verfassungswidrigerklärung" ohne Nichtigkeitsfolge (näher dazu Schlaich, BVertU, 167 ff.) bestünde hier kein Anlaß. 442 Der enger zu verstehende Begriff "Interpellationsrecht" (Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 3) wird hier vermieden. 443 Magiera, Parlament und Staatsleitung, 310 ff.; ders., in: Schneider/Zeh, ParlamentsRund Parlamentspraxis, § 52 Rn. 53 ff.; Stern, StaatsR Il, 55; Bodenheim, Kollision parlamentarischer Kontrollrechte, 38 f.; ders., ZParl 1980, 38 (46 ff.); Meyn, Kontrolle, 388 f.; Kempen, Öffentlichkeitsarbeit, 209 ff.; Pietzner, Petitionsausschuß und Plenum, 44 f.; Rietzel/Bücker, Geschäftsordnung BT, IV. vor§§ 100 ff. ; Memminger, DÖV 1986, 15 (19); Weis, DVBI. 1988, 268 (270 f.); HH Klein, in: /sensee/Kirchhof, HdbStR II, § 40 Rn. 35; Schulte, in: v.Mangoldt/Klein, GG, Art. 43 I Rn. 15 ff.; speziell unter dem Aspekt eines parlamentarischen Planungsinformationsanspruchs Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 88 f.; Würtenberger, Politische Planung, 316 ff.; Vitzthum, Planung, 341.
••• Eingehend (und kritisch) Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 11 ff. 445 Ausftlhrlich Bodenheim, Kollision parlamentarischer Kontrollrechte, 38 ff.; ders., ZParl1980, 38 (46 ff.); Ritzel/Bücker, Geschäftsordnung BT, IV. vor §§ 100 ff.; Meyn, Kontrolle, 388 f.; s. auch Linck, DÖV 1983, 957 (958 f.).
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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ren Hilfe die im Prinzip unbestrittene446 parlamentarische Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung erst wirksam werden kann. Ohne einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Gewährung umfassender Informationen wäre der grundgesetzliche Kontrollauftrag fiir den Bundestag in der Tat kaum erfüllbar447. Die Mehrheit der staatsrechtlichen Autoren hält daher die Bundesregierung fiir verpflichtet, zumindest auf konkrete Anfragen hin448 auch in schriftlicher Form über Sachverhalte aus ihrem Verantwortungsbereich zu berichten. Das BVerfG scheint ebenfalls dieser Auffassung zuzuneigen, wenn es im Zusammenhang mit einer Kleinen Anfrage (§ 104 GeschOBT) beiläufig ausfUhrt, die Regierung habe den Abgeordneten die zur Ausübung ihres Mandats erforderlichen Informationen zu verschaffen und sei insofern zur Beantwortung schriftlicher Anfragen von Verfassungs wegen verpflichtet449. Schließt man sich dem an, so bekommen nicht nur die in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags geregelten verschiedenartigen Fragerechte (§§ 100 ff. GeschOBT) ein sicheres grundgesetzliches Fundament, sondern es erweisen sich auch die in Gesetzesform erteilten Berichtsaufträge als bloße Anwendungsfälle einer bereits vorher bestehenden parlamentarischen Organkompetenz gegenüber der Bundesregierung bzw. dem einzelnen Bundesminister450. Eigentlicher Rechtsgrund ftlr die Informationsverpflichtung ist dabei nicht die einfachgesetzliche Ausftlhrungsbestimmung, wie dies jedoch in einer mißverständlichen Urteilspassage des BVerfG zum Subventionsbericht nach § 12 StabG anklingt451 , sondern der im Grundgesetz angelegte und daher
446
Vgl. nur BVerjGE 67, 100 (130), sowie oben, C.I.J.c)dd)f.
Zum Zusammenhang von Informiertheil und Kontrollfllhigkeit Magiera, Parlament und Staatsleitung, 310 f.; Bodenheim, Kollision parlamentarischer Kontrollrechte, 40 ff.; Linck, DÖV 1983, 957 (958 f.). 447
448 Noch weitergehend postulieren Magiera (vorige Fn.), 314 ff., und Würtenberger, Politische Planung, 317 f., eine Verpflichtung der Regierung, den Bundestag unaufgefordert "auf dem laufenden zu halten" (arg. Art. 53 S. 3; 53 a II GG); ähnlich Lutterbeck, Parlament und Information, 179. 449 BVerjGE 57, 1 (5), mit Hinweis auf BVerjGE 13, 123 (125); s. auch BVerjGE 44, 308 (311); 67, 100 (129); 70, 324 (355).
450 Als entsprechender "Partner des Bundestags" ist entgegen Köttgen, JöR 11 (1962), 173 (212), nicht in erster Linie das Regierungskollegium anzusehen; vg1. Vonderbeck, Parlamentarische Informationsbefugnisse, 30.
"' BVerjGE 67, 100 (140 f.). Das Gericht scheint hier den gesetzlichen Berichtsaufuag nur bei einem konkreten parlamentarischen Kontrollbedarf ftlr zulässig zu halten.
140
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
nötigenfalls auch im Organstreitverfahren vor dem BVerfG einklagbare452 allgemeine Auskunftsanspruch des Bundestags. Der einfache Gesetzgeber hat hiernach in die vorgegebenen Interorganbeziehungen nicht substantiell eingegriffen, sondern durch die Normierung einzelner Berichtspflichten lediglich "deklaratorisch bestätigt, was sich aus einem Verfassungsrechtssatz ergibt"453 • Die bisher gängige parlamentsunmittelbare Berichterstattung nach § 26 I I BDSG über solche Datenverarbeitungsbereiche, die der ministeriellen Leitung unterliegen, läßt sich dagegen nicht auf den ungeschriebenen Auskunftsanspruch stützen. Dieser legitimiert zwar, über die mündliche Befragung von Regierungsvertretern hinaus (Art. 43 I GG), weitere Formen parlamentarischer Auskunftsersuchen, insbesondere die beschlußmäßige oder gesetzesförmliche Anforderung von schriftlichen Sachstandsberichten. Das aus der Kontrollfunktion folgende allgemeine Informationsrecht der Volksvertretung ermächtigt jedoch nicht dazu, neben den nach Art. 65 GG persönlich verantwortlichen Regierungsmitgliedern weitere Amtsträger zur Auskunftserteilung über bestimmte Verwaltungsangelegenheiten heranzuziehen. Dies wäre unvereinbar mit der bereits angesprochenen454 grundsätzlichen Beschränkung des parlamentarischen Kontrollzugriffs auf die Regierungsebene, von der nur die Verfassung selbst Ausnahmen zulassen kann (s. Art. 44 bis 45 c GG). Solange die Berichterstattung durch eine regierungsunabhängige Stelle nur auf einfachem Gesetz beruht, wie dies fiir den Bundesdatenschutzbeauftragten gilt, müssen die einzelnen Berichte so abgefaßt sein, daß das generelle Auskunfts- und Informationsmonopol der Bundesregierung gewahrt bleibt.
m Näher Magiera, in: Schneider/Zeh, ParlamentsRund Parlamentspraxis, § 52 Rn. 81 ff. - Den verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt Obersehen Stern/Münch/Hansmeyer, Stabilitatsgesetz, Einl. 75 f., die ftlr Streitigkeiten z.B. um Vorlage des Subventionsberichts keinen Rechtsweg erkennen können. Grds. wie hier dagegen Würtenberger, in: BK, Art. 45 c Rn. 100 ff. (zum Auskunftsverlangen des Petitionsausschusses); zurückhaltender Maunz/Dürig, GG, Art. 45 c Rn. 28; s. auch allgemein Goessl, Organstreitigkeiten, 188 f. 453 Vgl. BVerjGE 42, 103 (115); Schulze-Fielitz, in: Dreier/Hofmann, Parlamentarische Souveränität, 119; ftlr das Verhaltnis Bundesregierung - Bundesrat i.E. auch Tomuschat, in: Magieral Merlen, Bundesländer und EG, 36, 75; gegen eine solche "Verdeutlichungskompetenz" aber E. Klein, ebda., 74 f.; ftlr "Pianungskontrollgesetze" bejahend Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 87 f.; s. auch Böckenförde, Organisationsgewalt, 125 f. m. Fn. 45 f. 454
S.o., C.l.3.c)dd)r.
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II. Pflichtuntersuchungen im Parlamentsauftrag (§ 26 II 1 BDSG)
1. Die begriffliche Unterscheidung der Auftragsarten
Der Bundesbeauftragte filr den Datenschutz hat nach § 26 II 1 BDSG "auf Anforderung des Deutschen Bundestags... Gutachten zu erstellen und Berichte zu erstatten". Insoweit besteht nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes kein Entscheidungs- oder Ermessensspielraum; der Beauftragte muß, ungeachtet seiner gesetzlich garantierten Unabhängigkeit(§ 22 IV 2 BDSG), aufVerlangen einer einfachen Mehrheit der Abgeordneten (§ 42 II 1 GG)455 in jedem Falle tätig werden456 • Zur rechtlichen Einordnung dieser Tätigkeit bedarf es zunächst einer genauen Klärung der Begriffe "Gutachten" und "Bericht". Um eine reine Begutachtung handelt es sich nach allgemeinem Verständnis immer dann, wenn eine sachkundige Person einen bereits feststehenden bzw. vom Auftraggeber als feststehend mitgeteilten Lebenssachverhalt (sog. Anknüpfungstatsachen) nach bestimmten fachlichen Maßstäben bewertet, ohne dabei eigene oder zusätzliche Ermittlungen zu betreiben457 • Geht es dagegen um die Erstattung eines Berichts, so soll der Berichtende unter Ausschöpfung aller ihm verlUgbaren Erkenntnisquellen einen Sachverhalt aufklären, der dem Berichtsempflinger bisher nicht oder jedenfalls nicht in allen Details bekannt ist458 • Für die Auslegung des § 26 II 1 BDSG hat diese terminologische Unterscheidung erhebliche Auswirkungen459 • Wird der Datenschutzbeauftragte nur als Gutachter bestellt460, so bedient sich der Bundestag lediglich der besonde-
455 Für die Beschlußvorlage gilt das in§ 76 GeschOBT festgelegte Quorum, s. Vonderbeck, ZParl 1983, 311 (338 f.).
456 Ordemann/Schomerus, BDSG, § 19Anm. 2.1.; Schwan, in:Kam/ahu.a., BDSG, § 19 Rn. 17; krit. Dammann, Datenschutzkontrolle, 191; verfehlt F/anderka, Bundesbeaufuagter, 42, mit dem Hinweis auf die generelle "Unabhllngigkeit der Exekutive von der Legislative". 457
Vgl. etwa K/einknecht, StPO, § 80 Rn. I u. 2.
Vgl. die prozeßrechtlichen Institute des beauftragten Richters (§ 223 StPO) und des Berichterstatters (§§ 324 I, 351 I StPO). 458
459
Zum folgenden s. auch Grell, DSG BW, § 16 Rn. 6.
Nach der Gesetzessystematik gilt insoweit nicht der dienstrechtliche Genehmigungsvorbehalt nach§ 23 VI 2 BDSG, s. Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 23 Rn. 36; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 18 Rn. 53. 460
142
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
ren Sachkunde und Erfahrung dieses Amtsträgers bei der Beurteilung schwieriger datenschutzrechtlicher Fragen. Eine solche Form der institutionalisierten Politikberatung mag zwar gewaltenteilungstheoretisch nicht ganz unproblematisch erscheinen (Gefahr einer "Sachverständigendemokratie"461 ), läßt jedoch das grundgesetzlich festgeschriebene Verhältnis des Parlaments zu den anderen Verfassungsorganen von vornherein unberührt. Ganz anders zu beurteilen ist dagegen die Anfertigung von Berichten, durch die der Beauftragte dem Parlament seine Beobachtungen und Erkenntnisse zu bestimmten Datenverarbeitungsvorgängen aus dem Bereich der Bundesverwaltung mitteilt462 • Hier müssen unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Auskunfts- und Informationsmonopols der Bundesregierung die gleichen Einschränkungen gelten wie bei den periodisch wiederkehrenden Tätigkeitsberichten nach § 26 I 1 BDSG463 •
2. Der Beauftragte als de-facto-Organ des Parlaments
Bei den vom Bundestag speziell angeforderten Berichten nach § 26 II 1 BDSG tritt der Konflikt mit dem geltenden Verfassungsrecht sogar besonders augenflillig zutage. Durch die Bindung an einen genau umrissenen Ermittlungsauftrag wird der zum Bereich der Exekutive gehörende Datenschutzbeauftragte hier nämlich funktionell gesehen zum "Auge und Ohr des Parlaments"464 und damit de facto zu dessen Hilfsorgan465 • Als besondere Form einer gewaltenübergreifenden Organleihe466 dürfte diese Konstruktion insoweit zulässig sein, als es sich lediglich um eine Indienst-
461 Hierzu am Bsp. der kollegialen Sachverständigengremien zuletzt Vierhaus, NVwZ 1993, 36 ff. m.w.N.; grundsätzlich bereits C. Schmitt, Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, 41 (insbes. 49 ff.). 462 Zu dieser Funktion der Berichtes. Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 4 ("Einzelfälle"); Schweinoch, in: Gallwas u.a., BDSG, § 19 Rn. 13. 463
Ausfuhrlieh dazu oben, 1.3 .c.dd.
464
So MdB Hirsch, in: BT-Sten.Prot. 10/129, S. 9592 D.
Dagegen ist die Kontrollkommission nach§ 9 II, IV G 10 (G. v. 13.8.1968, BGBI.I S. 949) keinen parlamentarischen Weisungen unterworfen und daher kein Organ des Bundestags; vgl. BVer.fGE 30, 1 (28); Friesenhahn, in: Verfassungsschutz und Rechtsstaat, 113; auf die Bestellung durch das Abgeordnetengremium nach § 9 I G 10 kommt es entgegen Schuppert, in: AK GG, Art. 10 Rn. 44 ff., insoweit nicht an (arg. 95 II GG). 461
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
143
nahme des behördlichen Personal- und Sachapparats handelt. Der Zweck des § 26 II I BDSG reicht aber offensichtlich weiter. Zur Erftillung der parlamentarischen Berichtsaufträge wird es nur selten ausreichen, daß der Beauftragte auf früher gewonnene Ergebnisse seiner Kontrolltätigkeit hinweist. Meist wird es sich um aktuelle Einzelfälle oder um noch nicht systematisch kontrollierte Verarbeitungshereiche handeln, so daß neue und gezielte Ermittlungen notwendig werden. Dürfte der Datenschutzbeauftragte hierbei von seinen gesetzlichen Untersuchungsbefugnisse Gebrauch machen, insbesondere von den in § 24 IV 2 BDSG genannten Auskunfts-, Einsichts- und Zutrittsrechten467 , so würde dies im Ergebnis bedeuten, daß der Bundestag sich auch die Untersuchungskompetenzen der Kontrollbehörde ftir seine eigenen Zwecke "ausleihen" könnte. Mit Hilfe des § 26 Il I BDSG ließen sich damit kurzerhand jene Schranken unterlaufen, die nach der Verfassung dem parlamentarischen Informationszugriff auf die vollziehende Gewalt gesetzt sind.
a) Der Umfang des parlamentarischen Untersuchungsrechts Das Grundgesetz eröffnet dem Bundestag zwar durchaus gewisse Möglichkeiten zur unmittelbaren Einsichtnahme in Akten und sonstige Unterlagen, zur Betretung von Diensträumen und zur förmlichen Befragung von Angehörigen der Exekutive. Insoweit handelt es sich aber um keine dem parlamentarischen System immanente468 oder etwa in der deutschen Parlamentsrechtsgeschichte von jeher angelegte Generalbefugnis469 , sondern nach nahezu einhelliger Ansicht um eine begrenzte Anzahl genau definierter Sonderkompetenzen470 • Ein Recht zu eigenen Untersuchungen, das den Bundestag von der Unterrichtung durch die Bundesregierung nach Art. 43 I GG unabhängig macht und ihm anstelle bloßer "Fremdinformationen" die Gelegenheit zur "Selbstinformation"
466 Zu diesem Begriff, dem kein eigener verfassungsrechtlicher Erkenntniswert zukommt, BVerjGE 63, I (31 ff.). 467
So etwa Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 20.
Ebenso bereits Lammers, in: Anschütz!Thoma, HdbDStR ll, 459; heute etwa Vetter, DÖV 1986, 590 (597); a.A. offenbar Ehmke, Referat z. 45. DJT, 49 These 2: "implied powers". 468
469
Wie hier Schröder, in: BK, Art. 43 Rn. 18.
Statt aller Böckenförde, AöR 103 (1978), I (16) m.w.N.; teilweise a.A. Steinmüller u.a., Gutachten, Anlage zu BT-Dr VI/3826, S. 190 f. 470
144
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
verschaffi471 , besteht also nur dort, wo es im formellen Verfassungsrecht festgelegt ist412 • Zu eigenen Ermittlungen befugt sind danach in erster Linie die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, denen in Art. 44 I 1, II (45 a II) GG das Beweiserhebungsrecht gemäß den Vorschriften über den Strafprozeß eingeräumt wird473 • Der Bundestag als solcher, insbesondere das Abgeordnetenplenum, kann dieses Recht anerkanntermaßen nicht selbst wahrnehmen474 • Ansprüche auf Auskunft, Aktenvorlage und Zutritt zu den Einrichtungen der Exekutive besitzen im übrigen aufgrund spezieller verfassungsrechtlicher Zuweisungen nur noch der Wehrbeauftragte (Art. 45 b S. 2 GG)475 als Hilfsorgan des Parlaments und der Petitionsausschuß (Art. 45 c II GGt76 als Unterorgan mit besonderen Rechtsschutzaufgaben. In beiden Fällen kommt allerdings die Verleihung einer (zweckgebundenen477) Untersuchungskompetenz im Verfassungstext selbst nicht zum Ausdruck; sie ergibt sich nur mittelbar aus der Entstehungsgeschichte, dem Regelungszweck und dem systematischen Zusammenhang der nachträglich in das Grundgesetz eingefUgten Bestimmungen478 • Soweit der Bundestag ohne eine vergleichbare verfassungsgesetzliche Grundlage Aufklärung über exekutivische Vorgänge begehrt, kann er bzw. das von
471
Zu den Begriffen HP. Schneider, AöR 99 (1974), 628 (630); Schröder, in: BK, Art. 43
Rn. 17; Vetter, DÖV 1986, 590 (595); Magiera, in: Schneider!Zeh, ParlamentsRund Parlamentspraxis, § 52 Rn. 29, 57; Meyer, ebda., § 4 Rn. 80 ff. 472 Lammers, in: Anschütz!Thoma, HdbDStR II, 459 f.; Sehröder (vorige Fn.), Rn. 18 f. ; Pietzner, Petitionsausschuß und Plenum, 49; Lutterbeck, Parlament und Information, 179 f.; Vetter (vorige Fn.), 590 ff.; Busse, DÖV 1989,45 (49); Magiera (vorige Fn.), Rn. 58 f.; Schulte, in: v.Mangoldtl Klein, GG, Art. 43 I Rn. 18. 473 BVerjGE 61, 100 (128 ff.); a.A. Schroer, DÖV 1986, 85 (91), der hier vorrangig Amtshilfegrundsätze heranziehen will (Art. 44 111 GG). 474 BVerjG (vorige Fn.), 125; ebenso bereits Lammers, in: Anschütz!Thoma, HdbDStR II, 460; Partsch, Gutachten z. 45. DIT, 13; Stern, AöR 109 (1984), 199 (218). 475
Einzelheiten in § 3 WehrbeauftrG.
§ I des Gesetzes nach Art. 45 c GG; zur früheren Rechtslage Pietzner, Petitionsausschuß und Plenum, 46 ff. 476
477
Würtenberger, in: BK, Art. 45 c Rn. 71.
Vgl. Maunz!Dürig, GG, Art. 45 b Rn. 2, 45 c Rn. 3; Friesenhahn, in: FS H. Huber, 353 (369); ähnlich offenbar BVerjGE 67, 100 (130). Die gleichwohl verbleibenden Verfassungsbedenken (strenger Verfassungsvorbehalt ftlr lnterorganbeziehungen) sind formuliert in der Stellungnahme des Bundesrats zu Art. 45 c II GG, BT-Dr 7/3495; s. auch Würtenberger, BK, GG, Art. 45 c Rn. 22 ff. 478
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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ihm beauftragte Ermittlungsorgan (z.B. die Parlamentarische Kommission zur Kontrolle der Geheimdienste479) immer nur Rechte auf Fremdinformation geltend machen; er bleibt also auf Auskünfte der verantwortlichen Regierungsstellen angewiesen480 • Auch der an die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung nach Art. 20 III GG gebundene einfache Gesetzgeber vermag, wie bereits unter der Weimarer Reichsverfassung angenommen wurde48 1, der Volksvertretung keine weitergehenden Inspektions- und Inquisitionsbefugnisse zu verschaffen482. Ebenso unzulässig wäre es, wenn eine außerhalb des Parlaments stehende Institution wie etwa der Bundesrechnungshof auf gesetzlichem Wege den Weisungen des Bundestags unterstellt und zur Erfiillung von Untersuchungsaufträgen verpflichtet würde483 • Verwirklichen lassen sich derartige Erweiterungen des parlamentarischen Kontrollinstrumentariums allenfalls in Form einer ausdrücklichen Ergänzung des Grundgesetzes484 .
479 §§ 1-3 G. über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes, G. v. II. 4. 1978, BGBI I S. 453. 480 Die der Parlamentarischen Kontrollkommission (vorige Fn.) zustehenden Unterrichtungsrechte (§ 2) bewegen sich demnach noch im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen, s. Vonderbeck, Parlamentarische Inforrnationsbefugnisse, 44; Denninger, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, 1293 (1323); a.A. H.H. Klein, VVDStRL 37 (1979), 91 f. u.ö.; krit. auch Roewer, NachrichtendienstR, § I PKKG Rn. 5 u. 6; zur Novellierung Schreckenberger, Gastkommentar in: Die Welt v. 3.4.1992. Aus anderem Grund liegt hier aber, sofern man die Kommission überhaupt als ein Organ des Parlaments ansieht (so die Amtliche Begründung, BT-Dr 8/1599, S. 6; Trossmann, JöR 28 [1979], I [64 ff.]; BVerfGE 61, 100 [135]; a.A. C. Arndt, DVBI. 1978, 385 [387]; wohl auch Friesenhahn, in: Verfassungsschutz und Rechtsstaat, 102 f.) ein mehrfacher verfassungswidriger Formenmißbrauch vor: Mit der Bezeichnung als "Kommission" statt als Ausschuß entzieht der Gesetzgeber dieses Abgeordnetengremium gezielt sowohl der parlamentarischen Diskontinuität(§ 5 IV; s. Evers, NJW 1978, 1145) als auch dem Zutrittsrecht der Bundesregierung nach Art. 43 II GG (krit. dazu Trossmann, 67 f. ; Vetter, DÖV 1986, 590 [593]) sowie der alleinigen Geschäftsordnungshoheit des Bundestags nach Art. 40 I 2 GG (dazu näher unten, IV.2.). 481
Vorläufiger RStGH, in: RGZ 102, 425 ff.; Lammers, in: Anschütz/Thoma, HdbDStR II, 459 f.
Stern, AöR 109 (1984), 199 (219); Schröder, ZParl 15 (1984), 473 (474, 476); Vetter, DÖV 1986, 590 (593); Püttner, Der Amtsankläger, 42 (jew. m.w.N.). A.A. insoweit wohl Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (73 These 16); Ehmke, Referatz. 45. DJT, 25 ff., 35; Pietzner/Reinermann, Bürgerrechte und Kontrollinstitutionen, 30 f.; Matthes, Bürgerbeauftragter, 228 ff. 482
483 Speziell zum Bundesrechnungshof Partsch, Gutachten z. 45. DJT, 191 f. ; Maunz/Dürig, GG, Art. 114 Rn. 19, 23; Piduch, BundeshaushaltsR, Art. 114 GG Rn. 6; vgl. auch BT-Dr 7/5277, S. 5. 484 Insoweit zutreffend Kretschmer, ZParl 1986, 334 (338 f.). -Zu den aus der Gewaltenteilung folgenden Grenzen (Art. 79 111 GG) einer entsprechenden Verfassungsänderung s. Hömig, aus politikund Zeitgeschichte 1977, B 42, 30; HP. Schneider, AöR 99 (1974), 628 (645 f.); ders. , AöR 105 (1980), 4 (31 f.); Gal/ois, Parlamentarischer Staatssekretär, 66 Fn. 3. Keine Bedenken auch insoweit bei Ehmke, Referat z. 45. DJT, 35; sowie Magiera, Parlament und Staatsleitung, 314.
10 Zöllner
146
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
b) Die legislatorische Fehlleistung im Bundesdatenschutzgesetz Die soeben dargestellten verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen haben schon in der rechtspolitischen Diskussion der siebziger Jahre, die der Verabschiedung des Bundesdatenschutzgesetzes vorausging, eine gewisse Rolle gespielt. So wurde den seinerzeit geäußerten Überlegungen, die Datenschutzkontrolle einer im parlamentarischen Raum angesiedelten Institution zu übertragen (Ombudsman-Modell)485 , der begründete Einwand entgegengehalten, dies erfordere wegen des weiten Umfangs der Untersuchungskompetenzen die EinfUgung einer eigenen Verfassungsbestimmung nach dem Vorbild der Art. 44 ff. GG486 • Erst das Fehlen der dafiir erforderlichen qualifizierten Mehrheit veranlaßte schließlich den Gesetzgeber, wie auch in der abschließenden Bundestagsdebatte erkennbar wurde487, sich fiir einen Standort der neugeschaffenen Kontrollinstanz innerhalb der vollziehenden Gewalt zu entscheiden (§ 17 V BDSG 1977)488 • Diese bewußte Auslagerung vom parlamentarischen in den exekutivischen Organbereich ist jedoch, ohne daß der darin liegende Widerspruch während des Gesetzgebungsverfahrens oder im seither erschienenen Schrifttum offengelegt worden wäre489, mit der gesetzlich normierten Verpflichtung zur Berichterstattung nach § 26 II l BDSG zumindest partiell wieder rückgängig gemacht worden. Unversehens erweist sich danach der Beauftragte als ein vom Bundestag ad hoceinsetzbares Untersuchungsorgan und somit gleichsam als ein trojanisches Pferd des Parlaments im Innenbereich der Exekutive490 •
485
Überblick bei Dammann, Datenschutzkontrolle, 131 ff.
Vor allem Dammann (vorige Fn.), 134, 139, 169, 193; Auernhammer, BDSG, § 17 Rn. 13; Ordemann/Schomerus, BDSG, § 17 Anm. 1.2. Vgl. auch Steinmüller u.a., Gutachten, Anlage zu BT-Dr 6/3826, S. 181 ff.; Gesell, ÖVD 4 (1974), 147 (151); Gola!Hümmerich, DatenschutzR, Teil 3, 136. Zur gleichartigen Problematik im Rahmen der allgemeinen Ombudsman-Diskussion z.B. Wild, Ombudsman, 192 ff. m.w.N. 486
487 BT-Sten.Prot. 7/250, S. 17740 A,B (Wernitz), 17742 B,C (Gerster); später BT-Sten.Prot. 8/ 164, S. 13106 D (Laufs). Vgl.auch BT-Dr 7/5277, S. 5. 488 Similis, NJW 1977, 729 (736); Bull, Datenschutz, 128; ders., in: Kempf/Uppendahl, Ein deutscher Ombudsman, 63 (74); Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, 37. 489 Anders nur (fllr das baden-wUrttembergische Recht) Grell, DSG BW, § 16 Rn. 6 f.; vgl. auch Püttner, Der Arntsankläger, 42 f., zum hessischen Landesbeauftragten; letztlich keine Bedenken bei Flanderka, Bundesbeauftragter, 57. 490 Bemerkenswert deutlich insoweit Bull, in: Kempf/Uppendahl, Ein deutscher Ombudsman, 63 (74): "Solange das Parlament sich unmittelbar vom Datenschutzbeauftragten informieren lassen
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
147
Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine solche Rolle lassen sich nicht etwa durch einen Hinweis auf die gegenseitige Verpflichtung aller Bundesbehörden zur Amtshilfe (Art. 35 I GG491 ) zerstreuen. Es erscheint bereits höchst fraglich, ob der Deutsche Bundestag als Organ der gesetzgebenden Gewalt generell als "Behörde" im Sinne des Amtshilfegrundsatzes anzusehen ist492 oder ob es dazu nicht vielmehr - ähnlich wie in Art. 44 III GG fiir die Untersuchungsausschüsse geschehen - eines entsprechenden Verfassungsbefehls bedarf'93 • Ganz unabhängig von diesen begrifflichen Schwierigkeiten ist mit dem BVerfG in der Sache jedenfalls festzuhalten, daß die Inanspruchnahme von Amtshilfe durch das Parlament dort nicht in Frage kommen kann, wo sich das konkrete Informationsverlangen als Ausdruck und Ausübung des parlamentarischen Kontrollrechts gegenüber der Bundesverwaltung darstellt494 • Die verfassungsrechtliche Festlegung der zwischen Bundestag und Exekutive bestehenden Kontroll- und Informationsbeziehungen darf nicht durch einen unvermittelten Rückgriff auf das in anderen Bereichen entwickelte Institut der Amtshilfe überspielt werden495 • Lassen sich demnach selbst aus Art. 35 I GG keine von den Voraussetzungen der Art. 44 ff. GG unabhängigen Untersuchungskompetenzen des Parlaments herleiten496 , so müssen die verfassungsimmanenten Schranken des Rechts auf Selbstinformation auch bei der Beantwortung datenschutzrechtlicher Anfragen
kann und diese Möglichkeit intensiv nutzt, schadet die Zuordnung zur Exekutive nicht. Sie hat sogar den Vorteil, daß der Beauftragte als organisatorischer Teil der Regierung relativ leichten Zugang zu allen Regierungsstellen hat, während ein Parlamentsbeauftragter eher auf den Dienstweg (über die Spitze der Regierung) verwiesen werden kann." 491 Zur Abgrenzung der Amtshilfe i.e.S. (Aushilfe im Einzelfall) von der Organleihe (generelle Aufgabenübertragung) s. BVerjGE 63, 1 (31 ff.).
492 Verneinend die bisher herrschende Meinung, vgl. Würtenberger, BK, Art. 45 c Rn. 98; Vetter, Parlamentsausschüsse, 262; ders., DÖV 1986, 590 (596); OVG Münster, DVBI. 1995, 375 (376); a.A. vor allem Pietzner, Petitionsausschuß und Plenum, 47 ff. m.w .N . zum Streitstand; differenzierend Schröder, BK, Art. 43 Rn. 18; Kopp, VwVfG, § 1 Rn. 23. 493 In diesem Sinne Maunz!Dürig, GG, Art. 17 Rn. 75; anders H.P. Schneider, AöR 99 (1974), 628 (642); Pietzner (vorige Fn.), 48. Vgl. auch OVG Münster, DVBI. 1987, 100 (102). 494
BVerjGE 67, 100 (128 ff.).
Vgl. BVerjG (vorige Fn.), 129; Pietzner, Petitionsausschuß und Plenum, 49; Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, 80 f. 495
496 Zur beschränkten Reichweite des Amtshilfegedankens Arloth, NJW 1987, 808 (810); allgemein Meyer-Teschendorf, JuS 1981 , 187 (190 f.); Schlink, NVwZ 1986, 249 (250 f.); Bryde, VVDStRL 46 (1988), 181 (200).
148
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
nach § 26 li 1 BDSG beachtet werden. Der Bundesbeauftragte darf also bei der Erstellung eines solchen Berichts nur auf regierungsamtlich bekanntgegebene Tatsachen zurückgreifen und nicht etwa durch eigene Ermittlungen im nachgeordneten Behördenbereich den Sachverhalt selbst aufzuklären versuchen. Der damit geforderte Verzicht auf eine Anwendung der Inspektionsbefugnisse nach § 24 IV 2 BDSG widerspricht zwar dem bisher herrschenden Normverständnis und wohl auch den ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers. Er folgt jedoch zwingend aus dem Gebot verfassungskonformer Auslegung und findet auch im aktuellen Gesetzestext eine Stütze. Die bei der Novellierung 1990 geänderte Bestimmung des § 24 IV 2 Nr. 1 BDSG über die Gewährung von Auskünften sowie über die Einsichtnahme in Unterlagen und Akten setzt nunmehr nämlich entgegen der früheren Fassung ausdrücklich voraus, daß die Untersuchungsmaßnahmen "im Zusammenhang mit der Kontrolle nach Absatz I stehen". Die gesetzlich verbrieften Sonderrechte gegenüber der datenverarbeitenden Verwaltung stehen dem Datenschutzbeauftragten also nur für die in eigener Regie durchgeführten (systematischen oder stichprobenartigen) Kontrollen nach § 24 I BDSG zur Verfiigung, nicht dagegen für Auftragskontrollen zugunsten des Deutschen Bundestags nach § 26 li BDSG497 •
111. Parlamentarische Kontrollersuchen (§ 26 II 2 BDSG)
Als weitere Form parlamentarischer Einflußnahme sieht § 26 II 2 BDSG vor, daß der Datenschutzbeauftragte auf Ersuchen des Deutschen Bundestages, des Petitionsausschusses oder des Innenausschusses Hinweisen auf Angelegenheiten und Vorgänge des Datenschutzes bei den öffentlichen Stellen des Bundes "nachgeht". Die damit erkennbar zum Ausdruck gebrachte Verpflichtung498 zum Tätigwerden läßt angesichts der wenig präzisen Formulierung zunächst einmal offen, ob die bei den Überprüfungen gewonnenen Erkenntnisse stets499 oder
497 A.a. wohl Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 24 Rn. 38, der das Auskunfts- und Einsichtsrecht offenbar auch auf solche Untersuchungen bezieht, die zwar konkret keine Kontrollen i.S.d. § 24 I BDSG darstellen, sich aber dem Gegenstande nach "innerhalb seiner Kontrollkompetenz" bewegen. 498 In der bis zum 31. 5. 1991 geltenden Gesetzesfassung (§ 1911 3 BDSG 1977) handelte es sich noch um eine Kann-Vorschrift. 499 So Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 26 Rn. 12 (ebenso Vorauflage, BDSG 1977, § 19 Rn. 26); wohl auch Schweinoch, in: Gallwas u.a., BDSG, § 19 Rn. 15.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
149
doch jedenfalls regelmäßig500 den interessierten Parlamentariern bekanntzugeben sind oder ob darüber lediglich nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist501 , wobei als Alternative zu einer gesonderten Mitteilung auch die Aufnahme in den periodisch erscheinenden Tätigkeitsbericht in Betracht zu ziehen wäre502 • Schlüssig beantworten läßt sich diese Frage nur unter Berücksichtigung der oben skizzierten verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen. Hiernach muß dem Datenschutzbeauftragten im Verhältnis zum Bundestag und zum Innenausschuß eine echte Berichterstattung (nicht bloß Begutachtung) zu den angesprochenen Vorgängen grundsätzlich verwehrt bleiben, da er anderenfalls wiederum in unzulässiger Weise als "verlängerter Arm" des Parlaments tätig würde503 • Bekanntgeben darf der Beauftragte das Ergebnis seiner Nachforschungen nur dann, wenn das anfragende parlamentarische Unterorgan über eigene Untersuchungskompetenzen gegenüber der Verwaltung verfiigt. In diesen Fällen bewirkt die Einschaltung der Datenschutzbehörde keine faktische Erweiterung der Informationsbefugnisse, sondern lediglich eine verfahrensrechtliche Erleichterung der Informationsgewinnung504• Verfassungsrechtlich zulässig ist daher ein Ermittlungsbericht auf Ersuchen des in § 26 II 2 BDSG ausdrücklich erwähnten Petitionsausschusses oder auch eines Untersuchungsausschusses bzw. des Wehrbeauftragten (Art. 44 ff. GG). Macht eines dieser Organe von seinem verfassungsrechtlich sanktionierten Recht auf Amtshilfe Gebrauch 505, so ist fiir eine Ermessensentscheidung des Datenschutzbeauftragten hinsichtlich der Weitergabe seiner Erkenntnisse kein Raum mehr; er muß dem Verlangen nachkommen 506•
soo So Ordemann!Schomerus, BDSG, § 19 Anm. 3. soJ
So offenbar Schwan, in: Kam/ah u.a., BDSG, § 19 Rn. 25.
so2
So Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 4.
soJ
So jedoch Ruckriegel u.a., Datenschutz NRW, § 31 Rn. 4 .
s V gl. Sch/ink, Amtshilfe, 152, 202, zum analogen Fall der Datenweitergabe zwischen Behörden mit gleicher sachlicher Zuständigkeit. 04
sos Art. 44 III GG; § 4 WehrbeauftrG; § 7 des Gesetzes nach Art. 45 c GG; zu letzterem s. Auernhammer, BDSG, § 21 Rn. I; F/anderka, Bundesbeaufuagter, 63 Fn. 8. s06 Zur Frage, inwieweit hierbei auch personenbezogene Daten weitergegeben werden dürfen, s.o.,
1.3.a.
150
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
IV. Direktzugang zum Bundestag (§ 26 II 3 BDSG)
Nach dem Willen des Gesetzgebers muß der Datenschutzbeauftragte nicht warten, bis ihn eine parlamentarische Anfrage oder Anregung erreicht; er kann sich auch aus eigenem Entschluß "jederzeit an den Deutschen Bundestag wenden"(§ 26 II 3 BDSG). Dieses unmittelbare Zugangsrecht unterliegt bei wörtlicher Auslegung weder in verfahrensmäßiger noch in thematischer Hinsicht irgendwelchen Einschränkungen, sondern scheint dem jeweiligen Amtsinhaber weitreichende Darstellungsmöglichkeiten gegenüber dem wichtigsten Verfassungsorgan zu garantieren.
I. Flucht an die parlamentarische Öffentlichkeit? Im Schrifttum sowie in der bisherigen Verwaltungspraxis wird allgemein angenommen, der Beauftragte könne Angelegenheiten beliebiger Art an das Parlament herantragen und insbesondere "in dringenden Fällen sofort Alarm schlagen" 507, ohne an den zweijährigen Turnus der Tätigkeitsberichte gebunden zu sein. Nach diesem Verständnis gewinnt der direkte Zugang zum Bundestag seine Bedeutung vornehmlich dann, wenn ein exekutivinternes Beanstandungsverfahren erfolglos geblieben ist, z.B. weil der filr die beanstandete Datenverarbeitungsmaßnahme zuständige Ressortminister in seiner Stellungnahme gegenüber der Kontrollbehörde an einem konträren Rechtsstandpunkt festhält {§ 25 BDSG). In solchen Konfliktlagen dürfe der Datenschutzbeauftragte den Bundestag gleichsam als Schiedsrichter anrufen und damit die zugrundeliegende Rechtsfrage zu einem Politikum machen508• Die zuvor ausgeübte exekutivische Binnenkontrolle werde auf diese Weise in eine parlamentarische Fremdkontrolle übergeleitet. Es liegt auf der Hand, daß allein schon in der - filr ein Verwaltungsorgan einzigartigen - bloßen Möglichkeit, jeden umstrittenen Einzelfall der Volksvertretung vorzulegen und so zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion zu machen, ein äußerst wirksames Druckmittel zur Durchsetzung datenschutz-
507
Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 26 Rn. 7; vgl. auch Auernhammer, § 19 Rn. 4.
Auernhammer (vorige Fn.), § 20 Rn. 7; Schweinoch, in: GaUwas u.a., BDSG, § 19 Rn. 3, 17 u. 20; Ordemann/Schomerus, BDSG, § 20 Anm. 4; Bull, Datenschutz, 129. -Eine Verpflichtung zur Information des Parlaments Ober aufgetretene Meinungsverschiedenheiten ist trotz entsprechender Vorschläge (z.B. Gesell, ÖVD 4/1974, 147 [149 f.]) bisher nicht normiert worden. 50'
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
151
freundlicher Positionen läge509• Die Autorität des Amtes könnte sich insofern ganz wesentlich auf das Direktzugangsrecht gründen. Der direkte Appell an den Bundestag stellt jedoch in jedem Falle einen Informationsvorgang dar, bei dem die oben ausfUhrlieh beschriebenen grundrechtlichen und organisationsrechtlichen Verfassungsschranken beachtet werden müssen510• Der Bundesbeauftragte muß hier also wiederum sowohl auf jede Weitergabe personenbezogener Daten verzichten als auch auf die Mitteilung konkreter Kontrollerfahrungen aus dem Bereich der Exekutive, soweit das grundgesetzliche Auskunfts- und Informationsprivileg der Bundesregierung reicht. Bei verfassungskonformer Auslegung darf das Zugangsrecht in der Regel nur zur Schilderung generell bestehender oder bereits öffentlich bekannt gewordener Datenschutzkonflikte in Anspruch genommen werden.
2. Rederecht aufgrundeinfachen Gesetzes? Im Zusammenhang mit den Tätigkeitsberichten nach § 26 I I BDSG ist bereits dargelegt worden, daß der Datenschutzbeauftragte aufgrund seiner unabhängigen Stellung nicht als Beauftragter der Bundesregierung nach Art. 43 II GG angesehen werden kannm . Ein verfassungsunmittelbares Rederecht steht ihm daher nach einhelliger Auffassung nicht zu. Nicht eindeutig geklärt ist bisher allerdings die Frage, ob aus dem einfachgesetzlich garantierten Recht auf direkten Zugang zum Bundestag ein Anspruch auf mündlichen Sachvortrag oder gar auf eine aktive Teilnahme an der parlamentarischen Debatte abzuleiten ist. Von einigen Autoren wird dem Bundesbeauftragten ausdrücklich das Recht zuerkannt, "daß er - ähnlich wie Mitglieder der Bundesregierung - vor dem Bundestag und seinen Ausschüssen das Wort ergreifen darf in Angelegenheiten, die seine Tätigkeit betreffen"512 • Die Vertreter der herrschenden Auffassung halten ihn dagegen trotz der Bestimmung des § 26 II 3 BDSG fiir nicht legiti-
509
Dammann, Datenschutzkontrolle, 124; Schweinach (vorige Fn.), § 19 Rn. 7.
Vgl. oben, 1.3. - Zur besonderen Verfassungslage in NRW (Art. 77 a II 2 LVert) s. Stähler, DSG NW, § 21 Rn. 7. 510
5 11
Oben, 1.3.c.cc.
m Schweinoch, in: Gallwas u.a., BDSG, § 19 Rn. 15; Dammann, in: Similis u.a., BDSG 1977, § 19 Rn. 28.
152
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
miert, vor dem Plenum oder auch nur in Ausschußsitzungen das Wort zu ergreifen513 • Zum Teil wird hierbei freilich eingeräumt, daß er zumindest gegenüber den Fachausschüssen schon immer auch in mündlicher Form Stellung genommen habe, obwohl ihm nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags (GeschOBT) kein Rederecht zustehe514 • Die besseren Gründe sprechen in der Tat für eine restriktive Auslegung. Zwar ergibt der systematische Zusammenhang mit den Vorschriften über die Erstattung schriftlicher Tätigkeits- und Untersuchungsberichte (§ 26 I, II 1, 2 BDSG) fiir sich allein noch kein durchschlagendes Argument dafiir, daß auch das Recht auf Zugang zum Parlament nur in schriftlicher Form ausgeübt werden darf. Überzeugend erscheint jedoch die Überlegung, daß die Gewährung eines Recht zum jederzeitigen mündlichen Vortrag als derart bedeutsam anzusehen wäre, daß sie im Gesetz oder zumindest in sonstigen parlamentarischen Willensäußerungen eindeutig hätte zum Ausdruck kommen müssen 515 • Ein Rederecht ist jedoch auch in der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Bundesdatenschutzgesetzes an keiner Stelle mehr erwähnt516, obwohl darüber kurz zuvor im Innenausschuß des Deutschen Bundestags gesprochen worden war - freilich nur im Zusammenhang mit einer möglichen Anhindung der Datenschutzinstanz an das Parlament517 • Nachdem stattdessen schließlich die Entscheidung fiir ein exekutivisches Kontrollorgan getroffen wurde, darf heute rückblickend angenommen werden, daß das gesetzliche Zugangsrecht auch nur zu schriftlich formulierten Eingaben an das Parlament ermächtigen sollte, nicht anders als die Vorläuferregelungen im Wehrbeauftragtengesetr 18 und im damaligen hessischen Datenschutzgesetr 19•
513 Schwan, in: Kamlah u.a. , BDSG, § 19 Rn. 26; Ordemann/Schomerus, BDSG, § 19 Anm. 3; Vonderbeck, DVBI. 1980,439 (440); nunmehr auch Dammann, in: Simitis u.a., BDSG, § 26 Rn. 8. 514
Dammann (vorige Fn), Rn. 8; Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 4.
515
Vonderbeck, DVBI. 1980, 439 (440).
516
BT-Dr 7/5277, S. 5,8.
Vors. Schäfer, in: BT-Anhörung BDSG 1974, 202 f. -In der Fachliteratur erstmals erwähnt wurde ein solches Recht von Dammann, Datenschutzkontrolle, 124 (erschienen nach Verabschiedung des BDSG 1977). 517
518 § 2 II WehrbeauftrG. -Der Wehrbeauftragte besitzt kein eigenes Rederecht (Busch, in: BK, GG, Art. 45 b Rn. 242 f.; Müser, Wehrbeauftragter, 71 f.; Ritzef/Bücker, Hdb. Pari. Praxis,§ 115 Rn. I; Trossmann/Roll, ParlamentsR, Ergänzungsband, § 115 Anm. I; Bücker, FS Schellknecht, 39 [41 f.]), sondern kann nur auf einen Antrag nach § 115 GeschOßT das Wort ergreifen. 519
§ 29 III G . v. 7.10.1970, GVBI. I
s. 625.
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
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Für diese Auslegung sprechen nicht zuletzt zwingende verfassungsrechtliche Gründe. Eine bloß auf das Bundesdatenschutzgesetz gestützte Befugnis des Beauftragten, vor den Abgeordneten jederzeit mündlich Stellung nehmen zu können, würde nämlich in unzulässiger Weise die Geschäftsordnungshoheit des Bundestags beschneiden. Nach feststehender Rechtsprechung des BVerfG werden diejenigen Regelungsgegenstände, die herkömmlich - insbesondere mit Rücksicht auf die Rechtslage zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung - als Geschäftsordnungsangelegenheiten gelten, von Art. 40 I 2 GG dem autonomen Eigenbereich des Parlaments zugewiesen520. Neben der inneren (Aufbau-) Organisation und der parlamentarischen Disziplin gehört dazu in erster Linie der sogenannte Geschäftsgang, verstanden als "das Verfahren fiir die Abwicklung der Parlamentsgeschäfte"521. Den Kern dieser letzteren Geschäftsordnungsmaterie bilden die Regelungen zum äußeren Ablauf der Sitzungen, insbesondere zu den fiir eine geordnete Beratung zentralen Fragen, wer wann unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Thema vor der Volksvertretung und ihren Ausschüssen das Wort ergreifen darf (vgl. §§ 23 ff. GeschBT)522 • Hierzu gehört auch die Entscheidung darüber, ob parlamentsfremden Personen die Gelegenheit zu (freiwilligen) mündlichen Äußerungen gegeben werden soll 523 • Der Bundestag regelt solche Angelegenheiten des Sitzungsablaufs kraft seines in Art. 40 I 2 GG festgeschriebenen Selbstorganisationsrechts in Form einer kodifizierten Geschäftsordnung sowie (ergänzend) durch geschäftsordnungsmäßige Beschlüsse524 •
520
46.
BVerjGE 44, 308 (314); NJW 1986,907 (909); s. auch Arndt, Geschäftsordnungsautonomie,
521 BVerjGE I, 144 (148); 44, 308 (315); Arndt (vorige Fn.), 64 ff.; Steiger, Grundlagen, 40; Kißler, JöR 26 (1977), 39 (44).- Entgegen Bücker, ZParl 1986,324 ff., und Schmidt, DÖV 1986, 236 (239), darf der verfassungsrechtliche Terminus "Geschäftsordnung" nicht unbesehen mit dem umfassenderen Begriff des "Parlamentsrechts" oder gar des" parlamentsbezogenen Rechts" gleichgesetzt werden. 522 Soweit Rederechte bereits unmittelbar aus der Verfassung folgen, wie beim Abgeordneten aus Art. 38 I GG (BVerjGE 10, 4 [12]; 60, 374 ff.) und bei der Bundesregierung aus Art. 43 II 2 GG (BVerjGE 10, 4 [17]), kann die GeschOßT allerdings nur Konkretisierungen enthalten, s. Arndt, 69.
523 Vgl. die Regelungen in § 70 (Hearing) und in § 115 GeschOßT (Wehrbeauftragter). Eine Verpflichtung zur Stellungnahme kann die Geschäftsordnung gegenüber Außenstehenden allerdings nicht begründen, da sie als Innenrecht allein die Parlamentarier bindet (B VerjGE I, 144 [I 48]; a.A. offenbar Kretschmer, ZParl 1986, 334 [341 f.]; vgl. auch BVerwG, NJW 1992, 1713 [1714]). 524
Zu den Ausübungsformen (Gesamtkodifizierung, Allgemein- oder Einzelfallbeschlüsse) s.
154
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Auf einfachgesetzlichem Wege, z.B. über die verbindliche Normierung eines Rederechts fiir bestimmte Amtsträger, darf die Geschäftsordnungshoheit nicht verkürzt werden. Zwar findet sich im staatsrechtlichen Schrifttum vielerorts noch immer die Feststellung, die Parlamentsgeschäftsordnung stehe im Rang nicht nur unter der Verfassung, sondern auch unter dem förmlichen Gesetz525 • Diese Auffassung, die unter anderem auf eine frühe Entscheidung des BVerfG gestützt wird526, erweist sich aber bei näherer Betrachtung als unhaltbar. Bereits ihre Prämisse, wonach die parlamentarische Geschäftsordnung als autonome Satzung anzusehen sei527, steht im offenen Widerspruch zu den gesicherten Grundsätzen der Rechtsquellenlehre, denen zufolge die Satzung das typische Regelungsinstrument nichtstaatlicher Rechtssubjekte bildet528 • Als ein unmittelbares Staatsorgan besitzt das Parlament auch hinsichtlich seiner inneren Angelegenheiten "Autonomie" niemals im streng rechtlichen529, sondern allenfalls in einem übertragenen verfassungstheoretischen Sinne, nämlich in seinem Selbstverständnis als Repräsentant der souveränen Nation530 • Demgemäß paßt der Rechtsbegriff der Satzung nicht auf die Geschäftsordnung des Bundestags und ist wohl aus diesem Grund auch vom BVerfG in späteren Entscheidungen nicht mehr ausdrücklich herangezogen worden 531 •
Arndt, Geschllftsordnungsautonomie, 101 ff.; Achterberg, ParlamentsR, 326 f., 330 ff.; s. auch § 126 GeschOBT. 525 Vgl. nur v.Mangoldt/Klein, GG, Art. 40 Anm. IV.2.; Maunz!Dürig, GG, Art. 40 Rn. 22 (anders: Art. 46 Rn. 78); Hesse, VerfassungsR, Rn. 577. Aus dem älteren Schrifttum etwa Perels, in: Anschützffhoma, HdbDStR I, 449. 526 BVerjGE I, 144 (148). In BVerjGE 44, 308 (3I5), wird dagegen nur noch die Verfassung als vorrangig angeftlhrt. 527 BVerjGE I, I44 (148); weitere Nachweise bei Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, 138 f. m.Fn. 4-Il, sowie bei Achterberg, ParlamentsR, 51 m. Fn. 97, wo sich auch ein Überblick über weitere Klassifizierungsversuche findet (49 ff.). 528 Krit. daher Böckeriförde, Organisationsgewalt, 120 Fn. 24; Steiger, Grundlagen, 41 ff.; Achterberg, vorige Fn., 54; Ossenbühl, in: Erichsen/Martens, VerwaltungsR, § 7 VI 2 .b.; H Dreier, JZ 1990, 310 (313) jew. m.w.N . Allgemein zum verfassungsrechtlichen Gehalt des Satzungsbegriffs BVerjGE 10, 20 (50); Meyn, DVBI. 1977, 593 ff.; Zöllner, BayVBI. 1987, 549 ff.
529
Steiger (vorige Fn.), 42 f.
Böckenförde, Organisationsgewalt, 116 f.; ihm insoweit folgend BVerjG, NJW 1986, 907 (909) • Mehrheitsvotum •. 530
531 BVerjGE I 0, 4 ff. ; 44, 308 ff. Den zeitlichen Zusammenhang mit der verfassungsgerichtlichen Klärung des Satzungsbegriffs belegt Meyn, DVBI. 1977, 593 (594).
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Selbst wenn man an der formellen Einordnung als autonome Satzung festhalten wollte, wäre aber der daraus rein begrifflich abgeleitete Nachrang der Parlamentsgeschäftsordnung gegenüber einfachem Gesetzesrecht nicht anzuerkennen. Abgesehen davon, daß das herkömmliche Schema der Normenhierarchie sich nicht ohne weiteres auf das staatliche Innenrecht und insbesondere auf die organinternen Beziehungen übertragen läßt532, wäre eine solche Rangfolge im konkreten Fall auch mit Wortlaut und Sinn der Verfassung unvereinbar. Wenn das Grundgesetz die Regelung der parlamentsinternen Vorgänge und Angelegenheiten ausdrücklich einer Geschäftsordnung zuweist, ohne dafür gleichzeitig einen Gesetzesvorbehalt zu statuieren533 , dann muß daraus gefolgert werden, daß der Bundestag bei seinen Beratungen ausschließlich nach Geschäftsordnungsrecht zu verfahren hat und insoweit keiner konkurrierenden Bindung an das förmliche Gesetz unterliegen soll534 • Die Geschäftsordnungsautonomie des Art. 40 I 2 GG beinhaltet also, wie Böckenförde am Beispiel einer haushaltsgesetzlichen Bestimmung geschäftsordnungsrechtlichen Inhalts überzeugend dargelegt hat, "nicht lediglich eine subsidiäre Regelungsbefugnis im Rahmen der Gesetze, sondern - ebenso wie die Geschäftsordnungsbefugnis der Regierung gemäß Art. 65 Satz 4 GG - eine verfassungsunmittelbare Sachkompetenz. Sie ist dem Bundestag als Volksvertretungs-Körperschaft, nicht in seiner Funktion als Gesetzgebungsorgan zuerkannt. Er selbst und allein soll Herr seines Verfahrens, seiner Gliederung usw. sein... In diese verfassungsbegründete Kompetenz darf der einfache Gesetzgeber, der unter der Verfassung und den von ihr vorgenommenen Kompetenzzuweisungen steht, nicht eingreifen, ohne dazu besonders ermächtigt zu sein".535 Das Verhältnis von Parlamentsgeschäftsordnung und Gesetz stellt somit in Wahrheit kein Rangproblem zweier Rechtsquellen, sondern ein Kompetenz-
"'Achterberg, ParlamentsR, 327; vgl. auch Wahl, Stellvertretung, 93 ff. (insbes. 99 ff.), der die Geschäftsordnungen der Verfassungsorgane als den Verfassungstext ergänzendes materielles ("sekundäres") Verfassungsrecht klassifiziert. 533 Gegenbeispiele bieten insoweit die bremische (Art. I 06) und die saarländische Landesverfassung (Art. 70); vgl. auch Ver:fG Brandenburg, DVBI. 1995, 299 (300).
534 Vgl. Pietzcker, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, § 10 Rn. 14 ff. Nachdem die Geschäftsordnung definitionsgemäß nur die organinternen Rechtsverhältnisse regelt, läßt sich die Gesetzesform auch nicht durch ein "Mehr an Rechtssicherheit ftlr den Bürger" legitimieren, so aber Röper, ZParl 1984, 529 (533); Bücker, ZParl 1986, 324 (329 ff.); s. auch Scherer, AöR 112 (1987), 189 (213). 535 Böckenförde, Sondervotum in: BVer:fG, NJW 1986,907 (914); vgl. schon ders., Organisationsgewalt, 124 f.
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
problern dar536 • Die dem Deutschen Bundestag verliehenen Entscheidungskompetenzen fUr Geschäftsordnung (Art. 40 I 2 GG) und fUr Gesetzgebung (Art. 77 I 1 GG) stehen nach der Verfassung prinzipiell gleichrangig und vorbehaltlos nebeneinander537 • Daher bedarf es, soweit genuine Geschäftsordnungsfragen538 durch Gesetz geregelt werden sollen, einer gegenständlich bezeichneten Zuweisung durch das Grundgesetz, wie sie beispielsweise fUr das Wahlprüfungsverfahren in Art. 41 III GG vorliegt539 • Für ein gesetzliches Teilnahmerecht des Datenschutzbeauftragten an der parlamentarischen Verhandlung fehlt dagegen eine solche verfassungsrechtliche Legitimationsnorm. Der Regelungsspielraum des einfachen Gesetzgebers kann auch nicht etwa, wie es eine Senatsmehrheit des BVerfG in ähnlichem Zusammenhang getan hae 40, durch die Konstruktion eines (konkludenten) "Verzichts" auf die Ge-
536 Böckenförde, Organisationsgewalt, 124; ihmfolgendArndt, Geschäftsordnungsautonornie, 122; Steiger, Grundlagen, 44 f.; H Dreier, JZ 1990, 310 (313). 537 Die kompetenzrechtliche Dichotomie gebietet dort, wo parlamentarisches Tätigwerden parlamentsfremde Rechtspositionen unmittelbar berührt, eine genaue Aufteilung der (nur scheinbar einheitlichen) Sachrnaterie auf die zwei Normebenen. Entgegen den Bedenken Kretschmers (ZParl 1986, 334 [340]) läßt sich so z.B. auch das Recht der UntersuchungsausschUsse effektiv ordnen: Die Pflichten Außenstehender sind in Gesetzesform zu regeln, die Zusammensetzung des Ausschusses und der Verfahrensablaufverbleiben als Geschäftsordnungsmaterien; vgl. Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, 119, 125 m.w.N.; Trossmann, ParlamentsR, 452. 538 Hierzu zählen entgegen Bücker (ZParl 1986, 324 ff.) nicht die (im weitesten Sinne "parlamentsrechtlichen") Vorschriften über den Abgeordnetenstatus, das Wahlverfahren zum Bundestag und gewisse exekutivische Randzuständigkeiten einzelner Parlamentsrnitglieder, z.B. bei der Wahlkampfkostenerstattung oder in Aufsichtsgremien. Für solche Materien des Außenrechts ist die Gesetzesform zwingend vorgeschrieben, ohne daß darin ein Beleg der von Bücker behaupteten (ebda., 329, 333) und auf Geschäftsordnungsregelungen gemünzten "ubiquitären Drittwirkung des Parlamentsrechts" läge. Vgl. ebenso H Dreier, JZ 1990, 310 (314). 539 Arndt,Geschäftsordnungsautonomie, 69 f., 124 f.; Steiger, Grundlagen, 45;Maunz!Dürig, GG, Art. 41 Rn. 19; Ziekow, JuS 1991, 28 (29); a.A. (ftlr Wahlfreiheit des Parlaments) Kretschmer, ZParl 1986, 334 (337 ff.); ders., in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, § 13 Rn. 40 ff. -Auch die das parlamentarische Verfahren detailliert festlegenden Gesetzesvorschriften zur Richterwahl (§ 6 BVerfGG, § 5 II RichterwahiG) beruhen auf keiner ausdrücklichen Verfassungsermächtigung (s. Art. 94 I 2, 95 II GG). Eine gewisse Rechtfertigung ftlr die Gesetzesform liegt aber darin, daß der Wahlvorgang, anders als etwa bei der Wahl des Bundeskanzlers (§ 4 GeschOßT) und des Wehrbeauftragten(§ 113 GeschOßT), im grundgesetzlich vorgeschriebenen Zusammenwirken mit nichtparlamentarischen Organen zu erfolgen hat (Bundesrat bzw. Länderjustizrninister), so daß geschäftsordnungsmäßig nur Teile des Verfahrens hätten geregelt werden können. Vgl. auch neuerdings§ 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschern Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (G. v. 12.3.1993, BGBI. I S. 311). 540
BVerjG, NJW 1986, 907 (909)- Parlament. Haushaltskontrolle der Nachrichtendienste-.
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schäftsordnungsbefugnisse fallweise erweitert werden 541 • Verfassungsrechtlich begründete Organkompetenzen sind, im Gegensatz zu subjektiven Rechten, schon vom Grundsatz her unverfilgbar; nur wer durch eine organisationsrechtliche Bestimmung gleichen Ranges dazu ermächtigt ist, kann sich seiner Zuständigkeiten rechtswirksam entledigen542 • Namentlich die Geschäftsordnungshoheit des Parlaments ist dazu bestimmt, Selbständigkeit und Unabhängigkeit dieses Verfassungsorgans zu wahren und die Erledigung seiner Aufgaben durch ein möglichst bewegliches, leicht bandhabbares Regelungsinstrument zu gewährleisten543 • Diesem Zweck des Art. 40 I 2 GG widerspräche es, wenn der Bundestag reine Geschäftsordnungsmaterien im Rahmen förmlicher Gesetze regeln und dadurch anderen Staatsorganen Einfluß auf seine inneren Angelegenheiten einräumen dürfte. Die jedes Legislativverfahren kennzeichnenden Einbringungs- (Art. 76 I GG), Mitberatungs(Art. 76 II, III GG), Einspruchs- (Art. 77 GG) und Prüfungsrechte (Art. 82 GG) nichtparlamentarischer Organe würden die (Re-) Aktionsfähigkeit der Volksvertretung lähmen und zur Auszehrung ihrer verfassungsrechtlichen Stellung filhren 544 • Die Gesetzesform gibt preis, daß der Bundestag nach dem Vorstellungsbild der Verfassung "Herr im Hause seiner Angelegenheiten" ise45 ; sie verwandelt ursprüngliche Selbstbestimmung in partielle Fremdbestimmung.
541 Für Verzichtbarkeil der Sache nach ebenfalls Achterberg, ParlamentsR, 328 f.; ders., DÖV 1975, 833 (838 m. Fn. 54). - Wie hier Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, 59, der entgegen der Kritik Achterbergs (ParlamentsR, 328 Fn. 28) in den Ausftlhrungen S. 69 f., 109 keineswegs Gegenteiliges vertritt. 542 So schon G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 345; aus neuerer Zeit Kreuzer, Der Staat 7 (1968), 182 (183 f.); Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 105 f.; Löwer, DVBI. 1984, 757 (764); vgl. auch Achterberg, ParlamentsR, 438 Fn. 103. 543 Insoweit zutreffend W. W. Schmidt, DÖV 1986, 236 (239); näher Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, 50 ff.; vgl. auch die dort (S. 54) wiedergegebenen Worte des Abg. Lasker (14./15. Sitzung des Reichstags v. 4./5.3.1879, IV. Wahlperiode, 2. Session, Bd. I, S. 266): "Kein Gesetz wäre imstande, in seiner starren Abgeschlossenheil Genüge zu thun den Wechseltlillen, wie sie tagtäglich im Parlament vorkommen. Das ist der hauptsächliche Grund der Autonomie." 544 Arndt (vorige Fn.), 123 f.; Steiger, Grundlagen, 45; H. Dreier, JZ 1990, 310 (314 f.); Schulte, in: v.Mango/dt!Klein, GG, Art. 40 I Rn. 46 f.; Ziekow, JuS 1991, 28 (29); vgl. auch Achterberg, Par1amentsR, 325 f. A.A. BVerjG, NJW 1986, 907 (909) - Mehrheitsvotum - wonach erst bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen die kritische Grenze erreicht sein soll; krit. dazu Pietzcker, in: Schneider/Zeh, ParlamentsRund Parlamentspraxis, § 10 Rn. 14, unter Hinweis auf Art. 77 IV 2 GG. 545
Mahrenho/z, Sondervotum in: BVerjG, NJW 1986, 907 (912).
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Geschäftsordnungsgegenstände können, nachdem sie dem Gesetzgeber einmal überlassen worden sind, vom Parlament keineswegs "jederzeit zurückgeholt werden" 546 • Die Volksvertretung gewinnt vielmehr ihre Alleinzuständigkeit wiederum nur im engen Zusammenwirken mit den anderen Gesetzgebungsbeteiligten durch förmliche Aufhebung der betreffenden Normen zurück547 • Jedes Überwechseln von der Geschäftsordnungs- zur Gesetzesform bedeutet deshalb einen substantiellen, mit Art. 40 I 2 GG unvereinbaren Autonomieverlust Hinter der von der Gegenmeinung beschworenen "Freiwilligkeit" der Kompetenzaufgabe verbirgt sich genaugenommen ohnehin ein Verzicht zu Lasten Dritter. Dies betrifft zum einen die überstimmte Parlamentsminderheit, die als Teil des Gesamtorgans Bundestag gleichfalls Träger der grundgesetzliehen Geschäftsordnungshoheit ist und dieser Zuständigkeit im Einzelfall durchaus unfreiwillig verlustig ginge 548 • Noch gravierender dürfte aber das Überschreiten einer zeitlichen Zuständigkeitsgrenze sein. Während nämlich Parlamentsgeschäftsordnungen durchweg der Diskontinuität unterliegen, da organinterne Befugnisse über die Tätigkeitsdauer des jeweils amtierenden Parlaments hinaus nicht fortwirken können549, werden auf dem Umweg über das förmliche (nicht-befristete)550 Gesetz die Mandatsträger der nachfolgenden Wahlperioden von der ersten Sitzung an auf bestimmte Verfahrensweisen verbindlich festgelegt und damit in ihrem verfassungsverbürgten Recht auf Selbstorganisation spürbar eingeschränkt551 • Ein persönliches Recht des Datenschutzbeauftragten zur Teilnahme an Sitzungen des Bundestags kannangesichtsdieser verfassungsrechtlichen Ausgangslage
546
So aber Achterberg, 329.
Pietzcker, Rn. 14; zutreffend insoweit auch Röper, ZParl 1984, 529 (531). Im Fall BVerjG, NJW 1986, 907 ff., besaß der Bundestag wegen des ftlr Haushaltsgesetze geltenden Einbringungsmonopols der Bundesregierung (Art. II 0 III GG) nicht einmal das Initiativrecht filr eine Änderung oder Aufhebung, s. Böckenförde, Sondervotum, ebda., 914. 547
548 Der von Bücker, ZParl 1986, 324 (331), und Kretschmer, ZParl 1986, 334 (337 f.), zur Rechtfertigung bemühte Gedanke eines die Wahlperioden überdauernden Minderheitenschutzes ist verfehlt, wie ein Blick auf den vom BVerfU entschiedenen Fall beweist; vgl. hierzu auch Scherer, AöR 112 (1987), 189 (213 f.).
549
BVerjGE 1, 144 (148).
550 Bei Regelung im jährlichen Haushaltsgesetz verliert dieses Argument an Gewicht, s. BVerjG, NJW 1986, 907 (910). 551
Vgl. nur Ziekow, JuS 1991, 28 (29).
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in keiner Form gesetzlich verankert werden. Selbst der von einer Senatsmehrheit des BVerfG in einem anders gelagerten Fall ohne nähere Begründung aufgestellte Ausnahmetatbestand zugunsten einer formell-gesetzlichen Normierungsbefugnis552 wäre hier nicht gegeben, da die Entscheidung über parlamentarische Redemöglichkeiten traditionsgemäß zum "Kembereich" der Geschäftsordnungsautonomie gehört und überdies keine "gewichtigen sachlichen Gründe" fiir die starre Gesetzesform erkennbar sind. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 26 II 3 BDSG muß daher ein Zutritts- und Rederecht des Beauftragten verneint werden.
3. Anspruch aufparlamentarische Sachbehandlung?
Nicht ausdrücklich behandelt wurde bislang das Prol:>lem, ob aus dem gesetzlichen Recht des Datenschutzbeauftragten, sich (wie gezeigt: schriftlich) 'jederzeit an den Deutschen Bundestag wenden" zu können, zumindest eine Verpflichtung des Parlaments zur Entgegennahme, zur inhaltlichen Erörterung und gegebenenfalls auch zur "Bescheidung" datenschutzrechtlicher Anfragen oder Anregungen herzuleiten ist. Diese Frage ist aus den gleichen Gründen wie die zuvor behandelte zu verneinen. Ebenso wie die Gewährung von Rederechten fällt auch die Entscheidung darüber, welche Sachthemen parlamentarisch behandelt werden sollen, grundsätzlich in die Geschäftsordnungszuständigkeit des Bundestags (Art. 40 I 2 GG). Abgesehen von einigen wenigen, im Verfassungstext genau bezeichneten Pflichtaufgaben553 bleibt es nach dem Grundgesetz der Volksvertretung selbst überlassen, ihre Beratungsgegenstände im Rahmen der weitgesteckten organschaftliehen Befassungskompetenr54 stets von neuem frei zu bestimmen.
552 S. BVerjG, NJW 1986, 907 (909 f.)- Mehrheitsvotum -;dazu krit. Mahrenholz, Sondervotum, ebda., 913. 553 Hierzu zählen die Mitwirkung bei Wahlvorgängen (Art. 54 III, 63 I, 94 I 2, 95 II), die Behandlung von Gesetzentwürfen anderer Verfassungsorgane (Art. 76 II, III, II 0 III) sowie spezielle grundrechtliche Handlungsaufträge (etwa A.rt.6 V, 17 GG).
554 Diese reicht über den Katalog der Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes (Art. 73 ff. GG) hinaus, s. Böckenförde, AöR 103 (1978), 4 (II ff.); Linck, NJW 1984, 2433 (2434); ders. , ZRP 1987, II (12 f.); Ossenbühl, VVDSIRL 43 (1985), 222 (Diskussionsbeitrag); Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, 131: "formelle Allzuständigkeit"; BayVerjGH, BayVBI. 1993, 559 (561).
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Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Zur verfassungsrechtlich vorausgesetzten Verhandlungsautonomie gehört untrennbar auch das Recht aufNichtbefassung. Worüber im Plenum und in den Ausschüssen gesprochen werden soll, entscheidet der Bundestag durch Aufstellung der Tagesordnung nach den selbstgewählten Regeln des Geschäftsordnungsrechts (z.B. §§ 20, 21, 23, 61 GeschOBT) sowie durchjederzeit möglichen Geschäftsordnungsbeschluß (§§ 29, 126 GeschOBT). Mit dieser Organsouveränität555 unvereinbar wären gesetzliche Vorabfestlegungen, durch die den Parlamentariern einzelne Beratungsthemen verbindlich vorgegeben oder gar Pflichten zur förmlichen Beschlußfassung auferlegt würden. Erst recht können daher einfachgesetzliche Vorschriften keine durchsetzbaren "Ansprüche" auf Behandlung bestimmter Sachfragen z.B. datenschutzrechtlicher Art begründen. Anders wäre die Rechtslage freilich dann zu beurteilen, wenn der in § 26 II 3 BDSG angesprochene Direktzugang zum Parlament nur als ein deklaratorischer Hinweis auf das grundrechtliche Petitionsrecht des Art. 17 GG gedeutet werden könnte. Eine "a limine"-Zurückweisung dürfte dann nicht erfolgen; die Verfassung gewährt bekanntlich jedem Petenten einen Rechtsanspruch darauf, daß seine Eingaben von der Volksvertretung entgegengenommen, inhaltlich geprüft und in irgendeiner Form beantwortet werden 556• Petitionsberechtigt sind - außerhalb ihrer amtlichen Tätigkeit - auch solche Personen, die zum Staat in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehen; sie dürfen sowohl die Angelegenheiten des eigenen Dienstes als auch ihre Kritik an fremden Ressorts vor den zuständigen Petitionsausschuß des Parlaments (Art. 45 c GG) bringen557. Von der Einhaltung des "Dienstwegs" zur Exekutivspitze sind hierbei zumindest jene Petenten ausgenommen, die nicht an die besonderen beamtenrechtlichen Beschwerdevorschriften wie z.B. § 171 BBG gebunden sind. Als Ausdruck und Verstärkung petitionsrechtlicher Beschwerdemöglichkeiten kann indes § 26 II 3 BDSG trotz seines mit Art. 17 GG weitgehend übereinstimmenden Wortlauts nicht verstanden werden. Dagegen sprechen vor allem gesetzessystematische Gründe. Die Garantie, sich "jederzeit an den Deutschen Bundestag wenden" zu können, findet sich nämlich nicht unter den Vorschriften des § 23 BDSG ("Rechtsstellung"), sondern in § 26 BDSG ("Weitere Auf-
555
Vgl. Burmeister, in: Jsensee/Kirchhoj, HdbStR II, § 32 Rn. 18.
ss6
BVerjGE 2, 225 (230); 13, 45 (90); Achterberg, ParlamentsR, 459 m.w.N. Eine besondere Begründungspflicht besteht allerdings nicht, s. BVerjG, NJW 1992, 3033. ss? Maunz/Dürig, GG, Art. 17 Rn. 31; Dagtoglou, in: BK, Art. 17 Rn. 70; Achterberg (vorige Fn.), 457 f.; Burmeister, § 32 Rn. 38 ff.
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gaben"). Sie betrifft somit nicht den persönlichen Status des Beauftragten, sondern seinen amtlich wahrzunehmenden Zuständigkeitsbereich als staatliches Organ558 . In dieser Funktion kommt er nur als Adressat, nicht aber als Träger von Grundrechten in Frage559 . Auch aus dem besonderen Amtsverständnis des Datenschutzbeauftragten läßt sich nichts Gegenteiliges herleiten. Zwar fungiert er gegenüber den anderen Staatsorganen als ein "Sachwalter" datenschutzrechtlicher lndividualinteressen. Er läßt sich aber nicht im gleichen Sinne wie etwa die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die Universitäten bzw. Fakultäten einem grundrechtsgeschützten Lebensbereich als organisatorisches Substrat unmittelbar zuordnen, befmdet sich also nicht selbst in einer "grundrechtstypischen Gefährdungslage"560. Er bleibt vielmehr organisatorisch und funktionell eingebunden in den Staatsapparat und kann sich daher auf die Petitionsfreiheit, der nach heutigem Verständnis nur individualrechtliche Bedeutung zukommt561 , bei Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit nicht berufen. "Art. 17 GG stellt fiir verselbständigte Funktionsträger der öffentlichen Hand, die mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut und auf der Grundlage kompetenzrechtlicher Funktionszuweisungen tätig werden, ebensowenig eine Berechtigungsnorm dar, wie dies fiir die anderen Grundrechte zutrifft. "562 Der amtliche Zugang des Datenschutzbeauftragten zum Parlament ist also nicht schon grundgesetzlich, sondern nur einfachgesetzlich gewährleistet563 ; daraus kann sich kein Anspruch auf inhaltliche Befassung ergeben. m Zur Unterscheidung des Amtswalterbereichs vom persönlichen bzw. dienstrechtlichen Bereich Isensee, in: Benda/Maihofer!Vogel, HdbVerfR 1149 (1150 f., 1188 ff.). 559
Vgl. BVerjGE 15, 256 (262); 21, 362 (369 ff.); NJW 1982, 2173 f.
Hierzu BVerjGE 15, 256 (262); 31, 314 (322); weiterfilhrend Bethge, NJW 1995, 557 (559 f.). 560
sot Das vorkonstitutionelle Petitionsrecht erlaubte dagegen auch Eingaben und Ersuchen von Trägem hoheitlicher Gewalt, vgl. Achterberg, ParlamentsR, 454; Maunz/Dürig, GG, Art. 17 Rn. 2; Dagtoglou, in: BK, Art. 17 Rn. 2. 562 Burmeister, § 32 Rn. 36. Vgl. auch Maunz/Dürig (vorige Fn.), Rn. 28; Dagtoglou (vorige Fn.), Rn. 56 f.; Achterberg, 457 f. m. Fn. 177; Stein, in: AK z. GG, Art. 17 Rn. 25. 563 In eigener Person, also außerhalb seiner Amtsgeschäfte, bleibt der Beauftragte selbstverständlich petitionsberechtigt nach Art. 17, 45 c GG. Er bleibt dabei allerdings an die Verschwiegenheitspflicht des § 23 V I BDSG gebunden; vgl. zu den beamtenrechtlichen Parallelregelungen Burmeister, Rn. 41 ff. m. Fn. 43; Weiss/Niedermeyer/Summer, BayBG, Art. 69 Rn. 20; unklar Riedmaier, RiA 1978,210 (215), und Maunz/Dürig, Rn. 31, nach deren Auffassung die Schweigepflicht mangels Außenwirkung der Petitionseinreichung i.d.R . nicht verletzt werde; differenzierend der Lösungsvorschlag von Stein (vorige Fn.), Rn. 25, der eine Einzelabwägung fordert.
II Zöllner
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4. Beschlußmöglichkeiten des Bundestags Dem Parlament steht freilich im Rahmen seines Selbstbefassungsrechts jederzeit die Möglichkeit offen, durch Geschäftsordnungsbeschluß die Eingaben des Datenschutzbeauftragten auf die Tagesordnung zu setzen bzw. an den zuständigen Ausschuß zu überweisen. Ebenfalls nur auf diesem Wege564 kann dem Beauftragten, dem ansonsten kein Rederecht zusteht, mit einfacher Mehrheie65 die Gelegenheit zur mündlichen Stellungnahme eingeräumt werden. Denkbar wäre insoweit nicht nur seine Anhörung als Sachverständiger im Ausschuß566, sondern grundsätzlich auch ein Auftritt vor dem Plenum des Bundestags567. Im letzteren Fall ist allerdings zu beachten, daß die Erteilung des Worts an parlamentsfremde Personen nach bisheriger Übung auf ganz wenige, durchweg zeremoniell geprägte Anlässe außerhalb des eigentlichen Sitzungsbetriebs beschränkt war, z.B. Ansprachen zum 17. Juni, bei Wechseln im Amt des Bundespräsidenten oder bei wichtigen Staatsbesuchen568 . Ein Plenarvortrag des Datenschutzbeauftragten bedeutete daher zumindest einen Traditionsbruch; die direkte Teilnahme an der parlamentarischen Debatte wäre nach überwiegender Auffassung sogar als Verstoß gegen das parlamentarisch-repräsentative Prinzip anzusehen, das eine immanente Schranke der Geschäftsordnungsautonomie des Deutschen Bundestags bildet569 .
564 Also nicht durch die von Geiger, DVBI. 1990, 748 (752), beftlrwortete Ergänzung des Bundesdatenschutzgesetzes.
565 Mangels gegenteiliger Regelung in der Geschäftsordnung bedarf es nicht der Zweidrittelmehrheit gemäߧ 126 GeschOßT, vgl. Vonderbeck, DVBI. 1980, 439 (441).
566 Auf Landesebene wird dem Datenschutzbeauftragten mitunter bereits in der Parlamentsgeschäftsordnung ein Zutritts- und Anhörungsrecht bei bestimmten Ausschußsitzungen eingeräumt, s. Vetter, Parlamentsausschüsse, 284. 567 Beftlrwortend Dammann, Datenschutzkontrolle, 124; ders., in: Simitis u.a., BDSG, § 26 Rn. 8; v.Schoe/er, BT-Sten.Prot. 9/86, S. 5197 D; vgl. auch Wernitz, BT-Sten.Prot., 8/164, S. 13111 C. Zur Rechtslage in Bayern LT-Dr 12/10711, S. 28.
568
Z.B. BT-Sten.Prot. 5/S. 11794 (Nixon); 9/S. 6372 (Reagan); 9/S. 8978 (Mitterrand).
Grundsätzlich ablehnend Bücker, in: FS Schellknecht, 39 (42 f.); Busch, in: BK, Art. 45 b Rn. 243; Besch, in: Schneider/Zeh, ParlamentsR und Parlamentspraxis, § 33 Rn. 31 f.; a.A. Pietzcker, ebda., § 10 Rn. 26. Aus der älteren Literatur s. Bi/finger, Der Reichssparkommissar, 50 f.; Wild, Ombudsman, 213 ff. 569
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V. Die datenschutzrechtliche Beratung im Gesetzgebungsverfahren (§ 26 II1 BDSG)
Zu den in § 26 BDSG aufgezählten "weiteren Aufgaben des Bundesbeauftragten" gehört nach Abs. 3 Satz I auch die Ermächtigung, der Regierung sowie allen "in§ 12 Abs. I genannten Stellen des Bundes" Empfehlungen zur Verbesserung des Datenschutzes zu geben und sie in Datenschutzfragen zu beraten. Da nach dem Gesetzeswortlaut sämtliche Organe, Behörden und sonstigen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen als "öffentliche Stellen" gelten (s. § 2 I BDSG), werden von dem Beratungsauftrag nach gängigem Verständnis auch die Legislativorgane Bundestag und Bundesrat in vollem Umfang erfaßt570• Dagegen spricht allerdings die Überlegung, daß die in § 26 III I BDSG zitierte Vorschrift des § 12 I BDSG zum Abschnitt über die "Datenverarbeitung" gehört und somit die öffentlichen Stellen nur beZÜglich ihrer exekutivischen und nicht auch ihrer legislatorischen Funktionen erfaßt. Gleichwohl haben alle bisherigen Amtsinhaber das Recht filr sich in Anspruch genommen, zu einzelnen Gesetzgebungsvorhaben auch unaufgefordert Stellung zu nehmen und die zuständigen Mandatsträger im Bedarfsfall zur datenschutzrechtlichen Überarbeitung vorgelegter Gesetzentwürfe aufzufordern. Als verfassungsrechtlich bedenklich müßten solche direkten Einflußnahmen auf den Prozeß der staatlichen Normgebungm zumindest dann angesehen werden, wenn die betroffenen Verfassungsorgane aufgrund des Datenschutzgesetzes verpflichtet wären, die Auffassung des Beauftragten in irgendeiner Weise zu beachten572 • Eine derartige Rechtspflicht läßt sich jedoch schon auf der einfachgesetzlichen Ebene kaum nachvollziehbar begründen. § 26 III BDSG kann angesichts der amtlichen Überschrift und des Regelungszusarnmenhangs generell nur als Aufgabenbeschreibung und nicht (gleichzeitig) als Befugnisnorm verstanden werdenm. Aus der Vorschrift ergeben sich daher filr den Bundesbeauftragten auch im Verhältnis zu den Legislativor-
570
Vgl. nur Dammann, in: Simitis u.a., BDSG, § 26 Rn. 13.
Zur nicht minder problematischen Beeinflussung des gesellschaftlichen Willensbildungsprozesses durch öffentliche Stellungnahmen s.o., 1.2.b. 571
572 S. allgemein zu den Beratungsfonnen mit unmittelbarer rechtlicher Relevanz Bachof, AöR 83 (1958), 208 (236 f.); Bryde, Beratungsgremien, 123 ff. - Der rein faktische Einfluß jeder Beratung auf die zu treffende Entscheidung (s. Brohm, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR 11, § 36 Rn. 31 ff.) soll hier außer Betracht bleiben.
m Ebenso Dammann, in: Simitis u.a., BDSG, § 26 Rn. 13.
164
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
ganen keine besonderen Mitwirkungsrechte. Er kann danach also nicht verlangen, frühzeitig über Regelungsabsichten informiert oder zur Ausarbeitung bestimmter Gesetzentwürfe in seiner Eigenschaft als Fachmann oder Interessenvertreter herangezogen zu werden 574 • Die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Stellen können zu jeder Zeit frei darüber entscheiden, ob sie seine Empfehlungen und Ratschläge entgegennehmen und inwieweit sie ihnen inhaltlich folgen wollen. Nur diese Auslegung des § 26 III 1 BDSG wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht. Wie bereits im Zusammenhang mit einem möglichen Rederecht nach § 26 II 3 BDSG näher dargelegt575 , schließt der in der Geschäftsordnungshoheit des Bundestags (Art. 40 I 2 GG) zum Ausdruck kommende Gedanke der Selbstorganisation und der Verfahrensautonomie jeden einfachgesetzlichen Zugriff auf den parlamentarischen Willensbildungsprozeß aus. Für die ebenfalls mit verfassungsmäßiger Geschäftsordnungshoheie 76 ausgestatteten Verfassungsorgane Bundesrat (Art. 52 III 2 GG) und Bundesregierung (Art. 65 S. 4 GG) muß konsequenterweise dasselbe angenommen werden 577 • Alle drei initiativberechtigten Gesetzgebungsorgane (Art. 76 I GG) sollen nach dem Grundgesetz selbst entscheiden, ob578 und aufgrund welcher Erwägungen sie ihre legislatorischen Vorschlags- und Entscheidungsrechte ausüben. Greifen sie im Verlaufe ihres Willensbildungsprozesses aus eigenem Entschluß auf externe Berater, Sachverständige oder Interessenvertreter zurück579, so ist dagegen
s74 Ebenso Dommann (vorige Fn.), Rn. 17, unter Hinweis auf die Ausnahmebestimmung des§ I 0
111 I BDSG.
m S.o., C.IV.2.
s76 Zur nonnativen Klassifizierung der Geschäftsordnungen als "Verfassungssatzung" grdl. Böckenförde, Organisationsgewalt, 122 ff. ; ihm folgend z.B. Wahl, Stellvertretung, 99 f.; Steiger, Grundlagen, 41 ff. m Für die Bunlk:sregierung im Ergebnis wie hier Böckenförde (vorige Fn.), 257 ff., 294; Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 139 ff. ; Maurer, VVDStRL 43 (1985), 135 (156, 163 f.); a.A. Brohm, in: /sensee/Kirchhof, HdbStR II, § 36 Rn. 49 f.; vgl. auch zur Beratungsaufgabe des Bundesrechnungshofs einerseits VogeVKirchhof, in: BK, GG, Art. 114 Rn. 200; andererseits v.Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 377 u.ö.
s78 Deshalb kann z.B. aus dem Recht der gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen, an der Vorbereitung allgemeiner beamtenrechtlicher Regelungen beteiligt zu werden(§ 94 BBG), niemals ein Anpruch auf Nichtbehandlung eines Gesetzesvorhabens in Kabinettssitzungen erwachsen (vgl. zu diesem Begehren OVG Münster, NJW 1989, 56 f.; 1994, 472 f.). s79 Vgl. z.B. §§ 69 V, 70 GeschOßT; §§ 23 f. GGO II u. hierzu Schuppert, Verse1bständigte Verwaltungseinheiten, 265; Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und BVerfG, 102 f.; ftlr eine künftig in der GeschOßT abzusichernde Beteiligung des Datenschutzbeauftragten Schulze-Fielitz,
C. Kooperation mit Parlament und Regierung
165
nichts einzuwenden; gesetzlich gezwungen werden können sie dazu jedenfalls nicht. Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestags und der anderen Legislativorgane wird auch durch die allgerneine Verpflichtung, nur verfassungskonforme Gesetze zu erlassen (Art. 20 III GG), nicht so weit eingeschränkt, daß daraus eine Rechtspflicht zur Heranziehung ganz bestimmter externer Berater abzuleiten wäre. Im staatsrechtlichen Schriftturn wird zwar verschiedentlich versucht, den parlamentarischen Gesetzgeber von Verfassungs wegen auf ein bestimmtes Minimum an (ungeschriebenen) Verfahrensregeln oder gar auf eine "optimale Methodik der Gesetzgebung" festzulegen 580• Auf diese Weise dürfen aber der politischen Gestaltungsfreiheit, die das Gesetzgebungsverfahren von einem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren essentiell unterscheidet, keine so engen Fesseln angelegt werden, daß sich der Entscheidungsakt am Ende als bloße Ratifizierung der von sachverständiger Seite im Verlaufe der Beratung vorgetragenen Erkenntnisse darstellt581 • Selbständige Verfahrenspflichten der Gesetzgebungsorgane hssen sich nach derzeit geltendem Verfassungsrecht weder überzeugend begründen noch praktisch durchsetzen. Der parlamentarische Gesetzgeber schuldet dem staatlichen Gerneinwesen nichts anderes als das fertige Gesetz582 ; weitere (positive) Verpflichtungen z.B. verfahrensrechtlicher Art enthält das Grundgesetz nicht. Lückenhafte Tatsachenermittlungen bei der Entwurfsvorbereitung oder das Fehlen einer legislatorischen Folgenabschätzung stellen zwar Verstöße gegen anerkannte Regeln der "Gesetzgebungskunst" dar, lassen aber das beschlossene Gesetz allein noch nicht verfassungswidrig werden, solange seine einzelnen Normen nicht auch ihrem Inhalt nach im Widerspruch zu den Bestimmungen des Grundgesetzes stehen.
in: Dreier/Hofmann, Parlamentarische Souveränität, II 0; ftlr eine Regelung in der GGO Baumann, in: BT-Anhörung BDSG 1986, S. 108. S. auch Busse, VA 79 (1988), 203 (205 ff.), zur geschäftsordnungsrechtlichen Bewältigung der "Querschnittsaufgabe" Frauenilirderung im Bereich des Bundeskabinetts. 580 Z.B. Schwerdtfeger, in: FS lpsen, 173 ff.; Menge/, ZRP 1984, 153 ff.; Lerche, in: ders. u.a., Verfahren, 109 ff.; Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, 178 ff. 58 1 Krit. zur vorgenannten These insbes. Gusy, ZRP 1985,291 ff.; Schlaich, Das BVertD, 235 ff.; vgl. auch Badura, ZG 1987, 300 (319); Ossenbühl, in: /sensee/Kirchhoj, HdbStR III, § 63 Rn. 6 f. 582
Vgl. Gusy, ZRP 1985, 291 (298) m.w.N.
166
Zweiter Abschnitt: Aufgaben und Befugnisse
Um dieser letzteren Gefahr zu begegnen, wird freilich der Gesetzgeber vielfach im Sinne einer verfassungsrechtlichen "Obliegenheit"583 gar nicht umhin kommen, sich um sachkundigen Rat zu bemühen. Hierbei behält er aber die freie Entscheidung über Art, Umfang und Zeitpunkt der Hilfeleistung sowie über die Person des Ratgebers. Ein Vorrang bestimmter Sachverständiger gegenüber anderen läßt sich aus dem Grundgesetz ebensowenig belegen wie die - politischem Proporzdenken verhaftete -Forderung nach möglichst ausgewogener bzw. pluralistischer Beratung der Legislativorgane. Auch bei den datenschutzrechtlich bedeutsamen Gesetzgebungsvorhaben folgt daher die Beteiligung des amtlich bestellten Beauftragten nicht schon aus einem ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Gebot oder aus der Natur der Sache. Kämen statt seiner ausschließlich Angehörige datenverarbeitender Stellen, Vertreter privater Interessenverbände oder unabhängige Wissenschaftler zu Wort, so läge darin weder ein Eingriff in seine organschaftliehen Rechte noch gar ein verfassungsrelevanter Verfahrensfehler.
583 Zu diesem (ursprünglich zivilrechtlichen) Begriffs. Palandt!Heinrichs, BGB, Eint. 4 b) vor § 241 ; zur Anwendung auf den (Etat-) Gesetzgeber BVerjG, NJW 1989, 2457 (2460).
Dritter Abschnitt
Die sachliche Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten
A. Gesetzlicher Umfang der Unabhängigkeit(§ 22 IV 2-3 BDSG) Der Bundesbeauftragte fiir den Datenschutz ist, ebenso wie seine Kollegen in den Ländern und neuerdings auch der Bundesbeauftragte fiir die Stasi-Unterlagen, "in Ausübung seines Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen"(§ 22 IV 2 BDSG). Ihm wird also bei seiner Kontroll- und Beratungstätigkeit die gleiche sachliche Unabhängigkeit eingeräumt wie einem Richter in Ausübung rechtsprechender Gewalt (vgl. Art. 97 I GG; §§ 25 DRiG, 1 GVG) 1 • Anders als dieser unterliegt allerdings der Datenschutzbeauftragte nicht nur hinsichtlich seiner persönlichen Rechte und Pflichten der Dienstaufsicht des zuständigen Ressortministers (§ 22 V 2 BDSG)2 , sondern zusätzlich noch einer auf die Amtsfiihrung bezogenen, von der Bundesregierung auszuübenden "Rechtsaufsicht" (§ 22 IV 3 BDSG)3, wie sie ansonsten nur gegenüber selbständigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts besteht4 • Nach herkömmlichem Begriffsverständnis müßte die Regierung aufgrund eines solchen Aufsichtsverhältnisses befugt sein, gegenüber dem Beauftragten in allen rechtlichen Streitfragen ihre eigene Rechtsauffassung einseitig durchzusetzen. Es liegt aber auf der Hand, daß dies der gesetzlich garantierten Unabhängigkeit des Amtes widerspräche. Wäre der Bundesbeauftragte an die regierungsamtliche Auslegung des geltenden Datenschutzrechts gebunden, so hätte er praktisch bloß eine aufsichtliche Hilfsfunktion in der Art eines Staatskom-
1 Insoweit zutreffend Wippermann, DÖV 1994, 929 (932). Vgl. auch Art. 114 II 1 GG i. V. m. § 1 S. 1 BRHG (Bundesrechnungshof); § 97 I 1 BBG (Bundespersonalausschuß).
2
Dazu oben, Erster Abschnitt, B.V.
3
Ebenso die Regelung in § 35 V 3 u. 4 Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG).
Vgl. z.B. § 59 I HRG; § 62 II 2 BRAO; § 115 I HandwO; allgemein Woljf/Bachof/Stober, VerwaltungsR II, § 85 Rn. 39; BVerwG, DVBI. 1961, 449. 4
168
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
missars; von einer externen Rechtmäßigkeitskontrolle der gesamten Bundesverwaltung könnte dann nicht mehr gesprochen werden. Sinn und Zweck des Gesetzes verlangen deshalb zwingend, daß die den Kontrollmaßstab bildenden Datenschutzbestimmungen von der Rechtsaufsicht nach § 22 IV 3 BDSG ausgenommen sind5 • Vom Wortlaut und auch von den gesetzgeberischen Intentionen nicht mehr gedeckt ist dagegen die Auffassung, der Bundesregierung sei wegen der unabhängigen Stellung des Beauftragten praktisch jedes rechtsaufsichtliche Einschreiten verwehrt6 • Die Möglichkeit hierzu muß mindestens fiir den Fall erhalten bleiben, daß der Datenschutzbeauftragte seinen gesetzlich zugewiesenen Kontrollbereich überschreitef. Würde er z.B. die in § 24 I 2, II und III BDSG normierten Kontrollschranken mißachten oder amtliche Stellungnahmen zum Tätigkeitsfeld der Datenaufsichtsbehörden (§ 38 BDSG) bzw. der Landesbeauftragten abgeben, so könnte und müßte dies von der Bundesregierung durch entsprechende Aufsichtsmaßnahmen unterbunden werden8 • Ein verwaltungsgerichtlicher (Insich-) Prozeß wäre zur Abwehr solcher Kompetenzübergriffe kaum der angemessene und erfolgversprechende Weg. Es bestehen daher gute Gründe, an der auf Bundesebene ausdrücklich normierten Rechtsaufsicht über den Datenschutzbeauftragten weiter festzuhalten, zumal viele darin sogar eine verfassungsrechtliche Mindestanforderung bei der Errichtung weisungsfreier Stellen sehen9 • 5 Zutreffend BjD, 7. TB, BT-Dr 10/2777, S. 91. - Aus ähnlichen Gründen scheiden beim Bundesbeaufuagten ftlr die Stasi-Unterlagen rechtsaufsichtliche Maßnahmen aus, soweit die betroffenen Behörden klagebefugt sind (§ 31 StUG). 6 So Dammann, Datenschutzkontrolle, 189; ders., in: Similis u.a., BDSG, § 22 Rn. 19 m.w.N.; Schweinoch, in: Ga/lwas u.a., BDSG, § 17 Rn. 11 f.; Wippermann, DÖV 1994, 929 (933).
7 Im Ergebnis wie hier Bu/1, Datenschutz, 129; Tinnefeld, CR 1989, 43 f.; dies./Ehmann, CR 1989, 637 (638); a.A. Dammann, in:Simitis u.a., BDSG, § 22 Rn. 19, der dem Beaufuagten hinsieht! ich seiner Inter-Organ-Befugnisse einen unUberprUfbaren Interpretationsspielraum zugesteht. FUr eine Beschränkung der Rechtsaufsicht auf "offenkundige" Rechtsverstöße Ordemann!Schomerus, BDSG, § 17 Anm. 4. 8 Im konkreten Fall daher zutreffend die Auffassung der Bundesregierung in: BT-Dr 10/1719, S.29 f., gegenüber der des Bundesbeaujtragten, 5. TB, BT-Dr 9/2386, S. 7.
9 Vgl. etwa Haas, VA 49 (1958}, 14 (22 f.) ; Wolff/Bachoj, Verwaltungsrecht II, § 77 II b 3.; E. Klein, Ministerialfreier Raum, 214; Sodan, Kollegiale Funktionstrllger, 400 f., 418 f.; aus der Rspr. BVerjGE 12, 205 (261); VG München, BayVBI. 1986, 346 (347); speziell am Beispiel der Bundesbank Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 88 Rn. 20; Breuer, VVDStRL 44 (1985), 211 (239); zum Meinungsstand auch Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 133 ff.; Schröder, JuS 1986, 371 (372 f.); Sachs, NJW 1987,2338 (2342}, mit Hinweis auf die Sonderbestimmung des Art. 130 Ili GG.
A. Gesetzlicher Umfang der Unabhängigkeit
169
Gegen die Bestimmung des § 22 IV 3 BDSG spricht auch nicht der Vergleich mit der unabhängigen Stellung des Richters. Dieser ist nämlich statt in ein Aufsichtsverhältnis immerhin in einen Instanzenzug eingebunden und steht im übrigen auch wegen des fehlenden Rechts zur Kontrollinitiative weniger in der Gefahr, fremde Zuständigkeiten an sich zu ziehen. In Ausübung der Rechtsaufsicht, die der Bundesregierung wegen der möglichen Berührung aller Ressorts kollegialiter zusteht10, können gegenüber dem Beauftragten außer rein informatorischen Maßnahmen (Auskunftsverlangen; Beratung) auch verbindliche Beanstandungen und Aufhebungs- bzw. Ersatzvornahmeakte ergehen, wie sie allgemein zum rechtsaufsichtliehen Instrumentarium gehören 11 • Der sonst übliche Vorbehalt, wonach der Aufsichtsbehörde nur die im Gesetz ausdrücklich genannten Eingriffsmittel zur VerfUgung stehen 12, betrifft lediglich die Staatsaufsicht über Selbstverwaltungsträger und kann fiir den Datenschutzbeauftragten nicht gelten. Dieser ist bloß in organisatorischer und sachlicher Hinsicht verselbständigt, besitzt jedoch keine (Teil-) Rechtsfähigkeit und kann deshalb auch keine eigenen wehrflihigen Positionen im Aufsichtsverfahren oder gar in einem gerichtlichen Verfahren gegenüber der Regierung geltend machen 13 • Der Gesetzgeber konnte demzufolge darauf verzichten, alle Aufsichtsbefugnisse der Regierung im einzelnen aufzulisten. Er hat allerdings durch die abschließenden Regelungen über den Verhinderungsfall(§ 22 VI BDSG) und über die Entlassungsvoraussetzungen (§ 23 I 3 BDSG) deutlich zu erkennen gegeben, daß die beiden einschneidendsten Maßnahmen des Aufsichtsrechts, nämlich die Einsetzung eines Regierungskommissars und die Abberufung des beaufsichtig-
10 Auernhammer, BDSG, § 17 Rn. II; Flanderka, Bundesbeaufuagter, 68 f. Verfassungsrechtliche Zweifel an der Zuordnung zum Kabinett äußert Oldiges, Bundesregierung, 387 m. Fn. 58, während Dammann, in:Simitis u.a., BDSG, § 22 Rn. 20, darin eher einen Hinweis des Gesetzgebers auf eine zurtickhaltende Austibung der Aufsichtsbefugnisse erkennt. 11 Zu den Aufsichtsmitteln Flanderka, Bundesbeaufuagter, 71; allgemein Haas, VA 49 (1958), 14 (25 ff.); Salzwedel, VVDStRL 22 (1965), 206 (249 ff.); Lange, VVDStRL 44 (1985), 169 (202); Schröder, JuS 1986, 371 (374); Schnapp, WissR 20 (1987), 97 (103 ff.).
12 Salzwede/, vorige Fn., 254 f.; Schröder, vorige Fn.; Schnapp, vorige Fn., 104 f.; vgl. aber Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 38.
13 S. o., Zweiter Abschnitt, A.I.3.c. Ebenso i.E. (allerdings unter Hinweis auf die "Wesentlichkeitstheorie") Flanderka, Bundesbeaufuagter, 71 ff.- Zur Teilrechtsflthigkeit s. allgemein Bachof, AöR 83 (1958), 208 (245 ff., insbes. 248); zum Rechtsschutz im Aufsichtsverfahren Schröder, JuS 1986, 371 (375).
170
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
ten Amtsträgers, gegenüber dem Datenschutzbeauftragten nur unter ganz besonderen Bedingungen zur Anwendung kommen sollen. Die allgemeine Ermächtigung zum rechtsaufsichtliehen Eingreifen nach § 22 IV 3 BDSG umfaßt daher für die Bundesregierung nicht die Befugnis, einer anderen Person als dem ursprünglich gewählten Amtsinhaber die Aufgaben des Bundesbeauftragten vertretungs- oder ersatzweise zu übertragen.
B. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Unabhängigkeit Seit langem wird anband zahlreicher Beispiele darüber diskutiert, ob und inwieweit das Grundgesetz weisungsfreie Verwaltungseinheiten überhaupt zuläßt. Konsens besteht heute zumindest darin, daß es für dieses Problem keine einheitliche, für alle Fallkonstellationen gleichermaßen passende Lösungsformel geben kann. Es hängt von den Umständen ab, ob ein vom Gesetzgeber geschaffener14 "ministerialfreier Raum" mit den allgemeinen Grundsätzen der demokratischen Legitimation und parlamentarischen Verantwortlichkeit der Exekutive sowie mit der Ressortleitungsbefugnis des Ministers und anderen verfassungsrechtlichen Prinzipien vereinbar ist. Im Falle des Datenschutzbeauftragten bestehen insoweit keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere kann sein nur an das Gesetz gebundenes Handeln im Hinblick auf den Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 II GG) als ausreichend legitimiert angesehen werden. Um dies näher begründen zu können, muß zunächst terminologisch im Anschluß an Böckenförde 15 zwischen der organisatorisch-personellen und der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation der Exekutive unterschieden werden. Die erstgenannte Komponente betrifft das Erfordernis einer ununterbrochenen, auf das Volk zurückgehenden Legitimationskette für den mit der Wahr-
14 Zu dem hier geltenden "institutionellen Gesetzesvorbehalt" s. B6ckenjörde, Organisationsgewalt, 96 f.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 270 f.; E. Klein, Ministerialfreier Raum, 216 f.; Schmidt-Aßmann, FS lpsen, 347 f.; allg. Köttgen, VVDStRL 16 (1958), 161 ff.; OVG Münster, NJW 1980, 1406 (1407). Einschränkend Sodan, Kollegiale Funktionsträger, 461 ff. (insbes. 470 ff.). Js B6ckenförde, Verfassungsfragen der Richterwah1, 74 ff.; ders., in: /sensee/Kirchhof, HdbStR I,§ 22 Rn. 14 ff. ; vgl. nunmehr auch BVerjG (Zweiter Senat), NJW 1991, 159 (160). Dagegen hält der Erste Senat, NJW 1991, 1471 (1474), im Anschluß an BVerjGE 9, 268 (281 f.), offenbar allein die "politische Tragweite" der weisungsfreien Tätigkeit filr entscheidend.
B. Verfassungsrechtliche Zulässigkeil der Unabhängigkeit
171
nehmung einer staatlichen Aufgabe konkret betrauten Amtswalter 16• Sie ist beim Bundesbeauftragten ftlr den Datenschutz nicht nur zweifelsfrei gegeben, sondern sogar stärker ausgeprägt als bei den meisten anderen Funktionsträgem der vollziehenden Gewalt, da der Beauftragte nach der Neuregelung des § 22 I 1 BDSG unmittelbar von der Volksvertretung ftlr eine begrenzte Amtszeit gewählt17 und damit persönlich bestätigt wird 18. Der zweite, im Grundsatz ebenso wichtige 19 Aspekt der demokratischen Legitimation betriffi die sachlich-inhaltliche Übereinstimmung allen staatlichen Handeins mit dem politischen Willen des Volkes, wie er im parlamentarischrepräsentativen System vom Willen der jeweiligen Mehrheit der Abgeordneten verkörpert wird. Wichtige Legitimationswirkungen ergeben sich hier zunächst einmal aus der verfassungsmäßigen Bindung der gesamten vollziehenden Gewalt an das Gesetz (Art. 20 III GG), die selbstverständlich auch ftlr einen unabhängigen Amtsträger wie den Bundesbeauftragten besteht (§ 22 IV 2 BDSG). Zur sachlich-inhaltlichen Legitimation gehört allerdings darüber hinaus auch eine sanktionierte demokratische Verantwortlichkeit ftlr die Art und Weise, in der eine öffentliche Stelle ihre gesetzlichen Handlungsspielräume ausschöpft20 • Dieser politisch-rechtliche Verantwortungszusammenhang läßt sich bei dem "in Ausübung seines Amtes unabhängigen" Datenschutzbeauftragten naturgemäß nur in Ansätzen herstellen. Daß er der Rechtsaufsicht der parlamentarisch verantwortlichen Bundesregierung untersteht, bietet - wie oben gezeigt - nur bei echten Kompetenzüberschreitungen eine Handhabe ftlr korrigierendes Eingreifen; die eigentliche Ausführung der Kontrollen und der sonstigen, im Gesetz nicht näher bestimmten Aufgaben (Beratung; Information; Koordination; Dokumentation) läßt sich damit nicht erfassen. Auch die dem Deutschen Bundestag
16 Böckeriförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 74 ff.; ders., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 22 Rn. 16. Vgl. auch BVerjGE 32, 258 (271); 47, 253 (272, 275); 52, 95 (130); 77, 1 (40); NJW 1991, 159 (160); Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Raume, 83 ff. 17 Vgl. Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (348 f); Oebbecke, vorige Fn., 83 ff., speziell zur Amtszeitbegrenzung bei weisungsfreien Funktionsträgem. - Eine kollegiale Besetzung (s. §§ 95 ff. BBG) ist bei weisungsfreien Stellen nur ausnahmsweise geboten, vgl. Sodan, Kollegiale Funktionsträger, 419 ff. 18
Vgl. ebenso § 35 II 1 StUG; § 3 II 1 BRHG.
Vgl. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 79; ders., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 22 Rn. 21 ; i. E. ablehnend Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 124 ff. ; W: Müller, JuS 1985, 497 (503). 19
20
Böckenförde, vorige Fn.; Oebbecke, vorige Fn., 95 ff.
172
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
zu erstattenden periodischen Tätigkeitsberichte bieten hierfilr keinen vollwertigen Ausgleich, da sie vorrangig über die in der Bundesverwaltung bestehenden Datenschutzprobleme informieren und allenfalls in zweiter Linie der politischen Kontrolle hinsichtlich der Amtsfiihrung des Beauftragten dienen sollen. Nach geltendem Recht(§§ 22 V, 23 I BDSG) stehen dem Parlament ohnehin kaum dienst- oder haushaltsrechtliche Sanktionen zur Verfiigung, mit denen es seine möglicherweise abweichenden datenschutzrechtlichen Vorstellungen gegenüber der Kontrollbehörde durchsetzen könnte. Obwohl der Beauftragte somit in sachlich-inhaltlicher Hinsicht nicht in gleichem Maße demokratisch legitimiert ist wie ein weisungsgebundener Amtsträger, fiir den der Ressortminister die parlamentarisch-politische Verantwortung trägt, liegt darin noch kein Verfassungsverstoß. Zum einen läßt sich nämlich eine schwächer entwickelte sachlich-inhaltliche Legitimation durch eine stärkere organisatorisch-personelle Legitimation (z.B. eine parlamentarische Wahl) in gewissem Umfang ausgleichen, da die in Art. 20 II GG geforderte effektive Einflußnahme des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt keine speziellen Legitimationsformen, sondern nur ein bestimmtes Legitimationsniveau verlangt21. Zum anderen setzen gerade Kontroll-, Prüfungs- und Beratungstätigkeiten ein Mindestmaß an Selbständigkeit denknotwendig voraus, so daß filr solche Zwecke ausnahmsweise auch ein ministerial- und parlamentsfreier Raum sachlich gerechtfertigt sein kann22. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß der Beauftragte außer in einigen Randbereichen (§§ 19 VI 2, 21, 22 V 4 u. 5, 26 V 6 BDSG; § 15 IV 5 BVerfSchG usw.) keine eigenen Entscheidungs- bzw. Mitentscheidungsbefugnisse besitzt. Der ganz überwiegende Teil seiner Arbeit besteht aus rechtlich unverbindlichen, bloß vorbereitenden oder rein konsultativen Tätigkeiten, die nach herrschender Lehre23 und auch nach der neueren 21 Vgl. BVerjG, NJW 1991, 159 (160), im Anschluß an Böcke'1förde, in: /sensee/Kirchhof, HdbStR I, § 22 Rn. 23; ebenso nunmehr BVerjG, DVBI. 1995, 290 (293)- kommunale Gleichstellungsbeauftragte -. Aus dem älteren Schrifttum E. Klein, Ministerialfreier Raum, 55 f.
22 Speziell zum Datenschutzbeauftragten Dammann, Datenschutzkontrolle, 159 f.; Flanderko, Bundesbeauftragter, 35 ff.; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 86 Rn. 70; AK-Bu/1, GG, Art. 86 Rn. 30; s. allg. Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (309, 342 ff.); v.Mangoldt/Kiein, GG, Bd. 111, Vorbem. 1113 zu Art. 83; Schuppert, Verselbständigte Verwaltungseinheiten, 354 ff.; Böckenjörde, vorige Fn., § 22 Rn. 22 u. 24; Loschelder, in: /sensee/Kirchhof, HdbStR 111, § 68 Rn. 22; einschränkend Füsslein, Ministerialfreie Verwaltung, 339 ff.; Sodan, Kollegiale Funktionsträger, 410 ff. 23 E. Klein, Ministerialfreier Raum, 68 ff.; Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, 284 f.; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 78 ff.; Sodan, Kollegiale Funktionsträger, 254 ff. m.w.N.
B. Verfassungsrechtliche Zulllssigkeit der Unabhängigkeit
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Rechtsprechung des BVerfG24 nicht in den Bereich des demokratisch zu legitimierenden Handeins fallen, solange sie sich nicht zu einer faktischen Teilhabe an der Entscheidung verdichten25 • Was ihr politisches Gewicht und ihre Breitenwirkung angeht, so übertreffen freilich die öffentlich verbreiteten Stellungnahmen und Ratschläge des Datenschutzbeauftragten so manche rechtsverbindliche Entscheidung nachgeordneter Stellen26• Daß der Beauftragte, obwohl nach § 22 V BDSG dem Ressort des Bundesinnenministers organisatorisch zugeordnet, nicht an dessen datenschutzrechtliche Linie gebunden ist27, kann also durchaus als gravierende Beeinträchtigung der ministeriellen Sachleitungsbefugnis (Art. 65 S. 2 GG)28 angesehen werden. Dieser Eingriff läßt sich aber mit dem beabsichtigten Schutz anderer, mindestens ebenso gewichtiger Verfassungsgüter rechtfertigen29• Dem Bundesbeauftragten kommt gerade auch im Verhältnis zu "seinem" Minister die rechtsstaatliche und grundrechtssichernde Aufgabe zu, auf Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften einschließlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu dringen30• Als "Anwalt des Datenschutzes" darf er keinen anderen Interessen verpflichtet sein. Die gesetzliche Entscheidung für eine externe, gegenüber der übrigen Exekutive verselbständigte Datenschutzkontrolle
24
BVerjG, NJW 1991, 159 (160); DVBI. 1995, 290 (293).
Zur Abgrenzungs. BVerjGE 26, 186 (196 f.); 47, 253 (273 f.); Böckenjörde, Organisationsgewalt, 249 ff.; Füss/ein, Ministerialfreie Verwaltung, 106 ff.; Schmitt G/aeser, WDStRL 31 (1973), 175 (183 f.) . 25
26 Zur verfassungsrechtlichen Problematik insbesondere der rechtspolitischen Appelle des Beauftragten s. o., Zweiter Abschnitt, B u. C.I.2.b.; allgemein zur politischen Leitungsbefugnis der Regierung als Grenze ministerialfreier Räume BVerjGE 9, 268 (282); 22, 106 (113); NJW 1991, 1471 (1474); Böckenförde, vorige Fn., 256 ff.; weitere Nachweise beiSodan, Kollegiale Funktionsträger, 416 f. 27 Wie vor allem Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 33 f., 42, gezeigt hat, bedeutet Weisungsfreiheit keineswegs Ressortfreiheit 28 Zur (umstrittenen) verfassungsrechtlichen Herleitung dieses Vorbehaltsbereichs der Minister ausfUhrlieh Oebbecke, vorige Fn., 25 ff. m.w.N.
29 Zur Einschränkbarkeit der ministeriellen Leitungsbefugnis aus dem Gesichtspunkt der Einheit der Verfassungs. Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (328 ff.); Oebbecke, 65 f., 132, der allerdings den Datenschutzbeauftragten aus seiner Einzeluntersuchung ausklammert (170 ff. ; 235); Sodan, Kollegiale Funktionsträger, 407 ff. 30 Ähnliche Überlegungen lassen auch die Weisungsfreiheit des Bundesbeauftragten filr die StasiUnterlagen als gerechtfertigt erscheinen; vgl. Trute, JZ 1992, I 043 (I 046 f.).
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
macht nur Sinn, wenn dem damit betrauten Amtsträger außer der persönlichen Status-, Besoldungs- und Versorgungssicherheit (§ 23 I 3, VII BDSG) auch die volle sachliche Unabhängigkeit eingeräumt wird. Das "verfassungsrechtliche Zentralproblem der Datenschutzkontrolle" liegt also sicher nicht in der bestehenden Weisungsfreiheitl 1; diese folgt funktionsnotwendig aus dem einmal gewählten Kontrollkonzept Noch nicht geklärt ist damit allerdings die grundsätzliche Frage, ob die Existenz einer selbständigen Datenschutzinstanz verfassungsnotwendig ist, d.h. ob der einfache Gesetzgeber auf organisatorischer Ebene bestimmte (Mindest-) Regelungen treffen bzw. eine etwaige institutionelle Bestandsgarantie beachten muß.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis
unabhängiger Datenschutzkontrolle?
Ob sich aus dem Grundgeset:i 2 konkrete Aussagen über Art und Umfang datenschutzrechtlicher Kontrollen ableiten lassen, ist seit längerem umstritten. Wie zahlreiche Beiträge zur datenschutzrechtlichen Diskussion der letzten Jahre zeigen, hängt die Antwort auf diese Frage in hohem Maße vom verfassungsrechtlichen und datenschutzpolitischen Vorverständnis des Betrachters ab. Insofern kann der Streit um den Verfassungsstatus des Datenschutzbeauftragten als paradigmatisch angesehen werden für die allgemeine Auseinandersetzung darüber, inwieweit die Verfassung verbindliche Leitlinien setzt, um technischzivilisatorisch bedingten Gefahren für die Rechte des einzelnen zu begegnen. Gefragt ist hierbei weniger nach den materiell-rechtlichen Maßstäben staatlichen Handeins als vielmehr nach möglichen organisations- und verfahrensrechtlichen Anforderungen. Welche Argumentationsmuster zur Begründung entsprechender Verfassungspflichten herangezogen werden können und wo in
31
Anders aber noch- im Jahre 1977- Dammann, Datenschutzkontrolle, 155.
Europarechtliche Vorgaben müssen im Rahmen der vorliegenden Arbeit außer Betracht bleiben, nachdem noch nicht abschließend feststeht, welche konkreten Verpflichtungen sich aus der nunmehr beschlossenen EG-Richtlinie zum Datenschutzrecht (s. SZ v. 30. 12. 1994, S. 2) ftlr die Mitgliedsstaaten ergeben werden. Zum Kommissionsentwurf 1990 (BR-Dr 690/90; DuO 1992, 648655), der bereits bestimmte Kontrollmechanismen vorsah, s. EI/ger, RDV 1991, 57 ff., 121 ff.; Riegel, DÖV 1991, 311 ff. ; Simitis, in: ders. u.a., BDSG, § 1 Rn. 61.- Zur Frage der Notwendigkeit einer EG-eigenen Datenschutzkontrollinstanz Mähring, RDV 1991, 245 ff., der die nachfolgend dargestellten Argumente aus der hiesigen Datenschutzdiskussion weitgehend auf das Gemeinschaftsrecht projiziert. 32
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
175
diesem Bereich die methodischen Grenzen der Verfassungsinterpretation verlaufen, läßt sich am vorliegenden Beispiel besonders anschaulich vor Augen filhren.
I. Das Meinungsbild vor dem Volkszählungsurteil
Die Frage, ob die Einfilhrung einer filr den öffentlichen Bereich zuständigen Kontrollinstanz von (Verfassungs-) Rechts wegen geboten sei, hat die datenschutzrechtliche Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland nahezu von Beginn an begleitet. Angestoßen wurden solche Überlegungen vor allem durch die Tatsache, daß sich der hessische Gesetzgeber bereits im Jahre 1970 in Anknüpfung an das seinerzeit vieldiskutierte rechtspolitische Modell eines "Bürgerbeauftragten" (skandinav. Ombudsman)33 filr einen unabhängigen Landesdatenschutzbeauftragten entschieden hatte, womit dieses Bundesland auch auf organisatorischem Gebiet eine Vorreiterrolle in der Datenschutzgesetzgebung übernahm34 • Die hier erstmals vollzogene organisationsrechtliche Verselbständigung der Datenschutzkontrolle fand nicht nur in der politischen Öffentlichkeit schon bald breite Zustimmung, sondern rückte auch in wichtigen Teilen des datenschutzrechtlichen Schrifttums mehr und mehr in die Nähe eines verfassungspolitischen oder gar verfassungsrechtlichen Auftrags35 • Die dazu entwickelten, zunächst noch weitgehend abstrakten Begründungen gingen meist von der Annahme aus, daß sich die gesamte exekutivische Staatstätigkeit in Zukunft mit der Einfilhrung der automatischen Datenverarbeitung und dem Aufbau von integrierten Datenverbundsystemen qualitativ von Grund auf verändern werde36• Die bislang geltende, nach Sachaufgaben differenzierte Zuständigkeitsordnung, die nicht allein auf organisatorischen Notwendigkeiten der Arbeitsteilung beruhe, sondern auch fiir den Bürger Schutzwirkungen im Sinne einer inneradministra-
33 Nachweise zur älteren Ombudsman-Diskussion bei Brunner, Kontrolle, 356 (Fn. 593); aus neuerer Zeit umfassend Busch, in: BK, Art. 45 b, Anm Ill.
"Gesetz v. 7. 10 1970, GVBI. I S. 625. Zum Modell-Charakter des hessischen Datenschutzbeauftragten Dammann, in: Hoffmann u.a., Numerierte Bürger, 101 ff. 35
Vgl. den Überblick bei Dammann, Datenschutzkontrolle, 73 ff.
Steinmüller u.a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Dr VI/3826, 38 ff.; Lenk, in: Ki/ianl Lenk!Steinmüller, Datenschutz, 20 ff.; Podlech, DÖV 1970, 473 ff. 36
176
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufb"agten
tiven "Gewaltenteilung" entfalte37, drohe durch den automatisierten Informationsverkehr überspielt und zu einer bloßen "Attrappe" für neue, schwer durchsehaubare Behördensysteme umfunktioniert zu werden38 • Hiermit wachse die Gefahr einer mißbräuchlichen Verwendung der gespeicherten Daten39• Die technisierungsbedingte Komplexität interner Verfahrensabläufe sowie die engen Interessenverflechtungen der datenverarbeitenden Verwaltung mit Regierung und Parlamentsmehrheit verhinderten nämlich ein Wirksamwerden der vorhandenen Aufsichts- und Kontrollinstrumente40 • Auch der betroffene Bürger sei, selbst im Falle einer Verstärkung seiner verfahrensrechtlichen Positionen gegenüber der Verwaltung, zur Wahrung seines grundrechtlich (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützten Persönlichkeitsrechts allein kaum mehr in der Lage41 , zumal für ihn Dateneingriffe nicht ohne weiteres physisch wahrnehmbar seien42 • Durch die Anwendung der Methoden der automatischen Datenverarbeitung entstehe also faktisch unkontrollierte Macht, die als solche dem Rechtsstaatsprinzip widerspreche43 • Da die Verwaltung wie jedes andere soziale System bei unzureichender Kontrolle zur Umgehung bzw. Verletzung bestehender Normen tendiere44 , ergebe sich aus den sachlichen Besonderheiten der Datenverarbeitungstechnik zugleich die Notwendigkeit einer ergänzenden "institutionellen Absicherung"
37 So schon damals vor allem Lenk, vorige Fn., 23 ff.; krit. insoweit Ruckriege I, ÖVD 1111979, 10 (13 f.).
lB Podlech, in: Kilian/Lenk/Steinmüller, Datenschutz, 9; ders. , DVR, Beiheft I (1973), 73; v.Berg!Harboth/Jarass/Lutterbeck, ÖVD 111972, 3 ff. 39 Dazu aus jener Zeit allgemein Similis, Informationskrise, 131 ff.; ders., DVR 2 (1973174), 138 (167 ff.); Ch. Mal/mann, Datenschutz in Verwaltungsinformationssystemen, 20 ff. Dammann, Datenschutzkontrolle, 83 ff. 40 Pod/ech, DÖV 1970, 473 (475); Steinmüller u.a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Dr VI/ 3826, 126 f.; Woertge, Prinzipien des Datenschutzrechts, 170 f.; differenzierend Dammann, Datenschutzkontrolle, 87 ff. 41 Lenk, in: Ki/ian/Lenk/Steinmüller, Datenschutz, 43 f.; Similis, NJW 1977, 729 (736); ausfilhrlich Dammann, Datenschutzkontrolle, 88 ff. ("subjektive Kontrollunfllhigkeit").
42 Zu diesem Aspekt Similis, DVR 2 (1973/74), 138 (177 f.); Dammann, Datenschutzkontrolle, 96 f.; Woertge, Prinzipien des Datenschutzrechts, 170 f. 43 Pod/ech, DÖV 1970, 4 73 (4 75); ihm folgend Steinmüller u.a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Dr VU3826, 126. 44 So besonders die von Podlech (u.a. in Ki/ian/Lenk!Steinmü//er, Datenschutz, I 0 f., in: Krauch, Erfassungsschutz, 74; vgl. auch DÖV 1970,473 f.) formulierte "Vermutung regelwidrigen Verhaltens unkontrollierter sozialer Systeme" (unter Berufung auf Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, insbes. 304 ff.).
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
177
des Datenschutzes45 . Hierfilr reiche eine gesetzliche Verpflichtung zu administrativer Selbstkontrolle bezüglich der Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen46 nicht aus, da im Falle einer objektiven Interessenkollision jede Behörde ihren eigenen - vermeintlich zwingenden - Informationsbedürfnissen den Vorrang gegenüber datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten einräumen werde, so daß bei dieser Lösung des Kontrollproblems die ständige Umgehung der gesetzlichen Vorschriften letztlich bewußt in Kauf genommen werde47 . Ausreichenden Schutz biete hiernach allein die institutionalisierte Fremdkontrolle durch ein Organ, das aufgrund fachlicher Spezialisierung hinreichend kompetent, persönlich und sachlich unabhängig und an eigener Datenverarbeitung nicht interessiert sei48 . Es müsse angesichts freiheitsbedrohender Rationalisierungs- und Effizienzbestrebungen der Verwaltung eine wirksame, das Bürgerinteresse verkörpernde "Gegeninstanz" bilden49. Da zum Aufgabenfeld einer derartigen Stelle nach damals fast einhelliger Auffassung auch die fortlaufende kritische Beobachtung der weiteren Entwicklungen im Bereich der Datenverarbeitung sowie das vorbeugende Einschreiten gegen sich abzeichnende "strukturelle Gefahrenlagen" gehören sollte50, erschien die (Verwaltungs-) Gerichtsbarkeit fiir diese Funktion von vornherein als ungeeignet51 . Ob der rechtliche Standort der neuen Kontrollinstitution insge-
45 Similis, NJW 1971, 673 (681); Steinmüller u.a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Dr VU 3826, 127. 46 Wie dies 1973 im Regierungsentwurf fllr ein Bundesdatenschutzgesetz (BR-Dr 391/73; BT-Dr 7/1027, s. Begründung A.4.2.9.) noch vorgesehen war.
47 Similis, DVR 2 (1973/74), 138 (173). Eher das Mißtrauen des BUrgers gegenOber exekutivischen Selbstkontrollen betonend Gesell, ÖVD 4/1974, 147 (148); zum Stellenwert des Datenschutzes aus der Sicht der Verwaltung Dammann, Datenschutzkontrolle, 83 ff., 94 ff. 48 Datenschutzkommission des DJF (1974), Grundsätze, 32 ff.; Similis, vorige Fn., 173 f., 176; Steinmüller, in: Kilian/Lenk/Steinmüller, Datenschutz, 73 f.; Lenk, ebda., 45; Pietzner!Reinermann, BUrgerrechte und Kontrollinstitutionen, 23 f.
49 Birke/bach, in: Krauch, Erfassungsschutz, 20; vgl. auch Dammann, Datenschutzkontrolle, 96 ff., speziell zur Funktion der Kontrolle im Prozeß der Norminterpretation und Normkonkretisierung. 50 Similis, NJW 1971, 673 (682); ders., DVR 2 (1973/74), 138 (176): Datenschutz sei "auf permanente Innovation angewiesen"; s. auch Datenschutzkommission des DJF, Grundsätze, 32 ("Frühwarnsystem"); Lenk, in: Kilian/Lenk/Steinmüller, Datenschutz, 45; Dammann, Datenschutzkontrolle, 138.
51 Vgl. Bu/1, ZRP 1975, 7 (13); Lenk(vorige Fn.), 45; Dammann, Datenschutzkontrolle, 111 ff., 140 ff.
12 Zöllner
178
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
samt näher beim Parlament52 oder - etwa im Sinne einer anzustrebenden organisatorisch-funktionellen "Systemdifferenzierung der öffentlichen Verwaltung"53 - im Bereich der vollziehenden Gewalt54 liegen sollte, blieb demgegenüber lange umstritten bzw. wurde als eine Frage von lediglich untergeordneter Bedeutung angesehen5 5 • Unverzichtbar sei jedenfalls, daß das betreffende Organ keiner wie immer gearteten Weisungsbindung unterliege, da anderenfalls die kontrollierten Stellen Einfluß auf die Kontrolltätigkeit nehmen könnten56 . Anfängliche Überlegungen, der unabhängigen Kontrollinstanz über bloße Prüfungs-, Beanstandungs- und Vorschlagsrechte hinausgehend auch echte Untersagungs- und Genehmigungsbefugnisse einzuräumen57, wurden später als politisch nicht durchsetzbar58 und überdies verfassungsrechtlich bedenklich (Verbot des "ministerialfreien Raumes") 59 wieder fallengelassen. Die kontrollierende Stelle könne und solle die Verantwortung filr die Einhaltung des Datenschutzes nicht selbst übernehmen, sondern vielmehr auf indirektem Wege, also durch persönliche Autorität sowie durch Argumente und Appelle, auf eine Aktivierung bestehender Mechanismen der Selbst- und Fremdkontrolle hinwirken60. Diese Funktion entfalte besonders wichtige "kompensatorische" Wirkun-
52 Gesell, ÖVD, 4/1974, 147 (149); ders., in: Hoffmann, Numerierle Bürger, 108; Pietzner/ Reinermann, Bürgerrechte und Kontrollinstitutionen, 24; der Tendenz nach auch Similis, NJW 1971, 673 (681).
53 Angedeutet bei Pod/ech, in: Ki/ian/Lenk/Steinmüller, Datenschutz, 9 f.- Kritisch gegenüber dem daraus abgeleiteten "Prinzip der Konkurrenz der staatlichen Teilsysteme" u.a. Benda, in: FS Geiger, 23 (39). 54
So im Ergebnis Dammann, Datenschutzkontrolle, 168 f., 194 f.
Vgl. Steinmüller, in:, Ki/ian/Lenk/Steinmüller, Datenschutz, 74; Podlech, DVR, Beiheft I (1973), 70. 55
56 Similis, NJW 1971, 673 (681); 1977, 729 (736); Steinmüller u.a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Dr VI/3826, 127; Dammann, Datenschutzkontrolle, 120 ff.
51 Similis, NJW 1971, 673 (681); Steinmüller, in: Ki/ian/Lenk/Steinmüller, Datenschutz, 74; z.T. auch Gesell, ÖVD 4/1974, 149; Dammann, Datenschutzkontrolle, 160; vgl. auch das von Podlech (DÖV 1970, 473 ff.; DVR, Beiheft I (1973), 15 ff., 69 ff.) entwickelte weiterreichende Konzept einer organisatorischen Trennung von fachlicher und (daten-) technischer Verantwortung. 58 Hierzu vor allem Steinmüller u.a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Dr Vl/3826, 128; Lenk, in: Ki/ian/Lenk/Steinmüller, Datenschutz, 35, 44. 59 Vgl. hierzu Gesell, ÖVD 411974, 147 (148 f.); Dammann, Datenschutzkontrolle, 148 ff., 155 ff. m.w.N.
60
S. besonders Dammann, Datenschutzkontrolle, 122 ff., 195.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
179
gen dort, wo dem einzelnen Bürger oder auch dem Parlament wegen faktischer61 oder gar rechtlicher Informationssperren (z.B. Geheimhaltungsvorschriften)62 der eigene kontrollierende Zugang zu den Datenbeständen der Exekutive verwehrt bleibe. Während die Mehrzahl der soeben angefiihrten Stellungnahmen den verfassungsrechtlichen Bezug der Forderung nach einem unabhängigen Datenschutz-Kontrollorgan eher am Rande und andeutungsweise behandelte63 , hat insbesondere Erbe! schon einige Zeit vor dem Volkszählungsurteil des BVerfG den erklärten Versuch unternommen, "die Rechtsinstitution der Datenschutzkontrolle ... von der Verfassung her als rechtlich geboten nachzuweisen" 64 . Nach seiner Auffassung ist aus dem Grundgesetz "das generelle verfassungsrechtliche Leitziel ablesbar..., überall dort, wo der Staat zur Erfiillung seiner Aufgaben hochkonzentrierte, fiir Grundrechte und Verfassung potentiell besonders geflihrliche Machtinstrumente in der Hand hat, auch besondere Schutzmechanismen zur Gefahrenabwehr bereitzustellen". Von "exemplarischer Bedeutung" sei insoweit Art. 45 b GG, "der zum Schutz der im Wehrdienstverhältnis besonders verletzungsanfalligen Grundrechte der Soldaten, letztlich auch zur Bannung der Gefahr, daß die Bundeswehr eine verfassungssystemgeflihrdende Gesamtentwicklung (Staat im Staate) nimmt, die Institution des Wehrbeauftragten festschreibt"65. Der darin liegenden "Grundidee, daß besondere Gefahrenpotentiale besondere Kontrolleinrichtungen verlangen, die über die effektive Gefahrenabwehr wachen", entspreche fiir den Bereich der Datenverarbeitung die Schaffung der Institution des Datenschutzbeauftragten (z.B. im BDSG)66. Zu den Autoren, die eine weisungsfreie institutionalisierte Kontrolle des Datenschutzes als verfassungsrechtlich gefordert ansahen, zählte bereits seit Mitte der siebziger Jahre auch der Sozialrechtier Heußner, der später als Bundes-
61 S. etwa Steinmüller u.a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Dr VU3826, 40 f., zu den Gefahren eines Regierungsinformationssystems. 62 Vgl. Similis, Informationskrise, 137; ders., NJW 1971, 673 (681 f.); Pietzner/Reinermann, Bürgerrechte und Kontrollinstitutionen, 30; Dammann, Datenschutzkontrolle, 100. 63 Dies gilt vor allem filr die seinerzeit ausfilhrlichste Untersuchung der Kontrollproblematik durch Dammann (Datenschutzkontrolle, insbes. S. 81-100, 115-130), der nur allgemein nach Gründen fragt, die "eine institutionelle Kontrolle des Datenschutzes wünschenswert oder notwendig erscheinen lassen" (72). 64
Erbe/, RiA 1981, I (3).
65
Erbe/ (vorige Fn.), 3; ähnlich zum Wehrbeaufuagten ders., Staat 14 (1975), 347 (360).
66
Erbe/, 3.
180
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
Verfassungsrichter und Berichterstatter im Verfahren zur Volkszählung entscheidenden Einfluß auf die Formulierung und Gewichtung der Entscheidungsgründe des Urteils vom 15. 12. 198367 nehmen sollte. In einer Reihe von Aufsätzen begründete er unter ausführlicher Bezugnahme auf Äußerungen anderer, hier bereits zitierter Autoren68 die Notwendigkeit starker und unabhängiger Datenschutzkontrollsysteme, "um die Bürger nicht einer wohlmeinenden 'technokratischen Diktatur' auszuliefern". Es könne "nur auf diese Weise... vermieden werden, daß die Verfassung, ohne offen verletzt zu werden, durch das Entstehen einer grenzenauflösenden, überregionalen und ressortübergreifenden Informationsorganisation von innen ausgehöhlt wird und zum Nachteil der Bürger die Entwicklung verfassungswidrig nur noch durch exekutive und nicht mehr durch legislative und vor allem judikative Strukturen bestimmt wird"69 • Eine bloß nachträgliche Fremdkontrolle, wie von den Gerichten ausgeübt, hielt Heußner bei der Eigenart der heutigen Datenverarbeitung nicht mehr für ausreichend. Wo automatische Datenverarbeitung betrieben werde, müsse vielmehr "von Anfang an darauf geachtet werden, daß eine Gefährdung der Grundrechte... sowie der verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung (Art. 20 GG) nicht entstehen kann". Die Fremdkontrolle sei deshalb "als eine unabhängige, begleitende Kontrolle durch externe Datenschutzbeauftragte" zu organisieren, wobei ein früher Kontrollzeitpunkt erwiesenermaßen "ungleich effektiver als nachfolgende Sanktionen" sei. Als Resümee dieser Überlegungen forderte Heußner, es müsse "aus dem verfassungsrechtlich abgesicherten Gedanken der Kompetenz- und Gewaltenteilung bei der Einführung integrierter Verwaltungsinformationssysteme eine diesen Systemen adäquate unabhängige begleitende Kontrollinstitution neben der nachträglichen Kontrolle durch die Gerichte geschaffen werden" 70 •
67
BVerjGE 65, 1 ff.
68
Insbesondere Similis, Birke/bach, Podlech und Steinmüller.
69 Heußner, Sgb 1976, 245 (250 f.); ders., Versicherungsrundschau 1976, 96 (124 ff.); ähnlich ders., VSSR 7 (1979), 293 (305 f.); vgl. auch ders., in: FS Wannagat, 173 (190). 70
Heußner, Sgb 1976, 245 (251)
= ders.,
Versicherungsrundschau, 1976, 96 (125).
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
181
II. Die Äußerungen des BVerfG zur Institution des Datenschutzbeauftragten
Mit dem Abschluß der ersten Phase der Datenschutzgesetzgebung, die im Bund und in fast allen Bundesländern zur Einftihrung weisungsfreier Datenschutzbeauftragter mit umfassenden Untersuchungsbefugnissen ftihrte, schien zunächst die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Standort dieser organisationsrechtlichen Figur ihre Aktualität und praktische Bedeutung weitgehend eingebüßt zu haben71 • Diese Annahme erwies sich jedoch schon sehr bald als voreilig. Die Diskussion über Art und Inhalt der von der Verfassung geforderten Datenschutzkontrolle setzte in den achtziger Jahren unter geänderten Vorzeichen wieder neu ein. Entscheidenden Anteil daran hatte die Rechtsprechung des BVerfG, dessen Erster Senat sich gleich in mehreren aufeinander Bezug nehmenden Entscheidungen zur besonderen Rolle unabhängiger Kontrollinstanzen im Bereich der öffentlichen Datenverarbeitung geäußert hat.
I. Das Urteil zur Volkszählung 1983
Die ersten höchstrichterlichen Aussagen dazu finden sich im bekannten "Volkszählungsurteil" des BVerfG vom 15. 12. 198372 • Diesem vorausgegangen waren bekanntlich heftige politische Auseinandersetzungen um die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Volkszählung 198373 , in deren Verlauf sich auch die meisten Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern in vielfaltiger publizistischer Form zu den aufgeworfenen datenschutzrechtlichen Fragen geäußert hatten74• Gerade durch die von ihnen formulierten und im Laufe der Zeit immer weiter präzisierten Bedenken und Forderungen wurde trotz oder vielleicht gerade wegen der dabei auch untereinander zu Tage tre-
71 Von den Kommentaren zum BDSG (in der bis 1990 gültigen Fassung) erörterte allein Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 38, die Frage nach der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer externen Kontrollinstanz - und verneinte sie.
72
BVerjGE 65, I.
G. vom 25. 3. 1982, BGBI. I S. 369. -Zur besonderen Rolle der Medien bei der Mobilisierung weiter Teile der Öffentlichkeit gegen die damalige Volkszählung Mückenberger, KritJ I 984, I ff. 73
74 Eine Auswahl der seinerzeit in der Tagespresse veröffentlichten Stellungnahmen findet sich bei Mückenherger (vorige Fn.), 3 Fn. 12. Zu den Motiven solcher Verlautbarungen Bu/1, Datenschutz, 314 f.
182
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
tenden Meinungsunterschiede75 - die öffentliche Debatte um Zulässigkeit und Nutzen der Volkszählung maßgebend geprägf6 • Welch hohen Stellenwert auch das BVerfG den Erklärungen der regierungsunabhängigen Datenschutzorgane von Beginn des Verfahrens an einzuräumen gewillt war, läßt sich schon äußerlich daran ersehen, daß der zuständige Senat die Beauftragten von Bund und Ländern als Sachverständige (§§ 26 I 1, 28 I BVerfGG) zur Vorbereitung seiner Entscheidung heranzog77• Diese schon damals als ein Signal verstandene78 prozeßleitende Maßnahme ermöglichte es den Datenschutzbeauftragten, ihre jeweiligen Rechtsauffassungen79 insbesondere durch ein persönliches Auftreten in der mündlichen Verhandlung sehr ausfiihrlich80 und engagiert zur Geltung zu bringen. Im nachhinein darf vermutet werden, daß ihr entschiedenes Eintreten filr die Belange des Datenschutzes während des Verfassungsprozesses nicht unwesentlich zu dem Entschluß des Gerichts beigetragen hat, die besondere Funktion der Datenschutzbeauftragten im abschließenden Urteil zur Volkszählung an zwei Stellen ausdrücklich in den verfassungsrechtlichen Begründungszusammenhang einzubeziehen81 • An den Anfang seiner Ausfilhrungen stellt das BVerfG die Überlegung, das Recht des einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) bedürfe "unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes"82. Die technische Entwicklung habe die Möglichkeit geschaffen, daß personenbezogene Daten
75 Ungeachtet der gemeinsamen Erklärung der Datenschutzbeauftragten vom 22. 3. 1983 (Nachweise bei Mückenberger, 3) blieben innerhalb dieses Kreises in der verfassungsrechtlichen Einschätzung des Volkszählungsgesetzes bis zuletzt gravierende Unterschiede, s. BVerjGE 65, 1 (34 f.). 76 Ihre damalige Rolle kann nach Mückenberger, KritJ 1984, 1 (3), "kaum hoch genug veranschlagt werden". 77 BVerjGE 65, 1 (21, 34 f.); ebenso schon im vorangegangenen Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung BVerjGE 64, 67 (68 f.). Zur dortigen Stellungnahme des Bundesbeauftragten (keine Aussetzung der Volkszählung) s. Bu/1, DuD 1983, 84. 78
Vgl. Dammann, ÖVD 111984, 51 (54).
Zu den hierin sichtbar werdenden unterschiedlichen Grundkonzeptionen Mückenberger, KritJ 1984, 1 (16 f., 20). 79
80 Laut Mückenherger (vorige Fn., 3) wurde den Beauftragten entsprechend einem vom Berichterstatter Heußner entworfenen Zeitplan etwa ein Drittel der ftlr den mUndliehen Vortrag insgesamt verftlgbaren Zeit reserviert, was auf den Widerspruch des Vertreters der Bundesregierung stieß. 81
In diesem Sinne auch Dammann, ÖVD 1/1984, 51 (54), Mückenberger, KritJ 1984, 1 (3 ff.).
82
BVerjGE 65, 1 (42).
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhllngiger Datenschutzkontrolle?
183
unbegrenzt gespeichert, jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abgerufen und vor allem durch das ZusammenfUhren mit anderen Datensammlungen zu einem "Persönlichkeitsbild" kombiniert werden könnten, ohne daß der Betroffene die Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren könne. Angesichts dieser besonderen Gefährdungen sei der Gesetzgeber bei - unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen - Einschränkungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts verpflichtet, "mehr als früher auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken"83 • Inwieweit er danach speziell im Falle zwangsweise erhobener Daten zum Erlaß ganz bestimmter datenschutzrechtlicher Regelungen von Verfassungs wegen gezwungen sei, hänge von Art, Umfang und denkbaren Verwendungen der erhobenen Daten sowie der Gefahr ihres Mißbrauchs ab 84 • An dieser Stelle des Urteils zählt das Gericht eine Reihe von Maßnahmen auf, die ihm "nach dem bisherigen Erfahrungs- und Erkenntnisstand... bedeutsam" erscheinen, nämlich vor allem gesetzliche Zweckbindung der Daten, Weitergabe- und Verwertungsverbote sowie Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten. Es beschließt diesen Teil seiner Ausruhrungen mit der Feststellung: "Wegen der ftlr den Bürger bestehenden Undurchsichtigkeit der Speicherung und Verwendung von Daten unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung und auch im Interesse eines vorgezogenen Rechtsschutzes durch rechtzeitige Vorkehrungen ist die Beteiligung unabhängiger Datenschutzbeauftragter von erheblicher Bedeutung fiir einen effektiven Schutz des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung."85 In der zweiten Hälfte der Entscheidungsgründe geht das BVerfG konkret auf die mit der Volkszählung 1983 verbundenen Rechtsfragen ein und gelangt hierbei zu dem Ergebnis, das gesetzlich vorgesehene Erhebungsprogramm genüge zwar an sich den verfassungsrechtlichen Anforderungen, bedürfe jedoch zur Sicherung des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung über die bereits geltenden Vorschriften hinaus "noch ergänzender verfahrensrechtlicher Vorkehrungen fiir Durchftlhrung und Organisation der Datenerhebung"86 • Der Gesetzgeber brauche hinsichtlich der zusätzlich erforderlichen Sicherungsvor-
83
BVerjGE 65, I (44).
84
BVerjGE 65, I (45 f.).
85
BVajGE 65, I (46).
86
BVerjGE 65, I (58).
184
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
kehrungen zwar nicht alles selbst zu regeln, müsse jedoch "dafilr sorgen, daß das Notwendige geschieht"87 • Im folgenden erläutert das Gericht, welche einzelnen Maßnahmen noch "geboten" seien, "um filr die Volkszählung verfassungskonforme Bedingungen der Datenerhebung und -Verarbeitung zu gewährleisten". Hierzu gehört seiner Ansicht nach auch, daß die Handhabung der- in der damaligen Fassung zum Teil als Soll-Bestimmung ausgestalteten - Vorschriften über die gesonderte Aufbewahrung und frühestmögliche Löschung von Identifizierungsmerkmalen (§ 11 VII BStatG a.F. 88) "nicht allein dem Ermessen der Verwaltung überlassen bleiben" dürfe; insoweit sei vielmehr "eine effektive Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten notwendig"89 •
2. Die Kammerbeschlüsse zur Volkszählung 1987 Während in dieser ersten Volkszählungsentscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1983 bei der Frage, wie ein insgesamt verfassungsgemäßer Vollzug des Gesetzes zu gewährleisten sei, noch mit keinem Wort auf die Rechtsschutzfunktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit eingegangen wurde, lassen die beinahe vier Jahre später zum neugefaßten Volkszählungsgesetz 198790 ergangenen Beschlüsse der I. Kammer des Ersten Senats91 insoweit eine nicht unbeträchtliche Akzentverschiebung erkennen, die sich zumindest mittelbar auch auf die von dem Gericht zuvor betonte Rolle der Datenschutzbeauftragten auswirkt. Zwar hält die Kammer etwa in ihrer Entscheidung vom 24. 9. 1987 daran fest, daß der Gesetzgeber gemäß den im Volkszählungsurteil vom 15. 12. 1983 konkretisierten Grundsätzen den Schutz der informationeilen Selbstbestimmung durch Vorkehrungen insbesondere auch verfahrensrechtlicher Art "zuverlässig sicherzustellen" habe92• Der daraus abgeleiteten Forderung der nunmehrigen Beschwerdeführer nach einer strafgesetzliehen Sanktionierung von Verfahrensverstößen halten aber die Verfassungsrichter entgegen, etwaige Unregelmä-
87
BVerfGE 65, I (59).
Gesetz über die Statistik filr Bundeszwecke i. d. f.vom 14. 3. 1980 (BGBI. I S. 289); vgl.jetzt die präzisierte Fassung in § 12 BStatG v. 22. I. 1987 (BGBI. I S. 462). 88
89
BVerjGE 65, I (60).
90
G. vom 8. II. 1985, BGBI. I S. 2078.
An diesen Entscheidungen beteiligt waren zumeist die Verfassungsrichter Herzog, Niemeyer und Heußner. 91
92
BVerjG, NJW 1987, 2805 (2.a).
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
185
ßigkeiten oder Rechtsverstöße beim Vollzug berührten nicht die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes selbst. Da es insoweit nicht um den Inhalt der gesetzlichen Vorschriften, sondern allein um deren Handhabung gehe, sei es vornehmlich Aufgabe der Fachgerichte, die Auskunftspflichtigen "gegen... unberechtigte Eingriffe in ihr Recht auf informationeile Selbstbestimmung zu schützen und ihren Anspruch auf eine tatsächlich wirksame Kontrolle zu verwirklichen"93 . In Anknüpfung an die früheren Aussagen des Ersten Senats wird die kontrollierende Beteiligung unabhängiger Datenschutzbeauftragter bei der DurchfUhrung der Volkszählung zwar in diesem neueren Kammerbeschluß wiederum an insgesamt drei Stellen erwähnt94. Jedesmal stehen dabei jedoch nicht sie selber im Vordergrund der Aussage, sondern in einem Falle die datenschutzrechtliche Eigenverantwortung der gesetzesvollziehenden Behörden95 und in den beiden übrigen Fällen die individualrechtsschützende Funktion der Verwaltungsgerichte96. Insbesondere letztere werden von den Verfassungsrichtern durch detaillierte Hinweise dazu angehalten, die aus der Sicht des einzelnen Bürgers oft bestehende Undurchschaubarkeil staatlicher Datenverarbeitungsvorgänge prozessual auszugleichen durch entsprechend herabgesetzte Anforderungen an das klagebegründende Vorbringen sowie durch volle Aufklärung verwaltungsinterner Maßnahmen und eine uneingeschränkte Nachprüfung unbestimmter Rechtsbegriffe97.
3. Der Senatsbeschluß zur Strategischen Fernmeldeüberwachung Von einem staatlichen Informationseingriff besonderer Art, bei dem die Betroffenen nicht nur aus (organisations-)technischen, sondern auch aus (Staatsschutz-)rechtlichen Gründen an einer Einblicknahme und darüber hinaus sogar am Beschreiten des Rechtswegs gehindert sind, handelt der Beschluß des
93
BVerjG, NJW 1987, 2805 (2.b).
BVerfG, NJW 1987, 2805 (2806 f.): "kontrolliert auch durch die unabhängigen Datenschutzbeauftragten", "neben den unabhängigen Datenschutzbeauftragten", "Aufgabe der zu beteiligenden unabhängigen Datenschutzbeauftragten". 94
95
BVerjG, NJW 1987, 2805 (2806, 2.c).
BVerjG, NJW 1987, 2805 (2807, 2.d); insoweit wortgleich wiederholt in einem vier Tage später erlassenen Beschluß derselben Kammer des Ersten Senats (veröffentlicht in NJW 1988, 962). 96
97
BVerjG, NJW 1987, 2805 (2807, 2. d).
186
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
BVerfG vom 20. 6. 198498 zur "Strategischen Kontrolle der Post- und Fernme1deverkehrsbeziehungen" nach § 3 G 1099. Der auch fUr dieses Sachgebiet zuständige Erste Senat nimmt darin - gerade ein halbes Jahr nach Verkilndung seines Volkszählungsurteils - erneut die Gelegenheit wahr, sich zur Aufgabe und Funktion unabhängiger Datenschutzbeauftragter zu äußern. Zunächst geht es hierbei um die Frage, ob die den Nachrichtendiensten in § 3
I G 10 unter bestimmten Voraussetzungen zugestandene Möglichkeit, durch ein
generelles Mitlesen von Briefsendungen bzw. Mithören von Telefongesprächen verteidigungspolitisch relevante Sachinformationen zu gewinnen, in der Praxis mißbraucht wird, um etwa gezielt im Sinne einer Einzelüberwachung oder aus Gründen der inneren Sicherheit personenbezogene Erkenntnisse zu sammeln oder solche Erkenntnisse - nachdem sie zuflillig angefallen sind - unter Mißachtung von § 3 II G 10 weiterzugeben. Das Gericht kommt zunächst zu dem Ergebnis, daß es dafür keine erkennbaren Anzeichen gebe; die strategische Überwachung sei schon aufgrund einiger Besonderheiten im technischen und rechtlichen Verfahrensablauf nicht geeignet, gezielt Anhaltspunkte über bestimmte Personen zu sarnmeln 100 • Der Feststellung, daß der einzelne Bürger von den durchgefiihrten Maßnahmen nichts erfahre und daher daran gehindert sei, "die Verwendung und Verwertung der... gewonnenen Daten selbst zu kontrollieren", fiigen die Verfassungsrichter sodann die folgende Aussage hinzu: "Nach den Berichten des Bundesbeauftragten filr den Datenschutz hält sich indessen die Weitergabe personenbezogener Angaben, die bei Überwachungsmaßnahmen nach § 3 I G 10 zuflillig gewonnen worden sind, streng im Rahmen des§ 3 II G 10 (vgl. Zweiter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten fiir den Datenschutz vom 18. 1. 1980 [BT-Dr 8/3570, S. 50]; Dritter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten fiir den Datenschutz vom 9. 1. 1981 [BT-Dr 9/93, S. 55]). n!OI
98
BVerjGE 67, 157.
G. zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Art. 10 Grundgesetz- G 10) v. 13. 8. 1968, BGBI. I S. 949. - Die Entscheidung des BVerjG betraf§ 3 G 10 in seiner ursprünglichen Fassung. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. 10. 1994 (BGBI. I S. 3186) hat das Anwendungsfeld der Vorschrift um verschiedene Bereiche grenzüberschreitender Kriminalität erweitert (§ 3 I 2 Nr. 2-6) und dabei einen ganzen Katalog spezieller Datenschutzbestimmungen angefllgt (§ 3 11-X). 99
100
BVerjGE 67, 157 (180 ff.).
101
BVerjGE 67, 157 (183).
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
187
Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Maßnahmen der Strategischen Fernmeldeüberwachung den Betroffenen zumindest nach Beendigung mitzuteilen, wird im nachfolgenden Abschnitt der Entscheidungsgründe vom BVerfG ausdrücklich verneint. Zur Rechtfertigung dieses Standpunkts beruft sich der Senat auf Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des G 10, auf technische Hindernisse sowie auf die Befürchtung, der mit der Anwendung des § 3 G 10 verfolgte nachrichtendienstliche Zweck werde selbst bei einer nachträglichen Offenlegung vereitelt oder jedenfalls gefährdet102. "Verfassungsrechtlich hingenommen" werden könne allerdings die fehlende Benachrichtigung "bei der hohen Bedeutung der Grundrechte sowohl als Abwehrrechte des einzelnen als auch als objektive Prinzipien der gesamten Rechtsordnung nur deshalb, weil die Kontrolle der Maßnahmen der strategischen Überwachung durch unabhängige und an keine Weisungen gebundene staatliche Organe und Hilfsorgane (Kontrollkommission [§ 9 IV G 10] und Datenschutzbeauftragte) sichergestellt ist (BVerfGE 30, 1 [23, 31 ]; BVerfGE 65, 1 [46])" . 103
111. Das Für und Wider im Schrifttum
Die mehrfache Erwähnung der Datenschutzbeauftragten durch das höchste deutsche Gericht hat in der staatsrechtlichen Literatur einen vielfachen Widerhall gefunden. Darin lassen sich, ungeachtet einzelner Zwischentöne, zwei höchst unterschiedliche Grundauffassungen erkennen. Für den einen - zahlenmäßig größeren - Teil der Stellungnahmen enthalten die oben wiedergegebenen Entscheidungspassagen eine eindeutige "verfassungsrechtliche Festschreibung" 104 der Position der Datenschutzbeauftragten. Das Gericht habe sie als ein "kraft der Verfassung notwendiges Element des Grundrechtsschutzes"105 anerkannt und damit "dem Zugriff des einfachen Gesetzge102 BVerjGE 67, 157 (183 ff.). -Seit der Novellierung der Vorschrift im Jahr 1994 (vgl. oben, Fn. 99) sieht § 3 VIII eine nachträgliche Mitteilung grundsätzlich vor. 103
BVerjGE 67, 157 (185).
104 So Mückenberger, KritJ 1984, 1 (18); vgl. auch Pod/ech, Leviathan 12 (1984), 85 (93 f.): "ftlr verfassungskräftig erklärt"; Simitis, NJW 1984, 398 (403): "verfassungsrechtlicher Auftrag"; Meydam, DuD 1985, 12 (16): "verfassungsrechtliche Sanktionierung"; Tinnefeld/Ehmann, CR 1989, 637 (639 ff.): "Verfassungsauftrag".
Jos So die Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504 (506); ebenso R. Baumann, DVBI. 1984, 612 (619); ähnlich Simitis!Walz, RDV 1987, 157 (165); etwas zurückhaltender insoweit Bu/1, Datenschutz, 32: Der Staat müsse "Kontrollinstanzen und -mechanismen einrichten und pflegen".
188
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
bers entzogen" 106• Hieraus ergäben sich einerseits konkrete Folgerungen für die Auslegung der bislang geltenden Bestimmungen über den Kontrollbereich und Kontrollumfang 107, andererseits aber auch detaillierte verfassungsrechtliche Direktiven für eine verbesserte gesetzliche Ausstattung und Absicherung der Institution des Datenschutzbeauftragten108 sowie für bereichsspezifische Einzelregelungen über dessen frühzeitige Beteiligung bei besonders gefahrenträchtigen Verwaltungshandlungen 109 und bei der Vorbereitung von Gesetzesentwürfen 110• Als ihren Kronzeugen können die Vertreter dieses Standpunkts einen unmittelbar an den Entscheidungen Beteiligten benennen. Bereits wenige Monate nach Verkündung des Urteils zur Volkszählung 1983, bei dem er als Berichterstatter tätig geworden war, hat nämlich der damalige Verfassungsrichter Heußner in Form eines Aufsatzes seine Ansichten über "Das informationeile
106 So Steinmüller, DuD 1984, 91 (94); ähnlich Dammann, ÖVD 1184, 51 (54); Birke/bach, Frankfurter Rundschau v. 31. 3. 1984, S. 10; bezogen auf das Anrufungsrecht des Bürgers(§ 21 BDSG) auch Denninger, in: Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat, 310. Die Bindungswirkung nach§ 31 I BVerfGG betont Wippermann, DÖV 1994, 929 (930 f.). 107 S. insbesondere Similis, NJW 1984, 398 (403); ders., CR I987, 602 (610 f.); ders.!Walz, RDV 1987, 157 (165 ff.); Gola, NJW 1984, 1155 (1157); Konferenz der Datenschutzbeauftragen, DÖV 1984, 504 (506); VGH Kassel, NVwZ 1988, 643 (647); Riegel, DÖV 1985, 314 (317 f.); ders., DuD 1988, 277 (281) u.ö.
108 Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504 (506): "Maßregelungs- und Benachteiligungsverbot"; R. Baumann, DVBI. 1984, 612 (619): "rechtliche und haushaltsmaßige Absicherung der Arbeitsbedingungen"; Mückenberger, KritJ 1984, I (I8); Lennartz, CR 1988, 686 (691): Verbot kontrollfreier Räume; Tinnefeld, CR 1989, 43 (47): Einbeziehung von Akten und internen Dateien; dies./Ehmann, CR 1989, 637 (640): Befugnis zur Einleitung von Straf- und Disziplinarverfahren, eigene Personal- und Sachhoheit, Status als oberste Bundesbehörde, ParlamentswahL Vgl. auch Similis, CR 1987, 602 (610), der aus dem Volkszählungsurteil die Folgerung ableitet, auch die zur "Kontrolle" (besser: Aufsicht) im nicht-öffentlichen Bereich (Privatwirtschaft) bestellten Behörden mUßten von Verfassungs wegen regierungsunabhängig sein (hierzu krit. Weise, DuD 1988, 171 [174 f.]); sowie Däubler, Gläserne Belegschaften, Rn. 319, 330 f., mit der Forderung nach unabhängigen betrieblichen Datenschutzbeaufuagten. 109 So etwa Denninger, KritJ I985, 215 (239), zur Rasterfahndung; Hauck-Scholz, NJW 1987, 2769 (2776), zur Volkszählung; vg1. auch 7. TB des B.fD, BT-Dr 1012777, S. 91; R. Baumann, DVBI. 1984, 612 (619); Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DÖV 1984, 504 (506), jeweils bezüglich technischer Planungen auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung; allg. Burba, DuD 1992, 507 f. Nach Geiger, DVBI. 1990, 748 (751 ), sollen bestimmte behördliche Verfahrensweisen und Verfahrensvorschriften künftig sogar der Zustimmung des Beaufuagten bedürfen.
11° Konferenz der Datenschutzbeauftragten, vorige Fn., 506; R. Baumann, vorige Fn., 619; Dammann (Fn. 78), 52.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
189
Selbstbestimmungsrecht in der Rechtsprechung des BVerfG" 111 nochmals erläutert und dabei die gerichtlichen Ausfiihrungen zur Bedeutung unabhängiger Datenschutzbeauftragter ausdrücklich in einen Zusammenhang gebracht mit dem von ihm selbst und anderen Autoren schon früher 112 mehrfach unmittelbar aus der Verfassung abgeleiteten Gebot einer unabhängigen Fremdkontrolle des Datenschutzes 113 • Ob diese von Richterseite nachgeschobene Erklärung allerdings den Rang einer gleichsam authentischen Interpretation der Verfassungsrechtsprechung beanspruchen kann oder eher umgekehrt einen im Senat in dieser Form nicht mehrheitsfliliigen Standpunkt markiert 11 \ muß hier wie auch in ähnlichen Fällen letztlich offenbleiben 115 • Ein auch aus wissenschaftssoziologischer Sicht aufschlußreiches Phänomen der Diskussion um das Datenschutzverständnis des BVerfG liegt in jedem Falle darin, daß die Verfechter der These von der verfassungsrechtlichen (und verfassungsgerichtlichen) Festschreibung unabhängiger Datenschutzorgane beinahe ausnahmslos in besonderer Weise fiir den Datenschutz engagiert sind oder waren, z.B. in der Funktion eines hauptamtlichen Datenschutzbeauftragten bzw. als dessen Mitarbeiter116, durch langjährige wissenschaftliche Spezialisierung auf dieses Rechtsgebiet117 oder auch aufgrund einer unmittelbaren Beteiligung an den damaligen Volkszählungsprozessen vor dem BVerfG 118 • Demgegen-
111
Heußner, Sgb 1984, 279 ff.
112
Vgl. oben, 1., insbes. bei Fn. 69 ff.
113 Heußner, Sgb. 1984, 279 (284 m. w. N.). Deutlicher als früher verweist nunmehr auch Heußner auf die kompensatorische Funktion der Beauftragten in den Fällen einer rechtsschutzverkürzenden Auskunftsverweigerung seitens der Behörde. 114 Die nur mit 5 gegen 3 Richterstimmen beschlossene einstweilige Anordnung (BVerjGE 64, 67) sowie einige unklare Passagen in der Begründung des Urteils vom 15. 12. 1983 lassen allgemein vermuten, daß unter den damals beteiligten Senatsmitgliedern nicht in allen angesprochenen Fragen Konsens bestand; vgl. auch Mückenberger, KritJ 1984, I (19, 21 ff.). 11 ' Zu den Problemen einer nachträglichen Erläuterung von Gerichtsentscheidungen durch beteiligte Richters. filr den hier vorliegenden Fall Benda, DuD 1984, 86; allgemein Hager, ZBR 1990, 311 (317) mit dem zutreffenden Hinweis auf das Beratungsgeheimnis, das freilich filr Verfassungsrichter angesichts des Rechts zur dissenting opinion nur eingeschränkt gilt. 116
R. Baumann, Birke/bach, Bull, Dammann, Meydam, Lennartz, Riegel, Similis.
Namentlich Similis, Podlech, Steinmüller, Heußner, Gola, Denninger, Tinnefeld, Ehmann. Andersjedoch H Fiedler, CR 1989, 131 (136). 117
118 Neben den Datenschutzbeauftragten als Sachverständigen nahmen filr die Beschwerdefilhrer u.a. Podlech und Steinmüller sowie als Bevollmächtigte Hauck-Scholz und Mückenherger am Verfahren teil.
190
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
über stammen die - insgesamt weniger zahlreichen - Bewertungen mit skeptisch-zurückhaltender bis ablehnender Grundtendenz fast sämtlich von solchen Autoren, die persönlich in einer weniger engen Beziehung zum Datenschutz stehen. Nach ihrem Verständnis sind die verschiedenen Bemerkungen des Ersten Senats zur Rolle der Datenschutzbeauftragten schon mangels näherer verfassungsrechtlicher Begründung als bloße obiter dicta anzusehen 119, denen somit keinerlei rechtliche Bindungswirkung (§ 31 I BVerfGG) 120, sondern allenfalls eine verfassungspolitische (Signal-) Bedeutung121 zukommen könne. Da Status und Zuständigkeiten der Datenschutzorgane, anders als beim Wehrbeauftragten und bei der G 10-Kommission, nicht schon im Grundgesetz, sondern lediglich im einfachen Gesetzesrecht angelegt seien 122, woran sich auch nach den erwähnten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen nichts geändert habe 123 , bleibe es dem Gesetzgeber weiterhin freigestellt, in welcher organisations- und verfahrensrechtlichen Form er seiner generellen Verpflichtung zum Schutz der informationeilen Selbstbestimmung nachkommen wolle 124• In der Tat läßt sich die Frage nach einer eventuellen Verfassungsgarantie der unabhängigen Datenschutzkontrolle nicht bereits durch den Hinweis auf einzelne Formulierungen in höchstrichterlichen Entscheidungen abschließend beantworten. Sollte tatsächlich eine zwingende Verpflichtung zur Einführung bzw. Beibehaltung der Institution der Datenschutzbeauftragten bestehen, so müßte sich diese nicht (nur) aus der Verfassungsrechtsprechung, sondern unmittelbar aus der Verfassung belegen lassen. Hierfür kommen nach heutigem
119 So vor allem Schenke, NJW 1987, 2777 (2785); ahnlieh Flanderka, Der Bundesbeauftragte, 76 ff. Für das G 10: C. Arndt, NJW 1985, 107 (110); ihm folgend Bargs/Ebert, Geheimdienste, G 10, § 9 Rn. 19 a. E.
120 Vage/gesang, Informationelle Selbstbestimmung, 88; ders., VA 78 (1987), 81 (86 Fn. 18); eine rein "tatsächliche Bindungswirkung" unterstellt dagegen Busch, DVBI. 1984, 385 (388). 121 Vgl. Berkemann, JR 1984, 185 (186); von "quasi-konstitutionellen Weihen" spricht Busch (vorige Fn.), 388. 122 Berkemann (vorige Fn.), 186; Vage/gesang, Informationelle Selbstbestimmung, 82; ders., VA 78 (1987), 81 (85); Busch, 388; vgl. auch Pitschas/Au/ehner, NJW 1989, 2353 (2355): "verfassungsunbenannte Kontrollorgane". 123 Krause, JuS 1984, 268 (272): "keine verfassungsrechtlich gewahrleistete Institution"; Schalz/ Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 45 f.: keine "konstitutionelle Verankerung" bzw. "verfassungsinstitutionelle Gewährleistung"; ebenso Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 2 BVerfSchG, Rn. 24 (bei Fn. 31); Badura, in: BT-Anhörung BDSG 1986, 418. 124 Vage/gesang, Informationelle Selbstbestimmung, 82 f.und 185 ff.; ders., VA 78 (1987), 85 f.; Schalz/Pitschas (vorige Fn.), insbes. 47, 148 f.; ahnlieh H Fiedler, CR 1989, 131 (136); Heinzelmann, Die DatenUbermittlung, 150m. Fn. 31.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
191
Verständnis nur zwei positivrechtliche Anknüpfungspunkte ernsthaft in Betracht, nämlich der - vor allem im älteren Schrifttum vielfach anklingende - allgemeine Rechtsschutzanspruch gemäß Art. 20 III i. V. m. Art. 19 IV GG (unten IV.) und das - durch die Volkszählungsjudikatur neuerdings in den Vordergrund getretene - Recht auf informationeile Selbstbestimmung (Art. 2 I i. V. m. Art. I I GG) in seiner Funktion als grundrechtliche Verfahrensgarantie (unten V.). Allein um diese beiden Aspekte geht es daher in der nachfolgenden Untersuchung, wobei zunächst auf diejenigen exekutivischen Tätigkeitsfelder und Tätigkeitsformen näher eingegangen werden soll, für die aufgrund sachlicher Besonderheiten ein erhöhter datenschutzrechtlicher Kontrollbedarf geltend gemacht wird.
IV. Die allgemeine Rechtsweg- und Rechtsschutzgarantie
Das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 IV GG gewährleistet nach allgemeiner Ansicht neben dem formellen Recht auf Zugang zu einem staatlichen Gericht auch den Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle125 • Ausgehend von diesem doppelten Garantiegehalt lassen sich drei Problemkonstellationen unterscheiden, in denen der ursprUnglieh nur einfachgesetzlich begründeten Rechtskontrolle durch den unabhängigen Datenschutzbeauftragten eine verfassungsrechtlich unverzichtbare Auffangfunktion zukommen könnte: bei gesetzlichem Ausschluß des Rechtswegs (I.), bei faktischer Verhinderung einer gerichtlichen Überprüfung durch Geheimschutzvorschriften (2.) und schließlich bei wesentlicher Erschwerung der individuellen Rechtsverfolgung aufgrund sachlich-technischer Besonderheiten im Bereich der staatlichen Datenverarbeitung (3.). Eine genauere Untersuchung ergibt aber, daß bestehende Rechtsschutzdefizite in allen drei Fällen mit ganz anderen, den Intentionen der Verfassung eher entsprechenden Mitteln ausgeglichen werden müssen (und auch können) als durch die Einschaltung der datenschutzrechtlichen Kontrollbehörde.
m BVerjGE 35,263 (274), 382 (401); 41 , 23 (26); 44,302 (305); 46, 166 (178); 50, 26 (30); 53, 115 (127); 54,94 (96), 277 (291); 57,9 (22); 61,82 (II!); 64,261 (279); 65, I (70); zuletztNJW 1991, 415 (416), 2005 (2006); aus dem Schrifttums. vor allem Lorenz, Rechtsschutz, !50 f., 262; ders. , AöR 105 (1980), 625 (634 ff.).
192
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
1. Der gesetzliche Ausschluß des Rechtswegs nach dem G 10 Der in Art. I9 IV GG grundsätzlich lückenlos gewährleistete Zugang zu den Gerichten erleidet seine einzige echte Ausnahme126 durch die in Satz 3 dieser Vorschrift enthaltene, erst 1968 im Rahmen der Notstandsverfassung eingefilgte127 Verweisung auf die damals ebenfalls neugeschaffene Sonderbestimmung des Art. I 0 II 2 GG. Hiernach ist es dem einfachen Gesetzgeber von Verfassungs wegen freigestellt, bei Beschränkungen des Brief-, Post- und Femmeldegeheimnisses, welche dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes dienen, "an die Stelle des Rechtswegs die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Unterorgane" treten zu lassen. Von dieser Ermächtigung wurde auf Bundesebene schon im seihen Jahr unmittelbar im Anschluß an die Verfassungsänderungen zu Art. 10 II und I9 IV GG Gebrauch gemacht. Das damals ergangene sogenannte G I0 128 schließt in § 9 VI eine Anrufung der Gerichte gegen die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen und ihren Vollzug zunächst förmlich aus; erst wenn nach Einstellung einer Maßnahme deren ursprünglicher Zweck durch eine Offenlegung nicht mehr gefahrdet werden kann, ist dem Betroffenen- wie vom BVerfG im sog. Abhörurteil gefordert129 - grundsätzlich Mitteilung darüber zu machen (§§ 3 VIII, 5 V I u. 2) und wird zugleich der Rechtsweg wiedereröffnet (§ 5 V 3), der freilich nur noch zu einer nachträglichen Feststellung über die Rechtswidrigkeit der Maßnahme fUhren kann 130• Als Ausgleich filr diese insgesamt erhebliche Einschränkung des Art. 19 IV GG sieht das Gesetz neben einem filnfköpfigen Abgeordnetengremium mit vorwiegend politischer Kontrollfunktion (§ 9 I) auch eine von diesen Parlamentariern berufene unabhängige und weisungsfreie Dreierkommission vor, die über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Eingriffsmaßnahmen - meist bereits vor deren Vollzug - von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden verbindlich entscheidet (§ 9 11-IV).
126 Von den Besonderheiten des Wahlprüfungsverfahrens {vgl. Art. 41 GG) soll hier abgesehen werden. 127
G. vom 24. 6. 1968, BGBI. I S. 709.
128
G. vom 24. 6. 1968, BGBI. I S. 949.
Die in BVerjGE 30, I (21, 31 f.) mit RUcksicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorgenommene zeitliche Beschränkung des Rechtswegausschlusses ist erst acht Jahre später in das G 10 ausdrücklich aufgenommen worden (G. v. 13. 9. 1978, BGBI. I S. 1546). 129
130
Vgl. OVG Münster, NJW 1983, 2346 ff.; BVerwG NJW 1991, 581 ff.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
193
Die vom verfassungsändernden Gesetzgeber vorgenommene Substitution der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle durch ein besonders geregeltes Zulassungs- und Prüfungsverfahren hat der Zweite Senat des BVerfG in seinem zur Personenüberwachung nach § 2 G 10 ergangenen Urteil vom 15. 12. 1970 131 mehrheitlich gebilligt. Vom Fehlen weiterer Kontrollinstitutionen war damals selbst bei den zahlreichen Kritikern der Entscheidung noch keine Rede. Dagegen scheinen nunmehr der Erste Senat 132 und mit ihm bestimmte Teile des Schrifttums 111 zusätzlich zur Tätigkeit der G 10-Kommission auch die fortlaufende Kontrolle durch den auf Bundesebene erst 1977 (in den meisten Ländern sogar noch später) eingefilhrten Datenschutzbeauftragten fiir verfassungsrechtlich geboten zu halten- zumindest im (an sich weniger grundrechtssensiblen) Sonderbereich der Strategischen Fernmeldeüberwachung (§ 3)13\ wo eine nachträgliche Unterrichtung der Betroffenen nach bisherigem Gesetzesverständnis nicht vorgesehen gewesen ist und nach der Entscheidung des BVerfG auch in Zukunft nicht erforderlich sein wird 135 • Während das Gericht seine Vorstellung von einem verfassungsrechtlichen Mandat der Datenschutzbeauftragten in diesem Zusammenhang nur mit einem allgemeinen Hinweis auf die Bedeutung der Grundrechte erläutert 116, hat Riegel die Notwendigkeit einer Ergänzung der im G 10 vorgesehenen Rechtskontrollen eingehender zu begründen versucht 137 • Nach seiner Einschätzung
131
BVerjGE 30, I mit Sondervotum Geiler, v.Schlahrendorffund Rupp.
132
BVerjGE 67, 157 (185), s.o., II. 2.
m Vor allem Riegel, DÖV 1985, 314 (317); ders., ZRP 1987, 431 (434, 436); ders., RiA 1988, 142 (145, 147); vgl. auch BJD, 7. TB, BT-Dr 1012777, S. 79 f.; ders., 9. TB, BT-Dr 10/6816, S. 79. 134 Entgegen der Auffassung Riegels (DÖV 1985, 314, 317) kann sich eine von der Entscheidung BVerjGE 67, !57 (185) möglicherweise ausgehende Bindungswirkung gemäß § 31 BVerfGG (dazu im Text unten) von vomherein nur auf Maßnahmen nach § 3 G I 0 und demzufolge auch nur auf den Datenschutzbeauftragten des Bundes beziehen (so auch Beier, Geheime Überwachungsmaßnahmen, 206 Fn. 112). Die Verwendung des Plurals "Datenschutzbeauftragte" im Text des Beschlusses läßt freilich vermuten, daß nach Vorstellung des Senats (vgl. auch BjD, 7. TB, BT-Dr 1012777, S. 79 f.) die gleichen Anforderungen auch ftlr die Kontrolle der Personenüberwachung gelten sollen, die zu einem Teil in die Zuständigkeit der Länder fllllt (§§ 4 II Nr. I b, 5 I, IV und 9 V G 10). 135 BVerjGE 67, 157 (183 ff.); hierzu kritisch Riegel, DÖV 1985, 314 (315); ders., ZRP 1987, 431 (435); ders., RiA 1988, 142 (147); zustimmend dagegen C. Arndt, NJW 1985, 107 (110). 136
BVerjGE 67, 157 (185).
Riegel, DÖV 1985, 314 (317); ders., RiA, 1988, 142 (145, 147); vgl. auch dens., RiA 1985, 265 (269); DuO 1988,277 (281); ZRP 1991 , 392 (393 f.); Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden (2. Aufl.), 177, u.ö. 131
13 Zöllner
194
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
hat die G 10-Kommission weder die Möglichkeit noch die Mittel, die vielfältigen und insbesondere auch technischen Aspekte der Datenverarbeitung bei den Nachrichtendiensten zu prüfen 138 • Ihren Mitgliedern fehle überdies wegen des eng begrenzten Kontrollausschnitts der Überblick über die bestehenden Informationsbeziehungen zwischen den Diensten und den Polizeibehörden. Dagegen verfügten die auf den Sicherheitsbereich spezialisierten Mitarbeiter der Datenschutzbeauftragten sowohl über die nötige Querschnittszuständigkeit als auch wie Riegel aufgrund eigener langjähriger Kontrollpraxis feststellt 139 - über das erforderliche Querschnittswissen, um die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen des G 10 zuverlässig überprüfen zu können 140• Ob damit die Kontrollkapazitäten der beiden angesprochenen Organe in jeder Hinsicht zutreffend beschrieben sind und ob insbesondere bei der G 10-Kommission die unterstellten Kontrolldefizite tatsächlich bestehen, kann und muß hier nicht näher untersucht werden 141 • Selbst wenn sich nämlich eindeutig feststellen ließe, daß etwa unzureichende Kompetenzen oder fehlende Sachmittel und Sachkenntnis die Kommission an einer ausreichenden Erftlllung ihres grundgesetzlich umschriebenen Auftrags (Art. 10 II 2 GG) hinderten, ergäbe sich daraus noch keineswegs das von Riegel behauptete und offenbar auch vom BVerfG angenommene Verfassungsgebot einer ergänzenden Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten. Rechtsfolge wäre in einem solchen Falle vielmehr die Verfassungswidrigkeit entweder (nur) der im G 10 enthaltenen Vorschriften über die Ersetzung des gerichtlichen Rechtsschutzes oder sogar (auch) der Ermächtigungsnorm des Art. 10 li 2 GG, falls bereits darin der Ursprung der Kontrollmängel begründet läge. Dieses Ergebnis folgt zwingend aus dem anerkannten Grundsatz, daß der in Art. 19 IV GG gewährleistete Zugang zu den staatlichen Gerichten selbst von einem verfassungsändernden Gesetzgeber nicht nach freiem Ermessen, sondern
138
Riegel, DÖV 1985,314 (317), unter Hinweis aufden 3. TB des BjD, BT-Dr 9/93, S. 48.
139
Riegel war bis 1985 Abteilungsleiter beim BjD, vgl. CR 1986, 518.
140
Riegel, DÖV 1985,314 (317).
Kritisch gegenober den Ausruhrungen Riegels insbes. Borgs/Ebert, Geheimdienste,§ 9 G 10 Rn. 19, unter Hinweis auf die fast 20-jährige Prüfungserfahrung einzelner Kommissionsmitglieder; 141
vgl. auch C. Arndt, in: BMI (Hrsg.), Verfassungsschutz und Rechtsstaat, 56, der aus seiner Sicht als langjähriger Vorsitzender der Kommission deren Kontrolle filr intensiver hält als jede gerichtliche Kontrolle; ähnlich wie Riegel dagegen Gusy, NJW 1981, 1581 f.; Schuppert, in: AK GG, Art. 10 Rn. 49.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
195
allenfalls 141 unter ganz bestimmten engen Voraussetzungen beschränkt werden darf. Wegen der Verankerung des Rechtsschutzgedankens im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) 143 muß, wie das BVerfG im Urteil vom 15. 12. 1970 ausgefilhrt hat, an die Stelle des gesetzlich ausgeschlossenen Rechtswegs eine Form der Nachprüfung treten, die materiell und verfahrensmäßig der gerichtlichen Kontrolle gleichwertig, insbesondere ebenso wirkungsvoll ist 144 • Nicht ausreichend wäre hiernach also ein bloß quantitativer Ausbau der außergerichtlichen Kontrollverfahren und -institutionen, selbst wenn diese sich in ihren jeweiligen Wirkungsdefiziten wechselseitig ausgleichen und damit "in der Summe" ein ausreichend hohes Kontrollniveau garantieren sollten. Anstatt auf solche Kompensations- und Kumulationseffekte zu vertrauen, muß bereits der verfassungsändernde Gesetzgeber filr ein den Gerichten qualitativ ebenbürtiges, mit eigenen Mitteln "kontrollfähiges" Rechtsschutzorgan sorgen 145 • Ganz im Sinne dieses rechtsstaatliehen Junktims hat auch die Senatsmehrheit im Abhörurteil vom 15. 12. 1970 versucht, den geänderten Art. 10 II 2 GG "verfassungskonform" auszulegen und ihn damit vor dem Verdikt eines Verstoßes gegen Art. 79 III GG zu bewahren. Das BVerfG entnimmt dem neugefaßten Grundgesetzartikel die- von Wortlaut und Entstehungsgeschichte freilich kaum mehr gedeckte 146 - Aussage, "daß das zu seiner Ausfilhrung ergehende Gesetz unter den von der Volksvertretung zu bestellenden Organen und Hilfsorganen ein 147 Organ vorsehen muß, das in richterlicher Unabhängigkeit und filr alle an der Vorbereitung, verwaltungsmäßigen Entscheidung und Durchfilhrung der Überwachung Beteiligten verbindlich über die Zulässigkeit der
142 Die Senatsminderheit im Abhörurteil (BVerjGE 30, I, 33 ff.) und Teile des Schrifttums (Nachweise bei Hendrichs, in: v.Münch, GG, Bd. I, Art. 19 Rn. 56; Pappermann, ebda., Art. 10 Rn. 33) rechnen die Rechtsweggarantie sogar zum änderungsfesten Kernbestand nach Art. 79 III GG (krit. hierzu Bettermann, AöR 96 [1971], 528 [563 ff.]). 143
Vgl. vor allem Lorenz, Rechtsschutz, 12 ff., 149.
BVerjGE 30, I (23 u. Leitsatz 4); vgl. auch Lorenz, Rechtsschutz, 146 f. : gerichtsähnlicher Rechtsschutz; Flanderka, Bundesbeauftragter, 121 ff.; aUgemein Krebs, Kontrol!e, 222: Ein funktionsäquivalenter Austausch einer Kontrolle durch die andere setzt grundsätzlich Identität beider Kontrolleisrungen voraus. 144
145 Ebenso Dürig, in: Dürig/Evers, Beschränkung des Post-, Telefon- und Femmeldegeheimnisses, 20; ihm folgend Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 174; ähnlich Schlink, Der Staat 12 (1973), 85 (105); Lorenz, Rechtsschutz, 149 (bei Fn. 76).
146 Krit. daher das Sondervotum (BVerjGE, 30, I, 33 ff.) sowie vor al!em Settermann (Fn. 143), 562 f., und Schlink, vorige Fn., 105. 147
Hervorhebung im Original.
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
Überwachungsmaßnahme und über die Frage, ob der Betroffene zu benachrichtigen ist, entscheidet und die Verwaltungsmaßnahme untersagt, wenn es an den rechtlichen Voraussetzungen fehlt" 148 • Zur verfassungsrechtlich gebotenen Mindestausstattung dieses Organs der Rechtskontrolle gehören nach Auffassung des Gerichts die notwendige Sach- und Rechtskunde, Weisungsfreiheit und festgelegte Amtszeiten der Mitglieder, die Kompetenz zur umfassenden und fortlaufenden Überwachung von Eingriffen sowie der Zugang zu allen entscheidungserheblichen Unterlagen 149 • Dem so umschriebenen grundgesetzliehen Anforderungsprofil vermag nach der geltenden Gesetzeslage als einziges Organ die G 10-Kommission in allen Punkten gerecht zu werden, falls man nicht auch ihr die Fähigkeit zu effizienter Kontrolle wegen praktischer Unzulänglichkeiten letztlich absprechen will 150 • In keinem Falle kann dagegen die Überprüfung durch einen Datenschutzbeauftragten ausreichenden Ersatz fiir den fehlenden Gerichtsschutz bieten. Zwar ist der Beauftragte infolge seiner besonderen organisationsrechtlichen Stellung (Unabhängigkeit; Informations- und Zugangsrechte) im Regelfall nämlich solange von der Staatswohlklausel des § 24 IV 4 BDSG kein Gebrauch gemacht wird 151 - ohne weiteres in der Lage, etwaige Gesetzesverstöße bei Anwendung des G 10 selbständig zu ermitteln (§ 24 I, III BDSG) und gegenüber dem zuständigen Ministerium förmlich zu beanstanden (§ 25 I 1 Nr. 1 BDSG). Mit der bloßen Feststellung einer Rechtsverletzung ist aber noch nicht mehr als ein erster Schritt zur Gewährung von Rechtsschutz getan 152• Zur 148 BVerjGE 30, I (23, 30). Unter den hier verwendeten Begriff der "Durchfilhrung" flUit auch die Verarbeitung und Weitergabe der gewonnenen Daten, vgl. 9. TB des BjD, BT-Dr 10/6816, S. 78 f. 149 BVerjG (vorige Fn.). -Weitergehend fordern Dürig/Evers, Beschränkung des Post-, Telefonund Femmeldegeheimnisses, 20 f., 77; Lorenz, Rechtsschutz, 149, und Sch/ink, Staat 12 (1973), 85 (106), eine effektive Anrufungsmöglichkeit filr den betroffenen Bürger. Evers (ebda.), Lorenz (ebda.) und Schuppert, in: AK z. GG, Art. 10 Rn. 51, verlangen überdies die Ausschaltung politisch-parlamentarischer Einflüsse, Sch/ink(ebda.) eine genauere Regelung über lnkompatibilitäten und über das Besetzungsverfahren. 150 Zu der Frage, ob die Kommission eigene Ermittlungen anstellen darf, s. einerseits C. Arndt, in: BMI (Hrsg.), Verfassungsschutz und Rechtsstaat, 56; Borgs/Ebert, Geheimdienste, § 9 G 10, Rn. 15; andererseits Schlink (Fn. 146), 107; zweifelnd Friesenhahn, in: Verfassungsschutz und Rechtsstaat, 113 f.; Gusy, NJW 1981, 1581 (1584).
151
Zu den engen Voraussetzungen dieser Norm s. u., 2.b).
Lorenz, Rechtsschutz, 271 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV, Rn. 280; K. Merlen, Datenschutz, 224. Vgl auch Schenke, in: BK, Art. 19 IV, Rn. 86 ff. m.w.N., zur verfassungsrechtlichen Verankerung des Untersuchungsgrundsatzes. 152
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhangiger Datenschutzkontrolle?
197
tatsächlichen Durchsetzung des Rechts bedarf es eines unmittelbar wirkenden Ausspruchs darüber, wie der als rechtswidrig festgestellte Zustand von den zuständigen Stellen zu beheben ist 153 • Dem Datenschutzbeauftragten fehlt eine solche Befugnis zur verbindlichen Entscheidung über die seiner Kontrolle unterliegenden Vorgänge, insbesondere zur rechtzeitigen Untersagung gesetzeswidriger Maßnahmen. Er kann, wie oben bereits dargestelle 54, die zuständigen Ressorts lediglich zur Stellungnahme innerhalb einer bestimmten Frist zwingen, nicht aber zu einer Korrektur des beanstandeten Verhaltens(§ 25 I, III BDSG). An seine Vorschläge zur Beseitigung der festgestellten Mängel(§ 24 V BDSG) sind die datenverarbeitenden Stellen rechtlich in keiner Weise gebunden. Die vom Datenschutzbeauftragten ausgeübte Kontrolle ist daher insgesamt zu durchsetzungsschwach, um als ein funktionales Äquivalent an die Stelle richterlichen Rechtsschutzes treten zu können 155 • Von Bedeutung sind hierbei auch einige formelle Aspekte. Wenn es in Art. 10 II 2 GG heißt, anstelle des Rechtswegs könne "das Gesetz" eine andere Form der Nachprüfung vorsehen, so ist damit sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Regelungszusammenhang allein dasjenige (Ausfiihrungs-) Gesetz gemeint, das zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bundes bzw. eines Landes bestimmte Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis zuläßt. In diesem Gesetz, dem G 10, wird aber der Datenschutzbeauftragte überhaupt erst seit der jüngsten Änderung 156 ausdrücklich erwähnt (§ 3 IX), so daß er jedenfalls bei Erlaß des verfassungsgerichtlichen Beschlusses vom 20. 6. 1984 noch nicht zu den besonderen "Organen und Hilfsorganen" im Sinne von Art. 10 II 2 GG gehören konnte. Die gegenteilige Auffassung des BVerfG war zum damaligen Zeitpunkt auch noch mit zwei weiteren verfassungsunmittelbaren Anforderungen unvereinbar. Zum einen wurde der Bundesbeauftragte nach dem bis Mitte 1991 geltenden Recht (§ 17
153 S. außer dem Abhörurteil BVerjGE 30, I (23, 30), noch BVerjGE 15, 275 (282); 61 , 82 (111 ); NJW 1991, 415 (416); aus der Lit. etwa Lorenz, Rechtsschutz, 273; Schmidt-Aßmann (vorige Fn.), Rn. 281 ff.; Schenke (vorige Fn.), Rn. 160 ff. Übersehen wird diese Anforderung von Gusy, in: BfV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 67 (88 ff.). 154
S . Zweiter Abschnitt, A.l.3.
Ebenso in ähnlichem Zusammenhang VG Köln, NVwZ 1983, 112 (113); OVG Bremen, NVwZ 1983, 358 (360); Bäum/er, NVwZ 1988, 199 (200); Flanderka, Bundesbeauftragter, 138 ff.; a.A. offenbar Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 47 u. 148; Gusy, in: BjV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 67 (88 ff.), die von der Austauschbarkeil beider Rechtsschutzformen ausgehen. 155
156
Verbrechensbekämpfungsgesetz v. 28. 10. 1994, BGBI. I S. 3186.
198
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
I 2 BDSG 1977) allein von der Regierung bestellt, während Art. 10 II 2 GG eine Beteiligung der Volksvertretung verlangtlS7. Zum anderen konnte er fUr seine (mit der Kontrolle unvermeidbar verbundenen) Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis 158 bis zur Novellierung des BDSG keine dem Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG genügende spezielle Rechtsgrundlage159 vorweisen, so daß eine Nachprüfung von personenbezogenen Überwachungsmaßnahmen insoweit immer nur mit Zustimmung der jeweils betroffenen Bürger hätte erfolgen können 160 . Die in der Neufassung des Gesetzes vorgesehene Parlamentswahl (§ 22 I 1 BDSG) 161 und die nunmehr ausdrücklich erfolgte Einschränkung des Art. 10 GG zum Zwecke der Datenschutzkontrolle (§ 24 II 2 BDSG) hat zwar den beiden letztgenannten Einwänden die Grundlage entzogen. Die Änderungen zielen aber nicht etwa darauf ab, den Beauftragten zu einem vollwertigen Organ des (außergerichtlichen) Rechtsschutzes gemäß Art. 10 II 2 GG auszubauen. Vielmehr geht aus den ebenfalls neu eingefügten Vorschriften der §§ 24 II 4 Nr. 1 BDSG, 3 IX G 10 eindeutig hervor, daß der Datenschutzbeauftragte ebenso wie die mit der sonstigen Kontrolle der Nachrichtendienste befaßte Parlamentskommission 162 -in dem von§ 9 II, III G 10 umfaßten Bereich ausnahmsweise über keine eigene (konkurrierende) Kontrollzuständigkeit verfUgen, sondern die Einhaltung dieses Gesetzes allenfalls auf Ersuchen und nach Weisung der sondergesetzlich zuständigen Kommission prüfen soll.
157
Ebenso VG Köln, NVwZ 1983, 112 (113).
Zum Eingriffschararakter von Kontrolluntersuchungen im Bereich von Art. IO GG HambVerjGH, DÖV 1989, 119 (120); wohl auch BjD, 3. TB, BT-Dr 9/93, S. 30; ablehnend ohne BegrUndung Riegel, RiA 1984, 121 (127); s. allgemein oben, Zweiter Abschnitt, A.lll.2. 158
159 Im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ("Recht auf informationelle Selbstbestimmung") stellt sich dieses Problem nicht, da das grundgesetzliche Zitiergebot Beschränkungen von Art. 2 I GG nicht erfaßt, s. BVerjGE 10, 89 (99); NJW 1983, 2869.
160 Ebenso Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 5; Stellungnahme der Bundesregierung, in: BT-Dr I 0/ 1719, S. 34; im Ergebnis wohl auch BjD, 3. TB, BT-Dr 9/93, S. 47 ff. 161 Ihre Einfilhrung war entgegen Sieber, NJW 1989, 2569 (2576 m. Fn. 73), auch im Hinblick auf die Beteiligung der Volksvertretung nach Art. 10 II 2 GG nicht geboten, da hiermit kein allgemeiner und auf ähnliche Konstellationen übertragbarer Verfassungsgrundsatz zum Ausdruck gebracht, sondern nur eine verfassungspolitisch wie -rechtlich eher zweifelhafte parlamentarische Sonderzuständigkeit begrUndet worden ist (krit. etwa Lorenz, Rechtsschutz, 172 f.). 162 Vgl. § I Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (G. v. II. 4. 1978, BGBI. I S. 453, zuletzt geändert durch G. v. 27. 5. 1992, BGBI. I S. 997). Daß auch diese Kommission keine gerichtsähnliche Kontrolle zu leisten vermag, zeigt Guttenberg, NJW 1993, 567 (575), am Beispiel des § 9 111 I Nr. 2 BVerfSchG.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
199
Ob diese Beschränkung seines Wirkungskreises rechtlich und sachlich unabdingbar notwendig war, wie es von verschiedenen Experten des Nachrichtendienstrechts unter Berufung auf einen angeblich sogar verfassungsimmanenten Kontrollvorbehalt und -vorrang zugunsten der G I 0-Kommission oder unter Hinweis auf den vermeintlich drohenden Schaden bei "Doppel- und Querkontrollen" behauptet worden ise 63 , erscheint allerdings höchst fraglich. Mit ähnlicher BegrUndung ließe sich aus der grundsätzlichen Eröffnung des Rechtswegs (Art. 19 IV, 92 GG) sogar ein zwingendes Verbot nichtrichterlicher Rechtskontrollen ableiten, so daß z.B. die Aufgabe der Datenschutzkontrolle am Ende ausschließlich den Gerichten übertragen werden dürfte. Eine solche Argumentation verkennt den im Grundgesetz angelegten Gestaltungsfreiraum der Legislative, der es jedenfalls ermöglicht, das herkömmliche Rechtsschutzsystem zu ergänzen und zu erweitem 164 • Umgekehrt können dann allerdings auch der eindeutig getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung filr eine Konzentration der Kontrolle bei nur einem Organ (G 10-Kommission) keine in der Sache selbst begründeten Verfassungsbedenken entgegengehalten werden, da die allein maßgebende Verfassungsnorm des Art. 10 II 2 GG das vom BVerfG offenbar favorisierte Nebeneinander der Kontrollinstanzen und -verfahren nicht verbindlich vorschreibt. Sollte die kurze Erwähnung des Datenschutzbeauftragten allerdings zu den tragenden Gründen des Beschlusses vom 20. 6. 1994 gehören, so bliebe filr die Strategische Fernmeldeüberwachung die formelle Bindungswirkung (§ 31 I BVerfGG) der Entscheidung zu beachten. Auch daraus kann sich aber, obwohl der gerichtliche Rechtsschutz gegen Maßnahmen nach § 3 G 10 noch immer Lücken aufweist16S, filr den Bundesbeauftragten keine substantielle verfassungsrechtliche Kompetenzgarantie ergeben. Nach der 1990 eingefilhrten Bestimmung des § 24 II 4 Nr.1 BDSG besitzt der Beauftragte im gesamten G 10-Bereich kein selbständiges Kontrollrecht mehr. Er soll und kann aber immerhin noch als "Hilfsorgan" (der G 10-Kommission) rechtsschützend tätig werden, 163 S. vor allem C. Arndt, in: BMI (Hrsg.), Verfassungsschutz und Rechtsstaat, 62 f.; ders. , NJW 1985, 107 (110 f.); ihm folgend Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 9 G 10 Rn. 34 u. § 2 BVerfSchG Rn. 24 (m. Fn. 28); Borgs/Ebert, Geheimdienste, § 9 G 10 Rn. 18 f., nach deren Einschätzung widersprüchliche Kontrollergebnisse "die Mitarbeiter der Dienste vollends verwirren" würden; vgl. auch die Stellungnahme der Bundesregierung in: BT-Dr 10/1719, S. 34. 164 Vgl. auch BVerwG, NVwZ 1991, 162 (165), zum Mitwirkungs- und Klagerecht anerkannter Naturschutzverbände nach § 29 I Nr. 4 BNatSchG (dazu auch Dolde, NVwZ 1991, 960 ff.). 165 Immerhin sieht § 3 VIII G 10 (G. v. 28. 10. 1994, BGBI. I S. 3186) ftlr den Regelfall erstmals eine (nachträgliche) Mitteilung der Maßnahme an die Betroffenen vor.
200
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
auch bei Maßnahmen nach§ 3 G 10. Dem Beschluß zur Strategischen Femmeldeüberwachung, der die allgemeine Formulierung des Art. 10 II 2 GG aufgreift ("Organe und Hilfsorgane"), ist damit in jedem Fall Genüge getan. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß bei den der Datenerhebung nachfolgenden Datenverarbeitungsphasen, die nach bisherigem Verständnis nicht mehr in die alleinige Kontrollzuständigkeit der Kommission fallen, die gesetzliche Kontrollsperre des § 24 II 4 Nr. 1 BDSG von selbst außer Kraft tritt, so daß eine zeitlich lückenlose Überprüfung durch ein unabhängiges Organ auch nach dem heute geltenden Recht gewährleistet bleibt 166 •
2. Die Verhinderung der Gerichtskontrolle durch behördliche Auskunftsverweigerung Die hier erörterte These, Rechtsschutzlücken seien von Verfassungs wegen durch Kontrollen unabhängiger Datenschutzbeauftragter auszugleichen, zielt allerdings nicht allein auf den verfassungsunmittelbaren Rechtswegausschluß nach Art. 10 II 2 GG. Auch einfachgesetzliche Bestimmungen können, ohne den Zugang zu den Gerichten explizit auszuschließen, eine Situtation entstehen lassen, in der dem Rechtssuchenden die Erlangung effektiven richterlichen Rechtsschutzes erheblich erschwert oder sogar gänzlich unmöglich gemacht wird 167 • Gemeint sind diejenigen Vorschriften, die zur heimlichen Erhebung von Daten sowie zur Sperrung vorhandener Informationen gegenüber anfragenden Bürgern und Gerichten ermächtigen. Gerade in den datenschutzrechtlichen Problemzonen erweisen sich solche Regelungen mitunter als vor- oder innerprozessuales Hindernis einer wirksamen Rechtsverfolgung. Ursache hierfiir ist ein spezifisch "informationelles" Ungleichgewicht zwischen dem datenverarbeitenden Staat und seinen Bürgern. Es ergibt sich bereits aus der Natur der Sache, daß das Tatsachenwissen über die behördeninterne Sammlung und Verwendung von personenbezogenen Daten in aller Regel bei der jeweiligen datenverarbeitenden Stelle monopolisiert ist. Sichere Kenntnis hierüber kann der Bürger auf keinem anderen (legalen) Weg als durch eine behördliche Benachrichtigung bzw. Auskunft erlangen. Auf diesen staatlichen
166 Ebenso Gusy, in: BfV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 67 (89); Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 24 Rn. 24 f.; vgl. auch BjD, 9. TB, BT-Dr 10/6816, S. 78 ( 167
Dazu allgemein Lorenz, Rechtsschutz, 257 ff.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
201
Mitwirkungsakt168 ist ein potentieller Kläger häufig schon im Vorfeld seines Prozesses dringend angewiesen. Denn nur wer über die ihn selbst betreffenden Datenverarbeitungsvorgänge hinreichend informiert ist, kann vernünftigerweise entscheiden, ob gegen die betreffende informationeile Maßnahme Klage erhoben werden soll oder nicht. Lediglich "auf Verdacht" oder "ins Blaue hinein" zu prozessieren, wäre schon aus formellen Gründen(§ 42 II VwGO) aussichtslos und kann dem Rechtssuchenden daher nicht zugemutet werden 169• In den Fällen eines (faktischen) behördlichen Auskunftsmonopols muß daher ausnahmsweise170 ein unmittelbar aus Art. 19 IV GG folgender verfassungsrechtlicher Anspruch auf (Tatsachen-) Auskunft angenommen werden 171 •
168 Bei dieser Form der Prozeßhilfe handelt es sich entgegen Ehmann, CR 1988, 575, und Roewer, NVwZ 1989, II (15), nicht um staatliche "Leistungsverwaltung" (wie z.B. die Gewährung einer Subvention), sondern um ein die schlicht-hoheitliche Informationsgewinnung einschränkendes rechtsstaatliches Verfahrenserfordernis (vgl. auch § 41 VwVfG). 169
Vgl. nur Lorenz, Rechtsschutz, 269 Fn. 62 m. w. N.
Im übrigen ergibt sich nach h. M. aus Art. 19 IV GG keine generelle staatliche Verpflichtung, die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes durch aktive Maßnahmen zu fbrdem, vgl. Lorenz, Rechtsschutz, 258 ff; Vage/gesang, Informationelle Selbstbestimmung, 242 ff., jew. m.w.N. 170
171 Ebenso Pipkorn, DÖV 1970, 171 (174); Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 149, 155 ff.; ders., VwVfG, § 25, Rn. 2; Lorenz, Rechtsschutz, 264 ff.; C. Mal/mann, Datenschutz in Verwaltungsinformationssystemen, 89 f.; Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221 (266); ders., in: Maunz!Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 256; HP. Schneider, NJW 1978, 1601 (1604 f.); Schwan, in: Kamloh u.a., BDSG, § 13 Rn. 10, 12 ff; Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rn. 428; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, 368 f.; Vage/gesang, InformationeHe Selbstbestimmung, 244 f.; Flanderka, Datenschutzbeaufuagter, 95 f.; Bäum/er, NVwZ 1988, 199 f.; ders., DVBI. 1990, 865 (866); Gusy, in: BjV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 67 (69 f.); aus der Rechtsprechung BVerfGE 65, I (70), wonach das Volkszählungsgesetz wegen Art. 19 IV GG jedenfalls nicht verhindem dürfe, "daß der BUrger Kenntnis davon erlangen (kann), wer wo über welche seiner persönlichen Daten in welcher Weise und zu welchen Zwecken verfUgt"; hierzu auch BVerwG, NJW 1986, 2329 (2330); OVG Bremen, NVwZ 1987, 2393 (2394); VGH München, BayVBI. 1991, 467 (477); enger zuvor VG Köln, NVwZ 1983, 112 (113), und v.Mutius, DVBI. 1978, 665 (670), die eine bloße Ermessenseinschränkung durch Art. 19 IV GG annehmen; ähnlich wohl Scholz!Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 180 ff. Die informationeHe Monopolstellung derBehördewird Obersehen von OVG Berlin, NJW 1986,2004 f.; Ehmann, CR 1988, 575; Roewer, NVwZ 1989, II (15); BVerwG, NJW 1990, 2761 (2762 ff.) und 2765 (2766 ff.), das der Rechtsschutzgarantie lediglich eine nicht näher definierte "Bedeutung" bei der Entscheidung über die AuskunftseTteilung beimißt-Nach anderer Auffassung soll sich ein Auskunftsrecht auch bzw. nur aus demjeweils betroffenen Einzelgrundrecht ergeben, s. zuletzt etwa Geiger, DVBI. 1990, 748 (755 ff. m. w. N.); Simitis/Fuckner, NJW 1990, 2713 (2716 f.) u. unten, V.2.b).
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
a) Die rechtlichen Voraussetzungen einer Auskunftssperre Die "Vorwirkung" der grundgesetzliehen Rechtsschutzgarantie besteht jedoch nicht ohne Einschränkung. Obwohl Art. 19 IV GG keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt kennt, gilt der Gesetzgeber allgemein als befugt, die Mitteilungspflicht der Behörden in Einzelflillen einzuschränken und zum Schutz gleich- oder höherrangiger Verfassungsrechtsgüter (Bestand des Staates und seiner Einrichtungen; Funktionsflihigkeit der Strafrechtspflege; Grundrechte Dritter) die Geheimhaltung bestimmter Tatsachen anzuordnen 172 • Eine solche Auskunftsverweigerung hängt heute - nach der letzten größeren Novellierung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen auf Bundesebene173 - nicht mehr ausschließlich von den im Gesetz genannten höchst unbestimmten Tatbestandsvoraussetzungen ab, sondern verlangt darüber hinaus in jedem Einzelfall eine Interessenahwägung und eine ausreichende Begründung(§ 19 IV, V BDSG); selbst die früher von jeder Auskunftsverpflichtung ausdrücklich freigestellten Geheimdienste dürfen die an sie gerichteten Anfragen neuerdings nur noch nach individueller Prüfung aus zumindest aktenmäßig niedergelegten Gründen unbeantwortet lassen (§ 15 BVerfSchG; § 9 MADG; § 7 BNDG). Ob die damit gefundenen Lösungen tatsächlich einen angemessenen Ausgleich zwischen grundgesetzlich begründeten Informationsansprüchen und gegenläufigen Verfassungswerten darstellen, dürfte freilich rechtlich wie politisch auch in Zukunft höchst unterschiedlich beurteilt werden 174• Diese Frage braucht indes im vorliegenden Zusammenhang nicht näher erörtert zu werden. 172 Lorenz, Schenke, Schmidt-Aßmann, Pipkorn, Flanderko (alle vorige Fn.); Guttenberg, NJW 1993, 567 (574 f.); grdl. in der Rechtsprechung BVerjGE 57, 250 (284): "Es liegt auf der Hand, daß es verfassungsrechtlich legitimierte staatliche Aufgaben gibt, die zu ihrer Erfilllung der Geheimhaltung bedürfen, ohne daß dagegen verfassungsrechtliche Bedenken zu erheben waren." Ebenso im Ergebnis BVerwG; OVG Bremen; VGH München (alle vorige Fn.); VG Köln, NVwZ 1983, 112 (113); 1989, 84 ff; OVG Münster, DVBI. 1995, 375 (376); BjD, 1. TB, BT-Dr 8/2460, S. 31 ; zu pauschal Ehmann, CR 1988, 575 (579 ff.), und Vogelgesang (vorige Fn.), 80, 246 f., der offenbar den Auskunftsanspruch (auch den aus Art. 19 IV GG) demselben Gesetzesvorbehalt unterwerfen will, der filr das jeweils geltend gemachte Grundrecht gilt. Zu eng andererseits Schwan (vorige Fn.), Rn. 27 ff. (37 ff.), der lediglich den Fall der Grundrechtskollision als Auskunftsschranke anerkennen will. 173 Gesetz zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes vom 20. 12. 1990, BGBI. I S. 2954. 174 Zur vorangegangenen Kontroverse um die Verfassungsmäßigkeit von § 13 BDSG a.F. vor allem Bäum/er, NVwZ 1988, 201 ff.; aus der Rechtsprechung VG Köln, NVwZ 1989, 85 ff. m. w. N.; OVG Münster, DVR 1985, 145. Polemisch und die verfassungsrechtliche Problematik verfehlend Roewer, NVwZ 1989, 11 ( 15).
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
203
Denn selbst bei einer noch sehr viel offeneren Regelung und Handhabung der behördlichen Infonnationsweitergabe müßten unbestrittenennaßen einige Auskunftslücken (z.B. bei der Spionageabwehr oder der Terrorismusbekämpfung) bestehenbleiben 175 - mit der Folge, daß jedenfalls in diesen Bereichen das Beschreiten des Rechtswegs fiir die Betroffenen unter Umständen keine realistische Rechtsschutzperspektive eröffnet. Auch dort, wo eine datenschutzrechtliche Klage nicht schon aus den eben geschilderten Gründen von vornherein unterlassen bzw. mangels Substantiierung als unzulässig verworfen worden ist, kann es im übrigen nach gegenwärtiger Rechtslage noch im späteren Verlauf eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens dazu kommen, daß die beteiligte Behörde entscheidungserhebliche Tatsachen unter Berufung auf § 99 I 2 VwGO oder ähnliche Bestimmungen fiir geheimhaltungsbedürftig erklärt und so einzelne Vorgänge jeder richterlichen Überprüfung entzieht 176 • Auch hierin liegt regelmäßig eine an Art. 19 IV GG zu messende Verhinderung effektiven Rechtsschutzes 177, deren Legitimation sich - ähnlich wie bei der außerprozessualen Auskunftsverweigerung - wiederum nur aus ungeschriebenen Grundrechtsschranken in Gestalt kollidierender Verfassungsrechtsgüter ergeben kann 178 • Angesichts der- zu den unbestrittenen Wesensmerkmalen rechtsprechender Gewalt (Art. 92 GG) gehörenden - Verpflichtung der Gerichte zu einer vollständigen Sachaufklärung179 sieht das BVerfG die Vorenthaltung von Beweis-
175 BVerwG, NJW 1986, 2329 u. 2331; 1990,2761 u. 2765 (zum BDSG 1977); 1992, 451 (zum BDSG 1990); OVG Bremen, NJW 1987, 2393 (2396); VG Köln, NVwZ 1989, 85 ff.; Bu/1, Datenschutz, 123 ff.; Bäum/er (vorige Fn.), 202 ff.; ders., DVBI. 1990, 865 f.; Simitis/Fuckner, NJW 1990, 2713 (271 7); ftlr den Quellenschutz Riegel, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, 74; ders., DVBI. 1985, 765 (773); ders., Datenschutz, 139 f.; enger Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 13 Rn. 49 ff. 176 Ausftlhrlich dazu Berg, Verwaltungsgerichtliche Entscheidung, 61 ff.; eine ähnliche Situation ergibt sich bei Beweisverboten, die dem Schutz der Grundrechte Dritter dienen, ebda., 58 ff. Zu den Besonderheiten bei reinen Auskunftsklagen Flümann, NJW 1985, 1452 f.; VGH München, BayVBI. 1990, 625 ff. 177 Lorenz, Rechtsschutz, 267 (insbes. Fn. 54 a. E.); Gusy, in: BjV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 67 (93 ff.). 178 Lorenz (vorige Fn.), 267; Schmidt-Aßmann, in: Maunz!Dürig, GG, Art. I 9 IV, Rn. 226; Evers, ZRP 1980, 110 (113); Bäum/er, NVwZ 1988, I 99 (200). - Auch der grundrechtliche Anspruch auf sachliche Prüfung einer Petition (Art. 17 GG) unterliegt vergleichbaren Einschränkungen, s. § 3 des Gesetzes nach Art. 45 c GG (G. v.l9. 7. 1975, BGBI. I S. 1921) und dazu Würtenberger, in: BK, Art. 45 c, Rn. 87 ff.; Maunz!Dürig, GG, Art. 45 c, Rn. 27; OVG Münster, NJW 1988, 2496 f. 179
Vgl.nur Lorenz, 271.
204
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
mitteln durch die Exekutive allerdings an "zusätzliche rechtsstaatliche Anforderungen" geknüpft 180, die sowohl den vorangehenden behördlichen Entscheidungsprozeß (sorgfältige Einzelabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; Verlagerung der Entscheidungsverantwortung auf die oberste Exekutivebene) als auch die - der gerichtlichen Kontrolle unterliegende Glaubhaftmachung der Weigerungsgründe (vgl. § 99 II VwGO) betreffen 181 • Hiernach ist ein vollständiger Verzicht auf richterliche Tatsachenfeststellung allenfalls als ultima ratio in Betracht zu ziehen 182• Dennoch bleiben zumindest nach gegenwärtiger Rechtspraxis immer noch Fälle übrig, in denen der verfassungsverbürgte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz von den Gerichten letztlich nicht erfüllt werden kann, weil der zugrundeliegende Sachverhalt sich im Verwaltungsprozeß nur unvollständig aufklären Iäßt183 •
b) "Kompensatorisches" Tätigwerden des Datenschutzbeauftragten? Angesichts dieser - übrigens seit langem bekannten und keineswegs erst durch ( datenverarbeitungs-) technische Entwicklungen entstandenen - blinden Flecke der Gerichtskontrolle erscheint vielen die Einschaltung des unabhängigen Datenschutzbeauftragten als die "einzige effektive Möglichkeit ftlr den einzelnen, seine Rechte zu wahren" 184 • Ein beträchtlicher Teil des einschlägigen Schrifttums leitet hieraus die Folgerung ab, der Beauftragte sei jedenfalls in den oben geschilderten Ausnahmesituationen ein "im Lichte des Art. 19 IV GG gebotenes Instrument" des Individualrechtsschutzes und müsse durch seine Prü-
180 BVerjGE 57, 250 (282 ff.), dort zur Parallelproblematik im Strafprozeß (§§ 54, 96 StPO); vgl. auch BVerjGE 63, 45 (65). 181 Vgl. auch BVerl+G, NJW 1986, 2329 (2330); 1987, 202 (203 f.); NVwZ 1994, 72 ff.; OVG Bremen, NJW 1987, 2393 (2396). 182 Unter Umständen wird es geboten sein, zumindest AktenauszUge oder Teilinfonnationen vorzulegen, vgl. HP. Schneider, NJW 1978, 1601 (1605); Evers, ZRP 1980, 110 (113 f.). 183 Vgl. K. Merlen, Datenschutz, 224 ff.; sowie die oben in Fn. 178 Genannten. A.A. insoweit offenbar Lorenz, Rechtsschutz, 267 ff., dessen eigener Lösungsvorschlag (Umverteilung der Beweislast zugunsten des Bürgers) jedoch zumindest im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anders als im Strafprozeß - nicht praktikabel erscheint: Wie soll das Gericht die beklagte Behörde z.B. zur beantragten Löschung von personenbezogenen Daten verurteilen, wenn schon deren Existenz, Inhalt und Verwendungszweck aus Geheimschutzgründen nicht geklärt werden kann und überdies eine Vollstreckung des Urteils ausscheidet? Skeptisch insoweit auch Evers, Privatsphare, 270 f. 184
Woertge, Datenschutzrecht, 176.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
205
fungstätigkeit die entstandenen Lücken schließen 185 • Bundes- und Landesgesetzgeber haben diesen Gedanken, zumindest was die außerprozessuale Auskunftssperre angeht, mittlerweile aufgegriffen. Zahlreiche neuere Datenschutzund Sicherheitsgesetze sehen vor, daß der Betroffene bei Ablehnung seines Auskunftsgesuchs, vor allem wenn die Behörde keine Gründe dafiir angibt, auf das Recht zur Anrufung des Datenschutzbeauftragten besonders hinzuweisen ist (§§ 19 V 2, VI; 6 II 4 u. 5 BDSG; § 15 IV 3 u. 4 BVerSchG; § 9 MADG; § 7 BNDG; § 23 IV 3, V SÜG; § 34 IV, V 4 AZRG; § 83 V 2, VI SGB X; Art. 10 VI 3, VII BayDSG). Der rechtliche Ausgangspunkt solcher Überlegungen liegt in der Feststellung, daß eine Kontrolle durch den Beauftragten in aller Regel auch dann möglich bleibt, wenn dem anfragenden Bürger oder dem von ihm angerufenen Gericht aus Gründen des Geheimschutzes keine Auskünfte mehr erteilt werden. Zwar hat der Bundesgesetzgeber speziell im Hinblick auf die sicherheitsempfindlichen Bereiche eine Ausnahmeregelung getroffen, nach der auch datenschutzrechtliche Inspektionen jeder Art kraft ministerieller Anordnung untersagt (§ 24 IV 4 BDSGY 86 und Auskünfte sogar gegenüber dem Datenschutzbeauftragten persönlich verweigert werden dürfen (§ 19 VI I, 2. Halbs. BDSG). Die dafiir im Einzelfall notwendige Voraussetzung, daß schon die bloße Kenntnisnahme durch das Kontrollorgan "die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden würde", dürfte jedoch kaum jemals erfiillt sein, zumal die grundsätzlich bestehende, dienst- und strafrechtlich sanktionierte Verschwiegenheitspflicht
185 Woertge (vorige Fn.); Similis, NJW 1971, 673 (681 f.); ders., lnforrnationskrise, 137; ders., ÖVD 1979/3, 3 (8); Dammann, Datenschutzkontrolle, 100; Pietzner/Reinermann, Bürgerrechte und Kontrollinstitutionen, 30; Heußner, FS Wannagat, 173 (190); ders., Sgb 1984, 279 (284); ders., AuR 1985, 309 (312 f.) = ders., in: Hohmann, Freiheitssicherung durch Datenschutz, 110 (121); ders., RDV 1988, 7 (9); Riegel, DVBI. 1985, 765 (772 u. 773); Schwager/, Verfassungsschutz, 286 f.; Kniese//fegtmayer/Vah/e, Datenschutz, 153 f., 267 f.; Ehmann, CR 1988, 575 (582); Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 247 ff. (unter Berufung aufeine Äußerung Denningers); Denneborg, RDV 1989, 110 (113); Sieber, NJW 1989, 2569 (2576); Burmeister, in: BT-Anhörung BDSG 1986, Anlage 10, II; Geiger, DVBI. 1990, 748 (749 f., 757); vgl. auch Kniese/, ZRP 1987, 377 (382 f.); Stol/reither, in: Vol/kommer, Datenverarbeitung und Persönlichkeitsschutz, 22 f.; Einwag, in: BjV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 105 ff.; andeutungsweise auch Gallwas, NJW 1992, 2785 (2789); OVG Münster, DVBI. 1995, 371 (373). 186 Der von Ordemann!Schomerus, BDSG, § 19 Anm. 4. I. und Riegel, DuD 1988, 277 (281) = ders., Datenschutz, 132, zu§ 19 III 4 BDSG a. f.vertretenen, schon damals dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift zuwiderlaufenden Auffassung, der Ausschluß betreffe nur die unmittelbare Einsichtsbefugnis und nicht auch das Auskunfts- und Zutrittsrecht (hiergegen Schweinoch, in: GaUwas u.a., BDSG, § 19 Rn. 20; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 37), dürfte durch die Neufassung endgültig der Boden entzogen sein.
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
(§ 23 V BDSG; § 61 BBG; §§ 203 II, 353 b StGB) den Beauftragten und seine Mitarbeiter in aller Regel von einer amtsfremden Verwertung ihres Wissens abhält187. Die erwähnte Ausnahmeklausel kann deshalb bei korrekter Handhabung188 in der Praxis so gut wie keine Bedeutung gewinnen 189. Wesentlich wichtiger sind dagegen jene behördlich angeordneten Informationssperren, die nicht den datenschutzrechtlichen Prüfungsumfang beschränken, sondern nur eine Mitteilung der Prüfungsergebnisse an Dritte ausschließen. Ihre Beachtlichkeit im Kontrollverfahren ergibt sich aus der - auch filr einen externen Beauftragten bestehenden - Bindung an die allgemeine Zuständigkeitsordnung. Soweit der Gesetzgeber den datenverarbeitenden Stellen ausdrücklich die Befugnis zur Auskunftsverweigerung gegenüber Bürgern oder Gerichten einräumt (§§ 19 IV BDSG, 15 II BVerfSchG usw.; § 99 I 2 VwGO), muß dies auch der unabhängige Datenschutzbeauftragte bei Ausübung seiner eigenen Amtsbefugnisse respektieren 190. Er darf also die bei Kontrollen gewonnenen (Einzelfall-) Erkenntnisse191 selbst im Falle gravierender Mißstände nicht einfach an die betroffenen Bürger bzw. an ein anfragendes Gericht weitergeben, sondern benötigt dazu das ausdrückliche Einverständnis der gesetzlich zuständi-
187 Zur Gefahr einer Umgehung der Verschwiegenheitspflicht im Kontakt zum Parlaments. o., Zweiter Abschnitt, C.I.3.b). 188 Wegen der Gefahr eines häufigen Mißbrauchs ist die völlige Aufbebung derartiger Bestimmungen vielfach gefordert (z.B. Dammann, in: Similis u.a., BDSG 1977, § 19 Rn. 39m. w. N.; Similis, CR 1987, 602 [610 f.]; Riegel, DuD 1988, 277 [281] = ders., Datenschutz, 132 f.; Gusy, in: BjV [Hrsg.], Verfassungsschutz in der Demokratie, 67 [90]; vgl. auch BayVerjGH, BayVBI. 1992, 141 [143); § 24 VI SPD-Entwurf BISG, BT-Dr 1113730) und in einigen Bundesländern bereits in die Tat umgesetzt worden (z. B. § 29 11 HessDSG; § 26 11 NWDSG). Der Verzicht auf eine solche "Notstandsklausel" (Dammann, Rn. 40) kann indes keine wirkliche Änderung der Rechtslage bewirken. Stünde tatsächlich einmal die staatliche Existenz auf dem Spiel, so dürfte und müßte dem Datenschutzbeaufuagten jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des sog. übergesetzlichen Notstands der Zugang zu Dateien und Aktenbeständen verwehrt werden. Die Kritik an der Positivierung eines solchen Notrechts bildet hiernach nur einen Teilaspekt der allgemeinen Diskussion um den "verdrängten Ausnahmezustand" (s. B6ckenf6rde, NJW 1978, 1881 ff.). 189 Ebenso Dammann (vorige Fn.), § 19 Rn. 40 f.; Auemhammer, BDSG, § 19 Rn. 6; Ordemann/ Schomerus, BDSG, § 19 Anm. 4.2.; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 19 Rn. 38; Riegel, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, 76; ders., DuD 1988, 277 (281) = ders. , Datenschutz, 132.
190 S. Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 25 Rn. 18; Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 6 a. E.; Bäum/er, AöR 110 (1985), 30 (53); Schwager/, Verfassungsschutz, 288; zu eng OVG Bremen, NVwZ 1983, 358 (360), das in dieser Frage allein auf die (dienstrechtliche) Verschwiegenheitsptlicht abstellt. 191 Auskunft über den generellen Umgang mit Daten können nach der Sonderregelung des § 26 I, 11 BDSG neben der Regierung nur das Parlament und seine Unterorgane verlangen; zu den hier auftretenden Problemen s. o., Zweiter Abschnitt, C.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
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gen Stellen 192 • Diese verstoßen hierbei nicht gegen ihre allgemeine Unterstützungsverpflichtung (§ 24 IV 1 BDSG), wenn sie die Geheimhaltungsbedürftigkeit bestimmter Daten anders beurteilen als der Datenschutzbeauftragte193 • Eine Zuständigkeit zur Erteilung datenbezogener Auskünfte unter Umgehung der jeweiligen Behörde folgt auch nicht etwa aus dem in § 21 BDSG normierten Anrufungrecht des einzelnen Bürgers, der sich in seinen Rechten verletzt glaubt. Der Datenschutzbeauftragte ist nach dieser Vorschrift grundsätzlich nur verpflichtet, der betreffenden Angelegenheit nachzugehen und sich gegenüber der verantwortlichen Stelle gegebenenfalls fiir eine Behebung der festgestellten Mängel einzusetzen. Eine inhaltlich substantiierte Bescheidung des Petenten wird ihm dagegen, soweit die betreffenden Daten der Geheimhaltung unterliegen, durch § 21 BDSG weder erlaubt noch gar zur Pflicht gemacht 194 • Auch in den Fällen, in denen der Beauftragte eine behördliche Auskunftssperre fiir sachlich nicht gerechtfertigt hält, kann er also dem Auskunftssuchenden nur - wie es der Gesetzgeber neuerdings in § 19 VI 2 BDSG klargestellt hat - in neutraler Form die Art der Erledigung mitteilen. Hält selbst der zuständige Minister die Geheimhaltung der Daten fiir notwendig, so hilft es in der Regel auch wenig, wenn der Datenschutzbeauftragte den anfragenden Bürger auf den Rechtsweg verweist195 • Käme es nämlich zu ei-
192 So auch I. TB des BjD, BT-Dr 8/2460, S. 31; 2. TB, BT-Dr 8/3570, S. 43; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 18 Rn. 13, 15-17; Louis, Datenschutzrecht, Rn. 229; Bull, in: Kempf/ Uppendahl, Ein deutscher Ombudsman, 63 (72 f.); Schapper, DRiZ 1987, 221 (225); Schoreit, ZRP 1987, 153 (156); Riegel, DuD 1988, 277 (283) = ders., Datenschutz, 141; Flanderka, Bundesbeaufuagter, 50 f.; J Schneider, AnwBI. 1989, 511 (513); Simitis/Fuckner, NJW 1990, 2713 (2717); krit. Gusy, in: BJV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 67 (91); Bergmann/Möhr/e/Herb, Datenschutzrecht, BDSG, § 24 Rn. 44. -Ein Abweichen von der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung kommt nur unter engen (Notstands-) Voraussetzungen in Frage, wie sie etwa in BGHSt 20, 342 (362 ff.), und BVerjGE 28, 191 ff., entwickelt worden sind, nämlich als ultimaratiobei einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. auch § 23 V 4 BDSG; weitergehend aber Schwan, § 20 Rn. 17). 193
Mißverständlich daher 9. TB des BjD, BT-Dr 10/6816, S . 63.
Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 21 Rn. 21; Auernhammer, BDSG, § 21 Rn. 5; Ordemann/Schomerus, BDSG, Anm. zu § 21 ; Schweinoch, in: Gallwas u.a., BDSG, § 21 Rn. 7; Scha.ffland!Wiltfang, BDSG, § 21 Rn. 5; VG Schleswig, DuR 14 (1986), 422 (427); Flanderka, Bundesbeaufuagter, 66 u. 110; grds. auch Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 21 Rn. 13 ( § 20 Rn. 15 ff.). - Zur Frage der inhaltlichen Bescheidung von Petitionen gemäß Art. 17 GG durch die Volksvertretung s. BVerjG, NJW 1992, 3033; BVerMJ, NJW 1991, 936 f.; BayVerjGH, BayVBI. 1987, 620 f. 194
195 Siehe aber Louis, Datenschutzrecht, Rn. 229. Sogar ein eigenes (Beanstandungs-) Klagerecht des Beaufuagten fordert Geiger, DVBI. 1990, 748 (752).
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
nem verwaltungsgerichtlichen Verfahren und würde der Datenschutzbeauftragte selbst oder einer seiner Beamten als sachverständiger Zeuge benannt, so hätte zunächst nach§ 23 V 3 u. VI BDSG bzw. §§ 61 II, 62 BBG der Bundesionenminister (ggf. in Abstimmung mit dem betroffenen Ressortminister) über die Aussagegenehmigung zu entscheiden - und zwar nach den gleichen Kriterien, wie sie auch filr die Genehmigung einer Aktenvorlage bzw. einer schriftlichen Auskunft der beklagten Behörde an das Prozeßgericht gelten (s. § 99 I 2 VwGO). Auf die ministerielle Beurteilung der Frage, ob die Geheimhaltung bestimmter Vorgänge gegenüber dem Gericht aus überwiegenden öffentlichen Interessen notwendig ist, kann sich weder das - mit anderer Zielsetzung -jüngst eingeführte eigene Zeugnisverweigerungsrecht des Datenschutzbeauftragten (§§ 23 IV, 12 III BDSG) noch etwa dessen Rolle als "Anwalt des Bürgers" in irgendeiner Form rechtlich auswirken 196• Es ergäbe auch keinen Sinn und würde die gesetzliche Zuständigkeitsordnung durcheinanderbringen, wenn Aussagegenehmigungen zur behördlichen Datenverarbeitung eher einem (punktuell informierten) Kontrollbeamten als dem jeweiligen Sachbearbeiter zu erteilen wären 197 • Für den betroffenen Bürger läßt sich aus den vorstehenden Überlegungen insgesamt die Folgerung ziehen, daß er sich die fiir eine Klage auf Auskunft, Löschung o. ä. benötigten Kenntnisse von Verwaltungsinterna auch auf dem Umweg über eine Anrufung des Datenschutzbeauftragten nicht oder jedenfalls nicht leichter als auf direktem Wege verschaffen kann. Der Beauftragte erfüllt also dort, wo die datenverarbeitende Exekutive jede Information verweigert, nicht etwa eine ähnliche Funktion wie jene Institute des Verwaltungsverfahrens, die auch oder sogar ausschließlich der Absicherung bzw. Ermöglichung eines nachfolgenden Gerichtsverfahrens dienen (z.B. Schriftlichkeitserfordemis, Begründungspflicht, Rechtsmittelbelehrung, Akteneinsichtsrecht) und die des-
196 A.A. ohne Oberzeugende Begründung Dammann, in: Simitis u.a., BDSG, § 23 Rn. 32 ff.; Schwan, in: Kamloh u.a., BDSG, § 18 Rn. 35 f. 197 Nachdem der jeweils fachlich zuständigen (und nicht einer rein fiktiven) "obersten Aufsichtsbehörde" die Entscheidung Ober die Geheimhaltung in § 99 I 2 VwGO bundesgesetzlich vorbehalten worden ist (vgl. Ziekow, BayVBI. 1992, 132 [137]), erscheinen landesgesetzliche Regelungen, nach denen der Datenschutzbeaufuagte über die Weitergabe seiner Erkenntnisse an die Gerichte selbst bestimmen kann(§ 23 S. 3-5 HessDSG; § 21 1113 NWDSG; § 26 S. 3 BrDSG), als kompetenzrechtlich bedenklich. Die Schaffung einer zweiten, vom Ressortleiter unabhängigen Informationsschiene zwischen Verwaltung und Gerichten dürfte überdies einen unzulässigen Eingriff in die verfassungsrechtliche Stellung des Ministers darstellen (hierzu näher oben, Zweiter Abschnitt, C.l.3.c.dd.). Für eine Übernahme des genannten Modells auf Bundesebene aber Riegel, DuD 1988, 277 (280) = ders., Datenschutz, 129; vgl. auch SPD-Entwurf BISG, BT-Dr 1113730, § 25 S. 3.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
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halb nach heute herrschender Ansicht ihrerseits den "vorwirkenden Schutz" des Art. 19 IV GG genießen 198. Die Anrufung der Datenschutzinstanz setzt demgegenüber "nur" ein Rechtsschutzverfahren eigener Art in Gang, das ohne weitere Beteiligung des Bürgers abläuft und in einer unverbindlichen verwaltungsinternen Stellungnahme (Beanstandung; ggf. Verbesserungsvorschlag) endet. Welcher Erfolg mit diesem Instrumentarium auch immer zu erreichen ist - ein Beitrag zur Verwirklichung der richterlichen199 Rechtskontrolle nach Art. 19 IV GG liegt darin jedenfalls nicht. Damit ist freilich die These von der "kompensatorischen"200 Notwendigkeit einer unabhängigen Datenschutzkontrolle noch keineswegs vom Tisch. Es erweist sich vielmehr zunächst einmal nur, daß Art. 19 IV GG zumindest bei isolierter Betrachtung kaum Ansatzpunkte bietet, um einem selbständigen außergerichtlichen Kontrollorgan verfassungsrechtliche Legitimation zu vermitteln. Das Gebot wirksamen Rechtsschutzes, um dessen Verwirklichung es hier geht, folgt allerdings nicht erst und nicht allein aus der individualrechtliehen Verbürgung des Rechtswegs. Es ist nach ganz überwiegender Auffassung auch schon im Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 III, 28 I GG) mit enthalten201. Die Bindung an Gesetz und Recht bliebe nämlich höchst unvollkommen, wenn über den konkreten Inhalt der rechtlichen Vorgaben der jeweils
198 Dazu etwa Pipkorn, DÖV 1970, 171 (174 f.); Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221 (266); Laubinger, VA 73 (1982), 60 (82 f.); Held, Grundrechtsbezug, 41 f.m. w. N .; allgemein auch Kopp, Verfassungsrecht, 148 f.; ders., VwGO, Rn. 15 vor§ I; BVerjG, NJW 1982, 2173 (2175 f.); 1990, 501 f. 199 Daß Art. 19 IV GG unter "Rechtsweg" nur den Weg zum Richter versteht, ist heute unbestritten, vgl. BVerjGE 4, 331 (343); 8, 174 (181); Bettermann, AöR 96 (1971), 528 (547); Lorenz, Rechtsschutz, 145 Fn. 55; Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 172. 200 Krit. zur unreflektierten Verwendung des Begriffs "Kompensation" als einer verfassungsrechtlichen (nicht bloß verfassungspolitischen) Argumentationsfigur E. Klein, DVBI. 1981, 661 (insbes. 665 f.), und Tomuschat, in: Magiera/Merten, Bundesländer und EG, 37: "Eine Kompensation gewähren heißt ja nichts anderes, als vom gegebenen Regelzustand abweichen und das ineffektiv gewordene Instrumentarium durch ein besseres zu ersetzen, das den Realitäten angepaßt ist. Dem in Art. 79 Abs. I GG verlautbarten Willen des Grundgesetzes entspricht es eher, solche normativen Reaktionen nur als Verfassungstextänderungen, d. h. im Wege der verfassungsändernden Gesetzgebung, zuzulassen." Der Kompensationsgedanke sei insofern nur "Leitlinie ftlr eine künftige Verfassungsreform" (39).- Aufschlußreich zum begriffsgeschichtlichen Hintergrund auch 0. Marquard, Art. "Kompensation", in: Ritter/Gründer, Hist. Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Sp. 912- 918. 201 BVerjGE 35, 382 (401); 44, 105 (120); 53, 115 (127); 57, 9 (22); 60, 253 (268); aus der Lit. etwa Schlink, Der Staat, 12 (1973), 85 (98); Stern, StaatsR I, 655 ff. m. w. N.; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, 134 f.; Flanderka, Bundesbeauftragter, 115 ff. -Zur speziell grundrechtliehen Fundierung des Rechtsschutzgebots s. u., V.3.b).
14 Zöllner
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
handelnde Träger staatlicher Gewalt allein nach seinem eigenen Verständnis abschließend entscheiden könnte. Deshalb unterliegt die Beachtung des geschriebenen und ungeschriebenen Rechts im Rechtsstaat des Grundgesetzes notwendigerweise einer Kontrolle durch solche Organe, die kein eigenes Interesse am Ausgang der Sache haben202 . Rechtsschutzfiihigkeit setzt ein Mindestmaß an organisatorischer Distanz, sachlicher Neutralität und persönlicher Unabhängigkeit voraus. Hieran gemessen bietet aber die Einschaltung des Richters sicher "nicht das einzige Mittel, den Bürger gegen rechtswidrige Maßnahmen der Exekutive zu schützen... Daneben stehen die vielfältigen Formen der Selbstkontrolle innerhalb der Exekutive und außerdem die parlamentarische Kontrolle samt derjenigen durch Rechnungshof und Wehrbeauftragten ... Der Rechtsstaat ist nicht bloß Richterstaat; die Richter sind nicht seine einzigen Hüter; der Rechtsweg ist nicht der einzige Weg zur Rechtsschutzgewährung...zoJ Legt man diesen erweiterten Rechtsschutzbegriff zugrunde, so erscheint es auf den ersten Blick konsequent, in allen Fällen eines bisher fehlenden oder faktisch nicht durchsetzbaren Gerichtsschutzes einen funktionsadäquaten Ausgleich204 in Gestalt anderer, möglichst ebenso unabhängiger Kontrollinstitutionen zu verlangen - mithin aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip unter bestimmten Voraussetzungen einen verbindlichen Verfassungsauftrag zur Einführung und Beibehaltung solcher rechtsschützenden Organe abzuleiten205 .
202 Zur rechtsstaatliehen Forderung nach Unabhängigkeit des Kontrollorgans Menger, System, 48; Hesse, VerfassungsR, Rn. 202; Schnapp, in: v.Münch, GG, Bd. I, Art. 20 Rn. 24. 203 Bettermann, AöR 96 (1971), 528 (565); zustimmend Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 173 f.u. 194: Der verfassungsgeforderte Rechtsschutz dürfe nicht "schlankweg mit Gerichtsschutz identifiziert werden"; ders., DÖV 1980, 545 (552); ähnlich Lorenz, Rechtsschutz, 149: "Nicht auf welche Weise der Geltungsanspruch des Rechts verwirklicht wird, sondern daß dies geschieht, ist das primäre Anliegen des Rechtsschutzprinzips."- Die im Text zitierte Äußerung Rettermanns steht freilich unter dem Vorbehalt einer Änderung des Art. 19 IV GG, so daß sie auch seinem früheren Diktum, das Grundgesetz habe "den Rechtsstaat als Rechtswegstaat oder Richterstaat gestaltet" (VVDStRL 17 (1 959), 118 [173]), nicht unbedingt widerspricht.
204 Prinzipiell ungeeignet zur kompensatorischen Rechtsschutzgewährung sind nach Auffassung von Lorenz (Rechtsschutz, 169 ff.) die Parlamente einschließlich ihrer Unter- und Hilfsorgane (a.A. Robbers, Sicherheit als MenschenR, 174 ff.), nach Meinung von Scholz (VVDStRL 34, 212 Fn. 262) die exekutivischen Aufsichtsverfahren (a.A. Schmitt Glaeser, VVDStRL 31 [1973], 241 Fn. 270). 205 Am weitesten in diese Richtung geht Lorenz, Rechtsschutz, 145 ff., der im Anschluß an Überlegungen Lerches (ZZP 78 [1965], I, 26 ff.) die Gewährleistung" gerichtsähnlichen Rechtsschutzes" fordert und hierbei vor allem den Ausbau verwaltungsinterner Rechtskontrollen im Auge hat (179 ff.). Vgl. auch Held, Grundrechtsbezug, 54 f.m. w. N.; aus der älteren Lit. Imboden,
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
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c) Die Unverzichtbarkeit richterlichen Rechtsschutzes So plausibel die Forderung nach einer Ergänzung der als ineffizient empfundenen "klassischen" Schutzmechanismen auch klingt, so sehr verfUhrt sie aber in der konkreten Umsetzung dazu, das Entwicklungspotential gerade des gerichtlichen Individualrechtsschutzes zu unterschätzen bzw. nicht voll auszuschöpfen und deswegen bei bestimmten staatlichen Maßnahmen vorschnell und zum Nachteil der Betroffenen auf jede Form richterlicher Überprüfung zu verzichten. Wichtigstes Beispiel fiir diese Tendenz ist der bereits angesprochene Bereich der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste. Der gerichtliche Rechtsschutz wurde hier in einem besonders grundrechtssensiblen Teilbereich - aus heute kaum mehr nachvollziehbaren Gründen206 - sogar ausdrücklich ausgeschlossen (§ 9 VI G I 0), im übrigen aber vom Gesetzgeber deutlich vernachlässigt und durch ein in seinen Schutzwirkungen nur mehr schwer einzuschätzendes Konglomerat von Kontrollgremien207 und Kontrollbeauftragten208 faktisch ersetzt. Ähnliche Entwicklungen dürften auch auf anderen Gebieten nicht ausbleiben, wenn der bei der Aufdeckung von Rechtsschutzdefiziten regelmäßig ertönende Ruf nach immer neuen "Sonderbeauftragten" erhört werden sollte2o9. Demgegenüber gilt es festzuhalten, daß das Grundgesetz die Frage, wer den Bürger vor Rechtsverletzungen durch die Exekutive zu schützen habe, nicht VVDStRL 18 (1960), 113 (136 f. m. Fn. 82); sowie Salzwedel, GS H. Peters, 756 (794 f.), der es als rechtsstaatlich geboten ansieht, in die Verfassungsschutzämter unabhängige Kontrollorgane "einzubauen". Zur möglichen Ausweitung parlamentarischer Kontrollen s. BayVerjGH, BayVBI. 1992, 141 (142). 206
Vgl. die Nachweise in BVerjGE 30, I (33 ff.).
AufBundesebene z.B. das Abgeordnetengremium nach § 9 I G I 0, die unabhängige Kommission nach § 9 II-IV G I 0, die Parlamentskommission nach § 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes, die früher im jährlichen Haushaltsgesetz und nunmehr in § I 0 a BHO vorgesehene spezielle Haushaltskommission (dazu BVerjG, NJW 1986, 907 ff.) und ein besonderes Dreierkollegium des Bundesrechnungshofs(§ 19 BRHG); hinzu kommen "bei Bedarf' die ständigen AusschUsse des Deutschen Bundestags sowie in .Einzelfällen Untersuchungsausschüsse. 207
208 Neben dem Datenschutzbeaufuagten übt der jeweilige Chef des Kanzleramts als "Beaufuagter filr die Nachrichtendienste" (Bulletin BReg 1975, 251) selbständige Koordinierungs- und Kontrollfunktionen aus (vgl. Schwager/, Verfassungsschutz, 286). Weitergehende Forderungen betreffen die Einrichtung eines unabhängigen "Geheimdienstbeaufuagten", s. Gusy, Die Verwaltung 1984, 273 (294m. w. N.), bzw. eines "Datenschutzbeaufuagten filr den Verfassungsschutz", s. Geiger, DVBI. 1990, 748 (749 ff.). Vgl. auch Seifert, in BT-Anhörung BVerfSchG u.a., 408. 209
S. dazu oben, Einleitung, Fn. II.
212
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
unbeantwortet gelassen hat. Das "rechtsstaatliche Grundgebot, materielle Gerechtigkeit zu verwirklichen" 210, läßt sich aus dem verfassungssystematischen Zusammenhang vor allem mit der Rechtsweggarantie und dem Gewaltenteilungsprinzip211 nicht herauslösen; erst die Zusammenschau dieser Elemente ergibt ein zutreffendes Bild. Verfassungsrechtlich gefordert ist hiernach - zumindest vorrangig - eine Kontrolle durch "besondere Organe der Rechtsprechung" (Art. 20 II 2 GG) in Gestalt staatlicher Gerichte212 • Die Gewährung individuellen Rechtsschutzes ist nach der grundgesetzliehen Funktionsverteilung ureigenste Aufgabe des Richters. Die Verfassung setzt damit zugleich der Verwirklichung "gemischter" Rechtsschutzsysteme enge Grenzen213 . Bemühungen um verbesserte Kontrollmöglichkeiten der Parlamente sowie um eine wie immer geartete "Justizförmigkeit" der Verwaltung, letzteres etwa durch den Einbau streng formalisierter Prüfungsverfahren unter Beteiligung konkurrierender Fachbehörden, mögen grundsätzlich legitim und vielfach sogar notwendig sein. Sie machen aber eine unabhängige (Verwaltungs-) Gerichtsbarkeit nicht entbehrlich und rechtfertigen auch keinen (stillschweigenden) Abbau richterlicher Prüfungskompetenzen in einzelnen exekutivischen Sachbereichen214 . Ob und unter welchen Voraussetzungen von diesem Grundsatz im Einzelfall durch eine ausdrückliche Verfassungsänderung (wie seinerzeit bei Art. 10 II 2
210
BVerjGE 60, 253 (268).
Daneben wird mitunter Art I I GG herangezogen, s. etwa Schmidt-Aßmann, in: Maunz!Dürig, GG, Art. 19 IV, Rn. 30; BVerjGE 30, I (27); krit Bettermann, AöR 96 (1971), 528 (566); vgl. auch Schenke, BK, Art. 19 IV, Rn. 74 ff. 211
212 Vgl. BVerjGE 4, 331 (348); 30, 1 (25, 40 ff.); 53, 115 (127); 60, 253 (268); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. V, Rn. 77; Schenke, BK, Art. 19 IV, Rn. 77; Schnapp, in: v.Münch, GG, Bd. 1, Art. 20, Rn. 23; Hesse, VerfassungsR, Rn. 202; Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 172; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 121; prägnant Stern, StaatsR I (1. Auf!.), 656: "Rechtsstaatlichkeit meint Rechtsschutz, der bestimmten institutionellen Anforderungen genügt; diesem entspricht Schutz nur durch ein Gericht" -Zur historischen Entwicklung Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 118 (164 ff.); Schlink, Staat 12 (1973), 85 (98 ff.). 213
Hierzu auch Krebs, Kontrolle, 221.
So schon Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 118 (169 u. 170); zustimmend etwa SchmidtAßmann, VVDStRL 34 (1976), 221 (267); ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 191V, Rn. 26 a. E.; vgl. auch Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (215); Held, Grundrechtsbezug, 43; Badura, JA 1984, 83 (87); Gusy, in: BjV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 67 ff.; a.A. Schwarze, Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz, 51 ff. ; vorsichtiger ders., DVBI. 1974, 893 (901 bei Fn. 46); vgl. auch Ossenbühl, DÖV 1980, 545 (552). 214
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
213
GG) abgewichen werden darf, ist nach wie vor umstritten215 und hier nicht weiter zu entscheiden. Fehlt eine spezielle Ersetzungsbefugnis in der Verfassung, so darf die Substituierung gerichtlichen Rechtsschutzes durch "gerichtsähnliche" Kontrollformen immer erst dort anfangen (und ist daher auch frühestens dort geboten216), wo ein staatlicher Akt aus verfassungsimmanenten Gründen von vornherein jeder 17 richterlichen Überprüfung entzogen ist. Es muß sich also um Situationen handeln, in denen der optimale, d.h. nach beiden Seiten hin schonendste Ausgleich zwischen Gerichtskontrolle einerseits und kollidierenden Verfassungswerten andererseits nur dergestalt hergestellt werden kann, daß erstere ausnahmsweise gänzlich zurücktritt218 • Davon kann jedoch zumindest in den hier behandelten Fällen der Geheimhaltung von prozeßrelevantem Tatsachenmaterial keine Rede sein219 • Eine solche vor- oder innerprozessuale Auskunftsverweigerung kann zulässigerweise nur bezwecken, dem betroffenen Bürger bzw. der Öffentlichkeit den Einblick zu verwehren in Verwaltungsvorgänge, deren Bekanntwerden die Exekutive an der Erfiillung wichtiger verfassungsmäßiger Aufgaben hindem würde. Dieser Geheimhaltungsgrund erstreckt sich aber nicht auch auf die Person des Richters, der den Vorgang in staatlicher Funktion auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen hat und der dabei - wie jeder der beteiligten Amtsträger - dienstrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet ise20 • Ihm als dem Vertreter der Dritten Gewalt dürfen demgemäß die zur Rechtskontrolle notwendigen Sachinformationen ebensowenig verweigert werden wie etwa auf der anderen Seite
215 Nachweise dazu oben, C.IV.l. -Nur den Fall einer entsprechenden Verfassungsänderung betreffen die Überlegungen zur Ersetzung des gerichtlichen (Planungs-) Rechtsschutzes durch einen "Pianungs-Ombudsman" von Ossenbühl, Gutachten z. 50. DJT, B 174 f.; vgl. aber dens., DVBI. 1978, I (9). 216 Dies verkennen Flanderka, Bundesbeaufuagter, 129 ff., insbes. 138 ff., und Geiger, DVBI. I 990, 748 (75 I ff.), mit ihrer Kritik an der fehlenden Entscheidungsmacht des Datenschutzbeauftragten und an den angeblich unzureichenden Kontrollmöglichkeiten des Parlaments. 211 Es geht insoweit also nicht lediglich um die - mit den funktionellen Grenzen der Rechtsprechung verknüpften - Fragen größerer oder geringerer Kontrollintensität, dazu allg. Krebs, Kontrolle, 71 ff. u. 81 ff., sowie unten, V.4.d)cc)ß).
218
Zur Herstellung "praktischer Konkordanz" allg. Hesse, VerfassungsR, Rn. 72, 3 I 7 ff.
Auch sonst dürften sich Beispiele fllr eine völlige Zurückdrängung der Gerichtskontrolle schwerlich finden lassen, s. Krebs, Kontrolle, 68 ff. 219
220 Über das spezielle Beratungsgeheimnis (§ 43 DRiG) hinaus gelten fllr Richter aufgrund von Verweisungsnormen (z.B. § 46 DRiG) auch die allgemeinen beamtenrechtlichen Vorschriften zur Amtsverschwiegenheit, s. Schmidt-Riintsch, DRiG, §§ 43 Rn. 5, 46 Rn. 37.
214
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
den Angehörigen der rein exekutivischen Aufsichts- und Kontrollinstanzen221 • Das verfassungslegitime Geheimhaltungsinteresse der vollziehenden Gewalt steht also, anders als es die bisherige Praxis vermuten läßt, nicht der Gerichtskontrolle schlechthin entgegen, sondern lediglich einer uneingeschränkten Teilnahme des Bürgers und der Öffentlichkeit am gerichtlichen Verfahren222 • Diese Differenzierung muß bei der (künftigen) gesetzlichen Ausgestaltung des Rechtsschutzsystems bedacht werden. Eine insgesamt angemessene, die richterliche Kontrollfunktion nicht übermäßig einschränkende Lösung des Kontrollproblems kann nur darin bestehen, Kläger und Publikum, soweit dies aus übergeordneten öffentlichen Interessen erforderlich ist, vom gerichtlichen Ermittlungs- und Überprüfungsvorgang auszuschließen. Zu den verfassungsrechtlich garantierten Elementen eines wirksamen Rechtsschutzes zählt zwar unbestrittenermaßen die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. I 03 I GG)223 und nach überwiegender Auffassung auch der Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit (§ 169 GVG)224 • Eher darf bzw. muß jedoch auf diese Attribute (in der Regel vorübergehend225 ) verzichtet werden als auf den gerichtlichen
221
Vgl. Düwel, Amtsgeheimnis, 242.
Ebenso Riegel, RiA 1988, 142 (147); K. Merlen, Datenschutz, 227 f.; allg. Schwan, in: Kam/ah u.a., BDSG, § 13 Rn. 19 ff.; zum sog. Lauschangriff auch Guttenberg, NJW 1993, 567 (575). Anderer Ansicht sind z.B. Evers, BK, Art. 73 Nr. 10 Rn. 70 ff.; Borgs-Maciejewski, Aus Politik und Zeitgeschichte 1976, Beil. 6, 12 (22 ff.); Friedrichs, Der Einsatz von "V-Leuten", 144 f.; Rupp, in: BMI (Hrsg.), Verfassungsschutz und Rechtsstaat, 157 (160, 169), der die derzeitige Schwäche des gerichtlichen Rechtsschutzes gegenUber geheimdienstlicher Tätigkeit filr "strukturbedingt" und damit offensichtlich filr unvermeidbar hält. 222
223 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 18 f.: "allgemeiner Rechtsschutzstandard". Zu den verfassungsimmanenten Grenzen des rechtlichen Gehörs ders., ebda., Art. 103 I Rn. 16 ff.; Rüping, in: BK, Art. 103 I Rn. 62 ff.; Uberzogen das Minderheitsvotum in BVerjGE 30, I (43 f.): ein Gerichtsverfahren ohne Betroffenenbeteiligung biete "keinen Rechtsschutz". 224 Zu dessen verfassungsrechtlicher Bedeutung Heyde, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, 1231 f. m.w.N.; BGHSt, NJW 1994,2773 f. Seitjehererlaubt § 172 Nr. 1 GVG den Ausschluß der Öffentlichkeit bei Geflihrdung der Staatssicherheit. 225 Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (z.B. BVerjGE 9, 89 [98]; 30, 1 [31 f.]) folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Verpflichtung, den Betroffenen zumindest nachträglich zu informieren, sobald der Grund der Geheimhaltung weggefallen ist (vgl. § 5 V G 10; § 101 I StPO). Dieser Rechtsgedanke ist auch dort anwendbar, wo eine entsprechende Gesetzesregelung fehlt, vgl. BVerwG, NJW 1986, 2329 (2330 f.); OVG Berlin, NVwZ 1987, 817 (819 f.); VG Köln, NVwZ 1983, ll2 (ll3); BjD, l. TB, BT-Dr 8/2460, 32; Bu/1, in: BMI (Hrsg.), Verfassungsschutz und Rechtsstaat, 156; Riegel, RiA 1981,49 (53); 1984, 121 (127); ders., DVBI. 1985, 765 (773); DuD 1988, 277 (283) u. ö.; Bäum/er, AöR 110 (1985), 30 (53); ders. , NVwZ 1988, 199 (203); Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 13 Rn. ll u. 23 f.; Friedrichs, Der Einsatz von "V-Leuten", 143; H-J. Meyer, Beobachtungsmaßnahmen, 110;K. Merlen, Datenschutz, 225; Vage/gesang, Informationelle
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
215
Rechtsschutz insgesamt226 - zumal da auch alle denkbaren Rechtsschutzsurrogate in der gegebenen Situation auf keinen Fall eine weitergehende Betroffenenbeteiligung und Publizität ermöglichen könnten. Unabhängige Datenschutzbeauftragte und ähnliche, z.B. mit Parlamentariern besetzte Kontrollorgane bieten hier vor allem deshalb keine gleichwertige Rechtsschutzaltemative, weil sie die rechtlich notwendigen Verhaltensänderungen nicht unmittelbar erzwingen, sondern nur ihre persönliche und fachliche Autorität sowie ihren politischen Einfluß zur Geltung bringen können, wobei sie selbst - wegen der Abhängigkeit ihres Mandats von einer (Wieder-) Wahl solchen Einflußnahmen stärker ausgesetzt sind als ein (Lebenszeit-) Richter227• Dem geschilderten Dilemma entgeht man auch nicht durch eine Fortentwicklung der bestehenden exekutivischen und parlamentarischen Datenschutzinstanzen in Richtung auf ein "judikatives Kontrollmodell" (Verbindlichkeit der Kontrollfeststellungen; Wegfall auch der Rechtsaufsicht; persönliche Unabhängigkeit der Mitarbeiter; fachliche Mindestqualifikation etc.), wie es bisweilen unter Berufung auf das G 10-Urteil des BVerfG als zwingende verfassungsrechtliche Konsequenz hingestellt wird228 • Solche Rettungsversuche, deren Verwirklichung das Ende des "Beauftragten" als eigenständige Rechtsfigur bedeuten würde, bestätigen letztlich nur seine mangelnde Eignung als funktionales und/ oder organisatorisches Gegenmodell zum gerichtlichen Rechtsschutz. Wie
Selbstbestimmung, 248; grds. auch Vahle, Polizeiliche Aufklärungs- und Observationsmaßnahmen, 100 f. 226 So im Prinzip auch Lorenz, Rechtsschutz, 266 Fn. 49; Krieg/er, Beeinträchtigung des Rechtsschutzes, 212 ff.; Düwel, Amtsgeheimnis, 241 ff. (s. aber 230); Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 13 Rn. 95; ders., DVR 13 (1985), 255 (321) u. ö. Dieser "naher beim Grundgesetz" liegende Weg hatte sich auch anstelle der Verfassungsänderung in Art. 10 112 GG angeboten, vgl. BVerjGE 30, 1 (21); Bettermann, AöR 96 (1971), 528 (561); Riegel, RiA 1988, 142 (147).- Im Strafprozeß, wo es nicht (primär) um den Rechtsschutzanspruch des Bürgers, sondern um den Strafanspruch des Staates geht, mag eine andere Bewertung angezeigt sein; so jedenfalls BVerjGE 51, 250 (288); Kunig, Rechtsstaatsprinzip, 371; wie hier aber Ziegler, ZRP 1988, 25 (27 f.). 227 So auch VG Köln, NVwZ 1983, 112 (113); OVG Bremen, NVwZ 1983, 358 (360); dass., NJW 1987, 2393 (2397); K. Merlen, Datenschutz, 226; Schapper, DRiZ 1987, 221 (225); Vahle, Polizeiliche Aufklärungs- und Observationsmaßnahmen, 104 ff.; ders., DuO 1987, 434 (439); Bäum/er, NVwZ 1988, 199 (200); Degenhart, NJW 1989, 2435 (2441); Guttenberg, NJW 1993, 567 (575); vgl. auch Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 13 Rn. 111; zumindest mißverständlich OVG Koblenz, DVBI. 1987, 959 (962 a. E.). 228 So insbes. Flanderka, Bundesbeauftragter, 129 ff.; Geiger, DVBI 1990, 748 (751 ff.); Gusy, in: BjV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 67 (86 ff.); vgl. auch Sieber, NJW 1989, 2569 (2576); ftlr die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste die Popularklage, die der Entscheidung BayVerjGH, BayVBI. 1992, 141 ff., zugrundelag.
216
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
immer der dafür zuständige Amtsträger am Ende bezeichnet werden mag: An der Notwendigkeit einer spezifisch richterlichen Rechtskontrolle fUhrt auch im Falle geheimhaltungsbedürftiger Datenverarbeitung kein Weg vorbei. Offen und weitgehend der gesetzgeberischen Gestaltung überlassen bleibt hiernach lediglich die Frage, zu welchem Zeitpunkt und mit welchen prozessualen Mitteln die verfassungsrechtlich geforderte Überprüfung dieser besonders sensiblen Form der staatlichen Informationsverwaltung zu erfolgen hat. Die bislang in der Literatur diskutierten Alternativen - vorgängige Kontrolle nach Art eines Richtervorbehalts229 oder nachträgliche richterliche Kontrolle wie bei der in den USA praktizierten "in camera"-Prüfung230, Prüfung nur auf Antrag231 oder auch von Amts wegen in Gestalt von Stichproben232 - brauchen hier nicht weiter behandelt zu werden. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung genügt die Feststellung, daß filr jene speziellen Rechtsschutzdefizite,
229 Dafilr z.B. Lorenz, Rechtsschutz, 266 Fn. 49 a. E.; Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 13 Rn. 106 ff.; Gusy, NJW 1981, 1581 (1585); Denninger, KritJ 1985,215 (237 f.); K. Merlen, Datenschutz, 227 f.; Beier, Geheime Überwachungsmaßnahmen, 191 ff., 199; Guttenberg, NJW 1993, 567 (575); z.T. aoiehnend Vahle, Polizeiliche Aufklärungs· und Observationsmaßnahmen, 102 f.; ders., DuD 1987, 434 (438 f.); Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 167; Lisken/Mokros, NVwZ 1991 , 609 ff. - Dagegen bleibt eine bloße Pflicht der Behörden zur Vorabinformation des Datenschutzbeauftragten, wie sie filr die sog. Rasterfahndung u.a. von Riegel, ZRP 1980, 300 (305 f.), Rogall, GA 1985, 1 (24), und Denninger, 239, gefordert wird, hinter dem rechtlich Gebotenen und Möglichen zurück; vgl. hierzu den neu eingefilhrten Richtervorbehalt bei der "Netzfahndung" nach § 163 d II StPO sowie - grundlegend zur präventiven Einschaltung des Richters- Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 118 (173 ff.); Lorenz, 138 ff. -Weniger rechtlichen als vielmehr praktischen Erwägungen entspringt der Gedanke, einzelne Verwaltungsmaterien von vomherein den Gerichten zu übertragen, s. etwa Quaritsch, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 41 (1983), 240 f.: Asylanerkennung; Pestalozza, Der Staat 18 (1979), 481 (504 ff.): Technische Großvorhaben; krit dazu Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), 193 (207). 230 Ein gerichtliches Kontrollverfahren in Abwesenheit der Parteien, s. hierzu Scherer, JZ 1979, 389 (393); Riegel, ZRP 1987, 431 (435); ders., RiA 1988, 141 (147); Ziegler, ZRP 1988, 25 (28); vgl. auch Düwel, Amtsgeheimnis, 241 f. 231 Darin läge zugleich der filr die umfassende Überprüfung geheimzuhaltender Daten erforderliche formelle "Verzicht" auf das Anhörungsrecht nach Art. 103 I GG; s. Krieg/er, Beeinträchtigung des Rechtsschutzes, 214 f.; Düwel, vorige Fn., 241 f. Angesichts der grundsätzlichen Verzichtbarkeit des rechtlichen Gehörs können die vom BVerwG, NJW 1990,2761 (2765), geäußerten Bedenken gegen ein -dort offenbar von der Klägerseite angeregtes- Verfahren "in camera" schon nach geltendem Prozeßrecht kaum überzeugen.
232 Geht die Initiative zur Kontrolle vom Richter statt vom rechtssuchenden BUrger aus, so bleibt die Kontrolle aus Sicht der kontrollierten Stellen insgesamt "unberechenbar" und damit effektiv (vgl. Krebs, Die Verwaltung 21 [1988], 155 [157]; Flanderka, Bundesbeauftragter, 137; BVerjG, NJW 1995, 581). Es bedarfhier also entgegen der Annahme Schiin/es (Staat 12 [1973], 85 [107]) nicht unbedingt einer lückenlosen Kontrolle jeder einzelnen Maßnahme.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Daten~chutzkontrolle?
217
welcheinfolge behördlicher Informationssperren entstehen, der grundgesetzlich geforderte Ausgleich nur durch eine nachhaltige Verbesserung der Gerichtskontrolle und nicht (stattdessen) durch unverbindlich bleibende Kontrollen unabhängiger Datenschutzbeauftragter hergestellt werden kann. In rechtspsychologischer Hinsicht dürfte die Tätigkeit der Beauftragten sogar eher das Gegenteil des Gewollten bewirken: Indem sie das "rechtsstaatliche Unbehagen"233 , das angesichts der bislang unvollkommenen richterlichen Prüfungsmöglichkeiten im Geheimschutzbereich empfunden wird, durch eine medienwirksame Darstellung ihrer eigenen Kontrolltätigkeit auffangen und abmildern, tragen diese Organe - unbeabsichtigterweise - zu einer Gewöhnung an den bestehenden, verfassungsrechtlich wenig befriedigenden Zustand bei234 • Auf Dauer kann sich so der Eindruck verfestigen, bestimmte Zweige der Verwaltung, insbesondere die Nachrichtendienste, seien schon "von Natur aus" keiner gerichtlichen Kontrolle zugänglich235 • In diesem Zusammenhang ist auch noch auf eine weitere Gefahr hinzuweisen, die sich aus der Existenz spezialisierter Kontrollinstanzen innerhalb der Verwaltung ergibt. Die weiterhin zuständigen Verwaltungsgerichte geraten hierdurch nämlich mehr und mehr in die Versuchung, von ihren immerhin vorhandenen Mitteln zur eigenen Sachaufklärung (z.B. bei der Überprüfung der Weigerungsgründe nach § 99 I 2 VwGO) nicht mit der gebotenen Intensität Gebrauch zu machen, sondern sich bei der Urteilstindung weitgehend auf die naturgemäß sehr pauschalen Aussagen in den amtlichen Datenschutzberichten zu verlassen. Erste Anzeichen einer solchen Entwicklung hin zur verwaltungsprozessualen Alibifunktion des Datenschutzbeauftragten finden sich in obergerichtliehen Entscheidungen236 und vereinzelt sogar in Urteilen des BVerwG237 •
233
So OVG Bremen, NJW 1987, 2393 (2397).
Kauß, Kontrolle der Sicherheitsbehörden?, passim, sieht hierin sogar die eigentliche (objektive) "Funktion" der Datenschutzbeauftragten. 234
m So die oben in Fn. 223 a.E. sowie in BVerl+G, NVwZ 1994, 72 (73 f.), wiedergegebene Auffassung. 236 S. 0 VG Berlin, NJW 1986, 2004 (2005), das angesichts der im Bericht des Datenschutzbeauftragten wiedergegebenen Kontrollerfahrungen auf eine weitere Prüfung des Einzelfalls offenbar verzichtet (krit dazu Schwan, DVR 13 [1985], 255 [321]); vorsichtiger OVG Bremen, NJW 1987, 2393 (2397): Das Gericht zieht die Bewertung durch den Beauftragten nur "als ein Erkenntnismittel in Betracht"; beinahe ein Sonderfall VGH Mannheim, NJW 1987, 1717 (1718), wo der in einem Datenschutzbericht enthaltenen rechtlichen Bewertung ausdrücklich widersprochen wird. 237 So rechtfertigt das BVerl+G, NJW 1990, 2761 (2763), den im BDSG 1977 enthaltenen völligen Ausschluß eines Auskunftsanspruchs gegenüber den Sicherheitsbehörden damit, der Ge-
218
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
Selbst das BVerfG ist in dem schon mehrfach erwähnten Beschluß zu§ 3 G I 0 nicht etwa durch eigene konkrete Ermittlungen zu der letztlich fallentscheidenden Feststellung gelangt, die angefallenen Daten der damaligen Beschwerdefiihrerin würden nicht zu sachfremden Zwecken mißbraucht. Es hat sich vielmehr zur Begründung seiner These allein auf zwei frühere Jahresberichte des Bundesbeauftragten fiir den Datenschutz gestützt, wobei diese in den Entscheidungsgründen nicht einmal ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben sind238 • Das Gericht läßt sich damit auf eine nicht ungeflilirliche Entwicklung ein. Je unverhohlener nämlich den in solchen Berichten geäußerten allgemeinen Auffassungen des Beauftragten eine faktisch oder sogar rechtlich präjudizierende Bedeutung filr die Beurteilung konkret anhängiger Rechtsflille zugebilligt wird239, desto mehr droht der aus der Unabhängigkeit der Dritten Gewalt folgende Prüfungs- und Bewertungsvorrang des Richters gegenüber dem bloßen Sachverständigen verlorenzugehen240 •
3. Die Rechtsschutzerschwerung wegen schlichter Unkenntnis interner Ver)fahrensabläujfe
Rechtsschutzdefizite, die nach einem Ausgleich verlangen, können ihre Ursache nicht nur in der gezielten Geheimhaltung bestimmter informationeHer Vorgänge haben. Sehr viel häufiger dürften es rein tatsächliche Gegebenheiten sein, die den betroffenen Bürger vom Beschreiten des Rechtswegs abhalten.
setzgeberhabe zum Schutz des Betroffenen Maßnahmen vorgesehen, die "in die verfassungsrechtlich gebotene Richtung" wiesen - gemeint ist in Anspielung auf eine gleichlautende Passage des Volkszählungsurteils u.a. die Einrichtung unabhängiger Datenschutzbeaufuagter. 238
BVerjGE 67, 157 (183).
Vgl. auch Schweinoch, in: Gallwas u.a., BDSG, § 20 Rn. 21, wonach die llinnliche Beanstandung durch den Datenschutzbeaufuagten den generellen "Beweis des ersten Anscheins" für eine Verletzung von Datenschutzbestimmungen liefern soll. 239
240 Zu dieser Gefahr allgemein Schmidt-Aßmann, WDStRL 34 (1976), 221 (267 f.); Pietzcker, WDStRL 41 (1983), 193 (206 f.).
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
219
a) Die ablaufbedingten Transparenzdefizite bei der Datenverarbeitung Zu denken ist hier zunächst ganz allgemein an die mit jeder Automatisierung unausweichlich verbundene Formalisierung und Anonymisierung der exekutivischen Datenverarbeitung241 • An die Stelle des leicht identifizierbaren, individuell ansprechbaren und ftlr den gesamten Entscheidungsablauf persönlich verantwortlichen Sachbearbeiters tritt vor allem in den Bereichen der sog. Massenverwaltung (Steuer-, Sozialbehörden etc.) in zunehmendem Maß das digitale Verwaltungs"system", das die vorgegebenen Lebenssachverhalte in Teilinformationen zerlegt, diese automationsgerecht codiert und nach vorgefertigten Programmen verarbeitet, um schließlich standardisierte Entscheidungen in Form maschinell hergestellter Bescheide zu produzieren. Für den Außenstehenden können sich aus dieser Arbeitsweise hohe Verständnis- und Kontaktbarrieren ergeben. Es bereitet ihm häufig schon erhebliche Mühe, den Inhalt einer ihm gegenüber ergangenen Entscheidung vollständig zu erfassen242 • Erst recht fehlt dem durchschnittlichen Bürger der notwendige Einblick in die technischen und verwaltungsorganisatorischen Abläufe, die für das vorangegangene Verfahren der Datenerhebung und Datenverarbeitung maßgebend waren. Er kann deshalb mit eigenen Mitteln zumeist auch nicht überprüfen, ob die geltenden Datenschutzvorschriften in Einzelfall beachtet worden sind. Neben diesem Verständigungsproblem, das vor allem durch den Einsatz moderner Datenverarbeitungsanlagen entsteht, muß noch ein weiterer Aspekt berücksichtigt werden. Der Eingriff in das informationeile Selbstbestimmungsrecht besitzt eine Eigenschaft, durch die er sich von den meisten sonstigen Freiheitsbeschränkungen strukturell unterscheidet: Er kann erfolgen, ohne daß der Betroffene davon - jedenfalls zunächst - überhaupt etwas bemerkt243 • In die Befugnis des einzelnen, "selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner
241 Zum folgenden s. vor allem Scholz, BayVBI. 1981, 193 (195 ff.); ders./Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 19 ff.; Grimmer, DÖV 1982, 257 (258 ff.); Seihe/, VA 74 (1983), 325 (344 ff.); frOher bereits Dammann, Datenschutzkontrolle, 87 ff. 242
Dazu Ossenbühl, NVwZ I982, 465 (469).
Näher Dammann, Datenschutzkontrolle, 96 f.; Gusy, in: BjV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 67 (68 f.); VG Hannover, NVwZ 1987, 826 f. ·Vergleichbar sind insoweit wohl nur Eingriffe in die Rechte aus Art. 10 und 13 GG (hierzu Guttenberg, NJW 1993, 567 ff.; Kutscha, NJW 1994, 85 ff.) sowie Beeinträchtigungen der persönlichen Ehre (Art. 2 I i. V. m. I I GG), wobei diese allerdings zumindest einer dritten Person bekannt werden müssen, um als Eingriff gelten zu können. 243
220
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
persönlichen Daten zu bestimmen"244, wird nämlich nach heutigem Verständnis nicht mehr nur dann eingegriffen, wenn der Staat an den Bürger unmittelbar herantritt und ihn - z.B. unter Androhung von Zwangsmitteln - zu Angaben über die eigene Person auffordert. Von kaum geringerer Eingriffsintensität ist eine Datenerhebung, bei der die gewünschten Informationen durch gezielte Beobachtung des Betreffenden bzw. durch Befragung Dritter gewonnen werden oder bei der eine staatliche Stelle die früher zu einem bestimmten Zweck erlangten Daten in einem neuen Zusammenhang verwendet bzw. sie hierzu an andere weitergibe45 • Diesen verschiedenen Modalitäten eines schlicht-hoheitlichen Informationseingriffs ist gemeinsam, daß der Bürger ohne eigenes Zutun und deshalb ohne seine (notwendige) Kenntnis informationeil erfaßt wird. Er läuft damit Gefahr, nicht mehr sicher einschätzen zu können, "wer wo über welche seiner personenbezogenen Daten in welcher Weise und zu welchen Zwecken verfiigt" 246• Einem Betroffenen, dem solche Vorgänge gänzlich verborgen bleiben, bietet sich praktisch keine Möglichkeit, von seinem Recht aus Art. 19 IV GG Gebrauch zu machen und rechtzeitig wirksamen gerichtlichen Schutz anzufordern. Angesichts dieser strukturellen Unterlegenheit des einzelnen gegenüber der datenverarbeitenden Exekutive liegt der Rufnach besonderen verwaltungsinternen Kontrollinstanzen nahe, die die verschiedenen Erhebungs- und Verarbeitungsvorgänge von Amts wegen begleiten und dabei stellvertretend für ganze Gruppen Betroffener - deren individueller Rechtsschutzanspruch hiervon unbe-
244
BVerjGE 65, 1 (43).
Grundlegend Sch/ink, Amtshilfe, 188 ff., wo zu Recht der Ersatzvomahme- bzw. Umgehungscharakter solcher Maßnahmen betont wird; ders., NVwZ 1986, 249 (252); Roh/f, Privatsphäre, 201 ff.; Rosenbaum, JURA 1988, 178 (180 f.); Gusy, CR 1989, 628 (633 f.); BGHSt, NJW 1991, 2651 f. (dazu Kramer, NJW 1992, 2732 [2734]); vgl. auch Götz, Polizei- und OrdnungsR, Rn. 144 ff. ; Guttenberg, NJW 1993, 567 (574); enger dagegen KloeRfer, Datenschutz als Grundrecht, 23 f.; Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 122 ff.; Schmitl Glaeser, in: Jsensee/ Kirchhof, HdbStR VI, § 129 Rn. 95 ff.; grds. a.A. Krause, DB 1983, Beilage Nr. 23, 7 ff.; s. auch schon Triepel, Die Reichsaufsicht (1917), 117: "Beobachten und Ermitteln sind Tatigkeiten, die an sich filr das Recht überhaupt gleichgültig sind... Nur wenn die Beobachtung und die Ermittelung auf der Gebundenheit eines anderen Rechtssubjektes beruht, insofern dieses verpflichtet ist, Auskünfte zu erteilen oder Einsichtnahmen zu gestatten, ist zwischen ihm und dem, der Kenntnisse zu gewinnen wünscht, ein rechtlich bedeutsames Verhältnis vorhanden" (Hervorhebung nur hier). 245
246 BVerjGE 65, I (70). Krit. zu dieser auf Podlech (AK z . GG, Art. 2 I, Rn. 45) zurückgehenden weitreichenden Formulierung im Volkszahlungsurteil Jsensee, ZRP 1985, 139 (140 f.): "atavistisches Luziditätsideal"; skeptisch auch Schenke, NJW 1987, 2777 (2779); Groß, AöR 113 (1988), 167 (171 f.); H. Fiedler, CR 1989, 131 (133).
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
221
rührt bleibf47 - die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen überwachen können. Ein derartiger Ausgleich schwebt erkennbar auch dem BVerfG vor, das gerade wegen der "filr den Bürger bestehenden Undurchsichtigkeit der Speicherung und Verwendung von Daten unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung"248 eine Verfahrensbeteiligung unabhängiger Datenschutzbeauftragter fi1r bedeutsam hält. Daß die Beauftragten als Instrumente eines kollektiv verstandenen Rechtsschutzes ihrerseits verfassungsrechtlich abgesichert wären249, ergibt sich aus dieser höchstrichterlichen Feststellung allerdings nicht. Ein eigener Verfassungsstatus würde nämlich voraussetzen, daß die dargestellten Transparenzhindernisse auch durch zusätzliche Maßnahmen nicht mehr beseitigt werden könnten und daher einer effektiven Rechtsverfolgung tatsächlich entgegenstünden. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, daß dies nicht zu befilrchten ist.
b) Die Pflicht der Verwaltung zur Offenlegung von Informationsvorgängen Zwar werden jene Verwaltungsmaßnahmen, die den Bürger in seiner informationeilen Rechtssphäre berühren, durch den Einsatz der automatischen Datenverarbeitung zunächst einmal komplizierter und damit zunehmend undurchschaubar. Es ist aber anerkannt, daß diese faktischen Erschwernisse der Rechtsverfolgung, die durch verwaltungsprozessuale Erleichterungen250 nur zu einem Teil ausgeglichen werden können, von den datenverarbeitenden Stellen nicht tatenlos hingenommen werden dürfen. Im seihen Maße, in dem die Transparenz staatlichen Handeins durch immer komplexere technisch-organisatorische Strukturen verlorengeht, wächst die Pflicht der beteiligten Staatsorgane zur Aufklärung, Belehrung, Beratung und Betreuung des betroffenen Bürgers251 .
247 Vgl. in ähnlichem Zusammenhang Schmel, Massenverfahren, 271 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV, Rn. 266, 268. 248 BVerjGE 65, I (46); zustimmend im gleichen Sinne Similis, NJW 1984, 398 (403); Podlech, Leviathan 12 (1984), 85 (94); wohl auch Schmitt Glaeser, in: Jsensee/Kirchhof, HdBStR VI, § 129, Rn. 105; Schlink, VVDStRL 48 (1990), 233 (251, 263). 249 So aber schon vordem Volkszählungsurteil Baum, DÖV 1980,424 (431); Leuze, DVBI. 1982, 993 (997); Woertge, Prinzipien des Datenschutzrechts, 175 f. 250 Zur reduzierten Substantiierungspflicht und der entsprechenden Handhabung der Untersuchungsmaxime (§ 86 VwGO) s. BVerjG, NJW 1987, 2805 (2807); 1988, 962 (963).
251
Bull, DÖV 1983, 829 (833 f .); BVerjGE 65, I (46, 59), am Beispiel der Volkszählung; hierzu
222
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
Nicht mehr nur die Entscheidungen mit unmittelbar zielgerichteter Außenwirkung bedürfen hiernach einer ausreichenden Erläuterung252 • Auch die (rechtlich relevanten) verwaltungsinternen Abläufe sind -jedenfalls auf Nachfrage - in eine fiir den Laien verständliche Sprache zu übersetzen und damit insgesamt kontrollierbar zu machen253 • Welcher Amtsträger im Einzelfall fiir den Umgang mit personenbezogenen Daten zuständig und verantwortlich ist, muß nach abstrakten Kriterien festgelegt werden und aus den Organisationsplänen erkennbar sein254• Hinter technisch erzeugten "Sachzwängen" darf sich bei einer solchen Tätigkeit niemand verstecken. Werden bereits durch die Programmierung der Datenverarbeitungssysteme bestimmte sachliche Vorentscheidungen in Gestalt einer Informationsauswahl oder Fallgruppenbildung getroffen255, so ist dies in geeigneter Weise offenzulegen, um den Betroffenen eine vollständige Nachprüfung des (automatisierten) Entscheidungsprozesses zu ermöglichen256 • Der zusätzliche materielle und personelle Aufwand fUr solche transparenzfördernden Maßnahmen muß in das Rationalisierungskalkül, das dem Einsatz von EDV-Anlagen zugrundeliegt, von Beginn an einberechnet wer-
auch Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 79 ff., der insoweit aber berechtigte Zweifel anmeldet, ob solche Pflichten vom Gesetzgeber bis ins Detail geregelt werden können und müssen (ebenso Schenke, NJW 1987, 2777 [2780]). 252 Dazu etwa Badura, in: Schmitt Glaeser, Verwaltungsverfahren, 205 (220 ff.); ders., in: Erichsen/Martens, Allgemeines VerwaltungsR, 417, jeweils zu den Problemen bei der automatisierten Erstellung von (Massen-) Bescheiden. 253 Vgl. Wahl, VVDStRL 41 (1983), 155 (179 f.); Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 163 ff. - § 25 VwVfU regelt von dieser allgemeinen Unterstützungspflicht nur einen bestimmten Ausschnitt, s. Kopp, VwVfU, § 25 Rn. 1 ff., ll, 16.
254 Scholz, BayVBI. 1981, 193 (197 ff.); vgl. auch Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221 (266, 1.). 255 Naheres bei Scholz (vorige Fn.), 195 f.; Wahl, VVDStRL 41 (1983), 155 (178 f.), am Beispiel der Steuerverwaltung. 256 C. Mal/mann, Datenschutz in Verwaltungsinforrnationssystemen, 90 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 256; Scholz, BayVBI. 1981, 193 (198), unter Hinweis auf die Parallelproblematik der verhaltenslenkenden Verwaltungsvorschriften.- Die von Scholz und anderen Autoren (z.B. Seihet, VA 74 [1983], 325 [348]) geforderte präventive "Programmkontrollklage" in Anlehnung an§ 47 VwGO dUrfte allerdings von Verfassungs wegen ebensowenig geboten sein wie eine direkte Klagemöglichkeit gegen Verwaltungsvorschriften (hierzu - z.T. a.A. - Schenke, DÖV 1979, 622; ders., in: BK, Art. 19 IV Rn. 212); in aller Regel genügt vielmehr eine Anfechtung der Endentscheidung mit inzidenter Programmkontrolle (dazu Dammann, Datenschutzkontrolle, 89; W Schmidt, Einftlhrung, Rn. 131 f.). Zur Forderung nach einer speziellen Computergefllhrdungshaftung s. Popper, DVBI. 1977, 509 (513 f.); Maurer, Allgemeines VerwaltungsR, § 28 Rn. 19.
C. Verfassungsrechdiebes Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
223
den257• Es handelt sich, verwaltungsökonomisch betracht~t, um notwendige "Kosten des Rechtsstaats". Konkrete Auswirkungen hat die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes insbesondere auch auf die Frage, ob und in welcher Form dem Bürger von den ihn speziell betreffenden Datenverarbeitungsvorgängen unaufgefordert Mitteilung zu machen ist. Da die Sammlung, Zweckänderung und Weitergabe von personenbezogenen Daten nach heute ganz überwiegender Ansicht die informationeile Selbstbestimmung einschränkt und insofern regelmäßig Eingriffscharakter besitzt258, muß auch hier der allgemeine rechtsstaatliche Grundsatz gelten, daß jedenfalls gezielte Eingriffe in rechtlich geschützte Positionen unabhängig von der jeweils gewählten Handlungsform (Rechtsnorm; Verwaltungsakt; Realakt) dem Betroffenen so vollständig und rechtzeitig bekanntzugeben sind, daß dieser in die Lage versetzt wird, seine Rechte wirksam zu verteidigen259 • Diese Forderung kann mit dem bloßen Bestehen eines gesetzlichen Auskunftsrechts, das zu seiner Wirksamkeit entsprechende Aufzeichnungs- und Protokollierungspflichten der Exekutive voraussetzt260, noch nicht in jedem Falle als erfiillt angesehen werden. Oftmals wird nämlich der Bürger aufgrund fehlender Kenntnisse von den vielfach verzweigten Informationsströmen gar
257 Ebenso i. E. Grimmer, DÖV 1982, 257 (265); ders., DÖV 1991, 867 (870 f.); Bull, DÖV 1983, 829 (834); Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151 (179). 258 BVerjGE 65, I (43); Sch/ink, NVwZ 1986, 249 (252); Vahle, VR 1986, 258 ff.; Knemeyer, NVwZ 1988, 193 (194 ff.); vorsichtiger formulierend Schenke, NJW 1987, 2777 (2784): "Individualrechtsbezug... im Schwerefeld des Art. 19 IV GG"; aus der älteren Lit. grundlegend Rohlf, Privatsphäre, 201 ff.; Schlink, Amtshilfe, 169 ff. (188 ff.) m. w. N. -Fraglich bleibt einerseits, ob die Aufbewahrung(= Speicherung) personenbezogener Daten einen selbständigen Eingriff darstellt, wie z.B. Gusy, NVwZ 1983, 322 (324), annimmt; verneinend Rohlf, 206 f.; Schlink, 202 f. Andererseits wird am Eingriffscharakter der Datenerhebung gezweifelt in Fällen, bei denen keine gesetzliche Verpflichtung des einzelnen zur Preisgabe seiner Daten besteht, so vor allem Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 26 f., 82 ff.; Vogelgesang, Infonnationelle Selbstbestimmung, 61 f., 122 ff., 174 ff. Daß zumindest das Volkszählungsurteil nicht in solch engem Sinne verstanden werden darf, geht aus späteren Entscheidungen eindeutig hervor, z.B. BVerjG, NJW 1988, 2031; s. auch Groß, AöR 113 (1988), 161 (166 ff.). 259 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz!Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 250 m. w. N .; filr Realakte Skouris, VA 65 (1974), 264 (281 mit Fn. 66 a); vgl. auch zur Rechtzeitigkeit der Mitteilung bei beamtenrechdichen Konkurrenzverhältnissen BVerjG, NJW 1990, 501 f. Ein zwingendes generelles Gebot, notwendige Maßnahmen bis zur Kenntnisnahme durch den Betroffenen zurückzustellen, läßt sich allerdings nicht begründen, s. Guttenberg, NJW 1993, 567 (575). 260 BVerjGE 65, 1 (70); Schmidt-Aßmann (vorige Fn.), Rn. 255 ;Jensen, DVR 6 (1976), I (22 f.); Kopp, VerfassungsR, 157; Schenke, NJW 1987, 2777 (2784); einschränkend aber Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 156 f.
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
nicht wissen oder zumindest nicht schnell genug in Erfahrung bringen können, bei welcher der zahlreichen datenverarbeitenden Stellen er mit seinen Nachforschungen ansetzen soll. Der Auskunftsanspruch allein hilft ihm in dieser Situation zunächst nicht weiter61 • Er muß daher zusätzlich und ohne vorherige Anfrage von denjenigen Organen, die seine Daten sammeln, nutzen oder weitergeben, über das informationeile Gesamtgeschehen zumindest so weit unterrichtet werden, daß er über den Verbleib und die mögliche Verwendung seiner Daten allgemein im Bilde ist und daraus erkennen kann, an wen er sich mit dem Begehren um Datenauskunft sinnvollerweise zu wenden hat.
c) Die notwendige Eigeninitiative des Rechtssuchenden Über dieser generellen Unterstützungspflicht der Exekutive darf freilich nicht vergessen werden, daß auch von einem rechtssuchenden Bürger ein gewisses Maß an eigener Aktivität und Initiative erwartet werden kann262 • Die Verfassung gewährleistet in Art. 19 IV GG nur allgemein die "Effektivität" des Rechtsschutzes und zwingt keineswegs dazu, die private Rechtsverfolgung mit allen staatlich verfilgbaren Mitteln maximal zu fördern und zu erleichtern263 • Es genügt demzufolge den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn die Erhebung, Zweckänderung oder Übermittlung von Daten den davon betroffenen Personen nicht jeweils einzeln mitgeteilt, sondern zunächst nur in aggregierter und anonymisierter Form bekanntgemacht wird. Dies kann entweder in einem periodisch erscheinenden Amtsblatt oder in einem von jedermann einsehbaren Gesamtregister geschehen. Nach der ursprünglichen Fassung des BDSG stand die erstgenannte Möglichkeit im Vordergrund. § 12 BDSG 1977 ("Veröffentlichung über die gespeicherten Daten") sah bei grundsätzlich jeder neuerrichteten Datei die Bekanntgabe der wichtigsten Merkmale (Art, Zweck, Kreis der Betroffenen, Übermittlungsumfang) im jeweiligen Veröffentlichungsblatt vor, sofern sich die betreffenden
261 Insoweit zutreffend Burmeister, BT-Anhörung BDSG 1986, Anlage 10, 9; ähnlich bereits die Begründung z. RegierungsentwurfBDSG, BT-Dr 7/1027, S. 25. 262 Zutreffend Schwan, in: Kam/ah u.a., BDSG, § 12 Rn. 5; allgemein Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 8. 263 Lorenz, Rechtsschutz, 258 ff.; Schenke, in: BK, GG, Art. 19 IV Rn. 386; Schmidt-Aßmann (vorige Fn.), Rn. 248 a. E.; vgl. auch BVerjGE 70, 35 (56, 61): Art. 19 IV GG verlange keinen "bestmöglichen Rechtsschutz".
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
225
Informationen nicht bereits aus den zugrundeliegenden Rechtsvorschriften oder aus veröffentlichten Verwaltungsvorschriften ergaben264 • Ähnlich wie mit der im allgemeinen Verfahrensrecht vorgesehenen Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe von Verwaltungsakten (§§ 41 III VwVfG; 37 III SGB-X; 122 III A0)265 wollte der Gesetzgeber auch mit diesem generalisierenden Publikationsverfahren den Verwaltungsbehörden, die es mit einer Vielzahl gleichfOrmiger Informationsvorgänge zu tun haben, die dringend benötigte "Bewegungsfreiheit in der Bewältigung von Massenphänomenen" verschaffen266 • Die Rechtsschutzbelange des einzelnen waren bei dieser Vorgehensweise durchaus gewahrt. Die Angaben über den Inhalt der Dateien und vor allem die Offenlegung der regelmäßigen verwaltungsinternen Übermittlungsbeziehungen (§ 12 I Nr. 4, 5 BDSG 1977) ermöglichten es jedem Interessierten, eine ungeflihre Vorstellung von der "Dynamik der Datenzirkulation"267 zu gewinnen und so eine eventuelle Geflihrdung eigener Rechtspositionen frühzeitig zu erkennen. Die rechtsstaatlich gebotene Transparenz der Datenverarbeitung war allein damit zwar noch nicht erreicht; sie konnte aber von dem Betroffenen im Anschluß an solche Veröffentlichungen durch eine gezielte Ausübung des Auskunftsrechts selbst hergestellt werden268 • Ganz so leicht wird es dem Bürger heute nicht mehr gemacht. Die gesetzliche Verpflichtung zur öffentlichen Bekanntmachung von Dateien und Datenübermittlungen ist wegen des hohen administrativen Aufwands und der (angeblich) fehlenden Praktikabilität269 im neuen BDSG ersatzlos gestrichen worden, ohne daß hiergegen übrigens Kritik von seiten der amtlich bestellten Datenschützer laut geworden wären270 • Erhalten geblieben als (nunmehr ein-
264 Näher dazu Dammann, ZRP 1980, 81 (82 ff.), mit berechtigter Kritik an den damals bestehenden Lücken der Publikationspflicht Vgl. auch ders., in: Similis u.a., BDSG 1977, § 12 Rn. 31; Schwan, in: Kam/ah u.a., BDSG, § 12 Rn. 6, 22 ff., 26 ff.; Flanderka, Bundesbeauftragter, 94 f. 265
Dazu BVer!N, NJW 1984, 188 (189 f.).
Vgl. allg. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 154 (arn Bsp. des rechtlichen Gehörs); Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151 (173 ff.). 266
261
Dammann, in: Similis u.a., BDSG 1977, § 12 Rn. 17.
S. die zu§ 12 BDSG 1977 angeftlhrte Erläuterung im damaligen Regierungsentwurf, BT-Dr 7/1027, s. 25. 268
269 So jedenfalls die amtliche BegrUndung zur Aufhebung des § 12 BDSG a. f. im BDSG-E (BTDr 10/4737, S. 9). Zustimmend Similis, in: BT-Anhörung BDSG 1986, Anlage 3, 20. 210 Vgl. die ausruhrliehen mUndliehen und schriftlichen Stellungnahmen in den BT-Anhörungen BDSG 1986 bzw. 1989.
15 Zöllner
226
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
zige) umfassende Informationsquelle ist aber immerhin das vom Bundesbeauftragten fiir den Datenschutz zu fiihrende allgemeine Dateienregister, in das - mit Ausnahme des Sicherheitsbereichs - grundsätzlich jedermann Einblick nehmen kann (§ 26 V BDSG 1990). Auf diese Weise kann ebenfalls sichergestellt werden, daß der behördliche Umgang mit personenbezogenen Daten durchschaubar bleibt. Als verfassungsrechtliche Ideallösung erscheint der derzeitige Rechtszustand allerdings nicht. Die fortlaufende Veröffentlichung der wichtigsten Dateimerkmale in einem allgemein zugänglichen Amtsblatt dürfte dem rechtsstaatliehen Publizitätsgebot eher entsprechen als die bloße Gewährung des Zugangs zu einem Zentralregister. Aufgrund der jetzigen Regelung droht zudem eine Vermengung der Verantwortungsbereiche, weil die (Annex-) Zuständigkeit fiir die Herstellung von "Verarbeitungstransparenz" den datenverarbeitenden Stellen ein Stück weit entzogen und der Kontrollbehörde des Bundesbeauftragten übertragen wird271 • Dieser darf nunmehr sogar einzelne Angaben aus dem Dateienregister nach eigenem Ermessen - freilich mit dem internen Einverständnis der jeweiligen Stelle - der Einblicknahme durch Dritte entziehen (§ 26 V 6 BDSG 1990), ohne daß hierfiir nähere Voraussetzungen genannt wären272 • Geschmälert wird der Informationswert des Registers auch durch einige vermeidbare Lücken, insbesondere durch die (aus der ursprünglichen Fassung des BDSG übernommene) Beschränkung auf automatisiert gefiihrte Dateien. Ungeachtet dieser Einwände wird jedoch mit der heute praktizierten Registerlösung - ebenso wie schon mit der früheren Publikationslösung - dem rechtsstaatliehen Transparenzgebot vom Ansatz her ausreichend Genüge getan. Die oben angesprochenen Detailmängel lassen sich durch geringfilgige Änderungen und Ergänzungen der geltenden Regelung beheben. Es erscheint deshalb weder sachlich notwendig noch gar verfassungsrechtlich geboten, den einzelnen Bürger - wie er dies aus dem Bereich der privaten Datenverarbeitung gewohnt ist (§ 33 BDSG 1990) - wegen jeder ihn berührenden Datenverarbeitungsmaßnahme individuell zu benachrichtigen und ihm damit jeglichen Ermittlungsauf-
271 Soweit dessen übrige Tätigkeit, insbesondere in Gestalt der Tätigkeitsberichte, transparenzfördernd wirkt (s. Similis, CR 1987, 602 [609]), handelt es sich demgegenOber um einen bloßen Nebeneffekt, der die Eigenverantwortung der datenverarbeitenden Stellen unberührt Jaßt. 272 Krit. auch Dammann, in: Similis u.a., BDSG, § 26 Rn. 28. Zu denken wäre hier an eine analoge Anwendung der in § 19 IV BDSG genannten AuskunftsverweigerungsgrUnde.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
227
wand abzunehmen273 • Erst recht besteht kein zwingendes Bedürfnis, rein informationelle (Hilfs-) Tätigkeiten der Behörden wie z.B. die Datenerhebung, Datenübermittlung oder Datenlöschung allen dogmatischen Bedenken zum Trotz als selbständige Verwaltungsakte zu deklarieren274, nur um über die unmittelbare Anwendung bestimmter verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen (z.B. §§ 13, 28, 29, 39 VwVfG) in jedem Einzelfall zu einer formellen Beteiligung der Betroffenen mit den daraus folgenden Rechtsschutzwirkungen zu gelangen275 • Die Vielzahl der Wege, auf denen einem Betroffenen die notwendige Kenntnis von einer Datenverarbeitungsmaßnahme verschaffi werden kann, läßt im Hinblick auf den Gegenstand dieser Untersuchung zumindest eine wesentliche Schlußfolgerung zu: Entgegen einer weitverbreiteten Vorstellung muß der Umgang öffentlicher Stellen mit personenbezogenen Daten nicht notwendigerweise zu einem dauernden Transparenz- und Rechtsschutzdefizit fUhren, das sich nur durch die Einrichtung besonderer Datenschutzkontrollen innerhalb der
273 So aber Baumann, in: BT-Anhörung BDSG 1986, Anlage I, 85 u. 102 (nur bezOg!. Zweckänderungen); Stoflreither, ebda., 276 (bzgl. erstmaliger Speicherung); Bufl, ebda., Anlage 2, 37; Similis, ebda., Anlage 3, 20 f.; Konferenz der Datenschutzbeauftragten, ebda., 191 ; Burmeister, ebda. Anlage 10,9 f.; Similis/Walz, RDV 1987, !57 (162); Hauck-Scholz, NJW 1987, 2769 (2775); unklar Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 245; s. auch BVerjGE 65, I (43), wo zwar einerseits die Wichtigkeit der behördlichen "Aufklärungspflichten" betont wird, andererseits aber offenbleibt, ob darunter (auch) individuelle Benachrichtigungspflichten zu verstehen sind. - Abgelehnt wird eine solche Verpflichtung u.a. von C. Maflmann, Datenschutz in Verwaltungsinformationssystemen, 92 f.; Dammann, in: Similis u.a. , BDSG 1977, § 12 Rn. 2 a. E.; Badura, in: BT-Anhörung BDSG 1986, Anlage I, 411; Schenke, NJW 1987,2777 (2748); s. BVer!N, NJW 1984, 189 f.
274 Evers, Privatsphäre, 262 ff.; H-J Meyer, Polizeiliche Beobachtungsmaßnahmen, 106 ff. Geweils fllr Datenerhebungen ohne Mitwirkung des Betroffenen); Tuner, ÖVD 1982, 75 ff. (fllr Datenübermittlungen); VG Hannover, NVwZ 1987, 826 (fllr Datenlöschungen); wohl auch Dammann, in: Similis u.a., BDSG 1977, § 10 Rn. 3; ablehnend aber die herrschende Meinung, s. etwa OVG Berlin, NJW 1978, 1644; Baum, DÖV 1980, 424 (431); Schwan, in: Kamlah u.a., BDSG, § 13 Rn. 99; Schweinoch, in: Gaffwas u.a., BDSG, § 10 Rn. 27; Kopp, VwVfG, § 5 Rn. 40, § 35 Rn. 44; Schenke, in: BK, Art. 19 IV, Rn. 195; Knieselffegtmayer/Vahle, Datenschutz, 272 f.; vgl. auch Meyer/Borgs, VwVfG, § 35 Rn. 40; BVerjGE 70,35 (56, 61): "Art. 19 IV GG gebietet nicht, daß der Gesetzgeber Maßnahmen in diejenige Rechtsform kleidet, die dem Bürger den bestmöglichen Rechtsschutz gewährleistet". 275 Die Formalisierung und Prozessualisierung des Verwaltungshandeins ermöglicht es dem Bürger in der Regel, "den Fuß in die Tür des Verwaltungsvollzugs zu bekommen" (Wahl, VVDStRL 41 [1982], !51 (162]; vgl. auchLorenz, Rechtsschutz, 137). Für das formlose ("schlichthoheitliche") Verwaltungshandeln müssen gleichwertige Schutzmechanismen weithin erst noch entwickelt werden (Wahl, 162; Pietzcker, ebda., 214 f.; v. Mutius, NJW 1982, 2150 [2159]; Held, Grundrechtsbezug, 190 Fn. 272); Lösungsansätze etwa bei Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 320 ff.; Beyerlin, NJW 1987, 2713 ff.
228
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
Verwaltung kompensieren ließe276. In der Praxis realisierbar und im geltenden Recht zum Teil schon vorgezeichnet ist vielmehr eine bürgernah arbeitende staatliche Datenverwaltung, die dem Betroffenen so viel Einblick gewährt, daß er seine Persönlichkeitsrechte im Verfahren und nötigenfalls vor Gericht selbst zur Geltung bringen kann. Die entscheidende Frage bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung datenrelevanter Gesetze und Organisationsakte lautet demnach nicht, ob der amtlich bestellte Datenschutzbeauftragte genügend Kontrollrechte besitzf77; zu fragen ist vielmehr, ob der einzelne Bürger ausreichend Gelegenheit zur Kenntnisnahme und zur Überprüfung der informationeilen Vorgänge erhält. Das aus Art. 19 IV GG abgeleitete Transparenzgebot will nichts anderes als die Voraussetzungen sichern, unter denen individueller Rechtsschutz (=Gerichtsschutz) gegen staatliche Informationsmaßnahmen in Anspruch genommen werden kann. Dieser ursprüngliche Zusammenhang gerät nur allzu leicht aus dem Blickfeld, wenn die Verteidigung des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung wegen vermeintlicher "Überforderung" des Bürgers primär als Staatsaufgabe (scil.: in der Sonderkompetenz des Datenschutzbeauftragten) verstanden und damit vom Persönlichen "ins Institutionelle gewendet"278 wird. Wer in diesem Sinne eher verschleiernd von einem "Aspekt organisatorischen Freiheitsschutzes"279 bzw. von einer "modernen prozeduralen Konzeption"280 redet oder den "konstruktiv-organisatorischen Gestaltungsansatz"281 und die "transindividuelle organisatorisch-institutionelle Komponente" 282 des Datenschutzrechts betont, räumt genau besehen nur einerneuen Form paternalistischer Interessenwahrnehmung den Vorrang ein gegenüber der möglichen Stärkung individueller Eigenverantwortung283.
276
So i. E. auch Flanderka, Bundesbeaufuagter, 89 ff., 96 ff.
So aber VGH Kassel, NVwZ 1988, 643 (647); Hauck-Scho/z, NJW 1987, 2769 (2776); Similis, NJW 1989, 21; s. auch die in BayVerjGH, BayVBl. 1992, 141 (143), wiedergegebene Auffassung der Antragsteller. 217
278
Vgl. Sch/ink, NVwZ 1986, 249 (254).
279
Berg, NJW 1985, 2294 (2300 m. Fn. 65).
280
Steinmüller, DuD 1984, 91 (94).
281
Steinmüller, KritJ 1988, 230 (234).
Mückenberger, KritJ 1984, 1 (16 ff.); vgl. auch Wippermann, DÖV 1994, 929: eine "den Datenschutz... repräsentierende Institution". 282
283 Krit. in diesem Zusammenhang auch Robbers, Sicherheit als MenschenR, 190; allgemein Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982}, 187 (230).
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
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V. Die grundrechtsspezifischen Anforderungen an das Organisations- und Verfahrensrecht
Da Art. 19 IV GG zwischen einfachgesetzlichen Rechtspositionen und solchen, die sich aus Grundrechtsnormen ergeben, keinen Unterschied macht28\ konnten bei den vorangehenden Ausführungen die spezifisch grundrechtliehen Aspekte des Datenschutzrechts ausgeklammert bleiben. Gerade der - heute unbestrittene - Grundrechtsbezug der öffentlichen Datenverarbeitung bietet aber möglicherweise geeignete Ansatzpunkte, aus denen sich ein verfassungsrechtliches Gebot unabhängiger (außergerichtlicher) Kontrollinstanzen entwickeln läßt. Um dazu konkrete und grundrechtsdogmatisch gesicherte Aussagen treffen zu können, muß zunächst allgemein geklärt werden, von welchem Grundrechtsverständnis hier auszugehen ist und welche Folgerungen sich daraus fiir das Organisations- und Verfahrensrecht ergeben. Eine genaue Analyse des Volkszählungsurteils soll helfen, diese Fragen zu beantworten.
1. Die informationeile Selbstbestimmung als Abwehrgrundrecht
Als eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts285 unterliegt das "Recht auf informationeile Selbstbestimmung" nach ganz herrschender, vom BVerfG maßgeblich geprägter Auffassung286 dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 I i. V. m. Art. I I GG. Die verschiedenen "Verfahren" zur Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten durch staatliche Organe sind demzufolge regelmäßig287 als grundrechtsbeschränkende Maßnahmen anzusehen; d.h. sie bedürfen zu ihrer Rechtfertigung "einer (verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und
284 Schmidt-Aßmann, in: Maunz!Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 121 ff., 127 ff.; Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rn. 285. 285 Hierzu allg. Alexy, Theorie der Grundrechte, 333 f.; Sachs, in: Stern, StaatsR 11111, 646 ff.; Jarass, NJW 1989, 857 ff.
286 BVerjGE 65, I (42 ff.); 67, 100 (142 ff.); NJW 1987, 2805; 1988, 2031, 3009 f.; NVwZ 1990, 1162; vgl. auch NJW 1991, 2129 (2132), wo der weitergehende, Art. 14 GG einschließende Begriff des "grundrechtlichen Datenschutzes" verwendet wird. 287 Zweifelhaft ist u.a. die rechtliche Bewertung zufillliger und beiläufiger Kenntnisnahme staatlicher Organe von personenbezogenen Informationen (s. Rohlf, Privatsphäre, 202 f.; Groß, AöR 113 (1988), 161 [166 f.]; VGH München, BayVBI. 1991, 657 [658]; Guttenberg, NJW 1993, 567 [574]) sowie die Nutzung von Daten aus dem Bereich "trivialer Kommunikation" (Groß, ebda., 209 f.; Schmitt Glaeser, in: Jsensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 129 Rn. 97).
230
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben" und die darüber hinaus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht288 • Wird trotz fehlender oder unzureichender normativer Ermächtigung in das informationeHe Selbstbestimmungsrecht durch hoheitlichen Akt eingegriffen, so liegt darin nicht etwa nur ein einfacher Gesetzesverstoß, sondern zugleich auch eine Grundrechtsverletzung. Der Betroffene kann in solchen Fällen unter Berufung auf sein Recht aus Art. 2 I i. V. m. Art. I I GG verlangen und nötigenfalls mit verwaltungs- oder sogar verfassungsgerichtlicher Hilfe289 durchsetzen, daß die beschränkenden Maßnahmen unterbleiben bzw. den gesetzlich vorgegebenen Rahmen einhalten. Aus der grundrechtliehen Gewährleistung der "Befugnis des einzelnen, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten zu bestimmen"290 , erwächst also dem Bürger im Verhältnis zum Staat ein (bisher so nicht bekanntes) individuelles Abwehrrecht291 • Hierin liegt, was in manchen Analysen zum Recht auf informationeile Selbstbestimmung nicht klar genug zum Ausdruck kommf92 , die zentrale Aussage des Grundgesetzes (und des Volkszählungsurteils) zur Frage des staatlichen Umgangs mit personenbezogenen Daten293 •
288 BVer:fGE 65, I (44), ftlr den Fall eines Auskunftsverlangens; 67, 100 (143 f.), ftlr die Übermittlung zwischen verschiedenen Staatsorganen; NJW 1988, 2031, ftlr die öffentliche Bekanntmachung persönlicher Daten; NJW 1988, 3009, ftlr Eintragungen ins Schuldnerverzeichnis gern. § 107 II KO; vgl. auch VG München, CR 1986, 667 (669) m. Anm. Riegel, ftlr die "offene Observierung" einer Person. 289 Eine Urteilsverfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG) hat Erfolg, wenn der fachgerichtlichen Entscheidung eine verfassungskonforme gesetzliche Grundlage fehlt oder wenn sie auf einer "grundsätzlich unrichtigen Auffassung" von der Bedeutung der Grundrechte beruht; das BVerfD prüft allerdings i. d. R. nicht, ob die einfachgesetzliche Subsumtion in jeder Hinsicht zutrifft (s. Schlaich, Das BVerfD, 132 ff.).
290
BVerjGE 65, I (43).
Zur Abwehrfunktion der Grundrechte Schlink, EuGRZ 1984, 457 ff.; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 25 ff. ; Sachs, in: Stern, StaatsR lll/1, 619 ff.; /sensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § III Rn. 37-76. 291
292 S. etwa Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, die den Abwehraspekt nur ein einziges Mal kurz erwähnen (25) und im übrigen nur von ojektiv-rechtlichen Schutzpflichten sprechen (z.B. 25 ff., 36 f., 79 ff.). Ähnlich auch Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 144 ff., 174 ff., 197 ff., der zwar eine staatliche Verpflichtung zum "Persönlichkeitsschutz", offenbar aber kein umfassendes Abwehrrecht annimmt. 293 Ebenso Schlink, EuGRZ 1984,457 (467 f.); ders., VVDStRL 48 (1990), 233 (248 f.); früher bereits Kloepfor, Datenschutz als Grundrecht, 20 f., 37.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
231
2. Die organisations- und verfahrensrechtlichen Implikationen der Volkszählungsrechtsprechung
Der klassische Schutzmechanismus der "Freiheit durch Eingriffsabwehr" scheint allerdings dem BVerfG, wie dessen Volkszählungsentscheidungen von 1983 und 1987 zeigen, im Falle der informationeilen Selbstbestimmung allein nicht (mehr) zu genügen. Dem Gericht zufolge besteht hier nämlich eine besondere verfahrensrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, "angesichts der... Gefährdungen durch die Nutzung der automatischen Datenverarbeitung ... auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken "294 • Für diesen unmißverständlichen Regelungsauftrag295, den die Richter am exemplarischen Fall der Datenerhebung für statistische Zwecke inhaltlich präzisiert und schließlich zu einem überaus detaillierten Forderungskatalog ausgebaut haben296, der auch die unabhängige Datenschutzkontrolle umfaßt, findet sich zwar weder im Volkszählungsurteil vom 15. 12. 1983 noch in den späteren Entscheidungen eine nähere grundrechtsdogmatische Begründung. Immerhin aber beruft sich das Gericht297 auf zwei frühere, zum Atom- bzw. Medienrecht ergangene Beschlüsse, in denen die besondere Bedeutung des Verfahrensrechts für einen effektiven Schutz der Grundrechte hervorgehoben wurde298 •
294 So zur Volkszählung 1983 BVerjGE 65, I (44); ähnlich später (Volkszählung 1987) BVerjG, NJW 1987, 2805; 1988, 962 (963): "notwendige Sicherheitsvorkehrungen". Von einer Verpflichtung zu "Vorkehrungen filr den Geheimschutz" (BVerjGE 67, 100 [144] -Flick-Akten), mißbrauchsverhUtenden "Verfahrensregelungen" (BVeTjGE 67, 157 (183] - Strategische FemmeldeUberwachung) oder "ergänzenden verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrungen" (NJW 1988, 2031 - Bekanntgabe der Entmündigung) geht das Gericht auch in weiteren datenschutzrechtlichen Entscheidungen aus. 295 Krit. zur Terminologie Sachs, in: Stern, StaatsR III/1 , 615 m. Fn. 557, der nur eine "Obliegenheit" annimmt.
296 BVerjGE 65, I (46): "folgende Maßnahmen (erscheinen) bedeutsam"; (49 f.): "sind erforderlich ..., von besonderer Bedeutung..., unverzichtbar...;" (59): "im einzelnen sind geboten ... (a- d)". 297
BVerjGE 65, I (44).
BVerjGE 53, 30 (65)- Mülheim-Kärlich; 63, 131 (143)- Gegendarstellung (zu den Besonderheiten dieser letzteren Entscheidung s.u., Fn. 385). 298
232
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
a) Die Grundrechte als Ausdruck "objektiver Wertentscheidungen" Mit dem Hinweis auf die früheren Ausfil.hrungen wird eine ganz bestimmte Grundrechtskonzeption ins Spiel gebracht. Thema jener beiden angesprochenen Entscheidungen war nämlich nicht die Unterbindung oder Begrenzung hoheitlicher Eingriffe, sondern umgekehrt die Pflicht des Staates zum (aktiven) Schutz seiner Bürger vor Übergriffen Dritter, hier der Kraftwerksbetreiber bzw. der Journalisten. Der grundrechtliche Bezugspunkt der damaligen Ausfilhrungen lag also von vomherein außerhalb der herkömmlichen Abwehrfunktion; er fand sich vielmehr in der erst nach lokrafttreten des Grundgesetzes (wieder-) entdeckten sog. objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte als "wertentscheidende Grundsatznormen"299 • In diesem prinzipiell verstärkenden300 Wirkungsmoment hat der Erste Senat des BVerfG offenbar auch beim Urteil zur Volkszählung die grundrechtsdogmatisch überzeugendste Antwort gesehen zu der Frage, ob und weshalb aus dem grundrechtliehen Persönlichkeitsschutz überhaupt staatliche Handlungspflichten im Organisations- und Verfahrensbereich abgeleitet werden können. Besonders deutlich zeigt dies die im seihen Zusammenhang getroffene Aussage, es hänge von einer Gesamtbetrachtung verschiedener Einzelfaktoren ab ("Art, Umfang und denkbare Verwendungen der erhobenen Daten..., Gefahr ihres Mißbrauchs"), inwieweit das informationelle Selbstbestimmungsrecht den Gesetzgeber zum Erlaß ganz bestimmter Schutzvorschriften von Verfassungs wegen zwinge301 • Als Erläuterung dazu zitiert nämlich das Gerichtl 02 wiederum aus zwei älteren atomrechtlichen Beschlüssen gerade diejenigen Passagen, die ausdrücklich auf dem Verständnis der Grundrechte als "objektiv-rechtliche Wertentscheidungen"303 bzw. auf ihrem "objektiv-rechtlichen Gehalt"304 aufbauen.
299 · Hierzu ausfUhrlieh und systematisierend Jarass, AöR II 0 (1985), 363 ff.; Stern, StaatsR 11111, 890 ff. m.w.N. 300
S. BVerjGE 7, 198 (205); 50, 291 (337).
301
BVerjGE 65, I (46).
302
BVerjG, vorige Fn.
303
BVerjGE 49, 89 (142) • Kalkar.
BVerjGE 53, 30 (61)- MUlheim-Karlich. -Ganz ähnlich wird auch in der Entscheidung zur Strategischen Fernmeldeüberwachung die Notwendigkeit einer bestimmten Organisations- und Verfahrensmaßnahme (unabhängige Datenschutzkontrolle) mit der "hohen Bedeutung der Grundrechte ... als objektive Prinzipien der gesamten Rechtsordnung• begrUndet (BVerjGE 67, 157 [185]). 304
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
233
Angesichts solcher Hinweise kaum verwunderlich, interpretiert auch die ganz überwiegende Mehrheit der datenschutzrechtlichen Autoren die höchstrichterliche Forderung nach wirksamen gesetzlichen Schutzvorkehrungen bei der Datenverarbeitung als eine Übertragung und Fortfilhrung der aus anderen Anwendungsbereichen bekannten Doktrin vom Wertentscheidungscharakter der Grundrechte und den hieraus resultierenden Schutzpflichten305 • Von dieser grundrechtsdogmatischen Warte aus muß allerdings die Entschiedenheit, mit der das BVerfG in den Volkszählungsentscheidungen aus einer recht allgemeinen Gefahrenanalyse höchst konkrete Einzelforderungen entwikkelt, als eine deutliche und sachlich nur schwer verständliche Abkehr 06 erscheinen von der ansonsten bewußt geübten Zurückhaltung in der regelmäßig "höchst komplexen" 307 Frage, welche Mittel zur Erfilllung von ungeschriebenen, aus den objektiv-rechtlichen Grundrechtswirkungen abgeleiteten Verfassungsaufträgen einzusetzen seien308 • Kritiker sehen demzufolge in den detailgenauen und über § 31 I BVerfGG zum Teil allgemeinverbindlichen Regelungsvorgaben der Karlsruher Richter filr die Durchfilhrung von Volkszählungen einen verfassungsrechtlich bedenklichen Übergriff in die Kompetenzbereiche sowohl des Gesetzgebers als auch der datenverarbeitenden Exekutive309• Die ungewöhnliche Akribie, mit der im Volkszählungsurteil die verwaltungstechnischen Einzelheiten des Gesetzesvollzugs behandelt werden, hat nach ihrer Meinung mit der Auslegung des Grundgesetzes nur noch wenig zu tun und gehört eher in den Bereich der Verwaltungspolitik310 •
305 S. vor allem Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 25 f., 36 ff., 43 ff., 53 ff., 80 ff., 129 f.; Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 77 ff., 183 ff.; ders. , VA 78 (1987), 81 (84 f.); Berkemann, JR 1984, 185 (186); Denninger, in: Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat, 309; ders., Der Staat 25 (1986), 102 (116 f.); Pieroth/Schlink, Die Grundrechte, Rn. 122; Stern, StaatsR IIU1, 976 (Fn. 401); Burmeister, UTR 5 (1988), 121 (141). Anderer Ansicht Schlink, EuGRZ 1984, 457 (467 f.). 306
Vgl. Burmeister, (vorige Fn.): "neue Dimension".
307
Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 130.
Hierzu BVerjGE 56, 54 (80 f.)- Fluglärm; 76, 1 (51)- Familiennachzug; 77, 170 (214 f.)C-Waffen; NJW 1983,2931 (2932)- Waldsterben-; NJW 1987,2287- Aidsbekämpfung; aus der Lit. /sensee, Grundrecht auf Sicherheit, 38 ff.; Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und BVerfU, 153 ff.; Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 261 ff.; Stern, StaatsR IIUI, 950 ff., 976 f., 986 ff. 308
309 Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 50 f., 81 f.; Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 78 f., 81 , 187 f.; Busch, DVBI. 1984, 385 (388); s. auch H Schneider, DÖV 1984, 161 (164); Schenke, NJW 1987, 2777. 310
So insbesondere Busch, (vorige Fn.), 388.
234
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
b) Die Möglichkeiten einer abwehrrechtlichen Begründung von organisationsund verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrungen Die Vorwürfe und Bedenken sind jedoch, soweit sie sich auf den Genauigkeitsgrad der aus der Verfassung abgeleiteten Aussagen beziehen, nur zum geringeren Teil berechtigt. Bei der Mehrzahl der erwähnten Sicherungsvorkehrungen läßt sich der verfassungsrechtliche Notwendigkeitsnachweis durchaus fUhren. Zur Begründung muß entgegen der bislang vorherrschenden Ansicht nicht auf die - für konkrete Deduktionen wenig geeignete - objektiv-rechtliche Schutzfunktion der Grundrechte zurückgegriffen werden. Fast alle "grundrechtssichernden Maßnahmen", die das höchste deutsche Gericht speziell für die Durchftlhrung von Volkszählungen verlangt, folgen bereits zwingend aus der Abwehrfunktion der Grundrechte311 • Die genannten Verfahrensanforderungen stellen bei genauerem Hinsehen nichts anderes dar als eine - zum Teil in aktivische Form gekleidete - Umschreibung dessen, was den datenverarbeitenden Stellen in bestimmten Situationen von Grundrechts wegen untersagt ist. Es geht in den betreffenden Passagen des Volkszählungsurteils um die Definition einzelner Verbote, genauer gesagt um die ausdrückliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit einzelne~ 12 Verfahrenshandlungen und Organisationsgestaltungen, die entweder schon für sich gesehen eine Verletzung des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung darstellen, einen (späteren) Mißbrauch von Daten faktisch ermöglichen oder aber den in der Befragung der Bürger liegenden Informationseingriff als unverhältnismäßig erscheinen lassen313 • Die Pflicht zur Unterlassung bzw. Vermeidung solcher konkret zurechenbarer Grundrechtsverstöße ergibt sich für die jeweils handelnden Organe bereits unmittelbar und in vollem Umfang aus dem abwehrrechtlichen Gehalt des Art. 2 I i. V. m. Art. I I GG314 • Grundrechtliehe Eingriffsverbote bedürfen nämlich zu ihrer Wirksamkeit weder eines
311
Vgl. auch Huber, Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren, 180 ff.
Anders als hier stellen Schlink, EuGRZ 1984, 457 (465 u. 467 f.), und Sachs, in: Stern, StaatsR 111/1, 615 Fn. 557, bei ihrer zu einem ähnlichen Ergebnis gelangenden Deutung des Urteils stärker auf den in der Volkszählung insgesamt liegenden Eingriff ab (krit. zu Recht Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 105 Fn. 103). 312
313
Zum Nachweis im einzelnen s.u., bei Fn. 329 ff.
Ohne Schwierigkeiten lassen sich hier (anders als bei einer am "objektiven Wertgehalt" orientierten Herleitung der Verfahrensanforderungen) auch entsprechende subjektiv-rechtliche Unterlassungsansprüche der Betroffenen begründen, s. allgemein Sachs, in: Stern, StaatsR 11111, 680 ff. 314
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
235
Ausfiihrungsgesetzes noch eines ausdrücklichen Anwendungsbefehls; sie sind "self-executing"31 5• Geht man allein von dieser zuletzt getroffenen Feststellung aus, so bestand bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung des Gesetzes zur Volkszählung 1983 strenggenommen kein Grund, auf anstehende Vollzugs- und Anwendungsprobleme überhaupt einzugehen; der Senat hätte sich hiernach vielmehr auf die Beurteilung des vorhandenen gesetzlichen Regelungsinhalts316 beschränken und die Beschwerdefllhrer im übrigen, d. h. wegen aller Grundrechtsbeeinträchtigungen, die sich erst im weiteren Verlauf aus der Art und Weise der Durchfllhrung ergeben konnten, zunächst auf den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten (s. § 90 II BVerfGG) verweisen müssen317 • Das Gericht ist dieser Konsequenz indessen ausgewichen, indem es die - nicht genauer erläuterte - Möglichkeit eines grundrechtswidrigen Gesetzesvollzugs schon als einen ausreichenden Nachweis fllr den Bedarf an ergänzenden Schutzregelungen im (Volkszählungs-) Gesetz angesehen hae 18 - womit es sich selbst die Gelegenheit verschafft hat, schon zum frühestmöglichen Zeitpunkt auf die Fragen des verfahrensmäßigen Ablaufs ausfUhrlieh und in grundsätzlicher Form einzugehenJI9.
"'Vgl. Jarass, AöR 110 (1985), 363 (395); Grimm, NVwZ 1985, 865 (869); Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und BVerfU, 146; Alexy, Theorie der Grundrechte, 420 ff.; Sachs, in: Stern, StaatsR 11111, 602: "grundrechtsunmittelbare Abwehrrechte". 316 Auch dieser aktualisierte sich zwar gegenober dem BUrger an sich erst durch den Vollzugsakt der "Aufforderung zur Auskunftserteilung"; der Umfang des Eingriffs stand jedoch wegen des gesetzlich vorgegebenen Fragenkatalogs schon abschließend fest, so daß von dem verfassungsprozessualen Erfordernis der "unmittelbaren" Grundrechtsbetroffenheit (hierzu Schlaich, BVerfU, 115 f.) der Einfachheit halber abgesehen werden konnte, BVerjGE 65, I (37 f.); allg. Sachs, in: Stern, StaatsR 11111, 667. 317 In diese Richtung weisen die spllteren Kammerentscheidungen zur Volkszllhlung 1987, die zwar nominell an dem vier Jahre früher zugrundegelegten Kontrollumfang festhalten, in der Sache aber einen klaren Trennungsstrich ziehen: "Etwaige Unregelmäßigkeiten oder Rechtsverstöße beim Vollzug des Volkszllhlungsgesetzes berühren nicht die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes selbst... Es handelt sich um Probleme der Handhabung der gesetzlichen Vorschriften, nicht um solche des Inhalts der gesetzlichen Regelung" (BVerjG, NJW 1987, 2805 u. 2807; ahnlieh NJW 1988, 962 [963]; hierzu die- in Stil und Inhalt überzogene- Kritik von Steinmüller, KriU 1988, 230 [233]). 318 Die Gefahrenanalyse im Volkszllhlungsurteil beschrankt sich auf einige allgemeine Bemerkungen (BVerjGE 65, I [42 f.]) und bezieht sich nicht etwa speziell auf die organisations- und verfahrensrechtlichen Gestaltungsspie1rllume bei der Anwendung des Gesetzes. 319 Einen anderen Weg zu einer vorweggenommenen umfassenden Verfahrenskontrolle beschreiten die nachfolgenden Kammerentscheidungen zur Volkszllhlung 1987 (NJW 1987, 2805 f.; 1988, 959 ff.): Sie machen die Rechtmäßigkeit des jeweiligen Heranziehungsbescheids davon
236
Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
Für diesen argumentativen Kunstgriff, der mit den herkömmlichen Vorstellungen über Prüfungsumfang und Prüfungsdichte bei der verfassungsgerichtlichen Kontrolle von förmlichen Gesetzen kaum vereinbar erscheint320, läßt sich rückblickend betrachtet zwar keine unbedingt zwingende, immerhin aber eine sachlich vertretbare Begründung anfUhren. Der vorsorglichen Beschäftigung des Gerichts mit einzelnen Problemen des Gesetzesvollzugs lag ganz offensichtlich die Annahme zugrunde, daß die filr die Volkszählung 1983 unmittelbar verantwortlichen Organe angesichts der damals noch weithin bestehenden (durch die politische Kontroverse nur überlagerten) prinzipiellen Unsicherheit über die "verfassungsrechtlichen Grundlagen des Datenschutzes"321 nicht in der Lage sein würden, die geforderte verfassungskonforme Auslegung und Anwendung der einfachgesetzlichen Erhebungs- und Verarbeitungsvorschriften selbständig vorzunehmen322. In der Tat bedarf es, um aus den abstrakten Bestimmungen des Grundgesetzes einzelne Schranken des Umgangs mit Daten herauszufiltem, eines recht hohen interpretatorischen Aufwands. Wollte man die Klärung der zahlreichen schwierigen Rechtsfragen allein der datenverarbeitenden Verwaltung überlassen, so wäre mit einem beträchtlichen Maß an Rechtsunsicherheit sowie mit einem uneinheitlichen Gesetzesvollzug zu rechnen. Allgemeine Anerkennung und durchgehende Beachtung finden subtile grundrechtliche Entscheidungsdirektiven in der täglichen Verwaltungspraxis meist erst dann, wenn sie in einfachgesetzlichen Vorschriften deklaratorisch festgeschrieben und anwendungsbezogen erläutert worden sind. Angesichts dieser Erfahrungstatsache kann eine schon aus
abhängig, ob filr alle späteren (!) Phasen der Datenverarbeitung bereits hinreichende organisatorische und technische Sicherheitsvorkehrungen bestehen; krit. hierzu Meissner, NVwZ 1989, 1 (9) m.w.N.; enger bezUglieh der Voraussetzungen, unter denen dem Gesetzgeber grundrechtsbeeinträchtigende Auswirkungen eines Gesetzes zuzurechnen sind, auch BVerjG, NJW 1991, 2129 (2130) - Besteuerung von Kapitalzinsen -. 320 Mit Urteilen wie etwa dem zur Fristenlösung (BVerjGE 39, 1), die sich durch eine "intensivierte inhaltliche Kontrolle" (BVerjGE 50, 290 [333]) auszeichnen, läßt sich insoweit entgegen der Annahme Sterns (StaatsR IIU1, 1307 f. m. Fn. 239 u. 242) das Volkszählungsurteil schwerlich vergleichen: In diesem geht es, wie schon gesagt, um mögliche Grundrechtseingriffe beim behördlichen Vollzug, in jenen Entscheidungen dagegen um die allein vom Gesetz unmittelbar ausgehenden Wirkungen aufdie Grundrechte Betroffener (zum Problem der gesetzgeberischen Wirkungsprognose s. Schlaich, BVerfG, 230 ff. m.w.N.). 321
Aufschlußreich insoweit die "Präambel" des Volkszählungsurteils: BVerjGE 65, 1 (4).
Nicht einmal den Verwaltungsgerichten traute das BVerjG damals eine endgültige Klärung der anstehenden datenschutzrechtlichen Probleme zu, s. BVerjGE 65, 1 (38). 322
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
237
dem Gebot der Normenklarheitl23 folgende, darüber hinaus auch ganz allgemein fiir die Einhaltung der Grundrechte "wesentliche"324 und daher dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehaltene325 Aufgabe darin gesehen werden, neben den informationeilen Eingriffsbefugnissen in gewissem Umfang auch (umgekehrt) die Grenzen und Beschränkungen, denen die staatliche Informationsverarbeitung von Verfassungs wegen unterliegt, näher zu umreißen326 und dadurch allen Beteiligten im Hinblick auf die typischen Streit- und Gefahrenpunkte konkrete Beurteilungsmaßstäbe an die Hand zu geben327 • Nichts anderes als eine solche Positivierung und Konkretisierung grundgesetzlicher Eingriffsschranken verbirgt sich, wie bereits ein kurzer Überblick erkennen läßt, hinter der Mehrzahl jener gesetzgeberischen "Vorkehrungen", die
323 Dieses (Bestimmtheits-) Gebot stellt bei gesetzlichen Grundrechtseingriffen eine - mit dem Verhältnismaßigkeitsgrundsatz eng verwandte - sog. "Schranken-Schranke" dar, vgl. Pieroth/ Schlink, Grundrechte, Rn. 315 ff., 357 f.; Bäum/er, JR 1984, 361 (363 f.); vgl. auch Kloepfer, JZ 1984, 685 (691 f.), zum Verhältnis zur sog. Wesentlichkeitstheorie. 324 Im Volkszählungsurteil wird die Wesentlichkeitstheorie (zu ihr treffend Rottmann, EuGRZ 1985, 277 [293 f.]), obwohl von den damaligen Beschwerderuhrern angesprochen (BVerjGE 65, I [18]), nicht explizit erwähnt. Sie klingt aber in den vom Gericht filr "bedeutsam" erachteten gesetzgeberischen Maßnahmen wiederholt an (BVerjGE 65, I [46, 49]). S. hierzu auch Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 83, 183, 185 ff., und Haverkate, VVDStRL 46 (1988), 217 (247 ff.), die allerdings den Gesichtspunkt der Wesentlichkeil allzusehr mit der Frage nach dem Eingriffscharakter staatlicher Informationsmaßnahmen vermengen.
m Als eigentlicher Gesetzgeber fungiert bei einer so komplexen Materie wie dem Datenschutzrecht in der parlamentarischen Praxis allerdings die "EntwurfsbUrokratie", s. Denninger, Der Staat 25 (1988), 102 (112 f.). 326 Der Normierungsbedarf steht allerdings nicht ein filr allemal fest - etwa in Gestalt bindender "Vorgaben" aus dem Volkszählungsurteil-, sondern ist situations-und auch zeitabhängig, d. h. er wird künftig in dem Maße geringer werden, in dem sich ein allgemeiner Konsens über die verfassungsrechtlichen Grundlagen und Grenzen der Datenverarbeitung herausbildet. So dürften z.B. die noch filr die Volkszählung 1983 geforderten gesetzlichen Weitergabeverbote aus heutiger Sicht regelmäßig schon keiner speziellen (bereichsspezifischen) Normierung mehr bedürfen, da sie sich als Kehrseite des datenschutzrechtlichen Gesetzesvorbehalts - ohnehin von selbst verstehen, s. nachfolgenden Text. 327 Zu dieser Aufgabe des Gesetzes speziell im Bereich der Datenverarbeitung Bryde, VVDStRL 46 (1988), 181 (206); Haverkate, ebda., 217 (250 f.); allgemein BVerjGE 32, 373 (383), wo das Beschlagnahmeverbot des § 97 I Nr. 2 StPO als "gesetzliche Konkretisierung des Grundrechts aus Art. 2 I i. V. m. Art. I I GG" bezeichnet wird; ähnlich BVerjGE 65, 171 (176); vgl. weiter Häberle, in: Schmitt G/aeser, Verwaltungsverfahren, 47 (5 I f.); v.Mutius, NJW 1982, 21 SO (21 58); Wahl, VVDStRL 41 (1983), !51 (174); Erichsen, DVBI. 1985,22 (27 f.); Krebs, in: lsensee/Kirchhof, HdbStR III, § 69 Rn. 72; Schmidt-Aßmann, ebda., § 70 Rn. 12 f.; krit. Barbey, BVerfD und einfaches Gesetz, 15, der hier eine den Gesetzgeber allzusehr einengende "positive Zweckbindung" an die Grundrechte sieht.
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
das BVerffi bei der Volkszählung fiir angezeigt hält, um "verfassungsgemäße Bedingungen der Datenerhebung und -Verarbeitung zu gewährleisten"328• So folgt z.B. aus dem Grundsatz, daß (neben der Erhebung) auch die Zweckänderung und Weitergabe von persönlichen Daten einer gesetzlichen Ermächtigung bedart' 29 , im Umkehrschluß ohne weiteres das verfassungsrechtliche Verbot, vorhandene Daten außerhalb des gesetzlich bestimmten Zwecks zu nutzen oder sie ohne spezielle Erlaubnis an andere, insbesondere auch an amtshilfeberechtigte Stellen weiterzuleiten("amtshilfefester Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote" 330). Auch die nur zu statistischen Zwecken erhobenen Einzelangaben dürfen hiernach selbstverständlich niemandem offenbart werden, solange ein Personenbezug noch besteht oder herstellbar ist ("Statistikgeheimnis"331 ). Da selbst eine unbeabsichtigte Verbreitung von gespeicherten Daten oder ein eigenmächtiger Zugriff Dritter die informationeile Selbstbestimmung der Betroffenen beeinträchtigen kann332, muß schon bei der Gestaltung des Behördenaufbaus und der allgemeinen Arbeitsabläufe darauf geachtet werden, daß keine undichten Stellen entstehen333, durch die geschützte Informationen später ungewollt abfließen könnten
328
BVerjGE 65, I (59).
329
BVerjGE 65, I (43 f.); s. weiter Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 116 f.
So die Formulierung im Volkszählungsurteil, BVerjGE 65, 1 (46); wie hier Barbey, BVerfG und einfaches Gesetz, 35 (Fn. 58); Schenke, NJW 1987, 2777 (2785); Groß, AöR 113 (1988), 161 (169 f.); Rosenbaum, JURA 1988, 178 (184); speziell zu den Verwertungsverboten BVerjG, NJW 1992, 815 (816); Bryde, VVDStRL 46 (1988), 181 (207); Kopp, VwVfG, § 5 Rn. 16, § 26 Rn. 5; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 117 ff.; ders., JZ 1984, 1072 (1077), mit der Forderung nach einer "Fernwirkung" des Verbots. - In der Entscheidung zur Besteuerung von Kapitaleinkünften (NJW 1991, 2129 [2132]) zieht das BVerjG (2. Senat) zur BegrUndung von Weitergabe- und Verwertungsverboten auch das Rechtsstaatsprinzip und das Gleichbehandlungsgebot heran. " 0
" 1 BVerjGE 65, 1 (49 f.). Zu dem- schon immer auch aus Grundrechten abgeleiteten- Anspruch auf Wahrung von Amtsgeheimnissen s. Kopp, VwVfG, § 30 Rn. 1 f.
m Die Eingriffsqualität staatlichen Handeins hängt nach heutigem Verständnis nicht mehr generell von den Merkmalen der Finalität und der Unmittelbarkeit ab, vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 274 f.; Stern, StaatsR 11111, 1205 ff.; aus der Rechtsprechung etwa BVerwG, NJW 1985, 2775 (2776) - Transparenzliste; NJW 1991, 1766 (1767 f.)- Diethylenglykol - jew. m.w.N. m Dazu allg. Scherer, VVDStRL 46 (1988), 312: Datenschutz mUsse unter den gegebenen technischen Bedingungen "schon beim System-Design, bei der Planung von Kommunikationssystemen... ansetzen". - Daß bereits ernsthafte (sog. eingriffsgleiche) Gefllhrdungen grundrechtliche AbwehransprUche auslösen können, ist in der heutigen Grundrechtsdogmatik prinzipiell anerkannt und nur hinsichtlich der Details noch kU!rungsbedürftig, s. den Überblick in BVerjG, NJW 1984, 601 f.- Mittelstreckenwaffen -; 1988, 1651 (1658)- Chemiewaffen-; Sachs, in: Stern, StaatsR 1111 1, 740 ff.; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 56 ff. Bestehen keine tatsächlich nachweisbaren
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
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("wirksame Abschottungsregelungen nach außen" 334). Auch dürfen ein und demselben Amtsträger nicht mehrere dienstliche Funktionen zur gleichen Zeit übertragen werden, wenn dadurch die grundrechtliehen Zweckentfremdungsund Weitergabeverbote faktisch unterlaufen würden ("Verzicht auf Zähler, bei denen ... dienstliche Interessenkonflikte nicht auszuschließen sind"m). Darüber hinaus sollten zur Erhebung von Daten "an Ort und Stelle" nicht ausgerechnet solche Mitarbeiter eingesetzt werden, bei denen ein besonderes persönliches Interesse am Einblick in den geschützten Lebensbereich des Auskunftsptlichtigen und an einer privaten Verwertung der erlangten Angaben anzunehmen ist ("kein Einsatz von Zählern in der unmittelbaren Umgebung ihrer Wohnung"336), da dieser Umstand aus der Sicht des befragten Bürgers eine zusätzliche (sachlich nicht erforderliche) Belastung darstellen und demzufolge als Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit337 gedeutet werden kann338 • Aus dem gleichen Grund darf es dem A\tskunftsptlichtigen nicht schlechthin verwehrt werden, anstelle der mündlichen Mitteilung auf ein anderes und aus seiner Sicht milderes, aber gleichfalls geeignetes Mittel der Infor-
Gefahrenlagen, immerhin aber subjektiv verständliche Beftlrchtungen in weiten Teilen der Bevölke· rung, so muß der Staat zwar keine (rein symbolischen) Schutzmaßnahmen ergreifen, sich aber u.U. durch vertrauensbildende (Informations·) Maßnahmen um die ftlr den Gesetzesvollzug unabdingbare Kooperationsbereitschaft der Bürger bemühen, vgl. am Beispiel der amtlichen Statistik BVerjGE 65, I (50); allgemein zur Freiheit von Furcht Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 225 ff. m.w.N.; krit. lsensee, Grundrecht auf Sicherheit, 26; ders., in: Jsensee/Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rn. 146 f. 334 BVerjGE 65, I (48 f.); s. Denninger, in: Jsensee/Kirchhof, HdbStR V, § 113 Rn. 37. Ein bloßer Anwendungsfall hiervon ist die im Volkszählungsurteil an anderer Stelle (69) unter dem Stichwort der "informationellen Gewaltenteilung" geforderte Trennung der Kommunalstatistik von anderen Aufgabenbereichen.
335 BVerjGE 65, I (60). Diese Forderung geht über die herkömmlichen Ausschluß- und Befangenheitsvorschriften ~z.B. §§ 20, 21 VwVfU) hinaus, s.u., 4.d)dd)ß). Allgemein zum Problem der amtlich bzw. "funktional bedingten Voreingenommenheit" P. Kirchhof, VA 66 (1975), 370 (379 ff., 384 ff.); Schlink, Amtshilfe, 151 f.; zu den praktischen Problemen einer Umsetzung der genannten Forderung VGH Mannheim, NJW 1987, 1717 (1718 f.). 336 So jedenfalls die Forderung des Volkszählungsurteils, BVerjGE 65, I (60); früher bereits Kirchhof(vorige Fn.), 374 f.
m Daß rein organisatorische Mangel eine unverhältnismäßige Belastung des verfahrensbeteiligten Bürgers bewirken können, ist bisher vor allem am Beispiel einer überlangen Verfahrensdauer diskutiert worden, s. BVerjG, NJW 1985, 2019 f.; Gusy, AsyiR und Asylverfahren, 268 f., 272 f.; allgemein Held, Grundrechtsbezug, 170 f.; Krebs, in: lsensee/Kirchhof, HdbStR 111, § 69 Rn. 67. 338 Umgekehrt ließe es sich freilich auch als ein geringerer Eingriff ansehen, wenn der Betroffene seine Daten "nur" einer ihm bekannten und vertrauten Amtsperson offenbaren müßte, vgl. Busch, DVBI. 1984, 385 (388); krit. auch Schenke, NJW 1987, 2777 (2779).
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beaufuagten
mationsweitergabe auszuweichen (Berechtigung, "den Auskunftsbogen... im verschlossenen Umschlag kosten- und portofrei an die Zählungsdienststellen zu senden"339). Am Übermaßverbot scheitert auch die fortdauernde Aufbewahrung oder Speicherung personenbezogener oder -beziehbarer Daten über den Zeitpunkt hinaus, zu dem sie letztmals filr den gesetzlich bestimmten Zweck benötigt wurden ("Löschungspflichten" bzw. "-regelungen"340 ; "möglichst frühzeitige (faktische) Anonymisierung"341 ). Im übrigen müssen die hoheitlichen Informationseingriffe jederzeit den Verfassungsgeboten der Eindeutigkeit und Bestimmtheie42 sowie dem Grundsatz der Rechts- bzw. Normenklarheit genügen; schon aus diesem Grund343 dürfen dem Betroffenen die notwendigen Kenntnisse über Inhalt, Zweck und Ablauf der Datenerhebung bzw. -Verarbeitung nicht vorenthalten werden ("Aufklärungs-, Belehrungs- und Auskunftspflichten"344). Alle eben aufgeführten Verhaltensmaßregeln ergeben sich bereits unmittelbar aus dem negatorischen Gehalt der Grundrechte. Die staatlichen Organe sind danach generell verpflichtet, beim Umgang mit persönlichen Daten so zu "verfahren", daß das informationeile Selbstbestimmungsrecht nicht in ungesetzlicher, unverhältnismäßiger oder undurchschaubarer Weise beschränkt wird. Der Grundrechtsschutz "im" Verfahren345 bzw. "vor" Verfahrens- und Organisa-
339 So die - Uber den ursprUngliehen Willen des Gesetzgebers wohl hinausgehende - Auslegung des Volkszahlungsgesetzes in BVerjGE 65, I (57 f.); krit. insoweit Huber, Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren, 182; allgemein zur Rechtsfigur des "Austauschmittels" Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 194 f.
340 BVerjGE 65, I (46, 59). Der Löschungsvorgang selbst kann als - grundrechtlich geschuldete Folgenbeseitigung verstanden werden, s. Schenke, NJW 1987, 2777 (2780); VG Frankfurt, NJW 1988, 1612 f. ; allgemein Sachs, in: Stern, StaatsR lll/1 , 671 ff. 341
BVerjGE 65, I (49); NJW 1987, 2805 (2806).
Zum Bestimmtheitsgebot bei Verwaltungsakten Kopp, VwVfü, § 37 Rn. I ff; Kramer, NJW 1992, 2732 (2736 f.); speziell zur Erhebung statistischer Daten BVerjG, NJW 1991, 1246 (1247); Poppenhäger, NVwZ 1992, 241 ff. 342
343 Auf allgemeine Kompensationsüberlegungen braucht also entgegen Bryde, VVDStRL 46 (1988), 181 (206), nicht zurückgegriffen zu werden. 344 BVerjGE 65, 1 (46, 59). - Die gleichen und z. T. noch weitergehende Transparenzverpflichtungen (z.B. Protokollierungspflichten; BVerjG, ebda., 70) ergeben sich als "Vorwirkung" aus Art. 19 IV GO (s.o., IV.2.) sowie aus weiteren verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (s. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 158 ff.).
345 Dazu Ossenbühl, in: FS Eichenberger, 183 (188); Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhoj, HdbStR III, § 70 Rn 15; ausfuhrlieh Held, Grundrechtsbezug, 64 ff. m.w.N.: Es gehe insoweit um "isolierte Grundrechtseingriffe..., die wahrend und zum Zwecke der Durchftlhrung eines Verfahrens
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
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tionsregelungen346 gehört aus diesem Blickwinkel ohne weiteres zum grundrechtlichen status negativus.
c) Die Grenzen des negatorischen Grundrechtsschutzes "im" Verfahren Nicht alle vom BVerfG in der genannten Grundsatzentscheidung geforderten prozeduralen Schutzvorkehrungen lassen sich jedoch auf die beschriebene Weise in das herkömmliche Abwehrschema einfiigen347 • Zumindest zwei von ihnen folgen erkennbar einem anderen Grundrechtsverständnis. Gemeint ist zum einen die dem Volkszählungsgesetzgeber auferlegte Pflicht, "dafiir Sorge zu tragen, daß der Inhalt des Fragebogens mit dem Gesetz übereinstimmt"348. Diese Forderung läuft, nimmt man sie beim Wort, auf eine zumindest partielle Indienstnahme der Legislativorgane zur Rechts(anwendungs)kontrolle349 bzw. auf die ÜberbUrdung einer punktuellen Voll-
geschehen. Hierin erschöpft sich... ihr verfahrensmäßiger Aspekt." Als Beispiel aus der Rechtsprechung BVerjGE 33, 23 (34): Wegen Art. 4 I GG muß die religiös motivierte Eidesverweigerung in allen staatlichen Verfahren respektiert werden. -Zu weitgehend Schlink, EuGRZ 1984, 457 (465); ders., Amtshilfe, 137, mit dem (allerdings nur angedeuteten) Versuch, auch den Gedanken der Verfahrensteilhabe noch aus der grundrechtliehen Abwehrfunktion herzuleiten (krit. dazu Jarass, AöR 110 [1985], 363 [397]). 346 Vgl. Kloepfer, VVDStRL 41 (1983), 245 ff.; Jarass (vorige Fn.), 387 m. Fn. 123; Stern, StaatsR III/1, 972 m.w.N. in Fn. 388. Als Beschränkungen grundrechtlicher Freiheit können sowohl einzelne verfahrensbezogene Maßnahmen (Bsp.: Datenübermittlung) als auch generelle gesetzliche Erlaubnis- oder Verfahrensvorbehalte (Bsp.: Baugenehmigungs-, Asylanerkennungsverfahren; berufsbezogene Prüfungsverfahren) verstanden werden, s. Held (vorige Fn.), 161 ff. u. 248; zu Art. 12 GG zuletzt BVerjG, NJW 1991, 2005 u. 2009. 347 A.A. Sch/ink, EuGRZ 1984, 457 (467 f.); differenzierend ähnlich wie hier Huber, Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren, 183. 348 BVerjGE 65, I (60). Damit ist keineswegs ein bloßes - unter "Wesentlichkeits"- Aspekten vielleicht begrUndbares- Vergesetzlichungsgebot gemeint; das Geri.c ht läßt der Legislative vielmehr die Wahl, "wie die Erfllllung dieser Anforderungen sicherzustellen ist"; vgl. auch Poppenhäger, NVwZ 1992, 241 (242). 349 Es geht also weder um die politische Zielerreichungskontrolle ("Evaluation") von Gesetzen (dazu H. Schneider, Gesetzgebung, Rn. 149 ff.) noch um die dem Gesetzgeber bei komplexen Sachverhalten und Prognoseunsicherheiten obliegende fortlaufende Beobachtung und Bestandsaufuahme, die es ermöglichen soll, ein aufgrund geänderter Rahmenbedingungen verfassungswidrig gewordenes (!) Gesetz unverzüglich nachzubessem, s. dazu im Zusammenhang mit der Volkszählung BVerjGE 65, I (56); aus der übrigen Rechtsprechung BVerjGE 49, 89 (130); 50, 290 (335 f.); 56, 54 (78); 73, 118 (181 f.); ausfilhrlich Stern, StaatsR III/1, 1315 f.
16 Zöllner
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
zugs(mit)verantwortung350 hinaus. Sachlich begründen läßt sich ein solcher gewaltenübergreifender Auftrag nicht mehr aus der klassischen Abwehrfunktion der Grundrechte, sondern allenfalls351 aus einer im Dreiecksverhältnis Gesetzgeber - Bürger - datenverarbeitende Exekutive bestehenden grundrechtliehen Schutzpflicht Das gleiche gilt filr die zweite, hier besonders interessierende Maßnahme, die das BVerfG vom Gesetzgeber verlangt: Ausgehend von der noch recht unbestimmt und unverbindlich klingenden352 Feststellung, daß die "Beteiligung" unabhängiger Datenschutzinstanzen "auch im Interesse eines vorgezogenen Rechtsschutzes durch rechtzeitige Vorkehrungen... von erheblicher Bedeutung" sei353 , erklärt das Gericht im konkreten Fall des § 11 VIII BStatG354 "eine effektive Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten" unmittelbar filr "notwendig". Die Handhabung dieser Vorschrift, die sich mit der Aufbewahrung und Löschung von Daten beschäftigt, dürfe nämlich "nicht dem Ennessen der Verwaltung überlassen bleiben"355 • Das Gemeinsame der beiden eben zitierten Passagen des Volkszählungsurteils liegt darin, daß hier der Gesetzgeber über die bloßen grundrechtliehen Eingriffsverbote hinaus zu einem positiven, genauer: vorbeugenden Tun verpflichtet wird. Er soll bestimmte organisations- bzw. verfahrensrechtiche lnstrumente356 entwickeln und bereitstellen, mit deren Hilfe die grundrechtsgeschützten Belange des Datenschutzes in die exekutivischen Entscheidungsprozesse eingebracht und - im Konflikt mit gegenläufigen Interessen - wirkungsvoll vertreten werden
350 So Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 53 ff., die allerdings auch alle weiteren Verfahrensvorkehrungen als Ausdruck einer "gesetzgeberischen Vollzugs- und Folgenverantwortung" werten und daraus sogar Folgerungen für eine bestimmte Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens ableiten (33 ff.). 351 Krit. hierzu H Schneider, DÖV 1984, 165 (168); Barbey, in: Götz/Klein/Starck, Öffentliche Verwaltung, 184; ders. , BVeriD und einfaches Gesetz, 15 f. 352 Vgl. Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 13; Riegel, Datenschutz, 127: "allgemeine Würdigung". 353
BVerjGE 65, I (46).
In der damaligen Fassung des Gesetzes vom 14. 3 1980, BGBI. I S. 289 (abgedruckt in BVerjGE 65, I [10]). 354
355
BVerjGE 65, I (60); ähnlich BVerjGE 61, 157 (185).
Auf eine genaue Abgrenzung der Begriffe "Organisation" und "Verfahren" (s. etwa Stern, StaatsR III/1, 959 ff.) kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit verzichtet werden, da in der Rechtsfigur des Datenschutzbeauftragten beide Aspekte untrennbar miteinander verknüpft sind. 356
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
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können. Es geht also, kurz gesagt, um einen präventiven Grundrechtsschutz "durch" Organisation und Verfahren357 • Damit ist freilich zunächst nur ein verfassungsrechtliches Stichwort gegeben und nicht etwa schon eine ausreichende Antwort auf die grundrechtsdogmatische Frage, warum die in der Verfassung garantierten Persönlichkeitsrechte358 überhaupt solche (zusätzlichen) Sicherungen verlangen und weshalb hierfür, wie das höchste deutsche Gericht offenbar annimmt, nur eine vom Verwaltungsvollzug unabhängige institutionalisierte Fremdkontrolle in Betracht kommt.
3. Die funktionsgerechte Absicherung der Einzelgrundrechte "durch" Organisation und Verfahren Wer die vielbeschworene "Ausstrahlungswirkung" der Grundrechte auf das Organisations- und Verfahrensrecht genauer untersucht, muß schnell feststellen, daß sich hinter dieser allgemeinen Formel sehr verschiedenartige Erscheinungen verbergen359 • Einige grundrechtliche Gewährleistungen sind, um wirksam werden zu können, in hohem Maße auf ein prozedurales und institutionelles Gerüst angewiesen, andere würden hierdurch an ihrer bestimmungsgemäßen Entfaltung eher gehindert. Dieser uneinheitliche Befund, der auf Unterschiede in der textlichen und inhaltlichen Struktur der einzelnen Grundrechte ebenso zurückgeführt werden kann wie auf den heute weithin praktizierten Pluralismus der
351 Dazu allgemein BVerjGE 53, 30 (60 ff.); Ossenbühl, DÖV 1981, 1 (5 ff.); ders., FS Eichenberger, 183 (188); Laubinger, VA 73 (1982), 60 ff.; v.Mutius, NJW 1982, 2150 ff.; zusammenfassend Held, Grundrechtsbezug, 68 ff.: Der Grundrechtsschutz erfolge dadurch, "daß der Staat ein verfahrensmäßiges Instrumentarium bereitstellt, das die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der staatlichen Organe gewährleistet". - Zum Teil wird in einem umfassenderen Sinne auch von "Grundrechtsverwirklichung und -sicherung" gesprochen, s. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 358 f.; ders., in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, 100 ff.; Bethge, NJW 1982, I ff.; ähnlich bereits Häber/e, VVDStRL 30 (1972), 43 (87 ff.): "prozessuale Grundrechtskonkretisierung". Kritisch zu solchen wenig aussagekräftigen Begriffen Sachs, in: Stern, StaatsR 111/1 , 595 f. mit Fn. 489.
358 Die nachfolgenden Überlegungen gelten neben der "allgemein-persönlichkeitsrechtlichen" informationeilen Selbstbestimmung (Art. 2 I i. V. m. Art. I I GG) auch den speziellen Freiheiten des Art. I 0 GG, ftlr die ja nach Auffassung des BVerfG bei bestimmten Überwachungsmaßnahmen nach dem G 10 ebenfalls eine besondere Datenschutzkontrolle erforderlich sein soll (BVerjGE 61, 157 [185]). 359 Zum nachfolgenden s. etwa Ossenbühl, DÖV 1981, 1 (5); Bethge, NJW 1982, 1 (2 ff.); Hufen, NJW 1982, 2160 (2162); Held, Grundrechtsbezug, 64 ff., 130 ff.; Alery, Theorie der Grundrechte, 428 ff.; Stern, StaatsR 111/1, 953 ff.
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhl!ngigkeit des Beauftragten
Interpretationsmethoden und Grundrechtstheorien360, mahnt zur Vorsicht bei allen Versuchen, bestehende Organisations- und Verfahrensregelungen allein wegen ihres mehr oder weniger direkten "Grundrechtsbezugs" zu AusfUhrungsgesetzen eines (ungeschriebenen) verfassungsrechtlichen Auftrags zu erklären361. Erforderlich ist vielmehr eine differenzierende Betrachtungsweise, bei der die verschiedenen Begründungsansätze, aus denen sich möglicherweise ein gesetzgeberisches Pflichtprogramm ergibt, nacheinander geprüft und auf die vorgegebene Grundrechtssituation angewandt werden362.
a) Die verschiedenen Grade der Verfahrensabhängigkeit von Grundrechten Die Mehrzahl der Überlegungen, die in Rechtsprechung und Schrifttum bislang zum Thema Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren angestellt worden sind, können auf diese Weise von vornherein aus der weiteren Erörterung ausgeschieden werden, da sie auf das von Art. 2 I i. V. m. Art. I I GG geschützte Recht auf informationeile Selbstbestimmung nicht übertragbar sind. So läßt sich dieses Persönlichkeitsgrundrecht weder mit den herkömmlichen Institutsgarantien wie Ehe und Familie, Eigentum und Erbrecht gleichsetzen, die durch einfachgesetzliche Vorschriften auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht konkretisiert und ausgestaltet werden müssen363 , noch mit jenen Freiheitsrechten, die praktisch nur in Kommunikation, Kooperation oder Konkurrenz mit
360 Dazu als Überblick immer noch informativ die älteren Arbeiten von Böckenförde, NJW 1974, 1529 ff.; ders. , NJW 1976, 2089 ff.; Ossenbühl, NJW 1976, 2100 ff.; aus neuerer Zeit etwa Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 47 ff.; Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, passim.
361 Ebenso Schlink, Amtshilfe, 141, mit dem Hinweis, die Ausdeutung der Grundrechte als Verfahrensrechte erlaube "die nahezu beliebige verfassungsrechtliche Überhöhung von politischen Vorstellungen"; ähnlich auch Sachs, in: Stern, StaatsR IIUI, 614 ff. 362 Zur Notwendigkeit einer Differenzierung Ossenbühl, DÖV 1981, 1 (5 u. 6); ders., FS Eichenberger, 183 (184 ff.); Bethge, NJW 1982, 1 (2 f.); Hufen, NJW 1982, 2160 (2162); Alexy, Theorie der Grundrechte, 429; Denninger, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 113 Rn. 7 ff. Die Unterschiedlichkeit der Einzelgrundrechte vernachlässigt Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantie, passim; vgl. auch Hesse, in: Benda!Maihofer!Voge/, HdbVerfR, 100 ff. 363 Hierzu Jarass, AöR 110 (1985), 363 (390); Stern, StaatsR 111/1, 1301; Sachs, ebda., 604 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 441 ff., insbesondere 443: "Indem die Grundrechte privatrechtliche Rechtsinstitute gewährleisten, gewährleisten sie Verfahren zur privatautonomen Gestaltung von Rechtsbeziehungen im Gleichordnungsverhältnis."
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
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anderen Grundrechtsträgem wahrgenommen werden können (Medien-, Wissenschafts-, Versanunlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit)364 und deren "funktionsgerechte"365 Entfaltung von gewissen organisatorisch-strukturellen
Rahmenbedingungen (in Staat und Gesellschaft) abhängt, die nur der neutralitätsgebundene Gesetzgeber dauerhaft zu gewährleisten vermag366. Auch die Freiheit der informationeilen Selbstbestimmung steht zwar in einem natürlichen Spannungsverhältnis zu den grundrechtslegitimen Kommunikations- und Informationsinteressen anderer Privater. Diese rein gesellschaftliche Dimension367 ist jedoch weder Gegenstand des Volkszählungsurteils368 noch Thema der vor-
liegenden Arbeit: Die staatlichen Datenschutzbeauftragten sind nach geltendem Recht grundsätzlich369 nur fiir den Schutz gegenüber öffentlichen Stellen und nicht auch gegenüber privaten Datenverarbeitern zuständig - trotz ihrer z.T. weiter ausholenden Tätigkeitsberichte (s. § 26 I 2 BDSG n.F.).
Ebenfalls nicht einschlägig ist die Kategorie der grundrechtliehen und grundrechtsgleichen "Ansprüche" an den Staat. Bei ihnen geht es entweder um die Anerkennung oder Begründung eines rechtlichen Sonderstatus (als Kriegsdienstverweigerer, Asylberechtigter, öffentlicher Amtsträger) oder um die Durchsetzung des Grundrechts auf (Zugangs- bzw. Lasten-) Gleichheit, wobei die Anspruchsverwirklichung in jedem dieser Fälle ein effektives Überprüfungsverfahren370 sachnotwendig voraussetzt371 . Andere anspruchsgeprägte Grund-
364 Näher Bethge, NJW 1982, 1 (3 f.); Held, Grundrechtsbezug, 156 f.; Jarass, AöR 110 (1985), 363 (390 tf.); Alexy, Theorie der Grundrechte, 446 tf.; Stern, StaatsR 111/1, 975 f. u. 1258 tf. 365 Blankettbegriffe dieser Art schaffen Raum ftlr institutionelle, wertbezogene und demokratischfunktionale Grundrechtsdeutungen (vgl. Böckenförde, NJW 1974, 1529 [1532 tf.)). 366 Zu Art. 5 I 2 GG: BVerjGE 51, 295 (320); NJW 1987, 239 (240); 1991, 899 (908 f.). Zu Art. 5 II1 GG: BVerjGE 35, 79 (114 tf.); 55, 37 (68); NJW 1991, 1471 (1474 f.). Zu Art. 8 GG: BVerjG, NJW 1985, 2395 (2397 u. 2399). Zu Art. 9 I u. I1I GG: BVerjGE 50, 290 (354 f. u. 368 f.). 367 Zur Drittwirkung der informationellen Selbstbestimmung s. nunmehr BVerjG, NJW 1991, 2411 f.; Gal/was, NJW 1992, 2785 tf. 368 Verfehlt erscheint daher die von Bul/, JURA 1987, 193 (194), gezogene Parallele zur Rundfunkfreiheit. 369
Zu den Iandesrechtlichen Ausnahmen kritisch Similis, BDSG 1977, § 30 Rn. 88 f.
Vgl. zu Art. 4 111 GG: BVerjG, NJW 1985, 1519 (1520 f.); zu Art. 16 II 2 GG: BVerjG, NJW 1982, 2425 (2428), 2728 (2729); 1983, 2929 (2930); zu Art. 33 II GG: Isensee, in: Benda/Maihofer/Voge/, HdbVerfR, 1167 tf.; filr den "staatlich gebundenen" Beruf des Notars auch BVerjG, NJW 1987, 887 (888); zu Art. 12 GG unter dem Aspekt der Teilhabe an staatlichen Leistungen BVerwG, NVwZ 1987, 683 (684); zu Art. 3 I GG unter dem Aspekt der staatsbürgerlichen Grundpflichten BVerjG, NJW 1978, 1245 tf.; 1991, 2129 (2130 ft). 370
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
rechte zielen sogar unmittelbar auf Verfahrensdurchfiihrung oder Verfahrensbeteiligung ab und vermitteln insofern eine ausschließlich "formelle" Rechtsposition (Rechtsweggarantie; rechtliches Gehör; Petitionsrecht; Wahlrecht)372 • Die informationelle Selbstbestimmung, wie sie von den Datenschutzbeauftragten geschützt werden soll, hat mit alledem so gut wie nichts gemeinsam. Sie sichert gegenüber allen Trägem öffentlicher Gewalt die individuelle Freiheit des Bürgers, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu entscheiden, und verkörpert damit eine moderne Ausprägung des urliberalen Grund-Rechts, im privaten Bereich von den Staatsorganen so weit wie möglich in Ruhe und allein gelassen zu werden ("right to be Iet alone")373 • Hiernach gehört sie grundrechtstypologisch in eine Reihe mit den anderen "natürlichen" Elementarfreiheiten der Person wie etwa dem Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Ehre, der Fortbewegungs-, Glaubens- und Wohnungsfreiheit - mit Grundrechten also, die allesamt vom Staat "lediglich" respektiert und nicht erst ausübungsreif organisiert oder in verfahrensrechtliche Bahnen gelenkt werden müssen374• Diesem "privatistischen" Verständnis der informationellen Selbstbestimmung wird allerdings zuweilen entgegengehalten, es gehe beim Datenschutz nur "vordergründig... um den einzelnen und seine persönliche Situation". Die zu erlassenden Schutzvorschriften seien "zwar auf den ersten Blick Barrieren zum Schutz eines bestimmten Grundrechts,... in Wirklichkeit jedoch unverzichtbare
371 Insoweit kann hier von "verfahrensabhängigen" Grundrechten gesprochen werden, s. Ossenbühl, DÖV 1981, I (5); ders. , FS Eichenberger, 183 (185); Bethge, NJW 1982, 1 (5); Grimm, NVwZ 1985, 865 (870); Stern, StaatsR 11111,975, 1301; BVerjG, NJW 1988, 1651 (1657).- Genau betrachtet liegt freilich in einem solchen "Verfahrensvorbehalt" selbst ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die an sich vorbehaltlos gewährten Grundrechtsansprüche; s. dazu Held, Grundrechtsbezug, 164 ff.; Sachs, in: Stern, StaatsR IIII1, 614 ff.; krit. Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), 193 (219 f.). 372 Zu den spezifischen Verfahrensgrundrechten im Bereich der rechtsprechenden Gewalt Henke, DÖV 1984, I (5); zu Art. 17 u. 38 GG s. Vitzthum/März, JZ 1985, 809 (81 0); Alexy, Theorie der Grundrechte, 437, 453; Burmeister, in: /sensee/Kirchhof, HdbStR II, § 32 Rn. 30; Stern, StaatsR III/1, 961 ff., 969. 373 Hierzu BVerjGE 27, 1 (6); 44, 197 (203); 75, 318 (328); Benda, in: ders./Maihofer/Vogel, HdbVerfR, 118 f. m.w.N.; ders., FS Geiger, 23 (29 ff.); allgemein zur grundrechtsgeschützten Privatheit Isensee, Der Staat 20 (1981), 161 (172 f.); Kloepfer, Datenschutz als Grundrecht, 21. 374 S. Sachs, in: Stern, StaatsR 11111 , 602, 643 ff.: "Elemente der natürlichen Persönlichkeit"; Lübbe-Wol.ff, Eingriffsabwehrrechte, 81 ff.: Schutz der "natürlichen Freiheit". - Der sozialstaatliche Auftrag zur Schaffung und Gewährleistung der faktischen Voraussetzungen einer Inanspruchnahme dieser Grundrechte kann hier außer Betracht bleiben.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
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Vorbedingung... der Existenz einer auf die Partizipation des einzelnen angewiesenen und von ihr bestimmten Gesellschaft", so daß der Datenschutz zu den "strukturellen Voraussetzungen eines demokratischen Staates" gezählt werden rnüsse375 • Die Vertreter einer solchen eher funktionalistischen Deutung können sich zwar auf eine Passage des Volkszählungsurteils berufen, in der die hohe Bedeutung der informationeBen Selbstbestimmung ftlr das demokratische Gerneinwesen mit der Überlegung begründet wird, der Bürger werde beispielsweise auf die grundrechtlich geschützte Teilnahme an einer Versammlung oder Bürgerinitiative verzichten, wenn ihm dabei behördliche Registrierung drohe376• Hinter derartigen Aussagen steckt jedoch bei genauerern Hinsehen nur die verfassungsrechtliche Binsenweisheit, daß mit staatlichen Eingriffen in die informationeHe Freiheit des Bürgers zusätzliche Grundrechtseingriffe, etwa in die Kommunikationsgrundrechte aus Art. 8 und 9 GG, konkurrieren können377, die dann konsequenterweise nach ihren eigenen, häufig strengeren Eingriffsvoraussetzungen zu beurteilen sind378 • Für die grundrechtssystematische Einordnung der durch Art. 2 I i. V. rn. Art. I I GG geschützten informationeBen Selbstbestimmung geben solche (Zufalls-) Konfigurationen dagegen nichts her - ähnlich wie bei den anderen höchstpersönlichen Grundrechten auf Leben, Gesundheit, Freiheit usw., deren Bedrohung den Bürger ebenfalls (und sogar noch unmittelbarer) von einer beabsichtigten Versammlungsteilnahme oder von einer politischen Meinungsäußerung abhalten kann, ohne daß man deshalb bisher auf den Gedanken gekommen wäre, diese Rechte zu demokratischen "Funktionsgrundrechten" im Dienste der Gesellschaft urnzudeuten379 •
375
Simitis, NJW 1986, 2795 (2796); ähnlich ders., NJW 1984, 398 (400).
376
BVerjGE 65, I (43).
Vgl. den Fall OVG Bremen, NVwZ 1990, 1188 (1189); allg. Rohlf, Privatsphare, 135 ff., 236 ff.; Schlink, Amtshilfe, 190, 199 ff.; Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 92 f.; Vogelgesang, Informationelle Selbstbestimmung, 89 ff., 220 f. 377
378 Vgl. OVG Bremen, vorige Fn., wo i. E. nur Art. 8 GG den Prüfungsmaßstab bildet. A.A. Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, 101. Zum Problem der "Grundrechtskumulation" s. auch Würkner, DÖV 1992, 150 (insbes. 151 f.). 379 Allg. krit. zu derartigen Funktionalisierungstendenzen Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1534 f.).
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
b) Die materiell-grundrechtliche Rechtsschutzverpflichtung Ein funktionsspezifischer Organisations- oder Verfahrensbedarf besteht, wie die vorstehenden Überlegungen gezeigt haben, fiir das Recht auf informationeile Selbstbestimmung nicht. Den Gedanken der Grundrechtssicherung durch Verfahren hat allerdings das BVerfG auch noch auf eine ganz andere Weise fruchtbar gemacht, und dies gleichermaßen fiir alle Arten von Grundrechten einschließlich der verschiedenen Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts. Schon seit längerem vertritt das Gericht die Ansicht, das Gebot effektiven staatlichen Rechtsschutzes ergebe sich nicht erst aus dem allgemein-rechtsstaatliehen Justizgewährungsanspruch des Bürgers380 bzw. gegenüber der öffentlichen Gewalt aus Art. 19 IV GG als dem "formellen Hauptgrundrecht", sondern soweit sie betroffen sind - bereits unmittelbar aus den materiellen GrundrechtenJst.
aa) Die Auffassung(-en) des BVerfG
Ursprünglich zielte dieser Gedanke, der insbesondere in der Rechtsprechung des Ersten Senats erhebliche Bedeutung gewonnen hat, auf eine Effektivierung (nur) des gerichtlichen Verfahrens, wobei freilich im Anwendungsbereich des Art. 19 IV GG die Notwendigkeit einer solchen Konstruktion nie recht klar geworden ist382 • In einigen neueren Entscheidungen wird aber das materiellgrundrechtliche Rechtsschutzgebot ausdrücklich auch auf das behördliche Verfahren bezogen383 • Es manifestiert sich hier zunächst in der Forderung nach einer - wie es im Brokdorf-Beschluß heißt - "grundrechtsfreundlichen An-
380
Zu ihm etwa Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 16 m.w.N.
BVerjGE 24, 367 (401 f.); 35, 348 (361 f.); 45, 297 (322, 333); 46, 325 (334 f.); 49, 220 (227 f.) u. ö. Zusammenfassend hierzu Lorenz, AöR 105 (1980), 623 tf.; Bethge, NJW 1982, I (5 ff.); v.Mutius, NJW 1982,2150 (2153 tf.); Held, Grundrechtsbezug, 71 tf.; Stern, StaatsR IIUI, 1448 tf. 381
382 Zur Kritik s. die in der vorigen Fn. Genannten sowie Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rn. 432. Nicht zu Unrecht warnt auch der Zweite Senat des BVerfG davor, die allgemeinen gesetzlichen Verfahrensordnungen "in ein aktionenrechtliches Verfahrensgeflecht aufzulösen", BVerjGE 60, 253 (296 f.). 383 Zuerst BVerjGE 52, 380 (389 f.); dann vor allem BVerjGE 53, 30 (65 ff. u. Sondervotum 70 tf.); 56, 216 (236 tf.); 60, 348 (357 ff.); 65, 76 (94); 69, 315 (355); näher v.Mutius, NJW 1982, 2150 (2154 f.); Held, Grundrechtsbezug, 80 ff.
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhängiger Datenschutzkontrolle?
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wendung vorhandener Verfahrensvorschriften"384 • Unter Umständen können jedoch seine Wirkungen auf das Verwaltungsverfahren noch erheblich weiter reichen. Verschiedentlich findet sich nämlich inderneueren verfassungsgerichtlichen Judikatur die These, die Staatsorgane seien prinzipiell gehalten, "Grundrechtsschutz auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken"385 •
Garant fiir eine aktive prozedurale Absicherung der Grundrechte ist hiernach in erster Linie der (parlamentarische) Gesetzgeber 86 • Er hat durch geeignete Rahmenvorschriften dafilr zu sorgen, daß der geforderte Schutz bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren gewährleistet ist. Ob diesem grundrechtliehen Regelungsauftrag Genüge getan ist, kann vom BVerfG nachgeprüft werden. "Erfiillt das vom Gesetzgeber geschaffene Verfahrensrecht seine Aufgabe nicht..., dann ist es mit dem Grundrecht, dessen Schutz es bewirken soll, unvereinbar". 387 Weiche konkreten Verfahrensvorkehrungen aufgrund des materiell-grundrechtlichen Rechtsschutzgebots getroffen werden müssen, ist allerdings noch wenig geklärt. Die Rechtsprechung des BVerfG läßt insoweit kein einheitliches Bild erkennen. In ihr gehtestrotz einiger überschießender Formulierungen zumeist nur um die (verfassungskonforrne) Auslegung von bereits existierenden "grundrechtsrelevanten" Verfahrensvorschriften, die in Erfilllung der staatlichen Schutzverpflichtung erlassen wurden - oder jedenfalls vom Gericht so gedeutet
384 BVerjGE 69, 315 (355) (Hervorhebung nicht im Original). Wo die Grenze zwischen "grundrechtsfreundlicher" und "grundrechtskonformer" Gesetzesanwendung verläuft, bleibt in dieser Entscheidung allerdings offen. 385 BVerjGE 53, 30 (65) (Hervorhebung nicht im Original); BVerjGE 65, 76 (94); 69, 315 (355 f.); NJW 1991, 2005, 2009; ähnlich bereits BVerjGE 49, 220 (235); 56, 216 (236). -Zu Unrecht zitiert das BVerjG (E 65, I [44]; 69, 315 (355]) in diesem Zusammenhang seinen Beschluß zur presserechtliehen Gegendarstellung (BVerjGE 63, 131 [141]). Es ging dort weder um ein staatliches Verwaltungsverfahren noch überhaupt um Rechtsschutz "durch" Verfahren. Der von den Verfassungsrichtern letztlich filr grundrechtsgeboten erachtete (142 f.) Anspruch auf Gegendarstellung gehört eindeutig zum materiellen (Delikts-) Recht; seine gesetzliche Befristung stellt - im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht - keine grundrechtssichernde, sondern eine ausschließlich belastende "Verfahrensregelung" dar, die demzufolge vom BVerjG (144 ff.) nicht deshalb filr verfassungswidrig erklärt wurde, weil ihre Schutzwirkung nicht ausreiche (sog. Untermaßverbot), sondern weil sie das Persönlichkeitsrecht übermäßig einschränke; s. hierzu auch Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 142 f., 167 f. 386 S. BVerjGE 56, 216 (236); allgemein Huber, Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren, 211 ff. 387
BVerjGE 63, 131 (143).
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Dritter Abschnitt: Sachliche Unabhängigkeit des Beauftragten
werden388 • Die Frage, ob die Verfassung den Erlaß ganz bestimmter grundrechtssichemder Regelungen unter Umständen zwingend vorschreibt, mußte bisher erst in wenigen Fällen verbindlich beantwortet werden. Zu nennen sind hier neben dem Urteil zur Volkszählung 1983 vor allem der 1987 gefaßte Beschluß zur Lagerung von C-Waffen im Bundesgebiet sowie die beiden nochmals vier Jahre später ergangenen Beschlüsse zur Kontrolle berufsbezogener Prüfungen389 • Bei einem Vergleich der beiden erstgenannten Entscheidungen scheint ein tiefgreifender gerichtsinterner Meinungsunterschied zutage zu treten. Der Erste Senat nimmt ohne weiteres an, daß organisations- und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zur verfassungsmäßigen Durchfiihrung der Volkszählung erforderlich sind, und leitet daraus einen ganzen Katalog gesetzlich noch zu schaffender Detailregelungen ab, wobei sich deren Inhalt freilich, wie oben gezeigt, zum größten Teil schon aus der Abwehrfunktion des Rechts auf informationeHe Selbstbestimmung begründen läßt390 • Demgegenüber hält es der Zweite Senat in der Entscheidung aus dem Jahre 1987 mehrheitlich nicht fiir geboten, daß der Gesetzgeber zur Erfiillung der aus Art. 2 II I GG folgenden staatlichen Schutzpflicht überhaupt aufMittel verfahrensrechtlicher Art zurückgreift; insbesondere bedarf es nach Ansicht der Richter391 bei der Entscheidung über Lagerung und Transport chemischer Waffen keiner förmlichen Unterrichtung oder Anhörung der betroffenen Bürger392• Eine eher vermittelnde Position nimmt der Erste Senat in seinen neueren Grundsatzentscheidungen zum Prüfungsrecht ein. Dort wird zunächst ausgefiihrt, es hänge von Art und Intensität des Grundrechtseingriffs sowie von der Qualität des nachträglichen gerichtlichen Rechtsschutzes ab, ob und inwieweit
388 BVerjGE 53, 30 (61, 65 f.); 56,216 (241 f .); 65, 76 (93 ff.); 69, 315 (348 ff.); s. auch Wahl, VVDStRL 41 (1983), !51 (168 f.). 389 BVerjGE 65, I -Volkszählung-; 77, 170- C-Waffen; NJW 1991, 2005- Zweite Juristische Staatsprüfung; NJW 1991, 2009- Multiple-Choice-Prüfungen. 390 BVerjGE 65, 1 (44 ff.); dazu oben, 2.b). Burmeister, UTR 5 (1988), 121 (141), sieht hierin eine "neue Dimension" der Diskussion um den Grundrechtsbezug des Verfahrens. 391 Insoweit ist auch dem angeftlgten Sondervotum von Mahrenholz (BVerjGE 77, 170 [214 ff.]) nichts Gegenteiliges zu entnehmen. 392 BVerjGE 77, 170 (229 f.). Ausdrücklich offengelassen wird diese Frage in einem kurz danach ergangenen Beschluß des Ersten Senats zum Atomrecht (NVwZ 1988, 427 [428]- Zwischenlager Gorleben -).
C. Verfassungsrechtliches Erfordernis unabhangiger Datenschutzkontrolle?
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Verfahrensgarantien grundrechtlich gefordert seien393 • Nicht in jedem Falle genügt dem Gericht hierbei schon die Gewähr, daß etwaige Fehler im nachhinein berichtigt werden können: "Birgt die besondere Struktur eines Verwaltungsverfahrens oder die Art der zu treffenden Entscheidungen die Gefahr typischer und absehbarer Fehler und lassen sich diese von der Verwaltungsbehörde früher und besser erkennen als von den in ihren Grundrechten betroffenen Bürgern, so müssen die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur vorbeugenden Fehlervermeidung genutzt werden" 394 • Bei der Beurteilung von Prüfungsleistungen bedürfe es danach bestimmter Regelungen sowohl filr das eigentliche Leistungsbewertungsverfahren als auch filr das nachfolgende Widerspruchsverfahren395 ; bei Multiple-Choice-Prüfungen seien die Prüfungsämter zudem schon vor Erlaß der Prüfungsbescheide zu einer speziellen Fehlerselbstkontrolle verpflichtetl96 • Auf die grundrechtliche Fundierung des Verwaltungsverfahrens kam es allerdings in beiden prüfungsrechtlichen Entscheidungen am Ende gar nicht an, nachdem gegenüber den BeschwerdefUhrern alle zuvor genannten Anforderungen erfilllt waren397 • Ein noch wirksamerer, über die bisherige Praxis hinausgehender Verfahrensrechtsschutz- z.B. in Form einer vollständigen Neubewertung der Prüfungsleistung durch die Widerspruchsbehörde - erscheint in solchen Fällen zwar möglich, läßt sich aber nach Auffassung des Gerichts "aus Art. 12 I GG nicht ableiten"; schließlich sei im Verwaltungsverfahren "nicht einmal ein Instanzenzug... unentbehrlich" 398 • Zumindest auf dem Gebiet des Prüfungsrechts wird demnach die Grenze zwischen den unabdingbar notwendigen und den bloß fakultativen Schutzvorkehrungen recht deutlich markiert. Unklar bleiben jedoch auch hier die verfassungsrechtlichen Gründe, die den Grenzverlauf bestimmen.
393
BVerjG, NJW 1991, 2005 (2006).
394
BVerjG, NJW 1991, 2009 (Hervorhebung nur hier).
39 s
BVerjG, NJW 1991, 2005 (2006). Die ftlr geboten erachteten Regelungen betreffen die Zahl
und Auswahl der Prüfer und deren Verhältnis untereinander, die rechtzeitige Information des Betroffenen über den Verfahrensstand sowie die Berücksichtigung seiner Einwande bei der (Widerspruchs-) Entscheidung; dazu OVG Münster, NVwZ 1993, 95 ff; BVer'H