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German Pages 365 Year 1992
Die Wirtschaftswissenschaft im Dienste der Politikberatung Grundsatzfragen und Anwendungsbereiche
Die Wirtschaftswissenschaft im Dienste der Politikberatung Grundsatzfragen und Anwendungsbereiche Theodor Dams zum 70. Geburtstag
Herausgegeben von
Heinrich Mäding, Friedrich L. Seil, Werner Zohlnhöfer
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Die Wirtschaftswissenschaft im Dienste der POlitikberatung : Grundsatzfragen und Anwendungsbereiche ; Theodor Dams zum 70. Geburtstag / hrsg. von Heinrich Mäding ... - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 ISBN 3-428-07386-X NE: Mäding, Heinrich [Hrsg.]; Dams, Theodor: Festschrift
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-07386-X
Vorwort Der große Kreis von Gratulanten stellte die Herausgeber vor eine schwierige Aufgabe: Um sicherzustellen, daß sich der Umfang dieser Schrift in vertretbaren Grenzen hält, war es unumgänglich, die vielen Autoren von vornherein zu bitten, sich kurz zu fassen. Wir bitten daher um Verständnis für die Kürze der Beiträge. Wir sind den Autoren sehr verpflichtet, daß sie sich an diese restriktive Vorgabe gehalten haben und hoffen sehr, daß die Klarheit der beabsichtigten "Botschaft" in keinem Falle darunter gelitten hat. An der organisatorischen Vorbereitung dieser Festschrift haben sich mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Herausgeber beteiligt als hier ausdrücklich genannt werden können. Ihnen allen schulden wir Dank. Besonders verdient gemacht hat sich Frau Diplom-Volkswirtin Carola Rosa: Ihr oblag nicht nur die gesamte redaktionelle Betreuung der Manuskripte, sondern auch die Abstimmung unter den Herausgebern und die Zusammenarbeit mit dem Verlag. Für engagierten Einsatz bei der Abwicklung der umfangreichen Schreib- und Korrekturarbeiten danken wir Frau Ursula Bösche (Mainz), Frau Karin Hess (Konstanz) und Frau Silke Wohlgemuth (Gießen). Last not least sind wir dem Verlag Duncker und Humblot dafür dankbar und verbunden, daß er sich ohne Zögern bereit erklärt hat, diese Festschrift zu betreuen und in sein Programm aufzunehmen. Die Herausgeber
Inhaltsverzeichnis Theodor Dams zum 70. Geburtstag .................................................
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Grundsatzfragen Horst Albach
Technikfolgenforschung und Technikfolgenbewertung als Aufgabe für eine Deutsche Akademie der Wissenschaften ............................................
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Siegfried Hauser
Anforderungen an eine wissenschaftliche Politikberatung bei einem Radikalen Konstruktivismus als erkenntnistheoretischem Ansatz in der Ökonomie
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Herbert Kötter
Sozialwissenschaften und Politik -
Alte Fragen und neue Perspektiven
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Bernhard Külp
Zur These der Alibifunktion politikwissenschaftlicher Beratung
53
J. Heinz Müller
Der Wirtschaftswissenschaftler als Berater wirtschaftspolitischer Instanzen ......
67
Werner Pascha
"Robinson Crusoe" von D. Defoe und "Insel Felsenburg" von J. G. Schnabel als Archetypen sozialökonomischer Darstellungsmuster ...............................
77
Agrarpolitik Peter v. Blanckenburg
Zielkonflikte der Agrarreform Zimbabwes Regierung und Großlandwirte vor einer neuen Landumverteilung
~.
91
Der landwirtschaftliche Großbetrieb mit vielen Arbeitskräften - ein Irrweg kommunistischer Agrarpolitik .......................................................
103
AdolfWeber
8
Inhaltsverzeichnis
Günther Weinschenck Ökologieorientierte Rahmenbedingungen oder programmorientierte Ökologiepolitik .................................................................................
115
Günther Schmitt Landwirtschaft und Wirtschaftsordnung
125
Raanan Weitz / Avshalom Rokach Agriculture and Rural Planning and Implementation: The Case of Israel
137
Regionalpolitik
Hans-Jürgen v. d. Heide Regionalpolitik als Mittel zur Steuerung der räumlichen Entwicklung
155
Jos G. M. Hilhorst On the Role of Technical Cooperation in Regional Planning
163
Kunihiro Jojima Der Begriff des "zentralen Ortes" von W. Christaller aus einer neuen interdisziplinären Sicht ............................................................................
179
Peter Treuner Entwicklung und Perspektiven einer europäischen Raumentwicklungspolitik ....
197
Bildungs- und Verteilungs politik
Gerold Blümle Personelle Einkommensverteilung als Ausdruck eines Verteilungsgleichgewichts? Anmerkungen zur Relativierung des Ziels der personellen Einkommensverteilung
209
Sabine Gerbaulet Beratung auf dem bildungspolitischen Parkett ......................................
227
Reinar Lüdeke Chancengleichheit im Bildungswesen und gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion: Eine Paretianische Sicht ................................................. . . . . . . . . . . . . 233
Alois Oberhauser Vermögenspolitische Aspekte des Privatisierungsprozesses ........... . . . . . . . . . . . .
249
Inhaltsverzeichnis
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Lothar Richter
The Neglected Issue of Usefulness and Costs of Manpower Information and Forecasting for Human Resources Development Planning ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Heinz-Ulrich Thimm
Responding to Social and Economic Change - Agricultural Economics Curricula at two Universities in the U.S.A. and Africa ....................................... 275 Entwicklungspolitik
Karl Brandt
Entwicklungspolitische Ideale im Wandel der Zeiten, eine dogmenhistorische Betrachtung ...........................................................................
287
Michel Petit / Suzanne Gnaegy
Economic Rationality, the New Political Economy and the Role of International Development Agencies ............................................................... 299 Klaus Poser
Wissenschaftliche Beratung der Entwicklungspolitik: Möglichkeiten und Grenzen aus der Sicht der Praxis ..............................................................
309
Hansjürg Steinlin
Beteiligung der lokalen Bevölkerung an den Bestrebungen zur Erhaltung und Wiederherstellung des Waldes in Entwicklungsländern ............................
319
Dirk Vieser
Probleme der wirtschaftlichen Rechtfertigung von Straßenbauvorhaben in Entwicklungsländern .....................................................................
335
Lebenslauf von Theodor Dams ......................................................
343
Schriftenverzeichnis von Theodor Dams ............................................
345
Verzeichnis der Mitwirkenden .......................................................
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Theodor Dams zum 70. Geburtstag Am 6. Mai 1992 begeht Theodor Dams seinen 70. Geburtstag. Kollegen, Schüler, (ehemalige) Mitarbeiter und andere Weggefährten, die ihm aufgrund seines vielfältigen Engagements eng verbunden sind, gratulieren dem Jubilar mit diesem Sammelband. Sie ehren damit einen Mann, dessen weltweite Forschungs-, Lehr- und Beratertätigkeit so breit gefächert und vieldimensional ist, daß die folgende Würdigung Stückwerk bleiben muß, obgleich sie als Resultante eines joint venture der Herausgeber zu betrachten ist, das vorhandene Synergieeffekte zu nutzen versucht. Theodor Dams ist kein Stubengelehrter. Für die Konstruktion abstrakter Modelle des ökonomischen Kosmos auf der Basis wirklichkeitsfemer Prämissen vermag er sich nicht zu erwärmen. Der Nirwana-Approach ist nicht seine Sicht der Dinge. Was ihn als Wissenschaftler bewegt, ja fasziniert, ist letztlich die wirtschaftspolitische Praxis im allgemeinen und der Prozeß wirtschaftspolitischer Entscheidungsfindung im besonderen. Sein Interesse gilt vor allem der Frage nach Möglichkeiten und Grenzen einer kompetenten, d. h. wissenschaftlich fundierten Politikgestaltung. Dabei geht es ihm aber weniger darum, über diese Probleme abstrakt zu reflektieren. Sein spezielles Anliegen gilt vielmehr dem Versuch, durch kritische Begleitung, wissenschaftliche Beratung und praxisorientierte Forschung zur Verbesserung der Zielwirksamkeit staatlicher Wirtschaftspolitik beizutragen. So ist er stets bemüht, vorhandene Konzepte und Theorien für die wirtschaftspolitische Praxis fruchtbar zu machen, indem er sich mit aktuellen Entwicklungen und Fragestellungen von grundsätzlicher Bedeutung in einschlägigen Publikationen und / oder im Rahmen von Beratungsgremien aus wissenschaftlicher Sicht auseinandersetzt. Umgekehrt wird ihm diese kritische Begleitung der politischen Praxis aber auch zur Quelle von Anregungen für seine eigene wissenschaftliche Arbeit als Forscher und Lehrer. Der wissenschaftliche Werdegang und die daraus resultierende Kompetenz des Jubilars erhalten dadurch ihr höchst persönliches Gepräge. Theodor Dams ist von Haus aus Agrarpolitiker. Im Jahre 1947 begann er an der Universität Bonn das Studium der Agrar- und Wirtschaftswissenschaften, das er fünf Jahre später mit der Promotion abschloß. Nach einer kurzen Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Agrarpolitik und landwirtschaftliche Marktforschung der Universität Bonn war er bis 1959 als Referent für Agrarpolitik und landwirtschaftliche Marktforschung der Forschungsgesellschaft
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für Agrarpolitik und Agrarsoziologie tätig. Kurz nach seiner Habilitation im gleichen Jahr (1959) wechselte er zur EWG-Kommission nach Brüssel, wo er als Leiter der Abteilung für Agrarstruktur und Regionalpolitik vor allem mit der Koordination nationaler Politiken in diesem Bereich befaßt war, bis er im Jahre 1965 einem Ruf an die Universität Freiburg / Br. folgte: Er übernahm einen Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und gründete das Institut für Entwicklungspolitik an der Universität Freiburg / Br. Von hier aus entfaltete er dann in den folgenden Jahren seine ebenso umfangreiche wie erfolgreiche Tätigkeit als Wissenschaftler in Lehre, Forschung und Politikberatung. Diese wichtigen Stationen in der Laufbahn des Jubilars sind eng mit einer konsequenten, sachlich naheliegenden Erweiterung seiner wissenschaftlichen Interessen und damit auch seiner fachlichen Kompetenz verbunden. Hatte die Dissertation noch ein vergleichsweise enges Thema aus der landwirtschaftlichen Marktforschung zum Gegenstand, so erschloß sich der Habilitand mit einer Arbeit über die wirtschaftliche Entwicklung des ländlichen Raumes die Bereiche der Agrar- und der regionalen Wirtschaftspolitik einschließlich der essentiellen Interdependenzen zwischen diesen beiden Teilgebieten staatlicher Wirtschaftspolitik. Vor diesem Erfahrungshorizont entdeckte er - mit ersten Arbeiten schon während seiner Tätigkeit in Brüssel - in der Entwicklungspolitik das Problemfeld, dem er sich dann von Freiburg / Br. aus mit besonderer Intensität und Hingabe zuwandte. Gleichzeitig pflegte er aber auch sein wissenschaftliches Interesse an der Agrar- und an der Regionalpolitik weiter. Ja, die Berufung in den Deutschen Bildungsrat im Jahre 1965 war für ihn Anlaß, sich zusätzlich noch - zeitweilig sogar sehr eingehend - mit Problemen der Bildungspolitik zu beschäftigen. Somit hat die skizzierte Entwicklung keineswegs zu einer Verdrängung der Agrar- und Regionalpolitik durch die Entwicklungs- und Bildungspolitik geführt, sondern lediglich zu einer gewissen Akzentverschiebung in den Arbeitsschwerpunkten. Darüberhinaus kam es wissenschaftlich zwischen diesen vier Tätigkeitsfeldern zu einer wechselseitigen Durchdringung und Befruchtung: So konnten vor allem Erfahrungen und Erkenntnisse der Agrar-, Regional- und Bildungspolitik in die Analyse von Problemen der Entwicklungspolitik eingebracht werden. Der Jublilar selbst hat (1970) "die Kombination der vier Bereiche als sehr glücklich ... empfunden". Als Vertreter der wissenschaftlichen Agrarpolitik hat Theodor Dams die Probleme der Landwirtschaft in einer wachsenden Volkswirtschaft zum Schwerpunkt seiner Analysen gemacht. Dabei hat der Schüler von H. Niehaus das sog. Agrarproblern von Anfang an als Phänomen des sektoralen Strukturwandels und damit als Anpassungsproblem interpretiert. Schon in seiner Habilitationsschrift über "Die Neuordnung des ländlichen Raumes als Aufgabe der Agrar- und Wirtschaftspolitik", (1959) erkennt er, daß eine auf Anpassung ausgerichtete Agrarpolitik vor allem Agrarstrukturpolitik
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sein muß und eine der wesentlichen Erfolgsbedingungen der Agrarstrukturpolitik eine regionale Wirtschaftspolitik ist, die darauf abzielt, Bedingungen zu realisieren, die die Schaffung neuer, akzeptabler Beschäftigungsmöglichkeiten für die aus der Landwirtschaft freigesetzten Arbeitskräfte erwarten lassen. Hier hat der Jubilar Pionierarbeit geleistet. Darüberhinaus war er stets bemüht, diese "Botschaft" - im Zusammenhang vor allem mit kritischen Analysen der EG-Agrarpolitik - zu aktualisieren und weiterzuentwickeln, auch für die Entwicklungspolitik. So ist es nicht zuletzt sein Verdienst, wenn sich die Einsicht, daß das Agrarproblern nur als Problem des ländlichen Raumes als ganzem angemessen diagnostiziert und bewältigt werden kann, heute allgemein durchgesetzt hat und in Gestalt des Konzepts der integrierten ländlichen Entwicklung zu einem zentralen Topos agrar-, regional- und entwicklungspolitischer Forschung geworden ist. Dem so ausgewiesenen Forscher blieb die Anerkennung nicht versagt. Schon seine "Berufung" zur EWG-Kommission in Brüssel darf wohl mit den in seiner Habilitationsschrift erarbeiteten Ergebnissen in Verbindung gebracht werden. Kurz nach Übernahme des Lehrstuhls an der Universität in Freiburg / Br. wird er außerdem zum Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ernannt. Im Jahre 1982 wird ihm die Würde eines Ehrendoktors der Agrarwissenschaften der Justus-LiebigUniversität verliehen und ein Jahr später wird er Membre Etranger de I' Academie de l' Agriculture de France. Vor allem aber macht Theodor Dams in der "International Association of Agricultural Economists" (IAAE) eine einzigartige Karriere. Als Nachfolger von Constantin von Dietze wählt ihn zunächst die deutsche Gruppe dieser weltweiten Vereinigung von Agrarwissenschaftlern zu ihrem Vorsitzenden. Wenige Jahre später überträgt ihm der IAAE-Vorstand die wissenschaftliche Vorbereitung der im Jahre 1976 stattfindenden Weltkonferenz in Nairobi (für die er als Generalthema bezeichnenderweise "Decision-making in Agriculture" wählt). In Nairobi wird er dann - nicht nur als erster Deutscher, sondern überhaupt als erstes Mitglied, das nicht aus dem englischen Sprachraum kommt - für die Konferenzperiode 1979 - 82 zum Präsidenten der IAAE gewählt. In dieser Eigenschaft leitet er die Weltkonferenz 1982 in Djakarta. Aufgrund seiner Verdienste um diese angesehene agrarwissenschaftliche Vereinigung wird er schließlich im Jahre 1991 zum Ehrenpräsidenten gewählt. Von den Agrarwissenschaften herkommend hat sich Theodor Dams schon als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie in Bonn (1953 - 1959) mit der Regionaltheorie und -politik befaßt und sie für seine Habilitationsschrift fruchtbar gemacht. In den folgenden sechs Jahren seiner Tätigkeit bei der EG-Kommission (1959 -1965) treten regionalpolitische Fragestellungen sogar noch stärker hervor, auch wenn die Agrarstrukturpolitik dominiert.
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Wie bereits deutlich wurde, interessiert den Regionalwissenschaftler Theodor Dams primär die Thematik der Entwicklung des ländlichen Raumes. Sein Beitrag zur Regionalpolitik ist daher einerseits aus der Erkenntnis geboren, daß Agrarpolitik allein strukturschwache Räume nicht zu sanieren vermag, und er stellt andererseits konsequenterweise darauf ab, den für eine erfolgversprechende Entwicklung ländlicher Räume erforderlichen regionalpolitischen Handlungsbedarf zu thematisieren. Dabei werden Anpassungsprozesse des Agrarsektors und Prozesse regionaler Entwicklung als interdependente Veränderungen begriffen, die zugleich als Fragen einer Theorie der sektoralen wie der regionalen Wirtschaftspolitik betrachtet werden können. Aber nur eine synoptische Perspektive führt nach seiner Auffassung wissenschaftlich und politisch zu tragfähigen Ergebnissen. Schon früh findet der Jubilar auch als Regionalwissenschaftler bemerkenswerte Anerkennung. So wird er bereits im Jahre 1963 als Ordentliches Mitglied in die Akademie für Raumforschung und Landesplanung aufgenommen und ist von 1965 bis 1972 Mitglied des Beirats für Raumordnung des Bundesministeriums des Innern. Die aktive Rolle, die er auch hier - nicht zuletzt in der Landesarbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg - spielt, belegen die Veröffentlichungen der Akademie. Dabei kreisen seine Anliegen um "Räumliche Anpassungsprozesse unter dem Einfluß der europäischen Integration aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland", wie der Titel seines Vortrags als Hauptredner auf der Freiburger Jahrestagung 1982 programmatisch lautet. Selbst der Entwicklungspolitiker Theodor Dams ist stark durch seinen agrarwissenschaftlichen Hintergrund geprägt. Bezeichnenderweise setzt er sich in den 1960er Jahren vor allem mit Fragen der Welternährung, der Nahrungsmittelhilfe (u. a. der EWG) sowie der globalen Entwicklungspolitik auseinander und knüpft damit an frühere Arbeiten agrarökonomischen Inhalts an. Auch in den 70er Jahren widmet er sich zunächst noch dem Agrarsektor in Entwicklungsländern und dem sog. Armutsproblem ("Marginalität"). Später treten Grundsatzfragen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit und der internationalen Wirtschaftsbeziehungen hinzu; die Betrachtungsperspektive ist dabei häufig die von christlichen Hilfswerken als Teil der sog. Nicht-Regierungsorganisationen. Diese Orientierung ist kein Zufall, sie resultiert vielmehr aus seiner Überzeugung, daß es unter den Trägem der Entwicklungspolitik gerade die sog. non-governmental organizations (NGO's) sind, die ihre Zusammenarbeit mit Partnern in Entwicklungsländern besonders effizient gestalten. Damit schlägt er auch die so schwierige Brücke zwischen Entwicklungstheorie und -politik: Mehr als andere fordert er dazu auf, die Entwicklungsländer selbst anzuhören und zu beteiligen. Entwicklungszusammenarbeit wird von ihm m. a. W. vor allem als dauerhafter Dialog aufgefaßt. Der Jubilar bündelt seine An- und Einsichten zur Entwicklungspolitik 1978 in dem Bändchen "Weltwirtschaft im Umbruch". Hier setzt er sich - wie wenige andere - ausführlich und kritisch mit den Vorschlägen zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO) auseinander. Dabei gelingt es ihm, die historische Di-
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mension der ersten UNCTAD-Konferenzen in ihrer ganzen Lebendigkeit einzufangen, ohne die kritische Distanz des wirtschafts wissenschaftlichen Beobachters zu verlieren. Seine Grundüberzeugung zugunsten einer internationalen Sozialen Marktwirtschaft vertritt er in beide Richtungen: Die Entwicklungsländer fordert er auf, sich stärker in die Weltwirtschaft zu integrieren und die westlichen Industrieländer mahnt er zum Abbau ihres Protektionismus, um eine stärkere Beteiligung von Ländern der Dritten Welt am internationalen Handel zu erleichtern. Die 80er Jahre sind für Theodor Dams nicht nur die Dritte Dekade in der Zusammenarbeit zwischen westlichen Industrieländern und der Dritten Welt, er macht sie auch persönlich zu einer intensiven "Schaffensperiode", in der entwicklungspolitische Themen ganz obenan stehen. Drei thematische Schwerpunkte lassen sich ausmachen: ausländische private Direktinvestitionen in Entwicklungsländern, das Konzept der "Integrierten ländlichen Entwicklung", zu dessen stärkerer Konkretisierung und empirischer Überprüfung er ein umfangreiches Forschungsprojekt (zusammen mit H. Kötter, H. de Haen und H.-U. Thimm) durchführt, sowie die durch globale Schocks (steigende Energiepreise, Verfall der Preise anderer Rohstoffe) und sektorale Strukturverzerrungen (Protektionismus) ausgelösten Anpassungsprobleme für die Entwicklungsländer. Auch hier ist sein "Focus" stärker als bei anderen Autoren des Fachs auf die Reaktionsmöglichkeiten der Einzelwirtschaften gerichtet: So interessiert ihn etwa, wie ein "second tier"-Land wie die Philippinen und die dortigen landwirtschaftlichen Erzeuger mit dem Preisverfall ihres eigenen Outputs bei gleichzeitiger Verteuerung wichtiger Inputs fertig werden. Anpassungsprobleme im ländlichen Raum werden gleichzeitig jedoch auch vor dem Hintergrund der gravierenden "Unvollkommenheiten" in Agrarstruktur und -verfassung reflektiert. Auch als entwicklungspolitischer Experte ist Theodor Dams ein vielerorts hochgeschätzter Berater. In Deutschland wirkt er vor allem in verschiedenen Arbeitsgruppen des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminsterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit; dabei war er federführend bei der Behandlung der (z. T. stark kontroversen) Themen "Wirtschaftsordnung und Entwicklungserfolg", "Ausbildungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland in der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern" sowie "Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation der Bundesrepublik Deutschland mit Entwicklungsländern auf dem Gebiet der ländlichen Entwicklung". Gleichzeitig hat er im Auftrag kirchlicher und staatlicher Instanzen kontinuierlich Entwicklungsprogramme und -projekte in Lateinamerika ebenso wie in Asien und Afrika begutachtet und gefördert. Bis heute ist das entwicklungspolitische Engagement von Theodor Dams vor allem durch drei Anliegen gekennzeichnet: den Versuch, "große entwicklungsökonomische Entwürfe" mit den praxisnahen Problemen in Entwicklungsländern zu verknüpfen; die Förderung und Betonung der Privatinitiative in der Entwick-
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lungszusammenarbeit (Stichwort: Nicht-Regierungsorganisationen), sowie eine Betrachtung internationaler und makroökonomischer "Störungen" aus dem Blickwinkel der mikroökonomischen Einheiten. Gerade letzteres kontrastiert mit den überwiegend gesamtwirtschaftlich ausgerichteten Analysen zu den "adjustment problems in LDC's" im Gefolge von Weltbank und Währungsfonds. Chronologisch gesehen ist die Bildungspolitik das jüngste Arbeitsfeld von Theodor Dams. Doch sind es inzwischen immerhin auch 25 Jahre, die er in diesem Politikfeld tätig ist. Sein Engagement ist mehr als anderswo durch die Mitwirkung in drei wichtigen Gremien der Politikberatung geprägt: Von 1965 bis 1975 gehört er der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates an und leitet (bis 1970) deren Unterausschuß "Schule und Arbeitswelt". Die Bildungsratsempfehlung "Zur Verbesserung der Lehrlingsausbildung", die im Jahre der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes (1969) publiziert wurde, trägt in ihrem systematischen Ansatz und in ihrem Insistieren auf der sozialen Verantwortung der Wirtschaft und des Staates gegenüber den Jugendlichen deutlich seine Handschrift. Aber auch an den Diskussionen zum "Strukturplan" des Bildungsrates (1970) hat er sich aktiv beteiligt. Ein zentraler Vorschlag der "Lehrlingsempfehlung" bezieht sich auf eine grundlegende Reform der Finanzierung der beruflichen Erstausbildung durch eine Umlagefinanzierung ("Fonds"). Die ab 1969 amtierende sozialliberale Bundesregierung greift diese Initiative auf und beruft 1971 eine "Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung", der die Professoren Albaeh, Dams, Edding (Vorsitz), Gerfin und Münch angehören. Die Kommission leistet Pilotarbeit im Bereich der Kostenerfassung und der Abwägung zwischen Finanzierungsalternativen. Ihr umfangreicher, argumentativ differenzierter Schlußbericht (1974) findet aber politisch zu wenig Beachtung. "Berufliche Bildung. Reform in der Sackgasse" heißt schon 1973 der wenig verheißungsvolle Titel des Buches, das der Jubilar vorher publizierte. Nicht zuletzt die tiefe Rezession von 1974/75 hat die letzten Reformflügel der Regierung gestutzt. Das 1975 verabschiedete Ausbildungsplatzförderungsgesetz läßt die deutliche Botschaft der Berater nur noch als schwaches Echo erkennen. Mehr politische Resonanz war dem Jubilar im dritten Bereich der bildungspolitisehen Beratung beschieden. Als Vorsitzender des Beirates für Ausbildungsförderung beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft erarbeitet er mit anderen ein Gutachten, das der Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes 1990 die wesentlichen Impulse gibt. So hat er in seiner Rolle als bildungspolitischer Berater beides erlebt, "Erfolg" und "Mißerfolg", und er weiß, daß die Qualität der Beratung nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für deren politische Wirksamkeit ist. Den Rest regiert Fortuna oder heute: die politische Lage.
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Auch bildungspolitische Fragen hat Theodor Dams mit den anderen Hauptthemen seines wissenschaftlichen Interesses zu verknüpfen verstanden. Eine Verbindung zur Agrar- und Regionalpolitik stellt z. B. das umfangreiche Gutachten "Bildungspolitische Ansatzpunkte im Rahmen der Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommens- und Lebensverhältnisse in lämjlichen Räumen" (mit S. Gerbaulet und H. Bauer, 1969) dar. Aber auch sein entwicklungspolitisches Engagement wurde bildungspolitisch bereichert; zu nennen ist hier vor allem die mehrjährige Zusammenarbeit mit dem Institute for Development Education der University of Santo Tomas in Manila, Philippinen (ab 1979), die zu gemeinsamen Seminaren und Publikationen geführt hat. Über Themen vor allem der beruflichen Bildung in Deutschland und in Entwicklungsländern sind auf seine Initiative hin und unter seiner Beratung zahlreiche Dissertationen entstanden. Aus der Fülle seiner internationalen Kontakte verdient an dieser Stelle vor allem auch die nun schon mehr als zehn Jahre dauernde Kooperation zwischen den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten der Universität Freiburg und der Universität Nagoya / Japan Erwähnung, die er zusammen mit Prof. Kunihiro Jojima aufbaute. Die jährlichen Seminare finden abwechselnd in Japan und in Deutschland statt und haben inzwischen zu einer ansehnlichen Reihe von wissenschaftlichen Publikationen geführt. Die behandelte Thematik reicht vom internationalen Handel bis zur Agrar- und Arbeitsmarktpolitik und zielt jeweils auf einen Vergleich von japanischen und deutschen Entwicklungen und Perspektiven ab. Diese Würdigung des Wissenschaftlers Theodor Dams wäre unvollständig, bliebe seine Rolle als akademischer Lehrer außer Betracht. Versucht man sein Selbstverständnis in dieser Funktion nachzuzeichnen, so fallen vor allem drei Beobachtungen ins Gewicht: -
seine theoretische Offenheit: Er bevorzugte stets einen systematischen Vergleich der unterschiedlichen theoretischen Ansätze und ihrer raum-, zeit- und sektorbezogenen Anwendungsbedingungen, statt sich auf eine durchgängig "richtige" Theorie festzulegen.
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seine Betonung der Empirie: Er wurde nicht müde, die Notwendigkeit gründlicher empirischer Analysen zu verdeutlichen, von der Nutzung mikroökonomischer Daten zur Durchleuchtung einzelner Betriebe über Fallstudien zu Sektoren und Regionen bis hin zum systematischen Vergleich ganzer Volkswirtschaften oder politischer Strategien.
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seine normative Klarheit: Er ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß der Wissenschaftler die Möglichkeit, ja - als Berater sogar - die Verpflichtung hat, wirtschaftspolitische Urteile zu fällen, die es freilich deduktiv aus hypothetisch gesetzten oder eigenen Wertvorstellungen ("eigener Standort") unter Nutzung theoriegestützter Hypothesen und empirischer Befunde explizit zu gewinnen und zu begründen gilt.
2 Festgabe Th. Dams
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Dies lernten die Studierenden schon in den Vorlesungen "zwischen den Zeilen", mehr noch in den Seminaren, am besten im anspruchsvollen Doktoranden-Kolloquium, auf dessen gute Vorbereitung durch alle Beteiligten der Jubilar stets großen Wert legte; denn als Wissenschaftler, der selbst eher 80 als 40 Stunden in der Woche arbeitete, schätzte er Zeit hoch ein: sie durfte den übrigen Teilnehmern eines Seminars nicht durch eine unergiebige Debatte über dürftige Papiere gestohlen werden. Er verstand aber beides: Druck zu machen und Zeit zu lassen. Bei dem hohen Stellenwert, den der Jubilar der empirischen Fundierung wissenschaftlicher Analysen beimißt, erforderten die Feldaufenthalte der zahlreichen Doktoranden mit entwicklungspolitischen Themen seine ganze Umsicht zur Aktivierung eines weiten Beziehungsnetzes, viel Aufwand zur Mobilisierung der nötigen Finanzen sowie Koordinationsgeschick, um am zeitlichen Rand von Gutachter- und Konferenzreisen auch "Betreuung vor Ort" leisten zu können: beim ,,Food for Work,,-Projekt in Indien, in der Berufsschule von Ruanda oder beim Genossenschaftstreffen in Ecuador. Für die so Geförderten -'- unter ihnen übrigens überraschend viele Frauen und Ausländer - , wird dieser Doktorvater vielleicht noch mehr in Erinnerung bleiben als der akademische Lehrer aus dem Hörsaal oder der anregende Forscher, dem man in seinen Schriften begegnet. Alle, die zum Gelingen dieses Bandes beigetragen haben, wünschen Theodor Dams noch für viele Jahre gute Gesundheit und ungebrochene Schaffenskraft. Möge es dem Jubilar vergönnt sein, die zahlreichen Pläne und Projekte, die aufgrund eines kontinuierlich ausgebuchten Terminkalenders bisher nicht (ausreichend) zum Zuge kommen konnten, in Zukunft zu realisieren! Werner Zohlnhöjer
Heinrich Mäding
Friedrich L. SeIl
Grundsatzfragen
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Technikfolgenforschung und Technikfolgenbewertung als Aufgaben für eine Deutsche Akademie der Wissenschaften Von Horst Albach A. Widmung Mit Theodor Dams verbinden mich neben gemeinsamen bildungsökonomischen Interessen zwei Erfahrungen: einmal die gemeinsame Arbeit in der "Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der Beruflichen Bildung", die in den Jahren von 1971 bis 1974 die Kosten und Erträge der beruflichen Bildung in Deutschland ermittelte und auf dieser Basis Vorschläge für die Reform der beruflichen Bildung entwickeltet, und die Erfahrung, daß eine Institution, die der Politikberatung diente, geschlossen wird. Theodor Dams gehörte von 1966 bis 1975 dem Deutschen Bildungsrat an, der aus hier nicht zu analysierenden Gründen im Jahre 1975 geschlossen wurde. Ich war von 1987 bis 1990 Präsident der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Sie wurde vom rot-grünen Senat von Berlin geschlossen. Über die Gründe ist viel geredet und geschrieben worden. 2 Hier soll keine analytische Vergangenheitsbewältigung betrieben werden. Auf die Frage, was denn die optimale Verteilung der eigenen Kräfte auf die Verteidigung des Bewährten und den Aufbau des Neuen sei, habe ich ähnlich wie Theodor Dams stets geantwortet: "Soviel Verteidigung wie nötig und soviel Aufbau wie möglich". Der folgende Beitrag beschäftigt sich daher auch mit dem Aufbau von Neuern. B. Problemstellung Jürgen Rüttgers hat die Idee einer "Deutschen Akademie der Wissenschaften" in die Diskussion gebracht. 3 Dieser Vorschlag ist in Verbindung mit der ,,Akadet Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der Beruflichen Bildung: Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung (Abschlußbericht), Bonn und Bielefeld 1974. 2 Vgl. die Dokumentationen in den Jahrbüchern 1988 und 1989 der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Jahrbuch 1988, S. 170; Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Jahrbuch 1989, S. 370. 3 Rüttgers, Jürgen: Für eine Deutsche Akademie der Wissenschaften, Bonn, Wissenschaftspressekonferenz vom 4.7.1989; ders.: Die Zeit für eine Deutsche Akademie der Wissenschaften ist reif, Manuskript, Bonn, o. J. (1991). Dieser Vorschlag ist in Presse,
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Horst Albach
mielösung" zu sehen, die Rüttgers als Vorsitzender der Enquete-Kommission "Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgenabschätzung und -bewertung" für die Aufgabe der Technikfolgenabschätzung befürwortet hat. 4 Seinerzeit wurde diese "Akademielösung" in der öffentlichen Diskussion mit der Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Verbindung gebracht, die sich als eine überregionale Akademie verstand, die im Diskussionsverbund von Technikwissenschaftlern und Gesellschaftswissenschaftlern, von Naturwissenschaftlern und Kulturwissenschaftlern Probleme der Technikfolgenforschung und der Technikfolgenabschätzung untersuchte. Das haben viele, insbesondere natürlich auch die Mitglieder der Berliner Akademie, für richtig und sinnvoll gehalten. Opposition gegen diese Idee kam von den Befürwortern eines von den politischen Parteien dominierten großen bürokratischen Apparates beim Deutschen Bundestag einerseits und von den auf den Kulturföderalismus in Deutschland verweisenden, der Akademietradition verhafteten Wissenschaftskreisen andererseits. Die Diskussion um die Rolle der Akademie der Wissenschaften zu Berlin in diesem Lösungskonzept endete mit dem Ende der Berliner Akademie. Mit Recht wurde aber gleichzeitig die Diskussion um die von Rüttgers von Anfang an favorisierte ,,Nationale Akademielösung" wiederbelebt. Im folgenden werden einige Gedanken zu der Frage vorgetragen, ob eine "Deutsche Akademie der Wissenschaften" als eine wissenschaftlich unabhängige, also wissenschaftlich und eben nicht parteipolitisch legitimierte Institution, die Aufgabe übernehmen sollte, die gesetzgebenden Körperschaften in der Beurteilung von Technikfolgen zu beraten. Die zweite Frage, ob eine "Deutsche Akademie" mit dem Grundsatz des Kulturföderalismus vereinbar ist, wird hier nicht behandelt. Sie erscheint mir nicht wirklich strittig. Wenn die Politiker ungestraft Akademien schließen können, dann können sie sie auch gründen, und allemal können sie Projekte einer privatrechtlich organisierten "Deutschen Akademie" finanzieren. Wissenschaftliche Kleinstaaterei ist, das zeigt die Entwicklung in den Naturwissenschaften nicht anders als interdisziplinäre Arbeit, nicht die allen Aufgaben, die Leibniz einer Akademie der Wissenschaften stellte, adäquate Organisationsform. Wenn der Kulturföderalismus in Deutschland die Gründung einer "Deutschen Akademie" wirklich verhindern könnte, dann sollte man gleich problemadäquat europäisch denken: einer ,,Europäischen Akademie der Wissenschaften" ist mit den Instrumenten des deutschen Verfassungsrechts schwerlich beizukommen. Wissenschaft und Politik zwar prompt aber nicht ungeteilt positiv aufgenommen worden. Ohne Autor: Brauchen wir eine Deutsche Akademie der Wissenschaft? WWP 28 /1989, S. 6; Leserbrief Dietrich Barsch: Akademie tut not, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.8.1989. 4 Deutscher Bundestag: Berichte und Empfehlungen der Enquete-Kommission "Gestaltung der Technischen Entwicklung; Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 5. November 1987 - Drucksachen 11 /220, 11 /311, 11 /403, 11 /979 - zur Notwendigkeit und Ausgestaltung einer ständigen Beratungskapazität für Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim Deutschen Bundestag, Drucksache 11 /4606 vom 30.5.1989.
Technikfolgenforschung und Technikfolgenbewertung
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c. Technikfolgenforschung I. Technikfolgenforschung als nationale und internationale Aufgabe
Als McGeorge Bundy in der Mitte der 60er Jahre die Ideen fonnulierte, die zur Gründung des IIASA (International Institute for Applied Systems Analysis) in Laxenburg führten, da war es vor allem die Überzeugung, daß die Welt vor globalen Problemen stehe, die in einem supranationalen "Think-Tank", unter Beteiligung der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion als die für die Entwicklungen der Welt verantwortlichen Mächte, untersucht werden müßten. Es ist bezeichnend, daß das Energieprojekt von Häfele am IIASA die größte Bedeutung und die stärkste internationale Beachtung gehabt hat. Die Idee eines "Think-Tank" zur Lösung globaler Aufgaben der Technikfolgenforschung hat aber auch Grenzen. Sie liegen darin, daß es schwer ist, alle national verfügbaren Ressourcen für die Technikfolgenforschung zu mobilisieren. Das ist einer Deutschen Akademie der Wissenschaften dagegen möglich. Eine Deutsche Akademie der Wissenschaften ist auch die geeignete Institution, in einem internationalen Forschungsverbund, in einem Netzwerk anderer nationaler Akademien der Wissenschaften, an der Lösung globaler Probleme der Technikentwicklung mitzuwirken und das ganze Gewicht der nationalen Kompetenz, aber auch der nationalen Interessen, in internationalen Netzwerken auf disziplinärer Ebene einzubringen. 11. Technikfolgenforschung als Aufgabe einer Deutschen Akademie der Wissenschaften
1. Technikfolgenjorschung Die Notwendigkeit, in Deutschland verstärkt Technikfolgenforschung zu betreiben, hat die Expertengruppe beim Bundesministerium für Forschung und Technologie unterstrichen. Die Erfahrungen in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin zeigen, daß die disziplinären Grundlagen der Technikfolgenforschung in Deutschland hochentwickelt sind. Wir haben an vielen Forschungsstätten in Deutschland internationales Niveau und setzen an manchen die internationalen Standards. Die Erfahrungen haben aber auch gezeigt, daß es Forschungsdefizite in einzelnen Bereichen gibt. Vor allem aber fehlt es an einer sinnvollen Integration dieser Forschungen. Wie notwendig dies ist, hat der Zwischenbericht der Expertengruppe im Bundeswirtschaftsministerium zum Ziel der Bundesregierung, die Kohlendioxyd-Emissionen um 25% zu verringern, gezeigt. Ohne eine vertiefte wissenschaftliche
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Analyse der Klimamodelle, auf denen die Voraussagen über die Erwärmung der Erde beruhen, sind die Formulierungen von Maßnahmen zur Durchsetzung eines solchen Ziels, angesichts der weitreichenden Folgen für Wirtschafts struktur, Beschäftigung und Qualität des Lebens der Menschen, nach Ansicht der Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Berlin wissenschaftlich nicht vertretbar. Auch auf vielen anderen Gebieten wird eine Erforschung der wissenschaftlichen Grundlagen von Technikfolgen immer zwingender. Technikfolgenforschung an der Deutschen Akademie der Wissenschaften sollte folgenden Prinzipien genügen: 1. Arbeitsteilung
2. Interdisziplinarität 3. Internationalität
4. Flexibilität 5. Wettbewerb Das Prinzip der Arbeitsteilung soll sicherstellen, daß die jeweils besten Spezialisten an einer Problemstellung der Technikfolgenforschung mitarbeiten und ihre Ressourcen einbringen können. Das Prinzip der Interdisziplinarität gewährleistet, daß die Ergebnisse der jeweils an dem Forschungsprojekt beteiligten Fachdisziplinen aufeinander abgestimmt werden. Es stellt sicher, daß die Wirkungsanalyse alle technischen, naturwissenschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirkungen angemessen berücksichtigt und konsistent darstellt. Das Prinzip der Internationalität fordert die Einbeziehung von Forschungsergebnissen, die in anderen Ländern erzielt wurden. Das geschieht entweder durch Integration ausländischer Experten in die Arbeit der Akademie oder durch Koordination mit anderen nationalen Akademien. Das Prinzip der Flexibilität bedeutet, daß die Arbeit ausschließlich problemorientiert und ohne jede Rücksicht auf institutionelle Gegebenheiten und Eigeninteressen durchgeführt werden kann. Es schließt die Rivalität von Institutionen um Forschungsmittel als Motiv für Forschung weitgehend aus. Das Prinzip des Wettbewerbs ist etwas anderes als die soeben angesprochene Rivalität. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften sollte und wird, wenn sie gut beraten ist, nicht den Anspruch stellen, Technikfolgenforschung in Monopolstellung zu betreiben. Sie ist in den internationalen Wettbewerb der Technikfolgenforschung eingebunden. Sie sollte sich aber auch dem Wettbewerb um Forschungsprojekte innerhalb der Bundesrepublik Deutschland stellen, etwa dem Wettbewerb mit Großforschungseinrichtungen.
Technikfolgenforschung und Technikfolgenbewertung
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2. Technikfolgenbewertung Eine gute Technikfolgenforschung ist Voraussetzung für eine gute Technikfolgenbewertung. Sie ist aber nicht mit ihr zu verwechseln. Technikfolgenbewertung ist eine politische Beratungsaufgabe. Sie soll den Entscheidungsprozeß im Unternehmen und in den parlamentarischen Gremien erleichtern. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften kann Technikfolgenbewertung in den unternehmerisch und politisch legitimierten Institutionen nicht ersetzen. Die Diskussion um die demokratische Legitimität des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sollte hier eine Lehre sein. Die Diskussion um die Unabhängigkeit der europäischen Zentralbank ist ein nicht minder bedeutsamer Beitrag zum Verhältnis von wissenschaftlicher Unabhängigkeit unter Berücksichtigung demokratisch legitimierter politischer Interessen. Ich vermag daher auch den Gedanken eines Technologiesachverständigenrates keine positive Seite abzugewinnen. Ein Gesetz zur Schaffung des Technologiesachverständigenrates dürfte nach aller Erfahrung nicht ausreichen, die Debatte um die Legitimität eines solchen Rates in einem politischen Streit über die Ergebnisse eines Gutachtens dieses Rates zum Schweigen zu bringen. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften soll Technikfolgenbewertung in wissenschaftlicher Unabhängigkeit betreiben. Dafür ist Voraussetzung, daß es eine politisch legitimierte Instanz beim Bundestag gibt, die die Technikfolgenbewertung für das Parlament betreibt. Erfüllt die Deutsche Akademie der Wissenschaften die in sie gesetzten Erwartungen bei der Technikfolgenbewertung, dann wird sie zu einem vom Parlament gesuchten Gesprächspartner und Berater werden. Dies dürfte es dem Bundestag auch erleichtern, auf den Aufbau einer großen Bürokratie, eines großen ,,Amtes für Technikfolgenabschätzung" beim Bundestag zu verzichten. III. Organisation von Technikfolgenforschung und Technikfolgenbewertung in der Deutschen Akademie der Wissenschaften
Die Arbeitsform der interdisziplinären Arbeitsgruppe hat sich für die Aufgabe der Technikfolgenforschung und der Technikfolgenbewertung in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin bewährt. Der Abschlußbericht der Arbeitsgruppe "Umweltstandards" ist ein bemerkenswertes Dokument intensiver interdisziplinärer Arbeit. Die Arbeitsgruppe "Wasser-Boden-Luft" hat gezeigt, wie effizient in einer solchen Arbeitsgruppe der gesamte in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Thema vorhandene Sachverstand mobilisiert und in einem Netzwerk integriert werden kann. Die Arbeitsform der interdisziplinären Arbeitsgruppe sollte daher auch in der Deutschen Akademie der Wissenschaften tragendes Arbeitsprinzip sein.
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Die Einsetzung von Arbeitsgruppen sollte für die Technikfolgenforschung in die Kompetenz der Mitgliederversammlung oder derjenigen Mitglieder gelegt werden, die Arbeitsgruppen angehören. Dagegen muß die Einsetzung von Arbeitsgruppen für die Technikfolgenbewertung beim Vorstand der Deutschen Akademie der Wissenschaften liegen. Der Vorstand der Deutschen Akademie sollte auch die internationale Vernetzung der Arbeitsgruppen zur Technikfolgenforschung gewährleisten und internationale Konferenzen mit dem Ziel des Erfahrungsaustausches der Arbeitsgruppen zur Technikfolgenbewertung durchführen.
IV. Technikfolgenforschung und Forschungsfolgenforschung
Technik entsteht in der modemen Wirtschaft nicht (mehr) im wissenschaftsfreien Raum. Zwar haben die "Tüftler" unter den Erfindern und Patentanmeidern immer noch eine zahlenmäßig große Bedeutung, aber Technikfolgenforschung bezieht sich nicht auf derartige Technikfortschritte. Sie bezieht sich auf technische Entwicklungen, die das Ergebnis von Forschung und von Innovationstätigkeit sind. Insofern gehören Forschungsfolgenforschung und Innovationsforschung unmittelbar zur Technikfolgenforschung. Es gibt freilich auch eine breitere und auf geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Forschung bezogene Forschungsfolgenforschung und eine auf gesellschaftliche und organisatorische Innovation gerichtete Innovationsforschung. Es könnte durchaus sinnvoll sein, die Arbeit der Deutschen Akademie sich auf dieses breitere Gebiet erstrecken zu lassen. Dem modemen Wissenschaftsverständnis einer Wiederherstellung der Einheit von Natur- und Kulturwissenschaften und der Herstellung eines intensiven Dialogs zwischen Technikwissenschaftlern und Gesellschaftswissenschaftlern entspräche das durchaus.
D. Organisatorische Grundfragen einer Deutschen Akademie der Wissenschaften Die vorstehenden Überlegungen sind nicht unabhängig von der Organisationsstruktur der Deutschen Akademie der Wissenschaften insgesamt. Eine privatrechtliche Akademie mit öffentlicher Projektfinanzierung hat erhebliche organisatorische und haushaltsrechtliche Vorteile. Die National Academy of Science und die National Academy ofEngineering in den Vereinigten Staaten werden in privatrechtlicher Form geführt. Finanziell sind sie allerdings vollständig von Zuwendungen des Kongresses und der Administration abhängig.
Technikfolgenforschung und Technikfolgenbewertung
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Man darf daher nicht leichtfertig die privatrechtlichen Organisationsformen der amerikanischen National Academies auf die Deutsche Akademie der Wissenschaften übertragen. Die Schwierigkeiten, die institutionelle Grundfinanzierung zu sichern, dürfen nicht übersehen werden. Ein entsprechend dotiertes Stiftungskapital würde die notwendige finanzielle Grundausstattung ermöglichen. Es ist bemerkenswert, daß der Vorschlag eines "Kollegiums" einer Universität in der Universität, der dem Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen gemacht worden ist, auch den Stiftungsgedanken aufgreift. Ob etwa der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft bewogen werden könnte, zehn Millionen DM jährlich für eine private Deutsche Akademie der Wissenschaften bereitzustellen, wage ich nicht zu beurteilen. Das wäre aber meiner Ansicht nach eine Alternative zur Stiftungsidee. Eine zweite wichtige Frage ist, ob die Deutsche Akademie die Funktion des "Vereins der Akademien der Wissenschaften e. V." übernehmen soll. Nach meinen Erfahrungen wird es schwer sein, eine "Deutsche Akademie der Wissenschaften" in Verbindung mit den alten und neuen landesrechtlieh organisierten Akademien der Wissenschaften zu begründen, so sehr dieses Ziel auch von einigen wenigen Präsidenten der Akademien für richtig gehalten und verfolgt wird. Interessant wäre es zu prüfen, ob die Deutsche Akademie der Wissenschaften nicht auch ausländische Gründungsmitglieder haben könnte. Das würde die Einbindung in den internationalen Forschungsverbund schon im Gründungsakt zum Ausdruck bringen und den Netzwerkgedanken unterstreichen. Nach meiner Erfahrung wird die Deutsche Akademie der Wissenschaften im Kreise der Akademien der Wissenschaften national und international nur anerkannt, wenn zwei Prinzipien in den Statuten fest verankert sind: 1. die wissenschaftliche Unabhängigkeit und
2. das Kooptationsprinzip. Das Prinzip der wissenschaftlichen Unabhängigkeit schließt ein Kuratorium aus, nicht notwendigerweise einen Beirat aus Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit beratender Funktion. Das Prinzip der Kooptation schließt die Beteiligung von Institutionen außerhalb der Deutschen Akademie der Wissenschaften an der Auswahl der Mitglieder aus. Im allgemeinen gehört ein drittes Prinzip zu den konstituierenden Elementen einer Akademie der Wissenschaften: die Berufung auf Lebenszeit. Ob die Deutsche Akademie der Wissenschaften auch dieses Prinzip übernehmen müßte, bleibe dahingestellt. Für die Verwirklichung des Arbeitsgruppenprinzips ist es nicht zwingend, allerdings auch nicht hinderlich, solange die Arbeitsgruppenmitglieder und nicht die Mitgliederversammlung über die Einrichtung neuer Arbeitsgruppen entscheiden.
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E. Schluß Daß die Frage nach der Berufung auf Lebenszeit überhaupt gestellt wird, ist Indiz für eine bemerkenswerte Diskussion über die Rolle der Akademien in unserer Gesellschaft: für den Versuch politischer Kreise nämlich, unliebsame Wissenschaftler schon vor ihrem Tode mundtot zu machen. Die Korrektur falscher Personalauswahl in Fragen der politischen Macht durch Wahlen ist ein bewährtes Prinzip demokratischer Gesellschaften. Die Korrektur falscher Personalauswahl in Fragen der wissenschaftlichen Macht durch Pensionierung vornehmen zu wollen, wird nur von denjenigen ernsthaft für sinnvoll gehalten, die vom Prozeß wissenschaftlicher Legitimation nichts verstehen. Wissenschaftler werden schlimmstenfalls totgeschwiegen, aber nicht mundtot gemacht. Für Theodor Dams gilt, daß er auch nach seiner Pensionierung weder mundtot gemacht worden ist, noch totgeschwiegen wird. Seine Stimme hat Gewicht sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik. Sie wird meist gern und immer mit Aufmerksamkeit gehört. Möge es Theodor Dams vergönnt sein zu erleben, daß dies noch viele Jahre so bleibt.
Anforderungen an eine wissenschaftliche Politik beratung bei einem Radikalen Konstruktivismus als erkenntnistheoretischem Ansatz in der Ökonomie Von Siegfried Hauser
A. Das Spannungsfeld der Politikberatung Die Ausdifferenzierung der sich überlagernden gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Wertvorstellungen I haben zu einem modemen Staat mit einer pluralistischen Gesellschaft geführt. Der modeme Staat mit seiner Vielfalt von Sozial-, Gesundheits-, Erziehungs-, Wissenschafts-, Forschungs-, Regulierungs- und Genehmigungsbürokratien kann wegen der Größe des Staatsanteils am Bruttosozialprodukt und wegen der intensiven und extensiven Verflechtungen und Wechselbeziehungen von Wirtschaft und Gesellschaft weder als Nachtwächterstaat noch als abgehobene Herrschaftseinrichtung funktionieren. Hinzu kommt der Einfluß der Parteien und der zum Teil sehr mächtigen Interessenverbände auf die Staatsorgane. Dieser Einfluß läßt die Unterstellung eines selbstlosen, nur an der wirtschaftlichen und sozialen Wohlfahrt der Bürger orientierten Handeins der politischen Institutionen, einigermaßen zur Fiktion werden. Legt man die gesamte wissenschaftliche Disziplin der Wirtschaftspolitik nicht umfassend als Ratschlagserteilung "für die wirtschaftliche Führung ihres Staatswesens" aus 2 , ergibt sich spezieller Beratungsbedarf. So verstand schon um die Jahrhundertwende Gustav von Schmoller unter Wirtschaftspolitik generell die Einflußnahme auf eine dem gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Interesse dienliche Entwicklung. 3 Zur Reflexion über den Inhalt der Bürokratien und deren Ablauf, sowie zur Fundierung von politischen Entscheidungsprozessen als auch zur Erstellung von alternativen Entscheidungsvorlagen durch die Bürokratien und zur "objektiveren oder auch nur objektivierteren" Argumentation gegenüber den Interessen der Verbände bedarf es der Politikberatung. Ferner I Schmoller, G.: Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Bd. I, Leipzig 1900, S. 64. 2 Dams, Th.: Zur Diskussion um eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin "Theorie der Wirtschaftspolitik", in: Dams, Th. (Hrsg.): Beiträge zur Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. Grundlagen - Empirie - Umsetzung, Berlin 1990, S. 80. 3 Dirninger, Ch.: Schmoller's Theory of Commercial Policy, in: Symposium "Gustav v. Schmoller and the Problems of Today", Heilbronn 1988, S. 410-427.
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ergibt sich durch unabhängige (wirtschafts-)politische Beratergremien "die Möglichkeit, auch über den nächsten Wahltermin hinausgehende mittelfristige Aspekte und momentan politisch nicht durchsetzbare Konzepte in die Überlegungen miteinzubeziehen" . 4 Nach Habermas 5 lassen sich drei idealtypische Modelle wissenschaftlicher Politikberatung herausbilden: -
Das technokratische Modell einer total verwissenschaftlichten Politik, das mit Hilfe wissenschaftlicher Analysen eindeutige Lösungen anstrebt.
-
Das dezisionistische Modell einer Trennung von Beratung und Entscheidung, das die notwendigen Informationen für möglichst optimale Entscheidungen liefert.
-
Das pragmatische Modell eines Wechselverhältnisses zwischen Politik- und Beratungsgremien mit gegenseitiger Beobachtung und Einflußnahme.
Diese Modelle werden in der Praxis nicht in reiner Form auftreten. Sie sind abhängig von der Thematik sowie der Art des Entscheidungsprozesses und der institutionellen Ebene. Die Anwendung dieser Modelle setzt für die Politikberatung hinsichtlich ökonomischer Fragestellungen eine Theorie der Wirtschaftspolitik voraus, die versucht, "realitätsbezogene und praktikable Lösungsalternativen für Probleme der praktischen Wirtschaftspolitik zu entwickeln".6 Dabei ergibt sich immer wieder das Problem "auf welche Theorien soll sie zurückgreifen, um die Anforderungen der Realitätsbezogenheit und Praktikabilität zu erfüllen?"7 Wichtigste Voraussetzung bisheriger Ansätze einer Politikberatung ist eine irgendwie (von irgendwem) gegebene Realität.
B. Theorien und Lebenswirklichkeit "Was wir von der Wirklichkeit aussagen, das hängt also von der Perspektive ab, in die wir sie hineinstellen. Die Existenz der Wirklichkeit gehört ihr, aber ihr Inhalt hängt von der Auswahl, und die Auswahl hängt von uns ab. Die Wirklichkeit ist stumm und zwar sowohl in dem Teil, der aus Wahrnehmungen, als auch in dem, der aus Beziehungen besteht; sie sagt durchaus nichts über sich selbst. Wir sind es, die für sie sprechen müssen". 8 Um aber für sie sprechen zu können, brauchen wir ein Instrument, eine Erkenntnismethode, die uns zu Theo4 Schneider, Thomas: Die wirtschaftspolitische Beratung im Vergleich Frankreich und Bundesrepublik Deutschland, Pfaffenweiler 1989, S. 13. 5 Habermas, J.: Verwissenschaftlichte Politik und öffentliche Meinung, in: Technik und Wissenschaft als "Ideologie", Frankfurt 1968. 6 Dams, S. 77. 7 Ebenda, S. 78. 8 James, W.: Der Pragmatismus, Hamburg 1977, S. 156.
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rien führt. Seit Kant 9 benützen wir sowohl empirische als auch rationalistische Ansätze: "Also ist der Verstand kein Vermögen der Anschauung. Es gibt aber, außer der Anschauung, keine andere Art, zu erkennen, als durch Begriffe. Also ist die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen Verstandes, eine Erkenntnis durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern diskursiv. Alle Anschauungen, als sinnlich, beruhen auf Affektationen, die Begriffe also auf Funktionen". Theorien im konventionellen Sinn sind Konstrukte zur Erklärung der Wirklichkeit. Ihre wesentlichste Eigenschaft ist, daß sie falsch sein können. Erheben die Theorien den Anspruch auf absolute Wahrheit, handelt es sich nicht mehr um Theorien. Nun haben Theorien auch die Eigenschaft, Realität bzw. Realitäten zu erzeugen. Dadurch entstehen "Wahrheitsaspekte" oder "Quasi-Wahrheiten", die für die praktische Lebensbewältigung eine wesentliche Rolle spielen: So z. B. hat die Theorie, daß die "Persönlichkeit" - wie im Abendland und nicht das "Leben" - wie in Ostasien - den Menschen bestimmt, zu unterschiedlichen Rechts- und Ausbildungssystemen geführt. In der Ökonomie z. B. hat die Theorie des freien Marktes von Adam Smith als Gegensatz zum Merkantilismus neue Unternehmungsformen und neue wirtschaftliche Entwicklungen eingeleitet. Ähnliches gilt für den Außenhandel durch die Theorie der komparativen Kostenvorteile von Ricardo. Bei Tarifverhandlungen wird meist die Keynes'sche Theorie als Grundlage für die Realität genommen, wohingegen bei Unternehmens steuern die Angebotstheorie als ,,Abbildung der Realität" genommen wird. Eine "Gefahr" für die wissenschaftliche Politikberatung tritt immer dann auf, wenn diese so "theoretisch" geschaffenen Realitäten für Wahrheit gehalten oder als einzige Grundlage für Handlungsentscheidungen genommen werden; das heißt, wenn nicht davon ausgegangen wird, daß es sich hier "nur" um VeriFikationen, also um relativ-rationale Wahrheiten für bestimmte Systeme und bestimmte Perioden mit ihren jeweiligen Rationalitäten und Denkweisen handelt. Derartig "falsche" Realitäten können dann zu "Katastrophen" führen, wie z. B. die Gründung der EFTA als "Gegenrealität" zur EG, oder wie die Entwicklung im Ostblock jüngst gezeigt hat. Um dieser Gefahr begegnen zu können, müssen die Ausgangslagen, die Bausteine, die Verknüpfungen und die Tragfähigkeit der Theorien überprüft werden. Theorien beziehen sich immer auf die Realität. Was Realität ist, oder welche Realität gelten soll, auf deren Grundlage die Theorie aufbaut, bleibt weitestgehend ungeklärt. Insofern gilt uneingeschränkt für die praxisorientierte Politikberatung, daß "der erfolgreiche Kurs der Theorie der Wirtschaftspolitik durch die Klippen noch nicht gefunden ist". 10
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Kant, 1.: Kritik der reinen Vernunft, S. 108. Dams, S. 91.
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c. Erkenntnistheoretische Ausgangslage in der Ökonomie Die überwiegend anzutreffenden Denkvorstellungen in der Ökonomie gehen von einer gegebenen Realität aus, die es abbildhaft zu erkennen gilt. Dabei stellen sie sich einen atomistischen Aufbau der Welt (Individuen, Haushalt, Betrieb) 11 vor, benützen deterministische Kausalitätsvorstellungen, obwohl diese höchstens statistisch und häufig nur interventionistische Denkkategorien sind, und sie beschäftigen sich eher mit Strukturen (z. B. Institutionen) als mit Funktionen. Diese Denkvorstellungen werden nun mit bestimmten "Rationalitäten" umgesetzt. Unter Rationalitäten sollen die benutzten Denkarten (Mentalitäten) verstanden werden. So benützt ein Psychologe andere Rationalitäten als ein Ingenieur, dieser wieder andere als ein Politiker; ein Unternehmer benützt andere als ein Wirtschaftswissenschaftler, und letztere unterscheiden wieder zwischen mikro- und makroökonomischen Rationalitäten. Diese Rationalitäten entstehen aus den unterschiedlichen Begriffs- und Ordnungskategorien der verschiedenen Systeme wie dem psychologischen System, dem technologischen System, dem politischen System oder dem ökonomischen System. Da die Systeme sich gegenseitig beobachten und in Wechselbeziehung zueinander stehen, wird eine Übernahme derartiger Kategorien aus anderen Systemen laufend auftreten. Das Problem entsteht dann, wenn derartig übernommene Begriffe, Denkarten, Ordnungskategorien, Wertvorstellungen als Handlungsanweisungen, faktoriell, eingesetzt werden, wie dies notwendigerweise bei der wissenschaftlichen Politikberatung geschieht. Beginnen wir mit den Annahmen über die Eigenschaften des Menschen in der Ökonomie. Hier spielt die Annahme der Eitelkeit, des Egoismus sowie der unendlichen Bedürfnis-Haftigkeit die wichtigste Rolle. Zunächst handelt es sich um pauschale Behauptungen, die noch aus vordemokratischer, wahrscheinlich aus feudalistischer Zeit stammen. In ihrer Aussage für Handlungszusammenhänge werden sie widersprüchlich interpretiert. Während Egoismus und Eitelkeit eher den Oberschichten zugeordnet werden und hier goutiert und als Antriebsmotivationen gesehen werden, sind Verantwortungsscheu und Faulheit Attribute der Unterschicht und der nicht ins (Konkurrenz-)System passenden Beamtenschaft. Die Rationalität der Wettbewerbstheoretiker geht davon aus, daß das Konkurrenzsystem sowohl die negativen Auswüchse von Egoismus und Eitelkeit, indem sie deren Spielraum begrenzt, als auch sich ausbreitende Verantwortungsscheu und Faulheit unterbindet. Gleichzeitig sind Egoismus, Eitelkeit, Eigenliebe und Eigennutz die wesentlichen Antriebskräfte des Wirtschaftssystems. Eigenschaften wie Kreativität, aktiv sein wollen, Zuverlässigkeit usw. spielen keine oder eine nachgeordnete Rolle. 11 Vgl. z. B. Frey, Bruno S.: Theorie demokratischer Wirtschaftspolitik, München 1981, S. 385 oder Schneider, Hans K.: Aufgaben der Wirtschaftspolitik in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, in: Die Zukunft gestalten, Veröffentl. der Walter-RaymondStiftung, Band 27, Köln 1988, S. 137 - 155.
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Bei den Annahmen über die Wirtschaft spielt das Knappheitsproblem die entscheidende Rolle. Die vorherrschende Rationalität ist die, daß die Ökonomie die Lösung des Knappheitsproblems ist, indem ökonomische Regeln eingehalten werden (und die Ökonomie ist, wie Luhmann sagt, eine Lösung "ohne Gewalt" und eine ,,Entlastung der Politik" 12). Das bedeutet aber auch die Neigung des Systems "Wirtschaft", Knappheit zu suchen bzw. zu erzeugen, weil die Wirtschaft sich nur auf solchen Feldern als System etablieren und rechtfertigen kann. Wenn die Wirtschaft institutionell nur als Wirtschaftsunternehmen gesehen wird, ergeben sich ideologische Kämpfe darüber, wer am besten das jeweilige Knappheitsproblem lösen kann, Staat oder "Privat", Gastronomie oder Vereine, Individualverkehr oder Öffentlicher Verkehr, Staatstheater oder Alternativkultur usw. Damit ist die Fragwürdigkeit der Preise hinsichtlich der ,,richtigen" Kostenerfassung berührt. Da die Rationalität der Preistheoretiker aber darauf ausgerichtet ist, daß die Marktpreise die Kosten richtig erfassen und, daß die Preis-Absatz-Struktur die Bedürfnis- bzw. Nutzenstruktur einer Bevölkerung abbildet, ist die Annahme der automatischen Übereinstimmung der Güter- und Bedürfnisstruktur durch die "unsichtbare Hand" eine sehr gewagte Annahme. Damit bleibt die "ökonomische" Lösung des Knappheitsproblems ein Circulus vitiosus. Ein fundamentales Theorem in der Denkweise der herkömmlichen Wirtschaftstheorie ist die Annahme abnehmender Grenzerträge: je mehr von einem Gut erzeugt wird, um so aufwendiger wird die Produktion. Das Handeln der Wirtschaftssubjekte erzeugt somit negative Rückkopplungseffekte (decreasing returns to scale). Auf diese Weise entsteht im Idealfall ein Gleichgewichtszustand von Preisen und Marktanteilen, bzw. eine Tendenz zu diesem Gleichgewichtszustand hin, der dann auch prognostizierbar ist. Ein Abgehen von dieser Annahme würde einen großen Teil der wirtschaftstheoretischen Aussagen wertlos machen, wie der englische Nationalökonom und Nobelpreisträger John R. Hicks vermutete. 13 Es kann gezeigt werden, wie erst bei positiven Rückkopplungseffekten (increasing returns to scale) der ökonomische Wettbewerb "takes on an evolutionary character, with a ,founder effect' mechanism akin to that in genetics".14 Was die Rationalitäten beim Verhältnis Mensch-Wirtschaft betrifft, sei noch einmal auf die Asymmetrie hingewiesen, daß bei Führungseliten ,,nur" der Egoismus bzw. die Eitelkeit (durch überdimensional hohe Jahreseinkommen) begrenzt werden muß, während die nachgeordneten Gruppen Leistungsanreize (Akkordlöhne ) benötigen. In der angesprochenen Rationalität liegt also ein bestimmtes soziales Schichtmodell, eine (vielleicht auch wünschenswerte) Sozialstruktur der Realität zugrunde. Die Vorstellung der Unfähigkeit des Menschen, Gesamtvor12 Luhmann, Niklas: Die Wirtschaft als Gesellschaft, Frankfurt 1988, S. 253. 13 Arthur, Brian W.: Positive Rückkopplung in der Wirtschaft, in: Spektrum der Wissenschaft, April 1990, S. 122-129. 14 Arthur, Brian W.: Competing Technologies, Increasing Returns and Lock-In by Historical Events, in: The Economic Journal, VoI. 99, (March 1989), S. 128. 3· Festgabe Tb. Dams
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stellungen zu entwickeln, ist in der zugrundeliegenden Rationalität nicht durchgängig: großen Wirtschaftsführern wird diese Fähigkeit zugestanden. Hauptproblem bei der Rationalitätsuntersuchung ist das Beziehungsgeflecht der Bedürfnisse. In welche Beziehungen sollen sie eingeordnet werden? Bedürfnisse haben unter anderem medizinische (Nahrungsaufnahme), psychologische (Lust), sozialpsychologische (Prestige), soziale (Gesellschaft), kulturelle Aspekte. Sie werden in der Ökonomie üblicherweise als gegeben vorausgesetzt. Es wird davon ausgegangen, daß die Wirtschaft eine "ökonomische" Bedürfnisbefriedigung schafft, wie beim Knappheitsproblem oben ausgeführt wurde. Gleichzeitig wird der Wirtschaft vorgeworfen, sie erzeuge (unnötige) Bedürfnisse, bzw. sie befriedige die Bedürfnisse in der falschen Art und Weise. Geht man - wie bisher üblich - ontologisch und kausal vor, sind einmal die Konsumenten und beim andern die Industrie für die Umweltproblematik "ursächlich" verantwortlich, und es entsteht ein nicht zu lösender Konflikt mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. Der bisher geringe Ausbau von Systemvorstel~ungen mit der Ausrichtung auf evolvierende Systeme in den Wirtschaftswissenschaften liegt unter anderem an der Ursache / Wirkungs-Beziehung, der Kausalitätsvorstellung. Die konventionellen Kausalitätsvorstellungen erlauben Analysen mit einfachen Wechselwirkungen und liefern schnelle konkrete Ergebnisse. Obwohl der Problemzusammenhang unklar und komplex ist, werden über einfache Kausalitätsbeziehungen exakte Lösungswege angegeben. Unabhängig davon, ob man dann differenziert zwischen schwacher bzw. stringenter Kausalität (gleiche Ursache erzeugt gleiche Wirkung) oder starker bzw. analoger Kausalität (ähnliche Ursachen erzeugen ähnliche Wirkungen; Ursachenkomplex erzeugt Wirkungskomplex) 15, muß der Kausalitätsbegriff weiter differenziert werden: -
Sind "Ursachen" und "Wirkungen" jeweils als kontinuierlich anzusehen, kann mit Differentialgleichungssystemen wie in der mathematischen Ökonomie oder Ökonometrie gearbeitet und es können Computersimulationen bei komplexen Rückkopplungssystemen angewandt werden.
-
Sind die "Ursachen" kontinuierlich, die "Wirkungen" jedoch diskontinuierlich, benötigt man katastrophentheoretische Ansätze, die das "Umkippen" von Strukturen anzeigen, da Ultrastabilität vorliegt.
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Sind die "Ursachen" diskontinuierlich, und sind die "Wirkungen" kontinuierlich oder ebenfalls diskontinuierlich, so erhält man evolvierende, autopoietisch strukturierte dissipative Systeme, die metastabil oder von fluktuierender Ordnung sind. Dieser Fall ist in Systemen wie dem Ökonomischen System der Nonnalfall.
15 An sich könnten die Begriffe "schwache" und "starke" Kausalität auch umgekehrt zugeordnet werden; es drängt sich der Verdacht auf, daß mit dieser Differenzierung eine Zuordnung der Kausalitätsbegriffe in der Wissenschaft gerettet werden soll.
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Die Diskussion um die Kausalitätsproblematik und somit Vorhersagefähigkeit, die ja wichtig ist für konkrete Aussagen im Rahmen einer wissenschaftlichen Beratung der Politik, wird verschärft durch die Einführung chaotischer Denkansätze in die Ökonomie. "Richard Day, ein Professor der Wirtschaftswissenschaften an der University of Southern California, hat gezeigt, daß viele der in der Volkswirtschaft wichtigen Gleichungen jener Art von Iteration unterliegen, die ins Chaos führen und die Vorhersagbarkeit unterminieren. Day bemerkt, daß Wirtschaftswissenschaftler normalerweise annehmen, Wirtschaftszyklen würden durch Anstöße von außen und durch unerwartete Ereignisse durcheinandergebracht. Er fand aber, daß diese Zyklen aus ihrer inneren Natur heraus chaotisch sind. »Perioden erratischer Schwankungen können sich mit Perioden mehr oder weniger stabilen Wachstums abwechseln. Offensichtlich läßt sich das >zukünftige< Verhalten einer Modellösung nicht aus ihrem Verhalten in der >Vergangenheit< ableiten.« Und was hier Modellen zustößt, ist genau das, was in der Realität geschieht: Regelmäßige Ordnung wird durch Einsprengsel chaotischer Ordnung unterbrochen." 16 Die bisherige Denkweise ist weniger eine funktionelle als vielmehr eine strukturelle. Meistens wird darüber gestritt~n, ob bei Fehlentwicklungen ein "Marktversagen" oder ein "Staatsversagen" vorgelegen habe. Es erfolgen Schuldzuweisungen an Institutionen. Bei Marktversagen, z. B. Umweltproblemen, Sozialproblemen, regionalen und sektoralen Strukturproblemen, Entwicklungsproblemen, werden dann staatliche Eingriffe gefordert, bei Staatsversagen wird dem Staat die wirtschaftliche Fehlentwicklung durch seine Eingriffe angelastet. Das Spannungsfeld kann am besten durch den Patentschutz aufgezeigt werden. Der Patentschutz soll den Erfinder vor Imitation schützen und ihn nicht um die Früchte seiner Arbeit bringen. Dies bedeutet aber, daß eine Marktzugangsbeschränkung durch Rechtsetzung (Staat) erleichtert wird. Wird die patentgeschützte Erfindung nicht innovativ eingesetzt, kann es passieren, daß ganze Entwicklungslinien nicht eintreten, bzw. andere Entwicklungsrichtungen entstehen; dazu kommt, daß eine ganze Reihe von Entwicklungen "um das Patent herum" ausbleiben. Bisher werden somit nicht systemische oder ökonomisch-funktionelle Überlegungen bei Patenten, sondern nur das Rechtsinstitut des Patentschutzes angewandt. Wenden dann andere Nationen, wie z. B. die Japaner, andere Überlegungen bei der Verwendung von Erfindungen an, werden sie "moralisch" abqualifiziert (Nachahmer!)
D. Konstruktivistische Überlegungen Der Konstruktivismus geht nicht von einer vorgegebenen Realität aus, die es abbildhaft, mehr oder weniger genau zu erkennen gilt. Die beiden Grundmetaphern sind: die Hand und das Zeichen (Sprache), die etwas bewirken. Es wird 16
Briggs, John/Peat, David F.: Die Entdeckung des Chaos, München/Wien 1990,
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ein Subjekt vorausgesetzt, das konstruiert, und ein Gegenstand (Lebens weltliches Apriori), der zur Konstruktion herausfordert. Damit schafft sich der "bewußte" Mensch Realität. Insofern ist auch F. A. von Hayek ein Konstruktivist, wenn er sagt, daß das Privateigentum ein Aberglaube (symbolische Wahrheit) sei, aber dessen Erfindung (Konstruktion) die "positiven" Möglichkeiten der heutigen ökonomischen Entwicklung gezeitigt hätte. Auf diese Weise schafft sich der Mensch neben den Realitäten auch "Kausalitäten ", er hat sie selbst konstruiert. 17 Der Radikale Konstruktivismus geht nicht von einer gegebenen Realität aus, sondern von einer durch den Menschen und für den Menschen konstruierten Realität (aus welchem ,,konstruierten" Interesse auch immer heraus). Die Betrachtungsweise dabei ist nicht ontologisch (vom "Wesen" der Dinge ausgehend) und benötigt keine unteilbaren Elemente, auf die dann Theorien aufgebaut werden. Im Gegensatz zum Ontologismus geht es dem Konstruktivismus nicht um das Sein, sondern um den Menschen. 18 Somit ist die Vorgehensweise beim Aufbau von Theoriekonstruktionen nicht ontogenetisch, sondern epigenetisch emergent. Das Augenmerk liegt auf Entwicklungsgesetzen, Bewegungsgesetzen, Zusammenhängen, Rahmenbedingungen für Fließgleichgewichte, Bifurkationen, Katastrophen usw. Es wird nicht gefragt, "was ist das", sondern "was bedeutet das" für den Handlungszusammenhang, für die menschliche Entwicklung. Zum Beispiel wird nicht gefragt, was ist Arbeitslosigkeit, wo rührt sie her (natürlich wird das nicht ausgeschlossen, so zu fragen, aber dabei bleibt dann meist die Erkenntnis stehen), sondern was bedeutet sie für Jugendliche, für ältere Menschen, für Frauen, für Gastarbeiter, und wollen wir diese Wirkungen und Folgen uns leisten. Das heißt, im Sinne des Radikalen Konstruktivismus können Theorien nicht mehr für eine sogenannte "objektive" Zementierung von interessegeleiteten "Gegebenheiten" ohne weiteres herangezogen werden, da die Wirkungen und Folgen Teil der Theoriekonstruktionen sind, wobei sehr wohl Risiken eingegangen werden können, indem bestimmte Folgen riskiert werden, aber man diese nicht unter den Tisch fallen läßt oder sie einfach wegdiskutiert. Bei diesem Konzept handelt es sich nicht um eine Handlungsanweisung, sondern um eine analytische Ordnungskategorie bzw. Verknüpfung analytischer Begriffe, also um eine besondere Art des Denkens. Der Radikale Konstruktivismus kann als eine Art "aktive Erkenntnistheorie" angesehen werden, in dem die Realisation von Erkenntnissen Realität schafft, im Gegensatz zu ontologischen Erkenntnistheorien, die Realität "passiv abbilden". Als seine Leistung ist eine Steigerung des Erkennens von Possibilitäten und somit auch von Potentialitäten für die Lebensbewältigung zu erwarten. 19 Segal, Lynn: Das 18. Kamel oder die Welt als Erfindung, München/Zürich 1988. Marten, Rainer: Denkkunst - Kritik der Ontologie, Paderbom / München 1989, S.63. 19 Siehe als Überblicksliteratur Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt 1987. 17 18
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E. Der Sinn eines konstruktivistischen Ökonomieansatzes Während ,,kapitalistische" Wirtschaftssysteme das Produktionsproblem hinsichtlich des Umfangs der Güterproduktion als auch hinsichtlich der Effizienz des Produktionsprozesses gelöst haben, bedarf es noch einer Reihe von Problemlösungen: (l) innerhalb eines Wirtschaftssystems -
Verteilung der Güter heute (Soziale Gerechtigkeit) Güterversorgung späterer Generationen (Ressourcenverbrauch) Umweltbelastung (ökologische Produktion) Monopolisierung der Wirtschaft (Machtmißbrauch)
(2) zwischen Wirtschaftssystemen -
Nord-Süd-Gefälle weltweite Ressourcenprobleme weltweite Umweltprobleme Rüstung als Entzug von Produktionsfaktoren und Ressourcen für die menschliche Bedarfsdeckung
Hier wird nicht nur spezielle sondern globale und langfristige Politikberatung benötigt. Die nach dem Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" gepriesene Effektivität des kapitalistischen Systems hat schon Karl Marx gesehen, wenn er im Kommunistischen Manifest schreibt: "Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen" und an anderer Stelle: "Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die babarischsten Nationen, in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigen Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d. h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde". Dieser 1848 gemachten Aussage ist heute nichts hinzuzufügen. Allerdings glaubte Marx durch Änderung der Eigentumsverhältnisse, diese Effektivität für den sozialen Ausgleich nutzen zu können. Im Prinzip nutzt auch die "Soziale Marktwirtschaft" in der Bundesrepublik diese Effizienz, aber nicht im Sinne einer Systemtheorie, sondern als Reparatur von "unvermeidlichen" sozialen Folgen eines Systems. Dasselbe gilt für die ökologischen Probleme und für die Entwicklungshilfe. An diesem Systemansatz hat sich bis heute wenig geändert. Ein konstruktivistischer Ansatz in der Politikberatung hingegen geht nicht davon aus, was richtig oder falsch ist, sondern welche Maßnahmen die Possibilitä-
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ten für effizientes Wirtschaften erhöhen im Sinne einer verbesserten Lebensqualität für die Menschen. Bei Maßnahmevorschlägen wird nicht so sehr die institutionelle Ausgestaltung im Auge behalten als vielmehr deren Folgen, Wirkungen, Verwerfungspotentiale, Wechselbeziehungen usw. So wäre es bei der Vereinigung der west- und ostdeutschen Wirtschaft nützlich gewesen zu diskutieren, daß bei einer Änderung der Rahmenbedingungen in der ehemaligen DDR a) durch die Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 b) durch die dadurch erfolgte praktische Aufwertung der Währung in diesem Gebiet eine ökonomische Katastrophe wahrscheinlicher ist als der "offiziell propagierte" hyperzyklische Prozeß im Sinne eines sich selbst einstellenden kräftigen Aufschwungs nach einer kurzen (ein halbes Jahr!) Talsohle. Der Glaube, daß durch Überstülpen des westlichen ökonomischen Sytems als institutionelle Ausgestaltung und kleinen Hilfsrnaßnahmen, die Wirtschaft in der ehemaligen DDR von alleine läuft, hat sich als irrig herausgestellt. Ein konstruktivistischer Ansatz läßt das Argument von "unvermeidlichen" Folgen nicht gelten, er sucht Problemlösungen durch intelligente Vernetzung von Systemelementen und Handlungen. Im Vorfeld und im Verlauf der Vereinigung Deutschlands hat es an derartigen Überlegungen größtenteils gefehlt, die meisten Überlegungen betrafen die Schaffung oder die Übernahme von Institutionen. Daß diese Institutionen im westlichen Teil Deutschlands in 40 Jahren gewachsen sind - gleic~zeitig mit den Beziehungen der Menschen zu diesen Institutionen und dem Umgang mit ihnen - , wird zumeist vergessen. In der alten Bundesrepublik wurde eine andere Realität geschaffen als in der ehemaligen DDR, was sich nicht einfach durch die Übernahme einiger Institutionen beseitigen läßt.
F. Die Tragfähigkeit des Konzepts einer radikal-konstruktivistischen Ökonomie für die wissenschaftliche Politikberatung Gleichgültig wie die Institutionen und die Anreize 20 für eine wissenschaftliche Beratertätigkeit aussehen, ist eine Konsequenz aus dem vorgetragenen Konzept die, daß damit die Verantwortung des Menschen für sich selbst als Gattung und im Zusammenspiel mit seiner Umwelt steigt. Er kann sich nicht mehr auf Autoritäten herausreden, seien sie wissenschaftlicher oder göttlicher Art. Der Komplexitätsgrad hinsichtlich des Problems Mensch-Welt ist größer, und die Entscheidungslage ist unsicherer geworden. Da die Welt durch die vom Menschen geschaffenen "Tatsachen" oder "Realitäten" wie Sozialproblematik, Nord-Süd-Konflikt, Rüstung, Kerntechnologie, Gentechnologie, Ozonloch, usw. risikoreicher geworden ist, stellt sich die Frage, ob man nicht auch eine risikoreichere Weltanschauung zur Lösung der Probleme zugrundelegen soll. Der radikale Konstruktivismus ist eine risikoreichere Weltanschauung, da die ontologischen "Haken" wie "Tota20
Frey, Bruno S., S. 368 ff.
Anforderungen an eine wissenschaftliche Politikberatung
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lität", "Vollkommenheit", "Identität" und "Gleichgewicht" fehlen. 21 Aber es können dann auch nicht mehr mit Hilfe von "Sachzwängen", "Tatsachen", "Realitäten" usw. Lösungen verhindert werden, denn die Theorie ist - wie wir in Kapitel C gesehen haben - auf sachliche Verständigung aufgebaut. Beim Konzept des Radikalen Konstruktivismus gilt dann: 22 1. Wissenschaft dient der Sicherung der Autopoiese, der Optimierung der Lebensbedingungen und der langfristigen Sicherung des Überlebens der Art. Dafür bedarf es der Sensibilisierung von Entwicklungslinien und der Anwendung neuer und flexibler Orientierungssysteme, so wie der Demokratiegedanke und der Gleichheitsgedanke im Rechtssystem oder auch die Idee der freien Marktwirtschaft einmal neue Orientierungssysteme waren, die gegen viele Widerstände durchgesetzt werden mußten. Hierbei handelt es sich um den rationalen Teil im Konzept. 2. Mit diesem Konzept wird die Ausrichtung des wissenschaftlichen Denkens umorientiert von ontologischen zu operationalen Fragestellungen hin. Ontologische (Seins-) Vorstellungen erhalten instrumentellen Charakter und Orientierungscharakter im Erwerb empirischen Wissens. Dabei handelt es sich um den empirischen Teil im Konzept. 3. Wenn" Wahrheit" und "Realität" an sich als absolute und letztverbindliche Berufungsinstanzen ausscheiden, und somit die Kontingenz und Flexibilität des Systems erhöht wird, muß der Mensch die Verantwortung selbst übernehmen. Weil die "Machbarkeit" sich erhöht hat, kann diese nicht Selbstzweck sein, sondern muß vor den Mitmenschen vertreten und durch diese legitimiert werden. Damit sind wir beim Verantwortungsteil im Konzept. Der Radikale Konstruktivismus schließt an Heraklits Satz "Alles fließt" an und sieht nur mehr die Bewegung, den "Prozeß des Entstehens und Vergehens, des Werdens und Nichtens, der aber kein Prozeß von etwas ist; nicht etwas entsteht oder vergeht - vielmehr ist das Entstehen und Vergehen nur das Spiel der Wellen auf der Oberfläche des Nichts. Aber erst diese Wellen, die fluktuationen lassen das Nichts Ereignis werden, machen es sozusagen sichtbar von Augenblick zu Augenblick und verbergen es zugleich". 23 Diese Entstehens- und Vergehensprozesse müssen verstärkt in die Betrachtung der Theorie der Wirtschaftspolitik einbezogen werden. Sie wird dann "in steigendem Maße ihre Bedeutung für die praktische Wirtschaftspolitik" 24 gewinnen. Dabei können sehr wohl Anlei21 Marten, Rainer: Denkkunst Kritik der Ontologie, Paderbom / München 1989, S.I77ff. 22 Schmidt, Siegfried J.: Der Radikale Konstruktivismus. Ein neues Paradigma im interdisziplinären Diskurs, in: Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt 1987, S. 38. 23 Eisenhardt, P. / Kurth, D. / Stiehl, H.: Du steigst nicht zweimal in denselben Fluß. Die Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis, Hamburg 1988, S. 16. 24 Dams, S. 94.
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hen bei anderen Wissenschaften gemacht werden. Es muß nur geklärt werden, ob es sich um eine proportionale oder metaphorische Analogie handelt. Eine derartige metaphorische Übertragung aus der Medizin auf die Sozialwissenschaften kann eine andere Betrachtung der Krankheit "Krebs" sein. Krebs ist der Einfallstriumph einer Zelle, wobei der unkontrollierte Vermehrungserfolg der Zelle der Triumph des Teils und die Vernichtung des Ganzen bedeutet. Diese Analogie im Hinterkopf zu haben, ist bei einer wissenschaftlichen Politikberatung sicher hilfreich, um bei Gruppengegensätzen einen Rat im Sinne des Gemeinwohls zu erteilen.
Sozialwissenschaften und Politik Alte Fragen und neue Perspektiven Von Herbert Kötter
A. Zur Frage der Definitionen Paradoxerweise wächst in einer immer komplizierter werdenden Welt die Unbekümmertheit, mit der manche Termini in der wissenschaftlichen und vor allem der politischen Diskussion verwendet aber auch mißbraucht werden. Es scheint daher angebracht, den folgenden Ausführungen einige definitorische Bemerkungen vorauszuschicken. Unter Sozialwissenschaften sollen hier alle die wissenschaftlichen Disziplinen verstanden werden, die sich mit dem Zusammenleben von Menschen in Kollektiven auf den verschiedensten Stufen befassen, d. h. mit Struktur und Funktion sozialer Systeme, ihren Wertvorstellungen, Zielsetzungen, institutionellen Regelungen und ihren Organisationsformen und Technologien der Daseinsbewältigung. Genannt seien insbesondere Soziologie, Ökonomie, Politologie und Sozialethik. Eine Kernfrage stellt für die hier zu diskutierende Problematik das Verhältnis dieser sogenannten Humanwissenschaften zu den Natur- bzw. Ingenieurwissenschaften dar. Wenn auch die Sozialethik angesprochen wird, dann steht dahinter die Überzeugung, daß die Wissenschaften die Sinnfrage bei ihren Bemühungen nicht ausklammern dürfen und daß diese Sinnfrage im Hinblick auf eine soziale Rationalität, eine "Gesamtvernunft einer Kultur" 1 durchaus wissenschaftlicher Behandlung zugänglich ist. Es ist eine Grundthese der folgenden Abhandlung, daß in einer Welt, in der Spezialdisziplinen immer detailliertere Kenntnisse über ihren jeweiligen Gegenstand produzieren, diese gleichzeitig Gefahr laufen, in "Fachblindheit" zu verfallen. Die Wissenschaft als wesentlicher Beweger unserer Zivilisation kann aber ihre Funktion als Beraterin für eine Politik der sinnvollen und ethisch vertretbaren Gestaltung menschlichen Daseins nur erfüllen, wenn die Disziplinen besser miteinander ins Gespräch kommen und sozialethische Überlegungen in die Argumentationsketten einfließen lassen. Damit ist nicht gemeint, daß etwa die Sozialwissenschaften zu alleinigen "Sinndeutern oder gar Sinnproduzenten" werden sollten. 1 Auer, Alfons: Wirtschaft und Ethik, Progelomena zu einem schwierigen Dialog, in: Moral als Kapital. Perspektiven des Dialogs zwischen Wirtschaft und Ethik. Akademie der Diözese Rottenburg, Stuttgart 1990, S. 47 ff.
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Herbert Kötter
Eine solche "Priesterherrschaft der Intellektuellen" würde den Grundsätzen einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft strikt zuwiderlaufen, wie Helmut Schelsky eindringlich betont hat. 2 Es kann nicht darum gehen, ethische Forderungen aus der Sicht der Wissenschaft als "moralische" Ansprüche zu formulieren, ohne sich um ökonomische, technologische, sozio-strukturelle Bedingungen zu scheren. Die Berechtigung einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit sozialethischen Fragen ergibt sich aus dem aus der Erfahrung evidenten Grundsatz, daß wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung "zum Funktionieren eine Minimalmoral, einen ethischen Grundkonsens" benötigen. 3 Wie dieser Konsens jeweils auszusehen hat, wäre im jeweiligen sozialen System aus der Konstellation von Wert- und Zielvorstellungen, wissenschaftlicher Erkenntnis, Technologien und Formen der sozialen Organisation mindestens annäherungs weise abzuleiten. Der Begriff der Politik wird nachfolgend in zwei unterschiedlichen, jedoch interdependenten Figurationen verwendet. Zum einen geht es natürlich um die Beziehungen von Wissenschaft und politischen Entscheidungsträgern, womit im Grunde das uralte Menschheitsproblem des Verhältnisses von Wissen und Macht angesprochen wird. Jedoch gewinnt diese Problematik in unserer "Bildungs- und Mediengesellschaft" mit einem hohen Kommunikationsgrad eine neuartige Dimension. Konnten die "Herrschenden" Wissen in hierarchischen Gesellschaften häufig monopolisieren, unterdrücken oder im eigenen Machtinteresse geheimhalten, so kann die Wissenschaft in einer Demokratie, deren Funktionieren den "mündigen Bürger" voraussetzt, über die Beratung der "Regierenden" hinaus, direkt zur Bewußtseinsbildung und Aufklärung einer breiten Öffentlichkeit beitragen und interessenbedingte Verschleierungen unbequemer Wahrheiten mindestens erschweren. Es liegt auf der Hand, daß dieser Prozeß, der der Intention nach auf eine Schärfung der Rationalität des eigentlichen "Souveräns" der Demokratie, der öffentlichen Meinung, gerichtet ist, enorm schwierig für Wissenschaft1er und Adressaten ist. Das liegt an der exponentiellen Zunahme wissenschaftlicher Erkenntnisse und der eher noch fortschreitenden Aufsplitterung in Spezialdisziplinen, die im Interesse einer Vertiefung von Einzelerkenntnissen wohl unumgehbar ist, andererseits aber eine Vermittlung des Einzelwissens mit der "Vernunft des Ganzen" immer schwieriger macht. 4 Weitaus problematischer erscheinen aber die möglichen Mißverständnisse und Mißbrauchsmöglichkeiten. Zum einen besteht immer die Gefahr, daß die Vorläufigkeit gewisser Theorien nicht genügend herausgearbeitet wird. Gerade in der politischen "Verwertung" wissenschaftlicher Erkenntnisse wird dem Popper'schen Prinzip der Falsifikation 2 Schelsky, Helmut: Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, 2. Aufl., Opladen 1975, passim. 3 Lachmann, Wemer: Bedarf die Wirtschaftswissenschaft des Ethischen Dialogs?, in: Moral als Kapital, a. a. 0., S. 67. 4 Auer, S. 48.
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zu wenig Rechnung getragen. S Das wird insbesondere an manchen "Expertenrunden" und "talk-shows" in den Massenmedien evident, wenn sich die "Hohenpriester" verschiedener Schulen vor einem Publikum, das kaum reagieren kann, wenn man nicht ad-hoc-Anrufe und sogenannte Leserbriefe als Reaktion bezeichnen will, ihre "ewigen Wahrheiten" um Ohren, Mund und Manuskript schlagen. Wenn man von der Politikberatungsfunktion der Wissenschaften sprechen will, kommt man nicht umhin, auch auf die direkt oder indirekt politisch wirksame Dimension der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Denkschulen und der verschiedenen Richtungen innerhalb derselben Fachdisziplin einzugehen. Die Auseinandersetzung soziologischer Fraktionen, wie sie im Positivismusstreit sichtbar geworden ist, oder die zwischen .den beiden Polen einer deterministisch ausgerichteten "Gesellschaftstheorie" und einer einseitig auf Quantifizierung setzenden Empirie, sind illustrative Beispiele für ein - wie Tenbruck es nennt reduziertes Weltbild der Sozial wissenschaften, welches bereits" weitgehend unser Daseinsverständnis forme und zu öffentlichen und privaten Mißweisungen" führe. 6 Sicher dürfte sein, daß ein fortwährendes "Priestergezänk" in den Medien, das nicht genügend klarstellt, daß auch die Wissenschaft mit ihren Methoden jeweils nur einen beschränkten Teil der Wirklichkeit darstellen kann, mit dazu beiträgt, daß gerade die Sozialwissenschaften sich schwer tun, aus dem Ghetto der sozialen Wirkungs- und Konsequenzlosigkeit herauszukommen.
B. Zur Rolle der Wissenschaft in der postindustriellen Gesellschaft Der Terminus "postindustrielle Gesellschaft" wird hier in dem Bewußtsein eingeführt, daß damit nur unzureichend und vage Phänomene eines nur in Umrissen sichtbar werdenden aber wohl auch nicht mehr umkehrbaren qualitativen Umbruches beschrieben werden, das man mit Arnold Gehlen als eines jener in der Geschichte der Menschheit stufenartigen Großereignisse ansehen kann, "die sich zwar erst in langer Zeit durchsetzen und ausformulieren, dann aber die gesamte Menschheit in ein neues Welt- und Daseinsverhältnis hineinziehen, wobei die Umstellung bis in die Kerne der Moral und bis in die Strukturen geradezu bis in die Ablaufgesetze des Bewußtseins durchgreift". 7 Für die Funktion der Sozialwissenschaften als Politikberater dürften folgende Phänomene der Übergangsphase besondere Bedeutung haben:
S Popper, Karl Raimund: Die Logik der Sozialwissenschaften, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jahrg. 14, 1962, passim. 6 Tenbruck, Friedrich H.: Die unbewältigten Sozialwissenschaften oder die Abschaffung des Menschen, Graz 1984. 7 Gehlen, Arnold: Anthropologische Forschung, Reinbek 1961, S. 129.
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Herbert Kötter Wenn wir am Postulat der menschlichen Freiheit festhalten, dann kann es keine "in verbindlicher Objektivität formulierbare universalhistorische Vernunft- oder Sinnlinie" der gesellschaftlichen Entwicklung geben. Mit anderen Worten, die Menschheit kann unter verschiedenen Zukünften wählen. 8 Diese grundsätzliche Wahlfreiheit impliziert natürlich auch, daß die Menschheit sich selbst auslöschen kann. Es ist unschwer zu erkennen, welche Veränderungen die Rolle der Wissenschaft zu durchlaufen hat. Der Formulierung von Habermas, die Wissenschaft sei zur "ersten Produktivkraft" unserer Gesellschaft geworden, löst gleichzeitig ein gewisses Unbehagen aus, solange man die Frage, warum, was und wieviel eigentlich produziert werden soll, nicht einigermaßen eindeutig beantworten kann. 9 Die Gegenwart zeigt, daß mangels eines Konsenses über die "Vernunft des Ganzen" auf wissenschaftlicher Forschung basierende technologische Teilrationalitäten zu einer das Gesamtsystem gefährdenden Irrationalität gerinnen. Das gilt nicht nur für partielle Rationalitäten der Ingenieurwissenschaften, sondern auch für partielle "Sozialtechnologien", wobei exemplarisch auf die Problematik der Werbung verwiesen werden kann. Es geht hier nicht darum, in das Klagelied eines grundsätzlichen Wissenschafts- und Technikpessimismus einzustimmen. Es kann nicht bezweifelt werden, daß aus anthropologischer Sicht Wissenschaft und Technik essentiell für die menschliche Existenz waren, sind und bleiben werden. Eine Reduzierung der Forschung auf ihre "gesellschaftliche Relevanz" würde ihre totale ideologische Vereinnahmung bedeuten, wie sich etwa an Flügelkärnpfen der Wissenschaftstheorie im Marxismus nachweisen läßt, die zur Verformung auch der sogen. exakten Wissenschaften geführt haben, wie sie etwa im "Lyssenkoismus" evident geworden sind. 10
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Die durch die "unkritische Verwertung der Wissenschaft" sichtbar werdende Irrationalität - im Hinblick auf die Wohlfahrt der Menschheit - erweist sich als das Phänomen der "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" . Der technisch-ökonomische "Fortschritt" hat offenbar in neuerer Zeit einen Stand erreicht, dem die "Gesamtvernunft der Kultur" nicht hat folgen können. Das von Ogburn als "socio-culturallag" bezeichnete Phänomen meint im Grunde, daß notwendige Veränderungen von Wertvorstellungen und Zielsetzungen, die paradoxerweise aus zwei entgegengesetzten Wurzeln stammen, mit der technologischen Entwicklung nicht haben Schritt halten können. 1I War in
8 Klages, H.: Soziologie zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, Köln-Opladen 1968, S.33. 9 Habennas, J.: Verwissenschaftlichte Politik in demokratischer Gesellschaft, in: H. Krunch u. a., Forschungsplanung, München 1966, S. 13. 10 Buchholz, A.: Die Rolle der wissenschaftlich-technischen Revolution (WIR) im Marxismus-Leninismus, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 18, Opladen 1975, S. 460 f.
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der traditionalen Mangelgesellschaft Produktion oberstes Gebot, wobei die Selbstregulierungskräfte der Bevölkerungsentwicklung lange Zeit eine übermäßige Beanspruchung der natürlichen Ressourcen inhibierten, so hat das Heraufkommen einer scheinbaren Überflußgesellschaft des Spätindustrialismus ein überzogenes Anspruchsdenken gezüchtet, verbunden mit einem Glauben an die Unerschöpflichkeit der Ressourcen und die universelle "Machbarkeit" der Zukunft, was gleichermaßen in der "Bevölkerungsexplosion" in der Dritten Welt und dem verschwenderischen Umgang mit Ressourcen im Spätindustrialismus ad absurdum geführt worden ist. -
Ohne eine Änderung der Wertsysteme ist die Gefahr einer Apokalypse der menschlichen Gesellschaft nicht von der Hand zu weisen. Aber es kann sich dabei nicht um die schlichte Rückkehr zum "einfachen Leben" handeln. Die Probleme, in die uns Wissenschaft und Technologie - nicht unbedingt immer aus bösem Willen - im Sinne der oft bemühten "Dämonie der Technik" hineinmanövriert haben, erfordern im Gegenteil die konsequente Entwicklung von zieladäquaten Produktions- und Sozialtechnologien.
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Was zieladäquat ist, entzieht sich allerdings einer ein für allemal gültigen konkreten Definition. Die Aussage, Innovationen müßten das "Menschengerechte" , das "Lebensdienliche" im Auge haben, bleibt aus verschiedenen Gründen zu allgemein, um daraus Anweisungen für die Forschung und die Umsetzung in Technologien abzuleiten, zumal wir auch bei weltweiter Kommunikationsverdichtung mit Unterschieden der Wertvorstellungen weiterhin werden rechnen müssen. 12 Der Ansatz der Politikberatung durch die Wissenschaft ist eher e contrario zu sehen. Wenn auch die Wissenschaft nicht als "Sinnproduzent" geeignet ist, so kann sie aber bereits heute mit hinreichender Bestimmtheit sagen, was passiert, wenn die Menschheit bestimmte Technologien in Produktion und zwischenmenschlichem Verhalten einsetzt oder nicht einsetzt. Die Wissenschaft muß das "Prinzip der Verantwortung" in ihre Überlegungen einbeziehen, nicht in der Art einer moralischen Bevormundung der "Laien", sondern durch logisch-rationale, auch einem breiteren Publikum verständliche Darstellung, dessen, was vermutlich geschieht, wenn sich bestimmte, im weitesten Sinne ethische Verhaltensweisen nicht als Spielregeln in der Gesellschaft durchsetzen, d. h. institutionalisiert werden.
110gbum, W. F.: Social Change, New York 1922. 12 Walther, Ch.: Innovationsabschätzung als Katalysator der Vennittlung von Wirtschaft und Ethik, in: Moral als Kapital, S. 287 f.
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c. Spezielle Probleme der Sozialwissenschaften in der Politik beratung
Wenn die Sozialwissenschaften im Bereich der Politikberatung eine größere Rolle spielen wollen, dann bedarf es nach Klages "einer klaren Vorstellung der herzustellenden Zweck-Mittelkonstellation und ihrer zeitlichen Ordnung". 13 Das sind einigermaßen hochgeschraubte Ansprüche, die dem Prinzip von Popper der Vorläufigkeit wissenschaftlicher Aussagen - nicht genügend Rechnung tragen. Aber das entbindet die Sozialwissenschaften nicht davon, Näherungsszenarien zu entwerfen. Gerade, wenn die Konstellationen nicht voll auszuloten sind, ist das umso mehr Grund dafür, tabula-rasa-Lösungen mit äußerster Skepsis zu betrachten. In bezug auf ihren Forschungsgegenstand befinden sich die Sozialwissenschaften in einer schwierigeren Situation als die Naturwissenschaften, was die Wirkung oder Wirkungslosigkeit ihrer Forschungserkenntnisse angeht. Ihre Objekte sind handelnde und bewußt oder unbewußt auf die Beobachtung reagierende Wesen. Es ist durchaus zu unterstellen, daß ihr wirkliches Handeln anders abgelaufen wäre, wenn man es nicht erforscht hätte, oder, daß sie anders gehandelt hätten, wenn sie nicht mit Ergebnissen der Forschung konfrontiert worden wären. Diese Interferenz von Beobachtung und Wirklichkeit kennt man auch in den Naturwissenschaften als die Heisenberg'sche Unschärferelation. Im Falle der Sozialwissenschaften hat diese Interferenz sehr viel unmittelbarere gesellschaftliche Konsequenzen und das sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht. Politikberatung zielt ceteris paribus auf die Empfehlung bestimmter Verhaltensweisen oder deren Veränderung ab. Es ist aber so, daß z. B. Prognosen eine vorher schlecht abzuschätzende Eigendynamik entwickeln. "Aussagen, die sich auf die soziale Realität beziehen, können nämlich, wenn sie die Orientierung oder Motivation bestimmter Menschen beeinflussen - etwa, weil sie von ihnen mehr oder weniger geglaubt werden - deren Entscheidungen und Handlungen mitbestimmen und dadurch selbst für das soziale Geschehen kausalrelevant werden". 14 Es geht hier um die Problematik, die unter dem Stichwort "self-fulfilling prophecy" Gegenstand der gesellschaftswissenschaftlichen Diskussion geworden ist. Die Sozialwissenschaften werden, ob sie das wollen oder nicht, selbst zu politischen Akteuren. Es wäre gerade angesichts mancher Ereignisse in letzter Zeit der Mühe wert, systematisch zu untersuchen, in welchem Umfang Gutachten von in unserer nationalen und internationalen politischen Landschaft so zahlreich wirkenden "Sachverständigenbeiräte" "self-fulfilling" aber auch "selfnegating prophecies" ausgelöst haben. Das gilt nicht nur für das Verhältnis von Politik und Sozialwissenschaften. Auch Stellungnahmen der "exakten Wissenschaften" gewinnen eine politische Dimension, und zwar umso gewichtiger, je wissenschaftsgläubiger Klages, 1968. Albert, H.: Theorie und Realität. Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, Band 2, Tübingen 1964. 13
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eine Gesellschaft ist. Doch scheint sich ein gewisser Wandel anzubahnen. Es macht sich die Erkenntnis breit, daß die Wissenschaften mit ihren Methoden nur einen begrenzten Teil der Wirklichkeit darstellen können. Der "homo scientificus" ist genau so eine Kunstfigur wie der so oft strapazierte "homo oeconomicus". Das läßt die Werturteilsdebatte in den Sozialwissenschaften in einem neuen Licht erscheinen. Das Bild des Wissenschaftlers, frei von jedem "erkenntnisleitenden Interesse", ist eine Utopie, und zwar eine zutiefst inhumane Utopie, wenn man davon ausgeht, daß auch die Wissenschaft dem "Prinzip Verantwortung" unterworfen sein sollte. Intellektuelle Redlichkeit verlangt, daß man sich ständig seine eigenen Wertprämissen bewußt und diese auch publik macht, damit sich nicht als Sachaussagen getarnte Werturteile in die Analyse einschleichen. In diesem Zusammenhang ist noch auf einen anderen Aspekt der Grenzen und Möglichkeiten der Politikberatung hinzuweisen. Bei seinen Analysen sieht sich der Forscher auch bei Teilproblemen immer einer hohen Komplexität gegenüber, deren "wirkliche" Struktur und Funktion nur annäherungsweise nach der "trial and error"-Methode zu erfassen ist. Die notwendige Reduktion auf die nach dem jeweiligen Kenntnisstand am wichtigsten erscheinenden Zusammenhänge bedeutet aber selektieren und damit werten. Bei der Hypothesenbildung versucht man, die nach Ansicht des Forschers für die Struktur des Systems wichtigen von den unwichtigen Elementen zu trennen. Ganz im Sinne von Popper müssen aber Hypothesen und Theorien als vorläufig und damit im Prinzip bei fortschreitendem Erkenntnisstand auch falsifizierbar sein. Hier liegt eine grundsätzliche Problematik für die gesellschaftliche Relevanz oder Irrelevanz der Sozialwissenschaften. Als "gesellschaftlich relevant" sollen dabei wissenschaftliche Erkenntnisse bezeichnet werden, denen "die Gesellschaft mit der Bereitschaft zur Aufnahme und des Umsetzens in das gesellschaftliche Handeln begegnet" .15 Diese Umsetzung wird durch mehrere Faktoren erschwert: -
Die prinzipielle Offenheit besonders von Prognosen wird nicht nur häufig mit Standpunktlosigkeit verwechselt. Sie verlangt auch vom "Laien" eine mühselige Auseinandersetzung mit den jeweiligen Aussagen, die nicht mehr als schlichte Anweisung für ein "richtiges Leben" angesehen werden können.
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"Laien" glauben in aller Regel, von der Gesellschaft selbst etwas zu verstehen, sowohl was die Problemauswahl als auch was die Paradigmata der wissenschaftlichen Arbeit betrifft. Lammers spricht in diesem Zusammenhang von "lay images", von dem, was Sozialwissenschaften leisten sollten oder könnten, die wiederum die gesellschaftliche Relevanz beeinträchtigen oder auch verfälschen können. 16
15 Nowotny, Helga: Zur gesellschaftlichen Irrelevanz der Sozialwissenschaften, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 18, Opladen 1975, S.450. 16 Lammers, C. J.: Mono- and Polyparadigmatic Developments in Natural and Social Sciences, in: R. Whitley (ed.), Social Processes of Scientific Development, Boston 1974, S. 123 ff.
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Erkenntnisse der Sozialwissenschaften können Politikern und der Gesellschaft überhaupt recht lästig fallen. Ihre Umsetzung in soziales Handeln erfordert häufig mindestens kurzfristig Opfer und die Revision eingefahrener Verhaltensweisen auch ethischer Maximen. Sind die Ergebnisse damit nicht kompatibel, so werden sie in ihrer Bedeutung politisch heruntergespielt. Eine probate Methode ist, dem Forscher "Interessen1ebundenheit" vorzuwerfen, oder die Verantwortung für notwendige Veränderungen nach dem "St. Florians-Prinzip" der jeweils anderen Gruppe in der Gesellschaft zuzuschieben. Die Umweltdiskussion bietet dafür sehr illustrative Beispiele.
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Aber es gibt auch Gründe für gesellschaftliche Irrelevanz, die in dem internen Zustand der Sozialwissenschaften selbst liegen. Das Bestreben, es den sogenannten exakten Wissenschaften an Präzision gleich zu tun, hat zweifellos zu einer Überschätzung quantitativer Methoden und zur "Modellschreinerei" geführt, die das breite Publikum abschrecken, weil Zusammenhänge, die jeder versteht, so kompliziert dargestellt werden, daß sie hinterher niemand mehr versteht. Diese "bemühte Wissenschaftlichkeit" des Jargons ist problematisch, auch wenn zuzugeben ist, daß in einer "verwissenschaftlichen Zivilisation" sich die Unterschiede von Fach- und Alltagssprache zunehmend verwischen.
Die Bereitschaft der Gesellschaft, wissenschaftliche Erkenntnisse in gesellschaftliches Handeln umzusetzen, hängt natürlich weitgehend vom dominierenden sozio-kulturellen, politischen und ökonomischen System und dessen Einbettung in weltweite Zusammenhänge ab. Die Bedeutung der Wissenschaften hat nicht nur positive Seiten. Mißbrauchsmöglichkeiten liegen auf der Hand. Wem drängt sich bei den Geschehnissen um die kriegerischen Auseinandersetzungen in jüngster Zeit nicht die Frage von Bert Brecht auf: sind die Wissenschaftler nicht ein "Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können"? Auch die Sozialwissenschaften sind ständig in Gefahr, von den herrschenden Interessen mißbraucht zu werden. Die politische Auseinandersetzung entwikkelt sich zu einer Art Informationskrieg, "der mit Daten und Symbolen und oftmals durch die,,Feuerkraft" von Computern und das Forschungsfußvolk, das zu mobilisieren sich jede Gruppe leisten kann, entschieden wird".!7 Evident ist allerdings, daß die Informationslawine die geforderten Entscheidungsträger eher unsicherer macht, und daß das politische Bewußtsein der Wissenschaftler dem allgemeinen Bewußtsein nachhinkt, da manche ihrer Analysen auf überholten Paradigmen der Vergangenheit - sprich der spätindustriellen Gesellschaft - basieren. "Sie haben Aufrüstung und Maximierung des Wachstums als allgemeine Ziele der Gesellschaft akzeptiert solange deren politische Geltung unangefochten war. Nachdem diese fragwürdig geworden sind, sehen sie darin die partikulären Interessen eines militärisch-industriellen Komplexes. 17 Henderson, Hazel: Das Ende der Ökonomie. Die ersten Tage des nachindustriellen Zeitalters, München 1985.
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Ebenso erkennen sie gegenwärtig die Sanierung der Umwelt als allgemeines Ziel an, nachdem es politisch als solches deklariert worden ist" .18 Dieses außerordentlich harsche Urteil von van den Daele und Krohner aus dem Jahre 1973 ist wohl in dieser Form nicht mehr zutreffend. Weltweit beginnt sich die "scientific community" die Frage nach Sinn und Verantwortung zu stellen. Dabei steht nicht unbedingt die "Moral" als solche im Vordergrund. Vielmehr hat man begriffen, daß ohne ein Minimum an Verantwortung auch der Wissenschaft gegenüber dem "Ganzen" der Weg in die Katastrophe vorgezeichnet ist, von der auf Dauer gesehen eben nicht nur die breiten Massen, sondern auch die "Privilegierten" betroffen werden, da es für sie wegen der schon existierenden planetarischen Interdependenzen keine Refugien mehr geben wird. Vielleicht sollte dieser Appell an das "aufgeklärte Selbstinteresse" der Herrschenden in der Politikberatung stärker zum Zuge kommen.
D. Gesamtvernunft von Kultur und Zivilisation und Interdependenz der Rationalitäten Die gesellschaftliche Krise, in der wir uns weltweit befinden, ist charakterisiert durch Armut inmitten von Überfluß, einem Überfluß, der eigentlich keiner ist, und der bereits lebensgefährdende Knappheitsphänomene erzeugt. Es treten zunehmend sogenannte Paradoxa auf, die eigentlich bedeuten, daß die Grenze bestimmter Logiksysteme bzw. partieller Rationalitäten erreicht ist. Solch ein Paradoxon liegt z. B. in den Wirtschaftswissenschaften vor, weil dort immer noch die Produktivitätslogik Vorrang vor der Bedürfnislogik hat. Deutliches Zeichen dafür ist die Methode, nach der das Sozialprodukt gemessen wird, weil dort die sinnlose Maximierung von Subsystemeffizienzen als positiv gewertet wird, auch wenn "dadurch andere Werte oder die Gesellschaft insgesamt bedroht sind". 19 Ein Paradoxon ist auch, daß der medizinische Fortschritt eine der Ursachen für die ökologische Gefährdung durch die Bevölkerungsexplosion ist. Das bedeutet nicht, daß der Transfer medizinischer Technologien, etwa in die Dritte Welt, eingestellt werden sollte. Sinnvoll ist er aber nur, wenn Gesamtsystemveränderungen bewirkt werden können. Man könnte aus anderen Bereichen der Politik, etwa der Agrarpolitik, der Verteidigungspolitik etc., ähnliche Paradoxa anführen, die beweisen, daß die Vernachlässigung der Interdependenz von Teilrationalitäten zu einer bedenklichen Beeinträchtigung der Gesamtwohlfahrt führt. Was nun eigentlich "ganzheitliche Vernünftigkeit" meint, kennzeichnet Auer als die Interdependenz von ökonomischer, ökologischer und sozialer Rationalität. 20 Die Vernunft des Ganzen ist als eine menschliche Grundverbindlichkeit 18 Van den Daele, W. / Krohner, W.: Theorie und Strategie Zur Steuerbarkeit wissenschaftlicher Entwicklung, Starnberg 1973. Zitiert nach Nowotny, 1975. 19 Henderson, H., S. 322. 20 Auer, S. 46 ff.
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aufzuweisen, weil ohne eine praktizierte Verantwortung von Einzelnen und Individuen für das Ganze seine Elemente und das Ganze selbst nicht überleben können. Das anregende Buch von Hazel Anderson, "Das Ende der Ökonomie", könnte durch seinen etwas saloppen Titel zu der Annahme verleiten, daß die ökonomische Rationalität keine konstitutive Bedeutung mehr hat. Nach wie vor gilt aber, daß die Mittel im Vergleich zu den Bedürfnissen knapp sind, auch wenn der Bedürfniskatalog neu formuliert werden muß. Die wirtschaftlichen Zielbestimmungen, wie Deckung der Bedürfnisse, Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität und angemessenes Wachstum behalten nach wie vor ihre Gültigkeit. Das gleiche gilt für die Sachgesetze, Effizienz im Sinne des ökonomischen Prinzips, Äquivalenz und Wettbewerb. Neu ist die Forderung der Rückbindung an die ökologische Rationalität als Fundament jeglichen Wirtschaftens überhaupt und die Verwiesenheit auf die soziale Rationalität, auf das Gemeinwohl im umfassenden Sinne des Wortes, ohne dessen schrittweise Verwirklichung und Modifizierung sich in der postindustriellen Gesellschaft Krise an Krise reihen wird. "Die Trias der Rationalitäten im ökonomischen, im ökologischen und im sozialen Bereich kann nur mit einem hohen Einsatz an Vernunft, Freiheit und Solidarität in eine fruchtbare Spannung gebracht werden. Die sittliche Reflexion muß einen "vernünftigen" Weg zwischen einem ständig überhitzten moralischen Pathos und dem schnodderigen Pragmatismus eines pseudoethischen Wohlstandsdenkens gehen. Dieser Weg führt über die Ethisierung der Interessen. Kooperation zwischen Menschen erfolgt in der Regel zunächst auf der Basis handfester Interessen; dies ist durchaus legitim. Doch können auf die Dauer Interessen nur in dem Maße ohne schwere soziale Schäden durchgesetzt werden, als die Handelnden bereit sind, auch jedem anderen das gleiche Recht auf seine Interessen einzuräumen, das sie selbst für sich in Anspruch nehmen. Auf diesem Weg kann sich allmählich eine Ethisierung der Interessen herausbilden und damit eine Gesellschaft der freien Verpflichtung und Verantwortung entstehen". 21 Sicher hat der Theologe Auer mit der Vermutung recht, daß letztendlich eine transzendente Begründung der Ethik besser den unmittelbaren Zumutungen standhalten kann, die eine Zurücknahme der Eigeninteressen mit sich bringt. Aber es läßt sich logisch beweisen, daß in der Welt höchster Kommunikationsverdichtung, technologischer und "natürlicher" Interdependenzen, die rücksichtslose Verfolgung von Einzelinteressen von Individuen und Gruppen sehr schnell auf diese zurückschlagen kann, wobei angesichts der Intensität der Interdependenzen schon für die jetzt Lebenden die Devise des "apres nous le deluge" nicht mehr gelten kann.
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E. Politik und Wissenschaft zwischen heute und morgen Die Wissenschaft ist gerade wegen ihrer ungeheuren Erfolge unheimlich geworden. Das gilt für Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften gleichermaßen. Aber die Wissenschaft muß stärker der Tatsache Rechnung tragen, daß der Mensch in ein Ökosystem mit ganz massiven Zwängen eingeordnet ist, dessen Grundgesetzlichkeit er jenseits aller ethischen Überlegungen nicht ungestraft verletzen kann. Freiheit, Würde und materielles Überleben der Menschheit erfordert mehr denn je Spielregeln und entsprechende Institutionen. Vielleicht sind die Sozialwissenschaften zu vorsichtig an die Problematik der Institutionen herangegangen. Nicht zuletzt hat man es versäumt, die institutionellen Rahmenbedingungen für Wissenschaft kritisch ausreichend zu hinterfragen und ihre Verantwortung als Movens auch politischer Entwicklung rational zu analysieren. Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik ist dabei, neue Dimensionen anzunehmen. Die Wissenschaft kann nicht kraft wissenschaftlicher Durchdringung in den Besitz der vollkommenen Wahrheit gelangen und daraus Heilslehren ableiten, wie das etwa der "wissenschaftliche Marxismus" postuliert. Die wissenschaftliche Theorie ist nach Popper und Hübner von der historischen Situation mit abhängig. Genau so wenig ist aber der Politiker und der "Mann auf der Straße" mit seinem "gesunden Menschenverstand" im Besitz der vollkommenen Wahrheit. Daraus ist der Schluß zu ziehen, daß sich die jeweils gültige historische Wahrheit als historische Vernunft nur aus dem permanenten Dialog von Wissenschaft und Politik entfalten kann. Unter Politik sind dabei Bewußtseinslagen, Wertvorstellungen und Zielsetzungen aller Mitglieder von strukturell und funktional verschiedenen sozialen Systemen, inner-systemisch und system überschreitend zu verstehen, die bestimmte Aktionen und Reaktionen hervorrufen. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: -
"eine Abkehr von der instrumentellen Vernunft und eine Abkehr von Absolutheitsansprüchen jeglicher Politik und Wissenschaft;
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eine noch stärkere Institutionalisierung des Dialogs von Wissenschaft und politischer Praxis;
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eine Erweiterung dieses Dialogs auf alle Beteiligten, d. h. Legislative, Exekutive, Jurisdiktion, Interessenverbände und die Bevölkerung selbst". 22
Ein solcher Dialog müßte auch eine wechselseitige Zielkritik einschließen, wobei eine Offenlegung der Prämissen unabdingbar ist.
22 Kötter, Herbert: Zukunftsaufgaben der Politik -Herausforderung für die Forschung, in: Zum Verhältnis von Wissenschaft und Praxis in der Agrarpolitik, Heft 250 der Schriftenreihe der Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie, Bonn 1981, S. 31.
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Eine rigorose Reglementierung der Forschung selbst ist abzulehnen, weil die gesellschaftliche Relevanz von Forschungsthemen nicht vorauszusagen ist, wobei allerdings Ausnahmen auftreten können, wie etwa in der Problematik der Genforschung. Durchaus vereinbar mit der Forderung nach Freiheit der Wissenschaft erscheint es aber, wenn die Umsetzung bestimmter Ergebnisse in Produktionsund Organisationstechnologien einer stärkeren gesellschaftlichen Kontrolle, aber auch einer Selbstkontrolle der Wissenschaftler unterworfen wird. Das entspräche der Forderung von Hans Jonas nach Verwirklichung des "Prinzips Verantwortung" durch Entwicklung einer Ethik für unsere wissenschaftlich-technologische Zi vilisation. 23
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Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt / M. 1979.
Zur These der Alibifunktion politikwissenschaftlicher Beratung Von Bernhard Kü!p
A. Zum Begriff des Alibis Wir wollen uns in diesem Beitrag mit dem in der Öffentlichkeit oft geäußerten Vorwurf befassen, die Beratung der Politiker durch Wissenschaftler diene lediglich einem Alibibedürfnis des Politikers. Der Begriff des "Alibis" ist dem Bereich der Kriminalistik entnommen. Mit einem Alibi versucht sich eine einer Tat verdächtige Person zu entlasten, indem sie durch Heranziehung von Zeugen nachweist, daß sie sich zur Tatzeit an einem anderen Ort als dem Tatort aufgehalten hat, so daß sie deshalb die Tat auch gar nicht hatte begehen können. Übertragen auf das hier zur Diskussion stehende Problem spricht man in zwei unterschiedlichen Fällen davon, daß die wissenschaftliche Beratung der Politiker lediglich einem Alibi der Politiker diene und insoweit den Wert der wissenschaftlichen Politikberatung herabsetze. In einem ersten Fall geht man davon aus, daß die augenblickliche Situation ein politisches Handeln erforderlich mache, daß die Politiker jedoch zu wirksamen Maßnahmen nicht bereit seien, entweder deshalb, weil diese Maßnahmen ihren Grundüberzeugungen widersprechen oder auch deshalb, weil diese Maßnahmen - obwohl sie notwendig erscheinen - unpopulär sind und deshalb kurzfristig zu einem Verlust von Wählerstimmen führen könnten. Der Politiker drücke sich also vor wirksamen Maßnahmen, ordne vielmehr eine zeitraubende wissenschaftliche Untersuchung an, wobei die Politiker jedoch diese Untersuchung nur deshalb in Auftrag gäben, um Zeit zu gewinnen und die notwendigen Maßnahmen hinauszuschieben. Die Mißstände würden auf diese Weise längere Zeit als notwendig bestehen bleiben. Weiterhin würde hierdurch der Erfolg der politischen Maßnahmen u. U. in Frage gestellt oder zumindest beeinträchtigt. (1. Vorwurf: Verzögerung notwendiger Maßnahmen und damit Erschwerung einer Problemlösung). Dieser Vorwurf wurde z. B. in jüngster Zeit gegenüber einigen westlichen Politikern erhoben, als auf einem Treffen der westlichen Regierungschefs über Maßnahmen zum "Abbau des Ozonlochs" beraten wurde, die Politiker sich jedoch
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darauf beschränkten, eine wissenschaftliche Untersuchung anzuregen, obwohl nach Meinung einer breiteren Öffentlichkeit die Gefahren für die Umwelt eindeutig seien und eine Abwendung der drohenden Gefahr nur erreicht werden könnte, wenn sofort gehandelt würde. Bei einer zweiten Variante des Alibivorwurfes wird davon ausgegangen, daß die Politiker sehr wohl ganz bestimmte Ziele und Maßnahmen verfolgten und daß sie die Wissenschaftler dazu mißbrauchten, ihre Politik lediglich zu bestätigen. Der Vorwurf besteht hier darin, daß die Meinung der Politiker bereits vor Vorliegen der wissenschaftlichen Gutachten feststehe, daß die Gutachten nicht etwa zur echten Meinungsbildung der Politiker herangezogen werden und daß die Politiker gar nicht die Absicht hätten, ihre Meinung aufgrund eines wissenschaftlichen Gutachtens zu ändern. Diese Gutachten dienten lediglich dazu, um vor der Öffentlichkeit den Anschein zu erwecken, diese Politik sei wissenschaftlich abgesichert und der Politiker habe diese Überzeugungen aufgrund wissenschaftlicher Analysen gefunden. Nun wird man sicherlich gegen politische Maßnahmen auch dann nichts einzuwenden haben, wenn die Wissenschaftler beim politischen Willensbildungsprozeß nicht beteiligt waren, sofern nur feststeht, daß diese Maßnahmen geeignet sind, die von den Politikern angestrebten und von der Öffentlichkeit gebilligten Ziele zu realisieren.
B. Politische Motive für die Beurteilung entscheidend ? Überhaupt geht der Vorwurf, die Politiker hätten gar nicht die Absicht, aufgrund wissenschaftlicher Analysen ihre Zielsetzungen aufzugeben, am eigentlichen Problem vorbei und widerspricht auch den sonst in der Wirtschaftswissenschaft entwickelten Kriterien zur Beurteilung politischer Maßnahmen und Einrichtungen. Es war gerade das Verdienst des Liberalismus, darauf hingewiesen zu haben, daß das Motiv der Handelnden nichts darüber aussagt, wie die zur Diskussion stehenden Handlungen zu beurteilen sind. Es komme z. B. nicht darauf an, ob die Unternehmer ihre Produktionsentscheidungen einem Gewinnkalkül oder Gemeinwohlüberlegungen unterziehen. Entscheidend sei vielmehr, ob die unternehmerische Tätigkeit de facto, d. h., in ihrer Wirkung gemeinwohlsteigernd oder -mindernd sei. Auch dann - oder vielleicht sogar gerade dann - wenn die Unternehmer sich von Eigeninteressen leiten lassen, sei eine Gemeinwohlsteigerung zu erwarten, sofern nur eine Rahmenordnung bestehe, die dazu geeignet sei, die Einzelinteressen auf das Gemeinwohl hin zu kanalisieren. Eine solche Rahmenordnung
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sahen die Liberalen vor allem in einem funktionierenden Wettbewerb der Unternehmer um die Gunst der Konsumenten. Schumpeter hat weiterhin darauf aufmerksam gemacht, daß diese Überlegungen auch auf das Handeln der Politiker übertragen werden können. Auch die Politiker seien bestrebt, Eigeninteressen zu verfolgen, in einer Demokratie z. B. möglichst viele Wählerstimmen zu erhalten, um die politische Macht zu erringen und zu behalten. Aber auch hier gelte, daß trotz Eigeninteresse der Handelnden letztlich der Wettbewerb der Politiker die politischen Handlungen an das Gemeinwohl binde, sofern nur auch hier wiederum eine entsprechend funktionierende Demokratie verwirklicht sei. Weder ist das Eigeninteresse der Politiker in jedem Falle per se für das Gemeinwohl abträglich, noch trägt ein von guten Absichten geleitetes Handeln der Politiker automatisch zu einer Mehrung des Gemeinwohles bei. Überträgt man diese liberale Grunderkenntnis auf unser Problem, so kann die Erwünschtheit oder Unerwünschtheit der wissenschaftlichen Politikberatung keinesfalls daran gemessen werden, aus welchen Motiven heraus die Politiker diese Beratung nachfragen. Weder wird ein eigennütziges Alibimotiv der Politiker die Beratung in jedem Falle nutzlos oder sogar schädlich machen, noch würde eine wissenschaftliche Beratung, die von seiten der Politiker gerade deshalb nachgefragt würde, um auf diesem Wege in echtem Sinne beraten zu werden, in jedem Falle positive Wirkungen im Hinblick auf das Gemeinwohl herbeiführen. Auch hier gilt, daß die Rahrnenordnung, also die Bedingungen, unter denen eine Beratung stattfindet, darüber entscheiden, wie erfolgreich und gemeinwohlsteigemd eine Beratung tatsächlich ausfallt.
c. Die Bedeutung kontroverser wissenschaftlicher Theorien Ein echtes Problem im Zusammenhang mit der These von der Alibifunktion wissenschaftlicher Politikberatung entsteht vielmehr erst zusammen mit einem zweiten Tatbestand. Es ist eine Tatsache, daß in fast allen entscheidenden und politisch kontroversen Fragen auch die Wissenschaft unterschiedliche und sich widersprechende Aussagen macht. Im Hinblick aufPreisniveaustabilität, Vollbeschäftigung oder Wachstum z. B. werden von liberalen Wissenschaftlern entgegengesetzte Positionen vertreten als von den keynesianisch orientierten Wissenschaftlern. Es gibt kaum eine größere politische Kontroverse, in der nicht die wichtigsten politischen Positionen durch Aussagen von Wissenschaftlern erhärtet werden können. Bei einer solchen Ausgangslage ist nun zu befürchten, daß sich die Politiker jeweils die Wissenschaftler aussuchen und um eine Beratung bitten, die ihren vorgefaßten Überzeugungen am besten entsprechen.
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Bei einer solchen Vorgehensweise der Politiker besteht eine zweifache Gefahr: Die Politiker erwecken erstens den falschen Anschein, ihre Politik sei aus einer wissenschaftlichen Analyse hervorgegangen und wissenschaftlich abgesichert. Damit können die Politiker u. U. auch unberechtigterweise Stimmen erreichen. Wissenschaftlich erhärtete Sachargumente haben einen höheren Verbindlichkeitsgrad als politische Überzeugungen. (2. Vorwurf: unberechtigte Erhöhung der Wählergunst durch nur scheinbare Abstützung der Politik auf wissenschaftliche Analysen). Durch eine wechselnde Beratung bei sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Positionen kann weiterhin die Gesamtpolitik auch widersprüchlich werden und u. U. in ihrer Gesamtheit auch dann zu schädlichen Wirkungen führen, wenn jede einzelne Maßnahme - für sich allein betrachtet - durchaus sinnvoll und aus einem bestimmten Gesichtspunkt heraus berechtigt erscheint. (3. Vorwurf: widersprüchliche Politik) D. Die Bedeutung einer Rahmenordnung der Politikberatung Ähnlich wie dies auch bei allgemein wirtschaftspolitischen Problemen getan wird, wollen wir auch hier davon ausgehen, daß im Einzelfall wissenschaftliche Beratung sehr wohl zu unerwünschten Ergebnissen führen kann und daß es entscheidend von der Rahmenordnung abhängt, ob und inwieweit die Beratung ihre Gemeinwohl-Funktionen erfüllen kann. Selbst dann, wenn von seiten der Beratung keinerlei negative Effekte ausgingen, die Beratung einfach nur völlig wirkungslos bliebe, müßte man immer noch von einer unbefriedigenden Lösung sprechen, da zumindest knappe Ressourcen für die Politikberatung eingesetzt würden, die an anderer Stelle einen befriedigenderen Effekt zeigen könnten. Es ist sicherlich auch für den einzelnen Wissenschaftler unzumutbar, bei einer Beratung mitzuwirken, die keinerlei Wirkungen herbeiführt und insoweit nutzlos ist. (4. Vorwurf: Vergeudung knapper Ressourcen). Die entscheidende Frage, die es also im weiteren zu klären gilt, besteht in dem Problem, von welchen Rahmenbedingungen der Erfolg wissenschaftlicher Politkberatung abhängt. Im weiteren Verlauf der Untersuchung soll von den Erfahrungen ausgegangen werden, die ich selbst im Rahmen langjähriger Mitgliedschaft beim wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit erzielen konnte.
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E. Das Problem der Regeneration eines Beratergremiums Ein erster Problemkomplex bezieht sich auf die Frage, wer die Wissenschaftler auswählt, die den Politiker beraten sollen. Wenn wir berücksichtigen, daß die Beratung letztlich nicht nur dazu dienen soll, das Geschäft des Politikers zu erleichtern, sondern die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Politik zu vergrößern, wäre es sicherlich nicht erwünscht, die Auswahl der Wissenschaftler dem Politiker selbst und allein zu überlassen. Gerade in diesem Falle wäre in der Tat die Gefahr groß, daß die jeweils regierenden Politiker unbequeme Berater ablehnen und nur ,,Ja-Sager", die ihre Politik jederzeit unterstützen, um sich scharen. Gerade aus diesen Gründen legen im allgemeinen die wissenschaftlichen Beiräte bei den Bundesministerien Wert darauf, daß die Hinzuwahl und das Ausscheiden der einzelnen Beiratsmitglieder institutionell geregelt ist, daß z. B. (wie beim ehemaligen wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit) in genau festgelegten periodischen Abständen ein Teil der bisherigen Mitglieder ausscheidet und neue Mitglieder hinzugewählt werden und daß diese Neuwahl durch die Wissenschaftler selbst und nicht primär und allein von den Politikern aus erfolgt.
F. Ad hoc Beratung oder Institutionalisierung? Im Zusammenhang mit dieser Frage entstehen zwei weitere Probleme, die mit der Frage der Regeneration eines Beratergremiums eng verbunden sind. Wissenschaftliche Politikberatung kann ad hoc oder institutionalisiert erfolgen. Es mag nun durchaus plausible Argumente zugunsten von ad hoc Beratungen geben, bei denen eigens für ein spezielles Problem ein oder mehrere Berater bestellt werden. In diesem Falle kann nämlich jeweils in viel besserem Maße als bei einem Dauergremium, das für längere Zeit unabhängig von den jeweils anstehenden Fragen gewählt wurde, der geeignete Kandidat für diese Aufgabe gefunden werden. Auch wäre in diesem Falle durchaus die Gefahr der Erstarrung bestehender Institutionen geringer und die Möglichkeit der permanenten Erneuerung sicherlich günstiger. Trotzdem spricht gerade wegen der Gefahr der Alibifunktion doch vieles zugunsten einer institutionalisierten Lösung des Beraterproblems. Hier ist nämlich die Gefahr der Bestellung liebsamer Wissenschaftler insgesamt geringer als bei einer ad hoc-Bestellung. Während im letzteren Falle der Politiker sozusagen bei der Beratung jedes Einzelproblems die Möglichkeit erhält, durch gezielte Auswahl das Ergebnis der Beratung in seinem Sinne zu beeinflussen, ist diese Möglichkeit bei der institutionalisierten Regelung insgesamt geringer, und praktisch nur dann gegeben, wenn das Gremium erstmals gebildet wird.
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Bei der Neubildung eines Beratergremiums ist es natürlich der Politiker, der zunächst zumindest einen Wissenschaftler selbst anspricht und diesen u. U. mit der Auswahl weiterer Mitglieder beauftragt. Mit der Auswahl des ersten Wissenschaftlers kann zugegebenermaßen bereits eine ganz bestimmte politisch erwünschte Richtung festgelegt sein. Aber selbst dann, wenn die Regeneration des Beirates unter starker Mitwirkung des Politikers erfolgt, bleibt als positiver Effekt immer noch bestehen, daß die Wissenschaftler im Falle einer institutionalisierten Beratung nicht so ausgewählt werden können, daß für jede einzelne zu beratende Frage die vom Politiker erwünschte Antwort gesichert ist. Natürlich muß man sich darüber klar sein, daß in dieser Frage auch ein zuviel an Beschneidung politischen Einflußes möglich ist. Eine politische Beratung wird nur dann zustandekommen, wenn die Politiker per saldo an dieser interessiert sind. Eine Zusammensetzung eines Beratergremiums mit Wissenschaftlern, die in ihrer Grundhaltung den Zielen der Politiker widersprechen, ist weder erwünscht noch ist es wahrscheinlich, daß die Politiker ein solches Gremium je berufen werden oder sich schließlich von dessen Äußerungen beeinflussen lassen. Eine solche Zusammensetzung wäre nämlich auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht durchaus unerwünscht. Es gibt ja nicht schlechthin gute und schlechte Politik, die Beurteilung der einzelnen Maßnahmen hängt auch nicht allein davon ab, ob diese politischen Aktivitäten wissenschaftlichen Argumenten standhalten. Der Wissenschaftler kann qua Wissenschaft immer nur beurteilen, ob geplante Maßnahmen im Hinblick auf ganz bestimmte Zielsetzungen erwünscht sind. Die Zielsetzungen als solche sind Gegenstände, die nicht mehr allein wissenschaftlich abschließend geklärt werden können. In diesem Sinne gibt es keine richtigen oder falschen grundlegenden Zielsetzungen. Da die Politiker - zumindest in einer funktionierenden Demokratie - für ihre Grundziele in den Wahlen legitimiert wurden, ist es auch nicht erwünscht, daß eine wissenschaftliche Beratung auf einer Grundlage erfolgt, die diese Grundzieie verneint. In diesem Sinne ist es nicht nur ein politisch unvermeidliches und deshalb hinzunehmendes Faktum, sondern geradezu erwünscht, daß letztlich die Grundrichtungen der politischen Ziele von den Politikern bestimmt werden. Aus dieser Sicht wäre selbst dann nichts einzuwenden, wenn den Politikern eine Art Vetorecht bei der Berufung neuer Mitglieder eines Beratungsgremiums eingeräumt würde. Von entscheidender Bedeutung ist lediglich, daß den Mitgliedern eines Beratergremiums keine Mitglieder aufgezwungen werden können, die dann unter Umständen dafür Sorge tragen, daß nur solche Empfehlungen ausgesprochen werden, die dem vordergründigen Interesse der zu beratenden Politiker entsprechen.
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G. Gemischte oder rein wissenschaftliche Beratergremien ? Mit dem Problem der Regeneration eines Beratergremiums hängt noch eine zweite Frage eng zusammen. In der Öffentlichkeit wird die Frage kontrovers diskutiert, ob politische Beratergremien allein aus Wissenschaftlern zusammengesetzt sein sollten, oder ob auch politisch aktive Persönlichkeiten, vor allem solche, die die Interessen bestimmter Gruppen vertreten, hinzugewählt werden sollen. Auch in dieser Frage gilt es zu erkennen, daß unterschiedliche Zielsetzungen auch unterschiedliche Antworten nahelegen und daß es sicherlich zugunsten beider Lösungen (rein wissenschaftliche und gemischte Beratergremien) durchaus Argumente pro und contra gibt. Zugunsten gemischter Beratergremien wird oftmals angeführt, daß auf diese Weise zugleich sichergestellt werde, daß die Vorschläge eines Beratergremiums in der politischen Öffentlichkeit größere Anerkennung erfahren. Während rein wissenschaftlich zusammengesetzte Gremien leicht dem Odium unterliegen, graue, wirklichkeitsfremde und utopische Ratschläge zu unterbreiten, die darüber hinaus von Gruppierungen veröffentlicht werden, die von den Interessengruppen als feindlich gesinnt eingestuft werden, kann ein gemischtes Beratergremium nicht nur dafür Sorge tragen, daß nur politisch machbare Vorschläge unterbreitet werden, sondern auch eine Akzeptanz bei den Interessengruppen garantieren. Es könne nämlich damit gerechnet werden, daß Interessengruppen, die an politischen Vorschlägen mitgewirkt haben, auch bereit seien, diese Vorschläge in der Öffentlichkeit und gegenüber den eigenen Mitgliedern zu verteidigen. Obwohl diese Argumente durchaus auf den ersten Blick plausibel erscheinen mögen, spricht doch einiges gegen solche gemischte Beratergremien. Im Grunde genommen werden in diesem Falle zwei grundverschiedene Funktionen innerhalb des politischen Willensbildungsprozesses vermischt. Gerade auf diese Weise wird eine befriedigende Lösung der politischen Willens bildung verhindert. Im Zuge der politischen Willensbildung geht es einmal darum, sicherzustellen, daß die Argumente, die sich auf Sachzusammenhänge beziehen, auch als solche der Wahrheit entsprechen. Zum anderen besteht jeder Prozeß der politischen Willensbildung aus Kompromissen zwischen idealtypischen oder auch einzelinteressenbezogenen Forderungen.
Politiker neigen dazu, ihre Politik gerade auch mit Sachargumenten zu verteidigen. Sie werben z. B. für eine Beschäftigungspolitik nicht nur mit Argumenten, die das Ziel der Vollbeschäftigung verteidigen - dieses Ziel wird ohnehin kaum bestritten - sondern vielmehr mit Argumenten, daß die vorgesehene Politik auch tatsächlich zum Erfolg führe. Dies ist jedoch eine Sachfrage, die unabhängig von der ganz anderen Frage beantwortet werden muß, wie erwünscht ein Abbau von Arbeitslosigkeit im einzelnen ist. Gerade deshalb, weil es sich hierbei um Sachfragen handelt, die weitgehend unabhängig von der weltanschaulichen Posi-
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tion wahr oder falsch sein können, gewinnen die Politiker bei der Argumentation mit Sachargumenten größere Glaubwürdigkeit. Bei der Gültigkeit dieser Überlegungen ist es jedoch um so wichtiger, innerhalb des politischen Willensbildungsprozesses sicherzustellen, daß die Sachargumente vollständig und so weit wie immer nur möglich unverfälscht der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden. Hier liegen jedoch die eigentlichen Gefahren gemischter Gremien. Gerade deshalb, weil hier innerhalb des wissenschaftlichen Beratergremiums bereits die Sachargumente nach politischen Gesichtspunkten vorsortiert werden und einzelne Interessengruppen die Möglichkeit erhalten, ihnen unliebsame Argumente zu unterdrücken und in einem Logrolling-Verfahren Sachargumente gegenseitig aufzurechnen und zu manipulieren, erwachsen Gefahren für den politischen Willensbildungsprozeß. Es geht wohlbemerkt nicht darum, daß Maßnahmen im Rahmen des politischen Willensbildungsprozesses nicht auch daraufhin überprüft werden müssen, ob sie zumindest von einer Mehrheit der Gruppen auch mitgetragen werden. Ein solcher Prozeß der Kompromißfindung und des Logrolling ist sicherlich notwendig und sollte nicht unterbunden werden. Problematisch ist nur die Vermischung dieser Funktionen und die Vorverlagerung dieses Prozesses der politischen Kompromißbildung in das Beratergremium. Zu beanstanden ist hierbei einmal, daß ein Gremium, das nicht unter dem Gesichtspunkt der politischen Kompromißfindung ausgewählt wurde, solche politischen Funktionen mitübernimmt, zum anderen kann sich der Umstand negativ auswirken, daß bestimmte Kompromisse, die bereits in diesen Gremien angesteuert wurden, in dem daran anschließenden Prozeß der Willensbildung als Sachargumente vorgetragen werden. Das Gefährliche hierbei besteht darin, daß Sachargumente im Gegensatz zu reinen Interessenargumenten einen von der Weltanschauung des einzelnen unabhängigen und deshalb allgemeingültigen Wahrheits anspruch besitzen. Nicht, daß im Rahmen des Willensbildungsprozesses Kompromisse und Logrolling stattfinden, ist zu beanstanden, sondern daß diese Kompromisse unter falschen Vorzeichen, und zwar unter Vorspiegelung, daß es sich hierbei um Sachnotwendigkeiten handle, gebildet werden.
H. Bedeutung und Gefahren von Interessengruppen Diese Kritik gewinnt noch an Gewicht, wenn man bedenkt, daß in gemischten Beratergremien in der Regel nicht alle Interessengruppen vertreten sind. Wir wissen, daß die einzelnen Interessengruppen in sehr unterschiedlichem Maße organisationsfähig sind und daß gerade dieser Umstand dazu beiträgt, daß auch in einer sonst funktionierenden Demokratie die politischen Aktivitäten mehr oder weniger vom Willen der Mehrheit zugunsten einiger Interessengruppen abweichen können.
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Gerade kleine Anbieterguppen verfügen über ein Infonnationsmonopol gegenüber den Politikern und können auf diese Weise die politischen Ergebnisse in stärkerem Maße als erwünscht zu ihren Gunsten beeinflussen. Diese ohnehin bestehende, aber höchst unerwünschte Tendenz wird nun bei Bestehen solcher gemischter Beratungsgremien um ein weiteres verstärkt. Es sind im allgemeinen gerade diejenigen Interessengruppen in den gemischten Beratergremien vertreten, die ohnehin aufgrund ihres Infonnationsmonopols oder auch aufgrund anderer politischer Privilegien über zu große politische Macht verfügen. Hierbei gilt es sehr wohl, fonnale Satzung und Realität zu unterscheiden. Bringen wir das Beispiel des Sachverständigenrates, der entsprechend der Satzung nur aus Wissenschaftlern zusammengesetzt ist, der in der Realität jedoch sehr wohl dadurch einzelnen Interessengruppen Gewicht verschafft, als einzelne Mitglieder auf Vorschlag einzelner Interessengruppen vom Bundespräsidenten ernannt werden. Dieser faktisch eingeräumte Einfluß einzelner Interessengruppen ist vor allem deshalb verwunderlich und unberechtigt, da der Sachverständigenrat gar nicht das Recht besitzt, konkrete politische Vorschläge zu unterbreiten, sondern sich darauf zu beschränken hat, die wirtschaftliche Lage zu analysieren und auf mögliche Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen. Diese Aufgabe ist eine rein wissenschaftliche Aufgabe, es wäre in höchstem Maße erwünscht, daß diese Aufgabe ohne jeglichen Einfluß von Interessenstandpunkten erfüllt werden könnte. Gerade aus der Sicht der oben angeführten Argumente kann durchaus die Verpflichtung des Sachverständigenrates, sich konkreten politischen Vorschlägen zu enthalten, bejaht werden. Auch war es richtig, das Gremium nur aus Wissenschaftlern zu bilden und die Ernennung der Mitglieder des Sachverständigenrates vom Bundespräsidenten vornehmen zu lassen, der von seiner Funktion aus durchaus die Gewähr für eine weitgehend interessenfreie und parteiübergeordnete Entscheidung bietet. Aber gerade wegen der Beschränkung auf Sachanalysen erfüllt der Sachverständigenrat eine Aufgabe, die um so besser erfüllt werden kann, je weniger die Gefahr besteht, daß sie von Interessenstandpunkten durchsetzt ist. I. Der Spielraum der Beratergremien Neben der Regeneration eines Beratergremiums spielt darüber hinaus auch die Frage, welche Themen zur Beratung anstehen und inwieweit die Entscheidung bei den Beratern selbst oder allein bei den Politikern liegt, für den Beratungserfolg eine entscheidende Rolle. Auch in dieser Frage ist es selbstverständlich, daß die Politiker das Recht besitzen müssen, Fragen an die Wissenschaftler heranzutragen. Auch hier gilt
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wiederum, daß wohl kaum ein Beratergremium zustande kommen würde, wenn die Politiker nicht die Möglichkeit besäßen, das Beratergremium mit der Analyse bestimmter Fragenkomplexe zu beauftragen. Ohne dies würde jedes Interesse der Politiker an Beratergremien erlöschen und es wäre deshalb utopisch, die Forderung aufzustellen, daß der Politiker nicht das Recht erhalten sollte, solche Aufträge zu vergeben. Auch gilt es zu berücksichtigen, daß ein solches Informationsrecht der Politiker notwendig ist, um die Gemeinwohlaufgaben des Beratergremiums sicherzustellen. Es gibt nicht nur die Gefahr, daß Politiker Wissenschaftlern unerwünschte Alibifunktionen zudenken, sondern es gibt stets auch die umgekehrte Gefahr, daß Wissenschaftler die Beratergremien für eigene Interessen und für das eigene Renommee mißbrauchen. Es ist die eigentliche Aufgabe eines Beratergremiums, die Politiker bei den Fragen beratend zu unterstützen, die von den Politikern angegangen werden. Diese Aufgabe kann nur dann erfüllt werden, wenn die Politiker auch die Möglichkeit haben, das Beratergremium mit ganz konkreten Aufträgen zu betrauen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist es erforderlich, daß der Politiker zwar stets das Recht hat, konkrete Berateraufgaben zu stellen, daß aber andererseits das Beratergremium in der Lage sein sollte, die vom Politiker bestellten Untersuchungen nach von den Beratern frei zu wählenden, wissenschaftlichen Kriterien zu bearbeiten und auch darüber hinaus frei sein sollte, auch selbst gestellte Untersuchungen durchzuführen. Denn nur bei dieser Möglichkeit ist sichergestellt, daß der Politiker nicht in der Lage ist, alle für ihn unliebsamen Ergebnisse zu unterdrücken.
J. VerötTentlichungspflicht der Gutachten Der Beratungserfolg hängt drittens - neben der unbeeinflußten Regenerationsmöglichkeit des Beratergremiums und dem Recht, die beauftragten Untersuchungen unbeeinflußt nach wissenschaftlichen Kriterien durchzuführen - auch davon ab, inwieweit die Untersuchungen und Ergebnisse des Beratergremiums veröffentlicht werden. Gerade in dieser Frage besteht stets die Gefahr, daß Politiker Untersuchungen, die nicht zu den erwünschten Ergebnissen geführt haben, unter Verschluß nehmen und deren Veröffentlichung unterbinden. Gerade ein solches generelles Veröffentlichungsverbot würde jedoch den gesamtwirtschaftlichen Beratungserfolg vereiteln. Bisweilen stimmen zwar die Politiker einer Veröffentlichung der Ergebnisse der Beratergremien zu, berufen sich jedoch in der Öffentlichkeit nur auf diejenigen Ausschnitte der Gutachten, die ihre Politik zu bestätigen scheinen. So kommt es auch dazu, daß sich Parteien mit sonst sehr unterschiedlichen Vorstellungen
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über die politische Lösung der anstehenden Probleme auf ein und dasselbe wissenschaftliche Gutachten berufen. Die Wissenschaftler mögen ihre Ergebnisse noch so sehr unter einschränkenden Bedingungen entwickelt haben, die breite Öffentlichkeit vergiBt leicht die unterstellten Prämissen und interessiert sich nur für Schlagzeilen erzeugende Ergebnisse. (5. Vorwurf: Politiker picken die Rosinen aus den Gutachten). Ein solches Vorgehen kann natürlich u. U. zu falschen Schlußfolgerungen und damit auch zu einer Politik führen, die in ihrer Gesamtheit nicht durch die wissenschaftlichen Gutachten abgestützt ist. Hier hat sich die Praxis der wissenschaftlichen Institute, ihre Gutachten der Öffentlichkeit selbst vorzustellen, als zweckmäßig erwiesen. Wenden wir uns nochmals der Frage der Veröffentlichungspflicht wissenschaftlicher Gutachten zu. Die wissenschaftliche Beratertätigkeit erfüllt im Rahmen des politischen Willensbildungsprozesses gerade die Funktion, die Sachzusammenhänge möglichst unabhängig von Einzelinteressen aufzudecken und der Öffentlichkeit bekanntzugeben. Eine Unterdrückung dieses Wissens bringt stets die Gefahr mit sich, daß hier im Meinungsstreit zwischen den Interessen Erkenntnisse zu Lasten einzelner Gruppen und zugunsten anderer Gruppen unberechtigterweise unterdrückt werden. Natürlich mag es richtig sein, d~ß in konkreten Einzelfällen die Nichtveröffentlichung von Wissen im Interesse der Allgemeinheit liegt. Im konkreten Einzelfall ist durchaus mit der Möglichkeit zu rechnen, daß auch Sachwissen dadurch, daß es der Öffentlichkeit kundgetan wird, für gemeinwohlschädigende Zwecke von Einzelgruppen eingesetzt wird. Zwar läßt sich sicherlich Wissen nicht auf Dauer unterdrücken, auch dann nicht, wenn es dem Gemeinwohl dienlicher wäre, dieses Wissen wäre nie gefunden und veröffentlicht worden, aber immerhin spräche für eine Nichtveröffentlichung gefährlichen Wissens der Umstand, daß auf diese Weise die Bekanntwerdung dieses Wissens zumindest zeitlich verzögert würde, und daß die Politiker u. U. auch die Möglichkeit erhielten, sich besser auf die Bekämpfung der Gruppenaktivitäten einzustellen und vorzubereiten, die auf der Grundlage solchen Wissens zu befürchten sind.
K. Das Recht auf ein Minderheitsvotum Eng zusammen mit dem Problem der Veröffentlichungspflicht von Gutachten eines Beratergremiums hängt die weitere Frage nach der Möglichkeit eines Minderheitsvotums. Man wird nicht davon ausgehen können, daß die Mitglieder eines Beratergremiums stets zu gleichen Ergebnissen kommen. Zu groß sind die Meinungsverschiedenheiten der einzelnen Wissenschaftler sowohl im Hinblick auf die zu realisierenden politischen Ziele und Mittel als auch im Hinblick auf das zweckmäßigste diagnostische Verfahren, um zu Erkenntnissen zu kommen.
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Gerade im Hinblick auf den Beitrag, den die Wissenschaft im Rahmen des politischen Willensbildungsprozesses zu erfüllen hat, mag man es bedauern, daß bereits im wissenschaftlichen Bereich keine Einigung in allen wesentlichen Fragen möglich ist. Es würde den politischen Willensbildungsprozeß sicherlich vereinfachen, und die Gefahr mißbräuchlicher Anwendung von Wissen seitens der Politiker wäre geringer, wenn die Wissenschaft immer nur mit einer Zunge reden würde. Aber in anderer Hinsicht ist die Vielfalt der Meinungen und die Möglichkeit jedes Wissenschaftlers, von der dominierenden Mehrheitsmeinung abzuweichen, für den Wissensprozeß konstitutiv. Auch für den Wissenschaftsbereich gilt nämlich, daß nur ein Wettbewerb der Wissenschaftler und Meinungen sicherstellt, daß überholtes und widerlegbares Wissen aufgegeben wird. Gleichzeitig ist der Einigungsprozeß innerhalb der Wirtschaftswissenschaften gegenüber den traditionellen klassischen Naturwissenschaften mindestens in zweierlei Hinsicht behindert, aufgrund dessen eine allgemeine Einigung erschwert ist. Auf der einen Seite sind überall dort, wo menschliches Verhalten mitspielt, allgemeingültige deterministische Gesetzmäßigkeiten in geringerem Maße als bei den Naturwissenschaften zu erwarten; das Gewicht stochastischer Prozesse überwiegt. In dieser Hinsicht gleicht die Wirtschaftswissenschaft eher der Atomphysik als der klassischen Mechanik. Auf der anderen Seite sind jedoch im Bereich der Wirtschaftswissenschaft die Möglichkeiten, über Laborexperimente Hypothesen zu verifizieren, stark eingeschränkt. Schließlich verbieten allgemeine politische und ethische Normen die Anwendung von Experimenten mit Menschen und existierenden Gesellschaften. Um die Wirkungen einer Inflation zu studieren, können wir nicht eine Inflation künstlich erzeugen. Gerade weil es also in der Regel in fast allen kontroversen politischen Fragen unter den Wirtschaftswissenschaftlern Meinungsverschiedenheiten gibt, ist es von entscheidender Bedeutung, daß Wissenschaftler, die im Beratergremium überstimmt wurden, die Möglichkeit erhalten, ihre Meinung in einem Minderheitsvotum der Öffentlichkeit kundzutun. Im Wettstreit der einzelnen politischen Meinungen muß klar sein, ob bestimmte Aussagen der Wissenschaftler allgemein akzeptiert sind oder nur die Meinung der Mehrheit darstellen. Diese Forderung nach dem Recht auf ein Minderheitsvotum ist vor allem auch deshalb geboten, da der Inhalt eines Gutachtens letztlich über eine Mehrheitsentscheidung zustandekommt. Zwar wird die sachliche Diskussion, in der es darauf ankommt, durch Sachargumente den anderen zu überzeugen, insgesamt in einem wissenschaftlichen Beratergremium im allgemeinen ein stärkeres Gewicht haben als in politischen Beschlußgremien. Es ist jedoch nicht zu erwarten, daß auch in wissenschaftlichen Beratergremien durch Diskussion alle Meinungsverschie-
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denheiten ausgeräumt werden können, so daß es auch nicht möglich wäre, für die Verabschiedung von Gutachten Einstimmigkeit zu verlangen. Trotzdem bleibt bestehen, daß ein Mehrheitsbeschluß dem wissenschaftlichen Entdeckungsverfahren eigentlich fremd ist. Für die Gültigkeit einer wissenschaftlichen These ist nicht primär entscheidend, ob die Mehrheit diese These für richtig hält, sondern ob diese These empirisch erhärtet werden kann, ob es also nicht möglich ist, diese These anhand empirischen Materials zu widerlegen. Im wissenschaftlichen Entdeckungsprozeß spielt der Zeitfaktor eine untergeordnete Rolle. Die Wissenschaftler stehen nicht wie die Mitglieder eines politischen Beratergremiums unter dem Zeitdruck, an einem ganz bestimmten Stichtag ihre Entscheidung zu fällen. Da die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Lösung praktischer Probleme eingesetzt werden sollen, kommt es zwar sicherlich darauf an, daß möglichst zügig gearbeitet wird und daß Ergebnisse so schnell wie möglich veröffentlicht werden. Sicherlich entspricht es jedoch nicht wissenschaftlichen Spielregeln, eine halb fertige, noch nicht empirisch getestete und bestätigte Theorie nur deshalb zu veröffentlichen und als wahr zu kennzeichnen, weil ein ganz bestimmter Termin überschritten wurde. Ein wissenschaftliches Beratergremium steht jedoch gerade deshalb, weil es im Rahmen des politischen Willensbildungsprozesses eine Funktion zu erfüllen hat, ebenfalls unter Zeitdruck, so daß eine Diskussion über ein Abstimmungsverfahren oftmals abgebrochen werden muß. Hier erfüllt das Recht auf ein Minderheitsvotum eine entscheidende Bedeutung. Auf diese Weise erhält die Öffentlichkeit Kenntnis davon, daß bereits auf der Ebene der Sachargumentation Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind. Gleichzeitig wird der Gefahr vorgebeugt, daß die Mehrheitsmeinung in den Beratergremien auch im wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß ausschlaggebend wird, ohne daß diese Frage unter Zugrundelegung wissenschaftlicher Kriterien zu Ende diskutiert ist.
Literatur Bonus, H.: Infonnation und Emotion in der Politikberatung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 138 (1982), S. 1-21. Dams, T.: Entscheidungsprobleme - Entscheidungsstrukturen - Entscheidungsprozesse in der gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaften, in: Dams, T. / Mizuno, M. (Hrsg.): Entscheidungsprozesse auf mikro- und makroökonomischer Ebene, Berlin 1985. Frey, B. S.: Theorie demokratischer Wirtschaftspolitik, München 1981. Hoppmann, E.: Korreferat zum Referat von H. Kunz. 5 Festgabe Th. Dams
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Kirchgässner, G.: Politik und Politikberatung aus der Sicht der Neuen Politischen Ökonomie, in: Liberal, Heft 2, Mai 1988, S. 41 ff. Kunz, H.: Der unterschiedliche Stellenwert von Informationen und Orientierungsdaten in alternativen Wirtschaftssystemen. Eine ordnungspolitische Kritik unter besonderer Berücksichtigung der Expertokratie, in: 20. Kolloquium "Gesundheitsökonomie" der Robert-Bosch-Stiftung. Gesundheitsberichterstattung, Orientierungsdaten und Prioritätensetzung. Die Rolle der Experten im Gesundheitswesen, Gerlingen 1989. Schmidt, K.: Der SVR zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage: Institutionen, Messkonzepte und wirtschaftspolitische Leitlinien, Stuttgart 1985. Schneider, T.: Die wirtschaftspolitische Beratung im Vergleich Frankreich und Bundesrepublik Deutschland, Pfaffenweiler 1989. Streit, M.: Theorie der Wirtschaftspolitik, 4. Auflage, Düsseldorf 1991. Tietmeyer, H.: Angewandte Wirtschaftsforschung im Dienste der Politikberatung, mehr als nur ein Alibi für die Wirtschaftspolitik?, in: Angewandte Wirtschaftsforschung im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Tübingen 1983.
Der Wirtschaftswissenschaftler als Berater wirtschaftspolitischer Instanzen Von J. Heinz Müller Es ist für einen Wissenschaftler immer interessant - und hoffentlich auch für den Leser - wenn er nach Jahrzehnten ein Thema wieder aufgreift, das er schon früher behandelt hat. Die vorliegende Festschrift gibt dazu willkommenen Anlaß, da der Jubilar auf dem Gebiet der Beratung politischer, insbesondere wirtschaftspolitischer Instanzen sehr intensiv tätig ist / war. Obwohl auch dieser Beitrag der These von einer Aufgabenverteilung zwischen Politik und Wirtschaft folgt, vertritt er keine völlig strikte Aufgabenteilung. Der Autor stimmt damit der Ansicht von Bonus 1 zu und schließt sich auch seiner Kritik an der strikten Form einer einschlägigen Arbeitsteilung an. Im Jahre 1962 fand in Bad Homburg eine Arbeitstagung des Vereins für Socialpolitik, Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, statt, die unter dem Generalthema "Probleme der normativen Ökonomik und der wirtschaftspolitischen Beratung" stand. 2 In dem 2., weitgehend von Erwin von Bekkerath angeregten und betreuten Teil gab der Autor dieses Beitrages einen Bericht über die Ergebnisse der einschlägigen Spezialuntersuchungen unter dem heute wieder gewählten Thema, in den auch seine damaligen geringen eigenen Erfahrungen auf dem Gebiet der Politikberatung einflossen. 3 Einleitend unterscheidet der Beitrag zwischen dem Wirtschaftswissenschaftler als ständigem Mitarbeiter wirtschaftspolitischer Instanzen und gelegentlichem, nichthauptamtlichem Berater. Dieser Unterscheidung kommt auch heute noch größte Bedeutung zu, allerdings sollte sie dahingehend modifiziert werden, daß in nicht ganz logischer Gliederung von der ersten Gruppe getrennt jene Institutionen erfaßt werden, die dauerhaft wirtschaftspolitische Beratung betreiben und das zu einem wichtigen 1 Bonus, Holger: Das wissenschaftliche Gutachten in der Politik Iilfonnation, öffentliche Meinung, Verantwortung, in: Manfred Timmennann (Hrsg.): Nationalökonomie morgen - Ansätze zur Weiterentwicklung wirtschaftswissenschaftlieher Forschung, Stuttgart usw. 1981, S. 263 ff. 2 Beckerath, Erwin v. / Giersch, Herbert (Hrsg.): Probleme der nonnativen Ökonomik und der wirtschaftspolitischen Beratung, Schriften des Vereins für Socialpolitik, NF 29, Berlin 1963 - Zu vielen hier behandelten Fragen siehe auch: Gutowski, Annin: Zur Theorie und Praxis der unabhängigen wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung, in: Hamburger Jahrb. f. Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 28. Jg. (1983), S. 9 ff. und Antonischki, Horst: Wirtschaftswissenschaftliehe Beratung und politische Entscheidungsbildung, Braunschweig (Diss.), 1970. 3 Beckerath, Erwin v. u. a. (Hrsg.), S. 503 ff.
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Teil ihrer Tätigkeit gemacht haben. Inwieweit und in welcher Form dabei Personen mitwirken, die im Hauptamt an einer Hochschule lehren, ist in diesem Zusammenhang nebensächlich. Es ist hier seit der damaligen Tagung eine Entwicklung eingetreten, die eine gesonderte Behandlung dieser Gruppe erforderlich macht. Wir werden also im folgenden die nachstehenden Beratergruppen unterscheiden, auch wenn sie in der Praxis oft nicht so klar voneinander abgegrenzt sind: Ständige hauptamtliche Berater,
1.
1.1 Ständige wirtschaftswissenschaftliche Mitarbeiter bei selbst wirtschaftspolitisch tätigen Instanzen, 1.2 Eigenständige Beratungsinstitutionen,
2.
Gelegentliche nichthauptamtliche Berater.
Auch bei dieser Analyse ist letzten Endes das alte Problem der Kontroverse in der "Brust des Beraters" angesprochen zwischen dem, was wissenschaftliches Ethos ihm gebietet, und dem, was die Politik von ihm begehrt. Über dieses Thema hat Oswald v. Nell-Breuning, der ja bei seinen sehr zahlreichen Beratungen und seiner starken Betonung ethischer Probleme dieser Kontroverse in ganz besonderer Weise ausgesetzt war, auf einer Generalversammlung der GörresGesellschaft überzeugend berichtet. Soweit der Autor dieses Beitrages feststellen konnte, existiert darüber aber nur eine von ihm selbst (H. M.) verfaßte Kurzfassung. 4 Diese Kontroverse ist sicherlich oft schon rein sachlich für den Sachverständigen außerordentlich schwierig zu bewältigen. Steht aber seine eigene wirtschaftliche Existenz dabei auf dem Spiel, wie es insbesondere bei Beratern der Fall sein kann, die eine solche Beratung zu ihrer Hauptbeschäftigung gemacht haben, so wird die Entscheidung für ihn noch schwieriger. Er muß nämlich u. U. befürchten,5 keine weiteren Aufträge zu erhalten, falls er mit seinem Votum nicht den Wünschen seiner Auftraggeber entspricht. Ganz besonders schwierig wird das aber bei Institutionen, die sich dauerhaft mit einem hohen Anteil ihres Personals mit wissenschaftlicher Beratung befassen, weil dann deren Existenz und damit diejenige einer ganzen Gruppe von Personen gefährdet sein kann, die hauptberuflich bei dieser Institution beschäftigt sind. Trotz seiner großen Bedeutung soll dieses ethische Problem aber im vorliegenden Beitrag nicht direkt angesprochen werden, es steht jedoch bei vielen Teilen dieses Beitrages im Hintergrund der Erörterungen. Zu der ersten Gruppe der ständigen, wirtschafts wissenschaftlich geschulten Mitarbeiter bei selbst - in einem weiteren Sinne - wirtschaftspolitisch tätigen Jahresbericht der Görres-Gesellschaft, Köln 1970, S. 64. Zu diesem Problemkreis siehe die auch heute noch - obwohl auf einen anderen Beraterkreis bezogen - sehr aktuellen Ausführungen von Meinhold, Helmut: Beratung durch einzelne Wirtschaftswissenschaftler oder Institute als gelegentliche Gutachter, in: Beckerath, Erwin v. u. a. (Hrsg), S. 430 ff. 4
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Instanzen ist über den damaligen Bericht hinausgehend nicht sehr viel grundsätzlich Neues zu erwähnen. Der in der Ausbildung von Studierenden tätige Hochschullehrer wird darüber sehr erfreut sein, daß sich inzwischen die Zahl der wirtschafts wissenschaftlich geschulten Mitarbeiter auf allen Ebenen der Verwaltung ganz wesentlich erhöht hat. Zwar dominieren in gewissen Laufbahnen auch heute noch Juristen, aber in vielen Bereichen haben sich Ökonomen in den Vordergrund geschoben, sind zumindest Ökonomen neben den Juristen tätig geworden. Das gilt vor allem auch für den Bereich der Politik-Beratung im engeren Sinne, wo heute oft wirtschaftswissenschaftlich vorgebildete Personen die Politiker - Abgeordnete und Parteiinstanzen - beraten. Das gleiche gilt für Unternehmensverbände sehr verschiedener Art, die in der Regel ohne eine einschlägige Beratung auf der Basis einer fundierten wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung ihre Aufgaben nicht lösen könnten. Das trifft aber auch auf viele Ministerien und viele andere Verwaltungen zu. In dieser Beziehung haben injüngerer Zeit Fragen der Ausrichtung der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung an den Hochschulen eine wachsende Bedeutung erlangt, besonders hinsichtlich der Verzahnung mit anderen Disziplinen, vor allem der Jurisprudenz, der wissenschaftlichen Politik und der Soziologie. Doch sei darauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Bei der dritten Gruppe, den gelegentlichen, nicht hauptamtlichen Beratern, ist mehr als früher im Laufe der Entwicklung das Problem der Behandlung eines eingereichten Gutachtens durch den Auftraggeber in den Vordergrund des Interesses getreten. Sicher wird jeder, der ein Gutachten vergeben möchte, seinen künftigen Auftragsempfänger schon im Vorfeld danach aussuchen, ob er zu dem in Aussicht genommenen Sachverhalt publiziert und welche Meinung er dabei vertreten hat. In der Regel wird er dann denjenigen mit dem Gutachten betrauen, der mit der Ansicht des Auftraggebers besonders gut übereinstimmt. Das erscheint im Grunde durchaus legitim, auch wenn es nicht selten für den Auftraggeber von besonderer Bedeutung sein dürfte, gerade über von seiner Meinung abweichende Ansichten fundiert unterrichtet zu werden. In diesem Falle taucht ein Problem verstärkt auf, das auch ansonsten bei allen Gutachten von großer Bedeutung ist, das seiner weiteren Behandlung. Grundsätzlich sollte dabei der alte Grundsatz Beachtung finden, daß der Auftraggeber darüber entscheidet, ob ein Gutachten veröffentlicht wird oder nicht, falls es sich nicht - es wird darauf noch einzugehen sein - um ein gewissermaßen direkt an die Öffentlichkeit gerichtetes Gutachten handelt. Dieser Grundsatz erscheint schon deshalb berechtigt, um dem Auftraggeber eine möglichst freie Auswahl des Gutachters zu ermöglichen. Will man verhindern, daß nur solche Personen um ein Gutachten gebeten werden, von denen der Auftraggeber erwartet, daß sie bei ihrem Votum ganz "auf seiner Linie" liegen, so muß man ihm das Recht der Nichtveröffentlichung des Gutachtens einräumen. Dann ist auch der Gutachter selbst bei der Formulierung seiner Thesen freier, da er nicht mehr befürchten muß, daß von ihm unbeabsichtigte Einflüsse auf die Öffentlichkeit ausgehen.
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Selbstverständlich bedingt das dann beim Gutachter auch, daß er auf jede anderweitige Veröffentlichung seiner Thesen unter Hinweis auf das Gutachten verzichtet. Damit darf aber keine Forderung nach einem generellen Verzicht auf einschlägige Veröffentlichungen durch den Gutachter verbunden werden. Eine andere Handhabung könnte aber - auch im Interesse des Gutachters - geboten sein, wenn die Tatsache, daß er um eine gutachterliehe Stellungnahme gebeten wurde, einer sehr breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, wie es oft bei Fragen der Fall ist, in denen in den politisch verantwortlichen Gremien unterschiedliche Meinungen herrschen. Nicht selten wird hier sogar von den verantwortlichen Stellen zur (vorübergehenden) Entschärfung der Gegensätze ein Ausweg über ein Gutachten gewählt und diese Tatsache daher der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Hier muß davon ausgegangen werden, daß dann auch nach Erstattung des Gutachtens in jedem Fall eine Unterrichtung der Öffentlichkeit über den Inhalt des Gutachtens erfolgt. Haben zwei politische Gruppen mit entgegengesetzter Meinung dieses Gutachten erbeten, so wird die Gruppe, deren Meinung von dem Gutachten bestätigt worden ist, immer auf eine Veröffentlichung drängen und diese in der Regel auch durchsetzen. Ist das Gutachten nur von einer Seite beantragt worden und weicht es dann - entgegen der Erwartung des Auftraggebers - von der Meinung dieser Seite ab, so ergibt sich die schwierige Frage eines Interessenausgleichs: Der Wissenschaftler und die durch das Gutachten bestätigte Gruppe dürften daran interessiert sein, daß die Öffentlichkeit, die von der Einholung 6 eines Gutachtens - u. U. ohne Zutun des Gutachters - erfahren hat, über sein Ergebnis unterrichtet wird. Der Auftraggeber will aber möglichst eine Schwächung seiner Stellung vermeiden, wie sie mit der Veröffentlichung des von seiner Meinung abweichenden Gutachtens unvermeidlich verbunden wäre. Hier hilft wohl nur eine Aussprache zwischen allen Beteiligten mit der Hoffnung auf einen Komprorniß. Eine ganz besondere Bedeutung haben in jüngerer Zeit bei der Beratung wirtschaftspolitischer Instanzen eigenständige Beratungsinstitutionen erlangt. In diese Gruppe fallen ganz verschiedenartige Unterformen von zu bestimmten Zwecken bestellten, vorübergehend tätigen Gremien bis hin zu dauerhaft beratenden Institutionen. Die Verschiedenartigkeit dieser Unterformen entzieht sich einer klaren Systematisierung; deshalb seien im folgenden einige Beispiele gewissermaßen als Schlaglichter behandelt. Beginnen wir mit den auch im damaligen Bericht direkt angesprochenen Hearings, die damals in der Bundesrepublik Deutschland noch ziemlich unüblich waren, inzwischen aber eine weite Verbreitung erfahren haben. In meinem Bericht über den Beitrag von Shoup heißt es in Bezug auf amerikanische Erfahrungen 6 Zur Problematik des Abschiebens der politischen Verantwortung auf die Wissenschaft, siehe insbesondere Tietmeyer, Hans: Angewandte Wirtschaftsforschung im Dienst der Politikberatung - mehr als nur ein Alibi für die Wirtschaftspolitik, in: Keller, Bernhard v. / On, Alfred E. (Hrsg.): Angewandte Wirtschaftsforschung im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Tübingen 1983, S. 165 ff.
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dazu wie folgt: 7 "Die Kongreßmitglieder haben, ... viel durch den Umgang mit Wissenschaftlern, aber auch mit Leuten aus der Praxis gelernt. Die Veröffentlichung der Hearings, die zum Teil vom Fernsehen übertragen, also gewissermaßen direkt veröffentlicht werden, hat außerordentlich positiv gewirkt." Wenn ich recht sehe, kann man dieses sehr positive Urteil auf unsere eigene Entwicklung seit 1962 nicht übertragen. Vielleicht liegt das zu einem erheblichen Teil daran, daß die Hearings bei uns meist erst spät, etwa nach Vorliegen eines amtlichen Gesetzentwurfes, abgehalten werden. Dann ist aber die Durchsetzung von Änderungen - und sei die Forderung danach noch so begründet - sehr schwierig. Die Verfasser des Gesetzentwurfes und die an seinem Entstehen beteiligten Stellen werden meist alles daran setzen, um ihre Formulierung zu verteidigen, die oft erst nach sehr intensiven Beratungen, in denen auch Kompromisse eine wichtige Rolle gespielt haben, zustande gekommen ist. Abweichende Meinungen der Wissenschaftler sind in einer solchen Situation weit weniger gefragt als zustimmende. Man wird daher seitens der Personen und Institutionen, die das Hearing bestellt haben, über die abweichenden Ansichten der Wissenschaft sehr viel leichter hinweggehen, als wenn das Hearing in einem wesentlich früheren Zeitpunkt der Beratungen stattfindet. Das ist um so leichter möglich, als die Einflußnahme des Wissenschaftlers beim Hearing weitgehend auf einen (kurzen) Vortrag und auf eine Stellungnahme zu Fragen beschränkt ist, die ihm von den zu Beratenden gestellt werden. Es kommt hinzu, daß in diesen Hearings meist auch Interessenvertreter verschiedenartiger Richtung mitwirken. Die von ihnen vorgetragenen Ansichten decken sich oft nicht mit denen der Wissenschaftler - nicht selten dürften sogar die Meinungen innerhalb des Kreises der eingeladenen Wissenschaftler voneinander abweichen - , was das oft sowieso nicht sehr große Durchsetzungsvermögen der Wissenschaftler weiter verringert. In die gleiche Richtung kann auch die Auswahl der Hearing-Teilnehmer durch die einladenden Instanzen wirken. Sie können dabei sicherstellen, daß vor allem solche Wissenschaftler ausgewählt werden, deren Ansichten sich nicht (allzu sehr) von denen der Veranstalter des Hearings unterscheiden. Eine zweite Form der wissenschaftlichen Beratung bilden die Beiräte. 1962 referierte Waldemar Koch über diesen Bereich, und zwar vom Thema her so vorgesehen, ausschließlich über den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesminister für Wirtschaft. 8 Inzwischen gibt es eine ganze Reihe solcher Beiräte - sie existierten z. T. auch damals schon - bei vielen Ministerien. Nach wie vor dominieren in diesen Beiräten ehrenamtlich tätige Professoren, oft allerdings bestehen sie nicht ausschließlich aus ihnen. Der Einfluß solcher Gremien ist nach Beckerath, Erwin v. u. a. (Hrsg.), S. 512. Koch, Waldemar: Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Wirtschaft, in: Beckerath, Erwin v. u. a. (Hrsg.), S. 405 ff. Zur Anfangsgeschichte des Beirats siehe auch den Aufsatz seines langjährigen Vorsitzenden Beckerath, Erwin v.: Der Einfluß der Wirtschaftstheorie auf die Wirtschaftspolitik, zuerst publiziert in: Wissenschaft und Wirtschaft, Festschrift der Metallgesellschaft, Frankfurt / M. 1956. 7
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wie vor in der Regel nicht sehr groß. Die Themen werden auch heute noch z. T. von den zuständigen Ministerien gestellt, zum anderen Teil von den Mitgliedern ausgewählt. Die Gutachten werden publiziert, nicht selten in einem zeitlichen Abstand von der Erstellung der Gutachten. Die Wirtschaftspresse bringt zwar meist eine Vorpublikation über diese Gutachten in Form eines Kurzberichtes. Jedoch werden diese meist weniger beachtet als entsprechende Berichte über die Gutachten ganz speziell für bestimmte Aufgaben bestellter Gremien, wie etwa des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auf den noch einzugehen sein wird. Sicher orientieren sich die Gutachten wissenschaftlicher Beiräte nach wie vor weniger an dem, was politisch gerade opportun ist. In dieser Beziehung besitzen die Beiräte eine Vorzugs stellung gegenüber anderen Beratungsgremien, was aber auch ihren geringeren Einfluß zur Folge hat. Gehen wir weiter in der Reihe wissenschaftlicher Beratungsgremien, so kommen wir zu dem Kreis jener Institutionen, die zur Beratung der Politik über ganz bestimmte, relativ eng umrissene Problembereiche bestellt sind. Bei diesen muß wiederum danach unterschieden werden, ob diese Gremien einmalig oder auf Dauer beauftragt sind. Beginnen wir mit der ersten Gruppe. Ihre generelle Problematik soll am Beispiel der Konzentrationskommission behandelt werden. Ihre Beauftragung und die daraus folgenden Probleme liegen zwar schon weit zurück (1961/62). Für die Auswahl dieses Beispiels sprechen aber aus der Sicht des Autors dieses Beitrages zwei Gründe: 1. Die zentrale Grundsatzfrage dieser Kommission war die gleiche wie in diesem Beitrag. Sie war zu der gleichen Zeit brennend, in der die damalige Tagung des Vereins für Socialpolitik stattfand. 9 2. Besitzt der Autor dieser Zeilen von der Situation dieser damaligen Kommission als ihr Mitglied besondere Kenntnisse. Aufgabe der Kommission, die sich aus 6 Wissenschaftlern und 6 Mitgliedern aus der Praxis zusammensetzte, war es gemäß dem Gesetz über eine Untersuchung der Konzentration"in der Wirtschaft vom 31.12.1960, das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft, das die Untersuchung führte, in wissenschaftlichen und methodischen Fragen zu beraten. IO Nach einigen Sitzungen, die verhältnismäßig harmonisch verliefen, ergaben sich große Schwierigkeiten. Diese wurden durch den Rücktrittsbrief von 5 an dieser Beratung beteiligten Professoren vom 30. 11. 1962 11 deutlich. Die Professoren vertraten darin die Ansicht, "daß die Kommission ihre Beratungsaufgabe nur in Kenntnis der aus der Untersuchung 9 Man könnte, ohne daß dies aber in die Öffentlichkeit drang, davon sprechen, daß der praktische ,,Ernstfall" des auf der Tagung Besprochenen im engsten Kreis anhand der Konzentrationskommission "geprobt" wurde. IO Sehr interessant ist auch die Sicht dieses Problems von seiten der Verwaltung. Siehe dazu Friedrich, Rannes: Staatliche Verwaltung und Wissenschaft - Die wissenschaftliche Beratung der Politik aus der Sicht der Ministerialbürokratie, Frankfurt / M., 1970. 11 Abgedruckt in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 121. Bd. (1965), S. 169 ff.
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gewonnenen Ergebnisse erfüllen" könnte. Der Präsident des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft hat sich sehr deutlich gegen diese auch vom damaligen Bundeswirtschaftsminister gebilligte Ansicht gewandt. Er habe das Untersuchungsmaterial nur aufgrund besonderer, in ihrer Wirkung weit über das Gesetz hinausgehender Vereinbarungen mit den untersuchten Firmen bekommen und könne es der Kommission daher nicht zugänglich machen. Auf Grund dieser Einstellung des Präsidenten sahen sich die 5 Wissenschaftler nicht in der Lage, ihren Auftrag fortzuführen. Wörtlich heißt es dazu in dem Rücktrittsbrief: 12 "Wir", d. h. die 5 Professoren, "sind ... zu dem Ergebnis gekommen, daß es zur Erhaltung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Objektivität und Gründlichkeit gesetzlich vorgesehener wissenschaftlicher Beratung geboten ist, klar festzustellen: Beratend tätig zu sein oder in einem Zusatzbericht zu den bei einer Untersuchung angewandten Methoden Stellung zu nehmen, ohne die Möglichkeit zu haben, bei der Beratung oder Stellungnahme von den vorliegenden Erfahrungen und Ergebnissen auszugehen, ist mit unseren Vorstellungen von den Pflichten eines öffentlich bestellten wissenschaftlichen Beraters unvereinbar". Gerade dieser Passus zeigt sehr deutlich, wo die Grenzen einer wissenschaftlich vertretbaren Beratung gegenüber einem Auftraggeber liegen, der aus welchen Gründen auch immer diese Grenzen nicht respektiert. Er macht aber auch die Divergenzen deutlich, die zwischen dem politisch Gewollten und dem wissenschaftlich Haltbaren auftreten können. Daß ähnlich gravierende Meinungsverschiedenheiten zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und der Mehrheit der zur Beratung in eine Kommission berufenen Wissenschaftlern bei anderen Gremien aufgetreten sind, ist dem Autor dieses Beitrages nicht bekannt. Rücktritte einzelner Wissenschaftler aus Kommissionen dürften aber ihren Grund sicherlich in einer dem geschilderten Vorgang verwandten Kontroverse zwischen Auftraggeber bzw. der von ihm benannten Beratungsstelle einerseits und dem / n Wissenschaftler(n) andererseits gehabt haben. 13 Ähnlich liegen die Probleme bei einer Beratung der Politik durch eine dauerhaft eigens dazu bestellte Kommission, wie sie etwa der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung darstellt. Hier tritt aber auch ein zusätzliches Problem auf, das sich bei Kommissionen, die zur einmaligen Beratung über ganz spezielle Fragen berufen sind, nicht oder zumindest nicht mit der gleichen Schärfe stellt. Gemeint ist die Frage, ob nicht durch die Tatsache, daß diese Gutachten in der Regel alsbald veröffentlicht werden und dann eine größere Beachtung in der Öffentlichkeit erfahren, eine erhebliche Belastung für den einzelnen Gutachter auftreten kann. Erläutern wir diese Frage an dem Beispiel, daß ein Mitglied oder einige Mitglieder des Rates der Meinung seien, daß für den Prognosezeitraum in der Bundesrepublik Deutschland eine Rezession 12
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Ebenda, S. 170. Ebenda, S. 172.
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sehr wahrscheinlich sei. Es wäre dann sicherlich Pflicht dieser(s) Berater(s), ihre / seine Auftraggeber auf diese drohende Gefahr hinzuweisen, damit rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen getroffen werden könnten. Andererseits ergibt sich das Problem - und verstärkt noch, wenn etwa der gesamte Rat oder mindestens seine Mehrheit die obige Meinung vertreten würde - , daß eine solche Befürchtung die tatsächliche Entwicklung in eine negative Richtung treibt, wenn die Wirtschaft die Prognose ernst nimmt. Derartige selbstzerstörende oder auch selbstbestätigende Wirkungen können von den Gutachten anerkannter wissenschaftlicher Gremien nach aller Erfahrung ausgehen. Bekannt ist etwa, daß Prognosen über Berufschancen von Anfängern durch anerkannte Gremien sich später oft als falsch erweisen, wenn diese veröffentlicht und von den dabei Angesprochenen ernst genommen werden. Aus diesem Grunde ist es auch methodisch falsch, wenn ohne die Berücksichtigung einer etwa von den Gutachten ausgehenden Wirkung in Ric;htung auf ihre FalsifIkation oder Bestätigung ex post die Prognosen mit den tatsächlichen Ergebnissen verglichen werden, wie es leider in der Öffentlichkeit nicht selten geschieht. Da eine solche Wirkung nur bei einer breiten Veröffentlichung des Gutachtens eintreten kann, entsteht daraus eine schwierige Problematik. Man könnte ihr ausweichen, indem man das Gutachten nicht oder erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt veröffentlicht. Damit nimmt man aber dem Gutachten den Einfluß, den es - oft gerade nach dem Willen seines Auftraggebers - auf die Öffentlichkeit haben sollte. Vielfach ist auch ein Bekanntwerden der Gutachtenergebnisse in der Öffentlichkeit - auch und gerade wenn es der Auftraggeber vermeiden will- gar nicht zu vermeiden (Was bleibt in der Bundesrepublik Deutschland schon geheim!). Wenn dann die Presse darüber berichtet, wird der Einfluß der Gutachtermeinung in der Öffentlichkeit noch größer als im Fall einer normalen Veröffentlichung. Selbstverständlich gilt dieser Effekt nur für bestimmte Gutachten oder bestimmte Teile von ihnen. Der oben unterstellte Fall einer drohenden Rezession ist dafür sicherlich besonders typisch. Eine andere Frage betrifft die Abgrenzung der Aufgaben eines Beratungsgremiums, wie etwa des Sachverständigenrates, von denen der Politik. Diese Frage hat natürlich bei einem allgemein angesehenen Gremium eine sehr viel größere Bedeutung als bei weniger bedeutungsvollen Institutionen. Daß diese Frage bei der Begründung des Sachverständigenrates eine wichtige Rolle gespielt hat, zeigt eine Veröffentlichung von Alfred E. Ott über die Anfänge dieses Rates. 14 Zusätzlich zu diesem Problem belegen aber die Ausführungen auch die Schwierigkeiten einer Beteiligung von verschiedenen selbständigen wissenschaftlichen Institutionen an der Arbeit eines solchen Rates, jedenfalls in der Form, wie sie zunächst beabsichtigt war. Letzten Endes waren es diese Fragen, die den ursprünglich vorgesehenen wissenschaftlich sehr angesehenen Beraterkreis dazu veranlaßt haben, sich dafür nicht weiter zur Verfügung zu stellen. 14 Ott, Alfred E.: Der erste Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - Einige Reminiszenzen, in: Jahrb. f. Nationalök. u. Stat., Bd. 205/1 (1988), S. 1.
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Der Einfluß des Rates auf die Wirtschaftspolitik ist sicher nicht so groß, wie ihn manche vorher erwartet hatten. Das gilt aus Gründen, die allgemein bekannt sind, zunächst vor allem für den Bereich der Lohnpolitik. Aber auch bei der Finanzpolitik hat der Rat mit seinen oft wiederholten Mahnungen vor einer allzu starken staatlichen Neuverschuldung keinen sehr großen Einfluß auf die Politik nehmen können. Andererseits sind viele Ausführungen des Rates gerade zu zentralen Fragen, vor allem solchen methodisch-wissenschaftlicher Art, nicht ohne Einfluß geblieben. Auch beim Sachverständigenrat und seinem Einfluß auf die Politik zeigt sich, daß es weit einfacher ist, losgelöst von den aktuellen politischen Aufgaben der Politik zu raten als geeignete Maßnahmen zur Erreichung bestimmter Ziele in der praktischen Politik durchzusetzen. Kommen wir zum letzten großen Bereich der Politikberatung durch selbständige Institutionen. Hier hat sich in letzter Zeit eine Entwicklung vollzogen, die von den früheren Verhältnissen erheblich abweicht, zumindest erheblich abzuweichen droht. Ferdinand Friedensburg, der langjährige Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hat den Grundsatz der Arbeit seines Instituts einmal wie folgt formuliert: ,,Jedermann dienstbar, niemandem untertan!" 15 Ein solcher Grundsatz ist sicherlich Voraussetzung für eine jede unabhängige wissenschaftliche Beratung. Ihn aufzustellen, ist aber sehr viel einfacher als ihn einzuhalten. Eine wichtige, wahrscheinlich die wichtigste Frage bildet in diesem Zusammenhang die Finanzierung eines solchen Instituts für seine wissenschaftliche Beratung. Wird die ganze Finanzierung oder zumindest der weitaus überwiegende Teil davon, unabhängig von den Beratungsergebnissen aus allgemeinen Quellen aufgebracht, so kann - vielleicht! - diese Unabhängigkeit noch gewährleistet sein. Kommt aber ein Großteil dieser Mittel von Personen oder Institutionen, die an den Ergebnissen der Beratung besonders interessiert sind, so wird das sehr schwierig. Es ist schon immer bei der Gründung von Fördergesellschaften für wissenschaftliche Institute ein sehr schwieriges Problem gewesen, in der Satzung eine Form zu finden, die dem Wissenschaftler Unabhängigkeit von der Fördergesellschaft garantiert. Selbst in Fällen, in denen auf Grund der Satzung eine solche Unabhängigkeit erhofft werden konnte, hat es dann aber in der nachfolgenden Entwicklung immer wieder Fälle gegeben, daß Personen oder Institutionen, die sich mit einem größeren Geldbetrag an der Finanzierung des wissenschaftlichen Instituts beteiligt hatten, ihren Austritt aus dem Förderverein erklärt oder das Fortdauern ihrer finanziellen Unterstützung gekündigt haben, wenn sie mit den Forschungsergebnissen nicht einverstanden waren. Daß es auch andere Fälle gegeben hat, soll keineswegs verkannt und dankbar anerkannt werden, bannt aber die von der dargestellten Situation ausgehende Gefahr für die Unabhängigkeit des Wissenschaftlers nicht. Die weitgehende Finanzierung eines wissenschaftlichen Instituts aus öffentlichen Mitteln kann diese Gefahr zwar 15 Als Motto wieder abgedruckt in: Krengel, Rolf: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. (lnst. für Konjunkturforschung) 1925-1979, Berlin, 1986.
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verringern, insbesondere wenn diese Mittel laufend im Etat einer von seinen Forschungsergebnissen unabhängigen Stelle, z. B. dem Wissenschaftsministerium, bereitgestellt werden. Sie beseitigt sie aber nicht völlig, besonders dann nicht, wenn diese Mittel aus einem Ressort stammen, das direkt an den Ergebnissen der betreffenden wissenschaftlichen Institution interessiert ist. Diese Gefahr trifft in erheblichem Umfang auch die von den Universitäten unabhängigen Forschungseinrichtungen, ja diese im Grunde eher noch mehr. Gerade die Art ihrer Finanzierung ist in dieser Beziehung - und zwar unabhängig von dem Grundsatz, unter dem ihre Arbeit steht, - von allergrößter Bedeutung. Ob es möglich ist, Formen der Finanzierung zu finden, die eine Unabhängigkeit der Wissenschaft entsprechend dem Motto des DIW garantieren, kann der Autor dieses Beitrages nicht beurteilen. Zumindest dürfte das sehr schwer fallen, und noch schwieriger, sie auf Dauer zu behaupten. Bei dem bisher behandelten Finanzierungsproblem ging es um die Frage der dauerhaften Finanzierung, ohne daß diese völlig von der Finanzierung gelegentlicher Aufgaben, die im folgenden behandelt werden soll, getrennt werden kann. Auf letzterem Gebiet hat sich seit der Beratung des Vereins für Socialpolitik im Jahre 1962 eine Entwicklung vollzogen, die einer besonderen Behandlung bedarf: Dem Prinzip und ihrer Satzung nach unabhängige wissenschaftliche Institutionen haben sich in dieser Zeit mehr und mehr dahingehend entwickelt, daß sie einen wachsenden Teil ihrer Ausgaben durch eigens bestellte Gutachten finanzieren. Nicht selten leben ganze Abteilungen solcher Institutionen laufend von derartigen Gutachten. Das trifft in besonderer Weise auf große Institutionen mit vielen Beschäftigten zu, die in der Regel unabhängig von Hochschulen tätig werden. Wenn aber ganze Abteilungen von selbständig wirtschaftenden Beratungs-Institutionen ihre laufende Finanzierung ganz oder auch nur weitgehend aus Gutachten beziehen, ergibt sich die Gefahr, daß diese Gutachten sich in besonderer Weise an der (bekannten oder nur vermeintlichen) Meinung des Auftraggebers ausrichten. Nur dann kann nämlich einigermaßen sicher erwartet werden, daß auch in der Zukunft weitere Gutachten von der auftraggebenden Stelle an den Auftragnehmer vergeben werden. Je dauerhafter dann die Verbindung zwischen einer Stelle, die laufend Gutachten vergibt, und einem Auftragnehmer wird, der in seiner Finanzierung darauf angewiesen ist, umso stärker reduziert sich der Tendenz nach die Unabhängigkeit des Beraters. Das kann alle Arten von Beratung, auch solche von unabhängigen Beratern in anderer hauptamtlicher Beschäftigung treffen. Die Gefahr dürfte aber für den oben speziell angesprochenen Kreis besonders groß sein, wenn bei Wegfall der laufenden Gutachtenaufträge ganze Abteilungen aufgelöst und ihre Mitarbeiter entlassen werden müßten. Es zeigt sich mithin, daß die Unabhängigkeit des Gutachters ein auch heute noch sehr aktuelles Problem darstellt. Es ist nicht einfach zu lösen, besonders wenn man, wie erforderlich, auch die dabei auftretenden Finanzierungsprobleme berücksichtigt.
"Robinson Crusoe" von D. Defoe und "Insel Felsenburg" von J. G. Schnabel als Archetypen sozialökonomischer DarsteUungsmuster Von Werner Pascha Wissenschaftliche Politikberatung wird von verschiedenen Faktoren geprägt. Ein von Ökonomen relativ wenig beachteter Aspekt ist die Einbindung in stereotype Darstellungsmuster. Dieser Frage wollen wir im folgenden nachgehen. Dazu wählen wir einen eher ungewöhnlichen Weg: Wir identifizieren zwei unterschiedliche "Muster" anhand zweier Romane mit entwicklungsökonomischem Hintergrund, nämlich Daniel Defoes "Robinson Crusoe" und Johann Gottfried Schnabels "Insel Felsenburg" . Vielleicht eröffnet sich gerade durch diesen "produktiven Umweg" - um ein Diktum von Theodor Dams zu gebrauchen - ein Zugang zu den Tiefenschichten des angesprochenen Fragenkreises.
A. Darstellungsmuster als Hintergrund wissenschaftlicher Politikberatung Wissenschaftliche Politikberatung ist in allgemein anerkannte Darstellungsmuster eingebunden - jedenfalls dann, wenn sie zur Kenntnis genommen werden will. Besonders deutlich wird das am Beispiel Japans, wo die Institution der wissenschaftlichen Beiräte ganz spezifische, kulturhistorisch mitbestimmte Formen angenommen hat, die aus dem wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozeß kaum wegzudenken sind. I Die wissenschaftliche Begleitung des politischen Prozesses in der westlichen Welt wird u. E. von zwei Darstellungsmustem geprägt, die zum Teil im Wettbewerb miteinander stehen. In Anlehnung an Begriffe von A. Spiethoff2 kann die eine als Beratung auf der Basis reiner Theoriebildung (R-Typus), die andere als Beratung auf der Basis anschaulicher Theoriebildung (A-Typus) bezeichnet werden. I Vgl. etwa Foljanty-Jost, Gesine: Infonnelles Verwaltungshandeln: Schlüssel effizienter Implementation oder Politik ohne Politiker?, in: U. Menzel (Hg.): Im Schatten des Siegers: Japan, Band 3, Frankfurt 1989, S.171-190. 2 Spiethoff, Arthur: Anschauliche und reine volkswirtschaftliche Theorie und ihr Verhältnis zueinander, in: E. Salin (Hg.): Synopsis. Festgabe für Alfred Weber, Heidelberg o. J., S. 567 - 664.
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Beim R -Typus sind reine, aus der abstrakten Theorie bekannte Zusammenhänge Ausgangspunkt der Analyse. Stärke einer solchen Argumentation ist der hohe Bestätigungsgrad der verwendeten Kausalketten. Schwachpunkte sind die Schnittstellen zur erlebten Wirklichkeit: Fraglich ist, ob alle relevanten Aspekte des realen Problemfeldes in die "reine" Arena der Analyse übertragen und die Ergebnisse in praktikable Handlungsempfehlungen übersetzt werden können. Der A-Typus geht umgekehrt vor. Er versucht, das reale Problemfeld in allen relevanten Aspekten seiner Komplexität zu erfassen. Erst im zweiten Schritt werden möglichst gut bestätigte abstrakte Argumente berücksichtigt, wobei nötigenfalls "weiche", d. h. nur auf Plausibilitäten beruhende Gedankengänge eingefügt werden. Stärke dieses Ansatzes ist seine Praxisnähe. Schwächen sind (fast immer zu erwartende) Unschärfen in der Argumentation, die seine interpersonelle Kritikfähigkeit einschränken. Aufgabe dieses Beitrags ist es zu zeigen, wie tief dieser perspektivische Unterschied zwischen A- und R-Denken reicht. Wir identifizieren den R-Typus mit einer aus der angelsächsischen Ökonomik herrührenden Betrachtungsweise, die davon geprägt wird, einzelne Zusammenhänge möglichst zu isolieren. Historische Wurzeln einer A-Argumentation sehen wir eher in der deutschen Tradition nationalökonomischen Denkens, das schon im Kameralismus bzw. in der Staatswissenschaft immer eine praktische Relevanz anstreben mußte. Man ist versucht, diese Unterschiede an herausragenden wirtschaftswissenschaftlichen Werken aus den jeweiligen Darstellungsmustern nachzuweisen, etwa die holistisch geprägten Historischen Schulen den reduktionistischen Lehren von Ricardo oder Marshall gegenüberzustellen. Bald würde man sehen, daß die Diskrepanz zwischen A und R nur unter großen Mühen an nationalen Unterschieden festzumachen ist. Der angelsächsische Raum besaß etwa auch einen Malthus oder einen Veblen, zumal eine genauere Lektüre von Marshall eine überraschend holistisch-institutionalistische Schärfentiefe dieses oft zu vordergründig interpretierten Autors offenbart. Die reduktionistisch-mechanische Grenznutzenschule ist maßgeblich im zentraleuropäisch-deutschsprachigen Raum, etwa von der Lausanner Schule, mitgeprägt worden. Trotzdem erweist sich gerade an populären Werken, daß unterschiedliche Darstellungsmuster am Werke sind. Belegen läßt sich dieser Gedanke anhand zweier Romane aus England und Deutschland - an belletristischer Literatur freilich, die einen "ernsthaften" Hintergrund hat: Sowohl Defoes ,,Robinson Crusoe" wie Schnabels "Insel Felsenburg" befassen sich mit der Entstehung einer insularen Volkswirtschaft; beide können als soziale Utopie und als Entwurf einer Entwicklungstheorie gelesen werden. (Zumindest von Defoe ist tatsächlich die Intention bekannt, nationalökonomische Einsichten auf populäre Weise zu verbreiten). Gerade am Erfolg der beiden Werke, an der Weltgeltung des "Robinson" und an der Position der "Insel Felsenburg" als wichtigstem und beliebtestem deutschem Roman zwischen Simplicissimus und den Werken Wielands läßt sich
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ablesen, daß diese "entwicklungsökonomischen Entwürfe" das untergründige Denken und Empfinden eines großen Publikums trafen. Die frappanten Unterschiede zwischen beiden Werken lassen darüber hinaus eine gänzlich unterschiedliche Sicht des sozialökonomischen Kosmos erkennen. Vor einer weitergehenden Interpretation sollen die beiden Romane jedoch zunächst vorgestellt werden.
B. "Robinson Crusoe" und "Insel Felsenburg": zwei "Entwicklungsromane" im Überblick Defoes "Robinson" ist nach der Bibel das Buch mit der zweithöchsten Gesamtauflage. 3 "The Life and Strange Surprising Adventures of Robinson Crusoe, of York, Mariner", der erste Teil des Gesamtwerks, erschien erstmals 1719. Er handelt von dem jungen Robinson, der Heim und Land gegen den erklärten Widerspruch seiner Eltern verläßt, zahlreiche Abenteuer durchlebt, u. a. in Sklaverei gerät, sich daraus aber befreit, in Südamerika eine erfolgreiche Plantage aufbaut, auf der Überfahrt nach Afrika (zum Sklavenkauf) schiffbrüchig wird, 28 Jahre auf einer einsamen Insel haust, gegen Ende dieser Zeit den Eingeborenen Freitag vor Kannibalen rettet, schließlich nach England zurückkehrt und bürgerlich wird. Bekannt und populär geworden ist dieser erste Teil. Im Zentrum steht die Geschichte, wie sich Robinson an das "Ökotop" einer Tropeninsel in der OrinokoMündung vor Venezuela erfolgreich anpaßt. Bereits im Erscheinungsjahr dieses ersten Teils, 1719, wurden als zweiter Teil "The Farther Adventures of Robinson Crusoe", 1720 dann als dritter Teil "Serious Reflections" publiziert, eine Art Aufsatzsammlung mit moralisierender Tendenz. Der zweite Teil handelt von Robinsons Rückkehr auf die Insel. Inzwischen hat sich dort eine größere Zahl von Menschen angesiedelt: schiffbrüchige Spanier, ehemals meuterische Engländer sowie Eingeborene, darunter Freitags Vater. Die Entwicklung dieser Kolonie wird Robinson berichtet. Insbesondere geht es um die Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen, um die Entwicklungsvorteile verschieden organisierter Teilgruppen und die Entstehung von Institutionen wie Eigentum und Recht. Obwohl hier interessante Ansätze einer evolutorischen Staats- bzw. - allgemeiner - Institutionentheorie angelegt sind, hat dieser Teil nur vier Auflagen erlebt. Noch bei einem heutigen Kritiker heißt es vom 2. und 3. Teil: "These two books are, in comparison with the first part, of diminishing interest and were so regarded at the time".4 Nur der erste und relativ am einfachsten bzw. vordergründigsten strukturierte Teil des ,,Robinson" ist in ein typisches Darstellungsmuster eingebunden und 3 Defoe, Daniel: The Life and Adventures of Robinson Crusoe, Erstausgabe 1719, zitiert nach der Ausgabe Harmondsworth 1985. 4 Ross, Angus: Introduction, geschrieben 1965, in: Defoe, 1985, S. 10.
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koppelt es positiv zurück. Lediglich diese Erzählung wurde bekannt, und selbst dabei spielt bis heute im "kollektiven Bewußtsein" eigentlich nur die Geschichte der sukzessiven Aneignung technischer Effektivität bzw. Effizienz durch das isolierte Individuum eine Rolle (die Figur des Freitag ist nur Beiwerk, wie wir später noch zeigen werden). Die "Insel Felsenburg"5.6 hat eine kompliziertere Entstehungsgeschichte, was mit der Komplexität des Werkes selbst in Zusammenhang steht. 1731 erschien der erste von vier Teilen, die "Wunderliche FATA einiger See=Fahrer, absonderlich Alberti Julii, eines gebohrnen Sachsens, Welcher in seinem 18den Jahre zu Schiffe gegangen, durch Schiff=Bruch selb 4te [!] an eine grausame Klippe geworffen worden ... ". Der Kurztitel "Insel Felsenburg" stammt von einer späteren Bearbeitung durch Ludwig Tieck. Der im Titel erwähnte Albert Julius wird mit drei Gefährten auf eine unbewohnte Insel verschlagen, die in ihrem Innern so fruchtbar ist, daß ein relativ sorgenfreies Leben möglich wird. Voraussetzung ist die Schaffung eines funktionsfähigen Sozialgefüges. Das gelingt erst, als zwei der vier Gestrandeten tot sind. Kinder werden geboren, ausgewählte Individuen von außen kooptiert, so daß ein blühendes Gemeinwesen entsteht. Die vier Teile bestehen hauptsächlich aus Lebensbeschreibungen der neu auf die Insel Gekommenen. Nach Mühsal und Elend, oft Verwaisung und abgebrochener Ausbildung, erleben sie die Insel als Ort einer konfliktfreien Selbstverwirklichung. Die "technischen" Probleme des Überlebens stehen - anders als im "Robinson" - nicht im Mittelpunkt der Geschichte. Dies wird in der Anlage des Romans dadurch unterstützt, daß die Insel bereits von einem (längst verstorbenen) Spanier bewohnt war, der schriftlich fixierte Verhaltensregeln und einen Schatz hinterlassen hat - sogar eine Laube findet sich, in der die Schiffbrüchigen Trost finden können. Aus entwicklungstheoretischer Perspektive unterscheiden sich die beiden Romane also vor allem dadurch, worin der grundsätzliche "bottleneck" einer erfolgreichen Entwicklung gesehen wird: Im ,,Robinson" steht die Aneignung technischer Effektivität und Effizienz im Vordergrund, die im wesentlichen vom einzelnen zu leisten ist. Schnabel dagegen betont die Rolle eines konstruktiven Zusammenlebens der Individuen. Es ist Voraussetzung dafür, daß von einem erfolgreichen "Modell Felsenburg" gesprochen werden kann: Albert Julius ist weniger als Individuum wichtig, wird auch kaum - anders als Robinson - als differenzierter Charakter dargestellt, sondern ist der Stammvater eines Geschlechtes von Felsenburgern.
5 Schnabel, Johann Gottfried: Die Insel Felsenburg, Erstausgabe 1731, Text nach der 1966 von P. Gugisch herausgegebenen Ausgabe, Frankfurt 1988. 6 Schnabel, Johann Gottfried: Die Insel Felsenburg oder Wunderliche Fata einiger Seefahrer, Text nach der Ausgabe von L. Tieck, 2 Bände, München o. J.
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Kann der "Robinson" im wesentlichen also als individual-bezogen, die "Insel Felsenburg" dagegen als sozial-bezogen betrachtet werden, so hat das weitreichende Konsequenzen für andere Aspekte, die mit (wirtschaftlicher) Entwicklung verbunden sind. Wir wollen sie unter den Stichwörtern -
Beziehung der Individuen,
-
Rolle der Gemeinschaft,
-
Rolle der Religion,
-
Konzept von Entwicklung bzw. Evolution
diskutieren.
C. Beziehung der Individuen Der "Robinson" ist in Ich-Form geschrieben und drückt allein dadurch eine individualistische Haltung aus. Andere Menschen bleiben merkwürdig blaß; sie werden holzschnittartig gezeichnet und sind "Inventar~' für den Fortgang der Erzählung. Selbst die Beziehung zu Freitag ist nicht sehr differenziert. Das wird bereits an der Namensgebung deutlich, wobei die Verwendung des Wochentages "Freitag" nur wenig persönlicher als eine Nummer ist. Interessanterweise ist dies von Wezel, 7 dem deutschen Übersetzer und Redaktor des Textes, offenbar als "soziales Defizit" begriffen worden: Bei ihm gibt Robinson dem befreiten jungen Eingeborenen einen "richtigen" Namen, nämlich Franz. Es wundert wenig, daß der später gerettete Vater von Freitag im Roman überhaupt keinen Namen erhält. Wenig mitfühlend wird auch die überraschende Rettung Robinsons und Freitags von der Insel behandelt: Freitags Vater ist gerade mit einem Spanier unterwegs und weiß nichts von der plötzlich möglichen Rettung des Sohnes. Im Text fällt kein Wort über den (wohl anzunehmenden) Schmerz des Sohnes beim Einschiffen; nicht in einem Satz wird reflektiert, ob Freitag auf den Vater warten, bzw. bei seinem Vater zurückbleiben soll. Sexualität spielt im ,,Robinson" keine Rolle. Von daher bleibt die Empfindung von Einsamkeit einigermaßen konturlos. Erst auf der vorletzten Seite des ersten Teils des Romans, nach der Rückkehr nach England, heiratet Robinson, und zwar - wie er bekennt - "not either to my disadvantage or dissatisfaction".8 Bereits in der übernächsten Zeile stirbt die Frau allerdings; im zweiten Teil ist Robinson wieder alleine. Keine tiefe menschliche Bindung stört seinen kühl ökonomisierenden Blick. Gefühlswallungen sind damit aus dem wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bezugsrahmen des Werkes weitgehend verbannt. 7 Wezel, Johann Karl: Robinson Crusoe, hrsg. von A. Klingenberg, 2. Aufl., BerlinOst 1990. 8 Defoe, S. 298.
6 Festgabe Th. Doms
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Ganz anders liest sich in dieser Hinsicht die "Insel Felsenburg" . Die komplexen Psychen und persönlichen Hintergründe der eingebürgerten Neu-Felsenburger stehen im Mittelpunkt und prägen sogar die Gliederung des Romans. Da gibt es die Lebensgeschichte des Kapitäns Wolfgang, des Mathematikers Litzberg, des Drechslers Herrlich, sogar die einer persischen Prinzessin Mirzamanda aus Kandahar usw. Die Dramatik menschlicher Beziehungen ist auch zentral bei der Gründung des Gemeinwesens. Vier Menschen retten sich nach einem Schiffbruch auf die Insel: der reiche Holländer van Leuven, Concordia Plürs, die von ihm ein Kind erwartet (beide wollten nach Ostindien, weil sich Concordias Eltern einer Heirat widersetzten), der junge Sekretär van Leuvens, Albert Julius, und der Schiffskapitän Lemelie. Lemelie ist begierig auf Concordia und schlägt vor, daß sich die drei Männer angesichts ihrer Lage die einzige Frau teilen sollten. In blinder Eifersucht bringt er van Leuven um. Als er sich an Concordia vergreifen will, eilt ihr Albert zu Hilfe; Lemelie verletzt sich tödlich am eigenen Messer. Concordia trauert um van Leuven, ist nach 14 Monaten jedoch bereit, Alberts Frau zu werden. Damit folgen beide der Einsicht in ihre besondere Situation: "Durch Tugend und Vernunft purifiziert, wird die Liebe ausdrücklich von der Wollust getrennt". 9
D. Rolle der Gemeinschaft Schnabels Kernproblem besteht mithin darin, wie Gemeinschaft (oder Gesellschaft) entstehen kann, ohne daß bohrende Skrupel und negative Spätfolgen das "System" zersetzen. Zwei Modelle werden vorgestellt. 10 Einerseits Lemelie, der den entstandenen rechts freien Raum als Chance eines "everything goes" versteht. Er scheitert, denn die regellos ausgelebten Triebe führen ins Verderben. Concordia und Albert setzen einen "Gesellschaftsvertrag" dagegen, der sogar in Form eines Eides und mittels ausgefeilter Vermählungsriten symbolträchtig kodifiziert wird. Im Laufe des Romans entsteht sogar ein Staatswesen, das weitgehend patriarchalisch vom "Urvater" Albert Julius geführt wird. Gegliedert ist es in einzelne Stämme, die arbeitsteilig angelegt sind. Die Notwendigkeit einer effektiven Organisation der Gemeinschaft ergibt sich insbesondere durch die immer drohende Gefahr eines Überfalls auf die wohlhabende Insel - sie manifestiert sich in einem (abgeschlagenen) Angriff der Portugiesen. Schnabels Staatsutopie entspricht seiner Zeit, dem Barock, und ist wenig originell. Immerhin vertritt er keinen unbegrenzten Absolutismus; gerade in der komplizierten Regelung von Alberts Nachfolge werden rechtsstaatliche Prinzipien sichtbar. 9
Müller, Götz: Gegenwelten. Die Utopie in der deutschen Literatur, Stuttgart 1989,
S.79. 10
Müller, S. 78 ff.
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Defoes "Robinson" bietet wiederum ein fast diametral entgegengesetztes Bild. Die Entstehung von staatenähnlichen Kleingruppen spielt zwar im zweiten Teil eine gewichtige Rolle, doch ist dieser Erzählstrang nie populär geworden. Im relevanten ersten Teil ist ein differenziertes Verständnis von Gemeinschaft fast ausgeklammert. Die Kannibalen werden nur als amorphe Masse wahrgenommen (v gl. Abb. 1 11 ). Den Kämpfen verfeindeter Stämme steht Robinson verständnislos gegenüber. Ein weiteres Indiz: Für Robinsons Bemühungen ums Überleben sind die vom Schiff geretteten Werkzeuge und anderen Ausrüstungsgegenstände zentral. Dies erkennt Robinson zwar an, reflektiert aber nicht, daß er sein Überleben mithin "Vorleistungen" der Gesellschaft verdankt. Betont wird dagegen immer, wie wenig er seine früher "in Gesellschaft" erworbenen Kenntnisse unter den neuen Umständen einsetzen kann.
Abb. 1. Robinson und die Gesellschaft: Kannibalen am Strand von Robinsons Insel Quelle: Holzschnitt von Ludwig Richter zur 1848 erschienenen Ausgabe von Joachim Heinrich Campes Robinson-Bearbeitung; Campe 1978, S. 35. 11 aus: Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Ein Lesebuch für Kinder, Erstausgabe 1779, hier zitiert nach der Ausgabe Dortmund 1978.
6*
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Diese Sicht ist nicht nachträglich von uns hineininterpretiert; das Werk wurde bereits zur Zeit seines Entstehens in ähnlicher Weise als durchaus politisch verstanden. Im 18. Jahrhundert distanzierte sich die gebildete Mittelschicht inklusive der Gentry zunehmend vom zentralen London und seiner Kultur. Die Ausprägung des englischen Parks als Zufluchtsort des Einzelnen vor der Gesellschaft fällt in diese Zeit. Die Figur des Robinson war optimal in dieses Umfeld eingepaßt. Es verwundert nicht, daß reiche Parkbesitzer zeitweilig sogar verschrobene Einzelgänger als "Robinsone" ansiedelten, um die Authentizität ihres Refugiums noch zu steigern.
E. Rolle der Religion Die Behandlung der Religion kann als Testfall dienen, wie den Einzelnen transzendierende Nutzen- bzw. Wertvorstellungen betrachtet werden. Beide Romane sind aus der Sicht eines protestantischen Christentums geschrieben. Im "Robinson" wirkt die Religion allerdings einigermaßen aufgesetzt. Stürme und andere Unbilden bei Robinsons ersten Schiffspassagen werden als Ankündigung kommenden Unheils gedeutet. Solche Vorstellungen wollen kaum zum common sense-Pragmatismus passen, den die Titelfigur ansonsten in vorbildlicher Weise verkörpert. Der christliche Glaube dient Robinson auf seiner einsamen Insel im wesentlichen als geistiger Halt. Eine über "erbauliche" Sentenzen hinausreichende Funktion kommt der Religion jedoch nicht zu. (Lediglich im zweiten Teil findet sich eine Passage, in der eine primitive, im Sinne Max Webers, "magische" Religiosität aus den konkreten Lebensbedingungen des Insellebens abgeleitet wird. Dieses ist aber wiederum der nicht sonderlich erfolgreiche und kaum zitierte Teil des Gesamtwerkes). Marx hat im Band I des Kapitals ähnliche Vorbehalte angemeldet. Er setzt sich (lobend) mit den "produktionstheoretischen" Aspekten des "Robinson" auseinander, interpretiert ihn als frühen Anklang einer Arbeitswertlehre, kritisiert aber "the useless or unpractical parts of his theory, illustrated in his religious life, which are merely comforting". 12 Wir können der Verteidigung Defoes durch Ross nicht folgen, daß "This is only to say that Defoe makes Crusoe a man and endows hirn with life". 13 In der conditio humana geht es um entschieden mehr als um die Ergänzung eines Ich-bezogenen Pragmatismus durch ein inkonsistentes religiöses Schwärmerturn. "Menschlich" wird Robinson höchstens da, wo das typische Weltbild des Bürgers einfühlsam vermittelt wird - etwa dort, wo Robinsons Vater den Mittelstand als den glücklichsten Stand überhaupt apostrophiert. Stets steht das "Ich" im Mittelpunkt allen Denkens. Wo sich ein Konflikt anbahnen könnte, ergreift Robinson Partei - für sich selbst. Aufschlußreich ist die Stelle, wo Robinson mit einem jungen Schwarzen, Xury, aus der Sklaverei flüchtet und ihr kleines Boot von einem europäischen Schiff gerettet wird. Der 12
13
Ross, S. 16. Ebenda, S. 16.
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(freundliche) Kapitän will den Jungen als Leibsklaven behalten. Robinson stimmt dem zu; Kameradschaft aufgrund der gemeinsam durchstandenen Gefahr zählt offenbar nicht sehr viel. Er bedingt sich nur aus, daß Xury nach zehn Jahren aus der Sklaverei entlassen wird - sofern er den christlichen Glauben annimmt. Lediglich in der deutschen Übersetzung von Wezel ringt Robinson eine halbe Seite lang mit sich, ob seine Zustimmung wohl korrekt sei; in Defoes Text kommt fast kein Mitgefühl mit dem jungen "Heiden" zum Ausdruck. In der "Insel Felsenburg" wird die Religion bedeutend organischer behandelt. Oberflächlich gelesen enthält der Roman zwar eine Reihe abstruser Überzeichnungen. Die etwas penetranten Predigttexte des (Theologie-) Magisters Schmelzer hat schon Tieck weitgehend aus seiner Version der "Felsenburg" getilgt. Der Katholik und Franzose Lemelie wird als Erzbösewicht schlechthin gekennzeichnet; offenbar ist es für den Protestanten Schnabel nur ein kleiner Schritt vom "Papismus" zum Lügen und Betrügen, Inzest, Kinder- und Elternmord. Auf einer grundlegenderen Ebene jedoch ist die Religiosität eine integrale Voraussetzung für das Gelingen des sozialen Projektes Felsenburg. Lernelies Egozentrismus wird im rechtsfreien Raum der unbewohnten Insel durch keinen moralischen Imperativ gezügelt. Gewalt und Untergang sind die Konsequenz. Albert und Concordia überleben nicht nur, sondern werden zur Wurzel einer funktionstüchtigen Gemeinschaft, indem sie transzendente Werte anerkennen und umsetzen. Sie folgen nicht ihrer kurzfristig "Nutzen spendenden" Lust, sondern einer von außen an sie herangetragenen Moral, deren Weisheit sie im Moment zwar nicht zureichend abschätzen können, die längerfristig aber die Wohlfahrt einer immer größeren Zahl von Individuen fördert. Schnabel gefällt sich darin, die Verkommenheit der Welt außerhalb der Felsenburg in sehr farbigen Schilderungen vornehmlich erotischer Abenteuer darzustellen. Diese für den Fortgang der Handlung nicht unbedingt zentralen Episoden (die dem Erfolg des Buches jedoch kaum abträglich waren), sind jedoch der Gesamtaussage eindeutig untergeordnet. Die sündigen Einzelnen werden "gerettet", indem sie aufgenommen werden in die Gemeinschaft der Insel und in ihre nicht in Frage gestellte religiöse Moralität. Schon bei der Gründung der Insel steht die Überwindung der individuellen (Nutzen stiftenden) Lust Pate. Nur die Moralität in der Gemeinde ermöglicht Glück. Der einsame Spanier, der Jahre vor der Ankunft der vier Schiffbrüchigen auf der Insel verstorben war, hat zwar (zum Ende seines Lebens) vorbildlich gelebt, er verließ die Welt aber in Einsamkeit. Nicht einmal seine Beerdigung konnte er (als letzter Überlebender einer gestrandeten Gruppe) sicherstellen. Erst Albert und Concordia konnten sein irdisches Leben angemessen vollenden.
F. Konzept von Entwicklung bzw. Evolution Wenn es in beiden Büchern insgesamt um die Entstehung einer Inselökonomie und -gesellschaft geht, so wird in der Anlage des Handlungsablaufs sichtbar,
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welches Konzept von historischer Entwicklung die Autoren haben. Der "Robinson" folgt einer klaren Linie, vom Aufbruch aus York bis zur Rückkehr nach England. Der Aufenthalt auf der einsamen Insel ist eine gut strukturierte Abfolge von Anpassungsleistungen, mit denen Robinsons Ein-Mann-Ökonomie zunehmend technische Kompetenz und Komplexität gewinnt. Es macht wenig Mühe, eine geistige Linie bis zu Bela Balassas immer noch aktueller Stufentheorie der komparativen Vorteile zu zeichnen.l4 Bei Robinsons Weggang von der Insel sind die Möglichkeiten einer weiteren wirtschaftlichen Entwicklung auf der Basis der verfügbaren Werkzeuge weitgehend ausgeschöpft. Grundlegende Innovationen, die der Entwicklung eine neue Richtung geben könnten, sind zumindest in diesem ersten Teil nicht vorgesehen. Als der "steady state" nahe ist, verläßt der Akteur den "Modellrahmen" und macht damit eine Auseinandersetzung mit der Enge des "Modells" überflüssig. Schnabels Roman ist wesentlich unübersichtlicher - und spiegelt damit die schier unüberschaubare Komplexität seines Erfahrungsobjektes, des menschlichen Lebensprozesses, wider. Der Roman besteht im wesentlichen aus einzelnen Lebensgeschichten. Fast ist man geneigt, darin eine Vorwegnahme der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Methode der Fallstudiensammlung zu sehen, die immer dann gewählt wird, wenn gesetzmäßige und allgemeine Kausalverflechtungen (noch) nicht hinreichend vermutet werden können. Gebündelt werden die verschiedenen Einzelschicksale durch den sozialen Ort der Insel. Anfang und Ende der Geschichte sind recht offen gehalten. Am Anfang des Romans steht ein "Quereinstieg": Ein fIktiver Herausgeber (Schnabel alias Gisander) berichtet, er habe ein Rohmanuskript von einem flüchtigen Bekannten, dieser wiederum von Eberhard Julius erhalten, einem Neffen des Stammvaters Albert, den dieser auf die (zu dem Zeitpunkt bereits gegründete) Inselkolonie eingeladen habe. Von der Gegenwartsebene des Romans fIndet also ein Rückschritt zur Gründung der Felsenburg und sogar noch zu deren Vorgeschichte (über die Lebensgeschichte des einsamen Spaniers) statt. Im abschließenden, vierten Teil des Romans wird die Insel angegriffen. Zwar wird die Attacke abgeschlagen, doch "ist die Zeit utopischer Idylle vorbei",15 denn ein erneuter Eingriff von außen ist jederzeit möglich. Oft wird diese Offenheit des Romans als Schwäche interpretiert, was sie unter literaturimmanenten Kriterien vielleicht auch ist. Der Evolutionsgedanke menschlichen Zusammenlebens kommt jedoch dadurch besonders gut zum Ausdruck: Gegenwart ist der Knotenpunkt zwischen den verschiedenen Strängen aus der Vergangenheit und den vielfältigen zukünftigen Kontingenzen, womit ein Zentralgedanke neueren institutionalistischen Denkens 16 in diesem Barockroman implizit berücksichtigt ist. 14 Balassa, Bela: A "Stages Approach" to Comparative Advantage, in: I. Adelman (Hg.): Economic Growth and Resources. Proceedings of the 5th World Congress of the ffiA in Tokyo, 1977, Vol. 4, London and Basingstoke 1979, S. 121-156. 15 Müller, S. 81. 16 Fusfeld, Daniel R.: The Conceptual Framework of Modern Economics, in: Journal of Economic Issues, Vol. XIV, No. 1, März 1980, S. 1-52.
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G. Schlußfolgerungen Wir haben den Gedanken verfolgt, daß sich im "Robinson" und in der "Insel Felsenburg" trotz gleichen Genres gänzlich unterschiedliche Herangehensweisen nachweisen lassen, die unterschiedliche Darstellungsmuster bezüglich sozioökonomischer Zusammenhänge widerspiegeln. Im erfolgreichen (ersten) Teil des "Robinson" steht das modeme, auf sein Ego bezogene Individuum im Vordergrund. Ökonomisieren ist auf das Problem der technischen Anpassung an die gegebene Umwelt reduziert. Komplexe Perspektivwechsel durch die Eigendynamik gesellschaftlichen Wandels sind ausgeklammert. Die "Insel Felsenburg" geht den umgekehrten Weg. Zentrales Problem erfolgreicher wirtschaftlicher Entwick1ung ist die Stabilisierung und Fruktifizierung zwischenmenschlicher Beziehungen. Entsprechende Prozesse sind deshalb als komplexe Bündelung einzelner Stränge zu verstehen. Das technische Problem produktiven Arbeitens ist sekundär, ergibt sich aus der erfolgreichen Bewältigung der sozialen Kernfrage. Mit der Einnahme einer dieser beiden Positionen sind wesentliche Parameter der Erzählform vorgegeben bzw. zumindest nahegelegt. Der "Robinson" ist als übersichtlich-lineare Gedankenfolge formulierbar, wobei kaum bewußt wird, wie nachlässig außerhalb des Haupterzählstrangs angesiedelte Aspekte wie die Religiosität oder das soziale Empfinden Robinsons behandelt werden. "Die Insel Felsenburg" ist komplexer geschachtelt, was der Realität zwar näher sein mag, jedoch anstrengender zu lesen, weniger einprägsam und unschärfer in der Aussage ist. Unschwer sind diese Formen in wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten des A- oder R-Typus wiederzuerkennen. Überlegungen auf der Basis reinen Theoretisierens (R-Typ) isolieren das Problem des technischen Ökonomisierens aus dem Gesamtspektrum sozial wirtschaftlicher Realität. Die Verkettung solcher Gedanken läuft auf übersichtliche "Erzähl"stränge im Sinne eines flüssigen "storytelling" hinaus. Dies kann aber die soziale Bedingung und Einbindung allen Wirtschaftens nur auf krude Weise abbilden. Genau dem bemüht sich anschauliches Argumentieren (A-Typ) entgegenzuwirken. Schon die Form wird dadurch allerdings oft unübersichtlich, die Aussagen mehrdeutig oder gar beliebig. Gerade im Interesse einer funktionstüchtigen wissenschaftlichen Politikberatung sollte nach "Verbundwegen" gesucht werden, welche die Vorteile beider Darstellungsmuster vereinen. Inzwischen können dafür über Spiethoffs weitgehend uneingelöste Forderung nach Verbundtheorien hinaus zusätzliche Hinweise gegeben werden. Zu denken ist etwa an die sogenannte "kohärentistisch-systematische" Methodologie des Philosophen Nicholas Rescher 17 zur Verknüpfung von Daten und Theorien in umfassenden und einheitlichen Netzwerken. Für eine Aufarbeitung und Nutzbarmachung solcher Ansätze ergibt sich freilich noch ein großes Aufgabenfeld für die Theorie der Wirtschaftspolitik. 17
Vgl. z. B. Rescher, Nicholas: Die Grenzen der Wissenschaft, Stuttgart 1984.
Agrarpolitik
Zielkonflikte der Agrarreform Zimbabwes Regierung und Großlandwirte vor einer neuen Landumverteilung Von Peter von Blanckenburg
A. Einführung Seit den 70er Jahren spielen Agrarreformen, die mit Landumverteilung verbunden sind, in Entwicklungsländern eine untergeordnete Rolle. Sehr viele Länder, besonders asiatische, haben zuvor solche Reformen durchgeführt. Die Erfolge waren, gemessen an den wirtschaftlichen Zielsetzungen, mäßig. Positive Beispiele waren vor allem Reformen, bei denen weniger eine Abänderung der Betriebsgrößenstruktur als vielmehr die Überführung von Pacht- in Eigentumsbetriebe im Vordergrund stand. 1.2 In Afrika besteht weniger als in den anderen Entwicklungsregionen Anlaß für Bodenbesitzreformen. Es gibt dort nur wenige Länder, in denen landwirtschaftliche Großbetriebe von größerer Bedeutung sind oder waren, vor allem Kenia und die südafrikanischen Länder Namibia, Zimbabwe und die Republik Südafrika. Handlungsbedarf existiert sonst in Schwarzafrika am ehesten hinsichtlich der Überführung des Gemeineigentums an Land in Agrarverfassungsformen, die für eine modeme und nachhaltige Bodenbewirtschaftung geeignet sind. In Zimbabwe, in naher Zukunft wohl auch in Namibia, ist die Landumverteilung allerdings ein aktuelles Thema. Wie Tabelle 1 zeigt, sind 11,3 Mio. ha, d. h. 34 % des landwirtschaftlich genutzten Landes in Zimbabwe in der Hand von 4800 überwiegend weißen Großlandwirten (Large Commercial Farmers), während 800 000 Kleinbauern (Communal Farmers) sich auf 16,4 Mio. ha (50% der landwirtschaftlichen Fläche) drängen. Sowohl politisch wie sozial ist diese Ungleichverteilung nicht tragbar, zumal die Bevölkerung in den sogenannten I Binswanger, H. P.I Elgin, M.: Reflections on Land Reform and Fann Size, in: Eicher, C. K.I Staatz, J. M. (Eds.): Agricultural Development in the Third World, 2nd ed., Baltimore 1990. 2 von Blanckenburg, P.: Agrarreform und wirtschaftliche Entwicklung, in: Buchholz, H. E.I von Urff, W. (Hrsg.): Agrarpolitik im Spannungsfeld der internationalen Entwicklungspolitik, Sehr. d. Ges. f. Wirtseh. u. Sozialwissenschaften d. Landbaues, Band 11, München 1974.
Peter v. Blanckenburg
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communallands unaufhaltsam zunimmt. Die Landfrage war auch einer der wichtigsten Gründe für den Befreiungskampf der schwarzen Bevölkerung im damaligen Südrhodesien in den 60er und 70er Jahren. Der Bevölkerung sind vor der 1980 erreichten Unabhängigkeit wie auch in den Folgejahren immer wieder Versprechungen einer umfangreichen Landverteilung gemacht worden. Tabelle 1
Landbesitzstruktur in Zimbabwe 1989
Kleinbauern auf communal lands Kleine kommerzielle Landwirte Siedlungsbauern
Anzahl
1000 ha
Anteil an landw. Fläche in %
800000
16355
49,6
8600
1400
4,2
52000
3090
9,4
884
2,7
11270
34,1
32999
100,0
Staatliches, halbstaatliches, Genossenschaftsland Große kommerzielle Landwirte
4800
Quelle: Min. of Lands, Agriculture and Rural Resettlement, Harare; Commercial Farmers' Union, Harare.
Sofort nach der Unabhängigkeit wurde ein Siedlungsprograrnm für zunächst 18 000 Siedler aufgestellt. Es wurde 1982 durch den Plan der Seßhaftmachung von mindestens 162000 Siedlerfamilien auf 9 Mio. ha Land ersetzt. 9 Mio. ha bedeuteten 60 % des damaligen Großbetriebslandes. Aus einer Reihe von Gründen blieb die tatsächliche Ansiedlung weit hinter dem Ziel zurück. Insgesamt konnten bis 1989 nur 52000 Familien auf 3,2 Mio. ha seßhaft gemacht werden. Dabei war das Tempo der Siedlung in den ersten Jahren größer als in den letzten. Die geringen Erfolge - im Mittel 6000 Siedlerbetriebe pro Jahr - haben zu Unmutsäußerungen in der Bevölkerung und zur Skepsis hinsichtlich des Spielraumes der Regierung für weitere Refoimmaßnahmen geführt. Viele Großlandwirte gaben sich der Hoffnung hin, daß die Umverteilung nicht ernsthaft weiter betrieben werden würde. Im Zusammenhang mit den Zehnjahresfeiern der Unabhängigkeit Zimbabwes im Jahr 1990 gewann das Thema indes neue Aktualität. Im Lancaster HouseAbkommen von 1979, das zur Unabhängigkeit und Befriedung Zimbabwes führte, gab es einige Bestimmungen, die das Landverteilungsprogramm des 1. Jahrzehnts stark beeinfIußten: -
das" willing seIler - willing buyer" -Prinzip, nach dem weder der Eigentümer noch die Regierung zur Transaktion gezwungen waren
Zielkonflikte der Agrarrefonn in Zimbabwe -
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das Recht des aufgebenden Landwirtes, sich unter bestimmten Bedingungen die Entschädigung in harter Währung auszahlen zu lassen.
Diese Bestimmungen konnten zehn Jahre nach der Unabhängigkeit aufgehoben werden. Zur Wiederbelebung der Reformbemühungen trugen auch die erwähnte Unruhe in der Bevölkerung, die stark wachsende Arbeitslosigkeit, besonders unter jungen Schulabgängern, und - von der Realität bis 1991 allerdings widerlegte - Befürchtungen des Aufkommens neuer politischer Parteien bei, die der Regierungspartei ZANU / ZAPU gefährlich werden könnten. Im Juli 1990 verkündete der Landwirtschaftsminister W. M. P. Mangwende ein neues Programm, dessen wesentliche Punkte waren: 1. Ankauf von 5 - 6 Mio. ha Großbetriebsland für Siedlungszwecke. An der erwähnten Gesamtzahl von 162000 Siedlerstellen wurde festgehalten. Es sind also noch 110 000 Stellen zu schaffen. 2. Das Prinzip der Preisabsprache zwischen Verkäufer und kaufender Regierung wird aufgegeben. Die Regierung beabsichtigt, einen "fairen" Preis festzusetzen. Der Verkäufer kann gegen die Preissetzung kein Gericht anrufen. 3. Das "willing seller - willing buyer"-Prinzip entfällt. Die Regierung kann bestimmen, welche Betriebe sie aufkaufen will. Eine in der Diskussion befindliche Maßnahme ist das "designated lands"-Konzept, wonach größere, eine Anzahl von Großbetrieben umfassende Areale aufgekauft werden, die dann die Schaffung umfangreicher Siedlungsprojekte gestatten. Das letztgenannte Konzept konkurriert mit anderen in der Diskussion befindlichen Enteignungskriterien, nämlich sich zu konzentrieren auf -
un- und untergenutztes Land
-
Land, das freiwillig zum Verkauf angeboten wird
-
Land sehr großer Landeigentümer (Festsetzung einer Obergrenze des Besitzes) Zweit- und Drittbetriebe einzelner Eigentümer
-
Betriebe, deren Eigentümer nicht im Lande wohnen
-
Land, das multinationalen Konzernen gehört.
In dem auf die Verkündung folgenden Jahr ist dieses Programm innerhalb der beteiligten Regierungsstellen und mit den Organisationen der Groß- und Kleinlandwirte diskutiert worden. An die Wissenschaft ist die Regierung zwecks Beratung bis zur Mitte des Jahres 1991 nicht herangetreten. Das entspricht dem herrschenden kühlen Verhältnis zwischen der Regierung und der Universität Zimbabwes. Innerhalb des Department of Agricultural Economics and Extension der University of Zimbabwe hat der Autor dieses Beitrages eine auch auf die Reformpolitik bezogene Pilotstudie zur Situation der Großlandwirte durchgeführt. 3
94
Peter v. Blanckenburg
Ersichtlich ist aus der bisherigen Diskussion, daß die Regierung auch gegenüber anderen geäußerten Vorstellungen an den wesentlichen Teilen des skizzierten Programms festhält, daß sie andererseits aber bestrebt ist, Entscheidungen über die Implementierung nicht schnell zu treffen, vielmehr die Optionen abzuwägen. Darin unterscheidet sie sich von der Handlungsweise der meisten vor Agrarreformen stehenden Regierungen der sechziger Jahre, die bei Umverteilung von Land bevorzugt politische Ziele, aber weniger wirtschaftliche Rückwirkungen radikaler Umverteilungen im Auge hatten. Der Landwirtschaftsminister hat in der ersten Ankündigung des Programms im Parlament im Juli 1990 allerdings die Bereitschaft der Regierung zur Hinnahme eines "trade-off some growth for equity" bekundet. In den folgenden Abschnitten soll zunächst den Gründen für das Verhalten der zimbabweschen Regierung und weiterhin den Reaktionen der betroffenen Großlandwirte - dies anhand einiger Ergebnisse der eigenen Studie - nachgegangen werden. B. Ziele der Agrarreform und ihre Realisierungsmöglichkeiten Agrarreformen haben verschiedene Ziele: politische, soziale und wirtschaftliche. 4 Sie werden nicht immer alle offen deklariert. Politische Ziele können Änderungen der bestehenden Machtverhältnisse, Brechung des Einflusses von Feudalherren und Großgrundbesitzern, Beendigung der Unterdrückung von Kleinbauern oder eine Verringerung des Unruhepotentiales in der Landbevölkerung sein. Zu den sozialen Zielen gehört vor allem größere Gleichheit im Zugang zu den Landressourcen und im Einkommen. Die Lebenschancen unterprivilegierter Kleinbauern und Landarbeiter sollen verbessert werden. Es sollen mehr Menschen auf dem Lande beschäftigt werden. Wichtige wirtschaftliche Ziele sind eine erhöhte Agrarproduktion, verbesserte Produktivität der Landwirtschaft, Marktintegration und Einkommensverbesserung. Niemals werden alle genannten Ziele mit gleicher Intensität angestrebt, und häufig treten auch Zielkonflikte, insbesondere zwischen politischen und wirtschaftlichen Zielen auf. I. Die politische Komponente in Zimbabwe Was ist im Fall Zimbabwe relevant? Das bei vielen Reformen mit Umverteilung im Vordergrund stehende Ziel der politischen Entmachtung der Großlandwirte ist, zumindest seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, nicht von größerer 3 von Blanckenburg, P.: The situation of Zimbabwe's large commercial farmers in a period of structural change. Working paper, Dept. of Agricultural Economics and Extension, Univ. of Zimbabwe, Harare 1991. 4 Kuhnen, F.: Agrarreform und Sied1ungswesen, in: von Blanckenburg, P. (Hrsg.): Handbuch der Landwirtschaft und Ernährung in den Entwicklungsländern, 2. Aufl. Band 1, Stuttgart 1982, S. 331 f.
Zielkonflikte der Agrarreform in Zimbabwe
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Bedeutung. Bei einer Gesamtbevölkerung von 9 Mio. Menschen fallen die weniger als 5 000 large commercial farmers zahlenmäßig nicht ins Gewicht. Nachdem kurz vor oder nach der Unabhängigkeit viele Weiße, die den neuen politischen Kräften feindselig oder skeptisch gegenüber standen, das Land verlassen haben, bemüht sich die Masse der Großlandwirte um Neutralität gegenüber der Regierung und der Regierungspartei, und in vielen Bereichen kooperieren sie bereitwillig. Das wird vom Präsidenten Mugabe honoriert. Politische Konfrontationen sind selten. Der Verband der Großlandwirte, die Commercial Farmers' Union (CFU), vertritt mit Nachdruck die wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder, bemüht sich aber, einer politischen Isolierung der Großlandwirte entgegenzuwirken. "Government cooperation with the CFU was possible because, even though it represented the most thoroughly conservative group in the country, the Union's leadership saw - before any element of white society did - the necessity of having a constructive relationship with the new black government." 5 Die CFU ist ein wichtiger Verhandlungspartner des Landwirtschaftsministers in Produktions- und Agrarpreisfragen. Dabei bringt sie die starke wirtschaftliche Stellung der Großlandwirte, über die noch zu reden ist, zur Geltung. Das neue Umverteilungsprogramm bringt erhebliche Belastungen des Verhältnisses von Regierung und Großlandwirten mit sich. Jedoch sind bisher beide Seiten bemüht, allzu große Schärfen in der Diskussion zu vermeiden. Ob sich das aufrecht erhalten läßt, wird von der Informationspolitik und den schließlichen Enteignungsmaßnahmen im neuen Programm abhängen, die bis zur Mitte des Jahres 1991 noch nicht bekannt waren. 11. Geringe Chancen für soziale Verbesserungen
Wie die wesentlichen politischen Ziele werden auch soziale Ziele der Reform hoch bewertet. Es geht darum, mehr selbständige Existenzen auf dem Land zu schaffen und den Bevölkerungsdruck in den sehr dicht besiedelten communal lands zu verringern. Ob das letztere angesichts der bestehenden Größenordnungen möglich ist, ist eine andere Frage. In Zimbabwe nimmt altersbedingt das Arbeitskräftepotential jährlich um 4,4%, d. h. um mehr als 140000 Arbeitssuchende zu. Da das Arbeitsangebot im sekundären und tertiären Sektor der Volkswirtschaft sich nur geringfügig vergrößert, müßte die Masse der neuen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft Arbeit finden. Es liegt angesichts der erwähnten quantitativen Ziele und des bisher in der Ansiedlung Erreichten auf der Hand, daß über die Landumverteilung keine nennenswerte Entlastung des Arbeitsmarktes und auch der communallands geschaffen werden kann. Das ist auch der Regierung bewußt, es wird allerdings offiziell nicht ausgesprochen. 5
Herbst, J.: State politics in Zimbabwe, Harare 1990 (Univ. ofZimbabwe Publ.), S. 85.
96
Peter v. Blanckenburg
III. Hauptproblem: Die starke Stellung der Betriebe in der Volkswirtschaft
Einer zügigen Umverteilung stehen vor allem Hindernisse im wirtschaftlichen Bereich entgegen. Die Großbetriebe haben eine sehr starke Position in der Volkswirtschaft. Die 4800 Betriebe, die, wie gesagt, 34% der landwirtschaftlichen Fläche innehaben, erbringen: -
68 % der landwirtschaftlichen Bruttoproduktion
-
82 % des Marktbeitrages an pflanzlichen Erzeugnissen
-
94 % des Marktbeitrages an tierischen Erzeugnissen 86 % der Exporterlöse aus landwirtschaftlichen Produkten 36 % der Gesamtexporterlöse des Landes.
Allein der Tabak, der fast vollständig von Großbetrieben produziert wird, liefert 20% der Deviseneinnahmen Zimbabwes (Angaben des Landw. Ministeriums bzw. der CFU). Der sonst in Entwicklungsländern vielfach angetroffene Befund semifeudaler, extensiv bewirtschafteter Großbetriebe trifft auf Zimbabwe nicht zu. Zwar könnten viele Ländereien, die jetzt der Weide wirtschaft dienen, auch im Ackerbau genutzt werden, oder die Viehdichte könnte erhöht werden. Jedoch liegen zu wenig Forschungsergebnisse und praktische Erfahrungen vor, welche Intensivierung angemessen wäre, ohne die bisher gegebene Nachhaltigkeit der Produktion zu beeinträchtigen und der auf Flächen anderer Landnutzergruppen weit verbreiteten Bodenerosion Raum zu geben. Die Masse der Großbetriebe wird äußerst effizient bewirtschaftet. Sie machen auch umfangreichen Gebrauch von Bewässerung, die in den communal lands bisher kaum Fuß gefaßt hat. In Verbindung mit der Tatsache, daß ein erheblicher Teil der Großbetriebe sich in den Naturregionen 11 und III konzentriert, in denen Bodenqualität und Niederschläge überdurchschnittlich sind, während die Masse der communallands-Bauern unter sehr viel ungünstigeren Bedingungen produziert, hat das zu großen Unterschieden im Produktivitätsniveau geführt. Beim Mais, der Hauptnahrungsfrucht des Landes, liegen z. B. die Durchschnittserträge der Großbetriebe siebenmal so hoch wie die der communallands-Bauern. Selbst unter vergleichbaren physischen Anbaubedingungen sind die Großbetriebserträge immer noch doppelt so hoch wie die der Kleinbauern. 6 An dieser Stelle liegt der Hauptzielkonflikt der zimbabweschen Regierung. Je schneller und radikaler diese bei der Umverteilung von Land vorgeht, desto eher sind nachteilige volkswirtschaftliche Effekte zu erwarten. Zur gleichen Zeit mit dem neuen Agrarrefonnprogramm hat die Regierung ein gesamtwirtschaftliches 6 Gasper, D.: What happened to the land question in Zimbabwe? Rural reform in the 1980s. Working paper No. 91, Institute of Social Studies, The Hague 1990, S. 7.
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Strukturanpassungsprogramm, verbunden mit wirtschaftlicher Liberalisierung, eingeleitet. Das verlangt Anspannung aller Ressourcen und Vertrauen inländischer und ausländischer Investoren in die wirtschaftliche Entwicklung. Rückschläge im Agrarsektor wären gefährlich für das gesamtwirtschaftliche Programm. Eine Umverteilung, bei der die Hälfte des Großbetriebslandes (5 - 6 von 11 Mio. ha Land) enteignet wird, muß sowohl die Nahrungsversorgung wie die Exporterlöse stark gefährden, es sei denn: -
die Regierung verwirklicht das Programm in langsamen Schritten, was aus politischen Gründen problematisch ist,
-
die Siedler erreichen bald eine den Großbetrieben nahekommende Produktivität, was angesichts der sehr unbefriedigenden Leistungen der bisher geschaffenen Siedlerbetriebe unwahrscheinlich ist,
-
die communallands-Landwirtschaft kann schnell zu einer höheren Produktivität geführt werden und Ausfalle der großbetrieblichen Landwirtschaft wettmachen. Angesichts der Strukturprobleme in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und der oft sehr mangelhaften Wirtschaftsführung dürfte auch das erst langfristig erreichbar sein.
Zur Zeit der Niederschrift dieses Beitrages ist noch nicht klar zu erkennen, wie die Regierung sich verhalten wird, ob sie also erhebliche wirtschaftliche Verluste in Kauf nimmt oder ob sie das Enteignungsverfahren zeitlich so weit streckt, daß Anpassungsprozesse erleichtert und negative wirtschaftliche Effekte damit minimiert werden. C. Die CFU-Strategie
Welche Strategie schlägt nun die CFU als Vertreterin der Interessen der Großlandwirte ein, und wie reagieren diese individuell? Aus dem Bestreben, die Zusammenarbeit mit der Regierung nicht zu gefährden, hat die CFU sich scharfer Stellungnahmen zu dem Programm von 1990 enthalten. Im Januar 1991 hat sie in Harare eine Großkundgebung durchgeführt, an der nahezu 4 000 Farmer und Angehörige teilgenommen haben. Die Auseinandersetzung mit dem Agrarreformprogramm wurde seitens des Präsidenten der CFU wie des erwidernden Landwirtschaftsministers maßvoll geführt. Indes wurde der tiefe Schock, den das Programm bei den Großlandwirten hervorgerufen hat, deutlich gemacht. 7 Insgesamt verfolgt die CFU mehrere Ansätze. Über Stellungnahmen zu den möglichen negativen Effekten der Reformdurchführung versucht sie, die Regierung zur Mäßigung zu bringen. Sie bemüht sich auch, Variationen einzubringen, 7
Commercial Farmers' Union: Proposals for land refonn for Zimbabwe, CFU, Harare
1991.
7 Festgabe Th. Dams
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die dem Programm den Zwangscharakter nehmen. Sie hat verschiedene eigene Vorschläge für die Planung des Programms entwickelt. Dabei kann sie freilich, um Konflikte mit und zwischen den Mitgliedern zu vermeiden, keine detaillierten Vorschläge unterbreiten, wie bei der Enteignung vorzugehen sei. Sie betont aber ihre Bereitschaft, die bei den Großlandwirten vorhandene Expertise bei der Planung des Programms und darüber hinaus bei der Ansiedlung und Betreuung der Siedler einzubringen. Ein zweiter Ansatz ist die Aufrechterhaltung der Zusammenarbeit mit den beiden anderen Bauernverbänden, der großen und einflußreichen Farmers' Association of Zimbabwe, die die Kleinbauern vertritt, und der weniger bedeutsamen, die sm all commercial farmers vertretenden Zimbabwe National Farmers' Union. Die CFU, die NFAZ und die ZNFU arbeiten über ein Joint Presidents' Agricultural Committee zusammen. Sie haben verschiedene gemeinsame Stellungnahmen zur Agrarpolitik und zur Landfrage erarbeitet. Einige Aspekte des neuen Umverteilungsprogramms, so auch das erwähnte "designated lands"-Konzept, sind von der NFAZ kritisiert worden, und es sind Forderungen nach Ergänzung des Umverteilungsprogramms durch eine entschiedene Mobilisierung der communal landsLandwirtschaft erhoben worden. Das Gesamtprogramm hat dieser Verband jedoch begrüßt. 8 Eine dritte, weniger offenbare Bemühung der Großlandwirte richtet sich an die Adresse des Auslandes, insbesondere an die Regierung und die Wirtschaftsvertreter des United Kingdom. Die Regierung Zimbabwes ist daran interessiert, finanzielle Unterstützung für das Ansiedlungsprogramm vom Ausland zu erhalten. Die Großlandwirte gehen davon aus, daß das am ehesten zu erwarten ist, wenn die Reform gemäßigt durchgeführt und die Volkswirtschaft nicht zu sehr geschwächt wird. Da die Regierung für ihr neues Strukturanpassungsprogramm in hohem Maß auf Investitionen des Auslandes angewiesen ist, hoffen die Landwirte, daß vom Ausland Impulse für ein behutsames Vorgehen in der Reform kommen.
D. Die Stimmung unter den Großlandwirten In welcher psychologischen Situation befinden sich nun die von dem Programm betroffenen Großlandwirte? Zur Mitte des Jahres 1991 hatte die Regierung, wie gesagt, das Enteignungsprogramm noch nicht bekanntgegeben, und die Landwirte waren im Unklaren über die vorgesehene Implementierung. Die vom Verfasser zwischen Februar und April 1991 durchgeführte Befragung einer Stichprobe von 52 Großlandwirten aus vier verschiedenen Regionen des Landes hatte u. a. die Einschätzung ihrer Situation und die aus dem Reformprogramm gezogenen 8 National Farmers' Association for Zimbabwe: Proposals for a sustainable land reform programme, NFAZ, Harare 1991.
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Schlußfolgerungen zum Inhalt. 9 Die Studie ist nicht repräsentativ für die Gesamtheit der zimbabweschen Großlandwirte, gibt aber sicher in der Gruppe verbreitete Grundhaltungen und Auffassungen wieder. Im Hinblick auf die Enteignungsfrage ist zunächst von Bedeutung, wie stark die Landwirte im Beruf und auf ihrem Hof verwurzelt sind. Die jetzt bewirtschafteten Betriebe waren 1991 im Mittel 45 Jahre im Familienbesitz, ein Zeitraum, der, gemessen an europäischen Verhältnissen, kurz erscheinen mag, für Afrika jedoch bemerkenswert lang ist. Es ist verständlich, daß die Besitzerfamilien sich ihrem Land verbunden fühlen. Fast alle Befragten hängen an ihrem Beruf. Vier Fünftel sind mit ihrer Tätigkeit als selbständiger Landwirt sehr zufrieden, und nahezu alle (50 von 52) erklärten, sie gingen ganz in ihrem Beruf auf. Drei Viertel der Befragten erwarten, daß ein Sohn oder ein anderer naher Anverwandter den Betrieb einmal weiterführen wird. Diese Beobachtungen machen deutlich, daß das Agrarreformprogramm die Landwirte hart treffen muß, zumal sie kaum berufliche Alternativen haben. 90 % der Befragten erklärten, die Großlandwirte seien durch die Bekanntgabe des neuen Programms tief betroffen, bestürzt oder demoralisiert. Sie sind auch hinsichtlich der Weiterführung ihrer Betriebe verunsichert. Allerdings ist damit keine durchgehende Ablehnung des Programms verbunden. Vier Fünftel der Befragten akzeptieren, daß die Regierung gezwungen ist, die Verteilung des Landbesitzes zu ändern. Selbst für den Plan, die Hälfte des Großbetriebslands zu verteilen, zeigten 40 % Verständnis, wenngleich meistens mit inhaltlichen und methodischen Einschränkungen. Allerdings hielten mehr als ein Drittel negative Folgen der Programmdurchführung für unvermeidbar. Der Rest machte Vorschläge, wie solche negativen Effekte minimiert werden könnten. Diese Vorschläge bezogen sich auf den Modus des Landerwerbs (Ablehnung des "designated lands"-Konzeptes, zu enteignende Kategorien von Landwirten, die von der Regierung zu zahlende Entschädigung). Die Ungewißheit, wie die Regierung hier vorgehen wird, macht den Landwirten zu schaffen und hat bereits zu einigem Vertrauensverlust geführt. Viele andere Vorschläge galten der Siedlerauswahl und der Sicherung einer guten Bewirtschaftung durch die Siedlerbetriebe. Die Frage, welche Konsequenzen die Landwirte aus den neuen Reformplänen für ihre eigene Betriebsführung zögen, wurde mit Besonnenheit beantwortet. Fast zwei Drittel (63%) erklärten, sie hätten keine Wahl, als den Betrieb so wie bisher weiter zu führen. Der Rest hatte vor allem eine Reduzierung der Investitionstätigkeit im Auge. Ein sofortiges Abstoßen des Betriebes, so es denn möglich wäre, wird offenbar nicht erwogen. Drei Viertel der Befragten glauben, daß der Großbetriebssektor seine starke Stellung in der Volkswirtschaft kurzfristig halten wird. Mit Blick auf die fernere Zukunft wird das stärker bezweifelt.
9
7'
von Blanckenburg, P., 1991, S. 40 ff.
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Aus dem dargestellten Teil der Befragungsergebnisse läßt sich das Resume ziehen, daß die Mehrheit der befragten Landwirte Verständnis für die politische Notwendigkeit der Agrarreform aufbringt. Im eigenen Interesse hoffen sie auf Mäßigung der Regierung in der Durchführung und verweisen auf die Labilität der zimbabweschen Wirtschaft, die durch eine größere Schwächung des Großbetriebssektors stark gefährdet werden würde. Die GrundeinsteIlung der befragten Landwirte zum Staat Zimbabwe und zur Regierung läßt sich, das zeigen weitere Befragungsergebnisse, auf die Kurzformel "skeptisch, aber loyal" bringen. Demzufolge ist bisher kein Übergang zu einer "Ohne mich"-Haltung zu erkennen. Andererseits gibt es bisher offenbar kaum Überlegungen unter den Großlandwirten, wie eine optimale Agrarstruktur aussehen könnte. Der status quo ist - noch - ihre beste Lösung. Nach der Stimmungslage in der ersten Hälfte des Jahres 1991 ist es wahrscheinlich, daß der Berufsverband, die CFU, wie auch die nicht unter die Enteignung fallenden Landwirte die Kooperation mit der Regierung voll aufrecht erhalten werden.
E. Mutmaßungen über das zukünftige Vorgehen der Regierung Die Regierung beabsichtigt offensichtlich, die bisher praktizierte Zusammenarbeit mit den Großlandwirten fortzuführen. Bei einer weitgehenden Umverteilung wäre diese kaum aufrechtzuerhalten. Wenn sich nicht in der Regierung radikalere Kräfte durchsetzen, spricht vieles dafür, daß ein dosiertes, auf die wirtschaftlichen Erfordernisse langsamer Anpassung Rücksicht nehmendes Reformtempo eingeschlagen wird. Diese These wird auch dadurch gestützt, daß im Regierungshaushalt bisher keine größeren Mittel für die Umverteilung eingeplant worden sind. Ebenso wenig sind bis zur Mitte des Jahres 1991 nennenswerte institutionelle und personelle Vorbereitungen (Schaffung von Siedlungsbehörden, Erarbeitung von Grundsätzen einer Siedlungspolitik, Kreditversorgung, Vergrößerung des landwirtschaftlichen Beraterpersonals) getroffen worden. Es ist daran zu erinnern, daß viele Agrarreformen wegen ungenügender Vorbereitungen dieser "Bodenbewirtschaftungsreform" (Otto Schiller) in große Schwierigkeiten geraten sind. Eine breit angelegte, schnelle Umverteilung würde auch in Zimbabwe ähnliche Probleme mit sich bringen.
F. Zusammenfassung Die zimbabwesche Agrarstruktur ist durch einen extremen Dualismus gekennzeichnet. 4 800 leistungsfähigen Großbetrieben, die 34 % der landwirtschaftlichen Fläche bewirtschaften, stehen 800 000 Kleinbauern gegenüber, die sich in 50 % der Fläche teilen. Bisherige Bemühungen um eine Umverteilung haben keine grundlegende Änderung der Grundbesitzverhältnisse gebracht. Die Regierung
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hat 1990 ein neues Agrarreformprogramm verkündet, nach dem die Hälfte des derzeitigen Großbetriebs landes von 11,3 Mio. ha aufgeteilt werden soll. Die Regierung befindet sich in einem Konflikt zwischen politischen und sozialen Zielen auf der einen und wirtschaftlichen Zielen auf der anderen Seite. 10 Der landwirtschaftliche Großbetriebssektor trägt weit über seinen Flächenanteil hinaus zur Versorgung der Nation mit Nahrung und Rohstoffen sowie vor allem zur Erzielung von Exporterlösen bei. Bei einer Halbierung der Flächen wären erhebliche volkswirtschaftliche Verluste unvermeidbar, es sei denn, die Umverteilung würde über einen langen Zeitraum gestreckt. Die Großlandwirte sind wegen des Programmumfanges bestürzt, halten jedoch einstweilen an der bisher praktizierten Kooperation mit der Regierung fest. Für die These, daß die Regierung bei der Programmdurchführung langsam vorgehen wird, spricht die bisher fehlende finanzielle und institutionelle Vorbereitung der Umverteilung sowie die wirtschaftliche Notwendigkeit, größere Störungen des anlaufenden Strukturanpassungsprogramms zu vermeiden.
10 Roth, M.: Analysis of agrarian structure and land use patterns, Zimbabwe Agric. Sector Memorandum, Background Paper, World Bank, Washington 1990.
Der landwirtschaftliche Großbetrieb mit vielen Arbeitskräften - ein Irrweg kommunistischer Agrarpolitik Von Adolf Weber
A. Einleitung Die Agrarstrukturpolitik kommunistischer Parteien hat nach dem Zweiten Weltkrieg in der Weltlandwirtschaft für mehrere Jahrzehnte einen ungewöhnlichen Einfluß ausgeübt. Im Jahre 1978 arbeiteten mehr als 40% aller in der Weltlandwirtschaft Beschäftigten unter der von kommunistischen Parteien geschaffenen Agrarstruktur. Die Agrarpolitik kommunistischer Parteien hatte mit ihrer einfachen, aber eindeutigen Rhetorik einer gerechteren Bodenbesitzverteilung und dem landwirtschaftlichen Großbetrieb weite Kreise fasziniert. Landzuteilung an Besitzlose und Mechanisierung der Landwirtschaft durch Großbetriebe wurden für Anhänger und Beobachter zu einem erstrebenswerten Maßstab sozialer Gerechtigkeit sowie erwarteter technischer und ökonomischer Effizienz. Mit der ab 1979/80 erfolgenden Rückkehr Chinas zur individuellen Landbewirtschaftung verliert das Sowjetmodell kollektiver Landbewirtschaftung seine Bedeutung. 1 Der Zusammenbruch der Alleinherrschaft kommunistischer Parteien in Osteuropa seit dem Herbst 1989 hat nunmehr eine breite Öffentlichkeit damit vertraut gemacht, daß die von kommunistischen Parteien inspirierte Agrarpolitik der Schaffung landwirtschaftlicher Großbetriebe einem strukturpolitischen Irrweg gleichkam. In dem Beitrag wird erörtert, welche strukturpolitischen Ideen und Realisationen der Agrarpolitik kommunistischer Parteien die mangelnde ÜberlebensflOligkeit beim Übergang zum marktwirtschaftlichen System hervorriefen. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Angelpunkte kommunistischer Strukturpolitik: die Bodenbesitzreform und Kollektivierung in der Sowjetunion und den anderen Ländern Osteuropas.
1 Dao Chen / Xie Liefang / Yao Chaohui: The Rural Economy, in: Xu Guochua / Peel (Hrsg): The Agriculture of China, Oxford University Press, Oxford 1991, S. 192.
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B. Die Angelpunkte kommunistischer Agrarstrukturpolitik: Bodenbesitzreform und Kollektivierung der Landwirtschaft I. Zum Gegenstand und Begriff von Bodenreformen
Bodenrefonnen gab es zu allen Zeiten und in nahezu allen Ländern. Die unterschiedlichsten Ziele und Motive liegen ihnen zugrunde. 2 Die griechischen Refonnen unter Solon und Pisistratus befreiten beispielsweise die Bauern von der Schuldenlast, die römischen Refonnen der Gracchen zielten auf die Verteilung des Gemeindelandes zur Schaffung freier Ackerbauern. Die französische Revolution führte zur Beschlagnahme des Kirchenlandes, des Verkaufs von Gemeindeland an Bauern und Bürger und zur Abschaffung dinglicher Leistungen und steuerlicher Abgaben an die feudalen Grundeigentümer. Die Stolypinsche Refonngesetzgebung, die ab 1906 im zaristischen Rußland begann, gestattete die Herauslösung bäuerlichen Eigentums aus dem Mir oder der traditionellen Feldgemeinschaft. Die Einschränkung oder Beseitigung des Grundeigentums ethnischer Minderheiten, beispielsweise der Deutschen im Baltikum, in Polen und der Tschechoslowakei, der Ungarn in der Tschechoslowakei und in Jugoslawien kennzeichnen die Refonnen in Osteuropa nach dem Ersten Weltkrieg. Diese Aufzählung früherer Bodenrefonnen ließe sich fortsetzen, doch die obige Aufstellung läßt schon erkennen, daß Geschichte, Geographie und nationale Gegebenheiten einen Einfluß ausüben. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß viele Autoren, die sich mit dem Thema Bodenrefonn befaßt haben, von einer strengen Begriffsdefinition abgeraten haben. 3 Eine zu breite Auslegung des Begriffs Bodenrefonn, wie institutionelle Refonnen des landwirtschaftlichen Beratungswesens, der Bodenbewirtschaftung, des Agrarkredits usw. enthält auf der anderen Seite die Gefahr, daß sie von der allgemeinen Agrarpolitik nicht mehr unterscheidbar wird. Das gilt insbesondere für Bodenbesitzrefonnen in den Ländern europäischer Zivilisation, weil infolge der besseren Chancen zum außerlandwirtschaftlichen Einkommenserwerb die Bodenbesitzverteilung kaum noch in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion rückt. Agrarpolitische Maßnahmen verschiedenster Art bestimmen in diesen Ländern viel stärker das Einkommen und das Geschehen in der Landwirtschaft. Die Herausforderung, die die Agrarprobleme angesichts eines vergleichsweise beschleunigten Bevölkerungswachstums in den Entwicklungsländern stellen, rückten das Interesse an einer Begriffsklärung des Themas Bodenrefonn besonders in das Blickfeld der Vereinten Nationen. Kuhnen kennzeichnet die Bemühun2 Vgl. Tuma, Elias H.: Twenty-Six Centuries of Agrarian Reform. A Comparative Analysis, Califomia University Press, Berkley 1965. 3 Vgl. Frauendorfer, Sigmund von: Bodenreform, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 2, 1959, S. 338, sowie Raup, Philip M.: Land Reform and Agricultural Development, in: Southworth / Johnston, Agricultural Development and Economic Growth, Comell University Press, Ithaca and London 1967, S. 269.
Der landwirtschaftliche Großbetrieb mit vielen Arbeitskräften
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gen wie folgt: "Die Entwicklungsplanung verlangte daher nach einem Konzept, das neben Egalitätsgesichtspunkten auch solche der Produktions- und Produktiv itätssteigerung einschließt. Der neue Begriff "Agrarreform" kann definiert werden als Maßnahmen zur Überwindung der Hindernisse für eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die von Mängeln der Agrarstruktur herrühren. Die so definierte Agrarreform schließt sowohl Änderungen in den Bedingungen des Bodenbesitzes (Eigentum, Pacht etc.) ("Bodenbesitzreform") als auch solche der Organisation der Bodenbewirtschaftung (Betriebsgrößen, Förderungsinstitutionen etc.) ("Bodenbewirtschaftungsreform") ein .... Immerhin besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Agrarreform und allgemeiner landwirtschaftlicher Entwicklungspolitik darin, daß erstere stets auch Umverteilungsmaßnahmen einschließt." 4 11. Bodenbesitzreformen unter kommunistischer Führung
Der Besitz von Land verleiht in einer agrarisch bestimmten Gesellschaft den Familien einen besonderen Status, soziale und wirtschaftliche Sicherheit, und nicht zuletzt politische Macht. Die Wurzeln ungleichen Bodenbesitzes reichen weit zurück. In Europa ist die Verteilung des Bodenbesitzes eine Folge vielfältiger historischer, politischer, geographischer, sozialer und ökonomischer Faktoren. Das Feudalsystem hatte die Agrarverfassung für mehrere Jahrhunderte geprägt. Es gab deshalb bis zum Ersten Weltkrieg auch in Deutschland ein weites Interesse an Bodenbesitzreformen. 5 Diese Bestrebungen fanden ihren Niederschlag u. a. im Reichssiedlungsgesetz von 1919, das eine Zurückdrängung des Großgrundbesitzes über 100 ha durch Schaffung von Neusiedlerstellen in den Großgüterdistrikten Ostdeutschlands vorsah, wo dieser einen höheren Flächenanteil als 10% hatte. 6 Eine revolutionäre oder schlagartige Neuverteilung des Bodens - im Gegensatz zu einer evolutionären oder schrittweisen Neuverteilung - setzt eine starke Regierung voraus. Eine solche besteht gewöhnlich im Zuge oder als eine unmittelbare Folge von Revolutionen (Frankreich 1789, Mexiko 1917, Ägypten 1952), einem politischen Neuanfang nach einem politischen (baltische Staaten ab 1919), militärischen (Preußen 1806) oder wirtschaftlichen (DDR 1990) Zusammenbruch oder bei der Besetzung eines fremden Landes mit der Übertragung der eigenen Wertvorstellungen auf das besetzte Land (z. B. die USA 1945 durch Ablehnung des japanischen Pachtsystems und Bevorzugung der Eigentümer-Landwirtschaft). Die Voraussetzungen uneingeschränkter Exekutivgewalt war nach Kriegsende in Osteuropa in allen Ländern gegeben, deren Verwaltung von der Sowjetunion 4 Kuhnen, Frithjof: Agrarreform und Siedlungsfwesen, in: Blanckenburg, P. von (Hrsg.): Sozialökonomie der ländlichen Entwicklung, 2. Aufl., Stuttgart 1982, S. 330. 5 Vgl. Frauendorfer, S. 336. 6 Vgl. Weber, Adolf: Zur Agrarpolitik in der ehemaligen SBZ/ -DDR. Rückblick und Ausblick, in: Merl / Schinke (Hrsg.): Agrarwirtschaft und Agrarpolitik in der ehemaligen DDR im Umbruch, 1991, S. 56 f.
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eingesetzt oder von ihr gefördert wurde. Es ist deshalb folgerichtig, daß die Gestaltung der Agrarpolitik sich am Sowjetmodell ausrichtete. Die Bodenreform wurde unmittelbar nach Kriegsende in allen von der Roten Armee besetzten Ländern nach einem einheitlichen Grundmuster verordnet. Die Reformeile spiegelt die frühe Erfahrung der Sowjetunion. Dort hatten Bauern und von der Front zurückflutende Soldaten vielerorts bereits vor der Oktoberrevolution begonnen, das Land der Kirchen, Klöster und des Adels auch ohne kommunistische Partei zu nehmen. 7 Lenin bestätigte in seinem Dekret vom 8. November 1917 zur Nationalisierung des Grund und Bodens nur, was in spontanen Aktionen bereits geschehen war. Die kommunistischen Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg wollten deshalb mit ihrem Reformeifer als ausschließliche Initiatoren der Landzuteilung erscheinen. Sie unterstellten, daß auch in den wirtschaftlich viel weiter fortgeschrittenen Staaten wie Deutschland und der Tschechoslowakei ein ähnlicher Landhunger wie im Rußland von 1917 bestünde. Das Erbe des europäischen Feudalsystems ließ sich in fast allen osteuropäischen Ländern noch lange nach der Bauernbefreiung und der Aufhebung von Leibeigenschaft und Grunddienstbarkeiten an der sehr ungleichen Verteilung des Landbesitzes erkennen. Nur Bulgarien machte eine Ausnahme. Hier hatte die mehr als drei Jahrhunderte währende türkische Herrschaft keine Entfaltung eines heimischen Großgrundbesitzes erlaubt. Eine ungleiche Besitzverteilung hatte deshalb schon nach dem Ersten Weltkrieg in Osteuropa Bodenreformen ausgelöst. Sie erfaßten 9 Mill. ha oder 12% der landwirtschaftlichen Fläche. 8 Großbesitz auf der einen Seite und zersplitterte Kleinstbetriebe auf der anderen Seite kennzeichneten daher weiterhin die Agrarstruktur der osteuropäischen Länder. Die nach dem Zweiten Weltkrieg unter sowjetischem Einfluß durchgeführten Bodenreformen erfaßten dagegen weitere 18,6 Mill. ha und somit 25% der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Sie erreichte das Ziel, den Großgrundbesitz zu beseitigen. Anders als in der Sowjetunion wurde der an Landarbeiter, Flüchtlinge und Kleinbauern verteilte Boden in Osteuropa jedoch nicht verstaatlicht oder nationalisiert, sondern formale Rechtstitel wurden an die neuen Besitzer ausgegeben. In der Sicht kommunistischer Parteien hängt die Höchstgrenze des privaten, noch tolerierbaren Bodenbesitzes vom Entwicklungsstand eines Landes ab. Sie lag infolgedessen dort umso niedriger, je weniger Fläche pro landwirtschaftlicher Arbeitskraft zur Verfügung stand wie in China. In den wohlhabenden Ländern, wie der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland, in Polen und der Tschechoslowakei wurden deshalb viel größere Betriebe von der Enteignung und 7 Vgl. Rochlin, R. P. / Hagemann, Ernst: Die Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion und der Volksrepublik China. Eine vergleichende Studie, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Sonderheft 88, Berlin 1971 8 Vgl. Frauendorfer.
Der landwirtschaftliche Großbetrieb mit vielen Arbeitskräften
107
Tabelle 1 Festgelegte Höchstgrenze privaten Grundbesitzes nach Bodenreformgesetzen und Anteil der Bodenreformflächen im sino-sowjetischen EinflußbereichB Land
Jahr
Höchstgrenze in ha LN
Bodenreformfläche als Anteil an der gesamten LN
China Bulgarien Ungarn Jugoslawien Rumänien Tschechoslowakei Polen SBZ
1949 1945 1945 1945 1945 1945 1945 1945
3 10-20 23-35 25-35 50 50 50-lOb 100
48 3 29 9 10 34 43 c 31
Geschichte der empfohlenen Höchstgrenze für Deutschland bei der Übernahme sozialistischer Herrschaft Friedrich Engels KPD-Antrag im Reichstag Bodenreform-SBZ Walter Ulbricht (Vorschlag für Westdeutschland)d
(1890) (1924) (1945) (1966)
ha Räche 20-30 50 100 150
a) Andere Kriterien der Bodenreform kommunistischer Parteien waren: Enteignung der Grundbesitzer mit (Ungarn. Jugoslawien) oder ohne Entschädigung. Belassung von Resthöfen (China) oder vollständige Enteignung (SBZ). Festsetzung des Preises oder auch Schenkung des zugeteilten Landes an die von der Bodenreform begünstigten Bauern. b) Bis zu 100 ha in der Provinz Posen. c) Altes Staatsgebiet 21 %. in den ehemals deutschen Provinzen betrug der Flächenanteil des Bodenreformlandes 94%. d) •.Neues Deutschland". Nr. 110 vom 22.4. 1966. Quelle: Abel. Wilhelm: Agrarpolitik. 2. Auflg. (Grundriß der Sozialwissenschaft. Bd. 11). Göttingen 1958. S. 199. Sigmund von Frauendorfer: Bodenreform. in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften. Bd. 2. Stuttgart. Tübingen. Göttingen 1959. S. 347. -Ergänzt nach verschiedenen Unterlagen.
Aufteilung ausgeschlossen. Die früher in Osteuropa vorherrschende Unterbeschäftigung in der Landwirtschaft. die der Dualismus zwischen Großgrundbesitz und Kleinstbesitz hervorrief, war mit der Bodenreform überwunden. Die Agrarstruktur Osteuropas war der Westeuropas ähnlicher geworden. Bäuerliche Familienbetriebe unterschiedlicher Größe mit zwei bis drei Arbeitskräften herrschten nunmehr auch in Oste uropa vor. III. Durchführung und Ergebnis der Kollektivierung
Unmittelbar nach der Bodenreform vermieden es die installierten Regierungen osteuropäischer Länder, die bäuerliche Bevölkerung offen auf das Ideal kollektiver Landbewirtschaftung hinzuweisen, wie es Karl Marx und Friedrich Engels
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Adolf Weber
bereits in Maßregel 8 des Manifests der Kommunistischen Partei 9 von 1848 gefordert hatten: " ... Errichtung industrieller Armeen für den Ackerbau." IO Erst nach Zurückdrängung des Einflusses sozialdemokratischer und bürgerlicher Parteien begann die planmäßige Vorbereitung. Ab 1949 wurden in allen osteuropäischen Ländern nahezu einheitliche Musterstatuten verschiedener Typen für landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften erlassen. Man unterschied nach dem Grad des Einbringens in die gemeinsame Nutzung von Land, Maschinen und Vieh niedere, mittlere und höhere Formen der Kooperation. Gleichzeitig wurden die größeren Bauernwirtschaften mit höheren Ablieferungsnormen bedacht und zunehmend, wenn sie sich gegen die gemeinsame Landbewirtschaftung wandten, in der staatlichen und parteilichen Agitation als Klassenfeinde behandelt. Die kleinen und mittleren Bauern wurden durch offizielle Verlautbarungen und spezielle Vergünstigungen bei der Ablieferung und der Zuteilung von Produktionsmitteln zum Beitritt e~untert. Man ging zunächst behutsamer als bei Stalins Kollektivierungskampagne vor. Mit der Zeit wuchs jedoch der psycho-politische Druck von Partei, Presse und Staat an. Am Ende der fünfziger Jahre kennzeichnete die kollektive Landbewirtschaftung die Agrarstruktur Osteuropas - mit Ausnahme Polens und Jugoslawiens. Ohne auf Einzelheiten der nach der Kollektivierung erfolgten Umstrukturierung einzugehen, läßt sich die erfolgte radikale Änderung der Betriebsstruktur zwischen West- und Osteuropa an der pro Arbeitskraft zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Nutzfläche und der Zahl der Beschäftigten pro landwirtschaftlichen Betrieb'erkennen (v gl. Tabelle 2). Im Prinzip unterscheidet sich die Faktorausstattung, gemessen an der Fläche pro Arbeitskraft, zwischen EG- und RGW-Ländern nur geringfügig gemäß Geschichte, Geographie und Entwicklungsstand, es ist die traditionelle europäische Faktorausstattung mit Land. Gravierend ist jedoch die durch die Kollektivierung willkürlich geschaffene Betriebsstruktur. In den EG-Ländern geht die Zahl der Arbeitskräfte pro Betrieb kaum über zwei hinaus. Nicht als Ergebnis eines wirtschaftlich begründeten Leistungsprozesses oder des Strukturwandels, sondern ausschließlich durch die von kommunistischen Parteien veranlaßte Strukturpolitik konnten in Osteuropa die überdimensionierten landwirtschaftlichen Großbetriebe mit Hunderten von Arbeitskräften entstehen.
9 Vgl. Marx:, Karl / Engels, Friedrich: Manifest der Kommunistischen Partei, in: dies., Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd. I, Berlin 1970. IO Vgl. Weber, Adolf: Der landwirtschaftliche Großbetrieb mit vielen Arbeitskräften in historischer und internationaler vergleichender Sicht, in: Berichte über Landwirtschaft, Heft 52/ I, 1974, S. 57 - 80; ders., 1991, S. 54 und Wädekin, Karl-Eugen: Sozialistische Agrarpolitik in Osteuropa. I. Von Marx: bis zur Vollkollektivierung, in: Giessener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des Europäischen Ostens, Band 63, 1974, S. 45 ff., sowie ders.: Agrarwirtschaft in sozialistischen Ländern, Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), 2. Band, 1977, S. 195 - 211.
Der landwirtschaftliche Großbetrieb mit vielen Arbeitskräften
109
Tabelle 2 Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe und Beschäftigten pro Betrieb EG und RGW-Länder 1985
Land
Landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) pro Beschäftigten ha
Belgien Dänemark Deutschland (BR) Frankreich Griechenland Irland Italien Luxemburg Niederlande Portugal Spanien Vereinigtes Königreich
10,8 16,6 8,8 16,5 3,9 28,4 5,7 16,4 7,5 7,8 12,2 29,8
Bulgarien DDR Polen Rumänien Tschechoslowakei Ungarn UdSSR
2,8 7,1 4,1 5,1 7,6 8,7 24,2
Beschäftigte pro landwirtschaftlichen Betrieba
EG-Länder
RGW-Länder
1,3 1,8 1,8 1,6 1,1 0,8 0,8 1,8 2,0 1,3 1,1 2,2 2348 201 1,3 587 471 495 467
a) Als landwirtschaftliche Betriebe gelten in den RGW-Ländern (ohne Polen) die Kollektivwirtschaften (Produktionsgenossenschaften) und die Staatsgüter. Privatbetriebe spielen - neben den Staatsgütern nur in Polen eine Rolle. Quelle: Die Lage der Landwirtschaft in der Gemeinschaft, Bericht 1987, Kommission der Europäischen Gemeinschaft (Hrsg.), Brüssel- Luxemburg 1988, T /20-21. FAO, Produktion Yearbook 1986. - Zentrum flir kontinentale Agrar- und Wirtschaftsforschung der Justus-Liebig-Universität Gießen (Hrsg.), RGWAgrargrunddaten. Statistische Angaben zur Entwicklung der Landwirtschaft in den europäischen Mitgliedsländen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe. 3. Aufl., Gießen 1987.
Da es im Zuge der Umwandlung in Großbetriebe nirgends gelang, die Arbeitskräfte im neu geschaffenen Großbetrieb mit ausreichendem Einkommen zu versehen, existierte in allen RGW-Ländern die privat betriebene Hofwirtschaft auf bis zu 0,5 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche. Die neu geschaffenen Großbetriebe führten damit wiederum zu einer dualistischen Agrarstruktur, die viel ausgeprägter war als vor der Bodenreform. Die Arbeitskräfte verteilten deshalb nach dem jeweiligen Einkommensbeitrag ihre Arbeitszeit auf den relativ mechanisierten Großbetrieb und die arbeitsintensive private Hofwirtschaft für die eigene Viehhaltung, den Wein-, Obst- und Gemüseanbau oder beim Direktabsatz ihrer Produkte. Die Erzeugnisse der privaten Hofwirtschaft machten mit etwa 15% wesentlich
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AdolfWeber
weniger aus in der DDR und der CSSR als in Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der UdSSR, wo sie zwischen 27 und 42% der gesamten Agrarproduktion im Jahre 1980 erreichten. 11 Diese Unterschiede sind dadurch bedingt, daß die organisatorische Umwandlung der Agrarstruktur in landwirtschaftliche Großbetriebe die in der Volkswirtschaft vorhandene Faktorausstattung nicht schlagartig ändern kann. Selbst die wohlhabenderen Länder wie die DDR und CSSR konnten nicht das für den Großbetrieb erforderliche Kapital zur Vollbeschäftigung der landwirtschaftlichen Bevölkerung bereitstellen. Der Kleinbetrieb der privaten Hofwirtschaft blieb eine Notwendigkeit des Einkommenserwerbs und der Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln.
C. Zur Beurteilung von Bodenreform und Kollektivierung der Landwirtschaft in agrarpolitischer und ökonomischer Sicht I. Beurteilung von Bodenreformen Die einführenden Bemerkungen haben deutlich gemacht, daß es Reformen der Bodenbesitzverteilung zu allen Zeiten und in allen Gesellschaftssystemen gegeben hat. Die Begründung für eine Reform war stets politischer, sozialer und ökonomischer Natur. Den Ausgangspunkt bildete eine extrem ungleiche Verteilung des Bodenbesitzes oder der Nutzungsrechte. Die sozialökonomischen Argumente für eine Reform des Bodenbesitzes bei einer ungleichen Besitzverteilung stützten sich auf das Argument, daß in Betrieben mit einer unzureichenden Landausstattung pro Arbeitskraft Unterbeschäftigung herrscht. Auf der anderen Seite kann der Großbetrieb fortwährend Arbeitskräfte durch Mechanisierung freisetzen. Das Besondere der Kapitalbildung am Beginn des Entwicklungsprozesses ist es, daß in der Landwirtschaft Arbeit unmittelbar in landwirtschaftliches Boden- und Viehkapital umgewandelt wird. Diese Kapitalbildung geschieht auf diskretionäre Weise 12: Steine sammeln, Wurzeln roden, Terrassieren, Pflanzen züchten oder die Tierhaltung und Tierzucht allmählich verbessern. Landwirtschaftliche Entwicklung braucht deshalb Zeit, sie beinhaltet stets ein säkulares Warten. Massive Investitionen, wie sie bei Industrieanlagen notwendig sind, beruhen nicht mehr auf einer graduellen Umwandlung von Arbeit in Kapital, sondern über Kapital wird unmittelbar verfügt. In der bäuerlichen Familie erfolgen am Beginn der landwirtschaftlichen Entwicklung die Entscheidungen der notwendigen Investitionen direkt über das Konsumniveau und den Arbeitseinsatz. Eine 11 Vgl. Schinke, Eberhard unter Mitarbeit von Zdenek Hunacek: Der Anteil der privaten Landwirtschaft an der Agrarproduktion in der RGW-Ländem, in: Giessener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des Europäischen Ostens, Band
127, 1983.
12 Vgl. Raup, Philip M.: Land Reform and Agricultural Development, in: Southworth / Johnston, Agricultural Development and Economic Growth, Comell University Press, Ithaca and London 1967, S. 275.
Der landwirtschaftliche Großbenieb mit vielen Arbeitskräften
111
gleichmäßige Verteilung des Bodenbesitzes fördert deshalb durch Ausschöpfung des Arbeitspotentials nachhaltig die volkswirtschaftliche Sparkapitalbildung. Die eben geschilderte hohe Wertschätzung, die der Boden als landwirtschaftlicher Produktionsfaktor hat, verliert sich jedoch im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung. Industriell hergestellte Produktionsmittel und der technische Fortschritt verringern die Bodenknappheit. Die Arbeit wird zunehmend knapper und die Löhne steigen mit der zunehmenden Industrialisierung schneller als die Bodenpreise, besonders dann, wenn die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft auch absolut abnimmt. Diese Situation trat in Deutschland kurz vor dem Ersten Weltkrieg ein. Da jetzt jede verbleibende Arbeitskraft zunehmende Flächen oder Viehbestände bearbeiten mußte, beschleunigte sich die Kapitalausstattung pro Arbeitskraft und damit die Mechanisierung der Landwirtschaft. Sobald deshalb die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft auch absolut abnimmt, besteht keine volkswirtschaftliche Notwendigkeit mehr für eine Bodenreform. Dies ist der Fall in allen heutigen Industrieländern. Da außerdem kein Mangel an Nahrungsmitteln mehr besteht, gibt es keinen Grund, die Zahl der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft durch eine Bodenreform erhöhen zu wollen. Außerdem müssen die langfristig überlebensfahigen Betriebe ihre Kapital- und Flächenausstattung pro Arbeitskraft schrittweise erhöhen. Eine Bodenbesitzreform erreichte das Gegenteil oder führte eine Unterbrechung herbei, da der allmähliche Strukturwandel die Selektion der leistungsfahigen Betriebe systematisch durchführt. 11. Beurteilung der Kollektivierung
Während eine Reform der Bodenbesitzverteilung als abhängig vom Entwicklungsstand und den politischen Gegebenheiten eines Landes betrachtet werden muß, läßt sich das für die Kollektivierung der Landwirtschaft grundsätzlich nicht sagen. Sie bleibt eine strukturpolitische Fehlentscheidung. In der Sowjetunion können die kommunistischen Führer das Dilemma einer kollektivierten Landwirtschaft mit Hunderten von Arbeitskräften pro Betrieb offensichtlich noch nicht erkennen. Gorbatschow bekennt zwar, daß die Stalinsche Kollektivierung mit Fehlern und Exzessen behaftet war. Dies kommt einer indirekten Bestätigung des von der Kollektivierung herbeigeführten menschlichen Leidens der Ausweisung vieler Bauernfamilien aus ihrer Heimat und den durch den Produktionsrückgang verursachten Hungertod vieler, vieler Menschen gleich. 13 Wenn Gorbatschow 14 noch 1989 davon ausgeht, daß es ohne Kollektivierung der Landwirtschaft keine Steigerung der Erträge gegeben hätte, so kann das nur in Unkenntnis 13 Vgl. Conquest, Robert: The Harvest of Sorrow. Soviet Collectivization and the Terror-Famine. Oxford University Press, New York, Oxford 1986, S. 117 ff. bzw. 199 ff. 14 Vgl. Gorbatschow, Michael: Perestroika. Die zweite russische Revolution. Eine neue Politik für Europa und die Welt, München 1989, S. 47 f.
112
AdolfWeber
der viel höheren Ertragssteigerungen in anderen Weltteilen behauptet werden. Keine Beweiskraft hat gleichfalls Gorbatschows Ansicht, ohne Kollektivierung hätte es keine so schnelle Industrialisierung in der Sowjetunion gegeben. Das vergleichsweise rohstoffarme Japan mit seinen Kleinstbetrieben bei einem ähnlichen Ausgangsniveau ist der eindeutige Gegenbeweis. 15 Japan ist heute höher und effizienter industrialisiert als die Sowjetunion. Auch ist die sowjetische und osteuropäische Landwirtschaft weder höher noch effizienter in der Feld- und Viehwirtschaft mechanisiert als etwa Japan oder Länder Westeuropas. Der Irrtum sowjetischer Darstellungen liegt in der ungeprüften Auffassung, die Kollektivwirtschaften seien leistungsfähiger als die Familienbetriebe Westeuropas. Es kommt jedoch in der Landwirtschaft nicht auf die Größe der Betriebe, gemessen als Konzentration von Arbeitskräften, Viehbeständen und Sachkapital an, sondern auf die Wertschöpfung je Arbeitskraft, die wiederum vom persönlich verfügbaren Sach- und Humankapital abhängt. Internationale Untersuchungen der Entwicklung der partiellen und der totalen Produktivität in der Landwirtschaft der Sowjetunion und Osteuropas, wie sie von Johnson / Brooks 16, Wong 17 und Lazarcik 18 vorgelegt wurden, weisen eindeutig auf einen gravierenden Rückstand für alle kommunistisch regierten gegenüber marktwirtschaftlichen Ländern hin. Pro Einheit der Produktion werden stets größere Mengen an Ressourcen eingesetzt. Schließlich muß noch ein anderer Nachteil der von der Kollektivierung herbeigeführten Konzentration der Arbeitskräfte in einem landwirtschaftlichen Großbetrieb erwähnt werden. Es ist die Schwerfälligkeit, personen- und sachgerechte Entscheidungen fristgerecht herbeizuführen und die fehlende Möglichkeit, Mitarbeiter hinreichend für hohe Arbeitsleistungen motivieren zu können. Die aufwendige Beschaffung, Verarbeitung und Weitergabe von detaillierten Informationen, die Transporte von Personen, Sachmitteln, Produkten über viele Dörfer und weite Strecken zehren die Vorteile des Großbetriebes schnell auf und verwandeln sich in eindeutige Kostennachteile. Der bäuerliche Vollerwerbsbetrieb in Westeuropa, Nordamerika oder Japan mit bis zu zwei Arbeitskräften ist deshalb nicht nur flexibler und motivierter, er produziert auf jeden Fall kostengünstiger. Damit die durch Großbetriebe geprägte Agrarstruktur lebensfähig war, mußte ein nahezu willkürliches, in den Relationen völlig verzerrtes Erzeugerund Verbraucherpreissystem eingeführt werden. Bei vielen Produkten waren die 15 Vgl. Maddison, Angus: Economic Growth in Japan and the USSR, London 1969, S. 159. 16 Vgl. Johnson, D. G. / Brooks, K. McConnell: Prospects for Soviet Agriculture in the 1980s, Indiana University Press, Bloomington 1983, S. 144 ff. 17 Vgl. Wong, Lung-Fai: Agricultural Productivity in the Socialist Countries. Westview Press, Boulder und London 1986, S. 99 ff. 18 Vgl. Lazarcik, Gregor: Comparative Performance of Agricultural Output, Inputs, and Productivity in Eastem Europe 1965 - 83, in: Brada / Wädekin (Hrsg.), Socialist Agriculture in Transition. Organizational Response to Failing Performance, Westview Press, Boulder und London 1988, S. 31.9 f.
Der landwirtschaftliche Großbetrieb mit vielen Arbeitskräften
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landwirtschaftlichen Erzeugerpreise um ein Vielfaches höher als die Lebensmittelpreise. Das hatte zur Folge, daß steigende Mengen an Lebensmittelsubventionen gezahlt werden mußten. Die fehlende Konvertierbarkeit der Währungen verhinderte eine ökonomische Beurteilung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Die Übersetzung der Landwirtschaft mit Arbeitskräften war damit nicht mehr sichtbar. Mit der Herstellung der Währungsunion am 1. Juli 1990 in Deutschland ist zuerst in der früheren DDR die geringe Wettbewerbsfähigkeit einer ausschließlich in Großbetrieben kollektivierten Landwirtschaft sichtbar geworden. Die ausschließlich politisch geschaffene Kollektivwirtschaft wird bei der wirtschaftlichen Öffnung der anderen Länder Osteuropas und auch der Sowjetunion sich gleichfalls als nicht wettbewerbsfähig erweisen. Die unter Führung der kommunistischen Parteien angestrebte Umgestaltung einer bäuerlichen Landwirtschaft in landwirtschaftliche Großbetriebe mit vielen Arbeitskräften kann deshalb als ein schwerer strukturpolitischer Fehler angesehen werden. Die ab 1978 offiziell eingeleitete Auflösung der Volkskommune in China weist darauf hin, daß auch für Agrarländer das Sowjetmodell der Konzentration der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte im Großbetrieb kein nachahmenswertes Beispiel darstellt. 19 Die Agrarpolitik der früheren kommunistischen Staaten steht deshalb vor einer grundlegenden Revision der bisher verfolgten Agrarstrukturpolitik. Zwei Gesichtspunkte sind dominierend. Es muß erstens die Zahl der in der Landwirtschaft beschäftigten Personen durch Schaffung von Arbeitsplätzen in anderen Wirtschaftsbereichen weiter verringert werden. Zweitens muß die Zahl der pro Betrieb beschäftigten Personen mit dem Übergang zur Marktwirtschaft an die in Westeuropa herrschenden Verhältnisse angepaßt und damit kräftig reduziert werden. Jedes Festhalten an der aus politischen Gründen geschaffenen Agrarstruktur der überdimensionierten Großbetriebe belastet die staatliche Agrarpolitik mit unübersehbaren Kosten.
19 Vgl. Weber, Adolf: The Rise and the Beginning Dec1ine of Agrarian Socialism, in: Quarterly Journal of International Agriculture, 1990, S. 116.
8 Festg.be Th. Dams
Ökologieorientierte Rahmenbedingungen oder programmorientierte Ökologiepolitik? Von Günther Weinschenck Es hat lange gedauert, bis die Gesellschaft gemerkt hat, daß Landwirtschaft mit Landschaft zu tun hat und daß sie als ordnungsgemäß nur gelten kann, wenn sie so betrieben wird, daß nicht nur die betriebseigenen Produktionsgrundlagen, sondern auch die Funktionsfähigkeit der Landschaft, von der die Landwirtschaft ein Teil ist, ungeschmälert erhalten bleibt. Ungeschmälert betrifft im wesentlichen die folgenden Punkte: -
Vermeidung von Erosion,
-
Vermeidung von Nährstoffeintrag in Grund- und Oberflächenwasser,
-
Erhaltung der Lebensgrundlagen für diejenigen Formen natürlichen Lebens, die an der Nutzung der Landschaft teilhaben,
-
Erhaltung der ästhetischen Schönheit des Landschaftsbildes.
Die Einbeziehung der Landschaft in die Verantwortung des Einzelbetriebes hat im angelsächsischen Bereich zu dem Begriff "sustainable farming" geführt. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, -
daß zwischen der Fruchtbarkeit des landwirtschaftlich genutzten Bodens als Teil einer Landschaft und der Fruchtbarkeit der Landschaft als Ganzes enge Wechselbeziehungen bestehen und daß man das eine nicht ohne das andere erhalten kann, und
-
daß die gegenwärtige Generation Verantwortung für den Zustand hat, in dem sie die Landschaft künftigen Generationen übergibt.
Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen hat in seinem 1985 erschienen Gutachten "Umweltprobleme der Landwirtschaft" die landwirtschaftlichen Betriebe der Bundesrepublik nach der von ihnen ausgehenden Umweltbelastung in drei Gruppen eingeteilt: 1. Wenig umweltbelastend. Zu dieser Gruppe gehören vor allem Betriebe mit ungünstigen Produktionsvoraussetzungen in Mittel- und Hochgebirgslagen und in anderen Regionen, die aus technischer Sicht vorhandene Ertragskapazitäten nicht voll ausschöpfen. Der Rat ordnet auch die alternativ wirtschaftenden Betriebe dieser Gruppe zu.
116
Günther Weinschenck
2. Deutlich umweltbelastend. Zu dieser Gruppe gehört nach Ansicht des Rates die Mehrzahl aller landwirtschaftlichen Produktionsbetriebe. Ihre Produktionsweise hat sowohl im Bereich des Pflanzenbaues als auch der Tierhaltung einen so hohen Intensitätsgrad erreicht, daß sie sich an den "Grenzen der Umweltbelastung bewegt und diese nicht selten überschreitet". 3. Erheblich umweltbelastend. Zu dieser Gruppe zählt der Rat vor allem intensive Sonderkulturbetriebe und Betriebe mit einem sehr hohen Viehbesatz auf der Basis zugekaufter Futtermittel. Man kann über diese Einteilung sicher geteilter Meinung sein. Bis zu einem gewissen Grade läßt sie unberücksichtigt, daß Landwirtschaft Naturlandschaft in Agrarlandschaft umwandelt und damit selbst zur Landschaft wird. Man kann an die landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaften nicht die ökologischen Maßstäbe anlegen, die in naturbelassenen Landschaften gelten. Trotzdem besteht kein Zweifel, daß die Intensität der Ausnutzung der Landschaft durch Landwirtschaft vor allem, aber nicht nur, in den fruchtbaren Agrarlandschaften zu hoch ist. Man macht es sich jedoch zu einfach, wenn man die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Landschaft allein der Verantwortung der Einzelbetriebe zuschiebt. Wenn die wirtschaftlichen Interessen der Betriebe durch die herrschenden ökonomischen, technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen so gelenkt werden, daß ordnungsgemäße Landwirtschaft im Sinne des Strebens nach einem möglichst guten Wirtschaftsergebnis nicht ohne weiteres in Einklang gebracht werden kann mit der ungeschmälerten Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Landschaft, dann stimmt etwas mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht. Wenn der Begriff ordnungsgemäße Landwirtschaft im Sinne von sustainable farming die Verantwortung des Einzelbetriebes für die Erhaltung der Funktionsfahigkeit der Landschaft umfaßt, dann ist er untrennbar mit dem Begriff "ordnungsgemäße Rahmenbedingungen" verbunden. Rahmenbedingungen sind ordnungsgemäß, wenn die wirtschaftlichen Interessen der Einzelbetriebe so gelenkt werden, daß sie im Einklang stehen mit dem allgemeinen Interesse an der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Landschaft. Diese Rahmenbedingungen gibt es in keinem der hochentwickelten Industrieländer, in der EG nicht, in den USA nicht und auch in der Schweiz, die als Musterland für eine ökologisch orientierte Agrarpolitik gilt, nur mit Einschränkungen. Die wirtschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen - etwa der EG verweisen diejenigen Einzelbetriebe, deren wirtschaftliche Existenz im Prinzip noch gesichert ist, weil die Produktionskosten bei angemessener Wirtschaftsweise gedeckt sind, noch immer darauf, die vorhandenen Ertragskapazitäten auch dann nahezu vollständig zu nutzen, wenn dabei ökologisch sinnvolle Grenzen überschritten werden und Forderungen nach artgerechter Tierhaltung unbeachtet bleiben.
Ökologieorientierte Rahmenbedingungen
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Wenn die Rahmenbedingungen den Einzelbetrieb nicht auf ökologiegerechtes Verhalten hinlenken, bleiben Begriffe wie ordnungsgemäße Landwirtschaft oder praxisgerechte Düngung Leerformeln, mit deren Hilfe die Politik versucht, die Verantwortung für die kaum noch zu leugnende Fehlentwicklung dem einzelnen Landwirt wenigstens teilweise zuzuschieben.
A. Programmorientierte Ökologiepolitik Um ökologiegerechtes Verhalten fördern zu können, ohne die Orientierung der Wirtschafts- und Agrarpolitik von Grund auf ändern zu müssen, haben Politik und Ökonomie im wesentlichen zwei Wege beschritten: -
den Weg der Rechtsverordnungen: Dadurch soll die Anwendung bestimmter Produktionsmittel oder bestimmter Produktionsverfahren - etwa die Käfighaltung von Hühnern in der Schweiz - ganz oder teilweise verboten werden.
-
den Weg der "programmorientierten Ökologiepolitik": Programmorientierte Ökologiepolitik zielt darauf ab, ökologisch unerwünschte Folgen, die sich aus der Anpassung der regionalen und betrieblichen Produktions- und Aufwandsstrukturen an die herrschenden Rahmenbedingungen ergeben, durch besondere Programme zu korrigieren. Im Grundsatz sind diese Programme am Prinzip von freiwilliger Teilnahme und Ausgleichszahlungen orientiert. In bestimmten Fällen, in denen ein besonders dringliches öffentliches Interesse vorliegt - etwa die Sauberhaltung des Grundwassers in Wassereinzugsgebieten - wird die freiwillige Teilnahme durch Auflagen ersetzt. Die Ausgleichszahlungen bleiben jedoch erhalten.
B. Grenzen einer programmorientierten Ökologiepolitik Die praktischen Erfolge der programmorientierten Ökologiepolitik sind unübersehbar. Wiesenbrüterprogramme, Ackerrandstreifenprogramme, realisierte und (noch) nicht realisierte Landschaftspläne zur Verbesserung der Biotopvernetzung, der Ausweis von Naturschutz- und Landschaftsschutzgebieten, betriebsspezifische Extensivierungsprogramme, das alles sind Beispiele, die einen Beitrag zur Verbesserung der Landschaftsnutzung im ökologischen Sinne und zur ökologischen Bewußtseinsbildung in der Bevölkerung und vor allem auf der unteren Verwaltungsebene geleistet haben und leisten. Indes zeigen sich auch die Grenzen dieser Politik unter den herrschenden Rahmenbedingungen. Sie beruhen auf -
der unübersehbar gewordenen Vielfalt regionaler und überregionaler Programme,
-
der begrenzten Kontrollierbarkeit,
-
den begrenzten Einsatzmöglichkeiten.
118
Günther Weinschenck
Wenn es um Umwelt und Ökologie geht, will sich heute niemand mehr fehlendes Engagement vorwerfen lassen. Auf beinahe jeder politischen Ebene - von der EG bis hinunter zu den Gemeinden - gibt es Programme zum Schutz von Umwelt und Landschaft. Für die praktische Landwirtschaft und häufig auch für die Verwaltung auf Gemeindeebene ist die Komplexität der Progammstrukturen kaum noch durchschaubar, zumal es für jedes Teilprogramm einen anderen Geldgeber gibt. Es ist kein Zufall, daß hier und da Ökologieberater auftauchen, die ihre Dienste vor allem den Gemeinden anbieten. Um die Wirksamkeit programmorientierter Ökologiepolitik zu erhöhen, ist es notwendig, die vielfältigen Einzelprogramme in Landschaftsentwicklungsplänen zu bündeln und die vorgesehenen Ausgleichszahlungen von der Durchführung sinnvoller Maßnahmenpakete abhängig zu machen. Die Grenzen einer programmorientierten Ökologiepolitik beruhen jedoch nicht auf der fehlenden Koordination der Einzelprogramme, die bei einigem guten Willen ja vermeidbar wäre, sondern auf ihrer regionalen Begrenzung und auf ihrer teilweise schwierigen Kontrollierbarkeit. Die Kontrolle des Nährstoffeintrags in das Grundwasser ist ein bezeichnendes Beispiel. Die Verordnungen zum Schutze des Grundwassers in Wasserschutzgebieten zielen auf mehr oder weniger ausgeglichene Nährstoffbilanzen ab. Ausgeglichene Nährstoffbilanzen lassen sich zwar definieren, aber nicht kontrollieren. Zur Zeit ist man nicht einmal in der Lage, die Düngergaben hinreichend genau anzugeben, bei denen erwartet werden kann, daß die vorgegebenen Höchstwerte für den Bodenstickstoff eingehalten werden. Abgesehen davon, daß diese Gaben, wenn es gelingen sollte die noch ungelösten Fragen der Nährstoffnachlieferung der Böden und des Nährstoffeintrags durch Niederschläge hinreichend zu klären, standortspezifisch sein müßten, d. h. für jede Region anders. Man schiebt daher den "schwarzen Peter" den Landwirten zu und überläßt es ihnen, herauszufinden, wieviel sie noch düngen dürfen, um die gesetzten Grenzen nicht zu überschreiten. Um sicherzustellen, daß sie sich um diese Grenzen kümmern, beabsichtigt man vorerst, vor allem in Wasserschutzgebieten, ein Heer von Kontrolleuren zu beschäftigen, die im Herbst über das Land ausschwärmen sollen, um Nährstoffrückstände im Boden zu messen, obwohl man weiß, daß es schwierig ist, aus den Ergebnissen dieser Messungen Verletzungen der Grenzen nachzuweisen, die man durch Verordnung oder Gesetze festgelegt hat. Die Beratungsarbeit muß sich in diesem Falle auf Düngungsempfehlungen beschränken. Von der Kontrolle der Einhaltung festgelegter Höchstgrenzen muß sie sich unter allen Umständen fernhalten, wenn sie ihre Wirksamkeit nicht gefährden will. Selbst wenn es gelänge, die Probleme der Kontrollierbarkeit hinreichend zu lösen, fällt es schwer zu glauben, daß eine spürbare Minderung des Nitrateintrags
Ökologieorientierte Rahmenbedingungen
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in das Grundwasser tatsächlich erreicht wird, wenn die Maßnahmen auf mehr oder weniger eng abgegrenzte Wasserschutzgebiete beschränkt bleiben und die Lenkung der Düngung in den übrigen Gebieten den herrschenden Preisen überlassen wird. Der bei der BASF tätige Wissenschaftler Klaus Isermann und seine Kollegen Auerswald und Werner haben errechnet, daß der jährliche Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft in die Fließgewässer der Bundesrepublik 755.000 t N und 80.000 t P205 beträgt. Das sind 46 % der gesamten Stickstoffeinträge und 38 % der gesamten Phosphateinträge. Mißstände dieser Größenordnung lassen sich durch programmorientierte regionale Ökologiepolitik nicht mehr erfolgversprechend bekämpfen. Ihre Beseitigung erfordert eine raumdeckende Extensivierung. Dazu müssen nicht nur die Verwendung ertragsteigernder Aufwendungen und die Viehdichte vermindert werden, sondern das Konzept der betrieblichen und regionalen Spezialisierung mit mehr oder weniger reinen Viehhaltungsbetrieben und Regionen auf der einen Seite und reinen Marktfruchtbaubetrieben und entsprechenden Regionen auf der anderen Seite muß neu durchdacht werden.
c. Anpassung der Rahmenbedingungen an die Ziele einer ökologiegerechten Agrarpolitik
Landwirtschaft ist Landschaft. Sie ist ein wichtiges Element jener Agrarlandschaftssysteme, die trotz aller Deformation, der sie in den letzten Jahrzehnten ausgesetzt waren, immer noch den Kern der europäischen Kulturlandschaft bilden. Diese Landschaftssysteme sind heute von zwei Seiten bedroht: -
durch zu intensive Landschaftsausnutzung, vor allem in den fruchtbaren Kerngebieten der Agrarlandschaft,
-
durch vollständige Verdrängung der Landwirtschaft in den Grenzgebieten der Agrarlandschaft.
Bei gesättigten Märkten kann die Agrarproduktion einer Region A nur ausgedehnt werden, wenn gleichzeitig die Produktion in einer anderen Region B eingeschränkt wird. Mit anderen Worten, die Erhöhung der Intensität der Landschaftsausnutzung in den fruchtbaren Kerngebieten der Agrarlandschaft ist nur möglich, wenn die landwirtschaftliche Produktion in den Grenzgebieten eingeschränkt und schließlich ganz verdrängt wird. Aus ökologischer Sicht ist das sinnlos. Es geht für eine ökologisch sinnvolle Strategie zur Markt- und Landschaftsentlastung daher nicht nur um die Verringerung der Intensität in zu intensiv genutzten Regionen, sondern es geht auch um die Erhaltung der Landwirtschaft in den benachteiligten Gebieten, in denen sie - mit angemessener Intensität betrieben - wichtige ökologische Funktionen hat.
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In den hochentwickelten Industriestaaten Westeuropas, in denen Landwirtschaft immer noch mehr produziert als zu kostendeckenden Preisen verkauft werden kann, muß ökologiegerechte Agrarpolitik darauf abzielen, die Einschränkung der Produktion durch Verminderung der Intensität der Landschaftsausnutzung und Erhöhung der Artgerechtigkeit der Tierhaltung herbeizuführen. Dabei bleibt die Landbewirtschaftung im Prinzip raumdeckend. Einfacher: Ökologiegerechte Agrarpolitik zielt auf eine allgemeine Verminderung der Intensität der Landschaftsausnutzung und auf eine Erhaltung der Landwirtschaft in den von Natur aus benachteiligten Gebieten ab. Im einzelnen verlangt sie -
Anpassung der Nährstoffzufuhr durch Zukauf von Handelsdüngern und Kraftfutter an die Menge, die auf der betriebseigenen Fläche verwertet werden kann.
-
Beschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung auf 90 bis 95 % der offenen Agrarlandschaft, jeweils auf Gemeindeebene.
-
Erhaltung oder Wiederansaat standortgerechter (natürlicher) Grünlandflächen.
-
Verwendung artgerechter Verfahren in der Tierhaltung.
Diese Ziele müssen in Einklang gebracht werden mit den wirtschaftlichen Interessen der Einzelbetriebe. Dazu stehen der staatlichen Agrarpolitik folgende Instrumente zur Verfügung: -
Senkung der Produktpreise.
-
Erhöhung der Preise ertragsteigernder Aufwendungen, insbesondere von Stickstoff und Kraftfuttermitteln, alternativ zur Verteuerung von Kraftfuttermitteln, Begrenzung des Viehbesatzes.
-
Regional differenzierte Verteilung von Milchquoten.
-
Direkte Einkommenszahlungen in 3 Formen: a) Dauerhafte einkommensorientierte Zahlungen, um die wirtschaftliche Existenz von Betrieben hinreichender Größe in benachteiligten Gebieten sicherzustellen, b) kosten(einkommens-)verlustorientierte Zahlungen für die Abgabe von ökologischen Ausgleichsflächen, c) Rückzahlung der Abgaben auf intensitäts steigernde Produktionsmittel in intensitätsneutraler Form.
Im Prinzip sind diese Instrumente im Hinblick auf ihre ökologischen Wirkungen und ihre Wirkungen auf Faktorallokation und Produktion innerhalb bestimmter Grenzen gegeneinander austauschbar. Mögliche Kombinationen sind in Tabelle 1 dargestellt.
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Tabelle 1 Basisalternativen einer ökologiegerechten Agrarpolitik A
Produktpreise Stickstoffsteuer Verteuerung von Kraftfutter oder Begrenzung der Viehbesatzdichte
c
D
x
x
xxx
o
o
x
xxx x
xx x
B
x
o
Direkte Einkommenszahlungen
x xxx
Begünstigung benachteiligter Gebiete bei der Zuteilung von Mi1chquoten
xxx
xxx
a Dauerhafte einkommensorientierte Zahlungen, um die wirtschaftliche Existenz von Betrieben hinreichender Größe in benachteiligten Gebieten sicherzustellen. b Kosten-(einkommens )verlustorientierte Zahlungen für die Abgabe von ökologischen Ausgleichsflächen. c Rückzahlung der Stickstoffsteuer in intensitätsneutraler Form. 2 xxx = hoch xx = mittel x = niedrig 3 nur Stillegungsprämien 1
Alternative A zeigt die "ökonomische" Lösung. Das Marktgleichgewicht wird durch Produktpreissenkungen hergestellt. Es kommt zu einer dualen Agrarstruktur. In den fruchtbaren Acker- und Grünlandregionen bleibt die Intensität der Landschaftsausnutzung unverändert hoch und nimmt im Gefolge technischer Fortschritte vermutlich weiter zu. In den benachteiligten Gebieten wird die Landwirtschaft - zumindest die hauptberufliche - weitgehend verdrängt. Diese Regionen, in denen bestenfalls sehr extensive Formen landwirtschaftlicher Produktion in geringer Ausdehnung bestehen bleiben, werden in Form von Nationalparks oder durch Formen gesellschaftlicher Freizeitnutzung, wie durch Golfplätze, Campingplätze etc. genutzt. Die ökologischen Alternativen B - D streben wirtschaftliche Rahrnenbedingungen an, in denen die einzelbetrieblichen Ziele in bezug auf die Intensität der Flächenbewirtschaftung in Einklang gebracht werden mit dem gesellschaftlichen Interesse an einer Extensivierung der Landschaftsausnutzung. Sie streben eine Verringerung des ertragsteigernden und ertragsichernden Aufwandes in der pflanzlichen Produktion und eine Verringerung des Kraftfutterzukaufs bzw. eine entsprechende Verringerung der Viehbesatzdichte an. Das ist
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im Prinzip durch eine drastische Veränderung der Verhältnisse der Preise ertragsteigernder Aufwendungen zu den Produktpreisen erreichbar. Dazu gibt es zwei Wege mit ähnlicher Wirkung: -
Relativ hohe Produktpreise in Verbindung mit hohen Preisen für Zukaufsfuttermittel und Handelsdünger (Alternative B). Da der Einkommensausfall verhältnismäßig klein ist, können auch die direkten Einkommenszahlungen (außer der produktneutralen Rückzahlung der Stickstoffsteuer) vergleichsweise niedrig sein. Wenn es aus außenhandelspolitischen Gründen nicht möglich ist, die einzelbetrieblichen Interessen mit den ökologischen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen, muß die Verringerung des Viehbesatzes auf bzw. unter die aus ökologischer Sicht erforderliche Höchstgrenze von 1,5 - 2 Dunggroßvieheinheiten (DGV) durch Rechtsverordnungen herbeigeführt werden.
-
Drastische Senkung der Produktpreise in Verbindung mit hohen direkten Einkommenszahlungen zur Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz einer ausreichenden Zahl von Betrieben in benachteiligten Gebieten ~Alternative C und D). Auch diese Alternative muß mit einer Begrenzung des Viehbesatzes auf dem Rechtsweg verbunden werden.
Beide Alternativen (B und C) können mit einer Begünstigung der benachteiligten Gebiete bei der Zuteilung von Milchquoten gekoppelt werden. Der Einkommensbeitrag der Milchviehhaltung verringert die Höhe der für die Existenzerhaltung notwendigen direkten Einkommenszahlungen. Darüber hinaus müssen alle Alternativen ergänzt werden durch die Anlage von Ausgleichsflächen und die damit verbundene Verringerung des Anteils der landwirtschaftlichen Nutzfläche an der Fläche der offenen Agrarlandschaft. Programmorientierte Ökologiepolitik wird durch eine Anpassung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen an ökologische Belange nicht überflüssig. Sie bleibt ein wichtiger Bestandteil einer ökologieorientierten Agrarpolitik. Sie kann eine ökologiegerechte Gestaltung der Rahmenbedingungen jedoch nicht ersetzen. Vielmehr verhalten sich beide komplementär zueinander. Ökologiegerechte Gestaltung der Rahmenbedingungen erfordert ein Umdenken, nicht nur der praktischen Agrarpolitik, sondern auch der sie begleitenden Theorie. Liberaler, marktorientierter Theorie der Wirtschaftlichkeit gelten PreisAngebotsfunktionen, Preis-Nachfragefunktionen und die diese bestimmenden Technologie- und Präferenzstrukturen als unabhängige Variable, denen sich Preise, Betriebsstrukturen und Strukturen der Landschaftsnutzung im Prinzip anzupassen haben. Ökologieorientierte Agrarpolitik hat eigenständige Ziele hinsichtlich der Landschaftsstrukturen und der Intensität der Landschaftsausnutzung. Sie gibt diese Ziele zumindest in Form bestimmter Grenzen vor, innerhalb derer sich die ökonomisch-technische Ausrichtung der Produktionsstrukturen bewegen darf. Die ökologischen Ziele im Hinblick auf Landschaftsstrukturen und Intensität der
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Landschaftsnutzung werden zu unabhängigen Variablen und die Rahmenbedingungen, etwa die Höhe der Besteuerung ertragsteigemder Produktionsmittel oder bestimmte Grenzen für den maximalen Viehbesatz, werden zu abhängigen Variablen der ökologischen Zielsetzung. Die Kunst der staatlichen Agrarpolitik besteht darin, die durch die ökologischen Ziele bedingten Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß den Einzelbetrieben ein Maximum an ökonomischer Entscheidungsfreihheit bleibt und ein Minimum an Kontrollen erforderlich ist. Mit anderen Worten: Die Rahmenbedingungen sind so zu gestalten, daß die ökologischen Belange der Gesellschaft in weitgehenden Einklang gebracht werden mit den ökonomischen Interessen der Betriebe. Nur in den Bereichen, in denen das im Sinne der ökologischen Ziele nicht befriedigend möglich ist, bleibt es unerläßlich, die Gestaltung der Rahmenbedingungen durch gezielte Programme zur Durchsetzung bestimmter ökologischer Ziele zu ergänzen.
Literaturverzeichnis Dabbert, Stephan: Zur optimalen Organisation alternativer landwirtschaftlicher Betriebe - Untersucht am Beispiel organisch-biologischer Haupterwerbsbetriebe in BadenWürttemberg -, in: Agrarwirtschaft, Sonderheft 124, 1990. lsermann, Klaus: Share of Agriculture on Nitrogen and Phosphorus Emmissions into the Surface Waters of Western Europe against the Background of their Eutrophication, in: Fertilizer Research, 1990. Weinschenck, Günther: Der ökonomische oder der ökologische Weg? in: Agrarwirtschaft, Heft 11, 1986, S. 242-253.
-
Strategies to reduce surplus production and environmental burden, in: European Review of Agricultural Economics, Vol. 17, 1990, S. 215 - 230.
Weinschenck, Günther und Rolf Wemer: Einkommenswirkungen ökologischer Forderungen an die Landwirtschaft. Schriftenreihe der Landwirtschaftlichen Rentenbank Frankfurt am Main, Band 1, 1989. Werner, Rolf: Methoden und Modelle zur Optimierung der Intensität der Landschaftsnutzung durch Landwirtschaft und erste Ergebnisse. Landwirtschaft und Umwelt, Schriften zur Umwe1tökonomik, Band 4, 1989.
Landwirtschaft und Wirtschaftsordnung Von Günther Schmitt
A. Einleitung Theodor Dams, dem diese Festschrift zur Vollendung seines 70. Lebensjahres gewidmet ist, hat sich wiederholt zu der ordnungspolitisch so bedeutsamen, indes höchst kontrovers beantworteten Frage nach der "Stellung der Landwirtschaft in der Sozialen Marktwirtschaft" geäußert. 1 Seine diesem Thema gewidmeten Arbeiten galten zunächst dem speziellen Problem einer institutionell und instrumentell zweckmäßigen Ergänzung einer sonst marktwirtschaftlichen Prinzipien verpflichteten Agrarpreispolitik durch eine sektorale und regionale Strukturpolitik. Ihr wurde die Aufgabe zugeschrieben, die offensichtlichen "Mängel der Agrarund Wirtschaftsstruktur" zu korrigieren. Diese "Mängel" sah Dams ebenso wie viele Verfechter einer liberalen Agrarpolitik in dem "in Teilen der Landwirtschaft" bestehenden "Mißverhältnis zwischen der Zahl der landwirtschaftlichen Erwerbstätigen und den verfügbaren Produktions- und Einkommensgrundlagen" . 2 Dieses Mißverhältnis hat nämlich zur Folge, daß dort "die optimale Kombination der Produktionsfaktoren verhindert oder nicht annähernd erreicht wird". Deshalb sieht Dams "eine der Grundvoraussetzungen für eine leistungsfähige Agrarpolitik darin, daß der enge regionale Zusammenhang zwischen den Möglichkeiten der Verbesserung der Agrarstruktur und dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum gesehen und auch in der Praxis der politischen Entscheidungen verwirklicht wird". 3 Die intensive Auseinandersetzung von Dams mit dem Problem einer durch eine sektorale und regionale Strukturpolitik ergänzten, aber bezüglich der Marktund Preispolitik ansonsten marktwirtschaftlichen Agrarpolitik ist gewiß nicht 1 So der Titel eines 1958 von Arthur Hanau verfaßten, als die o. a. Frage grundsätzlich klärend angesehenen Artikels. Vgl. Hanau, Arthur: Die Stellung der Landwirtschaft in der Sozialen Marktwirtschaft, in: Agrarwirtschaft, J g. 7, 1958, S. 1 ff. Auf diesen Aufsatz wird noch zurückzukommen sein. 2 Dams, Theodor: Zum Leitbild der Agrarstruktur in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gesamtentwicklung, in: Forschungs- und Sitzungsberichte der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Bd. 19, 1962, S.52. Vgl. dazu auch Dams, Theodor: Zur räumlichen Determinierung von Finanzhilfen zur Verbesserung der Agrarstruktur - Überlegungen zu den Gemeinschaftsaufgaben und Gemeinschaftsprogrammen, in: Dams, Theodor et al. (Hrsg.), Agrarpolitik in der EWG, München 1968, S. 259 ff. 3 Dams 1962, S. 60. Vgl. dazu auch Dams 1968.
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zuletzt darauf zurückzuführen, daß er bekanntlich ein Schüler und langjähriger Mitarbeiter von Heinrich Niehaus war. Gerade Niehaus hat sich immer wieder mit den agrarwirtschaftlichen Problemen einer Marktwirtschaft beschäftigt und aufgrund seiner dabei gewonnenen Erkenntnisse leidenschaftlich für eine marktwirtschaftlichen Prinzipien verpflichtete Agrarpolitik eingesetzt. 4 Aber auch Niehaus war ein Befürworter einer die Marktwirtschaft ergänzenden Strukturpolitik 5 , auch wenn er vor Überdosierungen und der Gefahr des Mißbrauchs durch Staat und Verwaltung warnte. 6 Dams' Beschäftigung mit diesen ordnungspolitischen Grundsatzfragen erhielt indes neue Impulse, nachdem er als Nachfolger von Constantin von Dietze der bereits 1942 zur Frage "Landwirtschaft und Wettbewerbsordnung" Stellung genommen und "die Verwirklichung einer Wettbewerbsordnung für die Zukunft der Landwirtschaft"? gefordert hatte - , und als Inhaber des Lehrstuhls für Entwicklungspolitik in Freiburg sich den bedeutungsvollen, wesentlich stärker umstrittenen Fragen einer, die wirtschaftliche Entwicklung fördernden Wirtschaftsordnung in Entwicklungsländern zuwandte. 8 Zu jener Zeit beherrschten bekanntlich die stark von keynesianischen Vorstellungen geleiteten "Strukturalisten" fast ausnahmslos die Szene. Beeindruckt von der für Entwicklungsländer als geradezu typisch angesehenen, durch "strukturellen Dualismus" bedingten Unterbeschäftigung in der Landwirtschaft, ließen sie den Verfechtern marktwirtschaftlicher Ordnungsvorstellungen wenig Raum. Erst in den 70er Jahren trat ein gewisser Wandel ein, ohne daß es aber bisher zu einer eindeutigen Klärung dieser Grundsatzfragen gekommen wäre. 9 4 Zeugnis dieser Auffassungen von Niehaus legen seine beiden noch immer lesenswerten Aufsatzsammlungen ab. Vgl. Niehaus, Heinrich: Leitbilder der Wirtschafts- und Agrarpolitik in der modemen Gesellschaft, Stuttgart, 1957, sowie ders.: Den Agrarpolitikern in's Gedächtnis. Wege und Irrwege der Agrarpolitik, Bonn, 1976. 5 Vgl. dazu Niehaus 1976, S. 121-136. 6 So ebenda 1976, S. 15-28 und S. 77-92. ? Dietze, Constantin von: Landwirtschaft und Wettbewerbsordnung, in: Gedanken und Bekenntnisse eines Agrarpolitikers, Göttingen 1962, S. 125. 8 Siehe hierzu insbesondere die Beiträge von Dams in verschiedenen Auflagen des "Staatslexikons" über "Entwicklungspolitik", die in gewisser Weise auch den erfolgten Wandel in der ordnungspolitischen Einschätzung von Entwicklungsländern reflektiert. Wenn ich Dams richtig verstanden habe, so behält er doch erhebliche Reserven gegen die Fähigkeit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, die gravierenden Anpassungsprobleme der Landwirtschaft und von ihr dominierter "agrarischer" Regionen zu bewältigen. Deshalb tritt er wohl für spezifische entwicklungspolitische Förderungsmaßnahmen ein, etwa in Form der "integrierten Förderung ländlicher Regionen". Vgl. Dams, Theodor / Clausen, Ludwig: Entwicklungspolitik, in: Staatslexikon, 9. Bd., Freiburg 1969, S. 721 ff. 9 Vgl. dazu Hirschman, Albert: The Rise and Decline of Development Economics, in: Gersovitz M. et al. (Eds.), The Theory and Experience of Economic Development, London 1982, S.374, der diesen offensichtlichen Widerspruch an der gleichzeitigen Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften 1979 an Theodore Schultz als Vertreter einer marktwirtschaftlichen und Arthur Lewis als Vertreter einer keynesiani-
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Das von Dams angesprochene "Mißverhältnis" zwischen den in der Landwirtschaft Tätigen und ihren "Produktions- und Einkommensgrundlagen" und die daraus resultierende "disparitätische" Faktorproduktivität und -entlohnung gilt sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern als Ausdruck eines schwerwiegenden Versagens einer auch die Landwirtschaft einschließenden marktwirtschaftlichen Ordnung. Diese Einsicht führte schließlich auch Hanau zu der Schlußfolgerung, daß "angesichts der Besonderheiten der Landwirtschaft es keine wirkungsvolle ,Wirtschaftspolitik aus einem Guß' geben kann". Freilich fügt er hinzu, daß "es auch keine anderen Patentrezepte zur Lösung des landwirtschaftlichen Einkommensproblems gibt". So bleibt für ihn offenbar nur der Hinweis, daß die Agrarökonomen "hiermit vor allem vor der großen und schwierigen Aufgabe stehen, die richtigen Ansatzpunkte und das rechte Maß für Förderungsmaßnahmen zu finden". IO Über 30 Jahre sind seit dieser Aufforderung Hanaus an die Agrarökonomen vergangen, ohne daß deren Forschungsbemühungen die "richtigen Ansatzpunkte und das rechte Maß für die Förderungsmaßnahmen" inzwischen aufgedeckt hätten. Ja, die zentrale Grundsatzfrage, ob die "Besonderheiten der Landwirtschaft" eine ordnungspolitische Sonderstellung der Agrarpolitik rechtfertigen und worauf sich diese überhaupt begründet, ist bisher nicht weiter verfolgt, geschweige denn stichhaltig beantwortet worden. II Deshalb soll im folgenden gerade diese Grundsatzfrage erneut aufgeworfen, aber neu beantwortet werden. Dabei geht es nicht um eine neuerliche Erörterung der bekannten, die "Besonderheiten der Landwirtschaft" stützenden Hypothesen und ihrer jeweiligen Bedeutung 12, sondern um eine der bisherigen Sichtweise scher Entwicklungspolitik festmachte. Ähnlich widerspruchsvoll auch Hemmer in dessen "Diskussion über die zweckmäßige Wirtschaftsordnung für Entwicklungsländer". Vgl. Hemmer, Hans-Rimbert: 40 Jahre Entwicklungstheorie und -politik. Ein Rückblick aus wirtschaftswissenschaftlilcher Sicht, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Jg. 110, 1990, S. 546. IO Hanau, S. 14. II Zeugnis hierfür bilden u. a. die Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der zwar ständig einer "Preispolitik des mittleren Weges" das Wort redet, aber stets "zur Ergänzung ... strukturund einkommenspolitische Maßnahmen" empfiehlt, so etwa 1987. Vgl. Handlungsalternativen der EG-Agrarmarktpolitik, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Angewandte Wissenschaft, Heft 348, Münster-Hiltrup 1987, S. 52. 12 Bei solchen "Branchen besonderheiten" handelt es sich vor allem um die Betonung vegetations- und witterungs bedingter Produktionsschwankungen, das angebliche "inverse" Angebotsverhalten, zyklische Preisschwankungen u. a. m. Ihre ordnungspolitische Irrelevanz wurde von zahlreichen Autoren herausgearbeitet, so von Niehaus 1957, S. 283 ff., Hanau und Schmitt, Günther: Landwirtschaft in der Marktwirtschaft: Das Dilemma der Agrarpolitik, in: Cassel, D. et al. (Hrsg.): 25 Jahre Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1972, S. 329-349, sowie neuerdings wieder von Eickhoff, Norbert / Dürrbeck, Margareta: Agrarpolitik mit falschen Argumenten, in: List Forum, Bd. 14, 1987/88, S. 149 ff. Allerdings glaubt jüngst Bartling eine solche Beson-
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der Landwirtschaft entgegenstehende ökonomisch-institutionelle Theorie der Agrarproduktion: Während diese nämlich gemäß Albrecht Thaers berühmter Formulierung, wonach die "vollkommenste Landwirtschaft also die ist, welche den möglichst höchsten, nachhaltigen Gewinn ... aus ihrem Betriebe zieht" 13, den landwirtschaftlichen Betrieb als die die Landbewirtschaftung organisierende Institution wie im industriellen Bereich ansieht 14, wird hier die empirisch so evidente Auffassung vertreten, daß nicht der Betrieb, sondern der landwirtschaftliche Haushalt die relevante Entscheidungseinheit darstellt, zumindest soweit die Landwirtschaft von "Familienbetrieben" betrieben wird. Und dies gilt überwiegend für die Landwirtschaft der meisten nicht-sozialistischen Länder. Im Zentrum des nachfolgenden Kapitels B steht deshalb die Theorie des landwirtschaftlichen Haushaltes und deren Implikationen für Faktorproduktivität und -entlohnung in der Landwirtschaft. In Kapitel C werden die agrarpolitischen und, dem gewählten Thema entsprechend, die ordnungspolitischen Konsequenzen erörtert, die sich aus den in Kapitel B vorgeführten mikroökonomischen Erkenntnissen ergeben. Ein "Nachwort" schließt diesen Beitrag ab.
B. Die falsche mikroökonomische Fundierung von Agrarökonomie und Agrarpolitik Betrachtet man den landwirtschaftlichen Betrieb als die für Landbewirtschaftung entscheidende organisatorische Einheit, wie dies die Agrarökonomie zu tun pflegt, dann folgt daraus, daß die dort erzielte Wertschöpfung zur Entlohnung der für die Erzeugung von Agrarprodukten eingesetzten Produktionsfaktoren derheit entdeckt zu haben, nämlich den "Preisverfall bei ,ruinöser Branchenkonkurrenz' aufgrund von Marktaustrittsschranken" . Empirische Belege für diese These konnte dieser Autor allerdings nicht vortragen. Sie ist auch theoretisch widerlegbar. Vgl. Bartling, Hartwig: Landwirtschaft, in: Oberender, P. (Hrsg.), Struktur und Wettbewerb in der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 27 ff. I3 Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirtschaft, Wien 1810, S. 3. 14 Agrarökonomen weisen gelegentlich auf die organisatorische Einheit hin, die Haushalt und Betrieb in der Landwirtschaft darstellen, vertreten gelegentlich auch die Auffassung, daß "überall da, wo der Agrarsektor durch das Vorherrschen von Familienbetrieben geprägt ist, es problematisch ist, zur Erklärung und Prognose des Unternehmerverhaltens allein die Theorie der Unternehmung heranzuziehen, oder die Einheit UnternehmenHaushalt in zwei selbständige Einheiten zu zerlegen, wie es gewöhnlich geschieht". Vgl. Brandes, Wilhelm: Über die Grenzen der Schreibtisch-Ökonomie, Tübingen 1985, S. 30. Dennoch hat sich die Agrarökonomie dieser Einsicht bisher völlig verschlossen, den Betrieb folglich als eine selbstständige, vom Haushalt völlig getrennte "Einheit" betrachtet, wenn auch häufig mit merkwürdigen Begründungen. So behaupten etwa Steinhauser, Langbehn und Peters, daß "die Aufgabe des Haushaltes ... vorwiegend in der Regelung des Güterverbrauchs liegt, Damit läßt sich der Haushalt ... eindeutig vom Betrieb und Unternehmen abgrenzen, die den Produktionsbereich betreffen". Vgl. Steinhauser, Hugo / Langbehn, Cay / Peters, Uwe: Einführung in die landwirtschaftliche Betriebslehre. Allgemeiner Teil, Stuttgart 1982, S. 16.
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einschließlich der unternehmerischen Leistung zur Verfügung steht. Entsprechend werden Faktorentlohnung und Faktorproduktivität geschätzt, wobei alle im "Betrieb" eingesetzten Produktionsfaktoren in Rechnung gestellt werden. Die Ergebnisse solcher sowohl auf einzelwirtschaftlicher als auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene vorgenommener Einkommens- und Produktivitätsschätzungen führen zu dem bereits einleitend genannten Resultat der intersektoral disparitätischen Faktorentlohnung und -produktivität und deren theoretische Erklärung durch gravierende Marktunvollkommenheiten. Solche Ergebnisse sowie die ihrer Erklärung dienende These des Marktversagens wurden in internationalen Vergleichen erstmals von Kuznets 1971 und nachfolgend von zahlreichen Ökonomen systematisch vorgetragen. 15 Kuznets faßt seine Ergebnisse dahingehend zusammen, daß "per worker product in the A sector (agriculture) is significantly lower than that in the I+S sector (industry and services) and intersectoral inequality in per worker product is greatest at the low per capita product levels and smallest at the high per product levels". 16 Erklärend verweist Kuznets auf "various aspects of duality of structure in the less developed countries" und "that such duality, if present in the developed countries, plays a much less important role." 17 Kuznets selbst hat bereits darauf hingewiesen, daß die in der Landwirtschaft beschäftigten Arbeitskräfte oder, genauer, die dem Sektor Landwirtschaft statistisch zugerechneten Arbeitskräfte nicht nur zur Agrarproduktion, sondern auch zur Produktion nicht-marktmäßiger Leistungen in dem zum Betrieb gehörenden Haushalt (Haushaltsproduktion) und außerhalb des Betriebes in nicht-landwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit Verwendung finden. Diese Aktivitäten "landwirtschaftlicher" Arbeitskräfte und die damit verbundene Wertschöpfung bleiben jedoch bei den üblichen Produktivitäts- und Einkommensschätzungen unberücksichtigt, weil diese Wertschöpfung entweder statistisch gar nicht erfaßt wird (Haushaltsproduktion) oder überwiegend den nicht-landwirtschaftlichen Arbeitskräften zugerechnet wird (außerlandwirtschaftliche Erwerbstätigkeit). Aber Kuznets hat diesem Tatbestand keine größere Bedeutung zugewiesen und zwar aufgrund reiner, aber unbegründeter Plausibilitätsüberlegungen. 18 Der genannte Tatbestand, wonach in der Landwirtschaft tätige Arbeitskräfte sowohl außerhalb des landwirtschaftlichen Betriebes als auch im zugehörigen 15 Vgl. dazu vor allem Syrquin, Moshe: Patterns of Structural Change, in: Chenery, H. / Srinivasan, T. N. (Eds.), Handbook of Development Economics, Vol. I, Amsterdam et al 1988, S. 203 ff. und die dort angeführte Literatur. 16 Kuznets, Simon: Economic Growth ofNations. Total Output and Production Structure, Cambridge, Mass. 1971, S. 236. 17 ebenda, S. 247. 18 Ausführlicher dazu Schmitt, Günther: Simon Kuznets' "Sectoral Shares in Labor Force": A Different Explanation ofhis (I + S) / A Ratio, in: American Economic Review, Vol. 79, 1989 I, S. 1262 ff.
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Haushalt beschäftigt sind, ist jedoch mit der üblichen Theorie des landwirtschaftlichen Betriebes nicht in Einklang zu bringen. Eine Erklärung kann nur die Theorie des landwirtschaftlichen Haushaltes liefern. Tatsächlich bilden Haushalt und Betrieb in der Landwirtschaft eine organisatorische Einheit. Diese Einheit stellt in Form der Familienwirtschaft zudem die dominierende und persistente Form der Landbewirtschaftung in den westlichen Industrie- und Entwicklungsländern dar. 19 Aus dieser institutionellen Besonderheit ergeben sich zwei Konsequenzen. Die eine besteht darin, daß die vom Haushalt angebotene und im zugehörigen Haushalt eingesetzte Arbeit keine direkte Bewertung durch einen vom Arbeitsmarkt bestimmten Lohnsatz erfährt. Deshalb kann diese Bewertung nur indirekt, nämlich in Form ihrer Opportunitätskosten erfolgen. Die andere Konsequenz besteht darin, daß im Falle von Opportunitätskosten der Arbeit, die keine Vollbeschäftigung der vom Haushalt angebotenen Arbeitszeit im Betrieb ermöglicht, weil deren Grenzprodukt unterhalb dieser Opportunitätskosten liegt, die "überschüssige", weil im Betrieb nicht effizient verwendbare Arbeitszeit außerhalb des Betriebes oder im Haushalt eingesetzt wird. Übersteigt dagegen das im Betrieb erreichte Grenzprodukt die Opportunitätskosten, dann werden zusätzlich Lohnarbeitskräfte effizient beschäftigt. Im ersten Falle liegen also sog. Nebenerwerbsbetriebe, im zweiten Falle dagegen sog. Vollerwerbsbetriebe (mit und ohne Lohnarbeitskräfte) vor. 20 Gerade die zuletzt genannte Konsequenz macht besonders deutlich, daß die Allokationsentscheidungen in der Landwirtschaft nur anhand der ökonomischen Theorie des Haushaltes hinreichend geklärt werden können. Diese Theorie geht bekanntlich auf Gary S. Becker 21 zurück und bedarf nur insoweit einer Ergänzung, als im landwirtschaftlichen Haushalt nicht nur die Nachfrage von seiten des Haushaltes selbst und von seiten des Arbeitsmarktes sowie der Freizeitbedarf um die vorhandene Zeit konkurriert, sondern auch der mit dem Haushalt verbundene landwirtschaftliche Betrieb Arbeitszeit nachfragt. Das pareto-effiziente Haushaltsgleichgewicht ist hier wie dort erreicht, sobald die Grenzverwertung der Arbeitszeit in allen miteinander konkurrierenden Verwendungsarten gleich ist und diese dem Grenznutzen der Freizeit entspricht.
19 VgI. Pollak, Robert: A Transaction Cost Approach to Families and Households, in: Journal of Economic Literature, Vol. 23, 1985, S.591. Ausführliche statistische Belege für die Dominanz und Persistenz der Familienarbeitsverfassung u. a. bei Schmitt, Günther: Die ökonomische Logik der Einheit von Haushalt und Betrieb in der Landwirtschaft, in: Agrarwirtschaft, Jg. 39, 1990, S. 209 ff. und dort angeführte Literatur. 20 Ausführlicher dazu sowie zur Theorie des landwirtschaftlichen Haushaltes Schmitt 1989 I und dort aufgeführte Literatur. 21 VgI. Becker, Gary S.: A Theory of Allocation ofTime, in: Economic Journal, Vol. 75, 1965, S. 493 ff.
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Daß die Familienarbeitsverfassung die dominierende Organisationsform in der Landwirtschaft geblieben ist, erklärt sich im wesentlichen aus folgenden Gegebenheiten und Zusammenhängen: Zum ersten sind die durch produktionstechnische Fortschritte realisierbaren Größenvorteile großer Betriebe ähnlich wie in zahlreichen Unternehmen im Dienstleistungsbereich und im Gegensatz zu vielen (groß-)industriellen Unternehmen offensichtlich recht bescheiden. 22 Vor allem aber gilt (zweitens), daß mit zunehmender Beschäftigung von Lohnarbeitskräften die Planungs-, Aufsichts- und Kontrollkosten (Transaktionskosten) rasch ansteigen und höher liegen als in kleineren Familienbetrieben 23: Fremdarbeit stellt, in anderen Worten, nur ein unvollkommenes Substitut für Familienarbeit dar. Diese organisatorischen Kostenvorteile der Familienarbeitsverfassung ergeben sich aus den dort wirksameren Anreiz- und Kontrollmechanismen, den "idiosynkratischen Informationen und Kenntnissen" der spezifischen Bedingungen des Betriebes 24, sowie aus im Familienverbund geübter Solidarität und dort praktiziertem Altruismus. 25 Ein wesentliches Element des Anreizsystems stellt die von der Familie organisierte soziale Sicherheit dar, wie Pollak ebenfalls betont 26 • Derartige Transaktionskostenvorteile kompensieren also die Größenvorteile größerer Betriebe in Form geringerer Produktionskosten. Drittens resultieren die zuerst genannten, durch produktionstechnische Fortschritte erzielbaren Größenvorteile in erheblichen Zunahmen der Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft. 27 Sie wirken also arbeits sparend, was bedeutet, daß 22 Die institutionelle Arbeitsteilung zwischen Haushalten und Betrieben, wie sie im Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung auftritt, ist ja die Folge technischer Fortschritte, die nur in Betrieben genutzt werden können, deren Arbeitseinsatz die von einzelnen Haushalten angebotene Arbeitszeit übersteigt. In der Landwirtschaft sind die mit einer Vergrößerung der betrieblichen Produktionskapazität erreichbaren Kostensenkungen durchgängig auf Betriebsgrößen beschränkt, die noch von einer Familie bewirtschaftet werden können, ohne daß Lohnarbeitskräfte in nennenswertem Umfang zusätzlich beschäftigt werden. Ausführlicher dazu Schmitt 1990 11. 23 V gl. dazu Schmitt, Günther: Das Scheitern der kollektiven Landbewirtschaftung: Eine transaktionskostentheoretische Erklärung, in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 68, 1991, S. 38 ff. und die dort angeführten Belege. Weitere Konsequenzen, die sich aus der Theorie des landwirtschaftlichen Haushaltes ableiten lassen, betreffen u. a. die Ermittlung der von ihnen erzielten Einkommen (vgl. dazu ders.: Die Ermittlung der Einkommen in der Landwirtschaft: Methodik und Probleme, in: Reich, U.-P. (Hrsg.): Aufgaben und Probleme der Einkommensstatistik, Sonderheft 26 zu Allgern. Stat. Archiv, Göttingen 1988, S. 97 ff.), die Frage der optimalen Betriebsgröße (vgl. dazu ders.: Wie optimal ist eigentlich die ,optimale' Betriebsgröße in der Landwirtschaft?, in: Agrarwirtschaft, 37. Jg., 1988, S. 234 ff.) und die Schätzung der vom Betrieb erzielten "Gewinne" (v gl. dazu ders.: Der "Unternehmensgewinn" in der Landwirtschaft: Maßstab der Effizienz des Faktoreinsatzes?, in: Agrarwirtschaft, 39. Jg., 1990, S. 307 ff.). 24 V gl. Pollak, S. 592. 25 Ausführlicher dazu Pollak. 26 Vgl. ebenda, S. 588 ff. 27 In nahezu allen Industrieländern der westlichen Welt ist die Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft erheblich stärker angestiegen als in der übrigen Volkswirtschaft. Beispielsweise stieg in der Bundesrepublik die Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft
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die Arbeitskapazität bäuerlicher Familien entsprechend vergrößert wird. Diese werden damit in die Lage versetzt, ohne zusätzliche Lohnarbeitskräfte produktionstechnisch vorteilhaftere, d. h. größere Betriebe zu bewirtschaften: Die überall in den westlichen Industrieländem erfolgte Zunahme der (durchschnittlichen) Betriebsgrößen in der Landwirtschaft hat deshalb keineswegs dazu geführt, daß die Familien- durch die Lohnarbeitsverfassung verdrängt worden ist, wie vor allem Karl Marx erwartet hat. Schließlich ist noch darauf zu verweisen, daß sich Familienbetriebe durch eine ausgeprägte Flexibilität in ihren Entscheidungen über den Ressourceneinsatz auszeichnen. Sie äußert sich auch in der bereits angesprochenen und zeitlich wechselnden Mehrfachbeschäftigung inner- und außerhalb von Betrieb und Haushalt. Welche Erkenntnisse vermittelt nun diese Haushaltstheorie zur Erklärung der Allokationsentscheidungen in der Landwirtschaft? In bezug auf unsere Problemstellung lassen sich folgende Antworten geben: 1. Sofort einsichtig dürfte sein, daß die eingangs angesprochenen intersektoralen Produktivitäts- und Einkommensrückstände der Landwirtschaft gegenüber anderen Sektoren einer methodisch falschen Schätzmethode zuzuschreiben sind. 2. Je nach wirtschaftlichen und natürlich-technischen Standortbedingungen streut die in den jeweiligen landwirtschaftlichen Betrieben erzielte Grenz- und Durchschnittsverwertung der eingesetzten Produktionsfaktoren sehr stark. Die auf die Landwirtschaft angewandte Haushaltstheorie lehrt nun, daß nach Maßgabe des jeweils erreichten Grenzprodukts das Ausmaß der außerbetrieblichen Verwendung bei gegebenem Lohnsatz (Opportunitätskosten) variiert. Daraus folgt, daß die Betriebsgrößen in der Landwirtschaft stark streuen, aber auch das Verhältnis der die Arbeitskapazität der Familien ausschließlich in Anspruch nehmenden Vollerwerbsbetriebe zu den nur im Neben- oder Zuerwerb bewirtschafteten Betrieben. 3. Unterschiedliche Betriebsgrößen bzw. deren Organisation als Voll- oder Nebenerwerbsbetriebe werden neben den zuvor genannten Faktoren auch von der jeweiligen Größe und Struktur der diese Betriebe bewirtschaftenden Haushalte einerseits und von der Höhe der Opportunitätskosten der von diesen angebotenen Arbeit andererseits mitbestimmt. Diese Opportunitätskosten sind nach Maßgabe des Alters, des Geschlechts und der beruflichen Qualifikation der erwerbstätigen Haushaltsangehörigen sehr unterschiedlich. Das aber bedeutet, daß zwar erhebliche intrasektorale Einkommensunterschiede bestehen, aber eine schematische Berechnung der intra- und intersektoralen "Einkommensdisparität", wie sie etwa im Agrarbericht der Bundesregierung vorgenommen wird, höchst fragwürdig ist. 4. Die zuvor unter 1. und 2. genannten Bestimmungsfaktoren von Betriebsund Haushaltsgröße sowie der Verwendung der Arbeitszeit des Haushaltes in zwischen 1978 / 79 und 1989/90 um 5,2 % jährlich an, in der übrigen Volkswirtschaft dagegen nur um 1,5 %.
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landwirtschaftlicher und außerlandwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit bzw. Haushaltsproduktion verändern sich im Zeitablauf. Entsprechende zeitliche Anpassungen der Haushalts- und Betriebsgröße bzw. der Allokation der Arbeitszeit in diesen miteinander konkurrierenden Verwendungsalternativen sind die Folge. Hieraus ergibt sich, daß sich die strukturellen Anpassungsprozesse der Landwirtschaft vielgestaltig vollziehen, nämlich sowohl durch ein Wachsen der Betriebe, aber auch in Form größenmäßiger Stagnation oder Schrumpfung sowie des Ausscheidens und der Neugründung von Betrieben. 28 5. Insgesamt kann also festgehalten werden, daß die Allokationsentscheidungen in der Landwirtschaft effizient erfolgen, und nicht davon gesprochen werden kann, daß es sich dort um eine suboptimale Allokation handelt, noch davon, daß die erreichte Faktorentlohnung entsprechend niedrig ausfällt. Im Gegenteil ist davon auszugehen, daß in der Landwirtschaft eine ähnlich hohe Effizienz in der Ressourcenverwertung wie in anderen Wirtschaftsbereichen erreicht wird, sich also weder hinsichtlich der Produktivität noch der Einkommen systematische intersektorale Divergenzen zum Nachteil der Landwirtschaft beobachten lassen.
c. Die ordnungspolitischen Implikationen Welche ordnungspolitischen Konsequenzen ergeben sich aus den zuvor vorgetragenen Erkenntnissen? Folgende Antworten sind auf diese Frage zu erteilen: 1. Die als wesentliche Indikatoren des angeblichen Marktversagens angesehenen intersektoralen Produktivitäts- und Einkommensrückstände der Landwirtschaft müssen als theoretisch unbegründet und empirisch als unhaltbar angesehen werden. Deshalb können sie nicht zur Begründung von staatlichen Interventionen zugunsten der Landwirtschaft herangezogen werden, weder für solche Maßnahmen, die direkt die Einkommen in der Landwirtschaft stützen oder erhöhen sollen, noch für solche, die mittels ihrer Strukturwirksamkeit den angeblichen Anpassungsrückstand der Landwirtschaft verringern und dadurch indirekt die Einkommen der in der Landwirtschaft verbleibenden Produktionsfaktoren erhöhen. 2. Gerade aber die zuletzt genannten strukturpolitischen Maßnahmen werden von den Agrarökonomen nicht nur als geeignet und notwendig angesehen, um dem sich auf die Landwirtschaft negativ auswirkenden Marktversagen zu begegnen, sondern auch als mit einer "aufgeklärten" Marktwirtschaft kompatibel betrachtet. Zwar richtet sich die Kritik der Agrarökonomen häufig gegen derartige Maßnahmen, weil sie in ihrer jeweiligen Ausgestaltung als wenig zielkonform und entsprechend wenig effizient anzusehen seien, doch schwächt eine solche 28 Ausführlicher und mit entsprechenden statistischen Nachweisen Schmitt, Günther: Zum Wandel in der Betriebsgrößenstruktur der Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, in: Agrarwirtschaft, Jg. 38, 1989 II, S. 294 ff.
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Einsicht keineswegs ihre grundsätzliche Überzeugung, daß strukturwirksame Anpassungshilfen notwendig und berechtigt sind, vor allem natürlich dann, wenn sie konsequent und effizient auf eine Verbesserung der Faktorallokation in der Landwirtschaft ausgerichtet sind. 29 3. Mit dieser, an die Adresse der wirtschafts- und agrarpolitischen Entscheidungsträger gerichteten Forderung nach einer Lösung der Agrarproblerne mittels einer die ansonsten unbehinderten Marktkräfte ergänzenden Strukturpolitik begeben sich die Agrarökonomen jedoch unweigerlich in eine selbstgestellte Falle. Denn das Versagen einer effizienten Strukturpolitik ist jenseits ihrer theoretischen Begründung darauf zurückzuführen, daß solche wie andere agrar- und wirtschaftspolitische Maßnahmen dem politischen Entscheidungsprozeß einer parlamentarischen Demokratie unterworfen sind. Nun lehrt gerade die Neue Politische Ökonomie, daß dieser Entscheidungsprozeß unter dem Einfluß der politischen Rentensuche von seiten der organisierten Interessen stets in, die Einkommensumverteilung begünstigende, nicht aber die Allokation verbessernde Ausgestaltung wirtschaftspolitischer Maßnahmen resultiert. Die Einführung von strukturpolitisch wirksamen Maßnahmen eröffnet also gleichsam die Einfallstür für die Durchsetzung von verbandspolitischen Interessen in der Agrarpolitik, die gerade deshalb verhindern, daß diese Strukturpolitik so ausgestaltet wird, wie es Agrarökonomen vorschwebt. 30 4. Nun wird bekanntlich die jeweilige Agrarpolitik zugunsten der Landwirtschaft mit dem Hinweis auf die soziale Komponente einer modernen, d. h. "sozialen Marktwirtschaft" begründet. Diesem Argument ist insofern zu widersprechen, als damit nicht der sozialpolitisch motivierte Eingriff in die vom Markt zu steuernden Allokationsentscheidungen gemeint ist, sondern die Begegnung möglicher und immer wieder auftretender sozialer Notlagen. 31 Nur auf diese kann die Landwirtschaft wie andere Wirtschaftsbereiche auch Anspruch erheben. Dieser Anspruch mag für die Landwirtschaft dann besonders dringlich sein, wenn die in der Landwirtschaft Tätigen es versäumt haben, rechtzeitig notwendige und mögliche Anpassungen zu vollziehen. Dabei sollte jedoch nicht aus dem Auge verloren werden, daß diese Versäumnisse auch darauf zurückzuführen sind, daß die Agrarpolitik selbst entsprechende Anpassungsreaktionen verhindert oder doch verzögert, schon allein durch ihr Versprechen, der Landwirtschaft ökonomisch zweckmäßige und meist unvermeidliche Anpassungen zu ersparen.
29 Vgl. dazu Schmitt, Günther / Tangermann, Stefan: Die zukünftige Rolle der Agrarpreispolitik der EG, in: Göttinger Schriften zur Agrarökonomie 57, Göttingen 1983. 30 Ausführlicher dazu Scheele, Martin: Die politische Ökonomie landwirtschaftlicher Einkommenspolitik im Rahmen der Agrarsozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Kiel 1990 und die dort angeführte Literatur. 31 Vgl. dazu etwa Müller-Arrnack, Alfred: Soziale Marktwirtschaft, in: HdWS, Bd. 9, Göttingen 1956, S. 390 ff.
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D. Ein Nachwort Der Mit-Herausgeber diese Bandes, Werner Zohlnhöfer, hat sich die Mühe gemacht, einen ersten Entwurf dieses Beitrages sorgfältig und kritisch durchzusehen. Neben zahlreichen Hinweisen und Anmerkungen, die ich dankbar aufgenommen habe, hat er sich zu einem Aspekt der von mir zuvor vorgetragenen "ordnungspolitischen Implikationen" geäußert, der mir so wichtig erscheint und deshalb der Erwähnung und der Diskussion bedarf. So folgt er mir zwar weitgehend in der Analyse des gemeinhin mit "Marktversagen" erklärten, aber als Fehlinterpretation zu bezeichnenden "Anpassungsproblems" der Landwirtschaft in einer Marktwirtschaft, verweist aber mit Recht darauf, "daß nicht Marktunvollkommenheiten die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs beschränken, sondern daß die Auswirkungen eines durchaus funktionsfähigen Wettbewerbs politisch nicht akzeptiert werden. Genau deshalb aber erscheint es mir weder wissenschaftlich befriedigend, noch dürfte es für die nicht unmittelbar der grünen Front angehörenden politischen Entscheidungsträger hilfreich sind, agrarpolitische Abstinenz zu empfehlen. Damit werden wir kaum Erfolg haben, dafür ist die grüne Front zu mächtig". Zohlnhöfer fährt fort, indem er meint, daß "wenn somit nicht Marktversagen, sondern die politische Macht der vom Anpassungsprozeß Betroffenen die eigentliche Ursache für eine staatliche Agrarpolitik bildet, und weiterhin politischer Konsens darüber besteht, so erscheint es mir geboten, den politischen Entscheidungsträgern zumindest jene Alternativen aufzuzeigen, die eine gewisse ,Schadensbegrenzung' ermöglichen ... Zum einen wurde diese Unterscheidung bisher noch viel zu wenig von der Wissenschaft dazu genutzt, um wirklich praktikable und politisch konsensfahige Konzepte zu entwickeln. Zum anderen ist auch hier davon auszugehen, daß wir es mit einem Lernprozeß zu tun haben, der Zeit erfordert! Deshalb sollte die Wissenschaft m. E. in Vorleistung treten, denn eine Umsetzung solcher Konzepte kann nur erwartet werden, wenn sie schon einigermaßen konkretisiert sind - in einem Augenblick, in dem die Politik aus purer Ratlosigkeit auf Suche nach Alternativen ist und dann auf diese Angebote zurückgreifen kann ... ". Einer solchen, wohl vornehmlich aus leidvoller Erfahrung und den Einsichten, die die Neue Politische Ökonomie vermittelt hat, gespeisten Empfehlung kann man nur schwer widersprechen. Unabhängig von der Frage, ob eine solche Empfehlung "wissenschaftlich befriedigen kann", die ich anders beantworten würde als Zohlnhöfer das tut, geht es ihm vor allem darum, ob und wie wissenschaftliche Erkenntnisse so in praktische Politikempfehlungen übersetzt werden sollen, daß sie eine Chance haben, von der praktischen Politik übernommen zu werden, auch wenn diese Empfehlungen nur eine gewisse "Schadensbegrenzung" und nicht eine völlige Schadensvermeidung erlauben, weil letztere politisch nicht erreichbar ist. Ich bin bereit, diesem "pragmatischen" Weg zu folgen, freilich
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nur als' Lösung auf mittlere Sicht, denn langfristig vertraue ich darauf, daß die aufklärerische Funktion der Wissenschaft auch dort erfolgreich sein kann, wo die "vested interests" noch unüberwindbar erscheinen. Ich gebe zu, daß solche Überlegungen vornehmlich von Hoffnungen getragen werden; die Geschichte indes lehrt, daß solche Hoffnungen nicht ganz unbegründet sind.
Agriculture and Rural Planning and Implementation: (The Case of Israel) By Raanan Weitz and Avshalom Rokach A. Foreword Planning and development of agriculture and rural settlement during the first decade of Israel' s existence were given top priority within the general framework of Israel's development. This tendency was contrary to the views held at that time by professionals and policy makers in the developed countries, who urged that maximum effort and resources (such as manpower, research, capital investment, etc.) should be devoted to industrial development. In fact, the dispute which centered around the question of what is the right balance between the different economic strategie choices, did not entirely bypass Israel. Here too, some professionals voiced their opinion that top priority should be given to industrialization. Such views were held mainly by professionals from the USA and international organizations, who came to young Israel to assist her in establishing asound economic basis. However, Israel took another course. She chose to devote major efforts to rural development in general and advancement of agriculture in particular. The reasons were as follows: 1. More than 50 years of Zionist tradition identified the establishment of an independent Jewish State with the return of its people to the soil. 2. Geopolitical and security reasons dictated to take hold of the large expanses of land which remained idle as a result of the War of Independence. The requirement to strengthen security was one of the chief concerns of the first government, headed by David Ben-Gurion. It was therefore reaffirmed by law and received high priority at the Israel Defense Headquarters. 3. By the end of the War of Independence, a great part of the Arab economy which was based mainly on agriculture, was damaged. The import of agricultural products from the neighboring Arab countries stopped entirely. Even the Jewish agricultural system was partly destroyed. As a result, a scarcity of food occurred which became even more prominent as the great immigration started, which doubled Jewish population during the first three years ofIsrael's existence.
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It became therefore dear to the majority of those concerned with the country's development that primary attention should be given to agricultural development. And indeed, most ofthe available capital, however limited, was channeled towards the establishment of an agricultural infrastructure. New immigrants were directed to the rural settlements and were trained to practice agriculture. The objectives of production in those years were quite dear. Maximum effort to supply the internal market with fresh food commodities such as: vegetables, fruit, eggs, milk and meat and thus reduce the severe food shortage.
During the years 1950 - 1954 capital investment in agricultural and irrigation projects absorbed about 30% of the overall country's expenditure, not counting investment in housing. This high rate shows the extent of preference conferred at that time on the agricultural sector. Ten years later, i. e., during 1960-1964, investment in agriculture and irrigation projects amounted only to about 18 % of the overall country's expenses 1, whereas in the late 70's and early 80's it was only 6 -7 % of the yearly investment. 2 Agricultural development and rural settlement in the early years of Israel's existence became possible to a large extent thanks to loans that Israel received from the American Import and Export Bank. That aid was delivered in the form of two loans, the first in 1949 and the second during 1949 - 1952, totalling 135 million dollars, according to the dollar value and prices at that time. Forty percent of the sum went directly to new settlements and the rest to infrastructure and water works development. 3 Aid by this financing body was delivered on condition that detailed plans of agriculture and settlement development would be presented. In this paper we will examine the plans of agriculture and rural development and the extent to which they have been executed. We shall see that some parts of the proposed plans in those early years were never implemented. On the other hand, most of the later plans, which were worked out by the authors of the present paper, at the time when planning methods had improved, were indeed successfully conduded. In addition, we will describe at some length the social, demographie and economic factors which influenced the development of the agriculture and settlement plans, their degree of implementation and the lessons which were drawn as a result of that planning in the later stages and up to the present time.
1 The Prime Minister's Office, Economic Planning Authority: The development of the national economy - past achievements and future plan, Jerusalem, 1968, p. 93. 2 Bank of Israel: Report for 1981, Jerusalem, 1982, p. 14-15. 3 Weitz, Raanan: Utilization ofloans for agricultural development, "HaAretz", March 13 and 18, 1953.
Agriculture and Rural Planning and Implementation
139
B. Agricultural Settlement in the Early Fifties Agriculture and rural settlement were among the best planned sectors even before Israel was established. Thanks to the Zionist ideology that associated the establishment of the Jewish State with the return of the people to the land and the geopolitical factors which demanded large-scale settlement, the Zionist movement institutions created organizations specifically designed to plan and develop agricultural settlement even before the British Mandate. In the agricultural sector, research and training institutions were established and, within rural settlement, planning departments were created that designed rural settlement models, describing their physical and architecturallayout as well as the appropriate agricultural structure for the future farm. Since the Jewish sector at that time formed only a small part of the agriculture of the country as a whole, these institutions were engaged in settlement planning within the Jewish sector only, proposing plans for individual settlements as well as plans for certain chosen regions. This activity changed with the establishment of the State. As already mentioned, the waves of immigration and damage to agriculture following the War of Independence on the one hand and the end of agricultural import from the neighboring Arab countries on the other, brought about a severe shortage of agricultural products. In addition, since increasing numbers of new immigrants could not find productive employment, to settle a part of the immigrants on land and encourage them to engage in agriculture seemed a good solution both for the food shortage and the unemployment problem. Thus, an overall nation-wide plan for agriculture and rural settlement was needed. It was agreed among all those concerned with rural settlement and immigration absorption that the kibbutz in spite of its many advantages, did not fit the social background from which the immigrants came from at that time. In particular it did not fit the immigrants from the Oriental countries who brought with them a socio-patriarchal tradition, nor did it suit the surviving Jewry from Europe. On the other hand, there were different views concerning the question of what was the best settlement form, especially in the transition period when immigrants had to be trained in agriculture and become adjusted to rural life. One approach which originated at the Settlement Department, supported by the moshavim movement, said that candidates have to be settled immediately, mainly in immigrant moshavim (small holders' cooperative settlements). Another approach was supported in part by the moshavim movement activists and the Agricultural Center and its secretary - Abraham Hartsfeld. They agreed to create immigrant moshavim but only after the training period had been completed. In the meantime, the participants would have to live in camps near veteran agricultural settlements and be employed as hired laborers.
140
Raanan Weitz / Avshalom Rokach
A third approach, voiced mainly by the kibbutzim movement activists, said that it is imperative to continue the classic pioneer settlement, which was the norm prior to Israel's independence. The idea was to form settlement groups, train them and only then settle them down as kibbutzim or moshavim. That approach might have frozen large-scale immigrant settlement for years and might have resulted in a slow-down of the new settlement process. The followers of that approach could not believe in a theory based upon factors other than motivation and ideology. Finally, the first approach won out. As already mentioned, it was first voiced by the Settlement Department of the Jewish Agency and afterwards accepted by all other parties concerned. It said that new immigrants should be settled directly and permanently, primarily in moshavim, and be trained simultaneously during their settlement. At the same time, the settlement organizations did not refrain from organizing transitional collective work, especially wherever the new settlers failed to adjust themselves to independent agriculture. The method was based on large farms managed by experts of the settlement movements and employment of the settlers as hired laborers for several years at their own future farms. This freed them from the liability of possible losses in the event of low yields caused by the lack of professional know-how, marketing difficulties, etc. Along these lines rapid rural development and agricultural planning began. At its inception this process involved mainly locating suitable sites and regions for rural settlement. However, it became soon clear that this was not enough and that steps had to be taken towards an overall plan for agriculture and the rural sector. Under the initiative of the Settlement Department at the Jewish Agency and the Ministry of Agriculture a detailed overall plan called "The Settlement of the Country"4 was worked out. The plan established settlement principles, the range of rural settlement, the scope of agricultural sectors and their regional division, the farm types and amount of investment capital.
C. The Development Plan 1951-1954 The first author of the present paper published a synopsis of the proposed plan in the summer of 1950 5 and soon afterwards the Settlement Department completed a detailed plan, which was submitted to the Ministry of Agriculture for approval. Aside from some minor insignificant changes, the plan corresponded to its former synopsis. As will be shown later, the plan was based partlyon assumptions, which did not fit reality. 4 Joint Committee for Agricultural Planning. The settlement of the Country, TelAviv, August 1950. 5 Weitz, Raanan: The settlement of the Country a development proposal, The Jewish Agency, Settlement Department, Jerusalem, July 1950.
Agriculture and Rural Planning and Implementation
141
The first assumption was that by 1954, the population in Israel would reach 2 million. Actually, the population reached 1.7 million only. The second assumption was that rural population would reach a total of 520,000 which was 26 % of the total anticipated population and that the majority of the rural inhabitants would be engaged in agriculture. "This requirement is of vital importance and we must thrive to attain it", the plan said. 6 However, by 1954 rural population rose only to 325,000 persons. The basic physical resources devoted to agriculture and rural settlement according to the plan had to be 3.9 million dunams (1 dunam = 0.1 hectare), out of which 3.3 million dunams had to be irrigated. Actually, by 1954 only 3.5 million dunams were cultivated and irrigated land did not exceed 750,000 dunams. Crop production according to the plan was much as possible aimed at selfsufficiency in food production. Accordingly, it presupposed that Israel would supply all its crops excluding grain (local production - 52 %), meat (local production - 41 %), and fish (local production - 83 %). On the other hand it was assumed that local production would cover the entire demand for sugar, edible oil and tobacco, in addition to the entire vegetable, fruit, egg and milk consumption. Actually, most ofthe sugar, tobacco and oil is being imported to this day and the theory of self-sufficiency lost its favor and is no longer prevalent. The food consumption forecast of the population, was based upon a very rich diet, mainly of animal protein. Thus for instance it was estimated that consumption of milk and its products towards the end of the project in 1954 would be 300 liters per capita, as opposed to 72 liters per capita at the project's initiation in 1950, whereas in fact in 1954 it was 140 liter per capita only. This figure remained constant during the 70's and rose a little in the 80's. Sugar, oil, tobacco and grain production were low and most of it was imported. With reference to rural settlement, the planners have determined that during the planning period of 1951 - 1954 50,000 new farm units would be added to the 16,000 existing farms in the 250 settlements which were set up after the establishment of Israel in 1948 - 1951. Assuming that each settlement would count about 80 - 100 families and some of the new settlers would be sent to assist and complete the young settlements set up before the planning period, it was estimated that 400 new settlements would be added to the existing ones.
In fact, rural settlement developed on a much smaller scale. During 195119540nly 105 new settlements were added, and the number of families reached approximately 10,000 only. 6
ibid, p. 4.
Raanan Weitzl Avshalom Rokach
142
The plan prescribed 12 farm types that must be adopted to the 22 eco10gic geographical regions. The farm types were as follows: Farm Type Dairy farm A Dairy farm B Intensive farm Citrus farm A Citrus farm B Industry crops farm A Industry crops farm B Grain farm A Grain farm B Olive or vineyard farm Hili farm
Mountain farm
Dunam Area 30 30 13
25 35 35 33 63 63 35 33 30
Additional Details 3 dairy cows, no vegetables 3 dairy cows + vegetables Mainly vegetables, irrigated 12 dunams citrus orchard + industry crops 12 citrus orchard + 1 dairy cow 25 industry crops + 1 dairy cow 30 industry crops + 1 dairy cow 50 irrigated grain, orchard + vegtbl. 45 grain + 1 dairy cow 20 orchard + 1 dairy cow 20 orchard + 10 dunam field crops 20 orchard + 10 dunam field crops
To each of the 22 regions the plan allocated the type and number of farms to set up and to be developed. The total number of farms of each type in any region, allowed the planners to estimate the magnitude of each agricultural branch at the conclusion of the planning stage in 1954. In addition, it allowed determination of the volume of the sectors at full development - the so called "final development phase" which settlements had to reach in about 4 years, after 1954. A summary of "The Settlement of the Country" plan (1951-1954), shows great differences between p1anning and reality. There are not on1y different estimates for land, water and manpower, but also different figures in production and its composition. These differences were due not only to difficulties of implementation, but to a great extent also to extreme changes in the planners' ideas conceming the desired composition of agricultural production and the desired part of the rural and agricultural sector in the country's economy. This development plan was by far the most extensive and inclusive one carried out up to that period. Yet, it was deficient in several respects: First, the forecast of basic resources, specifically the development of water resources, was too ambitious in proportion to what cou1d be achieved in reality. The reasons were twofold: imperfect estimation of the means that would be available for the development process, and improper assessment of the technological difficulties which might occur in the development process, even if we had the necessary capital. Second1y, the planners' approach was influenced very much by the idealistic Zionist approach without due consideration of the underlying economic factors. The same motive of self-sufficiency which guided the farmer to develop a diversified agricultural enterprise, also influenced the planners to conceive an
Agriculture and Rural Planning and Implementation The Settlement of the Country -
143
Planning and Implementation
Planning for 1954
Implementation Implementation 1954 Percentage
Population and Settlement
Israel total population Rural population percentage Jewish tot. agric. settlements New settlements 1950-1954 New fann units 1950-1954
2,000,000 26 520 320 50,000
1,700,000 19 342 105 10,000
85.0 73.0 65.7 32.8 20.0
3,900,000 3,300,000 126,000 47,000 342,000 387,000 262,000 11,600 117,840 2,000 60,000 100,000
3,500,000 750,000 36,000 5,600 284,000 392,000 58,000 2,800 19,000 200 21,000
89.7 22.7 28.6 11.9 87.6 101.3 22.1 24.1 16.1 10.0 35.0
48,000 600,000,000 20,000 730,000,000
2,000 159,000,000 27,000 503,000,000
4.1 26.5 135.0 68.9
Area and Agric. Production
Total cultivated area (dunam) Irrigated area - 1954 Grain - tons Legume - tons Vegetables & potatoes - tons Citrus - tons Other fruit - tons Olives - tons Peanuts - tons Tobacco - tons Sugar beet - tons Sugar cane Edible oil production using local raw materials Milk - liters Meat - tons Eggs
autarky on anational scale. Unfortunately, they aspired to satisfy total local demand, without paying due attention to cost-effectiveness. This caused the planners to propose total production of sugar, edible oil, tobacco and other crops without taking into account agro-technic and economic problems and possibilities. On the other hand, aside from citrus, only surplus products which the local market would not absorb anyway, were considered for export. Consequently, the farms were planned to be diversified entities and 7 out of 12 farm types contained the dairy element. This approach presupposed an increase of milk consumption much beyond what was possible and even desirable. At the same time, the Zionist ideology approach influenced the planners to aspire to a rural population much above the economic requirements; since they completely identified agriculture with rural life and could not imagine that rural life is possible without being a farmer, they suggested a 26 percent farmer population - much above the 18 - 20 percent common at that time, which after some years gradually fell much more. This phenomenon which occurred in the developed Western countries, was at that time thought to be irrelevant for Israel.
144
Raanan Weitz / Avshalom Rokach
However, in spite of its drawbacks, the plan had a profound influence on agriculture and settlement development. The plan enabled human and capital resources to be diverted to agriculture and settlement development. This plan facilitated obtaining loans from the American Import and Export Bank and made the agricultural infrastructure development possible. It enabled the Jewish Agency to mobilize the unprecedented means that were required in those years for the settlement of new immigrants on such a broad scale. In addition, the plan helped to improve planning methodology later on. D. The "Seven-Year" Plan (1954 -1960) Although some part of the 1951 - 1954 plan was never realized, nevertheless up to 1954 an impressive growth in settlement development occurred; 105 new agricultural settlements were set up. Cultivated land, specifically irrigated land, was substantially increased, and as a result agricultural production grew continuously, though not always as envisioned by the planners. Major progress was made in the production for the internal market to satisfy the demand for vegetables, fruit, eggs, milk and poultry. There was a substantial increase in citrus orchard planting designed for export (although most orchards at that time did not reach yet maturity). Israel's agriculture was capable of supplying most of its own requirements for fresh products and there were first signs indicating that if agriculture continued along the same lines, there might even be a danger of surplus. Therefore, the settlement authorities came to the conclusion that new planning was urgently in order. The fact that the first great Yarkon-Negev irrigation project, whereby additional new areas would become fertile, was nearing completion, stimulated the planners to revise the former plan. This was delegated to the Agriculture and Settlement Planning Center - a unit jointly under the auspices of the Settlement Department at the Jewish Agency and the Ministry of Agriculture. Since the plan was to cover aperiod of 7 years - 1953/4-1959/60, it became known as "The Seven Year Plan~'. This plan went through many vicissitudes and various formulations until it was finally worked out and approved. The first draft still contained many elements of the former approach. Thus, most of the farms were still planned as diversified enterprises, containing 3 dairy cows. Besides, most of the planners still believed in the self-sufficiency concept and therefore planned production accordingly. The first author of the present paper published at that time a number of articles 7 opposing the trends of the draft that became later known as "Formula A" and made several speeches before groups involved in planning. He presented before 7 Weitz, Raanan: A reckoning with ourselves, "Davar", April 13, 1953; Weitz, Raanan: A new agricultural plan, "Davar", May 14, 1953; Weitz, Raanan: The field economy, "Davar", May 21, 1953; Weitz, Raanan: The implementation method of a field economy, "Davar", June 3, 1953.
Agriculture and Rural Planning and Implementation
145
the planning authorities an alternative draft under the name of "Formula B". This draft was met with great opposition from the settlement movements and also from certain elements in the government planning circles. They still were "captives" ofthe old theory which said - no farm can ever exist without livestock and in particular without a cowshed. The first author of this paper also stressed the importance of a plan which might help to improve the balance of payment by developing those agricultural branches that might contribute to export, or limit imports. Although the draft was met with opposition, it nevertheless found some supporters, mainly among economists, agricultural experts and agriculture and settlement policy makers. 8 Finally, that discourse resulted in an introduction of several significant changes in the "Formula A" draft, which led to an approval of the amended plan. That became known as "The Seven Year Plan, Version C". One additional element of the plan which was emphasized and approved had to do with the physical layout of rural settlement and stressed the necessity of integration between the rural and urban sectors. The physical layout that was recommended suggested regional planning based upon the establishment of service centers shared by a group of settlements. These were called at that time interrural centers. Since the centers were to facilitate economic and municipal services to a number of settlements collectively, instead of scattering them throughout in each settlement individually, that meant a higher level of efficiency and improved services. This concept was approved and implemented after the "Seven Year Plan" in the Lachish region - a complex of settlements set up one year later. An experiment to integrate the rural and urban sectors was carried out here, too. For that purpose the town of Kiryat -Gat was chosen and specifically designed as an integral part of the regional complex. This experiment, though successful at its inception, regretfully did not last long because of conflicting interests among various ministries, differences between rural and urban inhabitants, organ izational mismanagement and authority disputes. After some years a gap between the city and the settlements reappeared. This subject deserves further investigation, but is beyond the scope of the present paper. On the other hand, there was great success in farm mode design and development. This plan paved the way for the development of new farm types - for instance the field crop farm. It strengthened the new dairy farm that was based now on numerous dairy cows, the citrus farm and later in the 60's and 70's it enhanced development of the greenhouse farm for export. The following are the main details ofthe "Seven Year Plan, Version C" (1953/ 4-1959/60) and its implementation: 8
Gvati, Chaim: What is the path of our agriculture, "Davar", June 3, 1953.
10 Festgabe '111. Darns
Raanan Weitz/ Avshalom Rokach
146
1953/4 Status
The Planfor Planned Rate 1959/60 ofChange 1953/4=100
Actual Status (10) 1959/60
1mplementation Percentage 1953/4=100
Land & Manpower Manpower in Agriculture Cultivated Area (million dunam) Irrigated Area (million dunam) Water (million cubic meters)
90,()()()
170,()()()
189
120,()()()
70.6
3.5
3.5
100
4.1
117.0
0.6
1.85
308
1.3
70.3
660
1,300
197
1,060
81.5
101.6
Livestock Dairy Cows (Jewish Sector)
35,600
62,()()()
174
63,()()()
Sheep
42,()()()
100,()()()
238
117,()()()
117.0
2.2
2.25
102
6.7
297.7
234
228
97.4
267
56.8
112.0
Poultry (millions)
Production & Export Agricultural Production
(1953= 1(0)
Agricultural Export in million $
100 19.0
50.7
The above data show that the planned figures oftotal agricultural output indeed agreed with produetion. Agrieultural export, too, was implemented aeeording to the plan and even exeeeded the foreeast. On the other hand, manpower engaged in agrieulture inereased very little in eomparison with the foreeast and water for agrieulture was mueh less than antieipated. This was due to teehnieal and funding diffieulties and affeeted the inerease of the irrigated area. However, in spite of only partial realization of the water development plans and the small inerease of manpower, production advanced aeeording to plan. This was possible thanks to the ever-inereasing efficieney in Israel's agrieulture. Beeause of high demand, the dairy and poultry branehes, greatly exeeeded the anticipated figures. In summary, the "Seven Year Plan" for agrieulture and rural development was mueh more sueeessful in predieting developments than the fonner one. This indieates that planning tools and methods have greatly improved. It established the need to eontinue to rely on planning also in the future. The planners, however, did not pereeive the role of knowhow in raising produetion efficieney. This faetor was stressed more in future plans. In addition, greater attention was required in estirnating the potential dernand of the internal
Agriculture and Rural Planning and Implementation
147
and outside markets. The local increased demand for eggs and poultry that exceeded the forecasts was due to the constant rise in the standard of living of the Israeli citizen - a phenomenon which economists did not foresee either. On the other hand, already in the 50's when Israel's exports, besides citrus fruits was negligible, the planners, including the present author, saw the great potential that lies in the export of agricultural products. As stated before, the plan played a major role in molding the character of the farm types and rural areas in Israel from the 60's and onwards. In a later development plan, presented before the planning authorities, the first author of this paper stressed even more the growing need of production for export and suggested new farm types as we shall see now.
E. Agriculture and Rural Development Forecast 1961-1972 The two above described agriculture and rural development plans and an additional one which complemented and improved upon the "Seven Year Plan" and became known as the "Four Year Plan, 1955 - 1959", persuaded the authorities to direct thereafter development according to comprehensive plans and not allow the free market play to dictate development of agriculture and rural settlement. Such free market strategy was probably possible in certain Western countries that reached an advanced degree of development, but did not fit the conditions of Israel in the 50's and 60's when it went through a continuous process of rapid, economic and social change. If the development process had been left to free market play, it might have resulted in an unbalanced and dangerous state of development; it might have created unemployment pockets in the remote parts ofthe country and produced a surplus of certain products and a shortage of others. The need to continue planning and improve planning tools was especially evident in agriculture and in the rural sector, where change was very intensive and prominent; increased efficiency by mechanization and automatization was accompanied by a reduction of labor force, higher yields per area and water units and a tendency towards specialization, coupled with a policy to prevent rapid urbanization which might have resulted in abandonment of rural regions. In spite of intensive planning and production quotas, at the end of the 50's and at the start of the 60's, surplus production occurred in certain agricultural branches; the trade deficit increased and weighed heavily upon the country's economy. At the same time in Europe, especially in the winter season, there was a craving for fresh agricultural products. All these combined factors prompted the idea of production for export. These developments stimulated the authors of this paper to suggest an agriculture and rural settlement plan of their own. 9 9 Weitz, Raanan / Avshalom Rokach: A forecast ofIsrael's agriculture and settlement and its conduct. National and University Institute for Agriculture. Pamphlet No. 68, Rehovot, November 1962.
10"
148
Raanan Weitz/ Avsha10m Rokach
The basic data upon which the plan was based were carefully analyzed; the first chapters of the proposal dealt with expected population growth in the planning period, total product and the per capita product, private consumption and hence the expected average "food basket". Since a large portion of agricultural production was based on export, great care was taken to assess correctly export possibilities and prices. Elaborate market surveys were performed to estimate demand of the destination markets, (especially in Europe) and to designate the size of agricultural branches for the internal market and for export, including expected yields, the required manpower in agriculture and other inputs, and the profitability of the different agricultural branches. Only after the basic data were collected and inserted, it became possible to introduce the plan, to allot production resources to individual production entities, i. e., designate particular farm types and adjust them to the specific ecologic regions. In the final planning phase, the development and form of the rural areas was designated, and the manpower figures to be engaged in agriculture and to be employed in non-agricultural capacities within the rural areas were specified. It was suggested that non agricultural employment must be created there in order to avoid migration of excess manpower to the cities. The following are the main features of the plan and the degree of their implementation at the national and regional levels. A comparison of the planned data vis-a-vis to the implementation, shows that in most instances fundamental agricultural figures are compatible with the plan. Total agricultural production and agricultural export strikingly match predictions. Most of the branches such as cattle, sheep, chicken, vegetables, cotton and citrus, correspond to the plan as weIl. In some cases, however, there are significant differences between anticipated figures and implementation; fattened poultry for example exceeded planned figures more than twice. This should be ascribed to the continuous rise in the population's standard of living. A similar development occurred in deciduous fruits. On the other hand, production of sugar beet in the designated period, was far less than planned. In fact, local sugar production was stopped entirely in the late 70's. This was due to a sharp decline of sugar prices on the world markets, rendering further production unpractical. A similar situation occurred in edible oil production. On the other hand the land assigned to sugar and oil was diverted to cereal production. Therefore the data thereof exceed planned figures. Great differences are also noticeable in the manpower figures. Instead of an increase, the number actually decreased. This happened for two reasons: First, productivity expanded due to a transition to intensive farming and increased introduction of automation. Second, financial difficulties impeded economic development and welfare of existing farms (that had to generate more jobs in agriculture) and hampered the founding of new settlements, especially in the
149
Agriculture and Rural Planning and Implementation
Negev region. This also caused a regression in the irrigated land figures. But as already mentioned, this regression was more than compensated by an increased share of production per employee and per land unit, so that the overall production as weIl as export agreed with forecasts. Agriculture and Settlement Forecast 1961-1972 - Planning vis-a-vis Implementation Status in 1972 Rate 0/ Change (10) 1961·1972
1961/2 Status
The Plan Jor 1972
Planned Rate oJChange 1961/2=100
127,600
160,000
125.4
95,600
74.9
4.1
4.2
102.4
4.2
102.4
1.36
2.2
161.7
1.76
129.4
1,025
1,085
105.8
1,270
123.9
62,000
83,000
133.9
85,000
137.1
57,000 180,000 7.5
90,000 180,000 7.8
157,9 100.0 104.0
75,000 184,000 7.6
131.6 102.2 101.3
Land & Manpower
Labor Force in Agriculture Cultivated Area (million dunam) Irrigated Area (million dunam) Water (million cubic meters) Livestock and Poultry Heads of Dairy Cows Heads of Cattle for Meat Sheep Poultry (mill's) Production & Export Production Growth Rate 1961=100 Agricultural Export in million $'s
166.5
100
184.5
156
238.2
163
248.8
359,000 14,000 244,000 146,000 14,500 515,000
620,000 38,000 495,000 218,000 36,000 1,390,000
172.7 271.4 202.9 149.3 248.3 269.9
645,000 40,300 248,000 374,000 20,000 1,553,000
179.6 287.8 101.6 256.2 137.9 301.5
48,000
68,000
141.6
177,000
368.7
283,000 1,290
398,000 1,420
140.6 110.1
476,000 1,404
168.2 108.8
54,600
58,000
106.2
142,000
260.0
65.5
Production in Selected Branches Vegetables and Potatoes (tons) Cotton Fiber (tons) Sugar Beet (tons) Cereals (tons) Peanuts (tons) Citrus (tons) Deciduous Fruits (tons) Milk (thousand liters) Eggs (million) Fattened Poultry (tons)
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Raanan Weitz/ Avshalom Rokach
The plans that the authors submitted relating to farm types and the structure of rural regions, formed a basis for rural development in the early 60's and onwards. The main point that was emphasized in the planning of farm types was the need for a transition to specialized farming and the development of a new farm type for export. And indeed, most of the new settlements that were set up from the mid-sixties onwards were designed to practice agriculture for export. These were the settlements established in the Western Negev and Bsor region. As the plans suggested, these settlements were dedicated to vegetable and flower production for export. It has to be noticed that, at the time that plans were in preparation, there was no export of vegetables from Israel at all and export of flowers had hardly started. Thanks to these plans research institutions initiated programs to examine vegetables suitable for export and the nursing of new species. This resulted in the development of tomatoes for export (especially for the winter season) and erection of greenhouses of various types, specifically adopted to winter vegetables and flowers - particularly roses. Other farms that were originally planned as diversified enterprises were converted into specialized farms as weIl. In ecologically suitable regions, intensified dairy farms were developed; in the mountainous regions poultry farms were established, and structures were adopted to fit dimatic and quantitative conditions of these specialized farms. The plans tried to find ways and means for doser cooperation and integration of the rural settlements with nearby urban settlements. As a result, in the rural sector non-agriculture employment was created in order to complement the income of some farmers and absorb surplus manpower that could not find employment in agriculture, thus avoiding migration from village to city. And indeed, as planning progressed, this policy gained importance in the eyes ofthe authorities concerned with rural development. Industrialization of rural regions and integrated rural development, became one of the most important challenges of the settlement authorities in Israel. In this way, a massive migration to the cities was avoided, in spite of a significant decrease of employment in agriculture in the plan period of 1961-1972 as weIl as in the years which followed. This subject, however important, is beyond the scope of our present discussion.
F. The Influence of Planning on the Development Process The above mentioned development plans, published and implemented in the 50's and 60's had a profound influence on the planning methodology utilized in following plans, as well as on the development trends and directions in the later stages during the forty years of Israel' s existence.
Agriculture and Rural Planning and Implementation
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The agricultural and rural sector were the only ones planned prior to the establishment of Israel. As already mentioned, this was so because of the identity between Zionist ideology and rural settlement. In the early period planning was restricted only to a few areas in the country. However, this allowed the development of planning methods that were put to use later on, in particular in the first nation-wide rural development plan detailed above. Some planning methods and techniques changed and improved, but basic ideas remained. Among them, are, in particular the planning process, the aim of which was to coordinate the nationwide development plan to local plans so that the total number of farm types in all regions and settlements might correspond to the overall plan. This method is basic to all plans and ensures implementation of the overall plan. Another principle basic to all plans in agriculture, as well as in any other sector, is the requirement to set demand and consumption of products according to expected changes in the level of income of the population. Forecasts concerning these points were done only after the late 50's. However, since then up to the present, all plans have taken this element into consideration. The first national plan, executed by the Economic Planning Authority in the early 60's 10, was the first to take into consideration the anticipated demand with reference to expected changes in per capita product, after the example set by .the present authors in their plan of 1962 and in similar works performed by the Falk Institution for Economic Research. 11 Hence, planning methods were applied first in agriculture and settlement was adopted and utilized later in the planning of other economic sectors. In addition, the agriculture and settlement plans served to get the necessary loans from friendly countries, such as the USA, international organizations and various banks in the world. The "Four-Year Plan" in particular, which followed the "Seven-Year Plan", served among other things to get the required aid from outside sources, among them the world Jewry. The plans were used also to direct the activities of the Settlement Department at the Jewish Agency, the activities of the Ministry of Agriculture and the funding of development projects by the Ministry of Finance. Due to acute economic problems and budget limitations, not all the plans were fully realized. However, in view of the country's continuous rapid change and urgent need to absorb mass-immigration, the preparation of regional development plans was a must. The remarkable achievements that have been made during the forty years ofIsrael' s existence show the significance of a periodic examination
10 The Economic Planning Authority: A proposal for anational economy development plan for 1965-1969, Jerusalern 1964. 11 Leviatan, N.: Consumption patterns in Israel, The Falk Center for Economic Research in Israel, Jerusalern 1964.
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Raanan Weitz/ Avshalom Rokach
of national goals and continuous search for better and improved planning methods, as it is indeed done at the Development Study Center in Rehovot and other similar Israeli institutions.
Regionalpolitik
Regionalpolitik als Mittel zur Steuerung der räumlichen Entwicklung Von Hans-Jürgen v. d. Heide
A. Raumordnung und Regionalpolitik Die Festlegung der Ziele von Raumordnung und Landesplanung mit ihren verbindlichen rechtlichen Auswirkungen ist ebenso Aufgabe der Raumordnungsund Landesplanungsbehörden wie die Bearbeitung von allgemein räumlichen Entwicklungskonzepten, die dann durch Ziele verbindlich umgesetzt werden. Raumordnung ist insgesamt gesehen ein noch junges Kind der öffentlichen Verwaltung. Es gibt sie erst seit etwa zwei Generationen. Sie entstand erst in den 20er und 30er Jahren, als die Ansprüche der Industriegesellschaft an den Raum immer stärker an Gewicht gewannen. Je höher die Beanspruchung des Raumes wurde, um so wichtiger war es, eine Schiedsstelle zu haben, die die unterschiedlichen Raumansprüche gerecht untereinander abwägen kann. Da die Raumordnung langfristig arbeiten muß, wenn sie Entwicklungskonzepte sachgerecht durchsetzen will, fehlt ihr im unmittelbaren politischen Bereich oft die notwendige Resonanz. Der Raumordner muß in Jahrzehnten denken. Der Politiker denkt zwangsläufig in Legislaturperioden und damit in sehr viel kürzeren Zeiträumen. Er will sich nicht mit Entscheidungen belasten, die ggf. erst im nächsten oder übernächsten Jahrzehnt wirksam werden können. Nicht zuletzt deshalb ist es oft schwer, in den politischen Entscheidungsprozessen die Zielkonzepte für die räumliche Entwicklung vor Schaden zu bewahren. Das politische Gewicht der Raumordnung wird dann gestärkt, wenn es gelingt, schon in kürzeren Zeiträumen Erfolge sichtbar werden zu lassen. Ein in dieser Richtung besonders wirksames Instrument ist die regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik. B. Regionale Wirtschaftsförderung Die regionale Wirtschaftsförderung ist ein Kind der Nachkriegszeit. Schon bald nach dem Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestages wurde zu Anfang der 50er Jahre der Wunsch laut, der Bund möge sich in den vom Kriege
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besonders betroffenen Gebieten und Städten zusätzlich zur Länderhilfe einschalten. Nach einigem Zögern konnte sich der Bund diesem Druck nicht entziehen. So entstanden erste regionale Hilfsprogramme zunächst für die sogenannte rote Zone, die jene Gebiete des ehemaligen Westwalls umfaßten, die in den Winterschlachten 1944/45 besonders stark zerstört worden waren, und für das Zonenrandgebiet, jenen neuen Grenzstreifen entlang der innerdeutschen Grenze zwischen der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone und der britischen und amerikanischen Besatzungszone. Einbezogen in diese Hilfen wurden auch Städte wie Kiel und Wilhelmshaven, die ihre Funktion als ehemalige Flottenstützpunkte verloren hatten, und Salzgitter. Die Hilfsrnaßnahmen waren darauf ausgerichtet, in diesen von der Not des Krieges besonders betroffenen Gebieten vorhandene Arbeitsplätze zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Noch in den 50er Jahren wurden diese einzelnen Hilfsprogramme zu einem Gesamtprogramm im regionalen Förderungsprogramm des Bundes zusammengeschlossen. Je mehr es gelang, die nachteiligen Folgen des Krieges zu beseitigen, um so stärker wurde diese Wirtschaftshilfe des Bundes umgestaltet. Aus dem Programm zur Linderung der Not des Krieges wurde zunehmend ein Instrument allgemeiner nationaler Entwicklungspolitik. Verfassungsrechtliche Grundlage dieser Umstellung war der Grundsatz wertgleicher Lebensverhältnisse für alle Teilräume in der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland. Dieser Grundsatz ist aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes als eine Leitnorm für die räumliche Entwicklung hergeleitet. Er verpflichtet Bund und Länder, die Fördermittel so einzusetzen, daß wertgleiche Lebensverhältnisse in allen Teilräumen erreicht werden. Mit der Umstellung wurde aus einem Instrument, das zunächst zur Linderung von Notständen geschaffen worden war, ein Steuerungsinstrument für die räumliche Entwicklung im gesamten Staatsgebiet. Für die Regionalpolitik vollzog sich damit ein grundsätzlicher Wandel. Es begann eine neue Ära moderner Wirtschaftspolitik. An dieser Umstellung waren maßgeblich die damals zuständigen Referenten Wilhelm Giel und später Dr. Wolfgang Albert beteiligt. Sie schufen die gedanklichen Grundlagen für dieses neue Instrument der Wirtschaftsverwaltung und sie setzten die gewonnenen Erkenntnisse im Bund-Länder-Gremium für die regionale Wirtschaftsförderung durch. Hier entstand ein Instrument, das das Gegenstromprinzip in vollendeter Weise in die Tat umsetzte. In der Regionalpolitik wirken Bund, Länder und Kommunen intensiv zusammen. Kommunen und Länder bringen ihre Anträge und Wünsche unter Berücksichtigung der lokalen und regionalen Gegebenheiten vor, und der Bund analysiert diese Anliegen in seinem Programm. Dies alles geschieht in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen der Wirtschaft - dem Deutschen Industrie- und Handelstag, dem Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Deutschen Handwerkskammertag und dem Deutschen Bauernverband - und
Regionalpolitik zur Steuerung der räumlichen Entwicklung
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mit den Organisationen der Arbeitnehmer - dem Deutschen Gewerkschaftsbund und den Einzelgewerkschaften - . Nachdem sichtbar geworden war, wie wirksam regionale Förderpolitik sein kann, schuf der Verfassungsgesetzgeber im Rahmen der großen Finanzreform 1969 ein verfassungsrechtliches Fundament für diese Aufgabe. Sie wurde zur Gemeinschaftsaufgabe im Sinne von Art. 91 a GG. Nach dieser Vorschrift wirkt der Bund auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben): 1. Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken, 2. Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, 3. Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes. Diese Gemeinschaftsaufgaben sind durch die Finanzreform 1969 in das Grundgesetz eingefügt worden, weil die strenge Trennung der Aufgaben des Bundes von denen der Länder nicht ausreichte, um den heutigen staatlichen Aufgaben gerecht zu werden. Die Entwicklung in der Verfassungswirklichkeit hatte gezeigt, daß die Abgrenzung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern in den Art. 30, 70 und 83 GG um eine Regelung über das Zusammenwirken von Bund und Ländern auf bestimmten Gebieten ergänzt werden mußte. Bestimmte Aufgaben von umfassender, meist überregionaler Bedeutung mußten in eine gemeinschaftliche Verantwortung übertragen werden, vor allem in Sachgebieten, die für die wirtschaftliche und räumliche Zukunftsentwicklung bedeutsam sind. In den 60er Jahren trat in der Verfassungswirklichkeit die Verzahnung der Kompetenzen stärker in Erscheinung als das bis dahin im Grundgesetz vorgeschriebene Trennsystem. Die regionale Wirtschaftsförderung, die ihr rechtliches Fundament nur in den Haushaltsansätzen des Bundes hatte, war ein einprägsames Beispiel für solche Formen des Zusammenwirkens von Bund und Ländern. Über zunächst lose Absprachen hinaus, war es hier zur institutionellen Verfestigung gekommen. Die Finanzreform gab dann dafür ein gesichertes verfassungsrechtliches Fundament. Ein wesentlicher Kernpunkt der Finanzreform 1969 war es, für die Kooperation von Bund und Ländern eine verfassungsrechtlich gesicherte Grundlage zu schaffen, die nach den modernen Bedürfnissen eine gemeinschaftliche Planung und Finanzierung erfordern. Die Tröger-Kommission, die vorab die Vorschläge für die große Finanzreform 1969 erarbeitet hatte, war in ihren Vorschlägen für Gemeinschaftsaufgaben noch weitergegangen. Sie hatte vorgeschlagen, das Grundgesetz durch eine Generalklausel dahin zu ergänzen, daß Bund und Länder bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben zusammenwirken, wenn die Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und einer gemeinsamen langfristigen Planung bedürfen. Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, sollte bestimmt werden, welche Aufgaben Gemeinschaftsaufgaben sind. Diese Regelung hätte es ermöglicht, die Art und Zahl der Gemeinschaftsaufgaben der
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jeweiligen AufgabensteIlung und Entwicklung des Zusammenwirkens von Bund und Ländern ohne Verfassungsänderungen anzupassen. Sie hätte aber die Bestimmung der Gemeinschaftsaufgaben der verfassungsrechtlichen Regelung entzogen. Das wurde in den Beratungen zur großen Finanzreform als verfassungspolitisch nicht unbedenklich angesehen und deshalb nicht in das Grundgesetz übernommen. Für den hier behandelten Bereich der regionalen Wirtschaftsförderung kam es zu dem verfassungsrechtlichen Fundament der Gemeinschaftsaufgabe. Ihr Inhalt wurde auf der Grundlage von Art. 91 a Abs. 2-5 durch das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vom 6. Oktober 1969 - BGBI I, S. 1861 - ausgeformt. Für die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur wurde dabei festgelegt, daß alle Maßnahmen im Rahmen der Förderung mit den Grundsätzen der allgemeinen Wirtschaftspolitik und mit den Zielen und Erfordernissen der Raumordnung und Landesplanung übereinstimmen müssen. Die Förderung hat auf gesamtdeutsche Belange und auf die Erfordernisse der E~ropäischen Gemeinschaften Rücksicht zu nehmen. Sie soll ferner auf sachliche und räumliche Schwerpunkte konzentriert werden. Ergänzend zu diesem Gesetz sind hier noch das Investitionszulagegesetz (i. d. F. der Bekanntmachung vom 2. 1. 1979 - BGBI I, S. 24) und das Zonenrandförderungs gesetz zu nennen. Alle drei Gesetze haben zusammen ein Fundament geschaffen, auf dem die regionale Wirtschaftsförderung mehr als 20 Jahre wirksam agieren konnte, bis zum 3. Oktober 1990, dem Tag des Beitritts der Länder in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland. Welche Folgen sich hieraus für die regionale Strukturpolitik und die Raumordnung ergeben, darauf wird zum Abschluß dieses Beitrags zurückzukommen sein.
C. Verhältnis von Raumordnung und Regionalpolitik Schon bei der Beschreibung der Gemeinschaftsaufgabe wurde der sachliche Zusammenhang zwischen dieser Gemeinschaftsaufgabe und der Raumordnung deutlich. Er wird noch deutlicher im Rahmen der in Art. 91 a Abs. 3 GG vorgesehenen gemeinsamen Planung von Bund und Ländern. In ihr liegt das eigentliche Kernstück der verfassungsrechtlichen Regelung, weil mit ihr die Gemeinschaftsaufgaben als neues Verfassungsinstitut eine konkrete Form für die Realisierung bekommen haben. Die Ausführungsgesetze zu den Gemeinschaftsaufgaben legen die Einzelheiten des Verfahrens dieser Rahmenplanung fest. Ziel der Zusammenarbeit von Bund und Ländern ist dabei die Aufstellung eines Rahmenplanes, in dem die jeweils in dem Haushaltsjahr durchzuführenden Maßnahmen mit den ihnen zugrunde liegendenZielvorstellungen aufgenommen werden. Durch Art. 91 a Abs. 3 Satz 2 GG ist dabei gewährleistet, daß ein Vorhaben in die Planung nur
Regionalpolitik zur Steuerung der räumlichen Entwicklung
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mit Zustimmung des Landes aufgenommen werden kann, in dessen Gebiet es durchgeführt wird. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben kann mit Mehrheitsentscheidungen gearbeitet werden. Die Ausführungsgesetze fordern für die Beschlüsse über die Rahmenpläne die Stimmen des Bundes und der Mehrheit der Länder. Dabei hat der Bund elf Stimmen und jedes Land eine Stimme. Beschlüsse können nur mit mindestens drei Viertel der Stimmen gefaßt werden, so daß sich das genannte Erfordernis der Zustimmung des Bundes und der Mehrheit der Länder ergibt. Durch das Wort Rahmenplanung wird klargestellt, daß es sich nicht um Detailpläne handeln darf. Die Planung der Einzelheiten bleibt Sache des Sitzlandes. Die Rahmenpläne für die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" enthalten nur die Arten der zu fördernden Vorhaben (Förderungsmaßnahmen), denn für die Durchführung der Pläne bleibt es bei der Zuständigkeitsregelung des Art. 30 GG, wonach die Gemeinschaftsaufgaben Länderaufgaben sind. Es ist eine für die räumliche Entwicklung wesentliche Frage, wie sich rechtlich das Verhältnis von Raumordnung und der Rahmenplanung für die Gemeinschaftsaufgabe darstellt, denn die Regionalpolitik ist eines der wesentlichen staatlichen Instrumente, mit denen räumliche Zielvorstellungen in die Wirklichkeit übertragen werden können. In den fast 40 Jahren, in denen es dieses Instrument der regionalen Wirtschaftsförderung gibt, hat sich gezeigt, daß es wohl das wichtigste Instrument ist, mit dem sich die Raumordnung umsetzen läßt. Die Sicherung vorhandener und die Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Ausbau der Infrastruktur sind die Mittel, die am nachhaltigsten räumliche Entwicklung stimulieren können. Besonders deutlich hat sich dieses im Zonenrandgebiet bewiesen, jenem Grenzstreifen, an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, der durch die Teilung Deutschlands in eine zunächst fast aussichtlose Lage geraten war. Je mehr die Grenze zwischen der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone und den Westzonen zu einem unüberwindbaren Wall wurde, um so stärker wurden die Nachteile spürbar, die sich aus der Teilung Deutschlands ergaben. Die Unternehmen im Zonenrandgebiet verloren in aller Regel den Großteil ihrer Abnehmer, aber auch viele ihrer Zulieferer. Die Infrastruktur funktionierte nicht mehr und mußte weitgehend umgestaltet werden. Die Firmen hatten sich völlig neue Märkte, meist unter sehr viel ungünstigeren Rahmenbedingungen, zu erschließen. Nicht nur die wirtschaftlichen, auch die menschlichen Verbindungen wurden eingefroren. Gebiete, die bisher mitten in Deutschland lagen, waren in eine Randlage nicht nur im deutschen Wirtschafsraum, sondern im europäischen Wirtschaftsraum abgedrängt worden. Mit Hilfe einer konsequenten, alle Lebensbereiche umfassenden Förderung, ist es gelungen, diese Nachteile nicht nur aufzufangen und abzumildern, sondern in vielen Teilbereichen sogar auszugleichen. Die große Bewährungsprobe hat dieses Gebiet am 9. November 1989 bestanden, als sich so plötzlich und unerwartet die innerdeutsche Grenze öffnete. So war das Zonenrand-
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gebiet in der Lage, die Brückenkopffunktion hinüber, in den anderen Teil Deutschlands, zu erfüllen. Es war zudem und zugleich eine Visitenkarte, die sich sehen lassen konnte. Das, was hier zum Zonenrandgebiet gesagt worden ist, gilt aber in ähnlicher Weise auch für die anderen Fördergebiete. Diese Fördergebiete waren zunächst überwiegend ländlich periphere wirtschaftsschwache Räume. Erst in den späteren Jahrzehnten schwenkte die Entwicklung zu überalterten Industriegebieten um. Zunehmend wurden Städte und Kreise des Saarlandes und vor allem auch des Ruhrgebietes in die Förderung der Gemeinschaftsaufgabe einbezogen. In beiden Teilbereichen hat sich die Rahmenplanung der Gemeinschaftsaufgabe bewährt. Sie hat den ländlichen peripheren Räumen ebenso helfen können, wie später bei den Umschichtungsprozessen in überalterten Verdichtungsräumen. Wenn zwei Behörden zuständig sind, hier der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau für die Raumordnung und der Bundesminister für Wirtschaft für die RegiOllalpolitik, dann ergeben sich zwangsläufig Kompetenzprobleme. Das war auch bei dem hier zu behandelnden Aufgabenfeld der Fall. Schon in den 60er Jahren handelten die beiden für die jeweilige Aufgabe zuständigen Staatssekretäre Prof. Dr. Ernst auf der einen Seite für die Raumordnung und Dr. Schlecht auf der anderen Seite für die Wirtschaft aus, daß jede Seite in Abstimmung miteinander bestimmen sollte, welche Einzelmaßnahmen in welcher Richtung zu treffen seien. Natürlich blieb damit die Regionalpolitik in die Grundsätze der Raumordnung des § 2 des Bundesraumordnungsgesetzes ebenso auch in die Zielvorstellung der Landesplanung eingebunden. Aber sie hatte eben doch einen recht großen Spielraum. Dieser Spielraum war auch schon deshalb notwendig, weil sonst die Zusammenarbeit innerhalb des Planungsausschusses nicht denkbar gewesen wäre. Um Dreiviertel der Stimmen zusammenzubringen, mußten in der ehemaligen Bundesrepublik neben dem Bund jeweils immer mindestens sechs Länder für das gleiche Ziel stimmen. Das ist ein sehr hohes Quorum. Wenn man es erreichen wollte, so waren oft Kompromisse notwendig, bei denen nicht immer von vornherein sicherzustellen war, daß sie auch voll und ganz mit den Überlegungen der Raumordnung in Einklang standen. Trotzdem hat sich diese Großzügigkeit ausgezahlt. Insgesamt gesehen ist die regionale Strukturpolitik das wichtigste Mittel, um die Grundziele der räumlichen Ordnung in unserem Lande zu verwirklichen. Auch wenn Deutschland eine der großen Wirtschaftsmächte dieser Erde geworden ist, so war durchaus nicht garantiert, daß es zu einer relativ gleichmäßigen Verteilung des Wohlstandes in unserem Lande kommen mußte. Hier haben Raumordnung und Regionalpolitik wesentliche Voraussetzungen geschaffen, mit denen es möglich war, den Grundsatz gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilräumen der Bundesrepublik zu verwirklichen. Wir haben heute fast überall eine Infrastruktur, die allen Anforderungen gerecht wird. Auch die Einkommensverhältnisse sind im großen und ganzen weitgehend ausgeglichen. Es läßt sich überall in Unserem Lande gut
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leben. Für die jüngere Generation am wichtigsten ist aber, daß es gelungen ist, das Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land weitgehend abzubauen. Die Zahl der weiterführenden Schulen ist inzwischen auf dem Lande mit der in den Städten vergleichbar. Auch die Berufsausbildung hat inzwischen einen Standard erreicht, der dem in Großstädten nicht nachsteht. Manchmal allerdings sind die Fachrichtungen nicht in der gleichen Breite vertreten, wie dies in dicht besiedelten Räumen möglich ist.
D. Hoffnung für die östlichen Bundesländer Nach der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten muß nun ein Riesengefälle besonderer Art ausgeglichen werden. Vierzig Jahre realer Sozialismus haben zum völligen Aufbrauchen der vorhandenen Substanzen geführt. Das gilt für die Wirtschaft ebenso wie für die Bausubstanz. Wir waren in Deutschland noch nie so weit in Wirtschaftskraft, Einkommen und den Lebensverhältnissen auseinander wie jetzt bei dem Wiederzusammenfügen der beiden deutschen Teilstaaten zu einem neuen deutschen Staatswesen. Hier setzt die Aufgabe regionaler Strukturpolitik, aber auch der Raumordnung an. Die Raumordnung wird kurzfristig ein Entwicklungskonzept für Gesamtdeutschland erarbeiten müssen. Dieses Gesamtkonzept wird nicht allein dadurch geschaffen werden können, daß man an die bisherigen Überlegungen für Westdeutschland entsprechende Überlegungen im Osten Deutschlands anschließt, sondern es müssen ganz sicher alle Grundpositionen neu überdacht werden. In den beiden deutschen Teilstaaten hatte sich die Nord-Süd-Richtung als die maßgebliche herausgebildet, weil beide Teilstaaten schmale Nord-Süd-Gebilde waren. Jetzt kommt es darauf an, daß sich die für das Deutsche Reich viel wichtigeren Ost-West-Verbindungen wieder durchsetzen. Nur dann wird das Zusammenwachsen beider Teilstaaten in räumlicher Sicht möglich werden. Dabei müssen auch alle fachlichen Teilbereiche überprüft werden, das gilt für das Netz der Autobahnen und der Bundesfernstraßen in gleicher Weise wie für die Strecken der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn, für Flughäfen und andere große Infrastruktureinrichtungen. Besonders wichtig wird es dabei sein, auch das Gefälle entlang der bisherigen innerdeutschen Grenze so schnell wie möglich auszugleichen. Dabei kommt dem bisherigen Zonenrandgebiet nach wie vor eine besondere Brückenfunktion zu. Im Rahmen dieser neuen Entwicklungsziele wird mit dem Instrument der regionalen Wirtschaftsförderung darauf hingewirkt werden müssen, durch entsprechenden Mitteleinsatz nicht nur Anreize für die Wirtschaft zu geben, sondern auch Hilfen für den wirtschaftsnahen Ausbau der Infrastruktur. Dies gilt in besonderer Weise für die Vorbereitung von Industrie- und Gewerbegelände in den Städten, Kreisen und Gemeinden der ehemaligen DDR. Es ist sicher wichtig, daß in den Anfangsjahren zunächst das gesamte Gebiet der ehemaligen DDR 11 Festgabe Th. Dams
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zum Fördergebiet der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschafts struktur" bestimmt worden ist. Auf Dauer wird es aber notwendig sein, hier Schwerpunkte für die Förderung festzulegen. Denn die Gemeinschaftsaufgabe kann langfristig nicht nach dem Gieskannenprinzip sinnvoll arbeiten. Es ist in meinem Beitrag nicht der Raum, die regionalpolitischen Zielsetzungen für die Förderung in den fünf neuen Bundesländern und in Ostberlin näher zu behandeln. Aber ich meine, man kann hier abschließend und sehr nachdrücklich feststellen, daß es alle Hoffnung dafür gibt, daß diese Hilfen einen wesentlichen Beitrag für den wirtschaftlichen Aufschwung in den fünf neuen Bundesländern und in Ostberlin bringen können. Dieses System des Zusammenwirkens von Raumordnung und Regionalpolitik, das in 40 Jahren in der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland entstanden ist, hat sich eindeutig bewährt. Es ist als höchstwahrscheinlich, ich glaube sogar als sicher anzusehen, daß dieses Instrument auch in den neuen Bundesländern und in Ostberlin einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichen Wiedererstarken leisten kann. In diesem Zusammenhang ist noch einmal die Bedeutung der Raumordnung zu unterstreichen. Nur wenn durch Raumordnung und Landesplanung die Entwicklungsziele für die zukünftige Entwicklung in den fünf neuen Ländern und in Ostberlin festgelegt sind, gibt es eine Chance, die unterschiedlichen fachlichen Maßnahmen der Fachressorts von Bund und Ländern miteinander zu koordinieren und auf ein Entwicklungskonzept abzustimmen. Bei dem außerordentlichen Nachholbedarf in den fünf neuen Bundesländern ist dieses die entscheidende Aufgabe zukünftiger Raumordnungspolitik. Es ist zu hoffen, daß die Raumordnung dieser besonderen Verantwortung gerecht zu werden vermag. Hier ist sie in besonderer Weise gefordert.
On The Role of Technical Cooperation in Regional Planning By Jos G. M. Hilhorst 1
A. Introduction This paper considers some aspects of technical cooperation in planning, more particularly in the field of sub-national planning. The term "technical cooperation" in the title refers to the work done by nationals of developing countries in some agency of the public administration together with mostly foreigners who are paid by a UN-agency or by a donor institution engaged in bilateral development relations with the recepient country. In the past, the same definition applied to the term "technical assistance". Here a type of technical cooperation is discussed in which the foreigner is cast in the role of advisor, and he or she is expected to advise the officials to whom he or she is assigned on what to do and how to do it, and preferably also why this should be done. These officials are called "counterparts", and the agency they work in is called the "counterpart organisation". Almost always, the cost of this technical cooperation is considered as agrant. The work to be done by the advisor is normally specified in a document that provides the so-called "terms of reference" (ToR) or brief, under which the advisor is expected to work. If weIl specified, they not only indicate the duties of the advisor but also the contributions of the counterpart organisation and the tasks of the counterparts. Especially in strongly centralized countries, regional planning at the national level was introduced as a means to disaggregate sectoral plans so as to have a measure of the distribution of central investment funds over the various regions. Whereas many also argued that it should and could serve as a means to coordinate both national and intermediate government activities in a particular area, regional planning at this level was in most countries unable to perform this role. In Latin America, some of the development corporations, such as the one responsible for Northeast Brazil (SUDENE) or for the Cauca Valley in Colombia, were able to provide such coordination to a certain extent, but in other countries like Chile, 1 The author is a professor of regional economics and planning at the Institute of Social Studies in The Hague. For a number of years in the seventies and early eighties he worked with Professor Theodore Dams and a number of colleagues on improving the methodology of integrated rural development.
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Argentina and Peru, as elsewhere, the lack of financial means at the regional level normally meant that the coordination function remained ineffective. To this the observation could be added that the evaluation of the regional planning experience in a number of Latin American countries has been strongly influenced by the high expectations that the early regional planners had. Very often, they put emphasis on results in the medium run. Since regional development is about structural change, not only socially, but also spatially and economically, it must be said that their expectations were too high, so that their evaluations became too negative. At the end of the sixties and more so after the Nairobi speech by the then president of the World Bank, Robert McNamara, in 1972, the regional planning methodology came to be applied to what was termed "integrated rural development". Basic to this methodology is that it is multi-sectoral; it takes explicit account of the spatial aspects and interrelationships of both the existing situation and the programmes and projects to be undertaken; and it is designed to take into account the specific needs of the regional population. Regardless of the problem of in what way this latter aspect of the methodology can or should be implemented, these integrated rural development projects generally aimed at what was called "poverty eradication" and were largely donor-financed. Presently, regional planning has entered a third phase. In many countries it is called upon to help in making a success of decentralization programmes that are the consequence of macroeconomic restructuring, deregulation and the withdrawal of the central govemment from tasks that constitutionally belong to the lower levels of govemment. Sometimes, additional resources are assigned to these lower levels, like in the case of Colombia, but in most other countries they have to find their own means, either by collecting taxes in a more effective way, or by increasing income redistribution. Also, the eighties brought new insights among decision makers into the problems that arise from poor environmental management. Erosion, deforestation, water pollution, energy prices and increasing energy use have also become serious problems for a number of developing countries. More than before, therefore, planning at the regional level is concemed with problems of financial and environmental sustainability. Finally, with the long depression in this period in most of the developing countries, employment planning has also become a live issue for most govemments. The rest of this paper is divided into 3 sections. Section B deals with a number of characteristics of advisory work, while section C deals with three cases of technical cooperation in regional planning in Indonesia and the role played by advisors in these projects. Section D, finally, provides some conclusions. Due to limited space, the paper thus omits a discussion of the factors influencing demand and supply of technical cooperation.
On the Role of Technical Cooperation in Regional Planning
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B. Some Aspects of Advisory Work In practice, advisory work in the field of regional policy and planning can take various fonns, ranging from only providing advice when asked, to virtually implementing all the work that goes into planning, often beyond the ToR. As to its contents, very much will depend on the place in the hierarchy assigned to the advisor or the advisory team. Three levels can be usefully distinguished: the politicallevel, the top administrative level and the professional level. In addition, there are some conditions that have to be satisfied if the advice is to be effective and professionally sound. Generally, an advisor who is to advise on strengthening the planning office in a project without investable funds can be more effective the closer his place is to the politicallevel, whether we speak of a country or a region. His recommendations will then be delivered in short papers or discussions on a specific issue, generally without reflection on their wider ramifications. If it is also to be professionally sound, it will be based on research by the advisor and preferably a back-up team of nationals. In regional planning, the more general case is for an advisor to be linked to a top administrator. Advice will concern specific issues that are of the order of the day, but every now and then, this top administrator will need fuelling up through a tour d'horizon, where these and other issues are linked and shown in the framework of an agreed or proposed development strategy. If the top administrator is professionally well-educated and prepared for her or his task, these meetings will be forthcoming without the advisor having to ask for them. However, if not, then there is a problem. Partly, this may be due to poor inter-personal relations, in which case the advisor is to biarne. It may be also due to the administrator being overworked, or to the regional problem being no longer considered relevant. Also at this level, the advisor will need to do research in order to prepare position papers, feasible alternatives and policy suggestions, and it would be best if there were a team to assist hirn in this concern. At the professional level, the advisor's task is to guide counterparts, and to work together with them. Research topics - ranging from the collection of facts to their interpretation - will have to be defined in line with the policy preoccupations of the counterpart organization; results will have to be written in readable fonn, and they will have to be discussed with at least the relevant personnel from the counterpart organisation and also with staff from other agencies. Since in this case the ToR include what is nonnally called "strengthening the capability of the planning organization", training of the counterparts is also among the tasks. Problems that can arise in this role are at least twofold: (a) the counterparts may not be there or not be able to cooperate, either because of a lack of skills or because they are too busy with routine matters; (b) the counterparts may consider that the advisor should be doing things entirely alone because he receives
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a high enough salary; and (c) because of a mixture of these reasons, possibly fed by mutually experienced misunderstandings and ill feelings. Looking at these three roles an advisor may play and the conditioning factors that have been mentioned above, one could say that they do not differ whether the advisor is anational or not. In principle, this appears to be correct, but when it is considered that regional policy and planning have very important political aspects and that the cultural and ideological background of foreign advisors will playa role not only in their assessment of these aspects but also in the conduct of their personal relationships, it is elear that special difficulties arise around each of the three roles. Apart from this, regional planning in its modem version is first and foremost done in conjunction with other agencies in the region and requires considerable knowledge of local situations, not generally known by a foreigner. In addition, the advisor has to consider the donor agency, which plays not only an evaluatory role, but also insists on the performance of reporting duties and maybe also on reaching objectives, that may or may not be stated in the ToR. A national in the role of advisor will not be faced with these problems. A second observation should be that if the first role has to be played, generally also the other two are needed. Quite often, however, only these two are required, while the emphasis is put on the third. It may, then, be questioned whether the advisor can be effective, and ineffectiveness may arise earlier if any of the conditions mentioned before do not apply. This situation may be complicated py different expectations on the side of the recipient and donor agencies, the counterpart staff and the advisors, partlyon the basis of the project document, partlyon the basis of previous experience. In projects that not only provide advice but also funds for investments identified under the project, two situations can be distinguished. The first is the special project with its own, new organization. The second is the project that works through pre-existing channels. They present rather different roles for the advisor. In the first of these two situations, the foreign advisor, although not necessarily, generally comes very elose to the one of the implementor: he or she will be directly involved in activities with target groups, in overseeing contract?rs, admonishing counterpart staff, etc. In the second, the position of advisor may be maintained. The World Bank has evaluated both types of projects it has implemented, and it has found a very low rate of success among the special status projects. C. Technical Cooperation in Regional Planning in Indonesia I. General Observations
Regional planning in Indonesia started in the early seventies, when the national planning agency, BAPPENAS (National Development Planning Board) was or-
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ganized to include also a Deputy Chairman charged with overseeing a regional development division (RDD). The Chairman of BAPPENAS has ministerial rank, and BAPPENAS plays an important role not only in writing the five-year development plans, but also in the approval of the annual development budget and a number of special allocations. Each of the 27 provinces is headed by a govemor who is appointed by the president. Below the level of the province, there is the autonomous district, headed by a bupati (also appointed by the president) who has his own administration while overseeing a number of subdistricts, local govemments with their own administrations. In contrast to the province and the district, the subdistrict has no elected council. A number of line ministries have their representatives at the provincial and district levels. Especially important with respect to regional planning is the Ministry of Public Works, which has aseries of tasks in the field of urban planning, housing, transport, irrigation, urban infrastructure and river control. Within the Ministry of the Interior, there is a General Directorate dealing with regional development, including the organisation of provincial govemment and regional planning. At the provincial level, regional planning was introduced first in the province of West-Java in 1972. Two years later, a presidential decree established regional planning in all provinces, while planning at the district level was introduced in 1980. At the provincial level Provincial Planning Boards or BAPPEDA I were created, and at the district level a similar set-up was made of BAPPEDA 11. Their task is to prepare provincial and district plans respectively in line with the priorities set by the presidential instruction that preceeds the formulation of the national five-year plans. In addition, the BAPPEDAs playa role in the preparation of provincial and district development budgets and are expected to advise on projects elaborated by the national line agencies within their borders. The annual budget is divided into a recurrent and a development part, and since 1981 the budget process is formally begun from below, in that the BAPPEDA 11 collects and coordinates what is proposed at the level of the subdistrict, whereas BAPPEDA I collects and coordinates the proposals made by the districts, while BAPPENAS coordinates and collates this, also making use of proposals by the nationalline agencies. This annual process starts every June at the village level (which is below the subdistrict) and does not really end until early May, when the new fiscal year is one month old. Together, the provinces and districts make approximately 15 per cent of all govemment expenditure in the country. This implies that the nationalline agencies shape the regional effects of national poliey. The various steps set by the Ministry of the Interior over the last twenty years all point in the direction of equipping the local authorities for a more decentralized form of govemment, in fact pursuing a policy of institutional development, in which the BAPPEDA land 11 are to perform a major role. They have an advisory
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position on call and at the service of the governor and the bupati respectively, and in addition they have the legal function to approve or disapprove the awarding of permits, such as for the establishment of plants or of land use, and to coordinate sectoral activities by the agencies of the various levels within their borders. The provincial plan should be the basis for this. In this sense, regional planning is potentially essential in many ways. At the level of BAPPENAS, the provincial plans should be coordinated, but they basically serve as sources of information on the aspirations and potentials of the provinces. For that purpose as well as in order to streamline the budget process and technical cooperation in regional planning, the RDD at BAPPENAS is divided into five Bureaus, three dealing with about nine provinces each, one with interregional socio-economic issues and one preparing the annual distribution of special allocations by the presidency. These special allocations are in part bloc-grants at the disposal of the lower tiers of government while the rest consists of sectorally specified grants, mainly directed towards education and health, but also to other aspects of public life, such as religion. These latter funds are not managed by the BAPPEDA land 11. They were involved, however, in managing the funds made available for the provincial development programme carried out in a number of provinces with the assistance of USAID from 1979 until 1989. Each BAPPEDA has a number of sections. They deal sectorally with agriculture, industry, infrastructure, social development and in addition, the collection and transfornation of information. The task of gathering data and making statistics themselves, however, is with the Provincial Statistical Office, under the technical guidance of the national Central Bureau of Statistics. In fact, the fifth section should do the studies necessary for medium-term planning, but in general, the staff is not equipped for this purpose. The stated long-term development objectives of the government are slabilily, equity and growth. These objectives contrast sharply with a general situation in the country of unequal distribution of income and regular umest among student groups, fundamentalist muslims, and people rebelling against central rule; while since the early eighties, an increase in urban unemployment can be observed. In policy implementation, emphasis has been put on stability and growth, although since about three years, the unemployment problem has also attracted attention. It has become related to the balance of payments problem that forced the country to increase non-petroleum exports. The basic issues encountered in regional policy making in Indonesia partially flow from the very diversified character of the country: it consists of more then 10,000 islands; it has a large and horizontally mobile population; approximately 180 million, that is growing relatively fastabout 2% per annum - of whom some groups have emerged only relatively recently from the stone age; a rather unequal distribution of very good soils for agriculture; and although rich in natural resources, these are not very evenly
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spread over the territory. The urban system is commensurately unevenly developed in space, being concentrated on Java, the smallest of the large islands but with 60 percent of the population, and so are skills, not only in the private sector, but also in the govemment and educational sectors. The RDD sees these issues in terms of the differentials in income per capita and social services provision among the regions; the concentration of industrial production on Java; the concentration of political influence in relatively few hands with the concomitant regulation of industrial production and of imports providing certain small, largely Javabased groups with economic power; inter-island transport and related infrastructure; and the maintenance of the resource base in terms of forest and of soils. From anational/regional planning point of view, these problems are given, and regional planners are expected to come up with suggestions as to the policies to pursue. In this regard, one of the main problems in Indonesia is that in many of the BAPPEDA land 11 decisions, budgeting and programming are taken to be equal to planning, so that on the whole, regional planning - as understood elsewhere - is done in only a few of BAPPEDAs' activities. This is partly explained by the fact that the budgeting process absorbs virtually all the available energy, and with the exception of the urban plans drawn up by the Ministry of Public Works, the majority of plans that would warrant that name are made in technical cooperation. The provincial and district plans generally consist of long lists of priorities and longer lists of projects. Some argue that this is an expression of culture, which is also reflected in the official state philosophy when it speaks of the "necessity of consensus". 11. Foreign Advisors at the National Level
Every year the RDD in BAPPENAS faces considerable problems when investment projects have to be evaluated. There are at least three reasons for this: (i) the enormous quantity of projects from all ministries arriving on its desks; (ii) the absence of evaluation criteria based upon regional policy; and (iii) the avoidance of intra-BAPPENAS and inter-ministerial differences of opinion. As to the third reason, national/regional planners are hardly ever involved in the early stages of decision making that leads to the design of a particular project. This means that they have had no influence when it would have been possible to either change or abandon a project idea without creating major disturbances in the flow of communication between the ministries and BAPPENAS or within the BAPPENAS. Given this situation, the RDD would be con" sidered as a spoil sport if the RDD would not want to approve a project. It is clear that this cannot be done too often without having to pay the price of at least internal, but possibly also inter-ministerial conflicts. Given the priority attached to regional policy, the obvious solution to this problem would be to have RDD more involved through inter-departmental committees preparing such
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projects. This solution has at least two constraints: a shortage of personneI, and, to a lesser extent, a shortage of skills. The first, or quantity problem could be made less restricting if criteria existed by which BAPPENAS might decide which types of projects require the OK of the RDD. This would simultaneously make the third reason less important, because with these criteria BAPPENAS could decide when to send somebody from the RDD to participate in inter-departmental working parties. Whereas these two reasons are of a more administrative nature, they are both linked to the second, in that the selection of projects and BAPPENAS representatives to inter-departmental committees would have to be based also on the priorities in the field of regional policy. These would, therefore, first have to be defined, a job that only partly requires professional advice, but could not be set without it. These were the main considerations that in 1985 led to the formulation of a project of technical cooperation that had as it main objectives (a) the strengthening of the planning capability of the RDD; and (b) the development of criteria for making region-specific sectoral investment decisions derived from the national/ regional policy objectives. These criteria would have to refer not only to the social sectors, but also to those of infrastructure and to agriculture, mining and industry. It may be noted that in this definition of the objectives of the project, it is assumed that the goals of regional policy are known. The project is presently in its second three-year phase. The basic economic planning problem being to determine (a) present and feasible future patterns of inter-regional specialization and (b) the effects of government expenditure on the various regional economies, the advisor decided to base his work concerning the economic aspects on an interregional inputoutput model. This model, initially made for the five macro-regions of Indonesia, allowing the application of the laws of statistics, was further elaborated for the 27 provinces on the insistence of the top administrator of the RDD, so as to make the model instrumental for provincial allocations. The model is based on the national input-output table and regional production statistics and distinguishes a number of economic sectors and a single government sector. In the annual budget process, the government sector is split up, however, into 13 sub-sectors, and for these there are no input-output coefficients. The model does allow the conclusion, however, that although central government expenditure per capita in the provinces outside Java is higher than in Java, the indirect effects cause the net effects per capita in all provinces to be almost equal. It also confirms the expectation that Java mainly imports raw materials from the other islands, while it mainly exports final products to them. As such, it shows a current pattern of inter-regional trade that is determined by such factors as the country' s economic history , spread of easily accessible natural ressources and population distribution. Obviously, these variables are not part of the model. In addition, the model can ans wer questions, for instance, on employment effects of certain expenditures,
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but so far it has hardly gone beyond the demand side. Nevertheless, the supply side is among the most important causes of the present pattern of interregional trade. These aspects of the project are positively evaluated by some of the staff of RDD and by the more quantitatively oriented economists in other divisions of BAPPENAS, as weIl as by RDD's former top administrator. However, after one year of the second phase and a favourable evaluation of the first phase, he was retired. Also, the Netherlands' personnel was changed and new personal relations had to be developed, more particularly with the daily counterpart in whose bureau the project is located. This is a highly trained spatial planner who has - among others - worked in elaborating Indonesia's national urban development strategy, while the Netherlands' project personnel are se1ected for their knowledge of quantitative economics. As to the social sectors, the advisor has developed an approach that is related to equalizing the per capita supply of the relevant government services, one of the basic problems in this regard being the unequal intra-regional differentials. This part presently receives considerable appreciation, partly as a result of attempts to rationalize the allocation of special presidential allocations. From an institution development point of view, it should be noted that the project has succeeded in making a rich data base that is presently maintained by a special unit created for this purpose and in the hands of one of the Indonesian counterparts. The efforts at training counterparts through lecturing and through special tasks - such as writing of provincial economic status reports - encounters difficulties due to a shortage of personnei, that is partly explained by their being abroad on (study) leave, and partly by the amount of routine work. Since its inception the project has been plagued by a certain fuzziness in the definition of national/regional policy formulation. The statements in the successive five-year plans are not sufficiently clear to provide pointers to the Netherlands' project staff. On the other hand, the counterpart expects the advisor to suggest more operational objectives. Although this is not certain, this communication problem may have to do with the choice of the input-output model as the basis for the studies needed to formulate sector / region specific investment priorities. Project personneion the donor side are very little involved in discussions regarding policy. This makes it difficult for project personnel to acquire the necessary information on regional development objectives. III. Advisors at the Sub-National Level 1. General Observations
Like elsewhere, various donors have become involved in regional planning in Indonesia. The donors have used both forms of projects. Thus, USAID (in for instance some districts of Atjeh), the Netherlands (in for instance the district
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of Indramayu in West-Java, and the province of Molucas), Germany (in the province ofWest-Sumatra), UNDP (on the small islands) have combined technical cooperation with investment, sometimes at the provincial and sometimes at the district level, sometimes creating a special organisation for this purpose. The same and other donors also supplied technical cooperation ,sec' at the provincial level. Examples are Japan in Central-Java and the Netherlands in West-Java. The Indonesian authorities considered the various approaches as a matter of experimentation, and some years aga they organised an evaluative meeting between agencies on the Indonesian side and the donor side that concluded that it would be better not to continue with the creation of special organisations. Preference was given to projects at the provincial or district level that would come up with investment funds to solve problems that were known and / or to be identified, the counterpart agency having to be either BAPPEDA I or 11 in view of the needs for intersectoral and multi-level coordination. Of these various projects, two will be highlighted here, both related to Netherlands' technical cooperation. One concerns technical cooperation ,sec' in BAPPEDA West-Java and the other technical cooperation in BAPPEDA Atjeh together with investment funds. Their histories are fairly different.
2. The Case
0/ West-Java
In consultation with the Indonesian authorities, the government of the Netherlands concentrates technical cooperation in a few regions in Indonesia. One of these is West-Java. BAPPENAS, aware of the deficiencies in regional planning in the BAPPEDA I, had a policy of inviting donors to design plans for the different provinces. Since it did not expect BAPPEDA West-Java to come up with a useful result, and since such plans existed for East- and Central-Java, it formulated arequest to the Netherlands' authorities for a plan for West-Java. The province of West-Java has Bandung as its capital. An important part of the province borders on the province of Jakarta, which - together with the cities of Bogor, Tanggerang and Bekasi (all located within West-Java's borders) forms one single urban area. An organization called JABOTABEK is in charge of resolving its most important, mainly physical planning, problems. It works in accordance with the national urban development strategy designed in the Ministry of Public Works. Although West-Java cannot be studied without also considering this area, it was feIt that the project could concentrate on the main substantive pre-occupation in BAPPENAS at the time ofthe project negotiations: the underdeveloped South of the province, an area where soils are relatively poor, roads are not easily built, where rubber and tea plantations were in fairly poor conditions and where erosion is becoming a serious problem. While the city of Bandung as an important centre of the textiles industry grew at a high rate and caused considerable concern to the planners from BAPPEDA WestJava, this aspect was left aside.
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The Netherlands' authorities were willing to accept the invitation to provide technical cooperation for the preparation of a plan for West-Java, but in view of the complexity of the task, the (non-)availability of funds and their policy to devote special attention to the poor, the two parties considered that the requested project should consist of two parts: (a) a macro-study and (b) a more detailed district plan. The macro-study would have two elements: (a.1) a medium term reconnaissance of the main economic problems of the province and (a.2) the identification of sectoral/ spatial priorities for the development regions in the province based on (a.l). Part (b) should identify investment projects and additional programmes in one district, which would have to be selected on the basis of the results of (a). For that district, investment funds would then be forthcoming. It should be noted that to aH appearances, neither the prospective beneficiary, BAPPEDA I in Bandung, nor the Ministry of the Interior, took part in this phase of the decision making process. Once they became involved, part (a.2) obtained additional emphasis, while a third element was added to the ToR: that of (c) strengthening the functioning of BAPPEDA West-Java (mainly under the influence of the Ministry of the Interior). On the part of BAPPEDA West-Java, the negotiations were conducted by the second in command, who moved to a position in the national administration before the project became operational, while the first in command was retired not long after the first year of project implementation. His absence during the discussions was a bad omen that was only lifted after his retirement. On the donor side, the project had been contracted to a consulting firm, whose team leader during the first year was a last minute replacement without the necessary professional qualifications, a situation that was later on redressed very weil. The director of the Indonesia desk in The Hague was replaced shortly after the project was approved. The donor personnel was housed weH away from the location of BAPPEDA in a building owned by its chairman, who made the best of an unpleasant situation. Since the national/regional project was already in operation and had produced some initial results, the project was able to produce item (a.l) of the ToR, weH in time for the preparation of the next five-year plan. The relevant document contained three scenarios based on different assumptions with regard to policy measures. Although it made stimulating reading, and contained some critical observations with regard to the need to strengthen competitive behaviour and reduce monopolies, neither the national, nor the provincial plan that eventuaHy appeared, showed that it had been seriously taken into account. Due to the physical separation of the donor team and Indonesian planners during most of the work on part (a), little could be done on item (c) of the ToR during the first year, while part (a.2) received lip service. Apparently, there was nobody left who was interested in sector / area priorities, beyond the problem of choosing the district for part (b) of the project. Van den Harn and Van Naerssen have given a description of some of the elements of part (b) of the project, and they rightly emphazise its institution
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development nature. 2 The project acquired a number of characteristies of integrated rural development, in that special studies were made of the poorest subdistricts and target groups with a view to obtain project ideas. Part (b) was executed in the knowledge that there would be no extension. There are two vers ions as to the main reason for this unilateral decision. The first is that the project was unable to produce an interesting introduction to the problems ofWest-Java when the new director of the Indonesian desk came to visit the project after barely one year of project operations. His own opinion is, however, that the effectiveness of technical cooperation in regional planning should be considered as questionable, in view of the little influence the provinces have in national decision making. Whereas there is no argument to deny a high degree of realism in this statement, it was far removed from the role played by one of the project's Indonesian supervisors, the Ministry of the Interior, that had been most cooperative in part (b) and in other attempts at institutional development in BAPPEDA I. Part (b) succeeded in identifying a number of projects, and in training a group of civil servants in the district of Sukabumi that had been selected for this part, not only from the BAPPEDA I and 11, but also from the district administration. The contacts with the BAPPEDA 11 were quite intense and the final proposals created considerable expectations. The performance of the project at this level and the stability of staff on both sides of the cooperation, also in BAPPEDA I, contributed considerably to this. The promise of funds forthcoming mayaiso have played a role. 3. The Case
0/ Atjeh
The province of Atjeh is also a so-called concentration region of development cooperation of the Netherlands' government. A project of cooperation with the University of Atjeh was started in the late seventies with the aims of (a) providing training in the fields of economics and agriculture; and (b) to assist BAPPEDA Atjeh in identifying investment projects. Since the university was the main counterpart, the Ministry of Education was the Indonesian supervisor of this project. This combination of activities can be understood in the light of the poliey of the Indonesian government that had charged the universities to cooperate closely with the regional planning organizations as a serviee to their communities. For the second aim, the project would concentrate its efforts on the problems of two districts constituting a river basin; one was basieally involved in coffee growing and forestry and the second was likely to become the location of natural gas based industries, natural gas having just been discovered. Otherwise, this second, lowland district, is an old rice producing area with a number of poorly 2 Van den Harn, A./van Naerssen, T.: "System, structure and participatory development planning in Indonesia" in: Simon, D. (Ed): Third World Regional Planning, A Reappraisal; Paul Charnpman Publishing, London, pp. 171-189.
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maintained irrigation schemes and an emerging shrimp cultivation that is the cause of drainage problems. The project included an investment allocation for this area. It produced a number of studies on agricultural and small industries development, a city plan for the town of Lhokeseumawe, where the LNG plants and the related port facilities were to be established, a soil survey of the upper watershed, and it financed and designed among others a coffee plant and feeder roads in the mountainous district as weIl as a programme of simple pump irrigation for the lowland area. A beginning was made with pollution control and a data base for the province. After two project phases, the project had spawned a new project of technical cooperation, charged with implementing some of the above mentioned activities, such as pump irrigation, coffee plant and road construction. In view of the available space and given that contacts between the two projects were very close, they have so far been treated as a single project. After the third phase, the project concerned with the university and with regional planning was discontinued, and an extension was negotiated for a next phase of the implementation project. Its main counterpart was again the BAPPEDA I under supervision of the Ministry of the Interior, and in close cooperation with BAPPEDA IL The aim on the Indonesian side was to identify and implement programmes and investment projects in the two districts, without the intention to formulate a plan for the river basin area. This had been done during the third phase of the university and planning projects. A proposal to this end was sent to the Netherlands' Embassy in Jakarta. The stability in personneion the Indonesian side ofboth projects in BAPPEDA land the policy of the leader of the implementation project on the Netherlands' side made it possible for the BAPPEDA I to considerably strengthen its position. No attempt was made to create new rules or organizations. On the contrary, all decisions concerning project activities were made according to existing Indonesian norms that hitherto had not always been fully observed, and it was this driving force that caused enthusiasm among the Indonesian counterparts. This implied that much more than before, there was contact between BAPPEDA Atjeh and the various representatives of the national ministries and the provincial line agencies. This attitude became standard, also for decisions not related to the project, and BAPPEDA I was therefore able to assert its position and play the role of coordinator that it is expected to play. It should be observed that individual investment decisions under the project were not based on benefit-cost evaluations. The reason for this was that the indirect effects were estimated to be much higher than the direct ones, although they could not be measured properly. Since the investment funds included in the project were partly grant and partly loan, this attitude is understandable from the Indonesian point of view, since their calculations would have a sm aller amount in the denominator.
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D. Conclusion The conclusions that can be drawn form the three cases, the ins and outs of which could not be fully discussed, must necessarily be tentative. They will relate to perhaps the two most important aspects of advice in technical cooperation: effectiveness and professional soundness, these two being only partly independent from each another. On effectiveness it can be concluded that the process of decision-making leading to technical cooperation can be quite important. If the intended beneficiaries have not been involved right from the beginning, misunderstandings or ill feelings conceming the project may arise that directly affect the effectiveness of the advice. The case of part (a.I) of the West-Java project (tolerated as one more central govemment infringement on provincial autonomy), and, to a lesser extent, the second phase of the project at BAPPENAS support this observation. In the same vein, it can be said that all three projects were organizationally well-placed. In principle, contact with the top administrator was available. But whereas in the case of West-Java this could only develop in part (b) of the project, in the second phase of the BAPPENAS project, there was to some extent a professional communication problem, complicated by the search for a more explicit formulation of national/regional policy objectives. In the case of Atjeh, the stability of staff on both sides in project implementation, aided by aseries of thorough studies on the part of the planning project, made possible what had been the policy line of the Ministry of the Interior for a long time: strengthening of BAPPEDA I as an institution. As is obvious, it is not possible to ascribe this result to a single factor, e. g. the duration of the project or the access of the advisors to the top administrator. Neither is it possible to make conclusions on the importance of the availability of investment funds in a project of technical cooperation in regional planning on the basis of the evidence discussed here. The BAPPENAS project does not have any, but it has been effective in the minds of a number of people, without, however, having yet fully reached its objectives. The West-Java project did not have any funds either, but it carried a promise, and this may have contributed to its effectiveness during the second part. In the Atjeh case, there is no doubt about effectiveness, but whether this is due to the funds or to the leader of the implementation project is impossible to decide, since the two are linked. Coming now to the relationship between effectiveness and professional soundness, there is no doubt that professjonally sound advice cannot be expected to be followed if the counterpart does not experience a need for advice. In addition, while personneion both sides of cooperation need not necessarily have the same qualifications, a minimum of mutual personal and professional understanding is
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required for effective cooperation. It would appear that for part (a.l) of the WestJava project the questions were posed by BAPPENAS and not by BAPPEDA West-Java, and that the answer only partly addressed the questions while it was partly not fully understood. The effectiveness issue also comes up in relation with the problem of institutional development. The advisor generally has to make a choice between deli vering the visible products such as plans and studies, and the invisible process of institution development, both mentioned in the ToR, is made. The more qualified the counterparts, the less this will be a problem. On the other hand, the less trained the counterpart is, the higher the need for the foreign personnel to devote time to both types of tasks. The consulting firm engaged in this type of advisory work may show a tendency to finish at least one task within the project period. This problem has been present within all three projects. Its essence is that professional soundness may have to be sacrificed if counterpart training and institutional development acquire first priority. The alternative, e. g., an extension of the project, is adecision taken by the donor, as the evidence given above has shown. Also, on the recipient side, however, there may be problems. This is shown by the BAPPENAS case, where counterparts are generally too busy to be fully involved in project activities, leaving most of the work to the donor side of the project. The professional soundness of advice is not easily evaluated. Only the more evident mistakes become quickly visible. One of these has been the size of the coffee plant in Atjeh and the absence of benefit-cost studies. Van den Harn and Van Naerssen mention the incompleteness of the plan for part (b) of the WestJava project, the choice that was made evidently being in favour of institutional development. More detailed observations would require considerably more space than is available here.
12 Festgabe Th. Doms
Der Begriff des "zentralen Ortes" von Wo Christaller aus einer neuen interdisziplinären Sicht Von Kunihiro Jojima
O
A. Zur Problemstellung Seit W. Christaller den Begriff des "zentralen Ortes" geprägt hat l , hat es vielfältige Kritik an diesem Konzept und eine Reihe von Vorschlägen gegeben 2 , den Begriff eindeutig zu bestimmen. Eine theoretisch befriedigende Lösung steht jedoch bis heute aus. Man müßte eigentlich die vorliegenden Ansätze und Versuche hier im einzelnen kritisch würdigen, um die Notwendigkeit des vorliegenden Beitrags zu begründen. Da der Raum dazu angesichts der in dieser Festschrift zur Verfügung stehenden Zeilen jedoch nicht ausreicht, werden die Leser gebeten, den Mangel dieser logischen Fundierung durch ein Nachschlagen der beigefügten Anmerkungen selber auszugleichen. Die Kernfragen bezüglich des "zentralen Ortes" bestehen in der Begriffsbestimmung bzw. darin, wie die Stärke der Zentralität erfaßt wird. Dies bestätigt z. B. J. Heinz Müller auf folgende Weise: 3 "So eindeutig die Abgrenzung der zentralen Funktion auf den ersten Blick zu sein scheint, so problematisch wird die Auswahl der als relevant angesehenen Merkmale jedoch bei näherem Hinsehen", und, "was somit verbleibt, ist ein Selektions- und Gewichtungsproblem. Die beiden Kernfragen, welche Kennziffern rentralitätsrelevant sind und mit welchem Gewicht sie in einen zu bildenden Index eingehen sollen, lassen sich nicht apriori beantworten. "
, Herrn Dr. habil. Wemer Pascha und Frau Dipl.-Volkswirtin Carola Rosa danke ich für die sprachliche Überarbeitung meines Beitrags und für wichtige Anregungen zur Präzisierung einiger Aussagen. I ChristaIler, W.: Die zentralen Orte in Süddeutschland, Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen -, Jena 1933. 2 Müller, J. Heinz: Methoden zur regionalen Analyse und Prognose (Taschenbücher zur Raumplanung, Bd. 1), Hannover 1973, S. 35 ff. ARL (Hrsg.): Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung, III, Hannover 1970, S. 3859 (Literatur). 3 Müller, S. 37. 12'
Kunihiro Jojima
ISO
B. Methodologische Strategie Die Zentralitätsvorstellung nimmt Bezug auf eine "Quelle" von Wirkungen, deren Tragweite vom Kernpunkt aus mit der Entfernung stufenweise abnimmt. Sucht man auf der globalen Ebene der Erscheinungswelt nach etwas, was Zentralität in diesem Sinne besitzt, könnte man beispielsweise das Atomgefüge für ähnlich halten. Wenn man aber nun aus dem Konzept des Atomgefüges als Muster der Zentralität Nutzen ziehen will, ist der Inhalt der atomaren Zentralität aus der Sicht der Kernphysik in die Sprache der Sozialwissenschaften zu übersetzen. Als "Kerntext" der Kernphysik wähle ich dafür die Oktett-Theorie von G. N. Lewis / I. Langmuir 4 aus.
C. Um riß der Oktett-Theorie Die Oktett-Theorie befaßt sich mit der Elektronenanordnung in inaktiven Gasen. Eine bestimmte Menge von Elektronen verteilt sich, abhängig von der Atommasse, auf Schalen, die aufeinander geschichtet von der innersten (ersten) bis zur äußersten (höchstens bis zur sechsten) reichen. Dieser Zusammenhang kann in einer Tabelle veranschaulicht werden. Tabelle 1 Elektronenanordnung in inaktiven Gasen
Elektronenschale
Inaktive Gase 2
Schale Nr. 2He
IONe IS Ar 36 Kr
54 Xe S6Rn
2 2 2 2 2 2
3
4
S IS IS
IS
5
6
S IS
S
(Elektronen) S S S S S
18
8
32
Merkwürdig erscheinen die innerste und die äußerste Schale. Die innerste Schale hat ohne Ausnahme 2 Elektronen, während die äußerste 8 besitzt; ausgenommen ist nur der Fall des Heliums (He). Daher stammt im übrigen der Begriff Oktett-Theorie. Die logische Begründung für diesen Sachverhalt ist noch nicht ausreichend, wenn die grundlegende Regel interdisziplinär verallgemeinert werden soll. Gerade dieser Tatbestand ist Ansatzpunkt des vorliegenden Beitrags.
4
Lewis, G. N.: Valence und Structure of Atoms and Molecules, 1923.
Der Begriff des "zentralen Ortes" aus interdisziplinärer Sicht
181
D. Formulierung der Arbeitsteilung im sozialen Handeln Bei der Übersetzung der Oktett-Theorie aus der physikalischen Sprache in die sozial wissenschaftliche ist zuerst zu überlegen, wie weit und wie genau man erstere in letztere übertragen kann. Dabei ist klar, daß die quantitative Darstellung der Theorie nicht übertragbar ist. Es kann also nur darum gehen, ein Grundgefüge der Theorie, d. h. eine qualitative Regel, die zwischen verschiedenen Faktoren besteht, und die auch sozial wissenschaftlich sinnvoll sein könnte, herauszuarbeiten. Vor der Übersetzung ist eingangs auch zu fragen, welche Sprache in diesem Fall interdisziplinär verwendbar wäre. Schon in seinem Buch 5 zu den damit angesprochenen Problemen hat der Verfasser die Mengenlehre, die Topologie und die Gruppentheorie verwendet; und er hofft die isomorphen Aussagen der Physik adäquat verwendet zu haben. Von daher kommen auch hier diese mathematischen Theorien zur Anwendung. Nun sind diese "Küchengeräte" soweit bereitet, daß zuerst das "soziale Handeln" in die "Küche" gebracht werden kann, um es zu "tranchieren". "Soziales Handeln" oder kurz "Handeln" hat im allgemeinen mit einer Gesellschaft und ihrer Zielsetzung zu tun. Handeln kann nach dem Ziel drei Kategorien zugeordnet werden, nämlich dem wirtschaftlichen (: W), dem politischen (: P) und dem kulturellen (: K) Handeln, wobei diese drei Aspekte in der Praxis nicht immer klar getrennt werden können. Das Wesen eines bewußten Handeins besteht in der Verfolgung eines positiven Saldos auf dem eigenen "Konto", wobei dies nicht immer der Buchführung im konkreten Sinne bedarf. Ein solcher Kontengedanke ist untrennbar mit einer Wertvorstellung gekoppelt. Die Wertvorstellung ist bezüglich der (verschiedenen) Tätigkeitskategorien nicht immer gleich. Infolgedessen gibt es in einer Gesellschaft normalerweise drei Kontenvorstellungen, die entsprechend der unterschiedlichen zum Ausdruck kommenden Sozialwerte nicht immer gleiche Salden aufweisen. Es geht jetzt um das Kriterium der Zuordnung des Handeins auf die drei Kategorien. Eine Wertvorstellung ist eigentlich subjektiv. Allein aus dem Verhalten eines Fremden ist nicht zu ersehen, worauf er damit zielt. Wenn man also konkret erkennen will, zu welcher Kategorie ein bestimmtes Handeln gehört, dann ist ein Bewertungsmaßstab unabdingbar. Zuerst ist darauf hinzuweisen, daß politisches und kulturelles Handeln ohne einen wirtschaftlichen Unterbau nicht durchführbar sind; die Ergebnisse dieses Handeins sind aber nicht mehr wirtschaftlich im Sinne der sektoralen Einteilung, also wirtschaftlich neutral - m. a. W. beträgt der Saldo der wirtschaftlichen 5 Jojima, K.: Ökonomie und Physik Eine neue Dimension der intedisziplinären Reflexion, Berlin 1985.
Kunihiro Jojima
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Buchführung aus der Sicht der praktischen Wirtschaft Null, während der Saldo der eigentlichen Wirtschaftstätigkeit, soweit sie erfolgreich ist, unbedingt positiv sein muß. Wenn die drei Wertvorstellungen in Einklang stehen, erreicht der Saldo des wirtschaftlichen Kontos sein Maximum, weil dann das Streben des wirtschaftlichen Handeins nach Gewinn von den beiden anderen nicht behindert wird. Zwischen dem politischen und kulturellen Handeln ist ein intuitiv, einsichtiges Trennungskriterium erforderlich. Zum kulturellen Handeln gehört z. B. die Sprache mitsamt ihrer Dialekte, ferner Gewohnheit, Sitte, Frömmigkeit u. ä., die familiären sowie die freundschaftlichen Bindungen, die soziale Stellung, die Überlieferung u. ä., die Erziehung und Ausbildung. Die kulturelle Tätigkeit häuft sich über die Zeit, ähnlich dem Kapital, an; daraus ergibt sich eine Art Macht, die indirekt auf die betreffende Gesellschaft wirkt. Diese unsichtbare und potentielle Macht lenkt und orientiert die beiden anderen Tätigkeiten, die für sich auch jeweils eine eigene Macht hervorbringen. Im Gegensatz zur kulturellen regiert und verwaltet die politische Macht, die aus der Summe politischen Handeins besteht, die Gesellschaft direkt und offenkundig. Wenn die drei Sozialwerte bezüglich der Wertvorstellung im Einklang stehen, vermindern sich die Kosten der politischen Macht auf ein Minimum, während der Saldo der wirtschaftlichen Konten in einer gegebenen Zeitspanne sein Maximum erreicht. Versteht man unter der Arbeitsteilung im abstrahierten Sinne eine Ergänzungsbeziehung ohne Ersetzbarkeit (u - n) zwischen zwei Tätigkeiten, Funktionen oder Formen des Handeins, dann besteht sie prinzipiell zwischen je zwei Tätigkeitskategorien und zwischen den aus den Formen dieses Handeins sich ergebenden Mächten. Wenn eine Gesellschaft in bezug auf die Arbeitsteilung in diesem Sinne abgeschlossen ist, dann besitzt sie die Struktur der Arbeitsteilung. Die Verteilung des positiven Saldos in der wirtschaftlichen Buchführung wird in Abb. 1 mit einem Venn-Diagrarnrn dargestellt: Abb.1:
A
B
c
W: Wirtschaftssektor P: Politiksektor K: Kultursektor A=PuK B=KuW C=WuP M=WuPuK
Der Begriff des "zentralen Ortes" aus interdisziplinärer Sicht le:
183
Auf der Basis dieses Diagramms ergibt sich die folgende MultiplikationstabelTabelle 2
u-n M W
M 0 A
P
K IA
B
C
0
A
B
P
K
M
C
I C IW I B IM
K
P
W
W
P
B
0 C
P
B
A :K 0 1 p
W
C
0 A
M
K
W
M
K
A
W
M
K
P
K
M
CIB I 0 1 A
A
B
P II WIC M IB I KIA
AI 0 I B IC
C
--------~---------
C
K
P
W
0
M
W
P
"
Hier z. B.: MM=M u M-MnM =M-M=0 WP=PW=WuP-WnP =C-0=C
B
I----~----
0
Die Menge S8 (M) = {M, W, P, K, A, B, C, 0}, ist in bezug auf die Arbeitsteilung im abstrahierten Sinne abgeschlossen. Mathematisch formuliert ist S8 (M) eine topologische und normale Abel-Gruppe mit der Ordnungszahl 8. E. Herleitung von Tabelle 1 aus Tabelle 2
Vor weiteren Schritten erscheint es sinnvoll, die eigenartige Verteilung der Elektronen auf die Schalen in Tabelle 1 mit Hilfe unseres Ansatzpostulats zu erklären. Dieses Vorgehen scheint gerechtfertigt, denn, wenn aus der Menge S8 (M) tatsächlich die Anordnung aus Tabelle 1 erfolgt, könnte man diese Korrespondenz nicht für zufallig halten. Im Interesse einer übersichtlichen Darstellung untersuchen wir in diesem Abschnitt die Verflechtung des Arbeitsteilungsgefüges nach der Reihenfolge der Elektronenschalen beim Gas 8JW (Radon), dessen Gewicht am höchsten ist; dieses Gas weist alle Zahlenanordnungen der anderen inaktiven Gase auf. (in Tabelle 1 die Schale Nr. 1)
I. Stufe
Gruppe I: G2 = {M, 0}
Tabelle I: u-n M
M
o
0 M M o
Anm.: Da G 2 die normale und kommutable Teilgruppe ist, beläuft sich die voneinander gesonderte Arbeitsteilung auf 2 x 2 = 2. 2 M0=M-0 00=0-0,
also:N(G 2)=2,N(0)=2
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Kunihiro Jojima
1I. Stufe:
G 4 = {M, W, A, 0} H = {A, 0} R ={M, W}
Q2=RxH
f:
Tabelle 1I:
U-Il
M
M W A
H
0 A W M 0 M W
W
A
A
W M
o
0
0
A
M W A
0
R H R
H R H
G6 = {W, P, K, B, C, 0}
IIl. Stufe:
H ={B, C, 0} R ={W, P, K}
Q2=RxH Hierbei ist angenommen: Entweder A = P U K = 0;
P=- K
oder
B=KuW=0;
K=-W
oder
C=WuP=0;
W=-P
Die Multiplikationstabellen sind miteinander isomorph.
Tabelle IIl: Wenn A = 0, dann: U-Il
W
W P K B C
0
0 C B K P W
P
B
K
C B
0 C W K P
C
P KW 0 B C
B
K W P C
0
W P K B C
0
----
P W K
----
0 B 0
f: R H R
H R H
N(G6 ) = N(0) = 6 x6 = 18 2
Der Begriff des "zentralen Ortes" aus interdisziplinärer Sicht IV. Stufe:
185
G 8 = S8(M) H ={A,B,C,0}
R ={M, W, P, K}
Q2=RxH N (G8 ) = N (0) = 8 x 8 = 32 2 V. Stufe: Die Gruppe und die Tabelle sind isomorph mit der dritten Stufe. Wenn aber dort G6 (A = 0) ist, dann ist hier entweder G6 (B = 0) oder G6 (C = 0). Also: N (0) = 18. VI. Stufe:
G4 ={A, B, C, 0} H = {C, 0}
R = {A, B}
Q2=RxH N (G4 )
=N (0) =8
Eine Tabelle ist entbehrlich, weil sie in der Tabelle 2 als Teilgruppe von S8 (M) enthalten ist.
F. Formale Korrespondenz der Strukturstufe mit der Schalenanordnung der Elektronen in Tabelle 1 1. Die erste Schale korrespondiert bei allen Gasen mit der ersten Stufe, also mit GI = {M, 0} und N(GI) = NI (0) = 2. 2. Die zweite Schale korrespondiert bei allen Gasen mit der zweiten Stufe, also mit G~ = {M, W, A, 0} und N(G~) = N~(0) = 8. 3. Die letzte Schale korrespondiert bei vier Gasen (Ar, Kr, Xe, Rn) mit der sechsten Stufe, G~ {A, B, C, 0} und N(G~) = N~(0) = 8. 4. Die dritte Schale korrespondiert bei drei Gasen (Kr, Xe, Rn) mit der dritten Stufe G~(A =0) = {M, P, K, B, C, 0} und N(G~) = N~(0) = 18. 5. Die vierte Schale bei Xe und die fünfte Schale bei Rn korrespondieren entweder mit G~.l (B = 0) = {W, P, K, A, C, 0} und N(G~.l) = N~.l (B = 0) = 18 oder mit G~.2 (C =0) = {W, P, K, A, B, 0} und N(G~.2) = N~.2(C = 0) = 18. Mit den obigen fünf Aussagen konnte eine Korrepondenz zwischen der Strukturstufe der Arbeitsteilung unter den Sozialsektoren und der Schalenanordnung der Elektronen formuliert werden. Man könnte vielleicht meinen, daß eine Korrespondenz dieser Art einen gewissen Grad an Beliebigkeit aufweist. Damit ist die Frage einer Begründung jedoch noch nicht aufgehoben. Es ist also im folgenden der Hintergrund dieser Korrespondenz Schritt für Schritt aufzuschlüsseln.
Kunihiro Jojima
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G. Suche nach den Hintergründen der obigen Korrespondenz I. Die charakteristische Ähnlichkeit der Leeren Menge mit dem Elektron
Etwas Alleinstehendes ist nicht verstehbar, weil die Vorstellung des Seins immer als "Wiesein" zur Erscheinung kommt. 6 Das "Wiesein" setzt aber die Vergleichbarkeit voraus, so daß das "Wiesein" auch als Folge des "Mitseins" zu verstehen ist. Diese Folgerung gilt für die Gesamtheit aller Totalität. Das Postulat der Vergleichbarkeit wird mit dem Zustandekommen einer Äquivalenzrelation zwischen zwei Gegenständen erfüllt. Setzt man voraus: eine Gesamtmenge
X(mod R (X»,
eine andere Gesamtmenge Y (mod R (Y» und (R(Z) = R(X) u R(Y), wobei R = endliche Menge, dann kommt die Äquivalenzrelation, X - Y(mod R(Z», zustande; ferner gilt die Beziehung X n Y = Z mit X ;:;2 Z und Y;:;2 Z. Diese Folge steht aber im Widerspruch zum Begriff der Gesamtheit in den beiden Gesamtmengen X und Y. Wenn man deswegen die beiden Postulate, das der Vergleichbarkeit und das der Gesamtheit, in Einklang bringen will, dann muß entweder X oder Y die Leere Menge sein. Angenommen, die 3 Mengen (X, Y, Z) seien für sich eine unendliche Menge und X sei nicht die Leere Menge, dann sind die beiden anderen (Y, Z) für sich eine Leere Menge. Da aber in dieser Phase die Leere Menge zweideutig ist, sind die beiden Leeren Mengen zu vereinigen. Wird deswegen weiter angenommen, daß in Y(3 y) und Z(3 z) jedes Element z zu y konvergiert, dann erhält man einen identischen Wert, nämlich Z( 3 z) = Y (3 y) = Y (3 y, z); (Y ist dabei die abgeschlossene Überdeckung von Y).
Die Selbstgeschlossenheit dieser Art paßt zur Vorstellung der Sämtlichkeit, und durch den Denkstil der Konvergenz verwandelt sich die Dreiwertigkeit (X, Y, Z) in die Zweiwertigkeit (X, Y). Ersetzt man X durch Mund Y durch 0, dann erhält man M = Mund 0 = 0. M ist erst im Zusammenhang mit 0 sinnvoll und vice versa. Gestalten sich aber die beiden Mengen - wie in unserem Fall - zur Struktur einer topologischen Abel-Gruppe, dann spielen sie darin für sich eine andere Rolle. 6 ,,Die Intuition bezieht sich immer auf das Dasein des Gegenstandes und das Ich. Beide, Dasein und Ich, sind bei der Intuitionsbildung funktionell untrennbar miteinander gekoppelt. Versteht man unter dieser funktionellen Kopplung das "Wiesein", dann ist es gerade dieses Wiesein, das man durch die Intuition erkennen kann.", Jojima, S. 25 f. Siehe auch ebenda, S. 34 ff.
Der Begriff des "zentralen Ortes" aus interdisziplinärer Sicht
187
Stellt man einen Modus R(V i) so auf, daß R(0)::::) R(V i);;;;! R(M), wobei i eine endliche Ordnungszahl ist, dann kann M eine endliche Teilmengenfamilie Vi haben, während 0 keine Teilmenge haben kann, weil man die Leere Menge nach dem Abstraktionsgrad nicht unterteilen bzw. klassifizieren kann. Die 0 trifft in der genannten Gruppe auf das Identitätselement. Hat M deren endliche Teilmengenfamilie, dann ergibt sich eine Menge 0, die jedes Familienmitglied begleitet und zahlenmäßig wohl numeriert werden kann; diese Nummer zeigt aber bezüglich der darauf zutreffenden 0 keine Besonderheit an, so daß folgende Sonderbeziehung besteht:
In diesem Sonderfall stimmt 0 mit dem Elektron genau überein. Hält man diese "Gemeinsamkeit in der Besonderheit" auf beiden Seiten für nicht zufallig, sondern für sinnvoll, dann macht es Sinn, auf die Suche nach anderen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Fachgebieten zu gehen. Das Elektron schließt mit dem Proton eine Art Partnerschaft. Im inaktiven Atom finden sich die beiden immer gekoppelt. Das ist ein Anhaltspunkt bei der Suche nach einem Element, das sozialwissenschaftlich sinnvoll ist und funktionell mit der Rolle des Protons korrespondiert. 11. Die charakteristische Ähnlichkeit des Kapitals mit dem Proton
In jeder Arbeitsteilung (imfolgenden A. -teilung) kommt nach unserer Formulierungsregel (u - n), wie oben gesagt, ausnahmslos die Leere Menge vor. G 8 in Tabelle 2 hat z. B. 32 voneinander verschiedene A-teilungsungspartner (Kombinationen), so daß dort 32 Mengen des Typs 0 bestehen. Die A.-teilung ist vom Kapital her gedacht nichts anderes als dieselbe zwischen 2 Kapitaleinheiten. Im folgenden wird zur Verdeutlichung diese Folgerung mit Formeln dargestellt: Auf der sechsten Stufe der A-teilung findet sich in Tabelle 2 z. B. eine AbelGruppe G4 = {A, B, C, 0}, die 8 verschiedene A-teilungen enthält. Darunter gibt es z. B. die A-teilung, AB=C, d. h.: AuB-AnB=M-K=WP=C-0=C
Soweit man die A-teilung als Ergänzungsbeziehung ohne Ersetzbarkeit versteht, ist der Beitrag von A zur Folge C mit dem bei B gleichzusetzen. Bei der A-teilung zwischen den Sektoren ist das Kapital unbedingt zu berücksichtigen: Zwischen den Beiträgen des Kapitals zur A-teilung zwischen den Sektoren besteht auch eine A-teilung wie AB = C, die mit der A.-teilung zwischen den Sektoren isomorph korrespondiert. Bezeichnet man den Beitrag zur Folge
188
Kunihiro Jojima
der A.-teilung zwischen den Kapitalien in den Sektoren in G4 mit p, dann kommen in diesem Falle 8 Beiträge p implizite vor. Da p der Beitrag zum Ergebnis einer A-teilung ist, hat p mit dem Niveau des Kapitalstocks direkt nichts zu tun. Eine A-teilung stellt, wirtschaftlich gesehen, den Inhalt sowie den Prozeß einer Produktionstätigkeit dar. In diesem Sinne ist p nichts anderes als der Beitrag des Kapitals zur Produktion; letztere ist hier nicht allein auf die sachliche und wirtschaftliche Warenproduktion beschränkt, sondern sie umfaßt die Herstellung irgendeiner Form von "Sozialwert". Auch für diesen Fall braucht man nämlich Kapital. Gestaltet sich eine Menge A-teilung zu einer Abel-Gruppe, dann stellt dieser Status die vollkommene Konkurrenz zwischen den A-teilungseinheiten (Produktionseinheiten) dar, so daß p überall gleich anzusetzen ist. In obiger G4 kommt also beispielsweise folgende Beziehung zustande: PI
=P2 = ... =Ps =Pi
Dabei bringt der Index (wie bei der 0) keine Individualität des einzelnen p zum Ausdruck. Im vorliegenden Fall kann man demnach mit Recht p für einen "Partner" von 0 halten. Als Implikation ist p also mit dem Proton gleichzusetzen. 111. Die Bedeutung des "Gesetzes zur Minimumwirkung" für das A.-teilungs-(bzw. Produktions-)feld.
Das hier genannte Feld ist als Netzwerk der A-teilung anzusehen. Betrachtet man "vorläufig" den Betrieb als A-teilungseinheit, dann trifft das Feld auf das Konkurrenzfeld zwischen den Betrieben, wo das genannte Gesetz (zur Minimumwirkung) den Wettbewerb beherrscht. Konkurrenz findet einerseits statt, indem der Betrieb Fremdkapital durch Eigenkapital ersetzen will, um seine Ausgaben (Kosten) zu senken. Der Betrieb geht andererseits auf die Suche nach günstigen Kooperations- bzw. Ergänzungsmöglichkeiten mit anderen Betrieben im Netzwerk der A-teilung, um seine Einnahmen (Erträge) zu erhöhen. Sein Verhalten auf beiden "Kontenseiten" manifestiert sich in der Konkurrenz. Die Konkurrenz ist also der Anpassungsprozeß der Teilnehmer am Netzwerk der A.-teilung, m. a. W. an der A-teilung zweiter Ordnung. Konkurrenz in diesem Sinne besteht im übrigen nicht nur zwischen den Betrieben, sondern zwischen allen Buchführenden, einschließlich aller Haushalte, wenn nur das Abstraktionsniveau der Akteure gleichmäßig bestimmt wird. Von diesem Blickwinkel aus ist das "Gesetz zur Minimumwirkung" auch als "Gesetz zur Polarisierung" anzusehen 7, denn es wirkt auf beiden "Kontenseiten": Auf die Ausgaben wirkt es in Richtung einer Minimierung, auf die Einnahmen 7
Jojima, S. 90 ff.
Der Begriff des "zentralen Ortes" aus interdisziplinärer Sicht
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umgekehrt in Richtung einer Maximierung, also zusammengefaßt im Sinne einer Polarisierung. Die Polarisierung hat zwei Grenzpunkte (den Anfangspunkt und den Endpunkt), auf die sie nicht mehr wirkt. Sie ist deswegen als Träger des Anpassungsprozesses anzusehen. Die angeführten Abel-Gruppen stellen einen Grenzpunkt zwischen beiden dar. Die Polarisierung braucht unbedingt ein Wirkungsfeld, das in bezug auf die A.-teilung (Konkurrenz) abgeschlossen ist. Um dieses gedankliche Postulat zu erfüllen, ist weiter vorauszusetzen, daß die gegebenen Abel-Gruppen vom Anfangspunkt bis zum Endpunkt Geltung haben. Das ist auch als Vorbedingung für die Konkurrenz anzusehen. Die Polarisierung benötigt des weiteren noch die Mesosphäre als Prozeßträger; sie ist am Endpunkt der Polarisation beizubehalten, weil sonst die Polarität ihren Sinn verliert. Dieses Postulat ist dann erfüllt, wenn das Gesamtfeld (die Muttergruppe) seine verschiedenen Teilfelder (Teilgruppen) auf Dauer sicherstellt und wenn die Optimalpunkte der Teilfelder voneinander verschieden sind. Wie diese Postulate erfüllt werden können, läßt sich im Rahmen der folgenden formalen Darstellung behandeln; Gegenstand ist das "Sonderkonto" des Kapitals. Es sei im Teilfeld i auf der Einnahmenseite im Sonderkonto des Kapitals ri . . . . . die durchschnittliche Nettorentabilität ri ..... die Grenznettorentabilität ri' ..... die Krümmung der Nettorentabilität
auf der Ausgabenseite im Sonderkonto des Kapitals Vi ..... der durchschnittliche Zinsfuß vi . . . . . der Grenzzinsfuß vi' ..... die Krümmung des Zinsfußes
In einem Teilfeld j ist der Index entsprechend umzuschreiben. Mit diesen Vereinbarungen gelten folgende Beziehungen: 1. am Anfangspunkt der Polarisierung: (11) Nettoertrag = 0 (12) ri=-vi; (13) ri = rj;
ri=-vi=O;
ri'=-vi'=O
Vi = Vj
2. am Optimal punkt im Teilfeld i: (21) ri + Vi ~ 0;
ri + vi ~ 0;
ri' + vi' = 0
(22) wenn ri + Vi = 0, dann ri + vi = 0 (Sonderfall)
190
Kunihiro Jojima
3. zwischen den zwei Optimalpunkten: ri~rj; Vi~Vj usw. 8 Mit dieser Beziehung ist das Bestehen der Mesosphäre sichergestellt.
4. am Maximalpunkt: (41) ri = rj = r; Vi = Vj = V usw. (42) r+v~O; r'+v'=O; r"+v"=O. (43) r + V = 0 ist der Sonderfall. Durch diese Eigenschaft unterscheidet sich der Maximalpunkt vom Anfangspunkt, obwohl beide gemeinsam als Grenzpunkte anzusehen sind. Bezüglich der oben diskutierten Charakteristika gibt es einen Sonderfall, auf den besonders aufmerksam zu machen ist: Der Fall tritt am Optimalpunkt bei ri + Vi = 0 und am Maximalpunkt bei r + v = 0 ein. Man kann diesen Status mit Recht als eine Art von Inaktivität betrachten. Aus der obigen Analyse ist zu entnehmen, daß r mit p und v mit 0 kombiniert sind. Aus dieser logischen Beziehung ergibt sich eine weitere Aussage: Die zwei Kombinationen, (p mit r") und (0 mit v''), unterliegen jeweils einer ein-eindeutigen Korrespondenz. Da in der Physik die Kraft mit der Beschleunigung zum Ausdruck gebracht wird, kann man weiter folgern, daß die beiden "Beschleunigungen", r" und v", mit der elektrischen Ladung gleichgesetzt werden können. 9 Diese Folgerung korrespondiert mit der Inaktivität der weiter oben angeführten Gase auch inhaltlich, weil nämlich bei uns am Maximalpunkt die aus der Physik bekannte Inaktivität, also r" + v" = 0, besteht. IV. Weitere Anhaltsspunkte für die Untersuchung der inhaltlichen Korrespondenz
Es geht zuerst um den Sonderfall r + v = 0 bzw. ri + Vi = O. Wirtschaftlich ist dabei kein Gewinn zu erwarten, so daß auch weitere Investitionen im normalen Betrieb nicht zu erwarten sind. Aber es gibt selbst im Optimum des Teilfeldes noch die Möglichkeit, über den Feldrand hinaus auf die Suche nach Investitionsbzw. Konkurrenzmöglichkeiten in anderen Teilfeldern zu gehen, sofern das Gesamtfeld noch nicht sein Maximum erreicht hat. Dadurch verbreitet sich die Konkurrenz in zweiter Ordnung über das Gesamtfeld, bis der Maximalpunkt 8 Diese Beziehungen und diejenigen (in 4.1.) am Optimumpunkt finden sich nebeneinander und überzeitlich, weil sonst die Konstatierung eines Maximums wegen der Abwesenheit der Mesophäre sinnlos wird. Das führt dazu, daß die Investition immer erneut überzeitlich dauert. 9 Die elektrische Ladung ist hier als eine Komponente der Gravitation anzusehen. cf., Jojima, S. 36,59,95 f., 100 ff., 125 ff., 130, 132.
Der Begriff des ,.zentralen Ortes" aus interdisziplinärer Sicht
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erreicht wird. Dort werden weitere Investitionen wegen drohender Unrentabilität gestoppt. Wenn dort aber Kapital noch ungenutzt und "Investitionsgier" gegeben ist, kommt ein Umschlag vor, wodurch ein neues Arbeitsteilungsfeld auf das alte geschichtet wird. Es ist hierbei zu beachten, daß das alte Gesamtfeld noch beibehalten wird, solange der Spielraum r + v > 0 noch nicht ausgeschöpft ist; solange ist nämlich die alte Investition noch rentabel. Man kann aus obiger Folgerung ersehen, daß die Schichtung der Arbeitsteilungsjelder mit derjenigen der Elektronenschalen in inaktiven Atomen nicht nur formal, sondern auch logisch ein-eindeutig korrespondiert, während die OktettTheorie selbst keine Erklärungen über den Zusammenhang mit dem Gesetz zur Minimumwirkung liefert. Weitere Überlegungen über die Schichtungsanalyse werden später an entsprechender Stelle angestellt. Im folgenden soll zunächst die "Neutralität" näher untersucht werden. "Neutralität" bezieht sich auch auf den Fall ohne Rentabilität. Was sie von der Inaktivität sowie vom Anlaß zur Feldschichtung unterscheidet, ist, daß hier die Sozialaktivität prinzipiell unter den Sonderbedingungen ri + Vi =0 und r + v = 0 zustande kommt bzw. kommen kann. Infrastruktur und Sozialaktivitäten, die implizit oder indirekt zur Rentabilität sowie zu ihrer Steigerung in Betrieben und Haushalten beitragen, werden aufgebaut bzw. unterhalten; dazu gehören z. B. der Bau von Straßen und ihre Unterhaltung, Verwaltungsaktivitäten aller Art, politische und kulturelle Aktivitäten u. ä. Von einer entsprechenden Kapitalverwendung erwartet man sich prinzipiell keinen Ertrag; vielmehr sind alle Kosten dafür in Gestalt von Lasten verschiedenster Art auf die Privatwirtschaft und die Haushalte zu übertragen. Hinsichtlich der Neutralität in dem Sinne, daß kein Profit erwirtschaftet wird, gibt es in bezug auf die Kostenübertragung zwei Formen: 1. Kostenübertragung auf den Privatsektor einschließlich Verzinsung; 2. dieselbe ohne Zinslast, d. h. eine Art "unabhängiges Erfolgsanteilssystem", ohne sonstige aktive Ertragskomponente. Aus obiger Differenzierung kann entnommen werden, daß die Form 1 inhaltlich mit dem Neutrino und die Form 2 mit dem Neutron ein-eindeutig korrespondieren kann. Es handelt sich um eine Kostenübertragung, die auch eine Art Macht (Kraft) voraussetzt. Diese Kraft ist - von der übertragenen Seite (also von der Seite des Privatsektors) gesehen - nichts anderes als die Erhöhung der Kapitalkosten (= der Zinslasten); sie wirkt nur innerhalb des Feldsystems und nicht auf die Außenseite des Systems. Von außen gesehen ist es nämlich egal, wer die Kapitalkosten auf sich nimmt. Der Privatsektor absorbiert vollständig die öffentlichen Gesamtkosten, die implizit mit dem Beitrag des öffentlichen Sektors zum privaten auszugleichen sind.
192
Kunihiro Jojima
Wird der Beitrag der öffentlichen Tätigkeiten zum Privatsektor mit p * und dessen Gegenleistung aus dem Privatsektor mit q. bezeichnet, dann unterstehen auch p* und q* dem Gesetz zur Polarisierung. Unter Verwendung der bisherigen Folgerungen und insbesondere derjenigen im Abschnitt G. III. erhält man den folgenden Ausgleich zwischen r"· (p *) und v"* (q*): r"*+v"*=O.
Auf zwei verschiedene Ausgleichungen wirkt wiederum das Gesetz zur Polarisierung, aber hier in zweiter Ordnung dank des "Ersetzungsantriebs" des genannten Lastenausgleichs-Gesetzes: r" = r"'" und v" = v"· .
Aus diesem Ausgleich ist zu entnehmen, daß p* mit dem Positron sowohl formal als auch substantiell korrespondieren kann. Bei der Kernspaltung (d. h. bei uns: der Sozialunruhe) ist die Stabilität dieser Art natürlich zerbrochen, und alle Elemente sowie die dazwischen bestehenden Ausgleiche richten sich, wie oben gezeigt, auf eine neue Ordnung oder auf das "Chaos". Diese Umbruchphase wird aber an dieser Stelle außer acht gelassen, weil sie mit unserer Hauptfrage wenig zu tun hat, obwohl sie im Hinblick auf eine interdisziplinäre Korrespondenz hochinteressant erscheint.
H. Zusammenstellung der Terminologien in bei den DiszIplinen, die sich miteinander der ein-eindeutigen Korrespondenz unterstellen Um den Überblick über die komplizierten Gedankengänge zu erleichtern, werden im folgenden die in die Struktur einbezogene Korrespondenz zwischen den Terminologien beider Disziplinen kurz zusammengefaßt. (Die Korrespondenz bringt man hierbei mit dem Zeichen,,:" zum Ausdruck.) 1. Gesetz zur Minimumwirkung (= zur Polarisierung) : Gesetz zum Ausgleich des Grenzertrags. 2. Elektron = e-: 0= die Leere Menge Proton = p: p = Beitrag des Kapitals zur Produktion in W.
3. (Elektrische Ladung des Protons p) = + e: r" = Ertragerwerbskraft des Kapitals (Elektrische Ladung des Elektrons e-) = - e: v" = Zinserwerbskraft des Kapitals + e (P) + (- e (e-) ) = 0: r" + v" = 0 (Kraft = Beschleunigung)
4. In Bezug auf die Abb. 1 und Tabelle 2: Neutron =N: M, B, C (treffen auf die Form 2, drei Elemente) Neutrino =v: P, K, A (treffen auf die Form 1, drei Elemente) Positron = e+: p"* = Beitrag der (M, B, C; A, P, K) zu W (sechs Elemente)
Der Begriff des "zentralen Ortes" aus interdisziplinärer Sicht
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(41) In der Form 1 und der Form 2: - e7 (v) + (+el (e+» = 0:
r{* (p7) + v'{* (q7) = 0 (Form 1)
- e; (N) + ( +e2 (e+» = 0:
r2* (p;) + v2* (q;) = 0 (Form 2)
(42) Zusammenstellung -e7 + (-e;) =-e; r,{*(p7) +r2*(p;) =r"*(p*);
+ el + (+ e2) = + e(e+): v,{*(q7) + V2"*(q;) = v"*(q*)
Infolgedessen, (auf jeder Seite die 6 Positronen ausgleichen) - e + (+ e(e+» = 0:
r"* + v,,* = 0 ~ = (r" + v" = 0)
(Selbst in der Physik ist die Existenz des Positrons ohne diesen Ausgleich nicht zu verstehen. Dieser implizite Ausgleich müßte in der zweiten Stufe auch zwischen Wund A erfolgen.) 5. Schichtungsprozeß der Elektronenschalen in den inaktiven Gasen = Massenanhäufungsprozeß : Kapitalanhäufungsprozeß, der aus der Strukturschichtung erfolgt.
I. Einige offene Fragen und ihre Lösung I. Über die Frage, warum sich die Strukturen stufenweise aufeinander schichten und die Endstufe gleichmäßig ist
Jede Strukturstufe für einen Wirtschaftssektor (W) hat ein Maximum, an dem der Ertrag alter Investitionen etwas höher ist als die Zinslasten (r + v > 0) und zwar umso mehr, wie eine monotone Reproduktion mit teils einfacher Erneuerung der alten Kapitalanlagen auf Dauer durchführbar ist. Neue sowie zusätzliche Investitionen sind jedoch nicht mehr möglich (r' + Vi = 0, r" + v" = 0), so daß eine weitere Kapitalanhäufung an dieser Stelle nicht mehr durchführbar ist. Das ist der Anlaß zum Aufbau der nächsten Stufe, jedenfalls soweit der Druck zur weiteren Kapitalanhäufung stark genug ist. Im Rn-Beispiel begleitet der Schichtungsverlauf die Verflechtung des Arbeitsteilungsnetzwerks zwischen den Sektoren bis zur G8 , worunter man verstehen kann, daß innerhalb des W -Sektors der Spielraum zur weiteren Kapitalanhäufung strukturell schon (übermäßig) ausgeschöpft ist. Der in W noch überzählige Druck richtet sich auf weitere Erschließungsfelder, nämlich auf die Verstärkung der Verbindung mit P, Kund A. Daraus ergibt sich die Endstufe G 4 = {A, B, C, 0}. Wenn der dortige Spielraum durch die Erschließung wiederum ausgeschöpft ist, gibt es keinen Spielraum zur weiteren Kapitalanhäufung mehr in den gegebenen und mit der Arbeitsteilung abgeschlossenen Teilfeldern von M. 13 Festgabe Tb. Dams
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11. Über die Frage, wie der konkrete Inhalt der obigen Verbindung zu fassen ist
Die Leere Menge enthält, wie schon gesagt, als Element eine ganze Menge impliziter Axiome und Voraussetzungen, die in M vernachlässigt werden. Die Frage bezieht sich auch auf diese Leere Menge. P und K sowie A(= Pu K) müßten eigentlich eine eigene Struktur besitzen, die aber zur Leeren Menge als Element gehört. Der Hauptinhalt der drei Sektoren, den man in den gegebenen Strukturstufen außer acht läßt, ist die innere Struktur und deren Wandel in jedem Teilfeld. Was in Kamwichtigsten erscheint, ist die Familienstruktur und deren Wandel, weil sie eine Vielfalt persönlicher Haltungen und Meinungen, Sitten und Gewohnheiten sowie Bedürfnisse aller Art (u. U. bis zur G 8 ) umfaßt. Da sich die Familienverbindung als Sozialeinheit verhalten dürfte, braucht dies Gebilde eine einzige Willensentscheidung, von der eine Menge Zwangsnormen und -gebote auf Machtbasis entstehen. Die Strukturverflechtung begleitet auch die Sozialschichtung, und aus den Oberschichten entsteht der P-Sektor. Weitere Ausführungen zur Strukturanalyse bezüglich Kund P sind meinem Buch "Ökonomie u. Physik" zu entnehmen, (in dem P mit Rund K mit F bezeichnet wird). 10 Wenn hier die Analyseschritte kurzgefaßt dargestellt werden dürfen, sind P und K im Zusammenhang mit Wals Nachfrageseite anzusehen, zuerst als Nachfrage nach den Produkten aus W und später als Nachfrage nach dem Kapitalüberfluß in W, durch Veredelung der Infrastruktur sowie des Lebensstils auf Kosten des Hausvermögens. Aus dieser Sicht kann u. a. gefolgert werden, daß der gezeigte Stufenverlauf in M mit dem in P und in K Schritt halten kann.
J. Schlußbemerkung - im Hinblick auf die Problematik des "zentralen Ortes"
Beim Gesamtfeld M wurde dessen Ausdehnung auf der Erde außer acht gelassen. Wenn man deswegen das in verschiedener Hinsicht fruchtbare Konzept des zentralen Ortes theoretisch weiterentwickeln will, dann ist das als Folge obiger Analyse entworfene Sozialgefüge mit dem geographischen Raum auf geeignete Weise zur Korrespondenz zu bringen. Zuerst geht es dabei um den Begriff des zentralen Ortes (unten einfach als ,,zentrum" bezeichnet). Das Zentrum und dessen Einflußsphäre sind begrifflich untrennbar miteinander gekoppelt, so daß sich in Christallers Ansatz ein Teufelskreis versteckt. Ohne Zentrum ist das (zugehörige) Territorium nicht zu bestimmen und vice versa. Unsere Neufassung nimmt dies als Ausgangspunkt. 10
Jojima, S. 185 ff.
Der Begriff des ,,zentralen Ortes" aus interdisziplinärer Sicht
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Die atomare Welt müßte, wie schon gesehen, eine Strukturschicht besitzen, und fast die ganze Masse agglomeriert sich jeweils im Atomkern, in dem dadurch der Schwerpunkt des atomaren "Territoriums" zu sehen ist. Da das Kapital schon als die Wirtschaftsmasse einführt wurde, kann man den Schwerpunkt des Kerns mit denjenigen der Kapitalanhäufung gleichsetzen. Bei der Abbildung der erhaltenen Strukturstufen auf eine "Landkarte" trifft dieser Schwerpunkt auf das Zentrum. Hierbei gibt es drei Ansatzpunkte: 1. Der erste ist die Überzeitlichkeit der Stufenschicht im Urbild. Logisch gesehen hat der Stufenverlauf eine Geschichte, also eine Zeitlichkeit, aber trotzdem stellt er den Status quo des Atoms dar, so daß die Muttermenge in jeder Stufe gemeinsam sein muß. 11
2. Der zweite Ansatzpunkt ist die Plazierung der Inaktivität. Sie ist in der atomaren Welt keine isolierte Ausnahme, sondern alle aktiven Atome richten sich bei der Verbindung an der günstigsten und inaktiven Strukturschicht aus, um darauf zu konvergieren. Die Inaktivität ist also für alle aktiven Atome das Leitbild der Verbindung. Das ist auch ein Leitbild bei der Abbildung. 3. Tabelle 1 zeigt, daß jede Schichtung einen Strukturgipfel hat, an dem die Ordnungszahl am größten ist (z. B. beim Rn-Atom die vierte Stufe, bei Ar die zweite und bei Xe die dritte). Es ist logisch zu folgern, daß der Gipfel so aussieht, daß dort der Umfang der M und (bei der Abbildung) das Territorium des Zentrums bestimmt ist sowie eine weitere Schichtung zum Aufbau des Zentrums beiträgt. Diese Folgerung ist rational, weil das Zentrum und dessen Territorium in einer einzigen Struktur gleichzeitig bestimmt werden können; ansonsten würde man in den schon ausgewiesenen Teufelskreis geraten. Auf dieser Basis kann das Zentrum nach seiner Größe in 5 Ränge sortiert werden (beim He-Atom gilt: Zentrum =Territorium). Was bei der Abbildung am wichtigsten erscheint, ist, bei einer entsprechenden Suche die nach den Strukturen sortierte Gesamtliste der Kennziffern zur Hand zu haben. Das ist natürlich nicht leicht, aber durchaus möglich, wenn man den Schnittpunkt der schon sortierten, verschiedenen Kombinationen der Kennziffern finden will. Auf die konkreten Kennziffern und ihre Sortierung nach der Struktur kann an dieser Stelle leider noch nicht eingegangen werden.
11 Die Muttennenge M ist aber nach dem Atom Zentrums) verschieden.
13"
(bei uns nach dem Rang des
Entwicklung und Perspektiven einer europäischen Raumentwicklungspolitik Von Peter Treuner
A. Die Entwicklung der Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft Im ursprünglichen Vertrag über die Gründung der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft von 1957 war explizit kein gemeinschaftliches Handeln auf dem Gebiet der Raumordnung und Regionalpolitik vorgesehen. Lediglich in der Präambel war von dem Ziel der vertragschließenden Parteien die Rede, die Einigung und die harmonische Entwicklung der Volkswirtschaften zu fördern, "indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern". So verging mehr als ein Jahrzehnt bis sich die Gemeinschaft, gestützt auf den einstimmige Vertragsergänzungen ermöglichenden Artikel 235 des Vertrages, 1973/75 dazu durchrang, die Notwendigkeit eines ausgleichenden Eingreifens in die räumlichen Strukturen der Mitgliedsstaaten anzuerkennen und den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung zu gründen. 1 Dieser Fonds trat neben den Landwirtschaftsfonds (Europäischer Ausgleichs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft) und den Sozialfonds, die beide bereits durch den Vertrag geschaffen worden waren. Die Politik des Europäischen Regionalfonds war im ersten Jahrzehnt durch das Bemühen gekennzeichnet, einerseits den besonders bedürftigen Regionen auch in besonders intensiver Weise finanzielle Unterstützung zu gewähren, andererseits aber auch den wirtschaftlich vergleichsweise gut dastehenden Mitgliedsländern die Möglichkeit zu erhalten, ihren relativ weniger entwickelten Regionen, deren wirtschaftliches Entwicklungsniveau vielfach auf oder gar über dem der wirtschaftlich am besten entwickelten Regionen der ärmeren Gemeinschaftsländer lag, weiterhin strukturelle Hilfe zu gewähren. So wurden tatsächlich - mit 1 Vgl. Jochimsen, Reimut / Treuner, Peter: Grundprobleme der europäischen Regionalpolitik, in: von Urff, Winfried (Hrsg.): Der Agrarsektor im Integrationsprozeß, BadenBaden 1975, S. 289 ff. - Wäldchen, Paul: Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaften und ihre räumlichen Auswirkungen, in: Ansätze zu einer europäischen Raumordnung (Veröffentlichungen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Forschungs- und Sitzungsberichte Band 155), Harmover 1985, S. 87 ff. - Vgl. zum Folgenden auch die übrigen Beiträge in dem Sammelband Ansätze zu einer europäischen Raumordnung.
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gemeinschaftlicher Billigung - viele Regionen gefördert, die vergleichsweise bessere Lebens- und Produktionsbedingungen aufwiesen als viele andere, nicht geförderte Regionen. Es ist nicht verwunderlich, daß dieses Konzept nicht dazu führte, die interregionalen Abstände der Wohlstandsniveaus generell abzubauen, auch wenn anzunehmen ist, daß die gemeinschaftliche Finanzierung von Maßnahmen zugunsten der besonders wenig entwickelten Regionen eine Zunahme der Entwicklungsabstände verhinderte. 2 Eine signifikante Wirkung der frühen gemeinschaftlichen Regionalpolitik war aber nicht nur wegen dieser politisch bedingten Kompromißstrategie nicht zu erwarten, sondern auch, weil ihre Förderungskonzepte wegen einer praktisch ganz fehlenden gemeinschaftlichen Begründung nicht zu einer zielgerichteten Verwendung der zu verteilenden Mittel führen konnten. Tatsächlich stellten die Programme des Europäischen Regionalfonds bis Ende der 80er Jahre mehr eine Zusammenfassung der einzelnen - sehr unterschiedlichen - nationalen Programme dar, als daß sie aus gemeinschaftlicher Einschätzung der relativen Förderungsbedürftigkeit oder Förderungswürdigkeit entstanden wären. Dies war nicht nur auf den fehlenden Willen und die fehlende Bereitschaft (zumindest der ,,reicheren" Mitgliedsländer) zur Finanzierung größerer Transfers zwischen den Mitgliedstaaten zurückzuführen, sondern in einem hohen Maße auch darauf, daß eine auf ein gemeinschaftliches Ziel ausgerichtete Regionalpolitik schon deswegen nicht zustande kommen konnte, weil es keine ausreichend aussagefähigen und interregional hinreichend vergleichbaren Indikatoren des wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsstandes und auch keine gemeinschaftliche Vorstellung von den räumlichen Zielsetzungen der Entwicklung gab - und trotz einiger zwischenzeitlich erzielter Fortschritte, die sich beispielsweise im neuesten Periodischen Bericht 3 erkennen lassen, bis heute praktisch immer noch nicht gibt. Erst mit dem Inkrafttreten der 1986 verabschiedeten Einheitlichen Akte, mit der der EWG-Vertrag um die Artikel 130a-t ergänzt wurde, erhielt auch die gemeinschaftliche Regionalpolitik eine vertragliche Grundlage (Art. 130a-c). Zugleich erkannte die Gemeinschaft die Notwendigkeit an, das Nebeneinander der drei großen Strukturfonds zu überprüfen und die Fördermaßnahmen zukünftig auf ein einheitliches Zielsystem auszurichten (Art. 130d und 130e). Die erste grundlegende Reform der Strukturfonds führte zur Festlegung von fünf Hauptzielen, die seit 1989 der Tätigkeit der Fonds zugrunde liegen. 4 Hinsichtlich der tatsächlichen Verbesserung der Effizienz der strukturpolitischen Maßnahmen der Gemeinschaft läßt sich noch kein endgültiges Urteil bilden. 5 2 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.): Die Regionen in den 90er Jahren, Vierter Periodischer Bericht über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft, Brüssel 1991. 3 Vgl. Vierter Periodischer Bericht. 4 Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: "Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden", Februar 1987.
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B. Perspektiven einer europäischen Raumentwicklungspolitik Europa befindet sich seit dem Ende der 80er Jahre in einem in seiner Intensität nicht vorhergesehenen, tiefgreifenden Prozeß der Veränderung. Die Europäische Gemeinschaft schickt sich an, den grenzenlosen Binnenmarkt zu verwirklichen. Die Unternehmen, vor allem viele der größeren mit ihrer besseren Kapazität für strategische Planungen, haben die neuen Bedingungen zum Teil schon vorausgenommen und sich auf den europaweiten Markt eingestellt; andere Unternehmen haben diese Anpassung noch vor sich, so daß der Gesamteffekt - insbesondere hinsichtlich seiner räumlichen Auswirkungen - noch schwer abschätzbar ist. Die meisten Regionalwissenschaftler gehen davon aus, daß mit der Vollendung des Binnenmarktes sich zunächst die zentripetalen Kräfte durchsetzen und zu einer Verstärkung der Tendenzen in Richtung auf eine Konzentration in den wirtschaftlichen Kerngebieten der Gemeinschaft führen werden. 6 Zugleich führt die grundlegend gewandelte - wenn auch in ihren bleibenden Ausprägungen noch immer nicht absehbare - politische Landschaft der Staaten Ostrnittel- und Osteuropas zu einer langfristig bedeutsamen Veränderung der geopolitischen und insbesondere der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Fortführung und Anpassung des in West- und Südeuropa begonnenen Integrationsprozesses. Die Erfolgsbilanz des Gemeinsamen Marktes hat diesen auch für die Länder der Europäischen Freihandelszone zunehmend attraktiver werden lassen. Die Beitrittsgesuche Österreichs und Schwedens und die Überlegungen zur Schaffung eines Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) verdeutlichen dies in einer Weise, die noch vor zehn Jahren nicht absehbar war. Zugleich entsteht mit dem Zerfall und der Neustrukturierung der mehr oder weniger zentral geplanten Wirtschaften des ehemaligen Ostblocks und der neuen Durchlässigkeit der Grenzen an der Ostgrenze der Europäischen Gemeinschaft eine neue, noch kaum abschätzbare wirtschaftliche und damit politische Perspektive, die der sorgfaltigen Analyse bedarf und eine neue politische Strategie erfordert. 7
c. Europa vor neuen Herausforderungen Die Integrationswünsche der wirtschaftlich entwickelten Staaten der Europäischen Freihandelszone stellen die alte Gemeinschaft vor allem vor politische 5 V gl. Kommission der Europäischen Gemeinschaft: I ahresbericht über die Durchführung der Strukturfonds, Dokument KOM (90) 516, BfÜssel 15.11.1990. 6 Vgl.z. B. Zimmermann, Horst: Die regionale Dimension des Europäischen Binnenmarktes - Auswirkungen auf Regionsstruktur, föderativen Aufbau und regionsbezogene Politik, in: Europäische Integration (Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Forschungs- und Sitzungsberichte Band 184), Hannover 1990, S. 9 ff. 7 Vgl. Treuner, Peter: Die europäische Herausforderung zukünftiger Landesentwicklungsplanung in Deutschland, in: Goppel, Konrad I Schaffer, Franz (Hrsg.): Raumplanung in den 90er Iahren, Festschrift für Karl Ruppert, Augsburg 1991, S. 403 ff.
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Probleme, die ihre Wurzeln in den besonderen Traditionen - etwa der Neutralität Österreichs und Schwedens und der starken Stellung der Kantone in der Schweiz - und in den Besonderheiten der peripheren Lage der skandinavischen Länder haben. Das Zögern der Gemeinschaft, die Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen, bringt weniger wirtschaftliche Probleme als die Erkenntnis zum Ausdruck, daß ein Beitritt dieser Länder vor allem die institutionelle Struktur der Gemeinschaft verändern würde. Vor allem aber haben die mit der Vereinigung Deutschlands augenfällig gewordenen, immer noch nicht voll abschätzbaren Kosten des Überwindens der wirtschaftlichen Folgen von vier oder mehr Jahrzehnten staatlicher Kommandowirtschaft allen Beobachtern deutlich werden lassen, daß eine einfache - wenn auch zeitlich gestreckte - Integration der Länder Ostmittel- und Osteuropas, etwa der Art, wie sie im Zusammenhang mit dem Beitritt Spaniens, Portugals und Griechenlands in Angriff genommen wurde, auf absehbare Zeit nicht in Frage kommen kann. Das Wiedererstehen der baltischen Staaten, die Neustrukturierung der Sowjetunion und die Problematik des zerfallenden Jugoslawien verdeutlichen die entstehenden Probleme, aber auch die Notwendigkeit einer den europäischen Frieden sichernden politischen Lösung. Ob eine europäische Konföderation, wie sie vor allem von französischer Seite ins Gespräch gebracht wird, eine praktikable Übergangslösung bis zu einer späteren wirtschaftlichen Vollintegration darstellen kann, ist noch nicht abzusehen. Unbeschadet der jetzt schon erkennbaren Schwierigkeiten wird die Konzipierung einer effizienten europäischen Raumentwicklungspolitik, die allein schon für die räumlich heterogene Zwölfergemeinschaft unabdingbar geworden war, damit vor die Aufgabe gestellt, über den Rahmen der Europäischen Gemeinschaft hinauszugehen und den gesamten Kontinent sowie seine Nachbarn einzubeziehen. Dies betrifft, wenn nur an die Möglichkeit einer wirtschaftsbedingten Zuwanderungswelle aus Ostmittel- und Osteuropa sowie aus Nordafrika gedacht wird, den gesamten europäischen Kontinent und den Mittelmeerraum. Mit den Problemen, die damit vor allem in den Bereichen der Wirtschaft, der Umwelt und des Infrastrukturausbaus verbunden sind, geht auch die Perspektive eines erheblich vergrößerten Gesamtpotentials einher, das in alle Überlegungen einzubeziehen ist.
D. Perspektiven einer räumlichen Entwicklungspolitik der Gemeinschaft Angesichts der neuen Herausforderungen, vor denen die Weiterentwicklung der räumlichen Entwicklungspolitik der Europäischen Gemeinschaft steht, gilt es zu erkennen, daß einerseits die unbeWältigten konzeptionellen Grundprobleme immer noch dieselben sind wie zu Beginn der 70er Jahre, andererseits aber die Perspektiven für Wege zu ihrer Überwindung sich grundlegend geändert haben.
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Es seien daher in diesem abschließenden Abschnitt auch zuerst die veränderten Perspektiven dargestellt, da sie die Hoffnung und Erwartung begründen, auch die Grundprobleme könnten bald in Angriff genommen werden. I. Bewußtwerdung des europäischen Raumes
Die grundlegendste Veränderung der Perspektiven einer europäischen Politik räumlicher Entwicklung besteht darin, daß die Europäer aller Staaten und Regionen sich immer mehr der Einbettung ihrer Lage und Entwicklungsaussichten in ein Gesamtsystem des europäischen Raumes bewußt werden. Auslöser und Kern dieser kategorischen Veränderung ist zweifellos der bisherige Integrationsprozeß der Europäischen Gemeinschaft, dessen Erfolg immer mehr auch diejenigen zur Änderung ihrer Einschätzungen bewegt, die den europäischen Ideen der 50er Jahre zurückhaltend oder ablehnend gegenüberstanden. Die Beitritts- und Assoziationsgesuche verschiedener europäischer Staaten lassen dies deutlich erkennen. Mit diesem Hinweis soll jedoch in keiner Weise abgestritten oder auch nur verniedlicht werden, daß der Wunsch, an der Integration der Gemeinschaft teilzuhaben, ganz verschiedenen Interessenlagen und Motivationen entspringt, und daß die Potentiale regionaler Konflikte in Europa immer noch nicht auf ein hinnehmbares Maß reduziert werden konnten. Der Zerfall und die Neustrukturierung der alten Sowjetunion und die Auseinandersetzungen zwischen den bisherigen Teilrepubliken Jugoslawiens' zeigen, daß der Prozeß der Neuordnung Europas noch lange nicht abgeschlossen ist. Aber allein die Tatsache, daß heute geopolitische Analysen Gesamteuropas - die die komplizierten und einander überlappenden Sphären historischer und aktueller Interessen erkennbar werden lassen 8 - auch für ein breites Publikum interessant werden, verdeutlicht die neue Einstellung zu räumlichen Zusammenhängen und die Bereitschaft, überkommene Grenzen und bestehende Abgrenzungen zu überdenken. Für den bisherigen motorischen Kernbereich Europas, die Europäische Gemeinschaft, sind zwei neue Entwicklungen hervorzuheben, die auf eine grundlegende Veränderung hindeuten: Das seit 1989 jährliche Zusammentreten einer Konferenz der für Raumordnung und Regionalpolitik zuständigen Minister der Mitgliedsstaaten einerseits, und der von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft verfolgte Ansatz "Europa 2000"9, der Erarbeitung eines grundlegenden Dokuments zur zukünftigen gemeinschaftlichen Raumordnungspolitik. Weder die jährliche Konferenz noch das in vieler Beziehung noch sehr unbefriedigen8 Vgl. z. B. Foucher, Michel: Fronts et frontieres, Paris 1988. Vgl. auch die Veröffentlichungen des Observatoire Europeen de Geopolitique, Lyon, insbesondere "La Lettre de 1'0. E. G., No. 1 (1990) und 2 (1991). 9 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Europa 2000 - Perspektiven der künftigen Raumordnung der Gemeinschaft, Vorläufiger Überblick (Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament), Brüssel1991 (Vorgelegt 1990).
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de, in seiner institutionellen Unbestimmtheit möglicherweise gefährliche Dokument "Europa 2000" (das zur Zeit der Abfassung dieses Beitrags nur in seiner Vor-Fassung vorlag) haben Richtung und Strategie einer neuen, bewußteren räumlichen Entwicklungspolitik der Gemeinschaft zu erkennen gegeben. Aber die politische Anerkennung der Bedeutung der Fragestellung ist für jedermann erkennbar geworden, und die begonnene Diskussion wird nicht mehr aufgehalten oder gar zurückgedreht werden können. 11. Grundprobleme einer europäischen Raumentwicklungspolitik
Die in der Neufassung des EWG-Vertrages niedergelegten Zielsetzungen der räumlichen Entwicklung in der Gemeinschaft sind - aus gutem Grund - so allgemein gehalten, daß sie der Konkretisierung bedürfen, bevor die der Gemeinschaft zur Verfügung stehenden strukturpolitischen Instrumente, insbesondere die Mittel der drei Strukturfonds, gezielt eingesetzt werden können. Eine solche Konkretisierung setzt, wenn sie systematisch vorgenommen und in ihrem Ergebnis interregional konsistent sein soll, ein Leitbild der anzustrebenden räumlichen Ordnung Europas, also eine den Gegebenheiten und Zielsetzungen aller Staaten und Regionen Rechnung tragende Raumordnungskonzeption voraus. Dieses Leitbild müßte erkennbar werden lassen, in welchen Räumen welche Arten von Entwicklungen erwünscht bzw. unerwünscht sind, damit entschieden werden kann, ob die - zugleich ja auch immer regelnd und verändernd in das Funktionieren der Faktor- und Gütermärkte eingreifenden - möglichen steuernden Eingriffe gerechtfertigt und politisch zu vertreten sind oder nicht. In bezug auf zukünftiges gemeinschaftliches Handeln müßte das Leitbild der Raumordnung gemeinschaftsweit sein; es könnte und dürfte nicht aus der einfachen Addition der raumordnerischen Vorstellungen der Mitgliedsstaaten bestehen, sondern müßte aus gemeinschaftlichen Oberzielen in einer europaweit vergleichbaren Weise abgeleitet werden. Dies aber ist bisher weder von der Kommission noch vom Parlament der Europäischen Gemeinschaft noch von einer der Regierungen der Mitgliedsstaaten unternommen worden; eine gewisse und insoweit hervorzuhebende, wenn auch in vieler Hinsicht kritisierbare Ausnahme stellt der im Auftrag der Regierung der Niederlande erstellte Bericht "Perspektiven in Europa" 10 dar, der in einer neuen und eindrucksvollen Art zwei aus niederländischer Sicht vorstellbare Szenarien zukünftiger räumlicher Entwicklung Europas darstellt und zur Grundlage von Entscheidungen über die niederländische Raumordnung macht. Auch eine von der Akademie für Raumforschung und Landesplanung gemeinsam mit der nationalen französischen Raumordnungsbehörde DAT AR eingesetzte deutsch-französische Arbeitsgruppe von Experten auf verschie\0 Rijksplanologische Dienst (Ministry of Housing, Physieal Planning and Environment): Perspeetives in Europe - A survey of options for a European spatial poliey, The Hague 1990.
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denen Gebieten der räumlichen Entwicklung hat 1991 einen Vorschlag für ein europäisches Strukturkonzept zur Diskussion gestellt 11, der dezidierte Schwerpunktfestlegungen auf europäischer Ebene als Rahmen für die diese konkretisierenden und ausfüllenden nationalen Raumordnungskonzepte empfiehlt. Aber auch diese beiden hervorhebenswerten Ansätze verzichten noch auf die kritische Klärung des Begriffs einer europäischen Region. Die von der gemeinschaftlichen Statistik - und auch in den Periodischen Berichten zur Regionalpolitik der Gemeinschaft - verwendeten ,,Regionen" sind wegen ihrer extrem unterschiedlichen Größe und Struktur weder untereinander kompatibel noch wegen ihres die nationalen Grenzen respektierenden Zuschnitts immer europäisch sinnvoll. Auch wenn aus der Sicht des Verfassers gar kein Zweifel daran bestehen darf, daß es den Mitgliedsstaaten immer vorbehalten bleiben muß, ihre inneren Strukturen allein und im Zweifel auch in einer völlig von den Strukturen der Nachbarn abweichenden Weise festzulegen, kann doch auch ebensowenig Zweifel daran bestehen, daß z. B. die badischen und elsässischen Gebiete am Oberrhein jetzt schon und ab 1993 noch mehr eine reale wirtschaftliche und kulturelle Einheit bilden, die mit ihrem historischen Zentrum Straßburg im besten Sinne eine Region Europas darstellt und daher in einem realistischen europäischen Raumordnungsmodell Beachtung finden müßte. Die Frage der ,,richtigen" Regionalisierung Europas ist untrennbar verbunden mit der noch ausstehenden Klärung der zukünftigen Organisation der öffentlichen Gemeinwesen in den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft und ihres europäischen Mit- und Zusammenwirkens. Dabei geht es im Kern um die beiden Fragen, ob und inwieweit die institutionelle Gliederung des gemeinschaftlichen Europa zukünftig mehr durch föderale oder mehr durch zentrale Abstimmungsmechanismen bestimmt wird, und inwieweit die Kommunen ihre Aufgaben - auch im Hinblick auf die Gestaltung der räumlichen Entwicklung - selbständig oder in den staatlichen Bereich integriert wahrnehmen sollen. Es ist offenkundig, daß hier die grundlegend unterschiedlichen und vielfach traditionsreichen Staats- und Politikverständnisse der Mitgliedsstaaten unmittelbar berührt und teilweise in Frage gestellt werden, so daß mit einer schnellen Konsenslösung nicht gerechnet werden kann. Würden etwa - wie das manchem in Deutschland als selbstverständliche Lösung erscheint - als erste Alternative die europäischen Regionen so wie die deutschen Länder als Untergliederungen der Mitgliedsstaaten angesehen, dann stellt sich sofort die nächste Frage, von welcher Größenordnung denn auszugehen ist. Das Nebeneinander von sehr kleinen Ländern (wie Bremen und dem Saarland) und sehr großen Ländern (wie Nordrhein-Westfalen und Bayern) in der bisherigen Bundesrepublik hat zwar bisher funktioniert, sich aber nicht bewährt; es erscheint keinesfalls wünschenswert, daß auch auf der europäischen Ebene so krasse Unter11 V gl. Hebrard, Jrel / Treuner, Peter: Perspektiven einer europäischen Raumordnung, Hannover 1991.
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schiede institutionalisiert werden. Die Zielsetzung der Schaffung von hinreichend vergleichbaren europäischen Regionen, von denen die größten vielleicht nicht mehr als dreimal so groß wie die kleinsten sein sollten, könnte es erfordern, einerseits grenzüberschreitende europäische Regionen zu schaffen, also beispielsweise Luxemburg in eine (um das belgische Luxemburg erweiterte) Saar-LorLux-Region einzubinden, und andererseits große Länder wie etwa NordrheinWestfalen oder Bayern in drei oder vier Regionen europäischen Zuschnitts aufzuteilen; in beiden Fällen brauchte und sollte weder die staatliche Integrität Luxemburgs oder Bayerns noch die Untergliederung der Staaten und Länder in Provinzen, Regierungsbezirke oder andere Einheiten in Frage gestellt zu werden. Die Repräsentanten der für die Zwecke einer konsistenten europäischen Raumentwicklungspolitik zu bildenden Regionen brauchten keinerlei Rechte gegenüber den bestehenden staatlichen Einheiten in Anspruch zu nehmen; ihnen hätte lediglich die Aufgabe zu obliegen, die intraregionale Abstimmung und Willens bildung je nach dem Maß der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips mehr oder weniger weitgehend zu organisieren und die Interessen der Gesamtregion bei der Willensbildung der europäischen Organe zu ~ertreten. Eine Lösung wie die hier skizzierte - neben der andere Lösungen denkbar bleiben - würde zur Folge haben, daß auch innerhalb der Mitgliedsstaaten die Frage nach der Rolle bzw. der Revisionsbedürftigkeit der bereits bestehenden innerstaatlichen Regionen neu zu stellen und zu beantworten wäre. Die europäischen Regionen könnten zwar grundsätzlich auf die Wahrnehmung europäischer AufgabensteIlungen beschränkt bleiben, doch muß es als zweifelhaft angesehen werden, ob dies auch immer zweckmäßig ist. In der Bundesrepublik speziell würde auch die - auch im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung und der Bildung der fünf neuen Länder wieder akut gewordene - Frage nach einer Länderneugliederung berührt. Hätten alle neu zu bildenden Länder eine Größe, die der von zwei bis vier europäischen Regionen entspricht, dann wäre nicht nur ein gewisses (bisher fehlendes) Größenordnungsgleichgewicht hergestellt, sondern auch die Möglichkeit eines ähnlichen Verwaltungsaufbaus (Mittelinstanz!) gegeben. Beides wird in die Überlegungen der vom Bundestag eingesetzten Verfassungskommission einzugehen haben. Von ähnlich grundlegender Bedeutung sind alle Überlegungen zur Neuordnung der öffentlichen Finanzwirtschaft in einem europäischen System. Zwar gilt auch hier, daß den Mitgliedsstaaten die Kompetenz zur Regelung der innerstaatlichen Struktur erhalten und gesichert bleiben muß, doch bedarf es neuer und weiterführender Überlegungen, ob und in welcher Weise die gemeinschaftliche Strukturpolitik weiterhin vor allem auf Finanzhilfen setzen soll oder aber, ob ein Teil der interregionalen Solidarität - die im Hinblick auf die erforderliche Reduzierung der erheblichen interregionalen Unterschiede unabdingbar erscheint - in Form eines gemeinschaftsweiten Finanzausgleichs, der die deutschen Erfahrungen auf diesem Gebiet berücksichtigen könnte, realisiert werden kann.
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Schließlich gilt es, europäische Regelungen zu entwerfen und durchzusetzen, die eine den Notwendigkeiten realistischen und bürgernahen politischen HandeIns entsprechende Beteiligung und Interessenvertretung aller räumlichen Ebenen politischer Institutionen vorsehen und ermöglichen. Ein solcher Ansatz würde sich nicht nur mit dem Problem der erforderlichen Gleichgewichtigkeit von europäischen und nationalen Verantwortungsbereichen einerseits und von regionalen und kommunalen Interessen und Zuständigkeiten andererseits auseinanderzusetzen haben, sondern auch mit den institutionellen Problemen von nationale Grenzen übergreifenden regionalen Entwicklungsansätzen, die sowohl an den Binnengrenzen als auch - in viel krasserer Form - an den Außengrenzen der Gemeinschaft bestehen. Die Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen Strukturpolitik muß in der Tat darauf ausgerichtet werden, die sehr unterschiedlichen Lebens- und Entwicklungsbedingungen vor allem beiderseits ihrer Außengrenzen - im Osten wie im Süden - in einer langfristig konzipierten Weise in der Richtung zu beeinflussen und entsprechende Programme und Maßnahmen zu fördern, daß es nicht zur Verfestigung von signifikanten Wirtschaftsgrenzen kommt, deren Bestehen über kurz oder lang einen gesellschaftlich und politisch nicht zu verkraftenden Einwanderungsdruck zur Folge hätte, der weit über die Zuwanderungsphänomene der letzten Jahrzehnte hinausreichen könnte.
Bildungs- und Verteilungspolitik
Personelle Einkommensverteilung als Ausdruck eines Verteilungsgleichgewichts? Anmerkungen zur Relativierung des Ziels der personellen Einkommensverteilung Von Gerold Blümle
A. Fragestellung Schon Pareto I war im Jahre 1895 bei der Untersuchung der personellen Einkommensverteilung zunächst der Ansicht, daß sich auch dieses Streuungsphänomen durch eine Nonnalverteilung darstellen lassen müsse. Um so mehr kam er aufgrund seiner empirischen Arbeiten zur Überzeugung, mit seiner von der Normalverteilung abweichenden Fonnel ein Naturgesetz entdeckt zu haben, dies zumal er feststellte, daß sich die Sterblichkeitskurven im internationalen Vergleich stärker unterschieden als die Pareto-Kurven. 2 Die im intertemporalen und internationalen Vergleich nur wenig variierenden Werte seines a beurteilte er als Ausdruck eines langfristigen Verteilungsgleichgewichts der Einkommen. Abweichungen von solchen Werten müßten demzufolge die Stabilität einer Gesellschaft gefährden. 3 "Angesichts der Tendenz, daß sich die Verteilung des Einkommens unter der Bevölkerung nach einer bestimmten Fonn vollzieht, werden alle Änderungen in einem Teil der Kurve auf die anderen Kurventeile Einfluß haben; schließlich kehrt die Gesellschaft zu ihrer Nonnalfonn zurück, ebenso wie die Lösung eines bestimmten Salzes immer gleiche Kristalle ergibt."4 Diese Auffassung wurde auch noch 1941 von Harold Davis, einem Ökonometriker, vertreten, der einen Wert von 1,5 für a als Ausdruck eines sozialen Gleichgewichts auffaßte. 5 Werde die Einkommensverteilung gleichmäßiger (a> 1,5), so strebten die Klassen mit höherem Einkommen danach, im Interesse I Pareto, V.: La Courbe de la Repartition de la Richesse, in: Recueil publie par la Fakulte de Droit, Lausanne 1896, S. 375 Anmerkung S. 378 nach der die erste Veröffentlichung erfolgt in: Giomale degli Economiste, Roma, janvier 1895. 2 B1üm1e, G.: Theorie der Einkommensverteilung, Berlin u. a. 1975, S. 28 und 33. 3 Gibrat, R.: Les inegalites economiques, Paris 1931, S. 124. 4 Pareto, V.: Manue1 d'economie politique, Paris 1927, S. 392 f. Übersetzung zitiert nach: Lange, 0.: Einführung in die Okonometrie, Tübingen 1968, S. 145. 5 Lange, 0.: Einführung in die Ökonometrie, Tübingen 1968, S. 146.
14 Festgabe Th. Dams
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Gerold Blümle
einer Festigung ihrer Macht, eine undemokratische Regierungsform herbeizuführen, wie dies in Spanien mit dem Übergang zum Faschismus geschehen sei. Würde dagegen die Ungleichheit zunehmen (IX < 1,5), so käme es zu einer Revolution. Paretos IX eignet sich zwar nur bedingt zur Verteilungsmessung 6 und wird hierzu kaum mehr verwendet. 7 Die "Paretos Gesetz" entsprechende Gestalt der Verteilungskurve für die höheren Einkommen wird jedoch empirisch immer wieder bestätigt 8 und daher auch für Interpolationen der Einkommensverteilung im oberen Einkommensbereich verwendet. 9 Schließlich läßt sich auch das Zustandekommen einer Paretoverteilung mathematisch anschaulich begründen. 10 Im folgenden soll jedoch nicht der spezielle, Paretos Gesetz entsprechende Verlauf erörtert werden, sondern die Frage im Mittelpunkt stehen, inwieweit und gegebenenfalls weshalb sich die personelle Einkommensverteilung tatsächlich im zeitlichen Verlauf nur wenig ändert und als Ausdruck eines gesellschaftlichen Gleichgewichts gedeutet werden kann.
B. Stilisierte Fakten Bei der Formulierung von stilisierten Fakten der Einkommensverteilung stellt Ramser fest, "ebenfalls unstrittig" dürfte "die Tatsache sein, daß die (Sekundär-) Verteilungen der Einkommen in sämtlichen westlichen Ländern im Laufe der letzten fünfzig Jahre im wesentlichen unverändert geblieben sind." 11 Diese Aussage, zu der in bezug auf die Bundesrepublik auch Ballerstedt 12 kommt, steht nicht im Widerspruch zu den Untersuchungen, die sich mit der langfristigen Änderung der Einkommensverteilung im Entwicklungsprozeß befassen 13 und entsprechend der U-Hypothese von Kuznets erörtern, inwieweit die Einkommensgleichheit im Entwicklungsprozeß tatsächlich einen zunächst zurückgehenden und dann ansteigenden Verlauf aufweist. 14 Diese immer wieder diskutierte Erscheinung 15 wird 6 Boot, J. C. G.: Mathematical Reasoning in Economics and Management Science: Twelve Topics, Englewood-Cliffs 1967, S. 130 f. 7 Blümle, G.: Zur Messung der personellen Einkommensverteilung, in: Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, Heft 1/1976, S. 45-65. 8 Vgl. z. B. Cowell, F. A.: Measuring Inequality, Oxford 1977, S. 98 ff. 9 Stark, T.: The Distribution of Personal Income in the United Kingdom 1949-1963, Cambridge 1972, S. 134-136 sowie die bei von Weizsäcker, R.: Theorie der Verteilung der Arbeitseinkommen, Tübingen 1986, S. 6 in Fußnote 1 angegebene Literatur. 10 Blümle, G.: Paretos Gesetz, in: WiSt., Heft I, Januar 1979, S. 18. 11 Ramser, H. J.: Verteilungstheorie, Berlin u. a. 1987, S. 6. 12 Ballerstedt, E. / Glatzer, W: Soziologischer Almanach, Frankfurt, New York, 3. Aufl. 1979, S. 259. 13 Hemmer, H. R.: 40 Jahre Entwicklungstheorie und -politik. Ein Rückblick aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 110. Jahrgang, 1990, Heft 4, S. 505 - 570. 14 Kuznets, S.: Economic Growth and Income Inequality, American Economic Review, Vol. 45,1955, S. 1-28.
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darauf zurückgeführt, daß sich im Verlaufe der Entwicklung ein Vmstrukturierungsprozeß in der Weise abspielt, daß in einer dualen Ökonomie ein Bereich niedrigerer Produktivität und niedrigerer Einkommen zugunsten eines entwikkelten Sektors höherer Produktivität und höherer Einkommen abgebaut wird. 16 Die Einkommensverteilung insgesamt, beispielsweise durch den Gini-Koeffizienten gemessen, kann sich in diesem langfristigen Ablauf dann zeitweise als ungleicher ergeben als in jedem der beiden Teilbereiche 17, wenn sich die Gewichtung der beiden Bereiche mit stark unterschiedlichen Durchschnittseinkommen im Verlaufe der Zeit ändert und damit der V-Hypothese von Kuznets entspricht. Schließlich wird sich ein Übergang von der noch vom primären Sektor mit niedrigem Einkommen und geringer Streuung geprägten Volkswirtschaft zur Gesellschaft, in der sekundärer und tertiärer Sektor dominieren, vollziehen. Entsprechend der in diesen Sektoren höheren Einkommen und etwas größerer Einkommensstreuung stellt sich eine längerfristig gleichbleibende Einkommensungleichheit ein. 18 Ein zweites stilisiertes Faktum ist die immer auftretende Rechtsschiefe (Linkssteilheit) der Häufigkeitsverteilung, die Gibrat dazu gebracht hat, die Lognormalverteilung als die beste Anpassung und Erklärung der personellen Einkommensverteilung anzusehen. 19 Es ist in der Tat überraschend, daß diese schiefe Verteilung nicht nur in internationalen und intertemporalen Vergleichen für ganze Volkswirtschaften bestätigt wird, sondern auch für Gruppen gilt. 20 Darüberhinaus ändern sich die Verteilungen bezüglich dieses stilisierten Faktums auch dann nur wenig, wenn die Definitionen der Einkommensempfanger (z. B. Individuen oder Haushalte) oder der Einkommen (z. B. Primär- oder Sekundärverteilung) wechseln. Alle diese Verteilungen lassen sich dadurch charakterisieren, daß der Modus als häufigster Wert bei einem vergleichsweise niedrigen Einkommen liegt, der Median, der die Verteilung in zwei gleich starke Besetzungen von je 50 % teilt, ein deutlich höheres Einkommen aufweist und das arithmetische Mittel der Einkommen noch wesentlich höher liegt. Dieses Muster gilt nicht nur für die gesamte Verteilung, sondern in der Bundesrepublik beispielsweise auch für die Einkommensverteilung von Gruppen. Für die Bundesrepublik zeigt sich z. B. in allen neun unterschiedenen sozialen Haushaltsgruppen 21 und zwar sowohl für 15 Ahluwalia, M. S.: Income Distribution and Development: Some Stylized Facts, in: American Economic Review, Vol66, 1976, S. 128-135. 16 Vgl. z. B.: Lydall, H.: A Theory ofIncome Distribution, Oxford 1979, S. 205-225. 17 Blümle, G.: Economic Development and Personal Income Distribution in Developing Countries, in: Economics, Vol. 20, 1979, S. 52-65. 18 Vgl. auch die Darstellung bei: Ahluwalia, M. S., S. 133. 19 Gibrat, Paris 1931. 20 Aitchison, J. and Brown, J. A. c.: The Lognormal Distribution, Cambridge 1963, S.I07-120. 21 DlW-Wochenbericht, 57., 1990, 22 S.304-323 speziell S.312. Es werden die Gruppen der Selbständigen in- und außerhalb der Landwirtschaft unterschieden, die Angestellten, Beamten, Arbeiter, Arbeitslose, Rentner und Pensionäre.
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die Bruttoerwerbs- und Vermögenseinkommen als auch für die verfügbaren Einkommen dieses Muster, wobei die Streuung in den Gruppen differiert. Für das Jahr 1988 ergeben sich bei den verfügbaren Monatseinkommen der Arbeitnehmerhaushalte für Modus, Median und arithmetisches Mittel Werte von DM 2.720,-,3.111,-,3.474,-, während die entsprechenden Werte für die Selbständigenhaushalte außerhalb der Landwirtschaft bei 9.037,-, 11.999,- und 13.618,- liegen. 22 Es ist überraschend, daß damit insgesamt und auch in den Teilgruppen eine beachtliche Mehrheit der Personen oder Haushalte Einkommen unter dem Durchschnittseinkommen bezieht. Der Anteil der ein unterdurchschnittliches Einkommen erhält, wird auch als Durchschnittslage bezeichnet. 23 So erhielten in der Bundesrepublik 1962/63 64,6% und 196964,8% der Haushalte Einkommen unter dem arithmetischen Mittel. 24 Bei der Betrachtung der Differenzen zwischen dem Modal- und dem Medianwert wird offenbar, daß bei derartig schiefen Verteilungen mehr als 50% der Einkommensempfänger ein Einkommen beziehen, welches über dem Wert des am häufigsten auftretenden Einkommens, dem Modalwert, liegt. Ferner bleiben die Einkommensunterschiede zwischen den untersten Einkommensklassen und dem Modalwert in Anbetracht der Linkssteilheit der Verteilung vergleichsweise gering. Diese Sachverhalte haben für die spätere Argumentation Bedeutung. Abschließend soll festgehalten werden, daß sich zum einen die Ungleichheit der Einkommensverteilung in entwickelten Volkswirtschaften im Zeitablauf praktisch nicht ändert und, daß die Gestalt auch im internationalen Vergleich immer eine deutliche Rechtsschiefe aufweist. Die angesprochenen stilisierten Fakten widersprechen der Überzeugung von Downs von einer Tendenz zur Gleichverteilung in der Demokratie. 25 Die im Anschluß an Downs entstandene rege Auseinandersetzung mit der Frage, weshalb die für Demokratien erwartete Entwicklung zur Gleichverteilung nicht festzustellen ist 26 , hat die Möglichkeit, daß eine realisierte Verteilung im Sinne von Pareto in der Tat ein soziales Gleichgewicht widerspiegelt, vernachlässigt. Letztlich wurde stets davon ausgegangen, daß Ungleichheit der Einkommensverteilung immer als etwas Wohlfahrtsminderndes zu beurteilen ist. Die Begründung hierfür wird wohl im allgemeinen nicht so sehr darin gesehen, daß bei kardinaler Nutzenmessung, abnehmendem Grenznutzen und interpersonell identischen Nutzenfunktionen die als Summe der Einzelnutzen verstandene Gesamtwohlfahrt maximiert wird, denn üblicherweise werden die fraglichen nutzentheoretischen Prämissen Ebenda, S. 312. Bartmann, H.: Verteilungstheorie, München 1981, S. 64. 24 Schmaus, G.: Personelle Einkommensverteilung im Vergleich 1962/63 und 1969, in: Krupp, H. J. und Glatzer, W.(Hrsg.): Umverteilung im Sozialstaat, Frankfurt 1978, S.92. 25 Downs, A.: An Economic Theory of Democracy, New York 1957, S. 194 ff. 26 Vgl. z. B. die umfassende Arbeit von Knappe, E.: Einkommensverteilung in der Demokratie, Freiburg 1980. 22 23
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in Frage gestellt. Dagegen treten implizit die externen Effekte der Einkommensverteilung bei dieser Beurteilung in den Blickpunkt. Bei derartigen Effekten enthält die Nutzenfunktion eines Individuums nicht nur das eigene Einkommen, sondern auch das der anderen Individuen. Schoeck schreibt: "Manche Leser zweifeln vielleicht, ob es eine Richtung der Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik gibt, die unverblümt den geringsten Neid der größtmöglichen Menschenzahl als Leitsatz gewählt hat. Sie ist bekannt unter dem in der englischsprechenden Welt sehr verbreiteten Ausdruck Wohlfahrtsökonomik. "27 Einkommensverteilung wird dabei letztlich als Ergebnis zweier gegenläufiger Tendenzen verstanden. Einerseits wird dabei die Notwendigkeit von Leistungsanreizen betont, die eine Einkommensdifferenzierung erzwingen. Anderseits werden, ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, die wohlfahrtsmindernden Einflüsse des Neides betont, die einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung eine höhere Wohlfahrt zuordnen. Dabei wird seltsamerweise der Begriff des Neides seit Anfang unseres Jahrhunderts aus der sozialwissenschaftlichen Literatur verdrängt. 28 Im folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, ob sich die stilisierten Fakten der Einkommensverteilung, ihre weitgehende Konstanz und typische Gestalt als Verteilungsgleichgewicht deuten lassen. Dabei interessieren zunächst Gerechtigkeitsvorstellungen bezüglich der Einkommensverteilung, wie sie sich in der Wirklichkeit offenbaren.
c. Gerechtigkeitsvorstellungen und Linkssteilheit der personellen Einkommensverteilung
Unzweifelhaft erfolgt die Beurteilung der Einkommensverteilung im allgemeinen im Spannungsfeld zwischen Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit. 29 Die Primärverteilung wird dabei der Leistungsgerechtigkeit zugeordnet und die erfolgenden umverteilenden Einflüsse des Staates bringen zum Ausdruck, daß "die primäre Distribution als ungerecht empfunden wird."30 Bei dieser Einschätzung ist allerdings zwischen Maßnahmen des Familienlastenausgleichs und der Progressivität der Einkommensbesteuerung zu unterscheiden. Eine Einkommensverteilung, deren Zustandekommen auch auf dem Leistungsfähigkeitsprinzip beruht, wird letztlich auf die Einkommen nach Steuern abzielen und demgemäß durch eine Änderung der Progression nicht ausschließlich die Sekundär-, sondern auch die Primärverteilung beeinflussen. Die Frage, inwieweit also die Progressivität der Einkommensbesteuerung die auf Individuen bezogene EinkommensverteiSchoeck, H.: Der Neid und die Gesellschaft, 5. Aufl., Frankfurt 1987, S. 210. Schoeck, S. 22. 29 Fuest, W.: Grundsätze einer rationalen staatlichen Einkommensverteilungspolitik, München 1980, S. 14. 30 Neumark, F.: Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuerpolitik, Tübingen, 1970, S. 189. 27 28
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lung nach Steuern wirklich ändert oder nur ein politisches Instrument der Beschwichtigung bei Verteilungskonflikten darstellt, erscheint durchaus berechtigt. Die Unterscheidung der Prinzipien der Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit vermag lediglich zu erklären, daß sich Primär- und Sekundärverteilung unterscheiden. Bezüglich der typischen Gestalt der Verteilungskurve kann auf zwei Verteilungsgrundsätze verwiesen werden, die Külp erwähnt. Zum einen das "Recht auf ein Mindesteinkommen in Höhe des Existenzminimums"3l und die Forderung, die Einkommensdifferenzierung zu beschränken. 32 Was den ersten Aspekt angeht, so läßt sich die allgemeine Anerkennung des Anspruchs auf ein Existenzminimum in Analogie zu Rawls Prinzip des größtmöglichen Vorteils für den am wenigsten Begünstigten 33 begründen. Die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung des eigenen Einkommens läßt die gesellschaftliche Zusicherung eines Existenzminimums als eine Art Versicherung allgemein als wünschenswert erscheinen. Auf diese Weise ließe sich erklären, weshalb die Sekundärverteilung der gesamten Haushaltseinkommen im Bereich unterer Einkommen gekappt erscheint. Weshalb aber die Verteilungen auch der Primäreinkommen und sogar in Teilgruppen linkssteil sind, bedarf weiterer Begründung. Für die Linkssteilheit der Verteilung in den Gruppen ergeben sich drei gleichzeitig wirkende Gründe: 1. Die Beschränkung des Leistungsfahigkeitsprinzips bei den Unselbständigen auf Leistungsanreize.
2. Die besonderen Anstrengungen der untersten Einkommensklassen, den Abstand zum Standard nicht zu groß werden zu lassen. 3. Gerechtigkeitsvorstellungen auch seitens der Arbeitgeber. 1. In einer entwickelten Gesellschaft ist der größte Teil der Beschäftigten unselbständig tätig und damit in eine Hierarchie eingeordnet. Das Leistungsfahigkeitsprinzip kann sich dabei aber lediglich darin äußern, daß es ein Anreizsystem liefert. In einer solchen entwickelten Gesellschaft sind nämlich die individuellen Beiträge des Einzelnen zum, durch den Markt bewerteten Output nicht mehr quantitativ auszumachen, weil ein großer Teil der Tätigkeiten komplementären Charakter hat. Nur in ihrer Gesamtleistung konkurrieren diese Hierarchien, sofern es sich um private Unternehmen handelt, auf dem Markt. Wenn Entlohnung nach der Leistungsfahigkeit letztlich aber lediglich Leistungsanreizfunktion hat, dann ist sie dadurch bestimmt, wie sie auf die Beschäftigten wirkt. Entscheidend bleibt somit lediglich die Zufriedenheit mit dem Lohn im Vergleich zur relativen Lohnhöhe anderer. 34 Wenn sich nun die Vorstellungen über die Angemessenheit
3l Külp, B.: Verteilungspolitik, in: Wemer, J. / Külp, B.: Wachstumspolitik, Verteilungspolitik, Stuttgart 1971, S. 118. 32 Ebenda, S. 12l. 33 Rawls, J.: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt 1975, S. 336.
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eines Einkommens innerhalb der Bezugsgruppe bilden, der sich der Einzelne zuordnet, so werden auch die Mindesteinkommen für die Zufriedenheit der untersten Schicht der Hierarchie gruppenspezifische, gesellschaftlich als angemessen betrachtete Existenzminima sein. Die Vorstellungen nun, welches Einkommen als für die Gruppe typisch anzusehen ist, werden sich nicht nach einem dem Einzelnen unbekannten und abstrakten Durchschnittseinkommen als arithmetisches Mittel ausrichten. Vielmehr bilden sich diese entsprechend dem am häufigsten auftretenden Typus, der sich in der unmittelbar wahrnehmbaren Umgebung in einem gewissen Lebensstandard äußert. Diesem als nonnal empfundenen Wert entspricht der Modus, der bei einem zum arithmetischen Mittel relativ niedrigen Einkommen liegt. Die Linkssteilheit der Verteilung bedingt also, daß die untersten Einkommensklassen nicht zu sehr vom als nonnal empfundenen Modalwert abweichen. Die Ausrichtung an der gesellschaftlich und einkommensmäßig nabestehenden sozialen Gruppe bedingt folglich, daß sich keine auf Umverteilung ausgerichtete Unzufriedenheit aufbaut. 35 2. Die unteren Einkommensklassen stehen in einem besonderen Zwang, ihren Standard nicht zu sehr von dem, für die Gruppe typischen, abfallen zu lassen. Bei der Wabl zwischen Freizeit und Lebensstandard, präferiert diese Schicht also Freizeit vergleichsweise weniger. Dies zeigt sich zum einen darin, daß eine hohe Bereitschaft zu Überstunden besteht und Arbeitszeitverkürzungen wenig populär sind. Was die Verteilung der Haushaltseinkommen angeht, so wird Frauenarbeit und Frauenteilzeitarbeit vor allem angeboten, wenn das Einkommen des Familienvorstandes vergleichsweise niedrig ist. Sehen sich Mitglieder dieser untersten Einkommensgruppen nicht mehr in der Lage, durch Arbeit ein als angemessen betrachtetes Einkommen zu erzielen, so kann der Übergang in Arbeitslosigkeit oder vorzeitige Pensionierung erfolgen. Das unterste Einkommen, welches in Erwerbstätigkeit erzielt wird, erfährt also eine Beschränkung nach unten durch die politisch begründeten und garantierten Existenzminima. 3. Schließlich dürfte wohl auch seitens der Arbeitgeber eine als gerecht eingestufte Lohnstruktur angestrebt werden, die zumindest im unteren Einkommensbereich der gesellschaftlichen Vorstellung eines dem sozialen Status entsprechenden Existenzminimums Rechnung trägt. So geht auch der Sachverständigenrat davon aus, daß die Lohnrelationen "zumindest teilweise auch Gerechtigkeitsvorstellungen folgen".36 Dieses Verteilungsmuster der Linkssteilheit überträgt sich auch auf die Gruppe der Selbständigen. Ein Selbständiger wird, wenn er kein seiner Gruppe und dem 34 Pfromm, H.-A.: Die Problematik horizontaler Verteilungskonflikte, in: WSI-Mitteilungen 8/1975, S. 428 ff. 35 Höming, K. H.: Soziale Ungleichheit -Strukturen und Prozesse sozialer Schichtung, Darmstadt, Neuwied 1976, S. 24. 36 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 1976/77, Ziffer 281.
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größeren Risiko seiner Tätigkeit entsprechendes höheres Mindesteinkommen erzielt, aus dieser Gruppe ausscheiden und eine seiner QualifIkation entsprechende unselbständige Tätigkeit annehmen. Die Besoldung in staatlicher Beschäftigung steht zum einen in der Arbeitsnachfrage in Konkurrenz zu der des privaten Sektors und ist zum anderen, gerade was die Vorsorgepflicht des Arbeitsgebers angeht, in besonderer Weise von den gesellschaftlichen Gerechtigkeitsvorstellungen geprägt. Auf diese Weise kann demzufolge das allgemein verbreitete Muster der Linkssteilheit der Einkommensverteilung, sowohl was die Primär- als auch die Sekundärverteilung angeht, begründet werden.
D. Die Rolle des Leistungsfähigkeitsprinzips Die Rechtsschiefe der Einkommensverteilung wird zumeist als Ergebnis des Leistungsfähigkeitsprinzips angesehen. Tatsächlich scheint dieses Prinzip allgemein akzeptiert zu werden. So halten 78 % der Bevölkerung bei einer Umfrage für die Bundesrepublik Deutschland eine Bezahlung nach der jeweiligen Leistung für gerecht und nur 21 % für ungerecht. Bei den unselbständig Beschäftigten liegt die Zustimmung hierfür sogar bei 81 %.37 In Umfragen ergibt sich, daß 1969 62-74% der Arbeitnehmer ihre Entlohnung für leistungsgerecht halten 38 und 1975 lediglich 6-22% mit ihrem Einkommen nicht zufrieden sind. 39 Kudera u. a. 4O kommen für 1974 zum Ergebnis, daß 75 % der befragten Arbeiter die bestehenden innerbetrieblichen Lohnunterschiede für berechtigt halten. Die Zufriedenheit nimmt dabei von den Angelernten zu den Facharbeitern und von den einfachen zu den leitenden Angestellten hin zu, was im wesentlichen mit dem Einkommen korreliert. Es ist dabei überraschend, daß in scheinbarem Gegensatz hierzu Umfragen bezüglich der Einkommensverteilung insgesamt diese eher als ungerecht einstufen. 41 Eine Untersuchung von Bierbaum kommt zum Ergebnis, daß 63 % der Arbeitnehmer die großen Einkommensunterschiede nicht für gerechtfertigt halten. 42 Auch Strümpel 43 kommt aufgrund von Beobachtungen für die USA zum 37 Eckart, C. u. a.: Arbeiterbewußtsein, Klassenzusammensetzung und ökonomische Entwicklung - Empirische Thesen zum instrumentellen Bewußtsein, in: H.-G. Backhaus u. a. (Hrsg.): Gesellschaft - Beiträge zur Marxschen Theorie 4, Frankfurt 1975, S. 18. 38 Nickel, W.: Zum Verhältnis von Arbeiterschaft und Gewerkschaft, in: Schriftenreihe der Stiftung Mitbestimmung und der Hans-Böckler-Gesellschaft 5, Köln 1972, S. 41. 39 Ballerstedt, E. / Glatzer, W., S. 265. 40 Kudera, W. u. a.: Gesellschaftliches und politisches Bewußtsein von ArbeiternEine empirische Untersuchung, Frankfurt 1979, S. 102. 41 Ballerstedt, E. / Glatzer, W., S. 263. 42 Bierbaum, C. u. a.: Ende der Illusionen? Bewußtseinsänderungen in der Wirtschaftskrise, Frankfurt/Köln 1977, S. 113.
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Ergebnis, daß die Einkommensverhältnisse innerhalb der eigenen Bezugsgruppe, aus denen sich nach seiner Einschätzung die individuelle Einkommenszufriedenheit ableitet, akzeptierter sind als die Einkommensrelation in der Gesamtgesellschaft. Eine Erklärung für diesen vermeintlichen Widerspruch besteht darin, daß die auf die eigene Person bezogene Leistungsgerechtigkeit in einem Vergleich überschaubarer Arbeitsplätze festgestellt wird. Wenn nun der Modalwert der Bezugsgruppe als häufigster Wert als Norm empfunden wird und die Einschätzungsgrundlage darstellt, so kommt eine Mehrheit zum Ergebnis, daß sie sich vergleichsweise besser stellt. Die Schiefe der Verteilung äußert sich ja darin, daß das Medianeinkommen über dem des Modus liegt und damit über 50 % ein höheres Einkommen erhalten als es dem als normal empfundenen Modalwert entspricht. Es ist wohl anzunehmen, daß Einkommensbezieher, die sich als solchermaßen begünstigt erfahren, die bestehende Einkommensverteilung als gerecht einzuschätzen tendieren. Entsprechend gehen auch Ansätze der ökonomischen Theorie der Politik davon aus, daß sich nach dem Eigennutzkalkül der verteilungspolitische Standpunkt eines Wählers mit seiner Einkommensklasse identifizieren läßt. Dieses wird letztlich auch durch die Untersuchung von Kudera u. a. empirisch bestätigt. 44 Die Verteilung der personellen Einkommen kann also zugleich als Wählerhäufigkeitsverteilung aufgefaßt werden. 45 Des weiteren ist motivationstheoretisch zu erwarten, daß im Falle von Unzufriedenheit eine Tendenz besteht, diese durch Absenken des Anspruchsniveaus abzubauen. Dies zumal, wenn in einer Gesellschaft, welche Mobilität positiv einschätzt, bei Unzufriedenheit entsprechende Initiative erwartet wird, jedoch gerade die Arbeitnehmer mit geringeren Einkommen als risiko- und mobilitätsscheu einzustufen sind. Mit der allgemeinen Akzeptanz des Leistungsfähigkeitsprinzips und eines Existenzminimums kann zwar begründet werden, weshalb die Einkommensverteilung linkssteil verläuft und bei den höheren Einkommen eine größere Streuung aufweist, weshalb sie aber quantitativ gerade einen solchen Verlauf aufweist, wie er der Lognormalverteilung oder bei den höchsten Einkommen der Paretoverteilung mit bestimmten Parameterwerten entspricht, bleibt damit offen. Hier können zwei nutzentheore~ische Begründungen angeführt werden. Wijk 46 hat darauf hingewiesen, daß bei einer Nutzenfunktion vom Weber-Fechner'schen Typ eine Lognormalverteilung der Einkommen einer Normalverteilung der Nutzen entspricht. Letztlich bleibt auf diese Weise der Glaube an die Allgemeingültig43 Strümpel, B.: Wirtschaftliche Wohlfahrt objektiv oder subjektiv? in: Zapf, W. (Hrsg.): Soziale Indikatoren - Konzepte und Forschungsansätze III, Frankfurt, New York 1975, S. 290 f. 44 Kudera, W. u. a., S. 102. 45 Knappe, S. 55. 46 Pen, J.: Income Distribution, S. 254.
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keit der Normalverteilung die Grundlage der Erklärung, die Parameter der Verteilung werden jedoch nicht erklärt. Beckmann 47 unterstellt für Hierarchien ebenfalls ein dem Weber-Fechner'schen Gesetz entsprechendes Entlohnungsprinzip, begründet den Aufbau von Hierarchien auf dem Kontrollbedarf und vermag auf diese Weise für die höheren Einkommen eine Paretoverteilung herzuleiten. Auch dabei werden jedoch die externen Effekte der Einkommensverteilung außer acht gelassen und eine Erklärung, weshalb die Verteilungen sich auch quantitativ bei gleichem Entwicklungsstand international nicht stark unterscheiden, gelingt auf diese Weise nicht. Im folgenden sollen zwei Begründungen der Einkommensdifferentiation angeführt werden, die die externen Effekte der Einkommensverteilung in den Blickpunkt rücken.
E. Wohlfahrtsgewinne durch Aufstiegsmöglichkeiten Bei der Beurteilung von Leistungsanreizen wird davon ausgegangen, daß deren Wohlfahrtseffekte sich auf die tatsächliche Belohnung beschränken, die mit der betreffenden Leistung verbunden ist. Hirschman 48 verweist jedoch darauf, daß auch der Freude am Fortschritt anderer für die Wohlfahrt erhebliche Bedeutung zukommt. Er erläutert dies anschaulich am "Tunneleffekt".49 Wenn Autos in einem Tunnel auf zwei Bahnen in gleicher Richtung nebeneinander im Stau stehen, und eine, z. B. die rechte der Kolonnen, kommt auf einmal voran, so wird dies die Stimmung in der anderen verbessern, weil nun dort gehofft wird, daß es auch bald vorangeht. Auf diese Weise läßt sich auch die immer wieder betonte Funktion von Wachstum 50 und Inflation als sozialer Dämpfer verstehen. In einer wachsenden Wirtschaft wird dementsprechend der Einkommenszuwachs bei anderen als Indiz dafür angesehen, daß man selbst bald auch einmal zu den Begünstigten gehören wird. Zunehmende Einkommensdifferentiation, die natürlich insbesondere in der unmittelbaren persönlichen Umgebung festgestellt wird, fassen gerade die Bezieher niedrigerer Einkommen, bei denen die Bedeutung der Gerechtigkeit der Einkommensverteilung im Vergleich zur absoluten Verbesserung des Einkommens in den Hintergrund tritt 51 , als Ausdruck zunehmender Möglichkeiten eigener Einkommenserhöhung auf52 • Wie aber Hirschman mit 47 Beckmann, M. J.: Personelle Einkommensverteilung in hierarchischen Organisationen, in: Bombach, G., Frey, B. S. und Gahlen, B. (Hrsg.): Neue Aspekte der Verteilungstheorie, Tübingen 1974, S. 135 ff. 48 Hirschman, A. 0.: Entwicklung, Markt, Moral - Abweichende Betrachtungen, München Wien 1989, S. 71 ff. 49 Ebenda, S. 72. 50 Vgl. z. B. Boulding, K. E.: Gerechtigkeit und Verteilung Die Wechselwirkung von Märkten und Transfers, in: Klanberg, F. / Krupp, H.-J. (Hrsg.): Einkommensverteilung, Königstein 1981, S. 208. 51 Engelmann, B.: Wie wir wurden, was wir sind, München 1982, S. 219. 52 Diesen Aspekt für die Akzeptanz von Ungleichheit hat auch Downs schon gesehen. Downs, S. 194-197.
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seinem Beispiel des Tunneleffekts anschaulich erläutert 53, wird die Einschätzung der Lage der Autofahrer sich mit den Erwartungen ändern. Wenn nämlich längere Zeit nur die Fahrzeuge der zunächst begünstigten rechten Seite vorankommen und die auf der linken Spur weiterhin im Stau bleiben, werden die Erwartungen enttäuscht und der Eindruck entsteht, daß es nicht mit rechten Dingen zugeht. Der Neid auf das glücklichere Los der auf der anderen Spur Vorankommenden wird eine aggressive Stimmung bei den im Stau verbleibenden entstehen lassen. Die Frage der Gerechtigkeit im Vergleich zu anderen gewinnt an Bedeutung. Auch die Umkehrung des Tunneleffektes scheint nachvollziehbar. Einkommensverschlechterung, Arbeitslosigkeit und andere Schicksalsschläge werden im eigenen Erfahrungsbereich von Arbeitskollegen und Verwandtschaft nicht so sehr die Schadenfreude wecken, als vielmehr die Bedrohtheit der eigenen Situation verdeutlichen. S4 Der Tunneleffekt äußert sich im Entwicklungsprozeß deutlich darin, daß Wirtschafts wachstum ein gesellschaftlich besseres Klima schafft und zwar auch bei Befragten, die selbst betonen, daß sich ihre persönliche Lage nicht verbessert habe. 55 Politische Stabilität kann also in derartigen Situationen durch diesen "Hoffnungsfaktor"56 erklärt werden. Wenn Leistungsanreize dem wirtschaftlichen Wachstum förderlich sind, wird eine die Anreize steigernde, zunehmende Einkommensdifferenzierung, solange sie wachstumsfördernd wirkt, auch das soziale Klima schaffen, das sie möglich macht. Wichtig wird jedoch dabei sein, daß die mit dem Wachstum verbundenen Einkommensverbesserungen längerfristig breit streuen. Führt dagegen das Tempo der Entwicklung ausschließlich zu anhaltender Begünstigung bestimmter Regionen, Bevölkerungsgruppen oder sozialer Schichten, so besteht die Gefahr eines Umkippens "von der Zufriedenheit zur Empörung". 57 Hirschman erläutert diesen Stimmungsumschwung auch durch den Begriffswechsel in der entwicklungspolitischen Diskussion. Die wachsenden Industriezentren wurden in den 50er Jahren mit dem positiv bewerteten und von Francois Perroux geprägten Begriff des "pole de croissance" belegt, der dann später von dem des "Binnenkolonialismus" abgelöst wurde. 58 In entwickelten Volkswirtschaften, in denen der Ausbau der Infrastruktur und des Bildungswesens zu besonderer Mobilität und die Demokratisierung zu einer gewissen politischen Kontrolle geführt haben, wird die Schwelle, bei der es zu Unzufriedenheit kommt, aus zwei Gründen niedriger liegen.
Hirschman, S. 72. Ebenda, S. 74. 55 Hirschman verweist in diesem Zusammenhang auf Erfahrungen in Südamerika, ebenda, S. 74 ff. S6 Ebenda, S. 75. 57 Ebenda, S. 79. 58 Ebenda, S. 79. 53
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1. Hohe Mobilität und Wettbewerb sorgen dafür, daß die für ein gewisses Ausmaß an Leistungsanreizen erforderliche Einkommensdifferenzierung vergleichsweise niedrig bleibt und durch Leistungen gerechtfertigt erscheint. Demokratische Kontrolle hält die Möglichkeiten ungerechtfertigter Begünstigungen in Grenzen. Skandale können in diesem Zusammenhang stabilisierenden Charakter erhalten. S9 Zum einen vermitteln sie den Eindruck, daß man sich nicht ungestraft gegen die Gerechtigkeit bereichern kann, zum anderen lenken sie von kleineren Mißständen im unmittelbaren Erfahrungsbereich ab, indem sie diese relativieren. "Somit lenken Skandale von den eigenen latenten Eigenschaften und Sehnsüchten etwas ab, weshalb man denn gar nicht will, daß alles ganz genau, ganz gerecht geregelt wird. Dieses Gefühl kommt dem des sich-selbst-besser-als-die-Mehrheit-gesteIlt-Gefühles recht nahe." 60 2. Hohe Mobilität und Wettbewerb bedingen zugleich, daß die begünstigenden Wirkungen des Wirtschafts wachstums breiter streuen und letztlich jeder das Gefühl hat, auch einmal von den Verbesserungen erreicht zu werden. Auf diese Weise werden Strukturänderungen leichter, indem eine ungünstig betroffene Gruppe nicht absolut schlechter gestellt werden muß, sondern lediglich eine geringere Begünstigung erfährt. Wenn nun einerseits Wirtschaftswachstum eine gewisse Einkommensdifferenzierung braucht und zugleich diese auch gesellschaftlich erträglich macht, müßte sich eine positive Korrelation zwischen Wachstumsrate und Einkommensstreuung ergeben. Hierbei ist aber wichtig, daß dieser Zusammenhang nicht monokausal auf die Einkommensverteilung als ganzes bezogen werden muß, sondern gerade für einzelne Gruppen gilt. Ferner wird dieser Zusammenhang auch begrenzt durch negative Tunneleffekte. Wachstum ist immer mit Strukturänderungen verbunden und ein höheres Wachstumstempo geht wohl auch mit stärkeren Strukturveränderungen einher. Das Tempo von Stukturveränderungen und damit auch von Wirtschaftswachstum hängt aber wiederum davon ab, welche Anpassungen im Anreizsystem zugelassen werden. Gesamtgesellschaftliche Strukturveränderungen dürften wohl gesellschaftlich wie eine Macht verstanden werden, der Individuen ohne eigenes Verschulden ausgesetzt sind. Langfristige Benachteiligungen bestimmter Gruppen werden folglich zu negativen Tunneleffekten durch Neid führen. Demzufolge soll nunmehr auf diese Erscheinung eingegangen werden.
S9 Riehl-Heyse, H.: Das nützliche Ärgernis Warum wir Skandale brauchen, in: Süddeutsche Zeitung vom 10. /11. 7.1982. Verweis nach Menkhoff, L.: Die Bildung von Gerechtigkeitsnormen in Bezug auf die personelle Einkommensverteilung, Diplomarbeit, Freiburg 1982, S. 55. 60 Menkhoff, L.: Die Bildung von Gerechtigkeitsnormen in Bezug auf die personelle Einkommensverteilung, Diplomarbeit, Freiburg 1982, S. 56.
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F. Wohlfahrtsverluste durch Neid Neid spielt dann eine besondere Rolle, wenn die wirtschaftliche Entwicklung als Nullsummenspiel verstanden wird und Besserstellungen anderer keinen Hoffnungsfaktor darstellen, sondern eher die Verschlechterung der eigenen Lage erwarten lassen. Auf diese Weise läßt sich auch die "Herrschaft des Neides"61 verstehen, wie sie sich verschiedentlich in bäuerlichen Gesellschaften zeigt. 62 Neid kann in solchen Gesellschaften Wettbewerb unmöglich machen, weil sich die Mitglieder vor der mit einer Besserstellung verbundenen Beneidung ängstigen 63, also Furcht vor dem Erfolg haben. 64 Auch bei diesem externen Effekt, dem des Neides, ist es jedoch wichtig, daß er sich ebenfalls auf die unmittelbare Umgebung des Neiders bezieht. Bereits Mandeville schrieb: "Neid ist also ein Gemisch von Ärger und Unwillen, und die Grade dieses Gefühls hängen je nach Umständen hauptsächlich von der Nähe oder Entferntheit der betreffenden Objekte ab. Wenn einer, der zu Fuß gehen muß, einen großen Mann beneidet, weil er sich einen Wagen mit sechs Pferden hält, so wird dies nie mit der Heftigkeit geschehen oder ihm den Verdruß bereiten wie einem Manne, der selbst einen Wagen hat, aber sich bloß vier Pferde leisten kann."65 Die Frage, weshalb eine Zunahme der Ungleichheit der Einkommensverteilung als wohlfahrtsmindernd eingestuft wird, scheint doch nicht so einfach zu beantworten zu sein. Die Wohlfahrtsökonomik geht davon aus, daß die externen Effekte, die beim Vergleich des eigenen Einkommens mit dem eines Besserverdienenden entstehen, die Wohlfahrt des eigenen Einkommens um so mehr schmälern, je besser dieser andere gestellt ist. Diese Aussage trifft indessen hauptsächlich, wie Mandeville schon bemerkte, nur für eine gemeinsame Schicht von Neidern und Beneideten zu. 66 "Der Neid ist vor allem eine Erscheinung der sozialen Nähe; im Englischen spricht man sogar von invidious proximity, also neiderregender Nähe."67 "Eine Gesellschaft, in der alle gleich wenig oder gleich viel Eigentum besäßen, bzw. von Staats wegen zugeteilt erhielten, wäre nicht etwa ein vom Neid verschontes Idyll, sondern eine Hölle, in der keiner seiner Haut sicher wäre."68 61 Hirschman, s. 86. 62 Schoeck, S. 81 ff. sowie S. 209. 63 Ebenda, S. 9l. 64
Ebenda, S. 109.
65 Mandeville, B.: The Fable of the Bees, (3. Aufl.) 1724, deutsche Übersetzung: Die
Bienenfabel, Berlin 1957, S. 122. 66 So hat die Illustrierte "Bunte", Heft 11 vom 7.3.1991 in ihrem "Report über den Neid - Das Gift der feinen Leute", 33 neidische Paare zusammengestellt, die dem gleichen gesellschaftlichen Umfeld zuzuordnen sind. 67 Schoeck, S. 30. 68 Ebenda, S. 66.
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Man kann diesen Sachverhalt auch im Indifferenzkurvensystem, wie in folgender Abbildung I dargestellt, veranschaulichen. Die Güter I und 2 sind Güter, die schichtenspezifisch unterschiedlich präferiert werden. Die Schicht mit niedrigerem Einkommen YI verwirklicht ein Haushaltsoptimum entsprechend der Indifferenzkurve I I. Das Indifferenzkurvensystem der Klasse mit höherem Einkommen Y2 verläuft gemäß der unterstellten stärkeren Präferenz für Gut 2 so, daß deren Nutzenniveau 12 aus Sicht der Schicht I sogar unter I 1 liegt. Das in der Abbildung dargestellte ist natürlich ein extremes Beispiel, das verdeutlichen soll, daß schichtenspezifische Verbrauchsmuster, die sich als Folge einer Einkommensdifferenzierung ergeben, nicht neiderregend sein müssen. Der Neid scheint also "nicht direkt proportional dem absoluten Wert des Beneideten"69, sondern durch ein deutlicheres Abheben von den Konsummöglichkeiten des Neiders scheint es geradezu möglich, den Neid zu reduzieren.
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Abb.l Der in Abbildung I dargestellte Effekt kann noch dadurch verstärkt werden, daß sich nicht nur die Präferenzen der Individuen schichtspezifisch unterscheiden, sondern auch die Budgetlinien. In Abbildung 2 wird verdeutlicht, daß eine relative Verbilligung des von der Oberschicht präferierten Gutes nur für diese Schicht die Herausbildung derart unterschiedlicher Konsummuster begünstigt. Die 69 Schoeck, S. 37.
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schichtenspezifisch unterschiedlichen Preise können tatsächlich so aufgefaßt werden, daß der Zugang für bestimmte Güter der Oberschicht durch Beziehungen, steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten, Sacheinkommen (z. B. Dienstwagen, Dienstwohnung, Möglichkeiten betriebsfinanzierter Aufwendungen) und ähnliches erleichtert wird. Gerade eine starke Progression der Einkommensbesteuerung kann eine Umschichtung zugunsten von Sacheinkommen und Luxuskonsum begünstigen. In einer weiteren Interpretation können die Preisunterschiede als schichtenspezifisch unterschiedliche Kosten der Nutzung der beiden Güter gedeutet werden. Soziale Schichtung erfolgt ja auch ganz wesentlich durch das Bildungssystem. Bei einem beachtlichen Teil gerade superiorer Konsumgüter wird der Zugang bildungsspezifisch erleichtert. Gerade diese Güter bieten auch die Möglichkeit, die Schichtzugehörigkeit im Konsum zu verdeutlichen.
11 ~--------------------------------~-----+XI
Abb.2
Es ist demzufolge wichtig, bei der Beurteilung der Wohlfahrtswirkungen des Neides zu beachten, daß er im wesentlichen auf eine Bezugsgruppe bezogen ist und daß eine Schichtung der Gesellschaft in Einkommensverteilung und Konsummuster neidentlastend wirken kann. Die Institutionalisierung des Volksneides durch politische Parteien und Regierungen in den heutigen parlamentarischen Demokratien sieht daher Schoeck als Gefahr für wirtschaftliche und soziale Strukturen und Prozesse an. 70 Des weiteren tritt das Neidphänomen auch im 70
Schoeck, S.213.
224
Gerold Blümle
Sinne eines Wunsches nach stärkerer Differenzierung auf, indem z. B. Facharbeiter ihren Einkommensabstand zu Nichtqualifizierten gefährdet sehen. Man könnte demzufolge von "Abstandsneid"71 sprechen.
G. Einkommensverteilung als Ziel der Wirtschaftspolitik Bei den obigen Ausführungen standen gruppenbezogene Aspekte der personellen Einkommensverteilung im Mittelpunkt. Dabei wurde deutlich, daß mit einer Vergleichmäßigung der Einkommensverteilung in Gruppen nicht nur Leistungsanreize verloren gingen, sondern es durchaus fraglich wäre, ob damit beabsichtigte Wohlfahrtssteigerungen überhaupt einträten. Wird vom Phänomen des Abstandsneides abgesehen, so kann man die Einkommensverteilung innerhalb der Gruppen entsprechend dem Tunneleffekt als Gleichgewicht von Neid und Hoffnungen auffassen. Es wird in empirischen Untersuchungen bezüglich der Bundesrepublik und der USA deutlich, daß die Individuen mit der eigenen Einkommensposition im allgemeinen zufriedener sind, als mit der Einkommensverteilung als ganzes. Dies mag zu einem Teil darauf zurückzuführen sein, daß Politiker die Bedeutung des Zieles gerechte Einkommensverteilung bei den Wählern überschätzen und durch Institutionalisierung des Volksneides erst zum Problem machen. Dies kann daher rühren, daß Neiderregung auch ein Stimulans für Erfolgsstreben sein kann n , was auch durch die Erscheinung des Abstandsneides zum Ausdruck kommt. Es mag folglich durchaus zutreffen, daß Neidgefühle bei Erfolgreichen, auch bei Politikern besonders stark sind und sie in Übertragung dieses persönlichen Gefühls auf die weniger Erfolgreichen Beschwichtigungsmaßnahmen für besonders erforderlich erachten. Eine derartige politische Überschätzung von Neidmotiven und damit Überbetonung des Ziels Verteilungsgerechtigkeit kann der wirtschaftlichen Entwicklung hinderlich sein. Die Ungleichheit der Einkommensverteilung als ganzes hat nicht nur nachfrageseitig besondere Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung 73, sondern ist insgesamt sicherlich auch Ausdruck von Präferenzen der Gesellschaft. Die individuelle Wahl der Bezugsgruppe und damit zwischen Tätigkeiten als Arbeiter, Angestellter, Beamter oder Selbständiger ist in einer freien Gesellschaft zu einem guten Teil Ausdruck der Zeitpräferenz und damit der Entscheidung über Humankapital- und Vermögens akkumulation zum einen und der Risikopräferenz zum anderen. Zweifelsohne sind diese Präferenzen auch durch das soziale Umfeld bestimmt und die Wahrscheinlichkeit, daß Kinder in der Bezugsgruppe der Eltern bleiben, vergleichsweise groß. Das Auseinanderdriften der Gruppeneinkommen 71 Schoeck, S. 216. 72
Ebenda, S. 226.
73 Blümle, G.: Vom "Segen" ökonomischer Ungleichheit, in: Theodor Dams (Hrsg.):
Beiträge zur Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik; Grundlagen - Empirie zung; Kunihiro Jojima zum 70. Geburtstag, Berlin 1990, S. 139-154.
Umset-
Personelle Einkommensverteilung
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wird indessen durch die soziale Mobilität in Grenzen gehalten. Daß unterschiedliche Begabung 74 und Vermögen vererbbar sind und damit ebenfalls maßgeblichen Einfluß auf die Einkommensverteilung haben 75, ist ebenso unbestreitbar wie der Sachverhalt, daß sie den Erben im wesentlichen unverdient zukommen. Die Frage ist nur, ob eine Gesellschaft, die den Einfluß von Begabung und Vermögen auf die Einkommensverteilung verringern möchte, tatsächlich den Interessen der wenig Begünstigten gerecht wird. Die aktuelle Entwicklung in Osteuropa ist in dieser Hinsicht ein mahnendes Beispiel. In einer Gesellschaft, in der die Gleichheit oberster Leitsatz war, gesellschaftliche Mobilität gering und damit Ausgeliefertheit gegenüber politischen Begünstigungen ausgeprägt war, hätte es der Institutionalisierung von Neid garnicht bedurft. Er hätte sich auch so eingestellt. Es erscheint nun fraglich, ob in einer derartigen Gesellschaft zugleich die für eine Entwicklung erforderliche Einkommensdifferenzierung und die Einführung der Demokratie möglich sind. Offe 76 geht von einer wechselseitigen Blockade aus und bezweifelt dies. "Der Markt fördert die Entwicklung einer Demokratie, nicht aber die Demokratie die Entstehung eines Marktes ... Wenn die Perestroika scheitert, dann ist es auch mit Glasnost bald wieder vorbei."77 So ist es durchaus fraglich, ob der "Tunneleffekt und die politische Ökonomie der Geduld"78 zu Erfolg führen, oder es zur Revolution kommt, bevor der Tunneleffekt positiv zu wirken vermag. 79 Vielleicht ist die These von Pareto, daß die Einkommensverteilung Ausdruck eines sich langfristig entwickelnden Verteilungsgleichgewichtes ist, doch wahrer als es Politikern, die das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit in den Vordergrund stellen, lieb ist. Schließlich scheinen Umverteilungsmaßnahmen bei der Gestalt der Verteilungskurve bei Wählern doch keine hohe Priorität zu haben 80 und der Zwang von Politikern, Wahlen zu gewinnen, setzen derartigen Absichten in einer Demokratie Grenzen.
74 Die angeborene Ungleichheit der Menschen scheint derzeit wieder als höher eingeschätzt zu werden als zu Zeiten, da das Wort Chancengleichheit die bildungspolitische Debatte beherrschte. Eysenck, H. J.: Die Ungleichheit der Menschen - Ist Intelligenz erlernbar, Berlin 1989. 75 Zur Erklärung der Vermögensverteilung vgl. Blümle, G.: Vermögensbildung, personelle Einkommensverteilung und Wirtschaftswachstum, in: Kyklos, Vol 25, 1972, S. 457 ff. 76 Offe, C.: Das Dilemma der Gleichzeitigkeit - Demokratisierung und Marktwirtschaft in Osteuropa, in: Merkur, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Heft 4, 45. Jg., April 1991, S. 279-292. 77 Engels, W.: Wirtschaftswoche vom 27. Januar 1989 zitiert nach: Offe, c., S. 283. 78 Offe, S. 289. 79 Hirschman führt für ein derartiges Geschehen die Entwicklungen in Kuba und Pakistan an. Hirschman, S. 87. 80 Blümle, 1975, S. 85. 15 Festgabe Th. Dams
Beratung auf dem bildungs politischen Parkett Von Sabine Gerbaulet Um es vorweg zu sagen: Der folgende Beitrag ist keine wissenschaftliche Analyse gelungener oder mißlungener Politikberatung im Feld der Bildungspolitik. Er versucht vielmehr, Erfahrungen und Erinnerungen festzuhalten aus der gemeinsamen Arbeit mit Theodor Dams Ende der 60er Jahre für den Deutschen Bildungsrat und - 20 Jahre später - für den Beirat für Ausbildungsförderung beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. Heute, mit dem gebührenden zeitlichen Abstand und seinem inzwischen anerkannten Status als ausgewiesener Experte in der Bildungspolitik, darf man es wohllaut sagen: Als Theodor Dams 1966 die ehrenvolle Berufung in den gerade gegründeten Deutschen Bildungsrat erreichte, war er zwar ein allseits geschätzter Agrarexperte, ein kundiger Europa-Fachmann und ein engagierter Entwicklungspolitiker - mit "Bildung" als Gegenstand einer eigenen Bindestrich-Politik hatte er sich dagegen bis dahin nicht befaßt. Als Mitglied der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates und als Vorsitzender des Unterausschusses "Schule und Arbeitswelt" war er dennoch aufgerufen, an dem ehrgeizigen und umfassend angelegten Konzept zur Reform des deutschen Bildungswesens von der vorschulischen Erziehung bis zur Weiterbildung mitzuwirken. Und dies in einem Gremium, in dem so unterschiedliche Persönlichkeiten wie der Nestor der deutschen Erziehungswissenschaft Heinrich Roth, der damalige Professor für politische Wissenschaft und spätere bayerische Kultusminister Hans Maier, der Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Hellmut Becker und der Präsident der Handwerkskammer in Berlin Herbert Snigola Sitz und Stimme hatten. Warum Theodor Dams damals in diesen Kreis berufen wurde, läßt sich wohl am ehesten aus den Spielregeln einer auf Repräsentativität gesellschaftlich relevanter Gruppen angelegten wissenschaftlichen Politikberatung in jener gesellschafts- und bildungspolitischen Aufbruchphase der ausgehenden 60er, beginnenden 70er Jahre erklären. Neben "Fachleuten im engeren Sinn" sollten die Vertreter der politisch für bedeutsam und einflußreich gehaltenen Gruppen, Verbände und Institutionen in den Beratungsgremien vertreten sein, um sie auf diese Weise in das gemeinsame Werk einzubinden, Kritik möglichst schon im Vorfeld in die Diskussion einzubeziehen und dem Ergebnis der Beratung eine breite Akzeptanz für die politische Umsetzung zu sichern. Das hieß konkret: Die Kirchen, die 15*
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Sabine Gerbaulet
Gewerkschaften, die Arbeitgeber, die Bauern, die Frauenverbände, das Handwerk usw. mußten bei der Besetzung der Kommissionen berücksichtigt werden. Wobei im Idealfall (ähnlich wie das damals als Synonym für Chancen ungleichheit entdeckte ,,katholische Mädchen vom Lande") ein Kandidat - oder eine Kandidatin - gleich mehrere Auswahlkriterien auf einmal zu erfüllen vermochte ... Daß diese so heterogen besetzte Kommission trotz der auf fachliche, persönliche und weltanschauliche Unterschiede zurückzuführenden Verständigungsschwierigkeiten in knapp vier Jahren nicht nur zahlreiche Einzelempfehlungen, sondern mit dem "Strukturplan für das Bildungswesen" I den in sich geschlossenen Aufriß für eine umfassende Bildungsreform vorgelegt hat, scheint im Nachhinein fast ein Wunder. Möglich wurde es wohl aufgrund der allgemeinen Aufbruchstimmung jener Jahre, die über ein weites Spektrum der Parteien und Interessengruppen die gemeinsame Überzeugung trug, daß ein gründlicher Modernisierungsprozeß in Schule und Bildungswesen unumgänglich sei. Zweitrangig war dabei zunächst, ob diese Überzeugung eher ökonomisch begründet wurde mit dem ansonsten zu erwartenden Wettbewerbsnachteil im internationalen Vergleich. Oder ob gesellschaftspolitische Argumente des Abbaus von Chancenungleichheiten zwischen verschiedenen Bevölkerungsschichten, zwischen Stadt und Land, Konfessionen und Geschlechtern im Vordergrund standen. Theodor Dams' Fähigkeit, aus komplexen Sachverhalten zielsicher die entscheidenden Grundfragen herauszuschälen, Alternativen aufzuzeigen und damit die Diskussion sachbezogen voranzutreiben, trugen ihm in der Bildungskommission bald Anerkennung von den verschiedensten Seiten ein. Auch die im Prinzip auf Konflikt vorprogrammierte Arbeit im Unterausschuß "Schule und Arbeitswelt", die auf die Reform der von Handwerk und Industrie seit langem hochgehaltenen, von den Gewerkschaften dagegen zunehmend scharf kritisierten Lehrlingsausbildung zielte, vollzog sich bis auf einige Turbulenzen in der letzten Phase der Debatte relativ ruhig und sachlich. Dies sicher auch, weil Dams als der Vorsitzende des Unterausschusses den ideologischen Hintergrund der Auseinandersetzung - die Frage, ob die Lehrlingsausbildung in den "privaten" Bereich der Unternehmen, oder in den "öffentlichen" Bereich der Schule gehöre - aus den Beratungen herauszuhalten verstand. Um ihn für ihre jeweilige Position in Hinblick auf die Reform der dualen Lehrlingsausbildung zu gewinnen, mußten die Kontrahenten sachlich fundierte Argumente, Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen oder aufgeschlüsseltes Zahlenmaterial zur Situation der Betriebe wie der Lehrlinge selbst vorweisen. Verbands typische Grundsätze im Stil des "Die deutsche Wirtschaft hat schon immer ... " oder "Die Lehrlingsausbildung muß vom Staat ... " blieben unberücksichtigt.
I Deutscher Bildungsrat: Empfehlungen der Bildungskommission, Strukturplan für das Bildungswesen, Bonn 1970.
Beratung auf dem bildungs politischen Parkett
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Die Tatsache, daß mit Dams ein "newcomer" auf dem bis dato von Arbeitgebern und Gewerkschaften weidlich abgegrasten Kampffeld die entscheidende Rolle des Vorsitzenden übernahm, ist sicher auch ein Grund für das Gelingen der Empfehlung ,,zur Verbesserung der Lehrlingsausbildung" 2, die die Bildungskommission Anfang 1969 verabschiedete. Dams' Anspruch, von allgemein akzeptierten Zielen der Ausbildung ausgehend die notwendigen Reformschritte abzuleiten, machte es beiden Lagern schwer, ihn ideologisch zu "verorten" und damit entweder als "unseren Mann" zu vereinnahmen oder als "Vertreter des gegnerischen Lagers" zu bekämpfen. Offiziell ist wohl bis heute nicht überliefert, welcher Besetzungsarithmetik Dams 1966 seinen Ruf in den Deutschen Bildungsrat verdankte. Wer immer ihn benannt haben mag - er kannte ihn hoffentlich schon vorher gut genug um zu wissen, daß er mit diesem Kandidaten alles andere als einen getreuen Lobbyisten seines Verbandes, seiner Partei oder Profession ins Rennen schickte. Selbst die - auf dem politischen Parkett übliche - "Grobeinteilung" in eher "rechte" und eher "linke" Experten, in Wissenschaftler, die "den Arbeitgebern nahestehen" und solche, die als "gewerkschaftsfreundlich" gelten "griff' bei Theodor Dams nicht: Hatte er sich eben noch unter Punkt 1 der Tagesordnung vehement und eindeutig auf die Seite der Verfechter des ,,Leistungsprinzips" geschlagen (die im üblichen bundesdeutschen Politikspektrum eher bei ,,konservativ" angesiedelt sind), so konnte er unter Punkt 4 derselben Tagesordnung und Sitzung mit gleicher Wortgewalt und gleichem Nachdruck für den Ausgleich sozialer Benachteiligungen kämpfen - im üblichen politischen Grob-Strickmuster also von "links" argumentieren. Kein Zweifel: Dieses Verhalten des Freiburger Wirtschaftspolitikers hat Kommissionsmitglieder, Kollegen, Bürokraten und Politiker bis in die jüngste Zeit hinein immer wieder verwirrt, frustiert und irritiert. " Wo steht er denn eigentlich?" - Mit dieser Frage werden auch andere Mitarbeiter des Instituts für Entwicklungspolitik hin und wieder von Ministerialbeamten und Verbandsvertretern konfrontiert worden sein (die eben in der Regel ein übergroßes Interesse an der politisch eindeutigen ,,zuordnung" "ihrer" Experten haben). Ja, wo steht er denn eigentlich? Zum einen steht er - und einer Journalistin sei dieses "Lob" selbst im wissenschaftlichen Umfeld erlaubt - auf der Seite des gesunden Menschenverstands: Was diesem - nach Abwägen des Pro und Kontra - Sinn macht, wird zum Programmpunkt, wird konsequent vertreten, unabhängig davon, ob die Position vorab "links" oder "rechts" besetzt ist. Kein Wunder, daß in einem Land, in dem Experten mit Vorliebe in "unsere" und "eure" eingeteilt werden, ein solcher Kandidat manche Verunsicherung und Verwirrung provoziert ... 2 Empfehlung ,,zur Verbesserung der Lehrlingsausbildung", in: Deutscher Bildungsrat, Empfehlungen der Bildungskommission 1967 -1969, Stuttgart 1970, S. 87 ff.
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Sabine Gerbaulet
Zum zweiten scheint dieses sich jeder Vorausberechnung entziehende Verhalten auf zwei, in der Person des Kandidaten durchaus harmonisch vereinten, ansonsten aber eher als Gegensätze verstandenen Lebens- und Denkprinzipien zu beruhen, die hier beispielhaft an bildungspolitischen Grundpositionen festgemacht werden sollen (ähnliche Kontroversen gibt es wahrscheinlich auch in anderen Feldern der Poltikberatung): Auf der einen Seite ist das der soziale Ansatz, der davon ausgeht, daß für Kinder und Jugendliche aus "bildungsfernen" Schichten soziale Chancen politisch hergestellt werden müssen, besondere Maßnahmen also erforderlich sind, um Benachteiligungen auszugleichen. Auf der anderen Seite folgt daraus die Überzeugung, daß - wenn dies gelungen ist dem Leistungsgedanken Priorität einzuräumen ist, nach dem alle Kinder und Jugendliche denselben strikten Leistungsmaßstäben zu unterziehen sind. Soziale Unterschiede der Herkunft dürfen dann bei der Bewertung der Ergebnisse intellektueller Anstrengungen keine Rolle mehr spielen; Leistung ist gefordert und auch entsprechend zu honorieren. Sind diese beiden Standpunkte nun - zusammengenommen - eher "rechts" oder eher "links" zu verorten? Und drittens kommt hinzu, der Hinweis sei erlaubt: Ein gewisses Vergnügen des Kandidaten an der eigenen "Unberechenbarkeit" und die damit - nun wieder ernsthaft - verfolgte Absicht, sich einen möglichst großen Entscheidungsspielraum zu bewahren trotz der auf parteiliche Arithmetik fixierten Politik und Bürokratie. "Gehört" Theodor Dams zur CDU? "Gehört" er zur SPD? (Oder vielleicht doch zur FDP?) Wer mit ihm in der Politikberatung zu tun hatte, weiß inzwischen: er "gehört" im Grunde nur sich selbst. Das entspricht seiner Auffassung von der Unabhängigkeit des Wissenschaftlers in der Politikberatung, der sich - so sein Credo - nicht in die simplen Kategorien der Parteibücher einordnen lassen sollte. Man könnte denken, ein derart "unsicherer" Kandidat sei relativ schnell "out" im politischen Beratungsgeschäft, das in den meisten Fällen auf eindeutige Parteinahme zielt, schon um das Ergebnis des Beratungsprozesses nicht allzu großen Zufallen zu überlassen. Das ist bei Theodor Dams allerdings nicht der Fall: Gerade in einer schwierigen Situation bot man ihm - wie 1987, als beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die kritische Revision des gesamten Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) auf der Tagesordnung stand - sogar den Vorsitz in dem mit dieser Aufgabe betrauten Beirat für Ausbildungsförderung an. CDU und FDP regierten damals (wie heute) in Bonn: Sahen sie in ihm einen Parteigänger, der die ,,richtigen" Kriterien anlegen würde? Hatten sie den Beirat als Revisionsinstanz ausgewählt, weil er zwar zu den regelmäßig erfolgenden Novellierungen des BAföG seit Jahren seinen Kommentar abgibt, ansonsten aber ein eher ruhiges Dasein führte? Gingen die Regierenden im Grunde davon aus, daß sich Beirat und Vorsitzender - nolens volens - in den kritischen Fragen an die ,,Ratschläge" aus dem Kreis der ministerialen Fachleute halten würden, so daß das Unternehmen "BAföG-Revision" aus ihrer Sicht nicht
Beratung auf dem bildungspolitischen Parkett gänzlich aus dem Ruder laufen könnte und das Ergebnis kalkulierbar vor allem finanziell verkraftbar - bliebe?
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sprich:
Wie dem auch sei: In schöner Offenheit erklärte der zuständige Ministerialbeamte vor Beginn der Arbeit, warum dieser - bis dahin eher mit Routineaufgaben im BAföG-Geschäft versehene - Beirat mit der anspruchsvollen Durchforstung des Gesetzes beauftragt worden war. Der Beirat sei eben ,,nahe genug" am Ministerium angesiedelt, um unter Kontrolle gehalten zu werden, und gleichzeitig "weit genug" von Politik und Bürokratie entfernt, um im Zweifel seine Ratschläge auf dem Stapel der Geschichte für unerledigte Empfehlungen abzulegen ... Die Ausgangslage war der des Deutschen Bildungsrats nicht unähnlich: Auch im BAföG-Beirat sind die "gesellschaftlich relevanten" Gruppen vertreten, haben die Flügel - hier: Gewerkschaftsvertreter, dort: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) - ihre Positionen bezogen. Dams ist allerdings längst nicht mehr der "newcomer" im bildungspolitischen Geschäft; der Umgang mit Vertretern der verschiedenen "gesellschaftlich relevanten Gruppen" ist ihm aus vielen anderen Beratungstätigkeiten vertraut. Zur sachlichen Auseinandersetzung um die sozial- und bildungspolitisch geforderte Neugestaltung der Ausbildungsförderung im Beirat kommt dieses Mal die relativ enge und kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Ministerialbürokratie hinzu. Sie ist schon um der Durchdringung der juristischen Kodifizierung des BAföG und seiner rechts- und gesellschaftspolitischen Hintergründe notwendig. Sie ist dazu ein Gebot der politischen Klugheit, weil die Umsetzung der Reformvorschläge des Beirats auf die Akzeptanz der Ministerialverwaltung wie der Politik entschieden angewiesen ist. Die Klippen sind damit allerdings gleichfalls vorgezeichnet: Kann und sollte der Beirat nur empfehlen, was in den Etagen des Ministeriums schon vorgedacht wurde und dort für realisierbar gehalten wird? Und wie kommt man an Informationen über alternative Modelle der Ausbildungsförderung, über finanzielle Konsequenzen der Reformvorschläge in Hinblick auf die für 1990 zu erwartende Große Steuerreform, wenn solche Aspekte im Ministerium bislang nicht berücksichtigt worden sind? Mit der ihm eigenen Freundlichkeit wie Beharrlichkeit hat sich Theodor Dams auch auf diesem Terrain fachkundig gemacht. Mal nutzt er seinen guten Kontakt zu den niederländischen Behörden (und seine herkunftsbedingten niederdeutschen Sprachkenntnisse ... ), um sich über das in Fachkreisen gerade weidlich diskutierte neue niederländische Modell der Ausbildungsförderung zu informieren und eine Meinung zu bilden. Mal bindet er Kollegen der eigenen Zunft in die Arbeit ein, um die volkswirtschaftliche und steuerpolitische Dimension verschiedener Förderungssysteme zu analysieren. Mit solchen ungewohnten, nicht aus der Systematik .des geltenden Ausbildungsförderungsrechts her kommenden
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Sabine Gerbaulet
Denkanstößen fordert er die Mitglieder des Beirats wie die Vertreter der Ministerialverwaltung zu einer neuen Sichtweise der Zusammenhänge etwa zwischen der staatlichen Ausbildungsförderungs- und der Familienpolitik oder zwischen den Wirkungen staatlicher Transferleistungen und einer auf Freibeträge zielenden Steuerpolitik heraus. Wenn am Ende der im Herbst 1988 vorgelegte Bericht des Beirats "Vorschläge zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG)"3 nicht nur auf eine im ganzen höchst positive Resonanz in der Öffentlichkeit stößt, sondern auch tatsächlich weitgehend als Grundlage genommen wird für die gesetzliche Novellierung des BAföG, so ist dies auf dem Feld der wissenschaftlichen Politikberatung sicher ein - eher selten anzutreffender - Ausnahmefall. Um der Arbeit willen, die er über die Jahre hineingesteckt hat, hat Professor Dams diesen Erfolg ohne Zweifel "verdient" - dies ist aber üblicherweise nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für die Umsetzung von Beratungsergebnissen in praktische Politik. Neben vielen anderen, sicher im einzelnen zu beschreibenden politischer Rahmen- und Randbedingungen gehört auch ein Quentehen Glück dazu: das Glück, im richtigen Moment mit den richtigen Vorschlägen an den richtigen Politiker zu geraten, der sich der Sache annimmt, sie der Öffentlichkeit überzeugend präsentiert - und durchsetzt. Im Leben eines Wissenschaftlers, der sich so häufig und auf so vielen verschiedenen Gebieten der Politikberatung zur Verfügung gestellt hat, ist das vermutlich ein Moment großer Genugtuung.
3 Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): Vorschläge zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, Bericht des Beirats für Ausbildungsförderung, Grundlagen, Perspektiven, Bildung, Wissenschaft, Band 21, Bonn 1988.
Chancengleichheit im Bildungswesen und gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion: Eine Paretianische Sicht Von Reinar Lüdeke
A. Einleitung Selten dürfte ein Wissenschaftler, der sich der Verantwortung der Wissenschaft für die Praxis bewußt ist und deshalb auch in der wissenschaftlichen Politikberatung aktiv wird, eine so befriedigende Situation erlebt haben wie der Jubilar, dem dieser Beitrag gewidmet ist, in den Jahren 1988-1990. Als Theodor Dams als Vorsitzender des Beirats für Ausbildungsförderung am 19. Oktober 1988 dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die Vorschläge des Beirats zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) vorlegte I, konnte er nicht wissen, daß am 1. 7.1990 ein reformiertes Bundesausbildungsförderungsgesetz wirksam würde, das die zentralen Empfehlungen des Beirats (zur Elternabhängigkeit der Förderung, zur Anrechnung der Einkommen der Eltern, zur Förderungsform Darlehen oder Zuschuß, zur Studienabschlußförderung usw.) im wesentlichen übernommen hatte. Eine übliche Linie zur Rechtfertigung der Studienförderung in der Art der BAföG-Regelung ist klar in der ,,zusammenfassung der Ergebnisse und Empfehlungen" des Beiratsberichts vorgezeichnet. Wenn zu Beginn herausgestellt wird, daß jedem Jugendlichen eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungskraft ermöglicht werden soll (S. 2), so wird damit eine Version der Chancengleichheit im Bildungswesen an die Spitze der Begründung gerückt. Mit den üblichen Zielen im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktionen individualistischen Typs, der allokativen Effizienz und distributiven Gerechtigkeit, soll dabei Harmonie bestehen. Wenn "die Erschließung von Bildungsreserven zur Sicherung der Leistungsund Wettbewerbsfahigkeit der Bundesrepublik Deutschland" (S. 2) herausgestellt oder "die Beteiligung der Gesellschaft auch an den individuellen Kosten dieser Ausbildung" mit dem Hinweis auf Vorteile auch der Gesellschaft (S. 4) gerechtfertigt werden, so geht es offensichtlich um die Steigerung der allokativen EffiI V gl. (auch im folgenden) Der Beirat für Ausbildungsförderung bei dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Vorschläge zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, Bonn, Oktober 1988.
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Reinar Lüdeke
zienz durch die Ausbildungsförderung. Soweit die Eltern, "die die Mittel hierfür aus ihrem Einkommen nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten aufbringen können", entlastet werden (S. 3), wird wohl ein Beitrag zur intragenerativen distributiven Gerechtigkeit geleistet; soweit durch den Abbau der Bildungskredite "die großen Belastungen, die die nächste Generation als Folge der wachsenden Kosten der Alters- und Krankenversicherung, des Kapitaldienstes der öffentlichen Haushalte und der entstandenen Umweltschäden zu tragen haben wird" (S. 4), verringert werden, führt die Ausbildungsförderung auch zu größerer intergenerativer Gerechtigkeit. Von dieser Harmonie kann aber keinesfalls zwangsläufig ausgegangen werden, vor allem auch nicht unabhängig von den Mitteln zur Erreichung größerer Chancengleichheit. Damit erhebt sich die grundsätzliche Frage, wie die Chancengleichheit im Bildungswesen, eine im politischen Raum stets dominierende Begründung jeder Ausbildungsförderung, mit Urteilen über die gesellschaftliche Wohlfahrt auf der Basis allein der Wohlfahrt der Individuen in Einklang gebracht werden kann. Der Klärung dieser Frage dient zunächst die Auseinandersetzung mit dem Ziel der Chancengleichheit selbst, bevor an den Einbau von Chancenaspekten in die Wohlfahrtsfunktionen bei gleichzeitiger Neuorientierung dieser Funktionen gegangen wird.
B. Verschiedene Dimensionen der Chancengleichheit I. Chancen auf Was? Zunächst bedarf es stets der Klärung, worauf eine gleiche Chance bestehen soll. Die gleiche Chance auf Ausbildung, die oben angesprochen wurde, kann mühelos ergänzt werden um gleiche Chancen auf (für sich betrachtet) begehrenswerte Güter, Dienstleistungen und Zustände wie Wohnraum, gesunde Ernährung, gesunde Umwelt, elementare Kommunikationsmittel usw. Der gutsspezifische Egalitarismus auf der Ebene der Resultate 2 findet hier seine Ergänzung auf der Ebene der Chancen. Zwar geraten negativ gewertete Zustände beim Ziel der Chancengleichheit nicht direkt ins Blickfeld - man wäre dann am ehesten geneigt, vom Ziel der Risikogleichheit zu sprechen - , über die gleiche Chance auf Abwehr solcher negativer Erscheinungen sind sie aber implizit miterfaßt (gleiche Chancen auf körperliche Unversehrtheit). Mit dem Ziel gleicher Chancen auf Einkommen und Vermögen verläßt man den gutsspezifischen Egalitarismus, um schließlich beim Ziel gleicher Lebenschancen im Sinne gleicher Chancen auf Lebenseinkommen oder - darüber hinausgehend - auf Lebenswohlfahrt 3 2 Zum Konzept des "specific egalitarism" vgl. Tobin, J.: On Limiting the Domain of Inequality, in: Journal of Law and Economics, Bd. 13, 1970, S. 263-277. 3 Dem steht wohl am nächsten die Forderung, "die Chancen der persönlichen wirtschaftlichen Entwicklung möglichst gleich zu verteilen" (Lampert, H.: Die Wirtschafts-
Chancengleichheit im Bildungswesen: Eine Paretianische Sicht
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einen direkten Anknüpfungspunkt zu den Wohlfahrts funktionen individualistischen Typs zu erhalten. 11. Chancen und Wahrscheinlichkeit
Mit den gleichen Chancen bei gleichen Voraussetzungen (z. B. gleicher Eignung, Leistung und Neigung) ist stets nur eine gleiche Möglichkeit im Sinne gleicher Wahrscheinlichkeit angesprochen, nicht gleicher Resultate. 4 Nicht zufallsbedingte gleiche ResultateS implizieren einen Grenzfall der Chancengleichheit. Der Schluß von tatsächlichen Beteiligungsraten auf Chancen ist jedoch stets mit gebotener Vorsicht zu ziehen. 111. Legitimer und illegitimer Grund ungleicher Erwartungswerte
Wenn Chancengleichheit näher spezifiziert wird, so geht es so gut wie immer vorrangig um die Beschreibung der Bedingungen, die die gleichen Wahrscheinlichkeiten z. B. der Bildungsbeteiligung legitimieren (gleiche Chancen bei gleichen ... ), obendrein aber auch meist um die Festlegung von möglichen Einflußgrößen auf die Chancen, die bei Chancengleichheit nicht existieren dürfen (illegitime Gründe unterschiedlicher Bildungsbeteiligung 6, die Chance ist unabhängig von ... ) oder um die Festlegung von Gruppen, zwischen denen die Chancen nicht differieren sollen (gleiche Chancen für Mitglieder der Gruppe A und B bei gleichen ... ). Erst die Gleichheit von Neigung, Eignung und Leistung begründete oben die gleiche Möglichkeit auf Ausbildung. Unterschiede in diesen Größen dürfen auch zu unterschiedlichen Bildungsbeteiligungen führen. 7 Ungleichheiten in der wirtund Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, München 1976, S. 68), eine Forderung, die von einer großen Anzahl von Autoren als konstitutiv für eine freiheitliche und zugleich soziale Wirtschaftsordnung angesehen wird. 4 Vereinbar mit der Chancengleichheit ist damit "die Freiheit auch zur Ungleichheit, sofern diese nur die Gleichheit zukünftiger Freiheit nicht beeinträchtigt" (Rothe, K.: Chancengleichheit, Leistungsprinzip und soziale Ungleichheit, Berlin 1981, S. 18), ein Umstand, der sicher mit zur breiten Akzeptanz der Chancengleichheitsforderung in unserer Gesellschaft beiträgt. S Gleiche Resultate, die auf ,,zufall" zurückzuführen sind, könnten auch bei ungleichen Chancen eintreten, eben zufällig. 6 Das Illegitime solcher Einflußgrößen kann auch durch Begriffe wie "juristische und soziale Barrieren", zum Ausdruck gebracht werden, während legitime Ungleichheitskriterien wie Leistung, Intelligenz, fleiß und Anstrengungen stets positive Assoziationen wecken. Zu einer solchen Unterscheidung zwischen legitimen Ungleichheitskriterien und Barrieren vgl. Meulemann, H.: Bildung und Lebensplanung, Frankfurt/New York 1985, S. 280-281. 7 Über solche Bedingungen gleicher erwarteter Bildungsbeteiligungsraten bei gleichen Bildungschancen herrscht im politischen Raum großer Konsens, vgl. Rothe, S. 19. Wenn
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schaftlichen Leistungskraft der Eltern sollen hingegen die Chancen der Jugendlichen nicht tangieren, so sinnvoll einkommensabhängige Bildungsentscheidungen der (oder für die) Jugendlichen aus allokativer Sicht selbst bei gleicher Eignung, Neigung und Leistung auch sein mögen. Ob man andere mögliche Gründe der Bildungsbeteiligung für illegitim oder legitim hält, bleibt zunächst offen. 8 Erst wenn man erklärt, daß bei gleicher Eignung, Leistung und Neigung die erwarteten Bildungsbeteiligungsraten der Jugendlichen aus den verschiedensten Gruppen (bei beliebiger Gruppierung) nicht unterschiedlich sein dürfen, soll Chancengleichheit realisiert sein, sind sämtliche anderen Determinanten unterschiedlicher Beteiligungsraten mit Ausnahme des Zufalls (und der sich u. U. dahinter verstekkenden Größen einschließlich der Freiheit) illegitim.
IV. Zeitpunkt der Betrachtung gleicher und ungleicher Chancen
Betrachtet man die Verteilung der Chancen einer Generation, so wird es bei der Beurteilung häufig entscheidend auf den Zeitpunkt der Betrachtung ankommen, worauf immer sich die Chancen auch beziehen und wie auch immer die Klärung zwischen legitimen und illegitimen Gründen unterschiedlicher Chancen ausfällt. Vorstellbar wäre z. B. eine Gesellschaft, in der alle Kinder zum Zeitpunkt ihrer Geburt die gleichen Chancen (im Sinne gleicher Streuung und Erwartungswerte) auf Lebenseinkommen und Bildungsniveau haben, unabhängig vom Geschlecht und allen bekannten Charakteristika ihrer Eltern (Einkommen, Sozialschicht, Bildungsniveau, Beruf, regionale Herkunft usw.). Betrachtet man jedoch die gleiche Generation zum Zeitpunkt der Einschulung, zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine weiterführende Schul aus bildung, zum Zeitpunkt des üblichen Eintritts in das Erwerbsleben usw., so ist diese absolute Chancengleichheit aller in der Regel verschwunden, sofern nicht gerade spätere Resultatsgleichheit das Instrument zur Herstellung auch der Startchancengleichheit war.
nach Biedenkopf allein die Anlagen, Neigungen und Fähigkeiten ausschlaggebend für den Bildungsweg sein sollen, jeder dabei aber die gleiche Chance haben soll, diese zu entwickeln (vgl. Biedenkopf, K. H.: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität: Die Grundlagen christlich-demokratischer Politik, in: Demokratische Gesellschaft, Konsensus und Konflikt, 2. Aufl., München 1978, Bd. 1, S. 15 -120, S. 87), so ist damit auch die "Leistung" als Determinante der Bildungsbeteiligung mitenthalten. 8 Im politischen Raum wird im Regelfall die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern um eine Fülle weiterer illegitimer Determinanten der Bildungsbeteiligung ergänzt, z. B. bei Biedenkopf, S. 91, um Herkunft und soziale Stellung der Eltern, Wohnort, materielle Situation und Bildungswille der Umwelt.
Chancengleichheit im Bildungswesen: Eine Paretianische Sicht
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C. Paretianische Wohlfahrtsfunktionen und Chancengleichheit Versucht man, die Wohlfahrtshöhe eines Individuums mit Hilfe kardinaler Größen auf der Grundlage bekannter Konzepte wie den Nutzeinkommens-Variationsmaßen (Samuelson, Hicks) zu erfassen, so geht es trotz der Kardinalität der Maße meist um nichts anderes als darum, die ordinale Beurteilung von Zuständen durch das Individuum (die Präferenzordnung der Individuen) in nachprüfbarer Weise präzise widerzuspiegeln. 9 Diese Einschränkung der Aufgabe auf "Ordinalität" wird z. B. bedauern, wer als Utilitarist gesellschaftlich ein Gesamtnutzenmaximum anstrebt 10, und so werden dann auch die verschiedenen Versuche verständlich, den vermeintlichen Teufelskreis der nur ordinalen Nutzentheorie irgendwie doch zu durchbrechen. Wenn hingegen in der Wohlfahrtsökonomie versucht wird, mit Hilfe von Wohlfahrtsfunktionen der Gestalt (1)
W· =f(A, B, C, D, ... )
W· = Gesellschaftliche Wohlfahrt A, B, C, D = Argumente der Wohlfahrtsfunktion wie z. B. gesellschaftliche Ziele
die Beurteilung der gesellschaftlichen Wohlfahrt präzise durch kardinale Größen zu ermöglichen, so stört es in keiner Weise, wenn trotz dieser kardinalen Größen letztlich doch nur eine ordinale Gruppierung gesellschaftlicher Situationen vorgenommen wird. Wäre in der Gesellschaft Konsens über eine solche ordinale Einstufung gesellschaftlicher Zustände herstell bar, so fehlte es von der Zielebene her gesehen an nichts, um in konsistenter Weise wohlfahrtserhöhende oder wohlfahrtsmaximierende Maßnahmen ergreifen zu können. Was jedoch diesen Konsens betrifft, so dominiert in der ökonomischen Profession tiefste Skepsis. Die Disziplin scheint sogar durch eine Art "Unmöglichkeitssyndrom" gezeichnet zu sein, von einer Vorstellung, daß gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktionen, die einige völlig selbstverständliche Bedingungen erfüllen und obendrein zu einer konsistenten Ordung gesellschaftlicher Situationen führen sollen, gar nicht existieren können." 9 In einer umfassenden Untersuchung zur "Messung individueller Wohlfahrt" wird diese beschränkte Funktion immer wieder betont von Ahlheim, M. / Rose, M.: Messung individueller Wohlfahrt, Berlin / Heidelberg 1989, z. B. S. 6, 9, 12, 103. 10 Verlangt wird dann zumindest der interpersonelle Vergleich von Nutzenunterschieden, was wiederum kardinale Meßbarkeit bei jedem einzelnen Individuum impliziert, vgl. Harsanyi, J. c.: Interpersonal Utility Comparisons, in: The New Palgrave, A Dictionary of Economics, Bd. 2, 1987, S. 955 -957. " Kennzeichnend ist die kaum noch überschau bare lange Diskussion um das Arrowsche "Unmöglichkeitstheorem" oder das Sensche Theorem der "Unmöglichkeit eines Paretianischen Liberalen". Zu einem zugleich straffen wie umfassenden Uberblick über diese Theoreme vgl. Mueller, D. c.: Public Choice II, Cambridge 1989, insbes. S. 384406.
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Demgegenüber möchte ich hier in optimistischer Grundhaltung zwei andere Theoreme skizzieren: 1. Die Unmöglichkeit eines Paretianischen Vertreters der "Chancengleichheit im Bildungswesen" als eines eigenständigen Wertes. 2. Die Möglichkeit (und ,,zweckmäßigkeit") eines Paretianischen Vertreters der "Chancengleichheit individueller Wohlfahrt" als eines eigenständigen Wertes. Beide Theoreme sollen die Grundlage eines breiten Konsenses bilden, daß die Chancengleichheit im Bildungswesen nur instrumental zu deuten ist, daß die Chancengleichheit bei der Wohlfahrtsverteilung hingegen nicht nur einen eigenständigen Wert darstellen kann, sondern z. B. das Ziel einer tatsächlich gleichen Wohlfahrtsverteilung sogar dominiert. Eine gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion, die dem Paretokriterium als Wohlfahrtskriterium Genüge leistet, muß als Argumente stets sämtliche Wohlfahrtsniveaus der Individuen (Wb i = 1 ... n) enthalten. Trotz manch grundsätzlicher Kritik dürfte im allgemeinen noch breitester Konsens herstellbar sein, daß Zustand a gesellschaftlich b vorgezogen werden sollte, wenn es in a allen Menschen in der Gesellschaft mit ihren unterschiedlichsten Präferenzen (einschließlich ethischer Präferenzen, aber auch Neidgefühlen usw.) wirklich besser geht (sie bei voller Transparenz ein höheres Indifferenzniveau erreichen) als in der Situation b (Besserstellung nach den schwachen Paretokriterien). 12 Akzeptiert man darüber hinaus auch das strenge Paretokriterium, nach dem die gesellschaftliche Wohlfahrt steigt, wenn es mindestens einem Individuum besser geht, ohne daß es anderen schlechter geht 13, so kann folgende vorläufige Spezifizierung der gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktion vorgenommen werden: •
(2) Wj
W =f(W 1 ,W2 ,
••• ,Wn , ••• );
öW· öWj
->0
=Wohlfahrt des Individuums i, gemessen z. B. anhand des Nutzeinkommensvariationsmaßes
12 Vor allem Sen hat in verschiedenen Beiträgen das Paretokriterium (in der schwachen oder starken Version) als hinlängliches Wohlfahrtskriterium immer wieder grundsätzlich in Frage gestellt. Vgl. z. B. Sen, A.: .ptilitarism and Welfarism, The Journal of Philosophy, Bd. 86, 1979, insbes. S. 479 - 487. Ahnlich schon mit der Einführung der Eigenwertigkeit des ,,Prinzips der Eigenzuständigkeit" und des ,,Prinzips der Eigenverantwortlichkeit" Hackmann, J.: Zur wohlfahrtstheoretischen Bedeutung von Verteilungsproblemen, Berlin 1972, S. 137 -152. 13 Auch wenn das schwache Paretokriterium auf den ersten Blick noch sehr viel leichter zu akzeptieren ist als das strenge Kriterium, ist der Unterschied normativ fast bedeutungslos. Verhundertfacht ein Einkommensmillionär sein Einkommen, ohne daß die übrigen Gesellschaftsmitglieder Nutzenminderungen erleiden, könnte man bei Akzeptanz nur des schwachen Paretokriteriums wegen größerer Ungerechtigkeit der Einkommensverteilung eine gesellschaftliche Wohlfahrtsminderung diagnostizieren. obwohl bei Akzeptanz des starken Kriteriums die Wohlfahrt gestiegen sein müßte. Daß dieser Unterschied aber nur minimale Bedeutung haben kann. ist allein daran zu erkennen, daß selbst beim schwachen Paretokriterium die Auszahlung von jeweils einem Pfennig an alle übrigen Gesellschaftsmitglieder trotz so gut wie unveränderter Ungerechtigkeit und trotz faktischer Bedeutungslosigkeit des Pfennigs für den Nutzen der übrigen Individuen das gesellschaftliche Wohlfahrts urteil umkehren muß.
Chancengleichheit im Bildungswesen: Eine Paretianische Sicht
239
Mit Hilfe des Pareto-Kriteriums als Wohlfahrtskriterium ist es möglich, alle paretoinferioren Situationen als gesellschaftlich unterlegen zu streichen, so daß nur ein Teil der Situationen auf der äußeren tatsächlich erreichbaren Nutzenmöglichkeitskurve zur Auswahl verbleibt (in Abb. 1 bei zwei Individuen der Bereich zwischen A und B).
Abb.l
Ein naheliegender Gedanke könnte es jetzt sein, andere gesellschaftliche Werte wie z. B. die "Chancengleichheit im Bildungswesen" als zusätzliche Argumente in obiger gesellschaftlicher Wohlfahrts funktion zu berücksichtigen und diese Ziele dabei als Kriterium für die Auswahl aus den verbleibenden paretooptimalen Situationen zu benutzen. Danach könnte dann a der Situation b u. a. deshalb knapp vorgezogen werden, weil in a die Chancengleichheit in größerem Umfang als in b realisiert ist. Verlangt man aber von einer Wohlfahrtsfunktion eine konsistente Ordnung der gesellschaftlichen Situationen, ist diese Vorgehensweise über eine Erweiterung gesellschaftlicher Wohlfahrtsargumente unzulässig. Hypothetisch wäre stets eine Situation a' vorstellbar, die nach dem Paretokriterium a gegenüber vorgezogen werden müßte, die aber wegen eventuell extremer Chancenungleichheit bei einem direkten Vergleich der Situation b unterlegen sein müßte, soll die Chancengleichheit überhaupt einen bemerkenswerten Beitrag zur gesellschaftlichen Wohlfahrt W* leisten.
240
Reinar Lüdeke
Ergänzt man unter Beibehaltung des Paretokriteriums die Argumente in der Wohlfahrtsfunktion (2) um die Chancengleichheit im Bildungswesen (Zl) oder andere Ziele jenseits der individuellen Wohlfahrt und der Wohlfahrtsverteilung (Z2, Z3 ... Zm), (3)
so erfordert Konsistenz bei der Wertung gesellschaftlicher Situationen, daß von jeder Ausgangssituation aus mit vorgegebenen Größen von W i und Zi gelten muß (oW*/ÖW i )· dW i > [f(W 1 , •.. , W n , Zl, ... , Zm) - f(W 1 , . . . , W n , (Zl - ~Zd, ... , (Zm - ~Zm)], wie klein auch immer die Wohlfahrts steigerung des Individuums i (dW i) ausfallt und wie quantitativ bedeutsam auch die Verschlechterung bei den anderen Zielen (- ~Zj) ist. Andernfalls ist nicht auszuschließen, daß wegen starker Reduzierung der Zj eine gesellschaftliche Wohlfahrtssenkung diagnostiziert wird, obwohl nach Akzeptanz des Paretokriteriums als Wohlfahrtskriterien die Wohlfahrt gestiegen sein muß. Obige Bedingung ist aber prinzipiell nur dann erfüllt, wenn die Wohlfahrtsfunktion lexikographischen Charakter hat: Andere Größen als das Niveau und die Verteilung der individuellen Wohlfahrt sind nur dann entscheidungsrelevant, wenn andernfalls zwischen verschiedenen Situationen Indifferenz herrscht. Will man nicht den Anspruch aufgeben, daß der akzeptierte Wertehintergrund (hier in Gestalt der Wohlfahrtsfunktion) eine konsistente (logisch widerspruchsfreie) Ordnung von Zuständen erlauben muß und daß obendrein das Paretokriterium als hinreichendes Wohlfahrtskriterium gelten kann, so ist demnach Sens "Theorem der Unmöglichkeit eines Paretianischen Liberalen" in ein viel umfassenderes Unmöglichkeitstheorem umzuwandeln: Einem Paretianer ist es nicht möglich, neben der Wohlfahrt der Individuen andere Argumente wie z. B. den Realisierungsgrad der "Chancengleichheit im Bildungswesen" als eigenständige Determinanten gesellschaftlicher Wohlfahrt zu akzeptieren (Unmöglichkeit eines Paretianischen Verfechters einer nichtindividualistischen Wohlfahrtsfunktion 14), es sei denn in obiger nachgeordneter lexikographischer Form. Das Paretokriterium ist zwar insofern für gesellschaftliche Urteile bedeutungslos, als Entscheidungen allein auf der Grundlage dieses Kriteriums faktisch nie gefällt werden können. Bedeutung erhält dieses Kriterium jedoch aus den Folgerungen, die sich für die mögliche Gestalt der Wohlfahrtsfunktion ergeben. 14 Das gilt auch für solche Werte wie "Leistungsgerechtigkeit" oder wie die neuerdings in der Literatur stark präferierte Faimess- oder Superfairnessidee (v gl. z. B. Baumol, W. J.: Superfaimess, Cambridge I London 1985; Feldman, A. M.: Equity, in: The New Palgrave, A Dictionary of Economics, Bd. 2, 1987, S. 169 - 172), die ein Paretianer bestenfalls als Daumenregel instrumental (oder als Hares "level 1" Ethik für den Alltagsgebrauch - vgl. Hare, R. M.: Ethical Theory and Utilitarism, in: Lewis, H. D. (Hrsg.): Contemporary British Philosophy, London 1976, insbes. S. 122-126) akzeptieren kann. Das gleiche ist im allgemeinen zur prozeduralen Gerechtigkeitsidee zu sagen, zu V orstellungen, auf die ein Paretianer besonders häufig im instrumentalen Sinne zurückgreift.
Chancengleichheit im Bildungswesen: Eine Paretianische Sicht
241
Konzentriert man sich im folgenden auf die Wohlfahrtsfunktion
(4) so geben in der gängigen Diskussion die Höhe der Wohlfahrt der einzelnen Individuen und die Wohlfahrtsverteilung den Ausschlag für das (auf der Basis ethischer Präferenzen zu fällende) Gesamturteil ab. Einen Grenzfall stellt Rawls "Maximin-Prinzip" dar (gesellschaftliche ordinale Wohlfahrtsurteile entsprechend der nur ordinal zu erfassenden Wohlfahrt dessen, dem es am schlechtesten geht; in Abb. I wäre dadurch B das gesellschaftliche Wohlfahrtsmaximum) 15, in Übereinstimmung nur mit dem schwachen Paretokriterium als Wohlfahrtskriterium. Sens Leximin-Prinzip baut zwar auf dem Rawlsschen Prinzip auf und kommt weiter nur mit ordinalen Urteilen über die Wi-Größen aus 16, aber beginnend mit Wi desjenigen Individuums, das die geringste Wohlfahrt aufweist, spielen in lexikographischer Ordnung die Wi-Größen auch aller anderen Individuen eine Rolle, so daß letztlich auch das starke Paretokriterium als Wohlfahrtskriterium akzeptiert wird. 17 Im Regelfall begnügen sich Paretianer, die der gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktion (2) verpflichtet sein müssen, nicht mit einer ordinalen Größe des Nutzens, sondern versuchen, von kardinal gemessenem Wi (z. B. dem Nutzeinkommens-Variationsmaß) auf Nutzen- und Wohlbefindensniveaus der Individuen zu schließen, und fallen darauf aufbauend ihr Urteil über die gesellschaftliche Wohlfahrt auf der Grundlage interpersoneller Nutzenvergleiche. Als Ergebnis dieser Überlegungen kann der gesamtnutzenmaximierende Utilitarist herauskommen, ein Ethiker, der alles andere als ein Maximierer ohne jegliche Gerechtigkeitsvorstellung ist, sondern der einfach das für (ethisch) optimal hält, was ein jedes Individuum bei einem vollständigen Schleier der Unwissenheit (veil of ignorance) über seine Person und seine Position zumindest bei Risikoneutralität wählen würde. 18 Gesamtnutzenopfer wird derjenige hinnehmen, der stärker dem Egalita15 Rawls nutzt zwar nicht direkt eine Größe W i als Maßgröße für das individuelle Wohlbefinden, sondern stellt die sogenannten "primary goods" wie u. a. "wealth and income" in den Mittelpunkt (vgl. die Erläuterungen in Rawls, J. A.: Some Reasons for the Maximin Criterion, AER, Bd. 64, 1974, S. 141-146). Ein Paretianer müßte wieder zur Erfüllung der Konsistenzbedingungen die "primary goods" in Wi-Maße individuellen Wohlbefindens umwandeln. 16 Wie schon beim Maximin-Prinzip muß trotz der nur ordinalen Urteile eine interpersonelle Nutzenvergleichbarkeit angenommen werden, wäre doch sonst nicht ermittelbar, wem es am schlechtesten, am zweitschlechtesten usw. geht. 17 Zu diesem Leximin-Prinzip vgl. Sen, A.: Justice, in: The New Palgrave, A Dictionary ofEconomics, Bd. 2, London u. a. 1987, S. 1040, ders.: Collective Choice and Social Welfare, San Francisco 1976, S. 138, ders.: Choice, Welfare and Measurement, Oxford 1982, S. 24/25, S. 243-247. 18 Man scheut sich, in diesem Fall von prozeduraler Gerechtigkeit zu sprechen, denn ein solcher Entscheidungsprozeß ist rein fiktiver Natur und verdeutlicht allein, unter welchen Bedingungen eine Entscheidung eines Individuums über gesellschaftliche Zu-
16 Festgabe Th. Dams
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rismus verpflichtet ist l9 , wobei die Rawlssche Maximin- oder die Sensche Leximin-Regel die Obergrenze eines Paretianischen Egalitarismus absteckt. 20 Wer das Paretokriterium akzeptiert und das Maximin-Leximin-Prinzip als zu einseitig auf die Ärmsten ausgerichtet empfindet, wird um den Versuch von kardinalen interpersonellen Nutzenvergleichen nicht herumkommen, sofern er den Rückgriff auf willkürliche (und damit ungerechte) Gewichte der Wj-Größen vermeiden will. So bedauerlich auch die große Subjektivität und damit auch Unsicherheit solcher Urteile ist, jeder der glaubt, zum Mitleiden oder Mitfreuen in der Lage zu sein, ist letztlich von der prinzipiellen Möglichkeit eines interpersonellen Nutzenvergleichs überzeugt (überzeugt, sich in andere hineinversetzen zu können).21 Notwendige Konsequenz ist, daß der einzelne seine Urteile über die gesellschaftliche Wohlfahrt genauso unter Risiko und Unsicherheit zu fällen hat wie seine tagtäglichen Entscheidungen, die sich auf das eigene Wohlbefinden beziehen. Vor dem skizzierten Wertehintergrund kann die Erhöhung der Chancengleichheit im Bildungswesen in einer der erörterten Versionen stets nur instrumentalen Charakter haben. Konzeptionell lassen sich jetzt die möglichen Ziele bei der Erhöhung der Chancengleichheit in zwei Teilziele zerlegen. Zum einen kann es darum gehen, durch erhöhte Chancengleichheit von der Situation a zur Situation a' auf der äußersten Nutzenmöglichkeitskurve zu gelangen. Das ist der mögliche allokative Aspekt der vermehrten Chancengleichheit. stände als eine gerechte Entscheidung angesehen werden kann. Hauptvertreter eines letztlich in dieser Art (mit Heraushebung der "moralischen Präferenzen") begründeten Utilitarismus ist Harsanyi, vgl. Harsanyi, J. c.: Cardinal Welfare, Individualistic Ethics, and Interpersonal Comparisons of Utility, in: Journal of Political Economy, Bd. 63, 1955, S. 309-321. Zu einer neueren Verteidigung der Gerechtigkeitsidee, die hinter dem Utilitarismus steht, siehe Richter, W. F.: Utilitarismus und Gerechtigkeit, in: Wahl, J. (Hrsg.): Steuerpolitik vor neuen Aufgaben, Regensburg 1991, S. 113-117. 19 Sieht man Gerechtigkeit vollständig nur bei Nutzengleichheit realisiert, dann liegt im gesellschaftlichen Optimum ein Komprorniß zwischen Gerechtigkeit und dem konkurrierenden ethischen Ziel der Gesamtnutzenmaximierung vor. Alternativ könnte man davon sprechen, daß im Optimum an der Grenze bereits ein gerechter Ausgleich zwischen dem Ziel der Gesamtnutzenmaximierung und dem Gleichheitsziel erfolgt (entsprechend dem Gewicht beider Ziele im Rahmen der ethischen Präferenzen). Vor diesem Hintergrund sind Schwierigkeiten, die Gerechtigkeitsidee mit dem Konzept sozialer Wohlfahrtsfunktionen individualistischen Typs zusammenzubringen, nicht leicht nachzuvollziehen (anders Tillmann, G.: Steuern und Gerechtigkeit, in: Wahl, J. (Hrsg.), S. 83-99, insbes. S. 89/90). 20 Wegen vielfacher disincentive-Effekte ist die Grenze eines Paretianischen Egalitaristen erreicht, wenn verstärkte Redistribution niemanden besser stellt (bei Akzeptanz des starken Paretokriteriums) oder alle schlechter stellt (bei Akzeptanz des schwachen Paretokriteriums). 21 So auch die überzeugende Argumentation von Harsanyi 1987, S. 955-957. Zu Recht betont Harsanyi dabei die unterschiedlichen Schwierigkeiten des Hineinversetzens in die anderen, je nachdem, ob es sich um die "ordinary pleasures and calamities of human life" handelt oder ob es z. B. um die Beurteilung kultureller Genüsse von Menschen geht, deren Kultur einem letztlich fremd ist.
Chancengleichheit im Bildungswesen: Eine Paretianische Sicht
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Abb.2
Über finanzielle Maßnahmen (Steuern, Subventionen), die (auch) die Chancengleichheit erhöhen, könnte die allokative Effizienz steigen, a) weil der Staat in der Funktion als effizienter Kreditvermittler und Risikoträger Unvollkommenheiten des Kapital- und Risikomarktes beseitigt, mit Konsequenzen vor allem für diejenigen, deren Chancen auf Bildungsbeteiligung relativ klein waren, b) weil der Staat in Zukunft über das Steuersystem besonders stark von den Bildungsinvestitionen derjenigen profitiert, deren Chancen steigen, während das Gegenteil bei denjenigen zutrifft, deren Chancen vergleichsweise fallen 22 , c) weil von denjenigen, die vermehrt Bildung nachfragen (deren Bildungschancen sich erhöhen), die privaten Vorteile unterschätzt und die privaten Nachteile überschätzt werden, während bei denjenigen, die die Bildungsnachfrage senken (deren Bildungschancen sich verkleinern), das Gegenteil zutrifft (Bildung als meritorisches und/ oder demeritorisches Gut), d) weil die Vermehrung der Chancengleichheit angesichts der tatsächlichen Präferenzen in der Gesellschaft wie die Vermehrung eines öffentlichen Gutes wirkt, damit aber die vermehrte Bildungsbeteiligung 22 Zu dieser allokativen Begründung vermehrter ,Chancengleichheit im Bildungswesen' vgl. Lüdeke, R.: Chancengleichheit, Paretianische Soziale Wohlfahrtsfunktion, Studienförderung und die BAföG-Reform, Passau 1992, Diskussionsbeitrag am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft, Teil IV A - D. Abgeleitet werden dort optimale Finanzierungsmuster, bevor in Teil V ein Vergleich dieser optimalen Muster mit der neuen BAföGRegelung vorgenommen wird.
16'
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von Gruppen, deren Bildungsbeteiligungschancen bisher zu klein waren, externe Erträge verursacht, während die verminderte Bildungsbeteiligung bisher privilegierter Gruppen externe Kosten reduziert 22 , e) weil in den Gruppen mit relativ geringen Bildungschancen die elterliche Mitentscheidungsbefugnis über den Bildungs weg der Kinder eine allokativ effiziente Entscheidung verhindert, solange die Eltern Bildungskosten zu tragen haben, die quantitativ die gewünschten Schenkungen (Erbschaften) zugunsten der Kinder übertreffen 22, f) weil eine allgemeine Bildungssubventionierung zur Internalisierung positiv gewerteter Externalitäten 23 vor allem die Bildungsbeteiligung der Gruppen mit relativ geringer Bildungsnachfrage erhöht (zu erwarten insbesondere, wenn es an Bildungskreditmöglichkeiten und an Möglichkeiten, die Bildungsertragsrisiken zu versichern, fehlt), g) weil die Bildung relativ stark komplementär (bzw. relativ schwach substitutiv) zu relativ hoch besteuerten Aktivitäten ist, was im Rahmen eines optimalen Steuersystems eine generelle Subventionierung (oder geringere Besteuerung) rechtfertigen und damit die Chancengleichheit im Bildungswesen fördern könnte 24, h) weil vermehrte Chancengleichheit die Nutzenverteilung in der Gesellschaft so verändert, daß bei Konstanthalten der Nutzenverteilung der Ausgangssituation (wie beim Übergang von a nach a' in Abb 2. unterstellt) die sonstigen redistributiven Maßnahmen mit ihren allokativen Verlusten ("distributiven Kosten") verringert werden können. 25 23 "Pekuniäre Extemalitäten" in Gestalt von Steuennehreinnahmen werden unter b) und g) gesondert angesprochen. Zu der Fülle möglicher sonstiger Externalitäten als Begründung von Bildungssubventionen vgl. McMahon, W. W.: Externalities in Education, in: Psacharopoulos, G. (Hrsg.): Economics of Education, Oxford 1987, S. 133137; Lüdeke, R.: Finanzwissenschaftliche Aspekte der öffentlichen Bildungsfinanzierung, Freiburger Habilitationsschrift 1976, S. 59-143. 24 Steuennehreinnahmen als Folge einer stärkeren Entfaltung sonstiger besteuerter Aktivitäten bei veränderter Bildungsnachfrage lassen sich ähnlich wie bei der Begründung b) als pekuniäre externe Erträge fassen. Angesprochen sind letztlich die gleichen Gründe, die nach der sogenannten Freizeitkomplementaritätsregel zu einer relativ hohen Besteuerung der Güter und Dienstleistungen führen, deren Kauf zu vennehrter Freizeit anregt, vgl. hierzu v. Oehsen, J. H.: Optimale Besteuerung, Frankfurt 1982, S. 61-72. 25 In der Verringerung der "distributiven Kosten" monetärer Transferleistungen (Verringerung der excess burden bei der steuerlichen Refinanzierung der Transfers und bei der Transferzahlung selbst, soweit sie nicht aus lump sum-Transfers bestehen) ist dann der allokative Ertrag vennehrter Chancengleichheit zu sehen. Diesem Ertrag sind die allokativen Kosten der Maßnahmen zur Erreichung dieser Chancengleichheit gegenüberzustellen, und nur wenn sich dann auch noch per Saldo ein Ertrag ergibt, erfolgt ein Übergang von a nach a'. Zu dem Konzept "distributiver Kosten" im Rahmen der Allokationspolitik vgl. Lüdeke, R.: Theorie der staatlichen Bildungsfinanzierung im Rahmen einer Theorie der Staatsaufgaben, in: Brinkmann, G. (Hrsg.): Probleme der Bildungsfinanzierung, SdVfS, Nf Bd. 146, Berlin 1985, S. 57 -156, insbes. S. 73-76. Soweit Maßnahmen im Zusammenhang mit den Aspekten a) - g) nicht verteilungsneutral wirken, sind diese "distributiven Kosten" bei Skizzierung eines optimalen Interventionsschemas stets mitzubeTÜcksichtigen (zur entsprechenden Modifizierung z. B. der Freizeitkomplementaritätsregel bei flexiblen Einkommensteuern vgl. Atkinson, A. B. / Stiglitz, J. F.: Lectures on Public Economics, London 1980, S. 435, 439), genauso wie die möglichen Interventionsanlässe a) - g) gemeinsam (integriert) zu analysieren sind, wenn sie zugleich zutreffen.
Chancengleichheit im Bildungswesen: Eine Paretianische Sicht
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Mit dem zweiten Teilziel einer erhöhten Chancengleichheit im Bildungswesen wird die Möglichkeit angesprochen, von der Situation a' auf der äußeren Nutzenmöglichkeitskurve zur Situation b zu gelangen. Die Situation b soll dabei aus einer Mischung von egalitären und utilitaristischen Zielen heraus der Situation a' überlegen sein. 26 Voraussetzung für einen solchen instrumentalen Einsatz der Chancengleichheit ist aber nicht nur, daß die Verteilungswirkung in die gewünschte Richtung geht, sondern auch, daß die Verteilungsänderung via vermehrter Chancengleichheit einer gleich großen Verteilungsänderung über das direkte Steuer-Transfer-System (z. B. durch eine progressive Einkommensteuer mit Grundtransfers für alle, also durch ein flexibles negatives Einkommensteuersystem, a' ~ b') paretosuperior überlegen ist. Soweit die Chancengleichheit über eine Subventionierung (Verbilligung) der Bildungsnachfrage (auch) der Gruppen in der Gesellschaft läuft, die relativ geringe Chancen der Bildungsbeteiligung aufweisen, lassen sich zwei mögliche Gründe für eine Paretosuperiorität einer solchen indirekteren Umverteilungspolitik finden: 27 a) durch die Subventionierung des Gutes wird die originäre Einkommensverteilung in die gewünschte Richtung in einer Weise verändert, daß u. U. ein Vielfaches an direkten Transferzahlungen benötigt würde, um das gleiche distributive Resultat zu erreichen. 28 b) die Bildungsnachfrage ist ein Indiz (Signal) dafür, daß bei gleichem Einkommen eine besondere Bedürftigkeit vorliegt, so daß die Bindung zumindest eines Teils der Transfers an die Bildung u. U. zur größeren Bedarfsgerechtigkeit beitragen kann. Diese beiden Aspekte verdeutlichen, warum sich u. U. beim Ersatz direkter monetärer Redistribution durch eine indirekte Umverteilung (Subventionierung) bei gleicher distributiver Wirksamkeit "Redistributionskosten" in einem Umfang einsparen lassen, daß der Übergang von b' nach b in Abb. 2 ermöglicht wird. Damit erfolgt letztlich nur eine Spezifizierung des obigen Grundes h) zur Steigerung allokativer Effizienz bei Förderung der Chancengleichheit.
26 Überlegungen zu dieser Zielfunktion zusammen mit Überlegungen, die beim allokativen Teil und unter b), g) und h) angesprochen wurden, stehen üblicherweise im Mittelpunkt der Theorie optimaler Besteuerung. Zu einem Überblick vgl. Atkison / Stiglitz, Lectures 11 - 14. 27 Es geht hier nur um Gründe im Rahmen der "Politik " als "Kunstlehre", also unter Vernachlässigung von polit-ökonomischen (public choice) Aspekten. Näheres siehe Lüdeke 1992, Teil IV D. 28 Zur Bedeutung der Änderung der originären Einkommensverteilung für die Beurteilung des distributiven Einsatzes von Gütersubventionen einerseits, Faktorsubventionen andererseits vgl. Lüdeke, R.: Der verteilungspolitische Einsatz von Gütersubventionen. Wider den undifferenzierten Vorwurf einer relativ geringen Zielgenauigkeit (GieBkannenförderung), in: Mückl, W. / Ott, A. E. (Hrsg.): Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Gedenkschrift für Erich Preiser, Passau 1981, S. 323-346; ders.: Die Subventionierung von Produktionsfaktoren als verteilungspolitisches Instrument: Möglichkeiten gröBerer distributiver Wirksamkeit, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 197,1982, S. 385-412.
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Wenn bisher auch aufgezeigt wurde, daß bei Akzeptanz des Paretokriteriums als Wohlfahrtskriterium die "Chancengleichheit im Bildungswesen" nur instrumental gedeutet werden kann, so gilt das keinesfalls für die Idee der Chancengleichheit insgesamt. Aus der Sicht einer Generation wird das Paretokriterium als Wohlfahrtskriterium am attraktivsten, wenn es sich auf die gesamte noch vor den Individuen liegende Zukunft bezieht. Bei den W;-Größen kann es sich dann alternativ um die tatsächliche noch vor den Individuen liegende Wohlfahrt handeln oder um Wohlfahrtserwartungswerte. 29 Nun dürfte das Paretokriterium als Wohlfahrtskriterium vor allen Dingen deshalb eine große Akzeptanz genießen, weil man den Übergang von einer Situation zur anderen nicht (als nicht-wohlfahrtssteigernd) ablehnen kann, wenn im Extrem alle Individuen in der Gesellschaft bei Transparenz und Rationalität für diesen Übergang sind. Außerdem dürfte es das Hauptziel des Konzepts einer Wohlfahrts funktion sein, zur rationalen Entscheidung (auch bei unsicherer Zukunft) auf der Basis ethisch fundierter Ziele beizutragen. Beides spricht dafür, die W;-Größen in der akzeptierten gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktion als Nutzenerwartungswerte zu deuten. 3o Bei dieser Interpretation kann der Chancengleichheit in einer Generation, interpretiert als Gleichheit der Chancen aller Mitglieder dieser Generation auf Lebenswohlfahrt (Wohlfahrtserwartungswert) ohne jeden legitimen Grund für Unterschiede (biologisch oder sozial) in diesen Chancen, eine ganz herausragende Rolle zukommen. Dabei läßt sich das Maß realisierter intergenerativer Mobilität (der Unabhängigkeit erreichter Positionen vom Elternhaus) als Schätzwert vorhandener intragenerativer Chancengleichheit begreifen. Auch jetzt werden mit dem utilitaristischen Prinzip einerseits und dem Rawlsschen Maximin- und dem Senschen Leximin-Prinzip andererseits die Grenzpfahle eingeschlagen. Eine mögliche egalitaristische Idee muß sich nun aber auf die Chancengleichheit (im Sinne gleicher Wohlfahrtserwartungswerte) beziehen, und die bekannten "tradeoff' Beziehungen zwischen "efficiency and equity" wären jetzt in einen tradeoff zwischen Summe der Nutzenerwartungswerte und der Chancengleichheit umzudeuten. Die Rolle dieser intragenerativen Chancengleichheit läßt sich zwanglos um die Rolle der Chancengleichheit im intergenerativen Sinne erweitern. Wäre zum 29 Hierbei soll es sich um Werte handeln, die wie z. B. bei v. Neumann-MorgensternNutzen mögliche Risiken und die Einstellungen der Individuen zu den Risiken bereits berücksichtigen. Demnach soll jedes rational entscheidende Individuum stets die Situation mit dem höchsten Nutzenerwartungswert wählen. 30 Nach Tillmann wäre der erwartete Nutzen eine der Größen, auf die sich Gleichheit und Gerechtigkeit beziehen könnte (Gleichheit ex ante statt im Übergang oder ex post), die aber in der entsprechenden Literatur nie abgehandelt wurde (vgl. Tillmann, G.: Steuern und Gerechtigkeit, In: Wahl, J. (Hrsg.), S. 86). Richtiger ist wohl, daß diese mögliche Differenzierung in der Literatur häufig nicht explizit gemacht wird oder daß die Entscheidung letztlich offengelassen wird. Dies ist angesichts der Dominanz rein individualistischer, die Wünsche der Individuen herausstellender GrundeinsteIlungen erstaunlich genug.
Chancengleichheit im Bildungswesen: Eine Paretianische Sicht
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Zeitpunkt der Geburt für eil)e Generation in intragenerativem Sinne völlige Chancengleichheit gewährleistet, liefe die politische Leitlinie unter Vernachlässigung intergenerativer Aspekte auf "Maximierung des Nutzenerwartungswerts" eines repräsentativen Individuums dieser Generation hinaus. Der trade-off zwischen equity und efficiency beschränkte sich jetzt allein auf die intergenerative Chancengleichheit als Spezifizierung von equity. Es ginge z. B. um die Frage, in welchem Umfang man (bei stetigem Wirtschaftswachstum durch technischen Fortschritt) die Chancengleichheit zwischen der heutigen und der morgigen Generation durch eine vergrößerte (konsumtiv verwendete) Staatsverschuldung erhöhen soll, eingedenk der damit verursachten Effizienzverluste durch eine höhere Steuerquote in der nächsten Generation. Die keinesfalls mehr instrumentale Heraushebung der Gleichheit der Chancen auf Lebenswohlfahrt inter- und intragenerativer Art ändert nichts an der nur instrumentalen Deutung der "Chancengleichheit im Bildungswesen" . Auch jetzt geht es um die prinzipielle Möglichkeit, mit Hilfe gesteigerter Chancengleichheit im Bildungswesen Bewegungen von a nach a' und (oder von a' nach b) in Abb. 2 zu bewirken. Auch die konkret angeführten möglichen Gründe für solche Bewegungen bleiben die gleichen. Nur das Ziel selbst hat sich gewandelt, stehen doch jetzt die Lebenszeitperspektive, der Wohlfahrtserwartungswert und die Gleichheit der Chancen inter- und intragenerativer Art im Mittelpunkt. Daß dieser Perspektivwandel eine gewichtige Bedeutung gerade für die Beurteilung der heute praktizierten öffentlichen Studienförderung hat, liegt schon allein deshalb auf der Hand, weil die geförderten Individuen über ihren Lebenszyklus hinweg ein sehr unterschiedliches Jahreseinkommen aufweisen und weil bei dieser Finanzierungsinstitution eine frühere Generation über ihr Steueraufkommen demjenigen Teil der späteren (und erwarteterweise wohlhabenderen) Generation, der innerhalb dieser Generation mit die besten Wohlfahrtschancen aufweist, ein erhebliches Startkapital verschafft.
Vermögens politische Aspekte des Privatisierungsprozesses Von Alois Oberhauser
A. Problemstellung Der Übergang zur Marktwirtschaft in der früheren DDR und den übrigen Ostblockländern erfordert eine weitgehende Privatisierung des staatlichen Produktivvermögens in Industrie, Handel, Handwerk und Landwirtschaft. I In den neuen deutschen Bundesländern obliegt diese Aufgabe vor allem der Treuhandanstalt. Die Privatisierung soll eine der Voraussetzungen dafür schaffen, daß in Zukunft der Wirtschaftsablauf durch den Markt gesteuert wird, daß Wachstumskräfte freigesetzt und die Chancen zur Steigerung der Produktivität genutzt werden, die in der Übernahme westlicher Technologie liegen. Durch die Privatisierung wird die private Vermögensverteilung in vielfältiger Weise beeinflußt. Mit diesen Vermögensverteilungseffekten sollen sich die folgenden Ausführungen beschäftigen. Es handelt sich um einen Aspekt, der in den Diskussionen um den Transformationsprozeß nicht im Vordergrund steht, dem jedoch verteilungspolitisch eine erhebliche Bedeutung zukommt - und zwar sowohl für die zukünftige Vermögensverteilung als auch für die davon teilweise abhängige Einkommensverteilung. Folglich muß auch überlegt werden, inwieweit die Privatisierung so gestaltet werden kann, daß sie dem Ziel einer gleichmäßigeren Vermögensverteilung dient. Im Vordergrund der Überlegungen stehen die neuen Bundesländer, doch soll auch die davon abweichende Ausgangslage in den anderen Ostblockstaaten berücksichtigt werden.
B. Privatisierungsmöglichkeiten in gesamtwirtschaftlicher Perspektive Auf den ersten Blick scheint der Staat in den sozialistischen Ländern im Verhältnis zu westlichen Marktwirtschaften relativ reich zu sein. In diesen ist er im allgemeinen gegenüber dem privaten Sektor netto hoch verschuldet. Für I Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft: Probleme der Privatisierung in den neuen Bundesländern. BMWI-Studienreihe Nr. 73. Ferner: Gesamtkonzept 1990 für die Privatisierungs- und Beteiligungspolitik des Bundes. Bulletin der Bundesregierung Nr. 141, S. 1489 ff. Siebert, Horst: Die Privatisierung von Unternehmen beim Übergang in die Marktwirtschaft. Volkswirtschaftliche Korrespondenz der AdolfWeber-Stiftung Nr. 1/1991.
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Alois Oberhauser
westliche Marktwirtschaften gilt, sofern man zwischen dem staatlichen Sozialkapital und dem privaten Produktivkapital unterscheidet und die Beziehung zu anderen Volkswirtschaften unberücksichtigt läßt, daß das private Vermögen gleich dem privaten Produktivkapital (einschließlich des Grund und Bodens) und dem Nettoschuldenbestand des Staates ist. Das staatliche Vermögen entspricht dann der Differenz zwischen dem Wert des Sozialkapitals und dem staatlichen Nettoschuldenbestand. In einer sozialistischen Wirtschaft besitzt dagegen der Staat neben dem Sozialkapital noch den größten Teil des Produktivkapitals. Gesamtwirtschaftlich stehen dem staatlichen Gesamtkapital nur die privaten Ansprüche aus Ersparnissen (und die Nettoforderungen des Auslands) gegenüber. Da die privaten Sparguthaben in den meisten sozialistischen Ländern relativ gering waren und zudem vielfach durch Inflationsprozesse entwertet wurden, ist das staatliche Vermögen relativ groß.2 So gesehen entsteht der Eindruck, daß mit der Privatisierung des bisherigen staatlichen Produktivkapitals und eines großen Teils der Grundstücke im Staatsbesitz erhebliche Vermögenswerte des Staates frei werden und zur anderweitigen Verteilung oder Verwendung zur Verfügung stehen. An wen soll dieses privatisierte Staatsvermögen übergehen? Können und sollen die Erlöse zur Finanzierung anderer Staatsaufgaben verwandt werden? Kann die Privatisierung in den Dienst einer gleichmäßigeren Vermögensverteilung gestellt werden? Es wurden verschiedene Pläne entwickelt, die in eine solche Richtung zielen. Auf der anderen Seite sind aber auch Befürchtungen laut geworden, daß der gesamte Privatisierungsprozeß der Treuhandanstalt nicht einmal mit einem positiven Saldo abschließen werde, so daß für Maßnahmen zur Vermögensverteilung nichts übrig bleibe. Das privatisierbare staatliche Vermögen besteht aus Grundstücken, Gebäuden, Maschinen und sonstigen Vermögenswerten der staatlichen Unternehmen. Nur mit diesem privatisierbaren Vermögen beschäftigen sich die folgenden Ausführungen. Vorweg sind die Vermögensteile auszuklammern, die an die früher enteigneten Vermögensbesitzer zurückgegeben werden. Je umfangreicher diese Vermögensrestitution ist, um so weniger ist an Privatisierungserlösen zu erwarten. Darüber hinaus ist vorgesehen, daß in den Fällen von Enteignung, in denen keine Rückgabe an die alten Eigentümer erfolgt, Entschädigungen gezahlt werden. Vermögenspolitisch bedeuten Eigentumsrestitution und Entschädigung, daß die früher enteigneten Vermögensbesitzer ihr Vermögen oder wenigstens Teile davon zurückerhalten. Restitution und Entschädigung laufen jedoch keineswegs auf eine Herstellung des alten Zustandes hinaus. Die einzelnen Vermögensobjekte haben sich in ihrem Wert sehr unterschiedlich entwickelt. Eine physische Restitution der Vermögens2
Kronberger Kreis: Wirtschaftspolitik für das vereinte Deutschland, Schriftenreihe
Nr. 22, S. 36.
Vermögenspolitische Aspekte des Privatisierungsprozesses
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objekte bedeutet daher nicht auch eine wirtschaftliche Restitution des alten Vermögens. Die Vennögensverteilung zwischen den früheren Besitzern wird daher erheblich verzerrt. Auf der anderen Seite werden aber auch Entschädigungen an Größen bemessen, die mit den aktuellen Marktwerten der enteigneten Vennögensobjekte kaum etwas zu tun haben. Infolgedessen kommt es insgesamt zu ziemlich willkürlichen Wirkungen auf die Vennögensverteilung zwischen den alten Vennögensbesitzern. Diesen Verteilungs aspekten soll jedoch in diesem Zusammenhang nicht näher nachgegangen werden. Der Wert des privatisierbaren staatlichen Vennögens ist keine objektiv gegebene Größe. 3 Er ist abhängig von den Preisen, die bei der Privatisierung erlöst werden können - abzüglich der Kosten und den zwischenzeitliehen Finanzierungshilfen und abzüglich der Altlasten, soweit diese beim Staat verbleiben. 4 Wie die Erfahrungen in den neuen Bundesländern zeigen, führt bereits das Bemühen um Restitution, der zumindest ursprünglich Vorrang eingeräumt werden sollte, zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen im Privatisierungsprozeß. Aber auch unabhängig davon erfordert die Privatisierung offensichtlich viel Zeit. Diese Verzögerungen haben nicht nur den gravierenden Nachteil, daß Investitionen der Käufer der Unternehmen hinausgeschoben werden oder unterbleiben und daß infolgedessen Produktion und Beschäftigung beeinträchtigt werden. Auch vennögenspolitisch entwertet sich dadurch der Vennögensbestand; der Wert von Unternehmen, deren Absatzchancen sinken oder die sogar vom Konkurs bedroht werden, schmilzt rasch zusammen. Der Nettowert reduziert sich in der Tendenz auf den Wert der Grundstücke abzüglich der Altlasten und der Schulden, da Gebäude und Maschinen ihre Nutzungsmöglichkeiten einbüßen. Es kann sogar zu negativen Werten kommen, die dann vom Staat bzw. der Treuhandanstalt zu übernehmen sind. Die Sanierungs- und Finanzierungshilfen, die die Treuhand im Umfang von hohen Milliardenbeträgen derzeit gewährt, zehren auf jeden Fall einen großen Teil der Privatisierungserlöse auf. Selbst wenn bei einigen Objekten aufgrund der Sanierungsbemühungen höhere Preise erzielt werden, dürften insgesamt kaum die zwischenzeitlichen Aufwendungen und die Preissenkungen bei anderen Vermögensobjekten ausgeglichen werden. Die erzielbaren Erlöse sind aber auch davon abhängig, welche Käufer in Betracht kommen und welche Finanzierungswege ihnen offenstehen. Im Prinzip soll die Privatisierung zu Marktpreisen erfolgen. Wie hoch jedoch diese Preise 3 Sinn, Hans-Werner: Macroeconomic Aspects of German Unification. Münchner wirtschaftswissenschaftliche Beiträge Nr. 90 - 31, S. 33 ff. 4 Übernimmt der Staat die Altlasten, wie dies bei vielen privatisierten Unternehmen in den neuen Bundesländern der Fall sein wird, so verschlechtert sich dadurch seine vermögensmäßige Situation. Im Gegensatz zur Staatsverschuldung muß er für die Altlasten zwar keine Zinsen zahlen, jedoch in Zukunft erhebliche Leistungen aus den laufenden Haushalten erbringen, um die Altlasten zu beseitigen. Die vermögensmäßige Belastung des Staates zeigt sich also in Vorgriffen auf zukünftige öffentliche Haushalte.
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sind, ist abhängig von der Intensität der Nachfrage nach den zu privatisierenden Objekten. Zunächst muß davon ausgegangen werden, daß die erheblichen Unsicherheiten über die zukünftigen Absatzmöglichkeiten für Produkte der betreffenden Unternehmen, die Entwicklung der (Lohn-)Kosten und die realisierbaren Produktiv itätssteigerungen eine starke Zurückhaltung bei den potentiellen Käufern bewirken. Dies führt zu einem Druck auf die Verkaufspreise. Kommt es jedoch in der Zukunft zu einer einigermaßen günstigen Entwicklung, so schlägt sich diese in erheblichen Wertsteigerungen der Vermögensobjekte nieder. Derartige Wertsteigerungen fallen dann den neuen Eigentümern vermögensmäßig zu. Diese Vermögensgewinne lassen sich nicht dadurch vermeiden, daß die Privatisierung hinausgeschoben wird. Zwar kann im Zeitablauf mit steigender Nachfrage gerechnet werden. Damit der Staat dadurch gewinnt, müßten die erzielbaren zusätzlichen Erlöse größer sein als die Summe der zwischenzeitlichen Finanzierungshilfen und der Zinszahlungen für die zusätzliche Staatsverschuldung, die für die Finanzierungshilfen c. p. eingegangen werden muß. Außerdem muß befürchtet werden, daß es, wie erwähnt, zu einem Wertverfall für die Privatisierungsobjekte kommt. So haben die ungünstige Produktions- und Beschäftigungssituation in den neuen Bundesländern und die damit verbundenen Unsicherheiten bereits eine Senkung der Privatisierungserlöse bewirkt. Die Höhe der Preise der privatisierbaren Vermögensobjekte wird in erheblichem Umfang auch dadurch mitbestimmt,inwieweit gebietsfremde Unternehmen und Privatpersonen als Käufer zugelassen werden. Wird die Privatisierung vollständig oder teilweise auf Gebietsansässige beschränkt, so kann man nur relativ geringe Privatisierungserlöse erwarten; denn es gibt in den früheren sozialistischen Staaten kaum Privatpersonen und private Unternehmen, die über genügend Eigenmittel aus früher angesammeltem Geldvermögen verfügen. Die Preise für die privatisierbaren Vermögensobjekte müssen daher sehr niedrig gehalten werden. Die Banken kommen nur in beschränktem Umfang für eine kreditäre Vorfinanzierung in Betracht. Lediglich wenn der Staat den Verkauf mit einer gleichzeitigen Kreditgewährung verknüpft, kann er auf attraktive Angebote rechnen. In diesem Fall erhält der Staat die Privatisierungserlöse jedoch erst mit zeitlicher Verzögerung entsprechend der Tilgung und Verzinsung der eingeräumten Kredite. Kommt es zu einem ausgeprägten Wachstumsprozeß, so sind die prozentualen Wertsteigerungen der privatisierten Vermögensobjekte besonders hoch. Die ungleiche private Vermögensverteilung, die sich in den entwickelten Volkswirtschaften herausgebildet hat, stellt sich dann auch in den früheren sozialistischen Wirtschaften ein. Die Aussagen sind erheblich zu modifizieren, wenn auch Unternehmen und Privatpersonen aus anderen Ländern und aus den westlichen Bundesländern als
Vennögenspolitische Aspekte des Privatisierungsprozesses
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Nachfrager nach den zu privatisierenden Vermögensobjekten in der früheren DDR in Betracht kommen. Dadurch steigt nicht nur die Anzahl der Nachfrager; die Nachfrage wird auch - regional gesehen - mit Kapitalimporten entfaltet. Zu diesen kommen meist noch weitere Kapitalimporte hinzu, mit denen die gebietsfremden Käufer die erforderlichen zusätzlichen Investitionen finanzieren. Vermögens mäßig bedeutet dies, daß die Privatisierung zu höheren Preisen stattfindet. Die impliziten Vermögensvorteile, die den Erwerbem der privatisierten Vermögensteile aus den erwähnten Gründen auf mittlere Sicht mit großer Wahrscheinlichkeit zufallen, sind geringer. Sie kommen jedoch auch Gebietsfremden zugute. Dem Staat stehen auf der anderen Seite höhere Privatisierungserlöse zu anderweitiger Verwendung zur Verfügung. Als Zwischenergebnis aus den bisherigen Überlegungen läßt sich festhalten: Im Privatisierungsprozeß gibt es drei Gruppen von Wirtschaftssubjekten, deren Vermögenssituation sich verbessert: -
diejenigen, die früher enteignetes Vermögen zurückerhalten oder Entschädigungen dafür bekommen,
-
gebietsansässige Wirtschaftssubjekte, die Vermögensobjekte unter ihrem mittelfristigen Wert erwerben können,
-
Gebietsfremde, deren Beteiligung zwar die Vermögensvorteile zusammenschrumpfen läßt, die aber an den mittelfristigen Vermögenswertsteigerungen teilhaben.
Damit ist aber nur ein Teil der Vermögensverteilungseffekte angesprochen. Es ist noch zu berücksichtigen, ob der Staat vermögenspolitische Maßnahmen in die Privatisierung einlagert und inwieweit er die Privatisierungserlöse für vermögenspolitische Zwecke einsetzt.
C. Privatisierung als Vermögensverteilungspolitik Die Privatisierung staatlichen Vermögens wird nicht primär als eine Politik zur Beeinflussung der Vermögensverteilung betrieben. Das schließt jedoch nicht aus, daß vermögenspolitische Ziele mitberücksichtigt werden. Um die dazu vorhandenen Möglichkeiten aufzuzeigen, soll zwischen vier Sektoren unterschieden werden: dem Wohnungssektor, dem mittelständigen Gewerbe, der Landwirtschaft und den Industrieunternehmen. Fast allen vermögenspolitischen Begünstigungen ist eigen, daß sie nur einzelnen zugute kommen. Daher sind Verstöße gegen die Verteilungsgerechtigkeit mit ihnen verbunden. Diese lassen sich nur rechtfertigen, wenn andere Ziele ausschlaggebend sind.
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Alois Oberhauser I. Wohnungssektor
Die größte Breitenwirkung in der Vennögensverteilung läßt sich im Wohnungssektor erreichen, da sich der größte Teil des Wohnungsbestandes in den früheren sozialistischen Ländern im Eigentum des Staates befindet. Es besteht eine einmalige Chance, zu einer relativ breit gestreuten Verteilung des Wohneigentums zu gelangen. Soweit dieses nicht an die Alteigentümer zurückgegeben wird, können die Wohnungen den bisherigen Mietern als Eigentumswohnungen zu günstigen Preisen angeboten werden. Ähnliches gilt für die Privatisierung staatlicher Grundstücke, auf denen Private Häuser errichten durften. Probleme ergeben sich allerdings aus der mangelnden Eignung von Teilen des Wohnungsbestandes als Einzeleigentum, den hohen Sanierungskosten und aufgrund der eintretenden ungleichen Verteilungswirkungen. Denkbar wäre zunächst, daß allen Mietern bei geeigneten Wohnobjekten eine Art Vorkaufsrecht zu attraktiven Bedingungen für den Erwerb ihrer Wohnungen als Eigentumswohnungen eingeräumt wird. Die für den Nachkriegswohnungsbau im Ostblock typischen großen Wohnblocks und die Mehrfamilienhäuser müßten dazu in Eigentumswohnungen aufgeteilt werden. Selbst wenn man die Wohnungen zu äußerst günstigen Preisen den Mietern überlassen, ja sie weitgehend verschenken würde, kann nicht davon ausgegangen werden, daß alle Mieter an einer Übernahme interessiert sind. Dies ergibt sich vor allem aus den hohen Sanierungskosten 5, die die meisten Wohnungen erfordern und die auf die neuen Eigentümer umgelegt werden müßten. Da die Menschen in den früheren sozialistischen Ländern nicht über hohe Geldvennögensbestände verfügen, sind sie zum Erwerb von Wohnungen nur dann in der Lage, wenn der Verkauf mit einer kreditären Vorfinanzierung kombiniert wird. Es hängt dann von der Höhe der daraus resultierenden Zins- und Tilgungsverpflichtungen im Verhältnis zum jeweiligen Einkommen - ab, inwieweit die derzeitigen Mieter zum Kauf ihrer Wohnungen in der Lage sind. Immerhin könnte der Staat durch eine Verknüpfung des Wohnungskaufs mit einer Kreditgewährung erreichen, daß das Wohneigentum relativ breit gestreut wird. Auch fiskalisch muß dies für ihn kein Nachteil sein, da höhere Verkaufserlöse, allerdings erst auf längere Sicht, eingehen. Um dem wohnungspolitischen Ziel einer gleichmäßigeren Streuung von Wohneigentum gerecht zu werden, müßten Vorkehrungen gegen einen spekulativen Mißbrauch getroffen werden, der bei den letztendlich hohen Subventionswerten in Fonn attraktiver Verkaufspreise und zu erwartender Wertsteigerungen naheliegt. Einem Mißbrauch könnte man dadurch zu begegnen versuchen, daß jede Familie nur eine Wohnung, in der Regel die derzeit genutzte, zu den günstigen 5 Damit die Sanierung zeitlich nicht verzögert wird, müßte sie schon vor der Übereignung der Wohnungen an die neuen Eigentümer eingeleitet werden.
Vennögenspolitische Aspekte des Privatisierungsprozesses
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Bedingungen erwerben darf. Eine befristete Verkaufssperre könnte mit einer auch langfristig geltenden Teilabschöpfung von realisierten Wertsteigerungen aus der Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreisen verbunden werden. Um die Mobilität der Arbeitskräfte nicht zu hemmen, müßte eine Übertragung von realisierten Werts teige rungen möglich sein.
11. Mittelständisches Gewerbe
Vom Ansatz her ähnlich könnte man bei der Privatisierung von Vermögensobjekten verfahren, die für mittelständische Erwerbstätigkeit genutzt werden. Es handelt sich um Grundstücke, Gebäude und maschinelle Einrichtungen für Handwerk, Handel, Dienstleistungsbetriebe und kleinere Industrieunternehmen. Um die Entwicklung des gewerblichen Mittelstandes zu fördern, erscheint es durchaus angebracht, den entsprechenden Unternehmern im Rahmen der Privatisierung entgegenzukommen. Das gilt sowohl in den Fällen von Management-buy-out, in denen zuvor im Unternehmen Angestellte das Unternehmen erwerben, als auch für außenstehende Personen. Im allgemeinen dürften Personen aus den früheren Ostblockländern, die sich selbständig machen wollen, nicht in der Lage sein, mit ihren Preisgeboten für Privatisierungsobjekte mit westdeutschen oder ausländischen Konkurrenten mitzuhalten, da es ihnen an entsprechendem Vermögen fehlt. Infolgedessen muß man ihnen Vorzugsbedingungen einräumen. Dies kann in Form relativ niedriger Preise oder durch einen Verkauf geschehen, der mit einer langfristigen Kreditgewährung gekoppelt ist. Möglich ist auch, die Grundstücke zunächst zu verpachten. Einzelheiten brauchen hier nicht diskutiert zu werden. Eine Abstimmung mit sonstigen Förderungsmaßnahmen liegt nahe. In den meisten Fällen ergeben sich aus den Subventionselementen vermögensmäßige Vorteile, die sich zum Teil erst auf mittlere Sicht zeigen. Auch hier müssen Vorkehrungen gegen eine mißbräuchliche Inanspruchnahme und die Teilabschöpfung von Wertsteigerungen bei Verkäufen vorgesehen werden. 111. Landwirtschaft
Wie mit dem landwirtschaftlichen Grund und Boden, der sich in staatlicher Hand befindet, verfahren werden sollte, ist von den Zielsetzungen zukünftiger Agrarpolitik abhängig. 6 Soweit die Gründung privater landwirtschaftlicher Betriebe angestrebt wird, muß diesen wegen des bestehenden Kapitalmangels gehol6 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Grundsatzfragen zur Anpassung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern. Schriftenreihe des Ministeriums, Heft 392. Insbesondere S. 37 ff.
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fen werden. Zumindest längerfristig ist eine Privatisierung des Bodens angezeigt. Mit Hilfe günstiger Kreditkonditionen kann diese jedoch bereits kurzfristig erreicht werden. Eine andere Möglichkeit der Privatisierung besteht darin, anfängliche Pachtverträge mit Vorkaufsrechten auf den Grund und Boden zu verknüpfen, so wie dies in den neuen Bundesländern bereits teilweise geschieht. IV. Industrielle Unternehmen
Während die individuellen Vermögensvorteile bei den bisher genannten Bereichen als Mittel für die Erreichung anderer Ziele dienen und sich quantitativ je Erwerber in engen Grenzen halten, ist das bei der Privatisierung größerer industrieller Unternehmen nicht mehr der Fall. Hier geht es meist um hohe Millionenbeträge. Sie einzelnen Wirtschaftssubjekten oder (gebietsfremden) Unternehmen zufallen zu lassen, ist verteilungspolitisch bedenklich. Auf der anderen Seite sind es diese Unternehmen, auf die ein großer Teil der Produktion und der Beschäftigung entfällt. Diese zu sichern, ist ein höheres Ziel als eine gleichmäßigere Vermögensverteilung. Aus diesem Grund läßt sich, wie erwähnt, unter Umständen auch ein Verkauf unter Marktwert rechtfertigen. Dennoch ist zu fragen, ob nicht die Privatisierung industrieller Unternehmen mit Maßnahmen zur gleichmäßigeren Vermögensverteilung verknüpft werden kann. 7 Die Versuche in einzelnen Ostblockländern, die Privatisierung über die Ausgabe von Zertifikaten vorzunehmen, die den Charakter von Investmentpapieren haben, gehen in diese Richtung. 8 Der Grundgedanke dieser Pläne und Maßnahmen ist, einen Teil des Staatsvermögens an die Staatsbürger zu übertragen - auch aus der Überlegung heraus, daß zumindest die Ansammlung von staatlichem Vermögen aus Nettoinvestitionen den Bürgern einkommensmäßig vorenthalten worden sei. Derartige Zertifikate kann der Staat seinen Bürgern schenken 9 ; er kann die Zuteilung aber auch von beschränkten Zuzahlungen abhängig machen. In der Differenz zwischen dem zu zahlenden Betrag und dem Zertifikatswert liegt dann der Vermögenstransfer. Mit solchen Zertifikatslösungen sind einige grundSätzliche Probleme verbunden - von den konkreten Gestaltungs- und Zuteilungsregelungen ganz abgeseSinn, Gerlinde / Sinn, Hans-Wemer: Kaltstart, Tübingen 1991, S. 110 ff. Schlüter, Rolf (Hrsg.): Probleme der Transformation von Wirtschaftssystemen, Studienhaus Wiesneck, Symposionsvorträge, November 1990, Freiburg i. Br. 1991. Gruszecki, Tomasz / Winiecki, Jan: Privatization in East-Central Europe: A Comparative Perspective, in: Außenwirtschaft, 46. Jg. (1991), Heft 1, S. 79 ff. Thanner, Benedikt: Privatisierung in Ostdeutschland und Osteuropa: Probleme und erste Erfahrungen, in: Ifo-Schnelldienst Nr. 31, 1990, S. II ff. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Minderheitsvotum, S. 17 ff. 9 Derartige Pläne wurden in Polen inzwischen wieder fallen gelassen, in: FAZ vom 29.5.1991, S. 15. 7
8
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hen. Ein erstes hängt mit der Frage zusammen, ob der Staat in den betreffenden Ländern nicht während des Transformationsprozesses auf die Einnahmen aus der Privatisierung angewiesen ist. Andernfalls müssen entweder höhere Steuern erhoben oder eine stärkere Staatsverschuldung eingegangen werden. Eine geringere Staatsverschuldung ist, wie noch zu zeigen sein wird, für die Höhe der privaten Vermögensneubildung durchaus von Bedeutung. Das zweite Problemfeld ergibt sich aus dem Umstand, daß kaum Regelungen gefunden werden können, bei denen die Vermögensübertragung auf die einzelnen Wirtschaftssubjekte einigermaßen gleichmäßig und gerecht ist. Nach dem Gleichheitsgrundsatz müßten alle Staatsbürger beim Verschenken von Staatsvermögen in etwa gleich viel bekommen. Damit kann jedoch kaum gerechnet werden. Selbst bei einer kostenlosen Verteilung von Zertifikaten würden viele nach einem sofortigen Verkauf streben, um aufgestaute Konsumwünsche zu befriedigen. Die Folge wäre nicht nur ein anfänglicher Wertverfall. Gesamtwirtschaftlich käme es zu Wirkungen, die denen einer Auflösung von Ersparnissen bzw. einer entsprechenden Verminderung der Sparneigung aus dem laufenden Einkommen entsprechen. Es wäre mit Steigerungen des Konsumgüterpreisniveaus zu rechnen. Infolgedessen müßte eine längere Bindung der Zertifikate vorgesehen werden. Die auftretenden Probleme haben eine gewisse Ähnlichkeit mit denen eines allgemeinen Investivlohnes. 10 Wird für die Zertifikate eine Eigenleistung in Form eines wenn auch niedrigen Preises verlangt, so ist die Gefahr der konsumtiven Verwendung zwar geringer, jedoch sind die Verteilungseffekte auch ungleichmäßiger. Formal erhalten zwar alle Staatsbürger dieselben Rechte; faktisch wird jedoch nur ein Teil von ihnen, und zwar vor allem derjenigen mit höherem Einkommen bzw. höheren Sparbeständen, davon Gebrauch machen - unter der Voraussetzung, daß die Betreffenden einigermaßen über die in den Zertifikaten enthaltenen Subventionswerte informiert sind. Schon in den entwickelten westlichen Volkswirtschaften ist es schwer, die Masse der Bevölkerung zu einer Beteiligung am Produktivkapital zu veranlassen, wie die begrenzten Erfolge mit dem deutschen Vermögensbildungsgesetz zeigen. Es kann von den Menschen, die jahrzehntelange sozialistische Planwirtschaft hinter sich haben, kaum erwartet werden, daß sie gleich eine Beziehung zu Vermögensanlagen in Produktivkapital erlangen. Dieses wird aber beispielsweise in Ungarn, der CSFR und Polen versucht. Erfolge ließen sich vielleicht noch mit Investmentpapieren oder noch eher mit festverzinslichen Papieren erzielen. Solche Konstruktionen wären möglich, wenn das privatisierte Staatsvermögen in einen Fonds eingebracht wird, der Jahr für Jahr weitgehend konstante Erträge ausschüttet. Denkbar wären sie auch für die Verteilung eines eventuellen Überschusses der Treuhand, sofern ein solcher in beachtenswerter 10 Ein solcher Investivlohn bezogen auf die Finanzierung der Neuinvestitionen und nicht auf das zu privatisierende Staatsvermögen - wird von Georg Leber vorgeschlagen: "Vermögensbildung für die deutsche Einheit", in: FAZ vom 27.5.1991, S. 17.
17 Feslgabe Tb. Dams
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Größenordnung realisiert wird. Die für diesen Fall vorgesehene Aufwertung der 2: I umgetauschten Sparbestände würde dagegen nur einem relativ kleinen Teil der Bevölkerung und außerdem sehr ungleichmäßig zugute kommen.
D. Privatisierung und private Vermögensbildung Privatisierung ist nicht nur eine Umverteilung des staatlichen Vermögensbestandes hin zu privaten Wirtschaftssubjekten. Auch die private Vermögensneubildung wird durch die Privatisierung stark beeinflußt 11 - ein Aspekt, der in der Literatur kaum beachtet wird. Soweit nicht staatliches Vermögen an Private zurückgegeben bzw. quasi verschenkt wird, bedeutet der Verkauf entsprechender Vermögensobjekte, daß die Käufer auf eigene oder fremde private Ersparnisse zurückgreifen. Dies gilt auch, wenn der Staat den Kaufpreis durch die Gewährung von Zahlungszielen, also faktisch durch eine parallele Kreditgewährung stundet, dann allerdings für die späteren Tilgungsperioden. Davon abgesehen werden bei der Privatisierung private Ersparnisse der laufenden Periode auf den Staat übertragen. Das trifft unabhängig davon zu, ob der Käufer selbst spart, ob er vorhandenes Geldvermögen einsetzt oder ob er mit Hilfe von auf den Kapitalmärkten aufgenommenen Krediten den Kaufpreis finanziert. In all diesen Fällen wird im Ergebnis auf private Ersparnisse der laufenden Periode zurückgegriffen, die dann dem Staat als Privatisierungserlöse zufließen. Verwendet dieser die Beträge nachfragewirksam im Rahmen seines Haushaltes, leitet er sie also nicht über Schuldentilgung oder eine geringere Neuverschuldung an die Kapitalmärkte zurück, so wird das verbleibende Kapitalmarktangebot aus privaten Ersparnissen c. p. entsprechend reduziert. Mit anderen Worten heißt dies: Bezogen auf die jeweilige Periode sind bei einer Privatisierung von Staatsvermögen ähnliche Wirkungen zu erwarten wie bei einer zusätzlichen Staatsverschuldung. In beiden Fällen absorbiert der Staat private Ersparnisse. Zwar müssen bei einer Privatisierung im Gegensatz zur Staatsverschuldung in Zukunft keine Zinsen gezahlt werden, und es erfolgen auch keine Tilgungen, doch fallen auch keine eventuellen Erträge aus dem Staatsvermögen mehr an. Treten die Erlöse der Privatisierung an die Stelle einer Staatsverschuldung, so unterscheiden sich - bezogen auf die jeweilige Periode - die Wirkungen kaum. Konkret heißt dies, daß bei einer Analyse der wirtschaftlichen Situation die Privatisierungserlöse der Höhe der Staatsverschuldung zugeschlagen werden müssen. 11 Auf die Vennögensverteilungswirkungen, die aus der Förderung privater Investitionen entstehen und die quantitativ sehr groß sind, wird nicht eingegangen, obwohl diese Förderung auch in Verbindung mit den Privatisierungsbemühungen gesehen werden muß. Eine kurze Beschreibung der ergriffenen Maßnahmen findet sich in: "Wirtschaftsförderung in den neuen Bundesländern", in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, März 1991, S. 15 ff.
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Wenn Staatsverschuldung mit einem crowding out bei den privaten Investitionen verbunden wäre, wie dies vielfach behauptet wird, so müßte dieselbe Schlußfolgerung auch für die Privatisierung von Staatsvermögen gelten 12; denn die Privatisierung als solche dürfte kaum zu einem zusätzlichen Sparen der privaten Haushalte führen. Der Mangel derartiger Schlußfolgerungen liegt darin, daß in den meisten Fällen crowding out-Effekte nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang zu erwarten sind. Wie die empirischen Erfahrungen zeigen, kommt es in der Regel nicht zu einer Verdrängung privater Investitionen; vielmehr paßt sich das private Sparen über Änderungen in der Einkommensverteilung (Verteilungsmechanismus) und eventuelle Steigerungen des Sozialproduktes (Einkommensmechanismus) an die Nachfrage nach investierbaren Mitteln an. 13 Dazu gehören auch die Beträge, die zur Privatisierung staatlichen Vermögens aufgewandt werden. Ein Beispiel mag für viele stehen: im Jahre 1990 stieg die Staatsverschuldung in der BRD um rund 90 Mrd. DM. Die privaten Investitionen gingen nicht zurück, sondern explodierten geradezu. Lediglich ein Bruchteil dieser Beträge wurde über einen Rückgang des Leistungsbilanzüberschusses abgedeckt. Statt dessen stiegen das Sozialprodukt stark und die Unternehmergewinne weit überproportional an. Die in diesem Jahr noch geringe Privatisierung staatlichen Vermögens war darin eingelagert. Wenn es zu derartigen Einkommens- und Verteilungsprozessen kommt, so laufen sie auf eine Ausweitung der privaten Vermögensbildung hinaus. Nur unter dieser Voraussetzung kommt das privatisierte staatliche Vermögen zu der andernfalls erfolgenden privaten Vermögensneubildung hinzu. Zugleich wird aber auch die Vermögensverteilung ungleichmäßiger, da sich die Veränderung der Verteilungsrelationen in einer Erhöhung der Gewinnquote und in einer Vermögensbildung der Unternehmer (insbesondere in Form zusätzlicher nicht-ausgeschütteter Gewinne) niederschlägt. Privatisierung staatlichen Vermögens ist daher selbst dann nicht neutral für die private Vermögensverteilung, wenn in den Veräußerungspreisen keine Vermögensvorteile enthalten sind. Vielmehr ist im allgemeinen davon auszugehen, daß ähnlich wie bei der Staatsverschuldung die Gewinne überproportional steigen. Die Zunahme der privaten Vermögen kommt dann vor allem diesen zugute. Gemessen am Ziel der gleichmäßigeren Vermögensverteilung ist nichts gewonnen. Diesem können lediglich die diskutierten Maßnahmen einer Begünstigung bestimmter Gruppen der Erwerber staatlichen Vermögens dienen. Solche Maßnahmen können, wie gezeigt, in die Privatisierung eingelagert werden. Sinn, S. 34 f. Oberhauser, Alois: Änderungen in der Einkommensverteilung und Zinsbildung. Eine notwendige Ergänzung der Zinstheorie. In: File, Wolfgang / Hübl, Lothar / Pohl, Rüdiger (Hrsg.): Herausforderungen der Wirtschaftspolitik, Berlin 1988, S. 98 ff. 12 13
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The Neglected Issue of Usefulness and Costs of Manpower Information and Forecasting for Human Resources Development Planning By Lothar Richter 1
A. The Problem For more than thirty years, the usefulness of manpower forecasting for shaping education and vocational training policies has been the subject of heated controversy. And the debate is still being waged - with a concensus hardly in sight. Those who have adhered to and defended approach and methods continue to maintain that rational and forward-Iooking planning in the field of human resources development is essential to prevent manpower shortages - or surpluses from arising and affecting adversely economic progress and efficiency. 2 Manpower forecasting - so the advocates insist - must occupy a central place in this effort. Education and vocational training are in stiff competition for financial allocations with many other investment possibilities. This is particularly true in developing countries where resources are scarce and opportunity costs are high. Therefore, manpower forecasting must constitute an essential ingredient of education and vocational training planning to be based on the results of such forecasts to which social demand factors and considerations of financial ability / priorities will be added to strike a politically acceptable balance. The assaillants of the approach - and in particular of its predominant ,,manpower requirements" variant - have emphasized its many weaknesses. The main criticism has been directed at (a) the fragility of the assumptions made with regard to the various factors influencing economic growth and risking large margins of error; (b) the reliance on manpower co-efficients which are constantly changing; (c) the failure to take into account occupational mobility and substitution and
1 I am grateful to my former colleague Dr. William Bartsch for thoughtful comments and suggestions on the first draft of this paper. 2 Zymelman, M.: Forecasting manpower demand, World Bank, Washington, D. c., 1980, p. 2.
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(d) the disproportionate concern with high-level manpower needs, especially at the modem sector level and a gross neglect of those in the large informal sector. 3 All these factors - so the opponents insist - must necessarily lead to erroneous and misleading forecasts and faulty manpower planning if such forecasts are utilised. Consequently, manpower forecasting could not be relied upon as providing guideposts for education and vocational training planning. For certain occupations such as teachers, medical personnel and agricultural extension agents manpowes forecasting may be admisssable by the use of (politically decided) density norms and as based on govemment budget allocations to the public sector. For the majority of occupations, however, this method was inapplicable and not even necessary. It was far more important to know and understand how skills are acquired and how manpower supply and demand interacted. This would help to design action to remove bottlenecks in the skill generation process where they arose - rather than to plan the whole human development effort by considering manpower supply and demand as independent variables, which in actual fact they were not. 4 Faced with these criticisms, manpower forecasting advocates have tried to respond with continuous refinements of their statistical tools. In addition to improvements of the standard "manpower requirements" approach itself, through the development of input-output and econometric modelling, other methods like rate-of-return analysis, international comparisons and improved employers' survey schedules (Delphi method) have no doubt gained in sophistication and rigour. 5 The other side of the coin is that data requirements and the corresponding input of resources have also been notably increasing, this inflation being fuelled by the frequent promise that with one extra refinement the projections can be made to hold. In spite of all those refinements, however, most critics have remained unimpressed. Their negative attitude has been strengthened by aseries of widely known evaluations which were undertaken on the practical application and results of manpower planning exercise in many developing countries and, notably in 3 Psacharopoulos, G.: Assessing training needs priorities in developing countries, in: International Labour Review, ILO, Geneva, Vol. 123, No. 5, 1984. 4 Dougherty, C.: Education and Skill Development: Planning Issues, Paper submitted to the Asian Development Bank, World Bank Seminar on Vocational and Technical Education and Training, Manila, January 22-27, 1990, pp. 12-14. 5 United States, Employment and Training Administration: Occupational employment projections for labour market areas - An analysis of alternative approaches, R and D monograph 80, Washington, DC, 1981. It should be mentioned here that the rate-ofreturn analysis has been suggested as an alternative to the "manpower requirements" approach. However, this plausible approach has its weaknesses, too. Though it introduces cost-benefit considerations, it has problems in determining the quantitative implications for manpower development planning. The widely acclaimed tracer studies (the fate of trainees in the labour market) also lack this probing into the future.
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Asia and Africa. These have invariably shown that all manpower forecasts reviewed have turned out to be widely offthe mark and thus unsuitable for education and vocational training poliey guidanee. In addition, these evaluations also indieated that the aetual use made of these foreeasts in education and training planning has been rather limited. Training planners, in particular, have indeed frequently eomplained that the forecasts supplied to them did not address their needs as they were too general and lacking sufficient oecupational / qualifieation details. 6 Confronted with these conflicting signals from the theoretical / methodological side of manpower forecasts most developing countries have shown a surprising faithfulness in conventional manpower planning approaches and techniques. Their straightforwardness and intuitive appeal provide some explanation. Adherence of most developing countries to formal planning procedures in which manpower planning considerations occupy a more or less prominent pi ace is another, although many manpower chapters of development plans reveal that they were afterthoughts - rather than integral parts - of the planning exercise. More often than not, manpower forecasts simply serve to put some sort of credibility to proposed investments into education and vocational training programmes. And the requirement of international aid agencies to undertake training needs assessments before credits and grants for education and training projects are extended reinforces the tenacity with which most developing countries c1ing to manpower forecasting of the traditional style. In search for a better alternative, a number of eritics have suggested a broader approach to relate manpower planning and education / vocational training planning more c10sely and continuously with one another. The essence of this new orientation is labour market analysis, i. e. to keep abreast with developments in different sectoral, occupational and regional/ local labour markets. In other words, there would be a constant effort to capture signals emitted by these labour markets and to relay them to the decision-makers in education and vocational training planning. This requires the perspective of a planning process which is fed through a continuous flow of information rather than the application of a planning technique, as "the appropriate step forward to manpower development planning".7 It would imply the institution of a routine-like annual planning eycle to be eoordinated by a government planning unit through which conditions in the labour market(s) are continually monitored so as to provide a regular set of 6 ILO: The key informants system as a means of vocational training needs identification in the non-formal sector, by L. Lampel, Paper submitted to the ILO / DANIDA Evaluation Seminar on the Suitability of the Key Informants System as a Complementary Source of Employment and Manpower Information, Bangkok, November 1981, pp. 12. 7 World Bank: From planning techniques to planning process, by Psacharopoulos, G. and Hinchliffe, R., in: Manpower issues in educational investment - A consideration of planning processes and techniques, World Bank Staff Working Paper No. 624, Washington, DC, 1983, p. 2.
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relevant signals to a wide range of decision-makers in the education and training sector. 8 Although the translation into practice of such a routine mechanism is still not much beyond a blueprint stage, its proponants admit that it will imply much harder work than making projections of manpower supply and demand and that the need for information is not likely to be less than that for the "mechanistic" approach of manpower forecasting. 9 Indeed, the call for more and better manpower and labour market information to underpin employment policy formulation, in general, and decision-making in education and vocational training planning, in particular, has intensified in recent years. In response, manpower information producers have turned on an increasing flow of data, both quantitatively and qualitatively.1O On the other hand, indications as to how this expanded data output is to be used for what specific purpose are far less clear. There is no dearth of general statements that it would be "useful" and "interesting" to have such information. But these criteria are certainly not sufficient to discern real priorities in data generation. Finally, there are seldom any references to the exact expenses incurred in the generation of various manpower and labour market information items. On the whole, it is safe to say that both cost and benefit considerations in the supply of manpower information for policy-making and planning in human resources development have been conspicuous by their absence. The limited purpose of this brief paper is to highlight the more important reasons for this neglect and the difficulties involved. It starts out with discussing the question of what is (and what is not) worth knowing in a manpower / labour market information system. The second part reviews some of the more serious constraints in cost-benefit assessments of manpower information, both in general and for particular information areas or items. In the third and final part, a few suggestions are put forward about the initial steps which might be taken to initiate a purposeful injection of cost-benefit considerations into the process of decisionmaking for the generation of manpower information which is actually used with clearly identifiable benefits in human resources deve1opment.
8 Richter, L.: Training needs: assessment and monitoring, ILO, Geneva, 1986, pp. 10-17. 9 Word Bank: A Perspective on the Role of Manpower Analysis and Planning in Developing Countries" by Hollister, R., in: Manpower issues in educational investment - A consideration of planning processes and techniques, World Bank Staff Working Paper No. 624, Washington, DC, 1983, p. 60. 10 Richter, L.: Upgrading labour market information in developing countries Problems, progress and prospects, A synthesis of the results of an ILO / DANIDA Interregional Seminar, !LO, Geneva, 1989.
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B. What manpower information is necessary and the question of accuracy It has been pointed out that it is quite easy to ascertain to what extent labour market information is lacking, but it is difficult to evaluate the implications of its availability.11 Therefore, discussions on covering gaps have, in general, not proceeded beyond such obvious conclusions as there are a number of possible approaches to the upgrading of labour market information systems. The desirability of different options would logically seem to depend on which of the user needs are given priority as well as on the nature of the existing statistical base.
Labour market consumer research or functional analysis have sometimes been applied as a means of determining user needs. But the questions posed about the actual use of different labour market information items have not probed deeply enough and the results have, in general, not been very illuminating. Moreover, these exercises have largely remained one-off exercises with no systematic and regular follow-up. 12 Yet the principle involved is simple and convincing: let the users articulate what manpower information area or item is most widely used and for what purpose and which should be assigned priority. They should then establish with the main producers of manpower information how far and how quickly existing data generation capacity is capable - or has to be enabled - to meet the agreed priorities. Unfortunately, the problem is that the prerequisite for such priority setting rarely exists: this is the availability of strong coordinating mechanisms bringing together manpower information users and producers. For years, major efforts have been made at the international level to establish such collaboration and make it effective. However, the problem has defied early solution. Nevertheless, several internationally sponsored labour market information seminars and workshops, with employers and workers participation, have shown that such mechanisms would be very suitable as a first means for laying a firm ground for keeping manpower information needs and generating capacity under continuous review. From this experience it appears that the first element to be considered is the specific use which the labour market information items singled out for priority are, in fact, serving - or are proposed to serve. In considering this question, there is bound to be some discussion on how accurate the specific manpower information item under review should be in order to meet the specific 11 Rodgers, G.: Labour Markets, Labour Processes and Economic Development, in: World Employment Programme Research, Working Papers, Aspects of labour market analysis, ILO, Geneva, 1085, p. 48. 12 ILO: Employment and manpower information in developing countries - A training guide, second (revised) edition, ILO, Geneva, 1990, pp. 121-127.
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purpose defined. This is important to know in order to agree on the method of data procurement to be applied. The alternatives range from the long, comprehensive and costly statistical survey to the more rapid, lighter and far less expensive qualitative type of enquiry such as the key informants or key respondent survey. It is obvious that the higher the demand placed on accuracy, the stronger is likely to be the call for elaborate statistical surveys and detailed labour market studies. This is the stage when the question of "proportionate accuracy" should be thoroughly scrutinized. I3 There are obviously trade-offs between accuracy (including the notions of relevance, timeliness and actual use) and the costs incurred by the provision of any labour market information item. The most costly is not necessarily the best; nor is the most inexpensive one the least suitable. Two principles have been suggested for careful consideration in the process of choice of the most appropriate method of data generation to be applied. The first is the exclusion from data generation of those items of information which are not necessary to be known. Such adecision will be difficult to take and carry out. It is, of course, much easier to put forward a demand for more information than to abstain from it. And it will be still more difficult to agree that a certain item of labour market information is redundant and should be discontinued. "Yet, in information gathering there is often a monstrous overkill". 14 The second principle is the relaxation of standards of accuracy where a high degree of professional sophistication and excellence is not always the first requirement. What is often quite sufficient is knowledge of orders of magnitude and trends of development (ups or downs). This applies especially to those areas where information is needed rapidly and decision-making is pre-empted by the passage of time. Under these conditions, it will pay to apply unconventional approaches and methods of information gathering techniques which are less rigid and voluminous and yet more rigorous in relation to actual utilisation and costs. Special labour market studies undertaken in connection with planning and programming of education and vocational training cycles might also be "special" candidates for prior rigorous review of their usefulness in decision-making. It has been pointed out that such studies "are all too frequently initiated without due consideration being given as to how the policy implications may be implemented".15 Rather, data collection and analysis are undertaken "in the spirit of an academic exercise, often based on the assumption that analysis is the prior I3 The notion of "proportionate accuracy" and the following paragraphs borrow from ideas developed by R. Chambers: Rapid Rural Appraisal Rationale and Repertoire, in: Public Administration and Development, Vol. I, 1981, pp. 95 - 106. 14 Chambers, p. 99. 15 Dougherty, c.: Labour market studies and manpower development planning, Paper prepared for the ILO Meeting of Experts on Methods of Training Needs Assessment, Turin, Sept. /Oct. 1983, p. 2.
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and more demanding task . . . and that the conclusions emanating from it and their policy relevance will be straight forward". 16 In actual fact, however, many studies have proved to be irrelevant or carried out inefficiently or not used at all. This underlines the importance of the design stage of labour market studies and for that matter, for the generation of any manpower information item and its priority ranking among different items. The following steps have been proposed in this respect: (a) Defining the objective(s) of the labour market study; (b) Determining the frequency with which it should be undertaken; (c) Designating the agencies I institutions or individuals to be entrusted with the carrying out of the study; (d) Establishing the different stages of the conduct of the study; (e) Evaluating the outcome and findings of the study and (f) disseminating the outcomes and findings.
All these considerations make it evident that the question of what kind of manpower information are required for what specific purpose and what priority to attach to each cannot possibly be satisfactorily answered unless the major information producers and consumers are collaborating closely on a regular basis. Once again, the building up of an effective mechanism of continuous producersusers relationship must have a high priority ranking. Such coordinating machinery is also essential for relating identified requirements and priorities for labour market information generation to the costs involved. It is obvious that these are areas where the collaboration of manpower planners and vocational training planners is particularly called for. Both have to articulate their points and justify their objectives, state their priorities as weIl as constraints and seek a common ground for mutual understanding of their respective trades.
Unfortunately, the actual situation in most developing countries is a far cry from this ideal. Most often than not, manpower planners tend to go ahead with projection work which they perceive as useful for vocational training needs assessment. Vocational training planners, on the other hand, have invariably pointed out that the data and analysis provided are of little use to them. There is a long history of manpower planners and vocational training planners turning a deaf ear to each other. It is certain that no change is likely to occur in this deplorable situation if, first of all, there is not full mutual comprehension of what manpower planners can really do and, on the other hand, what vocational training planners really require for their work. And such understanding calls at least for some basic training of the two in each others field of activity. Exhortations for closer collaboration are likely to remain ineffective unless manpower informa16
Dougherty, p. 34.
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tion producers and users, in general, and manpower and vocational trammg planners, in particular, do not really understand what the objectives, importance, opportunities and limitations of their respective trades are. It goes without saying that such mutual understanding and cooperation - if not partnership - would also appear to be essential in relating the identified needs and priorities in labour market information items to the costs involved in generating them.
C. Confronting costs and benefits of man power information Appeals to cost-effectiveness and cost-consciousness have not been totally absent in the process of manpower information generation and the methods to be applied to obtain it. For instance, cost considerations have exercised some influence in the decisionmaking process regarding the scope and frequency of household sampie surveys. Also, the low frequency rates of full population censuses is an indication of the high costs involved in this type of survey. Likewise, the practice of using mailed questionnaires for employers surveys one of the (controversial) methods used to determine training needs - has prevailed over that of personal interviewing because the latter is so much more expensive. On the other hand, there is a price to be paid for foregoing personal interviewing. This is the often very low response rate of a mail survey which in many cases has wrecked a well-designed and important survey. Thus, costconsciousness is one of the factors to be considered for in the decision making process for mounting or foregoing a particular surveyor specific labour market study. In general, there is no great difficulty in putting a price tag to different existing sources of labour market information and also those which are to be introduced or further developed. It is true that the multi-purpose feature of a number of manpower information sources like the one inherent in the activities of the employment service makes the apportionment of financial outlay for specific manpower information areas rather difficult. But such difficulties can be sorted out. However, almost unsurmountable problems arise in expressing the benefits (in monetary terms) of a particular labour market information item for a particular decision-making purpose or purposes. For instance, the availability of monthly statistics and analysis of rates and composition of unemployment and vacancies in different economic sectors, occupations and regions / localities is of considerable value for a vast number of decision-makers (public and private). To calculate actual benefits from having such information (or los ses or wastage in case of its inavailability) is known to be very difficult. For example, the way in and the extent to which the investment of additional public resources in the labour market information effort of anational employment service could help to reduce the
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costs incurred by individual employers and job seekers in employee and job search or to prevent training programmes from failing to respond to market requirements and thus avoid inefficiency in resources utilisation still remains largely a matter of conjecture almost everywhere. Nor - to provide another example - have there been detailed assessments made as to what extent a fullyfledged and up-dated information bank for the education / vocational training system covering student / trainee inflows and outflows and, in particular, dropout rates may contribute to more efficiency or less wastage in money terms. These questions still go begging for satisfactory answers. The general conclusion emerges that a systematic approach to balance the costs of manpower information generation against the value of the data has been rarely attempted in developing countries. The unavoidable result is that considerable resources must be wasted on unused information and that "too little is spent on promising altematives".17 Even in developed countries, relevant literature does not make it clear to what extent stringent cost-benefit considerations enter the decision-making process about what kind of manpower information should be given priority. All sorts of complaints about inadequacies in manpower information and pleas for more information are rampant - without accompanying indications of the likely costs and benefits involved. In any case, whatever limited evidence of the application of cost-benefit analysis in manpower information generation exists, does not provide much insight which could be helpful to developing countries. Moreover, it is more than doubtful that presentation of the total costs of past data generation efforts and speculations about the extent and the success with which they were used could convey useful lessons. In view of these difficulties a suggestion has been made that to initiate some progress towards the establishment of cost-benefit criteria in manpower information generation there should first be a clear definition and understanding - and some subsequent priority ranking - of the role which different labour market data are meant to play in decision-making processes. In this connection, it has further been pointed out that "once the question of the purposefulness of information has been answered and related aspects of cost-effectiveness and optimum information have received at least some attention, more focussed and relevant data goals are likely to be set". 18
It is one thing to state these - surely convincing - principles, but it is quite another to translate these into practical terms. Well-tested guides simply do not 17 Kelly, T. F.: Labour Slack, Uncertainty, Manpower Planning and Labour Market Information, Working Paper prepared under Project INS / 82 / 013, Jakarta, UNDP / ILOd, 1986, pp. 24 and 25. 18 United States Agency for International Development, Office of Education, Bureau for Program and Policy Coordination: Managers' Guide to Data Collection, Washington, November 1979.
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exist in this respect. Therefore, no more can be done at this stage than putting forward a few general, preliminary propositions which have been made in order to provide a sort ofproxy for a well-established and rigorous cost-benefit analysis in labour market information generation. Practice might start with trying to pose and find satisfactory answers to the following core questions: (a) What is the expected value of the availability of a particular labour market information item or area? Is this value likely to be smaller or greater than the costs of generating this information? (b) What is the value of the information generated as compared to some other (similar) activity, i. e. what are the opportunity costs ofthe resources involved? (c) How could the value of existing data be enhanced if additional resources (say 10,25 or 50 percent) to improve quality and representativeness were provided? It is coneluded that if decision-making on data generation is based on wellworked out answers to these questions it is likely to lead to the adoption of more realistic options in terms of data quality, timeliness and costs.
On the cost side, a primary consideration should be to keep information generation costs down as much as possible, though it must, of course, be remembered that the least cost option may not be satisfactory. First of all, it should be determined what the costs would be of possible alternative ways of generating basically the same information. This ineludes seeking the fullest possible use of existing data. Secondly, plans for collecting new or additional information should be purged of irrelevant objectives or of superfluous queries. And, thirdly, it is also very important to ensure that data generation is entrusted to fully trained staff familiar with information requirements and the need for economy. It is hardly necessary to stress that such principles and considerations can only be applied effectively if all concerned join in a fmnly established system of dialogue and cooperative effort. As pointed out before, a primary condition for this is the building-up of elose user-producer relationships which, unfortunately, is not met in almost all developing countries. Without such a basis, there is little hope for cost-benefit considerations to be given due weight in the proper generation and analysis of labour market information. It should also be quite obvious that this precondition alone does not suffice. To assess value and costs of different manpower information items competently, demands on the skill levels of those participating in such an operation are not to be underestimated. Therefore, adequate stafftraining, conducted in a systematic and continuous manner is another important prerequisite. However, in spite of an often-stated recognition of the importance of training and the availability of practical training guides for this purpose, respective activities have largely remained an ad-hoc and sporadic undertaking lacking organised and adequately financed underpinning.
Usefulness and Costs of Manpower Information and Forecasting
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These two issues have proved to be among the most intractable problems of recent nationally and internationally supported efforts to upgrade labour market information capacity in developing countries. Without adequately attending to them, work on cost-benefit aspects of labour market information generation is likely to continue to playamarginal and most unhelpful role. D. Main conclusions and a few suggestions This brief paper tries to make the point that policy- and decision-makers in education and vocational training planning have for many years been receiving conflicting signals concerning the usefulness of manpower forecasting for their work. One school ofhuman resources planners has insisted that inspite of admitted imperfections manpower forecasting and its most widely used methodology, the "manpower requirements" approach, is necessary if a sound basis for efficient policy-making is to be provided. Another school has severely criticised both approach and methodology questioning the many assumptions made about the relationships between the structure of jobs and their training / skill requirements. For the adherents of this latter school the issue is not "whether such forecasts are accurate or not, but whether the entire exercise is perhaps not misconceived in its very foundation".19 Faced with such diametrically opposed advice, most developing countries continue to go ahead in incorporating manpower forecasting activities into their planning and programming exercises. They obviously remain attracted by the straightforwardness and the intuitive appeal of manpower forecasting / projections, their comparatively frugal data demands - and perhaps also the absence of a workable alternative. In addition, the pressure exerted on them by aid-giving agencies in the educational and training field to provide some indications of the size and structure of the investments needed has kept the trade from going into bankruptcy. There is no doubt that considerable resources have been - and are being sunk into manpower forecasting operations. However, the returns have by all accounts been dismally smalI. Not only have most forecasts been documented as having been largely off the mark; they have also been shown of limited practical use for educational and vocational training decision-making or downright misleading for resources allocation. In any case, many vocational training planners have pointed out that in looking for detailed manpower forecasts for occupational groups and required skills, they merely found "projections in the form of generalities". 20 They stressed that left with these generalities, wastage of precious resources, both human and financial, was bound to occur. 19 Blaug, M.: Where are we now in the economics of education? University ofLondon, Institute of Education, London, 1983, p. 8. 20 Lampel, p. 1.
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It is only in recent years that this manpower planning dilemma gives signs of beginning to sort itself out. However, this does not seem to occur through the perfection and greater sophistication of forecasting methodology and an associated refinement of the increasing amount of data needs for this - as "the econometrician armed with a computerised model" often promises ... that with one more refinement the projections can be made robust". 21 Rather, the tuming point seems to be a re-orientation of the whole approach towards greater reliance on continuous labour market reporting and analysis which are to provide signals on changing manpower supply and demand relationships and interactions in different economic sectors, occupations and regions / localities. To ensure a regular flow of these signals and their timely analysis as guideposts for vocational training planning is the essence of this new orientation. 22 This pi aces great emphasis on manpower planning and education / vocational training planning as elosely interrelated processes. Manpower planners will have to abandon formal projection work in favour of capturing labour market signals and vocational training planners will have to give more attention to flexibility in their planning / programming to respond to these signals. This does not only call for elose collaboration, but for areal partnership between manpower and education / vocational training planners. Such a partnership is stilliargely absent in developing countries. More generally speaking, there does not exist an effective mechanism of bringing together main producers and users of manpower information for a elose dialogue to decide jointly what item or area of manpower information is useful and should be generated according to an agreed priority ranking. Mainly as a result of this deficiency, no elear picture is established of the costs incurred by the generation of manpower information and the actual use that is being made of such information and the benefits associated with it. Indeed, in most developing countries, apart from lip-service paid to cost-awareness, there have been no serious and continuous attempts to apply cost-benefit analysis to the generation and use of manpower / labour market information. The paper argues that the introduction of cost-benefit considerations into manpower planning for education and training policy, planning and programming might greatly help the above-mentioned re-orientation process which is just beginning to take momentum, i. e. the timely capturing of labour market signals which are relevant and at the same time relatively cost-effective. It stresses the two basic prerequisites for this to occur: the strengthening of collaboration mechanisms of bringing together information users and producers of manpower information for regular dialogue and joint decision-making and the upgrading of the technical skills of all participants in this partnership. Universities and Dougherty: Education and Skill Development: Planning Issues, p. 14. Richter, L.: Manpower planning in developing countries: Changing approaches and emphasis, in: International Labour Review, ILO, Geneva, Vol. 123, No. 6, 1984. 21
22
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research institutes have an important role to play in providing scientifically tested approaches and methods for adoption by this partnership arrangement. But this will take some time to be effected. In the short-term, what could be done in addition to the necessary efforts to bring about closer producer-user relationships and to raise the levels of skills of the personnel engaged in labour market information generation? A first step might consist of preparing the technical ground for undertaking cost-benefit calculations in labour market information by clarifying the problems involved and the possibilities of overcoming them through experimental country projects. Some quarters have proposed that it would be "a good idea to set up labour market information programmes first with policy analysts, i. e. economists, political scientists, sociologists, experts familiar with data utilisation - and only later to bring in the methodologists such as the statisticians". 23 But there is surely much more involved. The first question that springs to mind is how much later the methodologists should be brought in and what should be done with those agencies, organisations and institutions which are both producers and users of manpower / labour market information? And how could the unavoidable costs of generating labour market information not only be reduced but be shared between those who benefit from it? The generation of manpower / labour market information is generally considered to be the responsibility of the govemment and specifically of the central statistical services and the ministries of labour and manpower. But it is common experience that a service that is freely available is usually taken for gran ted and is not much thought of. The point of view that "manpower information is like any other commodity or service with associated costs and benefits and discemible rules to guide investment decisions" 24 does not appear to carry much weight in deciding what the nature and scope of national labour market information programmes should be in a particular country. All these issues relating to the cost-benefit nexus of labour market information and analysis would seem to be in dire need of more careful exploration. A useful starting point might be the conduct of a small research project selecting a limited number of (comparable) countries to find out (a) whatever cost-benefit assessments or estimates have been made in the field of manpower / labour market information generation, (b) what the major information users and producers feel about the usefulness of cost-benefit analysis, as integral part of labour market information generation and (c) what they consider to be the major problems and obstacles encountered and promoting ways and me ans of overcoming them.
23 24
Kelly, p. 25. Kelly, p. 23.
18 Festgabe Th. Dams
Responding to Social and Economic Change Agricultural Economics Curricula at two Universities in the U.S.A. and Africa By Heinz-Ulrich Thimm Theodor Dams has dedicated a considerable part of his active professional life to agricultural economics at the international university level. His efforts and guidance have influenced academic cooperation among industrialized and developing countries to the benefit of large numbers of students and scientists. A. Introduction This paper describes changes in present agricultural economics curricula at two universities, Auburn University, Alabama, U.S.A. and Egerton University, Njoro, Kenya. Both universities are taken as examples for academic institutions adjusting to prevailing or ancitipated demand for graduates in agricultural economics at different levels of economic development. Auburn University represents a case where training for self-employed farming or public posts in the agriculture related administration is declining sharply. Commercial jobs in agribusiness are of greater importance. Egerton University in contrast is preparing its graduates mainly for public sector employment, as long as the private sector cannot absorb the large number of students finishing each year their studies. Comparing curricula of two universities in market oriented economies at different levels of social and economic development, the author hopes to identify general trends, how academic institutions respond to change and what guidance is advisable to allow rational adjustment to changing conditions. Both universities started originally with aB. Sc. degree in general agriculture only before at a later stage specialization into various streams took place, particularly into Crop Production, Animal Production and Agricultural Economics as major lines of distinctive disciplinary orientation. Auburn University is the LandGrant-College of Alabama, established 1856 for instruction, extension and research, mainly in agriculture; today the University assumes the responsibility of "enhancing the economic, social and cultural development of the state" in a variety of science fields. The student enrollment in 1990 was 20.000. "Auburn 1S'
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University is committed to reassessing its objectives and programmes continually in order to assure their consistency with new knowledge and changing economic and social conditions". 1 Egerton University was established in 1987, in succession ofEgerton Agricultural College, which was founded 1922 for sons of British colonial settlers in Kenya. Previously offering diploma courses only, Egerton today is providing training for B. Sc. degrees in Agricultural Economics, Animal Production, Agricultural Engineering, Horticulture, Agriculture and Horne Economics, Agricultural Education and Extension. There is one other Faculty of Agriculture in Kenya at the University of Nairobi, offering a general degree in agriculture and an M. Sc. degree in Agricultural Economics. At present, the B. Sc. programmes have a duration of three years; but Kenya has decided to introduce a general 8-4-4 educational system bringing all university training to four years in the near future. The author follows the universities' programme outlines, regulating B. Sc. training in 1990. The Egerton University Catalogue of 1988/89 mirrors already recent course changes, which will govem the training of under-graduate students from 1991 intake onward; especially more skills in mathematics, communication in speech and writing as weIl as business ethics will be emphasized.
B. Programme Differentiation Job opportunities for Aubum graduates are ranging from farms to those firms preparing food and fiber for the ultimate consumer, and to the firms and agencies that serve and oversee the industry. Agribusiness is the largest industry in the U.S.A., accounting for about a fifth of the total economic output and one in every five jobs. The most recent study on "Characteristics and Status of Graduates of the Department of Ag Econ and Rural Sociology"2 of May 1989 shows that 75 % of the responding post - 1969 B. Sc. graduates from Aubum University have found employment in agriculture, agribusiness, and related fields. Agribusiness (24 %), finance and credit (21 %) were most important; 10 % went into education, 9 % into farming, and 8 % into govemment jobs. The remaining 28 % among the respondents reported non-agriculture occupations of a great variety from insurance, investment, real estate, etc. to computer, construction, catering firms, etc. The average figures cover market differences between time periods. Employment in the farming sector showed decreasing numbers, consistent with some decline in agribusiness due to the overall economic decline since 1985; 1 Aubum University 1989-1990 Bulletin USPD 036-900, Volume 84, No. I, April 1989. 2 Characteristics and Status of Graduates of the Department of Agricultural Economics and Rural Sociology, Aubum University, 1936- 86, Department Series No. 13, May 1989.
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while 12 % of the graduates of 1970-74 reported farming jobs, for the groups 1985 - 86 only 3 % could be identified in farming employment. The mobility of graduates has increased considerably. Among the 1970-74 graduates 48 % held two jobs, 18 % three, 16 % four, and 16 % five jobs. Among the 1985-86 graduates already 87 % reported having held a second job. Of the 67 resp. 21 individuals beginning their careers in agribusiness and education, only 39 and 12 resp., reported jobs in the same categories they started at the beginning. Job opportunities for Egerton graduates show a different picture. While there is no documentation available for most African universities about job selection and job performance, there is enough evidence, that most graduates are employed by governments for administrative, teaching, extension and research jobs. The number of graduates going into the private sector is increasing, but is roughly estimated of being not more than one third of the total. Kenya is presently looking for qualified manpower for a still increasing number of jobs in the public service, but the rate of increase is slowing down. Budget allocations for universities have been partly dictated by the pressure from below to allow the growing number of schoolleavers access' to university education and to replace expatriates through qualified local manpower. In the case ofEgerton University, the B. Sc. graduates in agricultural economics look for jobs without assurance that government employment will exist. But one is sure to say that the majority will finally reach the government sector anyway. The opportunities of going into private farming or into commercial agribusiness are still remote for university graduates if looking for salaried jobs. While Kenya tries to overcome "shortage ofmanpower with appropriate knowledge and skills necessary for efficient and effective decision making in the process of utilization and management of scarce resources"3, Aubum University will enable the graduates to find an individual niche in a competitive economy of vast diversity and income opportunities. The objectives of the B. Sc. degree programme in agricultural economics at Egerton University are stated as follows: "To produce manpower that ultimately is expected to contribute towards the goal of self-reliance for specialized manpower in national development, graduates should be able to analyse and to explain the physical, biological and agricultural market environment as weIl as the economic and social implications of changes in agricultural policy. Carry out effective extension work among farmers. Do sectoral and project planning, teaching and research, supervise agricultural project development and administration. Pursue self-employment. Prepare for further studies for higher degrees". 4 3 Egerton University Catalogue 1988/1989 Egerton University, P.O. Box 536, Njoro, Kenya, 1988. 4 Egerton University Catalogue 1988 / 1989 Egerton University, P.O. Box 536, Njoro, Kenya, 1988.
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We may, therefore, conclude, that the main distinction will remain valid also during the 1990s: Aubum graduates have to be prepared for a large number of commercial jobs, especially in service fields, sometimes only vaguely connected with agricultural production as such. Egerton graduates in contrast have to leam skills which are useful in planning and implementing public development programmes to raise agricultural productivity. Tbe advanced stage of occupational opportunities is primarily mirrored in the number of options open to students of the two universities. Again, only major points can be discussed. At Aubum, a graduate is required to take a total of 210 quarter hours over a study duration of four years. He can select among four options or career paths: -
general agricultural economics,
-
agribusiness management and marketing,
-
farm management,
-
natural resources management.
All career paths emphasize managerial competence and promote the individual decision making capacity . Traditional priority on farm and firm management has been supplemented by "natural resources management". Environmental concern in the society has opened a new venue. But public institutions are hoped to be primary employers, before private firms offer jobs at larger numbers in this new field. At Egerton University a student does not have such a choice. Egerton provides only one programme: general agricultural economics. Tbis is a programme over three years at present, offering a total of 103 lecture and 47 practical hours. During the second year an additional field attachment has to be passed successfully. It seems obvious that state funded universities will stick at first to the needs and goals of govemments while developing new educational programmes. Egerton University has to perform this task in a direct way, while Auburn University can imply that promoting individual employment opportunities will promote the social welfare at the same time. Tbe Egerton University Catalogue mentions expressively "national de"9'elopment" as objective for training in agricultural economics; the Auburn Bulletin does not describe such goals. Tbere is apparently a general tendency that during earlier stages of economic and social development, the govemment fully determines direction and extent of educational needs. During later stages training institutions and individuals define their place in development themselves, and govemment usually pays a larger part for it.
A second observation is, that at the beginning in most state funded universities the majority of their graduates is looking for govemment jobs. Tbis was true during the first decades of American Land-Grant-Colleges for general agriculture
Agricultural Economics Curricula in the U.S.A. and Africa
279
degree holders as weIl as it is today for degrees in natural resources management. At a lower stage of economic progress it makes sense to expand manpower intensive government programmes at fIrst, to allow university graduates to contribute to national development. There is a need to fInd a better balance of government fInanced supply of university graduates and demand for them through governments. A third observation is that a high degree of environmental concem, as reflected in a career path option at Aubum University, is the "privilege" of high income countries only. There are apparently suffIcient resources for staff, research, and extension to allow such "luxury". Kenya cannot afford to promote environmental sciences and is graduating students in agricultural economics withouth enough knowledge (and concem?) about the scarcity of the local natural resources, keeping in mind, that the annual population increase is around 4 %.
C. Course Content A comparison of course contents offered by the respective departments at Aubum and Egerton Universities reveals interesting details. The programmes are categorized into micro- and macroeconomics, leaving service courses given or received from other faculties outside of this analysis at the moment. Figures indicate hours per week of lectures and seminars I practicals.
Egerton University: B. Sc. Agricultural Economics Curriculum Macro Economics
Micro Economics 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
8.
9.
10. 11.
Principles of Economics Principles of Accounting Mathematics for Economists Managerial Accounting Production Economics Farm Management Resource Economics Intermediate Econ Theory Cooperative Organisation and Management Business Management Comrnunication
(4:4) (3,5:3) (2:2) (3,5:3) (2:2) (4:4) (3:3) (4:4) (2:2) (4:4) (2:2)
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
8. 9. 10. 11.
Economic Development Agric Policy and Law Agric Project Planning Agric Finance Agric Supply and Demand Analysis Farming Systems FundamentaIs of Marketing Extension Education Principles of Economics Quantitative Methods Rural Sociology
(3:3) (4:4) (3:3) (3:3) (3:0) (2:2) (3:3) (3:3) (4:4) (4:3) (3:3)
These courses offered by the Department of Economics of Egerton University are supplemented by basic agricultural science courses like general zoology, microbiology, plant pathology, chemistry, crop and animal production, and animal diseases. There are also courses in statistics, computer science, and agricultural engineering. One independently written thesis is required.
280
Heinz-Ulrich Thimm Auburn University: B. Sc. Agricultural Economics Curriculum Micro Economics
l. Introduetion Ag Eeon 2. Ag Economies I 3. Ag Economies 11 4. Farm Reeords and Tax Manag. 5. AgrieulturaI Cooperatives 6. Mieroeomputer Applieation 7. Farm Appraisal 8. Farm Management 9. Resouree Economies 10. Ag Business Management 11. Introd. to Rural Sociology 12. Extension Methods
Macro Economics (1) (5) (5) (5) (3) (3) (3) (5) (5) (5) (5) (5)
l. Agrieultural Marketing 2. Agrieultural Finanee 3. Agrieultural Law 4. Agrieultural Priees 5. Agrieultural Poliey 6. Econ Aspeets Water Resourees 7. World and V.S. Ag. Trade 8. Ag Business Internship 9. Senior Seminar 10. Direeted Studies 1l. Community Organization 12. Sociology of Natural Resourees
(5) (5) (5) (3) (3) (5) (5) (1-5) (1) (1-5) (5) (5)
These courses, offered by the Department of Agricultural Economics and Rural Sociology of Aubum University, are supplemented by basic science and humanity courses like biology, history, mathematics, English composition, professional communication, business ethics, technical writing, money and banking, statistics, and accounting. General electives are weather and elimate, personal finance, labor economics, govemment and society, economic systems, history of economic thought, regional economic development, and commercial aquaculture. While the first subjects of micro and macro economics show a remarkable similarity in topics and time periods required, the general electives indicate the larger capability of an American university to provide additional courses for individual students to enhance personal comprehension. This is of particular importance when tuming to the four career paths available to Aubum students. Offered by the Department of Ag Economics and Rural Sociology, combined with courses from other departments, such paths will lead to specializations, which an under-graduate student in Kenya may not need or cannot use at the moment. A career path student at Aubum is required to take at least 40 hours from his respective option. This large number of courses to choose from indicates that Aubum has the staff to offer so many specialized courses. The university has in addition the research potential to create knowledge in these fields. Aubum, therefore, provides sufficient capacity to equip the individual student with subjects very elose to his or her job opportunity or interest. Career path students in the B. Sc. Agricultural Economics programme can select from the following list of courses at Aubum University:
Agricultural Economics Curricula in the U.S.A.
A.
Agribusiness Management and Marketing Option
I. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.
Ag Cooperatives Farm Appraisal Prine. of Bus. Finanee Small Bus. Finance Adv. Bus. Finance Prine. of Management Human Resouree Mgt. Organization Behavior Prine. of Operations Mgt. Mgt. Decision Making Mgt. Information System Entrepreneurship Small Bus. Management Merchandising Management Quant. Analysis Marketing Fundamental Salesmanship Buyer Behavior Princ. of Transportation International Marketing Commun. in Organziation Industrial Organization Bus. & Eeon Forecasting Intro. Food Scienee & Teehn.
3 3 5 5 5 4 5 4 4 4 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 3
and
Africa
B.
Farm Management Option
I. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.
Fund. of Chemistry I and 11 Farm Record & Tax Mgt. Agr. Cooperatives Farm Appraisal Soil & Water Teeh. Agr. Mach. Teehn. Traetor & Engin. Teehn. Farm Building Techn. Agrie Process Techn. Princ. of Grain Produetion General Soils Princ. of Weed Scienee Prine. of Forage Produetion Fiber & Oil Crops Prae. Livestock Mgt. Techn. Anim. Bioehem. & Nutrition Feeds & Feeding Beef Produetion Dairy Cattle Produetion Swine Produetion Commercial Meat Produetion Comrnercial Egg Production Weed Identifieation Econ. Entomology Forestry Wood Owners General Plant Pathology
281
10 5 3 3 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 2 5 4 5 5 5 5 5 3 5 5 5
Together with his / her basic courses and general agricultural electives of 170 quarter hours, the student, taking 40 hours from these options, is certainly prepared to fill either jobs in agribusiness and marketing or in farm management. In the judgement of the author this specialization is necessary in the U.S.A. because of the high degree of differentiation in the economy and need for qualified employees, -
justified, given the staff capacity of the university to supply qualified teaching personnel and research opportunities, appropriate in the sense, that the balance between core courses and electives is roughly 5 : 1, flexible enough to allow electives from a larger list of courses in various combinations, based on manpower studies and responses to graduate questionnaires, connected with farm and business internships to strengthen practical abilities of students in the subject area choosen.
The Auburn University's concern for training in Natur~1i Rcsources Management is documented in the following list of courses:
282
Heinz-Ulrich Thimm
c.
Natural Resources Management Option
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Fund. of Chem. I and II Fann Appraisal Econ. Water Res. Management Soil & Water Techn. Environ. Qual. & Agriculture General Soils Soil Res. & Conservation Planning & Environmental Perception Real Estate Development Rural & Com. Planning Environmental Biology Environmental Economics Wildland Recreation Philosophy & Policy Location Analysis Resources & Environment Wildlife Conservation Principles of Ecology Sociology of Nat. Res. & Environment Economic Entomology Principles of Wildlife Management Wildlife Philosophy & Policy
1l. 12.
13.
14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.
10 3 5 5 4 5 5 3 5 3 5 5 3 5 5 3 5 5 5 4 5
Public pressure to do more for environmental protection has caused the university to offer such a stream, but jobs in the private sector are developing slowly. In the beginning they are offered by larger business firms, private organizations, media, etc. The situation is mirrored by the fact that courses offered for this career path are located in 13 different disciplines and departments of several faculties. Only future research will show wether or not this combination of disciplinary courses adds up to an optimal interdisciplinary approach. As often is the case in new academic fields, no national concept exists, how natural resources management shall be taught in the U.S.A. Course contents are therefore taken from existing disciplinary supply, hopefully meeting the recognized demand. It may be necessary to support Kenya not to wait that long, as most U.S. universities did, but start environmental protection courses immediately because of the urgent need for action. The respond of universities to social and economic change can be identified by looking at the historical sequence of academic training at Auburn University. During the -
second half on the nineteenth century, the training centered around farming as a way of life and sole employment opportunity,
-
first half of the twentieth century the training shifted to farming as one alternative income source among others in industries,
-
past World-War 11 period the training provided for a great variety of agribusiness jobs in production and services,
Agricultural Economics Curricula in the U.S.A. and Africa -
283
last two decades of the twentieth century the training combines agribusiness orientation with environmental concern and restrictions. A similar sequence for Egerton University shows the following priorities:
-
1920s and 1930s: training for competence in tropical agriculture for white settlers; 1950s and 1960s: transition period to include local African students into the educational system for general agriculture;
-
1970s and 1980s: training goals and curricula contents are geared to promote farming as a development tool to increase production and income;
-
1990s: training specializes into different streams recognizing agribusiness opportunities and environmental restrictions of resource use.
Trying now to evaluate the present B. Sc. programmes at both universities in such a light a simple scheme of ten criteria might be helpful, as shown in the following listing. One to three crosses are used to indicate light (X), medium (XX), and full (XXX) emphasis of course contents on major topics of relevance at different levels of economic development. B. Sc. Agricultural Economics Curricula Priorities at Auburn and Egerton Universities
B. Sc. Orientation 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Agricultural Production Fann Management Agribusiness Management Government Service Agricultural Policy Natural Resources Development Constraints Communication & Extension Cooperative Development Science & Research
Auburn Egerton University University
x
XXX
XXX
X
X
XXX X
XX X
XX
XXX
XX X XXX XX XX XXX XX XX XX
Auburn University has chosen to split agricultural economics equally into three streams, providing training in special fields of farm management, agribusiness management and marketing, and natural resources management. Students will be less exposed to production aspects, government service, agricultural policy, and cooperative development. They do not get sufficient training in problem solving capacity for economic and social problems of developing countries. Their preparation for being communicators and extension agents as weH as for working in science and research is at an average level. Egerton University training has its relative strength, given the institutional and manpower limitations, in raising agricultural production against a multitude of development constraints. Government service performance is expected to be
284
Heinz-Ulrich Thimm
improved. While fann management is stressed, agribusiness management and natural resources management take a second place. Training in policy, communication, extension, cooperative development, and research methods receive little emphasis.
D. Summary and Condusions Comparing the B. Sc. agricultural economics programmes at two different universities, one in U.S.A., and one in Kenya, can serve as a starting point for some useful recommendations for further institutional development at both places. Aubum University offers the students: -
to specialize training according to his / her interest for a wide field of job opportunities, either self- or salary employed,
-
to choose from a large number of different courses supplied by many departments on the basis of excellent library facilities.
Egerton University represents a still growing academic institution, modelIed after European and U.S. American standards, in a society where poverty is still widespread for students: -
the private job opportunities are limited and govemment service employment dominates job expectations,
-
the specialization is limited due to smaller resources for academic education, research and public information.
The overriding dominance of development goals for direction and volume of academic training in Kenya has to be accepted as a matter of necessity and not of choice. But a few conclusions can be drawn from comparing both institutions: Aubum University prornotes competitive individual performance of their graduates, given a society of relative affluence. Aubum University is developed to a stage where it can react easily (!) to changing social needs, e. g., in the field of natural resources management, by combining existing academic programmes into new combinations. But Aubum University faces the danger to take a new combination of academic subjects as a substitute for new concepts, which are necessary to manage a new world of diminishing resources. Egerton University prornotes primarily the performance of social and economic institutions, especially govemment agencies, by training students for such employment. It is not funded and equipped to react fast enough to the needs in the field of natural resources management. With few disciplines and departments available, Egerton University cannot combine courses already offered in various faculties but has to develop a concept and the institution al structure for protecting natural resources simultaneously.
Entwicklungspolitik
Entwicklungspolitische Ideale im Wandel der Zeiten, eine dogmenhistorische Betrachtung Von Karl Brandt Wachstum, Entwicklung, Dynamik sind Ausdrücke, die trotz fachspezifischer Verwendung eines gemeinsam haben, sie richten sich auf Ausdehnung und Schrumpfung, auf Veränderung, auf die Aufeinanderfolge von Zuständen und Gebilden, gleichgültig, ob dabei an Höherentwicklung und Vervollkommnung oder einfach nur an stärkere Differenzierung und höhere Komplexität gedacht wird. In der älteren Nationalökonomie wurden die auf Sukzession, Bewegung und Fortschritt gerichteten Kräfte mit dem Begriff "Dynamik" eingefangen, heute spricht man mehr von Wachstums- und Entwicklungsphänomenen. Wachstum ist dabei jeder Prozeß der Ausdehnung ökonomischer Größen, in der Makroökonomik insbesondere die extensive oder intensive Vermehrung des Sozialproduktes. Obwohl die Vorstellung von Entwicklung in der Regel Wachstumsvorgänge einschließt, ist der Entwicklungsbegriff weiter gefaßt. Hier dient nicht mehr, wie bei der Wirtschaftsdynamik, die klassische Mechanik als Vorbild, sondern die Biologie, die in der Ontogenie auf Stadiendurchläufe und Wandlungen der Einzelwesen, in der Phylogenie auf die Evolution der Organismen abstellt, mit so charakteristischen Vorgängen wie Mutation und Auslese. Folgerichtig beschränkt man meistens die Wachstumstheorie auf hoch aggregierte Makromodelle, die Gleichgewichtspfade ökonomischer Expansion beschreiben und damit notwendigerweise Strukturkonstanz im Modellansatz zur Voraussetzung haben. Die Entwicklungstheorie greift weiter aus. Sie schließt alle Faktoren, die Fortschritt, Rückschritt, Veränderung erklären, in die Untersuchung ein. Der Strukturwandel, auch soweit er außerökonomisch verursacht wird, gehört dazu. I In jüngerer Zeit hat sich eine besondere Form der Entwicklungstheorie herausgebildet. Sie zielt auf "underdeveloped countries" und sucht nach wesens gemäßen Bestimmungsgründen der Unterentwicklung, wie z. B. Bevölkerungsüberschuß oder Kapitalmangel. Derartige Erscheinungen liefern die Grundlagen für die Entwicklungspolitik. Überwindung der Unterentwicklung, dieses "Teufelskreises der Armut", lautet die Zielsetzung, und dies heißt Abbau des Wohlfahrtsgefalles zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. 2 Allerdings gibt es keine abgeI Besters, Hans: Theorien zur wirtschaftlichen Entwicklung, in: Besters, H.I Boesch, E. E.: Entwicklungspolitik, Handbuch und Lexikon, Stuttgart u. a. 1966, S. 263. 2 Dams, Theodor: Entwicklungspolitik, in: Staatslexikon, 6. Aufl., Bd. 9, Freiburg 1969 (7. Aufl. Bd. 2, Freiburg 1986), S. 1050 f.
288
Karl Brandt
schlossene Entwicklungstheorie, vielmehr verschiedene Ansätze mit partiellem Geltungsanspruch und meistens nur losem Brückenschlag zwischen den einzelnen Konzeptionen, wobei bei den einen außerökonomische, bei den anderen ökonomische Aspekte der Unterentwicklung den Aufhänger für politisches Handeln abgeben. 3 Trotzdem zeichnen sich im Grundsätzlichen gewisse Übereinstimmungen ab, die in der geforderten Mobilität der Ressourcen und dem Abbau außenwirtschaftlicher Abhängigkeiten zum Ausdruck kommen. Dies sind aber Phänomene, die, wie der geschichtliche Rückblick zeigt, immer schon für entwicklungstheoretische Überlegungen von Bedeutung waren. Insofern ist es gerechtfertigt, ganz allgemein von entwicklungspolitischen Idealen zu sprechen und diese nicht nur auf die Entwicklungsländerproblematik zu beschränken. Für dogmengeschichtliche Vergleiche kann auf bestimmte Entwicklungsfaktoren, wie Bevölkerung, Faktorausstattung, Kapitalbildung, technischen Fortschritt 4 abgestellt werden oder auf entwicklungshemmende Faktoren, die deutlicher zeigen, wodurch Unterentwicklung entsteht. Immer wieder genannte Entwicklungsbarrieren sind der Dualismus zwischen der Subsistenzwirtschaft und dem Marktbereich, versteckte Arbeitslosigkeit, Bevölkerungsdruck mit Wirksamwerden der Malthusschen Falle, die Selbstverstärkung der Armut aus Kapitalmangel und geringer Sparfahigkeit, sowie fehlende Leistungsmotivation oder mangelnde Harmonie in den Außenwirtschaftsbeziehungen. Die Beurteilung entwicklungsfördernder oder -hemmender Faktoren ist in Vergangenheit und Gegenwart nicht einheitlich. Außerdem hat heute die Entwicklungsidee durch die Lösung von nationaler Bindung eine neue Ausrichtung erfahren, während früher Entwicklung fast ausschließlich als nationale Aufgabe angesehen wurde. Gestaltungsentwürfe und Strategiekonzepte sind umstritten 5, selbst wenn dahinter gleichartige theoretische Grundüberzeugungen stecken. Über Vorund Nachteile eines "balanced growth"6 ist man sich ebenso wenig einig, wie über die Fähigkeit zur Angleichung der Wachstumsraten über den Außenhandel, mit der Theorie des bösen Exports auf der einen, der postkeynesschen Wachstumstheorie und der Theorie der nachhinkenden "peripheren Länder" 7 auf der anderen Seite. Um so mehr verdienen die Leitbilder unser Interesse, weil sie den erkenntnistheoretischen Hintergrund der Entwicklungsideen erhellen und offenbaren, wie mit wechselnden Theoriekernen die Gestaltungsideale modifziert und neu formuliert werden. 3 Knall, Bruno: Entwicklungstheorien, in: Handwärterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 2, Stuttgart 1980, S. 421 f. 4 Hesse, Helmut / Sautter, Hermann: Entwicklungstheorie und -politik, Bd. I, Tübingen 1977, S. 7. 5 Dams, Theodor: Weltwirtschaft im Umbruch, Konfrontation oder Kooperation mit der Dritten Welt?, Freiburg u. a. 1978, S. 41. 6 Giersch, Herbert: Konjunktur- und Wachstumspolitik, Wiesbaden 1977, S. 305. 7 Dams, Theodor / eh. Miczaika / M. May: Handelspolitik im Dienste der Entwicklungspolitik, in: Th. Dams, Entwicklungshilfe - Hilfe zur Unterentwicklung? , München 1974, S. 102; Külp, Bemhard: Außenwirtschaftspolitik, Tübingen 1978, S. 152.
Entwicklungspolitische Ideale im Wandel der Zeiten
289
Voll und ganz auf Entwicklung eingestellt sind bereits die Merkantilisten. Sie lösen sich vom scholastischen Weltbild, setzen bewußt auf Veränderung und stellen die Wirtschaftsentfaltung in den Dienst der Wohlfahrtssteigerung. Ihr Entwicklungsideal heißt Strukturwandel aus eigener Kraft. Deshalb sind sie an der Institutionalisierung von Zentralgewalt interessiert, deshalb fordern sie den Ausbau der Geldwirtschaft, des Gewerbes, des Verkehrs. In der Wohlstandspolizei werden die Maßnahmen zur Stärkung der wirtschaftlichen Kräfte gebündelt. Voran steht die Erschließung der natürlichen Hilfsquellen eines Landes. Der Ausbau der Handelsbeziehungen sowie die Kolonialpolitik sind ergänzende Mittel, Wachstum zu mobilisieren. Niederlassungen als exterritoriale Bestandteile des Mutterlandes und der eigenen Souveränität unterworfene Kolonien fördern die heimische Produktion, sie stärken gleichzeitig die Verhandlungsmacht bei notwendig werdenden Handelsverträgen. Diese bieten zwar Vorteile für beide Seiten, aber für den englischen Unterhändler des nach ihm benannten MethuenVertrages stand die Exportsicherung durch Ausschaltung fremder nationaler Konkurrenz voran. 8 Die aktive Handelsbilanz, so lehrt das Beispiel der Handelsverträge, bietet Ersatz für nicht in vollem Umfang durchsetzbare Autarkie. Die mit dem Strukturwandel verbundenen Anpassungsprobleme sollen durch Intervention, in erster Linie Maßnahmen des Produktionsschutzes, gemeistert werden. Dieser dient nicht nur generell der Wachstumsförderung, sondern erleichtert auch den Übergang von der zunächst dominierenden Landwirtschaft zu einem umfassenderen gewerblichen Marktsystem. 9 Daß bei aktiver Handelsbilanz Edelmetall ins Land fließt und wie eine inländische Produktionssteigerung wirkt, ist allgemein vertretene merkantilistische Ansicht. Aber daraus darf man nicht folgern, daß im Merkantilismus durchweg Kapital mit Geld verwechselt worden ist. Bei T. Mun und eh. Davenant wird schon deutlich, daß Geld nur die Produktion in Gang setzt, Reichtum dagegen erst aus der Produktion hervorgeht. Das merkantilistische Entwicklungsideal bindet im übrigen den Souverän an eine "prudentia regnativa", die als "landesherrliche Wohlstandspflege" die Verpflichtung auf das Gemeinwohl einschließt. J. H. Jung-Stilling hat dies in seiner Kaiserslauterner Antrittsvorlesung unterstrichen. Es ist die Pflicht der Staatsführung, "die Gewerbe so zu lenken, daß ein jedes auch des anderen und zugleich aller Glückseligkeit befördern möge". 10 Arbeit, Kapital, Technik sind die Wurzeln erfolgreicher Wohlstandspflege, daher die aktive Bevölkerungspolitik, Erleichterung der Einwanderung, aber auch Maßnahmen der Landreform und der inneren Kolonisation. Kapitalbildung ist Voraussetzung für die Gewerbeförderung, Arbeit und Kapital gehen dabei Hand in Hand, 8 Rathgen, Karl: Methuen-Vertrag, in: Wörterbuch der Volkswirtschaft, Bd. 2, 3. Aufl., Jena 1911, S. 379. 9 Wilbrandt, Robert: Einführung in die Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, Die Entwicklung der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 1924, S. 4. 10 Jung-Stilling, Johann Heinrich: Wirtschaftslehre und Landeswohlstand, Sechs akademische Festreden, Berlin 1988, S. 20.
19 Festgabe Th. Dams
290
Karl Brandt
denn es sind zwei Quellen, auf die sich die Reichtumsmehrung stützt, wie J. G. Darjes sagt, die "Anwendung unserer Kräfte und bereits erworbener Güter". II Auf Arbeit und Kapital als wichtigste Entwicklungsfaktoren hat erstmals W. Temple aufmerksam gemacht. Er stellt auf die Tugendhaftigkeit der Arbeit ab, tadelt den Luxus und lobt das Sparen als unumgängliche Voraussetzung für Entwicklung. Effizienzverbesserungen durch Schulung von Arbeitskräften und ein niedriger Realzins sind im übrigen anerkannte Mittel der Entwicklungsförderung. Umgekehrt sieht man in bestimmten Institutionen Entwicklungshindemisse. Nach J. Becher unterdrückt das monopolium die Bevölkerungsvermehrung, im polypolium ist wegen übersteigerter Konkurrenz die Idee der Nahrung gefährdet und das propolium hindert die Gemeinschaftsbildung. 12 Die nationalstaatlieh ausgerichtete Politik des Merkantilismus ist zweifelsohne auf Fortschritt eingestellt gewesen. Dennoch ist fraglich, ob nicht durch nationale Abschottung vorhandenes Entwicklungspotential brach gelegt wurde. Die absolutistische Wirtschaftspolitik hat dazu beigetragen, nationale Neidkomplexe aufzubauen, es gelang ihr auch nicht, Unterschiede in den Entwicklungsniveaus in großem Umfang abzubauen. Das war mit ein Grund dafür, warum sich die Kritik der klassischen Nationalökonomie gegen die autoritäre Staatsgewalt und die Verhinderung eines freien, ungebundenen Warenverkehrs richtete. Den Auftakt bringen bekanntlich die französischen Reformmerkantilisten und die Physiokraten zuwege, mit ihrer Forderung nach Laissez-faire und einer von Staats bevormundung frei bleibenden Wirtschaftsordnung. Die englischen Klassiker schließen sich dem an. Sie wollen eine "individualistische und utilitaristische Wirtschaftsgesellschaft", in welcher der Staat lediglich die institutionellen Bedingungen für ein System freier Entfaltung schafft. 13 Das anthropozentrische Weltbild der Klassiker führt, in dem Vertrauen auf ständige Verbesserungs- und Vervollkommnungsfahigkeit, zu einem Leitbild der Entwicklung, das lediglich die Beseitigung von Entwicklungshemmnissen verlangt, um alle Kräfte auf die möglichst rasche Durchsetzung der natürlichen Ordnung zu zentrieren. Barrieren der freien Entfaltung sind Verkehrsbehinderungen, Niederlassungsbeschränkungen, Monopole; ihre Beseitigung ruft nach Freiheit des Handels, ohne nationale Zollgrenzen oder andere restriktive Handelsschranken. Nur so dient man dem wohlverstandenen Interesse am besten, dem Prinzip der sozialen Nützlichkeit, bei dem Entwicklungsunterschiede zwischen den Nationen durchaus auftreten können, aber irgendwie von allein abgebaut werden, weil der "progres de l'esprit humain", wie A. Condorcet verkündet, in einen Zustand der Gleichheit der Geschlechter, Klassen und Völker einmündet. 11 Roscher, WilheIm: Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland, München 1874, S. 419. 12 Stavenhagen, Gerhard: Geschichte der Wirtschaftstheorie, 4. Aufl., Göttingen 1969,
S.25.
13 Giersch, Herbert: Allgemeine Wirtschaftspolitik, Grundlagen, Wiesbaden 1960, S. 141.
Entwicklungspolitische Ideale im Wandel der Zeiten
291
Drei Aspekte sind für die klassische Entwicklungsidee von Bedeutung. Erstens die schon erwähnte Beseitigung von Entwicklungshindernissen, zweitens die Analyse der entwicklungsfördernden Faktoren, bei den Klassikern vor allem Arbeitsteilung und Kapitalbildung, und drittens die von den Optimisten unter den Klassikern vertretene Vorstellung eines permanenten Fortschreitens mit vorgezeichnetem Entwicklungsgang im Sinne der genannten Vervollkommnungsfahigkeit der Gesellschaft. Die Beseitigung innerer und äußerer Handelsschranken findet sich schon bei R. L. d' Argenson, ist also reformmerkantilistisches Gedankengut; die Formulierung d' Argensons mutet geradezu modem an, wenn er ausruft: "ganz Europa soll ein allgemeiner und gemeinschaftlicher Markt sein". 14 Die englischen Klassiker haben für solche Forderungen mit dem Wettbewerbsmodell, der koordinierenden unsichtbaren Hand und den komparativen Kostenvorteilen allerdings erst die theoretische Untermauerung geliefert. Zu den entwicklungsfördernden Faktoren zählt bei den Klassikern alles, was geeignet ist, die Produktivität zu steigern. Letzten Endes lassen sich derartige Verbesserungen auf verschiedene Formen der Arbeitsteilung zurückführen. Vorbedingung ist die Kapitalbildung, die nur aus Konsumverzicht hervorgehen kann. Die Verurteilung der Verschwendung folgt einerseits der Kritik am höfischen Luxus, ist andererseits aber auch Ausdruck puritanischen Lebensgefühls, jedoch keineswegs auf England beschränkt. K. Steinlein, ein deutscher Vertreter der klassischen Lehre, sieht in übersteigertem Konsum und der Kapitalaufzehrung maßgebliche Entwicklungshindernisse: "Wer sein Capital verzehrt, der Verschwender, ist einem Menschen ähnlich, der das Einkommen ... seiner Bestimmung entfremdet". Unternehmer, die mangels erforderlicher Kenntnisse nicht markterfolgreich zu wirtschaften verstehen, sind genau so zu beurteilen: "Der Unverstand der Unternehmer hat dieselbe Wirkung wie die Verschwendung". 15 Die Harmonievorstellung der Klassiker bedeutet funktionale Abgestimmtheit aller Systemelernente, Störungen sind möglich, aber tunlichst zu vermeiden. T. R. Malthus hat im Bevölkerungsgesetz solche Störfaktoren angesprochen. Vermeidung ist entwicklungspolitisch besser als nachträgliche Beseitigung, deshalb sind "preventive checks" den "positive checks" vorzuziehen. Bei D. Ricardo kommen zusätzlich Klassengegensätze aus widerstreitenden Interessen ins Spiel, des weiteren die Freisetzung aus neuen Techniken, die eine aus dem Fortschritt selbst erwachsende Entwicklungsbarriere ist, wie vor allem J. Ch. Sismonde de Sismondi gegen J. B. Say und J. R. Mc Culloch vorbringt. Die genannten Hemmnisse sind auch im internationalen Handel wirksam. Ein Vorsprung in der Technik schafft Entwicklungsunterschiede mit Folgewirkungen auf die Beschäftigung, wie beispielsweise die Verdrängung der indischen Textilhandwerker vom englischen Markt nach Einführung des mechanischen Webstuhls, anklagend umschrie14
15
19'
Dncken, August: Geschichte der Nationalökonomie, 1. Teil, Leipzig 1922, S. 274. Steinlein, Karl: Handbuch der Volkswirtschaftslehre, München 1831, S. 406 f.
292
Karl Brandt
ben mit dem Schlagwort: " Die Gebeine der Weber bleichen die Ebenen Indiens".16 Entwicklung bedeutet für die Klassiker Fortschreiten zu höherer Kulturstufe, bis letzten Endes ein harmonischer Endzustand erreicht wird. Bei A. R. Turgot und A. Comte kommt dies im Dreistadiengesetz zum Ausdruck, bei H. Spencer in der evolutionären, sich ständig verbessernden Anpassung an die Umwelt. Im Ausleseprozeß der Anpassung gibt es Interessenkonflikte, sie sind notwendig, um zum "allgemeinen Interesse" zu finden, dessen Durchsetzung Voraussetzung für Fortschritt ist. Unabhängig vom Sozialdarwinismus haben andere Klassiker ihr Vertrauen in eine sich selbst regulierende Entwicklung bekundet. Ch. J. Kraus stützt dieses Vertrauen auf Vernunft, Freiheit und den Vervollkommnungstrieb der Menschen, J. von Soden und H. Storch auf eine natürliche Entwicklungsfolge, bei der die reife Landwirtschaft das Tor für eine umgreifende gewerbliche Produktion öffnet. 17 Auf eine Stufenfolge im Entwicklungsgang der Volkswirtschaften stellt auch Ch. Garve ab, der bekannte Übersetzer des Werkes von A. Smith. Zunächst sind alle Menschen gleich, wegen geringer Zivilisation aber gleich ungeschickt. In der zweiten Phase entstehen räumliche Differenzierungen, weil sich der Fortschritt vom lokalen Ursprungsort nur allmählich auszubreiten vennag. Auf der letzten Stufe werden die Randlagennachteile wieder aufgehoben, die ursprüngliche Gleichheit bildet sich zurück, jetzt natürlich auf höherem allgemeinen Entwicklungsniveau. 18 Die stufentheoretischen Ansatzpunkte lassen eine gewisse Distanz zum Ideal des stationären Zustandes erkennen. Deutlicher kommt dies noch bei dem zur deutsch-russischen Schule gehörenden Ch. Schlözer zum Ausdruck. Er unterscheidet zwischen jungen, unentwickelten und reifen, entwickelten Volkswirtschaften, wobei die Alterungsphasen keineswegs synchron durchlaufen werden. Unentwickeltsein ist ein Zeichen fehlender Reife, es verlangt nach einer auf den Reifegrad abgestimmten Politik, ein Gedankengang, der bereits beträchtlich vom freihändlerischen Konzept des klassischen Liberalismus abweicht. 19 Die Klassiker waren der Überzeugung, das von ihnen vertretene System sei "vernünftiger, freier, verlockender und harmonischer" als alles zuvor Gewesene. 20 Dem wird vehement widersprochen, sowohl von den Vertretern der historischen Schule und artverwandter Richtungen, als auch von den Sozialisten. Beide Schulen haben aber andere Entwicklungsvorstellungen.
16 17 18 19 20
Wilbrandt, S. 36. Roscher, S. 616, S. 678, S. 803. Ebenda, S. 605. Ebenda, S. 797. Müller-Arrnack, Alfred: Das Jahrhundert ohne Gott, Regensburg 1948, S. 108.
Entwicklungspolitische Ideale im Wandel der Zeiten
293
Bei den Romantikern, den Wegbereitern des Historismus, steht Gefühl gegen Vernunft, Spontaneität gegen Logik, geschichtliches Werden gegen ewige Gesetze. T. Carlyle setzt Pflichterfüllung an die Stelle von Egoismus und Hedonismus, F. List betont die Erziehung als Staatszweck und W. Roseher erklärt, daß sich die Verschiedenheit der Völker auf zwei Kategorien zurückführen läßt, den Nationalcharakter und die Entwicklungsstufe. Damit wird deutlich, worin sich die Vertreter des Historismus von den Klassikern unterscheiden. Es gibt für sie keine Naturgesetzlichkeit, sondern nur einen Prozeß des geschichtlichen Werdens und Wandels, bei dem die Wirtschaft in das übergreifende gesamte kulturelle Leben eingebettet ist. Auch die aus dem contrat social abgeleitete Beschränkung der Staatsmacht wird verneint. Die Zügelung der Selbstsucht in der Gemeinschaft ist gleichbedeutend mit dem Aufgeben eines atomistischen Gesellschaftsbildes. Das Fortschreiten im Bewußtsein der Freiheit zielt auf die Freiheit der Rechtsgemeinschaft, in der allein der Staat mächtig genug ist, widerstreitende Privatinteressen auszugleichen. Gemeinwohl und Gemeinschaftsverpflichtung, als Antithese zur individuellen Glückseligkeit des Utilitarismus formuliert, verlangen eine andere Ausrichtung der Politik. Die nationale Entfaltung ist so zu gestalten, daß sozialer Ausgleich möglich wird. G. Schmoller hat dies in die Forderung gekleidet, alle Teile eines Volkes am materiellen Wohlstand, an Kultur und Bildung teilhaben zu lassen. Das Entwicklungsideal der historischen Schule lautet: Förderung der produktiven Kräfte durch Erziehung und soziale Gerechtigkeit. Es geht also nicht mehr um die Beseitigung von Entwicklungsbarrieren, sondern um die Formulierung von Gestaltideen. Analog zum organischen Wachstum ist kultureller Wandel mit Alterung, Reife, aber auch Aufbruch zu neuen Ufern verbunden. Mit den Stufen des Fortschritts wird die Machbarkeit der Höherentwicklung anerkannt. Einzelne Stufen können hierbei nicht übersprungen, wohl aber schneller oder langsamer durchlaufen werden. Durch Regierungsmaßnahmen sind anderswo bereits erreichte höhere Entwicklungsformen anzustreben, die dazu benötigten Mittel heißen Entfaltung der produktiven Kräfte und Erziehung zur Anpassungsfähigkeit. Entwicklungspolitik ist nicht nur am vorhandenen Entwicklungsstand auszurichten, sie ist stets auch mit landeseigenen Fragestellungen und Lösungen verbunden. Unveränderliche, nur auf Funktionalität bedachte Richtlinien der Einflußnahme gibt es nicht. Die Lehre von den produktiven Kräften findet sich bereits in der romantischen und nationalen Volkswirtschaftslehre. J. G. Fichte sieht in der Ausbildung ein wichtiges Moment zur Produktivitätssteigerung. A. Müller spricht von der "Gegenseitigkit der Lebensverhältnisse" und weist dem Kapital die Funktion des Vereinigungselementes zwischen Arbeit und Boden zu. H. Luden und F. List drücken sich deutlicher aus. Entwicklung ist ein nationales Problem. Die benötigten Produktivkräfte lassen sich nur freimachen, wenn Natur, gesellschaftliche Ordnung und Wirtschaftsgeist in Einklang gebracht werden. Dies gelingt ausschließlich unter staatlichem Schutz, denn bei unterschiedlichem Entwicklungsni-
294
Karl Brandt
veau ennöglichen erst Erziehungszölle, den erforderlichen Gewerbefleiß hervorzubringen. Vorübergehende Preissteigerungen aus Importbeschränkungen sind dabei notwendige Opfer für die Zukunft. List bleibt trotzdem der klassischen Vorstellung von einern hannonischen Endzustand verhaftet, letztes Ziel ist es, die nationalen Gegensätze zu überbrücken, bis "alle Völker zu gleich hohem Rang aufgestiegen sind". 21 Im Suchen nach den Möglichkeiten zur Verbesserung der Entwicklungsfähigkeit einer Volkswirtschaft stößt die historische Schule auf den Strukturwandel, der mit den Wirtschafts stufen in Verbindung gebracht wird. Die Einzigartigkeit des Strukturwandels zeigen Entwicklungsindikatoren an oder Wachstumsindustrien, durch die der Fortschritt in Gang gesetzt wird. F. Mischler benutzt z. B. die Eisenproduktion, K. Knies den Ausbau des Eisenbahnnetzes, W. Roscher die gesamte Verkehrserschließung als Fortschrittsindikator. Die Späthistoriker ersetzen die Stufen durch den Wirtschaftsstil. Sie sehen in ihm aber auch nur eine einheitliche Erklärung der Entwicklung des Wirtschaftssystems aus letzten Ursachen, wobei W. Sombarts Gestaltidee verdeutlichen soll, daß jeder Entwicklungsprozeß aus strukturbegründenden Grundideen, nämlich Wirtschaftsgesinnung, Wirtschaftsfonn, Wirtschaftstechnik hervorgeht. Die Stufen- und Stiltheorien sind für spätere entwicklungstheoretische Entwürfe häufig Vorbild geblieben. L. Pohle hat eine Wirkungsanalyse entwicklungspolitischer Instrumentvariablen im Auge, die erklärt, wie "alles aufeinander folgt und aufeinander wirkt". 22 In den kulturgeschichtlichen Entwicklungstheorien werden Einstellungen und Verhaltensanpassungen in den Vordergrund gerückt, während J. Fourastie und W. Hoffrnann das sektorale Konzept wachstumstragender Produktionsbereiche entwickelt haben. Von schmerzlichen Situationen eines phasenabhängigen Strukturwandels spricht W. A. Lewis, weil mit nachhaltigen Änderungen von "Glaubensvorstellungen, Gewohnheiten und Institutionen" tief in die Lebenswelt der Menschen eingegriffen wird. 23 W. W. Rostows Phaseneinteilung ist stufentheoretisch konstruiert. Die eigentlichen Phasentheorien, etwa des Werdegangs technischer Verfahren von K. Daeves, der marktlichen Lebenszyklen von E. Heuss oder der unmittelbar auf Entwicklungsländer bezogenen Import-Export-Phasen von K. Akamatsu 24, betonen die sektorale, milieubestimmte Stoßkraft strukturvarianter Entwicklung, wobei wegen der prinzipiellen Offenheit der Prozesse zugleich evolutionsökonomische Orientierungen den Ton angeben. Daß im fortschreitenden Entwicklungsgang keine stets in gleicher Weise 21 Winkel, Harald: Die deutsche Nationalökonomie im 19. Jahrhundert, Darmstadt 1977, S. 71. 22 Wilbrandt, S. 113. 23 Lewis, W. Arthur: Die Theorie des wirtschaftlichen Wachstums, Tübingen 1956,
S.484.
24 Pascha, Wemer: Wirtschaftliche Stufentheorien und ihre Weiterentwicklung eine Würdigung aus heutiger Sicht, in: Dams, Th. (Hrsg.): Beiträge zur Gesellschaftsund Wirtschaftspolitik, K. Jojima zum 70. Geb., Berlin 1990, S. 55.
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angelegte Aufgabenbestimmung der Staatstätigkeit erwartet werden kann, hat H. Ritschl gezeigt 25, die "Triebkräfte des Wandels" sind weder einseitig der privaten Marktwirtschaft noch der Staatswirtschaft zurechenbar. Die multikausale Ausrichtung des Lehrgebäudes der hisorischen Schule hat die Vielfältigkeit entwicklungspolitischer Aufgaben sichtbar gemacht, durch das Hineinversetzen in die Besonderheiten raum-zeitbezogener Entwicklungsvorgänge darüberhinaus problematisiert, ob und wie übernationale Koordination entwicklungspolitischer Maßnahmen außerhalb des klassischen Freihandelspostulats möglich erscheint. 26 In den sozialistischen Doktrinen stehen Organisations- und Funktionalitätskriterien im Vordergrund. Der utopische Sozialismus kennt, von C. H. Saint-Simon abgesehen, keine Entwicklungstheorie. Beschrieben werden Regeln, mit denen Fehlentwicklungen des klassisch-liberalen Systems korrigiert werden sollen. Dazu gehören F. N. Babeufs "Maximen der Verschwörung" ebenso wie E. Cabets Aufruf zur "Voyage en learie". Saint-Simons Assoziationsprinzip findet sich in allen Formen des Genossenschaftssozialismus, die Ordnungsentwürfe ohne entwicklungspolitische Leitbilder darstellen. Selbst bei J. Proudhon, für den Fortschritt beständig durch den "bewegenden Geist" aufrechterhalten wird, zählt nur die Funktionsweise des anarchistischen Gesellschaftsmodells, mit Mutualismus und Reziprozität, nicht der Weg dorthin, geschweige denn seine Weiterentwicklung. K. Marx verfolgt dagegen zwei Wege. Die Reproduktionsmodelle zeigen, wie Wachstum aus einem stationären Kreislauf durch Kapitaleinsatz hervorgeht und wie dieses Wachstum über ständige Akkumulation in sektoraler Disproportionalität angetrieben wird. Seine die Akkumulation einschließende Entwicklungstheorie fußt auf dem Stufenkonzept, mit Beseitigung der stagnanten Endphase des Kapitalismus durch einen revolutionären Akt, der an Reifekriterien der proletarischen Aktionsbereitschaft und des Industrialisierungsgrades gebunden ist. Wie die Übergangs wirtschaft der nachrevolutionären Ära in die klassenlose, staatsfreie Gesellschaft überführt werden kann, bleibt offen. Die Planungsökonomie sucht diese Lücke zu schließen. Planmäßige Entwicklung heißt nicht nur räumlich und sektoral abgestimmte Programmplanung, sondern auch Ausrichtung derselben an unumstößliche Leitbilder. Sie kommen in der Überzeugung, daß planmäßig gestaltbare Entwicklung machbar ist und im Gesetz disproportionaler Entwicklung der Kapitalgüterproduktion zum Ausdruck. Das erste Leitbild stellt ganz allgemein auf Industrialisierung und Kontrolle des technischen Fortschritts ab,
25 Ritschl, Hans: Zur Theorie der staatswirtschaftlichen Entwicklungsstufen, Festgabe G. v. Schanz, Tübingen 1928, S. 377. 26 Predöhl. Andrea: Zur Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, in: Boettcher, E.: Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik, G. Mackenroth zum Gedächtnis, Tübingen 1964, S. 170.
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das zweite entspricht dem nicht ausgeglichenen Wachstum der erweiterten Reproduktion, ein Grundsatz russischer Entwicklungspolitik, der von E. A. Preobräzenskiy gegen N. I. Bucharin durchgesetzt wurde. Nicht unerwähnt bleiben darf, daß die Imperialismustheorie, zunächst nur eine Erklärung für den sich verzögernden Zusammenbruch, ähnlich wie die Stufentheorie, in verschiedenen Varianten weiter entwickelt worden ist. "Verelendungswachsturn" und "Abhängigkeit" von dominanten Industrieländern werden gegenwärtig nicht selten für die Abkoppelung vom Weltmarkt und zur Propagierung einer "neuen Weltwirtschaftsordnung" geltend gemacht. Auch die Disproportionalitätentheorie hat nicht an Bedeutung verloren, sie wird zur Begründung des "unbalanced growth" ebenso herangezogen wie zu der These, daß die Akzeleration im Wachstum der Kapitalgüterindustrie um so stärker ausfällt, je größer die Rückständigkeit eines Landes in der industriellen Startphase ist (A. Gerschenkron). Es bleibt noch zu fragen, welchen Beitrag Grenznutzenschule und Neoklassik zur Bildung entwicklungspolitischer Leitideen geliefert haben. Zwar ist durch beide das klassische Lehrgebäude umgestülpt worden, aber am überlieferten Entwicklungsideal wurde festgehalten. Marktvermachtung schafft Entwicklungshindernisse, die Vorteilhaftigkeit des Wettbewerbes ist der Garant für Expansion, die aus den bekannten Fortschrittskomponenten Kapitalbildung und technischem Fortschritt hervorgeht. Mit der Neubegründung der Kapitaltheorie, insbesondere dem zeitlichen Aufbau der Produktionsstruktur und dem Fondsaspekt der investitionsbegrenzenden Kapitaldisposition, werden jedoch die Fortschrittsfaktoren in das an sich statische Theoriekonzept integriert. Trotzdem kann man sagen, daß durch die Korrekturen der klassischen Lehre keine "Konsequenzen für den Liberalismus als Lebenshaltung" hervorgegangen sind. 27 Zwei Problemkreise sind allerdings nachhaltiger für die Analyse von Entwicklungsvorgängen diskutiert worden, die Initiierung von Fortschritt als Ausfluß besonderer Aktivitäten und die Stabilisierung bereits eingeleiteter Entwicklungsprozesse. Schon bei F. von Wieser findet man, daß neue Wege der Fortentwicklung nur durch talentiertes, geniales Handeln erschlossen werden, die "Kräfte der Durchschnittsmenschen" verurteilen zu Stillstand. 28 Für J. Schumpeter schlummern diese Talente im unternehmerischen Tun, dem vom Erfolgswillen getragenen Vorprellen, Nachahmen und Aufholen, verstanden als Wechsel von einem Gravitationszentrum zum anderen. Bei A. Marshall klingt es ähnlich, säkulares Wachsturn ist das Ergebnis unternehmerischer Fähigkeiten, mit der Ausnutzung externer Effekte aus Transport, Energie oder Nachrichtenwesen 29 , jedoch hat erst F. A. Müller-Arrnack, S. 109. Wieser von, Friedrich: Arrna virumque cano, in: Gesammelte Abhandlungen, Tübingen 1929, S. 342. 29 Blaug, Marc: Systematische Theoriegeschichte der Ökonomie, Bd. 3, München 1975, S. 215. 27
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von Hayek die wettbewerblichen Entdeckungsverfahren als Suchprozesse einer ungebundenen Evolution zum Angelpunkt liberaler entwicklungspolitischer Überlegungen ohne staatliche Entwicklungsvorgaben gemacht. 30 Schon vorher findet sich bei F. Degenfeld-Schonburg ein Entwicklungskonzept, das den Willen zu wirtschaftlicher Aktivität betont, getragen von der Lernfähigkeit der Akteure und ihrer Einsicht in die Gegebenheiten, welche die ,,zeitumstände und die Natur" setzen. 3 \ Die Idee der Stabilisierung des Fortschrittes hängt mit dem Gleichgewichtsdenken zusammen. Es ist zwar richtig, daß mit der neoklassischen Gleichgewichtsökonomie vornehmlich die Funktionalität des Preismechanismus und seine Allokations funktion angesprochen werden, aber das bedeutet natürlich nicht, daß die Entwicklungsprobleme verkannt worden sind. Wenn bei Erfüllung der Funktionalitätskriterien kreislaufendogen Fortschritt in Gang gesetzt wird, muß er nicht besonders problematisiert werden. Er ist einfach da und läßt sich als Folge temporärer, beweglicher Gleichgewichte begreifen. Zur Stabilisierung genügt es, die Störkomponenten einer gleichmäßig fortschreitenden Wirtschaft zu kennen und auszuschalten. Soweit letztere allein auf monetäre Einflüsse zurückzuführen sind und wegen verfälschter Produktionsstruktur die an sich mögliche, vertikal ausgeglichene Entwicklung verhindern, ist die Geldpolitik ausreichend, um die Stabilisierung zu sichern. Für offene Volkswirtschaften findet wegen der Ausgleichswirkung des Wechselkursmechanismus das klassische Freihandelsideal Zustimmung. Die Angleichung der Faktoreinkommen bzw. die Intensivierung des internationalen Güterverkehrs bei fehlender Faktormobilität, sind wieder nur Modifikationen der rudimentärer gefaßten klassischen Außenhandelslehre. Makroökonomische Kreislaufbetrachtung, wie auch postkeynessche und neoklassische Wachstumstheorie, haben an den langfristigen stabilitätspolitischen Grundsätzen wenig geändert, nur das kurzfristige Instrumentarium verfeinert und nicht ausschließlich auf die Geldpolitik beschränkt, sondern um Eingriffsmöglichkeiten der aktiven Konjunkturpolitik ergänzt. Langfristig bleibt es dagegen bei der richtigen Weichenstellung zum Freimachen von Fortschrittsaktivitäten, einer Ordnungspolitik, die gegen die "Solidarität protektionistischer Interessen" gerichtet ist 32 und den Interventionismus der historisch-ethischen Richtung als "Destruktionismus" abkanzelt. 33 30 Hayek von, Friedrich August: Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, Kieler Vorträge, N. F. Bd. 56, Kiel 1968, S. 16. 3\ Degenfeld-Schonburg, Ferdinand: Grundlinien einer Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 161, 1949, S. 201. 32 Philippovich von, Eugen: Entwicklungsgang der wirtschaftspolitischen Systeme und Ideale (I): Die Entwicklung bis zum Kriege, in: Grundriß der Sozialökonomik, 1. Abt., 2. Aufl., Tübingen 1924, S. 179. 33 Heimann, Eduard: Entwicklungsgang der wirtschaftspolitischen Systeme und Ideale (II): Die jüngste Entwicklung, in: Grundriß der Sozialökonomik, 1. Abt., 2. Aufl., Tübingen 1924, S. 197.
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D~r Vergleich zeigt große Übereinstimmung über Art und Wirkungsweise entwicklungsfördernder und -hemmender Faktoren, ebenso über die Notwendigkeit strukturellen Wandels. Gravierende Unterschiede bestehen in der Frage der Planung von Fortschrittsraten, der Beherrschbarkeit der Instrumente und der Durchsetzung milieubegünstigender institutioneller Randbedingungen. Zu wenig beachtet wird das Einbringendürfen eigenständiger Entwicklungsvorstellungen, die es ermöglichen, daß tradierte kulturelle Werte in den entwicklungspolitischen Leitbildern ihren Niederschlag finden.
Economic Rationality, the New Political Economy and the Role of International Development Agencies By Michel Petit and Suzanne Gnaegy
A. Introduction Economic rationalists have traditionally held that, given an initial assumed distribution of assets, one could deduce what economic policy is best for a particular society. This line of thinking by necessity separates efficiency considerations from equity considerations, and indeed is quite capable in the extreme of dismissing equity considerations as irrelevant. In its less extreme position, it grapples first with the size of the pie and only second with the actual distribution of the pie. Most important, perhaps, is the underlying assumption that a government committed to rational policies (i. e. rational management of both the public and private sector) will seek to serve the public good. When discussing rational economics and the developing world, argument tends to revolve around traditional versus "modem" norms of socio-economic behaviour, usually on the assumption that traditional behaviour inhibits or prevents rational behaviour, i. e. the achievement of the public good through private profit maximization or cost minimization. The new political economists, however, question this assumption most vigorously, arguing that the rational economic unit seeks to maximize individual utility, and in order to do so is likely to form coalitions or interest groups. These interest groups in turn seek to influence governments in pursuit of their interests. Thus govemments more typically embody the fundamental power struggle between and among private interests seeking to control assets in order to improve their power base, and will only coincidentally attend to the public good. In this case, determining the distribution of the pie is the essence of the political process, the size of the pie being strictly secondary. This debate can also be couched in international terms and concerns international development agencies directly. Their very nature and purpose are at stake. For instance, it is dear that, in the Articles of Agreement through which the World Bank was founded, there were economic rationalists at work, readily assuming that economic growth was synonymous with the public good, or more precisely, that the public good was always served by economic growth. For this reason and the more practical consideration that governments created the World
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Bank and are its shareholders, the Bank lends money to governments regardless of their political form or character. However, in recent years, the World Bank has been criticized for lending to countries who are unable or unwilling to provide the sort of policy c1imate which would enhance the investment and productive capacity of the loans. The World Bank is actively debating the extent to which lending should or could be conditional on some set of standards applied to the governance of anation. The proponents of this new type of lending hold that accountability, the rule of law and the degree of openness in anation are inseparable from the ability of that nation to show good economic progress, and that without this progress, loans made by the Bank would be arguably "bad" loans. This paper attempts to address the question of what is the role of the World Bank in the process of governance, in the context of this conflict between economic rationalists and the "new" political economists. Admittedly the World Bank is only one of many international development agencies. Restricting our study to the case we know best is however justified by the fact that the issues we raise c1early concern all development agencies. We first offer abrief history of the evolution of World Bank lending leading up to the rationale for structural adjustment lending. A slightly more detailed discussion follows in order to tie the subjects of economic rationality and the new political economy into the present argument. Abrief section discusses the implications of lending conditional on "good governance" for the World Bank, followed by conc1uding thoughts which propose that world governance is desirable and perhaps even attainable.
B. Economic rationality and the new political economy How are the concepts of economic rationality and the new political economy relevant to a discussion of the role of international development agencies in today's world? The answer lies in the evolution of development lending outlined in the preceding section, by which development economists today find themselves confronted with a new political and economic order. The design and implementation of development projects and prograrns has evolved from the application of pure rational economics through increasing emphasis on the strengthening of institutional capacities through technical assistance, reforming public enterprises and providing assistance to improve the public administration of social programs. It has come so far as to promote pluralism through participation of local governments, community organizations, indigenous tribai groups and eV,en non-governmental organizations. The earliest development economists c1early made certain neoc1assical assumptions about the state. Of no particular political character and without any motiv ating or competing forces, the state sought merely to maximize its own welfare.
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This, incidentally and somewhat paradoxically, was consistent with the eighteenth century French Encyclopedists' concept of the enlightened dictator, embodied by such rulers as Frederick the Great in Prussia or Catherine 11 in Russia. Indeed, the assurnption was that policy advisers and planners saw welfare maximization in terms of their informed perceptions of the public good. Failures in accomplishing this goal could therefore be attributed to misinformation, faulty policy analysis or institutional weaknesses. I It did not yet occur to the economists that the desire to achieve political rationality might require governments to pursue economically irrational policies. To quote Grindle, "Political scientists studying developing countries have long known of and dissected the political logic of clientelism, corruption, and policy choice in ways that did not expect economic rationality but as ways to achieve or ensure political stability, support, or power." The new political economy literature, in which the policy world is defined in terms of public choice, rent-seeking or self-interest, generally follows the model of advanced industrial countries in which the state responds to pressures from special interest groups seeking to maximize their own welfare by influencing economic as weIl as political decision-making. 2 Expanding on this line of thought, policy making is seen as a dynamic process, involving uncertainty and sequential decision-making. By its very pluralist and representative nature, this literature seemed to exclude developing countries. One reason for this could be the difficulty analysts have in identifying who the actors are, from where they derive their power, and the types of alliances they are likely to form, among other things. Therefore it is not surprising that only recently have development economists begun to discuss the relevance of the principles of the new political economy to developing countries. 3
C. The Role of International Development Agencies Following World War TI, two great challenges faced economic policy makers. The first was to restore and develop the economies devastated by the war. The establishment of the Marshall Plan by the United States was the most immediate and effective instrument employed towards achieving restoration. These massive transfers of aid were virtually unrestricted in their application (decisions regarding I See Grindle, M. S.: The New Political Economy. Positive Economics and Negative Politics, World Bank Working Paper WPS 304, Washington, D. C. 1989. 2 For a summary of the literature see Petit, M. J.: Pressures on Europe's Common Agricultural Policy, International Food Policy Research Institute (Washington, D. c.) and the Ecole Nationale Superieure des Sciences Agronomiques Appliquees, Dijon, 1989, p. 2. 3 See Findley, R.: Is the New Political Economy Relevant to Developing Countries?, World Bank Working Paper WPS 292, Washington, D. c., 1989 and Grindle, 1989.
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the way these funds were spent were left to a committee then called the Organization for European Economic Cooperation, the predecessor of the OECD) and blatantly political in their intention. The very fact that the funds made available to West Germany nearly doubled between 1946 -47 and 1948 - SO hints at the intentions of the United States to infuse large amounts of western aid into countries which might become vanguards against the spread of communism. For other recipients, such as France and Italy, Marshall Aid was also critical in providing needed hard currency. It supported regional and sectoral plans which enabled these countries to modernize and become full participants in a world, albeit capitalist, economy. The second great challenge was to find a way to break what seemed to be a global cycle of prosperity, depression, armament and extremism leading to war. Though the first and second "phases" in this cycle were more understandable to economists, the third and fourth, the most powerful and devastating, had to be brought into the equation in order to find a way of avoiding the costs of a third world war. Even today, the relationships of economic dynamics to factors such as charismatic leadership or social scapegoatism leading ultimately to war are not satisfactorily understood. However, an early attempt to provide political stability through economic growth and global cooperation, i. e. thereby explicitly recognizing the link between economics and politics, began with the Bretton Woods agreement reached in the late 1940s. This agreement provided for the establishment of a number of international agencies, the one of special interest to us being the International Bank for Reconstruction and Development, or the World Bank. As its name implies, the World Bank was created with a quite specific mandate as defined (though not unambiguously, as we shall see later) in its Articles of Agreement. As a multinational bank, it was meant to facilitate long-term capital movements, directly through its lending programs to national governments, but also indirectly by facilitating additional private bank spending in those same countries. By doing so, the World Bank facilitated a transfer of capital from countries where capital was both abundant and of relatively low productivity, to countries where it was scarce and could be put to more productive use. It is important to note, however, that this was done with little or no input by the developing countries themselves into how or where these funds would be invested. Yet the Articles of Agreement were clear that in no way should World Bank funding depend on nor interfere with the political environment of the borrowing nation. Three key Articles specifically relate to these restrictions, to ensure that proceeds of loans are used only for purposes for which the loan was granted, without regard to political or other non-economic influences or considerations; to ensure that the Bank not interfere in the political affairs of any member, nor be influenced in its decisions by the political character of the member; and to prevent Bank staff from all attempts to influence any other Bank staff in the
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discharge of their duties. 4 These Articles are particularly interesting when viewed in light of the agreement recently reached for the establishment of the European Bank for Reconstruction and Development, in which the function is explicitly defined to promote structural and sectoral reform through the development of multiparty democracy, the rule of law, respect for human rights and market economics. Here is where we see the underlying assumption in the World Bank's Articles of Agreement that economics and politics can be, and for that matter should be, kept separate. Large infusions of funds to governments were seen as necessary and sufficient to bring about growth and development. This approach essentially limited the World Bank's task to providing aid in the form of improvements to infrastructure and other specific investments requiring large and long-term commitments of public funds. However, with increased frustration at the apparent failure of traditional development lending to achieve sustained growth in certain regions, and with the emergence of a debt crisis among countries that had made significant progress in the development and modemization process, it became more widely accepted in the development community that policy reform was necessary if further achievement was to be gained. The Bank recognized that efficiency in the administration of policies, while having obvious political implications, was also directly related to the well-being of the economy. Governments have in recent years been urged or in many cases obligated to adjust both their macroeconomic and sectoral policies in order to increase efficiency and lessen the regulatory and interventionist nature of the state in national economies. This was neither a smooth nor a painless transition from the previous role played by the World Bank. Agreement to this change in the Bank's lending policy rested on the definition of such lending "to assist a country in its attempt to create the conditions and incentives needed for the investment of capital for productive purposes by helping it to reduce a serious deterioration in its balance of payments, or by meeting financial needs resulting from or associated with the reform process." 5 This distinction was reached only after long deliberation over the possible misinterpretation of the political implications of this type of lending. It was emphasized that the Bank should ensure that this lending was not viewed as a grant given to a country because that country adjusted its policies according to Bank instruction, nor was it to be seen as a price paid by the Bank in exchange for reforms the Bank required to be made. The crucial question which remained 4 See World Bank: Issues of Govemance in Borrowing Members: The Extent ofTheir Relevance Under the Bank's Articles of Agreement, Memorandum ofthe Vice President and General Counsel (1. Shihata), SecM91-131, Washington, D. C. 1991. 5 ibid.
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unanswered, however, was whether or not the Bank could realistically hold itself aloof from the politics of nations and still foster effective growth and development through its lending pro gram. This question remained under the surface through a few years of massive structural adjustment lending, much of which is documented success at least in the areas of macroeconomic policies. Two events, however, reopened the debate. These events, the decision regarding approval of a huge loan to the People's Republic of China on the heels of the Tiananmen Square event, and the publication of the long-term perspective study on sub-Saharan Africa 6 , concern respectively the role of global politics in decision making at the World Bank, and the role of "governance", or conditionality on "good govemment", in World Bank lending.
D. The World Bank and "good governance" World Bank lending decisions involve every level of Bank officials, including a Board of Directors each of whom is either appointed by a major member country or elected by a constituency of smaller member countries. In the case of the question surrounding the China loan, one member country in particular, obligated by legislation in that country to do so, opposed the loan on the grounds of China's violation of fundamental principles of human rights. As a result, the loan was delayed and public attention was drawn to the politicized nature of the debate surrounding this loan. At roughly the same time, a study on the prospects for sub-Saharan Africa gained public notoriety for having committed itself to the position that " ... no agenda can go forward in Africa unless governance, i. e. accountability of leaders to people, transparency of transactions, proper administration of public funds, due process, reasonable administrative regulations, a reformed civil service and a properly enforced legal framework, to name the main ones, are improved."7 The implication is that the Bank needs still to go further in providing support for institutional development through conditionality of loans based on the performance of the national government in pursuing "good governance". The questions which arise from this debate are varied and many, and each one weightier than the next. What is meant by "good" governance? Some attach political connotations to the term "good" by equating it with a democratic and representative govemment, calling their ideal the "government of laws and not of men". Unfortunately, we know all too weIl that when the laws of men are corrupted by self-interest and controlled by raw power gained from the pos session of wealth, good governance will not occur. 6 World Bank: Sub-Saharan Africa. From Crisis to Sustainable Growth, A LongTerm Perspective, Washington, D. C. 1989. 7 ibid.
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The debate was updated during the Bank's most recent Conference on Developrnent Econornics by cantributions offering a frarnework for analyzing governance as it affects sustained developrnent 8, discussing the "legitimate and effective" fostering of good governance by external agencies 9 and an attempt to identify the ethical values lying at the core of local cultures in order to relate good governance to individual nations 10. Other efforts at defining and developing the issues related to governance are underway at the Carter Center at Emory University and through the UNDP's foIlow-up oftheir first Human Development Report. While each of these are essential elements of the debate, many questions remain to be answered. In particular, the fundamental question of whether or not the Bank is operating within the limits defined for it by the Articles of Agreement must be first answered by legal experts. To do so, key terms or phrases in the Articles must be exhaustively discussed and eventuaIly agreed upon, terms such as "political affairs", "political character" and "economic considerations". The extent to which the Articles defend the position that economic and political considerations can and should be kept separate and distinct will be a thorny question. And finaIly, should the Bank continue trying to insulate its decision-making from political considerations? If it does, can it still remain relevant in the pursuit of development? A number of proposals have been offered by both World Bank staff as weIl as outside experts. In a document drafted far the Executive Directors by the General Counsel of the World Bank, an attempt was made to clarify the main legal questions of what may or may not be interpreted from the Articles of Agreement 11 It notes that the Oxford dictionary' s definition of governance would be consistent with the Bank's mandate, in that it is "good order", in the sense of " ... having a system, based on abstract roles which are actuaIly applied and on functioning institutions which ensure the appropriate application of such roles." The document then goes on to conclude that concern with the substance of those roles is appropriate so long as this concern is based on considerations of economy and efficiency. Such concerns might include by way of example civil service reform, distribution of income, accountability of public funds, and government budget discipline. Other participants in the debate have broadened it beyond the legal aspects. For instance, Serageldin asks whether the Bank should be making an institutional 8 See Boeninger, E.: Governance and Development. Issues, Challenges, Opportunities and Constraints, paper given at the World Bank Annual Conference on Development Economics, Washington, D. C. 1991. 9 See Landell-Mills, P. / Serageldin, 1.: Governance and the External Factor, paper given at the World Bank Annual Canference on Development Economics, Washington, D. C. 1991. 10 See Martin, D.-C.: The Cultural Dimensions of Governance, paper given at the World Bank Annual Conference on Development Economics, Washington, D. C. 1991. 11 See World Bank, 1991.
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commitment to promote "good govemance" through conditionality.12 He offers as precedent the arguments used in the justification of structural adjustment lending, that welfare and weIl-being imply what are generally assumed to be characteristics of "good govemance", i. e. freedoms of expression and of association, to name two. He notes that the World Bank already has lending programs in place which have as their objectives attributes of "good government", for example greater efficiency, rationality in resource allocation, lack of corruption, institutional pluralism and "popular" participation. Other authors recommend Bank support for the consolidation of interests towards the achievement of "good govemance", through lending conditional on such reforms as bureaucratic accountability and the introduction of a judicial system 13, and the extension of World Bank technical assistance to the growth of a pluralist society that would include commercial, professional and industrial organizations 14.
E. The World Bank and world governance It is not surprising that the tension between public and private interests should exist in the discussion of govemance and policy-making, as it has been at the heart of scholarly debate in both economic and political history for centuries. And although this paper would not dare to purport to resolving this debate, we would propose that history offers us illumination as to the direction global regulation of the world economy should go.
Beginning with the Enlightenment, national leaders (then the monarchs and philosophers of the day) identified a new form of economic prosperity which came about as a result of expanded and unimpeded commerce which they attributed both to the victory of reason over religion, and individual opportunity over collective responsibility. The overwhelming consensus at the time was that the individual had certain rights, such as that of private property, or to seIl one's services, or even one' s self. This was not a time for defining constraints on human society, but rather for opening up the full range of possibilities for society by discovering all the various possibilities for social and commercial interaction. The common thread which connected the English and French philosophers, however, was their fear of the consequences of factionalism, the constant struggle between liberty and authority that would ensue with the preeminence of the individual and self-interest, and the potential for disorder in society resulting 12 See Serageldin, 1.: Govemance, Democracy and the World Bank, unpublished mimeo 1990. l3 See Boeninger. 14 See Landell-Mills / Serageldin.
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from enthusiastic and intractable positions held by opposing groups. Rousseau wrote in his Discourse on Political Economy that while each human group has its own general will, this will becomes a particular will when judged by the interests of a higher comrnunity, and can therefore threaten unity. The Arnericans, however, viewed the same circurnstances in a very different light. Unlike the French, who in their theorizing tended to be visionaries but somewhat utopian in their perspective, the practical experience of self-governance by the Americans rendered them more realistic in both their expectations of and demands on government and their tolerance for a pluralist society. Rather than remain socia11y, politically and commercia11y compartmentalized as much of western Europe did, the Uni ted States, a young, restless, fluid and enthusiastica11y competitive nation, strove to find common ground, or what might even be suggested as the beginnings of a community spirit, among its varied population. This Arnerican tolerance for and encouragernent of pluralism in every aspect of their society expressed itself in the establishment of a federation of onceseparate colonies wi!h separate interests and custorns. The logic of the constitution was to allow each state the sovereignty it required in order to continue to govern itself in a11 that concerned its internal prosperity, while anational government would retain certain essential powers such as the power to declare war or peace. The explicit objective of the federal constitution therefore was not to destroy the independence of the states, but only to restrain it. Quoting Alexander Hamilton, coauthor of The F ederalist, "The republican principle demands that the deliberative sense of the community should govern the conduct of those to whom they entrust the management of their affairs; but it does not require an unqualified complaisance to every sudden breeze of passion, or to every transient impulse which the people may receive from the arts of men who flatter their prejudices to betray their interests. It is a just observation, that people commonly intend the public good."
The neoclassical economics which accompanied the formation of various democratic nations prevailed through most of the 19th century. Around the turn of the century, however, the classical Marxist critique of capitalism and bourgeois democracy developed the notion that capitalists seek to dominate and control the state apparatus, thereby using that apparatus to protect and further their own private interests. These philosophical notions led to the adoption of scientific socialism, which purported to offer an intellectual basis for defining and providing for the public good. The wholesale failure, however, of Marxist socialism as a blueprint for a new social order became widely recognized in the 1980s. This, combined with the end of the Cold War, has opened up new dimensions in international relations. For the World Bank, with its goal of achieving "sustained developrnent", the notion that lending be provided conditional on "good governance" is being considered as a possibly acceptable, if extremely sensitive, direction to take. 20·
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Why is the importance of world governance being recognized now? In recent history , the volume of international financial flows has grown by leaps and bounds, leading to a degree of international economic inter-dependencies which did not exist in earlier times. This development has coincided with the creation of a modem world in wh ich most nations have, several decades after independence, had to shoulder most of the responsibility for their successes and failures. The awareness that we live in an interdependent world has also been enhanced by a greater understanding of the dilemma of the global commons and a rise in the influence of the environmental movement worldwide. Thus good governance at the world level, believed to be a guarantee that the public good will prevail over private interests, has become a critical issue in this process.
F. Conclusion To conclude, can we infer that, while retaining a world order of independent and sovereign states, we might seek some absolute "good" governance throughout the world, and that this might be achieved on agloballevel? Hopefully, global governance could achieve a level of growth which is likely to arise from stability through agreement on principles of policy, through the extension of the benefit of accumulated foresight and experience to each member. As a whole, when the prospect of either loss or advantage seduces a single state or two away from the roles of law binding the community of states, the deleterious effects may be limited, and the strength of the majority may be used, as some would argue it was in the recent Gulf conflict, to correct the imbalance. The proposition of world governance, in this or any other form, is a bold, perhaps utopian idea, entirely appropriate in the Gallic tradition. Keeping with that tradition, we shall conclude by offering the wisdom of another Frenchman, de Toqueville, which he wrote following his now-famous trip to the United States: " ... the business of the Union is incomparably better conducted than that of any individual state. The conduct of the Federal govemment is more fair and temperate than that of the states; it has more prudence and discretion, its projects are more durable and more skillfully combined, its measures are executed with more vigor and consistency." One may dream that a time will come when such a positive judgement will be valid for the union of all nations. In any case, the organizers of this Festschrift have offered these authors a most intriguing challenge, the opportunity to address the role of international development agencies in the process of decision making. The controversy we face takes an age-old question one step further, asking to what extent economists are capable of addressing policy questions in any realistic and meaningful fashion, and whether international development agencies have any business involving themselves in the policy process. As we have seen above. this is most certainly not an original question, but it is a timely one, and therefore one to which we have the pleasure of adding our opinion.
Wissenschaftliche Beratung der Entwicklungspolitik: Möglichkeiten und Grenzen aus der Sicht der Praxis Von Klaus Paser
A. Vorwort In den Jahren 1965 - 69 arbeitete ich als wissenschaftlicher Assistent mit Theodor Dams am Institut für Entwicklungspolitik in Freiburg. Es war eine spannende Zeit. Die erste Entwicklungsdekade entfaltete sich mit großem Optimismus hinsichtlich rascher Impulse von Kapital- und Technologietransfer analog der Marshallplanhilfe. In Vorlesungen und Seminaren fand eine intensive Auseinandersetzung mit Grundzügen, Methoden, Instrumenten und Umsetzung der Entwicklungspolitik statt. Projekte wurden analysiert und evaluiert. Theodor Dams und das Institut wurden auch in der praktischen Politik- und Projektberatung tätig. Ob in der praktischen oder theoretischen Arbeit "Möglichkeiten und Grenzen" waren bei allem Enthusiasmus ein durchgängiges Thema. In dem Erleben anderer Kulturen hatte Theodor Dams Achtung ihnen gegenüber und kritische Distanz gegenüber entwicklungspolitischer Machbarkeit und Intervention gewonnen. Besonders durch enge Zusammenarbeit mit kirchlichen Hilfswerken vertiefte sich seine Überzeugung, daß Entwicklungspolitik auch die Bekämpfung von Massenarmut und -elend, die Herausbildung gerechter und umweltbewußter Strukturen und den konkreten Menschen und seine und seiner kreatürlichen Mitwelt (Über-) Lebensbedürfnisse zum Ziele haben müßte. Im Hinblick auf die Grenzen der ökonomischen Disziplin stellte er fest, sie "scheint im Hinblick auf diese Herausforderungen, die sich aus dem erweiterten Begriff ,Entwicklung' ergeben, in ihrem methodischen Vorgehen selbst ,unterentwickelt' zu sein".l 1969 wechselte ich in die Geschäftsführung der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE) in Bonn über. Die auch selbstkritische Skepsis und das Wissen um die Grenzen von Entwicklungstheorie und -politik, die Theodor Dams zu vermitteln wußte, halfen, das neue Aufgabenfeld Entwicklungshilfe realistisch anzugehen. Dazu gehörte auch der Umgang mit wissenschaftlicher Beratung, die ich nun als Auftraggeber und Empfänger erfuhr. Im Vordergrund standen dabei Projektanalysen und -evaluierungen, aber auch Beratung bei der 1 Dams, Theodor: Entwicklung, Entwicklungspolitik, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 2, 1986, Sp. 297 f.
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Fonnulierung von Politiken wie integrierter ländlicher Entwicklung. Es ging um wissenschaftliche Beratung als Instrument, ihre Brauchbarkeit und Relevanz. Die Perspektiven änderten sich erneut, als ich 1986 zum Ökumenischen Rat (Weltrat) der Kirchen (ÖRK) nach Genf ging. Zum einen wurde ich vom Hilfeleistenden zum Bittsteller: Im ÖRK vertrete ich die diakonischen und sozialdienstlichen Anliegen der Kirchen und Gruppen in Entwicklungsländern vor den Zielvorstellungen und häufig wissenschaftlich beratenen Entwicklungsinterpretationen der Hilfswerke in Industrieländern. Zum anderen wird die Diskussion im ÖRK vor allem von ethischen und Wert-, Ziel- und Konzeptionsüberlegungen beherrscht. Fragen nach den Grundursachen (root causes) der Verelendung in der Welt, nach einem umfassenden Verständnis von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung und einer neuen sozial- und umweltgerechteren Wirtschafts- und Gesellschaftsauffassung stehen im Vordergrund. Entsprechend wird auch Entwicklungspolitik und ihre wissenschaftliche Beratung unter neuen Perspektiven erfahren. Die folgenden Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Beratung sind der Niederschlag der Erfahrungen in den drei Arbeitsfeldern. Sie erheben weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf wissenschaftliche Systematik und Ausgewogenheit. Sie möchten dazu dienen, Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit von Theorie und Praxis aufzuzeigen und zu verdeutlichen, daß angesichts überragender Asymmetrien zwischen Industrie- und Entwicklungsländern Vorsicht vor Irreführungen und Alibiproduktionen angezeigt ist. Sie möchten darüber hinaus Denkanstöße für das Entwicklungsverständnis vermitteln.
B. Der Stand der "Entwicklung" am Anfang der 4. Dekade Wir alle kennen die Daten: 1,2 Mrd. Menschen leben in absoluter Annut, 1,3 Mrd. sind ohne sauberes Trinkwasser, 1,5 Mrd. ohne ausreichende Gesundheitsversorgung und ein Sechstel der Menschheit legt sich nachts hungrig schlafen. Diese Daten lassen sich beliebig ergänzen: zig Millionen Kinder sterben aus Mangel an Nahrung und billigen Impfstoffen, sind ausgesetzt und verwildern auf den Straßen. 15 Millionen Menschen leben als Flüchtlinge, viele mehr in ihren eigenen Heimatländern als politische Vertriebene oder, in zunehmendem Maße, wegen lebensgefahrdender Umweltschädigung. 40 Millionen sind in diesem Jahr allein in Afrika vom Verhungern bedroht. Ihre Lebensgrundlage ist so prekär geworden, daß kleinste Störungen sie gefahrden. Die epidemische Verbreitung der Cholera in zunehmend mehr Weltregionen muß in gleichem Zusammenhang gesehen werden: Als Ausdruck des Scheiterns einer ausreichenden Entwicklung und des Ausbaues der hygienischen Infrastruktur für eine wachsende und sich verstädternde Bevölkerung. Sie muß zusammen gesehen werden mit den anderen sozialen, politischen und ökonomischen Phäno-
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menen wie steigender Kriminalität und politischer Gewalt als Anzeichen und Zeugnis dafür, daß ,,Entwicklung" weit hinter den Anforderungen der Befriedigung selbst existentieller Grundbedürfnisse zurückgeblieben ist und das heute vorherrschende neo-liberale System sich als unfahig erwiesen hat, die mit der 1. Entwicklungsdekade entworfenen Ziele zu realisieren. Im Gegenteil, mögen auch die Daten und Zahlen genauer erfaßbar sein, es gilt festzustellen, daß nicht nur die Kluft zwischen reichen und armen Ländern zugenommen hat, sondern daß vor allem in den als "verlorene Dekade" bezeichneten 80er Jahren in vielen Ländern Afrikas und Lateinamerikas das Pro-KopfEinkommen auch absolut gesunken ist. Während die UNO 1971 noch 24 Länder als am wenigsten entwickelt identifizierte, stieg ihre Zahl bis 1988 auf 42. Und der Trend der Verelendung hält an, nicht zuletzt wegen der Verschuldung der Entwicklungsländer und der ihnen daraus entstehenden Lasten. Diese müssen über drastische Budgetanpassungen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich vor allem die so schon sozial Benachteiligten tragen. Die vom Internationalen Währungsfonds verordneten "strukturellen Anpassungen" haben nicht nur die soziale Lage verschlimmert - u. a. ist die Kindersterblichkeit in vielen Ländern gestiegen - sondern durch ihre Exportforcierung auch bedenkliche ökologische Folgen gezeitigt. Selbst der Weltbank sind inzwischen Zweifel gekommen. Strukturelle Anpassung ohne die Bereitschaft der Industrieländer zu entsprechender Marktöffnung richtet sich gegen die betreffenden Länder selbst. Der IWF wird zum Schuldeneintreiber. Tatsächlich findet seit 1983 ein Nettotransfer finanzieller Ressourcen von den Entwicklungs- in die Industrieländer statt. Für die letzten sechs Jahre wird er auf US$ 115 Mrd. geschätzt. Der IWF erhielt 1989 US$ 4 Mrd. an Zins- und Rückzahlungen mehr zurück, als er bereitstellte. Es mag hier hinzugefügt werden, daß die Zahl der allein in Afrika eingesetzten überseeischen Entwicklungsexperten auf 60.000 geschätzt wurde, die jährlich US$ 6 - 10 Mrd. kosteten. Mit welchem Erfolg? Es wird nicht zu bestreiten sein, daß Gutes geleistet wurde. Aber es ist ebenso wenig abzustreiten, daß der hohen Verschuldung vieler Länder falsch beratene Entwicklungsruinen gegenüberstehen, und daß das wachsende Massenelend eine falsch beratene, wenn nicht zynisch egoistische internationale und nationale Entwicklungspolitik zur Grundlage hat.
C. Determinanten wissenschaftlicher Beratung Im Folgenden können nur einige der komplexen Determinanten wissenschaftlicher Beratung aufgeführt werden. Dazu gehören auch die Beweggründe oder Motive. Diese können handfester finanzieller Art sein, z. B. Beratung als Einnahmequelle für den Unterhalt und Betrieb eines Instituts.
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Wichtiger für die Art und Qualität der Beratung ist jedoch das Forschungsoder Studienprogramm des Beraters. Es existiert ein Durchsetzungszwang oder Primat des Eigeninteresses. Dabei wird das Beratungsobjekt zur Rohstoffquelle: Häufig erwies sich eine Beratung als praktisch unbrauchbar, jedoch war ein beachtlicher Beitrag zur Spezial- oder Grundlagenforschung und eine Publikation dabei abgefallen. Derartige Entwicklungen kündigten sich häufig schon in Schwierigkeiten der Zusammenarbeit an: Die unterschiedlichen Interessen erschwerten die Übereinstimmung über Ziel, Konzept und Durchführung der Beratung. Der Zwang "publish or perish", unter dem wissenschaftliche Berater häufig stehen, hat eine ähnliche Wirkung. Der britische Ethnologe Nigel Barley meint kritisch von seiner Fachrichtung, daß Feldforschung ihren Sinn nicht darin findet, was sie für die Gemeinschaft leistet, sondern darin, was sie zur persönlichen Entwicklung des Forschenden beiträgt. Beratung fußt häufig auf Feldforschung. Sie gerät nicht selten aber auch zur "self-fulfilling prophecy" und unter den Zwang, Recht behalten zu wollen. Dem liegen eigene früher geäußerte Ansichten und Theorien zugrunde. Ganz subtil kann sie sich aber auch zur Auseinandersetzung mit politischen, institutionellen o. ä. Fragen des Auftraggebers entwickeln. Hier werden die Grenzen zwischen Beratung, Empfehlung und Entscheidung fließend und kann eine Motivationsverschiebung eintreten, die erhebliche Rückwirkungen auf die Relevanz der Beratung hat. Diese wird auch durch das Werte-Problem stark beeinflußt. Es stellt sich schon im Hinblick auf den Auftrag. Soll bei der Entwicklungsberatung das Interesse des Entwicklungslandes, das des eigenen Landes oder ein "Welt"-Interesse zugrundegelegt werden? Wie sieht der Berater sich selbst? Ist ihm deutlich und wie, daß er als Person und Deutscher analysiert, interpretiert und empfiehlt? Dies wird besonders wichtig im Hinblick auf den Beratungsgegenstand und das Land. Meist sprechen wir seine Sprache nicht und kennen auch seine Sitten, Kultur und Geschichte nur oberflächlich. Um so prägender werden die eigenen personalen und nationalen Beziehungsrahmen. Auf einer so durch den eigenen Kenntnismangel selbstbestimmten tabula rasa können durchaus faustische Machbarkeitsträume wachsen. Hierher gehören auch die Einflüsse aus ideologischen Einstellungen. Bei unbeirrbarem Glauben an die letztlich gemeinnützige Wirkung des freien Marktes und einer neo liberalen Entwicklungspolitik müssen die Beratungsergebnisse anders aussehen, als wenn die Grundbedürfnisse einer Bevölkerung konkret zum Ziel genommen werden. Friedrich A. v. Hayek weist daraufhin, "daß den Denkgewohnheiten der an den Problemen fortgeschrittener Wirtschaften geschulten Theoretiker oft stillschweigende Annahmen zugrunde liegen, die nur beschränkt für wenig entwickelte Wirtschaften zutreffen", die auch einen Kulturwandel durchmachen. 2
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Dieses Problem wird durch das abstrahierende, vereinfachende Verfahren der Wirtschaftstheorie noch verschärft. Konstitutive Elemente wie politische, gesellschaftliche und kulturelle Faktoren werden als Prämissen behandelt. Am Ende steht ein abstraktes, mechanistisches Modelldenken, das sowohl in der Praxis die Verantwortungsstrukturen verschleiert als auch durch die Vergötzung des "freien Marktes" den Mächtigen Alibis zur Machtentfaltung und -konsolidierung liefert. 3 Der Abstraktion im theoretischen Ansatz entspricht der Zwang zu bestimmten Annahmen hinsichtlich der praktischen Umsetzung der Politik- und Projektberatung. Beide sind zu ihrer Realisierung auf Verwaltungen angewiesen. Für den Erfolg der Maßnahmen muß angenommen werden, daß die Verwaltungen sowohl kompetent wie kooperativ sind und auch konform handeln. Dies ist bei weitem nicht immer der Fall und wird meist noch dadurch erschwert, daß sowohl die Verwaltungen im hilfeleistenden Land wie im Entwicklungsland in gleicher Weise angesprochen sind. Es müssen aber auch Annahmen hinsichtlich der politischen Realisierbarkeit von Entwicklungsrnaßnahmen gemacht werden. Dabei scheint eine Tendenz zur Überbewertung jeweiliger positiver oder negativer Entwicklungen gesetzmäßig zu sein. Daß Präsident Gorbatschov sich für Perestroika ausspricht, oder Präsident de Klerk für einen Abbau des Apartheidregimes, muß nicht schon heißen, daß die nachgeordneten politischen und Verwaltungsinstanzen auch überzeugt und bereit sind. Im Gegenteil, da Entwicklung Wandel und Veränderung des status quo beinhaltet, ist immer auch mit Widerständen zu rechnen, die jedoch für einen Außenseiter meist nur schwer auszumachen sind. Hier taucht die Frage nach der interdisziplinären wie der Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern in den Entwicklungsländern auf. Interdisziplinäre Zusammenarbeit kann gegenseitige Defizite ausgleichen helfen. Aber es ist nicht zu übersehen, daß es dabei und vor allem auch bei der wissenschaftlichen Beratung zu Schwierigkeiten kommt, die in unterschiedlicher Sprache, Methodik, Praxis und Zielsetzung der Fachrichtungen zu suchen sind, oder auch in den Beschränkungen, aus den Arbeiten des anderen Nutzen zu ziehen. Die Beratung bleibt daher in ihrer Aussagefähigkeit vor allem durch Vernachlässigung wichtiger Randgebiete begrenzt. Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern in Entwicklungsländern findet statt. Es gibt dort renommierte Universitäten und Institute. Für die Größe und Menge der Entwicklungsaufgaben und -probleme ist die Ausstattung mit wissenschaftlichen 2 von Hayek, Friedrich A.: Vorwort zu Röpke, Jochen: Primitive Wirtschaft, Kulturwandel und die Diffusion von Neuerungen, 1970, S. VI. 3 Durchow, Ulrich: Weltwirtschaft heute ein Feld für bekennende Kirche?, 1986, S. 186 ff.
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Einrichtungen und die Zahl der Wissenschaftler jedoch hoffnungslos unzureichend. Das heißt aber, daß der wissenschaftliche Berater in dem betroffenen Land, selbst wenn er wollte, in der Regel keinen Counterpart findet. Das heißt auch, daß nicht nur er keine Ergänzung und kritischen Dialog findet, sondern daß auch die Partner seines Auftraggebers in dem Land keine Beratung haben. Damit ist die Frage nach der Rezeption der Beratung auf der Gegenseite gestellt. Sie stellt, wie auch die des Auftraggebers, ein besonderes Problem dar und soll im nächsten Abschnitt behandelt werden. Es sei hier nur angemerkt, daß das tiefe Ungleichgewicht in der wissenschaftlichen Ausstattung die wissenschaftliche Beratung der Gefahr der Einseitigkeit und Willkür aussetzt, aber auch ihre Relevanz aus Mangel an bewußtem Nachvollzug beim Partner stark geflihrdet. So gesehen, kann wissenschaftliche Beratung auch zum "ausgestülpten Elfenbeinturm" werden. Es herrscht die Agenda des Nordens. Zu fragen ist hier auch nach der Rechenschaft des wissenschaftlichen Beraters. Diese Frage bleibt auch dann relevant, wenn davon ausgegangen wird, daß Beratung ja nur Entscheidungsgrundlagen liefert, und damit die Konsequenzen beim Entscheidungsträger liegen. In der Tat, für die Grenzen und Möglichkeiten der Beratung ist es wichtig, wie mit ihr praktisch umgegangen wird.
D. Determinanten der Entwicklungspolitik Entwicklungspolitik "ist - im Sinne einer Konzeption - als ein Veränderungswille aufzufassen, zielgerichtete und erfolgsversprechende Maßnahmen (in Ordnungs- und Ablaufpolitik) einzuleiten, um die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Menschen in den Entwicklungsländern zu verbessern". 4 Tatsächlich reduziert sich die Entwicklungspolitik in den meisten Industrieländern zur technischen und Kapitalhilfe. Das Gesetz vom nationalen Eigeninteresse setzt sich durch. Entwicklungshilfe ist kontrollier- und manipulierbar. Sie kann über Lieferbindungen zur Industrieförderung und durch gezielte Auswahl der Empfanger für außenpolitische Zwecke eingesetzt werden. Sie wurde als Mittel in der Ost-West-Auseinandersetzung (Berlin-Klausel) eingesetzt und zur Unterstützung marktwirtschaftlicher Reformen, selbst wenn diese nur durch militärische Macht möglich waren. Die oben genannte Konzeption hätte "Handel statt Hilfe" zur Folge gehabt, nämlich, ordnungspolitisch, den Abbau des Protektionismus. Aber schon die Ergebnisse allein dieser Politik wären nicht kontrollierbar gewesen und daher innenpolitischen Widerständen begegnet. So setzt sich die Pauperisierung der Entwicklungsländer über das herrschende Weltwirtschafts system fort. Der Zerfall der Exportpreise der Entwicklungsländer - zwischen 1980 und 1988 um etwa 40 % - trifft auch Kleinproduzenten und damit Träger einer breiten lokalen 4
Dams, Sp. 298.
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Nachfrage. Ihr Rückgang trifft die so schon prekären lokalen und regionalen Wirtschaften hart. Kapitalhilfe, häufig in Ansehung der entstandenen Notlage gegeben, kann diesen Nachfrageausfall weder quantitativ noch qualitativ ersetzen. Sie stellt eine punktuelle Bündelung von Kaufkraft dar, nachdem ein erheblicher Teil der Hilfe für Importe verbraucht ist und meist auch noch nationale Entscheidungsträger abgefunden wurden. Damit entfernt sich die Entwicklungspolitik noch mehr von ihrer ursprünglichen Konzeption und Zielsetzung, nämlich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Menschen in den Entwicklungsländern zu verbessern. Als Entwicklungshilfe, an der die nationalen Machthaber Interesse haben, ermöglicht sie die Aufrechterhaltung der bestehenden ungerechten Weltwirtschaftsordnung, die im Interesse der Industrieländer liegt, - auf Kosten der Menschen in den Entwicklungsländern. Dieser defensive Pragmatismus S der Industrieländer muß auch im Verhältnis zu der sinkenden Bedeutung der meisten Entwicklungsländer an den weltwirtschaftlichen Austauschbeziehungen gesehen werden. Allein der Anteil der 66 AKP-Länder an den Gesamtimporten der EG ist zwischen 1962 und 1988 von 8,8% auf 4,5%, der der verarbeiteten Produkte von 6,6% auf 1,5% gesunken. Demgegenüber belaufen sich die Zahlen für die Schwellenländer Asiens für verarbeitete Produkte auf 1,7% und 10,8%. Alte und neue Industrieländer unter sich? Dies ist noch nicht sicher. Von Europa 1992 werden erhebliche interne Anpassungsbewegungen erwartet, die über strukturbedingte Firmenschließungen und Arbeitslosigkeit neuen Protektionismus befürchten lassen. Von der "Festung Europa" ist die Rede. Bedrohte Industriezweige wie die Textilindustrie rufen zu verstärkter Lobby nach amerikanischem Muster auf. Längst sind die Schutzbestrebungen nicht mehr allein auf Billiglohnländer gerichtet. Sie spiegeln auch den Machtkampf mit der Konkurrenz aus Asien und Nordamerika wider. Entwicklungspolitik anders als Entwicklungshilfe spielt dabei kaum eine Rolle. Die Weltwirtschaftspolitik dient den konkurrierenden Interessen der Großen. "Wo Elefanten streiten, leidet das Gras." Diese Erfahrung machen auch die Politiker und die Menschen in den Entwicklungsländern und suchen nach Auswegen. Eine Konsequenz der rapiden Verschlechterung der "terms of trade" für traditionelle Agrarprodukte ist die Umstellung auf die Produktion und den Handel von Drogen. Ganze Volkswirtschaften sind in Asien und Lateinamerika von ihnen abhängig geworden. Eine weitere Rolle spielt der Waffenhandel. Beide stellen einen erheblichen und wachsenden Teil internationaler Wirtschaftsbeziehungen dar und damit einen grundlegenden qualitativen Wandel. Sie sind schwer erfaßbar und wirtschaftspolitisch nicht erreichbar, aber dennoch von großem und beherrschenden Einfluß. In dieser Qualität setzen sie auch jeder Entwicklungspolitik und Beratung enge Grenzen. 5
Dams, Sp. 319.
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Auch der Politiker, der seinen geringen außenwirtschaftlichen Spielraum und ständig die Dominanz der Industrieländerinteressen erlebt, wird sich darauf einstellen. Er wird eine Lösung in der Entwicklungshilfe begrüßen. Dabei sind persönliche Interessen nicht auszuschließen. Es sei beispielsweise an die Marcosund Duvalier-Millionen im Ausland erinnert: Entwicklungshilfe als Konversionsmittel von Einfluß in harte Währung und nicht zuletzt zur Machtstabilisierung im eigenen Interesse und dem der Partner, die ihrerseits an der Aufrechterhaltung bewährter Beziehungen interessiert sind. Ein derartiges Interessenkartell, wo z. B. Lieferbindung oder internationale Ausschreibung der Auftragsvergabe an ein Entwicklungsprojekt vorgezogen werden, verfälscht Entwicklungspolitik und führt Beratung ad absurdum. Die sattsam bekannten Entwicklungsruinen sind weitere Beispiele einer unseriösen Politik, die nur deshalb nicht als Interessenkollision deutlich werden, weil ihr Versagen auf weltwirtschaftliche Zwänge abgelastet werden kann und sie sich damit in ein negatives, aber unverschuldetes Erfahrungsfeld einordnen lassen. Oder, wie es ein Banker analog ausdrückte: LetzIich ist an der hohen Verschuldung das viele Öl geld schuld, nicht die eigene Geschäftspolitik oder Fahrlässigkeit. Welche Möglichkeiten hat wissenschaftliche Beratung gegenüber einem derartigen Interessengeflecht? Aber auch wenn entwicklungspolitische Ansätze möglich werden, stellen sich ihrer Implementierung Schwierigkeiten entgegen, die z. T. Ausfluß der politischen Situation sind.
E. Probleme der Politikumsetzung Wie oben bereits angedeutet, sind zur Politikumsetzung Strukturen notwendig. Funktionsfähige Verwaltungen werden in Analogie zu den eigenen vorausgesetzt. In vielen von Armut, kurzer Unabhängigkeitsgeschichte und massiver Destabilisierung geplagten Regionen gibt es aber kaum Verwaltungen, nicht einmal Regierungen, die dem auch nur annähernd entsprechen. Allein Kommunikation, Verkehrs infrastruktur und Entscheidungswege erschweren Politikumsetzung und Projektdurchführung nachdrücklich. Mangelnde Verwaltungs- und Durchführungserfahrung und -organisation, die "Verwaltungskultur", spielen eine Rolle. Wissenschaftliche Beratung kann diese Determinanten einzubeziehen suchen. Da die Einflußfaktoren aber letzIich "menschlich" sind, sind sie nur schwer einschätzbar und die Beratung daher in ihrer Relevanz gefährdet. Tatsächlich ist auch zu beobachten, daß eher kompliziertere als einfachere Entwicklungsstrategien vorgeschlagen wurden. Dazu gehört die integrierte ländliche Entwicklung: Landwirtschaft, Gewerbe, Erziehung, Gesundheit, Dorfentwicklung, alles zusammen und synchron. Neben Sprach- und Interpretationschwierigkeiten stellen sich Verständnis- und Konzeptionsunterschiede ein. Koordinierungs-, Kompetenzund Federführungsansprüche sind hier ebenso gängig wie bei ähnlichen Vorhaben bei uns, die eine Vielzahl von Ämtern einbeziehen.
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Nur kommt hier noch eine Reihe weiterer Faktoren erschwerend hinzu: Entwicklungshilfe steht unter Zeitdruck, der sich aus Planungsperioden, Haushaltszwängen, Erfolgszwang, Zielvorgaben oder einfach Ungeduld ergibt. Aber die Uhren gehen hier anders, und es ist schwierig, ihren Gang, der mit Kultur und Kulturwandel zu tun hat, richtig einzuschätzen. Hier kommt es auch zu fragwürdigen Ansätzen, in denen die Menschen an die Entwicklung angepaßt werden und nicht als Subjekte ihrer eigenen Entfaltung verstanden werden. So kann es in Verbindung von interventionistischer Konzeption und einer plangebundenen Verwaltung über unterschiedliche Verständnisebenen zu Quälereien und menschenfeindlichen Entwicklungen kommen, wie unter der Ujama-Politik in Tansania. In der Entwicklungshilfe besteht ein Mittel der Ausschaltung von erfolgsgefahrdenden Einflüssen darin, Projekte in eigene Regie zu übernehmen, in der Hoffnung, sie nach einer bestimmten Zeit an lokale Kräfte übergeben zu können. Beratung ist hier einfacher, da die personellen und finanziellen Faktoren kalkulierbarer sind. Abgesehen davon, daß sich auch dann meist menschlich bedingte Probleme einstellen können, wird die Probe aufs Exempel nur verschoben. Ob die Maßnahme wurzelt, ist nicht nur eine Frage ihrer finanziellen Rentabilität und technischen Durchführbarkeit, sondern auch der sozialen Kommunikation, d. h. ob die Bevölkerung sie sich aneignet und sich für sie verantwortlich fühlt. Es ist auch eine Frage der sozialen Dynamik, ob Menschen in die gegebenen Verantwortungen hineinwachsen können, ob die politischen Führer und Meinungsbildner sich offen zeigen. All dies sind Fragen, die für eine Beratung schwierig zu beantworten sind. Sie ergeben sich aus dem Ansatz der Entwicklungshilfe, nämlich, statt die ordnungs- und ablaufspolitischen Voraussetzungen für die Entfaltung der Menschen zu schaffen, sie einem vorgefaßten Projekt, Plan oder Rahmen einzupassen. Aber sollen wir deshalb die wissenschaftliche Beratung aufgeben? F. Nachwort Die Grenzen der wissenschaftlichen Beratung aus politischen, wirtschaftlichen und sozio-kulturellen, sowie aus methodischen und persönlichen Gründen sind offensichtlich und Irreführungen nicht ausgeschlossen. Dynamisch gesehen ist Beratung als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Praxis aber wichtig. Sie erweitert den Optionshorizont für Entscheidungen, vermittelt Ideen und vertieft den Kenntnisstand. Sie dient als Dialogpartner auf der entwicklungspolitischen Lösungssuche. Als solchem wachsen ihr wichtige Funktionen zu, die aber an ihr Selbstverständnis gebunden sind. Durch die Bezeichnung ihrer eigenen Grenzen kann sie auch die Grenzen entwicklungspolitischer Zielsetzungen und Machbarkeit verdeutlichen, durch Offenlegung eigener Wertvorstellungen, Grenzbestimmung eigener Kompetenz und
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KlarsteIlung eigener Aussageziele zur ideologischen Klärung der Entwicklungspolitik beitragen. Indem sie es mit den Counterparts in den Entwicklungsländern ernst nimmt, setzt sie sich aus, kann sie zur Rechenschaft gezogen werden und durch Gegenseitigkeit wachsen. Hier liegt eine Chance für die Wissenschaft, aus der praktischen Erfahrung gemeinsam neue Wege und Alternativen zur neoliberalen Sackgasse zu entwickeln, die letztlich nicht ohne Wirkung auf die entwicklungspolitische Praxis bleiben können. Ein derartiger Wandel wird die konkreten sozialen und individuellen (Über-) Lebensbedürfnisse der Menschen in den Vordergrund rucken und nach Gerechtigkeit, Frieden und dem Umgang mit der Schöpfung fragen. Er wird Entwicklung als eigenständige Aufgabe wiederentdecken und der Partizipation und Würde aller Menschen eine Schlüsselrolle einräumen. Es gilt, der Logik der Kapitalakkumulation und der ihr zugrundeliegenden zerstörerischen Verwertungsmentalität entgegenzuwirken. Ein Bekenntnis zu Ethik ist angesagt, angesagt in einem revolutionären Sinne wie die Botschaft Jesu Christi, nämlich umzukehren und dem Leben und seiner Bewahrung und Erfüllung zu dienen. Theodor Dams zitiert J. Robinson mit der Feststellung, daß für "unabhängige Ökonomen es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sich auf die Seite der Menschlichkeit zu stellen".6 Wissenschaftliche Beratung der Entwicklungspolitik könnte hier ein wichtiger Impulsgeber sein.
6
Dams, Sp. 298.
Beteiligung der lokalen Bevölkerung an den Bestrebungen zur Erhaltung und Wiederherstellung des Waldes in Entwicklungsländern Von Hansjürg Steinlin
A. Die fortschreitende Zerstörung der Tropenwälder Sowohl die Flächenabnahme als auch die innere Degradation der Tropenwälder gehen trotz aller internationalen Bestrebungen mit unvermindertem Tempo weiter oder beschleunigen sich sogar in manchen Ländern.! Die Ursachen und Folgen sind mannigfaltig und brauchen an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden. 2 Ebenso bedenklich wie der absolute Rückgang der Waldfläche ist der vielenorts festgestellte starke Verlust an Biomasse in den verbliebenen Wäldern, wobei nach der Definition der FAD noch von Wald gesprochen wird, wenn die Projektion der Baumkronen auf den Boden mindestens 10 % der Fläche beträgt. Der Biomasseverlust hat ebenfalls verschiedene Ursachen, z. B. selektiver, kommerzieller Holzeinschlag in Feuchtwäldern, Brennholznutzung und Holzkohleproduktion in trockeneren und dicht besiedelten Gebieten, Waldbrände, aber auch land- und viehwirtschaftliche Nutzung unter einem Schirm von Waldbäumen. Typisch für jene Gebiete, in denen die Waldzerstörung vor allem durch ungeregelte, spontane Inbesitznahme durch kleinbäuerliche Brandrodung erfolgt, ist die starke Zersplitterung des noch verbleibenden Waldes in kleine, meist unregelmäßig geformte Inseln und Restflächen mit entsprechend langen Grenzen gegenüber Pflanzungen, Viehweiden oder gegenwärtig nicht oder nicht mehr genutzten Brachflächen. Das Ausmaß der Fragmentierung des noch übrig gebliebenen Waldes in einigen westafrikanischen Ländern zeigt die Abbildung 1. In den Ländern mit dem stärksten Waldrückgang, Ghana, Elfenbeinküste und Nigeria, entfallen auf einen Hektar Waldfläche nicht weniger als 35 - 40 m Waldrand, der dauerndem menschlichem Druck ausgesetzt ist, was zwangsläufig zu einer weiteren Erosion der Waldfläche führt. In den verbliebenen Waldinseln ist das ursprüngliche Waldökosystem weitgehend verändert. Diese Flächen können ! Vgl. Dembner, Stephen A.: Provisional data from the Forest Ressources Assessment 1990 Project, in: UNASYLVA, Vol. 42, Nr. 164, 1991/1. 2 Vgl. Steinlin, HansjÜTg: Tropenwälder, in: Freiburger Universitätsblätter, Heft 105, 1989.
Hansjürg Steinlin
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Abbildung 1 Grad der AufspLitterung der noch geschLossenen WaLdbest:inde ( Lange der Waldrander im
m1 pro
ha
Waldflache )
Quelle: DEMBNER 1991
40
fragmentlerungslndex
30
20
10
Togo
Guinea
Sierra Leone
Liberia
Ghana
Elfenbein-
Nigeria
kOste
auch ihre ökologischen Funktionen nur mehr sehr beschränkt erfüllen und ihr Artenreichtum nimmt rasch ab. Unter diesem Aspekt sind großflächige, geplante Waldumwandlungen in Plantagen oder andere Intensivkulturen, bei denen klare und kurze Waldgrenzen angestrebt werden und größere geschlossene Waldkomplexe zurückbleiben, wesentlich günstiger zu beurteilen. Neben der Holzexploitation, die oft den Ausgangspunkt für eine spontane Besiedelung des Waldes durch Kleinbauern darstellt, ist die Ausweitung der land- und viehwirtschaftlich genutzten Flächen die wesentlichste Ursache für den Rückgang der Tropenwaldfläche in fast allen Entwicklungsländern. Sofern die Flächenproduktivität auf den land- und viehwirtschaftlich genutzten Flächen nicht mindestens im gleichen Ausmaß ansteigt wie die Nachfrage nach deren Produkten, sei es für die eigene Versorgung oder den internationalen Markt, ist eine horizontale Ausdehnung der Produktionsflächen unvermeidlich. In vielen Regionen stellt der Wald die einzige oder mindestens die am leichtesten in Anspruch zu nehmende Landreserve dar und die Ausweitung der Landwirtschaftsflächen geschieht auf seine Kosten. Jede Zunahme der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung in einer ursprünglich stark bewaldeten Region führt zwangsläufig zu einem zusätzlichen Druck auf den Wald, gleichgültig, ob dieser Bevölkerungszuwachs die Folge eines regional
Beteiligung der lokalen Bevölkerung
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hohen Geburtenüberschusses oder von Wanderungsbewegungen im nationalen oder internationalen Rahmen ist. In vielen Entwicklungsländern hat in den letzten Jahren die durchschnittliche Flächenproduktivität bei der land- und viehwirtschaftlichen Produktion nicht zugenommen oder ging sogar wegen Erschöpfung der Nährstoffvorräte, Versalzung, Wind- und Wassererosion sowie dem Zwang, zunehmend weniger fruchtbare Böden in Anspruch zu nehmen, sogar zurück. Allein zur Aufrechterhaltung der bisherigen Pro-Kopf-Produktion, also ohne Berücksichtigung vermehrter Ansprüche der Bevölkerung oder den Anbau von Exportprodukten, muß unter diesen Umständen die land- und viehwirtschaftlich genutzte Fläche jährlich um mindestens den gleichen Prozentsatz wie die Bevölkerung anwachsen. Die Auswirkungen auf die Waldfläche zeigen die beiden nachfolgenden Modellrechnungen.
Abbildung 2
Waldflächenabnahme zugunsten der land- und viehwirtschaftlich genutzten Fläche
100
"
FUlchenanteil
90 80 70 60
SO 40 30 20 10 1960
70
80
90
2000
2010
20'20
Annahmen: 1960 Anteil Wald 60" Land ....irtschaft 20" unproduktiv 20" BevOlkerungs .... achstum 2,5" pro Jahr. FUlchenproduktlvitat Land .... irtschaftlich konstant. Alle gerodeten Flachen bleiben land ....irtschaftlich genutzt. 21 Festgabe Tb. Dams
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Hansjürg Steinlin Abbildung
3
Entwicklung der Waldfläche,der land-und viehwirtschaftlich genutzten Fläche und der unproduktiven Fläche
"-
Fl:lchenanteil
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 1960
70
80
90
2000
2010
2020
Annahmen: Anteil Wald 60 "1960 Landwirtschaft 20 "unproduktiv 20 "BevOlkerungswachstum 2,5 "- pro Jahr. Fl:lchenverlust Landwirtschaft durch Erosion, Versalzung, Desertifikation, Degradation etc. 2 "- pro Jahr.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich die entscheidende Bedeutung einer Zunahme der Flächenproduktivität in der Land- und Viehwirtschaft als eines der wirksamsten Mittel, um eine weitere Verminderung der Waldfläche zu bremsen oder gar zu stoppen. Das zeigt auch der Vergleich mit der Entwicklung in vielen Industrieländern, wo die Flächenproduktivität in der Land- und Viehwirtschaft in den letzten Jahrzehnten weit stärker gestiegen ist als die Nachfrage nach deren Produkten. Diese Entwicklung führt dazu, daß beträchtliche Flächen bisher landund viehwirtschaftlich genutzten Landes durch gezielte Aufforstung oder natürliche Wiederbestockung zu Wald werden. Besonders eindrücklich und gut untersucht sind die Zusammenhänge zwischen zunehmender Bevölkerung, Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion zur Selbstversorgung und für den Export von Landwirtschaftsprodukten im Feucht-
Beteiligung der lokalen Bevölkerung
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waldgürtel der Elfenbeinküste. 3 Hier führte seit der zweiten Hälfte der 60er Jahre die staatlich stark geförderte selektive Wertholznutzung für den Export zu einer weitgehenden Erschließung des Waldes durch Straßen und Maschinenwege. In diesem ursprünglich sehr dünn besiedelten Gebiet mangelte es jedoch an Arbeitskräften für die Holzexploitation. Der zunehmende Arbeitskräftebedarf wurde vorwiegend durch Wanderarbeiter aus Burkina Faso und Mali gedeckt. Die Gastarbeiter erkannten rasch, daß die ökologischen Bedingungen für eine landwirtschaftliche Produktion im Feuchtwaldgürtel günstiger waren als in ihren, in jenen Jahren stark unter der Trockenheit leidenden Heimatländern und begannen, sich in den neu erschlossenen Waldgebieten anzusiedeln und Brandrodung zu betreiben. Stark gefördert wurde diese Entwicklung durch eine an sich vernünftige Agrarpolitik der Elfenbeinküste, welche durch staatliche Garantiepreise für die Exportprodukte Kakao, Kaffee und Baumwolle auch die kleinbäuerliche Produktion begünstigte und die Zuwanderung aus den armen Nachbarländern noch mehr steigerte. Innerhalb von weniger als zwei Jahrzehnten wurde auf diese Weise der größte Teil des wertvollen Waldes zerstört bzw. in überwiegend extensiv bewirtschaftete Pflanzungen und Brandrodungsflächen umgewandelt. Die Abbildung 4 zeigt die Entwicklung der Wald-und Landwirtschaftsfläche der Elfenbeinküste von 19601990. Inzwischen ist wegen weitgehender Erschöpfung der Holzvorräte der Einschlag und der Export von Wertholz stark zurückgegangen und der Zusammenbruch der Kakao- und Kaffeepreise auf dem Weltmarkt führte zu einer Krise der landwirtschaftlichen Exportproduktion, welche die Elfenbeinküste heute vor große wirtschaftliche Probleme stellt. Das Beispiel der Elfenbeinküste ist typisch für viele Länder und Teilregionen in den Tropen und zeigt den engen Zusammenhang zwischen allgemeiner Entwicklungspolitik, Agrarpolitik und Waldflächenentwicklung.
B. Die Erhaltung der Tropenwälder ein internationales Politikum Die Erhaltung der Tropenwälder und deren Wiederherstellung ist heute zu einem wichtigen Thema der internationalen Politik geworden und es fehlt nicht an Vorschlägen und Rezepten, wie dies bewerkstelligt werden könnte. Nicht alle diese Vorschläge sind realistisch und manche gehen von falschen Voraussetzungen aus. Unbestritten ist, daß die Entwicklungsländer allein das Problem nicht lösen können und internationale Hilfe erforderlich wird. 3 Vgl. Pretzsch, Jürgen: Traditionelle Bodenbewirtschaftung, weltmarktorientierte Plantagen-Produktion und Tropenwaldzerstörung in der Republik Elfenbeinküste, in: Schriftenreihe des Instituts für Landespflege der Universität Freiburg, Heft 8, 1986.
21'
Hansjürg Steinlin
324
Abbildung 4
EntwickLung von Waldfläche, Land- und viehwirtschaftlich genutzter FLäche und Brache in der ELfenbeinküste 1960 - 1990 Mlo ha 11
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Plantagenkulturen I Kaffee, Kakao, etc.)
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Nahrungsmlttelkul turen Integriert In Plantagekulturen
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85
90
traditionelle Nahrungsmittelkulturen Brache
Die Idee, die Erhaltung von wertvollen Teilen der noch vorhandenen Tropenwälder mit der Regelung der Schuldenfrage zu koppeln, wie es u. a. Oberndörfer 4 vorgeschlagen hat, erscheint auf den ersten Blick bestechend. Sie übersieht aber, daß es nicht genügt, wenn eine Regierung aufgrund eines internationalen Abkommens die ganze Waldfläche oder auch einen Teil der noch vorhandenen Wälder unter Schutz stellt und zu Reservaten oder einem Nationalpark erklärt. Selbst bei bestem Willen einer Regierung bleibt eine solche Erklärung in vielen Fällen 4 Vgl. Obemdörfer, Dieter: Schutz der tropischen Regenwälder durch Entschuldung, Perspektiven und Orientierungen, in: Schriftenreihe des Bundeskanzleramtes, Bd. 5, 1989 und ders.: Schutz der tropischen Regenwälder durch ökonomische Kompensation, in: Freiburger Universitätsblätter, Heft 105, 1989.
Beteiligung der lokalen Bevölkerung
325
Abbildung 5
EinschLag und Export von tropischem Laubstammholz der EL fenbeinküste
1962 - 1989
( Quelle: FAO. Forest Products Yearbook )
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wirkungslos, wenn nicht gleichzeitig die eigentlichen Ursachen der Waldzerstörung bekämpft und ausgeschaltet werden und wenn nicht gleichzeitig eine wirkungsvolle Organisation geschaffen wird, die eine dauernde Überwachung und den Schutz des Waldes vor Eingriffen an Ort und Stelle sicherstellt. Beides sind Aufgaben, die unter den Verhältnissen der meisten Entwicklungsländer nicht innert kurzer Zeit gelöst werden können und schwerwiegende Veränderungen des gesamten wirtschaftlichen und politischen Systems voraussetzen. Solange bis diese Voraussetzungen geschaffen sind, bleiben daher solche Schutzabkommen, abgesehen von besonders günstigen Verhältnissen, lediglich auf dem Papier. Dort, wo jedoch solche günstigen Verhältnisse vorhanden sind und ein solches Schutzabkommen funktionieren könnte, ist in der Regel auch der Druck auf den Wald gering und somit auch ein Schutzabkommen nicht so dringend. Die Erfahrung zeigt eindeutig, daß es auf die Dauer unmöglich ist, einen Wald gegen den Willen und die vitalen Interessen der am Rande oder gar im Innern des Waldes lebenden Bevölkerung zu erhalten. Das gilt übrigens für Industrieländer so gut wie für Entwicklungsländer. Auch in den heutigen Industrieländern griffen die üblichen Werkzeuge der Forstpolitik, Gesetzgebung, Landnutzungs-
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HansjÜfg Steinlin
planung und Forstpolizei erst, als sich die sozio-ökonomischen Verhältnisse der am und vom Wald lebenden Bevölkerung soweit verändert hatten, daß die Landnutzungskonflikte zwischen Waldwirtschaft und anderen Sektoren an Bedeutung verloren, oder die Bevölkerung im näheren Umkreis um den Wald gar direkt von seiner Existenz und seiner nachhaltigen und pfleglichen Bewirtschaftung profitieren konnte. Dies zeigt ein Blick auf die Forstgeschichte in allen heutigen Industrieländern. Die Forstpolitik der Kolonialmächte zielte zunächst darauf hin, möglichst große Teile der wertvollen Wälder dem Einfluß und der Nutzung durch die lokale Bevölkerung zu entziehen, um sie als Eigentum der Krone oder des Staates nutzen zu können. Die damals zahlenmäßig meist noch kleine Bevölkerung im Bereich der Wälder wurde im besten Fall mit entsprechend kleinen Waldflächen abgefunden, welche dazu dienen sollten, die dringendsten Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung nach Brennholz und anderen Waldprodukten zu decken. Im übrigen wurde die in den Waldgebieten lebende Bevölkerung vor allem als Störfaktor empfunden und versucht, sie durch eine entsprechende Forstgesetzgebung und eine wirkungsvolle Forstpolizei aus dem Wald herauszuhalten, was unter dem kolonialen Regime auch einigermaßen funktionierte. Dadurch wurde aber auch das Verhältnis zwischen lokaler Bevölkerung und Forstverwaltung belastet und bei der Bevölkerung der Eindruck verstärkt, der vom Staat beanspruchte und verwaltete Wald sei für sie wertlos oder beeinträchtige sogar ihre weitere Entwick1ung. Eine nicht geringe Rolle spielten dabei in vielen Fällen, vor allem in Afrika, auch grundsätzliche Unterschiede zwischen europäischem Recht mit dem Prinzip der Verfügungsgewalt über Grund und Boden gegenüber traditionellen, lokalen Rechtsauffassungen, wonach die Erde und der Wald den Ahnen oder den Göttern gehöre und lebende Menschen höchstens temporäre Nutznießungsrechte hätten, solange sie ein Stück Land selbst bewirtschaften. Die durch die Entkolonialisierung unabhängig gewordenen Staaten und ihre Berater übernahmen fast ausnahmslos das forstpolitische Konzept der Kolonialverwaltungen und erklärten die Wälder zum Staatseigentum, das in erster Linie dazu dienen sollte, dem Staat Fiskaleinnahmen und durch den Export von Holz und Holzprodukten Devisen zu verschaffen. 5 Die Interessen der lokalen Bevölkerung wurden dabei dem Staatsinteresse untergeordnet. Für die Bevölkerung der Waldgebiete ergab sich dadurch kaum eine Änderung gegenüber der Kolonialzeit, vielleicht mit Ausnahme der Tatsache, daß Forstgesetzgebung und Forstpolizei in den neu entstandenen Staaten weniger wirksam waren.
5 Vgl. Steinlin, HansjÜfg / Pretzsch, JÜfgen: Der tropische Feuchtwald in der internationalen Forstpolitik, in: Holz-Zentralblatt, Nr. 138, 1984.
Beteiligung der lokalen Bevölkerung
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c. Die traditionelle Forstpolitik brachte der lokalen Bevölkerung kaum Vorteile
Die Nutzung der Feuchtwälder durch vom Staat konzessionierte Exploiteure brachte der lokalen Bevölkerung kaum Vorteile. Die Konzessionsgebühren gingen an den Staat, und soweit sie nicht in zweifelhaften Kanälen versickerten, wurde ihr Gegenwert meist in der Hauptstadt oder in den Ballungsgebieten investiert oder konsumiert. Dasselbe gilt auch für die Deviseneinnahmen aus den Exporten von Rohholz und Holzprodukten. Die Zahl der durch die Holzexploitation in den eigentlichen Waldregionen geschaffenen Arbeitsplätze war gering. Aus technischen und wirtschaftlichen Gründen müssen sowohl für den Straßen- und Wegebau als auch für die Manipulation und den Transport der schweren Tropenholzstämme leistungsfähige Großmaschinen eingesetzt werden, die zu ihrer Bedienung qualifiziertes, oft auch ausländisches Personal benötigen. Die am Rand des Waldes und im Wald lebende autochthone, kleinbäuerliche Bevölkerung verfügt über wenig freie Arbeitskapazität, um regelmäßig beim Einschlag und Transport des Holzes oder beim Strassenbau eingesetzt zu werden. Zudem fehlt in der Regel auch eine entsprechende Tradition und Ausbildung. Eventuell freie Arbeitskräfte wandern eher in die Städte und Ballungsgebiete ab, in der Hoffnung, dort besser bezahlte, leichtere und angesehenere Arbeit zu finden. Auch die Holzverarbeitungsbetriebe, sofern überhaupt solche in den Entwicklungsländern selbst entstanden und nicht vorwiegend Rohholz exportiert wurde, wurden in den seltensten Fällen in den Holzeinschlagsgebieten, sondern aus Gründen der besseren Infrastruktur, der Energieversorgung und auch der Absatzmärkte meist in den Ballungsgebieten oder an der Küste errichtet. Der Mangel an geeigneten Arbeitskräften aus dem engeren Bereich der Holzeinschlaggebiete wurde daher überwiegend durch Wanderarbeiter, teilweise aus Nachbarländern gedeckt, wie bereits für die Elfenbeinküste erwähnt. Untersuchungen von Pretzsch 6 haben denn auch ergeben, daß im Jahre 1979 in der Holzexploitation der Elfenbeinküste nur knapp 40 % Ivorer, über 56 % andere Afrikaner und 3,6 % Nichtafrikaner beschäftigt waren. Von den ausbezahlten Löhnen gingen lediglich 33,6 % an Ivorer, 36,6 % an sonstige Afrikaner und 29,8 % an Nichtafrikaner. Beim Anteil der Ivorer ist außerdem zu berücksichtigen, daß ein beträchtlicher Teil von ihnen nicht aus den Einschlaggebieten selbst, sondern aus anderen Teilen des Landes kamen. Diese Zahlen zeigen mit aller Deutlichkeit, daß die ortsansässige Bevölkerung aus der Holzexploitation kaum einen Nutzen zog. Abgesehen von einigen wenigen 6 Vgl. Pretzsch, Jürgen: Die Entwicklungsbeiträge von Holzexploitation und Holzindustrie in Ländern der feuchten Tropen, dargestellt am Beispiel der Elfenbeinküste, in: Schriftenreihe des Instituts für Landespflege der Universität Freiburg, Heft 11, 1987.
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leistungsfähigen, während des größten Teils des Jahres befahrbarer Holzabfuhrstraßen ergab sich auch kaum eine Verbesserung der allgemeinen Infrastruktur durch Siedlungen, Schulen, Krankenstationen, Energieversorgung usw. in den eigentlichen Einschlaggebieten. Die Konzessionäre waren angesichts der kurzen Konzessionsdauer und der unsicheren rechtlichen und politischen Verhältnisse an dauerhaften Investitionen nicht interessiert. Positiv aus der Sicht der lokalen Bevölkerung waren einzig die zurückgebliebenen Erdwege, Rückegassen und Lagerplätze, die den exploitierten Wald für die Besiedelung und Brandrodung erschlossen, wobei die Einheimischen allerdings zunehmend in Konkurrenz zu den neu eingewanderten und hier seßhaft gewordenen Wanderarbeitskräften standen. Während die autochthone Waldbevölkerung dem Naturwald noch einen gewissen Respekt entgegenbrachte und ihre Lebensweise und Wirtschaftsform weitgehend den ökologischen Verhältnissen derart angepaßt hatten, daß der Wald nicht zerstörerisch genutzt wurde, fehlt der meist aus Steppengebieten zugewanderten Bevölkerung weitgehend das Verständnis für den Wald und seine nachhaltige Nutzung. Der Wald wird eher als ein Feind gesehen, der durch andere Kulturen ersetzt werden soll. Als Folge der Holzexploitation und der nachfolgenden Brandrodung wurde aber auch die bisherige Nutzung des Lebensraumes Wald durch die autochthone Bevölkerung obsolet und dieser verlor dadurch auch für sie an Interesse, wie Pretzsch für die Elfenbeinküste sehr schön nachgewiesen hat. 7 Aus dem Gesagten wird deutlich, daß sich bei der bisherigen Form der exploitiven Nutzung der tropischen Feuchtwälder für die lokale Bevölkerung eher Nachteile als Vorteile ergeben haben und daß vor allem auch ihr Interesse an der Erhaltung des Waldes verschwindet und dieser immer mehr lediglich als eine Landreserve für die weitere Expansion der land- und viehwirtschaftlichen Nutzung gesehen wird. Auch die Wiederaufforstung entwaldeter Gebiete durch großflächige Industrieholzplantagen bringt der lokalen Bevölkerung nur geringen Nutzen. Zwar haben die Betreiber solcher Holzplantagen ein größeres Interesse an einer dauerhafteren Infrastruktur als die reinen Exploitationsbetriebe. Mindestens in der Phase der ersten Anpflanzung wird zudem eine größere Zahl von Arbeitsplätzen geschaffen, die auch für die lokale Bevölkerung geeignet sind, vor allem, wenn bei der Begründung der Pflanzbestände vorübergehend (1-3 Jahre) eine agroforstliche Zwischennutzung (Taungya-System) möglich ist. Sobald die Baumbestände aber einmal geschlossen sind, verlieren sie für die lokale Bevölkerung jedes Interesse. Der Einschlag erfolgt in der Regel hoch mechanisiert, das Holz wird an Fabriken geliefert, die ihren Standort in den Industrieregionen oder gar im Ausland haben. Außer einigen Holzabfallen bleibt für die lokale Bevölkerung nichts übrig, was ihr Leben erleichtern oder als 7
V gl. Pretzsch, 1986.
Beteiligung der lokalen Bevölkerung
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Ausgangsmaterial für lokale, gewerbliche oder kleinindustrielle Verwendungszwecke dienen könnte. Industrieholzplantagen sind in der Regel Monokulturen aus exotischen Baumarten, oft Eukalyptus und Kiefern, die der lokalen Bevölkerung kaum eine Möglichkeit von Nebennutzungen eröffnen. Zudem werden diese Pflanzungen meist auf relativ fruchtbaren Böden angelegt und stehen damit in Konkurrenz zu den Wünschen und Bedürfnissen nach Ausdehnung der land- und viehwirtschaftlich genutzten Flächen. Die in der Regel rigide und effiziente Absicherung des Eigentums der industriellen Unternehmer durch eine entsprechende Forstpolizei schafft außerdem oft Irritationen, welche ebenfalls nicht dazu angetan sind, Verständnis und Sympathie der einheimischen Bevölkerung für den Wald und seine Erhaltung zu entwikkeIn. Die von einigen Ländern in großem Maßtab als forstpolitisches Instrument eingesetzten Steuervorteile für die Aufforstung industrieller Pflanzungen nützen ebenfalls nur den Großinvestoren und sind für die übrige Bevölkerung ohne Bedeutung.
D. Eine moderne Walderhaltungspolitik muß auf die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung Rücksicht nehmen Aus dem Gesagten wird deutlich, daß in sehr vielen Fällen Konflikte zwischen den nationalen und internationalen Interessen an der Walderhaltung auf der einen und jenen der am Wald und im Wald lebenden lokalen Bevölkerung auf der anderen Seite bestehen und in der Regel auch die psychologischen Voraussetzungen nicht günstig sind, um die betroffene Bevölkerung für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der tropischen Wälder zu gewinnen. Selbst dort, wo der Wald durch seine indirekten Wirkungen (Verbesserung des Lokalklimas, Erosionsschutz, Wasserhaushalt und die oft klandestinen Nebennutzungen wie Brennholz, Jagd, Viehfutter) der lokalen Bevölkerung unbestreitbaren Nutzen bringt, werden von dieser in erster Linie die Nachteile und ihre Benachteiligung gegenüber den anderen Interessenten am Wald gesehen, was durchaus verständlich ist. Diese Sachlage wird von vielen Gruppierungen und Politikern, die sich vehement für den Schutz und die Erhaltung der Tropenwälder einsetzen, nicht genügend gewürdigt. Das gilt sowohl für viele Kreise in den Industrieländern als oft auch für Politiker und andere Angehörige der sogenannten Eliten in den Entwicklungsländern selbst. Aus dieser Fehlbeurteilung resultieren dann oft unrealistische Lösungsvorschläge und Unverständnis für Schwierigkeiten, die Walderhaltung auch an Ort und Stelle durchzusetzen. Aufgabe einer verantwortungsbewußten Politikberatung ist daher, vor Illusionen zu warnen, auf die realen Probleme hinzuweisen und zum mindesten Wege zu zeigen, die zu deren Lösung beitragen können, auch wenn solche Vorschläge nicht überall populär sind oder den gängigen politischen Leitbildern entsprechen.
330
Hansjürg Steinlin
Angesichts der engen Zusammenhänge zwischen den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung auf der einen und dem Zustand und der weiteren Entwicklung des Waldes in ihrem Einzugsbereich auf der anderen Seite muß die in den Waldregionen lebende Bevölkerung eine wichtige Zielgruppe aller nationalen und internationalen forstpolitischen Bestrebungen zur Stabilisierung der Waldfläche und der Rehabilitation degradierter Wälder sein. Ohne deren Verständnis, deren Wohlwollen und auch deren Interesse an der Erhaltung eines leistungsfähigen Waldbestandes kann eine Walderhaltungspolitik nicht erfolgreich sein, die allein auf politische Entscheide einer höheren Ebene abstellt oder die sich vorwiegend mit technokratischen und polizeilichen Maßnahmen begnügt. Das muß den für die politischen Entscheide auf höherer Ebene Verantwortlichen sowohl in den Industrie- als auch den Entwicklungsländern klar gemacht werden. Eine entsprechende forstpolitische Strategie muß auf zwei Schwerpunkte setzen. Einerseits kommt es darauf an, die weitere horizontale Ausdehnung der Land- und Viehwirtschaftsflächen in den Wald hinein zu unterbinden. Das kann nur dadurch erreicht werden, daß in den land- und viehwirtschaftlich genutzten Gebieten um den Wald herum jene ökonomischen Zwänge entschärft werden, die bisher zur stetigen Ausweitung der Kulturlandflächen in den Wald hinein führten. Mittel dazu sind einmal eine Steigerung der land- und viehwirtschaftlichen Flächenproduktivität durch bessere Bodenpflege, Düngung, Schädlingsund Unkrautbekämpfung sowie der Übergang zu leistungsfähigeren Sorten und Tierrassen. Nur dadurch kann erreicht werden, daß die jetzt in diesen Gebieten lebende Bevölkerung auf den bereits dem Walde abgenommenen Flächen ihren Lebensunterhalt verdienen und seßhaft werden kann. Dabei sollen sich ihre Lebensbedingungen durch die Begrenzung der weiteren Ausdehnung der Produktionsflächen nicht verschlechtern, sondern wenn möglich sogar verbessern. Daß diese Aufgabe nicht einfach ist, weiß jeder, der mit landwirtschaftlicher Entwicklung unter den sozio-ökonomischen und ökologischen Verhältnissen der meisten Tropenländer befaßt war. Aber es gibt keinen anderen Weg, um den Druck auf den Wald zu vermindern. Gleichzeitig mit den Anstrengungen zur Steigerung der Flächenproduktivität muß auch die Land- und Viehwirtschaft treibende Bevölkerung zahlenmäßig stabilisiert werden. Sie darf in Zukunft auf keinen Fall stärker ansteigen als die Flächenproduktivität. Mittel dazu sind einerseits eine zielbewußte Familienplanung, die aber unter den herrschenden Verhältnissen nur sehr langfristig wirksam wird und die Verhinderung weiterer Zuwanderung aus anderen Regionen, andererseits aber auch die Schaffung neuer produktiver Arbeitsplätze außerhalb der Bodennutzung. Diese neuen Arbeitsplätze können in der Region selbst oder in anderen Regionen des Landes geschaffen werden, sie müssen aber attraktiv genug sein, um überschüssige Arbeitskräfte aus der Bodennutzung abzuziehen. Auch diese Aufgabe ist nicht einfach und braucht Zeit sowie konzertierte Aktivitäten verschiedener Behörden und Wirtschaftssektoren.
Beteiligung der lokalen Bevölkerung
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Während der eine Schwerpunkt dieser forstpolitischen Strategie darauf gerichtet ist, die Ausdehnung der land- und viehwirtschaftlich genutzten Fläche zu stabilisieren, muß durch den anderen Schwerpunkt gleichzeitig versucht werden, den Wald für die um ihn herum lebende Bevölkerung so nützlich und so wertvoll als möglich zu machen. Nur wenn er durch seine Existenz der lokalen Bevölkerung spürbare Vorteile bringt, erkennt sie, daß seine Erhaltung auch in ihrem eigenen Interesse liegt. Mindestens im Kontaktbereich zu den Siedlungen und den land- und viehwirtschaftlich genutzten Flächen muß daher der Wald so gestaltet und so genutzt werden, daß er in erster Linie den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung gerecht wird, allerdings in einer Art und Weise, die seine Existenz und die nachhaltige Erfüllung seiner ökologischen Aufgaben langfristig nicht gefährdet. Auf diese Weise kann der Wald und eine den besonderen Verhältnissen angepaßte Forstwirtschaft durchaus einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und der Lebensbedingungen der Bevölkerung in den ländlichen Räumen der Tropen und Subtropen leisten. 8 Welche Bedürfnisse mit welcher Priorität gedeckt werden sollen, kann nicht generell gesagt werden, sondern hängt einerseits von den sozio-ökonomischen und ökologischen Bedingungen der Region, andererseits aber auch vom natürlichen Potential und dem gegenwärtigen Zustand der betreffenden Wälder ab. Dasselbe gilt für die Größe der Waldflächen, die für diese Zwecke reserviert werden müssen. Eine Antwort auf diese Fragen kann im konkreten Fall nur aufgrund einer gründlichen und interdisziplinären Analyse der Lebens- und Wirtschafts bedingungen der Bevölkerung sowie des Zustandes und der Entwicklung des jeweiligen Waldökosystems gegeben werden. In beiden Fällen darf dabei nicht nur auf den gegenwärtigen Zustand abgestellt werden, sondern auch absehbare zukünftige Entwicklungen sind zu berücksichtigen. Die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung sind keineswegs auf die in den Industrieländern üblichen Waldprodukte im klassischen Sinne beschränkt. Natürlich werden beträchtliche Holzmengen als Energieholz, Bauholz und Holz für handwerkliche und kleinindustrielle Zwecke benötigt. Gerade die handwerkliche und kleinindustrielle Holzverarbeitung kann in manchen Fällen von der landund viehwirtschaftlichen Bodennutzung unabhängige Arbeitsplätze schaffen und zur lokalen Wertschöpfung wesentlich beitragen. Auch die nachhaltige und geregelte Produktion von Nutzholz für Märkte außerhalb der engeren Region kann für die einheimische Bevölkerung durchaus interessant sein, sofern dadurch ein Arbeitsverdienst und angemessene Erlöse für das Holz erzielt werden, welche der einheimischen Bevölkerung direkt oder indirekt zugute kommen. Nicht zu unterschätzen sind jedoch auch die Beiträge, die der Wald zur besseren Ernährung von Menschen und Haustieren beitragen kann. Dabei ist nicht nur an 8 Vgl. Steinlin, Hansjürg: Beitrag der Forstwirtschaft zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und der Lebensbedingungen in den ländlichen Räumen der Tropen und Subtropen, in: Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen, Heft 9, 1977.
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Waldweide und Laubfuttergewinnung zu denken, sondern auch an Waldfrüchte, Wild, Medizinalpflanzen usw. Gerade in den feuchten Tropen mit wenig fruchtbaren Böden, wo die Möglichkeiten der nachhaltigen Holznutzung aus ökologischen Gründen beschränkt sind, eröffnen sich gute Aussichten, andere Produkte als Holz zu erzeugen und entsprechende Märkte zu entwickeln. 9 Dadurch können zusätzliche Einnahmequellen eröffnet und durch Weiterverarbeitung der Produkte in der Region selbst Arbeitsplätze geschaffen werden. Dabei ergeben sich interessante Übergänge zwischen einer forstlichen Sammlertätigkeit und agroforstlichen Landnutzungssystemen, deren Möglichkeiten noch bei weitem nicht voll ausgeschöpft sind.
E. Nutzwälder und integrale Reservate Alle bisher genannten Ansätze zu einer vielfliltigeren Nutzung des Waldes mit dem Ziel, die Lebensbedingungen und die wirtschaftliche Lage der lokalen Bevölkerung zu verbessern, haben gewisse Veränderungen des natürlichen Ökosystems zur Folge; der Wald wird bis zu einem gewissen Grade den menschlichen Bedürfnissen angepaßt. Bei fachlich verantwortungsvoller, nachhaltiger Bewirtschaftung werden dadurch aber die ökologischen Funktionen des Waldes in bezug auf Wasserhaushalt, Erosionsverhinderung, Klimaschutz usw. nicht beeinträchtigt. Dies gilt allerdings nicht ohne Einschränkung für den vor allem im feuchten Tropenwald wichtigen Artenschutz, d. h. die Erhaltung der genetischen Vielfalt der Tropenwaldökosysteme. Angesichts der ungeheueren Komplexität und Vernetzung dieser Ökosysteme haben bereits geringfügige Eingriffe den Verlust von Arten zur Folge. Es müssen daher neben Wäldern, die den Bedürfnissen der Menschen in der Region dienen, auch großflächige Reservate geschaffen werden, in denen die Erhaltung der ungestörten Natur im Vordergrund steht. Wegen der riesigen Artenzahl mit vielen Spezialisten und auf bestimmte ökologische Nischen angewiesenen Arten und der meist geringen Populationsdichte einer Art sind zur dauernden Erhaltung der genetischen Vielfalt sehr große, zusammenhängende Flächen von mehreren Hunderttausend oder sogar Millionen Hektaren notwendig. Diese müssen dem menschlichen Einfluß möglichst vollständig entzogen werden. Es ist aber völlig irrealistisch zu glauben, daß der ganze oder auch nur der größte Teil des noch vorhandenen tropischen Feuchtwaldes integral geschützt werden könne, wie dies gelegentlich gefordert wird. Die Schaffung von integralen Reservaten ist nur dort realistisch, wo der Bevölkerungsdruck auf den Wald bisher gering war oder ganz fehlte. Außerdem sind 9 VgJ. Steinlin, Hansjürg: Andere Möglichkeiten als die Holzproduktion zur Nutzung tropischer Wald-Ökosysteme, in: Berichte der Naturforschenden Gesellschaft Freiburg i. Br., Bd. 80, 1990.
Beteiligung der lokalen Bevölkerung
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nicht alle Feuchtwälder gleich wertvoll. Von besonderer Bedeutung für die Erhaltung der genetischen Information sind bestimmte Zentren des Endemismus in den verschiedenen Feuchtwaldregionen. Wichtiger als ein unvollständiger Schutz zu großer Gebiete ist die Konzentration auf repräsentative Beispiele, deren integraler Schutz dann auch langfristig sichergestellt werden muß. Gerade dabei ist man aber auf eine positive Einstellung und das Verständnis der lokalen Bevölkerung angewiesen. Um die eigentliche Kernzone ausreichender Ausdehnung und mit absolutem Schutz müssen daher sogenannte Pufferzonen geschaffen werden, die sich zwischen Siedlungen, land- und viehwirtschaftlich genutztes Land und das eigentliche Schutzgebiet einschieben und dazu beitragen, Landnutzungskonflikte zu minimieren und gewisse Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung zu erfüllen. Den bereits dargestellten flankierenden Massnahmen zur Verbesserung der Lebensund Produktionsverhältnisse der lokalen Bevölkerung und zur Stabilisierung der Waldgrenze kommen dabei ganz besondere Bedeutung zu. Außserdem ist in jedem Einzelfall sehr sorgfältig zu prüfen, ob und wie weit auch im eigentlichen Reservatgebiet gewisse Sammeltätigkeiten der lokalen Bevölkerung oder auch die Jagd auf gewisse Tiere unter bestimmten Voraussetzungen und unter entsprechender Aufsicht zugelassen werden kann. Außerdem ist zu prüfen, ob Möglichkeiten bestehen, durch einen angepaßten Tourismus oder anderweitige Entschädigung einen Ausgleich für anderweitigen Nutzungsentgang zu leisten. Auch für die absoluten Schutzgebiete gilt, daß solche gegen den Willen und die Interessen der betroffenen Bevölkerung auf die Dauer nicht gehalten werden können. Aufgabe einer verantwortungsvollen Politikberatung ist es, auch in diesem Fall die Entscheidungsträger vor Illusionen zur warnen und ihnen gleichzeitig gangbare Wege zu zeigen, die längerfristig zum angestrebten Ziel führen. Dazu gehört auch der Miteinbezug der Interessen der lokalen Bevölkerung und die Notwendigkeit, sich deren Mitarbeit bei einer Politik der Walderhaltung zu gewinnen.
Probleme der wirtschaftlichen Rechtfertigung von Straßenbauvorhaben in Entwicklungsländern Von Dirk Vieser 1 Eine funktionsfähige Transportinfrastruktur gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen wirtschaftlicher Entwicklung. Dabei spielt der Verkehrsträger Straße eine herausragende Rolle, denn weltweit hat sich die Verteilung des Transportaufkommens zu seinen Gunsten entwickelt. Deswegen fließt auch ein hoher Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe in diesen Subsektor. Das bedeutet jedoch keineswegs, daß Straßenbauvorhaben per se entwicklungspolitisch positiv zu beurteilen sind. 2 Es ist die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaften, Methoden zu entwickeln, deren Anwendung den politischen Instanzen eine rationale Entscheidung über die entwicklungspolitische Förderungswürdigkeit solcher Projekte erlaubt. Inwieweit dieser Beratungsanspruch erfüllt werden kann, wird nachstehend problematisiert. Die Frage, ob es sinnvoll ist, ein Straßenbauvorhaben zu unterstützen, wird üblicherweise im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse (CBA) untersucht. Dabei werden z. B. im Fall des Ausbaus einer Erdstraße zu einer Bitumenstraße die Zeitreihen der Unterhaltungs- und Nutzerkosten (Kfz-Betriebskosten) der bestehenden Straße (ohne-Projekt-Entwicklung) mit den Investitions-, Unterhaltungsund den (niedrigeren) Nutzerkosten der Bitumenstraße (mit-Projekt-Entwicklung) meist über einen Zeitraum von 20 Jahren, der der erwarteten technischen Lebensdauer einer Straße entspricht, verglichen. Die Förderschwelle liegt dann i. d. R. bei einer internen volkswirtschaftlichen Verzinsung (IRR) von 6%. Hierzu liegen standardisierte Rechenprogramme vor. 3 Die Kritik an der Aussagefähigkeit der IRR setzt - wie bei allen wirtschaftswissenschaftlichen Modellrechnungen - an den zugrundeliegenden Annahmen sowie der Seriosität der Basisdaten an~ Sie werden nachfolgend diskutiert. 1 Mitarbeiter der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Der Aufsatz gibt die persönliche Auffassung des Verfassers wider. 2 Auf Umweltaspekte bei Straßenbauprojekten wird hier nicht eingegangen. 3 Derzeit wird meist das von der Weltbank entwickelte HDM-III-Modell verwendet, die dritte Generation des Highway Design and Maintenance Model. Watanada, Thawat et al.: The Highway Design and Maintenance Standards Model, Baltimore and London 1987.
Dirk Vieser
336
Der volkswirtschaftliche Nutzen einer Straße errechnet sich hauptsächlich aus der Differenz der Kfz-Betriebskosten (Benzinverbrauch, Reifenverschleiß, Lebensdauer des Kfz, etc.)4, die wesentlich von der unterschiedlichen Rauhigkeit der Fahrbahnoberfläche bestimmt wird (bzw. beim Neubau von ersparten Umwegen). Die Betriebskosten sind beim Befahren einer Bitumenstraße wesentlich geringer als bei einer Erdstraße. Hierzu liegen empirisch gesicherte, technische Verschleißfunktionen nach Fahrzeugtypen vor (siehe Tabelle 1).5 Tabelle I The Effect of Road Roughness on VehicIe Operating Costs (Index of vehicle operating costs: good = 100, at 2.3 IRI) Road condition Vehicle class
Fair (4.6 IRI)
Poor (6.9-9.2 IRJ)
Small car
106
114-26
Bus
104
109 -16
Light diesel truck
111
124-38
Heavy truck
114
129-46
Articulated truck
112
127-44
Notes: Data are based on 1984 economic costs of Costa Rica.
a. The dominant effect of road condition on vehic1e operating costs is through ,,roughness", a measure of road surface irregularities standardized by the International Roughness Index (IRI). Source: From application of the vehic1e operating costs submodel of the Highway Design and Maintenance Standards Model (HDM -III).
Problematisch ist dagegen die Schätzung des Verkehrsaufkommens mit und ohne Projekt. Das Güterverkehrsaufkommen ist mit dem Wachstum des BIP korreliert, die Personenverkehrsnachfrage mit dem Bevölkerungswachstum und dem Pro-Kopf-Einkommen. Der Wachstumsfaktor für den Straßenverkehr wird so hilfsweise aus den jeweiligen landesspezifischen Prognosen für diese Makrodaten abgeleitet - im Bewußtsein, daß bereits deren Ermittlung problembehaftet ist. Erschwerend kommt hinzu, daß regionale Besonderheiten, saisonale Schwankungen und auch Struktureffekte (z. B. ein steigender Anteil schwerer Lkw) in ihren Auswirkungen auf die Projektstraße zu beachten sind. Ausgangswert jeder Prognose ist aber immer der bestehende Verkehr. Um ihn zu ermitteln, werden Verkehrszählungen durchgeführt, die möglichst auch Quellen- / Zielbefragungen enthalten sollten. Schwierig sind dabei die Festlegung der Zeitgewinne spielen in Entwicklungsländern eine vernachlässigbare Rolle. Chesher, Andrew / Harrison, Robert: Vehicle Operating Costs, Evidence from Developing Countries, Baltimore 1987. 4
5
Wirtschaftliche Rechtfertigung von Straßenbauvorhaben
337
Zählperiode (i. d. R. sieben Tage über 12 Stunden, 1 Nachtzählung - danach sinkt der Grenznutzen der Erkenntnis aus weiteren Zählungen rapide ab), die Lage der Zählstellen (Problem der Trennung von Lokal- und Fernverkehr) sowie - ein ganz wesentlicher Aspekt - die Qualität des einheimischen Zählpersonals (siehe hierzu Abb. 1 und Tab. 2). Auf nationaler Ebene können auch Hilfsgrößen wie Kfz-Bestand und Treibstoffverbrauch herangezogen werden. Error (per cent) .!: 70 75
± 60
< .ehicles/day
± 50
76- 200 vehicles/day
± 40
201-600 .ehiclesl day
± 30
±20
601-1000 .ehicles/day
± 10
o
weok 12345 Weekdays
2 weeks ~
weeks
weeks
20 ~ ~ Durotion of counti"g (days)
~
W
"1001 .ehicles/day
G
Figure Errors in ADT· e5timates trom random counts of vorying durotion • Average Da~y Traffic
Quelle: Weltlmk
Abb.l
Die Basisdatenerhebung und ihre Extrapolation über 20 Jahre unterliegen damit großen Unsicherheiten und lassen Verkehrsprognosen als weitgehend spekulativ erscheinen. Während der Ausbau und die Erhaltung von Fernverbindungen - etwa zwischen zwei Provinzhauptstädten - fast schon aus Plausibilitätsgründen naheliegen und die Kosten für aufwendige Verkehrsstudien noch in einer akzeptablen Relation zur Gesamtinvestition stehen, ist dies bei Pisten im ländlichen Raum - die jedoch 80% aller Straßen in Entwicklungsländern darstellen - nicht der Fall. Ihre Bedeutung, also z. B. die Rolle der Transportkosten für die regionale (Agrar-)Entwicklung im Vergleich zu anderen Faktoren, die Auswirkungen von Transportkostenänderungen auf die landwirtschaftliche Wertschöpfung und die Routenwahl, die Bedeutung des nicht-motorisierten Verkehrs, die Verteilungswirkungen von Kfz-Betriebskostenersparnissen bei der Gütervermarktung, Entlastungswirkungen bei den Frauen (Veränderungen im Zeitbudget), etc. sind im 22 Festgabe Th. Dams
338
Dirk Vieser
Tabelle 2 Errors of AADT Estimates from Repeated Random Counts of Varying Duration (Percent)
Flow Level (vehicle I day) 1000
Duration 01 Counting Number 01 Weekdays 2 3 5
Repetitions 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 3 4 1 2 3 4
62 47(52) 34(47) 26(46) 43 28(37) 24(35) 19(32) 40 33(36) 23(33) 22(33) 30 19(29) 16(29) 14(27) 31 18(29) 16(29) 14(29)
52 36 28 24 37 23 19 17 36 28 22 20 29 16 16 11 29 18 16 11
47 31 26 22 35 24 17 16 33 25 18 16 29 18 16 12 29 17 15 12
44
29 24 20 31 21 16 14 32 22 17 15 26 17 14 12 25 15 13 11
1 Week 36 24(33) 18 16(31) 27 18(24) 14 12(20) 26 18(24) 14 12(20) 21 14(18) 11 10(14) 16 13(14) 12 8(12)
Figures in brackets are for continuous counts of equivalent duration. Quelle: Weltbank
Rahmen der klassischen CBA kaum ermittelbar und auch arbeitsökonomisch nicht zu vertreten. Erkenntnisobjekt der Forschung war bisher auch eher das technische Transportsystem und weniger die Verhaltensweisen der Nutzer. Ein methodisches Hilfsmittel zur Beurteilung von Pistenprogrammen ist die sog. Producer Surplus Analysis. 6 Für ein gegebenes (landwirtschaftliches) Transportgut werden die Auswirkungen einer verbesserten Straßenverbindung auf seine Produktion abgeschätzt. Dabei wird davon ausgegangen, daß sinkende Transportkosten an den Produzenten weitergegeben werden (Anstieg der Erzeugerpreise, sinkende Preise für Betriebsmittel), dieser hierauf elastisch reagiert und seine Produktion ausdehnt. Der Nutzen eines Straßenprojekts wird dann nicht durch Kfz-Betriebskostenersparnisse, sondern über den Wert der zusätzlichen Produk6 Wilson, G. W.: Towards a Theory of Transport and Development, in: Hoyle, B. S. (Hrsg.): Transport and Development, London, 1973; The World Bank: The Economic Analysis of Rural Road Projects, Washington, D. c., 1976; Howe, John / Harrison, Peter: Measuring the Transport Demands of the Rural Poor: Experience from Africa, Gate, Mai 1990.
Wirtschaftliche Rechtfertigung von Straßenbauvorhaben
339
tion abzüglich seiner Herstellkosten quantifiziert. Angesichts der Unsicherheit der Weitergabe der Transportkostenersparnisse von Händlern an die Produzenten (monopsonistische Marktformen), den Schwierigkeiten der Bestimmung der Angebotselastizitäten (hierzu müßten auch alle nicht durch den Transport bedingten Engpässe ermittelt und die Wirkungen der Transportkostensenkung auf die Produktion von allen anderen Einflüssen wie verbesserter Kreditversorgung, Bewässerung etc. im Rahmen einer integrierten Regionalentwicklung isoliert werden), erscheint auch diese Methode als zu aufwendig und wenig praktikabel. Vor dem Hintergrund dieser Problematik hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau 7 bei der Prüfung eines ländlichen Wegenetzes in Simbabwe ein vereinfachtes Verfahren angewendet, bei dem zwar auf die Einzelevaluierung einer Vielzahl kleinerer Maßnahmen verzichtet wird, aber dennoch eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß ungeeignete Einzelprojekte ausgeschieden werden. Es wurden zunächst auf Distriktebene abgestimmte regionale Straßenpläne aufgestellt. Durch Stichprobenerhebungen ergab sich ein idealisiertes Grundnetz für den motorisierten Transport, von dem die wesentlichen Bevölkerungskonzentrationen und Agrarpotentiale maximal 10 km entfernt sind. Diese Entfernung entspricht durchschnittlich einem möglichen Ochsenkarrenumlauf pro Tag. Bei größeren Entfernungen, die nicht mehr an einem Tag bewältigt werden können, wird oft auf die Vermarktung verzichtet. Ausreichende induzierte Wertschöpfungseffekte können nur oberhalb einer Bevölkerungskonzentration von 10 E / km2 erwartet werden. Nach der Bevölkerungsdichte und dem Agrarpotential wurden homogene Zonen gebildet und ein Standardnutzen auf der Basis von Einzelevaluierungen für eine Stichprobe prognostiziert. Ebenso wurden die Kosten pro km pauschalisiert (Einheitskosten für typische Teilleistungen). Über eine Standardnutzungsdauer konnte sodann konventionell für jede Zone die interne volkswirtschaftliche Verzinsung berechnet werden. Grundsätzlich erscheint die eigentliche Kostenermittlung gegenüber der Brutto-Nutzenberechnung, die ja auch auf einem Kostenvergleich beruht, auf den ersten Blick einfacher zu sein. Denn die Bau- und Unterhaltungskosten einer Straße lassen sich in Abhängigkeit von ihrer technischen Auslegung und der erwarteten Verkehrsbelastung aus Erfahrungswerten recht gut ableiten. Mit Eingabe der entsprechenden Budgetzahlen für Unterhaltungserfordernisse in die Rechnung ist jedoch noch lange nichts ausgesagt über das Ausmaß der später tatsächlich vorgenommenen Unterhaltung. Zu den schmerzhaftesten Erfahrungen der Entwicklungshilfe zugunsten des Straßenbaus zählt die Einsicht, daß in vielen Entwicklungsländern - besonders in Schwarzafrika - außer Feuerwehreinsätzen z. B. bei Erdrutschen in der Regenzeit, keinerlei Unterhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden. Die Weltbank schätzt allein den dadurch bedingten Substanzverlust in den von ihr geförderten Entwicklungsländern während der letzten 7 Kreditanstalt für Wiederaufbau: Ländliche Entwicklung im Rahmen der Finanziellen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, Fallbeispiel D, Frankfurt 1985.
22*
Dirk Vieser
340
20 Jahre auf rund 45 Mrd. US$.8 Erschwerend kommt hinzu, daß die nahezu überall zu beobachtende Strukturverschiebung zugunsten hoher Achslasten -die Straße wird dabei mit der vierten Potenz der Last beansprucht -- die Zerstörung beschleunigt (vgl. Abb. 2). Deterioration of Paved Roads over Time
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With axle loads 15 percent higher thon normal
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Note: Data ar. based onthe following assumptions: asphalt concret pavement (structural number= 3.5): average daily troffic= 2.500 vehicles. rainfall =120 millimeters 0 month. minimal mointenonee. CueUe:Weltbdnk
Abb.2
Von einer nachhaltigen Wirkung der Projektmaßnahmen kann unter solchen Bedingungen keine Rede sein. Konsequenterweise müssen in die Rechnung erhebliche Abschläge bei der Lebensdauer der Straße und den Kfz-Betriebskostenersparnissen vorgenommen werden. Aus den skizzierten Problemen lassen sich einige Schlußfolgerungen und Empfehlungen ableiten: Der Erhaltung des vorhandenen Straßennetzes gebührt immer Vorrang vor seinem Ausbau. Die Bedeutung der CBA als Entscheidungsmodell ist zu relativieren. Bei der Projektprüfung sollte stärker als dies in der Vergangenheit der Fall war, auf eine realistischere Beurteilung der Sektorpolitik des Empfangerlandes (Gebühren- und Steuerpolitik, die den Straßennutzer belastet und gleichzeitig die Unterhaltung des Netzes finanziell absichert; Verkehrsentwicklungspläne) 8 The World Bank: Road Deterioration in Developing Countries, Causes and Remedies, Washington, D. C. 1988.
Wirtschaftliche Rechtfertigung von Straßen bauvorhaben
341
und die Qualität des Projektträgers (Straßenbauamt), d. h. seine personelle, technische und finanzielle Kompetenz zur ordnungsgemäßen Durchführung des Straßenbauvorhabens und seiner nachhaltigen Betriebsbereitschaft, geachtet werden. Das Projekt darf nicht zu einer Vergrößerung von Defiziten führen, deren Finanzierung aus dem Staatshaushalt des Empfängerlandes nicht gesichert ist. -
Die Entwicklungshilfegeber sollten ihre ,,Philosophie", lediglich die Devisenkosten (und in Ausnahmefällen auch einen Teil der Landeswährungskosten) der Investitionen zu finanzieren, überdenken und unter bestimmten Bedingungen (fehlende eigene Ressourcen, rationale Sektorpolitik, Basisversorgung) auch die Folgekosten, d. h. die Unterhaltung (ko-)finanzieren.
-
Bei jeder CBA sind aus Sicherheitsgründen und insbesondere bei Projekten, deren IRR nur knapp über 6 % liegt, umfangreiche Sensitivitätsanalysen vorzunehmen.
-
Bei der Interpretation des Rechenergebnisses sollte die pessimistische Variante (verkürzte Lebensdauer wegen unterlassener Unterhaltung, vorsichtige Einschätzung des Verkehrsaufkommens, schnelle Zunahme der Fahrbahnrauhigkeit wegen hoher Achslasten und mangelhafter Unterhaltung und daraus abgeleitet geringere Kfz-Betriebskostenersparnisse) zumindest in Schwarzafrika - als die realistische angesehen werden.
-
Über die durch eine Straße ausgelösten sozioökonomischen Entwicklungsimpulse kann zum Zeitpunkt der Projektprüfung kaum mehr als spekuliert werden.
Lebenslauf von Prof. Dr. Dres. h. c. Theodor Dams 6. Mai 1922
geboren in Ginderich, Kreis Moers
Akademische Ausbildung 1947-1952
Studium der Agrarwissenschaften und der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bonn
1952
Promotion in Bonn bei Professor Dr. H. Niehaus Dissertation: "Kosten und Erlöse im Mehlgroßhandel in seiner MittelsteIlung zwischen Mühlenwirtschaft und Backgewerbe ... "
1959
Habilitation an der Universität Bonn Venia legendi: Volkswirtschaftslehre und Agrarpolitik, einschließlich landwirtschaftlicher Marktlehre Habilitationsschrift: ,.Neuordnung des ländlichen Raumes als Aufgabe der Agrar- und Wirtschaftspolitik"
Beruflicher Werdegang 1952-1953
Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Agrarpolitik und landwirtschaftliche Marktforschung der Universität Bonn
1953-1959
Referent für Agrarpolitik und landwirtschaftliche Marktforschung der Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie e.V. in Bonn
1959-1965
Abteilungsleiter bei der EG-Kommission für Agrarstruktur- und Regionalpolitik
1965-1990
Ordinarius für Wirtschaftspolitik der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Direktor des Instituts für Entwicklungspolitik
1990
Emeritierung
Tätigkeiten in der akademischen Selbstverwaltung 1978-1980
Vorsitzender des Großen Senats der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
1972-1973 und 1985-1986
Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg
Aktive Mitgliedschaft in Institutionen und wissenschaftlichen Organisationen seit 1963
Ordentliches Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover
seit 1965
Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
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Lebenslauf
seit 1967
Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit
seit 1969
Mitglied des Beirates für Ausbildungsförderung, zunächst beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, später beim Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft. Seit 1986 Vorsitzender
1966-1970
Mitglied des Beirates für Raumordnung des Bundesministeriums des Innern
1965-1975
Mitglied der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates
1970-1975
Mitglied des Präsidiums und Generalsekretär des Deutschen Forums für Entwicklungspolitik
seit 1970
Mitglied der "Joint Task Force" des Ökumenischen Zentrums Brüssel (für die Lome-Konvention und Entwicklungspolitik)
1973-1991
Mitglied des Rundfunkrates des Südwestfunks Baden-Baden
1973-1976
Vice President (Program) der International Association of Agricultural Economists (IAAE)
1976-1979
President Elect der IAAE
1979-1982
President der IAAE
1982-1985
Immediate Past President der IAAE
1979-1988
Mitglied des Gutachterausschusses der "Vermittlungsstelle für Deutsche Wissenschaftler im Ausland" beim Deutschen Akademischen Austauschdienst
seit 1989
Mitglied des Kuratoriums der Stiftung "DER PRIVATE HAUSHALT"
seit 1989
Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung, Berlin
seit 1989
Consultant Fellow Council of the International Institute for Educational Planning, Paris
seit 1989
Mitglied des Kuratoriums des Deutschen Studenten werkes, Bonn
Auszeichnungen
1982
Ehrendoktor der Agrarwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen
1983
Membre Etranger de l' Academie de l' Agriculture de France
1986
Ehrendoktor der Wirtschaftswissenschaften der Universität Nagoya, Japan
1989
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
1989
Ehrenprofessor der People's University of China, Beijing, Volksrepublik China
1991
Honorary Life Member der International Association of Agricultural Economists (IAAE)
Schriftenverzeichnis von Prof. Dr. Dres. h.c. Theodor Dams Kosten und Erlöse im Mehlgroßhandel in seiner MittelsteIlung zwischen Mühlenwirtschaft und Backgewerbe unter besonderer Berücksichtigung der Einwirkung der Umsatzentwicklung auf die Kostengestaltung, Diss. Bonn 1951 (Zusammen mit H. Niehaus und F. Ger!) Probleme der Agrarunion vor dem Hintergrund der landwirtschaftlich-industriellen Verflechtung des deutschen Außenhandels, in: Auswärtiges Amt (Hrsg.): Probleme einer Europäischen Agrarunion, Bonn 1952, S. 159-207 (Zusammen mit H. Dansmann, E.S. Schlange und H. Schwemann-Sackur) Die Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse in den USA, in: Land- und Hauswirtschaftlicher Auswertungs- und Informationsdienst e.V. (AID) (Hrsg.), Heft 29, Bonn 1953 Zur Frage des Trinkmilchverbrauchs am industriellen Arbeitsplatz, in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 32, Heft 4,1954, S. 601-618 Landwirtschaft und technischer Fortschritt, in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 33, Heft 4,1955, S. 477-495 Materialien zur Frage der Handels- und Verarbeitungs spannen landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Übersicht über Untersuchungen und Arbeitsprogramme der verschiedenen Forschungsinstitute, in: Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie e.V. (Hrsg.), im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Bonn 1955 Agrarökonomische Aspekte zur Methode der Abgrenzung von wirtschaftlichen Notstands- und Förderungsgebieten, in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 34, Heft 3, 1956, S.437-470 Möglichkeiten der Erfassung der Handelsspannen und -kosten auf dem Kartoffelmarkt und Faktoren ihrer Beeinflussung, in: Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie e.V. (Hrsg.): Handels- und Verarbeitungspannen landwirtschaftlicher Erzeugnisse in der wissenschaftlichen Diskussion, Heft 56, Bonn 1957, S.84-94 Zur Frage der Spannen- und Kostenerfassung auf dem Getreide-, Mehl- und Brotmarkt, in: Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie e.V. (Hrsg.): Handels- und Verarbeitungsspannen ... , Bonn 1957, S. 103 - 124 Industrieansiedlung in ländlichen Entwicklungsräumen, in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 35, Heft I, 1957, S. 106-149 Regionale Unterschiede in der Milchkuhhaltung in den landwirtschaftlichen Betrieben, in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 35, Heft 4, 1957, S. 785 - 800 (Zusammen mit H. Kötter) Entwicklungslinien in den Arbeiten der Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie e.V. Bonn, in: Berichte über Landwirtschaft, Sonderheft 168, 1957, S.65-76
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Schriftenverzeichnis
Industrieansiedlung in ländlichen Entwicklungsräumen. Daten und Überlegungen zur regionalen Wirtschaftspolitik, in: Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie e.V. (Hrsg.), Bd. 57, Bonn 1957 Europäische Agrarstruktur und ihre Entwicklungstendenzen. Bemerkungen zu F. Dovring, Land and Labor in Europe 1900-1950. A Comparative Survey of Recent Agrarian History , Den Haag 1956, in: Raumforschung und Raumordnung, Köln 1957, S.109-111 Die Leistungsfähigkeit der Statistik für die Ermittlung von Handels- und Verarbeitungsspannen landwirtschaftlicher Erzeugnisse, in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 36, Heft 1, 1958, S. 95-110 (Zusammen mit H. Welslau) Die Leistungsfähigkeit der Preisstatistik für die Ermittlung von Handelsspannen auf dem Kartoffelmarkt, in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 36, Heft 3, 1958, S. 673 -680 (Zusammen mit H. Welslau) Kostenstruktur, Kostenentwicklung und Ertragslage im Kartoffelgroßhandel, in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 36, Heft 4, 1958, S.751-802 Regionalstatistische Analyse der Verteilung des Dauergrünlandes, in: Bundesanstalt für Landeskunde (Hrsg.): Berichte zur Deutschen Landeskunde, Bd. 21, Heft 1, Remagen 1958, S. 154-159 Neuordnung des ländlichen Raumes als Aufgabe der Agrar- und Wirtschaftspolitik, Habil.Schrift, Institut für Agrarpolitik und Marktforschung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn 1959 Agrarisch-industrielle Entwicklungsprobleme als Aufgabe der regionalen Wirtschaftspolitik in der EWG, in: Vierteljahresbericht de~ Planungsgemeinschaft Hochrhein, Freiburg 1961, S. 2-16 Entwicklungstendenzen des Kleinbauerntums in den Niederlanden, in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 39, Heft I, 1961, S.179-183 Zum Leitbild der Agrarstruktur in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gesamtentwicklung, in: Akademie für Raumforschung- und Landesplanung (Hrsg.): Grundlegende Raumaspekte der Gegenwart, Hannover 1962, S. 51- 61 Agrarstrukturpolitik, in: Der Volkswirt, EWG-Sondernummer, Beiheft zu Nr. 37, September 1962, S. 82 - 86 Daten und Überlegungen zur Agrarstrukturpolitik in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in: Raum und Landwirtschaft, Bd. 4, Heft 20, 1962, S. 21-51 Probleme der Planung in unterentwickelten Gebieten, in: Sociologia Ruralis, Vol. II, Nr. 1/2, 1962, S. 172-175 Regionale und agrarstrukturelle Aspekte der vertikalen Integration, in: W. Abel (Hrsg.): Bäuerliche Unabhängigkeit durch Zusammenarbeit, Schriftenreihe für ländliche Sozialfragen, Veröffentlichung der Agrarsozialen Gesellschaft e.V., Heft 36, Hannover 1962, S. 80-106 Coordination of Structural Policy in Agriculture - the Role of the European Economic Community, in: International Journal of Agrarian Affairs, Oxford-University Press / Gr.Br., London 1963, S. 19-30
Schriften verzeichnis
347
Industrieansiedlung in ländlichen Entwicklungsräumen - Vorstellungen, Maßnahmen und Ergebnisse in einigen europäischen Ländern, in: Agrarwirtschaft, Bd. 12, Heft 9, 1963, S. 264-271 Koordinierung der Agrarstrukturpolitik der Mitgliedsstaaten in der EWG, in: Informationen, Institut für Raumforschung, Bad Godesberg, 13. Jg., Heft I, 1963, S. 11-12 Probleme und Ansätze der Agrarstrukturverbesserung in den EWG-Ländern, in: Vortragsreihe der 17. Hochschultagung der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn, Hiltrup-Münster 1963, S. 23-48 Die Gebiete an den Binnengrenzen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - Gegenstand und Aufgabe nationalstaatlicher sowie überstaatlicher Förderung und Zusammenarbeit, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Raum und Landwirtschaft, Forschungs- und Sitzungs berichte der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Heft 27, Bd. 5, Hannover 1964, S. 201-233 Agricultural Structural Policy in the E.E.C. with Particular Reference to Investment Policy, in: Report and Papers of an International Seminar on Western Development held at Mungret College, Limerick, Muintir na Tire Rural Week 1965, S. 97 -104 Anpassungsprozesse der Landwirtschaft in der EWG im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung als Objekt der wissenschaftlichen Agrarpolitik, in: Maandschrift Economie, Vol. 30, NT. 3, Tilburg 1965, S. 148-167 Anpassungsprobleme der Landwirtschaft in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, in: H. Rösener (Hrsg.): Der bäuerliche Familienbetrieb - ein überholtes Leitbild?, Witten 1965, S. 36-59 Problemes de I' Amelioration des Structures Agricoles dans les Pays de la C.E.E., Centre Europeen Universitaire de Nancy, Departement des Sciences Economiques, 19651966 Stilwandel der regionalen Wirtschaftspolitik, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Tendenzen der Raumentwicklung in unserer Zeit, Forschungs- und Sitzungsberichte der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Bd. 31, Hannover 1965, S. 9-41 Stichwort ..Agrarstruktur" , in: Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung, Hannover 1966, Sp. 49-63 Probleme und Ansätze einer Agrarstrukturpolitik in der EWG, in: Regionale Wirtschaftspolitik und Agrarstrukturpolitik in der EWG, Europäische Hefte, Schriftenreihe des Gustav-Stresemann-Instituts e.V., Nr. 3, 1966, S. 71-99 Funktionsfähige Landwirtschaft als Aufgabe der Agrarpolitik, in: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. (Hrsg.): Wer bebaut und nutzt den Boden?, Hannover 1966, S. 30-53. Siehe auch: E. Gerhard / P. Kuhlmann (Hrsg.): Agrarwirtschaft und Agrarpolitik, Köln 1969, S.159-179. Probleme und Vorschläge einer Neuordnung der Weltagrarmärkte, in: Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (Hrsg.): Welternährung zwischen Übertluß und Mangel, DLG-Archiv, Frankfurt 1966, S. 98-127 Agrarpolitik im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftspolitik der EWG, in: Schriftenreihe des Hauptverbandes der Landwirtschaftlichen Buchstellen und Sachverständigen e.V. (Hrsg.), Heft 57, Bad Nauheim 1966, S. 49-67
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Schriften verzeichnis
Stichwort "Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft", in: Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung, Hannover 1966, Sp. 403407 Neuordnung des ländlichen Raumes als Aufgabe der Agrar- und Wirtschaftspolitik. Die Entwicklung des ländlichen Raumes als Aufgabe der Raumordnungs- und regionalen Strukturpolitik, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.): Schriftenreihe für Flurbereinigung, Stuttgart 1966, S. 50-64 Das "magische Dreieck" der EWG-Agrarstrukturpolitik, in: Gesellschaft zur Förderung der Inneren Kolonisation / GFK (Hrsg.): Innere Kolonisation, Festschrift für Constantin von Dietze, 15. Jg., Bonn 1966, S. 192-194 Interdependence Between the Agricultural and General Economic Policies of the EEC, in: Inter Economics, Hamburg 1966, S. 8 - 11 Agrarpolitische Entscheidungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihre rechtliche Normierung, in: Rechts- und Staatswiss. Fakultät der Univ. Freiburg / Br. (Hrsg.): Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 27, Karlsruhe 1967, S. 69-95 Das Endstadium des Gemeinsamen Agrarmarktes, in: Wirtschaftsdienst, Bd. 47, Heft
8,1967, S.393-397
Die Entwicklung des ländlichen Raumes als Aufgabe der Raumordnungs- und regionalen Strukturpolitik, in: A. Bloch (Hrsg.): Vorträge bei der Vortrags- und Diskussionstagung vom 30.-31.1.1967 in Berlin und der Landeskulturtagung vom 20.10.1967 in Tecklenburg / Westfalen, Stuttgart 1967 Bemerkungen zu einer räumlichen Betrachtung von Landwirtschaft und Landnutzung in der volkswirtschaftlichen Entwicklung, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Der Beitrag der Landwirtschaft zur regionalen Entwicklung, Hannover 1967, S. 15-40 (Hrsg. mit F. Gerl, H. Kötter und o. Strecker) Agrarpolitik in der EWG, Heinrich Niehaus zum 70. Geburtstag, München 1968 Zur räumlichen Determinierung von Finanzhilfen zur Verbesserung der Agrarstruktur - Überlegungen zu den Gemeinschaftsaufgaben und den Gemeinschaftsprogrammen, in: Th. Dams / F. Gerl / H. Kötter / O. Strecker (Hrsg.): Agrarpolitik in der EWG, München 1968, S. 259-273 Vorschläge zur Entwicklung eines Fachhochschulbereichs - Eine nichtveröffentlichte Stellungnahme der Bildungskommission (1968), in: Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates (Hrsg.): Gutachten und Materialien zur Fachhochschule, Stuttgart 1974, S. 223-248 Localisation des Productions Agricoles en Republique Federale d' Allemagne - Evolution et Causes, in: Economie Rurale, No. 78, Paris 1968, S. 33 - 41 L'Aide Alimentaire de la Communaute Economique Europeenne Aux Pays en Voie de Developpement, in: Revue Juridique et Politique d'Independance et Cooperation, Numero Special, Brüssel 1968, S. 325 - 352 Überlegungen und Ergebnisse der Konferenz von Beirut, in: Herder-Korrespondenz, 22. Jg., Heft 6,1968, S. 278-283 International Trade and Marketing Problems with Particular Reference to Regional and other Agreements, in: Proceedings of the 13th International Conference of Agricultural Economists, Sydney 1967, London 1969, S. 313-322
Schriften verzeichnis
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Agrarpolitik der "Großen Pläne", in: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 47, Heft 2,1969, S.223-240 (Zusammen mit S. Gerbaulet und H. Bauer) Bildungspolitische Ansatzpunkte im Rahmen der Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommens- und Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen, Freiburg i.Br. 1969 Die Berufsausbildung in der Bundesrepublik - eine kritische Analyse, Vortrag, gehalten auf der Fortbildungstagung der Lehrer an den bergbaulichen Schulen der Bundesrepublik, Bad Driburg 1969, Lehrmitteldienst Hagen 1969 (Zusammen mit I. Clausen) Stichwort "Entwicklungspolitik", in: Staatslexikon Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 6. völlig neu bearb. u. erw. Aufl., Bd. 9, Freiburg 1969, Sp.719-779 (Zusammen mit G. Ziebura u.a.) Stichwort "Europäische Wirtschaftsgemeinschaft", in: Staatslexikon Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 6. völlig neu bearb. u. erw. Aufl., Bd. 9, Freiburg 1969, Sp. 862-918 Stichwort "Gemeinsame Agrarpolitik", in: Staatslexikon Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 6. völlig neu bearb. u. erw. Aufl., Bd. 9, Freiburg 1969, Sp. 874-886 Nahrungsmittelhilfe - Ein Beitrag zur Beseitigung des Hungers in der Welt?, in: Misereor (Hrsg.): Misereor Aktuell, Aachen 1969 Vorstellungen und Ansatzpunkte der Agrarstrukturpolitik der EWG, in: Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e.V. (Hrsg.): Möglichkeiten und Grenzen der Agrarpolitik in der EWG, München 1969, S. 155-171 Die Zukunft der Dritten Welt in der globalen Entwicklung, in: Offene Welt, Nr. 99/ 100, 1969, S. 43-57 Entscheidungen der allgemeinen Wirtschaftspolitik sowie der agrarischen Markt- und Strukturpolitik in ihrer Bedeutung für regionale Anpassungsprozesse der Landwirtschaft, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Grundlagen und Methoden der landwirtschaftlichen Raumplanung, Hannover, 1969, S. 53 -74 Zur Lehrlingsempfehlung des Deutschen Bildungsrates, in: Berufliche Bildung, Heft 5, 1969, S. 105-106 Das Dilemma der Agrarpolitik - ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik ist der "Grüne Dollar" zum Scheitern verurteilt, in: Publik Nr. 47, Frankfurt 1969, S. 9 Stichwort ,,Agrarstruktur", in: Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung, 2. Aufl., Hannover 1970, Sp. 58-75 Integration allgemeiner und beruflicher Bildung - Ansatzpunkte und Durchsetzbarkeit, in: Wirtschaft und Erziehung, Vol. 22, Heft 7,1970, S. 247-256 und S. 298-308 Marginalite - Motivation et Mobilisation de Groupes d'Auto-Aide, une Tache de la Politique de Developpement, in: Problemes Speciaux de la Planification du Developpement Agricole, Berlin 1970, S. 189-209 "Marginalität" - Motivierung und Mobilisierung von Selbsthilfegruppen als Aufgabe der Entwicklungspolitik, Schriftenreihe der Kübel-Stiftung, Bd. 3, Bensheim 1970 Reform der Lehrlingsausbildung zwischen Realität und Utopie, in: Die Berufsbildende Schule, Zeitschrift des Bundesverbandes der Lehrer an beruflichen Schulen, Heft 3, 1970, S. 1-7
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Schriftenverzeichnis
Fünf Feststellungen zu Beginn der zweiten Entwicklungsdekade. Deutsches Forum für Entwicklungspolitik, in: Entwicklung + Zusammenarbeit, 11. Jg., Heft 12, 1970, S.7-8 Ansätze einer Reform der beruflichen Bildung aus dem Blickwinkel der Bildungsgesamtplanung, in: Zeitschrift für Pädagogik, Bd. 17, Nr. 6, 1971, S. 780 - 796 Agricultural Development and Planning in the Underdeveloped Countries Outside the Socialist Sphere, in: IAAE (Hrsg.): Proceedings of the 14th IAAE-Conference, London 1971, S. 25-29 Bildungsaufgaben im Spannungsfeld von Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik auf dem Lande, in: Loccumer Protokolle, Loccum 1971, S. 89-107 Lerninhalte und Entscheidungsstrukturen als "neuralgische" Probleme einer Reform der beruflichen Erstausbildung, in: Die Berufsbildende Schule, Heft 7 / 8, 1971, S. 1-16 Probleme der Anpassung der Landwirtschaft in den Industrieländern aus dem Blickwinkel der Entwicklungspolitik, in: Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst AGKED (Hrsg.): Partner in der Weltwirtschaft, Bonn 1972, S. 13-18 Ausländische Privatinvestitionen in den Entwicklungsländern in ihrer entwicklungspolitischen Problematik, in: AGKED (Hrsg.): Partner in der Weltwirtschaft, Bonn 1972, S.21-26 (Zusammen mit R. Bendokat) La Formation de Cadres pour Cooperatives Agricoles au Rwanda. Incidences de l' Action entreprise, Evaluation, Propositions. Etude etablie par !'Institut für Entwicklungspolitik der Universität Freiburg i.Br., Freiburg 1972 (Hrsg. mit S. Okita u.a.) Reshaping the International Order, Reassessing North-South Economic Relations, Washington, D.C., 1972 Le Futur Depend de I'Organisation Mondiale des Marches Agricoles, in: Ceres, Revue FAO, No. 2, Rom 1972, S. 39-43 UNCTAD III. Eine Konferenz der "kleinen Resultate" in einer Entwicklungsdekade der "großen Pläne", in: Internationales Asienforum, Bd. 3, Heft 3, Hamburg 1972, S. 324339 Teufelskreis der Entwicklungspolitik, Gespräch mit Th. Dams, in: Herder-Korrespondenz, 26. Jg., Heft 3, 1972, S. 122-130 Planungsprobleme beruflicher Bildung im Rahmen des Gesamtbildungssystems, in: H. M. Baumgartner / O. Höffe / Ch. Wild (Hrsg.): Philosopie, Gesellschaft, Planung, Hermann Krings zum 60. Geburtstag, München 1973, S. 164-178 Berufliche Bildung, Reform in der Sackgasse, Freiburg i.Br., 1973 Besprechung von: Clapham, Ronald: Marktwirtschaft in Entwicklungsländern. Zur Anwendung und Leistungsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Konzeptes, Freiburg i. Br. 1973, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 115, Heft 1, 1975, S. 194-198 Entwicklungspolitik, in: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Mannheim 1973, S. 858864; sowie in: Forum Heute, Bd. 1, Mannheim 1973, S. 56-63 (Hrsg.) Entwicklungshilfe - Hilfe zur Unterentwicklung? Eine Auseinandersetzung mit den Thesen der radikalen Kritik, Mainz 1974 Entwicklungspolitik des Westens in der Krise?, in: Th. Dams (Hrsg.): Entwicklungshilfe ... , Mainz 1974, S.13-37
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(Zusammen mit Ch. Miczaika und M. May) Handelspolitik im Dienste der Entwicklungspolitik?, in: Th. Dams (Hrsg.): Entwicklungshilfe ... , Mainz 1974, S. 86-107 The Integration of Agriculture into an Overall Development Policy, in: N. Islam (Hrsg.): Agricultural Policy in Developing Countries. Proceedings of a Conference held by the International Economic Association at Bad Godesberg, West Germany , London Basingstoke 1974, S. 71-101 Berufsbildung in den Betrieben. Fakten und Daten zum Dualen System, in: HerderKorrespondenz, Soziographische Beilage Nr. 26, 28. Jg., Heft 4, 1974, S. 185 -191 (Zusammen mit H. Albach und F. Edding) Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung, Bielefeld 1974 Movilizaci6n de la Poblaci6n corno Base y Tarea de la Politica de Desarrollo, in: Hacia un Nuevo Humanismo, Buenos Aires, 1974, S. 122 - 143 Veränderungen in der Weltwirtschaft seit der 3. Welthandelskonferenz, in: H. Kunst/ H. Tenhumberg (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung, Entwicklung und Frieden: Dokumente, Berichte, Meinungen, Bd. 4, München 1976, S. 37-49 Agrar- und Ernährungspolitik in Entwicklungs- und Industrieländern, in: H. Kunst / H. Tenhumberg (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung ... , Bd. 4, München 1976, S. 63-72 Die Handels- und Entwicklungspolitik der Europäischen Gemeinschaften, in: H. Kunst / H. Tenhumberg (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung ... , Bd. 4, München 1976, S. 121-130 Privatinvestitionen und multinationale Konzerne, in: H. Kunst / H. Tenhumberg (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung ... , Bd. 4, München 1976, S. 142-149 (Hrsg. mit K. E. Hunt) Decision-Making and Agriculture. Papers and Reports of the 16th International Conference of Agricultural Economists, London 1977 Die Herausforderung: Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik der christlichen Kirchen in einer Welt wachsender Gegensätze, in: Bischöfliche Kommission für Misereor (Hrsg.): Misereor - Zeichen der Hoffnung, Gottfried Dossing zum 70. Geburtstag, München 1976, S. 35-56 (Hrsg. mit G. Grohs) Kontroversen in der internationalen Rohstoffpolitik. Ein Beitrag zur Rohstoffpolitik der Bundesrepublik Deutschland nach UNCTAD 4, München 1977 Rural Development: Marketing of Agricultural Products, in: CENDHRRA (Hrsg.): Dialogue with Asian's Rural Man, No. 2, Manila/ Philippines 1977, S. 43-56 Le R6le des Organismes Non-Gouvernementaux Dans le Developpement Rural, in: Academie d'Agriculture de France. Comptes Rendus des Seances, Paris 1977, S. 17-34 Agricultural Cooperation and the Lome Convention, in: F.A.M. Alting von Geusau (Hrsg.): The Lome Convention and a New International Economic Order, Leyden, 1977, S. 120-132 Agricultural Structural Policy in the Framework of Regional Development: Some Critical Reflections on New Trends in the European Community, in: Canadian Journal of Agricultural Economics, Vol. 25, 1977, S. 90-98
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Landwirtschaftliche Kleinbetriebe - die vergessene Mehrheit bei der Verbesserung der Vermarktung von Agrarprodukten, in: Entwicklung + Zusammenarbeit, 18. Jg., Heft 12, 1977, S. 21-23 Ein "Grünes Dilemma"? - Aufstieg und Fall der Gemeinsamen Agrarpolitik, in: Bürger im Staat, 27. Jg., Heft 4,1977, S. 247-251 Die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zur Dritten Welt, in: F.-M. Schmölz (Hrsg.): Christlicher Friedensbegriff und Europäische Friedensordnung, München 1977, S. 179-203 Weltwirtschaft im Umbruch. Konfrontation oder Kooperation mit der Dritten Welt? Freiburg 1978 (Hrsg. mit K. Jojima) Regiona1entwicklung und Regionalpolitik (auf japanisch), Tokyo 1978 Landwirtschaftliche Strukturpolitik und regionale Wirtschaftspolitik in der EG (auf japanisch), in: K. Jojima / Th. Dams (Hrsg.): Regionalentwicklung und Regionalpolitik, Tokyo 1978, S. 133 - 149 (Zusammen mit K. E. Hunt und G. J. Tyler) Food and Population: Priorities in Decision Making. Report of a Meeting of the International Conference of Agricultural Economists, Nairobi, Aug. 1976; Oxford 1978 Europäische Gemeinschaft und Dritte Welt - Welche Aufgaben haben die Kirchen?, in: Herder Korrespondenz, 32. Jg., Heft 6, 1978, S. 312 - 318 Limitations of Integrated Rural Development on the Macro- and Micro-Level, in: M. v. Boguslawski (Hrsg.): Principles and Limitations of Integrated Rural Development, Gießen 1979, S. 49-53 Können künftig alle satt werden? - Perspektiven der Welternährungswirtschaft, in: Bürger im Staat, 29. Jg., Heft 3, 1979, S. 161-167 Agrarreform und ländliche Entwicklung - Neue entwicklungspolitische Forderungen, in: Herder-Korrespondenz, 33. Jg., Heft 9, 1979, S. 442-446 Marktwirtschaft oder Interventionismus - Alternative Überlegungen in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, in: Bildungswerk der Bayrischen Wirtschaft (Hrsg.), München 1979 "Grüne Revolution" oder "Integrierte ländliche Entwicklung" - Ausweg aus der Welternährungskrise, in: Landesanstalt für Politische Bildung (Hrsg.): Neue Weltwirtschaftsordnung, Köln 1979, S. 17 -40 Wirtschaftsordnung - Quo Vadis?, Gespräch mit Th. Dams, in: Herder-Korrespondenz, 33. Jg., Heft 4, 1979, S. 180-185 Ländliches Massenelend in der Dritten Welt: Herausforderung und Antwort der Entwicklungspolitik, in: Katholischer Arbeitskreis Entwicklung und Frieden (KAEF) (Hrsg.), Bonn 1979, S. 1-35 "Kleinprojekte" im Schatten internationaler "Großkonferenzen" (UNCTAD V, WCARRD), in: Misereor (Hrsg.): Misereor Aktuell, 12. Jg., Heft 5, 1979 Weltwirtschaft im Umbruch - Herausforderung für unsere Marktwirtschaft, in: Kirche und Wirtschaft, Düsseldorf 1979, S. 10-26 Das Elend unserer Entwicklungspolitik, in: Badische Zeitung, Nr. 19, Freiburg 1979, S. 3
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Entwicklungspolitik und ihr Verhältnis zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, in: K.v. Bismarck u.a. (Hrsg.): Entwicklung - Gerechtigkeit - Frieden, Mainz 1979, S. 256263 (Hrsg. mit K. Jojima) Ausgewählte Probleme internationaler Wirtschafts beziehungen aus der Sicht Japans und der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1980; japanische Fassung: Tokyo 1979 (Hrsg.) Auswirkungen ausländischer Privatinvestitionen in Entwicklungsländern, Bonn 1980 Ausländische Direktinvestitionen in Entwicklungsländern - Theoretische Grundlagen und entwicklungspolitische Problematik, in: Th. Dams (Hrsg.): Auswirkungen ausländischer... ; Bonn, 1980, S. 20-44 The Common Agricu1tural Policy ofthe European Community: Concept-Imp1ementationConsequences. Paper presented to the Chinese Society of Agricu1tural Economics, Freiburg i.Br. 1980, sowie in: Asian Economies, Seoul 1980, S. 5 - 24 (Hrsg.) Integrierte ländliche Entwicklung. Theoretische Grundlagen und praktische Erfahrungen, München 1980 ,,Ländliche Armut" als Herausforderung der Entwicklungspolitik. "Integrierte ländliche Entwicklung" als Antwort, in: Th. Dams (Hrsg.): Integrierte ländliche Entwicklung ... , München 1980, S. 9-33 Die Weltkonferenz für Agrarreform und ländliche Entwicklung (Juli 1979). Ergebnisse und kritische Durchleuchtung, in: Th. Dams (Hrsg.): Integrierte ländliche Entwicklung ... , München 1980, S. 146-162 Referenz-Rahmen für eine systematische Darstellung von Projekten integrierter ländlicher Entwicklung, in: Th. Dams (Hrsg.): Integrierte ländliche Entwicklung ... , München 1980, S. 202-236 (Hrsg. mit K. Jojima) Konjunkturfragen und Wirtschaftspolitik (auf japanisch), Tokyo 1980 Landwirtschaftsstruktur und Trends der Agrarpolitik (auf japanisch), in: Th. Dams / K. Jojima (Hrsg.): Konjunkturfragen und Wirtschaftspolitik, Tokyo 1980, S. 112-128 Marktwirtschaft auf dem Prüfstand, in: Badische Zeitung, 6.8.1979, S.4. Siehe auch: Universität Freiburg (Hrsg.): Forschung in Freiburg, Freiburg 1980, S. 20-21 Einige Bemerkungen zu Aufgaben der Wirtschaftswissenschaften im Bereich der Entwicklungspolitik, in: Th. Dams / K. Jojima (Hrsg.): Ausgewählte Probleme internationaler Wirtschaftsbeziehungen ... , Berlin 1980, S. 161-194 (Hrsg. mit P. P. Zwaenepoe1) Issues in Development Education, Freiburg 1980 Politikberatung im Spannungsfeld theoretischer Erkenntnisse und politischer Bekenntnisse, in: Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie e.V. (Hrsg.): Zum Verhältnis von Wissenschaft und Praxis in der Agrarpolitik, Bonn 1980, S. 11-36 Weltwirtschaft im Umbruch - Herausforderungen für unsere Marktwirtschaft, in: Studienkreis Kirche / Wirtschaft NRW (Hrsg.): Kirche Wirtschaft-Kolloquium, Düsse1dorf 1980, S. 10-26 Misereor und Dritte Welt. Bemerkungen zum Buch M. Vesper, Misereor und die Dritte Welt, in: Seibei, W. (Hrsg.): Stimmen der Zeit, Freiburg 1980, S. 65-69 23 Festgabe Th. Doms
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"Lernen, daß wir teilen müssen". - Über die Möglichkeit, Marktwirtschaft international zu praktizieren, in: W. Böhme (Hrsg.): Wirtschaftspolitik für morgen, Karlsruhe 1980, S. 39-67 Common Agricultural Policy in Relation to World Trade with Agricultural Products, in: Canadian Journal of Agricultural Economics, Vo!. 28, Ottawa 1980, S. 67 -76 (Zusammen mit F. L. Seil) Kein Geld für die Dritte Welt? Finanz- und währungspolitische Fragen zu Beginn der Dritten Entwicklungsdekade, in: Herder-Korrespondenz, 35. Jg., Heft 8,1981, S. 398-407 Changing Roles of Agriculture in Different Stages of Economic Development, in: Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung (Hrsg.): Agricultural Adaptation Processes in Newly Industrialized Countries, Proceedings of an International Seminar in Seoul, 15.-20. September 1980, Feldafing 1981, S. 34-48 "Development from Below" and "People's Participation" as Key Principals ofIntegrated Rural Development, in: Man-Gap Lee (Hrsg.): Towards a New Community, Seoul 1981, S. 3-20 Synoptic View: Rural Change, in: G. Johnson / A. Maunder (Hrsg.): Rural Change The Challenge for Agricultural Economists, London 1981, S. 710-727. Siehe auch: European Review of Agricultural Economics, Nr. 6, 1979, S. 473-490 Fragen einer Neuen Weltwirtschaftsordnung: Gegenwärtige Spannungen in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen und Alternativen ordnungspolitischer Konzeptionen, in: Racionalidad Tecnica y Cultura Latinoamericana, Santiago de Chile 1981,
S.496-522
Marktwirtschaft oder Interventionismus?, in: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Hrsg.): Marktwirtschaft oder Interventionismus? Wertorientierung für die Zukunft, Bonn 1981, S. 7 - 22 Ausländische Privatinvestitionen in Entwicklungsländern, in: Herder- Korrespondenz, 35. Jg., Heft 11, 1981, S. 566-571 Die Entwicklung des ländlichen Raumes - eine ungelöste wissenschaftliche und politische Herausforderung. Festvortrag vom 5.11.1982 an!. der 375. Jahrfeier d. JustusLiebig-Universität Gießen, in: Justus-Liebig-Universität (Hrsg.): Universität und Dritte Welt, Gießen 1982, S. 160-182 (Hrsg.) Integrated Rural Regional Development: A Workshop Report, Mainz 1982 The Scope for NGO's, in: Th. Dams (Hrsg.): Integrated Rural Regional Development ... , Mainz 1982, S. 62-83 (Zusammen mit H. Heyne und Ngo Huy Liem) Some Reflections on Research Approaches to Integrated Rural Development, in: Th. Dams (Hrsg.): Integrated Rural Regional Development ... , Mainz 1982, S. 193-200 (Hrsg. mit K. Jojima) Aktuelle Probleme der Sozialpolitik in Japan und der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1982; japanische Fassung: Tokyo 1982 Probleme der sozialen Sicherung und der Sozialpolitik in der Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, in: Th. Dams / K. Jojima (Hrsg.): Aktuelle Probleme der Sozialpolitik ... , Berlin 1982, S. 178 - 207 Landwirtschaftliche Entwicklungshilfe, in: Handwörterbuch des Agrarrechts, Bd. 2, Berlin 1982, S. 239-246
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Das Konzept der integrierten ländlichen Entwicklung, in: Tb. Dams (Hrsg.): Integrierte ländliche Entwicklung ... , Hamminkeln-Dingden: Akademie Klausenhof 1982, S.25 - 39. In englischer Fassung: Tbe Concept of Integrated Rural Development, in: Tb. Dams (Hrsg.): Integrated Rural Development. International Catholic Rural Association, Hamminkeln-Dingden: Akademie Klausenhof 1981 (Hrsg. mit K. Jojima) Wirtschaftliche Anpassungsprobleme bei steigenden Energiepreisen in Japan und der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1983; japanische Fassung: T. Matsugi / Tb. Dams (Hrsg.), Tokyo 1983 Die Auswirkungen der Energieversorgung auf Entwicklungsländer und Entwicklungspolitik, in: Tb. Dams / K. Jojima (Hrsg.): Wirtschaftliche Anpassungsprobleme ... , Berlin 1983, S. 233 - 259 (Hrsg. mit P. P. Zwaenepoel) Educational Training and Planning in the Philippines, Proceedings of a Joint Seminar, organ. by the Inst. f. Developm. Eduaction, Univ. of Santo Tomas, Philippines and the Inst. of Development Policy, Univ. of Freiburg i.Br., FRG 8.-12.3.82, Manila Freiburg i.Br. 1983 Anpassungsprobleme in einer turbulenten Weltökonomie. Internationale Wirtschaftsbeziehungen im Wandel, in: Anpassungsstrategien in Wirtschaft und Gesellschaft, Freiburger Universitätsblätter, Heft 81, Freiburg 1983, S. 73-89 (Hrsg. mit K. Jojima) Internationale Wirtschaftsbeziehungen: Japan-Europäische Gemeinschaften-Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1983; japanische Fassung: E. Ogawa / Tb. Dams (Hrsg.), Nagoya 1984 Der Selbstversorgungsgrad bei Nahrungsmitteln in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und damit verbundene Auswirkungen auf den Weltagrarmarkt, in: Tb. Dams / K. Jojima (Hrsg.): Internationale Wirtschaftsbeziehungen, ... , Berlin 1983, S. 207226 Presidential Address: Challenges for Agricultural Economists in the Eighties, in: A. Maunder / K. Ohkawa (Hrsg.): Growth and Equity in Agricultural Development, Proceedings of the 18th IAAE-Conference, Jakarta, 24.8.-2.9.1982, Aldershot: Gower, 1983, S. 20-28 Hunger und absolute Armut in Ländern der Dritten Welt - eine Herausforderung für die landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung, Alfons-Goppel-Stiftung (Hrsg.), München 1983 Die Entwicklung der internationalen Handelsbeziehungen vor dem Hintergrund der Verschuldungskrise, in: Gemeinsame Konferenz der Kirchen für Entwicklungsfragen (GKKE) (Hrsg.): Gemeinsam aus der Krise, Bonn 1983, S. 51-59 Räumliche Anpassungsprobleme unter dem Einfluß der europäischen Integration aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Wirkungen der europäischen Verflechtung auf die Raumstruktur in der Bundesrepublik Deutschland, Forschungs- und Sitzungsberichte der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Bd. 147, Hannover 1983, S. 1327 Einzelwirtschaftliche Entscheidungen und gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen, in: Zeitschrift für Wirtschaftswissenschaften, Gesellschaft für Koreanisch-Deutsche Wirtschaftswissenschaften e. V., Seoul / Korea, Nr. 2, 1983, S. 203 - 224 Defizite und Prioritäten in Forschung und Lehre, in: Vermarktung und Beratung, MünsterHiltrup 1983, S. 477-488 23*
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Entwicklungspolitik im ländlichen Raum - Strategien, Konzepte und Erfahrungen, in: Landwirtschaft - eine Soziale Frage, BML/ Heft 280, Münster 1983, S. 94-116 UNCTAD VI: Noch kein Ausweg aus der Krise, in: Vereinte Nationen - Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, Heft 4, Bonn 1983, S. 118 -124 Der Kampf gegen den Hunger in der Welt - einige Anmerkungen zum Zusammenhang ,,Agrarexporte und Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln in Entwicklungsländern", in: Dienst in Übersee, Hamburg 1983, S. 14-21 Indonesien: Ländliche Armut kein politisches Tabu, in: Entwicklung + Zusammenarbeit, 1983, S. 10-11 Welternährung zwischen Überfluß und Mangel- eine Herausforderung für die Agrarökonomie. Festvortrag anläßlich der Vollendung des 80. Lebensjahres von Prof. Dr.Drs.h.c. Paul Rintelen, München-Weihenstephan, in: Bayrisches Landwirtschaftliches Jahrbuch. Sonderheft 1, München 1984, S. 165 -181, sowie: Institut für Entwicklungspolitik (Hrsg.), Diskussionsbeiträge Nr. 6, Freiburg 1984 , Die Gestaltung der Wirtschaftsordnung als Voraussetzung von Gerechtigkeit und Frieden in der Welt. Über die Interdependenzen von Wirtschaftsordnung und Entwicklungspolitik, in: B. Mensen, SVD (Hrsg.): Gerechtigkeit und Frieden, St. Augustin 1984, S.11-40 Integrated Rural Regional Development - Old Wine in New Bottles?, in: N. Sherman / A. Rockach / E. Trattner (Hrsg.): Integrated Rural Regional Development for Areas of New Settlement, Rehovot / Israel 1984, S. 31 - 38 Entwicklungsländer, Auslandsinvestitionen und Technologietransfer, in: Zielsetzung Partnerschaft. Die weltwirtschaftliche Bedeutung von Auslandsinvestitionen und des Technologietransfers, Edition Dräger Stiftung, Bd. 9, Stuttgart 1985, S. 295-312 (Zusammen mit H. de Haen, H. Kötter, H.-U. Thimm und E. Zurek) Integrierte ländliche Entwicklung - Theorie, Konzepte, Erfahrungen, Programme, Hamburg 1985 (Hrsg. mit M. Mizuno) Entscheidungsprozesse auf mikro- und makroökonomischer Ebene - dargestellt an ausgewählten Beispielen in Japan und in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1985; japanische Fassung: Th. Dams / M. Mizuno (Hrsg.), Nagoya 1985 Entscheidungsprobleme - Entscheidungsstrukturen - Entscheidungsprozesse in der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaften, in: Th. Dams / M. Mizuno (Hrsg.) Entscheidungsprozesse ... , Berlin 1985, S. 236-261 (Zusammen mit H.-U. Thimm) Integrated Rural Development in Theory and Practice, in: E. Zurek (Hrsg.): Integrated Rural Development - Research Results and Programme Implementation, Bonn Conference 1985, Hamburg 1985, S. 5-16 Die Industrialisierung Japans: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Deutschland, in: Ludwig-Erhardt-Stiftung (Hrsg.): Orientierungen, Heft 27/1, Bonn 1986, S. 50-54 Stichwörter ,,Entwicklung" und "Entwicklungspolitik", in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 2, Freiburg 1986, Sp. 294-329 Rezension von Böckenhoff E.: Landwirtschaft unter veränderten Rahmenbedingungen, Münster-Hiltrup 1982, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Bd. 106, Heft 2/ 1986, S. 215-217
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Milchwirtschaft in der Verantwortung. Möglichkeiten und Grenzen der Handels- und Entwicklungspolitik, in: Deutsche Milchwirtschaft, Heft 7+8, 1986, S. 166-173 sowie 202-204 Central Places in Integrated Rural Development, Malawi-Seminar 1986, in: H.-U. Thimm (Hrsg.): Planning and Operating Rural Centres in Developing Countries, Hamburg 1986, S. 57-72 Die Industrialisierung Japans: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Deutschland, in: B. Martin (Hrsg.): Japans Weg in die Modeme. Ein Sonderweg nach deutschem Vorbild?, Frankfurt 1987, S. 87 -138 Hunger trotz Überfluß, in: Dein Reich komme, 89. Deutscher Katholikentag, Aachen, Teil 1, Paderborn 1987, S. 357 - 365 Der private Haushalt in Entwicklungsländern, in: H. Rapin (Hrsg.): Stiftung DER PRIV ATE HAUSHALT - Diskussion, Dokumentation, Düsseldorf 1987, S. 41-52 The "Third Avenue" for Development: The Role of Non-Governmental Organizations, Institut für Entwicklungspolitik (Hrsg.), Diskussionsbeiträge, Freiburg 1987 (Hrsg. mit M. Mizuno) Employment Problems under the Conditions of Rapid Technological Change, Berlin 1988; japanische Fassung: M.Mizuno / T.Matsugi / Th. Dams (Hrsg.), Nagoya 1988 Vocational Education and Challenge at a Time of Rapid Technological Change, in: Th. Dams / M. Mizuno (Hrsg.): Employment Problems under the Conditions of Rapid Technological Change, Berlin 1988, S. 235 -250 ,,Jahrhundertvertrag" oder "Marktwirtschaft" - Neuorientierung der Agrarpolitik im historischen Zusammenhang, in: J. Klaus / P. Klemmer (Hrsg.): Wirtschaftliche Strukturprobleme und soziale Fragen. Analyse und Gestaltungsaufgaben, Festschrift für J. Heinz Müller, Berlin 1988, S. 71-83 "Vier Säulen" des ,,neuen Hauses BAföG", in: Zweiwochendienst. Bildung, Wissenschaft, Kulturpolitik, Bonn 1988, S. 4 ff. "SoIlicitudo rei socialis" in entwicklungspolitischer Sicht, in: Herder-Korrespondenz, 42. Jg., Heft 4, 1988, S. 176-182 Ausbildungsförderung und Familienlastenausgleich. Vorschläge zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, in: Herder-Korrespondenz, 42. Jg., Heft 12, 1988, S.578-584 Schöpferische Unruhe, Gespräch mit Th. Dams, in: Pädagogik Extra & Demokratische Erziehung, Köln 1988, S. 44-47 ,,Reform der Ausbildungsförderung" . Vorschläge des Beirats für Ausbildungsförderung zur Reform des BAföG - Konzepte - Kritische Einwendungen - Möglichkeiten der Umsetzung, Fachtagung ,,Reform der Ausbildungsförderung" des DGB am 17.1.1989, Tagungsbericht hrsg. vom DGB-Bundesvorstand, Düsseldorf 1989, S. 558 Ausbildungsförderung: Eine Fallstudie des Familienlastenausgleichs, in: H. Rapin (Hrsg.): Familiengerechte Steuer- und Transferpolitik. Eine kontroverse Diskussion, Frankfurt 1989, S. 43-81 Positiver Schlußakkord, in: H. Rapin (Hrsg.): Familiengerechte Steuer- und Transferpolitik., Frankfurt 1989, S. 101-103
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Stichwort "Wirtschaftspolitik", in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 5, Freiburg 1989, Sp. 1050 - 1064 (Zusammen mit M. Kimmig, U. Knobloch, H.-J. Laabs und A. Stilz) Entwicklung der Landwirtschaft im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald / Stadtkreis Freiburg, in: Räumliche Auswirkungen neuerer agrarwirtschaftlicher Entwicklungen. Regionalstudien, Arbeitsmaterial der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover 1989, S. 223-248 (Hrsg. mit T. Matsugi) Adjustment Problems in Advanced Open Economies: Japan and Germany, Berlin 1989; japanische Fassung: Nagoya 1988 BAFÖG- Reformvorschläge auf dem richtigen Weg?, in: DGB (Hrsg.): Gewerkschaftliche Bildungspolitik, Düsseldorf 1989, S. 4-7 BAFÖG - Entscheidungen der Koalition und Vorschläge des Beirats für Ausbildungsförderung - Ergebnisse und Wertungen, in: Deutsches Studentenwerk (Hrsg.): Bericht über Förderungstagung Berlin, Bonn 1989, S. 1-12 Rural Development Strategies: Theory and Practice from the Viewpoint of Central-Place Theory, in: J. W. Longworth (Hrsg.): China's Rural Development Miracle - with International Comparisons, Queensland / Australia 1989, S. 127 -135, (auch in chinesischer Sprache publiziert) (Hrsg.) Beiträge zur Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik - Grundlagen - Umsetzung - , Festschrift für Kunihiro Jojima, Berlin 1990
Empirie
Zur Diskussion um eine eigenständige Disziplin "Theorie der Wirtschaftspolitik", in: Th. Dams (Hrsg.): Beiträge zur Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik ... , Festschrift für Kunihiro Jojirna, Berlin 1990, S. 77-98 (unter Mitarbeit von H. Rapin), Ausbildungs- / Studienförderung im internationalen Vergleich - Empirische Befunde und denkbare Modelle für die zukünftige Bildungspolitik, in: Deutscher Bundestag, 11. Wahlperiode, Anlage zu Drucksache 11 /7820, Bonn 1990, S. 129-135 (Hrsg. mit T. Matsugi) Protectionism or Liberalism in International Economic Relations? Berlin 1991; japanische Fassung: Nagoya 1989 On the Connections between Economy and Ecology in International Economic Relations, in: Th. Dams/T. Matsugi (Hrsg.): Protectionism or Liberalism ... , Berlin 1991, S. 145 -157 Neuorientierung der Studienförderung: Studienfinanzierung in den Niederlanden und Ausbildungsförderung in der Bundesepublik Deutschland, in: Ch. Helberger (Hrsg.): Ökonomie der Hochschule, Bd. 2, Berlin 1991, S. 93-124 Nord-Süd-Gefalle als Konfliktpotential: Vier Jahrzehnte Entwicklungspolitik - und kein Ende?, in: B. Mensen, SVD (Hrsg.): Die Zukunft der Menschheit als Gegenwartsaufgabe, St. Augustin 1991, S. 35-56 Unification of Germany in the Context of European Integration and Current Issues of East European Countries, in: International Development Center of Japan (Hrsg.), Tokyo 1991, S. 29 - 54, (auch in japanischer Sprache in der gleichen Veröffentlichung, S.I-28) Sustainable Agriculture in Industrialized Regions. Supply and Demand for Food Experiences and Perspectives. The Case of the European Community / the Common Agricultural Policy, in: Organizing Committee of Chubu International Conference on Sustainable Agriculture in Industrialized Regions, Nagoya 1991, S. 1-14
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European Integration and Genoan Role, in: Heo Mane (Hrsg.): Journal of Economic Studies, Seoul, 12/1991, S.131-147 "Sustainability": Eine neue Dimension gesamtwirtschaftlicher, landwirtschaftlicher und ländlicher Entwicklung?, in: U. H. K. Golaszinskil H.-J. A. Preuß 1A. V. Stremplat (Hrsg.): Die Umsetzung ländlicher Regionalentwicklung, Festschrift für H. U. Thimm, Hamburg 1992, S. 243-260 (Hrsg. mit C. Csaki, D. Metzger und J. van Zyl), Agricultural Restructuring in Southern Africa, Inter-Conference Symposium of the lAAE, Windhoek 1Namibia 1992 The Role ofNon-Governmental Organizations (NGOs) in the Socio-Economic Development Process: People' s Participation as the Key, in: Th. Dams 1S. Csaki 1D. Metzger 1 J. van Zyl (Hrsg.): Agricultural Restructuring ... , Windhoek/Namibia 1992, S.431-442
Verzeichnis der Mitwirkenden Prof. Dr. Drs. h. c. Horst Albach, Betriebswirtschaftliches Seminar I, Universität Bonn Prof. Dr. Peter von Blanckenburg (ern.), Institut für Sozialökonomie der Agrarentwicklung, Technische Universität Berlin Prof. Dr. Gerold Blümle, Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung, Abteilung für Mathematische Ökonomie, Universität Freiburg Prof. Dr. Dr. h. c. Karl Brandt (ern.), Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Freiburg Diplom-Volkswirtin Sabine Gerbaulet, Pressestelle der Technischen Universität Darmstadt Suzanne Gnaegy, Agriculture and Rural Development Department, The World Bank, Washington, D. c., U.S.A. Prof. Dr. Siegfried Hauser, Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung, Abteilung Statistik und Ökonometrie, Universität Freiburg Dr. Hans-Jürgen von der Heide, Erster Beigeordneter des Deutschen Landkreistages, Bonn
Prof. Dr. Jos G. M. Hilhorst, Institute of Sodal Studies, Den Haag, Niederlande Prof. Dr. Dr. Kunihiro Jojima (ern.), Ordinarius an der Universität Nagoya, Gründungsrektor der Universität Yokkaichi, Japan Prof. Dr. Herbert Kötter (ern.), Institut für Agrarpolitik, Marktforschung und Wirtschaftssoziologie, Universität Bonn Prof. Dr. Bernhard Külp, Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung, Abteilung für Sozialpolitik, Universität Freiburg Prof. Dr. Reinar Lüdeke, Professur für Volkswirtschaftslehre, Universität Passau Prof. Dr. Heinrich Mäding, Fachgruppe PolitikwissenschaftNerwaitungswissenschaft, Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität Konstanz Prof. Dr. J. Heinz Müller (ern.), Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Freiburg Prof. Dr. Alois Oberhauser, Institut für Finanzwissenschaft, Universität Freiburg PD Dr. habil. Werner Pascha, Institut für Entwicklungspolitik, Universität Freiburg, Lehrstuhl für Ostasienwirtschaft, Universität-Gesamthochschule-Duisburg Michel J. Petit, Agriculture and Rural Development Department, The World Bank, Washington, D. c., U.S.A. Dr. Klaus Poser, World Council of Churches, Genf, Schweiz
Dr. Lothar Richter, früher International Labour Office, Genf, Schweiz
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Verzeichnis der Mitwirkenden
Avshalom Rokach, Development Study Center, Rehovot, Israel Prof. Dr. Friedrich L. Seil, Professur für Volkswirtschaftslehre und Entwicklungsländerforschung, Universität Gießen Prof. Dr. Günther Schmitt, Institut für Agrarökonomie, Universität Göttingen Prof. Dr. Hansjürg Steinlin (ern.), Forstwirtschaftliche Fakultät, Universität Freiburg Prof. Dr. Heinz-Ulrich Thimm, Professur Agrarpolitik/Weltemährungswirtschaft, Universität Gießen Prof. Dr. Peter Treuner, Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung, Universität Stuttgart Dr. Dirk Vieser, Kreditanstalt für Wiederaufbau, Frankfurt Prof. Dr. Adolf Weber, Institut für Agrarpolitik, Universität Kiel Prof. Dr. Günther Weinschenck, Institut für Landwirtschaftliche Betriebslehre, Universität Hohenheim Prof. Dr. Raanan Weitz, Development Study Center, Rehovot, Israel Prof. Dr. Wemer Zohlnhöfer, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Universität Mainz