174 63 4MB
German Pages 79 [88] Year 1911
BEIHEFTE ZUR
ZEITSCHRIFT FÜR
ROMANISCHE PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON
DR. GUSTAV GRÖBER PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT STRASSBURG I. E .
UNTER MITWIRKUNG VON
PROF. D R .
E. HOEPFFNER
XXXIII. HEFT GUSTAV KOEHLER: DER DANDYSMUS IM FRANZÖSISCHEN ROMAN DES XIX. JAHRHUNDERTS
HALLE A. S. VERLAG VON MAX 1911
NIEMEYER
DER DANDYSMUS IM FRANZÖSISCHEN ROMAN DES XIX. JAHRHUNDERTS
VON
GUSTAV KOEHLER
H A L L E A. S. VERLAG VON MAX
1911
NIEMEYER
Inhaltsverzeichnis. Seite
Einleitung. E i n f ü h r u n g in d a s P r o b l e m d e s D a n d y s m u s
I
Kapitel I. Historische A b l e i t u n g
der D e f i n i t i o n d e s französischen D a n d y
und
Plan der Arbeit
6
Kapitel n . Weltschmerz und Nihilismus vor und nach A . Vorbereitende „Adolphe"
im
18. J a h r h u n d e r t
1800. bis
zu
B.
Constant's
1816
S3
B . D i e K u l m i n a t i o n im B y r o n i s m u s d e r R o m a n t i k e r
.
.
.
.
30
Kapitel m . H e m m u n g e n des N i h i l i s m u s .
Erste Dandies um
1830.
A. Balzac 1 7 9 9 — 1 8 5 0
38
B. Stendhal 1 7 8 3 — 1 8 4 2
41
C . Mérimée 1 8 0 3 — 1 8 7 0
45
Kapitel IV. V e r g e i s t i g u n g des D a n d y s m u s g e g e n
i860.
A . D e r ästhetische D a n d y s m u s F l a u b e r t ' s 1 8 2 1 — 1 8 8 0 B . D e r perverse D a n d y s m u s B a u d e l a i r e ' s 1 8 2 1 — 6 7
. . .
49 52
Kapitel V. Letzte Dandies und A b k e h r vom Dandysmus. A . Huysmans wird Mystiker
58
B . Bourget wird gläubiger Reaktionär
63
C . Barris wird Nationalist
70
Beachlufc
78
Einleitung. Einführung in das Problem des Dandysmus. Über den Begriff „Dandy" kursieren, wie natürlich, bei Eingeweihten und Uneingeweihten die mannigfachsten Vorstellungen. Ehe man also über Dandysmus schreiben will, hat man, wie immer, auseinander zu setzen, was man, im Gegensatz zu jener Mannigfaltigkeit der Vorstellungen, unter „Dandy" verstehen will, woher man gerade diese Definition hat und ob sie ein Vorzugsrecht, etwa eine historisch zu begründende Berechtigung, vor den andern besitzt. Jeder, der mit einiger Skepsis an logische Operationen herantritt, weifs, wie es mit dem Zustandekommen von Definitionen sehr komplexer Begriffe steht: Es sind mehr oder minder willkürlich für einen momentanen Zweck aufgehäufte, selten erschöpfende Bestimmungen einer bis dahin für den Definierenden oder für die Leser im V a g e n schwebenden Vorstellung, der sicherlich gewisse Forderungen zuzubilligen sind. Mitwirkend jedenfalls sind bei A b fassung einer solchen Definition unnachweisbare, weil teils unbewuiste Faktoren, die bei jedem definierenden Individuum verschieden sind, je nach Zweck der Untersuchung, Nation, Gesellschaftssphäre, praktischer und theoretischer Erfahrung. Daher jede Definition sehr komplexer Begriffe, wie wohl allgemein anerkannt, nur relativen Wert hat und ihre Annahme durch die Leser von der Überredungsgabe des Definierenden abhängt. Es würden also im vorliegenden Falle (Dandy ist ein e n g l i s c h e s Wort und eine e n g l i s c h e „Erfindung", die gegen 1820 nach P a r i s kam und sich dort erheblich abwandelte) ein kompetenter Engländer, Franzose oder Deutscher, selbst wenn man sie sich als Kosmopoliten an Bildung und jene mitwirkenden Faktoren also auf ein Mindestmafs an Unterschiedenhcit beschränkt vorstellte, noch eine verschiedene Definition vom französischen Dandy geben. Der einzige W e g demnach zu einer irgendwie berechtigten Definition des französischen Dandy wird für einen Deutschen der historische sein, wenn jene nicht, was in gewissem Mafse unvermeidlich ist, zu kurzsichtig ausfallen soll. Beiheft i m Zeiachr. f. rom. Phil. XXXIII.
I
2 Um dem Uneingeweihten die Einfühlung in die cinigermafsen vom breiten Wege abliegenden, weil kulturaristokratischen Probleme des Dandysmus zu erleichtern, sei schon hier vorausgreifend versucht, durch den Nebel der populären deutschen Vorstellungen vom Dandy zur Essenz des Problems vorzudringen. Die populären Vorstellungen über Dandy sind Meyer*s, Brockhaus' und Herder's Konversations - Lexicis entnommen, diesen üblichen Nachschlagebüchern für Gebildete, und bekräftigt durch mündliches Ausfragen Unbefangener, wobei unter „Unbefangenen" Studenten zu verstehen sind, die wohl das Wort Dandy kannten, aber keines der Werke über Dandysmus. Meyer (Leipzig, 6. Auflage) gibt unter „Dandy": „ein feiner Herr der eleganten Welt, der sich'auffallend kleidet und benimmt; dann soviel wie tonangebender Modeherr, Geck. Das deutsche „Stutzer" entspricht dem englischen D . . . nur unvollkommen, mehr das wienerische „Gigerl" . . .;" dann unter „Gigerl" gibt er: „um 1 8 8 3 in Wien aufgekommene . . . Bezeichnung für einen Modenarren, der sich in mafs- und geschmackloser Oberteibung der jeweilig herrschenden Moden gefällt". Brockhaus (Leipzig, 14. Auflage) gibt unter „Dandy": „englisches Wort, dessen Begriff das deutsche „Stutzer" nur unvollkommen, besser schon das neuere, wienerische Gigerl wiedergibt". Und unter „Gigerl": „in neuerer Zeit in Wien aufgekommene Bezeichnung eines Gecken, der sich durch auffallende Modetracht und extravagantes Benehmen bemerkbar macht". Herder endlich gibt: „Dandy, stutzerhafter Mensch, Gigerl". Das Ergebnis wäre also: Dandy = Modeherr, Modenarr, Stutzer, Gigerl, Geck, mafslos, geschmacklos, auffallend = Snob. Die Enquete unter den Unbefangenen ergab dasselbe; sie verstanden unter „Dandy": Geck, Gigerl, Protz, geschmackloser, aufdringlicher Snob, lächerlicher Poseur etc. All das hat aber mit Dandysmus recht wenig zu tun, mit seiner Essenz jedenfalls nichts gemeinsam. Man gestatte, der Definition vorausgreifend, zunächst einmal diese populären Vorurteile durch Aussprüche berühmter Dandies und Zitate aus Theoretikern des Dandysmus, die doch wohl allein als zureichend anzusehen sind, zu zerstreuen, um auf das Kommende besser vorzubereiten. Der Geck ist nach Meyer's und Brockhaus' Definitionen jedenfalls ein Mensch, der durch übertrieben modische Kleidung die Andern sein Streben, durch Eleganz aufzufallen, merken läfst bis zur Lächerlichkeit. Dafs Dandysmus mit der trostlosen Dummheit und Plumpheit des Gecken nichts zu tun hat, beweist jenes feine, vom König der Dandies George Bryan Brummell [ 1 7 7 8 — 1 8 4 0 ] , der den Dandysmus am englischen Hof kreierte, überlieferte Wort, dafs man, um elegant zu sein, nicht auffallen
3 dürfe. 1 Ferner sagt Barbey, der erste und tiefste Theoretiker des französischen Dandysmus, in demselben Buche p. 24: „Les esprits qui ne voient les choses que par leur plus petit côté, ont imaginé que le Dandysme était surtout l'art de la mise . . . Très certainement c'est cela aussi; mais c'est bien davantage. L e Dandysme est toute une manière d'être, et l'on n'est pas que par le côté matériellement visible." Charles Baudelaire, Oeuv. comp], 1 8 6 8 , Vol. III, p. 92 meint: „ L e dandysme n'est même pas, comme beaucoup de personnes peu réfléchies paraissent le croire, l'élégance matérielle. Ces choses ne sont pour le parfait dandy qu'un symbole de la supériorité aristocratique de son esprit etc." Leute, die nach so authentischen Zeugnissen noch „Dandy" mit „Geck" verwechseln, mögen zu ihrer weiteren Aufklärung das Kapitel: „Andreas von Balthesser über den „Dandy" und Synonima" in R. Schaukal's „Leben und Meinungen des Herrn A. v. B., eines Dandy und Dilettanten, München 1 9 0 7 " nachlesen. Für „Snob" gibt Meyer: „ungebildeter, vornehmes Wesen nachäffender und dabei anmafsend auftretender Mensch", Brockhaus: „Vornehmtuer, Geck" und Herder: „vornehmtuender G e c k " ; also entweder wieder: „Geck" oder: „ein Mensch, der nicht vornehm ist, aber so wirken möchte aus Sucht aufzufallen, und der das so ungeschickt anstellt, dafs die Andern es merken". Barbey meint dazu a. a. O. p. 5 3 : „Tout Dandy est un oseur, mais un oseur qui a du tact"; Baudelaire a . a . O . p. 9 3 : „Mais un dandy ne peut jamais être un homme vulgaire" ; Herr Andreas v. Balthesser endlich verkündet, leicht indigniert a. a. O. S. 2 5 : . . . „der Dandy ist überhaupt nicht zugänglich, am allerwenigsten der Beobachtung; S. 28: Der Dandy ist als Dandy nicht „auffallend". S. 29: Der Dandy wird nie einen faux pas begehen etc." Über „Poseur" gibt nur Meyer Auskunft: „Posierer, Wichtigtuer", d. h. doch jedenfalls soviel als: ein Mensch, der durch verunglückte Posen die Andern merken läfst, dafs er posiert. Man höre dazu Herrn A. v. Balthesser a. a. O. S. 26: „Der Dandy ist kein Poseur . . . Eine Pose . . . ist etwas Starres, etwas, das gewissermafsen nur von einer Seite gilt: auf der andern ist die Pose schon „Rückseite" . . . Der Dandy ist von allen Seiten gleich unverdächtig" und S. 3 0 : „Der Dandy läfst niemals das Impromptu aufser acht", welche Eigenschaft doch wohl das Gegenteil der starren, langweiligen Pose ist. Wenn man die Ergebnisse dieser zum Zweck der Induktion ganz zufällig herausgegriffenen Gegenüberstellungen von exoterischen und esoterischen Meinungen über den Dandy zusammenfafst, ergibt sich folgendes: Alle Unbefangenen verwechseln den Dandy mit dem Gecken, Snob und Poseur. Dies beweist, dafs zum mindesten 1 Barbey d'Aurevilly: Du Dandysme et de G. Brummeil, p. 55. Lemerre ohne Jahr. Zuerst erschienen 1844 als Privatdruck.
1*
Paris,
4 etwas den Unbefangenen so E r s c h e i n e n d e s auch beim Dandy vorhanden sein mufs. Nun leugnen die Theoretiker des Dandysmus garnicht, dafs der Dandy, wie alle anständigen Menschen, die es sich leisten können, ungemeine Sorgfalt auf sein Äufseres verwendet,1 dafs er ein gut Teil siegesbewußter Unverschämtheit besitzt2 und dafs er schauspielern mufs,3 nur — und hier wird der fundamentale Unterschied greifbar zwischen Dandy einerseits und Geck, Snob, Poseur anderseits, die ja, wie erwähnt, verstimmen, weil man die Absicht merkt — merken beim Dandy die Andern die Absicht überhaupt nicht oder erst lange hinterher, sodass der Dandy nie lächerlich wirkt. D. h. der Dandy und Seinesgleichen wissen wohl, dafs er viel Sorgfalt täglich auf seine Erscheinung verwendet, dals er Persiffleur und Poseur ist, nur hat er in all dem so viel Takt, innerhalb der Konvenienz zu bleiben, sodafs nur er selbst und andere Eingeweihte hinter seine Kulissen sehen, während er den Unbefangenen, den Bürgern, höchstens auffallt, wie jeder andere Besser-Angezogene, Ironische, Weltgewandte, nicht aber lächerlich erscheint wie Geck, Snob und Poseur; was Richard Schaukai (a. a. O. S. 27) ausdrückt: „Der Dandy ist von allen Seiten gleich unverdächtig. Verdächtig ist er nur im Innern, — dem nämlich, der selbst die Seele eines Dandy hat. Den andern, Gentlemen und Nichtgentlemen, ist er nicht verdächtig, sondern entweder unangenehm oder angenehm." Also während niederschmetternde Eleganz für den Gecken, erdrückendes Verblüffenwollen für den Snob, stete Versuche, die Andern zu betrügen, für den Poseur Ziele ihres Willens zum Eindruckmachen sind, die sie nie erreichen, da die Andern ja die Absicht schon vorher merken und lachen, sind für den Dandy diese nie erreichten Ziele des Gecken, Snob und Poseur nur einige von vielen Mitteln, die er beherrscht, auf denen er so gut spielt, dafs es ihm die Andern, die Nichtdandies, nicht anmerken. Freilich haben Geck, Snob, Poseur und Dandy als gemeinsame Basis die Eitelkeit, auf die nach de la Rochefoucauld überhaupt alles zurückgeht, den Willen zum Eindruckmachen, zur Macht. Nur sind jene so taktlos, auf halbem Wege aufzufallen mit ihrer Sehn1 Barbey a. a. O. p. 24 das schon S. 3 zitierte: „Très certainement c'est cela a u s s i . . . P . 5 7 : Il n'ignorait pas que le costume a une influence . . . " Baudelaire a. a. O. p. 91 : . . . „celui enfin qui n'a d'autre profession que l'élégance". R . SchaukaI a. a. O. S. 23, 24.
* Brummell [nach Barbey p. 62] . . . „aimait encore mieux étonner que plaire". Barbey p. 5 3 : „Tout Dandy est un oseur". Baudelaire p. 9 3 : „C'est le plaisir d'étonner". * Brummell besafs [nach Barbey p. 4 t ] : . . . „une science de manières et d'attitudes". Barbey p. 48 N o t e : „ O r , un D a n d y , quoique ayant trop bon ton pour n'être pas simple, est toujours un peu affecté". A . Holitscher in „Ch. Baudelaire" aus „Die Literatur" S . 1 8 : „ D e r Dandy, . . . ein Schauspieler, dem's im Sturm der Dialoge nicht einfallen wird, auf ein anderes Stichwort zu hören, als das er selbst sich gab, er geht in einem Maskengewand um, das ihm die Freiheit w a h r t . . . "
5 sucht nach Eindruckmachen aus plumper Unzulänglichkeit, während der Dandy unbemerkt, unverdächtig, sein Ziel erreicht: Einflute, Herrschaft, Macht-Lust, die j a nach dem heutigen Stande der Seelenforschung Schillers Hunger und Liebe ersetzt haben soll. Es sei noch bemerkt, dafs diese kurze Gegenüberstellung, bei der es sich ausschliefslich um Gesellschaftstypen handelte, eine vereinzelte Erscheinungsform des Dandysmus, eben den gesellschaftlichen Dandysmus, unbillig betonen mufste. Die Erscheinungsform des Dandysmus hat selbstverständlich viel mehr Möglichkeiten, deren hinter dem Vielfachen liegendes Einfache nunmehr auf dem Wege historischen Nachgehens festzustellen ist.
Kapitel I. Historische Ableitung der Definition des frz. Dandy und Plan der Arbeit. „ D a n d y " ist in dieser Form natürlich ein engl. Wort. Murray: „ A new engl. Diet." (Oxford 1897) sagt unter „ D a n d y " : „Origin unknown. In use on the Scottish Border in the end of the 18. th century; and about 1 8 1 3 — 1 8 1 9 in vogue in London, for the „exquisite" or „swell" of the period". Der „Diet, de l'Acad. Franç." gibt an unter „ D a n d y " : „Homme qui se pique d'une suprême élégance dans sa toilette et dans ses manières". Im „Grand Larousse" endlich steht: „Élégant dont la préoccupation est de briller par la toilette", eine ebenso unzureichende Definition, wie die der deutschen Dictionnaire. Im „Grand Larousse" folgt freilich ein von Barbey's „Du Dandysme" inspirierter, ausgezeichneter Artikel, der die unzulängliche Definition völlig widerlegt. Um also cndlich festzustellen, was ein Dandy um 1813 in London wirklich war, bleibt nur übrig, diesbezügliche Geschichtswerke heranzuziehen. 1 Daraus erfährt man, dais unter George IV., „the first Gentleman oi Europe", als er noch Prince of Wales war, die durch äufsere und innere Eleganz glänzenden Kavaliere des Hofes, die bis dahin „Beaux" hiefseD, gegen 1813 (Melville, T h e Beaux vol. I, p. XXII) in „Dandies" umgetauft wurden, durch eine jener Wortmoden, die der Grofsstädter ja täglich miterlebt und die nicht weiter zu erklären sind. Der berühmteste dieser Beaux oder Dandies, auch „the king of the dandies" genannt, war George Bryan Brummell (1778 bis 1840). 2 Aus allen Biographien dieses merkwürdigen Mannes, der 1 L e w i s Melville: T h e Beaux of the regency, 2 vol. London Hutchinson 1908, u.: T h e first gentleman of Europe, 2 vol. London Hutch. 1906. ' Captain Jesse: T h e life of G. B. Esqu., commonly called Beau Brummell. Zuerst ersch. 1844, benutzte E d . Sonnenschein & Co. 1893 London. Barbey d ' A u r e v i l l y : D u Dandysme etc. 1844, darauf fufsend, was die äußeren Details angeht. J . B s u l e n g e r : Les D a n d y s , Paris Ollendorf 1907, woselbst weitere Literaturangaben, die auch nichts Neues bringen und vor allem nicht das, worauf es ankommt. A m einsichtsvollsten noch Melville, T h e Beaux etc. vol. I, p. 123 ff.
7 in der engl. Gesellschaft eine noch glänzendere Rolle spielte als Lord Byron und Oscar Wilde, geht für sein Dandytum nur soviel mit Sicherheit hervor, dafs er von etwa 1 7 9 4 — 1 8 1 6 die Londoner Aristokratie als absoluter Tyrann in allen Fragen der Eleganz beherrschte, den Prince of Wales mit einbegriffen, der es als Vergünstigung empfunden haben soll, bei Brummeirs Toilette zugelassen zu werden. Es hat für diese Arbeit wenig Wert, ausführlich bei BrummeH's Leben zu verweilen, da gerade das, worauf es ankäme, nämlich BrummeU's charakterologische Entwickelung zum Dandy, von keinem der Biographen, aufser Barbey, auch nur versucht worden ist. Und Barbey schiebt, wie man sehen wird, Brummeil seine eigne Entwickelung zum Dandy unter. Es seien hier also zum Verständnis der Persönlichkeit Brummell's nur folgende Resultate seiner Entwickelung nach den zitierten Werken gegeben: George Bryan Brummell, geb. 1 7 7 8 , war ein genialer Emporkömmling, der wohlhabend aber unebenbürtig, nach in früher Isolation in Eton verbrachter Jugend durch zunächst freilich etwas auffällige, später untadlige Eleganz, schlagenden Witz und Unverschämtheit die Freundschaft des Prince of Wales eroberte und damit natürlich die ihm eigentlich verschlossene engl. Aristokratie, die er als arbiter elegantiarum von etwa 1 7 9 4 — 1 8 1 6 durch das graziöse Wunder seiner äufsern Erscheinung, durch die Furcht, die er mit Ironie und aburteilenden Epigrammen wachhielt, und durch eine geistreiche Blasiertheit diktatorisch beherrschte. Aus all seinen Biographien geht hervor, dafs die Essenz seines Dandysmus war: auf die Spitze getriebener Ichkullus, Blasiertheit, spielerische Behandlung alles Seienden und Machtlust, Willen zur Macht, 1 d. h. für Brummell als schlechthinigen Gesellschaftsmenschen: Zähmung und Mifshandlung der Gesellschaft durch ein trotz Verachtung und Unverschämtheit amüsantes, weil in seiner geschmackvollen Eleganz graziöses Auftreten. 1 8 1 6 mufste der Dandy fürst Schulden halber das Match aufgeben, floh, wie damals üblich, nach Calais, spielte noch eine Reihe von Jahren dort, später in Caen seine Rolle en miniature weiter und endete 1840 wahnsinnig und verkommen im Hospital Bon-Sauveur. Ein solcher Absolutismus, noch dazu eines Hoch1 Zu erklären versucht dies allein Bulwer in „Pelham" 1828 (Ed. London, George Routledge & Co. 1854), wo Brummell unter der Gestalt Russelton's kopiert ist, wenn er jenen sagen läfst Ch. X X X I I I , p. 9 5 : „ I came into the world with an inordinate love of glory, and a great admiration of the original." Leider folgt aus einer Anmerkung zu diesem Kapitel p. 97, dafs jene Worte nicht Überlieferung, sondern Substitution sind: . . . „Russelton is specified as one of my few dramatis personae of which only the first outline is taken from real life and from a very noted personage; all the rest-all indeed, which forms and marks the character thus briefly delineated, is drawn solely from imagination." Dies Geständnis ist sehr wichtig für die Folge. Brummell nannte Russelton [nach Melville, T h e Beaux, vol. I, p. 1 3 2 ] „that grossest of caricatures", was ebenso beweisen kinn, dafs Bulwers Porträt nur zu gut getroffen war, dafs der Dandy fürchtete durchschaut zu sein und es also verurteilte.
8 gekommenen, über die Gesellschaft mag den Spätgeborenen eines Jahrhunderts, das die Demokratie ernst zu nehmen imstande war, und die Klassen so gemischt hat, dafs es manchen fraglich ist, ob es überhaupt noch „die Gesellschaft" gibt, unglaubwürdig erscheinen. Die Zweifel schwinden aber, wenn man die zeitgenössischen Berichte liest, wenn man hört, dafs Byron, gefragt, ob er lieber Brummell oder Napoléon sein möchte, jenen nannte, dafs Mme. de Stael unglücklich war, weil sie 1 8 1 3 in London keinen Eindruck auf den Dandy gemacht hatte, der Stars und Blaustrümpfe aus Rivalität hafste. Als Brummell's Ruf sich um 1820 in Paris verbreitete, war der Boden gut vorbereitet durch die herrschende Anglomanie. 1 Vielleicht ist seine Popularität unter der Pariser Lebewelt überhaupt nur eine Folge der schon im 18. Jahrhundert sich vorbereitenden Anglomanie. Ihren Ursprung nimmt diese wohl von Voltaire's „Lettres philos, sur l'Angleterre" 1 7 3 1 , die der Allgemeinheit der Franzosen zum erstenmal näheres über die „Insulaires" brachten, dann von Montesquieu's „De l'esprit des lois" 1 7 4 8 , der die englische Verfassung popularisierte, und namentlich von der Vogue der englischen Literatur in Frankreich, zu der Prévost's Übersetzungen der berühmten Richardson'schen Romane Pamela, Clarissa Harlowe und Ch. Grandison 1742 — 56 den Anstois gaben. All die anderen nebeligen, sensiblen und humoristischen Vorbereiter der Romantik als Young, Ossian, Fielding, Thomson, Goldsmith, Sterne etc. 1 werden gelesen, und es gehört von nun an zum guten Ton, sie zu zitieren. In vielen Romanen um 1800 taucht ein kalter, reicher, tugendhafter Lord auf, 3 aus dem „la mère Sand" pünktlich einen „Laird écossais" macht, den ihr Walter Scott bescherte. 1 8 1 4 singt der populäre Béranger: „Redoutons l'anglomanie Elle a déjà gâté tout",
ein Zeichen dafür, wie weit sie um sich gegriffen haben mufste, wenn der es gemerkt hatte. 1 8 1 8 endlich beginnt die „Einsickerung" des Byronismus,* und mit ihm kam das faszinierende, legendäre Bild Byron's, des Dandy à la Brummell, des reichen Wüstlings, des zugleich sentimentalen und zynischen Don Juans, des gotteslästernden Freiheitsapostels, kurz des nie erreichten Ideals der Jeunes-France und A. de Musset's. Mit dem Byronismus und der lächerlichen Nachäfferei alles 1 J . Boulenger a. a. O. p. 1 1 4 : L'Anglomanie se développe chez nous avec le Romantisme. 1 Vgl. Lanion, Hist de la Litt. fr. 1903, p. 808. » Ebenda p. 809. 4 Estève, Byron et le Romantisme fr. Paris Hacb, 1907, p. 59.
9 Englischen, die nun einrifs, mufs auch die Hauptwoge von Brummell's Ruf nach Paris herüber gekommen sein. E s ist natürlich klar, dafs einige Bevorzugte der grofsen Welt ihn in London persönlich schon früher kennen gelernt hatten, wie Mme. de Stael 1 8 1 3 . Ein genauer Termin liefs sich aus begreiflichen Gründen nicht feststellen. Freilich wufsten die Pariser Anglomanen um 1 8 2 5 nicht viel mehr als Brummells N a m e n 1 und vor allem das fast unglaubliche Glück des Arrivisten. Auf Brummell und auf seinen Jünger Byron modellierten sich nun die Pariser Anglomanen von 1 8 3 0 , wie sie ja aus Balzac und George S a n d bekannt sind, die sich Dandies nannten, ohne freilich mit dem Prototyp Brummell mehr als die Erscheinung gemein zu haben und den glühenden Willen zum Arrivieren, der, wenn es erlaubt ist, Balzac's „ D a n d i e s " und Stendhal's „Julien Sorel" als Belege zu nehmen, damals einigermafsen akut gewesen sein mufs, wie manche meinen, durch das Beispiel Napoléons. J e n e „Dandies" seien, um sie von den echten zu unterscheiden, Pseudodandies genannt, als einfache Nachahmer einer gegebenen Pose. 1 Über sie gibt das mehrfach zitierte Buch J . Boulenger's, auf reichen Quellen fufsend, Aufschlufs. Nur hat Boulenger vom Problem des Dandysmus nichts begriffen, obwohl er Barbey's „ D u Dandysme", wie zahlreiche Anlehnungen beweisen, mit Erfolg gelesen hat. Auch er spricht wie die übrigen Biographen Brummell's — immer Barbey ausgenommen — von der stets gelangweilten, degoutierten Pose der Dandies. Mag das bei den Pariser Pseudodandies blofse modische Nachahmung sein, mag es in den damals kouranten Byronstil passen, bei Brummell, der diese so erfolgreiche, unverschämte Pose lanzierte, von dem sie auch Byron hat, müfste doch auf jeden Fall einë Auslegung wenigstens versucht werden. E i n 16jähriger junger Mensch kann doch nicht von heute auf morgen mit einer so ungewöhnlichen Pose plötzlich auftreten und einen Prince of Wales samt dem ganzen Hof bezaubern, ohne dafs jene das Resultat von inneren Krisen oder zum mindesten von genialem Durchschauen der menschlichen Seele und Gesellschaftsmechanik ist (vgl. Barbey a. a. O. p. 40, Note: „le calme du Dandysme est la pose d'un esprit qui doit avoir fait le tour de beaucoup d'idées et qui est trop dégoûté pour s'animer"). U n d Boulenger bekommt es fertig, obwohl er einige von Brummell's entzückenden, geistreichen Briefen u n d Anekdoten gibt, sie also gelesen haben mufs, jenen (p. 2) „cet homme d'un coeur nul, au fond, et d'une pauvre cervelle" zu nennen. Dieses unglaubliche Urteil — denn welch ein Armutszeugnis wäre das für die damalige Gesellschaft, wo doch selbst ein Byron, eine 1
J . Boulenger a. a. O. p. 1 1 4 . Diese Untersuchung will nicht finden, was dem damals üblichen, sprachlichen Mode-Ausdruck ,Dandy* entspricht, sondern welche psychologische Disposition Brummell und Seinesgleichen zu Grunde liegt. 9
IO Mme. de Staël mit fasziniert waren! — scheint freilich nur unangebrachter Chauvinismus zu sein. Jedenfalls wirft Boulenger, ohne Definition, alle möglichen Gecken, Sportsmen und Literaten in einen Topf z. B. mit Barbey d'Aurevilly, der, wie sein „Du Dandysme" beweist, theoretisch doch auf einer viel erleuchteteren Stufe des Dandysmus stand, als jene Poseurs. Doch gibt Boulenger von den Pseudodandies ein recht anschauliches Bild. Da sind, um die bekanntesten zu nennen, der von Lady Blessington ausgehaltene Comte d'Orsay, der sich für die heilige Jungfrau schlug mit einem Spötter, weil er nicht wollte, dafs man in seiner Gegenwart eine Dame beleidigte, der witzsprühende Roger de Beauvoir, der seine Epigramme überallhin fallen liefs, der finstere Athlet Lord Henry Seymour, mit psychologisch-sadistischen Kaprizen, wie sie später Huysmans' Des Esseintes kaum besser ersinnen kann, der sensible Alfred de Musset, der trotz aller Bemühungen nicht in den fashionablen Jockeyklub, das Rendezvous der Pseudodandies, aufgenommen wurde, weil er ein zu berühmter Dichter war, endlich der etwas seltsam drapierte Barbey d'Aurevilly, „le mauvais sujet", wie ihn seine weniger kostümfrohen Freunde nannten, zufrieden mit sich in seiner Dandypose trotz Gêne und „L'Amour impossible". Wenn auch für die meisten dieser Pariser Pseudodandies um 1 8 3 0 der Dandysmus nur eine Pose war, die sie antaten wie Kleider einer herrschenden Mode und die sie ebenso wieder ablegten, als die Mode gegen 1848 in „Industrie, Progrès et Suffrage Universel" umschlug, so ist doch klar, dafs die Elite, die eine solche geistige Mode spontan lanciert, tiefere Einsichten in das Wesen des Dandysmus besafs, als jene inoffensiven jungen Leute, die bei Lord Seymour boxten, schössen, fochten, in ihr Tagebuch schrieben, wieviel Zigarren sie geraucht hatten, ein Tilbury nebst „Tigre" besafsen und sich deshalb für impassible Dandies à la Brummell hielten. Zu jener Elite um 1844 gehörte auch Jules Barbey d'Aurevilly, der in dem oft zitierten Werke das Tiefste über den Dandysmus geschrieben hat und von dem alle Späteren mehr oder weniger entnommen haben. Ibsen sagt irgendwo: „Dichten, das ist Gerichtstag über sich selbst halten". So darf man auch Barbey's graziöses „Du Dandysme", das unter der Flagge „Georges Brummell" segelt, als eine Projektion seiner selbst auf den Namen des wehrlosen Brummell auffassen, von dessen innerer Entwicklung er ja viel zu wenig wufste (ihm standen Captain Jesse' Notizen, Bulwer's „Pelham" und Lister's „Granby" 1 zur Verfügung), um eine so tiefgreifende Metaphysik des Dandysmus schreiben zu können. 1 „Granby" aufzutreiben ist dem Verfasser nicht gelungen. Melville a . a . O . und andere geben Auszüge, die aber Barbey's Dandytheorie ihre Origim'ität behssen.
II
Barbey hat begriffen, dafs der Dandysmas „n'était pas seulement à fleur de terre" (a. a. O. p. 4). Er wird also (p. 33) „das Gesetz" hinter der Erscheinung suchen und die psychologische Analyse von Brummell's Charakter (p. 34): „C'est l'explication historique qui manque à Brummell". Barbey spürte deutlich, dafs es etwas anderes, als blofse Pose, um den Einflufs eines Mannes sein mufste, den ein Byron beneidete. Da er nun bei dem braven Captain Jesse zwar alle Kravatten-, Westen- und Beinkleidernuancen fand, nicht aber eine Erklärung, wie Brummell zu seinem Dandysmus kam, da er ferner sah, dafs die Resultate seiner eignen innern Entwicklung mit denen, die er nach Brummell's Sichgeben von jenem annehmen mufste, übereinstimmten, setzte er verzeihlicherweise die Genese seines eigenen Dandysmus, nämlich von Gefühlsund Ich-Überschwang, durch Enttäuschung und Nihilismus zum äußerlichen Kompromiß zwischen Konvenienz und privater Revolte durch die unnahbare, verachtende, spielerische Pose, 1 in das Leben jenes ein. 1 M a g es auch sein, dafs Brummell auf andere Weise zum Dandysmus kam, jedenfalls hat Barbey die für sich und die fianz. Dandies gültigen Bestimmungen gegeben, auf die es bei dieser Untersuchung allein ankommt. Dafs man Barbey's Dandy-Konzeption trotz seines Protestes, der Dandysmus sei etwas Exklusiv-Englisches (p. 17, 18), als typischfranzösisch ansehen darf, geht aus der erkenntnis- theoretischen Behandlung der Kulturprobleme hervor. Es ist doch offenbar, dafs die Essenz irgend einer Kulturströmung je nach Rasse, Milieu und Moment unter andern Erscheinungsformen auftreten wird. Der Katholizismus eines Römers mufs von dem eines Vlamen aus Brügge verschieden sein, alle andern Bedingungen als gleich angenommen. So wird der Dandysmus Brummell's, der sich allein innerhalb der Gesellschaftssphäre hielt, bei seinen Pariser DandyAdepten (es ist nicht von den Pseudodandies die Rede, die eben plump grade Brummell's e i n z i g a r t i g e n Fall v e r a l l g e m e i n e r n 1 D i e in Betracht kommenden Daten seien ia Schlagwörtern nach G r ê l é : J . B a r b e y d ' A u . , sa v i e , son œuvre 1904 und J . B o u l e n g e r : L e s D a n d y s p. 331 ff. g e g e b e n : Jules B a r b e y , geb. 180S aus guter norm. F a m i l i e , E i n bildungskraft früh geweckt durch Chouans-Geschichten. 1823 begeistert für Griechenlands Freiheit. E l e g i e : A u x héros des Xhermopyles. 1827 Paris. D i c h t e t mit Guérin. Individualismus. R e p u b l i k a n e r , offne R e v o l t e , Z w i s t mit V a t e r , weist demokratisch „ d ' A u r e v i l l y " zurück. 1829 Enttäuschung mit „ L a R e v u e de Caen". 1833 Paris Byronien. 1 8 3 6 — 3 8 Memoranda = P s e u d o dandysmus. — E r gelangt ins „ F a u b o u r g " , daher Aristokratismus: B a r b e y „d'Aurevilly". 1837 Enttäuschungen. Geldnot. Nihilismus. D e r D a n d y mufs „Journalist" werden. 1841 L'amour impossible. 1844 Vergeistigter Dandysmus = „ D u Dandysme etc." R e a k t i o n setzt^ein: Hinneigen zum K a tholizismus. 1 Ernest Seillière: B . d ' A . et le dand. rom. in R e v . bl. v o m 26. mars 1910, p. 395 I : B a r b e y n'a trouvé dans la vie du Beau d'Outre-Manche qu'un prétexte pour exposer commodément son propre code byronien de la révolte élégante.
12 wollten) allmählich ganz andere Erscheinungsformen annehmen können. Der Willen zur Macht der franz. Dandies wird sich von der Eroberung der Gesellschaft vergeistigen können zur Herrschaft über andere Dinge, zur Macht über Nichtmehrkörperliches, wie z. B. über Wortkunst (Flaubert), über Perversität (Baudelaire), über einen einzelnen Menschen (Bourget's „Disciple"), über das Ich gegenüber dem Nicht-Ich (Barrés) etc. Es sei nun versucht, unter Vernachlässigung alles dessen, was Brummell's äufseres Leben betrifft, aus Barbey's recht zerstreuten Bemerkungen ein zusammenhängendes Bild des französischen Dandy von 1844 zu rekonstruieren. Barbey's Protest gegen die Unbefangenen, die Dandy immer noch mit Geck verwechseln, war schon S. 3 und 4 zitiert. Dandysmus ist überhaupt nichts der Allgemeinheit Zugängliches. Es gehören dazu eine lange Zuchtwahl der Ich-Phasen und eine künstlermäfsige Veredelung auf allen Gebieten der Verfeinerung, die abseits vom breiten Wege liegt und darum kultur-aristokratisch genannt werden mag (p. 59): „II (Brummeil) était un grand artiste à sa manière; seulement son art n'était pas spécial, ne s'exerçait pas dans un temps donné. C'était sa vie même", d. h. nur ein hochkultivierter Mensch, dessen Äufseres und Inneres durch lange Ichpflege zu Kunstwerken ausgebaut sind, hat Hoffnung, Dandy genannt zu werden. Wenn das Wort nicht so anrüchig geworden wäre, könnte man den Dandy fast einen „Lebenskünstler" nennen. Jedenfalls liegt in des Dandy Drang, sein Ich und sein Leben ästhetisch auszubauen, etwas Künstlermäfsiges. Weshalb auch umgekehrt manche Künstlergattungen leicht zum Dandysmus neigen. Mit dieser hohen Verfeinerungsstufe Hand in Hand geht aber die soziale Isolation. Denn jedes neue Raffinement trennt von den Nichtsoraffinierten; und: je kultivierter, desto einsamer, ist ein soziologisches Axiom. Die Folgen davon sind notwendig Verbitterung und Hafsgefühle gegenüber unbestimmten Komplexen, die jene Isolierten, solange sie naiv sind, gern „ L e b e n , Welt, Gesellschaft" taufen. Erst recht fühlbar und verbitternd ist die Isolation natürlich für den werdenden Dandy. Denn des Dandy Machtinstinkte reifsen ihn, wie man sehen wird, gerade hinein in das „Leben, die Welt, die Gesellschaft", und seine stetig gesteigerte Verfeinerung isoliert ihn in immer stärkerem Mafse. Dafs aulserdem Ichabsolutisten und Genufsvirtuosen schneller als Andere bei der Enttäuschung anlangen und tiefer als Andere im Nihilismus wühlen, ist seit langem G e meinplatz: Post voluptatem . . . Ihre Devise wird, ob si wollen oder nicht: Nil mirari (p. 59), das Stichwort der Blasiertheit. Die „Impassibilité", die jener Wahlspruch zur Folge hat, ist die von A. Holitscher erwähnte Maske, die den Dandy unnahbar macht. Bei dieser „Impassibilité" kann man auf verschiedenen Wegen anlangen. Es ist aber schlechterdings unmöglich, dafs ein Mensch sie als Pose, aus Mode, annehmen kann, es sei denn, dafs er vorher
»3 die dazu erforderliche Schule der Enttäuschung und der Sattheit, wenn auch nur im Geiste, durchgemacht hat. Da Barbey Vollblutromantiker und Byronien war, ist es selbstverständlich, dafs er den Dandy bei der „Impassibilité" durch den „ Ennui" = Unlust oder Weltschmerz, anlangen läfst (p. 61): „le Dandysme est le produit d'une société qui s'ennuie" und (p. 66 Note) : „Mais l'ennui? . . . Eh! mon Dieu! c'est la paille où se rompt l'acier le mieux trempé au fait de bonheur. C'est le fond de tout et pour tous, à plus forte raison pour une âme de Dandy." Er bemerkt richtig (p. 27), die Unlust sei „fils de l'analyse" oder des philosophischen Nihilismus; denn die Analyse, die vor nichts halt macht, entrann noch nie dem schliefslichen Nichts, wie die Werther, Obermann und Adolphe dartun. Doch auch „fils de la satiété" (p. 27) kann die Unlust sein. Die Sattheit oder Blasiertheit, ohne die der Dandy und seine „Impassibilité" undenkbar sind, kommen also vom übertriebenen Sinnengenufs, Ichgenufs oder Denkgenufs, was Barbey (p. 40) ausdrückt: „le calme du Dandysme est la pose d'un esprit qui doit avoir fait le tour de beaucoup d'idées et qui est trop dégoûté pour s'animer." Dieser Degout des werdenden Dandy wird sich allmählich auch auf Dogmen jeder Art erstrecken. Seine Skepsis wird ihm die ganze Welt als Unsinn erscheinen lassen, in dem er allein das Existierende, das Schaffende, das Vollkommene ist. Diese Erkenntnis hat eine Revolte des Dandy gegen den Unsinn zur Folge, da er ja immer ein starker Ichbeloner ist, wie schon seine Ausdauer im Geniefsen bewiesen hat. So wird er Anarchist, im umfassendsten Sinne des Wortes (p. 53): „Ce qui fait le Dandy, c'est l'indépendance", und (p. 27): Der Dandysmus „résulte de cet état de lutte sans bout entre la convenance et l'ennui", d. h. dem Dandy, als Ichabsolutisten mit unbegrenzten Lustbedürfnissen, erscheinen alle Hemmungen, also vor allem die Konvenienz, als „Ennui" = Unlust. Als Individualist wird der Dandy sich empören gegen die Konvenienz, aber als Lebensvirtuose, als „Dandy", der weifs, dafs sein Einflufs zum gröfsten Teil auf Eleganz in allem, also auf Hinnahme der Konvenienz beruht, wird er sie hinnehmen. Diese Revolte gegen die Konvenienz und zugleich ihre absolute Hinnahme als Kampfmittel gegen sie (p. 28: L e Dandysme, . . . se joue de la règle et pourtant la respecte encore. 11 en souffre et s'en venge tout en la subissant) ist der Zwitterzustand des Dandy, seine Zerrissenheit. Man wird noch sehen, wie alle Dandies, deren Charakterologie sich näher feststellen läfst, das typische Hin- und Her-Pendeln zwischen privater Anarchie und öffentlicher Korrektheit zeigen. Woher nun der Nihilismus des Barbey'schen Dandy auch kommen mag, sei's aus Schiffbrüchen des Gefühls, des Glaubens oder des Denkens, die Mode, ihn à la Werther aufzuheben, ist 1844 längst vorbei; und mit Nihilismus allein weiter leben, heifst
'4 Schwäche, heifst Resignation. Der Dandy wird also, da er mit urkräftigem Lebensdrang begabt ist, trotz aller Verneinungen nach Mitteln suchen müssen, das L e b e n zu ertragen, indem er seinen Nihilismus möglichst oft übertäubt. Ihm zerfielen die sogenannten Werte der Menschheit in UnsinD. D i e Stufenleiter aller Genüsse der populären Sinne hat er abgegriffen. Es bleiben also nur noch wenige Erlösungen. U m so gieriger klammert er sich an die letzten. L a Bruyère sagt in „ L e s caractères" im Chap. „Du C o e u r " : „ L e s hommes commencent par l'amour, finissent par l'ambition". Es ist also eine „alte S a c h e " , dafs der hochentwickelte Mensch, der sich durch die Lügenwälle der Ideale hindurchgefressen hat, der nach der Verpuppung der schwanken Jünglingsjähre ohne Ballast ans L e b e n herantritt, nur noch einen Trieb sieht, in Befriedigung eines Triebes Lust findet, in den alle andern einmünden: „L'Ambition", Eitelkeit, unbedingte Bejahung des Lebens, kurz: Willen zur Macht. S o sah auch Barbey, dessen Phantasie von Byron's Ü b e r menschen Conrad, Lara und Manfred, den Nachfolgern von Schiller's Karl Moor, t erfüllt war, als Erlösung seines Dandy vom Nihilismus und vom E k e l , einerseits die indifferente Spielerei des Endgültigenttäuschten, der im absoluten Räume seines Nihilismus schwebt, wo sich die Unterschiede verwischt haben, sodafs das Paradox, dieser Galgenhumor der Verzweifelten, zur Norm wird (p. 60 L'Ironie est un génie etc.), anderseits direktere Genüsse der Eitelkeit, als: Ehrgeiz nach Modetyrannei 1 und Gesellschaftszähmung, 3 absolute Selbstbejahung, 4 Willen zur Macht, was Barbey (p. 96) so ausdrückt: „ O r o n est vaniteux, on veut l'approbation des autres . . . C'est toute l'explication peut-être des affectations du Dandysme." Um nun seine Machtgelüste an der Gesellschaft auszulassen, geht Barbey's D a n d y , der mit offener Anarchie vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht h a t , 5 sie auch für einen Aristokraten zu proletenhaft glaubt, der endlich weifs, wie er die Welt zu ködern hat, mit den Mitteln der Konvention g e g e n sie los. D a h e r sein „ G e c k e n t u m " , oder vielmehr seine höchst geschmackvolle Eleganz (P- 5 7 ) : «H n'ignorait pas que le costume a une influence, latente mais positive, sur les hommes qui le dédaignent le plus". Da der Dandy endlich immer Aristokrat der Geburt ist, der eine Ver1 Interessant und sehr wahrscheinlich fuhrt Estève den revoltierten Übermenschen auf Schiller zurück, a. s. O., p. 30: Quel sera le moyen d'échapper 1 l'ennui de la vie? Pour les coeurs débiles, Goethe arme le pistolet de Werther. Aux âmes violentes, ¿prises de lutte, avides d'émotions fortes, Schiller offre pour idéal son Charles Moor, ancêtre des Conrad et des Lara etc. Siehe auch p. 31, Note 3. * F. 28: il la domine etc. * P . 49: il était le maître de l'opinion. 4 P. 40: ils parviennent à faire admettre eette règle mobile, qui n'est. . . que l'audace de leur propre personnalité. * Nach 1835 stirbt der tobende, anarchistische Romantismus ab. Estève a . a . O . , p.352: A partir de 1835, les symptômes de réaction se multiplient.
15 feinerung durch Generationen überkommen hat, oder ein Aristokrat an Kultur, wird er auch ohne Geck zu sein, ein gewisses selbstverständliches Privatbedürfnis haben, sein Äufseres zur eigenen Freude liebevoll zu behandeln, ein Gefühl, das wohl nur noch in deutschen Landen die ihm nicht gebührende Verachtung zu erwecken scheint. Durch Eleganz und Grazie in körperlicher und geistiger Toilette g e f ä l l t der Dandy, aber Barbey hat gut erkannt (p. 62): „Comme tous les Dandys, il aimait encore mieux étonner que plaire: préférence très humaine, mais qui mène loin les hommes; car le plus beau des étonnements, c'est l'épouvante." Das ist der Macht-Sadismus der Dandies, dieser „Romantiker der Macht", wie Oskar Mysing sie einmal gut nennt (1910, Der erste Dandy, S. 303). Die Mittel zu dieser Wollust geben Ironie, 1 Mystifikation, 1 und Unverschämtheit (p. 53): „Tout Dandy est un oseur". Die „Impassibilité" ist also mit Vorbehalt zu verstehen, wie wohl überhaupt die Unberechenbarkeit ein Hauptreiz des Dandy ist (p. 27): „une des conséquences du Dandysme, un de ses principaux caractères . . . e s t . . . de produire toujours l'imprévu". Sonst würde die ewige Impassibilité ja wieder nur starre Pose sein. Dafs der Dandy endlich ein vollendeter Schauspieler sein mufs, wird aus dem Gesagten klar; was Barbey zu dem schalkhaftheuchlerischen Seufzer, der zugleich zeigt, wie sehr er sich mit Brummell identifizierte, Gelegenheit gibt (p. 95) : „Comme l'aurait dit le prince de Ligne: „II fut roi par la grâce de la Grâce"; mais à la condition qui pèse sur nous tous, chercheurs d'influence, d'accepter de son temps les préjugés et même jusqu'à un certain point les vices. Aveu triste à faire pour les chastes amis du vrai en toutes choses: si sa grâce avait été plus sincère, elle n'aurait pas été si puissante." Noch eine wichtige Schlufsbemerkung Barbey's sei hierher gesetzt (p. 99): „De Dandy comme Brummell on n'en verra plus; mais des hommes comme lui, . . . quelque livrée que le monde leur mette, on peut affirmer qu'il y en aura toujours. Ils attestent la la magnifique variété de l'oeuvre divine: ils sont éternels comme le caprice." Also er fühlte sich auch als Dandy und die Essenz seines und Brummell's Wesen als gleich heraus; dabei sah er ein, dafs es unmöglich und vor allem geschmacklos sei, wenn zwei Dandies in der Livree, d. h. der Erscheinungsform gleich wären, denn gerade die Originalität war ja nach ihm ein Charakteristikum des Dandy (p. 52): „ U n Dandy . . . qui n'existe pas en dehors d'une certaine exquise originalité". Dafs übrigens Barbey mit seiner Dandytheorie und deren Substitution unter Brummell nicht so ganz daneben greifen kann, beweist jenes Zitat aus Buhvers „Pelham" (s. Anmerk. S. 7), das 1
ficateur.
P . 61 : C'est le génie de l'Ironie qui le rendit le plui grand mysti-
i6 grofsen Wert an Wahrscheinlichkeit besitzt, da es herrührt von einem Zeitgenossen (geb. 1805) und vor allem Landsmann Brummell's, der überdies derselben Gesellschaftssphäre angehörte und sich, wie „Pelham 1 8 2 3 " beweist, auf Dandymus verstand, wie nur einer. Russelton's „ I came into the world with an inordinate love of glory, and a great admiration of the original" enthält dieselben Grundzüge, wie Barbey's Dandytheorie. „Admiration of the original" bedeutet: Auskosten aller Genufsmöglichkeiten. Daraus folgt naturgemäfs Sattheit und Nihilismus, und aus denen rettet „the inordinate love of glory", oder der Wille zur Macht. Dafs Barbey's Theorie vom französischen Dandy aus der Zeit heraus ausführlich zu erklären ist, wie er selbst es als nötig fühlte (p. 3 6 : L e Dandysme n'étant pas de l'invention d'un homme, mais la conséquence d'un certain état de société . . .) ist klar und im ausführenden Teil dieser Arbeit versucht, der eine Art phylogenetischen Seelenkommentar, natürlich unter dem bescheidenen Winkel des zu Beweisenden, für Barbey's Theorie bilden wird. Hingewiesen darf jedoch schon jetzt darauf werden, dafs mit Barbey's Traktat der Dandysmus Literatur wurde und von nun ab seine Anhänger namentlich unter den Literaten rekrutierte. Es ist eben die Tendenz des französischen Dandysmus, die Erscheinungsform immer mehr zu verinnerlichen, wenn auch die Essenz stets dieselbe bleibt. Ein anderer Grund ist, dafs wohl niemand so sehr die Vorbedingungen zum Dandysmus: empfindlichste Sensibilität, Individualismus, sehr entwickelte Eitelkeit, Emporkommen-Wollen = mehr oder weniger vergeistigte Machtlust, erfüllt, wie der Wortkünstler, der j a , namentlich der Romancier, die Sensationen aller andern Menschen, aller andern Raffinés und Künstler, kraft seines Metiers in sich zu reproduzieren und in Worte umzugiefsen hat. Daher sich der Ekel bei ihm sicherer und verwüstender einstellt, als bei den Andern. Man denke nur an Flaubert oder Huysmans. Aufserdem steigert sich bei Literaten, wenn sie an den auch nur möglichen Einilufs ihrer Werke denken, die Machtlust leicht zum Machtsadismus, was dann „Bouvard et Pécuchet", Stendhal's moralische Glossen oder Zola's „Naturalismus" ergibt. Eine zusammenhängende Theorie vom französischen Dandysmus hat aufser Barbey nur noch Baudelaire in „ l'Art Romant. 1868 Paris" im Kap.: „ L e Dandy" gegeben, woraus folgende Auszüge hierher gesetzt werden mögen (Oeuvres compl. vol. III, p. 9 1 ) : „ L e dandysme est une institution vague, aussi bizarre que le duel: très ancienne, . . . très générale . . . L e dandysme, qui est une institution en dehors des lois (Anarchie, Revolte), a des lois rigoureuses auquelles sont strictement soumis tous ses sujets, quelles que soient d'ailleurs la fougue et l'indépendance de leur caractère," d. h. die Essenz des Dandysmus (les lois rigoureuses) ist überall dieselbe, die Erscheinungsform ist mannigfach. Der Dandy ist ein Ästhet, ein Ichabsolutist, ein Raffiné (p. 92):
17 „Ces êtres n'ont pas d'autre état que de cultiver l'idée du beau dans leur personne, de satisfaire leurs passions, de sentir et de penser". Der Dandy ist kein Geck, wie das (S. 3) schon benutzte Zitat beweist. Der Dandy ist vor allem (p. 92): „épris de distinction", was wieder besagt: Der Dandy ist raffinierter Geniefser, kühnster Denker, feinsinnigster Fühler, kompliziert in jeder Beziehung bis zur Perversität, die ja Baudelaire besonders in Mode brachte. (P. 92): „Qu'est-ce donc que cette passion doctrine, a fait des adeptes dominateurs . . .?"
qui,
devenue
(P. 93): „C'est avant tout, le besoin ardent de se faire une originalité, contenu dans les limites extérieures des convenances. C'est une espèce de culte de soi-même, qui peut survivre à la recherche du bonheur à trouver dans autrui, dans la femme par exemple; qui peut survivre même à tout ce qu'on appelle les illusions." Hierin liegt, dafs Dandysmus Machtlust ist, ein Resultat aus Enttäuschung und Nihilismus. (P. 93): „C'est le plaisir d'étonner et la satisfaction orgueilleuse de ne jamais être étonné". Also auch Baudelaire fühlte die Erlösung des gesellschaftlichen Sadismus und den Genufs der verachtenden Blasiertheit. (P. 94): „ Q u e ces hommes se fassent nommer raffinés, incroyables, beaux, lions ou dandys, tous sont issus d'une même origine; tous participent du même caractère d'opposition et de révolte; tous sont des représentants . . . de ce besoin . . . de combattre et de détruire la trivialité." Wie man sieht, treffen alle aus Barbey gewonnenen Resultate mit denen Baudelaires, etwa 20 Jahre später entstanden, zusammen. Die wenigen Bemerkungen sind um so wertvoller, weil sie von Einem stammen, der selber ein Dandy comme-il-faut war und vor allem dem französischen Dandysmus eine neue Richtung, die zur Perversität, gab. Damit ist herangezogen, was an Originalgedanken über die Theorie des französischen Dandysmus von Franzosen geschrieben ist, soweit es dem Verfasser bekannt wurde. Es gibt noch den einen oder andern Artikel, der sich kritisch mit diesen Fragen beschäftigt, doch kommen diese Eintagskritiken hier, wo es sich um in der Dandy-Literatur markierende Daten handelt, nicht in Betracht. Was von andern Nationen angehörigen Dandytheoretikern geschrieben ist, durfte wohl in der Einleitung, wo es nur auf die Erleuchtung des deutschen Lesers ankam, ohne Bedenken herangezogen werden; damit jedoch die Definition des französischen Beiheft zur Zeitschr. f. rom, Phil. X X X I I I .
2
td Dandy möglichst vorurteilsfrei, möglichst „französisch" ausfällt, seien jetzt nur die Daten aus Barbey und Baudelaire benutzt. Die Definition (der Verfasser ist sich vollkommen klar über die Schwierigkeit, den Dandy, diesen Ungreifbaren, durch eine Definition festlegen zu wollen 1 ) lautet: Der französische Dandy stellt sich nach der französischen Fachliteratur dar als ein mit besonderen Möglichkeiten des Erlebens und der Machtlust begabter Mensch, der, von romantischer Übererwartung und anarchischer Ichbetonung seiner Jugend durch Enttäuschung, Sattheit und alles zersetzende Analyse bei der Ich-Isolation und beim allseitigen Nihilismus angelangt, kraft seiner Macht-Instinkte, trotz alledem das Leben samt Nihilismus nicht nur erträgt, sondern sogar hinnimmt, bejaht, und den Nihilismus vor Sich und der Welt, an Sich und der Welt zu überwinden pflegt, durch Machtlust, Willen zur Macht, „Romantik der Macht", also z. B. durch dilettantenhaftes Jonglieren mit Werten der Masse (Zynismus, Paradoxie, Perversität), durch geistigen Sadismus an Andern (Verführung, Ironie, Mystifikation), durch Selbstsadismus (Flaubert), durch nunmehr konventionell-korrekte, daher unbemerkte Revolte gegen die Gesellschaft (Blasiertheit, Amoralismus, graziöse Unverschämtheit) etc.* Man sieht wohl ein, dafs so verschlungene Gebilde des Lebens nicht aus modischer Nachahmung entstehen können, und zugleich, dafs Dandysmus nur ein neuer Name für eine uralte Sache ist. Es ist ja bekannt, dafs den Werdeprozefs des Dandy: von Hoffnung durch Enttäuschung zu Ehrgeiz oder Machtlust, selbst die alltäglichsten Menschen in gewissem Mafsstabe durchmachen, j a , dafs dieser Entfederungs-Prozefs geradezu ein allgemeingültiges, charakterologisches Gesetz ist. Wenn also die Heraushebung des Dandy überhaupt einen Sinn haben soll, so ist zu sagen, dafs er kraft besonderer V e r anlagung nnd Erfahrungen, d i e g a n z e W e l t der Hoffnungen, trägt, Enttäuschungen und Erlösungen-durch-Willen-zur-Macht d. h. dafs er weit intensiver als die Andern den Dreischritt der Entwickelung durchmacht, dafs er in allem romantisch über den Durchschnitt hinausschnellt, und das bei ihm die Synthesis aus Thesis: Hoffnung, und Antithesis: Enttäuschung, nie, wie beim Durchschnitt lautet: Resignation, sondern immer: 1 Melville „ T h e B e a u x " I, p. X X V a comprehensive description."
...
„ i t il almost impossible to
find
1 E s steht natürlich j e d e m frei, an d e r „ r e a l e n " E x i s t e n z des D a n d y zu zweifeln. U m a b e r v o n v o r n h e r e i n K r i t i k e r n dieser D e f i n i t i o n v o n der I n k o m p e t e n z M a r c e l B o u l e n g e r ' s , der R e v . B l . 1907 I , p . 242 I ohne B e w e i s vernichtend a u s r u f t : „II n ' y a p l u s de d a n d y s . I l n ' y en aura p l u s j a m a i s " , z u b e g e g n e n , sei b e m e r k t , da f i j e n e D e f i n i t i o n n i c h t v o m naiven G l a u b e n diktiert w u r d e , als seien D a n d i e s i m „ r e a l e n " L e b e n u n u n t e r b r o c h e n D a n d i e s . Mit A b s i c h t heilst e s : „ z u ü b e r w i n d e n p f l e g t " . — I m frz. K o m a n j e d e n f a l l s w i r d i h r e E x i s t e n z Z u g für Z u g b e w i e s e n .
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Wille zur Macht, unter irgend einer Form, aber unbemerkt vor den Andern. Dafs ein intensiveres Erleben der Stufen des Dreischritts kein Hirngespinst ist, beweist z. B. die rührselige Strömung im 18. Jahrhundert und der Nihilismus in der Romantik, wo ja jene höhere Intensität sogar gruppenweise zutrifft. Auch Barbey (a. a. O. p. 99) und Baudelaire (a. a. O. p. 9 1 ) bemerkten, es habe zu allen Zeiten Dandies gegeben; schon früher trat der Dandysmus zu Zeiten gruppenweise stärker hervor. So waren die griechischen Sophisten und die späteren Skeptiker, namentlich Arkesilaos, Dandies. 1 Manche nachaugusteischen Römer waren Dandies, und des sterbenden Nero: „Qualis artifex pereo" ist noch nicht übertrofTen, gleich, ob es Überzeugung oder Pose war. In Frankreich blühte der Dandysmus am Hofe Louis XIV. und auch am Vorabend der Revolution, wie Valmont der „Liaisons dangereuses" beweist. Daraus, dafs man bei all jenen Männern früherer Zeiten, die Gipfel der zeitgenössischen Verfeinerung darstellen, die gleichen Resultate wiederfindet, obwohl sie zu verschiedenen Epochen lebten, ergibt sich die Ewigkeit des Dandysmus, insofern er sich einfach in eine aus der Masse der den EndKultivierten aller Zeiten möglichen Attitüden vis-à-vis dem Leben auflöst. Wie schon erwähnt, kann es geschehen, dafs manche Seelenströmungen, deren wie unterirdischer Lauf dem flüchtigen Auge lange unbemerkbar blieb, unter gewissen Umständen so anschwellen, dafs sie geistige Moden, ja Epidemien werden. So Kreuzzüge und Flagellanten, so heute Sozialismus und Abrüstungsschwärmerei. Solch ein Anschwellen einer bis dahin nur vereinzelt an die Oberfläche getretenen geistigen Strömung läfst sich leicht im französischen Roman um 1880 für den Dandysmus konstatieren. Dieses Anschwellen konnte natürlich nicht spontan und zufällig sein, sondern war durch Zusammenflufs mannigartigster Strömungen notwendig. Alle diese vorbereitenden und mitwirkenden Bedingungen aufzudecken, würde die Arbeit eines ganzen Lebens ausfüllen. E s konnte also ohne Vermessenheit das Ziel-dieser Studie nur sein, den roten Faden des Dandysmus, der sich durch das 19. Jahrhundert zieht, unter Vernachlässigung der Details, rechts und links von jenem, aufzudecken. So sind namentlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wo sich die Romanliteratur, für den Ausländer zumal, unübersehbar häuft, nur die bekanntesten Schriftsteller und vor allem nur die, bei denen sich die Daten der Definition möglichst reichhaltig aufweisen liefsen, berücksichtigt worden. Allem Anschein nach gilt nun Häckel's „biogenetisches Grundgesetz" auch vom Dandysmus, d. h. der Spätergeborene durchlebt alle Geistesverfassungen der Frühergeborenen noch einmal, nur 1
Victor Brochard: Les scept. grecs.
Paris 1887. 3*
20 schneller. E s wäre also die Entwicklung eines frz. Dandy um 1880 nur die (Mitogenetische Wiederholung der phylogenetischen R e i h e 1 : Sensible Strömung im 18. Jahrhundert — Nihilismus der Romantik — V e r s u c h einer Überwindung derselben durch den D a n d y s m u s von 1844 — Verinnerlichung d e s D a n d y s m u s durch Flaubert und Baudelaire — 1880 er perfekter, eklektischer D a n d y s m u s bei Huysmans, Bourget und Barrés. Es ist, um diese T h e s e zu rechtfertigen, im Einzelnen darzutun, wie die Rousseau-Werther Sensiblerie mit Notwendigkeit beim Dandysmus von 1880 landen mufste. Zu diesem Z w e c k wurden die einzelnen E p o c h e n des 19. Jahrhunderts im R o m a n verfolgt, stets unter der einseitigen Einstellung auf den Dreischritt: V o n H o f f n u n g durch Enttäuschung zum D a n dysmus. Ähnliches ist j a schon vielfach g e s c h e h e n , nur war die Einstellung nicht g e n a u dieselbe. E s liefs sich aber nicht vermeiden, schon oft G e s a g t e s noch einmal zu wiederholen. Damit der Beweis Gültigkeit h a b e , ist es nötig, die Methode, mit der das T h e m a angegriffen wurde, zuzugeben. D i e Untersuchung wurde bewufst unter folgenden 3 Aspekten angestellt, die keineswegs als originell a u s g e g e b e n werden sollen. D e n n bis d a t o hat sie j e d e r Literaturhistoriker implicite zugelassen. 1. D i e Geistesgeschichte evoluiert nach d e m oligarchischen Prinzip, wobei als Oligarchen alle Schöpfer objektiven Geistes gelten. 2. Zwar wird die Literatur ihrer Oligarchen beeinflufst,
in gewissem
Mafse vom
Leben
3. d o c h weitaus mehr das L e b e n dieser Oligarchen von Literatur. 2
der
Es werden also gewisse Seelenzustände Hochkultivierter, wie sie sich im R o m a n ausdrücken, unter jenen drei Aspekten angesehen, mit ganz einseitiger R ü c k b e z i e h u n g auf das zu Beweisende skizziert werden, als Symbole für ihre Korrelate im L e b e n . Nicht ohne Absicht wurde ausschliefslich der Dandysmus, wie er im R o m a n erscheint, gewählt. D e n n von allen Literaturäufserungen ist der Roman die dem Schreibenwollenden am leichtesten z u g ä n g liche, weil die Form so unendlich g e d u l d i g und dehnbar ist. Sie scheint g e r a d e z u zum Sich-projizieren zu verführen, und es gehört der Kunstfanatismus eines Flaubert d a z u , um der Konfession im R o m a n zu widerstehen. E i n anderer Punkt ist, dafs der R o m a n 1 E r s t während des D r u c k e s kam dem Verfasser E . Seilliire's: D i e rom. K r a n k h e i t , Berlin Barsdorf 1907, zu Gesicht, das in der Einleitung ähnliche Gedanken über die Romantik im 19. Jahrhundert bringt, mit für einen, der die Romantik überwunden haben m ö c h t e , der R o m a n t i k freilich höchst verdächtiger A n i m o s i t ä t . 1 Oskar W i l d e , Intentions, L o n d o n , Methuen 1908, p. 33: Paradox though it may seem . . . it is none the less true, that L i f e imitates A r t far more than A r t imitates Life.
21 im i g . Jahrhundert eine aufserordentliche Entfaltung genommen hat und die gelesenste Literaturform ist, was auf Künstler, die etwas sagen wollen — und das wollen Alle, trotz des Protestes der Décadents — auch eine gewisse Anziehungskraft haben mag. E n d lich scheint der Roman inniger als jede andere Kunstform mit dem Leben verknüpft zu sein. Seine dehnbare Form ist besser imstande, sich der Mannigfaltigkeit des Lebens und jedem Temperament des Schreibenden anzupassen. Wie getreu Romane den jeweiligen Stand d e r Wirklichkeit widerspiegeln, erklärt sich am besten aus dem Gefühl des Altmodischen, das die meisten Wirklichkeitsromane schon bei der nächsten Generation hinterlassen. Jedenfalls wird der Autor, ob er impersonelle Kunst zu schaffen glaubt, oder ob er Konfession, Lyrismus und Analyse schreibt, nicht verhindern können, sein Teil von Wirklichkeit, in der er gerade lebt, in sein Werk mit hinein zu flechten.1 Aus all diesen Gründen ist der Roman jeden Genres ein Dokument ersten Ranges für die Evolution der Geistesgeschichte, ganz besonders aber für die des Dandysmus, zumal der Dandysmus von den Oligarchen der Gesellschaft auf die der Literatur übergehen sollte. Wenn es nicht leeres Gerede um die Eigentümlichkeit einer Rasse vor der andern ist, so darf man wohl sagen, dafs die französische alle Vorbedingungen zum Dandysmus mitbringt. Man schreibt den Franzosen allgemein zu: Viel Temperament, also die Neigung alles auszukosten, Libertinage, seit Jahrhunderten die andere Welt führende Kultur und vor allem eine durch langen Ruhm berechtigte, starke Eitelkeit, die leicht den Willen zur Macht weckt. Ferner, ist nicht ihr Charakteristikum auch die Salonluft? und deren Blüte, die leichtskeptische, spielerische Behandlung alles Seienden, der „ E s p r i t " ? Endlich hat Maurice Barrés einige Wahrscheinlichkeit für sich, wenn er, der am tiefsten ins Unbewufste seiner Rasse getaucht zu haben glaubt, in „ U n homme libre" 1 9 0 5 p. 1 5 für das 19. Jahrhundert meint: „ L e Français est induvidualiste, voilà un f a i t . . . — Toutes les fortes critiques que nous accumulons contre la Déclaration des droits de l'homme, n'empêchent point que ce catéchisme de l'individualisme a été formulé dans notre pays etc." Auch spricht er mit Recht „Sous l'oeil des barbares" 1 8 9 5 p. 1 3 vom „vieux goût français pour les dissertations psychiques", der sich im analyt. Roman vom 1 7 . Jahrhundert bei M me - de la Fayette bis hinauf ins 20. Jahrhundert bei Barrés selbst hoch entwickelt findet. Anderseits bedenke man, wie die Geschichte des 19. Jahrhunderts von 1 7 8 9 ab gleichzeitig die Geister zum Willen zur 1 Manche der obigen Gedanken über den R o m a n sind fast wörtlich aus einem Kolleg von Georg Simtnel W S . 1 9 0 9 — 1 0 : Probleme der modernen Kultur, entnommen.
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Macht oder zur furchtbarsten Enttäuschung anregen mufste. Voran Napoleon's I. leuchtendes Vorbild im Arrivieren. Und dann das ewige Oscillieren der Staatsform zwischen Republik und Reaktion: 1789 Revolution — 1804 Napoleon I. — 1 8 1 4 Louis XVIII. — Cent jours — Restauration — 1 8 3 0 Revolution Louis Philippe — 1848 zweite Republik — 1 8 5 2 Napoleon III. — 1 8 7 0 dritte Republik — 1886 Boulangisme. Das mufste notwendig die Krisen der Enttäuschung wie auch der Machtlust schärfen. Endlich bietet nicht die Republik Jedem jede Möglichkeit? Hat nicht Paris immer als Lehrmeisterin aller Raffinements in Mode, Kunst und Libertinage gegolten?
Kapitel n . Weltschmerz nnd Nihilismus. A. Vorbereitende im 18. Jahrhundert bis zu B. Constant's „Adolphe". Sonderlich verwirrend erscheinen dem Betrachter des 18. Jahrhunderts in Frankreich immer wieder die so verschiedenen Geistesströmungen am Vorabend der Revolution. Hier der etwas clownhafte Aufklärer Diderot und die „gaieté infernale" des „Candide" 1 , dort die ermüdende Sensiblerie der „Nouvelle Héloïse" und der Retour-à-la-nature-Luftbau des „Emile" ; und darüber gebreitet, wie eine Verhöhnung des Zopfstils, der sich in Rousseau's Protest gegen Leichtsinn und Luxus anzukünden scheint, die mehr oder minder graziöse Fleischlichkeit des Crébillon fils und Louvet de Couvray's. Endlich jenes Werk, das, mit stählernem Griffel geschrieben, 2 als Markstein den Roman des 18. Jahrhunderts beschliefst, das die „Impassibilité" Flaubert's, die raffinierte Analyse und den Dandysmus der Modernen vorausnimmt, die „Liaisons dangereuses" des Choderlos de Laclos. Die Entstehung und Steigerung der sensiblen Strömung im 18. Jahrhundert bis zum Weltschmerz und Nihilismus der Obermann, René, Adolphe, ist nicht zum mindesten das Werk Samuel Richardson's. Selten kann man mit mehr Recht von der Literatur behaupten, dafs sie das Leben beeinflufste, als von 1741 Pamela, 1749 Clarissa Harlowe und 1753 Charles Grandison. V o n 1742 bis 1756 erschienen die Prévost'schen Übersetzungen dieser drei Romane, s und von den Encyclopedisten bis zu den Romantikern findet Richardson die heute schwer fallende Bewunderung. Erwähnt seien Diderot's Panegyricon „Eloge de Richardson". Mirabeau 4 schreibt seiner Geliebten: „Je te traduirai le divin Richardson", Mme. de Staël (Delphine Paris 1803 préf. p. IV): „Les romans 1 Mme. de Staël, de l'Allemagne III, 4. E d . Nicolle vol. V , p. 35. • L e Breton, le Rom. au X V I I I « siècle. Paris 1898, p. 334. * Die Darstellung folgt £ . Schmidt's: Rieh., Rousseau und Goethe Jena 1875. 4 Lettres Paris 1834, I, p. 386.
24 que l'on ne cessera jamais d'admirer, Clarisse etc.," Alfred de Vigny (Cinq-Mars, refl. sur la vérité dans l'art., E d . Déf. Paris Librairie Ch. Delagrave p. 19): „Nous croyons à Othello, comme à Richard III, à Lovelace et à Clarisse," und Jedermann endlich kennt Musset's Verse aus Namouna II, X I V : „Deux sortes de roués existent sur la terre etc." Dafs Richardson's Clarissa 1751 in Frankreich einen so gewaltigen Eindruck 1 machte, wäre vielleicht schon aus dem charakterologischcn Grundgesetz des Kontrastes zu verstehen. Aber es ist aufserdem klar, dafs eine solche Stimme des Predigers in der Wüste, die einer verdorbenen Zeit den Puritanismus anpreist, immer das Sprachrohr Vieler ist, der Punkt, in dem sich die schon vorhandenen, protestierenden Strömungen schneiden. Baldensperger sagt einmal (Goethe en France, Paris 1904 p. 3): „Une époque littéraire, lorsqu'elle découvre et qu'elle annexe des idées ou des formes exotiques, ne goûte et ne retient vraiment que les éléments dont elle porte, par suite de sa propre évolution organique, l'intuition et le désir en elle-même." Insofern fiel auch Richardson's hohes Lied auf die T u g e n d , dss allen Gutgesinnten zur Freude das Laster unterliegen liefs, auf empfänglichen Boden in Frankreich, obwohl man im „style Louis X V " lebte (Le Breton a. a. O. p. 200) „Mais le fait est que la morale a envahi les romans de Richardson et que c'est surtout par là qu'ils ont eu tant d'action sur les Français du XVIII e siècle" und (p. 201): „ L e siècle qu'on dit si léger, était affamé de sérieux." Nachhaltig ist der Einflufs dieser Geistesströmung auf Rousseau als auf einen verwandten Charakter gewesen; denn auch er hat den ernsten Willen des Reformators und Moralpredigers mit der Chimäre vom ursprünglich guten Menschen. Nur dafs ihm die Folgerungen daraus: die Verherrlichung der Leidenschaft, der Gefühlstrunkenheit, des Ichkultus und also auch des Weltschmerzes, mit ihren verheerenden Wirkungen kaum bewufst geworden sind. E. Schmidt zeigt im Einzelnen, wie die „Nouvelle Héloïse", die den Richardson-Enthusiasmus ablöste, in Komposition, Stil und Technik von der „Clarissa Harlowe" beeinflufst ist. Rousseau hat wohl kaum geahnt, dafs die stellenweis exaltierte Sinnlichkeit der „Nouvelle Héloise" (der Kufs im Bosquet, S t Preux in Julies Kammer) und namentlich die ganz neue Liebessprache mehr Unheil anrichten würden, als die gegen Ende etwas ermüdende T u g e n d haftigkeit seiner Personen je hätte verhindern können. Die gerade Linie von Rousseau's Ichkultus und seinem „ O Sentiment! sentiment! douce vie de l'âme" führt zu Werther. Goethe wurde namentlich in Strafsburg durch Herder in Rousseau's Ideen eingeführt. E. Schmidt's Untersuchung zeigt, dafs die Liebeserfahrungen der beiden Dichter, die jene Werke entstehen liefsen, eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen. Beide Romane sind in Briefform abgefafst. Auch ist Goethe's Stil von der „Nouvelle Héloise" 1
Grand Larousse, A r t i k e l unter R i c h a r d s o n .
25 beeinflufst, namentlich die leidenschaftliche Liebessprache. Beider Helden haben ein inniges Verhältnis zur Natur. Endlich atmen beide Bücher jene Wertschätzung der Leidenschaft an sich, jenes Sichbesserdünken durch Schmerz und Liebe und damit vor allem auch den folgenschweren Individualismus und Weltschmerz. Werther's Anklang in der ganzen Welt, namentlich in Frankreich, ist wohl einzig. 1 Schon zwei Jahre nach seinem Erscheinen kamen zwei französische Übersetzungen heraus. E s folgten drei andere 1 7 7 7 , 1 7 9 7 und 1 8 2 2 , aufserdem eine Fülle von Nachahmungen, wie Appel's Bibliographie zeigt. Als Beweis für den gewaltigen Eindruck in Frankreich sei nur angeführt: Napoleon I. hatte Werther siebenmal gelesen, führte ihn stets bei sich und als er am 2. Oktober 1 8 0 8 mit Goethe in Erfurt zusammentraf, brachte er bald das Gespräch auf Werther. Mme. de Stael schreibt (De l'Allemagne a . a . O . vol. V p. 1 8 2 ) : „Werther avoit tellement mis en vogue les sentiments exaltés que presque personne n'eût osé se montrer sec et froid, quand même on auroit eu ce caractère naturellement." Sainte-Beuve (Lundis X I , Paris Garnier 1868, p. 239): „Werther est un des livres qui ont eu le plus d'influence et qui ont le plus excité la curiosité publique en tout pays." Namentlich aber forderte Werther's Pistole viele Opfer. Charles Nodier schrieb (Grand Larousse Art. über Werther) : „ J e te déclare avec amertume et avec effroi: L e pistolet de Werther et la hache des bourreaux nous ont déjà décimés," ebenso Mme. de Stael (De l'Allemagne a . a . O . vol. III, p. 24): „Werther a causé plus de suicides que la plus belle femme du monde." Man staunt, wenn man in den berühmten Romanen nach 1800, Mme. de Stael's „Delphine" 1 8 0 2 und „Corinne" 1 8 0 7 , Sénancour's „Obermann" 1 8 0 4 und Chateaubriand's „ R e n é " 1 8 0 4 bis zu Benjamin Constant's „Adolphe" (entstanden 1 8 0 7 , erschienen 1 8 1 6 ) immer nur das eine Motiv, wenn auch in neuen Nuancen wiederfindet, den Lyrismus, Ichkultus und Weltschmerz der „Nouvelle Héloïse" und Werther's, „la maladie du siècle", und dabei überlegt, in welch grofsen Zeiten der Handlung und des Ruhms die Verfasser nebst ihrem begeisterten Publikum lebten. Mit Recht fragt L e Breton (Le rom. au X I X e siècle Paris 1 9 0 1 p. 8): „ S e peut-il que le temps où ils viennent soupirer leur lassitude, leur incurable tristesse et leur dégoût d e l'action, soit le temps où se faisait tout ce qu'a dit l'histoire, où tout était action héroïque et magnifique aventure?" Als einen plausiblen Grund führt er an ( a . a . O . p. 1 1 ) : „Songeons d'autre part quel ébranlement la tempête révolutionnaire et vingt années de guerre européenne ont pu jeter dans des âmes déjà si sensibles et si blessées." Man denke an die T r a u e r , die Revolution und Krieg über unzählige Familien brachten. Viele waren in Verbannung und Elend durch Einziehung ihrer Güter. U n d manche mufsten vielleicht 1
Die Darstellung folgt: A p p e l , Werther und seine Zeit.
Leipzig 1 8 5 5 .
26 mitansehen, wie der Kaiser, selbst ein Parvenu, anderen Parvenus oder Kompromifslern die ihnen gebührenden Ehren verteilte. Wie mag all das an den Seelen derer gerissen haben, die schon so weich gestimmt waren durch Richardson, Rousseau und Goethe. Endlich sagt L e Breton (a. a. O. p. 1 1 ) gut: „Des certitudes sur lesquelles s'étaient reposés et avaient vécu les siècles précédents, il n'en est aucune qui ne soit terriblement compromise. L a foi religieuse du X V I I e siècle, la foi purement humaine et philosophique du X V I I I e siècle, ont toutes deux subi de tels assauts qu'elles semblent bien près de périr. Les âmes ne savent plus à quoi se rattacher, à quoi se prendre; repliées sur elles-mêmes, elles se consument en vains regrets et en inutiles inquiétudes." Und die eine „maladie du siècle" ist, nur variiert, in all den oben genannten Romanen. Delphine 1 (ersch. 1802, ben. Ausg. Paris 1803, 6 vols.), um nur das Nötigste zu belegen, ist die typische „âme sensible", (vol. I, p. 16): „ J e n'ai qu'un but, je n'ai qu'un désir, c'est d'être aimée des personnes avec qui je vis." Mlle. d'Albemar spricht (p. 44) von Delphine's „sensibilité vive et profonde" und nennt sie (p. 46) „romanesque". Delphine hat ein exaltiertes Temperament (p. 39): „Estimer ou mépriser . . . est un besoin de l'âme," ruft sie in grofser Gesellschaft aus und bekennt (p. 40): „ J e me reproche quelque fois de me livrer trop aux charmes de cette conversation si piquante." Sie beklagt sich (p. 27), dafs ihre zu vernünftige Freundin nicht all ihre „peines secrètes" verstehe. Sie schwelgt in Melancholie (p. 17): „Je n'ai dans ce moment aucun sujet de peine: mais le bonheur même des âmes sensibles n'est jamais sans quelque mélange de mélancolie." Endlich liebt sie es, in ihrem Weltschmerz zu wühlen (p. 108): „Je dirigeai notre conversation sur ces grandes pensées vers lesquelles la mélancolie nous ramène invinciblement: l'incertitude de la destinée humaine, l'ambition de nos désirs, l'amertume de nos regrets, l'effroi de la mort, la fatigue de la vie, tout ce vague du coeur enfin, dans lequel les âmes sensibles aiment tant à s'égarer." Obermann (ersch. 1804, ben. Ausg. Charp. 1874, préf. par G. Sand), dieser Isolierte (p. 1 9 : „d'un homme souvent isolé"), absolute Nihilist (p. 24 . . . „ce jour, le premier où je sentis le néant qui m'environne") und Indifferentist (p. 1 5 : „On verra dans ces lettres l'expression d'un homme qui sent et non d'un homme qui travaille" oder p. 25, wo er von seiner „apathie habituelle" redet), pendelt 1 0 Jahre in willenlosem Träumen und Wehmüteln hin und her. Eine von den vielen Seiten des Buches genügt, um zu zeigen, das alles typisch Weltschmerzlerische bei ihm vorhanden ist. Er fühlt die übliche Enttäuschung (p. 24): „Pourquoi la terre est-elle ainsi désenchantée à mes yeux?" Auch er leidet an der 1 Der Autor glaubte, dafs es mit einsr Weltschmerzanalyse bei Mme. de Stael getan sei. Darum wurde Corinne nicht besonders vorgenommen.
27 vorausgreifenden Einbildungskraft, die später einen Des Esseintes noch enttäuschen wird (p. 24): „Je ne connais point la satiété, j e trouve partout le vide." Als Nihilist hat er keinen Willen zur Tat, (p. 24): „Je le voulais, j e ne le pus pas." All das kommt vom schweren Kummer seiner Kinderjahre (p. 24): „Vous le savez, j'ai le malheur de ne pouvoir être jeune: les longs ennuis de mes premiers ans ont apparamment détruit la séduction." Und dann auch von der Analyse, die ihn, wie später Stendhal's Julien Sorel, selbst in der gröfsten Aufregung nicht verläfst (p. 24): „Dans la plus grande anxiété où j'eusse jamais été, j'ai joui pour la première fois de la conscience de mon être." Kurz er ist so sehr ein antizipierter Romantiker von 1830, dafs man G. Sand's Wort begreift (a. a. O. p. 10): . . . „Obermann, né trop tôt de trente années, est réellement la traduction de l'esprit général depuis 1830." René (1804, ben. Ausg. Berlin, Neufeld & Henius, ohne Jahr) empfindet auch einen „dégoût de la vie" seit seiner Kindheit (p. 149) und war schon als Knabe ernst und traurig (p. 130). E r ist früh kultiviert (p. 129): „Jeune, je cultivois les Muses"; auch ist er weit gereist. Wie alle Romantischen isoliert er sich (p. 142): „Traité partout d'esprit romanesque, honteux du rôle que je jouois, dégoûté de plus en plus des choses et des hommes, je pris le parti de me retirer dans un faubourg pour y vivre totalement ignoré." Natürlich setzt, als er isoliert ist, der Weltschmerz ein (p. 144): „Cette vie, qui m'avoit d'abord enchanté, ne tarda pas à me devenir insupportable." Denn er hatte nichts mehr, woran er sich hätte klammern können (p. 145): „11 ne manquoit quelque chose pour remplir l'abîme de mon existence." Er wollte sterben. Seine Schwester hielt ihn durch einen Schwur im Leben zurück. Sie starb, und nun hatte der Nihilist endlich etwas gefunden „pour remplir l'abîme de son existence". Auch er kennt, wie Delphine und Obermann, das wollüstige, selbsteitle Wühlen im eignen Schmerz, das der erste Schritt zum Dandysmus ist (p. 169): „(Chose étrange!) j e n'avois plus envie de mourir depuis que j'étois réellement malheureux. Mon chagrin étoit devenu une occupation qui remplissoit tous mes moments." Deutlich spricht er auch die snobistische Genugtuung über seinen ihn vor sich selbst erhöhenden, weil einzigartigen Kummer um den T o d seiner incestuös geliebten Schwester aus (p. 171): „ M o n chagrin même, par sa nature extraordinaire, portoit avec lui quelque remède: on jouit de ce qui n'est pas commun, même quand cette chose est un malheur." In dieser Koketterie mit einem als ernst ausgegebenen Schmerz liegt etwas, das man oft als Dandysmus angesprochen hat. Doch René ist, wie auch seine Vorfahren Rousseau, Werther etc., viel zu naiv stolz auf die Aristokratie seines Schmerzes, als dafs er nicht die spöttishe Überlegenheit und Diskretion des unerschütterlichen Dandy gar zu sehr vermissen liefse. V o n diesem snobistischen Paradieren mit seinem Schmerz, von dieser Pose des angeblich schwer Leidenden,
28 der um alles nicht diesen Schmerz, das letzte Amusement seines Nihilismus, hergeben möchtc, zum kühlen Betasten des Analysten Adolphe, erst recht aber zur Ironie über sich selbst und zum Ausbeuten der erworbenen Einsicht zum Willen zur Macht, ist noch ein grofser Schritt, den René nicht tut; also ist er kein Dandy nach der Definition. Er ist noch im naiven Vorhof des Dandysmus. Man hat auch Chateaubriand selbst einen Dandy genannt. Es ist wahr, dafs er ziemlich raffinierte Sensationen kostete (René's Incest), dafs er überaus eitel war, dafs er poetische und politische Machtlust hatte, dafs er die Herausgabe des „Génie du Christianisme" recht geschickt in Szene setzte und die der „Mémoires d'OutreTombe" in Szene setzen wollte. Aber wo ist in all dem der Nihilismus auch über sich selbst? Die Ironie über sich selbst? Die Paradoxität des Dandy? Seine Schwindeleien in der „Voyage en Amérique 11 und im „Itinéraire" wirken nicht graziös-sadistisch, wie etwa Mcrimée's „Théâtre de Clara Gazul", sondern nur wie plumpe Aufschneidereien. Er ist nur ein Poseur,i weil er sich zu ernst nimmt, wie René am besten zeigt. Endlich pafst zum Dandy nicht das leicht komische Verhältnis des Siebzigers zu IM nie. Récamier, und die groteske Ironie der Herausgabe der „Mémoires d'Outre-Tombe", während der Verfasser noch atmete, vereitelt endgültig jeden Versuch, aus Chateaubriand einen Dandy zu machen. Delphine, Obermann und René gingen den Weg derer zum Nihilismus, die auf das Gefühl gebaut hatten. Was aus den mehr Intellektuellen, mit dem zuschauenden Ich Begabten ward, zeigt Benjamin Constant's „Adolphe" 1816, die erste „réaction contre l'invasion du lyrisme" (Le Breton a. a. O. p. 211), die nicht mehr schmerzzerrissene, sondern fast wissenschaftlich-objektive Analyse eines Weltschmerzes. Wer Constant's „Journal intime", Paris Ollendorf 1895, gelesen hat, weifs, wie oft beinah wörtlich „Adolphe" die Qüal seines Verhältnisses zur herrischen Mme. de Stael 1 wiedergibt. Constant selbst, der elegante, früh verdorbene Kosmopolit, Dilettant, Nihilist des Gefühls, zur ewigen analytischen Klarheit schon als Jüngling erzogen durch Mme. de Charrière, der trotz seiner Willensschwäche in Liebessachen politische Machtlust besafs, 3 kommt der entwickelten Definition des Dandy in seiner Person recht nahe, sodafs ihm zum perfekten Dandy nichts als das Typus-Bewufstsein seiner Lage fehlt, und damit die heitere, selbstzufriedene Hinnahme 1 V g l . Morf, die rom. Literaturen 1909 in „Cultur der G e g e n w a r t I, X I , I S. 2 9 6 : „ W i r hören die Botschaft dieser verzweiflungsvollen renomistischen Melancholie aus dem M u n d e eines Zwanzigjährigen — allein uns fehlt der Glaube. E s i s t z u v i e l P o s e d a b e i . Chateaubriand deklamiert und w i r b t um die B e w u n d e r u n g der W e l t , die er zu verachten v o r g i b t . " 2 Journal intime, namentlich p. 48 bis 130. 3 A l l e Daten sind dem ausgezeichneten V o r w o r t zum „Journ. int." entnommen.
*9 seines durch die Zeit bedingten Weltschmerzes. „Adolphe" und „Journal intime" beweisen, dafs der Dandy sich vor sich selbst doch noch zu ernst nahm, wenn er auch vor der Welt sich undurchschaubar maskierte. Und dann, wie erwähnt, seine peinliche Unentschiedenheit in Liebessachen. 1 All das macht, dafs Constant nur wie ein Embryo des Dandy wirkt. Jedenfalls ist sein Adolphe 1 der erste Sehende unter den Toren des Weltschmerzes. Adolphe hat einen Sinn mehr, als die Gefühls-Nihilisten: Bourget's berühmte „faculté de dédoublement", die ihn seinen Nihilismus ziemlich kühl begreifen läfst und ohne lyrische Deklamationen à la Delphine, Obermann und René. E r ist blasiert über den Lyrismus. Adolphe stammt aus guter Familie. Sein Vater war Minister eines Kurfürsten. Adolphe wurde früh Kosmopolit durch Reisen. Er war sehr gebildet und sehr verdorben (alles p. i). Er hatte ein grofses Gefühlsbedürfnis, das durch die Ironie seines Vaters in einem fort gekränkt und durch andauernden Aufenthalt in der Fremde gehemmt wurde (p. 2). Die Folge war, wie üblich, dafs er sich in sich zurückzog und isoliert wurde (p. 4): „je m'accoutumai à renfermer en moi-même tout ce que j'éprouvais, à ne former que des plans solitaires." Und nun begann schon die anmafsende Pose der Ironie und Mystifikation des Sichbesserdünkenden bei ihm (p. 4): „Je contractai l'habitude de ne jamais parler de ce qui m'occupait, de ne me soumettre à la conversation que comme à une nécessitude importune, et de l'animer alors par une plaisanterie perpétuelle, qui . . . m'aidait à cacher mes véritables pensées." Als er durch seine Komödie immer mehr den Abstand zwischen sich und den Andern fühlt, keimt die Revolte bei ihm (p. 5): „II en résulta . . . un désir ardent d'indépendance, une grande impatience des liens dont j'étais environné." Trotzdem konstatiert Adolphe bei sich (p. 5): „un besoin de sensibilité dont je ne m'appercevais pas," das ihn zum Kind seiner Zeit stempelt und aus ihm eben nur einen embryonalen Dandy macht. P. 7 und 10 bekennt er seinen Pessimismus und universellen Nihilismus, zu dem ihn die alleszersetzende Analyse seiner verstorbenen Freundin gebracht hatte. Später kam er an einen kleinen Hof, wo er sich durch sein bald ablehnendes, bald ironisches Wesen wiederum isolierte und daher „distrait, inaltentif, ennuyé" (p. 14) in seinem Nihilismus dahin lebte, bis ihn der Erfolg eines seiner Bekannten bei einer Frau an der Eitelkeit packte, dieser letzten Rettung für Nihilisten (p. 1 5 ) , die aufserdem gerade Cerebralen nahe gelegt ist, durch 1 Mit Recht wird er „Journ. int." préf. p. X I I genannt ein „cérébral sensible auquel la volonté faisait défaut." * Ausgabe Dent, London 1905 préf. de Paul Bourget. (Entnommen den „Essais de psychol. contempor.")
39 die Überlegenheit, die ihnen ihre Analyse gibt. In kindlichem Dandysmus ruft Adolphe aus (p. 17): „Je veux être aimé," und sucht sich dann erst nach einem Opfer seiner Gefühlsschätze um. Er findet die arme Ellénore heraus. Man höre seine zynischen Worte (p. 22): „Offerte à mes regards dans un moment oii mon coeur avait besoin d'amour, ma vanité de succès, Ellénore me parut une conquête digne de moi." Das ist eine Brummell's würdige Selbsteinschätzung. Adolphe hat natürlich als werdender Dandy zunächst die kühlsten Absichten (p. 24): „Je pensai faire, en observateur froid et impartial, le tour de son caractère et de son esprit." Aber bald setzt trotz seiner sonstigen Entfederung die Kristallisation (Stendhal, D e l'amour) ein, da er gerade alles andere aufser den Gefühlserlebnissen ausgekostet hat (p. 25): „j'inventais mille moyens de conquête, avec cette fatuité sans expérience qui se croit sûre du succès parcequ'elle n'a rien essayé." Er beginnt Ellénore zu begehren und redet sich ein, um die Unnahbarkeit seines Nihilismus zu betrügen, es sei nur aus Eitelkeit (p. 24). Nach langen Kämpfen zwischen Eitelkeit und Begehren gibt ihm seine durch eine erste Weigerung irritierte Eitelkeit den Anschein der wahren Leidenschaft (p. 28), und Ellénore wird seine Maitresse. Mit Meisterhand ist gezeigt, wie der düpierte, weil nicht genügend orientierte Pseudo-Dandy zerrt an den Ketten seines Verhältnisses zu Ellénore, da er nicht genug Machtwillen hat, um auf seinem Mitleid zu trampeln, bis ihn der Zufall ihres T o d e s erlöst und er, kaum erlöst, seine Sklaverei bedauert (p. 172). Er konnte des Gefühls trotz theoretischer Entfederung nicht entbehren. Das lag teils an seiner ungenügenden Orientierung, teils an seiner gefühlsübersättigten Zeit. Adolphe ist der phylogenetisch zu früh Gekommene. Es gelang ihm noch nicht, die Götzen seiner Zeit: das Gefühl, die Liebe, den Weltschmerz, als für sich unbrauchbar zu erkennen und zu stürzen.
B . Die Kulmination in der Romantik. Während der Weltschmerz der Werther, René und Adolphe, sich noch ziemlich mafsvoll benahm, artet der Nihilismus der Romantik unter dem Einflufs Byron's in tobende Verzweiflung, schmachvollste Schamlosigkeit des Ich und universelle Anarchie aus. Der alte Streit, ob zwischen Romantismus und Byronismus überhaupt ein Unterschied sei, löst sich nach Estève 1 (a. a. O. p. X I V und p. 39) einfach dahin auf, dafs in Byron soviel von dem steckte, was auch in den frz. Romantikern war, 2 dafs man unmöglich be1 Die Darstellung folgt E s t i v e ' s schon e r w ä h n t e m , auf gewaltigem Material aufgebautem: B y r o n et le R o m a n t i s m e lrani;. P a r i s 1907. 1 Namentlich Spuren von R o u s s e a u , C h a t e a u b r i a n d , Schiller, und Goethe sind leicht zu entdecken.
Voltaire
3i haupten kann, er habe die Romantik geschaffen. E r brachte seine Nuance hinzu, aber die Grundlage war gemeinsam. K u r hat er zuerst gesprochen, daher der Enthusiasmus, mit dem er gerade in Frankreich aufgenommen wurde. Wie tief die Lust am Weltschmerz dort sais, geht daraus hervor, d a f s „ B e p p o " u n d „ D o n J u a n " , in denen Byron endlich die unerträgliche Statistenpose läfst und einen Anlauf zum literarischen Dandysmus nimmt, seine begeistertsten Anhänger zunächst in unwilliges Staunen setzte. 1 D a b e i ist dieser Don J u a n , wie Stendhal irgendwo bemerkt, nur ein armseliger Faublas, dem j e n e dämonische Korruption so vollständig fehlt, wie sie schon Molière, später Musset, endlich Marcel Barrière in „ L ' a r t des passions, Paris 1 9 0 4 " darstellen. Estève definiert den Byronismus folgendermaßen (p. 3 9 ) : „ L e Byronisme . . . apparaît donc comme une synthèse où viennent se fondre la plupart des éléments d e pensée et d e têve que le X V I I I e siècle a légués au X I X e . L e lyrisme passionné de Rousseau, l'aristocratique ennui de Chateaubriand, les aspirations libertaires d e Schiller, la tristesse de Y o u n g , l'ironie sarcastique d e Voltaire, l'inquiétude philosophique d e Goethe se juxtaposent, . . . modifiés par une sensibilité originale, dans c e composé d'irritante saveur." Die „Einsickerung" des Byronismus begann (Estève chap. I I I : L'Infiltration) etwa 1 8 1 8 mit der in Paris gedruckten engl. A u s g . Galignani. Dann erschienen von 1 8 1 9 — 3 0 sieben Übersetzungen von Pichot, die alle Romantiker in den Händen gehabt haben. Bei Byron's „ H e l d e n t o d " 1 8 2 4 stieg naturgemäß die Begeisterung noch. Zu seinen schon so einnehmenden Gestalten, dem Weltschmerzler Childe Harold, dem revoltierten C o n r a d , dem geheimnisvollen Korrupten L a r a , dem perversen Manfred und dem vergnügten T ä n d l e r D o n J u a n , kam noch das zur L e g e n d e gewordene Bild des heroischen Dichters-Märlyrers, in das sich die Gestalten seiner Phantasie mit den F a b e l n , die über sein L e b e n liefen, za verführerischer Mosaik vereinigt hatten. Zunächst einmal ist es einseitig nur der Weltschmerz Byron's, den alle Romantiker zwischen 1 8 2 0 — 3 0 widerspiegeln (Estève p. 164). D e r Zynismus und die Ironie Don Juan's kommen erst später auf. E s wäre für den Fortgang der Arbeit ganz zwecklos, die schon oft gemachte Untersuchung von Byron's Einflufs auf die grofsen Romantiker noch einmal im Detail zu wiederholen, darum seien ohne Kommentar nur die bekanntesten (nach Aspekt 1 , K a p . I dieser Arbeit) Modifikationen des romantischen Weltschmerzes herausgehoben. Durchtränkt von Byron's Melancholie u n d Verzweiflung sind Lamartine's „Premières Méditations poétiques 1 8 2 0 " . E s seien nur No. II: L'homme, à L o r d Byron, und N o . V I I : L e désespoir zitiert, die wohl als bekannt anzunehmen sind. Noch bis iA die „ H a r 1
Estève a. a. O. p. 69.
32 monies" 1830 zieht sich der Weltschmerz (I, 9. II, 1. 7. III, 4 etc.); endlich „Jocelyn" 1836 ist ein fast vollständiger Byronien, wenn auch die Empörung gegen Gott der „Premières méditatons" einem gläubigen Vertrauen gewichen ist. Alfred de Vigny's unheilbarer, philosophischer Pessimismus ist ganz Byron's Verdienst. In seinem grandiosen „Moïse 1822" ist deutlich Manfred's Isolation wieder zu erkennen (Poésies compl. Paris M. Levy 1866, p. 8): H é l a i ! j e suis, Seigneur, puissant et solitaire, Laissez-moi m'endormir du sommeil de la terre! etc.
Sogar die Menschen des XVII. Jahrhunderts in seinem „historischen" Roman „Cinq-Mars" 1826 sind vom Byronismus gestreift, und der Dichter durchsät die Erzählung mit weltschmerzlerischen Aperçus. Bekannt genug ist auch „Stello" 1832 mit den traurigen Gedanken über die notwendige Misère des Künstlers. Auch Sainte-Beuve's „Joseph Delorme" 1829 ist ein vom Leben früh Geknickter und grollt Byron und Lamartine, weil er ihren verheerenden Einflufs nur zu sehr an sich gespürt hat. Vorübergehend zeigt sogar der selbstherrliche Victor H u g o Spuren von Byronismus in den „Feuilles d'Automne" 1831. Er entlehnt Byron zahlreiche Motti, und sein Weltschmerz wird deutlich z . B . in No. XVII, (Paris 1857, p. 92): 11 suffit pour pleurer de songer qu'ici bas T o u t miel est amer, tout ciel sombre, Q u e toute ambition trompe l'effort humain, etc.
In den ersten Romanen der Georg Sand endlich wimmelt es von Byroniens. „Indiana" 1832 ist eine Exaltierte des Gefühls. In „Valentine" 1832 ist Bénédict früh vom Weltschmerz angefallen (Ed. M. Levy 1857 p. 21): „L'ennui, ce mal horrible qui s'est attaché à la génération présente plus qu'à toute autre époque de l'histoire sociale, avait envahi la destinée de Bénédict dans sa fleur." „Jacques" 1834 ist Manfred-ähnlich gegen die Welt empört (p. 36): „au nom de la société que je méprise." (P. 37): „J'ai embrassé cette idée-là comme un but à ma triste et stérile existence." Von Musset wird weiter unten ausführlich gehandelt. — Man gestatte, die Darstellung summarisch zu gestalten, da ja die Ausgeburten der Wildromantik, die nun folgen, nur uninteressante Variationen der Erscheinung einer und derselben Geistesverfassung sind. Die Agonie des wilden, ironischen Byronismus, der den weltschmerzlerischen jetzt ablöste (Estève p. 220 ff.), ist vertreten durch die Jeunes-France und die Bousingots (Estève p. 220): „ils ont tous un sentiment commun: c'est la haine du bourgeois, . . . et, quel que soit leur idéal artistique, le désir d'étonner, d'ahurir et de scandaliser les bourgeois."
33 (P. 224): „Iis ont pris du maître la rage de „mettre son moi à nu", de „décrire les phases de son coeur". Doch bald waren Weltschmerz, Zweifel und Empörung genügend ausgeschlachtet; es scheinen sich nach 1830 die Dichter endlich über die Eintönigkeit und Lächerlichkeit des Lyrismus klar geworden zu sein. Man hat Byron den Cynismus und Dandysmus in „Beppo" und „Don Juan" verziehen, ja man gefällt sich darin, vom extremen Ernstnehmen des Ich, der Leidenschaft, des Schmerzes, in das andre Extrem: Ironie und Cynismus zu verfallen, die ja nichts weiter sind als Rache an den Götzen und Scham über die bisherige Düpierung. (Estève p. 519): „Las de tristesses, de doutes, de méditations et de lamentations, le romantisme, aux approches de 1830, parut se désintéresser des hautes questions . . . et se complaire dans un scepticisme frivol et un épicurisme moqueur. Il reproduisait dans son mouvement général la marche que la pensée de Byron avait saisie la première . . . Tandis que Jeunes-France et bousingots imitaient les orgies du poète anglais . . . un groupe de dandys de lettres, auxquels Musset donnait le ton (?), s'assimilaient l ' e s p r i t . . . de Don Juan." Das sind die Pseudo-Dandies in J. Boulengers erwähntem Werk, also vor allem A. de Musset, Roger de Beauvoir, der Théophile Gautier des „Albertus" 1832 und der Barbey D'Aurevilly der „Memoranda" 1 8 3 6 — 3 8 , die sich ja alle nach 1835 bekehrten und über Dandies und Jeunes-France spotteten oder klagten (Estève p. 233 Anm. 1). Estève bemerkt gut, dafs im Grunde Jeunes-France und PseudoDandies, obwohl so verschieden im Auftreten, sich aus demselben Urgrund alles Byronismus und aller Romantik herleiten, der IchÜbertreibung (p. 229): „Les deux écoles . . . procèdent du même désir de se singulariser." Estève weifs auch, dafs diese Pseudo-Dandies nur Kopisten sind, Poseurs (p. 229): „ L e s dandys de lettres copient les allures du Byron de 1 8 1 3 et de 1814, rival de Brummel, roi de la saison . . ." Diesen Pseudo-Dandies fehlt so ganz Brummell's Originalität Ein und dieselbe Byron-Pose dient für Alle, und auch die ist ja nicht einmal originell. Darin eben, dafs Pariser Jünglinge versuchen konnten, eine englische Originalerscheinung nachahmen zu wollen, liegt das gänzlich Unverständige ihres Dandysmus. Sie verwechseln Schale mit Kern. Die grofse Mehrzahl begriff nicht, welcher geistigen Verfassung jene Brummell-Erscheinung, die sie für Pose hielten, mit Notwendigkeit entsprungen war, und dafs es jener geistigen Verfassung so gar nicht entsprach, nachzuahmen, durchsichtig zu posieren. Man höre nur Estève (p. 229): . . . „les dandys ne sont pas moins passionnés que les bousingots. Mais tandis que c e u x - c i , . . . proclamant l'anarchie morale et littéraire, se rattachent au Byron f a r o u c h e , . . . ceux-là promènent à travers la société . . . les allures désenchantées et blasées de Childe Harold et la corruption raffinée, le cynisme élégant de Don Juan." Man sieht, dafs J. Boulenger's Behauptung, Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. X X X I I I .
3
34 die Pariser Pseudo-Dandies von 1 8 3 0 hätten von Brummell nicht viel mehr als den Namen gewufst (siehe Kap. I, S. 7), zutrifft. Immerhin bedeutet die angelernte Ironie und Blasiertheit dieser Pseudo-Dandies, wenn sie auch nur eine modische Pose ist, die bald umschlagen wird, eine keimende Reaktion gegen den Nihilismus. Man hatte nun endlich begriffen,. dafs es unschicklich sei, sein nacktes Ich aller Welt schamlos vorzusetzen, und man versteckte sich, weil man sich der bisherigen Schamlosigkeit schämte, hinter lächelndem Donjuanismus. — Ein interessanter Fall von Pseudo- Dandysmus ist Alfred de Musset, dessen Analyse den Beschlufs dieses Kapitels bilden mag. Vom Beginn seiner Laufbahn, bis ihn das Verhältnis mit George Sand brach, zeigt er eine wirklich schwer zu klassifizierende Mischung von an Dandysmus erinnerndem, tändelndem Cynismus und von echtestem Weltschmerz - Byronismus. Und in diesem Gemisch ist bald die eine, bald die andre Nuance mehr betont, je nach seinen sentimentalen Zuständen. Doch immer hat sein Cynismus einen jungenhaften, renommistischen Beigeschmack, der den Dandysmus ausschliefst. Man merkt zu sehr die Absicht, die Bourgeois oder das Cénacle zu provozieren. Diese unreife Renommage ist z. B. in „Don Paez" 1 8 3 0 (Œuv. compl. Garnier, ohne Jahr, vol. I, p. 23): Pour moi j'estime qu'une tombe E s t un asile sûr où l'espérance tombe, Ou pour l'éternité l'on croise Iei deux bras.
Oder auch in Rafaels unerbetenem Glaubensbekenntnis (Les marrons du feu a. a. O. p. 52). Que voulez-vous? moi, j'ai donné ma vie A ce Dieu fainéant qu'on nomme fantaisie etc.
Ein Dandy ist nicht so naiv. Andererseits ist die Überlegenheit des Neuzehnjährigen über die „grande boutique romantique" in der „Ballade à la Lune" 1 8 3 0 und „Les secrètes pensées de Raffael 1 8 3 1 " recht bemerkenswert. Doch schon 1 8 3 1 in den „Poésies diverses". fängt der Weltschmerz an. Z. B. „Les voeux stériles" a. a. O. p. 166: J e suis jeune; j'arrive. A moitié de ma route, Déjà las de marcher, j e me suis retourné etc.
In Franck aus „ L a coupe et les lèvres" 1 8 3 2 sind alle Erfordernisse zumdüstern Byronien, ohne jede mildernde Ironie: Anmafsung, Abenteuer, Ausschweifung, Analyse, Weltschmerz, Willen zum Bösen und Sehnsucht nach Reinheit. In „Namouna" 1 8 3 2 ist trotz aller Cynismen die Verdammung Voltaires und der Schrei nach Christus.
35 Am ausgesprochensten ist die schwer zu entwirrende Mischung von echtem und von Pseudo-Dandysmus in „Lorenzaccio" 1 8 3 4 (Oeuv. compl. vol. III). Lorenzaccio war in seiner Jugend tugendhafter Wahrheitssucher mit den schönsten Idealen (p. 144). Er wollte als zweiter Brutus (p. 145) sein Vaterland vom Tyrannen befreien. Zu dem Zweck opferte er seine Reinheit und spielte den erbärmlichen Höfling und lasterhaften Lüstling bei Alexander von Medici. Dabei ward er unversehends wirklich lasterhaft (p- 1 5 1 ) . Um sich für seine verlorne Reinheit (p. 1 5 3 ) und für seinen verlorenen Glauben an die Menschen (p. 154) zu rächen, wird er Alexander ermorden. All das bindet er vor der Tat nicht nur einem Banditen (Act. III, 1) und dem alten Philippe Strozzi (Act. III, 3), sondern auch allen möglichen andern Leuten auf (Act. IV, 10), sodafs von Alexander viel guter Wille dazu gehört, sich ermorden zu lassen. Ein Dandy plaudert nicht so täppisch. Lorenzaccio hat andrerseits echt dandyhafte Züge. So seine Gepflogenheit, paradox zu reden (z. B. Act. II, 2), so sein Wille zum Bösen (p. 5 2 : Quoi de plus curieux etc.), so seine bewundernswerte Unverschämtheit gegen seine Neider (Act. I, 4), so endlich sein Massen-Sadismus oder Willen zur Macht (p. 154): . . . „et l'humanité gardera sur sa joue le soufflet de mon épée . . , Qu'ils m'appellent comme ils voudront, Brutus ou Érostrate, il ne me plaît pas qu'ils m'oublient." Doch leider wird der Dandy vor und nach der Tat melodramatisch (Act. IV, g und p. 198), ja sogar gutmütig ist er gegen Pierre Strozzi (Act. III, 3). Endlich läfst er sich wié ' eine Kuh niedermetzeln. Die erdrückenden Züge seiner Nicht-Überlegenheit machen aus ihm nur einen Pseudo-Dandy. Dafs auch Musset selbst, den Dandy zu nennen recht beliebt ist, nur ein Pseudo-Dandy schlimmster Sorte war, geht aus „ L a confession d'un enfant du siècle 1 8 3 6 " hervor. Da dies Buch mit ungenierter Offenheit hinter die Kulissen blicken läfst, seien ausführliche Auszüge daraus gegeben, die die Seelengeschichte des Pseudo-Dandy erläutern mögen (Oeuv. compl. vol. VII). (p. 9): „Napoléon mort, les puissances divines et humaines étaient bien rétablies de fait, mais la croyance en elles n'existait plus." Aufserdem war diese Jugend unter andauernden Kriegen aufgewachsen und träumte nur von Taten und Ruhm. Während der Restauration aber scheiterten all diese Hoffnungen. Die nicht ausgelöste Spannung schlug in Weltschmerz um (p. n ) : „Un sentiment de malaise inexprimable commença donc à fermenter dans tous les jeunes coeurs. Condamnés au repos par les souverains du monde, livrés aux cuistres de toute espèce, à l'oisiveté et à l'ennui, les jeunes gens voyaient se retirer d'eux les vagues écumantes, contre lesquelles ils avaient préparé leurs bras." Und weiter unten: „Les plus riches se firent libertins; ceux d'une fortune médiocre prirent un état. . .; les plus pauvres se jetèrent dans l'enthousiasme 3*
36 à froid, dans les grands mots, dans l'affreuse mer de l'action sans but." Dazu kam die Invasion der englischen Sitten. Die brachte (p. 12) die „Hypocrisie" und die kalte Pseudo-Dandypose. Die alte „gaieté gauloise" war dahin. Und, man denke (p. 1 3 ) : „L'amour était traité comme la gloire et la religion; c'était une illusion ancienne." Zu all diesen Gründen kam (p. 14): „Or, vers ce temps-là, deux poètes . . . venaient de consacrer leur vie à rassembler tous les l'éléments d'angoisse et de douleur épars dans l'univers. Goethe, le pratiarche d'une littérature nouvelle, après avoir peint dans Werther la passion qui mène au suicide, avait tracé dans son Faust la plus sombre figure humaine qui eût jamais représenté le mal et le malheur. Ses écrits commencèrent alors à passer d'Allemagne en France . . ." „Byron lui répondit par un cri de douleur qui fît tressaillir la Grèce, et suspendit Manfred sur les abîmes, comme si le néant eût été le mot de l'énigme hideuse dont il s'enveloppait." Und es war (p. 15): „comme un dégoût morne et silencieux" in den Herzen der Jünglinge, (p. 16): „Ce fut comme une dénégation de toutes choses du ciel et de la terre, qu'on peut nommer désenchantement, ou, si l'on veut, désespérance . . . " „Dès lors il se forma deux camps: d'une part, les esprits exaltés, souffrants, toutes les âmes expansives qui ont besoin de l'infini, plièrent la tête en pleurant; ils s'enveloppèrent de rêves maladifs . . . D'une autre part, les hommes de chair restèrent debout, inflexibles, au milieu des jouissances positives, et il ne leur prit d'autre souci que de compter l'argent qu'ils avaient. Ce ne fut qu'un sanglot et un éclat de rire . . . " (p. 17): „Qui osera jamais raconter ce qui se passait alors dans les collèges? Les hommes doutaient de tout: les jeunes gens nièrent tout Les poètes chantaient le désespoir: les jeunes gens sortirent des écoles avec le front serein, le visage frais et vermeil, et le blasphème à la bouche." (P. 22): „Toute la maladie du siècle présent vient de deux causes: le peuple qui a passé par 93 et par 1 8 1 4 porte au coeur deux blessures. Tout ce qui était n'est plus; tout ce qui sera n'est pas encore." Alle diese Gründe für den Weltschmerz klingen recht wahrscheinlich. Es ist hier nicht der Platz, die Fabel zu erzählen. Es folgen bei dem Helden die üblichen Liebesenttäuschungen, bis er beim Pseudo-Dandysmus landet. Interessant ist, wie Musset naiv konstatiert, dafs er zur Dandypose kam, ohne zu wissen wie. (P. 109): „Chose étrange! je mettais de l'orgueil à passer pour ce qu'au fond je n'étais pas du tout; je me vantais de faire pis que je ne faisais, et je trouvais à cette forfanterie un plaisir bizarre, mêlé de tristesse."
37 (P. m ) : „Ma prétention était, de passer pour blasé, en même temps que j'étais plein de désirs . . . Enfin mon unique plaisir était de me dénaturer. Il suffisait qu'une pensée fut extraordinaire, qu'elle choquât le sens commun, pour que je m'en fisse aussitôt le champion . . . (p. 1 1 3 ) : Mon plus grand défaut était l'imitation de tout ce qui me frappait, non par sa beauté, mais par son étrangeté, et, ne voulant pas m'avouer imitateur, je me perdais dans l'exagération, afin de paraître original." Ein ehrlicheres und besseres Portrait des Pseudo-Dandysmus ist nie geschrieben worden. Nach 1 8 3 5 ist das Schicksal des Byronischen Weltschmerzes so gut wie besiegelt (Estève p. 247 ff.). Inzwischen sind Balzac, Stendhal und Mérimée auf dem Plan erschienen, und Théophile Gautier bringt 1 8 3 5 im Vorwort zu „Mlle, de Maupin u die Anfänge zur L'art pour l'art-Theorie, die, von Flaubert weiter ausgebaut, dem Ichcult und damit dem Nihilismus im Roman wenigstens für eine Weile den Garaus machen sollte.
Kapitel III. Hemmungen des Nihilismus. A.
Balzac
Erste Dandies.
1799—1850.
V o n 1829 ab crschicnen die Bände der „Comédie humaine". Es ist ein sonderbares Zusammentreffen, dafs es in der Hochflut des Nihilismus einen Mann geben konnte, der nur oberflächlich von allem Byronischen angekränkelt war. Spuren davon finden sich freilich anfanglich in „ L a peau de chagrin" und in „ L a femme de trente ans", um nur die bekanntesten Beispiele herauszugreifen. Doch schon 1830 in „ L a maison du chat qui pelote" ist jene Anbetung des Geldes, des Verdienens, der Handlung, das Leitmotiv fast aller Balzac'schen Romane, und unangekränkelte Kraft spricht aus seinen Geschäftskombinationen, aus der überschäumenden Wirklichkeitslust des Gedankenriesen, Spekulation auf Spekulation zu türmen. Ganz deutlich ist zu spüren, wie sein oft plumper Stil sich belebt, sobald er von Geschäften reden kann. Dieses ziemlich vereinzelt dastehende Frontmachen gegen den alles verschlingenden Nihilismus, mitten im Strome, erklärt Bourget aus Balzac's Leben (Oeuv. compl. Critique 1, Paris 1899, p. 375): „Balzac avait débuté, comme on sait, dans une étude d'avoué. Imprimeur ensuite, et imprimeur ruiné, il connut les pires angoisses du négociant malheureux. Que décrouvrez-vous dans ses romans sous le philosophe perspicace, sous le magicien évocateur, sous le poète ivre de fantaisie? Précisément cet homme d'affaires endetté qu'il fut à vingt-cinq ans. C'est l'homme d'affaires qui dicte au poète, à l'évocateur, au philosophe." Wie hat er die selbsterlebte Angst des ruinierten Kaufmanns in „César Birotteau", im „Père Goriot", des ruinierten Lebemanns in „La peau de chagrin" und den „Illusions perdues" gezeichnet! Aber trotz ewiger Mifserfolge, seine Schulden los zu werden, arbeitete Balzac rastlos weiter. So auch sein César Birotteau, sein Père Goriot, Vautrin und alle andern, die einmal gestürzt sind. Der Ruin kam von der übertriebenen Sucht nach Geld und Macht, aber selbst im Ruin versagt diese eine Leidenschaft all seiner Geschöpfe nicht. Der Wille zur Macht durch Geld rettet
39 die Menschen Balzac's aus allen Verzweiflungen des Ruins, um wieviel mehr aus den rein imaginären des Nihilismus. Eigentlich lassen sich fast alle Typen Balzac's auf dieses Leitmotiv, das ja auch sein Leben beherrschte, zurückführen, die ,préoccupation de l'argent', wie Flaubert das (Corresp. IV, 1893 p. 252) tadelnd ausdrückt Man sehe diese Menschen an; Kaufleute wie Grandet, Cointet, Birotteau, Popinot, Bankiers wie Nucingen, Gobseck, Du Tillet, Journalisten wie Lousteau, Finot, Vernon, Beamte wie Petit Claude, Du Chatelet, Künstler wie Nathan, Bixiou, Kulturschöpfer wie Benassis, Dandies wie Lucien de Rubempré, Rastignac, De Marsay, kurz die ganze Welt seiner Zeitgenossen erschien Balzac ergriffen von dem einen wüsten Trieb nach Arrivieren, nach Herrschen durch Geld, der ihn selbst verzehrte. Jules Laforgue schreibt einmal 1882 in einem Brief an Monsieur Ephrussi: „ L e siècle pue le parvenu, n'est-ce pas?" Dazu beigetragen haben Revolution nebst Demokratie, Napoleons leuchtendes Beispiel und nicht zum mindesten Balzac's 20 Jahre lang gepredigtes Evangelium vom Amvismus, das seinem Werk oft einen unsäglich peinlichen Anstrich gibt. Überall Schlecht-Weggekommene, die hinauf wollen und hinauf kommen. Da sind Du Tillet, der vom diebischen Kommis millionenschwerer Bankier geworden ist, der Baron de Nucingen, der durch betrügerische Börsenmanöver, indem er auf Existenzen trampelt, der reichste Pariser Geldmann wird, die Brüder Cointet, der alte Séchard, Popinot etc. Gut bemerkt Le Breton (Balzac 1905 p. 2 1 ) : „Ce qu'il y a de vulgaire en lui, n'apparaît jamais mieux que lorsqu'il vise à l'élégance, au dandysme aristocratique." Seine Pseudo -Dandies haben die bereits bekannte Pose und sind im Übrigen die fürchterlichsten Snobs, wie sie nur ein Honoré „ d e " Balzac ersinnen konnte. Als typisch seien hier Henry de Marsay (La fille aux yeux d'or) und Lucien de Rubempré (Illusions perdues und Splendeurs et misères des coutisanes) herausgegriffen. De Marsay, von vornehmer, diskreter Abkunft, ist ohne Familie einsam aufgewachsen, bis ihn ein kluger Geistlicher in die Hände bekam, der ihn formte. Sein Nihilismus erklärt sich leicht aus Isolation und Aufklärung durch einen überlegenen Kenner des Lebens. Balzac sagt, nachdem er sein elegantes Äufsere beschrieben, von seinem moralischen Anarchismus (Œuvr. compl., Vol. 9, Paris 1 8 5 3 , Alex. Houssiane, p. 253): „Hélasl toutes ces belles qualités, ces jolis défauts étaient ternis par un épouvantable vice: il ne croyait ni aux hommes ni aux femmes, ni à Dieu ni au diable. L a capricieuse nature avait commencé à le douer; un prêtre l'avait achevé.'1 Und (p. 255) von der Allgemeinheit der „Dandies" : „Tous sont également cariés jusqu'aux os par le calcul, par la dépravation, par une brutale envie de parvenir, et, s'ils sont menacés de la pierre, en les sondant, on la leur trouverait à tous, au coeur. A l'état normal, ils ont les plus jolis dehors." Diese Worte scheinen
4° der Definition in manchem nahe zu kommen. Interessant ist namentlich, wie das einzige, was die Pseudo-Dandies von Brummeil wufsten: sein Emporkommen, sie nach Balzac's Ansicht besonders reizte. Aber man wird sehen, wie wenig Balzac's „Dandies" Dandies waren. Zwar sieht auch De Marsay seine Erlösung vom Nihilismus im Willen zur Macht, aber auf welch geschmacklose Art! Er hat mit seinen Freunden eine Art Anarchisten-Klub der „Treize" gegründet, der zum Ziel hat, die Gesellschaft zu unterminieren und zu unterjochen. Ein Dandy ist in keinem Klub, der ein Ziel hat, und verbündet sich nicht, sondern ist einsam. Des Pseudo-Dandy kleinliche Eitelkeit zeigt sich, als die arme Paquita, das Mädchen mit den Goldaugen, durch einen unfreiwilligen Ausruf ihn an ihrem alleinigen Besitz zweifeln macht. Er will sie sofort erdrosseln, und da ihm das nicht gelingt, ruht der angebliche Dandy nicht, bis er die „Treize" zur Rache seiner durch solch eine Kleinigkeit gekränkten Eitelkeit mobilisiert hat. Das ist natürlich lächerlich und für einen Dandy unmöglich. An De Marsay klebt wieder das fatale Etwas von Proletentum. Dieser Bund der „Treize" riecht nach Verbrecherkneipen und russischen Anarchisten-Klubs, nicht nach graziöser Nonchalance und eisiger Abgeschlossenheit des Dandy. Die „Treize" nehmen sich zu ernst und sind ohne jegliche innere Eleganz; von Verfeinerung, aufser in der Toilette, garnicht zu reden. Aber es ist Hoffnung für De Marsay, sich in einen wirklichen Dandy zu sublimieren mit der Zeit, und darum mufste er hier als Machtvorstufe zum Dandy, wie die andern Gefühlsvorstufen, erwähnt werden. De Marsay kam von der Geburts-Aristokratie infolge früher Blasiertheit durch Ausschweifung und Aufklärung zur Kandidatur auf Dandytum. Das ist der eine Weg. Lucien de Rubempré schreitet von der Misère des geld- und ruhmsüchtigen Dichterlings auf den Dandysmus zu durch die Enttäuschungen des oft düpierten Emporkömmlings, den Ekel des Künstlers vor seiner und der Andern Verkommenheit und die endliche, nach Verlust aller Federn erworbene Einsicht in den Lebensmechanismus, die ihm der Abbé Herrera, alias Bagno- Sträfling Vautrin, in zynisch-anarchistischen Moraltraktätchen übermittelt. Doch wie De Marsay's Dandysmus an der kleinlichen Eitelkeit hinkte, so der Lucien's an der Liebe. Sie müfsten sich beide noch entwickeln. Aber sie haben jedenfalls Hoffnung. Sie leiden am mangelnden Reinlichkeitsgefühl ihres Geschmacks. Ihre Korruption ist schäbig, ohne Eleganz, weil sie als vom Geldzweck beherrscht, nicht aber als „corruption pour la corruption", wie die des Dandy, betrieben wird.
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B. Stendhal 1783—1842. Über Stendhal ist viel behauptet worden; denn er ist so dilettantenhaft-vielseitig, so ironisch und sich und andere mystifizierend, dafs die verschiedensten Meinungen über ihn zu halten sind. Soviel geht aus seinen Tagebüchern und Briefen für seine charakterologische Auslegung mit Sicherheit hervor, dafs jene Ironie und die dahinter verborgene Zerrissenheit sich aus dem Kampf folgender einander widersprechenden Grundzüge 1 erklärt: Zu einer angeblich von seiner Mutter überkommenen, 1 wahrscheinlich durch unerquickliche Familienverhältnisse (die böse Tante Séraphie Gagnon) aufs empfindlichste gesteigerten Sensibilität, kommt eine durch seinen Grofsvater Gagnon veranlafste und entsprechende Lektüre (Condillac, Helvétius, später Destutt de Tracy) s herangezüchtete Vorliebe für kühle Analyse und philosophischen Sensualismus, und endlich, dank einer robusten Gesundheit (Rod, a. a. O. p. 10), ein Kultus der Kraft und Hunger nach Genufs (Rod, p. 1 6 : cet affamé d'émotions). Seine Sensibilität beweist er genügend durch seine ewige Verliebtheit, 4 durch „De l'amour" 1 8 2 2 und seine, wenn auch diskutierbare Empfänglichkeit für italienische Kunst und Musik. Seine psychologisch-analytische Veranlagung zeigt sich auf Schritt und Tritt in seinen Romanen und Tagebüchern; sein Kultus der Kraft erscheint in seiner Verehrung für Napoleon und den Krieg, in der Machtlust Julien Sorel's und der Herzogin von Sansovina. Deutlich lassen sich bei Stendhal die Verheerungen der Enttäuschung verfolgen. Erst im Elternhaus und auf dem Collège in Grenoble, wo auch seine Isolation begann (Rod, p. 5, 7, 9), dann in Paris, dann in der Liebe, dann Napoleon's Sturz etc. Früh kannte der robuste Knabe die Revolte (Rod, p. 1 1 : Sa famille était dévote, aristocratique, royaliste: il fut républicain, Jacobin, Sans-culotte). Doch das schliff sich alles ab, und er wurde durch den Einflufs seiner Kriegsfahrten und Reisen Kosmopolit, Dilettant, ironischer Mystifikateur und Dandy. Vielleicht hat das Beispiel seines Onkels Gagnon, der ein gefahrlicher ,Valmont' gewesen zu sein scheint, 5 Stendhal's Dandysmus begünstigt. Für seinen Dandysmus seien als Belege gegeben: Mérimée (a.a.O. p. 160): „D'ailleurs, il ne discutait guère." (P. 162): „ J e n'ai connu personne qui fût plus galant homme à recevoir les critiques sur ses ouvrages." 1 Vgl. Bourget, Critique I , p. 2 2 1 : Chez Stendhal, la rencontre si rare d'une imagination psychologique et d'un tempérament violent se complétait par une sensibilité, délicate jusqu'au raffinement et tendre jusqu'à la subtilité. 1 E . Rod, Stendhal, Les gr. ecr. fr. 1892 p. 8. 1 Bourget a. a. O., p. 1 1 5 . ' Vie de Henri Brulard, Calm. Levy ohne Jahr, p. 3, 15 oder Mérimée, Portr. hist, et litt 1875, M. Levy, p. 1 6 1 : J e ne l'ai jamais vu qu'amoureux ou croyant l'être. * Vie de Henri Brulard, p. 44.
42 Rod erzählt (p. 23) vom Rückzug aus Rufsland 1812: „Dans les plus mauvais jours le comte Daru le voyait arriver vêtu avec son habituelle distinction et rasé de frais." Das bedeutet ein gutes Stück Ichkultur. Doch dafs stets unter dem Dandy der Nihilist schlummerte, geht aus seinen Tagebüchern und Briefen hervor. Bourget belegt (Critique I, p. 223) aus dem Jahr 1840: „ M a sensibilité est devenue trop vive. Ce qui ne fait qu'effleurer les autres, me blesse jusqu'au sang. T e l j'étais en 1 7 8 g , tel je suis encore en 1840. Mais j'ai appris à cacher tout cela sous de l'ironie imperceptible au vulgaire." Des Dandy Stendhal Machtlust zeigte sich auf manche Weise. Es sei hier zunächst auf die Stilfrage hingewiesen, die bei Stendhal's Auslegung nie genug betont wird. Er sagt im Briefe an Balzac (abgedruckt vor der „Chartreuse" Ed. M. Lévy Frères 1853, p. 56): „ L a plupart des fripons étant emphatiques et éloquents, on prendra bientôt en haine le ton déclamatoire. A dix-sept ans, j'ai failli me battre en duel pour la „cime indéterminée des forêts" de M. de Chateaubriand, qui comptait beaucoup d'admirateurs au sixième de dragons. Je n'ai jamais lu la „Chaumière indienne"; je ne puis souffrir M. de Maistre; mon mépris pour L a Harpe va jusqu'à la haine. Voilà sans doute pourquoi j'écris si mal: c'est par amour exagéré pour la logique." Stendhal als Artist mag, wie jede Geschmacksangelegenheit, diskutabel sein. Immerhin bleibt doch die Schwierigkeit zu lösen, dafs ein Mensch mit ausgesprochenem Willen zur Kunst und Kunstgenufs-Fähigkeiten absichtlich einen unkünstlerischen Stil 1 schreiben wollte. Die Lösung liegt in obigen Worten. Der schlechte Stil ist der allseitige Ekel des Nihilisten, ist die Rache des sich durch den „ton déclamatoire" Dupiert-Fühlenden. 2 Aufserdem, ist es nicht ein feiner, sadistischer Dandyscherz, das Publikum durch das unbestreitbare Interesse der Handlung und der Beobachtung in seinen Romanen zu zwingen, in schlechter Form hervorragenden Inhalt zu geniefsen? Welche Irreführung der „Kenner", wenn es gelänge, ihnen in offener Verhöhnung aller Wortkunst Geschriebenes aufzuzwingen! Stendhal's andere Arten der Erlösung durch Machtlust sind Ironie 3 und Mystifikation, so namentlich die eingestreuten moralischen Betrachtungen und Entschuldigungen seiner Personen. 4 1 Chartreuse p. 5 7 : „ E n composant la Chartreuse, pour prendre le ton, j e lisais chaque matin deux o u trois pages du C o d e c i v i l , afin d'être toujours naturel." * M é r i m é e , a. a. O . p. 1 6 9 : „L'aversion et le mépris qu'il avait pour la fausse sensibilité le faisaient tomber souvent dans l'exagération contraire." * E s ist w o h l überflüssig, dafür Beispiele anzuführen. : 4 R o u g e et N o i r , E d . Garnier, p. 3 1 0 : N o u s avouerons avec peine, car nous aimons Mathilde, qu'elle avait reçu des lettres de plusieurs d'entre eux,
43 Blüten treibt seine Machtlust, wenn er zynisch wird, so „ L e Rouge et le Noir" p. 2 1 : „II (Julien) jugea qu'il serait utile à son hypocrisie d'aller faire une station à l'église." (P. 78): „Cette femme ne peut me mépriser: dans ce c a s . . . je dois être sensible à sa beauté, je me dois à moi-même d'être son amant." (P. 295): „du moins, quand on fait des crimes, faut-il les faire avec plaisir: il n'ont que cela de bon." Um auf den Dandysmus der Stendhal'schen Romanfiguren zu kommen, so hat auch er mehrere recht amüsante Pseudo-Dandies, z. B. den stets würdevollen Chevalier de Beauvoisis, mit dem Julien sich schlägt (R. et N., ch. XXXVI), und den Prinzen Korasoff in London, der Julien noch mit Brummeirschen Rezepten aufwartet (R. et N. p. 278): „faites toujours le contraire de ce qu'on attend de vous etc." Alle Voraussetzungen zu einem echten Dandy erfüllt Julien Sorel, der Held von „ L e Rouge et le Noir". Doch da er vom hochbegabten, machtlustigen Parvenü her zum Dandysmus kommt und vor Erreichung des Ziels stirbt, klebt ihm teilweise noch etwas Snobismus an, den Manche Stendhal so verübeln, obwohl der sicher darüber stand. Julien hatte nicht Zeit genug, sich auch zum perfekten Dandy des Innern zu läutern, daran liegt alles. Er besitzt, wie Stendhal, viel Sensibilität; denn für diesen zweiten Napoleon, der die Welt zu erobern auszieht, besteht die Welt noch zum grofsen Teil aus Frauen und Liebe. Selbst als er aus London als perfekter Dandy des Äufsern zurückkehrt (p. 282), leidet er unter Mathildes schlechter Behandlung und fällt vor ihr aus der Rolle der Blasiertheit. Endlich, scheitert der Weltenstürmer nicht an der charmanten, aber belanglosen Bürgerin Mme. de Rénal, seiner „einzigen Liebe" ? Was zum gleichen Defekt Stendhal's stimmt (Mérimée a. a. O. p. 179): „Beyle croyait qu'il n'y avait de bonheur possible en ce monde que pour un homme amoureux." Julien hat, wie seine Vorfahren Werther, René, Adolphe, die krankhafte Analyse, an der ja auch Stendhal litt. Nur läfst Julien nicht, wie die Weltschmerzler, all seine Kraft in Analyse zergehen, sondern er handelt trotzdem, ja gleichzeitig. Hierin liegt das Neue, die zielbewufste, beherrschende Klarheit und die Lust an der Tat, die auch schon bei Balzac war, die Überwindung romantischen Selbstzerfleischens in tatenlosem Dahinvegetieren. Die Analyse breitet über Juliens Handlungen jene kalt berechnende Helligkeit, die als zu amerikanisch Manche abstöfst. et leur avait quelque fois répondu. Nous nous hâtons d'ajouter que ce personnage fait exception aux mœurs du siècle. P . 33a : (De tels caractères sont heureusement fort rares); p. 360—61 : Cette page nuira de plus d'une façon au malheureux auteur etc.
44 Julien besteht, wie Stendhal, 1 nur aus Mifstrauen. Fein bemerkt ist in dieser Hinsicht, dafs seine Liebe, im Gegensatz zum Gros der Liebenden, erst einige Zeit nach dem Besitz einsetzt. Die Minus-Kristallisation seines durch die Analyse mafslos gesteigerten Mifstrauens mufs erst durch die Güte und Leidenschaft der Mme. de Renal zerschmelzen, damit sein junges Gefühl darunter aufblühen kann. Doch kaum hat er seine Zärtlichkeit erkannt, da schämt sich der werdende Dandy dieser Schwäche (p. 45): „Julien avait honte de son émotion." Wenn Julien eigentlich nicht erst durch grolse Enttäuschungen zum Nihilismus kommt, diesen vielmehr schon als Jüngling mitbringt, so erklärt sich das durch seine vorausgenommene Enttäuschung, durch den Hunger des Proleten, der hinauf will, der das Wohlleben der Reicheren immer nur als Outsider mitmacht und seiner noch mangelhaften Orientierung wegen hundert Kränkungen und Beschämungen erlebt. Auch genügte ja sein Aufenthalt im Seminar, um seine Isolation und allseitige Entfederung zu erklären. Wie die Machtlust aber alles Schwächliche in ihm erstickt, sieht man in psychologisch-meisterhafter Schilderung in jenen Augenblicken, wo er voll Angst und fast wider Willen, einer wie fremden Macht gehorchend, Schlag 2 Uhr nachts in Mme. de Rênal's Zimmer geht, weil er sich sonst verachten müfste (p. 85); oder wo er an Mathildes Fenster, auf der Leiter stehend, klopft, obwohl er ein Komplott befürchtet (p. 341). E r besitzt eine Amoralität, die sich nur noch bei Balzàc's „Dandies" findet, und ist ' wohl der instinktiv unbeschwerteste Anarchist, der je erdacht wurde. Während Julien sich vom Proleten allmählich zum abgeklärten Dandy entwickelt haben würde, kraft der läuternden Macht seiner überlegenen Fähigkeiten und der schmerzlichen Erfahrung, die das Steigen jedem homo novus gibt, kommt Mathilde de la Môle, ein weiblicher Dandy, 2 von der andern Möglichkeit zum Dandysmus (diese Arbeit S. 14). Stendhal malt sie (p. 283): „Ces yeux si beaux, où respirait l'ennui le plus profond, et, pis encore, le désespoir de trouver le plaisir." Sie ist also eine Nihilistin aus Blasiertheit der Sensation, kraft ihres Milieus. Ihre Entfederung geht bis zum Ekel an Allem (p. 3 1 2 ) : „Elle voyait l'avenir non pas avec terreur, c'eût été un sentiment vif, mais avec un dégoût bien rare'à son âge." Sie ist als Tochter eines mächtigen Adligen von klein auf von aller Welt verwöhnt worden (p. 3 1 8 , 319), was ihren Überdrufs und zugleich die Erlösung davon, ihren Hochmut und ihre Machtlust weckte (p. 322): „Mais il y avait aussi beaucoup d'orgueil dans le caractère de Mathilde." Ihren Sadismus zeigt sie, wenn sie andauernd ihre nichtssagenden Kavaliere geistig prügelt (p. 3 1 5 ) . Ihre Ent1
Rod., p. 63 nennt ihn „toujours dupe de la crainte d'être dupe." Zola, les romanciers nat. 1890 p. 103: Mlle, de la Môle . . . C'est un second Julien. 1
45 federung gibt ihr einen für eine junge Dame achtenswerten Cynismus (p. 3 1 8 ) : „il faut que vous soyez bien mal pour répondre à des plaisanteries par de la morale" etc.; und sie nennt ein wenig anrüchig ihren Freund „Mon petit Julien" (p. 314). Ganz dandyhaft liebt sie das Jonglieren mit der Gefahr (p. 3 1 1 ) : „Mais c'était l'imprudence que Mathilde aimait dans ses correspondances. Son plaisir était de jouer son sort." Trotz alledem geht sie zur Messe und hat politisch selbstverständlich reaktionäre Ansichten, weil sie als Dandy nie öffentlich gegen die Konvenienz verstofsen würde (p. 321). Die Gegenüberstellung, Verteilung auf verschiedene Geschlechter und vor allem die „Liebe" dieser beiden Dandies, so ungleicher Herkunft und Entwickelungsstufe, ist ein Meisterstück. Es leuchtet ein, dafs die Liebe zweier solcher Machtromantiker nur ein furchtbarer Hafs sein kann (p. 348): „sans s'en douter, ils étaient animés l'un contre l'autre des sentiments de la haine la plus vive." Wollust empfinden sie nur in sadistischem Erniedrigen des andern. Julien geniefst nicht, während Mathilde sich ihm gibt, sondern hinterher, allein, schwelgt er, als der Parvenu in ihm sich die Erniedrigung der stolzen Aristokratin analysiert (p. 346). Mathildens erster Gedanke ist (p. 348): „Je me suis donné un maître". Und sie quält schleunigst aus Rache und Scham Julien mit Verachtung und Kälte. Auch er spielt den Blasierten, und so martern sie sich abwechselnd bis zur Katastrophe. Wenn natürlich diese Charaktere auch nicht andauernd der Definition exakt ensprechen, so genügen sie ihr doch zumeist zustandsweise und hätten berechtigte Hoffnung, die letzten Schlacken eines Tages abzutun. In der „Chartreuse de Parme" finden sich beim Fuchs Mosca und bei Gina, Herzogin von Sansovina, ganz ähnliche Züge. Es braucht also davon nicht besonders gehandelt zu werden, zumal der Stoff nicht französisch-zeitgenössisch und aufserdem „Rouge et Noir" das von den Modernen Bevorzugte ist
C. Mérimée
1803—1870.
Ähnlich liegen die Dinge bei Stendhal's für die romantische Zeit erstaunlich früh entfedertem Freund Mérimée. Taine sagt im Vorwort zu den „Lettres à une inconnue" (Michel Lévy, Paris 1874, p. II Note 1): „On dirait qu'il s'est peint lui-même dans Saint-Clair, personnage du Vase étrusque: „II était né avec un coeur tendre et aimant, mais à un âge où l'on prend trop facilement des impressions qui durent toute la vie, sa sensibilité trop expansive lui avait attiré les railleries de ses camarades . . . Dès lors il se fit une étude de cacher tous les dehors de ce qu'il regardait comme une faiblesse déshonorante." Filon (Mérimée „Les gr. écr. fr." 1899, p. 8) greift Taine's
46 Theorie, die sich nur auf eine Aiiekdote gründet, an und erklärt M.'s frühe Entfederung mehr durch das Milieu des Elternhauses; sein Vater war ein ernster, wissenschaftlicher Mann und seine Mutter (a. a. O. p. 9): „agissante, un peu brusque, d'esprit net, incisif et pratique, voilà des influences et un milieu, qui ne devaient pas encourager les effusions d'une sensibilité enfantine." Vortrefflich erklärt Filon (p. 9) auch die frühzeitige Isolation M.'s: „II est toujours périlleux, au collège, de se distinguer des autres, or, Prosper attirait l'attention par plusieurs particularités. Il était habillé avec élégance, il savait l'anglais et il possédait cette écriture allongée, alors inconnue en France . . . Le dandysme et l'anglomanie, traits permanents de son caractère, apparaissent, comme on le voit, de bonne heure." Auch hatte er früh „fait le tour de beaucoup d'idées" (wie Barbey sagte S. 9), sodafs er die Klaviatur des Lebens beherrschte (Filon p. 1 1 ) , wozu seine Reisen und seine mondainen Erfolge (Filon p. 45) nicht das Wenigste beitrugen. Von seinem Dandysmus meint Taine (a.a.O. p. I): „C'était un homme grand, droit, pâle et qui, sauf le sourire, avait l'apparence d'un Anglais; du moins il avait cet air froid, distant, qui écarte d'avance toute familiarité." Ebenda p. II: „ L a sensibilité chez lui était domptée jusqu'à paraître absente; non qu'elle le fût: tout au contraire", wozu Turgenjefï's Zeugnis gut pafst (Filon p. 50): „ L a sensibilité . . . était le vrai fond de son caractère, mais il vivait masqué", und: „J'étais une des bien rares personnes devant qui il déposât son masque." Blase de Bury endlich (préf, zu „Lettres à une autre Inconnue" Michel Lévy, Paris 1875) schildert ihn; „II surveillait beaucoup son attitude et ses mouvements. Ecrivant, parlant, il s'observait, s'écoutait, se gouvernait." Ein Dandy darf natürlich kein professioneller Schriftsteller sein. Daher Stendhal's Wort (Vie de Henri Brulard p. 6): „ A vrai dire, je ne suis rien moins que sûr d'avoir quelque talent pour me faire lire. J e trouve quelquefois beaucoup de plaisir à écrire, voilà tout." Daher M.'s Einkleidungen seiner Romane und Novellen. Taine bemerkt a. a. O. p. XXXIII: „Presque toujours, il semble qu'il ait écrit par occasion, pour s'amuser, pour s'occuper." Darum ist „Lokis" nur ein Auszug aus dem Tagebuch des Professors Wittembach und sind „Carmen" und „La Vénus d'Ille" ganz zufallige Reiseerlebnisse, die der Dandy so nebenbei gemacht hat. Bekannt sind seine Mystifikationen: 1 8 2 5 „Théâtre de Clara Gazul" und 1827 „ L a Guzla, choix de poésies illyriques", die einen so wundervollen Erfolg, namentlich in Deutschland hatten (Filon a. a. O. p. 29). Eigenartig ist Mérimée's Ironie. Wirkt es nicht wie intellektueller Sadismus, wenn er in der „Chronique du Temps de Charles I X " , (Ed. Bruxelles Voglet 1829 p. 3 1 4 ) — „ce méchant roman" nannte er ihn selbst (Filon p. 37) — am Sçhlufs, bis wohin der Leser die
47 Spannung um das Schicksal der beteiligten Personen vertrauensvoll in des Autors Hände gelegt hat, ganz abgerissen die unausgelöste Spannung mit den in ihrer Trockenheit cynischen Worten abspeist: „On voit dans toutes les histoires de France, comment Lanoue quitta la Rochelle . . comment l'armée catholique fut contrainte de lever le siège, et comment se fît la quatrième paix, laquelle fut bientôt suivie de la mort de Charles IX." „Mergy se consola-t-il? Diane prit-elle un autre amant? J e le laisse à décider au lecteur, qui, de la sorte, terminera toujours le roman à son gré." Diese Worte sind ein Verbrechen an der Spannungs-Ästhetik, das seine Sühne nur in dem nichtgewünschten Einblick findet, den es dem Leser in M.'s Seele gestattet; denn Ekel am eigenen Werk, Hafs und mifshandelnde Verachtung des Publikums sprechen daraus. Dafs Mérimée im Grunde freudlos lebte, geht aus seinen Briefen hervor. Mit Recht schreibt einmal die charmante Fälscherin der „Lettres de l'Inconnue Paris 1889" (p. 66): „. . . c'est que toujours j'entends sonner à mes oreilles les mots que vous écrivez si souvent: triste, bien triste, très triste." So erfrischend der Cynismus ist, mit dem Mérimée in „ L e Vase étrusque" Théodore Néville von seiner ägyptischen Reise sprechen läfst, so in ihrem Grinsen erschütternd ist die Schilderung von Saint-Clair's Tode durch den Oberst Beaujeu 1 ( a . a . O . S. 54): „Thémines hat geschossen: ich habe gesehen, wie Saint-Gair sich einmal um sich selbst gedreht hat, dann ist er tot niedergestürzt Ich habe schon bei sehr vielen Soldaten, die von Kugeln getroffen wurden, dies sonderbare Wirbeln gesehen, das dem Tode vorhergeht." „Das ist ganz außerordentlich", sagte Roquantin. „Und was hat Thémines getan?" „ E i , was man bei solcher Gelegenheit tun mufs. E r hat mit bedauernder Miene seine Pistole zu Boden geworfen. Er hat sie so heftig hingeschlcudert, dafs der Hahn entzwei ging. Es ist eine englische von Marton verfertigte Pistole; ich weifs nicht, ob er in Paris einen Büchsenmacher wird finden können, der imstande ist, ihm eine neue ebensolche zu machen." — Dies Vergewaltigen der Stimmung des Lesers findet sich noch öfter bei Mérimée. Während Stendhal's Cynismen lächeln machten, wirken die Mérimées hämisch und geben ein etwas unbehagliches Gefühl der Dupiertheit. Dies, dafs er sich nicht genug tun kann mit dem Paradieren seines Cynismus und mit Düpieren des Lesers, ferner seine grofse heimliche Zärtlichkeit machen, dafs man Mérimée nur noch knapp als Dandy bezeichnen kann. Was den Dandysmus seiner Personen angeht, so ähnelt des Dandy Saint-Clair Charakter in „ L e Vase étrusque", wie schon S. 43 1 Dem Verfasser war nur folgende Übersetzung zugänglich: Ausg. Nov. P . M., V I I I . Bd. der „Roman. Meistererzähler", Dtsch. von Schultz-Gora, Leipzig 1906.
48 bemerkt, dem Mérimée's sehr. E s seien darum nur noch folgende Züge erwähnt (Anm. i , S. 47). (A. a. O. S. 32): „Er war stolz und ehrgeizig, er legte Wert auf die Meinung anderer, so wie es Kinder t u n . . . E r konnte den andern die Regungen seines allzu zärtlichen Herzens verbergen, aber indem er sie in sich verschlofs, wurden sie ihm hundertmal peinigender. In der Gesellschaft gewann er den Ruf eines unempfindlichen und sich um nichts kümmernden Menschen; und in der Einsamkeit schuf ihm seine unruhige Phantasie um so schrecklichere Qualen, als er das Geheimnis niemanden anvertrauen wollte." Das ist das Pendeln des Dandy zwischen seinem Nihilismus und seiner Korrektheit. (S. 34): „Er war viel gereist, hatte viel gelesen und sprach von seinen Reisen und seiner Lektüre nur auf Wunsch." Das ist Takt. Seine „Impassibilité" beweist Saint-Clair, als er schweigend die Verleumdungen seiner Feunde anhört über Mathilde de Courcy, die er liebt und durch ein Duell nicht kompromittieren möchte. Seine Kennerschaft des Lebens tut er dar durch gute Rezepte, wie man, selbst wenn man bucklig wäre, Frauen haben könnte (S- 37). Aber auch er liebt ganz aufrichtig, mit Eifersucht und Ahnlichem. Darcy endlich in „La double Méprise" ist wiederum so sehr Mérimée selbst bis auf die „larme à l'oeil", dafs eine neue Analyse nicht lohnt, da wohl Mérimée's Dandy-Nuance genügend hervorgehoben ist.
Kapitel IV. Vergeistigung des Dandysmus. A.
Der ästhetische Dandysmus Flaubert's 1821—1880.
Flaubert beichtet aus seiner Jugend (Corresp. vol. II, 1889, p. 58), aus dem Jahr 1 8 5 1 : „Nous étions, il y a quelques années, en province un groupe de jeunes drôles qui vivions dans un étraDge monde, je vous assure; nous tournions entre la folie et le suicide, il y en a qui se sont tués, d'autres qui sont morts dans leur lit, un qui s'est étranglé avec sa cravate, plusieurs qui se sont fait crever de débauche pour chasser l'ennui c'était beau!" Das ist der Pariser Romantismus aus der Blütezeit um 1830, der demnach um etwa 1845 bis nach Rouen vorgedrungen war. Wie früh Flaubert's Weltschmerz, sein Skeptizismus und Nihilismus einsetzten und wie sein „ennui" unter der impassiblen Maske des „L'Art pour l'Art" bis zum Ende dauerte, dafür zeugen die vier Bände seiner Correspondenz 1887 — 93. Mit 25 Jahren schreibt er (Corresp. vol. I, 1887, p. 114): „Fataliste comme un Turc, je crois que tout ce que nous pouvons faire pour le progrès de l'humanité ou rien, c'est absolument la même chose." Auch er hat die analytische Krankheit (a. a. O. p. 119): „ L a déplorable manie de l'analyse m'épuise. Je doute de tout, et même de mon doute." Und dabei lassen ihm die romantischen Luftschlösser keine Ruhe ( a . a . O . p. 154): „Queis rêves n'ai-je pas faits d'ailleurs, c'est là mon infirmité à moi." Man sieht, das Porträt des romantischen Nihilisten ist vollständig. Und dieses Porträt bleibt in seinen Grundzügen dasselbe bis an seinen T o d . Aus jedem folgenden Jahr der Correspondenz liefsen sich mehrere Stellen belegen, wo er sich über seinen „ennui", „le vide" in seiner Seele und „des coliques d'amertume à en mourir" beklagt. Und dieser Nihilist, der sogar an seinem Zweifel zweifelt, klammert sich, um sich zu erlösen, an eine Kansttheorie, die das Unbeweisbarste des Unbewiesenen ist! Doch Kunsttheorien, wie Religionen, lassen sich glücklicherweise weder beweisen, noch durch irgend ein Raisonnement angreifen. Beiheft 7. 218 S. Abonnementspreis Jk 5,60; Einzelpreis Jil,— 6. S c h u c h a r d t , H u g o , Baskisch und Romanisch (zu de Azkues baskischem Wörterbuch, I. Band). 1906. 61 S. Abonnementspreis Jk 2,— ; Einzelpreis Ji 2,40 7. H e t z e r , K u r t , Die Reichenauer Glossen. Textkritische und sprachliche Untersuchungen zur Kenntnis des vorliterarischen Französisch. 1906. X, 191 S. Abonnementspreis Ji 5,— ; Einzelpreis Ji. 6,50 8. M e y e r , R u d o l f A d e l b e r t , Französische Lieder aus der Florentiner Handschrift Strozzi-Magliabecchiana CL. VII. 1040. Versuch einer kritischen Ausgabe. 1907. X, 114 S. Abonnementspreis Ji 3,20 ; Einzelpreis Ji 4,— 9. S e t t e g a s t , F., Floovant und Julian. Nebst einem Anhang über die Oktaviansage. 1906. 67 S. Abonnementspreis Ji. 2,— ; Einzelpreis Ji 2,40 10. S a i n é a n , L a z a r e , La création métaphorique en français et en roman. Images tirées du monde des animaux domestiques. Le chien et le porc avec des appendices sur le loup, le renard et les batraciens. 1907. VI, 174 S. Abonnementspreis Ji 4,40; Einzelpreis Ji 5,50 11. N e u m a n n - R i t t e r v o n S p a l l a r t , A., Weitere Beiträge zur Charakteristik des Dialektes der Marche. 1907. VIII, 89 S. Abonnementspreis Ji 2,40; Einzelpreis Ji. 3,— 12. W a g n e r , M a x L e o p o l d , Lautlehre der südsardischen Mundarten mit besonderer Berücksichtigung der um den Gennargentu gesprochenen Varietäten. Mit 11 Karten. 1907. XI, 88 S. Abonnementspreis Ji 4,80; Einzelpreis Ji 6,— 13. E w a l d , F r a n z , Die Schreibweise in der autographischen Handschrift des „Canzoniere" Petrarcas (Cod. Vat. Lat. 3195). 1907. VIII, 68 S. Abonnementspreis Ji 2,— ; Einzelpreis Ji 2,60 14. J o r d a n , L e o , Ueber Boeve de Hanstone. 1908. VIII, 107 S. Abonnementspreis Ji 2,80 ; Einzelpreis Ji 3,60 15. R ö h r s h e i m , L u d w i g , Die Sprache des Fra Guittone von Arezzo. (Lautlehre.) 1908. VIII, 94 S. Abonnementspreis Ji 2,80; Einzelpreis Ji. 3,60
Verlag von Max Niemeyer in Halle a. S. Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. 1(1. J a o o b i u s , H e l e n e , Die Erziehung des Edelfräuleins im alten Frankreich. Xach Dichtungen des XII., XIII. und XIV. Jahrhunderts. 190$. 80 S. Abonnementspreis Jt. 2,— ; Einzelpreis Jt. 2,60 17. S o m m e r , II. O s k a r , Messire Robert de Borron und der Verfasser des Didot-Perceval. Ein Beitrag zur Kritik der Graal-Romane. 1908. 53 S. Abonnementspreis Jt 1,60; Einzelpreis Jt. 2,— 18. T h o m a s , L u c i e n - P a u l , Le lyrisme et la préciosité cultistes en Espagne. Étude historique et analytique. 101)9. 191 S. Abonnemeutspreis Jt 6,— ; Einzelpreis Jt. 8,— 19. B o j e , C h r i s t i a n , Ueber den altfranzösischen Roman von Beuve de Ilamtone. 1909. VII, 145 S. Abonnementspreis Jl. 4,— ; Einzelpreis Jt. 5,— 20. B e r t o n i , G i u l i o , Il laudario dei Battuli di Modena. Con una tavola fuori testo. 1909. XXXII, 103 S. Abonnementspreis Jt 3,60 ; Einzelpreis Jt 5,— 21. B e n e d e t t o , L u i g i F o s c o l o , Il „Roman de la Rose" e la letteratura italiana. 1910. VI, 260 S. Abonnementspreis Jé 8,— ; Einzelpreis Jt 10,— 22. W i l k e , W i l h e l m , Die französischen Verkehrsstrassen nach den chansons de geste. 1910. X, 90 S. Mit einer Karte. Abonnementspreis Jt 3, — ; Einzelpreis Jt. 4,— 23. S e m r a u , F r a n z , Würfel und Würfelspiel im alten Frankreich. 1910. XVIII, 164 S. Abonnementspreis Ji 5,— ; Einzelpreis Jt 6,50 24. G i e r a eh, E r i c h , Synkope und Lautabstufung. Ein Beitrag zur Lautgeschichte des vorliterarischen Französisch. 1910. X, 194 S. Abonnementspreis Jt. 5,60; Einzelpreis Jt. 7,— 25. H i i m e l , A d a l b e r t , Der Cid im spanischen Drama des XVI. und XVII. Jahrhunderts, lviio. X, 169 S. Abonnementspreis Jt.4,C>d; Einzelpreis Ji 6,— 26. Prinzipienfragen der romanischen Sprachwissenschaft. Wilhelm Meyer-Lübke zur Feier der Vollendung seines 50. Lehrsemesters und seines 50. Lebensjahres gewidmet. Teil I: K a r l v. E t t m a y e r , Benötigen wir eine wissenschaftlich deskriptive Grammatik? — S e x t i l P u s c a r i u , Zur Rekonstruktion des Urrumänischen. — E u g e n H e r z o g , Das -to-Partizip im Altromanischen. — M a r g a r e t e R ö s l e r , Das Vigesimalsystem im Romanischen. 1910. XII, 213 S. Abonnementspreis Jt 6,— ; Einzelpreis Jt 8,— 27. Prinzipienfragen der romanischen Sprachwissenschaft. Teil II: P e t e r S k o k , Die Verbalkomposition in der romanischen Toponomastik. — E l i s e R i c h t e r , Der inuere Zusammenhang in der Entwicklung der romanischen Sprachen. — A l i c e S p e r b e r , Zur Bildung romanischer Kindernamen. — E r n s t G a m i l l s c h e g , Ueber Lautsubstitution. 1911. 201 S. Abonnementspreis Jt 6,—; Einzelpreis Jt 8,— 28. Priuzipienfragen der romanischen Sprachwissenschaft. Teil III: M a t t e o G i u l i o B a r t o l i , Alle fonti del neolatino. — C a r l o B a t t i s t i , Sulla dentale intervocale. — J u l i u s S u b a k , Grammatikalische und stilistische Untersuchung der Anredeformen. — G i u s e p p e V i d o s s i c h , Le teorie dello stile. (In Vorbereitung) 29. S p i t z e r , Leo, Die Wortbildung als stilistisches Mittel exemplifiziert an Rabelais. Nebst einem Anhang über die Wortbildung bei Balzac in seinen „Contes drolatiques". 1910. 157 S. Abonnementspreis Jt 4,— ; Einzelpreis Jt 5,— 30. S c h ä c h t e ] in, P., Das Passé défini und Imparfait im Altfranzösischen. 1911. VII, 83 S. Abonnementspreis Jt 2,40; E i n z e l p r e i s e s , — D r u c k von K h r h a r d t K a r r a s , H a l l e a. S.