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German Pages 171 Year 2004
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 956
Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO
Von Jan Kraayvanger
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
JAN KRAAYVANGER
Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 956
Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO
Von
Jan Kraayvanger
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität zu Mannheim hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11427-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Diese Arbeit wurde der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Mannheim im Sommersemester 2003 als Dissertation vorgelegt. Für die Betreuung der Arbeit sowie zahlreiche wertvolle Anregungen bin ich Herrn Universitätsprofessor Dr. Wolf-Rüdiger Schenke zu großem Dank verpflichtet. Herrn Universitätsprofessor Dr. Josef Ruthig danke ich herzlich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Ebenfalls sehr verbunden für die Unterstützung bei der Erstellung der Dissertation bin ich Herrn Rechtsanwalt Jochen Bauer sowie Herrn Dr. Steffen Fink. Ich widme diese Arbeit meinen Eltern. Frankfurt am Main, im April 2004
Jan Kraayvanger
Inhaltsverzeichnis Kapitel I Einführung
13
A. Die Relevanz des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Ziel und Aufbau der vorliegenden Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Kapitel II Formelle oder materielle Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit?
17
A. Das formelle Verständnis des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit . . . . . .
17
B. Das materielle Verständnis des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit . . . . .
17
C. Entscheidung zugunsten des materiellen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
Kapitel III Überblick über den Meinungsstand zur materiellen Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
22
A. Die Theorie von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
B. Die „Kern“-Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
C. Der vermittelnde Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
D. Die materielle Subjektstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
E. Der Definitionsansatz Schenkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
F. Die Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
G. Die Rechtsprechung des BVerwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
H. Die unterinstanzliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
I.
34
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
Inhaltsverzeichnis Kapitel IV Die Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
A. Die historische Entwicklung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit . . .
35 35
I. Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit in der Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Die Manifestation der Lehre Thomas im Grundgesetz und in den Landesverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 III. Übertragbarkeit der Definition Thomas auf die „Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art“ i. S. d. § 40 I 1 VwGO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 B. Die Relevanz der Rechtsnatur der Streitbeteiligten für die Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 C. Die Relevanz der Rechtsnatur der streitentscheidenden Normen für die Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO . . . . . . . . . 46 D. Die eigene Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit . . . . . . . . . .
49
Kapitel V Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO
52
A. Die im Grundgesetz und den Landesverfassungen normierten verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten im Sinne der Lehre Thomas . . . . . . . . .
53
II. Sonstige verfassungsrechtliche Streitigkeiten des Grundgesetzes und der Landesverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 B. Die Voraussetzungen der im Grundgesetz und den Landesverfassungen normierten verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 I. Der Organstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die im Organstreit parteifähigen Rechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die rechtliche Beziehung zwischen den streitbeteiligten Verfassungsrechtssubjekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Streitigkeit muss ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis zugrunde liegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Es muss unmittelbar um formelles Verfassungsrecht gestritten werden . . c) Sonderfall: Streitigkeiten über Bestimmungen der Geschäftsordnungen . d) Es muss über materielles Verfassungsrecht innerhalb der formellen Verfassung gestritten werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis muss Hauptgegenstand des Rechtsstreits sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung muss nicht dargelegt sein . . . . . . g) Verfassungsrechtliche Streitigkeiten kraft Sachzusammenhangs . . . . . . . . .
59 59 64 64 66 70 72 75 78 79
Inhaltsverzeichnis
9
II. Der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Voraussetzungen für einen Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG 2. Anwendungsfälle des Bund-Länder-Streits nach Art. 93 I Nr. 3 GG . . . . . . . . . a) Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V 1 Hs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79 80 81 81 83
C. Rückschlüsse aus den im Grundgesetz und den Landesverfassungen normierten verfassungsrechtlichen Streitigkeiten auf den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Der „amputierte“ Organstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Statthaftigkeitsvoraussetzungen des Organstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Einfluss des Organstreits auf das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Es wird nicht über die Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz eines Verfassungsrechtssubjekts gestritten . . . . . . aa) Die Kompetenz entstammt unmittelbar einem einfachen Gesetz und ist auch nicht zum materiellen Verfassungsrecht zu zählen . . . . . . . . . bb) Die Kompetenz entstammt unmittelbar einem einfachen Gesetz, ist jedoch zum materiellen Verfassungsrecht zu zählen . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Kompetenz entstammt der formellen Verfassung, ist jedoch nicht zum materiellen Verfassungsrecht zu zählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Kompetenz entstammt der formellen Verfassung, berechtigt und verpflichtet jedoch ein Nichtverfassungsrechtssubjekt . . . . . . . . . . . . . . ee) Sonderfall: Für die Kompetenz gibt es keine Rechtsgrundlage . . . . . ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Es wird nicht über die Verletzung eines formell-materiell verfassungsrechtlichen Rechts eines Verfassungsrechtssubjekts gestritten . . . . . . . . . . . aa) Das mutmaßlich verletzte Recht ist nicht formell-materiell verfassungsrechtlicher Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Recht entstammt der formellen Verfassung, berechtigt jedoch ein Nichtverfassungsrechtssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86 86
II. Der „amputierte“ Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Statthaftigkeitsvoraussetzungen des Bund-Länder-Streits nach Art. 93 I Nr. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Einfluss des Bund-Länder-Streits nach Art. 93 I Nr. 3 GG auf das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Es wird nicht über die Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz gestritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Es wird nicht über die Verletzung eines materiell verfassungsrechtlichen Rechts des Bundes bzw. eines Bundeslands gestritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das mutmaßlich verletzte Recht des Bundes bzw. des Bundeslands zählt nicht zu den materiell verfassungsrechtlichen Rechten . . . . . . . bb) Das mutmaßlich verletzte Recht zählt zum materiellen Verfassungsrecht, berechtigt jedoch nicht den Bund bzw. ein Bundesland . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
87 87 87 87 89 90 91 91 92 92 92 93 94
95 95 95 96 96 96 97
10
Inhaltsverzeichnis III. Der Zwischenländerstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung der bislang gewonnenen Erkenntnisse für den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Normenkontrollverfahren auf den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die prinzipale Normenkontrolle formeller Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Klage auf Erlass eines formellen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die prinzipale Normenkontrolle untergesetzlicher Rechtsnormen . . . . . . . . . . . 4. Die Klage auf Erlass untergesetzlicher Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rückschlüsse aus den übrigen verfassungsrechtlichen Streitigkeiten des Grundgesetzes auf den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 99 101 101 102 103 111
112 113
Kapitel VI Verfassungsrechtliche Streitigkeiten mit Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
114
A. Öffentlichkeitsarbeit der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Die Darstellung der Regierungspolitik im Wahlkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Warnungen der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 B. Widerruf politischer Meinungsäußerungen von Verfassungsorganen im interparlamentarischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 C. Die Klage eines Bürgers gegen die Durchführung von Tiefflügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 D. Die Klage eines Bürgers auf bzw. gegen die Auflösung des Bundestags . . . . . . . . . . . . . 120 E. Die Parlamentarische Wahlprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 F. Streitigkeiten im Vorfeld von Parlamentswahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I. Die Klage auf Eintragung in das Wählerverzeichnis, bzw. auf Erteilung eines Wahlscheins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Streitigkeiten um die Aufstellung der Wahlkreis- und Listenkandidaten . . . . . . . III. Streitigkeiten um die Anerkennung als Partei durch den Bundeswahlausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Streitigkeiten um die Festsetzung des Wahltermins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Streitigkeiten über die Einteilung der Wahlkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Streitigkeiten um die Besetzung der Wahlausschüsse und Wahlvorstände . . . . . .
123 124 125 125 126 126
G. Volksbegehren und Volksentscheide am Beispiel der Gesetzgebung des Landes Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Streitigkeiten über den Ausgang eines Volksbegehrens oder Volksentscheids . . 129 II. Streitigkeiten über die Zulässigkeit eines Volksbegehrens oder Volksentscheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Streitigkeiten über die Bestimmung des Wahltags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
Inhaltsverzeichnis
11
IV. Streitigkeiten über die Modalitäten eines Volksbegehrens oder Volksentscheids 132 H. Schlichte Parlamentsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. Aufforderungen an die Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Festsetzung der Hauptstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Feststellung des Verteidigungsfalls und die Ausübung des Misstrauensvotums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Immunitätsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Feststellung des Haushaltsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
137 137 138
Untersuchungsausschüsse am Beispiel des Landes Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . 138 I. Streitigkeiten um die Rechtmäßigkeit eines Einsetzungsbeschlusses . . . . . . . . . . . II. Streitigkeiten über Maßnahmen des Untersuchungsausschusses, welche der richterlichen Anordnung bedürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Streitigkeiten über Maßnahmen des Untersuchungsausschusses, welche dieser selbst anordnen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Klage eines Bürgers gegen die Aufforderung auf Herausgabe bestimmter Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Klage eines Bürgers gegen die Anforderung von Akten bei der Regierung oder einer Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergänzung: Streitigkeiten zwischen dem Untersuchungsausschuss und der Regierung um die Erteilung einer Aussagegenehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
J.
135 136
138 139 140 140 142 143 143
Rechtsschutz einer Gemeinde im Anhörungsverfahren bei Gebietsreformen in Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
Kapitel VII Rechtsschutz des Bürgers in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
146
A. Der Justizgewährleistungsanspruch in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten . . . . . . . . 146 I. Die „öffentlichen Gewalt“ i. S. d. Art. 19 IV 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Keine Beschränkung des Art. 19 IV GG auf fachgerichtlichen Rechtsschutz . . 149 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 B. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Der begrenzte Prüfungsumfang der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsschutz gegen verfassungsrechtliche Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsschutz gegen verfassungsrechtliche Akte auf Bundesebene . . . . . . b) Rechtsschutz gegen verfassungsrechtliche Akte auf Landesebene . . . . . . . 2. Rechtsschutz gegen das Unterlassen verfassungsrechtlicher Akte . . . . . . . . . . . a) Rechtsschutz vor Verstößen gegen grundgesetzlich begründete Leistungsansprüche auf die Vornahme verfassungsrechtlicher Akte . . . . . . . . . . . . . . .
152 153 153 153 154 154
12
Inhaltsverzeichnis b) Rechtsschutz vor Verstößen gegen unterhalb des Grundgesetzes begründete Leistungsansprüche auf die Vornahme verfassungsrechtlicher Akte II. Die Befristung des § 93 III BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Annahmeerfordernis des § 93 a BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155 157 157 157
Kapitel VIII Zusammenfassung
158
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Kapitel I
Einführung A. Die Relevanz des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit hat Bedeutung in mehrfacher Hinsicht. I. Zunächst bestimmt § 40 I 1 VwGO, dass der Verwaltungsrechtsweg grundsätzlich in allen „öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art“ gegeben ist. Damit ergibt sich im Umkehrschluss, dass verfassungsrechtliche Streitigkeiten nicht vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen werden können, so dass mit anderen Worten der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit über die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs entscheidet. II. Darüber hinaus hat der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit auch für Bestimmung der Zuständigkeiten des BVerfG und der Landesverfassungsgerichte Bedeutung. So erfassen nach ständiger Rspr. des BVerfG der Organstreit nach Art. 93 I Nr. 1 GG und der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG nur Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Natur. Entsprechendes gilt für die Organstreitverfahren der Landesverfassungen. III. Damit zusammenhängend erlangt der hier in Untersuchung stehende Begriff Relevanz für die Justiziabilität hoheitlichen Handelns. Denn aufgrund der enumerativen Kompetenzkataloge der Verfassungsgerichte 1 sind je nach Definition öffentlich-rechtliche Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Art denkbar, die nicht den Verfassungsgerichten zugewiesen und damit nicht justiziabel sind. IV. Hieraus können sich wiederum Konflikte mit Art. 19 IV GG ergeben, wenn subjektive Rechte eines Bürgers im Streit stehen. Dies kann eine Kompetenzzuweisung der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten an die Verfassungsgerichte etwa in Form einer erweiterten Auslegung der Verfassungsbeschwerde oder aber eine Eröffnung des ordentlichen Rechtswegs nach Art. 19 IV 2 GG erforderlich machen. Damit kann der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit auch die Kompetenzverteilung zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, den Verfassungsgerichten und der ordentlichen Gerichtsbarkeit beeinflussen. 1
Vgl. etwa § 13 BVerfGG.
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Kap. I: Einführung
Eine zusätzliche Auswirkung auf die Kompetenzverteilung zwischen dem BVerfG und den Verwaltungsgerichten ergibt sich aus der Subsidiaritätsklausel des § 90 II BVerfGG. Danach kann der Bürger in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten sogleich Verfassungsbeschwerde erheben, wohingegen er bei nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten zunächst den Verwaltungsrechtsweg ausschöpfen muss. V. Aber auch wo eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit keine subjektiven Rechte eines Bürgers zum Gegenstand hat und Art. 19 IV GG daher keine Rolle spielt, wirkt sich der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit auf die Kompetenzverteilung zwischen den Verwaltungs- und Verfassungsgerichten aus, wie sich an den Verfahren des Art. 93 I Nr. 4 GG zeigt. Nach dieser Vorschrift ist das BVerfG für öffentlichrechtliche Streitigkeiten nämlich nur dann zuständig, wenn der Verwaltungsrechtsweg ausgeschlossen ist, mithin also eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO vorliegt. IV. Ob eine Streitigkeit in die Kompetenz der Verwaltungsgerichte fällt oder ein Verfassungsgericht zuständig ist, hat nicht nur für die Frage Bedeutung, welches Gericht der Rechtsschutzsuchende angehen muss. Zu bedenken ist auch, dass die Verfahren beider Gerichtszweige unterschiedlich ausgestaltet sind. Insbesondere hat der Verfassungsrechtsweg im Gegensatz zum Verwaltungsrechtsweg keinen Instanzenzug, bedarf eine Verfassungsbeschwerde gem. § 93 a BVerfGG der Annahme durch das BVerfG und ist der Prüfungsumfang bei einer Verfassungsbeschwerde grundsätzlich auf die Überprüfung von Grundrechten beschränkt. Weiterhin verfügen die Verfassungsgerichte über eine nur beschränkte Kapazität, so dass eine weite Auslegung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit zu ihrer Überlastung führen könnte. In diesem Zusammenhang ist auch bedenkenswert, dass nicht nur die Verfassungsgerichte rechtsschöpferisch tätig sind, sondern auch die Verwaltungsgerichte Rechtsfortbildung betreiben, sich also nicht auf eine reine Subsumtion unter die durch den Gesetzgeber geschaffenen Normen beschränken. Es ist daher von erheblicher Relevanz, ob der Verfassungsbeschwerde der Verwaltungsrechtsweg vorgeschaltet ist, zumal sich das BVerfG mit den Rechtsansichten der Vorgerichte auseinandersetzt und sich von diesen auch beeinflussen lässt. Entsprechendes gilt für die Bund-Länder-Streitigkeiten sowie die Zwischenländerstreitigkeiten. Auch hier kann es für die Rechtsentwicklung von großer Bedeutung sein, ob solche Streitigkeiten von den Verwaltungsgerichten oder vom BVerfG entschieden werden, da BVerwG und BVerfG bekanntlich keineswegs stets derselben Rechtsauffassung sind. Angesichts der hier dargelegten Bedeutung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit verwundert es, dass sich die Rspr. bislang wenig um eine exakte dogmatische Grundlage dieses Begriffs bemüht hat und zu großen Teilen einer wenig systematischen Einzelfallrechtsprechung den Vorzug gibt. Das BVerwG begnügte sich gar mit der Feststellung, dass sich die öffentlich-rechtliche Streitigkeit
B. Ziel und Aufbau der vorliegenden Arbeit
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nichtverfassungsrechtlicher Art „nicht ganz eindeutig“ abgrenzen lasse 2 und kapituliert damit vor einer präzisen Begriffsbestimmung. 3 Dieser unmethodische Ansatz hat nicht nur gegen sich, dass er für den Rechtsschutzsuchenden das zuständige Gericht im ungünstigen Falle unvorhersehbar macht und damit das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art.101 I 1 GG aushöhlt, sondern – noch viel schwerwiegender – dass er in einem offenen Bruch des Art.19 IV GG gipfeln kann. So hatte etwa das VG Potsdam im Jahre 1996 einen Fall zu entscheiden, in dem sich anlässlich eines Volksbegehrens ein Bürger im Eilwege gegen die aus seiner Sicht zu kurzen Öffnungszeiten des Abstimmungsbüros wandte. 4 Das VG Potsdam hielt sich für unzuständig, da das Begehren mutmaßlich verfassungsrechtlicher Natur sei. Das daraufhin von dem Antragsteller angerufene BbgVerfG entschied hingegen, dass eine Streitigkeit über rein technische Modalitäten des Abstimmungsverfahrens vorliege, die nichtverfassungsrechtlicher Natur sei und dass demgemäß der Anrufung des Verwaltungsgerichts nichts im Wege stehe. Der Antragsteller, der sich daraufhin abermals an das VG Potsdam wandte, blieb erneut ohne Erfolg. Auch diesmal hielt das VG Potsdam den Verwaltungsrechtsweg wegen Vorliegens einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit für verschlossen. 5 Auch wenn es nicht alltäglich sein dürfte, dass ein Verwaltungsgericht seinem Verfassungsgericht in derart offenkundiger Weise die Gefolgschaft versagt und die Entscheidung des VG Potsdam zudem im Hinblick auf Art. 19 IV GG kaum einer Verfassungsbeschwerde standhalten dürfte, zeigt dieses Beispiel, welche Hürden sich vor dem rechtsschutzsuchenden Bürger auftürmen können, wenn eine von allen Gerichten anerkannte, klare Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit nicht gelingt. Es ist daher insbesondere ein Gebot des Art. 19 IV GG, zur Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte eine Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit zu entwickeln, welche zu klaren Abgrenzungskriterien kommt und damit die gerichtliche Entscheidung über die Eröffnung des Rechtswegs für den Bürger vorhersehbar macht.
B. Ziel und Aufbau der vorliegenden Arbeit Damit ist zugleich das Ziel dieser Arbeit umschrieben. Es soll versucht werden, einen sowohl methodisch als auch in seiner praktischen Anwendung überzeugenden Ansatz zur Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit zu finden. Hierzu soll zunächst im nachfolgenden Kapitel geklärt werden, ob der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO formell oder materiell zu BVerwGE 24, 272 (279). Menger/Erichsen, VerwArch 59 (1968), 167 (174). 4 Vgl. Wolnicki, LKV 1997, 313 ff. 5 Vgl. Wolnicki, LKV 1997, 313 (314); Zu weiteren Beispielen aus der Praxis vgl. Menger, VerwArch 66 (1975), 169 ff. 2 3
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Kap. I: Einführung
verstehen ist. Sodann wird im 3. Kapitel ein Überblick über die bislang von den Anhängern eines materiellen Verständnisses der verfassungsrechtlichen Streitigkeit vertretenen Definitionsansätze gegeben und diese anschließend im 4. Kapitel einer kritischen Würdigung unterzogen. Zugleich dient das 4. Kapitel der Entwicklung einer eigenen Definition. Das 5. Kapitel ist dem Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO gewidmet, welches aus den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten des Grundgesetzes und der Landesverfassungen ermittelt wird. Im 6. Kapitel erfolgt eine Fallgruppenanalyse einiger Streitigkeiten, deren rechtliche Qualifizierung besonders umstritten ist. Im 7. Kapitel wird der Rechtsschutz des Bürgers in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten untersucht, ehe schließlich im letzten Kapitel die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst werden.
Kapitel II
Formelle oder materielle Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit? A. Das formelle Verständnis des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit Vereinzelt wurde in der Vergangenheit die verfassungsrechtliche Streitigkeit definiert als die Summe aller dem BVerfG und den Landesverfassungsgerichten zugewiesenen Streitigkeiten. 1 § 40 I 1 VwGO sollte demnach nur solche öffentlichrechtlichen Streitigkeiten vom Verwaltungsrechtsweg ausschließen, für welche die Zuständigkeit eines Verfassungsgerichts durch das Grundgesetz, die Landesverfassungen oder verfassungsrechtliche Sondergesetze, wie z. B. das BVerfGG begründet war. 2 Auf diese Weise sollten Rechtsschutzlücken zwischen dem Verwaltungsund Verfassungsrechtsweg vermieden werden, welche „keinesfalls im Sinne des Gesetzgebers der VwGO gelegen haben“ 3 könnten.
B. Das materielle Verständnis des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit Demgegenüber ist nach heute einhelliger Auffassung 4 der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit materiell, d. h. nach inhaltlichen Kriterien zu bestimmen. Ob eine Streitigkeit formell den Verfassungsgerichten zugewiesen ist, soll hingegen unerheblich sein. 5 In Konsequenz dieser Auffassung kann es öffentlich-rechtliche Strei1 Wertenbruch, DÖV 1959, 506 f.; Schunck/de Clerck, 1. Aufl., § 40 Anm. 2 a) aa); a. A. Schunck/de Clerck, 2. Aufl., § 40 Anm. 2 a) aa). 2 Schunck/de Clerck, 1. Aufl., § 40 Anm. 2 a) aa). 3 Schunck/de Clerck, 1. Aufl., § 40 Anm. 2 a) aa). 4 BVerfGE 13, 54 (96); BVerwGE 24, 272 (279 f.); BVerwG NJW 1985, 2346; Kunig, Jura 1990, 386 (387); Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 126; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 139; Rupp, AöR 85 (1960), 149 (156 f.); Schmitt Glaeser, Rn. 57; Schmelter, S. 159; Kassimatis, S. 181; Schulze-Fielitz, JA 1992, 332 (335 f.); Kopp/Schenke, § 40 Rn. 31; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 3; Boch/Schmidt, § 8 Anm. 1; Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 18; Bethge, JuS 2001, 1100. 5 BVerfGE 13, 54 (96); BVerwGE 24, 272 (279 f.); BVerwG NJW 1985, 2346; Kunig, Jura 1990, 386 (387); Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 126; Schoch-Ehlers, § 40 + 139; Rupp, AöR 85 (1960), 149 (156 f.); Schmitt Glaeser, Rn. 57; Schmelter, S. 159; Kassimatis, S. 181; Schulze-Fielitz, JA 1992, 332 (335 f.); Bethge, JuS 2001, 1100.
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tigkeiten verfassungsrechtlicher Art geben, für welche die Zuständigkeit der Verfassungsgerichte nicht begründet ist, so dass sie nicht justiziabel sind. 6 So entschied beispielsweise das BVerwG: „Für die Klage einer Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin gegen die Rückforderung von Fraktionszuschüssen durch den Präsidenten des Abgeordnetenhauses wegen zweckwidriger Verwendung der Zuschüsse ist weder der Verwaltungsrechtsweg noch ein anderer Rechtsweg eröffnet“ 7; weiterhin soll nach der ständigen Rspr. der Oberverwaltungsgerichte kein Rechtsweg eröffnet sein, wenn die Durchführungsmodalitäten von Volksbegehren und -abstimmungen in Streit stehen; 8 eine weitere Gruppe nichtjustiziabler Streitigkeiten stellen nach überwiegender Meinung die Auseinandersetzungen über Koalitionsvereinbarungen dar, soweit man solchen Vereinbarungen überhaupt Rechtscharakter beimisst. 9
C. Entscheidung zugunsten des materiellen Ansatzes Der formelle Ansatz hat zwar die Klarheit seines Abgrenzungskriteriums für sich, sieht sich im Übrigen jedoch durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. I. Zunächst würde ein formelles Verständnis den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit in § 40 I 1 VwGO überflüssig machen 10: Wird eine Streitigkeit durch das Grundgesetz dem BVerfG zugewiesen, so ergibt sich bereits aus dem Vorrang der Verfassung vor der einfachgesetzlichen Regelung des § 40 I VwGO, dass der Verwaltungsrechtsweg verschlossen und ausschließlich das BVerfG zuständig ist. Aber auch wenn durch einfaches Bundesgesetz dem BVerfG eine Rechtsstreitigkeit zugewiesen wird, bedürfte es des formell verstandenen Kriteriums der verfassungsrechtlichen Streitigkeit nicht. Solche Streitigkeiten sind schon nach § 40 I 1 HS. 2 VwGO dem Verwaltungsrechtsweg entzogen. Entsprechendes gilt gem. 6 BVerfGE 13, 54 (96); BVerwGE 24, 272 (279 f.); BVerwG NJW 1985, 2346; Kunig, Jura 1990, 386 (387); Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 126; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 139; Rupp, AöR 85 (1960), 149 (156 f.); Schmitt Glaeser, Rn. 57; Schmelter, S. 159; Kassimatis, S. 181; Schulze-Fielitz, JA 1992, 332 (335 f.). 7 BVerwG NJW 1985, 2346 LS; die Entscheidung beruhte auf der Berliner Besonderheit einer fehlenden Verfassungsgerichtsbarkeit. In anderen Bundesländern wäre ein Organstreitverfahren vor dem Landesverfassungsgericht in Betracht gekommen (vgl. Pestalozza, NJW 1986, 33). Darüber hinaus griff aufgrund der Besatzungsvorbehalte auch nicht Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG (vgl. Goessl, S. 32). 8 OVG Münster NJW 1974, 1671 mit Anmerkung von Bethge, NJW 1975, 77; VGH München BayVBl. 1990, 721; OVG Berlin DVBl. 1999, 994; OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208; VG Potsdam LKV 1997, 338; Menger, VerwArch 66 (1975), 169 ff.; siehe näher unten, Kapitel VI G. IV. 9 Schulze-Fielitz, JA 1992, 332 (335 f.); Rupp, AöR 85 (1960), 149 (157); siehe näher unten, Kapitel V B. I. 2. a). 10 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 126; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 139; Rupp, AöR 85 (1960), 149 (156 f.); Schmitt Glaeser, Rn. 57; Schmelter, S. 159; Kassimatis, S. 181.
C. Entscheidung zugunsten des materiellen Ansatzes
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§ 40 I 2 VwGO für landesrechtliche Normen, welche den Rechtsweg zu den Landesverfassungsgerichten eröffnen. Das formelle Kriterium der Zuweisung an ein Verfassungsgericht ist damit bereits in § 40 I 1 HS. 2, 2 VwGO enthalten. 11 Diese Differenzierung in § 40 I VwGO zwischen verfassungsgerichtlichen Streitigkeiten, für welche nach § 40 I 1 HS. 2, 2 VwGO der Verwaltungsrechtsweg verschlossen ist und verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 HS. 1 VwGO macht die formelle Theorie zunichte. 12 II. Darüber hinaus spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 40 VwGO gegen ein formelles Verständnis. Der Gesetzgeber formulierte in den Motiven zu § 38 VwGO a. F., dem heutigen § 40 VwGO: „Der § 38 nimmt von der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit aber die Verfassungsstreitigkeiten aus, da diese meist 13 besonderen Gerichten (Bundesverfassungsgericht, Verfassungsgericht oder Staatsgerichtshof der Länder) übertragen sind“ 14. Damit ging der Gesetzgeber offenbar davon aus, dass nicht jede verfassungsrechtliche Streitigkeit den Verfassungsgerichten zugeordnet ist. 15 Dies ist mit einem formellen Verständnis des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit nicht vereinbar, da hiernach eine verfassungsrechtliche Streitigkeit per definitionem die Zuständigkeit eines Verfassungsgerichts voraussetzt. 16 III. Auch das Auftreten nichtjustiziabler öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten spricht nicht gegen ein materielles Verständnis, 17 sondern ist vielmehr als Konsequenz aus der Entscheidung des Verfassungsgebers hinzunehmen, keine verfassungsgerichtliche Generalklausel zu normieren, sondern die Zuständigkeit der Verfassungsgerichte nur in bestimmten Fällen zu begründen. 18 Hierin liegt insbesondere kein Verstoß gegen Art. 19 IV GG: Zunächst schützt Art. 19 IV GG nur subjektive Rechte des Bürgers, nicht hingegen den Staat und seine Untergliederungen, 19 wie sich bereits aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes ergibt. 11 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 126; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 139; Rupp, AöR 85 (1960), 149 (156 f.); Schmitt Glaeser, Rn. 57; Schmelter, S. 159; Kassimatis, S. 181. 12 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 126; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 139; Rupp, AöR 85 (1960), 149 (156 f.); Schmitt Glaeser, Rn. 57; Schmelter, S. 159; Kassimatis, S. 181. 13 Hervorhebung durch Verfasser. 14 BT-Drucks. 3/55, S. 30. 15 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 139. 16 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 139. 17 Bethge, Jura 1998, 529 (531); BVerwG NJW 1985, 2344 (2345); Ossenbühl, S. 192; Kürschner, JuS 1996, 306 (309); Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 17; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 140; Schmitt Glaeser, Rn. 58. 18 Bethge, Jura 1998, 529 (531); BVerwG NJW 1985, 2344 (2345); Ossenbühl, S. 192; Kürschner, JuS 1996, 306 (309); Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 17; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 140; Schmitt Glaeser, Rn. 58. 19 Pitzner/Ronellenfitsch, § 5 Rn. 4; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 140; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 133; BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 25; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 116 f., 147 ff.
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Kap. II: Formelle oder materielle Definition des Begriffs?
Damit spielt Art. 19 IV GG ohnehin für Streitigkeiten zwischen staatlichen Stellen keine Rolle. Darüber hinaus wird vertreten, dass Art. 19 IV GG auch nicht für verfassungsrechtliche Klagen eines Bürgers gelte, 20 soweit man verfassungsrechtliche Streitigkeiten unter der Beteiligung eines Bürgers überhaupt für möglich hält. 21 Wollte man dieser einschränkenden Auslegung der Norm nicht folgen, käme als Rechtsweg i. S. d. Art. 19 IV GG für derartige Streitigkeiten die Verfassungsbeschwerde in Betracht. 22 Akzeptiert man diese wegen des nach § 90 I BVerfGG begrenzten Prüfungsumfangs nicht als effektiven Rechtsschutz, so wäre – wie vom BVerwG 23 vertreten – über eine erweiterte Auslegung des § 40 I 1 VwGO nachzudenken, um den Verwaltungsrechtsweg ausnahmsweise auch für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Art zu eröffnen. 24 Aber selbst wenn man auch diese Möglichkeit zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verwerfen möchte, zwänge dies nicht zur formellen Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit. Denn als letzter Ausweg ist gem. Art. 19 IV 2 GG der ordentliche Rechtsweg eröffnet, 25 so dass sich in keiner Weise aus Art. 19 IV GG Bedenken gegen eine materielle Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit ergeben können. 26 IV. Die gänzliche Unbrauchbarkeit einer formellen Abgrenzung zeigt sich schließlich bei der Verfassungsbeschwerde. Legt ein Bürger eine Verfassungsbeschwerde gegen ein hoheitliches Handeln ein, ohne zunächst den Verwaltungsrechtsweg beschritten zu haben, so ist wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde das BVerfG nur zuständig, wenn der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet 20 BVerfGE 1, 332 (344); E 13, 54 (96 f.); OVG Münster NJW 1974, 1671; Ossenbühl, S. 192; Bethge, Jura 1998, 529 (531 f.): Adressat des Justizgewährleistungsanspruchs sei nur die Fachgerichtsbarkeit, nicht hingegen die Verfassungsgerichtsbarkeit. Zu dem Rechtsschutzauftrag der Fachgerichte zähle indessen Rechtsschutz in materiellen Verfassungsstreitigkeiten von vornherein nicht. Zu dieser (abzulehnenden) Auffassung siehe näher unten Kapitel VII. 21 Siehe näher unten Kapitel III. 22 Für eine weite Anwendung der Verfassungsbeschwerde BK-Schenke, Art.19 IV Rn.64 ff.; ders., Rechtsschutz bei normativem Unrecht, S. 297 ff.; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (325 ff.); siehe näher unten Kapitel VII. 23 BVerwG NJW 1985, 2344 (2345). 24 BVerwG NJW 1985, 2344 (2345); zustimmend Kürschner, JuS 1996, 306 (309) und Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 17: „... hier sind die Verwaltungsgerichte gegenüber den ordentlichen Gerichten (Art. 19 IV 2 GG) sachnäher, was eine extensive bzw. den Vorbehalt gegenüber verfassungsrechtlichen Streitigkeiten auflockernde Auslegung rechtfertigt“; kritisch hingegen Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn.133; Kassimatis, S. 222; Schmelter, S. 179; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 140; Schmitt Glaeser, Rn. 58: „Für eine erweiternde Auslegung fehlt es schon an der erforderlichen Rechtsschutzlücke. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 40 I 1 besteht keine Unklarheit darüber, dass ein derartiger Fall unter die Auffangbestimmung des Art. 19 IV 2 GG und nicht unter die verwaltungsgerichtliche Generalklausel fällt“. 25 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 133; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 140; Schmelter, S. 159. 26 Bethge, Jura 1998, 529 (531); BVerwG NJW 1985, 2344 (2345); Ossenbühl, S. 192; Kürschner, JuS 1996, 306 (309); Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 17; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 140; Schmitt Glaeser, Rn. 58.
C. Entscheidung zugunsten des materiellen Ansatzes
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ist, mit anderen Worten eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegt. Bei der Verfassungsbeschwerde setzt also die verfassungsgerichtliche Zuständigkeit das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit voraus. Setzte man nun diese beiden Begriffe gleich, so führte dies zu einem Zirkelschluss: Das Verfassungsgericht ist nur zuständig, wenn eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegt. Eine solche kann jedoch bei formeller Betrachtungsweise wiederum nur bejaht werden, wenn das Verfassungsgericht zuständig ist. Dasselbe Problem taucht bei Art.93 I Nr. 4 GG auf: Die Zuständigkeit des BVerfG ist nach dieser Vorschrift nur begründet, wenn kein anderer Rechtsweg, insbesondere der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, also eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegt. Ob eine solche anzunehmen ist, soll sich nach dem formellen Verständnis jedoch wiederum danach richten, ob das BVerfG zuständig ist. Im Ergebnis kann daher der formelle Ansatz nicht überzeugen. Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit ist folglich im Einklang mit der völlig herrschenden Meinung in materieller Weise zu definieren.
Kapitel III
Überblick über den Meinungsstand zur materiellen Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit Trotz des Konsenses in Literatur und Rechtsprechung über einen materiellen, d.h. sich an inhaltlichen Kriterien orientierenden Definitionsansatz, besteht keineswegs Übereinstimmung über den Inhalt dieser Kriterien. Streitig ist insbesondere, ob zur materiell-rechtlichen Charakterisierung einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit der Status der Parteien maßgeblich ist, ob es also auch verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen staatlichen Stellen und dem Bürger geben kann.
A. Die Theorie von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit Nach überwiegender Auffassung liegt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor, wenn sich unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Rechtssubjekte über Rechte und Pflichten streiten, die unmittelbar in der Verfassung geregelt sind. 1 Erforderlich sei also eine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit sowohl im Hinblick auf die der Entscheidung zugrunde liegenden Normen (materielles Kriterium im engeren Sinne) als auch in Bezug auf die Streitbeteiligten (formelles Kriterium im engeren Sinne 2). 3 Der besondere Rang derartiger Rechtsbeziehungen zwischen unmittelbar am Verfassungsleben beteiligten Faktoren sei der Grund für den Ausschluss des Verwaltungsrechtswegs. 4 1 Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 3; Ule, § 7; Hufen, § 11 Rn. 69; Schmitt Glaeser, Rn. 59; Pietzner/Ronellenfitsch, § 5 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 2 b); Ule/Laubinger, DVBl. 1970, 760 (764); Bethge, Jura 1998, 529 (532); vgl. Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 m. w. Nachw.; Haverkate, AöR 1982, 539 (557). 2 Um einem Missverständnis vorzubeugen: Die Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit ist „materiell“ in dem Sinne, dass sie den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit nicht von der Zuständigkeit des BVerfG abhängig macht, sondern nach dem Inhalt der Streitigkeit bestimmt. Wenn hier von einem „formellen Kriterium im engeren Sinne“ die Rede ist, soll damit ausgedrückt werden, dass es nach diesem Definitionsansatz auf das „formelle Kriterium“ der Beteiligung von Verfassungsrechtssubjekten ankommt. 3 Schmitt Glaeser, Rn. 59; Ule/Laubiger, DVBl 1970, 760 (764); Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 3; Ule, § 7; Hufen, § 11 Rn. 69; Pietzner/Ronellenfitsch, § 5 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 2 b); vgl. Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 m. w. Nachw.; Haverkate, AöR 1982, 539 (557). 4 Haverkate, AöR 1982, 539 (557).
A. Die Theorie von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit
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I. Welche Rechtssubjekte das formelle Kriterium im engeren Sinne erfüllen, ist im Einzelnen streitig. Einigkeit herrscht insoweit, dass die Streitbeteiligten mit unmittelbar verfassungsrechtlichen Rechten und Pflichten ausgestattet sein müssen. 5 Daher seien jedenfalls die Verfassungsorgane 6 und ihre Teile wie Fraktionen 7 und Abgeordnete 8 unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Faktoren. 9 Weiterhin zählten hierzu auch die Staatsverbände Bund und Länder. 10 Hingegen ist die Einordnung der Rechnungshöfe 11 und der politischen Parteien 12 umstritten. 13 Unstreitig nicht zu den unmittelbar am Verfassungsleben beteiligten Rechtssubjekten gehörten hingegen grundsätzlich die Verwaltungsbehörden 14 sowie der Bürger, da für die verfassungsrechtliche Streitigkeit charakteristisch sei, dass sie auf der Ebene der Gleichordnung ausgetragen werde. 15 Demgegenüber herrscht Uneinigkeit, ob der Bürger wenigstens dann als unmittelbar am Verfassungsleben beteiligter Faktor zu qualifizieren sei, wenn er wie beispielsweise im Rahmen eines Volksbegehrens als Teil des ausnahmsweise als Verfassungsorgan handelnden Volks auftrete. 16 II. Hinsichtlich des materiellen Kriteriums im engeren Sinne wird verlangt, dass „die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlicher Normen den eigentlichen Kern des Rechtsstreits bilden, das streitige Rechtsverhältnis also entscheidend vom Verfassungsrecht geformt“ 17 ist. Es genüge hingegen nicht, dass diese Normen nur als Vorfragen für die Auslegung einer Vorschrift ohne Verfassungsrang von BedeuSchmitt Glaeser, Rn. 59; Bethge, Jura 1998, 529 (532). Schmitt Glaeser, Rn. 59; Ule, § 7; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 2; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 3; Bethge, Jura 1998, 529 (532). 7 Ule, § 7. 8 BVerfGE 4, 144 (147); E 64, 374 (378); E 80, 188 (208). 9 Schmitt Glaeser, Rn. 59; Ule, § 7; BVerfGE 4, 144 (147); E 64, 374 (378); E 80, 188 (208); Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 2; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 3; Bethge, Jura 1998, 529 (532). 10 Bethge, Jura 1998, 529 (532); Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 22. 11 Für eine Qualifizierung als am Verfassungsleben beteiligter Faktor Haverkate, AöR 107 (1982), 539 (557): „Mag der Rechnungshof auch keine gestaltende Funktion im Verfassungsleben haben, so kann man ihm aufgrund der verfassungsrechtlichen Garantie seines Bestehens und seiner Kontroll- und Berichtstätigkeit, die von herausragender Bedeutung für die parlamentarische Budget-Kontrolle wie für die exekutivische Selbstkontrolle ist, jedenfalls nicht eine verfassungsorganähnliche Stellung absprechen“; dagegen BVerfGE 74, 69 (75); OVG Münster NJW 1980, 137; VGH Kassel NVwZ-RR 1994, 515 (516); NVwZ-RR 1994, 511 (512); Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 22; Kopp, JuS 1981, 419; Belemann, DÖV 1979, 684, da es dem Rechnungshof des gestaltenden Einflusses auf das aktuelle Verfassungsgeschehen ermangele. 12 Für eine Qualifizierung als Verfassungsrechtssubjekt Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 2 b); Bethge, Jura 1998, 529 (532); dagegen Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 153; v. Mangoldt-Streinz, Art. 21 I Rn. 147. 13 Siehe näher unten Kapitel V B. I. 1. 14 Pietzner/Ronellenfitsch, § 5 Rn. 4. 15 Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 2 b). 16 Dafür Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Ule, § 7; Lerche, S. 87, Fn. 29; VGH Kassel NVwZ 1991, 1098; dagegen Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 153. 17 Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 3; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 2 a); Schmitt Glaeser, Rn. 59. 5 6
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Kap. III: Überblick über den Meinungsstand
tung seien oder dass eine streitige, einfachgesetzliche Vorschrift der Erfüllung eines Verfassungsgebots diene. 18 Der geltend gemachte Anspruch müsse vielmehr seine Begründung in spezifisch verfassungsrechtlichen Kompetenz-, Anspruchs- oder Befugnisnormen haben und auf eine Leistung, Gestaltung oder Feststellung aufgrund von Verfassungsrecht gerichtet sein. 19 Hierbei ist unter den Vertretern der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit umstritten, welche Normen diesem „Verfassungsrecht“ angehören. So subsumiert das BVerwG hierunter nur Rechtsnormen des formellen Verfassungsrechts, d. h. des Grundgesetzes und der Landesverfassungen, 20 wobei das formelle Verfassungsrecht zugleich auch Teil der materiellen Verfassung sein müsse, was beispielsweise bei der Ausübung der Polizeigewalt durch den Bundestagspräsidenten gem. Art. 40 II 1 GG oder bei der Ernennung von Soldaten und Bundesbeamten gem. Art. 60 I GG nicht der Fall sei. 21 Demgegenüber lässt die Gegenmeinung materielles Verfassungsrecht genügen, welches nicht zwingend Teil des Grundgesetzes oder einer Landesverfassung sein müsse. 22 Dieses rein materielle Verfassungsrecht wird definiert als das für das Verfassungsleben wesentliche Recht. 23 Hierunter fielen neben dem materiellen Verfassungsrecht des Grundgesetzes und der Landesverfassungen auch einfachgesetzliche Vorschriften, wie die Geschäftsordnungen der Verfassungsorgane, das Parlamentswahlrecht, das Parteienrecht, das Abgeordneten- und Ministerrecht, das Gesetz über den Wehrbeauftragten, das Richterwahlgesetz und die grundlegenden einfachgesetzlichen Bestimmungen über Volksbegehren und Volksbefragungen. 24
B. Die „Kern“-Theorien Demgegenüber hält ein weiterer materieller Definitionsansatz den Status der Streitbeteiligten für irrelevant und nimmt die Abgrenzung zwischen verfassungsrechtlichen und nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten allein anhand der streitBosch/Schmidt, § 8 Anm. 2 a); BVerwGE 80, 355 (358). Vgl. Kopp/Schenke, § 40 Rn. 35 m. w. Nachw. 20 BVerwG NJW 1985, 2344; BVerwGE 80, 355 (357); Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32; in diesem Sinne auch Lerche, S. 82: „Für eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. v. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO reicht es jedenfalls prinzipiell nicht aus, sollte sich die inhaltliche Auseinandersetzung um Bestandteile der materiellen Verfassung drehen, die nicht zugleich der formellen Verfassung zugehören“. 21 Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (173). Zur Abgrenzung zwischen formell-materiellem und schlicht formellem Verfassungsrecht siehe eingehend unten Kapitel V B. I. 2. d). 22 Ule, § 7; ebenso Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 19; VGH München BayVBl. 1990, 721. 23 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32; Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 4; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 19; Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (173); Stern, Bd. I, § 4 Anm. I 4, S. 107 ff. 24 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32; Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 4; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 19; Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (173); Stern, Bd. I, § 4 Anm. I 4, S. 107 ff. 18 19
B. Die „Kern“-Theorien
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entscheidenden Normen vor. 25 Eine beidseitige Beteiligung von Verfassungsorganen habe allenfalls indizielle Bedeutung. 26 Entscheidend sei vielmehr, dass in Anknüpfung an das materielle Kriterium im engeren Sinne der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit das Verfassungsrecht den Rechtsstreit „im Kern präge“. Daher könne es auch verfassungsrechtliche Rechtsverhältnisse zwischen Bürger und Staat geben. Allerdings ist auch nach den Anhängern der „Kern“-Theorien eine verfassungsrechtliche Streitigkeit gänzlich ohne Beteiligung zumindest eines Verfassungsrechtssubjekts 27 nicht denkbar. 28 Dies rühre aber nicht daher, dass die Beteiligung mindestens eines Verfassungsrechtssubjekts per definitionem für das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit erforderlich sei, sondern liege vielmehr daran, dass Verfassungsrecht im hier verstandenen Sinne 29 sich stets an Verfassungsrechtssubjekte richte, so dass an einem durch Verfassungsrecht geprägten Rechtsverhältnis faktisch stets zumindest ein Verfassungsrechtssubjekt beteiligt sei. 30 I. Lerche etwa nimmt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit an, wenn „spezifisch auf formelles Verfassungsrecht bezogenes Recht die Streitsache maßgeblich prägt“ 31. Unter „formellem Verfassungsrecht“ versteht er zunächst das Grundgesetz sowie die Landesverfassungen und darüber hinaus „sämtliche (‚stille‘) Konkretisierungen, die aus den positiven Verfassungssätzen gewonnen werden, soweit sie an der formalen Ranghöhe dieses (‚formellen‘) Verfassungsrechts teilhaben“ 32. Dies treffe nur für jene Konkretisierungen zu, die unmittelbar aus dem geschriebenen Verfassungsrecht gewonnen würden, nicht hingegen für Rechtssätze, die das formelle Verfassungsrecht näher ausführten und die daher lediglich den Charakter einfachen verfassungskonformen Rechts aufwiesen. 33 „Unmittelbare Konkretisierungen“ des Verfassungsrechts sind demnach insbesondere die von den Verfassungsgerichten entwickelten Ausgestaltungen des geschriebenen Verfassungsrechts, die diesem erst seine umfassende Wirksamkeit verleihen, die also originäres Verfassungsrecht schaffen und nicht lediglich bestehendes Verfassungsrecht interpretieren oder durchsetzen. So hat etwa das BVerfG Art. 2 I GG zu einem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit ausgebaut.34 Demgegenüber zählen nach Lerche Rechtssätze, die vorhandenes Verfassungsrecht durchsetzen und 25 Lerche, S. 79 ff.; Schmelter, S. 163; Kassimatis, S. 185 f.; Kästner, JuS 1993, 109 (112); ders., NJW 1990, 2649 (2657). 26 Lerche, S. 90. 27 Was hierunter im Einzelnen zu verstehen ist, ist auch hier freilich streitig; vgl. oben Kapitel III A. und siehe näher unten Kapitel V. B. I. 1. 28 Lerche, S. 92. 29 Siehe sogleich. 30 Vgl. Lerche, S. 92. 31 Lerche, S. 85. 32 Lerche, S. 82. 33 Lerche, S. 82. 34 Vgl. Lerche, S. 83.
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Kap. III: Überblick über den Meinungsstand
ausgestalten, zum einfachen Recht. Solche Normen würden vom formellen Verfassungsrecht erzwungen, schafften aber selbst kein Verfassungsrecht. 35 Einen „spezifischen Bezug“ zum formellen Verfassungsrecht sieht Lerche gegeben, wenn es sich bei dem in Streit stehenden Rechtssatz um alleiniges, ausschließlich formelles Verfassungsrecht handelt. 36 Hingegen sei nicht erforderlich, dass ein solcher verfassungsspezifischer Rechtssatz ausschließlich die Hauptfrage des Streits bilde. Entscheidend sei allein, ob das spezifische Verfassungsrecht die Streitsache „maßgeblich präge“ 37. II. Schmelter 38 sieht eine verfassungsrechtliche Streitigkeit dann gegeben, wenn die Streitigkeit sich „auf ‚den Bereich des Verfassungslebens‘ erstreckt, d. h. der zur Entscheidung unterbreitete Sachverhalt überwiegend vom Verfassungsrecht geprägt ist, oder ... die begehrte Entscheidung ‚in Sachen der materiellen Verfassung‘ ergeht“ 39. Die Streitigkeit müsse sich also materielles Verfassungsrecht zum Gegenstand haben. Eine Normierung in der Verfassung sei hingegen nicht erforderlich. 40 Zweck des Merkmals der Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art in § 40 I 1 VwGO sei es nämlich, Streitigkeiten über unmittelbar materiell verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten aus der Kompetenz der Verwaltungsgerichte auszuklammern. 41
C. Der vermittelnde Standpunkt I. Der vermittelnde Standpunkt setzt neben dem Kriterium des vom Verfassungsrecht geprägten Rechtsverhältnisses als notwendige, aber auch hinreichende Bedingung voraus, dass an der Streitigkeit wenigstens ein Verfassungsrechtssubjekt beteiligt ist. So führt beispielsweise Maunz aus: „Bei einer materiellen Verfassungsstreitigkeit muss es sich stets um eine Auslegung der Verfassung im materiellen Sinn handeln, bei der mindestens auf einer Streitseite ein verfassungsrechtlich qualifizierter Rechtsträger auftritt“ 42. Anders als nach den „Kern“-Theorien ist der Status der Parteien damit konstitutiv für das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit, ohne dass allerdings auf Lerche, S. 83. Lerche, S. 84 ff. 37 Lerche, S. 85, 88. 38 Ob Schmelter tatsächlich einem rein materiellen Ansatz folgt oder nicht doch zumindest die Beteiligung eines Verfassungsrechtssubjekts fordert, bleibt unklar. Einerseits gibt er Maunz Recht, dass „mindestens auf einer Streitseite ein verfassungsrechtlich qualifizierter Rechtsträger“ auftreten müsse, andererseits verlangt er, dass „der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit gem. § 40 VwGO materiell ohne Einbeziehung der Streitparteien zu bestimmen“ sei (Schmelter, S. 163). 39 Schmelter, S. 163. 40 Schmelter, S. 159. 41 Schmelter, S. 162. 42 Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 4. 35 36
D. Die materielle Subjektstheorie
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beiden Seiten Verfassungsrechtssubjekte beteiligt sein müssten, wie dies die Theorie von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit fordert. II. Einschränkend wird teilweise gefordert, dass gerade der Rechtsschutzgegner ein unmittelbar am Verfassungsleben beteiligtes Rechtssubjekt sein müsse, wohingegen es auf den Status des Rechtsschutzsuchenden nicht ankommen soll. 43 Dies wird damit begründet, dass der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit die unmittelbar am Verfassungsleben beteiligten Rechtssubjekte vor einer Überprüfung ihrer Rechtsakte durch die Verwaltungsgerichte schützen wolle. Dieses Schutzes bedürften sie jedoch nur auf Beklagtenseite. 44 III. Auch unter den Anhängern des vermittelnden Standpunktes ist umstritten, ob das den Rechtsstreit prägende Verfassungsrecht im Verfassungstext normiert sein muss. Dies wird von Maunz verneint, der fordert, dass eine bestrittene Frage aus der Verfassung im materiellen Sinne den Hauptgegenstand des Streits bilden müsse. 45 Hierunter versteht Maunz „alle Rechtsätze, die politische Grundsätze in die Geltungskraft der Rechtsordnung erheben, oder die politische Strukturen, Organisationen und Institutionen ins Leben rufen und ordnen, oder die Verfassungsregeln für politisches Handeln aufstellen“ 46. Die Normen müssen demnach nach Maunz nicht Teil der geschriebenen Verfassung sein. Demgegenüber verlangt Di Fabio, dass der Rechtsschutzgegner eine Stelle öffentlicher Gewalt sein müsse, die sich unmittelbar auf einen formell-materiellen Verfassungsrechtssatz stütze. 47
D. Die materielle Subjektstheorie Nach einem vierten, von Ehlers entwickelten Definitionsansatz liegt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO vor, „wenn der Rechtsschutzgegner ein Verfassungsrechtssubjekt ist, das als solches verpflichtet werden soll“ 48. Für das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit komme es nicht entscheidend auf den Status des Rechtsschutzsuchenden oder auf die Rechtsnatur der streitentscheidenden Normen, sondern allein auf die Rechtsposition des Rechtsschutzgegners an. 49 Zu den „Verfassungsrechtssubjekten“ zählt Ehlers „alle Stellen und Personen der Staatsorganisation, die durch das Verfassungsrecht errichtet und organisiert werDi Fabio, S. 109 f. Di Fabio, S. 109 f. 45 Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 4. 46 Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 4. 47 Di Fabio, S. 109; ders. JZ 1995, 828. 48 Schoch-Ehlers, a. a. O., Rn. 149; zustimmend Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 21 und Sodan, NVwZ 2000, 601 (607). 49 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 154. 43 44
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Kap. III: Überblick über den Meinungsstand
den“ 50, also Rechtssubjekte, die durch geschriebenes oder ungeschriebenes Bundesoder Landesverfassungsrecht oder durch sonstige den Staat konstituierende Rechtssätze außerhalb der formellen Verfassung geschaffen werden. 51 Ein Verfassungsrechtssubjekt sei „als solches“ betroffen, wenn es gerade um dessen materiell verfassungsrechtliche Funktionen gehe. Der Rechtsschutzsuchende müsse von dem Verfassungsorgan ein Tun, Dulden oder Unterlassen fordern, das notwendigerweise dem Verfassungsrechtssubjekt vorbehalten sei und von keinem anderen Rechtssubjekt vorgenommen werden könne. 52 Einschränkend sei allerdings gleichwohl eine verfassungsrechtliche Streitigkeit zu verneinen, wenn zwar ausschließlich ein Verfassungsorgan Verpflichtungsadressat des streitigen Rechtssatzes sei, dieses aber als Verwaltungsbehörde und nicht in seiner Eigenschaft als Verfassungsorgan tätig werde, wie zum Beispiel der Bundestagspräsident bei der Ausübung des Hausrechts. 53 Auf den Status des Rechtsschutzsuchenden komme es hingegen nicht entscheidend an. 54 Dies begründet Ehlers damit, dass der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit die Verfassungsorgane vor einer Überprüfung ihrer Rechtsakte durch die Verwaltungsgerichte schützen wolle. Dieses Schutzes bedürften die Verfassungsorgane jedoch nur auf Beklagtenseite. 55 Damit ähnelt die Auffassung Ehlers stark der von Di Fabio. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass es nach Ehlers nicht auf die Rechtsnatur der streitentscheidenden Normen ankommen soll, sondern allein auf den Status des Rechtsschutzgegners.
E. Der Definitionsansatz Schenkes Einen gänzlich anderen, wenn auch ebenfalls materiellen Definitionsansatz wählt Schenke. Nach ihm ist eine Streitigkeit dann verfassungsrechtlicher Natur, „wenn sie aufgrund verfassungs- aber auch einfachgesetzlicher Rechtsvorschriften, sofern sie überhaupt justiziabel ist, in die Kompetenz der Verfassungsgerichte fällt“ 56, d. h. ausschließlich den Verfassungsgerichten vorbehalten sein soll. 57 Die Streitigkeit müsse also bei unterstellter Justitiabilität aufgrund verfassungs- oder einfachgesetzlicher Rechtsnormen in die Kompetenz der Verfassungsgerichte fallen. 58 Zweck des Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 150. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 151. 52 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 156. 53 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 156. 54 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 154. 55 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 155. 56 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 a; ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn.129. ders., JZ 1996, 998 (1001); ders., VerwArch 82 (1991), 307 (338). 57 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 a; ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn.129. ders., JZ 1996, 998 (1001); ders., VerwArch 82 (1991), 307 (338). 58 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 a; ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn.129. ders., JZ 1996, 998 (1001); ders., VerwArch 82 (1991), 307 (338). 50 51
F. Die Rechtsprechung des BVerfG
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§ 40 I 1 VwGO sei es nämlich, solche öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrechtsweg auszuklammern, die, wenn sie überhaupt einer gerichtlichen Klärung zugänglich seien, prinzipiell den Verfassungsgerichten reserviert sein sollten. 59 Diese Auffassung dürfe nicht mit einem formellen Verständnis 60 des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit verwechselt werden. Sie unterscheide sich von letzterem dadurch, dass sie verfassungsrechtliche und verfassungsgerichtliche Streitigkeiten nicht gleichsetze. 61 Dadurch werde dem Umstand Rechnung getragen, dass im Hinblick auf die enumerative Kompetenzzuweisung an die Verfassungsgerichte keineswegs alle verfassungsrechtlichen Streitigkeiten justiziabel seien. 62 Die Bedeutung dieser Definition liege vielmehr darin, dass soweit aufgrund Art. 19 IV GG eine verfassungsrechtliche Streitigkeit gerichtlich klärbar sein müsse, die Verfassungsgerichte i. d. R. in Form der Verfassungsbeschwerde zuständig seien, wohingegen der Verwaltungsrechtsweg ausscheide. 63
F. Die Rechtsprechung des BVerfG Mit dem Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit setzte sich das BVerfG 64 erstmals in BVerfGE 1, 208 auseinander: „Eine Verfassungsstreitigkeit hat ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis zum Gegenstand. Ein solches kann nur zwischen Faktoren bestehen, die am Verfassungsleben beteiligt sind“ 65. Das BVerfG bezog diese Rechtsauffassung allerdings nicht auf nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. § 40 VwGO, sondern äußerte sich lediglich zu den historischen Wurzeln des heute in Art. 93 I Nr. 1 GG geregelten Organstreits. Demnach kann jedenfalls nicht aus dieser Entscheidung abgeleitet werden, dass das BVerfG der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit folge. 66 Weiterhin betonte das Gericht in BVerfGE 27, 152, dass ein Organstreitverfahren nicht immer bereits dann zulässig sei, wenn sich Verfassungsorgane gegenüberstünden, sondern dass zusätzlich die streitigen Rechte und Pflichten sich aus einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis herleiten müssten. 67 Damit stellte das BVerfG klar, dass beim Organstreit neben der in Art. 93 I Nr. 1 GG gesetzlich vorgeschrieSchenke, VerwArch 82 (1991), 307 (338). Siehe hierzu oben Kapitel II. 61 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 a; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (338). 62 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 a; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (338). 63 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 a; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (338); dazu, dass auch die Verfassungsbeschwerde einen Rechtsweg i. S. d. Art. 19 IV GG darstellt, siehe Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, S. 297 ff.; ders., VerwArch 82 (1991), 307, 325 ff.; sowie ausführlich unten Kapitel VII. 64 BVerfGE 1, 208 (221); E 2, 143 (151); E 13, 54 (72 f.); E 21, 312 (319); E 22, 221 (230 f.); E 24, 184 (194); E 27, 152 (157); E 27, 240 (246); E 42, 103; BVerfG NVwZ 1988, 817 (818). 65 BVerfGE 1, 208 (221). 66 Zutreffend Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 140. 67 BVerfGE 27, 152 (157); bestätigt in BVerfGE 28, 97. 59 60
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Kap. III: Überblick über den Meinungsstand
benen Komponente der Beteiligung von Verfassungsorganen zusätzlich in materieller Hinsicht ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis vorliegen müsse. 68 Ein entsprechendes materiell verfassungsrechtliches Verhältnis hatte das BVerfG zuvor bereits in BVerfGE 13, 54 (72 f.) für den Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG gefordert. 69 Für den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO geben diese Entscheidungen hingegen nichts her. 70 Interessant für die hier vorliegende Problematik ist jedoch die Entscheidung BVerfG 22, 221, welche den Rechtsstreit zweier Länder um einen Staatsvertrag zum Gegenstand hatte. Das Gericht setzte sich mit der Frage auseinander, ob seine Zuständigkeit gem. Art. 93 I Nr. 4 Alt. 2 GG gegeben war. Dies setzte gem. Art. 93 I Nr. 4 HS. 2 GG voraus, dass der Verwaltungsrechtsweg ausgeschlossen war, so dass das Verfassungsgericht zum Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO Stellung nehmen musste. Zunächst ging das Gericht ausführlich darauf ein, ob in materieller Hinsicht ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis gegeben war, d. h. ob der in Streit stehende Staatsvertrag dem Verfassungsrecht zuzurechnen war. Nachdem es dies bejaht hatte, erörterte das BVerfG die Qualität der Streitparteien: „(es) stehen zwei verfassungsrechtliche Größen im Streit um ihre Rechte aus dem Vereinigungsvertrag gegenüber“ 71. Aus dieser Äußerung könnte geschlossen werden, dass das BVerfG in der Tat der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit nahe steht. Denn hätte es den Standpunkt vertreten, dass es auf die Rechtsnatur der Streitbeteiligten nicht ankommt, hätte es auf diese auch nicht eingehen brauchen. Andererseits legte das Gericht den Schwerpunkt der Prüfung eindeutig auf die materielle Komponente. Auch standen sich im konkreten Fall auf beiden Seiten ohnehin Bundesländer gegenüber, so dass das BVerfG die Frage nicht entscheiden musste, ob eine verfassungsrechtliche Streitigkeit auch dann vorliegen kann, wenn nicht (auf beiden Seiten) Verfassungsrechtssubjekte beteiligt sind. 72 Die oben zitierte Äußerung des BVerfG kann daher auch so verstanden werden, dass jedenfalls dann – aber nicht notwendigerweise ausschließlich – eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO vorliegen soll, wenn zwei unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Rechtssubjekte über Verfassungsrecht streiten. Weiterhin nahm das BVerfG auch in BVerfGE 27, 240 zur verfassungsrechtlichen Streitigkeit Stellung. Es war in einem Rechtsstreit zwischen einer Gebietskörper68 Ebenso BVerfGE 2, 143 (151); E 24, 184 (194); E 67, 100 (123): „Die Rechtsnatur der Streitigkeit bestimmt sich danach, welchen Charakter das Rechtsverhältnis hat, in dem die geltend gemachten Ansprüche wurzeln“. 69 Ebenso BVerfGE 21, 312 (319). 70 Zutreffend Di Fabio, S. 102 f. 71 BVerfGE 22, 221 (230 f.). 72 Ebenso BVerfGE 42, 103 (112): „Für die hier erforderliche Eingrenzung des Begriffs ‚verfassungsrechtliche Streitigkeit‘ genügt es nicht, auf die verfassungsrechtliche Größe der streitenden Parteien abzustellen“. Damit ist nicht gesagt, dass die „verfassungsrechtliche Größe“ der Beteiligten eine notwendige Bedingung für die Annahme einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit wäre.
F. Die Rechtsprechung des BVerfG
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schaft und dem Landtag die Frage zu klären, was unter einer „anderen öffentlichrechtlichen Streitigkeit innerhalb eines Landes“ i. S. d. Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG zu verstehen sei. Das BVerfG entschied, dass hierunter in Anlehnung an Art. 93 I Nr. 1 GG nur verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen, nicht hingegen zwischen einer Gebietskörperschaft und dem Landtag fallen könnten. 73 Da das BVerfG damit bereits das Vorliegen einer „anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeit“ i. S. d. Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG verneinte, ging es konsequenterweise nicht mehr auf die Frage ein, ob ein anderer Rechtsweg eröffnet war und musste sich folglich auch nicht mit der Problematik befassen, ob eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO vorlag. Die Ausführungen des Gerichts zur verfassungsrechtlichen Streitigkeit bezogen sich damit ausschließlich auf Art. 93 I Nr. 1 und Nr. 4 Alt. 3 GG, nicht hingegen auf § 40 I 1 VwGO. Eine eindeutige Position zu § 40 I 1 VwGO nahm das BVerfG erstmals in NVwZ 1988, 817 ein. Es schloss sich der Auffassung des 5. Senats des VGH München an, dass „im Rahmen der Anwendung des § 40 I VwGO dem Verfassungsrecht nur die Rechtsbeziehungen von Verfassungsorganen oder Teilen von ihnen oder am Verfassungsleben unmittelbar Beteiligten zuzurechnen seien, nicht aber diejenigen zwischen dem Bürger und dem Staat, selbst wenn ein Verfassungsorgan daran beteiligt sei“ 74. Ohne sich argumentativ mit dieser Auffassung auseinanderzusetzen, stellte das BVerfG fest, dass sie seiner ständigen Rechtsprechung entspreche und verwies auf die hier bereits besprochenen Entscheidungen BVerfGE 1, 208 (221); E 13, 54 (72 f.); E 22, 221 (229 f.); E 27, 152 (157) und E 27, 240 (246). Wie jedoch dargelegt wurde, ergibt sich aus diesen Entscheidungen gerade nicht, dass das BVerfG bislang der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit gefolgt war. Die Entscheidungen BVerfGE 1, 208 und BVerfGE 27, 152 bezogen sich auf den Organstreit nach Art. 93 I Nr. 1 GG; BVerfGE 13, 54 betraf den Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG und BVerfGE 27, 240 hatte allein eine Streitigkeit nach Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG zum Gegenstand. Einzig die Entscheidung BVerfGE 22, 221 befasst sich mit dem Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO, nimmt jedoch nicht eindeutig Stellung im Sinne der Theorie von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit. Die Position, die das BVerfG zum Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO einnimmt, entbehrt daher im Grunde jeglicher Argumentation. Es scheint gar, dass sich das Gericht in der Entscheidung NVwZ 1988, 817 nicht bewusst war, sich erstmals ausdrücklich der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit angeschlossen zu haben.
73 74
BVerfGE 27, 240 (246 f.). BVerfG NVwZ 1988, 817 (818).
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Kap. III: Überblick über den Meinungsstand
G. Die Rechtsprechung des BVerwG Das BVerwG stellt in ständiger Rspr. darauf ab, ob das streitige Rechtsverhältnis „entscheidend vom Verfassungsrecht geformt“ sei. 75 Verfassungsrecht in diesem Sinne sei nur das Grundgesetz und die Landesverfassungen, nicht jedoch sonstiges Verfassungsrecht im rein materiellen Sinne. 76 Diese Formel suggeriert, dass das BVerwG im Gegensatz zum BVerfG die Rechtsnatur der Streitbeteiligten für vernachlässigenswert hält. In BVerwGE 36, 218 (228) konkretisierte das BVerwG seine Rechtsprechung allerdings dahingehend, dass ein Rechtsverhältnis niemals entscheidend vom Verfassungsrecht ausgeformt sei, wenn ein Bürger beteiligt sei. 77 In dieser Entscheidung lehnte das BVerwG also einen allein an den streitigen Rechtsnormen orientierten Ansatz ab und schloss sich der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit an. Diese „Kurskorrektur“ wurde demgegenüber in der Entscheidung BVerwGE 80, 355 (358), welche einen Streit über eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen zum Gegenstand hat, relativiert, indem das BVerwG erklärte: „Ein Rechtsverhältnis, das ... nicht selbst unmittelbar dem Verfassungsrechtskreis entstammt, hat nicht schon allein deshalb verfassungsrechtlichen Charakter, weil die maßgeblichen einfachgesetzlichen Bestimmungen der Erfüllung eines Verfassungsgebots dienen oder weil seine Beurteilung nicht unerheblich von verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten abhängt ... Deshalb gehören Prozesse zwischen Bürger und Staat ... grundsätzlich 78 vor die Verwaltungs- und nicht vor die Verfassungsgerichte“ 79. Das BVerwG distanzierte sich dort also von der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit, indem es wiederum als alleiniges Kriterium gelten ließ, ob das in Streit stehende Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht ausgeformt war. Dem verfassungsrechtlichen Status der Streitbeteiligten ließ das BVerwG lediglich Indizwirkung zukommen, schloss aber die Existenz von verfassungsrechtlichen Streitigkeiten mit Bürgerbeteiligung nicht aus. 75 BVerwGE 3, 159; E 9, 50; E 24, 272 (279); E 36, 218 (227 f.); E 50, 124 (130); E 51, 69 (71); BVerwG NJW 1976, 637; NJW 1985, 2344; BVerwGE 80, 355; E 107, 275; siehe auch OVG NW DVBl 1979, 431 f. 76 BVerwG NJW 1985, 2344; BVerwGE 80, 357. 77 Bestätigt in BVerwG NJW 1976, 637 (638) = DÖV 1976, 315: „Der Ast. muss sein Recht daraus herleiten, dass Rechtsbeziehungen zwischen Verfassungsorganen oder am Verfassungsleben beteiligten Organen zueinander stehen“ und BVerwGE 51, 69 (71): „Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits wiederholt entschieden hat, gehören zu den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten ... nur solche Prozesse, die die Rechtsbeziehungen von Verfassungsorganen oder am Verfassungsleben beteiligten Organen zueinander betreffen, nicht hingegen Streitigkeiten zwischen dem Bürger und dem Staat, selbst wenn ein Verfassungsorgan beteiligt ist“. 78 Hervorhebung durch den Verfasser. 79 BVerwGE 80, 355 (358); bereits zuvor in BVerwG NJW 1985, 2344 hatte das BVerwG erklärt: „Ebensowenig kommt dem Umstand, dass die Parteien dieses Rechtsstreits auch als Verfassungsorgane oder Verfassungsorganteile in Erscheinung treten können, allein ausschlaggebende Bedeutung für die Qualifizierung der Streitigkeit als verfassungsrechtlich zu“.
H. Die unterinstanzliche Rechtsprechung
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Auch in seinen jüngeren Entscheidungen 80 stellt das BVerwG allein darauf ab, ob das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geprägt werde, greift hingegen die Qualität der Rechtssubjekte nicht mehr auf. Damit scheint das BVerwG von der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit Abstand zu nehmen und einer rein am streitgegenständlichen Rechtsverhältnis orientierten Betrachtungsweise den Vorzug zu geben.
H. Die unterinstanzliche Rechtsprechung In der unterinstanzlichen Rspr. ist die Bestimmung der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO uneinheitlich. So hielt beispielsweise das OVG Münster einen Streit zwischen einem Bürger und der zuständigen Behörde über Rechtsbeziehungen aus dem Gesetz über das Verfahren bei Volksbegehren und Volksentscheid NW 81 für eine verfassungsrechtliche Streitigkeit: „Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ist gegeben, wenn das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsgericht geformt ist. ... Das ist der Fall, wenn es materiell dem Verfassungsrecht des Bundes oder des Landes zuzurechnen ist“82. Die Rechtsnatur der Streitparteien sollte hingegen keine Rolle spielen. In einer weiteren Entscheidung stellte das OVG Münster demgegenüber entscheidend darauf ab, ob der Antragsgegner ein Verfassungsorgan sei. 83 In Anlehnung an diese Auffassung führte das VG Düsseldorf aus, es sei nicht immer erforderlich, dass auf beiden Seiten eines verfassungsrechtlichen Rechtsstreits ein Verfassungsorgan beteiligt sei. 84 Demgegenüber hält der VGH München eine verfassungsrechtliche Streitigkeit mit Bürgerbeteiligung für ausgeschlossen, es sei denn „wenn der einzelne selbst am Verfassungsleben teilnimmt“ 85. Eine noch strengere Haltung verfolgt das OVG Hamburg, welches eine verfassungsrechtliche Streitigkeit zwischen einem Bürger und einem Verfassungsorgan generell für ausgeschlossen hält. 86 Das VG Köln erklärte es gar für „gesicherte Erkenntnis, dass Verfassungsstreitigkeiten ... nur Fragen politischer, das Staatsganze als solches berührender Art von rechtlicher Bedeutung, also Meinungsverschiedenheiten über Auslegung und Anwendung der Verfassung betreffen, wenn sie zwischen obersten Staatsorganen oder in der Verfassung mit eigenen Rech80 BVerwG Az. 3 A 1/01 v. 8.5.2002; BVerwG Az. 9 A 16/01 v. 6.3.2002; BVerwGE 109, 258 (260); E 107, 275 (278); BVerwG NVwZ 1998, 500; E 102, 119 (122); E 96, 45 (48). 81 GS NW S. 60/SGV NW 1111. 82 OVG Münster NJW 1974, 1671; ebenso VG Berlin DVBl. 1976, 269 (270) für einen Streit zwischen einem Wahlkreisbewerber und dem Bezirksamt um die Einteilung der Wahlkreise: „Die verfassungsrechtliche Natur des einzelnen Wahlvorbereitungsakts wird auch nicht dadurch berührt, dass er statt von einem Verfassungs- oder Wahlorgan von einer sonst als Verwaltungsorgan tätigen Behörde, hier dem Bezirksamt, erlassen wird“. 83 OVG Münster DVBl. 1974, 431. 84 VG Düsseldorf NJW 1981, 1396 (1397). 85 VGH München NVwZ 1991, 386. 86 OVG Hamburg DVBl. 1967, 86.
3 Kraayvanger
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Kap. III: Überblick über den Meinungsstand
ten ausgestatteten Teilen eines obersten Staatsorgans ausgefochten werden“ 87. Auch nach Auffassung des OVG Koblenz 88 sowie des OVG Bautzen 89 ist ein Verfassungsrechtsstreit zwischen dem Bürger und dem Staat nicht denkbar. Dieser exemplarische Auszug aus der unterinstanzlichen Rechtsprechung ergibt, dass nahezu alle von der Literatur angedachten Definitionsmöglichkeiten von den Gerichten schon aufgegriffen worden sind, ohne dass sich die Rechtsprechung auf eine bestimmte Definition hätte einigen können oder sich wenigstens um eine tiefergehende argumentative Auseinandersetzung bemüht hätte.
I. Fazit Wie dieser Überblick gezeigt hat, ist das Meinungsspektrum zum Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit vielfältig, wobei auffällt, dass sich insbesondere die Rspr. zumeist mit apodiktischen Behauptungen begnügt und wenig Argumentationsaufwand betreibt. Der Versuch, dem Bürger ein einheitliches Bild der Rechtsfindung zu bieten, wird erst gar nicht unternommen. Dies wird der Rolle des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit als entscheidendem Abgrenzungskriterium zwischen der Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit nicht gerecht.
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OVG Köln DVBl. 1965, 882. OVG Koblenz DVBl. 1986, 480. OVG Bautzen NJW 1999, 2832.
Kapitel IV
Die Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit Nachdem nun die verschiedenen Auffassungen zur Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit vorgestellt worden sind, wird im Folgenden ein eigener Definitionsansatz erarbeitet. Zugleich wird auf das zuvor dargelegte Meinungsspektrum einzugehen und es einer kritischen Würdigung zu unterziehen sein.
A. Die historische Entwicklung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit In einem ersten Schritt soll untersucht werden, ob der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO einer historischen Auslegung zugänglich ist.
I. Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit in der Weimarer Reichsverfassung Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit und die Unsicherheit über seine Definition reichen zurück bis in die Zeit des Deutschen Bundes.1 Auch die Weimarer Reichsverfassung kannte den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit. Art. 19 WRV lautete: „Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht, entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das deutsche Reich“2. Auch bei dieser Vorschrift war umstritten, ob es bei der Definition der verfassungsrechtlichen Streitigkeit auf die Rechtsnatur der Streitparteien ankam, ob also insbesondere auch der Bürger Partei eines Verfassungsstreits sein konnte. 3 Thoma führte im Widerspruch zur Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs, welcher der Rechtsnatur der Streitparteien keine Bedeutung beimaß, 4 aus: „Dagegen ist zwischen dem Staat und dem Individuum als solchem eine ‚Verfassungsstreitigkeit‘ 1 2 3 4
3*
Poetzsch, AöR 42 (1922), 79 (86). Thoma, AöR 43 (1922), 267 (281 f.). Vgl. Poetzsch, AöR 42 (1922), 79 ff.; Menger/Erichsen, VerwArch 59 (1968), 167 (174 f.). Vgl. Kassimatis, S. 182 m. w. Nachw.; BVerfGE 1, 208 (221).
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Kap. IV: Die Definition des Begriffs
nicht denkbar. Nicht jeder Streit über den Sinn eines Verfassungsartikels ist ein Verfassungsstreit. Es kommt auf die streitenden Subjekte an“ 5. Der Bürger sollte danach nur dann Partei in einem Verfassungsstreit sein können, wenn ihm „aktive Organrechte“ 6, etwa im Rahmen eines Volksbegehrens verliehen waren. 7 Thoma begründete diesen zur damaligen Zeit neuen Definitionsansatz damit, dass die Verfassungsgerichtsbarkeit „der rechtlichen Kontrolle der inneren Staatswillensbildung, nicht, wie die Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Kontrolle der Handhabung der Staatsgewalt gegen Außenstehende“ 8 diene. In diese „innere Staatswillensbildung“ solle nicht der einfache Bürger durch die Anrufung des Staatsgerichtshofs eingreifen können. Dementsprechend schloss Thoma eine Verfassungsstreitigkeit zwischen Staat und Bürger vor dem Staatsgerichtshof im Grundsatz aus. Ein Bürger könne grundsätzlich nur an einem Verwaltungsrechtsverhältnis, nicht jedoch an einem Verfassungsrechtsverhältnis teilnehmen, da nur das einfache Recht, nicht hingegen das Verfassungsrecht dem Bürger durchsetzbare Rechte verleihe. 9 Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne der Lehre Thomas erfasst somit (nur) Streitigkeiten zwischen an der inneren Staatswillensbildung teilnehmenden Verfassungsorganen über Rechte und Pflichten aus der Verfassung. Dies entspricht weitgehend dem heute von der herrschenden Meinung vertretenen Definitionsansatz zu § 40 I 1 VwGO. Sie erweist sich damit als stark von der in der Weimarer Zeit entwickelten Lehre Thomas beeinflusst. 10
II. Die Manifestation der Lehre Thomas im Grundgesetz und in den Landesverfassungen Im Grundgesetz und den Landesverfassungen gibt es anders als in Art. 19 WRV keine Generalklauseln, nach welchen das BVerfG bzw. die Landesverfassungsgerichte generell für Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Art zuständig wären. Dennoch schufen die Verfassungsgeber bei der Normierung der verfassungsgerichtlichen Zuständigkeiten einige Verfahren, welche eine verfassungsrechtliche Streitigkeit nach dem Verständnis Thomas voraussetzen. 1. Das prominenteste Beispiel einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit in diesem Sinne stellt das Organstreitverfahren 11 dar. 12 So führt das BVerfG unter Berufung 5 Thoma, AöR 43 (1922), 267 (282 f.); ebenso Friesenhahn, S.523 ff. (534): „Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit ist ... durch Gegenstand und Partei bestimmt“; parteifähig seien nur Rechtssubjekte des dem Streit zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses. 6 Thoma, AöR 43 (1922), 267 (282). 7 Thoma, AöR 43 (1922), 267 (282). 8 Thoma, in: Schreiber, S. 184; ähnlich auch Jerusalem, S. 51. 9 Vgl. Di Fabio, S. 107. 10 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 144. 11 Vgl. für den Bund Art. 93 I Nr. 1 GG. Auch sämtliche Landesverfassungen sehen den Organstreit vor: BW (Art. 68 I Nr. 1), Bayern (Art.64); Berlin (Art. 84 II Nr. 1), Bremen (Art. 140),
A. Die historische Entwicklung des Begriffs
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auf Thoma aus: „Eine Verfassungsstreitigkeit hat ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis zum Gegenstand. Ein solches kann nur zwischen Faktoren bestehen, die am Verfassungsleben beteiligt sind. Der Streit über ihre gegenseitigen rechtlichen Beziehungen wird vom Verfassungsgericht im Verfassungsrechtsstreit entschieden. ... Auf dieser von der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich abweichenden Erkenntnis beruht Art. 93 I Nr. 1 GG, wenn er das Bundesverfassungsgericht zuständig macht zur Entscheidung über die ‚Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind‘“ 13. Legt man dieses Verständnis Art. 93 I Nr. 1 GG und den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Normen zugrunde, hat die verfassungsrechtliche Streitigkeit, so wie sie von Thoma definiert wurde, in den Organstreitverfahren eine gesetzliche Normierung gefunden. 14 2. Auch der in Art.93 I Nr. 3 GG geregelte Bund-Länder-Streit betrifft nach nahezu einhelliger und auch zutreffender Meinung 15 ausschließlich Verfassungsstreitigkeiten in dem Sinne, dass zwischen dem Bund und einem Land über Inhalt, Auslegung und Anwendung von Verfassungsrecht gestritten werden muss. 16 Dieses Verständnis ergibt sich bereits aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Art. 93 I Nr. 3 GG findet nämlich seinen „unmittelbaren historischen Vorläufer“ 17 wie der Organstreit in Art. 19 I WRV. Da aber der Verfassungsgeber bei der Schaffung des Art. 93 I Nr. 1 GG die Vorgängervorschrift des Art. 19 I WRV im Sinne der Lehre Thomas interpretierte, kann er bei der Normierung des Art. 93 I Nr. 3 GG dieser kein anderes Verständnis zugrundegelegt haben, so dass Art.93 I Nr. 3 GG ebenfalls im Sinne der Lehre Thomas auszulegen ist. 18 Somit erweist sich der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG neben dem Organstreit nach Art. 93 I Nr. 1 GG als die zweite gesetzliche Ausgestaltung dieser Lehre. Denn auch Art. 93 I Nr. 3 GG verlangt eine Streitigkeit Brandenburg (Art. 113 Nr. 1), Hamburg (Art. 65 III Nr. 2), Hessen (Art. 131), MecklenburgVorpommern (Art. 53 Nr. 1), Niedersachsen (Art. 54 Nr. 1), NRW (Art. 75 Nr. 2), Rh-Pf. (Art. 130 I); Saarland (Art. 97 Nr. 1), Sachsen (Art. 81 I Nr. 1), Sachsen-Anhalt (Art. 75 Nr. 1), Schleswig-Holstein (Art. 44 I Nr. 1) und Thüringen (Art. 80 I Nr. 1). 12 Kassimatis, S. 183; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 95; Schmitt Glaeser, Rn. 60; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 3; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 24. 13 BVerfGE 1, 208 (221); Kassimatis, S.183; vgl. auch v.Mangoldt-Voßkuhle, Art.93 Rn.95, der die Begriffe „Verfassungsstreitigkeit“ und „Organstreitigkeit“ synonym verwendet. 14 Ausführlich zu den Statthaftigkeitsvoraussetzungen eines Organstreits siehe unten Kapitel V B. I. 15 v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 142 m. w. Nachw.; BK-Stern, Art. 93 Rn. 337 m. w. Nachw; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 55; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 63; Maunz/DürigMaunz, Art. 93 Rn. 50; Schmitt Glaeser, Rn. 60; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 3; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 25. 16 BK-Stern, Art. 93 Rn. 349. 17 v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 133; BK-Stern, Art. 93 Rn. 329. 18 So auch BVerfGE 13, 54 (72); Ausführlich zu den Statthaftigkeitsvoraussetzungen eines Bund-Länder-Streits nach Art. 93 I Nr. 3 GG siehe unten Kapitel V B. II.
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Kap. IV: Die Definition des Begriffs
zwischen am Verfassungsleben beteiligten Faktoren – nämlich Bund und Länder – über die Interpretation und Anwendung von Verfassungsrecht. Demgegenüber gilt Art. 93 I Nr. 4 Alt. 1 GG nur für solche Bund-Länder-Streitigkeiten, die nicht bereits von Art. 93 I Nr. 3 GG erfasst sind, also gerade nicht nach der Definition Thomas verfassungsrechtlicher Natur sind. 19 3. Der Zwischenländerstreit nach Art. 93 I Nr. 4 Alt. 2 GG erfasst mangels eines separat normierten verfassungsrechtlichen Zwischenländerstreits sowohl Streitigkeiten über Verfassungsnormen als auch solche über einfaches Recht. 20 Demgegenüber ist der Vorschlag Geigers, verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen den Ländern in Art. 93 I Nr. 3 GG anzusiedeln, 21 so dass Art. 93 I Nr. 4 Alt. 2 GG ausschließlich einfachgesetzliche Streitigkeiten erfasste, wegen des eindeutigen Wortlauts des Art. 93 I Nr. 3 GG, welcher sich nur auf Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern, nicht aber auf Zwischenländerstreitigkeiten bezieht, abzulehnen. 22 4. Der landesinterne Organstreit nach Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG 23 bezieht sich demgegenüber nach der überzeugenden ganz herrschenden Meinung 24 wiederum allein auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten im Sinne der Lehre Thomas. 25 Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG begründet nämlich eine Ersatzkompetenz des BVerfG hinter den Verfassungsgerichten der Länder für verfassungsrechtliche Organstreite auf Landesebene 26 und steht damit ebenfalls in der Tradition des Art. 19 WRV. 27 Daher entsprechen 19 Vgl. BVerfGE 1, 299 (306); BK-Stern, Art. 93 Rn. 343 ff., 375 f.; v. Münch, Art. 93 Rn. 50; Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 4. Die Gegenauffassung (BVerfGE 31, 371 [377]; E 49, 10 [13 f.]; E 94, 297 [309 f.]; v. Mangoldt/Klein-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 154; Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Art. 93 Rn. 8), nach welcher Art. 93 I Nr. 3 GG Streitigkeiten über Rechte und Pflichten unmittelbar aus dem Grundgesetz erfasst, wohingegen Art. 93 I Nr. 4 Alt. 1 GG für Streitigkeiten materiell verfassungsrechtlicher Natur außerhalb des Grundgesetzes gelten soll, vermag nicht zu überzeugen. Eine solche Differenzierung ergibt sich weder aus dem Wortlaut des Art. 93 I Nr. 3 GG noch erscheint es sinnvoll, zwischen verfassungsrechtlichen Streitigkeiten innerhalb und außerhalb des Grundgesetzes zu unterscheiden. Das die Rechtsbeziehungen zwischen Bund und Ländern gestaltende Verfassungsrecht außerhalb des Grundgesetzes ist nämlich höchst selten, so dass Art. 93 I Nr. 4 Alt. 1 GG weitgehend keine Bedeutung hätte (BKStern, Art. 93 Rn. 347). 20 Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 4; BK-Stern, Art. 93 Rn. 379 ff.; Schlaich, JuS 1981, 823 (825); Dreier-Wieland, Art. 93 Rn.69; Sachs-Sturm, Art.93 Rn. 62; a.A. Bethge, Jura 1998, 529 (531) und Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 61, die Art. 93 I Nr. 4 Alt. 2 GG ausschließlich auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten beziehen. 21 Geiger, § 71 Anm. 3. 22 Benda/Klein, Rn. 1100. 23 Hierzu ausführlich Zierlein, AöR 118 (1993), 66 ff. 24 BVerfGE 27, 240 (246 f.); BVerfG DVBl. 2000, 1600; BVerfGE 102, 245; v. MangoldtVoßkuhle, Art. 93 Rn. 159; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 64; Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 61; BK-Stern, Art. 93 Rn. 395; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 64; Bethge, Jura 1998, 529 (530). 25 Vgl. Zierlein, AöR 118 (1993), 66 (75) m. w. Nachw.; weitergehend Schenke, Rechtsschutz, S. 328, der auch die abstrakte sowie die konkrete Normenkontrolle entsprechend Art. 93 I Nr. 2 GG bzw. Art. 100 GG von Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG erfasst sieht. 26 v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 159.
A. Die historische Entwicklung des Begriffs
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die Voraussetzungen des Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG dem des Organstreits auf Bundesebene. 28 Der landesinterne Organstreit nach Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG verlangt demnach ebenfalls eine Streitigkeit zwischen am Verfassungsleben beteiligten Faktoren über die Interpretation, Auslegung und Anwendung von Landesverfassungsrecht. 29 Die Organstreitverfahren sowie der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG haben damit sämtlich gemeinsam, dass unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Faktoren über Rechte und Pflichten aus der Verfassung streiten. Mit anderen Worten hat der Verfassungsgeber mit der Schaffung der vorgenannten Verfahren an den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne der Lehre Thomas angeknüpft und ihr zu einer grundgesetzlichen Ausgestaltung verholfen.
III. Übertragbarkeit der Definition Thomas auf die „Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art“ i. S. d. § 40 I 1 VwGO? Haben somit die Verfassungsgeber den Bedeutungsgehalt des Verfassungsstreits aus der Weimarer Zeit übernommen, liegt die Vermutung nahe, dass auch der Bundesgesetzgeber sich bei der Schaffung des § 40 I 1 VwGO von der Lehre Thomas leiten ließ. Dies ist in der Tat der Ansatz der heute herrschenden Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit, welche im Einklang mit Thoma fordert, dass das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO sowohl anhand des Streitgegenstands als auch anhand der beteiligten Parteien zu bestimmen sei. 30 Dass ein solches Verständnis indessen nicht zu überzeugen vermag, lässt sich anhand einer Vielzahl von Argumenten belegen. 1. Zunächst macht die herrschende Meinung den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Rahmen des § 40 I 1 VwGO (nahezu) überflüssig. Denn die Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit für Organstreitigkeiten sowie Bund-Länder-Streitigkeiten nach Art. 93 I Nr. 3 GG ergibt sich bereits aus dem Vorrang des Grundgesetzes vor § 40 I 1 VwGO bzw. aus § 40 I 2 VwGO, so dass es in § 40 I 1 VwGO des Merkmals der Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art nicht bedürfte. Zu Recht wird daher der herrschenden Meinung vorgeworfen, sie setze die verfassungsrechtliche Streitigkeit insbesondere mit dem Organstreit BK-Stern, Art. 93 Rn. 394; Löwer, § 56 Rn. 4. v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 159; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 64; Maunz/DürigMaunz, Art. 93 Rn. 61; BK-Stern, Art. 93 Rn. 395; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 64; Bethge, Jura 1998, 529 (530). 29 v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 159; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 64; Maunz/DürigMaunz, Art. 93 Rn. 61; BK-Stern, Art. 93 Rn. 395; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 64; Bethge, Jura 1998, 529 (530). 30 Kassimatis, S. 181; siehe näher oben Kapitel III A. 27 28
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Kap. IV: Die Definition des Begriffs
gleich. 31 Praktische Relevanz käme dem Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit nur noch im Zusammenhang mit Volksbegehren und -entscheiden zu, da hier der Bürger zwar nicht parteifähig im Organstreitverfahren ist, 32 ihm aber dennoch nach zumindest teilweise vertretener Auffassung die Stellung eines unmittelbar am Verfassungsleben beteiligten Rechtssubjekts zukommen soll, 33 so dass hier Fälle denkbar sind, in denen eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO anzunehmen wäre, ohne dass zugleich ein Organstreitverfahren statthaft wäre. Darüber hinaus könnte dem Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit allein dann eine eigenständige Bedeutung zukommen, wenn man hierunter auch Streitigkeiten über einfachgesetzlich normiertes materielles Verfassungsrecht fassen würde, 34 da solche Rechtssätze nicht Gegenstand eines Organstreits sein können. 35 Diese Möglichkeit wird jedoch von den meisten Vertretern der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit zu Recht abgelehnt, 36 da eine überzeugende Definition des einfachgesetzlichen materiellen Verfassungsrechts bislang nicht gelungen ist. 37 In Konsequenz hieraus würde sich aber der Bedeutungsgehalt des Merkmals der Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art auf ein Minimum reduzieren. 2. Auch das Argument der herrschenden Meinung, die Subsidiaritätsklausel des § 90 II BVerfGG zeige, dass es grundsätzlich keine Streitigkeiten vor dem BVerfG mit Bürgerbeteiligung geben solle, 38 überzeugt wenig. Die Verfassungsbeschwerde ist nämlich nur subsidiär, wenn ein anderer Rechtsweg, insbesondere der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde setzt damit das Vorliegen einer nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit voraus. Daher lässt sich aus der Subsidiaritätsklausel lediglich entnehmen, dass ein Grundrechtsträger in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zunächst den Verwaltungsrechtsweg beschreiten muss, dass also in nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten kein Bürger vor Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtsschutzes vor dem BVerfG klagen können soll. Aus der Subsidiaritätsklausel folgt aber nicht umgekehrt, dass bei verfassungsrechtlichen Streitigkeiten keine Bürgerbeteiligung möglich ist. Mit anderen Worten setzt die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde das Vorliegen einer nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 144; Schmelter, S. 163. Zu dem im Organstreit parteifähigen Rechtssubjekten siehe unten Kapitel V B. I. 1. 33 Lerche, S.87, Fn.29; VGH Kassel NVwZ 1991, 1098; OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); VGH Kassel NVwZ 1991, 1098; OVG Münster NJW 1974, 1671; VG Potsdam LKV 1997, 338; Goessl, S. 130; Clemens, S. 1276; Bethge, NJW 1975, 77; siehe hierzu näher unten Kapitel V B. I. 1. 34 So z. B. Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 19; VGH München, BayVBl. 1990, 721. 35 Siehe hierzu näher unten Kapitel V B. I. 2. b). 36 BVerwG NJW 1985, 2344; BVerwGE 80, 355 (357); vgl. auch Lerche, S. 82; Wolnicki, LKV 1997, 313 (316); Bethge, NJW 1975, 77. 37 Wolnicki, LKV 1997, 313 (316); Bethge, NJW 1975, 77; siehe hierzu näher unten Kapitel V C. I. 2. a) bb). 38 Schmitt Glaeser, Rn. 59. 31 32
A. Die historische Entwicklung des Begriffs
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voraus, trifft aber keine Aussage darüber, wann eine solche Streitigkeit anzunehmen ist. Aus der Subsidiaritätsklausel des § 90 II BVerfGG lässt sich daher nichts für die Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit herleiten. 3. Weiterhin spricht für die Identität der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO mit der der Art. 93 I Nr. 1, 3 und 4 Alt. 3 GG auch nicht die Vorschrift des § 50 III VwGO. 39 Nach dieser Norm legt das BVerwG eine Streitigkeit dem BVerfG zur Entscheidung vor, wenn es die Streitigkeit für verfassungsrechtlich hält. Ule führt zu dieser Vorschrift aus: „Es entspricht der Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts als des für verfassungsrechtliche Streitigkeiten zuständigen Bundesgerichts, dass die Entscheidung über die Zuständigkeit ihm obliegen muss“ 40. Wäre dies tatsächlich die ratio des § 50 III VwGO, so läge der Schluss nahe, dass sich § 50 III VwGO auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. Art. 93 I Nr. 1, 3 und 4 Alt. 3 GG bezieht. Denn nur für diese Streitigkeiten ist das BVerfG zuständig. Daraus wäre wiederum zu folgern, dass auch der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO dem der Art. 93 I Nr. 1, 3 und 4 Alt. 3 GG entsprechen muss, da die Begriffe der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 50 III VwGO und § 40 I 1 VwGO bedeutungsgleich sind. 41 Indessen ist die Aussage Ules in ihrer Allgemeinheit problematisch. Zunächst bezieht sich §50 III VwGO nämlich ausschließlich auf Bund-Länder-Streitigkeiten sowie Zwischenländerstreitigkeiten, keineswegs hingegen auf alle verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO. Zudem wird eine analoge Anwendung des § 50 III VwGO auf sonstige verfassungsrechtliche Streitigkeiten unter Hinweis auf den klaren Wortlaut der Norm allgemein abgelehnt. 42 Aus § 50 III VwGO kann also gerade nicht geschlossen werden, dass das BVerfG in allen verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO zuständig ist. Nur für den Sonderfall des Bund-Länder-Streits, in welchem die Verneinung einer nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit nach § 40 I 1 VwGO zugleich zu einer Bejahung der Zuständigkeit des BVerfG nach Art. 93 I Nr. 3 oder Nr. 4 Alt. 1 GG 43 führt, statuiert § 50 III VwGO eine Vorlagepflicht. Denn die Vorschrift bezweckt, negative Kompetenzkonflikte in Bund-Länder-Streitigkeiten und Zwischenländerstreitigkeiten zwischen dem BVerfG und dem BVerwG zu vermeiZu § 50 III VwGO allgemein vgl. Sachs, DÖV 1981, 707 ff. Ule, § 15 I 2. 41 Der erste Absatz des § 50 VwGO weist bestimmte öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art dem BVerwG zu. Die Vorschrift regelt damit die sachliche Zuständigkeit des BVerwG (Kopp/Schenke, § 50 Rn. 1). Sie eröffnet demgegenüber nicht selbst den Verwaltungsrechtsweg, sondern setzt voraus, dass dieser gem. § 40 I 1 VwGO gegeben ist. Der Begriff der Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art i. S. d. § 50 I VwGO hat damit keine eigenständige Bedeutung und entspricht dem des § 40 I 1 VwGO (Sodan/ZiekowZiekow, § 50 Rn. 3). Nichts anderes kann unter systematischen Gesichtspunkten für § 50 III VwGO gelten. 42 Kopp/Schenke, § 50 Rn. 10; Eyermann-P. Schmidt, § 50 Rn. 11; Redeker/v. Oertzen, § 50 Rn. 6. 43 Zur teilweisen Anwendbarkeit des Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO siehe unten Kapitel V C. II. 2. b) aa). 39 40
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Kap. IV: Die Definition des Begriffs
den. 44 Im Übrigen entscheidet das BVerfG nach § 50 III VwGO lediglich über eine Verfahrensfrage, so dass daraus ohnehin nicht auf seine sachliche Zuständigkeit geschlossen werden kann. 45 Dem BVerfG ist es sogar verwehrt, nach Feststellung der verfassungsrechtlichen Natur der Streitsache eine Sachentscheidung zu erlassen. Die Beteiligten müssen in diesem Fall selbst ein Verfahren vor dem BVerfG einleiten. 46 Daraus, dass das BVerfG für die Verfahrensfrage der Rechtswegeröffnung zuständig ist, ergibt sich also gerade nicht, dass es „das für verfassungsrechtliche Streitigkeiten [i. S. d. § 40 I 1 VwGO] zuständige Bundesgericht“ 47 wäre. 4. Darüber hinaus disqualifiziert sich die h. M. dadurch, dass sie selbst das von ihr geforderte Kriterium der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit nicht konsequent durchhält. 48 So ist es einhellige Meinung, dass es sich bei einer von einem Bürger angestrebten prinzipalen Normenkontrolle formeller Gesetze ebenso wie bei einer auf den Erlass eines formellen Gesetzes gerichteten Klage um verfassungsrechtliche Streitigkeiten handelt. 49 Dass nämlich die prinzipale Normenkontrolle eines formellen Gesetzes nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte sein kann, zeigt insbesondere Art. 100 GG, welcher die Verwerfung formeller nachkonstitutioneller Gesetze dem BVerfG vorbehält. 50 5. In Schwierigkeiten gelangt die Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit weiterhin in den Fällen, in denen ein Bürger gegen einen am Verfassungsleben beteiligten Faktor das verfassungsrechtlich begründete Recht eines anderen am Verfassungsleben beteiligten Faktors einklagt. So begehrte beispielsweise in BVerwGE 24, 272 ein Bezirksfürsorgeverband festzustellen, dass die beklagte Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sei, dem beigeladenen Land Nordrhein-Westfalen einen bestimmten Geldbetrag zur Erstattung von Aufwendungen an den Kläger als Kriegsfolgenlast zur Verfügung zu stellen. Nachdem das BVerwG festgestellt hatte, dass dem Streit Verfassungsrecht zugrunde lag, führte es aus: „Wäre aber bei einem Streit zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegeben, der Verwaltungsrechtsweg also verschlossen, so kann nicht für die vorliegende Klage der Verwaltungsrechtsweg gegeben sein, denn die Rechtsnatur des Streitverhältnisses zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen ändert sich nicht dadurch, dass seine Feststellung durch den Kläger verBT-Drucks. 3/55 Anl. 1, S. 35. Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 10. 46 Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 10. 47 Ule, § 15 Anm. I 2. 48 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 a; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 128; ders., JZ 1996, 998 (1000). 49 BVerfGE 32, 157; E40, 296; E 70, 35 (55); E76, 107 (115); BVerwGE 24, 272 (279); E75, 334; E 80, 355 (358); OVG Münster NJW 1982, 1415; Bethge, Jura 1998, 529 (531); Detterbeck, DÖV 1990, 858 (859) m. w. Nachw.; Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 a; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn.128; ders., JZ 1996, 998 (1000); ders., Rechtsschutz, S.333; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (337); Sodan, NVwZ 2000, 601 (607); a. A. Schmitt-Glaeser, Rn. 59; siehe eingehend unten Kapitel V C. V. 1. und 2. 50 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (335). 44 45
A. Die historische Entwicklung des Begriffs
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langt wird“ 51. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. In der Tat ist nicht nachvollziehbar, warum die Rechtsnatur dessen, der die Feststellung eines verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses begehrt, für den Rechtsweg ausschlaggebend sein soll. Dasselbe gilt für die Klage gegen eine Immunitätsentscheidung des Bundestags.52 Auch hier kann für die Rechtsnatur der Streitigkeit nicht entscheidend sein, ob ein Abgeordneter – dann läge unzweifelhaft eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. Art. 93 I Nr. 1 GG vor – oder ein Bürger die Aufhebung der Immunitätsentscheidung begehrt. 53 Haverkate 54 versucht diese Ungereimtheit der herrschenden Meinung zu umgehen, indem er die Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit dahingehend modifiziert, dass eine verfassungsrechtliche Streitigkeit zwar immer vom Verfassungsrecht geformte Rechtsbeziehungen zwischen Verfassungsorganen betreffe, es jedoch nicht erforderlich sei, dass die am verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis beteiligten Organe in allen Teilen identisch mit den Parteien des Rechtsstreits seien. 55 Daher sei auch jeder Rechtsstreit, der von einem Bürger mit dem Ziel erhoben werde, auf eine vom Verfassungsrecht geprägte Rechtsbeziehung zwischen Verfassungsorganen Einfluss zu nehmen, verfassungsrechtlicher Natur. 56 Indessen vermag auch diese Modifikation der herrschenden Meinung letztendlich nicht zu überzeugen, da auch sie den verfassungsrechtlichen Charakter einer durch einen Bürger angestrengten prinzipalen Normenkontrolle gegen formelles Gesetzesrecht nicht erklären kann. 57 Denn hier fehlt es gerade an einem Rechtsverhältnis zwischen am Verfassungsleben beteiligten Faktoren. 6. Erschöpften sich die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO in den Organstreitverfahren und dem Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG, so wäre überdies auch Art. 93 II GG 58 nahezu funktionslos. Nach richtiger Auffassung erlaubt diese Vorschrift entgegen ihrem weiten Wortlaut dem einfachen Gesetzgeber nur, verfassungsrechtliche, nicht hingegen verwaltungsrechtliche Streitigkeiten dem BVerfG zuzuweisen. 59 Dies ergibt sich aus der Funktion des Gerichts als „oberste(m) Hüter der Verfassung“ 60. Das BVerfG ist diejenige Institution, die über die Einhaltung der formellen und materiellen Vorgaben der Verfassung zu wachen hat. 61 Seine Aufgabe ist es, Recht anhand der Verfassung zu sprechen. 62 Könnte der Gesetzgeber BVerwGE 24, 272 (280). Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 146. 53 Ebenso Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 146. 54 Haverkate, AöR 107 (1982), Fn. 35. 55 Haverkate, AöR 107 (1982), Fn. 35. 56 Haverkate, AöR 107 (1982), Fn. 35. 57 Siehe zuvor. 58 Ausführlich zu dieser Vorschrift BK-Stern, Art. 93 Rn. 836 ff.; vgl. auch v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 204 f. 59 Geiger, § 13 Anm. 3 ff.; Kutscher, S. 162; Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 3; Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, § 13 Rn. 10. 60 BVerfGE 1, 184 (195). 61 v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 17. 62 v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 24. 51 52
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Kap. IV: Die Definition des Begriffs
jedoch dem BVerfG beliebige Rechtsmaterien zuweisen, widerspräche dies nicht nur dem Sinn und Zweck einer Verfassungsgerichtsbarkeit, sondern es bestünde darüber hinaus die Gefahr, dass das BVerfG aufgrund seiner beschränkten Kapazität seiner Wächterfunktion nicht mehr nachkommen könnte. Mit anderen Worten verbietet es die hervorgehobene Stellung des BVerfG, 63 ihm Streitigkeiten zuzuweisen, die originär in den Aufgabenbereich der Fachgerichte fallen. 64 Erlaubt damit Art. 93 II GG nur die Zuweisung weiterer verfassungsrechtlicher Streitigkeiten zum BVerfG, so bedeutet dies zugleich, dass der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit sich nicht im Organstreit und Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG erschöpfen kann. Andernfalls gäbe es nämlich faktisch keine Streitigkeiten mehr, die der Gesetzgeber dem BVerfG zuweisen könnte. Um Art. 93 II GG nicht leer laufen zu lassen, muss es also verfassungsrechtliche Streitigkeiten geben, die dem BVerfG nicht bereits ausdrücklich durch das Grundgesetz zugewiesen sind. 7. Gegen die Übertragbarkeit des dem Organstreit und dem Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG zugrunde liegenden Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit auf § 40 I 1 VwGO spricht letztendlich auch die unterschiedliche Funktion, die dieser in den verschiedenen Vorschriften erfüllt. 65 Im Organstreit und BundLänder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG dient der Begriff der Begründung der Zuständigkeit der Verfassungsgerichte. Dieselbe Funktion hatte er in Art.19 WRV. In §40I1 VwGO hingegen begründet der Begriff nicht positiv die Zuständigkeit der Verfassungsgerichte, sondern schließt vielmehr negativ die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit aus. Damit wird aber der Sinn des Ausschlusses von Streitigkeiten mit Bürgerbeteiligung aus dem Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit in sein Gegenteil verkehrt. Thoma entwickelte das Kriterium der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit im Hinblick darauf, dass der einfache Bürger nicht gerichtlich gegen Maßnahmen der Staatsleitung vorgehen können sollte. Unter der Geltung des § 40 I 1 VwGO führt dieses als Beschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes gedachte Kriterium hingegen dazu, dass der Bürger über den Verwaltungsrechtsweg jede ihn belastende Maßnahme der inneren Staatswillensbildung angreifen kann. Das als einschränkend gedachte Kriterium der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit führt damit im Rahmen des § 40 I 1 VwGO zu einer sehr weiten Ausdehnung der fachgerichtlichen Kontrolle von Staatsakten. Damit verliert aber das Postulat, verfassungsrechtliche Streitigkeiten seien nur zwischen Verfassungsrechtssubjekten denkbar, im Rahmen des § 40 I 1 VwGO seinen ursprünglichen Sinn und kann daher nicht aufrechterhalten werden. Als Zwischenergebnis bleibt somit festzuhalten, dass der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO nicht dem im Sinne der Lehre Thomas v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 27. Geiger, § 13 Anm. 3 ff.; Kutscher, S. 162; Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 3; Maunz/ Schmidt-Bleibtreu, § 13 Rn. 10. 65 Ebenso Kassimatis, S. 184. 63 64
B. Die Relevanz der Rechtsnatur der Streitbeteiligten
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entspricht. Damit hat sich die historische Auslegung als unergiebig erwiesen, womit zugleich die Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit abzulehnen ist. 66
B. Die Relevanz der Rechtsnatur der Streitbeteiligten für die Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO Ist der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO nicht i. S. d. Lehre Thomas auszulegen, fragt sich gleichwohl, ob und welche Bedeutung die Rechtsnatur der Streitbeteiligten für seine Bestimmung hat. I. Dass verfassungsrechtliche Streitigkeiten unter Beteiligung eines Bürgers als Kläger prinzipiell nicht ausgeschlossen sind, zeigt sich an der prinzipalen Normenkontrolle formeller Gesetzte. 67 II. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob nicht notwendigerweise zumindest ein am Verfassungsleben beteiligter Faktor Streitpartei bzw. gerade der Angriffsgegner ein am Verfassungsleben beteiligter Faktor sein muss, wie dies von den Vertretern des vermittelnden Standpunkts 68 bzw. der materiellen Subjektstheorie 69 gefordert wird. Der Auffassung, dass jedenfalls der Angriffsgegner ein am Verfassungsleben beteiligtes Rechtssubjekt sein müsse, hält Lerche entgegen, dass es am Rechtsweg nichts ändern könne, wenn das am Verfassungsleben beteiligte Rechtssubjekt nicht auf der Beklagtenseite erscheine, sondern auf der Klägerseite.70 Besonders bei Feststellungsklagen könne man mit den Kläger- und Beklagtenrollen jonglieren und sie vertauschen, ohne dass die Streitsache ihren Charakter verliere und der Rechtsweg ein anderer werde. 71 Dieser Einwand erscheint stichhaltig. Ist zwischen einem Bürger und einem Verfassungsrechtssubjekt ein Verfassungsrechtsverhältnis streitig, kann es in der Tat nicht darauf ankommen, ob zuerst der Bürger oder das Verfassungsrechtssubjekt Klage erhebt. Allerdings zeigt ein Blick in die Praxis, dass es bislang eine Klage eines Verfassungsrechtssubjekts auf Feststellung eines zwischen ihm und einem Bürger bestehenden Verfassungsrechtsverhältnisses noch nicht gegeben hat. Dies rührt daher, dass ein am Verfassungsleben beteiligtes Rechtssubjekt im Verhältnis zum Bürger in einer ungleich stärkeren Machtposition ist und für gewöhnlich seine tatsächlichen oder vermeintlichen Rechte in Form hoheitlichen Handelns durchsetzen kann, ohne die Gerichte bemühen zu müssen. Es ist dann Sache 66 67 68 69 70 71
Ebenso Kassimatis, S. 184. Siehe zuvor. Siehe oben Kapitel III C. Siehe oben Kapitel III D. Lerche, S. 91. Lerche, S. 91.
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Kap. IV: Die Definition des Begriffs
des Bürgers, sich gegen dieses hoheitliche Handeln zu wehren, so dass in der Praxis stets der Bürger Kläger und das Verfassungsrechtssubjekt Beklagter sein wird. Letztendlich kann dieser Streit dahinstehen, da richtigerweise weder auf Seiten des Rechtsschutzsuchenden, noch auf Seiten des Rechtsschutzgegners notwendigerweise ein Verfassungsrechtssubjekt beteiligt sein muss. Dies zeigt sich an der prinzipalen Normenkontrolle untergesetzlicher Rechtsvorschriften. Denn auch die prinzipale Normenkontrolle untergesetzlicher Normen ist – nach allerdings umstrittener Auffassung 72 – verfassungsrechtlicher Natur, obwohl die angegriffene Rechtnorm gerade nicht von einem am Verfassungsleben beteiligten Faktor erlassen worden ist. Die Frage nach der Relevanz der Rechtsnatur der Streitparteien für das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ist somit dahingehend zu beantworten, dass an einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit nicht notwendigerweise Faktoren des Verfassungslebens beteiligt sein müssen.
C. Die Relevanz der Rechtsnatur der streitentscheidenden Normen für die Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO Dass die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Normen den Charakter des Rechtsstreits beeinflussen, mithin also zumindest mitentscheidend für das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit sind, ist in Rspr. und Literatur weitgehend unangefochten. Einzig Ehlers 73 misst den streitentscheidenden Normen keine Bedeutung bei. Es komme nicht auf deren Rechtsnatur an, sondern allein auf die Position des Rechtsschutzgegners. 74 Dieser müsse ein Verfassungsrechtssubjekt sein, welches „als solches“, also gerade in seiner Eigenschaft als Verfassungsrechtssubjekt betroffen werde. 75 Andererseits kann aber die Frage, ob ein Verfassungsrechtssubjekt „als solches“ betroffen ist, nur unter Zuhilfenahme der streitentscheidenden Normen geklärt werden, so dass ihnen letztendlich doch Bedeutung zukommt. 76 Denn um festzustellen, ob das Verfassungsrechtssubjekt in seiner materiell verfassungsrechtlichen Funktion oder aber als Verwaltungsbehörde gehandelt hat, muss untersucht werden, auf welche Rechtsgrundlage es seine Maßnahme stützt.77 Hieraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass den „Kern“-Theorien 78 bzw. dem vermittelnden Standpunkt 79 gefolgt werden muss. 72 73 74 75 76 77 78 79
Siehe hierzu ausführlich unten Kapitel V C. V. 3. Vgl. oben Kapitel III D. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 154. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 156. Lerche, S. 91. Lerche, S. 91. Siehe oben Kapitel III B. Siehe oben Kapitel III C.
C. Die Relevanz der Rechtsnatur der streitentscheidenden Normen
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I. Zunächst sind nämlich Formulierungen wie der Rechtsstreit müsse durch Verfassungsrecht „geprägt“ sein bzw. die Auseinandersetzung um Verfassungsrecht müsse den „Kern“ des Rechtsstreits bilden, viel zu unbestimmt, um als trennscharfe Kriterien zu fungieren. 80 Neben diesem praktischen Bedenken ist das „Kern“-Kriterium aber auch unter systematischen Aspekten problematisch. So steht außer Zweifel, dass beispielsweise ein Rechtsstreit zwischen zwei Kaufvertragsparteinen nicht deshalb völkerrechtlicher Natur ist, weil eine Vertragsseite ein Exterritorialer ist, dessen Exterritorialität ihren Grund im Völkerrecht hat. 81 Dies gilt selbst dann, wenn Fragen der Exterritorialität den eigentlichen Kern der Streitigkeit darstellen. Genauso wenig sind die Zivilgerichte in einem Strafverfahren wegen Diebstahls zuständig, selbst wenn schwierige zivilrechtliche Fragen über die Eigentumsverhältnisse des Diebesguts im Streit stehen. Auch ließe sich wohl nicht ernsthaft vertreten, dass ein Beseitigungsanspruch gegen einen Nachbarn nach § 1004 BGB vor dem Verwaltungsgericht zu verfolgen wäre, weil die Duldungspflicht des Klägers von der Wirksamkeit einer dem Nachbarn erteilten behördlichen Genehmigung abhängt und die Streitigkeit daher öffentlich-rechtlich geprägt ist. Ist somit im Grundsatz anerkannt, dass das „Kern“-Kriterium für die Rechtswegabgrenzung zwischen den Fachgerichten unbrauchbar ist, so kann nichts anderes für die Abgrenzung zwischen Verfassungs- und Verwaltungsrechtsweg gelten. 82 II. Weiterhin versagt das „Kern“-Kriterium bei Streitigkeiten, welche auf der Verletzung von Grundrechten beruhen. Klagt ein Bürger gegen den Verwaltungsakt einer Behörde und stützt er sein Klagebegehren allein auf die Verletzung von Grundrechten, so herrscht Übereinstimmung, dass hier keine verfassungsrechtliche Streitigkeit anzunehmen ist, obwohl doch allein über Verfassungsrecht gestritten wird. 83 Lerche stellt daher die Überlegung an, dass die Grundrechte von Haus aus Bestandteile des unterverfassungsrechtlichen Gefüges seien, die lediglich durch die formell verfassungsrechtliche Normierung zusätzlich abgesichert würden.84 Daher zählten die Grundrechte nicht zum „spezifischen“ Verfassungsrecht und seien folgSchoch-Ehlers, § 40 Rn. 157; Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (338); Schäfer, S. 161. Kopp, JuS 1981, 419 (422). 82 Vgl. auch BVerfGE 42, 103 (116 f.): „So wenig die bürgerlichrechtliche, arbeitsrechtliche oder handelsrechtliche Natur eines Rechtsverhältnisses dadurch geändert wird, dass öffentlich-rechtliche Rechtssätze ergänzend anzuwenden sind, so wenig ändert sich an einem verwaltungsrechtlichen Verhältnis etwas, wenn bei seiner rechtlichen Beurteilung auch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte oder verfassungsrechtliche Regeln hineinwirken und deshalb zu berücksichtigen sind ... Unbeschadet dieser Einwirkung des Verfassungsrechts auf die verschiedenen Rechtsbereiche bleiben diese, was sie von Haus aus sind: privatrechtliche, handelsrechtliche, strafrechtliche, verfahrensrechtliche und verwaltungsrechtliche Teilrechtsbereiche“ und Kopp, JuS 1981, 419 (423): „Öffentliche Streitigkeiten, die ihrem ... Wesen nach vor die Verwaltungsgerichte gehören, können diesen nicht deshalb entzogen werden, weil im konkreten Fall vom Gericht bei der Entscheidung auch Rechtsvorschriften aus anderen Rechtsbereichen zu beachten sind“. 83 So auch Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 148; Wolnicki, LKV 1997, 313. 84 Lerche, S. 88. 80 81
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Kap. IV: Die Definition des Begriffs
lich nicht geeignet, eine verfassungsrechtliche Streitigkeit zu begründen. 85 Dieses Konstrukt vermag indessen nicht einleuchtend zu erklären, warum der Umstand, dass die meisten Grundrechte „im einfachen Recht entwickelt und ausgeformt wurden“ 86, dazu führen soll, die verfassungsrechtliche Natur von Grundrechtsstreitigkeiten abzulehnen. Lerches Argumentation überzeugt, wo eine Grundrechtsnorm eine einfachgesetzliche Ausgestaltung gefunden hat, der Bürger aufgrund dieser einfachgesetzlichen Norm klagt und das hinter der Vorschrift stehende Grundrecht allenfalls Ausstrahlungswirkung entfaltet. Denn dann wird unmittelbar aus einfachgesetzlichen Normen geklagt, nicht aber aus Verfassungsrecht. Anders ist die Situation jedoch dann, wenn der Bürger mangels einfachgesetzlicher Vorschriften sein Klagebegehren allein auf ein Grundrecht stützen kann. Dann wird nämlich im Kern um die Auslegung der Grundrechtsnorm selbst gestritten und gerade nicht um „Bestandteile des unterverfassungsgesetzlichen Rechtsgefüges“. Folglich müsste nach den „Kern“-Theorien, welche auf den Schwerpunkt des Rechtsstreits abstellen, eine reine Grundrechtsstreitigkeit als verfassungsrechtlich qualifiziert werden. Dies lehnen jedoch selbst ihre Vertreter im Einklang mit der einhelligen Lehre ab. III. Noch deutlicher wird die Widersprüchlichkeit des „Kern“-Kriteriums bei der durch den Bürger initiierten prinzipalen Normenkontrolle formeller Gesetze. Fühlt sich ein Bürger durch ein formelles Gesetz in seinen Grundrechten verletzt, und initiiert er daraufhin eine prinzipale Normenkontrolle, so ist auch unter den Vertretern der „Kern“-Theorien (zu Recht) unstreitig eine verfassungsrechtliche Streitigkeit gegeben, obwohl hier genauso wie bei der Überprüfung des Verwaltungsakts im vorangegangenen Beispiel im Kern über die Verletzung von Grundrechten gestritten wird. Folgte man also der Argumentation Lerches und zählte man die Grundrechte nicht zum „spezifischen Verfassungsrecht“, so müsste man konsequenterweise zum Ergebnis gelangen, dass auch die auf die Verletzung von Grundrechten gestützte prinzipale Normenkontrolle eines formellen Gesetzes verwaltungsrechtlicher Natur ist. Diese Konsequenz zieht indessen ersichtlich kein Anhänger der „Kern“-Theorien. Weiterhin müsste nach deren Ansatz die prinzipale Normenkontrolle eines formellen Landesgesetzes anhand von Bundesrecht als verwaltungsrechtliche Streitigkeit qualifiziert werden, da hier im Kern gerade nicht um Verfassungsrecht gestritten wird. Dies widerspräche jedoch Art. 100 I 2 Alt. 2 GG, wonach die Verwerfung formellen nachkonstitutionellen Landesrechts dem BVerfG vorbehalten ist. 87 Als Fazit ist daher festzuhalten, dass auch eine Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO anhand der Rechtsnatur der im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehenden Normen zu keinen überzeugenden Ergebnissen führt. Lerche, S. 88. Lerche, S. 88. 87 Zur Rechtsnatur der prinzipalen Normenkontrolle formeller Gesetze siehe oben Kapitel IV A. III. 4. sowie unten Kapitel V C. V. 1. 85 86
D. Die eigene Definition
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D. Die eigene Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit Nachdem sich gezeigt hat, dass die Lehre Thomas auf § 40 I 1 VwGO nicht übertragbar ist und auch die übrigen bislang diskutierten Ansätze zur Definition des Begriffs sich als angreifbar erwiesen haben, empfiehlt sich ein Blick auf Sinn und Zweck des Merkmals der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO. Einen entscheidenden Anhaltspunkt für die Funktion des Begriffs findet sich in den bereits zitierten 88 Motiven zu § 40 VwGO, wonach das Merkmal der verfassungsrechtlichen Streitigkeit dazu diene, von der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit die Verfassungsstreitigkeiten auszunehmen, da diese meist besonderen Gerichten (Bundesverfassungsgericht, Verfassungsgericht oder Staatsgerichtshof der Länder) übertragen seien. Der Sinn des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit innerhalb des § 40 I 1 VwGO besteht also darin, solche Streitigkeiten dem Verwaltungsrechtsweg zu entziehen, die (eigentlich) vor die Verfassungsgerichte gehören. 89 Da jedoch bereits die Regelungen des § 40 I 1 Hs. 2 und 2 VwGO für die einem Verfassungsgericht zugewiesenen Streitigkeiten den Verwaltungsrechtsweg versperren, liegt die Ratio des Merkmals der Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art darin, solche Streitigkeiten vom Verwaltungsrechtsweg auszunehmen, die ihrem Wesen nach den Verfassungsgerichten vorbehalten bleiben sollen, 90 unabhängig davon, ob im konkreten Fall tatsächlich ein Verfahren vor einem Verfassungsgericht offen steht. 91 Ober anders formuliert: Verfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO sind solche Streitigkeiten, die, soweit sie überhaupt justiziabel sind, ihrem Wesen nach den Verfassungsgerichten reserviert bleiben sollen. Nichts anderes vertritt im Grunde Schenke, wenn er formuliert, eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liege dann vor, wenn die Streitigkeit vorbehaltlich ihrer Justiziabilität in die Kompetenz der Verfassungsgerichte fallen soll. 92 Da es dem Gesetzgeber allerdings unbenommen ist, verfassungsrechtliche Streitigkeiten den Fachgerichten zuzuweisen, ist die Formel Schenkes dahingehend zu präzisieren, dass eine verfassungsrechtliche Streitigkeit immer dann vorliegt, wenn – ihre Justiziabilität unterstellt – sie unter Außerbetrachtlassung von abdrängenden Sonderzuweisungen von einem Verfassungsgericht entschieden werden soll. Dasselbe meint die hier entwickelte Formulierung vom „Wesen“ der verfassungsrechtlichen Streitigkeit. Siehe oben Kapitel II C. Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (338). 90 Ähnlich Bethge, Jura 1998, 529 (530), welcher das BVerfG als die „allein verbindliche Instanz in Verfassungsstreitigkeiten“ bezeichnet. 91 Ähnlich Schmelter, S. 162; Rupp, AöR 85 (1960), 149 (157). 92 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 a; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 129; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (338); ders., JZ 1996, 998 (1001). 88 89
4 Kraayvanger
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Kap. IV: Die Definition des Begriffs
Allerdings ist auch dieser Ansatz nicht unangefochten. So hält ihm etwa Lerche entgegengehalten, er verwechsle Ursache und Wirkung. Die Zuweisung zu den Verfassungsgerichten sei nämlich die Folge, nicht die Wurzel einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit. 93 Indessen vermag diese Argumentation nicht zu überzeugen. Zunächst einmal bestimmt sich die Frage, ob eine Streitigkeit den Verfassungsgerichten zugewiesen ist, nicht danach, ob sie als „verfassungsrechtlich“ zu definieren ist, sondern danach, ob sie die Statthaftigkeitsvoraussetzungen eines der verfassungsgerichtlichen Verfahrens erfüllt. Des Weiteren stellt der hier vertretene Ansatz auch nicht darauf ab, ob tatsächlich die Zuständigkeit eines Verfassungsgerichts begründet ist. Lerche wäre zuzustimmen, wenn der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit nach der hier vertretenen Auffassung formell definiert würde als die Summe aller den Verfassungsgerichten zugewiesenen Streitigkeiten. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall. Entscheidend nach dem hier dargelegten Ansatz ist nämlich nicht, ob eine Streitigkeit tatsächlich in die Kompetenz eines Verfassungs- oder Verwaltungsgerichts fällt bzw. gar nicht justiziabel ist. Ausschlaggebend ist allein, ob die Streitigkeit abstrakt von den Verfassungsgerichten entschieden werden soll, unabhängig davon, ob der Gesetzgeber die Streitigkeit tatsächlich den Verwaltungsgerichten zugewiesen hat, ihr ein verfassungsgerichtliches Verfahren reserviert hat oder sie nicht justiziabel ist. Weiterhin kritisiert Lerche, dass die Tatsache eines gewollt nur lückenhaften verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes zeige, dass die Frage der Justiziabilität nicht aus einer vorgegebenen Natur der Sache zu beantworten sei sondern aus dem konkreten gesetzgeberischen Willen. 94 Diesen zu ermitteln setze jedoch gerade voraus zu wissen, ob die Streitigkeit verwaltungs- oder verfassungsrechtlicher Natur sei. 95 Lerches Einwand trifft indessen auf den hier vertretenen Ansatz nicht zu. Soweit Art. 19 IV GG greift, d. h. bei Klagen eines Bürgers gegen die Verletzung subjektiver Rechte, ergibt sich die Frage der Justiziabilität allein aus dieser Vorschrift und nicht etwa aus der Definition des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit. Aber auch bei Streitigkeiten ohne die Beteiligung von Grundrechtsträgern verfängt die Kritik nicht. Denn auch hier muss für die Bestimmung der Streitigkeit entscheidend sein, ob sie ihrem Charakter nach von den Verfassungs- oder Verwaltungsgerichten geklärt werden soll. Kommt man zum Ergebnis, dass die Streitigkeit im Grunde vor die Verfassungsgerichte gehört, es aber im konkreten Fall kein statthaftes Verfahren gibt, so ist die Streitigkeit nicht justiziabel. Auch hier ergibt sich also die Frage der Justiziabilität nicht aus einer „vorgegebenen Natur der Sache“, sondern, wie Lerche selbst formuliert, „aus dem konkreten gesetzgeberischen Willen“ 96, der sich darin äußert, ob der Gesetzgeber für die verfassungsrechtliche Streitigkeit ein verfassungsgerichtliches bzw. ein fachgerichtliches Verfahren geschaffen hat oder nicht. 93 94 95 96
Lerche, S. 85. Lerche, S. 85 f. Lerche, S. 86. Lerche, S. 85 f.
D. Die eigene Definition
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Sind somit verfassungsrechtliche Streitigkeiten solche Streitigkeiten, die ihrem Wesen nach den Verfassungsgerichten vorbehalten bleiben sollen, stellt sich als weitere Frage, welche Streitigkeiten hierunter zu subsumieren sind. Dem wird im nächsten Kapitel nachzugehen sein.
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Kapitel V
Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO Als Ausgangspunkt zur Beantwortung der Frage, welche Streitigkeiten auf Bundesebene wesensmäßig den Verfassungsgerichten vorbehalten bleiben sollen, bietet sich ein Blick auf die im Grundgesetz dem BVerfG zugewiesenen Streitigkeiten an. Es soll untersucht werden, welche von diesen als verfassungsrechtlich i. S. d. § 40 I 1 VwGO zu qualifizieren sind. In einem zweiten Schritt werden die Voraussetzungen für das Vorliegen solcher Streitigkeiten ermittelt. Anschließend ist zu untersuchen, welche Rückschlüsse hieraus auf das Wesen der Verfassungsstreitigkeit gezogen werden können. Entsprechend muss für verfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO auf Landesebene verfahren werden. Klarstellend sei darauf hingewiesen, dass hierin keine nach Art. 31 GG unzulässige Definition eines bundesrechtlichen Begriffs anhand von Landesrecht liegt. Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit wurde vielmehr bereits im vorangegangenen Kapitel aufgrund der Entstehungsgeschichte des § 40 VwGO sowie seiner Ratio innerhalb des § 40 I 1 VwGO definiert als ein Sammelbegriff für all jene Streitigkeiten, die ihrem Wesen nach den Verfassungsgerichten vorbehalten bleiben sollen. Daher kann und muss im Rahmen der Subsumtion unter diese Definition bei landesverfassungsrechtlichen Streitigkeiten als Ausgangspunkt darauf abgestellt werden, welche Streitigkeiten nach der Landesverfassung als verfassungsrechtlich zu qualifizieren sind. In einem zweiten Schritt ist dann wiederum wie auf Bundesebene zu untersuchen, welche Rückschlüsse hieraus auf das Wesen der (landes)verfassungsrechtlichen Streitigkeit zu ziehen sind.
A. Die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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A. Die im Grundgesetz und den Landesverfassungen normierten verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO I. Die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten im Sinne der Lehre Thomas Im vorangegangenen Kapitel wurde festgestellt, dass der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne der auf der Lehre Thomas basierenden bundes- und landesrechtlichen Organstreitverfahren sowie des Bund-Länder-Streits nach Art.93 I Nr. 3 GG nicht mit dem des § 40 I 1 VwGO identisch ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Streitigkeiten nicht zugleich verfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO wären. Als der Gesetzgeber das Merkmal der Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art in § 40 VwGO aufnahm, bediente er sich eines historisch vorgeprägten Begriffs, so dass bereits vom Wortlaut her nahe liegt, dass der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO jedenfalls diejenigen Streitigkeiten umfasst, die von jeher als verfassungsrechtlich qualifiziert wurden. Dies wird durch die Entstehungsgeschichte des § 40 I 1 VwGO bestätigt. Der Hinweis des Gesetzgebers in den Motiven zu § 40 VwGO, die meisten verfassungsrechtlichen Streitigkeiten seien den Verfassungsgerichten zugewiesen, kann nur so verstanden werden, dass jedenfalls diejenigen Streitigkeiten, welche historisch als „verfassungsrechtlich“ qualifiziert wurden, auch als verfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. § 40 VwGO anzusehen sind. 1 Zu den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO sind demnach (unter anderem) all jene Verfahren zu zählen, deren Ausgestaltung durch die Lehre Thomas beeinflusst wurde. 2 Dies sind insbesondere die Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 1 GG, Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG 3 sowie die landesverfassungsrechtlichen Organstreitverfahren. 4 Der Gesetzgeber hat insbesondere durch die Schaffung des 1 Vgl. Schmitt Glaeser, Rn. 61; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 3; Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 18 ff.; VGH Kassel NVwZ 1991, 1098; hiervon geht stillschweigend auch Bethge, JuS 2001, 1100 aus. 2 Vgl. Schmitt Glaeser, Rn. 61; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 3; Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn.18 ff.; VGH Kassel NVwZ 1991, 1098; siehe bereits oben Kapitel IV A. II. 3 Schmitt Glaeser, Rn. 61; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 3; Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 18 ff.; VGH Kassel NVwZ 1991, 1098. 4 Alle Landesverfassungen kennen den Organstreit und behalten ihn den Verfassungsgerichten vor. Die landesverfassungsrechtlichen Vorschriften sind zudem in den meisten Bundesländern, wie etwa in BW (Art. 68 I Nr. 1), Berlin (Art. 84 II Nr. 1), Brandenburg (Art. 113 Nr. 1), Hamburg (Art. 65 III Nr. 2), Mecklenburg-Vorpommern (Art. 53 Nr. 1), Niedersachsen (Art. 54 Nr. 1), NRW (Art. 75 Nr. 2), Saarland (Art. 97 Nr. 1), Sachsen (Art. 81 I Nr. 1), Sachsen-Anhalt (Art. 75 Nr. 1), Schleswig-Holstein (Art.44 I Nr. 1) und Thüringen (Art.80 I Nr. 1) wortgleich zu Art. 93 I Nr. 1 GG ausgestaltet.
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
Organstreits dem historisch gewachsenen Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit eine gesetzliche Form gegeben. 5 Zu Recht wird daher aus dem historischen Blickwinkel der Organstreit als die „eigentliche Verfassungsstreitigkeit“ 6, bzw. als das „Urbild der Verfassungsstreitigkeiten“ 7 bezeichnet. Zum Teil werden die Begriffe der verfassungsrechtlichen Streitigkeit und des Organsstreits sogar synonym verwendet. 8 Daneben steht der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG 9 in der „zweite(n) Traditionslinie“ 10 verfassungsrechtlicher Streitigkeiten, welche zurückreicht bis zu den Reichsgerichten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.11 Er führt damit aus historischer Sicht zusammen mit dem Organstreitverfahren „die staatsgerichtliche Traditionslinie in der Geschichte der Verfassungsgerichtsbarkeit“ 12 fort. Der verfassungsrechtliche Charakter dieser beiden Streitigkeiten ergibt sich daraus, dass hier zentrale Subjekte des Verfassungsrechts über die Interpretation, Auslegung und Anwendung von Verfassungsrecht streiten. 13 Daher bleiben diese Verfahren ihrem Wesen nach den Verfassungsgerichten als Hütern der Bundes- und Landesverfassungen vorbehalten. Dies entspricht im Übrigen auch dem historisch gewachsenen Aufgabenkreis der Verwaltungsgerichte. Seit jeher waren nämlich Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen auf höchster Staatsebene über verfassungsmäßige Rechte und Pflichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit entzogen. 14 Wie jedoch bereits im vorangegangenen Kapitel festgestellt wurde, erschöpft sich der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO keineswegs in diesen Verfahren, da ihm sonst keine eigenständige Bedeutung zukäme. Daraus ergibt sich für die Bestimmung des Merkmals der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO, dass es die Organstreitverfahren und den Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG umfasst, ohne sich allerdings in jenen zu erschöpfen. 15 Es ist daher mit der Untersuchung fortzufahren, welche sonstigen den Verfassungsgerichten zugewiesenen Streitigkeiten als verfassungsrechtlich i. S. d. § 40 I 1 VwGO anzusehen sind. 5 BVerfGE 1, 208 (221); Benda/Klein, §26 Rn.992; Umbach/Clemens-Umbach, vor §§63 ff. Rn. 37. 6 Umbach/Clemens-Umbach, vor §§ 63 ff. Rn. 15. 7 Löwer, Rn. 27. 8 v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 95. 9 Schmitt Glaeser, Rn. 61; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 3; Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 18 ff. 10 Löwer, Rn. 27. 11 v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 133. 12 v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 Rn. 133. 13 Schmitt Glaeser, Rn. 61; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 3; Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 18 ff.; VGH Kassel NVwZ 1991, 1098. 14 Umbach/Clemens-Umbach, vor §§ 63 ff. Rn. 7. 15 Ebenso Kopp, JuS 1981, 419 (423); Bethge, Jura 1998, 529 (531); VGH Hessen, NVwZ 1991, 1098.
A. Die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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II. Sonstige verfassungsrechtliche Streitigkeiten des Grundgesetzes und der Landesverfassungen 1. Dies sind zunächst die abstrakten Normenkontrollverfahren 16 nach Art. 93 I Nr. 2, 2 a GG und den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Vorschriften. 17 Die abstrakte Normenkontrolle stellt nämlich eine weitere „Grundform (...) der Verfassungsgerichtsbarkeit“ 18 dar, 19 so dass auch sie zu den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO zu zählen ist. 20 Anders als beim Organstreit ergibt sich der verfassungsrechtliche Charakter der abstrakten Normenkontrolle nicht daraus, dass hier über die Auslegung des Grundgesetzes zu befinden wäre. So erlaubt das Verfahren nach Art. 93 I Nr. 2 GG auch die Überprüfung von Landesrecht an einfachem Bundesrecht. Auch der Umstand, dass nur bestimmte Verfassungsorgane antragsberechtigt sind, verleiht der abstrakten Normenkontrolle kein besonderes verfassungsrechtliches Gepräge. Denn genügte für die Qualifizierung der abstrakten Normenkontrolle als verfassungsrechtliche Streitigkeit, dass sie von Verfassungsorganen initiiert wird, so müsste konsequenterweise jeder durch ein Verfassungsorgan angestrengte Rechtsstreit verfassungsrechtlicher Natur sein. Der verfassungsrechtliche Charakter der abstrakten Normenkontrolle ergibt sich also weder aus dem Streitgegenstand noch aus der Rechtsnatur der Antragssteller. Verfassungsrechtlich ist die abstrakte Normenkontrolle vielmehr deshalb, weil die ihr Verfahren abschließende Entscheidung Gesetzeskraft und damit die Qualität eines Verfassungsakts erlangt. 21 Die Entscheidung steht einem förmlichen Gesetz des Parlaments gleich und entfaltet eine allgemein verbindliche Wirkung. Eine solche Bindungswirkung „inter omnes“ ist den fachgerichtlichen Entscheidungen grundsätzlich fremd. 22 Diese binden regelmäßig nur die streitbeteiligten Parteien, wirken also „inter partes“. Aufgrund dieser Allgemeinverbindlichkeit ist die abstrakte Normenkontrolle den gegenüber den einfachen Gerichten eine Ausnahmestellung zukommenden Verfassungsgerichten vorbehalten. Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Schäfer, S. 161 f. Auch die meisten Landesverfassungen sehen eine abstrakte Normenkontrolle durch die Verfassungsgerichte vor, wie etwa in BW (Art.68 I Nr. 2), Berlin (Art.84 II Nr. 2), Brandenburg (Art. 113 Nr. 2), Hamburg (Art. 65 III Nr. 3), Hessen (Art. 131), Mecklenburg-Vorpommern (Art. 53 Nr. 2), Niedersachsen (Art. 54 Nr. 3), NRW (Art. 75 Nr. 3), Rh-Pf. (Art. 130 I), Saarland (Art. 97 Nr. 2), Sachsen (Art. 81 I Nr. 2), Sachsen-Anhalt (Art. 75 Nr. 3), Schleswig-Holstein (Art. 44 I Nr. 2) und Thüringen (Art. 80 I Nr. 4). In Bayern besteht die Möglichkeit einer Popularklage, mit welcher jedermann bayrisches Landesrecht auf seine Verfassungsmäßigkeit kontrollieren lassen kann (Art. 98 S. 4). Einzig die Landesverfassung von Bremen sieht keine abstrakte Normenkontrolle vor. 18 BVerfGE 1, 208 (218). 19 Renck, DÖV 1964, 651 (652); Bartlsperger, DVBl. 1967, 360 (371). 20 Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Schäfer, S. 161 f. 21 Vgl. für den Bund § 31 II BVerfGG. Entsprechendes gilt für die landesrechtlichen abstrakten Normenkontrollen. Vgl. beispielsweise für BW §23 I 1 a) StGHG und für Rh-Pf. § 26 II VerfGHG. 22 Eine Ausnahme stellt § 47 VwGO dar. Siehe dazu unten Kapitel V C. V. 3. 16 17
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
Hier zeigt sich, dass eine Streitigkeit aus unterschiedlichen Gesichtspunkten verfassungsrechtlicher Natur sein kann. 23 Beim Organstreit ergibt sie sich aus dem zwischen den Streitparteien bestehenden verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis, bei der abstrakten Normenkontrolle aus dem Bindungsumfang des Urteils. Nicht zuletzt deshalb kann bei der Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO eine einseitige Fixierung auf die Lehre Thomas nicht überzeugen. 2. Die Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4 a, 4 b GG erfasst jedenfalls nicht ausschließlich verfassungsrechtliche Streitigkeiten, wie die Subsidiaritätsklausel des § 90 II BVerfGG beweist. 24 Aus dieser ergibt sich, dass das BVerfG auch in solchen Streitigkeiten angerufen werden kann, in welchen ursprünglich, d. h. vor dessen Erschöpfung, ein anderer Rechtsweg eröffnet war. Da Grundrechte typischerweise durch hoheitliches Handeln verletzt werden, bezieht sich die Subsidiaritätsklausel insbesondere auch auf den Verwaltungsrechtsweg i. S. d. § 40 VwGO. Damit können auch Streitigkeiten, welche nicht ihrem Wesen nach den Verfassungsgerichten vorbehalten bleiben sollen, zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemacht werden. 25 Die Verfassungsbeschwerde differenziert demnach zwischen verfassungsrechtlichen und nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten nur insoweit, als erstere sofort vor dem BVerfG behandelt werden können, wohingegen für letztere zunächst der Verwaltungsrechtsweg erschöpft werden muss, gibt jedoch selbst grundsätzlich keine Anhaltspunkte für die inhaltliche Bestimmung des Begriffs der Verfassungsstreitigkeit. Eine Ausnahme stellt jedoch die Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze dar, da der auf sie ergehenden Entscheidung gem. § 31 II 1 BVerfGG wie bei der abstrakten Normenkontrolle Gesetzeskraft zukommt. 26 Neben der abstrakten Normenkontrolle erweist sich damit auch die Rechtssatzverfassungsbeschwerde als verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO. Diese Auffassung wird durch die Rspr. des BVerfG bestätigt: Grundsätzlich überprüft das BVerfG nämlich im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nur „spezifische Grundrechtsverletzungen“ 27, nicht hingegen nur mittelbare Grundrechtsverletzungen oder die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts, 28 um nicht als „Superrevisionsinstanz“ aufzutreten. 29 Demgegenüber Vgl. Schäfer, S. 162. Entsprechendes gilt für die Landesverfassungsbeschwerde, soweit diese durch den Landesgesetzgeber eingeführt worden ist. Vgl. beispielsweise für Rh-Pf. § 44 III 1 VerfGHG. 25 Vgl. Maunz, § 30 III. 26 Entsprechendes gilt für die Rechtssatzverfassungsbeschwerde auf Landesebene. Vgl. beispielsweise für Rh-Pf. §§ 49 IV 3, 26 II VerfGHG. 27 BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 44; ders., Rechtsschutz, S. 299; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (326 f.); ders., JuS 1981, 81 (87); ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 30 f. 28 BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 44; ders., Rechtsschutz, S. 299; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (326 f.); ders., JuS 1981, 81 (87). 29 Robbers, NJW 1998, 935 (940). 23 24
A. Die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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prüft das BVerfG 30 in ständiger Rspr. bei der Rechtssatzverfassungsbeschwerde die in Streit stehende Norm auch daraufhin, ob sie mit sonstigem Verfassungsrecht vereinbar ist, auch wenn durch solche Verfassungsverstöße keine 31 oder nur mittelbar 32 Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt werden. 33 Der Prüfungsumfang bei der Rechtssatzverfassungsbeschwerde entspricht damit dem bei der abstrakten Normenkontrolle. 34 Folgerichtig hat denn auch das BVerfG im sog. AKU-Urteil 35 festgestellt, dass bei einer Erstreckung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie auf formelle Gesetze die Rechtssatzverfassungsbeschwerde ein Rechtsweg i. S. d. Art. 19 IV GG sei. 36 Diese erweiterte Prüfungskompetenz des BVerfG kann nur damit erklärt werden, dass sich das Gericht bei der Rechtssatzverfassungsbeschwerde in seinem ureigensten Kompetenzbereich bewegt, 37 mithin die Rechtssatzverfassungsbeschwerde also zu den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten zu zählen ist. 38 Ist nämlich der Rechtsweg zu den einfachen Gerichten verschlossen, so besteht die Gefahr einer „Superrevisionsinstanz“ nicht, 39 da hier das Verfassungsgericht zugleich in erster wie in letzter Instanz entscheidet. Ein Übergriff in den Kompetenzbereich der einfachen Gerichte ist daher nicht möglich, 40 so dass eine Beschränkung des BVerfG auf die Überprüfung spezifischer Grundrechtsverletzungen nicht erforderlich ist. 41 Bezeichnenderweise hat denn auch das BVerfG 42 ausdrücklich festge30 BVerfGE 1, 264 (271); E 3, 58 (74, 136, 150 ff.); E 3, 288 (333); E 3, 383 (391); E 4, 7 (13, 26); E4, 294 (295); E6, 376 (385); E7, 118 f.; E 9, 3 ff.; E 13, 1 (17); E19, 248 ff.; E 24, 49; E40, 296 (309). 31 Schumann, S. 41. 32 Schumann, S. 184; BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 44; ders., Rechtsschutz, S. 299. 33 Schenke, Rechtsschutz, S. 300; ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 59; Frenz, BayVBl. 1993, 483 (484). 34 Schumann, S. 41; allerdings hat das BVerfG in einer jüngeren Entscheidung angedeutet, dass seine Prüfungskompetenz auch bei der Rechtssatzverfassungsbeschwerde beschränkt sei [BVerfG NVwZ 1998, 169 (170)]. Da es sich hierbei jedoch lediglich um ein obiter dictum handelte, welches zudem jede Begründung vermissen ließ, darf bezweifelt werden, dass diese Entscheidung tatsächlich eine Kehrtwende in der Judikatur des BVerfG zur Rechtssatzverfassungsbeschwerde eingeleitet hat (vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1080 Fn. 16). 35 BVerfGE 24, 49. 36 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (327); ders., Rechtsschutz, S. 300; BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 45; in diesem Sinne auch Di Fabio, S. 116. 37 Schumann, S. 183: „Es ist eine typisch verfassungsgerichtliche Aufgabe, mit bindender Wirkung über das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechtssätzen zu entscheiden“; BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 44; ders., Rechtsschutz, S. 299; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (326 f.); ders., JuS 1981, 81 (87). 38 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (326); ders., JuS 1981, 81 (87); BK-Schenke, Art.19 IV Rn. 45; ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 59. 39 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (326); ders., JuS 1981, 81 (87); BK-Schenke, Art.19 IV Rn. 45. 40 Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 59. 41 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (326); ders., JuS 1981, 81 (87); BK-Schenke, Art.19 IV Rn. 45. 42 BVerfGE 1, 167 (201); E 4, 178 (188 f.).
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
stellt, dass es sich bei der prinzipalen Normenkontrolle materiell um Verfassungsgerichtsbarkeit handele. 43 3. Auch die konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 I GG ist verfassungsrechtlicher Art, da ihrer Entscheidung wie bei der abstrakten Normenkontrolle und der Rechtssatzverfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4 a und b GG gem. § 31 II BVerfGG Gesetzeskraft zukommt. 44 Der verfassungsrechtliche Charakter der konkreten Normenkontrolle ergibt sich des Weiteren auch daraus, dass nach Art. 100 I GG die Verwerfungskompetenz für formelle nachkonstitutionelle Gesetze aus Respekt vor der Stellung des Parlaments dem BVerfG bzw. dem Landesverfassungsgericht vorbehalten ist. 45 4. Zu guter letzt sind die Streitigkeiten nach Art. 18, 21 II, 41 II, 61, 98 II, V, 99 und 126 GG, auf welche in Art. 93 I Nr. 5 GG verwiesen wird, als verfassungsrechtlich zu qualifizieren, 46 da sie aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die verfassungsmäßige Ordnung dem BVerfG vorbehalten bleiben sollen und daher originär in den Aufgabenbereich der Verfassungsgerichtsbarkeit fallen.
B. Die Voraussetzungen der im Grundgesetz und den Landesverfassungen normierten verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO Nachdem nunmehr herausgearbeitet wurde, welche Verfahren vor dem BVerfG bzw. den Landesverfassungsgerichten Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Natur i. S. d. § 40 I 1 VwGO betreffen, müssen deren Voraussetzungen näher untersucht werden. Dabei können die zuvor besprochenen Normenkontrollverfahren zunächst ausgeklammert werden, da sich der verfassungsrechtliche Charakter dieser Streitigkeiten nicht aus ihren Statthaftigkeitsvoraussetzungen, sondern aus dem Bindungsumfang der gerichtlichen Entscheidung ergibt.
Schenke, JuS 1981, 81 (86). Zur Unterscheidung der Begrifflichkeiten: Die abstrakte Normenkontrolle bezeichnet die von einem gerichtlichen Verfahren losgelöste, auf eine abstrakte Meinungsverschiedenheit begründete Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG. Das Gegenstück hierzu bildet die konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 I GG. Hier entscheidet das BVerfG aus Anlass und im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens (Sachs-Sturm, Art. 100 Rn. 4). Die prinzipale Normenkontrolle bezeichnet ein Verfahren, bei welchem – im Gegensatz zur inzidenten Normenkontrolle – die Rechtmäßigkeit einer Norm als solche einziger Gegenstand des Verfahrens ist und über sie nicht nur vorfrageweise entschieden wird (Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 131). 45 Siehe hierzu näher unten Kapitel V C. V. 1. 46 Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Schäfer, S. 162. 43 44
B. Die Voraussetzungen der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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I. Der Organstreit Ein Organstreit ist nach Art. 93 I Nr. 1 GG statthaft, wenn über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter gestritten wird, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. 47 1. Die im Organstreit parteifähigen Rechtssubjekte Gem. Art. 93 I Nr. 1 GG sind im Organstreitverfahren parteifähig die „obersten Bundesorgane“ sowie „andere Beteiligte“, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. a) Die „obersten Bundesorgane“ sind die unmittelbaren Staatsorgane, die in der formellen Verfassungsurkunde konstituiert sind und an der politischen Gesamtgestaltung des Staates Anteil haben, die also eigenständig staatsleitende Funktionen wahrnehmen. 48 Zu diesen zählen die in § 63 BVerfGG aufgezählten Verfassungsorgane, nämlich der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat sowie die Bundesregierung. 49 Darüber hinaus gehören hierzu auch der Gemeinsame Ausschuss nach Art. 53 a GG aufgrund seiner Befugnisse im Verteidigungsfall 50 sowie die Bundesversammlung, da sie als Wahlorgan für den Bundespräsidenten am inneren Verfassungsleben beteiligt ist. 51 Nicht als oberstes Bundesorgan anerkannt ist demgegenüber der Wehrbeauftragte. Als bloßes Hilfsorgan des Bundestags nimmt er keine staatsleitende Funktion wahr. 52 Aus demselben Grund kann auch die Bundesbank nicht als Verfas47 Die Landesverfassungen von BW (Art. 68 I Nr. 1), Berlin (Art. 84 II Nr. 1), Brandenburg (Art. 113 Nr. 1), Hamburg (Art. 65 III Nr. 2), Mecklenburg-Vorpommern (Art. 53 Nr. 1), Niedersachsen (Art. 54 Nr. 1), NRW (Art. 75 Nr. 2), Saarland (Art. 97 Nr. 1), Sachsen (Art. 81 I Nr. 1), Sachsen-Anhalt (Art. 75 Nr. 1), Schleswig-Holstein (Art. 44 I Nr. 1) und Thüringen (Art. 80 I Nr. 1) enthalten wortgleiche Regelungen. Auf die Besonderheiten, welche sich aus den abweichenden Formulierungen in den Landesverfassungen von Bayern (Art. 64), Bremen (Art. 140), Hessen (Art. 131) und Rh-Pf. (Art. 130) ergeben, wird an gegebener Stelle eingegangen. 48 BK-Stern, Art. 93 Rn. 91 f.; Benda/Klein, § 26 Rn. 993 f.; Olschewski, S. 153; Wolnicki, LKV 1997, 313 (315); v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 102. 49 BK-Stern, Art. 93 Rn. 90; Benda/Klein, § 26 Rn. 995; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 102; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 36; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 50. 50 BK-Stern, Art. 93 Rn. 93; Benda/Klein, § 26 Rn. 995; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 102; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 36; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 50. 51 BK-Stern, Art. 93 Rn. 94; Benda/Klein, § 26 Rn. 995; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 102; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 36; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 50. 52 BK-Stern, Art. 93 Rn. 99; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 103; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 36.
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
sungsorgan qualifiziert werden, 53 zumal ihr nach der Übertragung ihrer Kernkompetenzen auf die Europäische Zentralbank ohnehin nur noch eine sehr eingeschränkte Funktion zukommt. 54 Keine Verfassungsorgane sind auch die obersten Gerichte und die Richterausschüsse, da sie an der Staatsleitung ebenfalls keinen Anteil haben. 55 b) Zu den anderen mit eigenen Rechten ausgestatteten „Beteiligten“ zählen insbesondere diejenigen Teile der obersten Bundesorgane, die im Verfassungstext ausdrücklich angesprochen sind. 56 Dies sind zunächst die mit eigenen Rechten aus dem Grundgesetz ausgestatteten Teile des Bundestags, wie der Bundestagspräsident 57, die Ausschüsse 58, bestimmte Minderheiten (ein Drittel der Mitglieder [Art. 39 III GG], ein Drittel und ein weiterer Abgeordneter [Art. 42 I 2 GG], ein Viertel der Mitglieder [Art. 44 I GG], ein Zehntel der Mitglieder [Art. 42 I GG] 59), die Fraktionen 60 und der einzelne Abgeordnete 61. Darüber hinaus sind hierzu auch das Präsidium und der Ältestenrat zu zählen. 62 Weiterhin gehören zu den „anderen Beteiligten“ die mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile des Bundesrats, nämlich der Bundesratspräsident 63, die Ausschüsse 64 und bestimmte Minderheiten, wie die Vertreter von mindestens zwei Ländern (Art. 52 II 2 GG), ein Viertel der Mitglieder (Art. 61 I 2 GG) sowie ein Drittel und eine weitere Stimme (Art. 79 II GG). 65 Auch einzelne Mitglieder des Bundesrats 66 sowie die Mitglieder eines Landes 67 sind parteifähig, nicht hingegen die Bundeslän53 BK-Stern, Art. 93 Rn.100; Benda/Klein, § 26 Rn.996; Löwer, S. 751; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 36. 54 Benda/Klein, § 26 Fn. 50. 55 BK-Stern, Art. 93 Rn. 101; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 103. 56 BK-Stern, Art. 93 Rn. 108; Benda/Klein, § 26 Rn. 1000; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 37. 57 BK-Stern, Art. 93 Rn. 111; Benda/Klein, § 26 Rn. 1002; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 105; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 37; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 51. 58 BK-Stern, Art. 93 Rn. 112; Benda/Klein, § 26 Rn. 1002; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 105; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 37; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 52. 59 BK-Stern, Art. 93 Rn. 113; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 105; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 52. 60 BK-Stern, Art. 93 Rn. 118; Benda/Klein, § 26 Rn. 1002; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 105; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 37; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 51. 61 BK-Stern, Art. 93 Rn. 117; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 106; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 37; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 51. 62 BK-Stern, Art. 93 Rn. 120. 63 BK-Stern, Art. 93 Rn. 122; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 105; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 37; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 52. 64 BK-Stern, Art. 93 Rn. 123; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 105; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 37; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 52. 65 BK-Stern, Art. 93 Rn. 124; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 105. 66 BK-Stern, Art. 93 Rn. 125; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 37. 67 BK-Stern, Art. 93 Rn. 126.
B. Die Voraussetzungen der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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der selbst und ihre Regierungen. 68 Ebenfalls parteifähig ist der Vermittlungsausschuss nach Art. 77 II GG. Er ist zwar nicht Teil eines einzelnen Bundesorgans, wird aber als gemeinsamer Teil von Bundestag und Bundesrat angesehen. 69 Als Teile der Bundesregierung sind mit eigenen Rechten ausgestattet und damit parteifähig der Bundeskanzler und jeder einzelne Bundesminister. 70 Weitere parteifähige Teile von Bundesorganen sind die Mitglieder der Bundesversammlung aufgrund ihres Rechts zur Beteiligung an der Wahl zum Bundespräsidenten 71 sowie die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses 72. c) „Andere Beteiligte“ sind auch solche Stellen, die mit den obersten Bundesorganen gleichrangig in Streit über die Abgrenzung ihrer Befugnisse geraten können. 73 Dies kann jedoch nur für solche Rechtssubjekte bejaht werden, denen wie den obersten Staatsorganen eine integrierende Funktion für das Staatsganze zukommt. 74 Als solche Stellen sind nach der ständigen Rspr. des BVerfG die politischen Parteien anerkannt, 75 nicht hingegen „sonstige politische Vereinigungen“ 76. d) Entsprechendes gilt für das Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG, § 71 I Nr. 3 BVerfGG und die meisten Landesorganstreitverfahren. 77 Hier sind insbesondere parteifähig die Landesparlamente, die Landesregierungen, die Ministerpräsidenten, die einzelnen Staatsminister, die Landesverbände der politischen Parteien und die in den Verfassungen oder Geschäftsordnungen mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe wie insbesondere die Landtagsfraktionen und die Abgeordneten. 78 e) Demgegenüber sind das Staatsvolk und der Aktivbürger im Rahmen einer Wahl, eines Volksbegehrens oder eines Volksentscheids nach allgemeiner Meinung im OrBK-Stern, Art. 93 Rn. 126. BK-Stern, Art. 93 Rn. 128; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 37. 70 BK-Stern, Art. 93 Rn. 96, 129 ff.; Benda/Klein, § 26 Rn. 995; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 102; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 36; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 50. 71 BK-Stern, Art. 93 Rn. 133. 72 BK-Stern, Art. 93 Rn. 134. 73 BK-Stern, Art. 93 Rn. 136; BVerfGE 13, 54 (95 f.). 74 BK-Stern, Art. 93 Rn. 136. 75 BVerfGE 1, 208 (223 ff.); E 4, 27 (30 f.); E 43, 142 (149); E 44, 125 (136 f.); BVerfG NJW 1981, 1359; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 106; kritisch BK-Stern, Art. 93 Rn. 139; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 38; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 51. 76 BVerfGE 74, 96 (100 f.); v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 106. 77 Besonderheiten bestehen allerdings in Bayern, Bremen, Hessen und in Rh-Pf. So können in Bayern (Art. 64 LVerf) und Bremen (Art.140 LVerf) nur die Verfassungsorgane und ihre Teile, nicht hingegen „andere Beteiligte“ im Organstreit parteifähig sein; die Hessische Landesverfassung enthält eine abschließende Aufzählung der Antragsberechtigten (Art. 131 LVerf) und in Rh-Pf. können auch Körperschaften des öffentlichen Rechts einen Organstreit einleiten, wenn sie sich durch ein Gesetz oder eine sonstige Handlung eines Verfassungsorgans in eigenen Rechten verletzt sehen (Art. 130 LVerf). 78 Benda/Klein, § 29 Rn. 1119. 68 69
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
ganstreit nicht parteifähig. 79 Dies ergibt sich bereits daraus, dass bei Wahlen und Volksabstimmungen nicht der Staat organschaftlich vertreten durch das Volk handelt. 80 Das Volk ist nicht ein durch die Verfassung konstituiertes Organ des Staatsapparats, sondern übt selbst originäre Staatsgewalt aus, wohingegen die Organe des Staates vom Volk abgeleitete sekundäre Staatsgewalt ausüben. 81 Der Staatsapparat mit seinen Organen erlangt nämlich seine demokratische Legitimation erst durch das Volk. Das Volk ist damit dem Staatsapparat vorgeordnet. 82 Davon abgesehen, scheitert die Parteifähigkeit auch daran, dass das Volk keine „stets präsente, handlungsfähige Einheit“ 83 darstellt. Mangels Organisation und funktionsfähiger Struktur kann es daher nicht Partei in einem gerichtlichen Verfahren sein. 84 Auch die durch das Bestreben gekennzeichnete Entstehungsgeschichte der Organstreitverfahren, den Kreis der parteifähigen Rechtsträger gegenüber der Weimarer Reichsverfassung keinesfalls zu erweitern, sondern ihn im Gegenteil einzugrenzen, 85 spricht gegen die Parteifähigkeit des Staatsvolks, welches bereits unter der Geltung des Art.19 WRV nicht parteifähig war. 86 Daraus folgt zugleich, dass auch der einzelne Aktivbürger nicht in Prozessstandschaft Rechte des Staatsvolks geltend machen kann. 87 Eine Prozessstandschaft ist nämlich nur zulässig, wenn das Organ, dessen Rechte eines seiner Teile geltend macht, selbst vor dem Verfassungsgericht parteifähig ist. 88 Im Übrigen dürfte ohnehin spätestens seit Einführung des Art. 93 I Nr. 4 a GG zweifellos feststehen, dass der Bürger seine Aktivrechte aus Art. 38 I 1 GG nur mit der Verfassungsbeschwerde verfolgen kann. 89 Wäre der Verfassungsgeber davon ausgegangen, dass der Aktivbürger im Organstreit parteifähig ist, so hätte es der Einbeziehung des Art. 38 I 1 GG in Art. 93 I Nr. 4 a GG als mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbares Recht nicht bedurft. Demgegenüber hat der Verfassungsgeber in der Verfassungsbeschwerde Art. 38 GG den Grundrechten gleichgestellt und damit zum Ausdruck ge79 BVerfGE 13, 54 (85, 95); Benda/Klein, § 26 Rn. 997 und § 29 Rn. 1120; BK-Stern, Art. 93 Rn. 102; v. Münch, Art. 93 Rn. 29; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 103; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 36. 80 BVerfGE 60, 175 (201); H. Meyer, § 37 Rn. 4; Lorenz, S. 247; v. Münch, Art. 93 Rn. 29; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 153; Wolnicki, LKV 1997, 313 (315); a. A. Goessl, S. 130; Clemens, S. 1276. 81 BVerfGE 60, 175 (201); H. Meyer, § 37 Rn. 4; Lorenz, S. 247; v. Münch, Art. 93 Rn. 29; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 153; Wolnicki, LKV 1997, 313 (315); a. A. Goessl, S. 130; Clemens, S. 1276. 82 BVerfGE 60, 175 (201); H. Meyer, § 37 Rn. 4; Lorenz, S. 247; v. Münch, Art. 93 Rn. 29; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 153; Wolnicki, LKV 1997, 313 (315); a. A. Goessl, S. 130; Clemens, S. 1276. 83 BVerfGE 13, 54 (85). 84 Benda/Klein, § 26 Rn. 997 und § 29 Rn. 1120; BK-Stern, Art. 93 Rn. 102; Goessl, S. 131. 85 Benda/Klein, § 26 Rn. 993; Umbach/Clemens-Umbach, vor §§ 63 ff. Rn. 15 mit ausführlichen Nachweisen in der Entstehungsgeschichte. 86 Clemens, S. 1276. 87 Benda/Klein, § 26 Rn. 997; Klein, S. 567; Lorenz, S. 248. 88 BVerfGE 13, 54 (84, 95); Benda/Klein, § 26 Rn. 997; Klein, S. 567; Lorenz, S. 248; a. A. Goessl, S. 131. 89 Clemens, S. 1277.
B. Die Voraussetzungen der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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bracht, dass die Ausübung des Wahlrechts ein demokratisches Grundrecht des Bürgers ist und keine verfassungsorganschaftliche Kompetenz. Damit handelt der Bürger bei der Beteiligung an einer Wahl oder Volksabstimmung als „Jedermann“, also als Grundrechtsträger und nicht als (Quasi-)Verfassungsorgan. 90 f) Außerordentlich umstritten ist, ob unter „anderen Beteiligten“ auch der Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe zu fassen sind. Dies wird zum Teil bejaht, da die Rechnungshöfe mit eigenen Rechten aus dem Grundgesetz bzw. den Landesverfassungen ausgestattet seien. 91 Indessen greift diese Argumentation zu kurz. Für den Bund folgt aus der Gleichstellung der „anderen Beteiligten“ mit den „obersten Bundesorganen“ in Art. 93 I Nr. 1 GG, dass die „anderen Beteiligten“ eine mit den obersten Bundesorganen vergleichbare Rechtsstellung innehaben müssen. 92 Dass sie mit eigenen Rechten aus dem Grundgesetz ausgestattet sind, genügt daher entgegen dem Wortlaut des Art. 93 I Nr. 1 GG für sich alleine nicht. 93 So steht außer Zweifel, dass z. B. Gemeinden, Richter oder die Bundesfinanzverwaltung nicht im Organstreit parteifähig sind, obwohl ihnen durch das Grundgesetz in Art. 28, 97 und 108 GG eigene Rechte zugewiesen sind. Auch die Rechtsposition des Bundesrechnungshofs ist nicht mit der eines obersten Verfassungsorgans vergleichbar. 94 Er ist nämlich gem. § 1 BRHG als oberste Bundesbehörde und damit als Teil der Verwaltung ausgestaltet. 95 Dementsprechend wirkt der Bundesrechnungshof auch 90 Wolnicki, LKV 1997, 313 (315); BVerfGE 60, 175 (201); BVerfG NJW 1998, 293 (294); BayVerfGHE n. F. 21, 202; H. Meyer, § 37 Rn. 4; Lorenz, S. 247; v. Münch, Art. 93 Rn. 29; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 153; a. A. Lerche, S. 87, Fn. 29; VGH Kassel NVwZ 1991, 1098; OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); VGH Kassel NVwZ 1991, 1098; OVG Münster NJW 1974, 1671; VG Potsdam LKV 1997, 338; Goessl, S. 130; Clemens, S. 1276; Bethge, NJW 1975, 77. 91 VG Düsseldorf NJW 1981, 1396 (1397); BK-Vogel/Kirchhof, Art. 114 Rn. 179; Haverkate, AöR 107 (1982), 539 (557); Kopp, JuS 1981, 419 (424); Tiemann, DÖV 1975, 405 (408); Dreier-Heun, Art. 114 Rn. 19; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 102; a. A. BVerfGE 74, 69 (75 f.). 92 Maunz/Dürig-Maunz, Art. 114 Rn. 25; entsprechendes ist den größtenteils wortgleichen Regelungen der Landesverfassungen von BW, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, NRW, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, SchleswigHolstein und Thüringen zu entnehmen. Auch in Bayern ist der Landesrechnungshof nicht parteifähig, da nach Art.64 LVerf der Organstreit nur zwischen „den obersten Staatsorganen oder in der Verfassung mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile eines obersten Staatsorgans“ statthaft ist. In Hessen ist der Landesrechnungshof ebenfalls nicht parteifähig, da er in Art. 131 LVerf nicht genannt ist. Etwas anderes gilt hingegen in Rh-Pf., wo auch Körperschaften des öffentlichen Rechts antragsbefugt sind, „soweit sie geltend machen, durch das Gesetz oder die sonstige Handlung eines Verfassungsorgans in eigenen Rechten verletzt zu sein“ (Art. 130 I LVerf). 93 VGH Kassel NVwZ-RR 1994, 511 (512); NVwZ-RR 1994, 515 (516). 94 Benda/Klein, § 26 Rn. 996; BVerfG JöR 6 (1957), 194 (197); Maunz/Dürig-Maunz, Art. 114 Rn. 25; v. Mangoldt-Kyrill-A. Schwarz, Art. 114 II Rn. 78; Sachs-Siekmann, Art. 114 Rn. 25; Goessl, S. 121; VGH Kassel NVwZ-RR 1994, 511 (512); NVwZ-RR 1994, 515 (516); OVG Münster NJW 1980, 137 (138). 95 VGH Kassel NVwZ-RR 1994, 511 (512); NVwZ-RR 1994, 515 (516); OVG Münster NJW 1980, 137 (138); Maunz/Dürig-Maunz, Art. 114 Rn. 25; kritisch Krebs, VerwArch 71 (1980), 77 (83).
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
nicht – wie für ein Verfassungsorgan prägend 96 – gestaltend am Verfassungsleben des Bundes mit, 97 da er nicht unmittelbar an der obersten staatlichen Willensbildung beteiligt ist und ihm die Befugnis fehlt, verbindliche Entscheidungen zu treffen. 98 Entsprechendes gilt für die Rechnungshöfe der Länder. Auch sie nehmen keine mit einem Verfassungsorgan vergleichbare Stellung im Verfassungsgefüge ein, so dass sie ebenfalls nicht als parteifähig im Organstreit angesehen werden können. 99 Im Fortgang dieser Arbeit werden die vorgenannten im Organstreit parteifähigen Rechtssubjekte zusammenfassend als „Verfassungsrechtssubjekte“ bezeichnet. 2. Die rechtliche Beziehung zwischen den streitbeteiligten Verfassungsrechtssubjekten a) Der Streitigkeit muss ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis zugrunde liegen Für die Statthaftigkeit eines Organstreitverfahrens genügt es nicht, dass sich zwei Verfassungsrechtssubjekte streiten. Vielmehr ist erforderlich, dass Antragsteller und Antragsgegner in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zueinander stehen. 100 Ein solches Rechtsverhältnis nimmt das BVerfG in ständiger Rspr. dann an, wenn der Antragsteller geltend macht, der Antragsgegner habe ihn in Ausübung einer verfassungsrechtlichen Kompetenz in einem durch die Verfassung begründeten Recht verletzt. 101 Der Organstreit setzt daher eine Streitigkeit über zweierlei voraus: Zum einen müssen die Parteien über die Ausübung einer verfassungsrechtlichen Kompetenz des Antragsgegners streiten; zum anderen um ein durch die Verfassung begründetes Recht des Antragstellers, welches durch die Kompetenzausübung mutmaßlich verletzt worden ist. 102 Als Beispiel sei die Klage eines Abgeordneten gegen die Aufhebung seiner Immunität 103 genannt: Dieser Streitigkeit liegt ein verfassungsrechtliches RechtsverhältBK-Vogel/Kirchhof, Art. 114 Rn. 177. VGH Kassel NVwZ-RR 1994, 511 (512); NVwZ-RR 1994, 515 (516). 98 OVG Münster NJW 1980, 137 (138); Maunz/Dürig-Maunz, Art. 114 Rn. 25; a. A. Belemann, DÖV 1990, 58 (59); ders., DÖV 1979, 684 unter Hinweis auf überragende Bedeutung Rechnungshöfe für die parlamentarische Budget-Kontrolle. 99 Vgl. beispielsweise für Hessen VGH Kassel NVwZ-RR 1994, 511 (512); NVwZ-RR 1994, 515 (516). 100 Pestalozza, § 7 Rn. 9 m. w. Nachw. aus der Rspr. des BVerfG; Clemens, S. 1278. 101 BVerfGE 67, 100 (123); E 60, 374 (379); E 28, 97 (102 f.); E 27, 152 (156 f.). 102 BVerfGE 67, 100 (123); E 60, 374 (379); E 28, 97 (102 f.); E 27, 152 (156 f.). Diese Rspr. ist auf die Organsstreitverfahren der Länder übertragbar. Da die Organstreitverfahren auf Bundes- und Landesebene dieselbe historische Wurzel in Art. 19 WRV haben und darüber hinaus sich sowohl die Väter des Grundgesetzes als auch die der Landesverfassungen von der Lehre Thomas leiten ließen, können die landesverfassungsrechtlichen Vorschriften zum Organstreitverfahren nicht anders interpretiert werden als die grundgesetzlichen. 103 BVerfG DVBl. 2002, 193. 96 97
B. Die Voraussetzungen der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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nis zugrunde, da über die Reichweite der Rechte des Abgeordneten aus Art. 38 GG einerseits und über die Kompetenz des Bundestags zur Aufhebung der Immunität nach Art. 46 II GG andererseits gestritten wird. 104 Darüber hinaus kann etwa auch das Begehren einer politischen Partei auf Mitwirkung im Rundfunkrat Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein. In BVerfGE 60, 53 klagte eine politische Partei gegen das Parlament, weil dieses durch die Verabschiedung des Gesetzes zum Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk den Antragsteller in seinem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 GG i.V. m. Art. 3 I GG verletzt habe. Der Rechtsweg zum BVerfG war gegeben. Die Streitparteien standen in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis, da sowohl die Gesetzgebungskompetenz als auch das Recht auf Chancengleichheit dem Grundgesetz entspringen. Auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit der in § 44 b II AbgG enthaltenen Regelung zur Überprüfung von Bundestagsabgeordneten auf Stasi-Tätigkeit kann zum Gegenstand eines Organstreits gemacht werden, da über Umfang und Reichweite der Gesetzgebungskompetenz einerseits und dem Abgeordnetenstatus andererseits gestritten wird. Damit stehen sich auch hier Abgeordneter und Bundestag in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis gegenüber. 105 Streitigkeiten über Koalitionsvereinbarungen sind hingegen nicht im Organstreit verfolgbar, da nicht über Rechte und Pflichten aus dem Grundgesetz oder den Landesverfassungen, sondern ausschließlich aus der Koalitionsvereinbarung gestritten wird. 106 Der Bruch einer Koalition zwischen politischen Parteien verletzt den Koalitionspartner insbesondere nicht in seinem Recht aus Art. 21 GG. Die Norm gewährt keinen Anspruch der „mitregierenden“ Partei auf Durchsetzung ihrer im Koalitionsvertrag niedergelegten politischen Ziele. 107 Entsprechendes gilt für Koalitionsvereinbarungen zwischen Fraktionen. Auch hier kommt bei einem Koalitionsbruch keine Verletzung einer Fraktion in ihrem verfassungsrechtlich abgesicherten Status in Betracht. Der Organstreit ist demnach unstatthaft. 108 Richtigerweise muss man Koalitionsvereinbarungen als rein politisch, nicht rechtlich bindende Abreden ansehen, denen jede Rechtsnatur fehlt und die demnach ohnehin nicht als zivilrechtlich, verwaltungsrechtlich oder verfassungsrechtlich qualifiziert werden können. 109 Koalitionsverträge können zum einen nicht die Entscheidungen der VerfassungsorVgl. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 173. BVerfG NJW 1996, 2720; BVerfG NJW 1998, 3040; BVerfG NJW 1998, 3041; BVerfG NJW 1998, 3042. 106 BK-Schenke, Art. 63 Rn. 22; Ule, JZ 1959, 501 (502). 107 Rupp, AöR 85 (1960), 149 (157); Schulze-Fielitz, JA 1992, 332 (335). 108 Rupp, AöR 85 (1960), 149 (157); Schulze-Fielitz, JA 1992, 332 (335). 109 BK-Schenke, Art. 63 Rn. 25 ff.; Kopp/Schenke, § 40 Rn. 36; Stern, Bd. 1, § 13 IV 3; Schulze-Fielitz, JA 1992, 332 (334) m. w. Nachw.; a. A. Schüle, S. 43; Rupp, AöR 85 (1960), 149 (157); Ule, JZ 1959, 501; Jung, DÖV 1984, 197 (203): verfassungsrechtlicher Vertrag; wieder anders BGHZ 29, 187: verwaltungsrechtlicher Vertrag. 104 105
5 Kraayvanger
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gane verbindlich festlegen. 110 Schon deshalb kann ihnen allenfalls eine nur sehr beschränkte Bindungswirkung zukommen. So stellen auch diejenigen Stimmen in der Literatur, welche die Koalitionsvereinbarung als verfassungsrechtlichen Vertrag ansehen, die Verbindlichkeit des Vertrags unter den Vorbehalt, dass die Parteien die Abrede weiterhin für politisch opportun halten und lehnen zudem eine Justiziabilität von Koalitionsbrüchen ab. 111 Dann ist es aber nur konsequent, der Koalitionsvereinbarung von vornherein jede rechtliche Bindungswirkung abzusprechen, zumal es einer solchen nicht bedarf, um Koalitionsvereinbarungen effektiv werden zu lassen. In der Regel werden Koalitionsabreden nämlich bereits aufgrund ihrer hohen faktisch-politischen Bindungswirkung eingehalten. Die fehlende rechtliche Bindungswirkung zeigt sich im Übrigen auch darin, dass für den Fall eines Koalitionsbruchs keine rechtlichen Sanktionen vereinbart werden. 112 Bezeichnenderweise ist es denn auch bislang kein einziges Mal vorgekommen, dass der Bruch eines Koalitionsvertrags gerichtlich geltend gemacht worden ist. 113 b) Es muss unmittelbar um formelles Verfassungsrecht gestritten werden Es fragt sich, ob ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis auch aus materiellem Verfassungsrecht außerhalb des Grundgesetzes bzw. der Landesverfassungen begründet werden kann. Dies ist abzulehnen. Aus dem klaren Wortlaut des Art. 93 I Nr. 1 GG („dieses Grundgesetzes“) und der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Vorschriften 114 folgert die ganz überwiegende Meinung 115 zu Recht, dass die Verfassungsrechtssubjekte über die Auslegung des Grundgesetzes bzw. der jeweiligen Landesverfassung streiten müssen. 116 Streitigkeiten über Rechte und Pflichten aus einfachen Gesetzen, auch wenn sie zum materiellen Verfassungsrecht gehören, reichen daher nicht. 117 Es kommt damit entscheidend darauf an, dass unmittelbar um Friauf, AöR 88 (1963), 257 (309). BK-Schenke, Art. 63 Rn. 25; Stern, Bd. 1, § 13 IV 3; Schüle, S. 70. 112 Schulze-Fielitz, JA 1992, 332 (334). 113 Schulze-Fielitz, JA 1992, 332 (335). 114 Die Organstreitverfahren in BW, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, MecklenburgVorpommern, Niedersachsen, NRW, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen beziehen sich ihrem Wortlaut nach ebenfalls ausschließlich auf die formelle Verfassung. Demgegenüber fehlt es an einem ausdrücklichen Bezug auf die geschriebene Verfassung in Bayern, Hessen und Rh-Pf. Jedoch sind auch in diesen Bundesländern die Organstreitverfahren auf formell verfassungsrechtliche Streitigkeiten zu begrenzen, da andernfalls eine exakte Abgrenzung des Umfangs der Organstreitverfahren nicht möglich wäre. Zu den Unsicherheiten bei der Bestimmung des materiellen Verfassungsrechts außerhalb der formellen Verfassung siehe näher unten Kapitel V C. I. 2. a) bb). 115 Maunz/Dürig-Herzog, Art. 93 Rn. 13; BK-Stern, Art. 93 Rn. 148; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 39; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 1 Rn. 109; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 48. 116 Maunz/Dürig-Herzog, Art. 93 Rn. 13; a. A. Goessl, S. 62. 117 BK-Stern, Art. 93 Rn. 148. 110 111
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Kompetenzen und Rechte aus formellem Verfassungsrecht gestritten wird. 118 Auseinandersetzungen über einfachgesetzlich normierte Kompetenzen und Rechte genügen demgegenüber grundsätzlich selbst dann nicht, wenn ihnen ein formell verfassungsrechtlicher Gesetzgebungsauftrag zugrunde liegt 119 oder sie formell verfassungsrechtliche Kompetenzen und Rechte ausgestalten. 120 Etwas anderes ist jedoch dann anzunehmen, wenn die einfachgesetzliche Regelung lediglich deklaratorisch eine Vorschrift des Grundgesetzes oder der Landesverfassung wiederholt. 121 Denn dann richtet sich der Streit mangels eigenständiger einfachgesetzlicher Regelung letztlich nicht nach der einfachgesetzlichen Vorschrift, sondern rein nach dem Grundgesetz bzw. der Landesverfassung. 122 Der einfache Gesetzgeber kann einem Verfassungsgericht eine ihm zugewiesene Streitigkeit nicht durch eine schlichte einfachgesetzliche Wiederholung der Verfassungsnormen entziehen. 123 Eine solche deklaratorische Wiederholung ist nicht nur dann anzunehmen, wenn die einfachgesetzliche Vorschrift die Verfassungsnorm wörtlich wiederholt, sondern auch dann, wenn die Vorschrift eine Regelung trifft, welche durch die Verfassung zwingend gefordert wird, wenn also nach der Verfassung keine andere Regelung als die gerade getroffene zulässig ist, mit anderen Worten nicht verschiedene verfassungskonforme Regelungen denkbar sind. 124 Klagt beispielsweise ein Bundestagsabgeordneter einen Entschädigungsanspruch ein, 125 so macht er einen Anspruch aus § 11 AbgG geltend. Insofern wird also nicht um Rechte und Pflichten aus dem Grundgesetz gestritten. Zwar ist der Entschädigungsanspruch grundgesetzlich in Art. 48 III 1 GG normiert. Gleichwohl kann der Abgeordnete seinen Entschädigungsanspruch aber nicht unmittelbar auf diese grundgesetzliche Vorschrift stützen, weil sein Anspruch eine einfachgesetzliche Ausgestaltung gefunden hat, welche dem verfassungsrechtlichen Entschädigungsanspruch vorgeht. Nicht die verfassungsrechtliche Vorgabe des Art. 48 III 1 GG trägt den Entschädigungsanspruch unmittelbar, sondern die einfachgesetzlichen Vorschriften des AbgG. 126 Etwas anderes würde nur gelten, wenn die einfachgesetzliche Regelung lediglich deklaratorisch Art. 48 III 1 GG wiederholen würde. Dies ist bei den Vorschriften über die Abgeordnetenentschädigung jedoch nicht der Fall. Es Maunz/Dürig-Herzog, Art. 93 Rn. 13; BK-Stern, Art. 93 Rn. 148. Bethge, Jura 1998, 529 (530): „Die fachgerechte Aufarbeitung des einfachen Gesetzesrechts – gegebenenfalls unter Einbeziehung der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist allein Aufgabe der sachnäheren Fachgerichtsbarkeit ...“; Lerche, S. 82. 120 Lerche, S. 82; Bethge, Jura 1998, 529 (530). 121 BVerfGE 42, 103 (115); BVerwG NJW 1985, 2344 (2345); Lerche, S. 83; vgl. auch Haug, S. 154 und Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 5. 122 BVerfGE 42, 103 (115); BVerwG NJW 1985, 2344 (2345); Lerche, S. 83. 123 Lerche, S. 83. 124 Vgl. BVerfGE 42, 103 (115); Lerche, S. 82 f. 125 Zur Anfechtung eines Entschädigungsfestsetzungsbescheids durch einen Abgeordneten siehe unten Kapitel V B. I. 2. e). 126 So zutreffend BVerwG NJW 1985, 2344 (2345); siehe auch BVerwG NJW 1990, 462. 118 119
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
ist offenkundig eine Vielzahl von mit Art. 48 III 1 GG vereinbaren Entschädigungsregeln denkbar. Dass der grundgesetzliche Entschädigungsanspruch einer einfachgesetzlichen Ausgestaltung bedarf, welche über eine deklaratorische Wiederholung hinausgeht, ergibt sich im Übrigen aus Art. 48 III 3 GG, wonach die nähere Regelung einem Bundesgesetz vorbehalten ist. 127 Die Vorschriften über die Abgeordnetenentschädigung weisen damit den Charakter einfachen Rechts auf 128 und sind folglich nicht in der Lage, ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis zu begründen. Ein Abgeordneter kann folglich seinen Entschädigungsanspruch nicht im Organstreitverfahren durchsetzen. 129 Bei Streitigkeiten zwischen einer politischen Partei und dem Bundestagspräsidenten über die Vergabe von Mittel zur Parteienfinanzierung 130 ist ebenfalls entscheidend, ob sich die politische Partei und der Bundestagspräsident in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis gegenüber stehen. Der Anspruch einer politischen Partei auf staatliche Finanzierung ergibt sich aus § 18 PartG und damit nicht aus dem Grundgesetz, sondern aus einfachem Recht. 131 Demgegenüber gewährt Art. 21 GG keinen Anspruch auf Finanzmittel. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. 132 Gleichwohl kann eine Partei geltend machen, durch die Verweigerung von Wahlkampfkosten in ihrem verfassungsrechtlichen Status betroffen zu sein, konkret in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 GG i.V. m. Art. 3 I GG. Dieses Recht kann verletzt sein, wenn zwar nicht der Partei, wohl aber dem politischen Gegner die Wahlkampfkosten erstattet werden. Dennoch fehlt es auch in diesem Fall an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis. Bei der Vergabe der Wahlkampfkostenhilfe handelt der Bundestagspräsident nämlich nicht in seiner Eigenschaft als Verfassungs- sondern als Verwaltungsorgan. 133 Er nimmt keine ihm durch das Grundgesetz übertragene Kompetenz wahr. Rechtsgrundlage für die Erstattung von Wahlkampfkosten durch den Bundestagspräsident ist nämlich nicht das Grundgesetz, sondern § 19 PartG. Daher kann beispielsweise die Forderung einer politischen Partei gegen den Bundestagspräsidenten auf Auszahlung einer Abschlagszahlung auf die staatliche Parteienfinanzierung nicht Gegenstand eines Organstreits sein. 134 Dasselbe gilt, wenn sich die politische Partei mit einer Anfechtungsklage gegen den Verwaltungsakt des Bundestagspräsidenten wendet, mit welchem die Rückforderung von Wahlkampfkostenvorschüssen verlangt wird. 135 Auch hier nimmt der BK-v. Arnim, Art. 48 Rn. 53 ff. Lerche, S. 82. 129 Vgl. BVerwG NJW 1985, 2344. 130 Zur Parteienfinanzierung allgemein Morlok, NJW 2000, 761. 131 BVerfGE 27, 152 (157); E 28, 97 (102 f.); BVerwG NJW 1985, 2346. 132 Sachs, Art. 21 Rn. 95. 133 BVerfGE 27, 152 (157); BVerwG NJW 1985, 2346; Kunig, Jura 1990, 386 (387). 134 BVerfG, 2. Senat v. 11. Juni 2002, Az. 2 BvQ 27/02; OVG Münster, NVwZ 2000, 336; Bäcker, NVwZ 2000, 284. 135 BVerwG NJW 1980, 2092. 127 128
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Bundestagspräsident keine ihm durch das Grundgesetz übertragene Kompetenz wahr, so dass es an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten fehlt. Streitgegenstand ist hier allein die Rechtmäßigkeit des auf einfachem Recht basierenden Verwaltungsakts, so dass die Voraussetzungen für ein Organstreitverfahren nicht vorliegen. Im Übrigen teilt die Rückforderung von Wahlkampfkostenvorschüssen als Kehrseite der Zuschussgewährung deren Rechtsnatur, so dass auch unter diesem Aspekt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit abzulehnen ist. Begehrt eine politische Partei hingegen gegen den Bundestag und Bundesrat die Feststellung, durch das Recht der staatlichen Parteienfinanzierung in ihrer Chancengleichheit verletzt zu sein, liegen die Voraussetzungen für ein Organstreitverfahren vor. 136 Im Verhältnis zwischen der politischen Partei und dem Bundestag und Bundesrat besteht in diesem Fall ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis, da die politische Partei geltend macht, die Antragsgegner hätten sie in Ausübung ihrer grundgesetzlich verankerten Gesetzgebungskompetenz in ihrem durch das Grundgesetz gewährten Recht auf Chancengleichheit verletzt. Entsprechendes gilt bei Streitigkeiten zwischen einer Fraktion und dem Parlament anlässlich der Gewährung von Fraktionsmitteln. 137 Auch hier ist zu fragen, ob zwischen den Streitparteien ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis besteht. Der Anspruch einer Bundestagsfraktion auf Gewährung von Geld- und Sachleistungen aus dem Bundeshaushalt ist in § 50 I AbgG 138 begründet und wurzelt damit in einfachem Recht. Art. 38 I GG gewährt demgegenüber keinen unmittelbaren Anspruch auf die Ausstattung mit Geldleistungen in einer bestimmten Höhe. Zwar ist der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 50 AbgG einem in Art. 38 I GG begründeten verfassungsrechtlichen Auftrag nachgekommen, den Fraktionen die für ihre Tätigkeit erforderlichen Mittel bereitzustellen. 139 Dies führt jedoch nicht dazu, dass ein Finanzierungsanspruch aus § 50 I AbgG im Organstreitverfahren verfolgt werden könnte. Ob und in welcher Höhe ein Anspruch auf Fraktionsmittel besteht, richtet sich nämlich ausschließlich nach der einfachgesetzlichen Vorschrift des § 50 I AbgG und nicht nach Art. 38 I GG. § 50 I AbgG stellt auch keine deklaratorische Wiederholung des Art. 38 I GG dar, sondern konkretisiert und gestaltet den in Art. 38 I GG angelegten Finanzierungsanspruch aus. Weiterhin nimmt auch der Bundestagspräsident bei der Gewährung von Fraktionsmitteln keine ihm durch das Grundgesetz übertragene Kompetenz war, sondern wird als eine die Haushaltsmittel verwaltende Behörde aufgrund einfachen Gesetzesrechts tätig. 140 Der Organstreit ist daher auch BVerfG NVwZ 2002, 845. Zur Rechtsnatur von Streitigkeiten über die Rückforderung von Fraktionsmitteln siehe unten Kapitel V B. I. 2) e). 138 Hierzu allgemein Schmidt-Jortzig/Hansen, NVwZ 1994, 1145 (1147 f.); Morlok, NJW 1995, 29 (30); zur Zulässigkeit der staatlichen Finanzierung von Fraktionen siehe BVerfGE 20, 56 (104); E 62, 194 (202). 139 Braun/Jantsch/Klante, § 50 Rn. 5. 140 Vgl. BVerfGE 27, 152 (157); Kunig, Jura 1990, 386 (387). 136 137
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für Streitigkeiten anlässlich der Gewährung oder der Rückforderung von Fraktionsmitteln unstatthaft. 141 c) Sonderfall: Streitigkeiten über Bestimmungen der Geschäftsordnungen Besonderheiten ergeben sich für Rechte und Pflichten aus den Geschäftsordnungen der Verfassungsorgane. Hierbei ist zunächst zu differenzieren zwischen deklaratorischen und konstitutiven Normen der Geschäftsordnungen. Deklaratorisch sind diejenigen Regelungen, die Normen aus der Verfassung oder auch dem einfachem Recht lediglich wiederholen, wie zum Beispiel § 1 I GO BT oder § 7 II 1 GO BT, welche den verfassungsrechtlichen Vorschriften der Art. 39 II GG und Art. 40 II 1 GG entsprechen, oder § 7 IV GO BT, der § 176 BBG wiederholt. 142 Solche Normen haben keine eigenständige Bedeutung, so dass für die Bestimmung der Rechtnatur der Streitigkeit auf die hinter den deklaratorischen Vorschriften stehenden Rechtsnormen zurückzugreifen ist. 143 Für die konstitutiven Normen ist weiter zu differenzieren zwischen Vorschriften, die allein Teile eines Verfassungsorgans untereinander berechtigen und verpflichten und solchen, welche Rechte und Pflichten zwischen verschiedenen Verfassungsorganen statuieren, wie z. B. die Interpellationsvorschriften der §§ 100 ff. GO BT. Da eine Geschäftsordnung immer nur innerhalb eines Organs Wirkung entfaltet, 144 sind nämlich Geschäftsordnungsvorschriften, die Rechte und Pflichten zwischen verschieden Verfassungsorganen begründen sollen, ohne rechtliche Bindungswirkung, so dass ihre Verletzung von vornherein ausscheidet. 145 Für die organinternen konstitutiven Normen ist zuletzt zu unterscheiden zwischen dem mutmaßlich verletzten Recht und der ausgeübten Kompetenz. So soll es für das Organstreitverfahren nicht genügen, dass der Antragsteller die Verletzung eines Rechts aus der Geschäftsordnung geltend macht. 146 Daher können allein mit Geschäftsordnungsrechten ausgestattete Organteile nur die verfassungsrechtlichen Befugnisse ihrer Organe geltend machen, nicht hingegen eigene Rechte. 147 Demgegenüber soll der Organsstreit auch dann statthaft sein, wenn sich die angegriffene Kompetenz aus der Geschäftsordnung ergibt, solange der Antragsteller nur geltend macht, hierdurch in einem formellen Verfassungsrecht verletzt zu sein. 148 Diese DifferenEyermann-Rennert, § 40 Rn. 24; a. A. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 193. Für weitere Bspe. siehe Haug, S. 57 f. 143 Haug, S. 154. 144 v. Mangoldt-Achterberg/Schulte, Art. 40 Rn. 39. 145 Haug, S. 154. 146 Dreier-Morlok, Art. 40 Rn. 22. 147 BK-Stern, Art. 93 Rn. 150. 148 Maunz/Dürig-Klein, Art. 40 Rn. 56; v. Mangoldt-Achterberg/Schulte, Art. 40 Rn. 61; BVerfGE 60, 374 (379); E 27, 152 (157); E 28, 97 (103). 141 142
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zierung zwischen streitiger Kompetenz und streitigem Recht ist sachgerecht. Macht ein Teil eines Verfassungsorgans geltend, in einem ihm nicht durch die Verfassung, sondern ausschließlich durch die Geschäftsordnung gewährten Recht verletzt zu sein, so ist es gerechtfertigt, ihm den Rechtsschutz über das Organstreitverfahren zu versagen. Ist das Recht nämlich nicht unmittelbar durch die Verfassung selbst gewährt, sondern allein durch die Geschäftsordnung, ist es von nur untergeordneter Bedeutung und bedarf nicht desselben Schutzes wie die in der Verfassung selbst niedergelegten Rechte. Demgegenüber wäre es verfehlt, das Organstreitverfahren auch dann auszuschließen, wenn ein durch die formelle Verfassung unmittelbar begründetes Recht in Ausübung einer allein durch die Geschäftsordnung übertragenen Kompetenz verletzt wurde. Die Konsequenz wäre nämlich, entweder dem verletzten Verfassungsorganteil jeglichen Rechtsschutz zu verweigern – und dadurch die durch die Verfassung gewährten Rechte in erheblichem Umfang zu entwerten – oder aber unter Verneinung einer Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art i.S.d. §40I1 VwGO Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte zu gewähren. Dies würde jedoch wiederum bedeuten, dass die Verwaltungsgerichte in innerorganschaftliche Kompetenzstreitigkeiten eines Verfassungsorgans eingreifen könnten, was nicht nur ihrem traditionellen Aufgabengebiet der Verwaltungskontrolle widerspräche, sondern darüber hinaus auch der Ratio des Organstreitverfahrens zuwiderliefe, die Kontrolle der Verfassungsorgane in ihrem verfassungsrechtlichen Status den Verfassungsgerichten vorzubehalten. 149 Für die Rechtsnatur einer Streitigkeit über die Zulässigkeit von Ordnungsmaßnahmen des Bundestagstagspräsidenten gegenüber einem Abgeordneten gilt daher Folgendes: Solche Ordnungsmaßnahmen sind insbesondere der Sachruf (§ 36 S. 1 GO BT), der Ordnungsruf (§ 36 S. 2 GO BT), die Wortentziehung (§ 37 GO BT), der Sitzungsausschluss (§ 38 GO BT) sowie die Unterbrechung der Sitzung (§ 40 GO BT). Bei Streitigkeiten um die Zulässigkeit solcher Ordnungsmaßnahmen besteht zwischen dem Abgeordneten und dem Parlamentspräsidenten ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis, da die Parteien über den Umfang der Rechte und Pflichten aus der parlamentarischen Ordnungs- und Disziplinargewalt des Bundestagspräsidenten einerseits und aus dem Abgeordnetenstatus andererseits streiten.150 Die Disziplinargewalt des Bundestagspräsidenten ist als Bestandteil der durch Art.40 I 2 GG gewährleisteten Geschäftsordnungsautonomie eine verfassungsrechtliche Kompetenz, welche in den Vorschriften der §§ 36 ff. GO BT konkretisiert und ausgestaltet wurde. 151 Die Kompetenznormen der §§ 36 ff. GO BT sind konstitutiv, da sowohl der Bundestagspräsident als auch der Abgeordnete Teile desselben Verfassungsorgans sind. Ihre Auslegung und Anwendung kann daher Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein. Träger der Ordnungsmacht ist zwar nicht der Bundestagspräsident sondern das Parlament. 152 Gleichwohl ist der Parlamentspräsident im Organstreit passiv 149 150 151 152
Siehe hierzu näher unten Kapitel V C. I. 2. a) cc). BVerfGE 60, 374 (379); Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 181; Achterberg, JuS 1983, 840 (843). BVerwGE 44, 308 (315); Köhler, DVBl. 1992, 1577 (1578). Ritzel/Bücker/Schreiner, Vorbem. zu §§ 36–41, Anm. 1. b).
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legitimiert, da er nach § 7 GO BT die Ordnungsgewalt in eigener Verantwortung und unabhängig ausübt. 153 Insbesondere dürfen seine Maßnahmen im Bundestag nicht diskutiert oder durch Beschluss des Hauses geändert werden.154 Daher kann der Abgeordnete im Organstreit gegen den Bundestagspräsidenten geltend machen, er habe ihn bei der Ausübung der Ordnungsgewalt in seinem Abgeordnetenstatus nach Art. 38 I GG verletzt. 155 d) Es muss über materielles Verfassungsrecht innerhalb der formellen Verfassung gestritten werden Neben dem Erfordernis eines Streits über formell verfassungsrechtliche Kompetenzen und Rechte verlangt der Organstreit darüber hinaus, dass die in Streit stehenden Kompetenzen und Rechte auch materiell dem Verfassungsrecht zuzurechnen sind. 156 Eine solche materiell verfassungsrechtliche Norm kann nur angenommen werden, wenn sie ein Verfassungsrechtssubjekt als solches verpflichtet, also gerade in seiner verfassungsrechtlichen Funktion 157 und nicht nur als Verwaltungsbehörde. Die Kompetenz muss also gerade dem Verfassungsrechtssubjekt vorbehalten sein. 158 Hingegen liegt rein formelles Verfassungsrecht vor, wenn das Grundgesetz bzw. die Landesverfassung einem Verfassungsrechtssubjekt eine Aufgabe zuweist, welche nicht denknotwenig ihm vorbehalten werden muss, welche also auch von einer Verwaltungsbehörde erfüllt werden könnte. 159 Daher sind unter materiellem Verfassungsrecht insbesondere alle staatsleitenden Kompetenzen 160 zu verstehen, wohingegen rein unterstützende Hilfstätigkeiten dem materiellen Verwaltungsrecht zuzuordnen sind. 161 Demgemäß ist beispielsweise die Klage eines Abgeordneten oder einer Fraktion gegen die Auflösung des Bundestags und die Anordnung von Neuwahlen 162 verfassungsrechtlicher Art. 163 Antragsgegner im Organstreitverfahren ist der Bundespräsident. 164 Dieser handelt in Ausübung seiner durch Art. 68 GG verliehenen materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz. Die Auflösung des Bundestags ist eine Aufgabe, die gerade ihm als höchstem Verfassungsorgan übertragen wird, so dass der Bundes153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164
Maunz/Schmidt-Bleibtreu, § 64 Rn. 22. Troßmann, § 7 Rn. 34. BVerfGE 60, 374. Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (173); Hufen, § 11 Rn. 71. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 156; Di Fabio, S. 109. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 156; Di Fabio, S. 110. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 156. Kassimatis, 186. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 156. Vgl. Schenke, NJW 1982, 2521 ff. Lücke, JZ 1983, 380 (382); BK-Schenke, Art. 68 Rn. 192 ff. BK-Schenke, Art. 68 Rn. 193.
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präsident hier gerade in seiner Rolle als Verfassungsorgan und nicht lediglich verwaltend tätig wird. Darüber hinaus entspringt auch das mutmaßlich verletzte Recht dem materiellen Verfassungsrecht. Der Rechtsstreit entscheidet sich bei dem Antrag durch einen Abgeordneten danach, ob dieser in seiner durch Art.38 GG geschützten Rechtsstellung verletzt ist. 165 Eine Fraktion kann demgegenüber geltend machen, dass die Auflösung des Bundestags dem Recht des Bundestags auf Fortbestand entgegenstehe. 166 Daneben können auch die im Bundestag vertretenen Parteien einen Organstreit anstrengen. Sie können geltend machen, dass die Auflösung des Bundestags ihr durch Art. 21 GG garantiertes Recht auf politische Mitwirkung an der Willensbildung verletze. 167 Der Bürger kann hingegen bereits mangels Parteifähigkeit kein Organstreitverfahren initiieren. 168 Darüber hinaus sind auch solche Vorschriften dem materiellen Verfassungsrecht zuzuweisen, die die innere Organisation eines Verfassungsrechtssubjekts betreffen, wie etwa die Geschäftsordnungsautonomie nach Art.40I1 GG. 169 Daher können auch Vorschriften der Geschäftsordnungen der Verfassungsorgane zum Gegenstand eines Organstreits gemacht werden. 170 So kann beispielsweise ein Abgeordneter im Organstreitverfahren geltend machen, eine Vorschrift der Geschäftsordnung des Bundestags beeinträchtige sein Recht auf freies Mandat. 171 Das verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis ergibt sich daraus, dass einerseits über den Umfang der materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz des Bundestags aus Art. 40 I 2 GG und andererseits um das Recht des Abgeordneten aus Art.38I GG gestritten wird. Entsprechendes gilt für die Klage einer Gruppe im Bundestag gegen eine Bestimmung der Geschäftsordnung (§ 10 I 1 GO BT), wonach dieser der Fraktionsstatus vorzuenthalten ist. 172 Demgegenüber ist für Streitigkeiten zwischen einem Abgeordneten oder einer Fraktion und dem Bundestagspräsidenten um die Ausübung des Hausrechts und der Polizeigewalt nach Art. 40 II GG ein Organstreitverfahren nicht statthaft. 173 Diese Kompetenz des Bundestagspräsidenten stammt zwar unmittelbar aus dem Grundgesetz, ist jedoch gleichwohl nicht zum materiellen Verfassungsrecht zu rechnen. Hausrecht und Polizeigewalt tragen nämlich nur mittelbar zur Funktionserfüllung des Parlaments bei. Sie dienen primär nicht dessen innerer Organisation, sondern BK-Schenke, Art. 68 Rn. 197. BK-Schenke, Art. 68 Rn. 198. 167 BK-Schenke, Art. 68 Rn. 199. 168 BK-Schenke, Art. 68 Rn. 189; dazu, dass dem Bürger auch der Verwaltungsrechtsweg verschlossen ist, siehe unten Kapitel V C. I. 2. b) cc). In Betracht käme daher allenfalls eine Verfassungsbeschwerde (siehe Kapitel VII), welche jedoch im Ergebnis wegen einer offensichtlich fehlenden Verletzung in eigenen Rechten ausscheidet. 169 Vgl. Dreier-Morlok, Art. 40 Rn. 19; Maunz/Dürig-Klein, Art. 40 Rn. 56; v. MangoldtAchterberg/Schulte, Art. 40 Rn. 59. 170 Dreier-Morlok, Art. 40 Rn. 19; Maunz/Dürig-Klein, Art. 40 Rn. 56; v. Mangoldt-Achterberg/Schulte, Art. 40 Rn. 59. 171 BVerfGE 80, 188 (209). 172 BVerfG NJW 1998, 3037. 173 Vgl. Kopp/Schenke, § 40 Rn. 33; Di Fabio, S. 109; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 156. 165 166
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vielmehr der Abwehr von äußeren Gefahren. 174 Hierin liegt der entscheidende Unterschied zwischen Hausrecht und Polizeigewalt einerseits und der in der Geschäftsordnungsautonomie wurzelnden Ordnungsgewalt gegenüber Abgeordneten andererseits, welche Gegenstand eines Organstreits sein kann. 175 Die in der Geschäftsordnung des Bundestags ausgestaltete Ordnungsgewalt des Bundestagspräsidenten dient der inneren Ordnung des Parlaments. Sie besteht daher zum einen nur gegenüber den Abgeordneten als Teilen des Bundestags und ermächtigt zum anderen nur zu Ordnungsmaßnahmen während der Parlamentssitzung selbst. 176 Diese innere Ordnung des Bundestags muss aufgrund der Geschäftsordnungsautonomie nach Art. 40 I 2 GG denknotwendig ihm selbst vorbehalten sein, könnte also nicht von einer untergeordneten Verwaltungsbehörde geleistet werden. Demgegenüber schützen Hausrecht und Polizeigewalt das Parlament vor Störungen von außen, sei es durch Zuschauer, sei es durch Abgeordnete außerhalb der Sitzung.177 Bei dem Recht zur Abwehr externer Gefahren handelt es sich anders als bei der Ordnungsgewalt nicht um eine Aufgabe, die dem Parlamentspräsidenten gerade in seiner Eigenschaft als Verfassungsorgan übertragen ist. Es liegt mit anderen Worten keine staatsleitende Kompetenz vor, die zwingend einem Verfassungsrechtssubjekt vorbehalten bleiben muss. Die Gefahrenabwehr ist vielmehr eine polizeiliche und damit typischerweise verwaltende Tätigkeit. Der Parlamentspräsident handelt hier daher nicht als Verfassungsorgan, sondern als Verwaltungsbehörde. 178 Hierbei macht es auch keinen Unterschied, ob der Parlamentspräsident die Polizeigewalt gegenüber Zuhörern und sonstigen Besuchern anwendet oder aber gegenüber den Abgeordneten. Letztere unterliegen nämlich ebenfalls der Polizeigewalt, 179 so dass Maßnahmen des Hausrechts und der Polizeigewalt sowohl gegenüber den Zuschauern als auch gegenüber den Abgeordneten stets auf derselben Kompetenznorm des Art. 40 II GG basieren. Demgemäß kann dem Bad.-Württ. StGH 180 nicht gefolgt werden, wenn er in einem Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der Sperrung des Informationstelefons einer Fraktion durch den Parlamentspräsidenten ein Organstreitverfahren für statthaft hielt. Der Parlamentspräsident handelte außerhalb der Parlamentssitzung und damit nicht in Ausübung seiner verfassungsrechtlichen Ordnungsgewalt, sondern Kraft der ihm nach Art. 32 LV BW übertragenen Polizeigewalt. Er trat daher als Verwaltungsbehörde auf. Zwar erkennt auch der Bad.-Württ. StGH an, dass es sich bei der Polizeigewalt nicht um eine materiell verfassungsrechtliche Kompetenz handelt. 181 Gleichwohl fährt er fort: „Im vorliegenden Sachverhalt geht es jedoch um einen Rechtsstreit zwischen Beteiligten, die sämtlich Verfassungsstatus i. S. von Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 LV Köhler, DVBl. 1992, 1577 (1579). Siehe oben Kapitel V B. I. 2. c). 176 Vgl. Köhler, DVBl. 1992, 1577 (1583). 177 Vgl. Köhler, DVBl. 1992, 1577 (1583). 178 Einhellige Auffassung; vgl. z. B. Kopp/Schenke, § 40 Rn. 33; Di Fabio, S. 109; SchochEhlers, § 40 Rn. 156. 179 Köhler, DVBl. 1992, 1577 (1583). 180 Bad.-Württ. StGH, DVBl. 1988, 632; kritisch hierzu Weichert, DVBl. 1988, 635. 181 Bad.-Württ. StGH, DVBl. 1988, 632 f. 174 175
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haben, und welcher im Kern nicht so sehr Fragen des materiellen Polizeirechts berührt, sondern die Frage, in welcher Weise die Rechte und Pflichten des vor allem durch Art. 27 Abs. 3 LV konstituierten Abgeordnetenstatus im Verhältnis zu den immerhin auch im formellen Verfassungsrecht wurzelnden Befugnissen des Landtagspräsidenten nach Art.32 LV abzugrenzen sind“ 182. Das Gericht versucht hier also, die Rechtsnatur der Streitigkeit nach dem „Kern“ des Rechtsstreits zu bestimmen. Wie bereits ausgeführt, ist dieses Kriterium jedoch zur Rechtswegabgrenzung untauglich. 183 Vielmehr ist darauf abzustellen, ob zwischen den Streitparteien ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis besteht. Demnach hätte der Bad.-Württ. STGH den Antrag der Fraktion als im Organstreit unstatthaft abweisen müssen. Genauso wenig zum formell-materiellen Verfassungsrecht zählen Petitionsentscheidungen, da es sich bei ihnen nicht um Entscheidungen handelt, welche gerade den Verfassungsrechtssubjekten vorbehalten sind. 184 Unter den „zuständigen Stellen“ i. S. d. Art. 17 GG sind nämlich nicht nur Verfassungsrechtssubjekte zu verstehen, sondern alle unmittelbar und mittelbar staatlichen Organe sowie sonstige dem Staat zuzurechnende Stellen. 185 Die Pflicht zur Beantwortung von Petitionen ist mit anderen Worten nicht exklusiv den Verfassungsrechtssubjekten in ihrer staatsleitenden Funktion vorbehalten, so dass Art. 17 GG kein formell-materielles Verfassungsrecht darstellt. Dementsprechend liegt selbst dann keine Streitigkeit um formell-materielles Verfassungsrecht vor, wenn die Entscheidung vom Petitionsausschuss des Parlaments gem. Art. 45 c GG getroffen worden ist. Der Ausschuss wird hier ebenfalls nicht in seiner Eigenschaft als Verfassungsorgan tätig, sondern tritt vielmehr als Verwaltungsbehörde auf. 186 e) Das verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis muss Hauptgegenstand des Rechtsstreits sein Konstitutiv für die Statthaftigkeit eines Organstreitverfahrens ist darüber hinaus, dass die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich begründeter Kompetenzen und Rechte Hauptgegenstand der Auseinandersetzung sind und nicht lediglich Vorfragen. Die Rechtsnatur einer Vorfrage beeinflusst demgegenüber niemals die Rechtsnatur der Streitigkeit selbst. 187 Nimmt beispielsweise eine Ordnungsbehörde einen Bürger als Zustandsstörer auf die Beseitigung von Altlasten in Anspruch und trägt dieser vor, gar nicht Eigentümer des betroffenen Grundstücks zu sein, so mögen die rechtlichen Überlegungen zur Klärung der Eigentumsverhältnisse noch so Bad.-Württ. StGH, DVBl. 1988, 632 (633). Siehe oben Kapitel IV C sowie sogleich. 184 Im Ergebnis ebenso Burmeister, Rn. 59; BVerfG NVwZ 1989, 953; BVerwG NJW 1976, 637 (638); NJW 1991, 936 (937); VGH München BayVBl. 1981, 211 (212); BayVBl. 1986, 386; OVG Bremen DVBl. 1990, 1363; offengelassen BayVerfGH NJW 1983, 809 (810). 185 BK-Stettner, Art. 17 Rn. 67. 186 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 190 m. w. Nachw. 187 Stelkens, DVBl. 2000, 609 (614). 182 183
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umfassend und für den Ausgang des Rechtsstreits relevant sein, ohne dass die Streitigkeit dadurch zu einer zivilrechtlichen würde. 188 Nichts anderes kann für die Abgrenzung zwischen Verwaltungs- und Verfassungsrechtsweg gelten. 189 Verfassungsrechtliche Vorfragen können somit durch die Verwaltungsgerichte inzident überprüft werden und sind daher nicht rechtswegbestimmend. 190 So ist beispielsweise die Anfechtung eines Entschädigungsfestsetzungsbescheids des Bundestagspräsidenten durch einen Abgeordneten 191 mit der Begründung, der Bescheid entspreche zwar den Vorschriften des Abgeordnetengesetzes, sei aber dennoch rechtswidrig, weil seine Rechtsgrundlage nicht mit Art. 48 III 1 GG vereinbar sei, nicht im Organstreit verfolgbar. Zwar richtet sich der Ausgang des Rechtsstreits danach, ob der Gesetzgeber bei der Schaffung des AbgG seine verfassungsrechtlich gewährte Gesetzgebungskompetenz überschritten und den Abgeordneten in seinem verfassungsrechtlich gesicherten Status aus Art. 38 I GG verletzt hat. Gleichwohl ist ein Organstreit unstatthaft, weil das verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis gerade zwischen Antragsteller und Antragsgegner, hier also zwischen dem Abgeordneten und dem Bundestagspräsidenten bestehen muss. Die Frage nach Umfang und Reichweite des Abgeordnetenstatus einerseits und der Gesetzgebungskompetenz des Bundestags andererseits sind demgemäß nur Vorfragen, welche inzident bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Festsetzungsbescheids beantwortet werden müssen. 192 Für den Rechtsweg ist daher nur die Rechtsnatur des angegriffenen Feststellungsbescheids entscheidend. Dieser wird jedoch vom Bundestagspräsidenten nicht in Ausübung einer grundgesetzlichen Kompetenz erlassen, sondern findet seine Rechtsgrundlage im AbgG. 193 Folglich ist der Organstreit für die Anfechtung eines Entschädigungsfestsetzungsbescheids des Bundestagspräsidenten durch einen Abgeordneten unstatthaft. 194 Anders ist die Situation hingegen, wenn der Abgeordnete sich unmittelbar gegen den Bundestag wendet und geltend macht, durch ein Gesetz des Parlaments in seinem Abgeordnetenstatus verletzt zu sein. 195 Hier ist die Frage, ob das Parlament Vgl. Lange, S. 104. Kopp, JuS 1981, 419 (422); siehe bereits oben Kapitel IV C. 190 Stelkens, DVBl. 2000, 609 (614); Lange, S. 104; Kopp, JuS 1981, 419 (422). 191 Zur Verpflichtungsklage eines Abgeordneten auf Entschädigung siehe oben Kapitel V B. I. 2. b). 192 Gelangt ein Fachgericht zu dem Ergebnis, dass die formell gesetzliche Rechtsgrundlage des Festsetzungsbescheids verfassungswidrig ist, muss es gem. Art. 100 I GG eine konkrete Normenkontrolle initiieren. 193 Siehe bereits oben Kapitel V B. I. 2. b). 194 Dasselbe gilt für eine Klage auf Gewährung der Abgeordnetenentschädigung. Siehe hierzu oben Kapitel V B. I. 2. b). 195 BVerfGE 4, 144 (148); ebenso BVerfGE 64, 301 (313, 316); LS: „Greift ein Abgeordneter eines Landtags die gesetzliche Ausgestaltung seines Status als Abgeordneter (hier: die Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Entschädigung und Versorgung) als verfassungswidrig an, so ist ihm hierfür der Rechtsweg des Organstreits zum Landesverfas188 189
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durch die Ausgestaltung des einfachgesetzlichen Entschädigungsanspruchs grundgesetzliche Rechte des Abgeordneten verletzt hat, nicht eine inzident zu beantwortende Vorfrage, sondern der eigentliche Streitgegenstand des Rechtsstreits. Zwischen den Streitparteien besteht demnach ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis, weil der Antragsteller geltend macht, der Antragsgegner habe ihn in Ausübung der verfassungsrechtlichen Gesetzgebungskompetenz in seinem grundgesetzlich begründeten Abgeordnetenstatus verletzt. Entsprechendes gilt für die Rückforderung von Fraktionszuschüssen wegen zweckwidriger Verwendung. Die Rückforderung ist die Kehrseite zur Gewährung der Fraktionsmittel und teilt damit deren Rechtsnatur. 196 Stehen bei der Gewährung von Fraktionsmitteln der Bundestagspräsident und die Fraktion in keinem formell verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zueinander, so kann für den umgekehrten Akt der Rückforderung nichts anderes angenommen werden. Somit liegen die Voraussetzungen für ein Organstreitverfahren nicht vor. 197 Demgegenüber bejahte der BremStGH die Zulässigkeit eines Organstreits in einem Rechtsstreit, in welchem die Bremer Bürgerschaft von der Fraktion der DVU gem. § 37 BremAbgG a. F. Fraktionsmittel zurückverlangte, weil die DVU diese missbräuchlich verwendet habe. Der Staatsgerichtshof führte hierzu aus: „Der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens wurzelt im materiellen Verfassungsrecht. Die unter den Bet. streitige Frage, ob die Ag. die ihr zugeflossenen Mittel zurückzuzahlen hat, ist staatsrechtlicher Art. Die Entscheidung des Rechtsstreits erfordert eine Klärung der rechtlichen Beziehungen zwischen der Bremischen Bürgerschaft insgesamt und Untergliederungen (Teilorganen) der Bürgerschaft zueinander, die z. T. in der Landesverfassung selbst, zu anderen Teilen aber in der Geschäftsordnung und ergänzend durch ungeschriebene Rechtsgrundsätze geregelt werden“ 198. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Zwar kommt es für die Frage, ob die Fraktion die Mittel zweckwidrig verwendet hat, in der Tat auf den Umfang ihrer verfassungsmäßig gewährten Rechte und Pflichten an. Diese Frage ist jedoch nicht Streitgegenstand des Verfahrens, sondern allein eine Vorfrage, über welche auch die Verwaltungsgerichte befinden können und welche daher nicht rechtswegsbestimmend ist. Entscheidend für die Statthaftigkeit des Organstreitverfahrens ist allein die Rechtsnatur des Rückforderungsanspruchs selbst. Dieser wurzelt aber in einfachem Recht. 199 Der Parlamentspräsident nimmt hier also keine formell-materiell verfassungsrechtliche Kompetenz wahr, so dass es an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis fehlt. 200 sungsgericht ... eröffnet“; BVerfGE 80, 188 (213); VerfGH NW, NWVBl. 1995, 291(292); BVerfG DVBl. 2000, 1600 (1601); BVerfGE 102, 245. 196 Siehe zu dieser eingehend oben Kapitel V B. I. 2. b). 197 Im Ergebnis ebenso Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 24; Pestalozza, NJW 1986, 33. 198 BremStGH, NVwZ 1997, 786; ähnlich BVerwG NJW 1985, 2346. 199 Der Rückforderungsanspruch für durch einen Verwaltungsakt gewährte Leistungen ist heute in den meisten Bundesländern in § 49 a LVwVfG normiert. Für den Bund gilt § 49 a BVwVfG. 200 Im Ergebnis ebenso Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 24; a. A. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 193; BremStGH, NVwZ 1997, 786.
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
Ein Organstreit wäre demgegenüber statthaft gewesen, wenn die Bürgerschaft die Feststellung begehrt hätte, die Fraktion habe die Fraktionsmittel missbräuchlich verwendet. Dann wäre nämlich die Frage nach dem Umfang der verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten der Fraktion der Hauptgegenstand des Rechtsstreits und nicht lediglich eine Vorfrage gewesen. Dasselbe gilt entgegen dem BVerwG 201, wenn nicht das Parlament auf die Rückerstattung der Fraktionszuschüsse klagt, sondern umgekehrt eine Fraktion einen auf eine zweckwidrige Mittelverwendung gestützten Rückforderungsbescheid des Parlamentspräsidenten anfechtet. 202 Auch hier sind die verfassungsrechtlichen Fragen, welchem Zweck die Zuschüsse gewidmet sind und wofür sie verwendet werden dürfen, lediglich Vorfragen, welche nicht rechtswegsbestimmend sind. Der Organstreit ist daher unstatthaft. Für die Anfechtung eines Rückforderungsbescheids von Fraktionsmitteln kann im Übrigen nichts anderes gelten als für die Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit welchem Parteizuschüsse zurückgefordert werden. 203 Auch die Rückforderung von zweckwidrig verwendeten Parteizuschüssen hängt von der verfassungsrechtlichen Vorfrage ab, inwieweit die Mittelverwendung mit dem der politischen Partei nach Art. 21 I GG zugewiesenen Aufgabenkreis vereinbar ist. 204 Hier wie dort handelt der Parlamentspräsident aber nicht in Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz, so dass es an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis fehlt. Hingegen ist der Organstreit statthaft, wenn eine Fraktion gegenüber dem Bundestag geltend macht, die Vorschrift des § 50 I AbgG selbst verletze sie in ihrem Recht aus Art. 38 I GG. Denn hier ist streitentscheidend, ob der Bundestag durch die Schaffung des § 50 I AbgG die Fraktion in ihrem verfassungsrechtlichen Status verletzt hat. Mithin wird hier also über die Reichweite grundgesetzlich fundierter Rechte und Pflichten gestritten. 205 f) Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung muss nicht dargelegt sein Für die Statthaftigkeit eines Organstreits ist nicht erforderlich, dass der Antragsteller die Möglichkeit einer Verletzung in einem durch die Verfassung begründeten Recht darlegen kann. So ist beispielsweise die Klage einer politischen Partei gegen ein Gesetz über die Neueinteilung der Wahlkreise verfassungsrechtlicher Art. Zwischen der politischen Partei und dem Parlament als Antragsgegner besteht ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis, da die Antragstellerin geltend macht, der Antragsgegner habe sie in Ausübung seiner verfassungsrechtlichen GesetzgeBVerwG NJW 1985, 2346. So auch Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 24. 203 Siehe oben Kapitel V B. I. 2. b). 204 In diesem Sinne auch Pestalozza, NJW 1986, 33. 205 Dasselbe gilt für die Klage einer Fraktion gegen die Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Operationen der NATO: BVerfG DVBl. 1999, 706. 201 202
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bungskompetenz in ihrem Status aus Art. 21 I 1 GG verletzt. 206 Dass im konkreten Fall das BVerfG den Antrag als unzulässig abwies, weil eine Rechtsverletzung der politischen Partei offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen war, ändert an diesem Befund nichts. Bei der Prüfung des Rechtswegs ist nämlich allein entscheidend, ob über die Verletzung verfassungsrechtlicher Rechte gestritten wird. Ob eine solche Verletzung tatsächlich möglich ist, oder ob sie offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen ist, ist demgegenüber keine Frage des Rechtswegs sondern der Antragsbefugnis. Die Prüfung der Antragsbefugnis setzt jedoch voraus, dass ein Rechtsweg überhaupt eröffnet ist und ist daher nachrangig zu behandeln. g) Verfassungsrechtliche Streitigkeiten kraft Sachzusammenhangs Eine Streitigkeit kann ausnahmsweise auch aus ihrem Sachzusammenhang heraus im Organstreit verhandelbar sein. So ist beispielsweise im Zusammenhang mit Streitigkeiten über die Auflösung des Bundestags auch die Festsetzung des Wahltermins im Organstreit überprüfbar. 207 Zwar ergibt sich die Befugnis des Bundestagspräsidenten zur Bestimmung des Wahltags nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz, sondern aus § 16 BWahlG. Sie wird jedoch als grundlegender staatsorganisatorischer Akt mit Verfassungsfunktion vom Grundgesetz in Art. 39 I und II GG vorausgesetzt. 208 Die Kompetenz zur Festsetzung des Wahltags steht damit in einem unlösbaren Sachzusammenhang zur verfassungsrechtlichen Befugnis des Bundespräsidenten, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen. Es würde daher eine im Ergebnis nicht nachvollziehbare Rechtswegsaufspaltung bedeuten, wenn die Überprüfung der Auflösung des Bundestags und die Anordnung von Neuwahlen dem BVerfG obläge, während es über die Rechtmäßigkeit der damit untrennbar zusammenhängenden Festsetzung des Wahltermins nicht befinden könnte. Die Kompetenz zur Festsetzung des Wahltermins teilt daher als Annex-Kompetenz zur Bundestagsauflösung deren Rechtsnatur. 209
II. Der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG Wie bereits ausgeführt, stellt der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG eine weitere verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO dar. Ist über Art. 93 I Nr. 3 GG der Rechtsweg zum BVerfG eröffnet, bedeutet dies somit zugleich, dass der Verwaltungsrechtsweg verschlossen ist. Eine Kollision zwischen den Zuständigkeiten von Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit scheidet daher aus. 210 BVerfG NVwZ 2002, 70. Vgl. BayVerfGHE n. F. 27, 119 (124 f.); Schenke, NJW 1981, 2440 (2444); Seifert, DÖV 1953, 365 (366). 208 Schenke, NJW 1981, 2440 (2444). 209 BVerfGE 62, 1 (31). 210 Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 4. 206 207
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
1. Die Voraussetzungen für einen Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG Wie beim Organstreit müssen auch beim Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG die geltend gemachten Ansprüche einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis entspringen. 211 Ein solches ist anzunehmen, wenn der Antragsteller geltend macht, durch den Antragsgegner in Ausübung seiner ihm durch die Verfassung übertragenen Kompetenz in einem verfassungsmäßigen Recht verletzt zu sein. 212 Hingegen ist nicht erforderlich, dass der Antragsteller die ernsthafte Möglichkeit einer Rechtsverletzung darlegen kann. 213 Diese ist erst bei der Antragsbefugnis zu prüfen. Ganz wie beim Organstreit gilt weiterhin auch beim Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG, dass einfachgesetzliche Regelungen, welche ein Gebot des Grundgesetzes umsetzen, den Rückgriff auf die ausgestaltete Verfassungsnorm versperren. 214 Streitigkeiten über einfachgesetzlich ausgestaltete Kompetenzen und Rechte sind damit grundsätzlich nichtverfassungsrechtlicher Art, es sei denn, das Verfassungsrecht würde keine andere Regelung als die gerade getroffene zulassen. 215 Im Gegensatz zu Art. 93 I Nr. 1 GG erfasst Art. 93 I Nr. 3 GG allerdings nach überwiegender Meinung auch Streitigkeiten über materielles Verfassungsrecht außerhalb des Grundgesetzes. 216 Da der Verfassungsgeber den Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG anders als den Organstreit nicht auf Streitigkeiten über Rechte und Pflichten aus dem Grundgesetz begrenzt habe, sei davon auszugehen, dass Art. 93 I Nr. 3 GG dieselbe Reichweite wie seine Vorgängervorschrift Art. 19 WRV besitze, welche ebenfalls Streitigkeiten über materielles Verfassungsrecht außerhalb der Verfassung erfasste. 217 Diese Nuance zwischen dem Bund-LänderStreit und dem Organstreit ist aber weitgehend theoretischer Natur, da Verfassungsrecht außerhalb des Grundgesetzes für das Bund-Länder-Verhältnis kaum eine Rolle spielt. 218
211 BVerfG DVBl. 2002, 546; DVBl. 2001, 636; NJW 1998, 219; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 63; Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 50; Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 5; Redeker/ v. Oertzen, § 50 Rn. 2; Eyermann-Schmidt, § 50 Rn. 3. 212 Vgl. oben Kapitel V B. I. 2. a). 213 Vgl. oben Kapitel V B. I. 2. f). 214 Vgl. oben Kapitel V B. I. 2. b). 215 BVerfGE 42, 103 (115); Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 5. 216 Benda/Klein, Rn. 1067. 217 Vgl. Goessl, S. 62; Ule, JZ 1959, 501. 218 BK-Stern, Art. 93 Rn. 347. Relevant kann diese Fallkonstellation allenfalls bei Streitigkeiten um verfassungsrechtliche Verträge zwischen Bund und Ländern werden. Siehe hierzu unten Kapitel V C. III.
B. Die Voraussetzungen der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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2. Anwendungsfälle des Bund-Länder-Streits nach Art. 93 I Nr. 3 GG Im Einzelfall kann freilich problematisch sein, ob die Voraussetzungen für ein Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG vorliegen. Der Vizepräsident des BVerfG a. D. Mahrenholz hält es gar für eine „fast unlösbare Aufgabe“ 219, den richtigen Rechtsweg zu bestimmen. Dessen ungeachtet sollen im Folgenden zwei besonders strittige Fallgruppen durchleuchtet werden.
a) Weisungen aa) Greift ein Land eine vom Bund gem. Art. 85 III GG erlassene Weisung mit der Begründung an, die Weisung erfülle nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen, sei es, weil die Weisung auf einem Gebiet ergangen sei, welches schon gar nicht zur Bundesaufsicht gehöre, sei es, weil der Inhalt der Weisung von dem möglichen Umfang der Bundesaufsicht nach Art. 85 IV GG abweiche, liegt unproblematisch eine Streitigkeit nach Art. 93 I Nr. 3 GG vor. 220 Bund und Land stehen sich hier in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis gegenüber, da das Land geltend macht, der Bund habe bei Ausübung seiner formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz aus Art. 85 III GG das Land in seinem verfassungsmäßigen Recht aus Art. 83 GG verletzt. 221 bb) Weiterhin ist ein Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG unstreitig dann statthaft, wenn der Bund die Weigerung eines Landes angreift, seinen Weisungen zu folgen. Die Befolgung der Weisungen ist nämlich eine Verfassungspflicht des Landes nach Art. 85 III 3 GG, 222 so dass Bund und Land auch hier in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zueinander stehen. cc) Höchst umstritten ist hingegen die Frage, ob eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. Art. 93 I Nr. 3 GG auch dann anzunehmen ist, wenn das Land geltend macht, die Weisung erfülle zwar die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 85 GG, verstoße aber inhaltlich gegen einfaches Recht. Dass die Zulässigkeit einer solchen Klage letztendlich jedenfalls an der Klagebefugnis scheitern würde, 223 ist für die Rechtswegbestimmung unerheblich. Die Überprüfung der Klagebefugnis setzt Mahrenholz, ZRP 1997, 129 (132). BVerfG DVBl. 2000, 1282; Benda/Klein, Rn. 1068; Lerche, BayVBl. 1987, 321 (323); Lange, S. 100; Winter, DVBl. 1985, 993 (996). 221 Winter, DVBl. 1985, 993 (996). 222 BVerfGE 84, 25; hierzu Ossenbühl, DVBl. 1991, 833; Benda/Klein, Rn. 1068, Fn. 46 m. w. Nachw. 223 Vgl. Benda/Klein, Rn. 1068; Lerche, BayVBl. 1987, 321 (322): kein subjektiv-öffentliches Recht des Landes auf inhaltlich rechtmäßige Weisungen; a. A. Winter, DVBl. 1985, 993 (997). 219 220
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nämlich logisch zwingend die Klärung der gerichtlichen Zuständigkeit voraus, ist ihr also nachgelagert. 224 Zum Teil wird für diesen Fall die Statthaftigkeit eines Verfahrens nach Art. 93 I Nr. 3 GG verneint, 225 da im Kern über die Anwendung einfachen Rechts gestritten werde 226 und es nicht Aufgabe des BVerfG sei, als „Superverwaltungsgericht“ die Beachtung einfachen Gesetzesrechts nachzuprüfen. 227 Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, dass sie ein Abgrenzungskriterium verwendet, welches nicht der Systematik des Art. 93 I Nr. 3 GG entspricht. 228 Entscheidend für die Statthaftigkeit des Verfahrens nach Art. 93 I Nr. 3 GG ist nämlich nicht, um welche Vorschriften „schwerpunktmäßig“ gestritten wird, 229 sondern ob der Streitigkeit ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis zugrunde liegt, ob also Antragsteller und Antragsgegner sich in ihrer Eigenschaft als Verfassungsrechtssubjekte gegenüber stehen. Ausschlaggebend ist demnach allein, ob der Antragsteller geltend macht, der Antragsgegner habe in Ausübung einer verfassungsrechtlichen Kompetenz ihn in einem verfassungsmäßigen Recht verletzt. Demgegenüber erweist sich eine Rechtswegsabgrenzung nach dem „Schwerpunktkriterium“ bereits wegen dessen Unbestimmtheit als untauglich. Trägt ein Land beispielsweise vor, dass die Weisung schon nicht die Voraussetzungen des Art. 85 III GG erfülle, jedenfalls aber inhaltlich gegen einfaches Recht verstoße, kann eine Schwerpunktbestimmung nicht ohne Willkür vorgenommen werden. Auch der Ausweg, dass das Land hinsichtlich des ersten Vortrags das BVerfG anrufen müsste und hinsichtlich des zweiten das BVerwG, erscheint unter prozessökonomischen Gesichtspunkten wenig sinnvoll. 230 Zu prüfen ist also, ob sich Bund und Land in Streitigkeiten über die inhaltliche Richtigkeit einer Weisung als Parteien eines verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses gegenüberstehen. Der Bund handelt bei der Erteilung einer Weisung auch dann in Ausübung seiner verfassungsrechtlichen Kompetenz aus Art. 85 III GG, wenn der Inhalt der Weisung mutmaßlich gegen einfaches Recht verstößt. Die Frage, ob die Weisung mit einfachem Gesetz vereinbar ist, ist damit lediglich eine Vorfrage bei der Prüfung, ob der Bund sein Weisungsrecht verfassungskonform ausgeübt hat 231 und beeinflusst folglich die Rechtsnatur der Streitigkeit nicht. 232 Weiterhin 224 Dies verkennt Steinberg, AöR 110 (1985), 419 (442); siehe bereits oben Kapitel V B. I. 2. f). 225 So z. B. Schulte, VerwArch 81 (1990), 415 (429); Lange, NJW 1986, 2459 (2461), der diese Auffassung jedoch in Lange, S. 102 ff. aufgegeben hat. 226 Pera, NVwZ 1989, 1120 (1124); Winter, DVBl. 1985, 993 (997); a. A. Wagner, DVBl. 1987, 917 (923); ders., NJW 1987, 411 (417). 227 Steinberg, AöR 110 (1985), 419 (441); Pauly, S. 235 f.; Zillmer, DÖV 1995, 49 (53). 228 Ebenfalls ablehnend Schoch-Bier, § 50 Rn. 9. 229 So aber Zimmermann, DVBl. 1992, 93. 230 Zur Untauglichkeit der „Kern“-Theorien siehe bereits oben Kapitel IV C sowie Kapitel V B. I. 2. e). 231 Dies verkennt Pauly, DÖV 1989, 884 (890). 232 BVerwG NVwZ 1998, 500 (501); hierzu Winkler, JA 1998, 16.
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macht das Land auch dann geltend, in einem durch die Verfassung gewährten Recht verletzt zu sein, wenn es die Unvereinbarkeit des Weisungsinhalts mit einfachem Gesetzesrecht rügt. Es trägt nämlich vor, in seinem Recht aus Art. 83 GG verletzt zu sein, da der Bund durch die Erteilung einer einfachgesetzlich rechtswidrigen Weisung seine Weisungsbefugnis gegenüber dem Land überschritten habe. 233 Ob tatsächlich gegen einfaches Gesetz verstoßen wurde, ist in diesem Zusammenhang wiederum Teil der Inzidentkontrolle. Somit stehen die Streitparteien in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis, so dass das Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG statthaft ist. 234 Demgegenüber erweist sich das Argument der Gegenauffassung, dem BVerfG solle die Überprüfung einfachen Rechts entzogen sein, im Hinblick auf Art. 84 IV 2 GG als wenig überzeugend. Streitigkeiten nach dieser Vorschrift betreffen im Kern gerade Anwendungsfragen einfachen Bundesrechts, so dass es dem BVerfG keineswegs fremd ist, einfachgesetzliche Normen zu prüfen. 235 Weiterhin übersieht die Gegenauffassung, dass für den umgekehrten Fall, dass der Bund die Feststellung begehrt, das Land habe seine Weisung zu befolgen, unstreitig der Rechtsweg zum BVerfG eröffnet ist. 236 Dann kann hier aber nichts anderes gelten, wollte man die Rechtswegsbestimmung nicht vom Zufall abhängig machen, ob zuerst der Bund oder das Land gerichtlichen Rechtsschutz sucht. Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von im Rahmen der Bundesaufsicht erteilten Weisungen sind somit generell verfassungsrechtlicher Natur, 237 unabhängig davon, worauf die mutmaßliche Rechtswidrigkeit der Weisung beruht.
b) Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V 1 Hs. 2 GG Ebenfalls ungeklärt ist, ob Ansprüche aus der Bund-Länder-Haftung nach Art. 105 a V 1 Hs. 2 GG 238 Gegenstand eines Bund-Länder-Streits nach Art. 93 I Nr. 3 GG sein können. Während der Bund zu einer verwaltungsrechtlichen Streitigkeit tendiert, sehen die Länder das BVerfG als zuständiges Gericht an. 239 Wiederum erschließt sich die Lösung dieses Abgrenzungsproblems über die Frage, ob Antragsteller und Antragsgegner in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis stehen. BVerfGE 81, 311 (330). So auch BVerfGE 81, 311 (330). 235 Lange, S. 103; zutreffend auch BVerwG NVwZ 1998, 500 (501): „Dass das BVerfG damit gegebenenfalls die verwaltungsrechtlichen Voraussetzungen ... zu prüfen hat, liegt in der Konsequenz ...“. 236 BVerfGE 84, 25. 237 Dasselbe gilt für Streitigkeiten, in welchem Umfang der Bund bei Inanspruchnahme seiner Sachkompetenz für den Vollzug der Bundesauftragsverwaltung nach außen gegenüber Dritten tätig werden darf (BVerfG DVBl. 2002, 549 mit Anm. Reicherzer, DVBl. 2002, 557). 238 Hierzu allgemein Rudisile, DÖV 1985, 909. 239 Stelkens, DVBl. 2000, 609 (610). 233 234
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
aa) Fordert der Bund gem. Art. 104 a II GG geleistete Bundesmittel zurück, weil das Land die Bundesauftragsverwaltung fehlerhaft vollzogen habe, handelt er in Ausübung seiner Kompetenz aus Art. 104 a V 1 Hs. 2 GG. 240 Diese Vorschrift ist als Teil der Finanzverfassung materielles Verfassungsrecht. 241 Sucht das Land gerichtlichen Schutz gegen ein solches Begehren des Bundes, macht es seinerseits geltend, in seinem durch die Verfassung gewährten Recht aus Art. 104 a II GG verletzt zu sein. 242 Damit stehen Bund und Land in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis, 243 so dass der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG statthaft ist. 244 Zwar wird vorfrageweise über die Anwendung einfachen Rechts gestritten, da das Begehren des Bundes mit der Behauptung steht und fällt, das Land habe einfachgesetzlich ausgestaltete Bundesauftragsverwaltung fehlerhaft vollzogen. Dies berührt jedoch die Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Bund und Land nicht. 245 Das Abgrenzungskriterium, um welche Rechtsfragen „im Kern“, oder „im Schwerpunkt“ gestritten wird, überzeugt wegen seiner Unbestimmtheit auch hier nicht. 246 Nicht gefolgt werden kann daher dem BVerwG, welches die Klage des Bundes gegen ein Land auf die Rückzahlung veruntreuter Fördermittel im Rahmen des Vollzugs des Bundesausbildungsförderungsgesetzes als eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit qualifizierte. 247 Das Gericht sah „die Wurzel des vorliegenden Streits“ im einfachen Gesetzesrecht liegen. Streitentscheidend sei nämlich die Frage, welche Rechtsfolgen sich aus dem fehlerhaften Vollzug des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ergäben. Dies verleihe der Streitigkeit einen „ausbildungsförderrechtlichen Charakter“ 248. Weiterhin erschließe sich die verwaltungsrechtliche Prägung der Streitigkeit schon daraus, dass neben Art. 104 a V GG andere, einfachgesetzliche Grundlagen in Betracht zu ziehen seien 249 – welche allerdings im Ergebnis nicht einschlägig waren. Diese Argumentation des BVerwG überzeugt nicht. Zunächst erscheint es fragwürdig, den Rechtscharakter einer Streitigkeit anhand von AnspruchsStelkens, DVBl. 2000, 609 (614). Stelkens, DVBl. 2000, 609 (614). 242 Stelkens, DVBl. 2000, 609 (614). 243 Ebenso entschied das BVerfG in einer Streitigkeit über die Verteilung des UMTS-Versteigerungserlöses. Die klagenden Länder stützten ihren Teilhabeanspruch auf Art.106 III GG, so dass eine verfassungsrechtliche Streitigkeit anzunehmen war (BVerfG DVBl. 2002, 704). 244 Ebenso Schmidt, DÖV 1959, 803 (804); Saipa, DVBl. 1974, 188 (190) und Stelkens, S. 316, allerdings aufgrund einer einschränkenden Auslegung des Begriffs der „ordnungsmäßigen Verwaltung“; differenzierend Jeddeloh, S. 108; a. A. Stern, Bd. 2, § 47 Anm. II 3 a); BKVogel/Kirchhof, Art. 104 a Rn. 178: „Kern des Rechtsstreits ist die rechtliche Beurteilung der Verwaltungsmaßnahme. Die Ersatzpflicht nach Art. 104 a Abs. 5 GG ist deshalb ... dem Verwaltungsrecht zuzurechnen“. 245 Stelkens, DVBl. 2000, 614. 246 Sie bereits oben Kapitel IV. C und Kapitel V B. I. 2. e). 247 BVerwG NVwZ 1995, 56; ebenso BVerwG DVBl. 1961, 663; NJW 1975, 1468; BayVBl. 1980, 473; BayVBl. 1987, 23; NVwZ 1995, 992; DÖV 1997, 596; BVerfG NVwZ 1999, 865. 248 BVerwG NVwZ 1995, 56 (57). 249 BVerwG NVwZ 1995, 56 (57). 240 241
B. Die Voraussetzungen der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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grundlagen zu bestimmen, welche letztlich nicht durchgreifen, wohingegen der Rechtscharakter der tatsächlich einschlägigen Anspruchsgrundlage nicht rechtswegsbestimmend sein soll. Aber selbst wenn neben der verfassungsrechtlichen Anspruchsgrundlage des Art. 104 a V GG weitere einfachgesetzliche Rechtsgrundlagen durchgegriffen hätten, verfinge das Argument des BVerwG nicht. In einem solchen Fall hätte der Bund den einfachgesetzlich fundierten Anspruch – die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs vorausgesetzt – vor dem BVerwG und den verfassungsrechtlichen vor dem BVerfG verfolgen müssen, soweit die einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage den Rückgriff auf das Verfassungsrecht nicht versperrt hätte. Eine solche Rechtswegaufspaltung ist die logische Konsequenz aus dem Fehlen einer § 17 II GVG entsprechenden Vorschrift. Dem weiteren Argument der „einfachgesetzlichen Wurzel“ der Streitigkeit ist erneut entgegenzuhalten, dass der Rechtscharakter von Vorfragen keine Auswirkungen auf die eigentliche Streitigkeit hat. Dies ist für die Abgrenzung zwischen Zivil- und Verwaltungsrechtsweg völlig unstreitig und kann daher unter systematischen Gesichtspunkten bei der Abgrenzung zwischen Verwaltungs- und Verfassungsrechtsweg nicht anders sein. 250 Bemerkenswerter Weise betont das BVerwG selbst in ständiger Rspr. 251, dass Vorfragen verfassungsrechtlicher Natur nicht gegen die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs sprächen. 252 Dann ist es aber nicht recht verständlich, warum umgekehrt verwaltungsrechtliche Vorfragen Einfluss auf die Rechtsnatur verfassungsrechtlicher Streitigkeiten haben sollen. bb) Die Verfehltheit der bundesverwaltungsgerichtlichen Argumentationslinie zeigt sich auch in der Entscheidung BVerwG DVBl. 2002, 1053. Hier war die Frage zu klären, ob der Bund berechtigt war, entsprechend Art. 104 a V GG die Erstattung einer von ihm infolge einer Anlastungsentscheidung der Kommission geleisteten Zahlung zu fordern, weil die Kommission einen Mangel bei der Bewirtschaftung der Mittel festgestellt hatte. Für das klagende Land überraschend nahm das BVerwG – im Ergebnis zu recht – hier eine verfassungsrechtliche Streitigkeit an und erklärte sich für unzuständig. Gestritten werde nämlich im Kern um die Frage, ob über eine entsprechende Anwendung des Art. 104 a V GG eine Haftung der Länder für eine finanzielle Belastung begründet werden könne, die gemeinschaftsrechtlich dem Bund auferlegt sei. Dies verleihe der Streitigkeit ein verfassungsrechtliches Gepräge. 253 Denkt man dieses Argument konsequent zu Ende, hätte das BVerwG seine Zuständigkeit wohl bejahen müssen, wenn die Möglichkeit der analogen Anwendung des Art. 104 a V GG durch das BVerfG bereits zuvor bestätigt worden wäre. Denn dann hätte sich die Streitigkeit schwerpunktmäßig nicht um die Rechtsfrage einer analogen Anwendung des Art. 104 a V GG gedreht (diese Frage wäre ja bereits entschieden), sondern darum, ob das Land tatsächlich die Finanzmittel verwaltungsrechtswidrig verwendet hätte. Die Rechtsnatur einer Streitigkeit Siehe bereits oben Kapitel IV C. und Kapitel V B. I. 2. e). Zuletzt BVerwG, 9. Senat, Urteil v. 6.3.2002, Az. 9 A 16/01; BVerwG NJW 2000, 160 (161). 252 BVerwG NJW 1976, 1113 (1114). 253 BVerwG DVBl. 2002, 1054. 250 251
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
kann jedoch nicht davon abhängen, welche Streitpunkte einer höchstrichterlichen Klärung bereits zugeführt sind und welche nicht. Hier zeigt sich einmal mehr die Unbrauchbarkeit, wenn nicht gar Willkür der „Kern“-Theorie. Das BVerwG hätte sich somit vielmehr mit der Begründung für unzuständig erklären müssen, dass zwischen den Streitparteien ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis besteht, da um Rechte und Pflichten unmittelbar aus Art. 104 a V GG bzw. Art. 104 a II GG gestritten wird.
C. Rückschlüsse aus den im Grundgesetz und den Landesverfassungen normierten verfassungsrechtlichen Streitigkeiten auf den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO Es wurde bereits festgestellt, dass sich der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO nicht in den durch das Grundgesetz und die Landesverfassungen normierten verfassungsrechtlichen Streitigkeiten erschöpft. 254 Es soll daher im Folgenden untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO jenseits dieser Verfahren angenommen werden kann.
I. Der „amputierte“ Organstreit 1. Die Statthaftigkeitsvoraussetzungen des Organstreits Im vorangegangenen Abschnitt wurde dargelegt, dass eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn ein Organstreitverfahren statthaft ist. Dies setzt Folgendes voraus: a) Der Antragsteller und der Antragsgegner sind Verfassungsrechtssubjekte. 255 b) Der Antragsteller macht geltend, der Antragsgegner habe ihn aa) in Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz bb) in einem formell-materiell verfassungsmäßigen Recht verletzt.
254 255
Siehe oben Kapitel III. A. Zum Verständnis des Begriffs siehe oben Kapitel V B. I. 1.
C. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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2. Der Einfluss des Organstreits auf das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit Es ist nunmehr zu untersuchen, wie sich das Fehlen einzelner dieser Voraussetzungen auf das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO auswirkt. Dabei wird jeweils eine einzelne Statthaftigkeitsvoraussetzung unter Beibehaltung der übrigen ausgeblendet. a) Es wird nicht über die Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz eines Verfassungsrechtssubjekts gestritten aa) Die Kompetenz entstammt unmittelbar einem einfachen Gesetz und ist auch nicht zum materiellen Verfassungsrecht zu zählen Hier liegt unproblematisch keine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor. Da nicht über Verfassungsrecht gestritten wird, fehlt es an einem verfassungsrechtlichen Bezug. bb) Die Kompetenz entstammt unmittelbar einem einfachen Gesetz, ist jedoch zum materiellen Verfassungsrecht zu zählen Eine solche Streitigkeit 256 kann m. E. nicht als verfassungsrechtlich i. S. d. § 40 I 1 VwGO qualifiziert werden. 257 Zwar erfasste der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit nach Art. 19 WRV auch rein materiell verfassungsrechtliche Streitigkeiten. 258 Indem der Verfassungsgeber aber den Organstreit auf formelles Verfassungsrecht reduzierte, brachte er den Willen zum Ausdruck, dass derartige Streitigkeiten nicht mehr vom Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit umfasst sein sollten. Missachtete man diese Modifikation, welche der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit durch das Grundgesetz und die Landesverfassungen erfahren hat, und stellte man im Rahmen des § 40 I 1 VwGO weiterhin auf den Umfang aus der Weimarer Zeit ab, so würde dies bedeuten, dass rein materiell verfassungsrechtliche Streitigkeiten, welche in der Weimarer Republik vor dem Staatsgerichtshof justiziabel waren, unter der Regie des Grundgesetzes keiner gerichtlichen Kontrolle mehr unterlägen. Denn die Verfassungsgerichte wären mangels statthafter Klageart unzu256 Zu den Rechtsgebieten, bei denen eine Zuordnung zum materiellen Verfassungsrecht außerhalb der geschriebenen Verfassung diskutiert wird, siehe oben Kapitel III A. II. 257 So auch die h. M.: BVerwG NJW 1985, 2344; BVerwGE 80, 355 (357); Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32; Lerche, S. 82; a. A. VGH München BayVBl. 1990, 721; Kassimatis, S. 180 ff.; Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (173); Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 19; Di Fabio, S. 109. 258 Vgl. Goessl, S. 62; Ule, JZ 1959, 501.
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
ständig, und der Verwaltungsrechtsweg wäre ebenfalls wegen Vorliegens einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit verschlossen. Dadurch würde aber die Rechtskontrolle im Vergleich zur Weimarer Republik stark zurückgedrängt und in bedenklichem Umfang justizfreie Räume geschaffen. Dieses Argument wirkt umso stärker, als ansonsten sogar durch die Verfassung selbst gewährte Rechte eines Verfassungsrechtssubjekts unter keinen gerichtlichen Schutz fielen, soweit sie in Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz außerhalb der formellen Verfassung verletzt würden. Hinzu kommt, dass eine Ausdehnung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO auf rein materiell verfassungsrechtliche Streitigkeiten zu einer erheblichen Unsicherheit bei der Abgrenzung des Verwaltungsrechtswegs führen würde, da eine klare Umgrenzung des materiellen Verfassungsrechts außerhalb der Verfassung bislang nicht gelungen ist. 259 Insbesondere die von Maunz entwickelte Definition, wonach materielles Verfassungsrecht normierte politische Grundsätze seien, 260 ist wenig griffig. Auch der zum Teil verwendete Ansatz, materielles Verfassungsrecht sei eine vom formellen Verfassungsrecht bisweilen ausdrücklich geforderte 261 „nachholende oder ergänzende Verfassungsgebung“ 262, vermag nicht zu überzeugen. Davon abgesehen, dass schon mehr als zweifelhaft ist, ob der einfache Gesetzgeber die Verfassung ergänzen kann, 263 dient letztendlich jede verwaltungsrechtliche Norm der Konkretisierung des Verfassungsrechts, so dass eine materielle Trennlinie zwischen beiden Rechtsgebieten nicht gezogen werden kann. 264 Eine klare Abgrenzung wäre jedoch dringend erforderlich, da sie über die Justiziabilität der Streitigkeit entschiede. Daraus ist zu schließen, dass Streitigkeiten über materiell verfassungsrechtliche Kompetenzen außerhalb des Grundgesetzes und der Landesverfassungen ihrem Wesen nach in den Entscheidungsbereich der Verwaltungsgerichte fallen. Sie stellen mithin Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art dar. 265 Damit erübrigt sich zugleich eine Abgrenzung zwischen dem materiellen Verfassungsrecht außerhalb der 259 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 148; Wolnicki, LKV 1997, 313 (316); Bethge, NJW 1975, 77; siehe demgegenüber zur Definition des materiellen Verfassungsrechts innerhalb der formellen Verfassung oben Kapitel V B. I. 2. d). 260 Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 4; ähnlich Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (174): Rechtsnormen, die die wesentliche, die Staatsform bestimmende Organisation und Funktion der obersten Staatsgewalt und deren Verhältnis zum Staatsbürger zum Gegenstand haben; siehe zum Begriff des materiellen Verfassungsrechts außerhalb der formellen Verfassung bereits oben Kapitel III A. II. 261 Beispielsweise in Art. 21 III GG oder Art. 38 III GG. 262 Stern, Bd. I, § 4 I 4, S. 108; OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); OVG Münster NJW 1974, 1671; VG Potsdam LKV 1997, 338 (339). 263 Bethge, NJW 1975, 77. 264 Wolnicki, LKV 1997, 313 (316); Bethge, NJW 1975, 77. 265 Im Ergebnis ebenso BVerwG NJW 1985, 2344; BVerwGE 80, 355 (357); Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32; Lerche, S. 82.
C. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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formellen Verfassung und dem „einfachen“ Gesetzesrecht, 266 da die Verwaltungsgerichte in beiden Fällen gleichermaßen zur Entscheidung berufen sind. cc) Die Kompetenz entstammt der formellen Verfassung, ist jedoch nicht zum materiellen Verfassungsrecht zu zählen Weiterhin ist zu untersuchen, ob der Verwaltungsrechtsweg auch dann eröffnet ist, wenn zwar eine formell, nicht aber materiell verfassungsrechtliche Kompetenz angegriffen wird. Die Antwort folgt auch hier aus dem Zusammenspiel zwischen Art. 93 I Nr. 1 GG bzw. den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Vorschriften und § 40 I 1 VwGO. Wie bereits herausgearbeitet wurde, erfasst der Organstreit nur Streitigkeiten über Kompetenzen, die sowohl formell als auch materiell verfassungsrechtlicher Natur sind. Eine formell verfassungsrechtliche Kompetenz ist dann zugleich materiell verfassungsrechtlicher Natur, wenn sie ein Verfassungsrechtssubjekt gerade als solches berechtigt und verpflichtet, bzw. die innerorganschaftliche Organisation des Verfassungsrechtssubjekts betrifft. 267 Hieraus ergibt sich, dass Streitigkeiten, welche den Kompetenzkernbereich der Verfassungsrechtssubjekte betreffen, den Verfassungsgerichten vorbehalten und damit der Judikatur der Verwaltungsgerichte entzogen sein sollen. 268 Einzig die Verfassungsgerichte als die exklusiv zur authentischen Verfassungsauslegung berufenen Organe 269 soll für die Entscheidung befugt sein, ob sich das Verfassungsrechtssubjekt verfassungskonform verhalten hat. 270 Denn Rechtsakte, hinter denen die Autorität der Verfassungsrechtssubjekte steht, dürfen nicht der Überprüfung der Fachgerichte überlassen bleiben. 271 Dieses besonderen Schutzes bedürfen die Verfassungsrechtssubjekte indessen nur, wenn sie gerade als solche, d. h. in ihrer herausgehobenen, staatsleitenden Stellung gehandelt haben. 272 Entsprechendes gilt für innerorganschaftliche Organisationsakte der Verfassungsrechtssubjekte. Eingriffe in die innere Organisation müssen ebenfalls einem Verfassungsgericht vorbehalten bleiben, 273 da andernfalls die Gefahr bestünde, dass ein Fachgericht, welches im Rang unter den Verfassungsrechtssubjekten steht, deren staatsleitende Funktion beeinträchtigt. 274 266 Siehe demgegenüber zur Definition des materiellen Verfassungsrechts innerhalb der formellen Verfassung oben Kapitel V B. I. 2. d). 267 Siehe oben Kapitel V B. I. 2. d). 268 Ebenso Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 155 f.; Ossenbühl, DÖV 1969, 548 (551); Seibert, DVBl. 1970, 791; Di Fabio, S. 109 f.; Schmelter, S. 162; Rupp, AöR 85 (1960), 149 (157). 269 Bethge, Jura 1998, 529 (530). 270 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 155 f.; Di Fabio, S. 109 f. 271 Ossenbühl, DÖV 1969, 548 (551). 272 Vgl. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 155. 273 Vgl. BVerfGE 80, 188 (209); Dreier-Morlok, Art. 40 Rn. 19; Maunz/Dürig-Klein, Art. 40 Rn. 56; v. Mangoldt-Achterberg/Schulte, Art. 40 Rn. 59. 274 Siehe bereits oben Kapitel V B. I. 2. d).
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
Hat das Verfassungsrechtssubjekt hingegen nicht in seiner Eigenschaft als Verfassungsrechtssubjekt gehandelt, sondern wie eine Verwaltungsbehörde und ist auch seine innere Organisation nicht betroffen, bedarf es dieses besonderen Privilegs nicht. Tritt das Verfassungsrechtssubjekt nämlich als ein Verwaltungsorgan auf, spricht nichts dagegen, es entsprechend zu behandeln und sein Handeln einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich zu machen. 275 Würde man hingegen Streitigkeiten über rein formell verfassungsrechtliche Kompetenzen als verfassungsrechtlich i. S. d. § 40 I 1 VwGO qualifizieren, so wären diese Streitigkeiten im Gegensatz zu den formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenzstreitigkeiten, welche im Organstreit verfolgbar sind, nicht justiziabel. Warum gerade die Ausübung rein formell verfassungsrechtlicher Kompetenzen auf diese Weise geschützt werden sollte, ist jedoch nicht erkennbar. Auch hier entstünden also nicht nachvollziehbare Rechtsschutzlücken, wenn das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO losgelöst vom Umfang der Organstreitverfahren bestimmt würde. Im Übrigen ist für die Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Streitigkeiten ebenfalls entscheidend, ob die Behörde gerade in ihrer Eigenschaft als solcher gehandelt hat, ob also die Kompetenz, auf die sich die Behörde beruft, ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen und verpflichten. 276 Daher erscheint auch unter systematischen Gesichtspunkten eine Ausgrenzung rein formeller Kompetenzstreitigkeiten aus dem Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO als geboten. 277
dd) Die Kompetenz entstammt der formellen Verfassung, berechtigt und verpflichtet jedoch ein Nichtverfassungsrechtssubjekt Als weiterer Prüfungsunterpunkt stellt sich die Frage, ob auch Streitigkeiten über solche verfassungsrechtlichen Kompetenzen zu den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO zu zählen sind, welche ein nicht im Organstreit parteifähiges Rechtssubjekt berechtigen und verpflichten. Als Beispiel sei der Bundesrechnungshof genannt, welcher gem. Art. 114 II GG die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung prüft. 278 Nähme man hier eine verfassungsrechtliche Streitigkeit an, bestünde für hierdurch in eigenen Rechten verletzte Verfassungsrechtssubjekte kein Rechtsschutz. Dies würde jedoch zu einer Schieflage führen, da nicht erklärbar wäre, warum die obersten Staatsorgane ihre ihnen durch die Verfassung gewährten Rechte zwar untereinander im Organstreit schützen könnten, jedoch gerade gegenüber Rechtsträgern untergeordneter Bedeutung wie dem Bundesrechnungshof keine RechtsschutzSchoch-Ehlers, § 40 Rn. 156. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 104 ff. 277 So auch die g.h. M.: vgl. bspw. Kopp, JuS 1981, 419 (423); Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (173); Hufen, § 11 Rn. 71; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 156; Di Fabio, S. 109. 278 Vgl. oben Kapitel V B. I. 1. 275 276
C. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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möglichkeit hätten. Wenn also selbst die höchsten Staatsorgane wie etwa der Bundespräsident oder der Bundestag einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen sind, kann für untergeordnete Staatsorgane nichts anderes gelten. Indem der Verfassungsgeber den Organstreit bewusst auf die wichtigsten Staatsorgane und Staatsorganteile beschränkt hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass Streitigkeiten über Kompetenzen sonstiger Rechtssubjekte einer fachgerichtlichen Kontrolle zugänglich sind, so dass derartige Streitigkeiten keine verfassungsrechtliche Qualität aufweisen. Daher haben solche Streitigkeiten auch keine verfassungsrechtliche Qualität. ee) Sonderfall: Für die Kompetenz gibt es keine Rechtsgrundlage Fraglich ist, wie zu verfahren ist, wenn die angegriffene bzw. begehrte Maßnahme auf überhaupt keine Rechtsgrundlage gestützt werden kann. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn der Bundesrat den Bundespräsidenten verpflichten wollte, den Bundestag zu rügen. 279 Entgegen Ehlers 280 folgt aus dieser praktisch wohl kaum relevanten Fallgestaltung keineswegs, dass es für die Bestimmung des Rechtswegs nicht auf die streitentscheidenden Normen ankommen könne. Vielmehr ergibt sich die Lösung des Problems aus einem Blick auf die Abgrenzung zwischen Zivil- und Verwaltungsrechtsweg. Fordert etwa der Bürger eine Maßnahme einer Verwaltungsbehörde, für welche es keine Rechtsgrundlage gibt, entscheidet über die Eröffnung des Zivil- oder Verwaltungsrechtsweg der Sachzusammenhang. Es wird also darauf abgestellt, ob der der Streitigkeit zugrunde liegende Sachverhalt öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist. Dieser Gedankenansatz lässt sich auch für die Abgrenzung zwischen Verwaltungs- und Verfassungsrechtsweg fruchtbar machen. So ist etwa die Rüge eines Abgeordneten durch den Bundestagspräsidenten verfassungsrechtlicher Natur. Nichts anderes kann gelten, wenn nicht ein einzelner Abgeordneter, sondern die Gesamtheit aller Abgeordneten gerügt wird und die Rüge darüber hinaus nicht vom Bundestagspräsidenten, sondern von einem anderen Verfassungsorgan ausgesprochen wird. Demnach wäre die Rüge des Bundestags durch den Bundespräsidenten als verfassungsrechtlich zu qualifizieren. ff) Zwischenergebnis Macht ein Verfassungsrechtssubjekt geltend, es sei in seinen ihm durch die Verfassung gewährten Rechten verletzt, so ist die Streitigkeit nur dann verfassungsrechtlicher Natur i. S. d. § 40 I 1 VwGO, wenn es zugleich vorträgt, die Verletzung sei durch ein anderes Verfassungsrechtssubjekt in Ausübung dessen formell-materiell verfassungsrechtlicher Kompetenzen erfolgt. In diesem Fall ist zugleich der Organstreit statthaft. Ansonsten liegt eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor und der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet. 279 280
Beispiel abgewandelt von Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 154. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 154.
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
b) Es wird nicht über die Verletzung eines formell-materiell verfassungsrechtlichen Rechts eines Verfassungsrechtssubjekts gestritten aa) Das mutmaßlich verletzte Recht ist nicht formell-materiell verfassungsrechtlicher Natur Zu untersuchen ist hier der Fall, dass ein Verfassungsrechtssubjekt die Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz durch ein anderes Verfassungsrechtssubjekt rügt, sich jedoch selbst nicht auf ein Recht berufen kann, das zum formell-materiellen Verfassungsrecht zu zählen ist, etwa weil das Verfassungsrechtssubjekt nur mit Rechten aus der Geschäftsordnung ausgestattet ist. Das Organstreitverfahren ist hier unstatthaft, da in ihm Rechte etwa aus der Geschäftsordnung nicht geltend gemacht werden können. 281 Darüber hinaus ergibt sich aus dem zuvor 282 entwickelten Schutzgedanken, dass der Verwaltungsrechtsweg ebenfalls verschlossen sein muss. Es kann für die Schutzbedürftigkeit des angegriffenen Verfassungsrechtssubjekts nämlich keinen Unterschied machen, ob seine Kompetenz durch ein anderes Verfassungsrechtssubjekt gerügt wird, welches eigene Rechte aus der Verfassung geltend machen kann oder durch ein solches, welches nur mit Rechten aus der Geschäftsordnung ausgestattet ist.283 Entscheidend für die Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit kann demnach nur sein, ob eine formell-materiell verfassungsrechtliche Kompetenz gerügt wird, wohingegen die Rechtsnatur des verletzten Rechts irrelevant ist. Daraus folgt zwar, dass die Verfassungsrechtssubjekte eine Verletzung in anderen als formell-materiell verfassungsrechtlichen Rechten nicht gerichtlich geltend machen können, soweit die Rechtsverletzung aufgrund einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenzausübung erfolgte. Diese Konsequenz ist jedoch hinzunehmen, da die Schutzwürdigkeit der verfassungsrechtlichen Kernkompetenzen vor Eingriffen durch die Verwaltungsgerichte überwiegt. Hätte der Verfassungsgeber die nicht formell-materiell verfassungsmäßigen Rechte im gleichen Maße als schutzwürdig angesehen, hätte er sie nicht aus dem Organstreitverfahren ausgeklammert. bb) Das Recht entstammt der formellen Verfassung, berechtigt jedoch ein Nichtverfassungsrechtssubjekt Weiterhin ist zu klären, ob eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegt, wenn sich ein im Organstreit nicht parteifähiges Rechtssubjekt, wie beispielsweise der Bürger, gegen eine verfassungsrechtliche Kompetenz wendet, durch die er sich in seinen Rechten verletzt fühlt. 284 Auch hier ist der Organstreit unstatthaft, da das 281 282 283 284
Siehe oben Kapitel V B. I. 2. c). Siehe oben Kapitel V C. I. 2. a) cc). Di Fabio, S. 109. Generell verneinend die Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit.
C. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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Nichtverfassungsrechtssubjekt nicht antragsbefugt ist. Aus dem zuvor entwickelten Schutzgedanken ergibt sich jedoch darüber hinaus, dass auch der Verwaltungsrechtsweg verschlossen sein muss. 285 Es kann nämlich für die Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte keinen Unterschied machen, ob die Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz eines Verfassungsrechtssubjekts durch ein anderes Verfassungsrechtssubjekt oder aber durch ein Nichtverfassungsrechtssubjekt angegriffen wird. 286 Folgt aus dem Zusammenspiel zwischen Art. 93 I Nr. 1 GG bzw. den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Normen und § 40 I 1 VwGO, dass die Überprüfung der Kernkompetenzen der Verfassungsrechtssubjekte nicht Aufgabe der Fachgerichte ist, 287 muss dies auch dann gelten, wenn die Kompetenzausübung nicht durch ein anderes Verfassungsrechtssubjekt, sondern durch ein Nichtverfassungsrechtssubjekt, wie beispielsweise den Bürger, gerügt wird. 288 Die Schutzbedürftigkeit der Verfassungsrechtssubjekte vor Eingriffen durch die Fachgerichte in ihre durch die Verfassung gewährten Kernkompetenzen ist in beiden Fällen nämlich gleich hoch. 289 Die entgegengesetzte Auffassung der h. M. 290 hat nicht nur die bedenkliche Konsequenz, dass ein einfaches Verwaltungsgericht über staatsleitende Maßnahmen eines Verfassungsorgans befinden kann, sondern dass der Bürger – im Gegensatz zu den Verfassungsrechtssubjekten – einen ganzen Rechtszug mit möglicherweise anschließender Urteilsverfassungsbeschwerde zur Verfügung hat, so dass die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme unter Umständen über mehrere Instanzen in der Schwebe bleiben kann. 291 cc) Zwischenergebnis Wird die Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz gerügt, so ist die Streitigkeit immer verfassungsrechtlicher Natur, unabhängig davon, durch wen die Rüge erfolgt und auf welche Rechte sich der Rügende beruft. Entscheidend ist also nicht, auf welches Abwehrrecht sich der Kläger stützt, sondern aufgrund welcher Vorschrift das Verfassungsrechtssubjekt handelt. 292 Grundrechtsstreitigkeiten können demnach sowohl verfassungsrechtlicher als auch nichtverfassungsrechtlicher Natur sein. Dass ein Bürger geltend macht, in seinen Grundrechten verletzt zu sein, ist für die Bestimmung des Rechtswegs nämlich ohne Bedeutung. Entscheidend ist allein die Rechtsnatur der gerügten Kompetenz, Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 155. Ebenso Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 146; Di Fabio, S. 109 f. 287 Siehe oben Kapitel V C. I. 2. a) cc). 288 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 155; Di Fabio, S. 109 f. 289 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 155 f. 290 Siehe hierzu näher oben Kapitel III A. 291 Zur Problematik des Rechtsschutzes bei verfassungsrechtlichen Streitigkeiten mit Bürgerbeteiligung siehe unten Kapitel VII. 292 Ebenso Di Fabio, S. 109. 285 286
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
nicht die Rechtsnatur des durch die Kompetenzausübung verletzten Rechts. 293 Es sind daher nur solche grundrechtlichen Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Natur, in denen der Bürger geltend macht, durch eine formell-materiell verfassungsrechtliche Maßnahme eines Verfassungsrechtssubjekts in seinen Grundrechten verletzt zu sein. 294 Leitet ein Verfassungsrechtssubjekt eine Kompetenz aus den Grundrechten ab, bestehen ebenfalls keine Besonderheiten. Auch in diesem Fall ist eine verfassungsrechtliche Streitigkeit nur dann anzunehmen, wenn die Kompetenz neben ihrer Zugehörigkeit zum formellen Verfassungsrecht auch materielles Verfassungsrecht verkörpert. So ist eine Warnung der Bundesregierung selbst dann dem Verwaltungsrecht zuzurechen, wenn sie auf Art. 2 II GG gestützt wird. 295 Entsprechendes gilt für Petitionsentscheidungen. 296 c) Fazit Die Untersuchung hat ergeben, dass Streitigkeiten über die Ausübung formellmateriell verfassungsrechtlicher Kompetenzen durch ein Verfassungsrechtssubjekt den Verfassungsgerichten vorbehalten bleiben sollen und damit verfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO sind. Ist der Organstreit unstatthaft, sei es weil der Antragsteller nicht parteifähig ist, sei es weil der Antragsteller sich nicht auf ein formell-materiell verfassungsmäßiges Recht berufen kann, liegt gleichwohl eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art i. S. d. § 40 I 1 VwGO vor, so dass der Verwaltungsrechtsweg verschlossen ist. 297 Nur wenn die Ausübung einer nicht formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz im Streit steht, liegt eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art i. S. d. § 40 I 1 VwGO vor, unabhängig davon, auf welches Recht sich der Rechtsschutzsuchende beruft. Daher kann etwa ein Bundestagsabgeordneter seinen Entschädigungsanspruch nach § 11 AbgG vor den Verwaltungsgerichten verfolgen. 298 Dasselbe gilt für die Klage eines Abgeordneten gegen den Entschädigungsfestsetzungsbescheid des Bundestagspräsidenten. 299 Ebenfalls der Verwaltungsrechtsweg ist für die Klage einer politischen Partei auf die Erstattung von Wahlkampfkosten bzw. gegen einen Wahlkampfkostenrückforderungsbescheid gegeben. 300 Nichts anderes ist für Streitigkeiten zwischen einer Fraktion und dem Parlament anlässlich der Gewährung 301 oder der Rückforderung 302 von Fraktionsmitteln anzunehmen. 293 294 295 296 297 298 299 300 301 302
So auch Di Fabio, S. 109. Zur Problematik des Rechtsschutzes in derartigen Fällen siehe unten Kapitel VII. Siehe hierzu unten Kapitel VI A. II. Siehe hierzu oben Kapitel V B. I. 2. d). Zu den hieraus auftretenden Rechtsschutzproblemen siehe unten Kapitel VII. Siehe oben Kapitel V B. I. 2. b). Siehe oben Kapitel V B. I. 2. e). Siehe oben Kapitel V B. I. 2. b). Siehe oben Kapitel V B. I. 2. b). Siehe oben Kapitel V B. I. 2. e).
C. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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II. Der „amputierte“ Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG 1. Die Statthaftigkeitsvoraussetzungen des Bund-Länder-Streits nach Art. 93 I Nr. 3 GG Der Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG stellt eine weitere verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO dar. 303 Wie im vorangegangenen Abschnitt ist zu fragen, welche Konsequenzen sich für den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit ergeben, wenn es an einzelnen Statthaftigkeitsvoraussetzungen fehlt. Wie bereits dargelegt, 304 setzt ein Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG Folgendes voraus: a) Der Antragsteller und der Antragsgegner sind der Bund bzw. ein Bundesland. b) Der Antragsteller macht geltend, der Antragsgegner habe ihn aa) in Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz bb) in einem materiellen Verfassungsrecht verletzt.
2. Der Einfluss des Bund-Länder-Streits nach Art. 93 I Nr. 3 GG auf das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit Wiederum ist zu untersuchen, wie sich das Fehlen einzelner der vorgenannten Voraussetzungen auf das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO auswirkt. Auch hier wird jeweils nur eine einzelne Statthaftigkeitsvoraussetzung ausgeblendet und die übrigen beibehalten.
a) Es wird nicht über die Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz gestritten In Parallele zu den Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt ergibt sich, dass der Bund bzw. das Land bei der Ausübung nicht materiell verfassungsrechtlicher Pflichten des Schutzes vor den Verwaltungsgerichten nicht bedarf, so dass materiell nichtverfassungsrechtliche Kompetenzen deren Kontrolle unterliegen. 305 Ein Bund-Länder-Streit um eine nicht materiell verfassungsrechtliche Kompetenz ist damit nichtverfassungsrechtlicher Art i. S. d. § 40 I 1 VwGO. 303 304 305
Siehe oben Kapitel V A. I. Siehe oben Kapitel V B. II. 1. Vgl. oben Kapitel V C. I. 2. a) cc).
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
b) Es wird nicht über die Verletzung eines materiell verfassungsrechtlichen Rechts des Bundes bzw. eines Bundeslands gestritten aa) Das mutmaßlich verletzte Recht des Bundes bzw. des Bundeslands zählt nicht zu den materiell verfassungsrechtlichen Rechten Auch hier gelten die zum Organstreit getroffenen Aussagen entsprechend. Auf die Natur des geltend gemachten Rechts kommt es für die Bestimmung des Rechtscharakters der Streitigkeit nicht an. 306 Damit ist jedenfalls theoretisch denkbar, dass das Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG nicht statthaft ist und dennoch zugleich eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO anzunehmen ist. Dies ist nämlich der Fall bei einem Rechtsstreit über die Frage, ob der Bund bzw. ein Bundesland in Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz ein Bundesland bzw. den Bund in einem Recht verletzt hat, welches nicht zum materiellen Verfassungsrecht zu zählen ist. Hier ist dann das Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 Alt. 1 GG einschlägig. Allerdings ist eine solche Fallkonstellation praktisch kaum denkbar, da nach der Ausgestaltung des Grundgesetzes zu jeder materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz des Bundes ein durch das Grundgesetz gewährtes materielles Verfassungsrecht der Länder korrespondiert und umgekehrt, so dass die Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz immer zugleich den Verfassungsstatus des betroffenen Rechtssubjekts berührt. Demnach ist durch die Schaffung des § 40 I 1 VwGO die Vorschrift des Art. 93 I Nr. 4 Alt. 1 GG praktisch funktionslos geworden. Ist das Verfahren nach Art. 93 I Nr. 3 GG mangels Vorliegens eines Verfassungsrechtsverhältnisses nicht statthaft, ist praktisch immer der Verwaltungsrechtsweg als „anderer Rechtsweg“ i. S. d. Art. 93 I Nr. 4 GG eröffnet. 307 bb) Das mutmaßlich verletzte Recht zählt zum materiellen Verfassungsrecht, berechtigt jedoch nicht den Bund bzw. ein Bundesland Fraglich ist, ob eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO auch dann angenommen werden kann, wenn die Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz beispielsweise des Bundes nicht durch das unmittelbar hierdurch betroffene Land, sondern etwa durch einen Bürger dieses Landes angegriffen wird. Fühlt sich beispielsweise der Betreiber eines Atomkraftwerks durch eine atomrechtliche Bundesweisung (der Bund handelt hier in Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz 308) in seinen unternehmerischen Grundrechten verletzt und greift er diese gerichtlich an, so kann die Rechtsnatur keine andere sein, 306 307 308
Vgl. oben Kapitel V C. I. 2. b) aa). Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 4; Mahrenholz, ZRP 1997, 129 (131). Siehe hierzu näher oben Kapitel V B. II. 2. a).
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als wenn das betroffene Bundesland sich selbst gegen die Weisung wehren würde. 309 Aus der Zusammenschau des Art. 93 I Nr. 3 GG mit § 40 I 1 VwGO folgt nämlich, dass die materiell verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Bundes bzw. der Bundesländer vor einer fachgerichtlichen Überprüfung zu schützen sind.310 Einzig das BVerfG ist befugt, über die Ausübung dieser Kompetenzen zu urteilen. Dann kann es aber keinen Unterschied machen, ob die Kompetenz durch den Bund bzw. ein Bundesland angegriffen wird oder durch einen Dritten. 311 Genauso wenig kann es ausschlaggebend sein, auf welches Recht sich der Rechtsschutzsuchende beruft. In beiden Fällen sind die materiell verfassungsrechtlichen Kompetenzen gleichermaßen vor einem Eingriff durch die Fachgerichte zu schützen. 312 Auch hier kommt es also wie beim „amputierten“ Organstreit für die Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO nicht darauf an, durch wen die Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz gerügt wird.
c) Fazit Aus dem Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG lässt sich damit ableiten, dass Streitigkeiten über materiell verfassungsrechtliche Kompetenzen des Bundes bzw. der Bundesländer ihrem Wesen nach dem BVerfG vorbehalten bleiben sollen und damit verfassungsrechtlich i. S. d. § 40 I 1 VwGO sind. Für Bund-Länder-Streitigkeiten ist demnach wie folgt zu differenzieren: – Streiten die Parteien um die Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz einerseits sowie die Verletzung eines durch die Verfassung gewährten Rechts andererseits, liegen die Voraussetzungen für einen Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG vor, so dass zugleich eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO anzunehmen ist. – Streiten die Parteien um die Ausübung einer materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz, kann sich der Rechtsschutzsuchende jedoch nicht auf ein verfassungsrechtliches Recht berufen, so liegt ebenfalls eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO vor, wobei das BVerfG jedoch nicht nach Art. 93 I Nr. 3 GG, sondern nach Art. 93 I Nr. 4 GG zuständig ist. 313 309 Vgl. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 146; dass dem Kraftwerksbetreiber die Klagebefugnis fehlt, spielt für die Bestimmung des Rechtswegs keine Rolle. Diese kann nämlich erst geprüft werden, wenn feststeht, welcher Rechtsweg eröffnet ist. 310 Vgl. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 155 f. 311 Vgl. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 146. 312 Vgl. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 155 f. 313 Diese Fallgruppe dürfte allerdings praktisch nie einschlägig sein, da im Verhältnis zwischen Bund und Ländern zu der verfassungsrechtlichen Kompetenz des einen immer ein verfassungsrechtliches Recht des anderen korrespondiert.
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– Streiten die Parteien nicht um die Ausübung einer verfassungsrechtlichen Kompetenz, liegt keine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO vor, so dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Die im Bund-Länder-Streit besonders problematischen Streitigkeiten um Weisungen des Bundes 314 und die Verwaltungshaftung gem. Art. 104 a V 1 Hs. 2 GG 315 sind im Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG verfolgbar und damit zugleich verfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO.
III. Der Zwischenländerstreit Die für den Bund-Länder-Streit gewonnenen Erkenntnisse zur Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO sind entsprechend auf den Zwischenländerstreit übertragbar. Der Zwischenländerstreit ist daher verfassungsrechtlicher Natur, wenn eine materiell verfassungsrechtliche Kompetenz im Streit steht. In diesem Fall ist dann das BVerfG gem. Art. 93 I Nr. 4 Alt. 2 GG zuständig. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, ob gerade um formell verfassungsrechtliche Kompetenzen gestritten wird, wie der systematische Zusammenhang zum Bund-Länder-Streit nahe legt. Allerdings gilt auch hier, dass materielles Verfassungsrecht außerhalb der formellen Verfassung praktisch keine Rolle spielt. 316 Besondere Relevanz hat der Zwischenländerstreit für Streitigkeiten über Staatsverträge erlangt. Staatsverträge sind zwar auch zwischen dem Bund und den Ländern denkbar und können daher auch Gegenstand eines Bund-Länder-Streits sein. 317 Diese Fallkonstellation hat jedoch bislang in der Praxis keine Rolle gespielt, so dass vorliegend die Rechtswegabgrenzung bei Streitigkeiten über Staatsverträge im Zusammenhang mit dem Zwischenländerstreit erörtert werden soll. Das hier gesagte kann aber ohne weiteres auf Streitigkeiten über Staatsverträge zwischen Bund und Länder übertragen werden. Bei Auseinandersetzungen über den Inhalt von Staatsverträgen besteht die Besonderheit, dass nicht um Rechte und Pflichten unmittelbar aus dem Grundgesetz, sondern immer nur aus dem Vertrag selbst gestritten wird. Wie bei der Abgrenzung zwischen privatrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Verträgen empfiehlt sich hier, auf den Sachzusammenhang zu der im Vertrag geregelten Materie abzustellen. 318 Seine Rechtsnatur bestimmt sich daher nach dem Charakter des Rechtsverhältnisses, in welchem die Vertragsparteien bezogen auf den konkreten Regelungsgegenstand des Vertrags stehen. 319 Bezieht sich der Vertrag demnach auf ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis, entscheidet das BVerfG über seine Auslegung; regelt er hingegen eine verwaltungsrechtliche Materie, sind 314 315 316 317 318 319
Siehe oben Kapitel V B. II. 2. a). Siehe oben Kapitel V B. II. 2. b). BK-Stern, Art. 93 Rn. 347; sowie oben Kapitel V B. II. 1. Man denke etwa an das Lindauer Abkommen [BVerfGE 42, 103 (113)]. BVerfGE 62, 295 (313). BVerfGE 62, 295 (313).
C. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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die Verwaltungsgerichte zuständig. Ein Staatsvertrag ist daher dann als verfassungsrechtlich zu bewerten, wenn er verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteinen regelt, diese also gerade in ihrer verfassungsrechtlichen Stellung zueinander betrifft. Nicht hingegen genügt, dass sein Abschluss einem Verfassungsauftrag entspringt. 320 Setzt ein Staatsvertrag ein Gebot der Verfassung um, ist er nur dann verfassungsrechtlicher Art, wenn das Verfassungsrecht keine andere als die gerade getroffene Regelung zuließe. 321 Da die verfassungsrechtlichen Kompetenzen der Disposition der Länder weitgehend entzogen sind, ist die Zahl der verfassungsrechtlichen Verträge gering. Als verfassungsrechtlich anzusehen sind insbesondere alle Streitigkeiten aus Staatsverträgen, die die Vereinigung zweier Staaten zum Gegenstand haben, 322 wie etwa die Vereinigung des Freistaates Coburg mit dem Freistaat Bayern 323 oder die des Gebietsteils Pyrmont mit Preußen324. Demgegenüber charakterisierte das BVerwG zu Recht den Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen 325 sowie die Staatsverträge über den Norddeutschen 326 und Mitteldeutschen Rundfunk 327 als verwaltungsrechtlich. Die Regelungsmaterie dieser Verträge betrifft die Länder nämlich nicht in ihrer verfassungsrechtlichen Stellung zueinander, sondern statuiert lediglich Verwaltungsaufgaben.
IV. Zusammenfassung der bislang gewonnenen Erkenntnisse für den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO Für den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO bedeutet dies demnach zusammenfassend: Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ist anzunehmen, wenn 1. eine formell-materiell verfassungsrechtliche Kompetenz eines Verfassungsrechtssubjekts gerügt wird, oder 2. eine materiell verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundes oder eines Bundeslands angegriffen wird. Da materiell verfassungsrechtliche Kompetenzen des Bundes und der Länder praktisch nicht vorkommen, kann unter Einbeziehung des Bundes und der Länder in den Kreis der Verfassungsrechtssubjekte auch vereinfachend formuliert werden: 320 321 322 323 324 325 326 327
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Schoch-Bier, § 50 Rn. 9. Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 5. Sodan/Ziekow-Ziekow, § 50 Rn. 7. BVerfGE 22, 221 (229 ff.); E 34, 216 (226 f.); E 38, 231 (237). BVerfGE 42, 345 (355). BVerfGE 42, 103; BVerwGE 50, 124 (129); E 50, 137 (139). BVerwGE 54, 29; E 60, 162. BVerwGE 107, 275.
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Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ist anzunehmen, wenn eine formell-materiell verfassungsrechtliche Kompetenz eines Verfassungsrechtssubjekts angegriffen wird. 328 Hierbei muss der Streit über die verfassungsrechtliche Kompetenz Hauptgegenstand des Rechtsstreits sein. Die Rechtmäßigkeit der Kompetenzausübung darf mit anderen Worten keine bloße Vorfrage sein. 329 Weiterhin darf die verfassungsrechtliche Kompetenz keine einfachgesetzliche Ausgestaltung gefunden haben, d. h. die Kompetenz muss unmittelbar auf eine Verfassungsnorm gestützt werden. Beruht die Maßnahme hingegen unmittelbar auf formell einfachem Recht, so ist eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ausgeschlossen. Dies gilt auch dann, wenn die Norm einen Verfassungsauftrag erfüllt. 330 Eine Ausnahme stellen einfachgesetzliche Normen dar, welche eine Vorschrift der Verfassung wiederholen, ohne eine ergänzende Regelung zu beinhalten oder die Verfassung die Rechtnormen in ihrer konkreten Form zwingend fordert, der Gesetzgeber bei ihrer Schaffung also keinen Gestaltungsspielraum hatte. 331 Des Weiteren kann auch unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs ausnahmsweise eine Streitigkeit über eine einfachgesetzliche Kompetenz eine verfassungsrechtliche Streitigkeit begründen. 332 Darüber hinaus muss die Rechtsgrundlage dem materiellen Verfassungsrecht angehören. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Kompetenz dem Verfassungsrechtssubjekt gerade in seiner Eigenschaft als solchem zugewiesen ist und nicht nur als Verwaltungsbehörde. Der Normadressat muss also staatsleitend, nicht bloß verwaltend tätig werden. Wichtigstes Beispiel für eine nicht materiell verfassungsrechtliche Kompetenz ist die Ausübung der Polizeigewalt durch den Bundestagspräsidenten nach Art. 40 II 1 GG. 333 Demgegenüber ist nicht entscheidend, durch wen die Kompetenz des Verfassungsrechtssubjekts angegriffen wird und auf welche Rechte er sich berufen kann. 334 Damit kann insbesondere auch der Bürger Partei einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit sein.
Ähnlich Seibert, DVBl. 1970, 791. Vgl. oben Kapitel V B. I. 2. e). 330 Vgl. oben Kapitel V B. I. 2. b). 331 Vgl. oben Kapitel V B. I. 2. b). 332 Vgl. oben Kapitel V B. I. 2. g). 333 Vgl. oben Kapitel V B. I. 2. d). 334 Ebenso Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 154 ff.; dieses Ergebnis wird für Rh-Pf. durch Art.130 I 2 LVerf bestätigt. Danach können auch Körperschaften des öffentlichen Rechts ein Organstreitverfahren initiieren. Voraussetzung ist allein, dass sie geltend machen können, durch die Handlung eines Verfassungsorgans in eigenen Rechten verletzt zu sein, wobei sich aus dem systematischen Zusammenhang zu Art.130 I 1 LVerf ergibt, dass das Verfassungsorgan in Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz gehandelt haben muss. Auf die Verfassungsorganqualität des Antragstellers kommt es also nicht an. 328 329
C. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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V. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Normenkontrollverfahren auf den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit Neben den auf dem Verständnis Thomas basierenden verfassungsrechtlichen Streitigkeiten der Art. 93 I Nr. 1, 3, 4 Alt. 3 GG zählen auch die Normenkontrollverfahren der Art. 93 Nr. 2, 2 a GG und Art. 100 I GG sowie die Rechtssatzverfassungsbeschwerde zu den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten. 335 Daher sind auch diese Verfahren daraufhin zu untersuchen, wie sie den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO beeinflussen. 336 1. Die prinzipale Normenkontrolle formeller Gesetze Aus der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 I GG folgt, dass die Fachgerichte formelle nachkonstitutionelle Gesetze nicht verwerfen dürfen. 337 Diese Kompetenz ist vielmehr dem BVerfG bzw. dem Landesverfassungsgericht vorbehalten. 338 Daraus ergibt sich, dass auch die prinzipale Normenkontrolle formeller nachkonstitutioneller Gesetze allein von dem BVerfG bzw. dem Landesverfassungsgericht durchgeführt werden kann. 339 Die prinzipale Normenkontrolle formeller nachkonstitutioneller Gesetze erweist sich damit als eine Streitigkeit, die den Verfassungsgerichten vorbehalten bleiben muss, die mithin also eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Natur ist. 340 Allerdings qualifizierte das BVerfG 341 in einem Ausnahmefall die prinzipale Normenkontrolle eines formellen Gesetzes als verwaltungsrechtliche Streitigkeit. Die Entscheidung betraf einen Bebauungsplan, welchen die Bürgerschaft des Landes Hamburg gem. § 188 II 1 BauGB a. F. (nunmehr § 246 II 1 BauGB) i.V. m. § 3 I des Gesetzes über die Feststellung von Bebauungsplänen und ihre Sicherung 342 durch Siehe oben Kapitel V A. II. Entsprechendes gilt für die Normenkontrollverfahren auf Landesebene. 337 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (325); Dreier-Wieland, Art. 100 Rn. 10 ff.; SchmidtBleibtreu/Klein, Art. 100 Rn. 1; v. Mangoldt-Sieckmann, Art. 100 I Rn. 23 ff.; Maunz/DürigMaunz, Art. 100 Rn. 7 ff.; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 94; BK-Stern, Art. 100 Rn. 63; Sachs-Sturm, Art. 100 Rn. 9. 338 Bethge, Jura 1998, 529 (531). 339 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (325). 340 Nahezu einhellige Meinung: BVerfGE 32, 157; E 40, 296; E 70, 35 (55); E 76, 107 (115); BVerwGE 24, 272 (279); E 75, 334; E 80, 355 (358); OVG Münster NJW 1982, 1415; Bethge, Jura 1998, 529 (531); ders., JuS 2001, 1100 (1101); Detterbeck, DÖV 1990, 858 (859) m. w. Nachw.; Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 a; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 128; ders., JZ 1996, 998 (1000); ders., Rechtsschutz, S. 333; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (337); a. A. Schmitt-Glaeser, Rn. 59. 341 BVerfG DVBl. 1985, 1126. 342 Fassung vom 4.4.1978 (GVBl. S. 89). 335 336
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förmliches Gesetz erlassen hatte. Das Argument des BVerfG, das formelle Gesetz sei einer Satzung gleichzustellen, weil es eine satzungsvertretende Funktion habe, ist dogmatisch nicht haltbar und bedeutet einen „Systembruch im Bereich des Verwaltungsprozeßrechts“ 343. Die Verfehltheit dieser Auffassung ergibt sich bereits aus Art. 100 I GG, wonach die Verwerfung nachkonstitutioneller formeller Gesetze ausnahmslos den Verfassungsgerichten vorbehalten ist. 344 Es soll den Fachgerichten nicht zustehen, einen Gesetzgebungsakt des unmittelbar demokratisch legitimierten Parlaments für verfassungswidrig zu erklären. 345 Der entscheidende Unterschied zwischen einer Satzung und einem formellen Gesetz besteht damit darin, dass erstere durch die Verwaltung und letzteres durch das Parlament als Verfassungsorgan erlassen wird. Die Gleichstellung beider Rechtsinstitute verbietet sich daher. Konsequenterweise fallen damit auch Klagen gegen bzw. auf die Rückziehung eines Gesetzesentwurfs unter die Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Art. 346 Dasselbe gilt für Klagen auf die Unterlassung einer Gesetzgebungsinitiative 347 sowie für Klagen auf die Unterlassung eines förmlichen Gesetzes 348. Ist nämlich die Überprüfung des ausgefertigten Gesetzes Sache der Verfassungsgerichtsbarkeit, so ergibt sich aus dem Sachzusammenhang, 349 dass dies auch für die Überprüfung der einzelnen Etappen hin zu dem formellen Gesetz gelten muss.350 2. Die Klage auf Erlass eines formellen Gesetzes Aus Art. 100 I GG ergibt sich weiterhin, dass auch die Klage auf Erlass eines formellen Gesetzes verfassungsrechtlicher Natur ist. 351 Wie bereits ausgeführt, bezweckt diese Vorschrift den Schutz der parlamentarischen Gesetzgebungskompetenz vor einer fachgerichtlichen Kontrolle. Dieses Schutzes bedarf es aber erst recht dann, wenn das Parlament verpflichtet werden soll, seine Gesetzgebungskompetenz in einer bestimmten Weise auszuüben. 352 Hier nähme das Verwaltungsgericht näm343 Abweichende Meinung des Richters Steinberger in BVerfG DVBl. 1985, 1126 (1130); Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 19. 344 Eingehend Schenke, DVBl. 1985, 1367; vgl. auch Zuck, JZ 1985, 1050. 345 Schenke, DVBl. 1985, 1367 (1369). 346 Bethge, Jura 1998, 529 (534). 347 OVG Münster DVBl. 1994, 124; Lerche, S. 89; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 130; Bethge, JuS 2001, 1100 (1101). 348 Bethge, Jura 1998, 529 (534); ders., JuS 2001, 1100 (1101). 349 Zum Sachzusammenhang siehe bereits oben Kapitel V B. I. 2. g). 350 Bethge, Jura 1998, 529 (534); ders., JuS 2001, 1100 (1101). 351 Ebenfalls einhellige Meinung; vgl. etwa BVerfG NVwZ-RR 1999, 281 (282); BVerfGE 70, 35 (55); BVerwGE 75, 330 (334); E 80, 355 (358); Schenke, JZ 1996, 998 (1000); ders., VerwArch 82 (1991), 307 (325); ders., Rechtsschutz, S. 334; Bethge, Jura 1998, 529 (533 f.); ders., JuS 2001, 1100 (1101); Detterbeck, DÖV 1990, 858 (859); Sodan, NVwZ 2000, 601 (607). 352 Schenke, JZ 1996, 998 (1000); ders., VerwArch 82 (1991), 307 (325).
C. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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lich noch weiterreichende Befugnisse als bei der prinzipalen Normenkontrolle für sich in Anspruch. 353 Damit teilt die Klage auf Erlass eines formellen Gesetzes „als Kehrseite“ der prinzipalen Normenkontrolle deren Rechtsnatur. 354 3. Die prinzipale Normenkontrolle untergesetzlicher Rechtsnormen Für die prinzipale Normenkontrolle untergesetzlicher Rechtsnormen ergibt sich aus Art. 100 I GG nichts, da sich diese Vorschrift ausschließlich auf formelle nachkonstitutionelle Gesetze bezieht. 355 Jedoch ist aus der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG, welche auch die Kontrolle untergesetzlicher Rechtnormen erfasst, 356 zu schließen, dass die prinzipale Normenkontrolle untergesetzlicher Normen ebenfalls eine verfassungsrechtliche Streitigkeit darstellt. 357 a) Ist nämlich die abstrakte Normenkontrolle untergesetzlicher Rechtsnormen nach Art. 93 I Nr. 2 GG eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO, so kann nichts anderes für die prinzipale Normenkontrolle untergesetzlicher Rechtsnormen gelten. 358 Zwar ist diese in Teilbereichen nach § 47 VwGO der Verwaltungsgerichtsbarkeit zugewiesen. Dies spricht jedoch nicht gegen die verfassungsrechtliche Natur der prinzipalen Normenkontrolle. § 47 VwGO stellt nämlich eine Erweiterung des Verwaltungsrechtswegs über § 40 VwGO hinaus auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten dar. 359 Der verfassungsrechtliche Charakter der an Schenke, JZ 1996, 998 (1000); ders., VerwArch 82 (1991), 307 (325). Vgl. BVerwGE 75, 330 (334); E 80, 355 (359, 362 f.); Schenke, Rechtsschutz, S. 333; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (339). 355 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (325); Dreier-Wieland, Art. 100 Rn. 10 ff.; SchmidtBleibtreu/Klein, Art. 100 Rn. 1; v. Mangoldt-Sieckmann, Art. 100 I Rn. 23 ff.; Maunz/DürigMaunz, Art. 100 Rn. 7 ff.; BK-Stern, Art. 100 Rn. 63; Sachs-Sturm, Art. 100 Rn. 9. 356 BK-Stern, Art. 93 Rn. 228 f.; Maunz/Dürig-Maunz, Art. 93 Rn. 21; Dreier-Wieland, Art. 93 Rn. 57; Sachs-Sturm, Art. 93 Rn. 45; v. Mangoldt-Voßkuhle, Art. 93 I Nr. 2 Rn. 121; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 93 Rn. 6. 357 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (341); ders., JuS 1981, 81 (86); VGH München NVwZ-RR 1995, 114 (116). Entsprechendes gilt für die landesverfassungsrechtlichen abstrakten Normenkontrollen in BW, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, NRW, Rh-Pf., Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen sowie die bayrische Polpularklage. Aber auch für Bremen, welches keine abstrakte Normenkontrolle kennt, kann nichts anderes gelten. Ist nämlich die Überprüfung einer landesgesetzlichen Rechtsverordnung anhand des Grundgesetzes oder sonstigen Bundesrechts eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, so kann die Überprüfung ein und derselben Rechtsnorm anhand der Landesverfassung keine andere Rechtsqualität aufweisen. 358 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (341); ders., JuS 1981, 81 (86); VGH München NVwZ-RR 1995, 114 (116); VGH Kassel NVwZ 1991, 1098 für den Sonderfall einer Verordnung über Volksabstimmungen; vgl. auch OVG Koblenz NJW 1988, 1684. 359 Schenke, Rechtsschutz, S. 334; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (342); Schäfer, S. 175 f.; Renck, DÖV 1964, 1 (7); ders. DÖV 1964, 651 (652); Koehler, § 47 Anm. II 1; Ule, AöR 82 (1957), 123 (127 f.); Bergmann, VerwArch 51 (1960), 36 (39 f.); Müller, DÖV 1965, 759; Sodan/Ziekow-Ziekow, § 47 Rn. 4 ff.; VGH Kassel, DÖV 1983, 385. 353 354
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Art. 93 I Nr. 2 GG angelehnten 360 Normenkontrolle nach § 47 VwGO ist insbesondere daran erkennbar, dass die Feststellung der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Rechtsvorschrift allgemein verbindlich ist und damit eine normative Wirkung besitzt, welche fachgerichtlichen Urteilen grundsätzlich fremd ist.361 Prüft ein OVG die Vereinbarkeit einer untergesetzlichen Landesnorm mit Bundesrecht im Verfahren des § 47 VwGO, dann kann die Streitigkeit keine andere Rechtsnatur haben, als wenn dieselbe Prüfung durch das BVerfG im Verfahren des Art. 93 I Nr. 2 GG vorgenommen würde. 362 Hinge nämlich die Rechtsnatur der Streitigkeit von der Gerichtsbarkeit ab, die über sie entscheidet, so würde der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit formell bestimmt werden. 363 Auch aus dem Umstand, dass Art. 93 I Nr. 2 GG eine abstrakte Nomenkontrolle regelt und § 47 VwGO eine prinzipale, lässt sich eine Differenzierung bei der Rechtsnatur der Streitigkeit nicht rechtfertigen. Der Prüfungsgegenstand ist nämlich in beiden Verfahren gleich. Unterschiede bestehen lediglich bei der Parteifähigkeit und der Antragsbefugnis. Bezeichnenderweise vertrat denn auch der Gesetzgeber bei der Schaffung der VwGO die Auffassung, dass die prinzipale Normenkontrolle untergesetzlicher Vorschriften „ihrem Wesen nach an sich zur Verfassungsgerichtsbarkeit“ 364 gehöre. b) Wäre hingegen für die prinzipale Normenkontrolle untergesetzlicher Rechtsnormen über § 40 I 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, so könnte der beschränkte Umfang der Rechtsvorschriften, welche nach § 47 I VwGO einer prinzipalen Normenkontrolle zugänglich sind, nicht aufrecht erhalten werden. Vielmehr müsste die verwaltungsgerichtliche Prüfungskompetenz auf sämtliche untergesetzliche Rechtsnormen erweitert werden, um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. 365 Es widerspräche Art. 19 IV GG, 366 für den Normenkontrollantrag beispielsweise einer bundesrechtlichen Verordnung einerseits den Verwaltungsrechtsweg zu bejahen, andererseits aber den Antrag mangels statthafter Klageart abzuweisen. 367 Wäre der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, so müsste er auch effektiv ausgestaltet sein. Da aber die VwGO – von der Sondervorschrift des § 47 VwGO abgesehen – keine Normenkontrollklage vorsieht, 368 müsste folglich eine bereits beSchoch-Gerhardt, § 47 Rn. 4. Ule, AöR 82 (1957), 123 (127 f.); Bergmann, VerwArch 51 (1960), 36 (39 f.); Müller, DÖV1965, 759; Schenke, NJW 1978, 671 (673) m.w.Nachw; Renck, BayVBl. 1994, 457 (459). 362 Renck, DÖV 1964, 651 (652). 363 Zu den Bedenken gegen eine formelle Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit siehe oben Kapitel II C. 364 BT-Drucks. III/55, S. 33. 365 Detterbeck, DÖV 1990, 858 (859); Sodan/Ziekow-Ziekow, § 47, Rn. 4; Pielow, DV 1999, 445 (467); BVerwGE 80, 355 (362). 366 Dazu dass Art.19 IV GG auch Rechtsschutz vor untergesetzlichen Normen gewährt siehe Kapitel VII A. sowie BVerwGE 80, 355 (361); Maurer, S. 285; Renck, JuS 1966, 273 (274); Würtenberger, AöR 105 (1980), 370 (375 ff.); Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (315). 367 Bartlsperger, DVBl. 1967, 360 (370); Schenke, NJW 1978, 671 (674 f.); Pielow, DV 1999, 445 (467). 368 VGH München NVwZ-RR 1995, 114 (115); Kilian, NVwZ 1998, 142; Kukk, NVwZ 2001, 408 (409). 360 361
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stehende Klageart erweiternd ausgelegt werden 369 bzw. eine neue Klageart konstruiert werden. 370 Ein umfängliche prinzipale Normenkontrolle könnte zunächst durch eine analoge Anwendung des § 47 VwGO gewährleistet werden. 371 Jedoch ist heute nach allgemeiner Auffassung § 47 VwGO gerade nicht analogiefähig, da sonst seine eng umgrenzten Voraussetzungen umgangen würden. 372 Insbesondere der Ländervorbehalt des § 47 I Nr. 2 VwGO würde ausgehebelt, wenn die Vorschrift in den Ländern, welche von der Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht haben, analoge Anwendung fände. 373 Denselben Einwendungen sieht sich auch die Konstruktion einer neuen Klageart 374 ausgesetzt. Durch eine solche würden nämlich ebenfalls die Einschränkungen des § 47 I VwGO umgangen. Hiergegen wurde eingewendet, § 47 VwGO sei ein objektives Beanstandungsverfahren, wohingegen eine anhand von Art. 19 IV GG entwickelte prinzipale Normenkontrolle, welche verlange, dass der Bürger in entsprechender Anwendung des § 42 II VwGO die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten darlege, 375 allein dem subjektiven Rechtsschutz diene. 376 Wegen dieser unterschiedlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen stünden daher beide Verfahren unberührt nebeneinander, so dass der Vorbehalt des § 47 I Nr. 2 VwGO nicht umgangen werde. 377 Dem Landesgesetzgeber sei nämlich allein die Entscheidung über die Einführung des objektiven Beanstandungsverfahrens überlassen. Eine durch einen in subjektiven Rechten betroffenen Bürger eingeleitete prinzipale Normenkontrolle könne er hingegen nicht ausschließen. 378 Diese Argumentation kann jedoch spätestens seit der Neufassung des § 47 II VwGO nicht mehr aufrechterhalten werden. Der heutige § 47 II VwGO, welcher synonym zu § 42 II VwGO ausgelegt wird, verlangt nämlich ebenfalls, dass der Antragssteller geltend machen kann, in eigenen Rechten verletzt zu sein. 379 Damit dient heute auch § 47 VwGO jedenfalls weit überwiegend dem individuellen Rechtsschutz. 380 Folglich wäre die Entwicklung einer weiteren verwaltungsgerichtlichen prinzipalen Normenkontrolle mit § 47 VwGO nicht vereinbar. Die Qualifikation der prinzipalen Hierfür Obermayer, DVBl. 1965, 625 (632). Hierfür Maurer, S. 305; Bartlsperger, DVBl. 1967, 360 (372). 371 Obermayer, DVBl. 1965, 625 (632); Frenz, BayVBl. 1993, 483 (489 ff.).; a. A. Renck, JuS 1966, 273 (275). 372 Redeker/v. Oertzen, § 47 Rn. 3 m. w. Nachw.; Renck, BayVBl. 1994, 457 (459); Pielow, DV 1999, 445 (467 f.). 373 Maurer, S. 294; Schenke, JuS 1981, 81, (86). 374 So hält Pielow, DV 1999, 445 (471) etwa die Konstruktion einer prinzipalen Normenkontrolle mit inter omnes Wirkung über § 43 I VwGO für möglich. 375 Maurer, S. 308. 376 Bartlsperger, DVBl. 1967, 360 (371 f.). 377 Maurer, S. 311. 378 Maurer, S. 293. 379 BVerwG NVwZ 2001, 1038 (1039); Pielow, DV 1999, 445 (451); damit ist auch dem Lösungsvorschlag Bartlspergers die Grundlage entzogen, welcher für sich selbst vollziehende Rechtsnormen ein Kontrollverfahren in Analogie zu § 47 VwGO unter Ersetzung des § 47 II VwGO durch § 42 II VwGO konstruiert [DVBl. 1967, 360 (372 f.)]. 380 Eyermann-Schmidt, § 47 Rn. 5 f.; vgl. bereits VGH Kassel NJW 1967, 266 (268). 369 370
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Normenkontrolle als verwaltungsgerichtliche Streitigkeit führt somit aber in eine Sackgasse, da die Ausgestaltung des § 47 I VwGO nicht mit der Vorstellung einer verwaltungsrechtlichen Natur der prinzipalen Normenkontrolle in Einklang gebracht werden kann. c) Der verfassungsrechtliche Charakter der prinzipalen Normenkontrolle ergibt sich weiterhin daraus, dass in § 47 I Nr. 2 VwGO dem Landesgesetzgeber die Entscheidung über die Justiziabilität seiner Rechtsverordnungen vor dem Oberverwaltungsgericht vorbehalten ist. Der Grund für diese Regelung kann nur darin liegen, dass die Überprüfung landesrechtlicher Vorschriften am Maßstab höherrangigen Landesrechts Landesverfassungsgerichtsbarkeit darstellt, welche in den Kompetenzbereich des Landesgesetzgebers fällt. 381 Daneben geht auch die Vorschrift des § 47 III VwGO offensichtlich davon aus, dass die Überprüfung von landesrechtlichen Rechtsvorschriften anhand von Landesrecht in den Aufgabenbereich der Landesverfassungsgerichte fällt, indem sie einen Vorbehalt zugunsten der Verfassungsgerichtsbarkeit begründet. 382 Diese Sichtweise wird durch das BVerfG bestätigt, welches in ständiger Rspr. 383 sich nicht für befugt hält, die Vereinbarkeit untergesetzlicher Rechtsnormen an Landesrecht zu überprüfen, da es andernfalls in die Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder eingreifen würde. 384 Die Kontrolle derselben Norm kann aber nicht einerseits im Rahmen des § 47 VwGO materielle Verwaltungsgerichtsbarkeit sein und andererseits materielle Verfassungsgerichtsbarkeit, wenn sie durch ein Landesverfassungsgericht erfolgt. 385 d) Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Kompetenz der Verwaltungsgerichte zur Inzidentkontrolle. 386 Den Verwaltungsgerichten kommt nämlich bei der inzidenten Normenkontrolle keine Verwerfungskompetenz zu, so dass sich Rückschlüsse aus der Kompetenz zur inzidenten Normenkontrolle auf die zur prinzipalen Normenkontrolle verbieten. 387 Auch aus einem Umkehrschluss zur konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 I GG lässt sich ein verwaltungsrechtlicher Charakter der prinzipalen Normenkontrolle nicht begründen. Aus dieser Vorschrift folgt lediglich, dass die Verwaltungsgerichte zur inzidenten Kontrolle untergesetzlicher Normen befugt sind. Art. 100 I GG trifft hingegen keine Aussage zur prinzipalen Normenkontrolle. 388 Zudem wird bei der inzidenten Normenkontrolle nur vorfrageweise Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (343). Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (343); vgl. BVerfGE 31, 364. 383 BVerfGE 41, 89 (119 f.); E 45, 400 (413). 384 BVerfGE 41, 89 (119): „Die Nachprüfung von Landesgesetzen auf ihre Vereinbarkeit mit der Landesverfassung ist daher grundsätzlich Sache der Landesverfassungsgerichte“; Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (346). 385 Sodan/Ziekow-Ziekow, § 47 Rn. 9. 386 A. A. BVerfG NVwZ 1998, 169 (170); vgl. bereits BVerfGE 76, 107 (115). 387 Bethge, Jura 1998, 529 (533); dies verkennt Schoch-Gerhardt, § 47 VwGO Rn.4; zur Unterscheidung zwischen Prüfungs- und Verwerfungskompetenz vgl. auch Robbers, NJW 1998 935 (938). 388 Rupp, NVwZ 2002, 286 (287). 381 382
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über die Rechtmäßigkeit der Norm entschieden. 389 Da aber die Rechtsnatur von Vorfragen keinen Einfluss auf den Rechtsweg hat, 390 kann umgekehrt auch nicht aus der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs bei der Inzidentkontrolle auf die verwaltungsrechtliche Natur der prinzipalen Normenkontrolle geschlossen werden. e) Eine zusätzliche Bestätigung findet die hier vertretene Ansicht in der Rechtssatzverfassungsbeschwerde, bei der es sich – wie bereits dargelegt –, um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt. 391 Ist demnach beispielsweise die Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen einen Bebauungsplan eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, so kann für das der Verfassungsbeschwerde vorgeschaltete Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO aber nichts anderes gelten. Ansonsten würde man nämlich den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit wiederum formell danach bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung der Streitigkeit zuständig ist. Als Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass auch die prinzipale Normenkontrolle untergesetzlicher Normen ihrem Wesen nach in die Kompetenz der Verfassungsgerichte fällt und damit verfassungsrechtlicher Natur ist. Demgegenüber kann die Inzidentkontrolle einer untergesetzlichen Norm auch durch die Fachgerichte vorgenommen werden. Erfolgt die Inzidentkontrolle im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit, sind somit die Verwaltungsgerichte zuständig. Eine Inzidentkontrolle kommt insbesondere hinsichtlich solcher Normen im Betracht, die nicht unmittelbar gegenüber dem Bürger wirken, sondern durch Verwaltungshandeln vollzogen werden müssen. Hier wird ein effektiver Rechtsschutz dadurch gewährleistet, dass der Bürger sich vor den Verwaltungsgerichten gegen den Vollzugsakt wehren und dadurch eine inzidente Normenkontrolle erreichen kann. 392 Für eine prinzipale Normenkontrolle fehlt es dann grundsätzlich am Rechtsschutzbedürfnis. 393 Die prinzipale Nomenkontrolle kommt damit im Grundsatz nur gegen Rechtsnormen in Betracht, die unmittelbar gegenüber dem Bürger wirken, weil sie keines Vollzugsaktes bedürfen, die mit anderen Worten „selbstvollziehend“ sind. 394 Auch hier kann aber in den meisten Fällen eine Inzidentkontrolle im Rahmen einer Feststellungsklage nach § 43 I VwGO effektiven Rechtsschutz gewährleisten, 395 soweit durch die Rechtsvorschrift ein Rechtsverhältnis begründet, aufgehoben oder umgestaltet wird, 396 wie dies beispielsweise bei der Begründung einer Zwangsmitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband VGH München NVwZ-RR 1995, 114 (116). Siehe oben Kapitel V B. I. 2. e). 391 Siehe oben Kapitel V A. II. 392 BVerwGE 31, 364 (369); BVerwG DVBl. 1993, 886; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1064; Pielow, DV 1999, 445 (447). 393 Frenz, BayVBl. 1993, 483 (485); Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 20. 394 Frenz, BayVBl. 1993, 483 (485); Schenke, JZ 1988, 317 (319); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1072; Sodan, NVwZ 2000, 601 (608). 395 Schenke, JZ 1988, 317 (319); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1064. 396 Bachof, AöR 86 (1961), 186 (188 f.). 389 390
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oder bei der Statuierung eines Anschluss- und Benutzungszwangs durch eine gemeindliche Satzung der Fall ist. 397 Hier kann der Bürger vor den Verwaltungsgerichten eine Klage auf Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses erheben. Hingegen bedarf es einer prinzipalen Normenkontrolle insbesondere bei sog. janusköpfigen Rechtsnormen, bei denen sich die rechtliche Belastung einer bestimmten Person daraus ergibt, dass die Norm einem im Vorhinein nicht feststehenden Personenkreis ein bestimmtes Verhalten abverlangt 398 bzw. einen bestimmten Vorteil gewährt 399. Weiterhin erforderlich ist eine prinzipale Normenkontrolle bei Plannormen, wie z. B. dem Bebauungsplan 400, sowie allgemein bei allen Rechtsnormen, die zu dem Rechtsschutzsuchenden kein im Rahmen des § 43 I VwGO feststellbares Rechtsverhältnis begründen. 401 Demgegenüber neigt das BVerwG zu einer sehr weiten Ausdehnung der inzidenten Normenkontrolle über § 43 I VwGO. So hatte sich das Gericht jüngst mit der Klage eines lärmgeplagten Anwohners des Flughafens Köln/Bonn zu beschäftigen, mit der er sich unmittelbar gegen die Rechtsverordnung des Luftfahrt-Bundesamts zur Festlegung von Anund Abflugstrecken wandte. 402 Das BVerwG bejahte hier die Möglichkeit einer Inzidentkontrolle über § 43 I VwGO. 403 Als feststellungsfähiges Rechtsverhältnis nahm das Gericht offenbar das Recht des Staates an, durch die Rechtsverordnung in die Sphäre des Bürgers einzugreifen und die damit korrespondierende Pflicht des Bürgers, diesen Eingriff zu dulden. 404 Im Rahmen der Feststellung, ob der Normgeber Rechte des Bürgers aus diesem Rechtsverhältnis verletzt habe, könne inzident die Rechtmäßigkeit der Rechtsverordnung überprüft werden. 405 Indessen kann einer solchen Ausdehnung des Begriffs des „Rechtsverhältnisses“ nach § 43 I VwGO nicht gefolgt werden. 406 Zunächst ist bereits mehr als fraglich, ob das Recht des Staates zur Gesetzgebung gegenüber dem Bürger hinreichend konkret Schenke, JuS 1981, 81 (85); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1076. Als Beispiel nennt Schenke, JuS 1981, 81 (84) einen Müllunternehmer, der dadurch belastet wird, dass eine gemeindliche Satzung den Einwohnern einen Anschluss- und Benutzungszwang für die gemeindliche Müllabfuhr vorschreibt. 399 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1068; ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 23. 400 Schenke, JuS 1981, 81 (85); ders., JZ 1988, 317 (319); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1079. 401 Vgl. Schenke, JuS 1981, 81 (86). 402 BVerwG DÖV 2000, 1005; Aulehner, JA 2001, 291; Pielow, DV 1999, 445 (466). 403 BVerwG DÖV 2000, 1005; a. A. NRWVerfGH NVwZ 1990, 456, welches für die prinzipale Normenkontrolle einer untergesetzlichen Rechtsnorm mangels Statthaftigkeit eines Verfahrens nach § 47 VwGO den Verwaltungsrechtsweg für ausgeschlossen hielt; wieder anders Czybulka/Wandres, DÖV 1990, 1033 (1035 ff.) und Czybulka, DÖV 1991, 410, welche die Rechtsverordnung zur Festlegung von Flugrouten materiell als Allgemeinverfügung begreifen und über die Anfechtungsklage Rechtsschutz gewähren. 404 So bereits Renck, DÖV 1964, 651 (655). 405 Vgl. Renck, DÖV 1964, 651 (655). 406 Schenke, JuS 1981, 81 (86); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1075; Clausing, JuS 2001, 998 (999). 397 398
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ist. 407 Weiterhin läuft diese Sichtweise im Ergebnis auf eine auf § 43 I VwGO gestützte prinzipale Normenkontrolle hinaus. 408 Die nach Auffassung des BVerwG im Wege einer Klage nach § 43 I VwGO feststellungsfähige Frage, ob der Bürger durch die Rechtsnorm in seinen Rechten verletzt wird, fällt nämlich mit der nach der Rechtmäßigkeit der Rechtsnorm zusammen. Von einer Inzidentkontrolle kann daher keine Rede sein. 409 Vielmehr wird hier eine Rechtsnorm selbst zum Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 43 I VwGO gemacht. 410 Bezeichnenderweise wollen denn auch die Anhänger eines solch weiten Verständnisses des Begriffs des „Rechtsverhältnisses“ einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Norm zulassen. 411 Dies entspricht aber dem Antrag im prinzipalen Kontrollverfahren. Auch der Tenor müsste in der Sache die Nichtigkeit der Norm feststellen. Formulierungsvorschläge wie es sei festzustellen, dass der Beklagte zur Normsetzung nicht berechtigt war, 412 dienen nur der Verschleierung. Denn in der Sache würde diese Feststellung nichts anderes bedeuten, als dass die Norm rechtswidrig und damit nichtig ist. 413 Eine solche „verkappte Einführung der abstrakten Normenkontrolle“ 414 über § 43 I VwGO würde sich zwar auf den ersten Blick nicht zwangsläufig in Widerspruch zu § 47 VwGO setzen. Da das zusprechende Feststellungsurteil nach § 43 I VwGO gem. § 121 VwGO lediglich inter partes Wirkung besitzt, 415 wohingegen das zusprechende Urteil nach § 47 V 2 VwGO inter omnes Wirkung erlangt, könnte argumentiert werden, dass die Verfahren aufgrund ihrer unterschiedlichen Bindungswirkung unberührt nebeneinander stünden.416 Indessen vermag aber die Konstruktion einer auf eine bloße inter partes Wirkung beschränkten prinzipalen Normenkontrolle nicht zu überzeugen. 417 Rechtswidrige Rechtsvorschriften bedürfen im Gegensatz zu Verwaltungsakten keiner Aufhebung. Eine Rechtsnorm ist entweder rechtmäßig und damit wirksam oder 407 Schenke, JuS 1981, 81 (86); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1075; Clausing, JuS 2001, 998 (999). 408 Schenke, JuS 1981, 81 (86); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1075; Clausing, JuS 2001, 998 (999); Pielow, DV 1999, 445 (464). 409 Ebenso VGH München NVwZ-RR 1995, 114 (116); BVerwG BayVBl. 1974, 500 (501); Clausing, JuS 2001, 998 (999); hiervon geht auch Rupp, NVwZ 2002, 286 (288, 290) stillschweigend aus. 410 Dies widerspricht aber der bislang ganz h. M., wonach die Gültigkeit von Rechtsvorschriften nicht feststellungsfähige Rechtsverhältnisse i. S. d. § 43 I VwGO sind. Vgl. Kopp/ Schenke, § 43 Rn. 14 m. w. Nachw.; BVerwG BayVBl. 1974, 500 (501); DVBl. 1993, 886; OVG Koblenz NJW 1988, 1684; VGH München NVwZ-RR 1995, 114 (116); Maurer, S. 296. 411 Renck, DÖV 1964, 651 (657). 412 Renck, DÖV 1964, 651 (657). 413 Dies muss auch Pielow, DV 1999, 445 (471) einräumen. 414 BVerwG DÖV 1965, 169; kritisch Renck, JuS 1966, 273 (278). 415 Rupp, NVwZ 2002, 286 (290); Bartlsperger, DVBl. 1967, 360 (370); Clausing, JuS 2001, 998 (999). 416 In diesem Sinne Renck, DÖV 1964, 651 (657). 417 Bartlsperger, DVBl. 1967, 360 (371 f.); Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1073; Pielow, DV 1999, 445 (464).
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rechtswidrig und damit unwirksam, sie kann hingegen nicht zugleich wirksam und nichtig sein. 418 Es ist daher rein logisch nicht denkbar, dass eine Norm gegenüber dem einen Bürger nichtig und gegenüber dem anderen wirksam ist. Daher könnte ein Urteil auch nicht aussprechen, dass die Rechtsnorm gerade gegenüber dem Kläger nichtig ist, also gerade er sich nicht an die Vorschrift halten muss. Denn kein Bürger ist gezwungen, sich an eine nichtige Rechtsvorschrift zu halten, egal ob er gegen sie gerichtlich vorgegangen ist oder nicht. 419 Genauso wenig ist denkbar, dass eine Rechtsvorschrift allein gegenüber dem erfolgreichen Kläger durch Urteil „aufgehoben“ werden könnte. Die Normenkontrolle stellt nämlich nur die bestehende Rechtslage fest, sie gestaltet sie nicht. Da eine rechtswidrige Norm aus sich heraus nichtig ist – und zwar gegenüber jedermann –, kann sie nicht durch Urteil „aufgehoben“ werden. 420 Darüber hinaus vermag eine prinzipale Normenkontrolle mit inter partes Wirkung gerade bei janusköpfigen Rechtsnormen, welche ein störendes oder belastendes Verhalten einer unbestimmten Vielzahl Dritter regelt, keinen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Denn die Normadressaten wären an die Feststellung, dass die Norm nichtig ist, nicht gebunden. 421 So wäre etwa eine Fluggesellschaft rechtlich nicht gehindert, ihre Flugrouten gemäß der Rechtsverordnung des Luftfahrt-Bundesamts zu wählen, selbst wenn deren Nichtigkeit im Verhältnis zwischen dem klagenden Anwohner und der Bundesrepublik Deutschland festgestellt würde. 422 Erschwerend käme die Ungereimtheit hinzu, dass – soweit nicht § 48 VwGO greift –, die einfachen Verwaltungsgerichte für die Überprüfung bundesrechtlicher Rechtsverordnungen nach § 43 I VwGO zuständig wären, wohingegen beispielsweise über Bebauungspläne nach wie vor das OVG gem. § 47 I Nr. 1 VwGO zu befinden hätte. Auch würde die Vorbehaltsklausel des § 47 I Nr. 2 VwGO ad absurdum geführt: Machte das Land von dem Vorbehalt Gebrauch, wäre das OVG zuständig, andernfalls müssten die einfachen Verwaltungsgerichte angerufen werden. Die Vorbehaltsklausel würde damit in ein unsinniges Wahlrecht des Landesgesetzgebers zwischen VG und OVG umgewandelt; die Einführung einer prinzipalen Normenkontrolle über § 43 VwGO würde mithin zu einer nicht nachvollziehbaren Kompetenzverteilung zwischen dem OVG und den Verwaltungsgerichten führen. Das BVerwG hätte sich daher in der Klage des Flughafenanwohners für unzuständig erklären müssen. 423 Demgegenüber wäre beispielsweise für die Klage einer Fluggesellschaft auf Feststellung, eine bestimmte Route fliegen zu dürfen, der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Streitgegenstand wäre hier nämlich nicht die Rechtsverordnung selbst, sondern vielmehr die aus ihr entBettermann, AöR 86 (1961), 129 (156 und 160). Dies verkennt Maurer, S. 310. 420 Zutreffend Renck, DÖV 1964, 651 (654). 421 Pielow, DV 1999, 445 (464). 422 Pielow, DV 1999, 445 (470). 423 Dies tat es freilich insbesondere deshalb nicht, weil zuvor das nach dem hier vertretenen Lösungsansatz eigentlich zuständige BVerfG (siehe hierzu näher unten Kapitel VII) sich für unzuständig erklärt hatte (BVerfG NVwZ 1998, 169). 418 419
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springenden Rechte und Pflichten, welche im Rahmen einer Feststellungsklage nach § 43 I VwGO feststellbar sind. 424 Im Rahmen dieser Prüfung könnte das gem. § 48 I Nr. 6 VwGO zuständige Bundesverwaltungsgericht 425 die Rechtsverordnung einer inzidenten Normenkontrolle unterziehen. 4. Die Klage auf Erlass untergesetzlicher Rechtsnormen Auch die Klage auf Erlass untergesetzlicher Rechtsnormen ist verfassungsrechtlicher Art. 426 Sie teilt „als Kehrseite“ der prinzipalen Kontrolle deren Rechtsnatur. 427 Die Annahme einer verwaltungsrechtlichen Streitigkeit sieht sich hier im Übrigen ähnlichen Bedenken ausgesetzt wie eine verwaltungsrechtliche prinzipale Normenkontrolle. Eine verwaltungsgerichtliche Normenerlassklage lässt sich nämlich nicht in überzeugender Weise konstruieren. Insbesondere lässt sie sich nicht auf § 43 I VwGO stützen, 428 da dann für die prinzipale Normenkontrolle – soweit § 47 VwGO greift – das OVG zuständig wäre, wohingegen die einfachen Verwaltungsgerichte über die schwerwiegendere Verpflichtung des Verordnungsgebers zum Erlass einer Rechtsnorm befinden könnten. 429 Diese Ungereimtheit bei der gerichtlichen Kompetenzverteilung ließe sich wiederum auch nicht durch die Konstruktion einer Normenerlassklage in Analogie zu § 47 I VwGO vermeiden, da es sich – wie bereits ausgeführt 430 – bei § 47 VwGO um eine eng umgrenzte Ausnahmevorschrift handelt, die einer Analogie nicht zugänglich ist. 431 Nach seinem klaren Wortlaut bezieht sich § 47 I VwGO ausschließlich auf die Überprüfung bereits erlassener Gesetze. Hinzu kommt, dass § 47 VI VwGO das OVG lediglich dazu ermächtigt, die Rechtsnorm für nichtig zu erklären. Für eine darüber hinausgehende Befugnis, den Normgeber zu einem zukünftigen Verhalten zu verpflichten, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. 432 Letzt424 Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1076: „Hingegen bestehen keine Bedenken gegenüber einer Feststellungsklage, welche auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines durch die Norm intendierten Rechtsverhältnisses gerichtet ist“. 425 Kopp/Schenke, § 48 Rn. 9. 426 Schenke, Rechtsschutz, S. 332 ff.; Kalkbrenner, DÖV 1963, 41 (51) m. w. Nachw.; a. A. Robbers, JuS 1988, 949 (950); BVerwGE 80, 355; OVG Münster NJW 1982, 1415. 427 Vgl. BVerwGE 75, 330 (334); E 80, 355 (359, 362 f.); Schenke, Rechtsschutz, S. 333; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (339). 428 So aber Sodan, NVwZ 2000, 601 (608 f.). 429 Schenke, Rechtsschutz, S. 335; ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1083; VGH München BayVBl. 1980, 209 (211): „Jedenfalls darf zur Vermeidung divergierender Entscheidungen kein Nebeneinander normenkontrollrechtlicher und allgemeiner Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte bestehen“. 430 Siehe oben Kapitel V C. V. 3. 431 Schenke, Rechtsschutz, S. 335; Redeker/v. Oertzen, § 47 Rn. 10 m. w. Nachw.; Würtenberger, AöR 105 (1980), 370 (388 f.); Sodan, NVwZ 2000, 601 (608); Westbomke, S. 129: Die Normenkontrolle und die Normenerlassklage sind nicht lediglich die beiden Pole eines übergeordneten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes im Normbereich; a. A. VGH München BayVBl. 1980, 209 (211). 432 VGH Kassel DÖV 1983, 385 (386).
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Kap. V: Das Wesen der verfassungsrechtlichen Streitigkeit
lich wäre eine über § 47 VwGO konstruierte Normenerlassklage auch lückenhaft, da wegen des Einführungsvorbehalts des § 47 I Nr. 2 VwGO nicht in allen Ländern eine solche Klage zulässig wäre. 433 Wiederum müssten dann zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes die einschränkenden Voraussetzungen des § 47 VwGO aufgegeben werden. Damit erweist sich auch hier der Verwaltungsrechtsweg als ungeeignet.
VI. Rückschlüsse aus den übrigen verfassungsrechtlichen Streitigkeiten des Grundgesetzes auf den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO Zu untersuchen ist weiterhin, welche Rückschlüsse sich aus den dem BVerfG vorbehaltenen Streitigkeiten der Art. 18, 21 II, 41 II, 61, 98 II, V, 99 und 126 GG für den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO ergeben. Da es sich bei diesen Verfahren um eng umgrenzte Sonderfälle verfassungsrechtlicher Streitigkeiten handelt, ist ihre Bedeutung für § 40 I 1 VwGO eher gering. So kann Art. 18 GG für den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO lediglich entnommen werden, dass eine Streitigkeit um die Entziehung von Grundrechten stets dem BVerfG vorbehalten sein muss und der Verwaltungsrechtsweg für derartige Streitigkeiten daher verschlossen ist. Aus Art. 21 II GG folgt, dass nur das BVerfG die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei feststellen kann. Für derartige Streitigkeiten ist der Verwaltungsrechtsweg daher auch dann verschlossen, wenn das Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 II 2 GG, §§ 43 ff. BVerfGG nicht statthaft ist, etwa weil der Verbotsantrag nicht von dem Bundesrat, dem Bundestag oder der Bundesregierung, sondern beispielsweise von einem Bürger gestellt wurde. Art. 21 II GG dient nämlich dem Schutz der politischen Parteien. Nur das BVerfG als oberster Hüter der Verfassung soll befugt sein, über ihre Verfassungsmäßigkeit zu entscheiden. Dieser Schutzgedanke greift unabhängig davon, ob der Verbotsantrag von Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung, oder aber von einem Bürger gestellt worden ist. Daher ist unabhängig von der Person des Antragstellers stets eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO anzunehmen. Auf Art. 41 II GG wird im Zusammenhang mit der Bestimmung der Rechtsnatur von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Bundestagswahlen näher einzugehen sein. 434 Art. 61 I 1 GG und Art. 98 II, V GG ist zu entnehmen, dass ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Bundespräsidenten oder einen Bundes- oder Landesrichter 433 434
Würtenberger, AöR 105 (1980), 370 (389). Siehe Kapitel VI E. und f.
C. Rückschlüsse aus den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten
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verfassungsrechtlicher Natur i. S. d. § 40 I 1 VwGO ist. Auch diese Entscheidung soll aufgrund ihrer Bedeutung für die verfassungsrechtliche Ordnung dem BVerfG vorbehalten sein. Ähnlich wie bei dem Parteiverbotsverfahren kann es daher hier ebenfalls keinen Unterschied für den Rechtsweg machen, wer den Antrag auf Amtsenthebung gestellt hat. Auch der Antrag eines Bürgers auf die Amtsenthebung des Bundespräsidenten oder eines Bundes- oder Landesrichters ist daher verfassungsrechtlicher Natur, so dass der Verwaltungsrechtsweg verschlossen ist. Wenig ergiebig für die Bestimmung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO ist Art. 99 GG, da diese Vorschrift zwar bestimmt, dass der Landesgesetzgeber landesverfassungsrechtliche Streitigkeiten dem BVerfG zuweisen kann, jedoch nicht näher definiert, welche Streitigkeiten hierunter zu verstehen sind. Aus Art. 126 GG folgt, dass Streitigkeiten über das Fortgelten des alten Rechts als Bundesrecht ihrem Wesen nach dem BVerfG vorbehalten bleiben sollen und damit ebenfalls verfassungsrechtlicher Natur i. S. d. § 40 I 1 VwGO sind. Antragsberechtigt sind gem. § 86 I BVerfGG der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die Landesregierungen; ist in einem gerichtlichen Verfahren streitig und erheblich, ob ein Gesetz als Bundesrecht fortgilt, so hat das Gericht nach § 86 II BVerfGG ähnlich wie bei Art. 100 I GG die Frage dem BVerfG vorzulegen. Hieraus ergibt sich, dass die Fachgerichte nicht zur Entscheidung über die Fortgeltung alten Rechts als Bundesrecht befugt sind. Derartige Streitigkeiten sind daher auch dann als verfassungsrechtlich zu qualifizieren, wenn der Antrag nicht von einem nach § 86 I BVerfG parteifähigen Verfassungsrechtssubjekt, sondern von einem Bürger gestellt wird.
VII. Fazit Als verfassungsrechtliche Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO sind demnach zu qualifizieren: 1. Streitigkeiten über die formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenzen eines Verfassungsrechtssubjekts. 2. Die prinzipale Normenkontrolle und die Normenerlassklage, ungeachtet dessen, ob ein formelles Gesetz oder eine untergesetzliche Rechtsnorm in Streit steht. 3. Streitigkeiten über die Entziehung von Grundrechten; das Parteiverbotsverfahren; die Bundespräsidenten- und Richteranklage sowie Streitigkeiten über die Fortgeltung alten Rechts als Bundesrecht.
8 Kraayvanger
Kapitel VI
Verfassungsrechtliche Streitigkeiten mit Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts Aus der in den vorangegangenen Kapiteln entwickelten Definition ergibt sich, dass durchaus auch Streitigkeiten mit Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts, insbesondere eines Bürgers, verfassungsrechtlicher Natur sein können. Im Folgenden sollen einige besonders umstrittene Fallkonstellationen untersucht werden.
A. Öffentlichkeitsarbeit der Regierung Unter Öffentlichkeitsarbeit wird die Kommunikation der Regierung mit der Bevölkerung verstanden. 1 Sie umfasst im Wesentlichen die Erteilung von Auskünften, Empfehlungen, Berichten und Gutachten. 2 Von rechtlicher Bedeutung sind hierbei insbesondere zwei Formen der Öffentlichkeitsarbeit, 3 deren rechtliche Einordnung im Folgenden näher untersucht werden soll.
I. Die Darstellung der Regierungspolitik im Wahlkampf Grundsätzlich ist die Bundesregierung berechtigt, die Bevölkerung über ihre Tätigkeit zu informieren und um Zustimmung für ihre Politik zu werben.4 Auch ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage ist nämlich der Grundsatz anerkannt,5 dass derjenige, der eine Staatsaufgabe wahrnimmt, auch über diese informieren darf. 6 Die Legitimation hierfür folgt mangels speziellerer Rechtsgrundlage aus dem in Art. 20 II GG grundgesetzlich verankerten Demokratieprinzip. 7 Dieses geht von der Notwen1 Vgl. Gusy, NJW 2000, 977 ff.; ders., JZ 1989, 1003 ff.; Di Fabio, NJW 1997, 2863 ff.; Leidinger, DÖV 1993, 925 ff.; Schoch, DVBl. 1991, 667 ff.; Heintzen, NJW 1990, 1448 ff. 2 Gusy, NJW 2000, 977 (978). 3 Vgl. Gusy, NJW 2000, 977 ff.; ders., JZ 1989, 1003 ff.; Di Fabio, NJW 1997, 2863 ff.; Leidinger, DÖV 1993, 925 ff.; Schoch, DVBl. 1991, 667 ff.; Heintzen, NJW 1990, 1448 ff. 4 Gusy, NJW 2000, 977 (978). 5 BVerfGE 44, 125; BVerfG NVwZ 1988, 817; Gusy, NJW 2000, 977 (978). 6 BVerfGE 20, 56 (99); E 12, 205 (265); E 12, 113 (125); E 8, 104 (113); Gusy, NJW 2000, 977 (978). 7 BVerfGE 63, 230 (242 f.); E 44, 125 (147, 152); E 40, 287 (293 f.); Gusy, NJW 2000, 977 (978); Bleckmann, DVBl. 1985, 832 (833).
A. Öffentlichkeitsarbeit der Regierung
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digkeit eines „Grundkonsenses“, d. h. eines weitgehenden Einverständnisses der Bürger mit der Staatsordnung aus. 8 Einen solchen Grundkonsens herzustellen, ist Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit. 9 Die Regierung in einem demokratischen Staat muss stets darauf bedacht sein, nicht gegen die Bevölkerung zu regieren, sondern eine möglichst breite Zustimmung herzustellen. Hierfür muss sie ihre Vorhaben erläutern und für Vertrauen bei den Bürgern werben dürfen. 10 Dadurch bewirkt die Öffentlichkeitsarbeit eine Teilhabe des Bürgers an der Demokratie. 11 Weiterhin vollzieht sich die demokratische Willensbildung zu einem Großteil über die öffentliche Diskussion, in welcher die Regierung der permanenten Kritik durch die Opposition ausgesetzt ist. Daher darf sie sich auch selbst an dieser Diskussion beteiligen, sich verteidigen, ihre Leistungen hervorheben und verbale „Gegenschläge“ führen. 12 Zum Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen wird die Öffentlichkeitsarbeit regelmäßig zu Wahlkampfzeiten, wenn ein Wahlbewerber der Bundesregierung vorwirft, sie missbrauche ihr Informationsrecht zur Wählerbeeinflussung und beeinträchtige dadurch seine Wahlchancen. 13 Der Rechtscharakter solcher Streitigkeiten ist umstritten. 14 Nach der hier entwickelten Definition ist eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO anzunehmen, wenn die Öffentlichkeitsarbeit eine formell-materiell verfassungsrechtliche Kompetenz der Bundesregierung ist. Wie bereits dargelegt, entspringt die Kompetenz zur Öffentlichkeitsarbeit mangels einfachgesetzlicher Grundlage unmittelbar Art. 20 II GG, ist also zum formellen Verfassungsrecht zu zählen. Gleichwohl handelt es sich hierbei nicht um eine materiell verfassungsrechtliche Kompetenz, da die Information der Bevölkerung eine verwaltende, nicht staatsleitende Maßnahme darstellt. 15 Die Öffentlichkeitsarbeit ist nämlich eine Aufgabe, welche nicht ausschließlich der Regierung als solcher vorbehalten ist, sondern jeder öffentlichen Stelle zukommt, welche Staatsaufgaben wahrnimmt. 16 Ist die Berechtigung bzw. Verpflichtung 17 zur Öffentlichkeitsarbeit aber keine materiell verfassungsrechtliche Kompetenz, kann sie durch die Verwaltungsgerichte kontrolliert werden. Daher sind Streitigkeiten über Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit nichtverfassungsrechtlicher Art i.S. d. § 40 I 1 VwGO. Dies gilt selbst dann, wenn die Regierung über eine staatsleitende Maßnahme informiert. Denn Gegenstand des Rechtsstreits ist auch in diesem Fall lediglich die Rechtmäßigkeit der InformationsGusy, NJW 2000, 977 (978). Gusy, NJW 2000, 977 (978). 10 Vgl. BVerfGE 33, 125 (147 f.); Gusy, NJW 2000, 977 (978). 11 Gusy, NJW 2000, 977 (978). 12 BVerfGE 44, 125 (187); E 40, 287 (293 f.); BVerfG NJW 1981, 1359 (1360); Gusy, NJW 2000, 977 (978). 13 BVerfGE 44, 125; BVerfG NVwZ 1988, 817; Gusy, NJW 2000, 977 (979 f.); Bleckmann, DVBl. 1985, 832 (833). 14 Vgl. BVerfGE 44, 125 einerseits und BVerfG NVwZ 1988, 817 andererseits. 15 Ebenso wohl Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 180. 16 Gusy, NJW 2000, 977 (978). 17 BVerfGE 63, 230 (242 f.); E 44, 125 (147, 152); E 40, 287 (293 f.); Gusy, NJW 2000, 977 (978). 8 9
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
vermittlung, nicht hingegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme selbst, über die informiert wird. Weiterhin wird die Regierung durch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle ihrer Informationspolitik auch nicht an der Ausübung ihrer staatsleitenden Tätigkeit gehindert, so dass der Respekt vor der Stellung der Regierung als Verfassungsorgan eine Einschränkung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht gebietet. Zwar kann die Schaffung einer Akzeptanz in der Bevölkerung Voraussetzung für die politische Durchsetzbarkeit einer bestimmten staatsleitenden Maßnahme sein. Insoweit beeinflusst das Recht zur Information auch die staatleitende Tätigkeit der Regierung. Diese Beeinflussung ist jedoch nur eine mittelbare, da die Informationspolitik lediglich ein Hilfsmittel zur Durchsetzung der staatsleitenden Maßnahme ist und mit dieser daher nicht gleichgesetzt werden kann. Darüber hinaus schränken die Verwaltungsgerichte in ständiger Rspr. das Informationsrecht der Regierung ohnehin nur für die relativ kurze Zeit des „heißen Wahlkampfs“ ein, 18 so dass diese hierdurch nicht wesentlich in ihrer staatsleitenden Funktion beeinträchtigt wird. Daher gehört die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung nicht zu dem unmittelbar geschützten Aufgabenkreis, der einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen sein muss. 19 Demgegenüber ist die Rspr. des BVerfG uneinheitlich. Einerseits bejahte das Gericht – allerdings ohne auf die Rechtsnatur der Öffentlichkeitsarbeit näher einzugehen – die Voraussetzungen für ein Organstreitverfahren zwischen der Bundesregierung und einer politischen Partei, welche sich durch die Öffentlichkeitsarbeit in ihrem Recht aus Art. 21 GG i.V. m. Art. 3 I GG verletzt sah. 20 Andererseits hielt es für eine entsprechende Klage eines einzelnen Wahlbewerbers den Verwaltungsrechtsweg für eröffnet. 21 Diese Differenzierung zwischen der Klage einer politischen Partei und der eines einzelnen Wahlbewerbers kann nicht überzeugen, da nach ihr über ein und dieselbe Maßnahme, je nach der Person des Klägers bzw. Antragstellers einmal die Verwaltungsgerichte und einmal das BVerfG zu entscheiden haben. Eine derartige Unterscheidung ist jedoch nicht gerechtfertigt, da nicht erkennbar ist, wie die Schutzbedürftigkeit der Regierung vor einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle je nach der Person des Antragstellers bzw. Klägers variieren soll. Die vom BVerfG vertretene Rechtswegaufspaltung beschwört darüber hinaus auch die Gefahr herauf, dass sich sowohl die Verwaltungsgerichte als auch das BVerfG – unter Umständen sogar zeitgleich – über die Rechtmäßigkeit ein und derselben Informationsmaßnahme beschäftigen müssen und möglicherweise zu widersprüchlichen Ergebnissen gelangen, was nicht nur prozessunökonomisch, sondern auch der Einheit der Rechtsordnung abträglich ist. Vgl. BVerfGE 44, 125. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 180; Kopp/Schenke, § 40 Rn. 33. 20 BVerfGE 44, 125. Ebenfalls zur Öffentlichkeitsarbeit ist die Äußerung eines Ministers gegenüber der Presse oder einem anderen Medium der öffentlichen Meinungsbildung zu zählen, eine bestimmte politische Partei sei „radikal“. Rechtsschutz kann die betroffene Partei daher vor den Verwaltungsgerichten suchen. Zutreffend OLG Lüneburg NJW 1975, 76; a. A. Bethge, NJW 1975, 662 (663). 21 BVerfG NVwZ 1988, 817. 18 19
A. Öffentlichkeitsarbeit der Regierung
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II. Warnungen der Regierung Regierungswarnungen richteten sich bislang insbesondere gegen (vermeintlich) gesundheitsgefährdende Produkte 22 sowie gegen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften 23. Durch derartige Warnungen wird regelmäßig in die Grundrechte derjenigen eingegriffen, gegen welche sie sich richten, also den Produzenten des Produkts bzw. die Religionsgemeinschaft, vor der gewarnt wird. 24 Daher bedürfen derartige Warnungen einer Rechtsgrundlage. 25 Die Rspr. hat diese für die Bundesregierung in dogmatisch nicht überzeugender Weise 26 im Grundgesetz gefunden. 27 Als Rechtsgrundlage werden die Richtlinienkompetenz nach Art. 65 GG 28, die grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 II GG 29, die Gesetzgebungskompetenz oder auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angeführt 30. Hingegen gestaltet sich die Suche nach der Rechtsgrundlage für Warnungen der Landesregierungen – zumeist ist hier der Innenminister zuständig – weniger problematisch, da diese in den Generalklauseln der Polizeigesetze zu finden ist. 31 Für untergeordnete Bundesbehörden enthalten zahlreiche Spezialgesetze, wie beispielsweise §8 II Produktsicherheitsgesetz, gesetzliche Rechtsgrundlagen. 32 Die Diskussion über die Rechtgrundlage für Warnungen der Bundesregierung soll an dieser Stelle nicht vertieft werden, da sie für die hier zu erörternde Problematik der Rechtswegsbestimmung ohne Belang ist. Denn unabhängig davon, ob die Rechtsgrundlage für solche Warnungen aus dem Grundgesetz folgt 33 oder ob eine Rechtsgrundlage gar nicht existiert, ist für die Klage eines „Störers“ gegen eine ihn 22 BVerfG NJW 1997, 249 – „Baby-Bottle-Syndrom“; BVerwGE 87, 37 – „Glykol-Wein“; OVG Münster NJW 1986, 2783 – „DEG-Liste“; OLG Stuttgart WUR 1990, 43 – „Birkel“; LG Göttingen NVwZ 1992, 98 – „Förster-Quelle“. 23 BVerwG NVwZ 1994, 162 und NJW 1991, 1770 – „Osho-Rajneesh (früher „Bhagwan“)“; BVerwGE 82, 76 = BVerwG JZ 1989, 997 = JuS 1990, 496 – „Transzendentale Meditation“; BVerfG NJW 1989, 3269 – „Transzendentale Meditation“; OVG Münster NVwZ 1997, 302 – „Scientology“; NJW 1996, 3355 – „Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis“; NVwZ 1991, 176 – „Osho-Rajneesh (früher „Bhagwan“)“. 24 Gusy, NJW 2000, 977 (982); Leidinger, DÖV 1993, 925 (927 ff.); Schoch, DVBl. 1991, 667 (669 ff.). 25 Gusy, NJW 2000, 977 (982); Leidinger, DÖV 1993, 925 (927 ff.); Schoch, DVBl. 1991, 667 (669 ff.). 26 Zu den Bedenken gegen die Rspr. vgl. Gusy, NJW 2000, 977 (984 f.); Leidinger, DÖV 1993, 925 (930 f.); Heintzen, NJW 1990, 1448 (1449); Schoch, DVBl. 1991, 667 (670 ff.). 27 Gusy, NJW 2000, 977 (980 f.); Leidinger, DÖV 1993, 925 (930 f.). 28 BVerwG NVwZ 1994, 162; BVerwGE 82, 76; OVG Münster NVwZ 1997, 302; NJW 1996, 3355 f. 29 BVerfGE 87, 37 (49); OVG Münster NVwZ 1997, 302; NJW 1996, 3355 (3356). 30 Eingehend Gusy, NJW 2000, 977 (984 f.); ders., JZ 1989, 1003; Di Fabio, NJW 1997, 2863; Leidiger, DÖV 1993, 925; Schoch, DVBl. 1991, 667; Heintzen, NJW 1990, 1448; Bleckmann, DVBl. 1985 832 (833). 31 Leidinger, DÖV 1993, 925 (931). 32 Gusy, NJW 2000, 977 (980); Leidinger, DÖV 1993, 925 (931). 33 So etwa BVerwGE 82, 76; BVerfGE 87, 37 (49).
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
belastende Warnung der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Die Bundesregierung wird hier nämlich nicht als staatsleitendes Verfassungsorgan, sondern als Polizeibehörde gefahrenabwehrend tätig. 34 Die polizeiliche Gefahrenabwehr ist aber eine typische Verwaltungsaufgabe, welche in keiner Weise allein den Verfassungsorganen vorbehalten ist. Dass die Regierung hier nicht als Verfassungsorgan tätig wird, sondern sich ihr Handeln durch nichts von dem einer Polizeibehörde unterscheidet, zeigt sich insbesondere bei Warnungen der Landesregierungen, da diese auf die polizeilichen Generalklauseln und damit unzweifelhaft auf Verwaltungsrecht gestützt werden. Dass es eine solche Norm im Bundesrecht nicht gibt, ändert nichts am verwaltungsrechtlichen Charakter der Warnungen als gefahrenabwehrende Maßnahmen. Die Kompetenz zur Erteilung von Warnungen durch die Bundesregierung ist daher nicht materiell verfassungsrechtlicher Natur, so dass sie nicht Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO sein kann. 35
B. Widerruf politischer Meinungsäußerungen von Verfassungsorganen im interparlamentarischen Bereich In dieser Fallgruppe hatte die Rspr. sich bislang beispielsweise mit der Klage eines Bürgers zu beschäftigen, mit welcher dieser sich gegen eine aus seiner Sicht ehrrührige und wahrheitswidrige Äußerungen eines Bundesministers in einer Kleinen Anfrage des Bundestags zur Wehr setzte. 36 Demgegenüber spielt der Rechtsschutz des Bürgers gegen Äußerungen von Abgeordneten praktisch keine Rolle, da diese Indemnitätsschutz genießen. Die Rspr. hielt in dem oben geschilderten Fall unter Anwendung des Kriteriums der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit den Verwaltungsrechtsweg für eröffnet. 37 Dem muss nach dem hier entwickelten Ansatz widersprochen werden. Tätigt ein Bundesminister im Rahmen einer Kleinen Anfrage eine politische Meinungsäußerung, so geschieht dies im politischen, verfassungsrechtlichen Bereich. 38 Das sog. Interpellationsrecht des Bundestags, zu welchem eine entsprechende Pflicht der Bundesregierung korrespondiert, ist im Grundgesetz zwar nicht ausdrücklich geregelt, wird aber von Art. 43 GG mitumfasst, da ohne ein Fragerecht das Zitierungsrecht sinnlos wäre. 39 Demnach sind auch die Äußerungen eiLeidiger, DÖV 1993, 925 (926); Heintzen, NJW 1990, 1448; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 199. Im Ergebnis ebenso die ganz herrschende Meinung: vgl. BVerfG NJW 1997, 249; BVerwGE 87, 37; OLG Stuttgart WUR 1990, 43; LG Göttingen NVwZ 1992, 98; BVerwG NVwZ 1994, 162; BVerwGE 82, 76 = BVerwG JZ 1989, 997; OVG Münster NVwZ 1997, 302; NJW 1996, 3355; NVwZ 1991, 176 (177); Kopp/Schenke, § 40 Rn. 28, 34; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 199. 36 VG Köln DVBl. 1965, 882 m. Anm. v. Bettermann, DVBl. 1965, 886 und Arndt, DVBl. 1965, 954; OVG Münster DVBl. 1967, 51. 37 VG Köln DVBl. 1965, 882; OVG Münster DVBl. 1967, 51. 38 Insoweit zutreffend VG Köln DVBl. 1965, 882 (883). 39 Maunz/Dürig-Maunz, Art. 43 Rn. 8; Sachs-Magiera, Art. 43 Rn. 6; Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Art. 43 Rn. 6 a; v. Mangoldt-Schulte, Art. 43 I Rn. 12; Dreier-Morlok, Art. 43 Rn. 11; kritisch BK-Schröder, Art. 43 Rn. 1 ff. 34 35
B. Widerruf politischer Meinungsäußerungen von Verfassungsorganen
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nes Bundesministers, welche dieser in Befolgung des Interpellationsrechts tätigt, dem formellen Verfassungsrecht zuzurechnen. 40 Da darüber hinaus das Interpellationsrecht der parlamentarischen Regierungskontrolle und damit einer Aufgabe der Staatsleitung dient, ist es auch dem materiellen Verfassungsrecht zuzurechnen, 41 so dass eine formell-materiell verfassungsrechtliche Kompetenz eines Verfassungsrechtssubjekts in Streit steht und somit der Verwaltungsrechtsweg verschlossen ist. 42 Die Verwaltungsgerichte würden ihre Kompetenzen überschreiten, wenn sie Einfluss auf den Integrationsprozess zwischen Parlament und Regierung nehmen könnten. Dies erkennt auch das VG Köln an, wenn es formuliert, dass die Durchsetzung des klägerischen Anspruchs an der Rechtsmacht der Verwaltungsgerichte scheitere 43 sowie fortfährt: „Im Ergebnis käme [das Gericht] damit in die Rolle eines Kontrollorgans der Regierung auf dem Gebiete der parlamentarischen Verantwortung, während seine Aufgabe (nur) die Kontrolle der Verwaltung ist“ 44. Diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen. Nur hätte das VG Köln dann konsequenter- und richtigerweise bereits die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ablehnen müssen. 45 Zutreffend hat denn auch das BVerfG entschieden, dass eine politische Partei, welche im Rahmen der Interpellation durch den Bundesminister des Inneren als verfassungsfeindlich eingestuft wird, Rechtsschutz im Organstreitverfahren suchen kann. 46 Der Rechtscharakter der Streitigkeit kann sich aber nicht dadurch ändern, dass der Rechtsschutzsuchende kein Verfassungsrechtssubjekt, sondern ein Bürger ist. Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zur Charakterisierung der Regierungswarnung als materiell verwaltungsrechtliche Kompetenzausübung. 47 Der Unterschied zwischen einer Regierungswarnung und einer Äußerung im Rahmen der Interpellationspflicht besteht nämlich darin, dass erstere direkt nach Außen an den Bürger auf die Abwehr von Gefahren gerichtet ist, während letztere den Bürger nur mittelbar berührt, hingegen primär auf die Erfüllung einer Verpflichtung aus dem Innenverhältnis zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag in ihrer Eigenschaft als Verfassungsrechtssubjekte abzielt. 40 Klarstellend sei angemerkt, dass die Kompetenz der Minister zu Äußerungen im Rahmen einer Kleinen Anfrage nicht auf § 104 GO BT gestützt werden kann. Diese Vorschrift entfaltet nämlich als reines Innenrecht des Bundestags weder gegenüber dem Bürger noch gegenüber dem Minister Rechtswirkung, so dass unmittelbar auf Art. 43 GG zurückgegriffen werden muss; vgl. oben Kapitel V B. I. 2. c). 41 Ebenso VGH Kassel DVBl. 1968, 811 (812). 42 Ob das Interpellationsrecht überhaupt Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Klage und braucht daher hier nicht vertieft zu werden. 43 VG Köln DVBl. 1965, 882 (884); ebenso VGH Kassel DVBl. 1968, 811 (813): „Folglich ist eine solche Art der Regierungstätigkeit nicht im Verwaltungsrechtsweg justiziabel, da sie keine Verwaltung darstellt“. 44 VG Köln DVBl. 1965, 882 (885). 45 Vgl. Bettermann, DVBl. 1965, 886. 46 BVerfGE 13, 123 = NJW 1961, 1913. Zur Frage des Rechtsschutzes bei der Klage eines Bürger siehe unten Kapitel VII. 47 Siehe oben Kapitel VI A. II.
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
C. Die Klage eines Bürgers gegen die Durchführung von Tiefflügen Für die Klage eines Bürgers gegen die Durchführung von Tiefflügen ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. 48 Der Ausgang des Rechtsstreits richtet sich danach, ob der Bundesminister der Verteidigung von seiner Kompetenz nach § 30 I 3 LuftVG, militärische Flüge unterhalb der in der Luftverkehrsordnung vorgeschriebenen Sicherheitsmindesthöhe zuzulassen, in rechtsmäßiger Weise gebrauch gemacht hat. Es wird damit um eine einfachgesetzliche Kompetenz gestritten, die keine verfassungsrechtliche Streitigkeit zu begründen vermag. 49
D. Die Klage eines Bürgers auf bzw. gegen die Auflösung des Bundestags Die Auflösung des Bundestags erfolgt durch den Bundespräsidenten in Ausübung seiner formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz aus Art. 68 I GG. Demnach ist der Verwaltungsrechtsweg auch dann verschlossen, wenn die Kompetenz nicht durch ein anderes Verfassungsrechtssubjekt, 50 sondern durch den Bürger angegriffen wird. 51
E. Die Parlamentarische Wahlprüfung Streitigkeiten über die Gültigkeit von Wahlen nach Art. 41 GG sind ebenfalls verfassungsrechtlicher Natur. 52 Aus Art. 41 II GG folgt, dass die Entscheidung des Bundestags über die Rechtmäßigkeit seiner Zusammensetzung nur vor dem BVerfG angegriffen werden kann. Der Verfassungsgeber hat damit ausdrücklich geregelt, dass derartige Streitigkeiten aus Respekt vor dem Bundestag als dem zentralen Verfassungsorgan dem Verfassungsgericht vorbehalten bleiben müssen, mithin also verfassungsrechtlicher Natur sind. 53 Aber auch ohne die ausdrückliche Regelung BVerwG NJW 1995, 1690 m. Anm. v. Ossenbühl, JZ 1995, 512. Demgegenüber ist die prinzipale Normenkontrolle einer Rechtsverordnung des LuftfahrtBundesamts zur Festlegung von An- und Abflugstrecken verfassungsrechtlicher Natur; vgl. oben Kapitel V C. V. 3. 50 Siehe hierzu oben Kapitel V B. I. 2. d). 51 BK-Schenke, Art. 68 Rn. 188; zum Rechtsschutz des Bürgers in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten siehe unten Kapitel VII. 52 Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 b; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 185; Schmitt Glaeser, Rn. 60; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 3; Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 28; Aulehner, BayVBl. 1991, 577 (580). 53 Im Ergebnis ebenso Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32 b; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 185; Schmitt Glaeser, Rn. 60; Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Bosch/Schmidt, § 8 Anm. 3; Ule, § 7; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 28; Aulehner, BayVBl. 1991, 577 (580). 48 49
F. Streitigkeiten im Vorfeld von Parlamentswahlen
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des Art. 41 II GG stünde außer Frage, dass Streitigkeiten über die Zusammensetzung des Parlaments verfassungsrechtlicher Art sind. 54 Gem. Art. 41 I 1 GG ist die Wahlprüfung Sache der Bundestags. Bei dieser Prüfungskompetenz handelt es sich um eine Aufgabe, die allein dem Parlament in seiner verfassungsrechtlichen Stellung vorbehalten ist. 55 Die Wahlprüfung beantwortet nämlich die Frage, ob das Parlament in rechtmäßiger Weise konstituiert ist 56 und betrifft daher die innere Organisation des Bundestags. Mit anderen Worten ist die Wahlprüfung eine staatsleitende, keine verwaltende Tätigkeit, so dass es sich bei Art. 41 I 1 GG um eine formell-materiell verfassungsrechtliche Kompetenz handelt, 57 deren Überprüfung dem BVerfG vorbehalten bleiben muss.
F. Streitigkeiten im Vorfeld von Parlamentswahlen Während die parlamentarische Wahlprüfung 58 erst nach der Stimmabgabe erfolgt, gehen letzterer eine Vielzahl von Akten voraus, die Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen sein können, wie etwa die Festsetzung der Wahlkreise und des Wahltermins oder die Eintragung in das Wählerverzeichnis. Hierbei wird für den Bund im Hinblick auf § 49 BWahlG teilweise vertreten, dass sämtliche Entscheidungen und Maßnahmen, welche sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, verfassungsrechtlicher Natur i. S. d. § 40 I 1 VwGO seien. 59 § 49 BWahlG sei nämlich so zu verstehen, dass er den von ihm umfassten Entscheidungen und Maßnahmen verfassungsrechtlichen Charakter zuerkenne. 60 Dem kann jedoch bereits im Hinblick auf den Wortlaut der Vorschrift nicht gefolgt werden, nach dem jeglicher Rechtsschutz außerhalb der im BWahlG und der BWahlO vorgesehenen Verfahren ausgeschlossen ist. 61 § 49 BWahlG setzt daher nicht erst beim Merkmal der verfassungsrechtlichen Streitigkeit des § 40 I 1 VwGO an, sondern geht der Regelung des § 40 VwGO insgesamt vor. 62 Transformierte die Vorschrift demgegenüber Streitigkeiten, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, in verfassungsrechtliche Streitigkeiten, würde sie etwa die Verfassungsbeschwerde nicht ausschließen, was jedoch dem Zweck des § 49 BWahlG widerspräche, nicht nur den Verwaltungsrechts54 Entsprechendes gilt für die Wahlprüfung in den Ländern. Siehe hierzu HessStGH NJW 2000, 2891 und Puttler, DÖV 2001, 849 (853). 55 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 185. 56 BVerfGE 1, 430 (433); E 4, 370 (372); E 14, 154 (155); E 22, 277 (280 f.); E 66, 369 (378); BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 243 f.; Petzke, BayVBl. 1975, 317 (318); v. Mutius, VerwArch 68 (1977), 197 (200 f.); Lang, DÖV 1999, 712 (714). 57 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 185. 58 Siehe zuvor. 59 Offengelassen von BVerwGE 51, 69 (71); vgl. Weber, JuS 1977, 116 m. w. Nachw. 60 Vgl. Weber, JuS 1977, 116 m. w. Nachw. 61 Olschewski, S. 157. 62 In diese Richtung gehend Franzke, DVBl. 1980, 730 (731).
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
weg, sondern jeglichen Rechtsweg auszuschalten. 63 Somit weist § 49 BWahlG den Streitigkeiten, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, keinen verfassungsrechtlichen Charakter zu, sondern unterbindet vielmehr jeglichen Rechtsschutz sowohl für verwaltungsrechtliche als auch für verfassungsrechtliche Streitigkeiten. 64 Aus § 49 BWahlG ergibt sich daher nichts für die Bestimmung der Rechtsnatur von Streitigkeiten im Vorfeld von Parlamentswahlen. Im Übrigen dürfte § 49 BWahlG ohnehin als mit Art. 19 IV GG unvereinbar und damit nichtig anzusehen sein, 65 da die Vorschrift jeglichen gerichtlichen Rechtsschutz bis auf die Beschwerde nach Art. 41 II GG ausschließt, diese jedoch keinen Rechtsweg i. S. d. Art. 19 IV GG darstellt. 66 Das Wahlprüfungsverfahren gewährt keinen effektiven subjektiven Rechtsschutz, 67 da hier nur solche Gesetzesverletzungen beachtlich sind, die sich auf die Zusammensetzung des Bundestags auswirken. 68 Gegenstand der Wahlprüfung ist demnach nicht die Verletzung subjektiver Rechte, sondern die Gültigkeit der Wahl als solcher. 69 Da das Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 II GG daher keinen für Art. 19 IV GG ausreichenden subjektiven Rechtsschutz gewährt, könnte § 49 BWahlG nur gerettet werden, wenn Art. 41 GG Art. 19 IV GG einschränkte. 70 Richtigerweise wird Art. 41 GG allerdings in der Weise auszulegen sein, dass sich sein Anwendungsbereich im objektiven Wahlprüfungsverfahren erschöpft, er also nicht die Gewährung subjektiven Rechtsschutzes beschränkt. 71 Soweit in den einzelnen Bundesländern Vorschriften entsprechend § 49 63 Olschewski, S. 124 ff., 157; dieses Verständnis legen auch H. Meyer, § 38 Rn. 66 und Lang, DÖV 1999, 712 (716) der Vorschrift zugrunde. 64 Olschewski, S. 124 ff., 157. 65 Schenke, NJW 1981, 2440 (2444); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 130; Petzke, BayVBl. 1975, 317 (318); Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 187; Olschewski, S. 151; differenzierend Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 34; H. Meyer, § 38 Rn. 65 ff. 66 BK-Schenke, Art. 19 Rn. 241 ff.; Petzke, BayVBl. 1975, 317 (318); v. Mutius, VerwArch 68 (1977), 197 (200 f.); Olschewski, S. 99 ff., 125 ff.; BayVerfGH n. F. 21, 202 (204); dazu, dass Art. 19 IV GG auch im Wahlrecht Rechtsschutz garantiert siehe BK-Schenke, Art. 19 Rn. 246 ff.; ders., NJW 1981, 2440 (2441 ff.); ders., JZ 1988, 317 (320 f.); Petzke, BayVBl. 1975, 317 (320 f.); Franzke, DVBl. 1980, 730 (733). 67 BK-Schenke, Art. 19 Rn. 241 ff.; ders., NJW 1981, 2440 (2441 ff.); Petzke, BayVBl. 1975, 317 (318); v. Mutius, VerwArch 68 (1977), 197 (200 f.); Franzke, DVBl. 1980, 730 (734); BayVerfGH n. F. 21, 202 (204). 68 Petzke, BayVBl. 1975, 317 (318); Franzke, DVBl. 1980, 730 (734); vgl. BVerfG BayVBl. 1992, 269 (270); BVerfGE 79, 173; E 22, 277 (281); E 1, 430 (433); a. A. Stiefel, DÖV 1960, 19 (22). 69 BVerfGE 1, 430 (433); E 4, 370 (372); E 14, 154 (155); E 22, 277 (280 f.); E 66, 369 (378); BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 243 f.; Petzke, BayVBl. 1975, 317 (318); v. Mutius, VerwArch 68 (1977), 197 (200 f.); Lang, DÖV 1999, 712 (716); BayVerfGH n. F. 21, 202 (204). 70 So BVerfGE 66, 232 (234); E46, 196 (198); E34, 81 (94); E 22, 277 (281); Deter, VBlBW 1997, 93 (95); differenzierend Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 34; vgl. auch Lang, DÖV 1999, 712 (716) m. w. Nachw. 71 BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 243; ders., NJW 1981, 2440 (2441 ff.); v. Mutius, VerwArch 68 (1977), 197 (200 f.); Olschewski, S. 133 ff., 156; H. Meyer, § 38 Rn. 65; Haas, VBlBW 1990, 71 (72); Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 187.
F. Streitigkeiten im Vorfeld von Parlamentswahlen
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BWahlG existieren, sind diese zweifellos selbst dann verfassungswidrig, wenn Art. 19 IV GG doch in Art. 41 GG eine Beschränkung fände. Art. 41 GG gilt nämlich nur für Bundeswahlen und entsprechende landesverfassungsrechtliche Vorschriften können wegen der Vorrangigkeit des Grundgesetzes Art. 19 IV GG nicht einschränken. 72 Ergibt sich damit die Rechtsnatur von Maßnahmen im Vorfeld der Stimmabgabe nicht bereits pauschal aus § 49 BwahlG, 73 bedürfen die einzelnen Akte einer eingehenderen Untersuchung.
I. Die Klage auf Eintragung in das Wählerverzeichnis, bzw. auf Erteilung eines Wahlscheins Die Rechtsgrundlage für Eintragungen in das Wählerverzeichnis ist § 16 BWahlO. Die Kompetenz basiert damit nicht unmittelbar auf formellem Verfassungsrecht. 74 Weiterhin berechtigt und verpflichtet die Vorschrift auch keine Verfassungsrechtssubjekte, 75 da die nach § 17 BWahlO zuständigen Stellen im Organstreitverfahren nicht parteifähig sind. Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ist daher abzulehnen. 76 Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Eintragung in das Wählerverzeichnis bzw. die Erteilung eines Wahlscheins gem. § 14 I BWahlG Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts nach Art. 38 GG ist. 77 Denn eine Streitigkeit um Art. 38 I GG ist genauso wie jede andere Grundrechtsstreitigkeit keineswegs zwingend verfassungsrechtlicher Natur. Entscheidend ist nämlich nicht, auf welches Recht sich der Kläger beruft, sondern ob die angegriffene bzw. begehrte Maßnahme auf einer verfassungsrechtlichen Kompetenz beruht. 78 Der verfassungsrechtliche Charakter einer Eintragung in das Wählerverzeichnis folgt auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs aus der verfassungsrechtlichen Natur der parlamentarischen Wahlprüfung. Während letztere nämlich die Wahl insgesamt zum Gegenstand hat und unter Außerachtlassung des individuellen Wahlrechts des Einzelnen der Überprüfung der demokratischen Legitimität des Bundestags dient, 79 ist eine Klage auf Eintragung in das Wählerverzeichnis unmittelbar allein auf eine vorgelagerte Hilfstätigkeit zur Durchsetzung eines Grund72 VG Würzburg, NJW 1976, 1651 (1652); Lang, DÖV 1999, 712 (716 f.); Franzke, DVBl. 1980, 730 (733); Wolnicki, LKV 1997, 313; Puttler, DÖV 2001, 849 (851). 73 So wohl auch Franzke, DVBl. 1980, 730 (731). 74 Vgl. BayVerfGHE n. F. 21, 202 (204). 75 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 187; Olschewski, S. 152 f.; H. Meyer, § 38 Rn. 64; Schenke, NJW 1981, 2440 (2444); H. Meyer, § 38 Rn. 64. 76 Ebenso im Ergebnis BVerwGE 51, 61 (70 f.); BayVerfGHE n. F. 21, 202 (204); Petzke, BayVBl. 1975, 317 (322); Schenke, NJW 1981, 2440 (2444) m. w. Nachw.; H. Meyer, § 38 Rn. 64; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 187; a. A. Ule, § 7. 77 Franzke, DVBl. 1980, 730 (731); Haas, VBlBW 1990, 71 (72). 78 Siehe oben Kapitel V C. I. 2. b) cc). 79 BVerfGE 1, 430 (433); E 4, 370 (372); E 14, 154 (155); E 22, 277 (280 f.); E 66, 369 (378); Petzke, BayVBl. 1975, 317 (318); v. Mutius, VerwArch 68 (1977), 197 (200 f.); Franzke, DVBl. 1980, 730 (734); Lang, DÖV 1999, 712 (714); Olschewski, S. 126 ff.
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
rechts gerichtet. 80 Beide Verfahren verfolgen daher unterschiedliche Zwecke. Demzufolge fehlt es an einem unmittelbaren Sachzusammenhang mit der Wahlanfechtung, so dass aus deren Rechtsnatur keine Rückschlüsse gezogen werden können. 81 Es bleibt damit bei der Qualifizierung von Klagen auf die Eintragung in das Wählerverzeichnis, bzw. auf die Erteilung eines Wahlscheins als verwaltungsrechtliche Streitigkeiten. 82
II. Streitigkeiten um die Aufstellung der Wahlkreis- und Listenkandidaten Die Aufstellung der Wahlkreis- und Listenkandidaten ist ein wesentlicher Teil der Wahlvorbereitung. Sie ist nicht nur eine wichtige Komponente des passiven Wahlrechts, sondern auch des aktiven, da die aktive Wahl voraussetzt, zwischen mehreren demokratisch bestimmten Kandidaten wählen zu können. 83 Zuständig für die Entscheidung über die Zulassung der Kreiswahlvorschläge ist im Bund gem. § 36 III BWahlO der Kreiswahlausschuss. Die Zulassung der Landeslisten obliegt gem. § 41 I BWahlO den Landeswahlausschüssen. Streitigkeiten um die Zulassung der Kreiswahlvorschläge und der Landeslisten richten sich demnach unmittelbar nach einfachem Recht und betreffen darüber hinaus auch keine Verfassungsrechtssubjekte, so dass derartige Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Natur sind. 84 Hieran ändert nichts, dass die Aufstellung der Wahlkreis- und Listenkandidaten eine unmittelbare Voraussetzung für die demokratische Wahl des Parlaments als Akt der politischen Willensbildung des Volkes ist. 85 Denn entscheidend ist allein, auf welcher Rechtsgrundlage die gerügte Kompetenz beruht, nicht hingegen, ob durch sie ein Recht von Verfassungsrang verletzt wird. Auch hier fehlt es im Übrigen an einem Sachzusammenhang zur verfassungsrechtlichen Wahlprüfung, da eine auf die Aufstellung eines bestimmten Kandidaten gerichtete Klage der Durchsetzung subjektiver Rechte dient, wohingegen im Wahlprüfungsverfahren allein die Rechtmäßigkeit der Zusammensetzung des Bundestags überprüft wird.86 Beide Olschewski, S. 155; Haas, VBlBW 1990, 71 (72); a. A. Stiefel, DÖV 1960, 19 (21). Olschewski, S. 155; Haas, VBlBW 1990, 71 (72). 82 Da § 49 BWahlG verfassungswidrig ist, ist damit zugleich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet [Schenke, NJW 1981, 2440 (2444); Haas, VBlBW 1990, 71 (72)]. Im Ergebnis ebenso BVerwGE 51, 69 (71) und Franzke, DVBl. 1980, 730 (731), welche die Eintragung ins Wählerverzeichnis nicht als Maßnahme ansehen, die sich „unmittelbar auf das Wahlverfahren“ i. S. d. § 49 BWahlG bezieht und die Vorschrift daher hier ebenfalls nicht für anwendbar halten; a. A. Schlenker, VBlBW 1990, 396 f. 83 Vgl. BVerfG NJW 1994, 922 (923). 84 Petzke, BayVBl. 1975, 317 (322); a. A. VGH Mannheim NVwZ-RR 1989, 111 (112). 85 Vgl. Haas, VBlBW 1990, 71 (72); a. A. VGH Mannheim NVwZ-RR 1989, 111 (112). 86 Petzke, BayVBl. 1975, 317 (318); v. Mutius, VerwArch 68 (1977), 197 (200 f.); Franzke, DVBl. 1980, 730 (731); Haas, VBlBW 1990, 71 (72); Lang, DÖV 1999, 712 (716); Olschewski, S. 126 ff. 80 81
F. Streitigkeiten im Vorfeld von Parlamentswahlen
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Verfahren verfolgen daher unterschiedliche Ziele, so dass es zwischen ihnen an einem untrennbaren Sachzusammenhang fehlt.
III. Streitigkeiten um die Anerkennung als Partei durch den Bundeswahlausschuss Das Recht zur Einreichung von Wahlvorschlägen zur Bundestagswahl steht einer politischen Partei nur zu, wenn sie durch den Bundeswahlausschuss gem. § 18 IV Nr. 2 BWahlG anerkannt ist. Es handelt sich hierbei also um die einfachgesetzliche Kompetenz eines Nichtverfassungsrechtssubjekts. Dementsprechend sind Streitigkeiten um die Anerkennung als Partei verwaltungsrechtlicher Natur. 87 Auch hier gilt, dass sich weder aus dem Recht der politische Partei nach Art. 21 GG, noch aus dem verfassungsrechtlichen Charakter der Wahlprüfung eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ergibt. Es gilt insofern nichts anderes als für die Klage eines Bürgers auf Eintragung in das Wählerverzeichnis, bzw. für Streitigkeiten um die Aufstellung der Wahlkreis- und Listenkandidaten, so dass auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann. 88
IV. Streitigkeiten um die Festsetzung des Wahltermins Demgegenüber sind Streitigkeiten um die Festsetzung des Wahltermins verfassungsrechtlicher Art. 89 Wie bereits erörtert wurde, kann die Festsetzung des Wahltags für die Bundestagswahl durch den Bundespräsidenten kraft Sachzusammenhangs Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein, obwohl sich diese Kompetenz aus einfachem Recht ergibt. 90 Ist aber eine Streitigkeit über den Wahltermin zwischen einem Verfassungsrechtssubjekt und dem Bundespräsidenten im Organstreit verfolgbar und liegt demnach eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 I 1 VwGO vor, so kann für eine entsprechende Auseinandersetzung zwischen dem Bürger und dem Bundespräsidenten nichts anderes gelten. Ihr verfassungsrechtlicher Charakter ergibt sich daraus, dass es sich bei der Kompetenz zur Festsetzung des Wahltermins um eine unlösbare Annexkompetenz zu der formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz des Bundespräsidenten zur Auflösung des Bundestags und zur Anordnung von Neuwahlen handelt. 91
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Freilich hält BVerfGE 74, 96 (101) den Rechtsweg wegen § 49 BWahlG für ausgeschlos-
sen. 88 89 90 91
Siehe zuvor. Schenke, NJW 1981, 2440 (2444). Siehe oben Kapitel V B. I. 2. g). Siehe oben Kapitel V B. I. 2. g).
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
V. Streitigkeiten über die Einteilung der Wahlkreise Die Einteilung der Wahlkreise erfolgt für die Bundestagswahl durch ein vom Bundestag erlassenes förmliches Gesetz (vgl. § 2 II BWahlG). Will eine politische Partei oder ein Bürger unmittelbar gegen dieses Gesetz vorgehen, ist dies nur in Form einer prinzipalen Normenkontrolle möglich, 92 so dass auch hier von einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit auszugehen ist. 93 Fraglich ist hingegen die Rechtslage in den Bundesländern, 94 in denen die Wahlkreise nicht durch das Parlament, sondern durch eine Verwaltungsbehörde eingeteilt werden. M. E. bestehen hier gegen die Annahme einer verwaltungsgerichtlichen Streitigkeit keine Bedenken. 95 Indem der Gesetzgeber in diesen Bundesländern die Wahlkreiseinteilung einfachgesetzlich ausgestaltet und sie zudem einfachen Verwaltungsbehörden überlassen hat, hat er der Wahlkreiseinteilung eine staatsleitende Dimension aberkannt. Für die Kompetenzkontrolle von Verwaltungsbehörden sind zudem die Fachgerichte, nicht die Verfassungsgerichte zuständig. Die Wahlkreiseinteilung ist darüber hinaus auch, anders als etwa die Festlegung des Wahltermins 96, keine Annexkompetenz zu einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz eines Verfassungsrechtssubjekts. Weiterhin gilt auch hier, dass die Rechtsnatur der Wahlprüfung keinen Einfluss auf die von Streitigkeiten über die Einteilung der Wahlkreise hat, so dass auch unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs keine verfassungsrechtliche Streitigkeit angenommen werden kann. Die Einteilung der Wahlkreise ist nämlich ein abgeschlossener Akt, der der eigentlichen Wahl vorausgeht und deren Ausgang jedenfalls nicht unmittelbar beeinflusst. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Änderung der Wahlkreise die Kandidaten der einen oder anderen Partei tatsächlich begünstigen bzw. benachteiligten. Solche Bevor- und Benachteiligungen sind jedoch letztendlich spekulativ und vermögen daher keinen engen Sachzusammenhang zu begründen, der eine Qualifizierung als verfassungsrechtlichen Akt rechtfertigen würde.
VI. Streitigkeiten um die Besetzung der Wahlausschüsse und Wahlvorstände Nach § 11 I 2 BWahlG besteht für jeden Wahlberechtigten die Pflicht, das Ehrenamt eines Beisitzers der Wahlausschüsse oder eines Mitglieds des Wahlvorstands auszuüben. Gem. § 11 I 3 BWahlG darf das Ehrenamt nur aus wichtigem Grund abgelehnt werden. Fraglich ist nun, welches Gericht anzurufen ist, wenn sich ein BürZur prinzipalen Normenkontrolle formeller Gesetze siehe oben Kapitel V C. V. 1. Ebenso Schenke, NJW 1981, 2440 (Fn. 53). 94 Z. B. Berlin. 95 A. A. Schenke, NJW 1981, 2440 (Fn.53); Seifert, DÖV 1953, 365 (367); VG Berlin DVBl. 1976, 269. 96 Siehe zuvor. 92 93
G. Volksbegehren und Volksentscheide
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ger gegen seine Bestellung zu einem solchen Ehrenamt wegen Unzumutbarkeit wendet. Da § 11 I BWahlG nicht Teil des formellen Verfassungsrechts ist, sind auch hier die Verwaltungsgerichte zuständig. 97 Fraglich ist allein, ob im Hinblick auf § 49 BWahlG 98 und § 22 V 6 BWahlO 99 überhaupt ein Rechtsweg eröffnet ist. Auch das Vorbringen, der Wahlausschuss sei fehlerhaft zusammengesetzt, begründet keine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Die Wahlleiter und ihre Stellvertreter werden zwar vom Bundesinnenminister, also von einem Verfassungsrechtssubjekt ernannt. Diese Kompetenz folgt jedoch nicht aus dem Grundgesetz, sondern aus § 9 BWahlG, so dass Streitigkeiten um die Bestellung der Wahlleiter und ihrer Stellvertreter ebenfalls verwaltungsrechtlicher Natur sind. 100 Ergänzend sei angemerkt, dass die Besetzung der Wahlausschüsse und Wahlvorstände keinen Einfluss auf das Ergebnis der Bundestagswahlen hat, so dass auch unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs zum Wahlprüfungsverfahren keine andere Qualifizierung der Streitigkeiten gerechtfertigt ist.
G. Volksbegehren und Volksentscheide am Beispiel der Gesetzgebung des Landes Baden-Württemberg Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sollen nur Volksbegehren und Volksentscheide des Staatsvolkes in Baden-Württemberg sein, wobei die plebiszitären Elemente auf der Gemeinde- und Kreisebene ausgeklammert werden, da bei ihnen ohnehin jeder verfassungsrechtliche Bezug fehlt. 101 Die Einordnung der Rechtsnatur von Volksbegehren und Volksentscheiden ist von besonderer Schwierigkeit, da diese eine Zwitterstellung einnehmen: 102 Einerseits erfüllen Volksbegehren und Volksabstimmungen als Gesamtheit Aufgaben, die grundsätzlich Verfassungsrechtssubjekten vorbehalten sind. So kann sich ein Volksbegehren auf die Einbringung einer Gesetzesinitiative zum Erlass, zur Änderung oder zur Abschaffung eines formellen Gesetzes gem. Art. 59 I LVerf oder auf einen Antrag zur Auflösung des Landtags gem. Art. 43 II LVerf beziehen. Weiterhin kann gem. Art. 64 III 2 LVerf mit einem Volksbegehren eine Verfassungsänderung verDeter, VBlBW 1997, 93; Schoch-Ehlers, §40 Rn.187; VG Koblenz, NVwZ-RR 1994, 226. Dies ist nach der hier vertretenen Meinung, wonach § 49 BWahlG verfassungswidrig ist, ohne weiteres der Fall. Im Ergebnis ebenso VG Koblenz, NVwZ-RR 1994, 226 (zum rheinland-pfälzischen Landeswahlgesetz), da sich die Besetzung der Wahlausschüsse und -vorstände nicht unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehe; a. A. Deter, VBlBW 1997, 93 (94). 99 Hält man § 49 BWahlG für verfassungswidrig, kann für § 22 V 6 BWahlO nichts anderes gelten: Schenke, NJW 1981, 2440 (2441 ff.); vgl. auch Franzke, DVBl. 1980, 730 (733). 100 Vgl. BVerfGE 83, 156 (157). 101 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 198. 102 Vgl. Wolnicki, LKV 1997, 313. 97 98
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
folgt werden. Eine Volksabstimmung kann über Auflösung des Landtags (Art. 43 II LVerf) oder über den Erlass eines formellen Gesetztes entscheiden. Gem. Art. 60 I LVerf ist eine durch ein Volksbegehren eingebrachte Gesetzesvorlage zur Volksabstimmung zu bringen, wenn der Landtag der Gesetzesvorlage nicht unverändert zustimmt. Weiterhin kann die Regierung gem. Art. 60 II LVerf eine Volksabstimmung über ein vom Landtag beschlossenes Gesetz initiieren, wenn ein Drittel der Mitglieder des Landtags es beantragen. Darüber hinaus besteht nach Art.60 III LVerf für die Regierung die Möglichkeit, eine von ihr eingebrachte, aber vom Landtag abgelehnte Gesetzesvorlage zur Volksabstimmung bringen, wenn ein Drittel der Mitglieder des Landtags es beantragen. Auch die Verfassung selbst kann durch eine Volksabstimmung gem. Art. 64 III LVerf geändert werden. Das Volksbegehren bzw. die Volksabstimmung nehmen daher in ihrer Gesamtheit – nicht hingegen der einzelne Bürger 103 – eine Funktion wahr, die der der Verfassungsrechtssubjekte gleichgestellt ist. Insofern muss also dem Volksbegehren und der Volksabstimmung die Qualität von Verfassungsrechtssubjekten zugesprochen oder sie jedenfalls diesen gleichgestellt werden, auch wenn sie nicht im Organstreit nach Art. 68 I Nr. 1 LVerf parteifähig sind. 104 Andererseits handelt der einzelne Bürger bei der Abgabe seiner Stimme in Ausübung seines demokratischen Grundrechts auf Mitbestimmung,105 tritt also gerade nicht als (Quasi-)Verfassungsorgan oder Teil eines Verfassungsorgans auf. 106 Aus dieser Zwitterstellung des Volksbegehrens und der Volksabstimmung – einerseits als Verfassungsrechtssubjekte, andererseits als demokratische Willensäußerung der Bürger – ergibt sich zugleich ihre rechtliche Einordnung. So sind Streitigkeiten, die das Volksbegehren bzw. die Volksabstimmung in ihrer verfassungsrechtlichen Funktion betreffen dem Verfassungsrecht zuzuordnen, wohingegen Streitigkeiten über die Wahrnehmung des Stimmrechts des einzelnen Bürgers in den Aufgabenbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallen. 107 Demgegenüber ist die Rspr. geneigt, Hierzu sogleich. Vgl. oben Kapitel V B. I. 1. 105 Wolnicki, LKV 1997, 313 (315); BVerfGE 60, 175 (201): „Der Einzelne als solcher repräsentiert weder einen Organträger noch nimmt er bei der Unterzeichnung des Antrags auf Zulassung des Volksbegehrens, bei der Eintragung in die Listen eines Volksbegehrens und bei der Stimmabgabe anlässlich eines Volksentscheids Organfunktionen wahr... Die Antragsteller streiten nicht um ihnen als Einzelne in der Landesverfassung verliehene organschaftliche Rechte und Zuständigkeiten, sondern machen aus dem aktiven Status des Bürgers fließende subjektive öffentliche Rechte geltend...“; BVerfG NJW 1998, 293 (294); H. Meyer, §37, Rn.4; Lorenz, S.247; v. Münch, Art. 93 Rn. 29; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 153; a. A. Goessl, S. 130; Clemens, S. 1276. 106 Siehe oben Kapitel V B. I. 1.; Wolnicki, LKV 1997, 313 (315); BVerfGE 60, 175 (201); BVerfG NJW 1998, 293 (294); BayVerfGHE n.F. 21, 202; H. Meyer, §37, Rn.4; Lorenz, S.247; v. Münch, Art. 93 Rn. 29; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 153; a. A. Lerche, S. 87, Fn. 29; VGH Kassel NVwZ 1991, 1098; OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); VGH Kassel NVwZ 1991, 1098; OVG Münster NJW 1974, 1671; VG Potsdam LKV 1997, 338; Goessl, S. 130; Clemens, S. 1276; Bethge, NJW 1975, 77. 107 Anders ist die Rechtslage freilich in den Bundesländern Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, wo sämtliche Streitigkeiten über die Durchführung von Volksbegehren und Volksabstimmungen den Landesverfassungsgerichten vorbehal103 104
G. Volksbegehren und Volksentscheide
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alle Streitigkeiten, die im Rahmen eines Volksbegehrens oder Volksentscheides entstehen können, pauschal dem Verfassungsrecht zuzurechen. 108
I. Streitigkeiten über den Ausgang eines Volksbegehrens oder Volksentscheids Die Feststellung, ob ein Volksbegehren zustande gekommen ist, erfolgt gem. §37II VAbstG durch den Landesabstimmungsausschuss und kann nach § 38 VAbstG nur durch Einspruch beim Staatsgerichtshof angefochten werden. Entsprechendes gilt für die Volksabstimmung. Auch deren Ergebnis wird durch den Landesabstimmungsausschuss festgestellt (§18 I 4 VAbstG) und ist gem. §21 VAbstG nur vor dem Staatsgerichtshof anfechtbar. Ähnlich wie beim Wahlprüfungsverfahren werden hierbei nur Fehler berücksichtigt, die das Ergebnis des Volksbegehrens bzw. der Volksabstimmung beeinflusst haben können (§§ 21 IV, 38 S. 2 VAbstG). Das Prüfungsverfahren dient damit nicht dem subjektiven Rechtsschutz des einzelnen Bürgers, sondern ermittelt allein, ob der Ausgang des Volksbegehrens oder der Volksabstimmung durch eine rechtswidrige Manipulation beeinflusst worden ist. Ein solches Prüfungsverfahren ist wie das Wahlprüfungsverfahren den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten zuzurechnen. Zwar handelt es sich bei §§ 18 I 4, 37 II VAbstG anders als bei Art. 41 GG nicht um eine formell-materiell verfassungsrechtliche Kompetenz eines Verfassungsrechtssubjekts, da das VAbstG weder Teil der formellen Verfassung, noch der Landesabstimmungsausschuss im Organstreit parteifähig ist. Der verfassungsrechtliche Charakter ergibt sich jedoch aus dem Sachzusammenhang. So ist zu bedenken, dass in dem Prüfungsverfahren über den Ausgang des Volksbegehrens bzw. der Volksabstimmung insgesamt entschieden wird. Es wird mit anderen Worten bei der Prüfung eines Volksbegehrens zugleich mit darüber entschieden, ob die Auflösung des Landtags zur Volksabstimmung zu bringen ist, ob ein bestimmter Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht wird oder ob sich der Landtag mit der Änderung der Verfassung zu befassen hat. Wird das Ergebnis einer Volksabstimmung überprüft, so wird zugleich mit darüber entschieden, ob der Landtag aufzulösen, ein bestimmtes Gesetz zustande gekommen oder die Verfassung geändert ist. Bei der Auflösung des Landtags, der Einbringung einer Gesetzesinitiative, dem Beschluss eines förmlichen Gesetzes oder der Verfassungsänderung handelt es sich aber sämtlich um Kompetenzen, die grundsätzlich aufgrund formellmateriell verfassungsrechtlicher Normen den Verfassungsrechtssubjekten vorbehalten sind: So ist die Frage, ob der Landtag nach Art.43 II LVerf aufzulösen ist, bereits ten sind. Hier sind alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit Volksbegehren und Volksabstimmung jedenfalls aufgrund einer abdrängenden Sonderzuweisung den Verfassungsgerichten zugewiesen. 108 Vgl. z.B. OVG Berlin DVBl. 1999, 994; OVG Münster NJW 1974, 1671; VGH München NVwZ 1991, 386; VGH Kassel NVwZ 1991, 1098; OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208; VG Potsdam LKV 1997, 338. 9 Kraayvanger
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
deshalb formell-materiell verfassungsrechtlicher Natur, weil die innere Organisation des Landtags unmittelbar betroffen ist. Die Entscheidung dieser Frage muss daher aus Respekt vor dem Landtag dem Staatsgerichtshof vorbehalten bleiben und kann nicht den Fachgerichten überlassen werden. Damit aber muss zugleich die Überprüfung des Ausgangs einer auf die Auflösung des Parlaments gerichteten Volksabstimmung in die ausschließliche Kompetenz des Staatsgerichtshofs fallen. Denn die diesen Streit abschließende Entscheidung befindet zugleich darüber, ob der Landtag aufzulösen ist oder nicht. Entsprechendes gilt für eine auf den Erlass eines Gesetzes oder eine Änderung der Verfassung gerichtete Volksabstimmung. Hier ist die Überprüfung des Ausgangs der Volksabstimmung untrennbar mit der Frage verwoben, ob das Gesetz bzw. die Verfassungsänderung beschlossen ist. Ist aber die prinzipale Normenkontrolle eines ausgefertigten formellen Gesetzes der Verfassungsgerichtsbarkeit vorbehalten, so kann die vorgelagerte Frage, ob das Gesetz wirksam beschlossen worden ist, nicht durch die Fachgerichte entschieden werden. Erst recht fällt die Verwerfungskompetenz für eine Verfassungsänderung nicht den Fachgerichten zu, so dass auch die Überprüfung des Ausgangs einer auf eine Verfassungsänderung gerichteten Volksabstimmung verfassungsrechtlicher Natur ist. Nichts anderes kann gelten für die Anfechtung der Feststellung, ob ein Volksbegehren zustande gekommen ist. Ist nämlich die Auflösung des Landtags formell-materiell verfassungsrechtlicher Natur, so muss dies auch für den Auflösungsantrag und damit für ein hierauf gerichtetes Volksbegehren gelten. 109 Denn die Feststellung des Ergebnisses des Volksbegehrens entscheidet unmittelbar darüber, ob der Antrag zustande gekommen ist, und das Zustandekommen des Antrags entscheidet wiederum unmittelbar darüber, ob eine Volksabstimmung über die Auflösung durchzuführen ist. Begehrt gem. § 43 I LVerf ein Viertel der Abgeordneten des Landtags seine Auflösung, so handelt es sich bei diesem Begehren um einen die innere Organisation des Landtags betreffenden verfassungsrechtlichen Akt, der der Würdigung durch das Verfassungsgericht vorbehalten bleiben muss. 110 Nicht minder in seiner inneren Organisation ist der Landtag jedoch betroffen, wenn seine Auflösung nicht durch einen Abgeordneten, sondern nach § 43 II LVerf durch ein Volksbegehren beantragt wird. Entsprechendes ist für ein auf die Einbringung einer Gesetzesinitiative gerichtetes Volksbegehren anzunehmen, da die Einbringung einer Gesetzesinitiative durch ein Volksbegehren ein Schritt auf dem Weg zum Erlass eines formellen Gesetzes und damit Teil des Gesetzgebungsverfahrens ist. So sieht Art. 59 I LVerf drei Möglichkeiten zur Einbringung von Gesetzesvorlagen in den Landtag vor: Durch die Regierung, durch Abgeordnete oder durch ein Volksbegehren. Handelt es sich aber bei Streitigkeiten über die Einbringung einer Gesetzesinitiative durch die Regierung oder einen Abgeordneten zweifellos um verfassungsrechtliche Streitigkeiten, 111 so 109 Zu Streitigkeiten um die Auflösung des Bundestags siehe oben Kapitel V B. I. 2. d) und oben Kapitel VI D. 110 Vgl. für den Bund Schenke, NJW 1982, 2521 ff.; BK-Schenke, Art. 68 Rn. 188 ff.; Lücke, JZ 1983, 380 (382). 111 Siehe oben Kapitel V C. V. 1.
G. Volksbegehren und Volksentscheide
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kann für die Einbringung einer Gesetzesinitiative durch ein Volksbegehren nichts anderes gelten. 112 Wenn die prinzipale Normenkontrolle des ausgefertigten Gesetzes Sache der Verfassungsgerichtsbarkeit ist, muss dies auch für die Überprüfung der einzelnen Etappen hin zu dem formellen Gesetz gelten.113 Der Inhalt einer Gesetzesinitiative hat nämlich entscheidenden Einfluss auf den Inhalt des daraufhin ergehenden Gesetzes, so dass es sich bei der Einbringung einer Gesetzesinitiative nicht um einen abgeschlossenen, vom späteren Erlass des Gesetzes losgelösten Akt handelt, sondern vielmehr um einen integrativen Teil des Gesetzgebungsverfahrens selbst, das dessen Rechtsnatur teilt. Bei den Prüfungsverfahren nach §§ 21, 38 VAbstG handelt es sich daher um Streitigkeiten, welche sich auf das Volksbegehren bzw. die Volksabstimmung als solche in ihrer verfassungsrechtlichen Funktion beziehen, nicht hingegen auf Rechtsverletzungen des einzelnen teilnehmenden Bürgers. Es handelt sich daher bei diesen Verfahren um verfassungsrechtliche Streitigkeiten. 114
II. Streitigkeiten über die Zulässigkeit eines Volksbegehrens oder Volksentscheids Streitigkeiten über die Zulässigkeit eines Volksbegehrens fallen gem. § 27 III VAbstG unter die Jurisdiktion des Staatsgerichtshofs. Demgegenüber fehlt es für Streitigkeiten über die Zulässigkeit einer Volksabstimmung an einer ausdrücklichen Zuweisung. Dessen ungeachtet sind beide gleichermaßen als verfassungsrechtlich zu qualifizieren. 115 Sind nämlich Streitigkeiten über das Ergebnis eines Volksbegehrens bzw. einer Volksabstimmung verfassungsrechtlicher Natur, weil Volksbegehren bzw. Volksabstimmung auf einen verfassungsrechtlichen Akt – die Auflösung des Landtags, den Erlass eines formellen Gesetzes oder die Änderung der Verfassung – gerichtet sind, 116 so muss dasselbe für Streitigkeiten über ihre Zulässigkeit gelten. 117 Auch hier stehen nämlich das Volksbegehren bzw. die Volksabstimmung als solche in Streit. Zwar ist auch der einzelne Bürger in seinem demokratischen Recht auf Teilnahme am Volksbegehren bzw. an der Volksabstimmung berührt. Ziel einer auf die Durchführung eines Volksbegehrens oder einer Volksabstimmung gerichteten Klage ist jedoch weniger, dem einzelnen Bürger ein Stimmrecht zu gewähren, als vielmehr eine Entscheidung des Staatsvolks insgesamt über eine Maßnahme 112 Vgl. OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); VG Potsdam LKV 1997, 338; im Ergebnis ebenso Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 198. 113 Bethge, Jura 1998, 529 (534); siehe oben Kapitel V B. IV. 1. 114 Im Ergebnis ebenso Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Ule, § 7; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 198; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 28. 115 Ebenso Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Ule, § 7; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 198; EyermannRennert, § 40 Rn. 28. 116 Siehe zuvor. 117 Vgl. Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (174).
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
herbeizuführen, die ansonsten nur durch ein Verfassungsrechtssubjekt vorgenommen werden könnte. Die Entscheidung über die Zulässigkeit eines Volksbegehrens oder einer Volksabstimmung beeinflusst deren Zustandekommen und Ablauf und damit im Ergebnis die Auflösung des Landtags, den Erlass eines förmlichen Gesetzes oder die Änderung der Verfassung. 118 Daher betreffen auch Streitigkeiten über die Zulässigkeit von Volksbegehren und Volksentscheiden diese in ihrer Funktion als Verfassungsrechtssubjekte und sind folglich dem Verfassungsrecht zuzurechen. 119
III. Streitigkeiten über die Bestimmung des Wahltags Ähnlich wie bei den Parlamentswahlen sind auch Streitigkeiten über die Bestimmung des Abstimmungstags verfassungsrechtlicher Art, obwohl die Rechtsgrundlage hierfür in § 5 VAbstG und damit in einfachem Recht zu finden ist. 120 Da nämlich die Bestimmung des Wahltags in einem untrennbaren Verhältnis zur Anordnung des Volksentscheids steht, haben Streitigkeiten über die Bestimmung des Wahltags dieselbe Rechtsnatur wie Streitigkeiten über die Zulässigkeit eines Volksbegehrens oder Volksentscheids.
IV. Streitigkeiten über die Modalitäten eines Volksbegehrens oder Volksentscheids Die Rspr. befasste sich bislang insbesondere mit Streitigkeiten über die Verlängerung der Eintragungsfristen, 121 die Auslegung der Eintragungslisten an mehreren Orten, 122 die Öffnungszeiten der Abstimmungsbüros 123 sowie über die Gültigkeit von Unterschriftsbögen 124. Auch hier ist zu fragen, ob derartige Streitigkeiten das Volksbegehren bzw. die Volksabstimmung in ihrer verfassungsrechtlichen Funktion oder aber das Stimmrecht des einzelnen Bürgers betreffen. Bei Streitigkeiten über die Modalitäten eines Volksbegehrens oder einer Volksabstimmung steht die Grundrechtsausübung des einzelnen Bürgers, nicht hingegen das mit dem Volksbegehren oder der Volksabstimmung bezweckte verfassungsrechtliche Ziel im Vordergrund. Denn das Volksbegehren oder die Volksabstimmung an sich kann auch ohne eine Verlängerung der Eintragungsfrist, die Auslegung der Eintragungslisten an mehreren Orten oder eine Erweiterung der Öffnungszeiten des AbMenger, VerwArch 66 (1975), 169 (174). Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (175); Redeker/v. Oertzen, § 40 Rn. 4; Ule, § 7; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 198; Eyermann-Rennert, § 40 Rn. 28. 120 Siehe oben Kapitel V B. I. 2. g). 121 OVG Berlin DVBl. 1999, 994; VGH München BayVBl. 1990, 721; OVG Münster NJW 1974, 1671; hierzu Menger, VerwArch 66 (1975), 169 ff. 122 OVG Berlin DVBl. 1999, 994; OVG Münster NJW 1974, 1671. 123 OVG Berlin DVBl. 1999, 994; VG Potsdam LKV 1997, 338. 124 OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208. 118 119
G. Volksbegehren und Volksentscheide
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stimmungsbüros durchgeführt werden. Auch haben diese Modalitäten jedenfalls keinen unmittelbaren Einfluss auf den Ausgang des Volksbegehrens oder der Volksabstimmung, wirken also nicht am Willensbildungsprozess mit. 125 Ziel einer solchen Streitigkeit ist es vielmehr, dem einzelnen Bürger, der aus zeitlichen Gründen das Wahllokal nicht während der Öffnungszeiten besuchen kann oder aus Bequemlichkeit bzw. körperlicher Gebrechlichkeit keinen weiten Weg zum Wahllokal zurücklegen will oder kann, zu ermöglichen, seine Stimme abzugeben. Derartige Streitigkeiten sind daher primär auf die Durchsetzung eines demokratischen Grundrechts gerichtet und somit im Verwaltungsrechtsweg verfolgbar. 126 Eines Vorbehalts zugunsten der Verfassungsgerichte bedarf es hier nicht, weil allein über die technische Durchführung des Volksbegehrens oder der Volksabstimmung gestritten wird, 127 ohne diese Institute in ihrer Qualität als Verfassungsrechtssubjekte zu berühren. 128 Mit anderen Worten ist hier Prüfungsgegenstand nicht das Volksbegehren oder die Volksabstimmung in ihrer Funktion als Verfassungsrechtssubjekte, sondern vielmehr die Grundrechtsausübung des Staatsbürgers. 129 Darüber hinaus gebietet auch nicht der Schutz der Volksabstimmungsorgane einen Ausschluss des Verwaltungsrechtswegs, da diese keine Verfassungsrechtssubjekte sondern Verwaltungsbehörden 130 ohne staatsleitende Funktion sind. 131 Sie sind insoweit mit der Parlamentsverwaltung vergleichbar, die ebenfalls die staatsleitenden Funktionen des Parlaments lediglich unterstützt und absichert, ohne aber selbst auf die Staatsleitung Einfluss zu nehmen. 132 Wie diese stellen nämlich die Volksabstimmungsorgane lediglich die ordnungsgemäße Durchführung des Volksbegehrens oder des Volksentscheids sicher, ohne aber dessen Ausgang zu beeinflussen. 133 Demgegenüber nimmt die Rspr. größtenteils die entgegengesetzte Position ein und lehnt den Verwaltungsrechtsweg ab. 134 Zu dem Volksbegehren und der Volksabstimmung als Teilen der Gesetzgebung und damit Instituten des Verfassungsrechts gehöre nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Art und Weise ihrer DurchMenger, VerwArch 66 (1975), 169 (175). Ebenso Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 198; BayVerfGHE n. F. 21, 202; a. A. OVG Berlin DVBl. 1999, 994. 127 Vgl. Wolnicki, LKV 1997, 313 (314). 128 Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (175); a. A. OVG Berlin DVBl. 1999, 994. 129 Vgl. Wolnicki, LKV 1997, 313 (315); BayVerfGH n. F. 21, 202 (204); a. A. OVG Berlin DVBl. 1999, 994. 130 Wolnicki, LKV 1997, 313 (315); Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (175); BayVerfGH n. F. 21, 202 (204); a. A. VG Potsdam LKV 1997, 338 (339). 131 Wolnicki, LKV 1997, 313 (316); BayVerfGH n. F. 21, 202 (204). 132 Wolnicki, LKV 1997, 313 (316); Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (175); vgl. auch Olschewski, S. 154; a. A. VGH München BayVBl. 1990, 721; VG Potsdam LKV 1997, 338 (339). 133 Wolnicki, LKV 1997, 313 (316); Menger, VerwArch 66 (1975), 169 (175); a. A. VGH München BayVBl. 1990, 721; VG Potsdam LKV 1997, 338 (339). 134 OVG Berlin DVBl. 1999, 994; OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208; VGH München BayVBl. 1990, 721; OVG Münster NJW 1974, 1671; VG Potsdam LKV 1997, 338; Bethge, NJW 1975, 77. 125 126
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
führung. 135 Daher seien sämtliche Regelungen über das Volksbegehren und die Volksabstimmung dem materiellen Verfassungsrecht zuzuordnen. 136 Dass die streitentscheidenden Normen größtenteils nicht dem formellen Verfassungsrecht entstammten, sei demgegenüber unschädlich. 137 Entscheidend sei vielmehr, dass die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit und die Rechtswirksamkeit eines Volksbegehrens bzw. einer Volksabstimmung in der LVerf selbst geregelt seien. 138 Die Vorschriften des AbstG füllten diese verfassungsrechtlichen Vorgaben nur aus und teilten daher deren Rechtsnatur. 139 Diese Argumentation steht jedoch nicht nur im Widerspruch zum BVerwG 140, welches betont, dass eine verfassungsrechtliche Streitigkeit Meinungsverschiedenheiten über formelles Verfassungsrecht voraussetze, 141 sondern sieht sich auch dem Einwand gegenübergestellt, dass wohl die meisten Verwaltungsgesetze auf verfassungsrechtlichen Vorgaben beruhen und diese ausfüllen, ohne dass daraus auf eine verfassungsrechtliche Streitigkeit geschlossen würde. 142 Weiterhin fehlt es auch an einem unmittelbaren Sachzusammenhang zwischen der Einleitung bzw. Ergebnisfeststellung eins Volksbegehrens oder Volksentscheids einerseits und den Durchführungsmodalitäten andererseits, so dass sich entgegen der Rspr. aus der Rechtsnatur von Streitigkeiten über Zulässigkeit oder Ergebnis eines Volksbegehrens oder einer Volksabstimmung nichts für Streitigleiten über deren Modalitäten ergibt. 143 Während nämlich Streitigkeiten über Zulässigkeit und Ergebnis entscheidenden Einfluss auf Inhalt und Ergebnis eines Volksbegehrens oder Volksentscheids haben und daher dem verfassungsrechtlichen Raum zuzurechen sind, dienen die hier zur Untersuchung stehenden Kompetenzen lediglich der technischen Organisation des Volksbegehrens bzw. des Volksbe135 OVG Berlin DVBl. 1999, 994 (995); OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); VGH München BayVBl. 1990, 721. 136 OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); VGH München BayVBl. 1990, 721; OVG Münster NJW 1974, 1671; a. A. Bethge, NJW 1975, 77. 137 OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); VGH München BayVBl. 1990, 721; VG Potsdam LKV 1997, 338 (339). 138 OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); VGH München BayVBl. 1990, 721; OVG Münster NJW 1974, 1671. 139 OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); VGH München BayVBl. 1990, 721; OVG Münster NJW 1974, 1671; VG Potsdam LKV 1997, 338 (339); a. A. BayVerfGH n. F. 21, 202 (204); Bethge, NJW 1975, 77. 140 BVerwGE 80, 355 (357 f.): „Denn ein Rechtsverhältnis, das ... nicht selbst unmittelbar dem Verfassungsrechtskreis entstammt, hat nicht schon allein deshalb verfassungsrechtlichen Charakter, weil die maßgeblichen einfachgesetzlichen Bestimmungen der Erfüllung eines Verfassungsgebots dienen oder weil seine Beurteilung nicht unerheblich von verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten abhängt“; dies soll nach BVerwG NJW 1985, 2344 insbesondere auch dann gelten, „wenn das die Verfassung ausfüllende Recht sog. materielles Verfassungsrecht ist, wie es etwa beim Wahlgesetz oder beim Parteiengesetz der Fall ist“; BVerwG NJW 1985, 2346. 141 Wolnicki, LKV 1997, 313 (316); BayVerfGH n. F. 21, 202 (204). 142 Bethge, NJW 1975, 77; Siehe näher oben Kapitel V C. I. 2. a) bb). 143 A. A. VGH München BayVBl. 1990, 721; OVG Münster NJW 1974, 1671; Bethge, NJW 1975, 77.
H. Schlichte Parlamentsbeschlüsse
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scheids. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine gestaltende, staatsleitende, sondern um eine typisch verwaltende Tätigkeit, deren Kontrolle in den originären Fachbereich der Verwaltungsgerichte fällt. 144 Dieses Ergebnis wird vom baden-württembergischen Gesetzgeber bestätigt, welcher mit der (freilich nur deklaratorischen) Vorschrift des § 34 VAbstG Eintragungsberechtigten, die nicht zur Eintragung zugelassen werden oder denen ein beantragter Eintragungsschein versagt wird, den Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Die Rechtslage entspricht damit weitgehend der im Wahlrecht, 145 wo ebenfalls die Wahlprüfung verfassungsrechtlicher Natur ist, hingegen für Auseinandersetzungen über die Durchführungsmodalitäten die Verwaltungsgerichte zuständig sind.
H. Schlichte Parlamentsbeschlüsse Unter schlichten Parlamentsbeschlüssen sind all jene Hoheitsakte des Parlaments zu verstehen, die weder im Gesetzgebungsverfahren ergehen, noch sich allein auf die Rechtsverhältnisse innerhalb des Parlaments beziehen. 146 Wird ein solcher Beschluss angegriffen, so richtet sich auch hier der zu beschreitende Rechtsweg nach der Rechtsnatur der Kompetenz, aufgrund welcher das Parlament den angegriffenen Beschluss erlassen hat. Diese kann sich sowohl aus der Verfassung als auch aus einfachem Gesetz ergeben. 147
I. Aufforderungen an die Regierung Bei der Bestimmung der Rechtsnatur bereiten insbesondere solche Beschlüsse Schwierigkeiten, welche nicht auf eine ausdrückliche Rechtsgrundlage zurückzuführen sind, sondern allenfalls als Entschließung, Willensbekundung oder Empfehlung ohne rechtsbindende Wirkung charakterisiert werden können. 148 Hierunter fallen insbesondere Aufforderungen oder Ersuchen an die Regierung, eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen, wie z. B. eine bestimmte politische Haltung einzunehmen, eine politische Entscheidung zu treffen, eine Gesetzesvorlage einzubringen, bestimmte Anordnungen zu treffen, ein Gesetz in einer bestimmten Weise anzuwenden oder eine Information zu geben.149 Das Parlament ist zu derartigen Aufforderungen befugt, da es die „Gesamtaufgabe demokratischer Gesamtleitung, Willensbildung und Kontrolle“ 150 trifft, welche über die einzelnen in den Verfassungen von Bund und Ländern ausdrücklich normierten Kompeten144 145 146 147 148 149 150
Ebenso Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 198. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 198. Achterberg, S. 738. Zu Beispielen siehe Achterberg, S. 739. Vgl. Achterberg, S. 740 mit Beispielen. Achterberg, S. 740. Hesse, Rn. 572.
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
zen hinausgeht. Die Befugnis zum Erlass solcher Parlamentsbeschlüsse ergibt sich damit aus der „institutionellen Ausformung des Parlaments“ 151 als Organ der Kontrolle und Kreation. Das Parlament wird damit hier in Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz tätig, so dass Streitigkeiten über die Ausübung dieser Befugnis auch dann nicht vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen werden können, wenn Kläger nicht die Regierung, sondern ein Bürger ist. So ist beispielsweise entgegen dem BVerfG 152 die Empfehlung der Hamburger Bürgerschaft an die Regierung der Hansestadt, einer bestimmten Religionsgemeinschaft keine öffentlichen Räume mehr zu Mietzwecken zu überlassen, durch die betroffene Religionsgemeinschaft nicht im Verwaltungsrechtsweg verfolgbar. Denn das Parlament wird hier in seiner verfassungsrechtlichen Funktion als Bürgervertretung tätig, nicht als schlichte Verwaltungsbehörde, so dass es der Respekt vor seiner Stellung verbietet, es einer fachgerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Entgegen der Auffassung des BVerfG 153 ist es demgegenüber nicht rechtswegbestimmend, dass sich die Religionsgemeinschaft auf Grundrechte berufen kann. Dies ändert nichts daran, dass der Beschluss in Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz erfolgte und somit vor einer fachgerichtlichen Erörterung zu schützen ist. 154 Anders verhielte es sich demgegenüber, wenn sich das Parlament direkt an die Öffentlichkeit wenden und vor der Religionsgemeinschaft warnen würde. Denn dann wäre nicht der vor Eingriffen durch die Fachgerichte zu schützende verfassungsrechtliche Raum zwischen Parlament und Regierung betroffen, sondern das Parlament würde vielmehr gefahrenabwehrend und damit verwaltend tätig werden. Insofern gilt nichts anderes als für regierungsamtliche Warnungen. 155
II. Die Festsetzung der Hauptstadt Auch der Beschluss über die Festsetzung der Hauptstadt156 ist verfassungsrechtlicher Natur. 157 Die Kompetenz hierfür folgt zwar nicht aus der formellen Verfassung, sondern aus Art. 2 I des Einigungsvertrags. Dieses Vertragswerk ist jedoch ein verfassungsrechtlicher Vertrag, so dass die aus ihm fließenden materiellen Verfassungskompetenzen ebenfalls einer verwaltungsgerichtlichen Erörterung entzogen sind. 158 Dieser Befund ändert sich auch nicht dadurch, dass der Einigungsvertrag durch das Einigungsvertragsgesetz vom 23.9.1990 in innerstaatliches (einfaches) 151 152 153 154 155 156 157 158
Achterberg, S. 743. BVerfG NVwZ 1993, 357. BVerfG NVwZ 1993, 357. Zur Problematik des Rechtsschutzes siehe unten Kapitel VII. Vgl. oben Kapitel VI A. II. Hierzu Koopmann, NWVBl. 1991, 45 ff. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 186. Zu Streitigkeiten über Staatsverträge siehe näher oben Kapitel V C. III.
H. Schlichte Parlamentsbeschlüsse
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Recht transformiert wurde. 159 Durch diese Transformation haben die vertraglichen Regelungen nämlich keine inhaltliche Änderung erfahren, so dass sie ihre verfassungsrechtliche Natur nicht verloren haben. 160
III. Die Feststellung des Verteidigungsfalls und die Ausübung des Misstrauensvotums Ebenso kann die Feststellung des Verteidigungsfalls, welche gem. Art. 115 a GG der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats trifft, nicht vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden. 161 Art. 115 a GG begründet eine formell-materiell verfassungsrechtliche Kompetenz, welche einer Erörterung durch die Verwaltungsgerichte entzogen ist. 162 Gleiches gilt für die Ausübung des Misstrauensvotums nach Art. 67 GG. 163
IV. Immunitätsentscheidungen Auch eine Immunitätsentscheidung nach Art. 46 II–IV GG 164 kann nur Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit sein. Wie bereits dargelegt, ist für die Klage eines Abgeordneten gegen die Aufhebung seiner Immunität der Verwaltungsrechtsweg verschlossen. 165 Dasselbe muss gelten, wenn ein Bürger auf Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten klagt. 166 Im einen wie im anderen Fall entscheidet sich der Streit nach der formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz des Art. 46 II GG. Die Norm ist deshalb dem materiellen Verfassungsrecht zuzurechen, 167 weil das Recht zur Aufhebung der Immunität ausschließlich dem Parlament als solchem zusteht und dem Innenbereich des Verfassungsorgans zuzuordnen ist. 168 Das Parlament entscheidet daher über die Aufhebung als Verfassungs- nicht als Verwaltungsorgan. 169 Es verbietet sich daher eine Rechtswegsdifferenzierung nach der Rechtsnatur des Klägers, 170 so dass auch für den Bürger der Verwaltungsrechtsweg verschlossen ist. Bedenken hinsichtlich Art. 19 IV GG ergeben sich keine, da kein subjektives Recht auf Bestrafung besteht. Es handelt sich nämlich immer um einen Strafanspruch des Staates, selbst wenn dieser im Privatklageverfahren verfolgt 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170
Koopmann, NWVBl. 1991, 45. Vgl. oben Kapitel V B. I. 2. b). Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 186; BVerwGE 15, 63 (65). Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 186; BVerwGE 15, 63 (65). BVerfGE 62, 1 (31); Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 186. Schmelter, S. 166. Siehe oben Kapitel V B. I. 2. a). Im Ergebnis ebenso Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 173; BK-Magiera, Art. 46 Rn. 103. Schmelter, S. 166. Butzer, S. 121. Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 173; Maunz/Dürig-Maunz, Art. 46 Rn. 71. Butzer, S. 120; Schmelter, S. 166.
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
wird. 171 Demzufolge besteht auch kein subjektives Recht auf die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten.
V. Die Feststellung des Haushaltsplans Haushaltspläne können auch dann nicht vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden, wenn sie – wie beispielsweise in Hamburg – nicht durch förmliches Gesetz, sondern durch Beschluss festgestellt werden. Die formell verfassungsrechtliche Kompetenz zur Feststellung des Haushaltsplans dient der Kontrolle des Parlaments über die Einnahmen und Ausgaben des Staates und stellt damit zugleich eine materiell verfassungsrechtliche Tätigkeit dar, 172 deren Überprüfung allein den Verfassungsgerichten vorbehalten sein soll.
I. Untersuchungsausschüsse am Beispiel des Landes Baden-Württemberg Der Rechtsschutz gegen Maßnahmen von Untersuchungsausschüssen ist auf Bundesebene durch das Untersuchungsausschussgesetz vom 6.4.2001 173 einer gesetzlichen Klärung zugeführt worden. 174 Gem. § 36 PUAG ist demnach grundsätzlich der Bundesgerichtshof zuständig, so dass die Frage nach der Rechtsnatur von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Untersuchungsausschüssen des Bundestags obsolet geworden ist. Weiterhin umstritten ist jedoch, welcher Gerichtsbarkeit die Untersuchungsausschüsse der Länder unterstehen. Da die gesetzliche Ausgestaltung der Kompetenzen von Land zu Land im Detail unterschiedlich sind, kann hier nicht auf die Besonderheiten eines jeden Bundeslands eingegangen werden. Beispielhaft sei daher wiederum das Land Baden-Württemberg herausgegriffen.
I. Streitigkeiten um die Rechtmäßigkeit eines Einsetzungsbeschlusses Eine Streitigkeit um die Rechtmäßigkeit eines Einsetzungsbeschlusses wäre dann verfassungsrechtlicher Natur, wenn die Kompetenz des Parlaments zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sowohl formell als auch materiell dem Verfassungsrecht angehörte. Nach Art. 35 LVerf hat der Landtag das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, wobei der Gegenstand der Untersuchung im Beschluss genau festzulegen ist. 171 Ahrens, S. 46; im Übrigen siehe zur Rechtsschutzproblematik bei verfassungsrechtlichen Klagen von Bürgern unten Kapitel VII. 172 OVG Hamburg DÖV 1986, 439 (440); Kopp/Schenke, § 40 Rn. 32. 173 BGBl. I, 1142. 174 Zu dem neuen Gesetz allgemein siehe Schneider, NJW 2001, 2604 und Wiefelspütz, NVwZ 2002, 10; zum Rechtsschutz vor Einführung des PUAG vgl. Richter, S. 120 ff.
I. Untersuchungsausschüsse am Beispiel des Landes Baden-Württemberg
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Ergänzend besteht gem. § 33 S. 2 GO Landtag diese Pflicht auch dann, wenn der Antrag von zwei Fraktionen gestellt worden ist. Daneben existiert nach §§ 2, 3 I UAG auch eine einfachgesetzliche Regelung über das Antragsrecht, die Einsetzung und den Gegenstand von Untersuchungsausschüssen. Die Kompetenz zur Einsetzung eines Untersuchungsausschuss richtet sich damit primär nach den einfachgesetzlichen Vorschriften des §§ 2, 3 I UAG. Diese Normen enthalten jedoch keine gegenüber den Vorschriften der Landesverfassung zusätzliche oder präzisierte Kompetenzen, so dass für die Bestimmung des Rechtswegs auf die Verfassungsnormen zurückzugreifen ist. 175 Die Kompetenz zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses gründet damit im formellen Verfassungsrecht. Darüber hinaus ist diese Kompetenz auch zum materiellen Verfassungsrecht zu zählen, da das Recht zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gerade dem Parlament in seiner ihm vorbehaltenen Funktion als Kontrollorgan der Exekutive zusteht. 176 Damit ist eine Streitigkeit über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verfassungsrechtlicher Natur. 177
II. Streitigkeiten über Maßnahmen des Untersuchungsausschusses, welche der richterlichen Anordnung bedürfen Nach § 16 UAG bedürfen sämtliche Zwangsmaßnahmen, insbesondere die Anordnung von Zwangsgeld und die zwangsweise Vorführung von Zeugen eines gerichtlichen Beschlusses. 178 Zuständig hierfür ist gem. § 16 VI UAG der Strafrichter am Amtsgericht Stuttgart. Als Rechtsmittel hiergegen steht dem Bürger die Beschwerde nach § 304 StPO zur Seite. 179 Zu beschreiten ist also der ordentliche Rechtsweg. Nach Erschöpfung des Rechtswegs kommt zusätzlich die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde in Betracht. 180 Streitigkeiten über Maßnahmen des Untersuchungsausschusses, welche der richterlichen Anordnung bedürfen sind daher bereits deshalb keine verfassungsrechtlichen Streitigkeiten, weil der Strafrichter am Amtsgericht, dessen Anordnung im Streit steht, kein Verfassungsrechtssubjekt ist. Auch der Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs zu der Stellung des Untersuchungsausschusses als Teil eines Verfassungsorgans vermag keine verfassungsrechtliche Streitigkeit zu begründen. Wenn nämlich eine Maßnahme des UntersuchungsVgl. oben Kapitel V B. I. 2. b). So wohl auch Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 184 und Di Fabio, JZ 1995, 828. 177 Hiervon scheint auch Richter, S. 122 f., auszugehen; vgl. auch BayVerfGH DVBl. 1986, 233 und Di Fabio, JZ 1995, 828; Die Landesverfassungen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sehen sogar eine Vorlagepflicht zum Landesverfassungsgericht vor, wenn ein Gericht den Untersuchungsauftrag für verfassungswidrig hält. 178 Anders die Rechtslage beispielsweise in Niedersachsen, wo der Untersuchungsausschuss selbst den Vorführungsbefehl erlassen kann (vgl. BVerwGE 79, 339 [340]; OVG Lüneburg NVwZ 1986, 845; VG Hannover NJW 1988, 1928) oder in Berlin, wo der Untersuchungsausschuss auch Ordnungsstrafen verhängen kann (vgl. OVG Berlin DVBl. 1970, 293). 179 Vgl. LG Frankfurt NJW 1987, 787. 180 Vgl. BVerfG NJW 1988, 890; NJW 1984, 2276. 175 176
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
ausschusses nur auf Anordnung des Strafrichters am Amtsgericht ergehen darf, spricht nichts dagegen, diese Anordnung einer fachgerichtlichen Prüfung zu unterstellen. Eine besondere Schutzbedürftigkeit des Untersuchungsausschusses, wonach die Überprüfung der amtsrichterlichen Anordnung einem Verfassungsgericht vorbehalten bleiben müsste, ist nicht erkennbar, da hier der Gesetzgeber die Schutzwürdigkeit des Bürgers vor Zwangsmaßnahmen durch den Untersuchungsausschuss höher gewichtet hat als das Schutzbedürfnis des Untersuchungsausschusses, als Teil eines Verfassungsorgans von einer fachgerichtlichen Kontrolle verschont zu bleiben.
III. Streitigkeiten über Maßnahmen des Untersuchungsausschusses, welche dieser selbst anordnen kann Fraglich ist demgegenüber, welchen Rechtsweg der Bürger bei Streitigkeiten über solche Maßnahmen des Untersuchungsausschusses beschreiten muss, welche dieser selbst anordnen kann. 1. Die Klage eines Bürgers gegen die Aufforderung auf Herausgabe bestimmter Unterlagen In Betracht kommt beispielsweise die Klage eines Bürgers gegen die Aufforderung des Untersuchungsausschusses auf Herausgabe bestimmter beweisrelevanter Unterlagen. Eine solche Streitigkeit wäre jedenfalls dann als verfassungsrechtlich zu qualifizieren, wenn das Herausgabeverlangen des Untersuchungsausschusses auf einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz basierte. Dies ist jedoch nicht der Fall, da die Rechtsgrundlage für das Herausgabeverlangen §§ 13 VI UAG, 95 I StPO ist. Die Herausgabepflicht ergibt sich daher nicht unmittelbar aus der Landesverfassung. Sie ist in ihrer konkreten Ausgestaltung auch keineswegs von der Verfassung vorgegeben, dem Gesetzgeber blieb mit anderen Worten bei der Ausgestaltung der Herausgabepflicht ein Gestaltungsspielraum. 181 §§ 13 VI UAG, 95 I StPO versperren daher einen Rückgriff auf die formelle Landesverfassung. 182 Freilich kann es bei der Auslegung des § 95 I StPO von Bedeutung sein, dass das Herausgabeverlangen nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern von einem Untersuchungsausschuss in Ausübung seines verfassungsrechtlichen Untersuchungsauftrags gestellt wurde, 183 so dass die Vorschrift im Hinblick auf die Landesverfassung Vgl. Richter, S. 128. Vgl. OVG Münster DVBl. 1987, 100 (101); NVwZ 1990, 1083; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 184; a. A. demgegenüber Di Fabio, S. 112 zur Rechtslage im Bund vor Erlass des PUAG: „Da auf Bundesebene die maßgebliche normative Regel ausschließlich in Art.44 GG zu finden ist, kristallisieren sich in dieser Vorschrift Ausgangspunkte und Ziele nahezu jeder relevanten Streitfrage betreffend das parlamentarische Untersuchungsrecht“. 183 Vgl. Schenke, JZ 1988, 1125. 181 182
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Modifikationen unterliegen kann. Dies nimmt ihr aber nicht den Charakter einer einfachgesetzlichen Vorschrift und macht sie nicht zu formellem Verfassungsrecht. 184 Dass einfachgesetzliche Vorschriften im Lichte der Verfassung ausgelegt werden müssen, ist keine Besonderheit des Rechts der Untersuchungsausschüsse. Gleichwohl könnte eine verfassungsrechtliche Streitigkeit unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs zu bejahen sein. So könnte argumentiert werden, dass das Recht auf Aktenherausgabe als wesentlicher Bestandteil der Beweisaufnahme entscheidenden Einfluss auf die Arbeit des Untersuchungsausschusses habe und dass daher die Entscheidung über Umfang und Reichweite dieses Rechts nicht den Fachgerichten überlassen werden dürfe. 185 Diese Sichtweise vermag jedoch bereits deshalb nicht zu überzeugen, weil die Zwangsmaßnahmen nach §§ 16 II–IV UAG ebenfalls der Beweisaufnahme dienen und diese dennoch nicht nur der nachträglichen fachgerichtlichen Kontrolle unterliegen, 186 sondern darüber hinaus sogar einer ausdrücklichen Anordnung durch den Strafrichter am Amtsgericht bedürfen. Daher wäre es nicht überzeugend, wenn die sonstigen Maßnahmen zur Beweisaufnahme, die aufgrund ihrer geringeren Belastung für den Bürger keiner fachgerichtlichen Anordnung bedürfen, aufgrund der verfassungsrechtlichen Stellung des Untersuchungsausschusses dem Verfassungsgericht vorbehalten sein sollten. Aus §§ 16 II–IV UAG folgt damit, dass Maßnahmen der Beweiserhebung einer fachgerichtlichen Kontrolle gerade nicht entzogen sind. Wenn auch der Untersuchungsausschuss bei seiner Investigation zweifellos einen verfassungsrechtlichen Auftrag wahrnimmt, bedeutet dies nicht zugleich, dass auch die einzelnen Mittel, die er zur Erfüllung seines Auftrags einsetzt, dessen Rechtsnatur teilen.187 So ist beispielsweise auch die Zahlung der Abgeordnetendiäten durch das Grundgesetz und die Landesverfassungen geboten, ohne dass der konkrete Zahlungsbescheid verfassungsrechtlich wäre. 188 Auch dass bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Herausgabeverlangens stets darüber mitzuentscheiden ist, ob der Untersuchungsausschuss ordnungsgemäß eingesetzt wurde, 189 begründet keine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Diese Prüfung erfolgt nämlich nur vorfrageweise. 190 Wie bereits festgestellt wurde, haben aber Vorfragen keinen Einfluss auf den Rechtscharakter der Streitigkeit. 191 Vgl. Richter, S. 128; a. A. Ossenbühl, S. 191. Vgl. Ossenbühl, S. 191; Kästner, NJW 1990, 2649 (2654 ff.); ders., JuS 1993, 109 (112); Schenke, JZ 1988, 1125. 186 Siehe zuvor. 187 Vgl. Richter, S. 127 f. 188 Siehe oben Kapitel V B. I. 2. b). 189 Vgl. AG Bonn NJW 1989, 1101; Ossenbühl, S. 183. 190 Anders jedoch die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, wo die Landesverfassungen für den Fall, dass ein Gericht den Untersuchungsauftrag für verfassungswidrig hält, eine Vorlagepflicht zum Landesverfassungsgericht statuieren. 191 Siehe oben Kapitel V B. I. 2. e) sowie vgl. Richter, S. 128; a. A. offenbar Kästner, NJW 1990, 2649 (2655). 184 185
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Weiterhin verfängt auch der Hinweis nicht, die Bejahung einer verwaltungsrechtlichen Streitigkeit führe zu einer Asymmetrie des Rechtsschutzes, da der Bürger nach Erschöpfung des Verwaltungsrechtswegs über die Verfassungsbeschwerde das Verfassungsgericht anrufen könne, wohingegen der Untersuchungsausschuss diese Möglichkeit nicht habe. 192 Diese „Asymmetrie“ ist nämlich keineswegs ein Spezifikum der hier untersuchten Fallkonstellation, sondern taucht bei allen Rechtsstreitigkeiten zwischen Staat und Bürger auf. Indem der Verfassungsgeber in Art. 93 I Nr. 4 a GG die Verfassungsbeschwerde einführte, hat er sich bewusst zu einer Asymmetrie des Rechtsschutzes zugunsten der Grundrechtsträger entschieden. Mit anderen Worten ist der Rechtsschutz des Bürgers vor dem Staat bewusst stärker ausgestaltet als der umgekehrte, weil der Verfassungsgeber davon ausging, dass der Bürger gegenüber dem Staat in der schwächeren Position und daher besonders schutzbedürftig sei. 193 Somit ist die Klage eines Bürgers gegen eine Aufforderung auf Herausgabe bestimmter Unterlagen eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit, welche vor den Verwaltungsgerichten auszutragen ist. 194 2. Die Klage eines Bürgers gegen die Anforderung von Akten bei der Regierung oder einer Behörde Ein weiteres Beispiel für eine vom Untersuchungsausschuss selbst vorzunehmende Maßnahme stellt die Anforderung von Akten bei einer Behörde oder der Regierung dar. Auch der Bürger kann hiervon betroffen sein, wenn die Akten persönliche Informationen über ihn enthalten. Ihm stehen dann zwei Verteidigungsstrategien zur Verfügung: Entweder er greift das Herausgabeverlangen des Untersuchungsausschusses an oder aber er klagt gegen die Behörde auf Unterlassung der Herausgabe. Die Pflicht zur Aktenherausgabe ist in § 14 I UAG normiert, das Recht zur Auskunftsverweigerung in § 14 II UAG. Sowohl das Recht des Untersuchungsausschusses, die Herausgabe von Unterlagen zu verlangen, als auch die Kompetenz der Behörden, die Herausgabe zu verweigern, richtet sich demnach nach einfachem Recht, so dass für beide Klagemöglichkeiten dem Bürger der Verwaltungsrechtsweg offen steht. 195 Im Übrigen vermag auch der Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs keine verfassungsrechtliche Streitigkeit zu begründen, wobei auf die oben angestellten Überlegungen zurückgegriffen werden kann. 196 So aber Schenke, JZ 1988, 1125. Vgl. Richter, S. 130. 194 Ebenso Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 184 für die Rechtslage im Bund vor Einführung des PUAG. Entsprechendes gilt für das Recht zur Zeugenladung gem. §§13 VI UAG, 48 StPO; vgl. BVerwG BayVBl. 1981, 214; VGH München, BayVBl. 1981, 209 (210). 195 Vgl. BayVerfGH DÖV 1992, 967 f.; FG München NVwZ 1994, 100; OVG Koblenz NVwZ 1986, 575; Hilf, NVwZ 1987, 537 (544) und Richter, S. 132 und 144, der allerdings inkonsequenterweise eine verfassungsrechtliche Streitigkeit bejaht, wenn sich das Herausgabeverlagen gegen die Regierung richte. 196 Siehe zuvor. 192 193
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IV. Fazit Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass gegen amtsrichterliche Zwangmaßnahmen Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten zu suchen ist, wohingegen unmittelbare Maßnahmen des Untersuchungsausschusses vor den Verwaltungsgerichten gerügt werden müssen. 197 Dies kann im Einzelfall zu einer Verdopplung des Rechtsschutzes führen. Auf die sich daraus ergebenden Probleme soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden. 198
V. Ergänzung: Streitigkeiten zwischen dem Untersuchungsausschuss und der Regierung um die Erteilung einer Aussagegenehmigung Streitigkeiten zwischen dem Untersuchungsausschuss und der Regierung um die Erteilung einer Aussagegenehmigung gehören im Grunde nicht zu den in diesem Kapitel untersuchten Streitigkeiten, da es sich bei ihnen um Streitigkeiten zwischen Verfassungsrechtssubjekten handelt. Sie sollen jedoch aus systematischen Gründen hier mitbehandelt werden. Klagt ein Untersuchungsausschuss gegen die Regierung auf die Erteilung einer Aussagegenehmigung für ein Mitglied der Regierung oder einen Beamten, so ist eine verfassungsrechtliche Streitigkeit zu bejahen, wenn die Kompetenz zur Erteilung der Aussagegenehmigung formell-materiell verfassungsrechtlicher Natur ist. Dies ist jedoch nicht der Fall, da sich die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aussagegenehmigung im Beamtenrecht finden, welches für Minister entsprechend angewandt wird. 199 Da es sich demnach hier um eine Streitigkeit über die Interpretation und Anwendung von Beamtenrecht handelt, sind die Verwaltungsgerichte zuständig. Das Recht des Untersuchungsausschusses auf Erteilung einer solchen Aussagegenehmigung ist demgegenüber nicht rechtswegsbestimmend. 200 Daher ergibt sich auch nicht aus der Stellung des Untersuchungsausschusses als Teil eines Verfassungsorgans eine verfassungsrechtliche Natur der Streitigkeit.
197 So im Ergebnis auch BVerfG NVwZ 1994, 54; OVG Berlin DVBl. 2001, 1224; Hilf, NVwZ 1987, 537 (544); Weidemann, NVwZ 1989, 947. 198 Zu dieser Problematik siehe OVG Münster NVwZ 1990, 1083 (1084); Richter, S. 149 ff.; Quaas/Zuck, NJW 1988, 1873 (1880); Ossenbühl, S. 186 ff. 199 BVerwG DÖV 1999, 1045 f. 200 Siehe oben Kapitel V C. I. 2. b) cc).
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Kap. VI: Beteiligung eines Nichtverfassungsrechtssubjekts
J. Rechtsschutz einer Gemeinde im Anhörungsverfahren bei Gebietsreformen in Baden-Württemberg Die Gebietsänderungen einer Gemeinde gegen ihren Willen 201 erfolgen in BadenWürttemberg durch ein förmliches Gesetz (§ 8 III GemO). Hierbei gebietet es das in Art. 28 I GG niedergelegte Recht auf kommunale Selbstverwaltung, 202 dass die Gemeinde vor der Gebietsreform angehört wird. 203 Fraglich ist nun, ob und auf welche Weise eine Gemeinde Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann, wenn sie sich in ihrem Recht auf Anhörung verletzt fühlt, etwa weil die Anhörungsfrist zu kurz bemessen sei. 204 Da die Kompetenz zur Fristsetzung einfachgesetzlich normiert und darüber hinaus auch durch Verwaltungsbehörden ausgeübt werden kann, 205 könnte sich eine verfassungsrechtliche Streitigkeit nur aus dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs zu dem Gesetzgebungsverfahren ergeben. 206 So wird in der Tat argumentiert, die Aufforderung zur Stellungnahme sei eine Maßnahme, die dem Gesetzgeber zur Vorbereitung eines Gesetzes, also einer verfassungsrechtlichen Maßnahme diene. 207 Daher qualifiziert die Rspr. das Anhörungsverfahren als Teil des Gesetzgebungsverfahrens und sieht folgerichtig Streitigkeiten hierüber als verfassungsrechtlich an. 208 Die Einbindung des Anhörungsverfahrens in das förmliche Gesetzgebungsverfahren vermag indessen bereits deshalb nicht zu überzeugen, weil die Anhörung auch von einer Verwaltungsbehörde durchgeführt werden und noch vor der Gesetzesinitiative erfolgen kann. 209 Die Trennung zwischen Anhörungs- und Gesetzgebungsverfahren stellt daher keineswegs eine „nicht zu rechtfertigende Zäsur“ 210 eines einheitlichen Rechtsvorgangs dar. 211 Denn das Gesetzgebungsverfahren beginnt erst mit der Gesetzesinitiative, d.h. mit Einbringen des Gesetzentwurfs im Parlament. 212 Dieser Vorgang stellt einen Einschnitt dar, welcher das eigentliche Gesetzgebungsverfahren von den bloßen Vorbereitungshandlungen zur Ausarbeitung einer Gesetzesinitiative deutlich abgrenzt. Von einem „einheitlichen Rechtsvorgang“ kann daher keine Rede sein. 213 Dass das Anhörungsverfahren kein Teil des Gesetzgebungsverfahrens dar201 Hierzu allgemein Knemeyer, Rn. 55 ff.; J. Schmidt, BayVBl. 1979, 129; Renck-Laufke, DVBl. 1974, 512; Ule/Laubinger, DVBl. 1970, 760; Stern/Bethge, S. 18 ff. 202 Görg/Seibert, DVBl. 1968, 851 (852); Ossenbühl, DÖV 1969, 548 (550). 203 Siehe für Baden-Württemberg § 8 III GemO. 204 Vgl. z. B. VG Köln DVBl. 1968, 850; OVG Münster DVBl. 1970, 788. 205 Seibert, DVBl. 1970, 791; Ule/Laubinger, DVBl. 1970, 760 (763); Görg, DVBl. 1966, 329 (330); VG Köln DVBl. 1968, 850. 206 Vgl. Seibert, DVBl. 1970, 791. 207 VG Köln DVBl. 1968, 850 (851). 208 OVG Münster DVBl. 1970, 788; VG Köln DVBl. 1968, 850 (851); a. A. Stern/Bethge, S. 18; Görg, DVBl. 1966, 329 (331); Görg/Seibert, DVBl. 1968, 851 (852); Hoppe/Rengeling, S. 152; Bethge, NJW 1975, 77 (78). 209 Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 170; Seibert, DVBl. 1970, 791; Bethge, JuS 2001, 1100 (1101). 210 OVG Münster DVBl. 1970, 788 (789). 211 Seibert, DVBl. 1970, 791. 212 Seibert, DVBl. 1970, 791; Ossenbühl, DÖV 1969, 548 (551); Bethge, NJW 1975, 77 (78). 213 Ossenbühl, DÖV 1969, 548 (551).
J. Rechtsschutz einer Gemeinde im Anhörungsverfahren
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stellt, zeigt sich im Übrigen auch daran, dass es sich hierbei nicht um ein Recht des Gesetzgebers handelt, die zum Erlass des Gesetzes erforderlichen Informationen zu sammeln, sondern vielmehr um ein aus Art. 28 I GG fließendes gemeindliches Recht auf Anhörung. 214 Der Gesetzgeber ist also hier anders als im Gesetzgebungsverfahren nicht Berechtigter, sondern Verpflichteter. 215 Gleichwohl stellt das Anhörungsverfahren eine selbständige Voraussetzung für den Erlass eines Gebietsänderungsgesetzes dar, die zunächst erfüllt sein muss, bevor der Gesetzgeber das „eigentliche“, verfassungsrechtlich geregelte Gesetzgebungsverfahren durchführen darf. 216 Daher könnte das Anhörungsverfahren wenn schon nicht als Teil, dann doch als im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren stehend bezeichnet werden. 217 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass jedenfalls dann, wenn allein die Befristung der aufsichtsbehördlichen Aufforderung zur Stellungnahme angefochten wird, das Gesetzgebungsverfahren als solches nicht tangiert wird. 218 Der Gesetzgeber wird dadurch auch nicht einer verwaltungsgerichtlichen Vorabkontrolle unterworfen. 219 Denn die Frage, ob die Anhörungsfrist richtig bemessen wurde, hat keinerlei Auswirkungen auf die inhaltliche Ausgestaltung des späteren Gesetzes. Der Gesetzgeber erfüllt mit der Anordnung der Anhörung nur eine Verpflichtung zur Vorbereitung eines formellen Gesetzes. 220 An das Ergebnis der Anhörung ist er in keiner Weise gebunden. 221 Die Fristsetzung erweist sich damit als eine rein verfahrenstechnische Maßnahme ohne Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung des Gesetzes. Eine Beschneidung der Gesetzgebungskompetenz des Parlaments durch die Verwaltungsgerichte ist hier daher nicht zu befürchten. 222 Mangels eines unmittelbaren Sachzusammenhangs zwischen dem Anhörungs- und Gesetzgebungsverfahren ist somit die verfassungsrechtliche Natur des Gesetzgebungsverfahrensverfahrens nicht auf das Anhörungsverfahren übertragbar. 223 Im Übrigen ergibt sich ein verfassungsrechtlicher Charakter von Streitigkeiten über Modalitäten des Anhörungsverfahrens auch nicht aus dem Verfassungsrang des Art. 28 I GG. 224 Entscheidend für die Rechtswegsabgrenzung ist nämlich die Rechtnatur der angegriffenen Kompetenz, nicht die des verletzten Rechts. 225 Die Gemeinde kann daher Maßnahmen im Anhörungsverfahren vor den Verwaltungsgerichten angreifen. 226 214
Görg/Seibert, DVBl. 1968, 851 (852); Ossenbühl, DÖV 1969, 548 (550); Stern/Bethge,
S. 19. Görg/Seibert, DVBl. 1968, 851 (852). Görg/Seibert, DVBl. 1968, 851 (852). 217 Seibert, DVBl. 1970, 791. 218 Görg/Seibert, DVBl. 1968, 851 (852); Ossenbühl, DÖV 1969, 548 (551). 219 So aber VG Köln DVBl. 1968, 850 (851). 220 VG Köln DVBl. 1968, 850 (851). 221 VG Köln DVBl. 1968, 850 (851); OVG Münster DVBl. 1970, 788. 222 Görg/Seibert, DVBl. 1968, 851 (852). 223 Ebenso Görg/Seibert, DVBl. 1968, 851 (852). 224 So aber OVG Münster DVBl. 1970, 788 (789). 225 Siehe oben Kapitel V C. I. 2. b) cc). 226 Ebenso Ule/Laubinger, DVBl. 1970, 760 (764); Görg/Seibert, DVBl. 1968, 851; Ossenbühl, DÖV1969, 548; Seibert, DVBl. 1970, 791; Stern/Bethge, S.18; Bethge, NJW 1975, 77 (78). 215 216
10 Kraayvanger
Kapitel VII
Rechtsschutz des Bürgers in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten Liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art zwischen einem Bürger und einem Verfassungsrechtssubjekt vor, so ist gem. § 40 I 1 VwGO für den Bürger der Verwaltungsrechtsweg verschlossen. Zugleich fehlt ihm die Möglichkeit, eines der Verfahren der Art. 93 I Nr. 1–4 GG bzw. ein entsprechendes landesrechtliches Verfahren zu initiieren. Damit stellt sich die Frage, wie dem Bürger in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten Rechtsschutz gewährt werden kann.
A. Der Justizgewährleistungsanspruch in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten Zunächst ist zu klären, ob Art. 19 IV GG auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten überhaupt Anwendung findet. Denn andernfalls könnte die Frage des Rechtsschutzes des Bürgers in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten dahinstehen, da ein solcher durch die Verfassung nicht gefordert würde. Nach Art. 19 IV 1 GG steht jedermann der Rechtsweg offen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird.
I. Die „öffentlichen Gewalt“ i. S. d. Art. 19 IV 1 GG Zu fragen ist damit, ob verfassungsrechtliche Streitigkeiten Maßnahmen „öffentlicher Gewalt“ zum Gegenstand haben. Es ist mit anderen Worten zu prüfen, ob die Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz, bzw. der Erlass eines formellen Gesetzes oder einer untergesetzlichen Rechtsnorm „öffentliche Gewalt“ darstellen. Zunächst ergibt sich aus dem Wortlaut, dass unter den Begriff der „öffentlichen Gewalt“ nur Maßnahmen staatlicher Stellen gefasst werden können. Der nähere Bedeutungsgehalt des Begriffs der „öffentlichen Gewalt“ erschließt sich hingegen erst über die Ratio des Art. 19 IV GG, sowie über dessen systematische Stellung am Ende des Grundrechtsabschnitts.1 Hieraus ist zu entnehmen, dass 1 Schenke, JuS 1981, 81 (82); ders., VerwArch 82 (1991), 307 (314); Frenz, BayVBl. 1993, 483 (484).
A. Der Justizgewährleistungsanspruch
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Art. 19 IV GG zur Effektuierung der Grundrechte Rechtsschutz gegen Grundrechtsverletzungen durch staatliche Stellen garantiert. 2 Unter den Begriff der „öffentlichen Gewalt“ fallen daher grundsätzlich alle staatlichen Stellen, die an die Grundrechte gebunden sind. 3 Aus Art. 1 III GG ergibt sich, dass dies die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt sowie die Rechtsprechung sind. 4 Allerdings ist anerkannt, dass Art. 19 IV GG gleichwohl keinen Rechtsschutz vor Rechtssprechungsakte der Gerichte bietet, da dies zu einem Rechtsschutz ad infinitum führen würde. 5 Art. 19 IV GG gewährt Rechtsschutz nur durch den Richter, nicht vor dem Richter. 6 Weiterhin ist umstritten, ob Art. 19 IV GG auch gegen Akte der Gesetzgebung 7, sprich gegen formelle Gesetze Rechtsschutz gewährleistet. 8 Dies ist mit der überwiegenden Meinung in der Literatur 9 zu bejahen. Dafür, dass der Begriff der „öffentlichen Gewalt“ auch die Gesetzgebung erfasst, spricht nämlich nicht nur der Wortlaut 10 und die Grundrechtsbindung der Legislative in Art. 1 III GG, 11 sondern darüber hinaus auch Art. 93 I Nr. 4 a GG, in dessen Rahmen der Begriff der „öffentlichen Gewalt“ unbestrittenermaßen auch die Gesetzgebung umfasst. 12 Die hiergegen vom BVerfG erhobene Einwände, aus Art. 93 I Nr. 2 und Art. 100 GG ergebe sich, dass eine prinzipale Überprüfung von Gesetzen nur nach diesen Vorschriften möglich sei, 13 vermag nicht zu überzeugen. Da diese beiden Normenkontrollverfahren nicht an die Verletzung subjektiver Rechte anknüpfen, besitzen sie einen gänzlich anderen Charakter als eine dem subjektiven Rechtsschutz dienende Normenkontrolle, so dass sich aus ihnen nichts für die Auslegung des Art. 19 IV GG ergibt. 14 So ist denn auch weitgehend anerkannt, dass Art. 19 IV GG Rechtsschutz gegen unSchenke, JuS 1981, 81 (82); Frenz, BayVBl. 1993, 483 (484). Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (314); Frenz, BayVBl. 1993, 483 (484). 4 Schenke, JuS 1981, 81 (82). 5 Schenke, JZ 1988, 317 (319); Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 96. 6 Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 96; Schäfer, S. 168; Bettermann, DVBl. 1965, 886 (888). 7 Vgl. Schenke, JuS 1981, 81 (82). 8 Dies wird vom BVerfG in st. Rspr. verneint. Vgl. hierzu BVerfGE 24, 33 (49); E 24, 367 (401); E 45, 297 (334). 9 Schenke, JuS 1981, 81 (82); ders., Rechtsschutz, S. 28 ff.; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (314 f.); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1063; BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 249 ff.; Maunz/ Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 70, 93; Bachof, AöR 86 (1961), 186 (187); Bartelsperger, DVBl. 1967, 360 (368); Bettermann, AöR 86 (1961), 129 (152 ff.); Obermayer, DVBl. 1965, 625 (626 ff.); Renck, JuS 1966, 273 (274 ff.); Frenz, BayVBl. 1993, 483 (484); Kassimatis, S. 213; Schmelter, S. 79 ff.; 168; Pielow, DV 1999, 445 (447 f.); a. A. Schäfer, S. 169. 10 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1063. 11 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1063. 12 Schenke, JZ 1988, 317 (319). 13 BVerfGE 24, 33 (50). 14 Schenke, JuS 1981, 81 (83); ders., VerwArch 82 (1991), 307 (315); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 11063; Bachof, AöR 86 (1961), 186 (187 f.). 2 3
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Kap. VII: Rechtsschutz des Bürgers
tergesetzliche Normen gewährt, obwohl Art. 93 I Nr. 2 GG auch auf solche Regelungen anwendbar ist. 15 Weiterhin ist umstritten, ob Art. 19 IV GG auch Rechtsschutz vor Regierungsakten, d. h. staatsleitenden Hoheitsakten bietet, die nicht in Gesetzesform vorgenommen werden. 16 Auch dies ist zu bejahen, weil ihre Ausklammerung in Art.19 IV GG keine ausreichende Stütze fände. 17 Da Art. 1 III GG nicht zwischen Regierungsakten und Verwaltungshandeln differenziert, unterliegen auch die Regierungsakte der Grundrechtsbindung. Folglich muss auch Art. 19 IV GG als Instrument zur Effektuierung der Grundrechte Rechtsschutz vor Grundrechtsverletzungen 18 durch Regierungsakte bieten. 19 Somit stellen Maßnahmen, die Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit sein können, ebenfalls „öffentliche Gewalt“ i. S. d. Art. 19 IV GG dar. Die Gewährleistung eines umfassenden Rechtsschutzes als Sinn und Zweck der Rechtswegsgarantie verlangt eine extensive Auslegung des Begriffs 20 dergestalt, dass hierunter jeder Träger der öffentlichen Gewalt fällt, sofern er obrigkeitliche Tätigkeit ausübt. 21 Erfasst sind damit ausdrücklich auch die Verfassungsrechtssubjekte, soweit sie hoheitlich tätig werden. 22 Eine Ausklammerung der verfassungsrechtlichen Kompetenzen aus dem Begriff der „öffentlichen Gewalt“ stellte demgegenüber eine ungerechtfertigte Verengung der Rechtsweggarantie dar. 23
15 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (315); BVerwGE 80, 355 (361); Maurer, S. 285; Renck, JuS 1966, 273 (274); Würtenberger, AöR 105 (1980), 370 (375 ff.); BVerwGE 80, 355 (361). 16 BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 219 ff.; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 81 ff. 17 Schenke, JZ 1988, 317 (319); BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 219 ff.; Maunz/Dürig-SchmidtAßmann, Art. 19 IV Rn. 81 ff.; Kassimatis, S. 213; Bettermann, DVBl. 1965, 886 (888). 18 Zur Vermeidung von Missverständnissen sei darauf hingewiesen, dass Art. 19 IV GG keineswegs lediglich die Grundrechte, sondern alle subjektiven Rechte schützt (Kassimatis, S. 216; Schäfer, S. 167). Dies ergibt sich zwar nicht aus Art. 1 III GG, wohl aber aus dem Wortlaut des Art. 19 IV 1 GG, der nicht auf die Grundrechte beschränkt ist. Sind aber Regierungsakte im Hinblick auf die Grundrechtsbindung der Exekutive zur Ausübung „öffentlicher Gewalt“ zu zählen, so gilt dies selbstverständlich auch dann, wenn durch den Regierungsakt kein Grundrecht, sondern ein sonstiges subjektives Recht verletzt wird. Andernfalls würde man den Begriff der „öffentlichen Gewalt“ anhand des durch sie verletzten Rechtes definieren und auf diese Weise die Differenzierung zwischen diesen beiden Merkmalen in Art.19 IV GG zunichte machen. 19 Kassimatis, S. 214 f. 20 Kassimatis, S. 213; Schmelter, S. 79 ff.; 168. 21 Kassimatis, S. 213. 22 Vgl. Kassimatis, S. 214. 23 Kassimatis, S. 215.
A. Der Justizgewährleistungsanspruch
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II. Keine Beschränkung des Art. 19 IV GG auf fachgerichtlichen Rechtsschutz Zum Teil wird gleichwohl die Anwendbarkeit des Art. 19 IV GG auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten mit dem Hinweis verneint, 24 dass Adressaten des Gewährleistungsanspruchs nicht die Verfassungsgerichte, sondern ausschließlich die Fachgerichte seien. 25 Zu deren Rechtsschutzauftrag zähle indessen der Rechtsschutz in materiellen Verfassungsstreitigkeiten von vornherein nicht. 26 Indessen erweist sich bereits der Ausgangspunkt der These, die Verfassungsgerichte seien nicht Adressaten des Art. 19 IV GG, als nicht stichhaltig. Die Verfassungsgerichte erfüllen nämlich alle Kriterien eines „Gerichts“ i. S. d. Art. 19 IV GG. 27 So ist etwa das BVerfG zwar ein oberstes Verfassungsorgan, aber zugleich auch ein selbständiger Gerichtshof, der mit allen Garantien richterlicher Unabhängigkeit ausgestattet ist und rechtsprechende Tätigkeit ausübt (§ 1 BVerfGG; Art. 92 GG). 28 Daher spricht auch nichts dagegen, die Möglichkeit, das BVerfG anzurufen, grundsätzlich als „Rechtsweg“ i. S. d. Art. 19 IV GG anzusehen. 29 Hiervon geht offensichtlich auch Art. 93 I Nr. 4 GG aus, („... soweit nicht ein anderer Rechtsweg 30 gegeben ist“). 31 Die hier vertretene Ansicht wird zudem durch die Entstehungsgeschichte des Art. 19 IV GG bestätigt. So führte in der 44. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates der Abgeordnete Dr. von Brentano am 19.1.1949 aus: „Es gibt verschiedene Rechtswege, den verwaltungsgerichtlichen, den verfassungsgerichtlichen 32 und den zu den ordentlichen Gerichten“ 33. Im Übrigen scheint auch das BVerfG davon auszugehen, dass seine Anrufung einen Rechtsweg i. S. d. Art. 19 IV GG darstellen könne. So führte es im „AKU-Urteil“ 34 aus, dass die Verfassungsbeschwerde effektiven Rechtsschutz gegen Gesetze bieten könne, wenn Art. 19 IV GG dies fordere. 35 Dieser Auffassung scheint sich das BVerwG anzuschließen. So formulierte es etwa, dass „eine andere Zuständigkeit i. S. des Art. 19 IV 2 ... wegen Fehlens einer Verfassungsgerichtsbarkeit in Berlin ... nicht begründet“ 36 sei und im24 Bethge, Jura 1998, 529 (532); ders., JuS 2001, 1100; Ossenbühl, S. 192; OVG Münster NJW 1974, 1671; VGH München BayVBl. 1990, 721 (722); OVG Lüneburg NdsVBl. 1997, 208 (209); Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, S. 37. 25 Bethge, Jura 1998, 529 (531); BVerfGE 1, 322 (344); Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 19 Rn. 27; Maunz/Schmidt-Bleibtreu, § 90 Rn. 18. 26 Bethge, Jura 1998, 529 (532). 27 BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 42; Di Fabio, S. 114. 28 Schmelter, S. 167. 29 Di Fabio, S. 114; v. Mangoldt-Huber, Art. 19 IV Rn. 452. 30 Hervorhebung durch den Verfasser. 31 BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 42; ders., Rechtsschutz, S. 297; Di Fabio, S. 114. 32 Hervorhebung durch den Verfasser. 33 Zitiert bei BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 42; ders., Rechtsschutz, S. 298; Schmelter, S. 168. 34 BVerfGE 24, 33 (49). 35 BK-Schenke, Art. 19 IV Rn. 45. 36 BVerwG NJW 1985, 2344 (2345).
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Kap. VII: Rechtsschutz des Bürgers
plizierte damit, dass auch die Verfassungsgerichtsbarkeit ein Rechtsweg i. S. d. Art. 19 IV GG sei. 37
III. Fazit Festzuhalten bleibt damit, dass Art. 19 IV GG auch in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten einen effektiven Rechtsschutz des Bürgers gebietet.
B. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten Garantiert Art. 19 IV GG effektiven Rechtsschutz auch in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten, so fragt sich weiter, in welchem Verfahren dieser gewährleistet werden kann. Die Sicherstellung effektiven Rechtsschutzes kann prinzipiell auf dreierlei Weise erfolgen. Das BVerwG tendiert zu einer erweiternden Auslegung des § 40 I 1 VwGO. 38 Danach soll auch in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten ausnahmsweise der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein, wenn sich der Rechtsschutzsuchende auf Art. 19 IV GG berufen kann. 39 Dem wird entgegengehalten, dass für eine solche Ausdehnung des § 40 I 1 VwGO über seinen Wortlaut hinaus keine Rechtfertigung bestehe, da bei Rechtsschutzlücken gem. Art. 19 IV 2 GG die ordentlichen Gerichte zuständig seinen. 40 Als dritte Variante zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes kommt der Rechtsweg zu den Verfassungsgerichten in Betracht. Nach der bisherigen Untersuchung scheidet in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten ein Rechtsschutz vor den Verwaltungs- oder ordentlichen Gerichten aus. Ausschlaggebend für die Bestimmung des Wesens der verfassungsrechtlichen Streitigkeit war ja gerade, dass derartige Streitigkeiten den Verfassungsgerichten vorbehalten, mithin also den einfachen Gerichten entzogen sein sollen. 41 Rechtsschutz kann daher nur vor den Bundes- oder Landesverfassungsgerichten gewährt werden. Dies ist evident, wenn man anerkennt, dass Art.19 IV GG Rechtsschutz auch vor formellen Gesetzen gewährt. Denn dann ist es im Hinblick auf Art. 100 I GG unabweislich, dass dort, wo eine Inzidentnormenkontrolle nicht ausreichend ist, 42 die prinzipale Normenkontrolle eines formellen, nachkonstitutionellen Gesetzes allein vor den Verfassungsgerichten durchgeführt werden kann. 43 Aber auch in den übrigen Fällen einer verfassungsrechtlichen StreiDi Fabio, S. 114. BVerwG DÖV 1986, 244 (245 f.). 39 BVerwG DÖV 1986, 244 (245 f.); Kürschner, JuS 1996, 306 (309). 40 Kassimatis, S. 222; Schmelter, S. 179 f.; Schoch-Ehlers, § 40 Rn. 140; Schmitt Glaeser, Rn. 58; vgl. auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 133. 41 Ähnlich Kassimatis, S. 220. 42 Vgl. Schenke, JuS 1981, 81 (84); Frenz, BayVBl. 1993, 483 (485); siehe oben Kapitel V B. IV. 3. 43 Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 95; Frenz, BayVBl. 1993, 483 (486). 37 38
B. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes
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tigkeit muss ein Rückgriff auf die einfachen Gerichte vermieden werden. Dies ergibt sich für verfassungsrechtliche Streitigkeiten, welche die Ausübung einer verfassungsrechtlichen Kompetenz zum Gegenstand haben, aus der Schutzbedürftigkeit des Verfassungsrechtssubjekts vor einer fachgerichtlichen Kontrolle; für die prinzipale Normenkontrolle untergesetzlicher Rechtsvorschriften folgt dies daraus, dass sie denklogisch mit einer inter omnes Wirkung ausgestattet sein muss, fachgerichtlichen Urteilen aber grundsätzlich – vom Sonderfall des § 47 VwGO abgesehen – nur eine inter partes Wirkung zukommt, so dass auch hier effektiver Rechtsschutz durch ein verfassungsgerichtliches Verfahren sichergestellt sein muss. Gegen den Ausschluss des Verwaltungsrechtswegs und die Übertragung der prinzipalen Normenkontrolle auf das BVerfG wird allerdings eingewendet, es ergäben sich hieraus Ungereimtheiten hinsichtlich der Abgrenzung zwischen dem Verwaltungs- und Verfassungsrechtsweg. Da der Verordnungsgeber oftmals ein Wahlrecht zwischen dem Erlass einer Verordnung und eines Verwaltungsakts habe, könne von der Zufälligkeit seiner Wahl nicht abhängen, ob das Verwaltungsgericht oder das Verfassungsgericht berufen sei. 44 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte und Rechtsnormen nun einmal unterschiedlich ausgestaltet ist und die Qualifikation einer Maßnahme als Verwaltungsakt oder Rechtsnorm zudem rein nach ihrer äußeren Form erfolgen muss, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. 45 Von derselben „Zufälligkeit“ hängt es im Übrigen ab, ob eine Normenkontrolle nach § 47 VwGO, für welche das OVG zuständig ist, oder eine Anfechtungsklage vor einem einfachen Verwaltungsgericht statthaft ist. Dass das BVerfG demzufolge in erster Instanz beispielsweise über die Rückübertragung der Abfallbeseitigung vom Landkreis auf die Gemeinde durch Rechtsverordnung zu entscheiden hat, 46 mag im Hinblick auf die Belastung des BVerfG als nachteilig kritisiert werden, ist aber die Konsequenz aus § 47 VwGO, welcher das BVerfG nur bezüglich bestimmter Rechtsnormen entlastet. Dieser Missstand könnte nur durch eine Änderung der Vorschrift behoben werden. Um einen Rückgriff auf den ordentlichen Rechtsweg zu vermeiden, muss ein Rechtsschutzverfahren gefunden werden, welches dem Bürger effektiven Rechtsschutz durch die Verfassungsgerichte gewährleistet. Dies entspricht dem allgemeinen Verständnis des Art. 19 IV 2 GG, wonach die subsidiäre Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten nur dann zum Zuge kommt, wenn es nicht gelingt, Rechtsschutzlücken durch Erweiterung und Ergänzung des sachnächsten Rechtswegs zu schließen. 47 Als einziges Verfahren, welches vor einem Verfassungsgericht durch einen Bürger initiiert werden kann, bietet sich die Verfassungsbeschwerde als „Rechtsweg“ i. S. d. Art. 19 IV GG an. 48 Die Verfassungsbeschwerde Würtenberger, AöR 105 (1980), 370 (382). VGH München NVwZ-RR 1995, 114 (116). 46 Würtenberger, AöR 105 (1980), 370 (382). 47 Schenke, JuS 1981, 81 (83, 87); ders., Rechtsschutz, S. 99 f., 325 ff. 48 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 133; ders., JZ 1996, 998 (1001); Kassimatis, S. 220 f.; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 95; Schmelter, S. 169 f.; Bettermann, AöR 86 (1961), 129 (185); Kalkbrenner, DÖV 1963, 41 (51); Di Fabio, S. 115. 44 45
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Kap. VII: Rechtsschutz des Bürgers
stellt grundsätzlich eine „andere Zuständigkeit“ i. S. d. Art. 19 IV 2 GG dar, da die Subsidiaritätsklausel des § 90 II BVerfG nicht gegenüber dem ordentlichen Rechtsweg des Art. 19 IV 2 GG gilt. 49 Die Verfassungsbeschwerde geht mit anderen Worten der subsidiären Zuständigkeit des ordentlichen Rechtswegs vor. 50 Insbesondere ließe sich mit Hilfe der Rechtssatzverfassungsbeschwerde 51 eine verfassungsgerichtliche prinzipale Normenkontrolle formeller wie untergesetzlicher Rechtsvorschriften bewerkstelligen, welcher gem. §§ 95 III, 31 II 2 BVerfGG eine inter omnes Wirkung zukäme. 52 Zu prüfen ist daher, ob die Verfassungsbeschwerde den hohen Anforderungen des Art. 19 IV GG an die Ausgestaltung des Rechtswegs genügt. Sollte sich ergeben, dass dem nicht so ist, muss die Verfassungsbeschwerde zu einem Instrument effektiven Rechtsschutzes ausgebaut werden. 53 Ein Rückgriff auf Art. 19 IV 2 GG verbietet sich demgegenüber aus den bereits dargelegten Gründen.
I. Der begrenzte Prüfungsumfang der Verfassungsbeschwerde Zunächst ist zu untersuchen, ob die Verfassungsbeschwerde aufgrund ihres scheinbar begrenzten Prüfungsumfangs ungeeignet ist, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. 54
Ausführlich Schmelter, S. 170 ff.; Bettermann, AöR 86 (1961), 129 (186). Kassimatis, S. 221. 51 VGH München NVwZ-RR 1995, 114 (116); Schenke, JZ 1996, 998 (1001); ders., JZ 1988, 317 (319); ders. JuS 1981, 81 (87); Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Rn. 75 a. E., 95 a. E.; Bettermann, AöR 86 (1961), 129 (186); Frenz, BayVBl. 1993, 483 (486); NRWVerfG NVwZ 1990, 456 hielt eine Kommunalverfassungsbeschwerde gegen eine untergesetzliche Rechtsvorschrift für zulässig, da in NRW nicht von der Ermächtigung des § 47 I Nr. 2 VwGO gebrauch gemacht worden war. 52 Schenke, JZ 1996, 998 (1001); ders., JZ 1988, 317 (319); ders. JuS 1981, 81 (86 f.); Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Rn. 75, 95. 53 Schenke, Rechtsschutz, S. 316, 318, 324 ff.; anders Kassimatis, S. 222 und Schmelter, S. 179 f., die auf den ordentlichen Rechtsweg nach Art.19 IV 2 GG zurückgreifen wollen, wenn die Verfassungsbeschwerde nicht statthaft ist. Wie Schmelter aber selbst einräumt, ist ein solcher Rechtsschutz durch die ordentlichen Gerichte nicht adäquat und widerspricht dem Grundsatz, dass effektiver Rechtsschutz möglichst immer durch das sachnächste Gericht zu gewährleisten ist. 54 So z. B. Obermayer, DVBl. 1965, 625 (626). 49 50
B. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes
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1. Rechtsschutz gegen verfassungsrechtliche Akte 55 a) Rechtsschutz gegen verfassungsrechtliche Akte auf Bundesebene De lege lata können mit der Verfassungsbeschwerde nur die in Art. 93 I Nr. 4 a GG, § 90 I BVerfGG aufgezählten subjektiven Rechte überprüft werden. Für einfachgesetzlich begründete Rechte besteht demgegenüber (unmittelbar) keine Prüfungskompetenz. 56 Jedoch vertritt das BVerfG seit dem „Elfes“-Urteil 57 in ständiger Rspr. die Auffassung, dass jede hoheitliche Maßnahme, die in die Freiheit des Bürgers eingreift und gegen Rechte außerhalb der in § 90 I BVerfGG genannten verstößt, zugleich die in Art. 2 I GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit verletzt. 58 Mit anderen Worten kann das BVerfG im Rahmen der Prüfung des Art. 2 I GG mittelbar untersuchen, ob die hoheitliche Maßnahme den Bürger in einem sonstigen subjektiven Recht außerhalb der in § 90 I BVerfGG genannten verletzt. 59 Dem steht nicht entgegen, dass das BVerfG im Rahmen der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich nur „spezifische Grundrechtsverstöße“, also gerade keine nur mittelbaren Grundrechtsverletzungen überprüft. Da nämlich aufgrund des verschlossenen Verwaltungsrechtswegs für das BVerfG nicht die Gefahr besteht, sich zu einer „Superrevisionsinstanz“ aufzuschwingen und die Entscheidung verfassungsrechtlicher Streitigkeiten zudem in den ureigenen Aufgabenbereich des BVerfG fällt, ist eine solche Selbstbeschränkung nicht geboten. 60 Das Gericht kann daher auch mittelbare Grundrechtsverletzungen überprüfen. 61 Damit gewährt die Verfassungsbeschwerde auf Bundesebene eine ausreichende Prüfungskompetenz gegen verfassungsrechtliche Eingriffe in die Freiheit des Bürgers. 62 b) Rechtsschutz gegen verfassungsrechtliche Akte auf Landesebene Weiterhin stellt sich die Frage, wie ein effektiver Rechtsschutz in denjenigen Fällen zu gewährleisten ist, in denen ein landesrechtlich begründetes subjektives Recht, insbesondere ein Landesverfassungsrecht verletzt wird, das Land aber keine Landesverfassungsbeschwerde vorsieht. 63 Hier erscheint es geboten, im Hinblick 55 Unter einem „verfassungsrechtlichen Akt“ wird hier die Ausübung einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz eines Verfassungsrechtssubjekts bzw. der Erlass einer formellen oder untergesetzlichen Rechtsnorm verstanden. 56 BVerfG NVwZ 1998, 169 (170); Obermayer, DVBl. 1965, 625 (632). 57 BVerfGE 6, 32. 58 Schenke, Rechtsschutz, S. 319 f.; ders., JuS 1981, 81 (87); Schmelter, S. 180. 59 VGH München NVwZ-RR 1995, 114 (116); Schenke, JuS 1981, 81 (87); ders., Rechtsschutz, S. 320; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (326). 60 Vgl. Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (326); ders., JuS 1981, 81 (87). 61 Siehe hierzu näher oben Kapitel V A. I. 2. 62 VGH München NVwZ-RR 1995, 114 (116). 63 So z. B. in BW.
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Kap. VII: Rechtsschutz des Bürgers
auf Art. 19 IV GG für das BVerfG aus dem Rechtsgedanken des Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG heraus eine subsidiäre Prüfungskompetenz für verfassungsrechtliche Akte auf Landesebene zu statuieren. 64 Das BVerfG kann dann im Rahmen der Verfassungsbeschwerde die Verletzung der durch die Landesverfassung gewährten Grundrechte überprüfen. Auch wenn sich Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG nach überwiegender Meinung allein auf den landesverfassungsrechtlichen Organstreit bezieht, 65 so ist dieser Vorschrift doch zu entnehmen, dass jedenfalls für die Fälle, in denen in einem Bundesland kein verfassungsgerichtliches Verfahren vorhanden ist, ein Hinüberwirken des BVerfG in den Bereich der Landesverfassungsgerichtsbarkeit dem Grundgesetz keineswegs unbekannt ist. 66 Daher spricht unter dem kompetenzrechtlichen Gesichtspunkt nichts dagegen, das BVerfG auch hier als „subsidiäres Landesverfassungsgericht“ 67 tätig werden zu lassen. Einen Einbruch in die Landesverfassungsgerichtbarkeit kann nämlich jedenfalls dann nicht befürchtet werden, wenn das BVerfG lediglich untergeordnet zuständig ist. 68 Der Landesverfassungsgeber hat es dann selbst in der Hand, die Prüfungskompetenz des BVerfG durch die Schaffung eines effektiven Rechtsschutzverfahrens für landesverfassungsrechtliche Streitigkeiten zurückzudrängen. Lehnt er dies jedoch ab, ist eine erweiternde Auslegung des Art. 93 I Nr. 4 a GG i.V. m. Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG einer subsidiären Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach Art. 19 IV 2 GG vorzuziehen. 69
2. Rechtsschutz gegen das Unterlassen verfassungsrechtlicher Akte a) Rechtsschutz vor Verstößen gegen grundgesetzlich begründete Leistungsansprüche auf die Vornahme verfassungsrechtlicher Akte Soweit ein Anspruch auf die Vornahme eines verfassungsrechtlichen Aktes unmittelbar auf das Grundgesetz gestützt werden kann, kommen als Anspruchsgrundlage für den Bürger praktisch nur die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte in Betracht. Da diese mit der Verfassungsbeschwerde überprüfbar sind, stellt sich das Problem von Rechtsschutzlücken hier nicht. 70 64 Vgl. Schenke, JuS 1981, 81 (87); vgl. allgemein zur Kompetenz des BVerfG zur Auslegung von Landesverfassungsrecht Sander, NVwZ 2002, 45. 65 Siehe oben Kapitel IV A. II. 4. 66 Schenke, Rechtsschutz, S. 328 f. 67 BVerfG DÖV 1999, 26 (28). 68 Schenke, Rechtsschutz, S. 327; a. A. BVerfG DÖV 1999, 26 (28); NVwZ-RR 1999, 281; Sander, NVwZ 2002, 45 (46). 69 Schenke, Rechtsschutz, S. 329. 70 Vgl. Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (328); ders., Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1083; BVerfGE 6, 264; E 8, 1 (9).
B. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes
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b) Rechtsschutz vor Verstößen gegen unterhalb des Grundgesetzes begründete Leistungsansprüche auf die Vornahme verfassungsrechtlicher Akte Problematischer sind demgegenüber die Fälle, in denen der Bürger einen Anspruch auf den Erlass eines verfassungsrechtlichen Aktes auf Landes(verfassungs)recht oder unterverfassungsrechtliches Bundesrecht stützt. Jedoch liegt auch hier jedenfalls ein mittelbarer Verstoß gegen Art. 2 I GG vor, so dass eine Verletzung von Leistungsansprüchen des Bürgers gegen den Staat ebenfalls im Wege der Verfassungsbeschwerde überprüft werden kann. 71 Denn schützt das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen, welche gegen einfachgesetzliche Rechte des Bürgers verstoßen, so kann es keinen Unterschied machen, ob dieses einfachgesetzliche Recht dadurch verletzt wird, dass der Staat es aktiv bricht oder aber dadurch, dass er einer Handlungspflicht nicht nachkommt. Einer Differenzierung zwischen aktivem Tun und Unterlassen bei Bestehen einer Handlungspflicht fehlt es an der inneren Rechtfertigung 72. Im heutigen Sozialstaat geht es oftmals weniger um die Freiheitssicherung gegen den Staat als vielmehr durch den Staat. Damit stellen gegen den Staat gerichtete Leistungsansprüche ein Mittel der Effektuierung des Grundrechtsschutzes dar. Erst die Gewährung der geforderten Leistung ermöglicht dem Bürger die Verwirklichung seiner Freiheitsrechte. 73 Daher kann der Bürger in weit stärkerem Maße in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit beeinträchtigt sein, wenn der Staat ihm bestimmte Leistungen vorenthält, als wenn aktiv in seine Freiheitsrechte eingegriffen wird. 74 Es vermag daher nicht einzuleuchten, warum man angesichts dieser sozialstaatlichen Komponente der Grundrechte die zur Verwirklichung der Freiheitsrechte dienenden Anspruchsnormen nicht ebenfalls dem Schutz des Art. 2 I GG unterstellt. 75 Bezeichnenderweise sollen denn auch Leistungsansprüche gegen den Staat dem Schutz des Art. 14 GG unterfallen, wenn sie durch eine Eigenleistung begründet wurden. 76 Dann spricht aber nichts dagegen, in Parallele zu den subjektiven Abwehrrechten sonstige Leistungsansprüche, welche nicht die Voraussetzungen des Art. 14 GG erfüllen, dem Auffanggrundrecht des Art. 2 I GG zu unterstellen. 77 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass ein unmittelbarer Verstoß gegen Art. 2 I GG unzweifelhaft vorliegt, wenn die Vorschrift selbst eine Handlungspflicht begründet, welcher der Staat nicht nachkommt. Steht damit aber auf der Ebene der unmittelbaren Grundrechtsverstöße das Unterlassen trotz Handlungspflicht dem aktiven Tun gleich, so kann nichts anderes für die Ebene der mit71 Kalkbrenner, DÖV 1963, 41 (51); Schenke, Rechtsschutz, S. 321; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (328); ders., JuS 1981, 81 (87). 72 Schenke, Rechtsschutz, S. 321. 73 Schenke, Rechtsschutz, S. 321; ders., VerwArch 82 (1991), 307 (329). 74 Vgl. Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (329). 75 Schenke, Rechtsschutz, S. 321. 76 Schenke, Rechtsschutz, S. 321. 77 Schenke, Rechtsschutz, S. 322.
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Kap. VII: Rechtsschutz des Bürgers
telbaren Grundrechtsverletzungen gelten. 78 Damit gilt auch hier, dass zumindest mittelbar Art. 2 I GG verletzt ist, wenn der Staat eine Handlung nicht vornimmt, auf welche ein subjektives Recht besteht. 79 Des Weiteren liegt in jedem rechtswidrigen Unterlassen eines verfassungsrechtlichen Aktes, auf dessen Vornahme der Bürger einen Anspruch hat, ein Verstoß gegen Art. 3 I GG. 80 Da Art. 3 I GG auch als Leistungsgrundrecht ausgestaltet ist, stellt sich hier die Problematik der Abgrenzung zwischen dem status activus und dem status negativus nicht. 81 So ist anerkannt, dass Art. 3 I GG verletzt ist, wenn die Verwaltung im Einzelfall ohne sachlichen Grund von ihrer gängigen Verwaltungspraxis abweicht. 82 Ein Verstoß gegen Art. 3 I GG liegt darüber hinaus auch dann vor, wenn die Verwaltungspraxis in einer Verwaltungsrichtlinie antizipiert ist und die Verwaltung von dieser ohne sachlichen Grund abweicht. 83 Ist also in einer Verwaltungsrichtlinie niedergelegt, dass die Verwaltung dem Bürger beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einen Vorteil gewähren soll, und kommt sie dieser Pflicht ohne sachlichen Grund nicht nach, so ist der Gleichheitssatz selbst dann verletzt, wenn die Verwaltung keinem anderen Bürger zuvor diesen Vorteil gewährt hat, eine gängige Verwaltungspraxis also noch gar nicht besteht. 84 Nichts anderes kann aber konsequenterweise gelten, wenn die Vorteilsgewährung nicht in einer Verwaltungsrichtlinie, sondern in einem materiellen Gesetz niedergelegt ist. Statuiert mit anderen Worten ein materielles Gesetz für den Bürger einen Anspruch auf ein bestimmtes Verwaltungshandeln, so ist aufgrund der Gesetzesbindung der Verwaltung davon auszugehen, dass sie dem Bürger diesen Vorteil gewähren wird. Das materielle Gesetz antizipiert also genauso wie eine Verwaltungsrichtlinie die zukünftige Verwaltungspraxis. Weicht die Verwaltung von diesem Gesetz ab, so liegt hierin eine Ungleichbehandlung i. S. d. Art. 3 I GG. Diese Ungleichbehandlung kann bei einem materiellen Gesetz auch nicht mit sachlichen Gründen gerechtfertigt werden, da dieses anders als Verwaltungsrichtlinien die Verwaltung strikt bindet und ein Verstoß gegen ein materielles Gesetz daher niemals mit sachlichen Gründen gerechtfertigt werden kann. Somit führt jeder Verstoß gegen eine Anspruchsnorm zugleich zu einer Verletzung des Art. 3 I GG. Nichts anderes kann gelten, wenn Verpflichtungsadressat der Anspruchsnorm keine Verwaltungsbehörde, sondern ein Verfassungsrechtssubjekt ist. Diese sind nämlich in gleicher Weise an Recht und Gesetz gebunden wie die Verwaltungsbehörden. Schenke, Rechtsschutz, S. 322. Schenke, JuS 1981, 81 (87). 80 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1083. 81 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (330). 82 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (330). 83 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (330 f.); BVerwGE 52, 193 (199); BVerwG DÖV1971, 748; DVBl. 1982, 195 (196 f.). 84 Schenke, VerwArch 82 (1991), 307 (330 f.); BVerwGE 52, 193 (199); BVerwG DÖV1971, 748; DVBl. 1982, 195 (196 f.). 78 79
B. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes
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Liegt somit in jedem Verstoß gegen einen Leistungsanspruch des Bürgers auf die Ausübung einer verfassungsrechtlichen Kompetenz zugleich ein Verstoß gegen Art. 2 I und 3 GG, kann dieser ebenfalls mit der Verfassungsbeschwerde durchgesetzt werden. Damit steht fest, dass die Verletzung sämtlicher subjektiver Rechte eines Bürgers mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundes- oder Landesverfassungsgericht überprüft werden kann. Der effektive Rechtsschutz über die Verfassungsbeschwerde scheitert damit nicht an einer beschränkten Prüfungskompetenz der Verfassungsgerichte.
II. Die Befristung des § 93 III BVerfGG Ein weiteres Problem effektiven Rechtsschutzes stellt die Befristung des § 93 III BVerfGG dar. 85 Wird nämlich der verfassungsrechtliche Hoheitsakt für den Bürger erst nach Fristablauf relevant, so hat der Bürger keine Möglichkeit, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Daher muss § 93 III BVerfGG insofern als mit Art. 19 IV GG unvereinbar und damit als nichtig angesehen werden.86
III. Das Annahmeerfordernis des § 93 a BVerfGG Auch das Annahmeerfordernis der Verfassungsbeschwerde gem. § 93 a BVerfGG steht einem effektiven Rechtsschutz entgegen. Daher muss § 93 a BVerfGG insoweit als mit Art. 19 IV GG unvereinbar angesehen werden, als er auch in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten ein Annahmeerfordernis statuiert. 87
IV. Fazit Die Verfassungsbeschwerde erweist sich damit – mit den soeben angesprochenen Modifikationen – als ein wirksames Instrument zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 I 1 VwGO. 88
85 86 87 88
Vgl. etwa BVerfG NVwZ-RR 1999, 281 (282). Schenke, Rechtsschutz, S. 317; ders., JuS 1981, 81 (87). Vgl. zu § 93 a BVerfGG a. F. Schenke, Rechtsschutz, S. 312. Ebenso Di Fabio, S. 114 ff.
Kapitel VIII
Zusammenfassung Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: I. Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit ist anhand materieller, d. h. inhaltlicher Kriterien zu bestimmen. Ob eine Streitigkeit hingegen den Verfassungsgerichten zugewiesen ist, ist für ihre Rechtsnatur irrelevant. II. Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit ist nach der Funktion zu bestimmen, welche ihm im Rahmen des § 40 I 1 VwGO zukommt. Verfassungsrechtliche Streitigkeiten sind demnach Streitigkeiten, die ihrem Wesen nach den Verfassungsgerichten vorbehalten bleiben sollen. III. Hierzu zählen zum einen Streitigkeiten über die Ausübung formell-materiell verfassungsrechtlicher Kompetenzen von Verfassungsrechtssubjekten. Unter diesen sind die in den Organstreitverfahren des Bundes bzw. der Länder parteifähigen Rechtssubjekte 1 sowie der Bund und die Länder selbst zu verstehen. Eine Kompetenz gehört dann zum formell-materiellen Verfassungsrecht, wenn sie der geschriebenen Verfassung oder der Geschäftsordnung eines Verfassungsorgans entstammt und das Verfassungsrechtssubjekt gerade in seiner Eigenschaft als solches berechtigt und verpflichtet. Ausnahmsweise kann auch eine einfachgesetzlich normierte Kompetenz Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit sein, wenn sie mit einer formell-materiell verfassungsrechtlichen Kompetenz in einem engen, untrennbaren Sachzusammenhang steht. Darüber hinaus muss die Überprüfung der verfassungsrechtlichen Kompetenz den Hauptgegenstand des Rechtsstreits darstellen, darf also nicht lediglich eine inzident zu prüfende Vorfrage betreffen. Demgegenüber ist unerheblich, durch wen die Kompetenzausübung gerügt wird und auf welche Rechtsverletzungen er sich berufen kann. IV. Weiterhin sind ihrem Wesen nach die prinzipale Normenkontrolle formeller wie untergesetzlicher Rechtsnormen sowie die Normenerlassklage den Verfassungsgerichten vorbehalten. Die Verwaltungsgerichte sind hier nur im Rahmen des § 47 VwGO zuständig, welcher über § 40 I 1 VwGO hinaus den Verwaltungsrechtsweg auch für die prinzipale Normenkontrolle bestimmter untergesetzlicher Rechtsvorschriften eröffnet. V. Effektiven Rechtsschutz i. S. d. Art. 19 IV GG gewährt in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten die Verfassungsbeschwerde. Hierfür bedarf es einer extensiven 1
Mit Ausnahme der „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ in Art. 130 I LVerf Rh-Pf.
Kap. VIII: Zusammenfassung
159
Auslegung ihres Prüfungsumfangs sowie eines Verzichts auf das Annahmeerfordernis nach § 93 a BVerfGG und die Frist nach § 93 III BVerfGG.
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Sachwortverzeichnis Abgeordneter 23, 24, 60, 61, 64, 65, 67, 71, 72, 73, 74, 76, 77, 91, 94, 118, 130, 137, 138, 149 Abstrakte Normenkontrolle 55, 56, 57, 58, 103, 104, 109 Aktenherausgabe 141, 142 Aktivbürger 63 An- und Abflugstrecken 108, 120 Anhörungsverfahren 144 Annexkompetenz 125, 126 Aussagegenehmigung 143 Baden-Württemberg 127, 138, 144 Beamtenrecht 143 Bebauungsplan 101, 107, 108, 110 Beweisaufnahme 141 Bund-Länder-Streit 14 – nach Art.93 I Nr. 3 GG 13, 30, 31, 37, 39, 53, 54, 79, 80, 81, 83, 84, 95 – nach Art. 93 I Nr. 4 Alt. 1 GG 38, 96 Bundesaufsicht 81, 83 Bundesauftragsverwaltung 83, 84 Bundesbank 59 Bundesbeamte 24 Bundeskanzler 61 Bundesminister 61, 118, 120 Bundesmittel 84 Bundesorgan 37, 59, 61 Bundespräsident 59, 72, 91 Bundespräsidentenanklage 112, 113 Bundesrat 59, 61, 69, 91, 112, 113 Bundesratspräsident 60 Bundesregierung 59, 61, 94, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119 Bundestag 43, 59, 60, 61, 65, 69, 72, 73, 74, 76, 78, 79, 91, 112, 113, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 130, 137, 138 Bundestagspräsident 24, 28, 60, 68, 69, 71, 72, 73, 74, 76, 77, 79, 91, 94, 100
Bundeswahlausschuss 125 Doppelte Verfassungsunmittelbarkeit 24, 27, 29, 30, 31, 32, 39, 40, 45 – formelles Kriterium 23 – materielles Kriterium 24, 25 Feststellung des Verteidigungsfalls 137 Feststellungsklage 107, 109, 111 Finanzverfassung 84 Fraktion 18, 23, 60, 65, 69, 72, 73, 77, 78, 94, 139 Fraktionszuschuss 18, 77 Gebietsänderung 144 Gefahrenabwehr 74, 118 Geschäftsordnung 24, 37, 59, 61, 70, 72, 73, 74, 77, 92, 158 Gesetzesinitiative 127, 129, 144 Gesetzesvorlage 102, 128, 135 Gesetzgebungsinitiative 102 Gesetzgebungskompetenz 65, 69, 76, 77, 79, 102, 117, 145 Gesetzgebungsverfahren 135, 144 Gesetzgebungsverfahrensverfahren 145 Grundgesetz 17, 18, 25, 32, 36, 37, 38, 44, 52, 53, 58, 59, 60, 63, 65, 67, 68, 69, 72, 73, 79, 80, 86, 87, 96, 98, 117, 118, 127, 141, 154 Grundrechte 14, 47, 48, 56, 57, 62, 93, 94, 96, 112, 113, 117, 124, 128, 133, 136, 147, 148, 154, 155 Grundrechtsträger 50 Hauptstadt 136 Haushaltsplan 138 Hausrecht 28, 73, 74 Immunität 64, 137 Inzidentkontrolle 83, 106, 107, 108
Sachwortverzeichnis
169
Kern-Theorie 24, 25, 26, 46, 48, 82, 86 Klagebefugnis 81, 97 Koalitionsvereinbarung 18, 65, 66 Kommunale Selbstverwaltung 144 Konkrete Normenkontrolle 38, 58, 76, 101, 106
122, 123, 137, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 154, 157, 158 Regierungsakte 148 Religionsgemeinschaft 117, 136 Richteranklage 112, 113 Rundfunkrat 65
Landesverfassung 16, 17, 24, 25, 32, 36, 52, 53, 54, 55, 58, 59, 61, 63, 64, 65, 66, 67, 72, 77, 86, 87, 88, 103, 106, 128, 139, 140, 141, 154 Landtag 76, 127, 128, 129, 130, 131, 132
Sachzusammenhang 79, 91, 98, 100, 102, 123, 124, 125, 126, 127, 129, 134, 139, 141, 142, 144, 145, 158 Satzung 102, 108 Staatsanwaltschaft 140 Staatsbürger 133 Staatsorgan siehe Verfassungsorgan 33 Staatsvertrag 30, 65, 98, 99 Staatsvolk 61, 63, 127 Stasi-Tätigkeit 65 Status Activus 156 Status Negativus 156
Materielle Subjektstheorie 28, 45 Öffentliche Gewalt 27, 146, 148 Öffentlichkeitsarbeit 114, 115, 116 Ordentliche Gerichte 150, 152, 154 Ordnungsgewalt 72, 74 Organstreit 13, 18, 29, 31, 36, 37, 39, 40, 43, 44, 53, 54, 55, 56, 59, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 86, 87, 89, 90, 91, 92, 94, 96, 97, 100, 116, 119, 123, 125, 128, 129, 154, 158 – landesinterner nach Art. 93 I Nr. 4 Alt. 3 GG 38, 39 – landesverfassungsrechtlicher 13, 53 Organstreitverfahren siehe Organstreit 29 Parlamentsbeschlüsse 135, 136 Parteienfinanzierung 68, 69 Petitionsentscheidung 75, 94 Politische Partei 23, 61, 65, 68, 69, 78, 79, 94, 112, 116, 119, 125, 126 Polizeibehörde 118 Polizeigewalt 24, 73, 74, 100 Prinzipale Normenkontrolle 42, 43, 45, 46, 48, 58, 101, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 113, 120, 126, 130, 131, 150, 151, 152, 158 Rechnungshof 63, 64, 90 Rechtsweggarantie nach Art. 19 IV GG 13, 14, 15, 19, 20, 29, 50, 57, 104,
Tarifvertrag 32 Tiefflüge 120 Untersuchungsausschuss 138, 139, 140, 141, 142, 143 Verfassungsakt 55 Verfassungsauftrag 99, 100 Verfassungsbeschwerde 13, 14, 15, 20, 29, 40, 56, 58, 62, 73, 107, 121, 139, 142, 149, 151, 152, 153, 154, 155, 157, 158 Verfassungsgericht 13, 14, 15, 17, 18, 19, 21, 25, 28, 29, 30, 32, 33, 37, 38, 44, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 62, 67, 71, 87, 89, 94, 101, 102, 107, 120, 126, 129, 130, 133, 138, 140, 141, 142, 149, 150, 151, 157, 158 Verfassungsgerichtsbarkeit 18, 20, 34, 36, 44, 54, 55, 56, 57, 58, 102, 104, 106, 107, 108, 130, 149 Verfassungsorgan 23, 24, 25, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 36, 43, 54, 55, 59, 60, 61, 63, 64, 66, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 91, 100, 102, 116, 118, 120, 128, 149
170
Sachwortverzeichnis
Verfassungsrecht 23, 24, 25, 26, 27, 30, 31, 32, 33, 36, 37, 38, 40, 42, 47, 48, 54, 57, 66, 70, 73, 75, 77, 80, 84, 85, 87, 88, 89, 92, 94, 95, 96, 98, 99, 115, 119, 123, 127, 128, 132, 133, 134, 141, 158 – Formelles 24, 25, 26, 66, 89, 90, 92, 134 – Materielles 24, 26, 66, 72, 73, 87, 89, 100, 137, 138 Verfassungsrechtliche Kompetenz 24, 64, 67, 71, 72, 73, 74, 77, 78, 81, 82, 86, 87, 88, 89, 90, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 113, 115, 119, 120, 121, 123, 125, 126, 129, 136, 137, 138, 140, 146, 148, 151, 153, 157, 158 Verfassungsrechtliche Streitigkeit – formelle Definition 21 – materielle Definition 21 Verfassungsrechtssubjekt 23, 25, 26, 27, 28, 30, 45, 46, 64, 66, 72, 73, 74, 75, 82, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 99, 100, 113, 119, 120, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 132, 133, 139, 146, 148, 151, 153, 156, 158 Verfassungsrechtsverhältnis 29, 30, 36, 37, 45, 64, 65, 66, 68, 69, 71, 75, 77, 78, 82, 86, 98 Vermittlungsausschuss 61 Verordnung 103, 104, 151 Verwaltungsbehörde 23, 28, 46, 72, 74, 75, 90, 91, 100, 126, 133, 136, 144, 156 Verwaltungsgericht 14, 20, 26, 27, 28, 32, 42, 47, 54, 71, 76, 77, 88, 89, 92, 93, 99, 106, 107, 110, 111, 115, 116, 119, 127, 135, 137, 143, 145, 158 Verwaltungsgerichtsbarkeit 13, 36, 39, 44, 54, 79, 103, 106, 128
Verwaltungshaftung 86, 98 Verwaltungsorgan 33, 68, 90, 137 Verwaltungsrechtsverhältnis 36 Verwaltungsrechtsweg 13, 14, 15, 17, 18, 20, 29, 30, 40, 41, 42, 44, 47, 49, 56, 73, 79, 85, 88, 89, 91, 92, 93, 94, 96, 98, 104, 108, 110, 112, 113, 116, 118, 119, 120, 122, 124, 133, 136, 137, 142, 146, 150, 158 Verwaltungsrichtlinie 156 Volksabstimmung 62, 103, 127, 128, 129, 131, 132, 133 Volksbefragung 24 Volksbegehren 15, 18, 23, 24, 33, 36, 40, 61, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134 Volksentscheid 33, 61, 127, 128, 129, 131, 132, 133, 134 Wahlausschuss 126, 127 Wählerverzeichnis 121, 123, 124, 125 Wahlkampf 114 Wahlkampfkosten 68, 94 Wahlkreis 33, 78, 121, 126 Wahlprüfung 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 135 Wahlprüfungsverfahren 124, 127, 129 Wahlschein 123, 124 Wahltermin 79, 121, 125, 126, 132 Wahlverfahren 121, 124, 127 Wahlvorstand 126, 127 Warnungen 117, 119, 136 Weimarer Reichsverfassung 35, 62, 87 Weisungen 83, 98 Zwangsmaßnahmen 139, 141 Zwangsmitgliedschaft 107 Zwischenländerstreit 14, 38, 41, 98