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German Pages 218 Year 2023
Schriften zum Strafrecht Band 404
Der Sperrgrund der Tatentdeckung im Sinne von § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO Von
Elena Neumüller
Duncker & Humblot · Berlin
ELENA NEUMÜLLER
Der Sperrgrund der Tatentdeckung im Sinne von § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO
Schriften zum Strafrecht Band 404
Der Sperrgrund der Tatentdeckung im Sinne von § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO
Von
Elena Neumüller
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Mannheim hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-18678-5 (Print) ISBN 978-3-428-58678-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für meine Mutter
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahr 2022 von der Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind, soweit dies möglich war, bis Mai 2022 berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Jens Bülte für die engagierte Betreuung meines gesamten Promotionsvorhabens, das Vertrauen in das Gelingen der Arbeit sowie die zahlreichen wertvollen Ratschläge. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei Frau Prof. Dr. Suzan Denise Hüttemann für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Das Thema der Arbeit geht auf eine Anregung von Herrn Dr. Rolf Schmich zurück, dem ich dafür danken möchte. Herrn Dr. Hans-Georg Berg danke ich für die Unterstützung des Promotionsvorhabens. Meinem Mann möchte ich besonders für seine Geduld und verständnisvolle Rücksichtnahme während der Fertigung dieser Arbeit bedanken. Mein innigster Dank gilt meinen Eltern, die mir meinen bisherigen Lebensweg ermöglicht haben. Insbesondere ohne den Rückhalt meiner Mutter und ihre liebevolle Unterstützung wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Ihr ist diese Arbeit gewidmet. Mannheim, im Juni 2022
Elena Neumüller
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Sperrtatbestand der Tatentdeckung im System des Selbstanzeigerechts . . . I. Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Selbstanzeige nach § 371 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorläuferregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Novellierungen seit 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.04.2011 . . . . . . . . . . . . bb) Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014 . . . . . . . . . . cc) Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vom 23.06.2017 . . . . . . . . 2. Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strafrechtsdogmatische Stellung der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abgrenzung von anderen Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung von der Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO 2. Abgrenzung von der Fremdanzeige gemäß § 371 Abs. 4 AO . . . . . . . . . 3. Abgrenzung vom Rücktritt gemäß § 24 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Systematik und Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO . . . . . . . I. Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . II. Auslegung der Sperrgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schlussfolgerungen aus einer (vermeintlichen) Ausnahmestellung des § 371 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegung nach den klassischen Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . a) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entwicklungsgeschichte der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fiskalpolitische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kriminalpolitische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis cc) Strafrechtliche Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Stellungnahme: Sperrgründe sind restriktiv auszulegen . . . . . . . . . . . . . . . 48
D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen . . I. Begriff der Entdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entdeckung einer Tat als objektive Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Untergerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Obergerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Höchstrichterliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erstmalige Definition im BGH-Urteil vom 13.05.1983 – 3 StR 82/83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konkretisierung des Begriffs der Entdeckung im „Selbstanzeigebeschluss“ vom 20.05.2010 – 1 StR 577/09 . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exkurs: Begriff der Entdeckung nach Auffassung des Reichsgerichts 4. Auslegung durch die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorstufe des Anfangsverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mehr als ein Anfangsverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hinreichender Tatverdacht im Sinne der §§ 170 Abs. 1, 203 StPO . . . 5. Stellungnahme: Tatentdeckung liegt vor, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme: Die Tat ist nach Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigem zu bestimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erforderlichkeit der Entdeckung der subjektiven Seite des Täters . . . . . . . . . 1. Auslegung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Frühere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) BGH-Beschluss vom 20.05.2010 – 1 StR 577/09 . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aktueller Stand: BGH-Urteil vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16 . . . . . . 2. Auslegung durch die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme: Die Entdeckung der subjektiven Seite des Täters ist erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erforderlichkeit der Entdeckung des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegung durch die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme: Nicht die Person des Täters, aber die des Steuerpflichtigen muss identifizierbar sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis V.
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Begriff der Teilentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Teilentdeckung durch Entdeckung von Vorbereitungshandlungen . . . . .
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a) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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c) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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d) Stellungnahme: Entdeckung von Vorbereitungshandlungen ist nicht ausreichend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Person des Tatentdeckers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Finanzbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Andere Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Inländische Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Anzeige von Straftaten nach § 116 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Legalitätsgrundsatz, §§ 152 Abs. 2, 160, 163 Abs. 1 StPO . . . . .
87
cc) Zwischenergebnis: Inländische Behörden sind grundsätzlich aufgrund der Pflicht zur Weiterleitung ihrer Kenntnisse von einer Steuerstraftat taugliche Tatentdecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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dd) Außerdienstliches Erfahren von Steuerstraftaten . . . . . . . . . . . . . .
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b) Ausländische Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
bb) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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cc) Stellungnahme: Ausländische Behörden sind keine geeigneten Tatentdecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Tatentdeckung durch Privatpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Generelle Möglichkeit der Tatentdeckung durch Privatpersonen . . . .
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b) Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Rechtsprechung des RG zum Tatentdecker im Sinne des § 46 Nr. 2 RStGB 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Obergerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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cc) BGH und heutige Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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c) Probleme bei der Bestimmung des tauglichen Tatentdeckers unter Privatpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Begriff der nahestehenden Personen und Vertrauenspersonen . .
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bb) Zerrüttetes Vertrauensverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Zwischenergebnis: Fehlende Bestimmtheit mangels Anknüpfung an gesetzliche Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 d) Ermittlung des tauglichen Tatentdeckers unter Privatpersonen anhand einer Pflicht zur Mitteilung der Kenntnis von einer Steuerstraftat . . . 104 aa) Tatbeteiligte als Tatentdecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
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Inhaltsverzeichnis bb) Angehörige als Tatentdecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 cc) Steuerberater und Rechtsanwälte als Tatentdecker . . . . . . . . . . . . 108 dd) Mitgesellschafter als Tatentdecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (1) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (2) Umgehung des Sperrgrundes der Tatentdeckung durch die Fremdanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (3) Gesetzgeberische Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (4) Relevanz der gesetzgeberischen Motive des § 371 Abs. 4 AO bei der Frage nach der Tatentdeckung durch Mitgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (a) Die Frage des „Ob“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (b) Die Frage des „Inwieweit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 e) Stellungnahme: Privatpersonen sind (auch) nur bei einer Pflicht zur Weiterleitung ihrer Kenntnisse von einer Steuerstraftat taugliche Tatentdecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 f) Tatsächliche Weitergabe von Informationen durch untauglichen Tatentdecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
E. Subjektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen 123 I. Entwicklung und heutige Bedeutung der subjektiven Komponente . . . . . . . . 123 II. Kenntnis von der Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Anforderungen an das Rechnenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Stellungnahme: Weder Vermutungstatbestand noch Beweisregel . . . . 127 2. Begriff des Rechnenmüssens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Stellungnahme: Leichtfertiges Verkennen der Tatentdeckung erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Verständige Würdigung der Sachlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Stellungnahme: Maßgeblichkeit der persönlichen Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit des Täters auf Basis einer objektiven Wertung . . . . . 135 4. Bezug der subjektiven Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 F. Umfang der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 I. Persönlicher Umfang der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Persönlicher Umfang der Sperrwirkung bei den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Meinungsstand zur persönlichen Sperrwirkung im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
Inhaltsverzeichnis 3. Stellungnahme: Keine Sperrung der Selbstanzeige des Teilnehmers gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachlicher Umfang der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachlicher Umfang der Sperrwirkung bei den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme: Sperrwirkung umfasst sämtliche noch nicht verjährten Steuerstraftaten der betroffenen Steuerart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konsequenzen der Entdeckung einer verjährten Steuerstraftat . . . . . . . . III. Zeitlicher Umfang der Sperrwirkung – Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit bei den übrigen Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit beim Sperrgrund der Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entkräftung eines Tatverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wiederaufleben dem Grunde nach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zeitpunkt des Wiederauflebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wiederaufleben nach Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wiederaufleben dem Grunde nach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zeitpunkt des Wiederauflebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Steuerdaten-CDs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatentdeckung durch Abgleich der Steuerakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatentdeckung bereits nach Sichtung des Steuerdatenmaterials . . . . . 2. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatentdeckung durch Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gruppenanfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grenzüberschreitender Bargeldverkehr und Grenzkontrollen . . . . . . . . . . . . V. Kontrollmitteilungen und darauf basierendes Schreiben an Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kontrollmitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schreiben des Finanzamts an Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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144 146 146 147 149 150 152 153 154 155 155 155 155 156 157 161 161 162 162 164 165 167 167 168 168 168 170 174 175 177 181 181 184
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Inhaltsverzeichnis VI. Geldwäscheverdachtsmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektive Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektive Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen gemäß § 138d AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185 187 190 192
H. Zusammenfassung und Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
A. Einführung I. Einleitung Rund zehn Jahre ist es nun her, als der Ankauf sogenannter Steuerdaten-CDs für großes mediales Aufsehen und zugleich zu einem Anstieg abgegebener Selbstanzeigen sorgte. Grund hierfür war die Angst vor einer „Tatentdeckung“ durch das Datenmaterial auf der CD und die damit zusammenhängende Sperre der Möglichkeit zur Selbstanzeige. Ausweislich diverser Pressemitteilungen vom 11.06.2021 haben deutsche Finanzbehörden wieder eine Steuerdaten-CD gekauft: Das Bundeszentralamt für Steuern hat nun eine CD beschafft, auf der steuerlich relevante Daten aus dem Emirat Dubai enthalten sind.1 Aber nicht nur in den Fällen der Steuerdaten-CDs stellt sich die Frage nach der „Tatentdeckung“. Zuletzt tauchte die Problematik der Selbstanzeigemöglichkeit nach einer bereits entdeckten Tat im Zusammenhang mit Airbnb-Anbietern in 2018 auf. Aus Pressemitteilungen2 wurde bekannt, dass das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) ein Auskunftsersuchen an Irland gestellt hat – hier hat das Unterkunftsvermittlungsportal Airbnb seinen Sitz –, in dem es die Herausgabe der Daten deutscher Airbnb-Anbieter begehrte. Auf diese Weise wollte die Finanzverwaltung herausfinden, ob die Airbnb-Anbieter ihre steuerlichen Pflichten im Zusammenhang mit der Vermietung ihrer Wohnungen über die Plattform ordnungsgemäß erfüllt haben. Für die Airbnb-Anbieter stellt sich dagegen die Frage, ob sie betreffend bisher nicht erklärte Einkünfte noch wirksam eine Selbstanzeige erstatten können. Wer eine Selbstanzeige abgibt, wird gemäß § 371 Abs. 1 Satz 1 AO grundsätzlich wegen der von ihm begangenen Steuerstraftaten nicht bestraft. Indes ist die Selbstanzeige an eine Vielzahl von positiven und negativen Voraussetzungen geknüpft, die in den letzten Jahren zweimal verschärft wurden.3 So beinhaltet der 1 https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/steuerhinterziehung-kampf-gegensteuerbetrug-scholz-kauft-steuerdaten-aus-dubai-/27278956.html?ticket=ST-2575269-Etk P4BvVQpGb7pPliXrv-ap2 (abgerufen am 25.06.2021); https://www.faz.net/aktuell/wirt schaft/finanzminister-scholz-kauft-cd-mit-steuerdaten-aus-dubai-17385285.html (abgerufen am 27.06.2021). 2 https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-05/airbnb-vermieter-steuern-steuererklaerungmieteinkuenfte/seite-2 (abgerufen am 17.04.2020); https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/steuer-airbnb-tourismus-1.4304650 (abgerufen am 17.04.2020). 3 Zum einen durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.04.2011 (BGBl. I 2011, S. 676) und nachfolgend durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014 (BGBl. I 2014, S. 2415).
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A. Einführung
die negativen Voraussetzungen regelnde § 371 Abs. 2 AO (mittlerweile) acht Sperrgründe, die eine Selbstanzeige als verspätet erscheinen lassen mit der Konsequenz des fehlenden Eintritts der Straffreiheit. Einer davon ist der in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO Sperrgrund der Tatentdeckung. Danach hat die Selbstanzeige keine strafbefreiende Wirkung, wenn „eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste“. Einen Einblick in die Auslegung des Sperrgrundes der Tatentdeckung durch die Rechtsprechung hat der BGH zuletzt in seinem Urteil vom 13.05.2017 gegeben. Er urteilte, dass auch ausländische – im Streitfall griechische – Behörden Tatentdecker sein könnten, da insbesondere aufgrund „des bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden hohen Medieninteresses und der besonderen Tragweite des Falles (. . .) damit zu rechnen [sei], dass die gewonnenen Erkenntnisse an die deutschen Ermittlungsbehörden auf deren Ersuchen weitergeleitet würden. (. . .) Auch der Angeklagte musste bei verständiger Würdigung der Sachlage nach Kenntnisnahme der Medienberichterstattung schon vor Abgabe der Selbstanzeige mit der Tatentdeckung rechnen.“
Die Selbstanzeige wurde folglich als unwirksam erachtet. „Abschaffung der Selbstanzeige durch die Hintertür“4 lautete eine der Reaktionen auf diese weitgehende Entscheidung des BGH und es drängte sich die Frage auf: In welchen Fällen scheitert die Selbstanzeige nach dem heutigen Rechtsstand nicht am Sperrgrund der Tatentdeckung? Und bereits dieser kleine Ausschnitt aus der Rechtspraxis des letzten Jahrzehnts zeigt, es ist nur eine Frage der Zeit bis ein nächster Fall das Problem der Tatentdeckung aufwirft; die Auslegung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ist damit von hoher praktischer Bedeutung. Der Sperrgrund der Tatentdeckung – wenn auch nicht exakt in dem heutigem Gesetzeswortlaut – findet sich bereits seit 1952 im Gesetz. Zu seiner Auslegung liegt in nicht geringem Umfang Rechtsprechung und zahlreiche Literatur vor. Daraus könnte man schlussfolgern, die Anwendung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO sei in der Praxis klar und ausdiskutiert. Tatsache ist jedoch, dass kaum ein Fall und auch nicht die aufgezeigten Beispielsfälle zu einem unumstrittenen Ergebnis führen. Unklar ist etwa nach wie vor, wie der Begriff der Tatentdeckung auszulegen und insbesondere, wer tauglicher Tatentdecker ist und ob und gegebenenfalls welche Bedeutung heute noch der subjektiven Komponente des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beizumessen ist.
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Hornig, PStR 2017, 253 (253).
II. Gang der Untersuchung
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In dieser Arbeit werden die Schwierigkeiten bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Sperrgrunds der Tatentdeckung erörtert, indem die seitens der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Auffassungen kritisch hinterfragt werden mit dem Ziel, mehr Rechtssicherheit in der Handhabung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO für den Rechtsanwender zu gewinnen.
II. Gang der Untersuchung Als Ausgangspunkt und Basis einer vertieften Untersuchung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO wird zunächst das Institut der Selbstanzeige in den rechtlichen Kontext gesetzt. Hierfür wird zu Beginn der Arbeit in groben Zügen dargestellt, wann der Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt ist. Da im Laufe der Arbeit auf die einzelnen ergangenen Gesetzesreformen betreffend die Voraussetzungen der Selbstanzeige Bezug genommen wird, werden sodann in Grundzügen die Entstehungsgeschichte der Selbstanzeige vermittelt und sodann die positiven und negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Selbstanzeige dargestellt. Überdies wird – wiederum als Grundlage für das Verständnis der Arbeit – die strafrechtsdogmatische Stellung der Selbstanzeige verdeutlicht und eine Abgrenzung zur Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO, der Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO und dem Rücktritt nach § 24 StGB vorgenommen. Sodann erfolgt im Kapitel B. im Wege einer vergleichenden Betrachtung eine knappe Darstellung aller Sperrgründe, die für die Wirksamkeit einer Selbstanzeige zu beachten sind. Dies soll zum einen dazu dienen, zu verdeutlichen, in welchen Kontext der Tatbestand der Tatentdeckung eingebettet ist; zum anderen soll die Kenntnis der anderen Sperrgründen dem Verständnis des Sperrgrundes der Tatentdeckung nützen, indem dessen systematische Auslegung ermöglicht wird und der Blick für den Wortlaut der Norm des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO im Gegensatz zu den anderen Sperrgründen des § 371 Abs. 2 AO geschärft wird. Vor dem Übergang zum Kapitel C., in dem eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Sperrgrund der Tatentdeckung erfolgt, wird anhand der klassischen Auslegungsmethoden als Vorfrage geklärt, wie die Auslegung der Ausschlussgründe zu erfolgen hat: Sind die Sperrgründe weit auszulegen im Sinne eines geringen Anwendungsbereichs der Selbstanzeige als Ganzes oder ist vielmehr von einer engen Auslegung der Sperrgründe auszugehen? Das Kapitel C. widmet sich der kritischen Analyse der Tatbestandsvoraussetzungen des Sperrgrundes der Tatentdeckung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO. Der Fokus der Untersuchung liegt dabei auf der zum Sperrgrund der Tatentdeckung ergangenen Rechtsprechung. Daher erfolgt – soweit die Übersichtlichkeit der Darstellung darunter nicht leidet – die Untersuchung der einzelnen Tatbestandsmerkmale stets einleitend mit der Auffassung der Rechtsprechung in
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A. Einführung
ihren ältesten Entscheidungen, um herauszuarbeiten, ob und welche Entwicklung die Auslegung der Tatbestandsmerkmale durchlaufen haben. Begonnen wird dabei mit den objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO und hier mit dem für diesen Sperrgrund wesentlichen Begriff der Tatentdeckung aufgeteilt in die Begriffe „Tat“ und „Entdeckung“. In einem engen Zusammenhang mit der Frage, wann Tatentdeckung vorliegt, ist die Frage, ob für diese auch die Kenntnis der Person des Täters erforderlich ist. Sodann wird analysiert, welche Personen als Tatentdecker in Betracht kommen. Es folgt die Auseinandersetzung mit den Anforderungen an die subjektive Komponente des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO – das Wissen oder Rechnenmüssen des Täters mit der Tatentdeckung – mit den damit zusammenhängenden Problemen. Nachdem die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO untersucht wurden, wird anschließend im Kapitel D. die Reichweite der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO – unterteilt in persönliche, sachliche und zeitliche Aspekte – geprüft. Zum Zwecke der Untersuchung dieser Frage wird in gebotener Kürze auf die Gesetzesformulierung in den Sperrgründen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO eingegangen. Abschließend werden auf Basis der Erkenntnisse aus den vorhergehenden Kapiteln einzelne Fälle näher betrachtet, um auf der einen Seite die Schwierigkeit der Anwendung dieses Ausschlussgrundes und zugleich dessen hohe Praxisrelevanz aufzuzeigen. Es werden dabei nicht nur die aus der Presse bekannten Fälle wie zum Beispiel der Fall der Tatentdeckung durch die sogenannten Steuer-CDs einer kritischen Würdigung unterzogen, sondern auch Bezüge zu anderen aktuellen gesetzlichen Gegebenheiten wie beispielsweise der Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen gemäß §§ 138d ff. AO in Bezug zu dem Sperrgrund der Tatentdeckung gesetzt.
B. Sperrtatbestand der Tatentdeckung im System des Selbstanzeigerechts Bevor auf den Sperrgrund der Tatentdeckung im Detail eingegangen wird, ist es notwendig, den historischen und systematischen Kontext zu beleuchten, in dem sich § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO befindet. Denn alleine aus der losgelösten Betrachtung des Sperrgrundes der Tatentdeckung erschließt sich nicht, wie dieser zu verstehen ist. Aus diesem Grund wird zunächst ein kurzer Überblick über die gesetzlichen Grundlagen vermittelt, in deren Rahmen der Sperrtatbestand der Tatentdeckung eingebettet ist. Nicht nur in gesetzessystematischer Hinsicht, sondern auch denklogisch geht der Selbstanzeige die Verwirklichung des Tatbestands der Steuerhinterziehung voraus, sodass zunächst ein Überblick über den Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO verschafft wird. Sodann erfolgt eine historische Betrachtung des Instituts der Selbstanzeige. Diese soll dazu dienen, in groben Zügen aufzuzeigen, wie sich die Voraussetzungen der Selbstanzeige entwickelt haben. Dabei soll vor allem auf die Gesetzesänderungen des letzten Jahrzehnts eingegangen werden, deren Kenntnis in dieser Arbeit in ihrem Fortgang vorausgesetzt wird. Daran schließt sich eine Beleuchtung der positiven und negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 371 AO an. Dies ermöglicht die Einordnung, an welcher Stelle der Regelung des § 371 AO die vorliegende Arbeit anknüpft. Anschließend wird als grundlegendes Wissen für das Verständnis der Arbeit geklärt, welche strafrechtsdogmatische Stellung die Selbstanzeige einnimmt. Zum Abschluss des Kapitels A. erfolgt eine Abgrenzung der Selbstanzeige vom Rücktritt nach § 24 StGB sowie zur Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO und der Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO. Die Vornahme der Abgrenzung ist notwendig, weil der im Fokus dieser Arbeit stehende Ausschlussgrund der Tatentdeckung nur die Selbstanzeige sperrt und, weil im weiteren Verlauf der Arbeit die Kenntnis der Grundzüge auch dieser Normen vorausgesetzt wird.
I. Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO Ausgangspunkt einer Selbstanzeige ist eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO; liegt eine wirksame Selbstanzeige vor, wird derjenige, zu dessen Gunsten sie
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B. Sperrtatbestand der Tatentdeckung im System des Selbstanzeigerechts
erstattet wird, gemäß § 371 Abs. 1 Satz 1 AO „wegen dieser Steuerstraftaten nicht gemäß § 370 AO bestraft“. Eine Steuerhinterziehung kann zum einen durch aktives Tun mit dem Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) und zum anderen durch Unterlassen, indem entweder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen werden (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) oder die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlassen wird (§ 370 Abs. 1 Nr. 3 AO), begangen werden. Die Bezugnahme der Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung auf das materielle Steuerrecht (wie beispielsweise der Ausdruck der steuerlich erheblichen Tatsachen) erfordert eine zweistufige Subsumtion des Sachverhalts unter den Tatbestand der Steuerhinterziehung. In einem ersten Schritt muss ein Sachverhalt einer steuerrechtlichen Prüfung unterzogen werden, bevor in einem zweiten Schritt die strafrechtliche Beurteilung dieses Ergebnisses erfolgen kann.1 Diese Tathandlungen müssen auf den Eintritt des Taterfolgs gerichtet sein, der in der Verkürzung von Steuern oder der Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile liegen kann. Ein Taterfolg ist sowohl im Festsetzungsverfahren als auch außerhalb des Festsetzungsverfahrens im Rahmen des Erhebungsverfahrens sowie des Beitreibungs- und Vollstreckungsverfahrens möglich. Hinsichtlich des tatbestandlichen Taterfolgs im praktisch bedeutsamsten Festsetzungsverfahren beinhaltet § 370 Abs. 4 Satz 1 HS. 1 AO Beispiele für die Steuerverkürzung2: „Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden.“ Für die Frage, ob und in welcher Höhe Steuern verkürzt bzw. Steuervorteile zu Unrecht erlangt wurden, ist das sogenannte Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO zu beachten. Danach sind Steuern auch dann verkürzt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.3 In subjektiver Hinsicht setzt eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung Vorsatz voraus, wobei neben Absicht und direktem Vorsatz auch der bedingte Vor-
1 Bülte, BB 2010, 1759 (1760). Zu der sehr streitigen Frage, ob es sich bei der Steuerhinterziehung um ein Blankettstrafgesetz oder einen vollständigen Straftatbestand handelt siehe Peters, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juli 2019, § 370 AO Rn. 41 ff. mit Nachweisen. 2 Bülte, NZWiSt 2016, 1 (1); nach Ibold, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, 15. Auflage 2022, Stand: 01.04.2022, § 370 Rn. 247, handelt es sich hier um eine Legaldefinition der Steuerverkürzung im Festsetzungsverfahren; so auch Jäger, in: Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 370 Rn. 85. 3 Eingehend zum Kompensations- oder Vorteilsausgleichsverbot siehe Bülte, NZWiSt 2016, 1 ff.; für eine kurze Darstellung der Entwicklung des Kompensationsverbots siehe Peter, BB 2019, 288 ff.
I. Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO
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satz genügt.4 Wer als Steuerpflichtiger dagegen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Tat lediglich leichtfertig begeht, handelt gemäß § 378 Abs. 1 Satz 1 AO „nur“ ordnungswidrig.5 Gemäß § 370 Abs. 2 AO ist auch der Versuch der Steuerhinterziehung strafbar. Die Steuerhinterziehung ist solange unvollendet und befindet sich daher noch im Versuchsstadium, wie der Taterfolg, also die Steuerverkürzung oder die Erlangung eines ungerechtfertigten Steuervorteils, noch nicht eingetreten ist. Durch eine vorherige Tatentdeckung wird die Vollendung der Steuerhinterziehung nicht ausgeschlossen.6 Der Zeitpunkt der Tatvollendung hängt davon ab, ob sich die Steuerstraftat auf eine Veranlagungssteuer oder eine Anmeldungssteuer bezieht.7 Ferner kommt es darauf an, ob die Steuerhinterziehung durch aktives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen begangen wurde. Die durch aktives Tun begangene Steuerhinterziehung ist bei Veranlagungssteuern wie beispielsweise der Einkommen-, Körperschaft- oder Gewerbesteuer mit Bekanntgabe8 des Steuerbescheids vollendet, in dem die unzutreffende Steuerfestsetzung erfolgt. Wird eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begangen, indem trotz bestehender Pflicht keine Steuererklärung abgegeben wird, tritt – sofern nicht vorher ein Schätzungsbescheid erlassen wird – die Tatvollendung zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Veranlagung stattgefunden hätte, wenn die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden wäre.9 Werden bei Anmeldesteuern wie beispielsweise der Umsatz- oder Lohnsteuer unrichtige Angaben gemacht, hängt die Tatvollendung davon ab, ob die unrichti4 BGH, Urt. v. 16.12.2009, 1 StR 491/09, HFR 2010, 866 (866); BGH, Urt. v. 08.09.2011, 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161); Schmitz/Wulf, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 370 AO Rn. 387; Jäger, in: Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 370 AO Rn. 175; siehe speziell zu den Anforderungen an den Eventualvorsatz bei Steuerhinterziehung Ransiek/Hüls, NStZ 2011, 678 (681). 5 BGH, Urt. v. 17.12.2014, 1 StR 324/14, wistra 2015, 191 (194); Jäger, in: Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 378 AO Rn. 20 jeweils m.w. N. 6 Webel/Dumke, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 04.02.2013, § 370 AO Rn. 149. 7 Näher hierzu z. B. Schott, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 370 Rn. 185 ff. 8 Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein Steuerbescheid, der im Inland per Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. 9 BGH, Beschl. v. 19.01.2011, 1 StR 640/10, wistra 2012, 484 (485): „Dies ist spätestens dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hätte. Dabei ist zu erwägen, ob zumindest bei einfach gelagerten Sachverhalten von einer Zeitspanne der Bearbeitung fristgerecht eingereichter Steuererklärungen von längstens einem Jahr auszugehen ist.“ Vgl. auch BGH, Beschl. v. 28.10.1998, 5 StR 500-98, NStZ-RR 1999, 218 (218); Krumm, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 164. Lieferung 02.2021, § 370 AO Rn. 95.
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B. Sperrtatbestand der Tatentdeckung im System des Selbstanzeigerechts
gen Steueranmeldungen zu einer Zahllast oder zu einer Steuervergütung geführt haben.10 Im ersteren Fall ist die Tat mit Anmeldung der Steuer vollendet, da die Anmeldung einem Festsetzungsbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 Satz 1 AO); im letzteren Fall tritt die Festsetzungswirkung und damit entsprechend eine Steuerverkürzung gemäß § 168 Satz 1 und 2 AO erst ein, sobald die Finanzbehörde der Steueranmeldung zugestimmt hat.11
II. Selbstanzeige nach § 371 AO 1. Entstehungsgeschichte der Selbstanzeige a) Vorläuferregelungen Durch die starke mediale Präsenz der strafbefreienden Selbstanzeige in den letzten Jahren und die rechtspolitischen Diskussionen um ihre Abschaffung12 könnte man den Eindruck gewinnen, bei der Selbstanzeige handele es sich um ein neuartiges Institut. Wenngleich der Begriff der Selbstanzeige erst mit dem Änderungsgesetz von 193913 Niederschlag in der Reichsabgabenordnung (RAO) gefunden hat, finden sich Vorläuferregelungen der heute in § 371 AO normierten Selbstanzeige in Deutschland bereits im 19. Jahrhundert in den Einzelsteuergesetzen der Länder.14 Diese Regelungen in den Einzelsteuergesetzen der Länder dienten als Vorbild für entsprechende Vorschriften in den Gesetzen des Reiches.15 Erst mit der RAO vom 13.12.191916 wurde nicht nur in § 359 RAO erstmalig die Strafbarkeit der vorsätzlichen Steuerverkürzung17 einheitlich geregelt, sondern es wurden in § 374 RAO auch die bisherigen Einzelregelungen zu einer
10 Siehe z. B. BGH, Beschl. v. 20.09.2018, 1 StR 512/17, NStZ 2019, 153 (153); Tormöhlen, AO-StB 2019, 103 (104). 11 Siehe z. B. BGH, Beschl. v. 20.09.2018, 1 StR 512/17, NStZ 2019, 153 (153); Tormöhlen, AO-StB 2019, 103 (104); Ibold, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 370 AO Rn. 533. 12 BT-Drs. 17/1411, S. 1 ff.; BT-Drs. 18/1035, S. 1 ff.; BT-Drs. 18/556, S. 1 f. 13 Gesetz zur Änderung der Reichsabgabenordnung v. 04.07.1939, RGBl. I 1939, S. 1181. 14 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des § 371 AO Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 1 ff.; Beckemper, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO Rn. 1 ff.; Breyer, Der Inhalt der strafbefreienden Selbstanzeige, S. 90 ff. 15 Vgl. Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 2 mit Nachweisen. 16 RGBl. 1919, S. 1993. 17 Auch Regelungen zu der Strafbarkeit der Steuerverkürzung fanden sich bereits in den Einzelsteuergesetzen der Länder. Vgl. ausführlich zur Entstehungsgeschichte der Steuerhinterziehung Schneider, Die historische Entwicklung des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung, S. 71 ff.; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 370 Rn. 1 ff.
II. Selbstanzeige nach § 371 AO
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einheitlichen Vorschrift für die strafbefreiende Selbstanzeige zusammengefasst. Ohne sachliche Änderungen wurde die Regelung des § 374 RAO als § 410 RAO Bestandteil der RAO vom 22.05.1931.18 Es folgten weitere Gesetzesänderungen19 bis in § 410 RAO in seiner Fassung vom 07.12.1951 neben den Sperrtatbeständen des Erscheinens eines Prüfers der Finanzbehörde zur steuerlichen oder steuerstrafrechtlichen Prüfung (§ 410 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 RAO) und der Eröffnung der Einleitung einer steuerstrafrechtlichen Untersuchung zum ersten Mal der Sperrtatbestand der Tatentdeckung auftauchte. Nach weiteren Gesetzesänderungen20 wurde in der Neufassung der Abgabenordnung vom 16.03.197621 die Selbstanzeige bei der Steuerhinterziehung in § 371 AO mit weitgehend dem des § 410 RAO (1951) entsprechendem Wortlaut normiert. Neu eingeführt wurde in § 371 Abs. 4 AO die Möglichkeit der Fremdanzeige. Sodann verblieb es bis 2011 im Wesentlichen bei dieser Regelung. b) Novellierungen seit 2011 aa) Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.04.201122 Erhebliche Veränderungen des Instituts der Selbstanzeige erfolgten durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.04.2011: Während bis dato „insoweit“ 23 straffrei wurde, wer unrichtige oder unvollständige Angaben berichtigte, mithin die Möglichkeit zur sogenannten Teil-Selbstanzeige bestand, wirkt die Selbstanzeige von nun an nur noch strafbefreiend, wenn sie vollständig ist, mithin wenn „zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt“ werden. Mit der Einführung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes wurde der Gesetzeswortlaut des § 371 Abs. 1 AO an die neue Rechtsprechung des BGH angepasst, der in seinem Beschluss vom 20.05.201024 seine bis18
RGBl. I 1931, S. 161, 322. Vgl. Gesetz zur Änderung der Reichsabgabenordnung v. 04.07.1939, RGBl. I 1939, S. 1181; Zweites Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern v. 20.04.1949, WiGBl. 1949, S. 69. 20 Vgl. Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Steuersäumnisgesetzes, der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze v. 14.05.1965, BGBl. I 1965, S. 377; Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze v. 10.08.1967, BGBl. I 1967, S. 877; Zweites Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze v. 12.08.1968, BGBl. I 1968, S. 953. 21 BGBl. I 1976, S. 613. 22 BGBl. I 2011, S. 676. 23 § 371 Abs. 1 AO in der Fassung vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz (Fassung v. 01.10.2002, BGBl. I 2002, S. 3866) lautete: „Wer (. . .) unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, wird insoweit straffrei.“ 24 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (182). 19
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B. Sperrtatbestand der Tatentdeckung im System des Selbstanzeigerechts
herige Rechtsprechung25 zur grundsätzlichen Anerkennung der Teilselbstanzeige aufgegeben hat. Darüber hinaus wurden durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO weiter verschärft und erweitert. bb) Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.201426 Bereits nach wenigen Jahren wurden die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO mit dem Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung erneut weiter verschärft. So wurden unter anderem die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b AO ausgedehnt, sodass nun die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung und die Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens bereits dann die Straffreiheit ausschließen, wenn sie gegenüber einem an der Steuerstraftat Beteiligten erfolgen. Ferner wurde in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO ein gesonderter Sperrtatbestand kodifiziert, nach dem Straffreiheit nicht eintritt, wenn ein Amtsträger der Finanzbehörde zur Umsatzsteuer- oder Lohnsteuernachschau oder einer sonstigen steuerlichen Nachschau erscheint. Mit dem ebenfalls neu eingeführten § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO tritt Straffreiheit außerdem in den besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung nicht mehr ein. Entschärfend dagegen erlaubt der neu eingefügte § 371 Abs. 2a AO Teilselbstanzeigen nach unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen. cc) Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vom 23.06.201727 Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass zuletzt die Regelung des § 371 AO mit Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vom 23.06.2017 geändert wurde: Mit diesem Gesetz kam in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 6 AO der besonders schwere Fall der Steuerhinterziehung durch verdeckte Geschäftsbeziehungen zu einer oder mehreren von einem Steuerpflichtigen beherrschten Drittstaat-Gesellschaft hinzu; entsprechend wurde auch der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO um dieses Regelbeispiel erweitert. 2. Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige Die Selbstanzeige ermöglicht es dem Täter oder Teilnehmer einer vollendeten oder versuchten Steuerhinterziehung nachträglich Straffreiheit zu erlangen. Hierzu sieht § 371 AO in den Absätzen 1 und 3 (positive) Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, und in Absatz 2 (negative) Voraussetzungen, die im Ge25 BGH, Urt. v. 12.08.1987, 3 StR 10/87, BGHSt 35, 36 (36); BGH, Beschl. v. 13.10. 1998, 5 StR 392/98, NStZ 1999, 38 f. 26 BGBl. I 2014, S. 2415. 27 BGBl. I 2017, S. 1682.
II. Selbstanzeige nach § 371 AO
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genteil nicht vorliegen dürfen, damit die Selbstanzeige strafbefreiend wirkt: Gemäß § 371 Abs. 1 Satz 1 AO erfolgt keine Bestrafung nach § 370 AO, wenn der Steuerstraftäter gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. § 371 Abs. 1 Satz 2 AO bestimmt, dass die Angaben zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen müssen. Für den Fall, dass Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt sind, die Steuerstraftat also vollendet ist und sich nicht im Versuchsstadium befindet, tritt gemäß § 371 Abs. 3 AO für den an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und die Nachzahlungszinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet.28 Straffreiheit tritt durch eine Selbstanzeige nicht ein, wenn einer der in § 371 Abs. 2 AO abschließend geregelten acht Sperrgründe vorliegt.29 So hat eine Selbstanzeige beispielsweise keine strafbefreiende Wirkung, wenn ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung, zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer steuerlichen Nachschau erschienen ist (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c bis e AO), eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung bereits entdeckt war (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) oder ein in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 6 AO genannter besonders schwerer Fall vorliegt (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO). 3. Strafrechtsdogmatische Stellung der Selbstanzeige Die Selbstanzeige ist heute nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ihrer Rechtsnatur nach ein persönlicher Strafaufhebungsgrund.30 28 In den Fällen, in denen eine Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung begangen worden ist, ist gemäß § 371 Abs. 3 Satz 2 AO die Entrichtung der Zinsen nach §§ 233a, 235 AO keine Voraussetzung für die Steuerfreiheit. 29 Zu den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 AO siehe S. 32. 30 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (181); BGH, Urt. v. 05.05.2004, 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (139); BGH, Urt. v. 24.10.1984, 3 StR 315/ 84, wistra 1985, 74 (75); BayObLG, Beschl. v. 03.11.1989, RReg. 4 St 185/89, wistra 1990, 159 (162); OLG Stuttgart, Urt. v. 21.05.1987, 1 Ss 221/87, wistra 1987, 263 (264); Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 26; Plewka/Heerspink, BB 1998, 1337 (1339); Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 16. Früher wurde auch die Ansicht vertreten, es handele sich bei der Selbstanzeige um einen Strafausschließungsgrund. RG, Urt. v. 11.05.1922, III 142/22, RGSt 56, 385 (387); BGH, Urt. v. 25.09.1959, 4 StR 332/59, DStZ/B 1959, 499 (500); Mösbauer, DStZ 1985, 325 (325); Tiedemann, JR 1975, 385 (386).
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B. Sperrtatbestand der Tatentdeckung im System des Selbstanzeigerechts
Daraus resultieren für die Anwendung des § 371 AO unter anderem folgende Konsequenzen: Da der Strafaufhebungsgrund persönlicher Natur ist, kommt die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nur dem zugute, der deren Voraussetzungen in seiner Person31 erfüllt. Daher müssen die Voraussetzungen für eine wirksame Selbstanzeige bei jedem Beteiligten einer Tat – Täter oder Teilnehmer – vorliegen. Da Strafaufhebungsgründe außerhalb von Unrecht und Schuld stehen, braucht sich weder der Vorsatz des Täters noch die Verbotskenntnis auf sie zu beziehen. Es kommt nur auf ihr objektives Vorliegen an.32 Die Einordnung der Selbstanzeige als Strafaufhebungsgrund hat daher ferner zur Folge, dass es nur darauf ankommt, dass die positiven und negativen Voraussetzungen des § 371 AO objektiv vorliegen; subjektive Vorstellungen des Anzeigeerstatters wie etwa ein Irrtum über einen Tatumstand des § 371 AO (beispielsweise über das Entdecktsein der Tat) schließen die Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige nicht aus.33 Es findet der strafrechtliche Zweifelssatz „in dubio pro reo“ Anwendung, sodass sich Zweifel tatsächlicher Art über das Vorliegen einer der in § 371 AO geregelten positiven sowie negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen zu Gunsten des Anzeigeerstatters auswirken.34 Weiterhin resultiert aus der Rechtsnatur des § 371 AO als Strafaufhebungsgrund, dass bei Auslegung und Anwendung der Vorschrift das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 2 GG und einfachgesetzlich in § 1 StGB enthaltene Bestimmtheitsgebot sowie als dessen Verlängerung auch das Analogieverbot35 zu berücksichtigen sind.36
31
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Selbstanzeige höchstpersönlich erstattet werden muss. Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 112. 32 Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Auflage, S. 553; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 12; Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 25. 33 BGH, Urt. v. 14.12.1976, 1 StR 196/76, BB 1978, 698; Joecks, in: Joecks/Jäger/ Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 41. 34 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 56; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 41; Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, 4. Auflage 2015, 4.4. 35 „Art. 103 II GG enthält für die Gesetzgebung ein striktes Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie.“ BVerfG, Beschl. v. 21.09.2016, 2 BvL 1/15, NJW 2016, 3648 (3649); Hassemer/Kargl, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Auflage 2017, § 1 StGB Rn. 70. 36 Remmert, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: 92. EL August 2020, Art. 103 Rn. 82; Schmitz, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 1 StGB, Rn. 73; Hassemer/Kargl, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Auflage 2017, § 1 StGB Rn. 70; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage
III. Abgrenzung von anderen Normen
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III. Abgrenzung von anderen Normen 1. Abgrenzung von der Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO Die Selbstanzeige gemäß § 371 AO ist zu unterscheiden von der Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO. § 153 AO findet dann Anwendung, wenn der Steuerpflichtige nachträglich, aber noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist, erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist (§ 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) oder dass eine durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu entrichtende Steuer nicht in der richtigen Höhe entrichtet worden ist (§ 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO). Ihn trifft in diesen Fällen die Pflicht, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Nur eine Anzeigepflicht, und keine Pflicht zur Berichtigung, trifft den Steuerpflichtigen gemäß § 153 Abs. 2 AO dann, wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung, Steuerermäßigung oder sonstige Steuervergünstigung nachträglich ganz oder teilweise wegfallen. Der Selbstanzeige gemäß § 371 AO und der Anzeige und Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO ist gemein, dass in beiden Fällen die Steuererklärung37 im Zeitpunkt ihrer Abgabe objektiv unrichtig38 gewesen sein muss. Während die Selbstanzeige Straffreiheit ermöglicht, wenn der Steuerpflichtige vorsätzlich falsche Angaben in der Steuererklärung vorgenommen hat und damit ein Fall vollendeter oder versuchter Steuerhinterziehung vorliegt, ist Voraussetzung des § 153 Abs. 1 AO, dass dem Steuerpflichtigen die Unrichtigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung im Zeitpunkt ihrer Abgabe verborgen blieb und er erst nachträglich diese als unrichtig erkennt.39 Der Selbstanzeige und Anzeige nach § 153 AO lie-
2015, § 371 AO Rn. 41; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 55. 37 Die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO betrifft jedoch nicht lediglich Steuererklärungen, sondern auch „alle Erklärungen des Steuerpflichtigen, die Einfluss auf die Höhe der festgesetzten Steuer oder auf gewährte Steuervergünstigungen gehabt haben“. BMF-Schreiben v. 23.06.2016, IV A 3 – S 0324/15/10001, BStBl. I 2016, 490 „Anwendungserlass zu § 153 AO“ (AEAO zu § 153 AO) Nr. 3. 38 „Objektiv unrichtig ist die Erklärung, wenn sie entgegen §§ 90 Abs. 1 Satz 2, 150 Abs. 2 Satz 1 AO nicht alle steuerlich erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegt.“ AEAO zu § 153 AO Nr. 2.1 Satz 2. 39 AEAO zu § 153 AO Nr. 2.2; Rätke, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 153 AO Rn. 8. Streitig ist, ob eine Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO auch dann besteht, wenn der Steuerpflichtige bei Abgabe der Erklärung die Unrichtigkeit seiner Angaben billigend in Kauf genommen hat. Bejahend: BGH, Beschl. v. 17.03. 2009, 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210 (216); Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 261. Lieferung 02.2021, § 153 AO Rn. 12; verneinend: Bülte, BB 2010, 607 (614); Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 164. Lieferung 02.2021, § 153 AO Rn. 20.
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B. Sperrtatbestand der Tatentdeckung im System des Selbstanzeigerechts
gen also unterschiedliche subjektive Einstellungen im Zeitpunkt der Abgabe der unrichtigen Erklärung zu Grunde.40 Erfüllt der Steuerpflichtige vorsätzlich die nach § 153 AO bestehende Pflicht zur Anzeige und Berichtigung nicht, macht er sich der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar.41 Die Berichtigungserklärung in diesem Falle wäre als eine Selbstanzeige gemäß § 371 AO zu werten.42 2. Abgrenzung von der Fremdanzeige gemäß § 371 Abs. 4 AO Neben der in § 371 Abs. 1 bis 3 AO geregelten strafbefreienden Selbstanzeige kennt die AO auch die sogenannte in § 371 Abs. 4 AO normierte strafbefreiende Fremdanzeige. Gemäß § 371 Abs. 4 Satz 1 AO wird ein „Dritter, der die in § 153 [AO] bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt“, wenn ein anderer die in § 153 AO „vorgesehene Anzeige rechtzeitig43 und ordnungsmäßig44 erstattet“. Sinn und Zweck der Fremdanzeige besteht darin, zu vermeiden, dass eine nach § 153 AO verpflichtete Person eine Anzeige nicht vornimmt, weil sie eine andere Person, den Dritten im Sinne des § 371 Abs. 4 AO, vor einer Strafverfolgung schützen möchte.45 Auch wenn in derselben Norm geregelt, haben die Selbstanzeige und die Fremdanzeige inhaltlich kaum Gemeinsamkeiten: Während Ausgangspunkt einer Selbstanzeige eine Steuerhinterziehung ist, knüpft die Fremdanzeige an die Pflichten nach § 153 AO an. Die Fremdanzeige fordert nach dem eindeutigen Wortlaut des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO außerdem und im Gegensatz zur Selbst40 Bülte, BB 2010, 607 (610); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 349. 41 Schindler, in: Gosch, AO/FGO, Stand: 01.06.2016, § 153 AO Rn. 35; Wulf, Stbg 2010, 295 (297). Im Detail ist das Verhältnis zwischen der Berichtigungspflicht nach § 153 AO, der Steuerhinterziehung und der Selbstanzeige gemäß § 371 AO problematisch. Vgl. hierzu Bülte, BB 2010, 607 ff. 42 Schuhmann, wistra 1994, 45 (48); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 352. 43 Rechtzeitig ist die Anzeige erstattet, wenn sie unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, erfolgt. OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1996, 1 Ws 1/96, NStZ 1996, 559 (560); Schuhmann, wistra 1994, 45 (48). 44 Dem Merkmal der Ordnungsmäßigkeit kommt nach herrschender Meinung nur eine formale Bedeutung zu. Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn sich die anzeigende Person an eine Finanzbehörde wendet, die sie für zuständig halten darf, und den Sachverhalt so darstellt, dass die Finanzbehörde eine weitere Aufklärung veranlassen kann. Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 220; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 378 jeweils m.w. N.; a. A.: Wassmann, Die Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 111. 45 Siehe hierzu die Gesetzesbegründung zu der Vorläuferregelung des § 371 Abs. 4 (§ 354 Abs. 4 AO 1974). BT-Drs. VI/1982, S. 195; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 370.
III. Abgrenzung von anderen Normen
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anzeige und nicht wie § 153 Abs. 1 Satz 1 AO nur eine Anzeige, nicht zugleich auch eine Berichtigung.46 Im Gegensatz zur Selbstanzeige, deren Wirksamkeit gemäß § 371 Abs. 2 AO acht Sperrgründe entgegenstehen können, ist die Fremdanzeige für den Dritten nur dann ausgeschlossen und damit nicht strafbefreiend, wenn – wie in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO – ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. Anders als die Selbstanzeige stellt die Fremdanzeige keinen Strafaufhebungsgrund47 sondern ein Verfolgungshindernis48 dar. Hat der Dritte zum eigenen Vorteil gehandelt, so gilt § 371 Abs. 3 AO entsprechend, das heißt, der Dritte muss Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und Nachzahlungszinsen nach § 233a AO nachentrichten. Unklar und dementsprechend umstritten ist, was im Rahmen des § 371 Abs. 4 Satz 1 AO unter „den in § 153 [AO] bezeichneten Erklärungen“ zu verstehen ist, die der Dritte abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat und sich letztlich der Steuerhinterziehung strafbar gemacht hat beziehungsweise welcher Personenkreis durch das Verfahrenshindernis der Fremdanzeige begünstigt werden soll: § 371 Abs. 4 Satz 1 AO könnte zum einen die Steuerhinterziehung meinen, die der Dritte begangen hat, in dem er unrichtige Ursprungserklärungen begangen hat.49 Die Fremdanzeige könnte aber auch nur den Dritten begünstigen, der durch einen Verstoß gegen die nachträgliche Anzeigeund Berichtigungspflicht des § 153 AO eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begangen hat.50 Schließlich könnten unter § 371 Abs. 4 Satz 1 AO auch beide Deutungsvarianten subsumiert werden.51 46 OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1996, 1 Ws 1/96, NStZ 1996, 559 (560); OLG Karlsruhe, Urt. v. 08.02.1996, 2 Ss 107/95, NStZ-RR 1996, 372 (373); Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 370 Rn. 405; Samson, wistra 1990, 245 (249); Jarke, wistra 1999, 286 (287); a. A. Wassmann, Die Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 111. 47 Zu den Nachweisen siehe oben auf S. 25. 48 OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1996, 1 Ws 1/96, NStZ 1996, 559 (560); Samson, wistra 1990, 245 (245); Weinreuter, DStZ 2000, 398 (408); Füllsack, wistra 1997, 285 (285); Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 437; Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, 4. Auflage 2015, Kapitel 9, 10.3. 49 Kühn/Hofmann, AO, § 371 AO Anm. 10; LG Bremen, Beschl. v. 26.06.1998, 42 Qs 84b Ds 860 Js 22051/97, wistra 1998, 317 (318). 50 So wohl die herrschende Meinung OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1996, 1 Ws 1/ 96, NStZ 1996, 559 (560); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 387; Jarke, wistra 1999, 286 (290); Weinreuter, DStZ 2000, 398 (409); Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021 § 371 AO Rn. 463 ff.; Muhler, in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Auflage 2015, § 44 Rn. 174. 51 LG Bremen, Beschl. v. 26.06.1998, 42 Qs 84b Ds 860 Js 22051/97, wistra 1998, 317 (318); Samson, wistra 1990, 245 (250); Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, 4. Auflage 2015, Kapitel 9, 10.4; Blesinger/Viertelhausen, in: Kühn/von Wedelstädt, AO/FGO, 22. Auflage 2018, § 371 AO Rn. 36. Für Näheres zu diesem Streitstand siehe unten auf S. 113 ff.
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B. Sperrtatbestand der Tatentdeckung im System des Selbstanzeigerechts
3. Abgrenzung vom Rücktritt gemäß § 24 StGB Die Selbstanzeige nach § 371 AO ist zu unterscheiden vom Rücktritt nach § 24 StGB. Sowohl die Selbstanzeige als auch nach herrschender Meinung52 der Rücktritt stellen Strafaufhebungsgründe dar. Während der Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 StGB nur bei einer versuchten Straftat in Frage kommt, findet eine Selbstanzeige sowohl bei einer vollendeten als auch bei einer versuchten Steuerhinterziehung Anwendung. Im Gegensatz zum Rücktritt nach § 24 StGB, der bereits nach seinem Wortlaut sowohl beim unbeendeten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB) als auch beim beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB) freiwilliges Handeln verlangt, sieht die Selbstanzeige eine solche Voraussetzung nicht vor. Dafür beinhaltet die Selbstanzeige spezielle Voraussetzungen wie beispielsweise das Fehlen von Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 AO. Man könnte aufgrund der speziellen Voraussetzungen der Selbstanzeige die Ansicht vertreten, diese verdränge bei einer versuchten Steuerhinterziehung als lex specialis den Rücktritt gemäß § 24 StGB.53 Nach heute herrschender Auffassung stehen die Selbstanzeige und der Rücktritt jedoch selbständig nebeneinander.54 Der Steuerstraftäter kann frei wählen, welche der beiden Institute für ihn die günstigeren Voraussetzungen enthält.55 Dies wird unter anderem damit begründet, dass beide Institute unterschiedliche Zwecke verfolgen56: In Fällen des § 24 StGB entfalle das Strafbedürfnis wegen der geringeren Gefährlichkeit und Strafwürdigkeit des zurücktretenden Täters, dem außerdem die Möglichkeit des Abstandnehmens von einer noch nicht vollendeten Straftat eingeräumt werden solle.57 Sinn und Zweck des § 371 AO sei es vielmehr, unabhängig von dem
52 RG, Urt. v. 04.10.1938, 4 D 696/38, RGSt 72, 349 (350); Hoffmann-Holland, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 24 StGB Rn. 7; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 24 StGB Rn. 1; a. A.: Rudolphi, ZStW 85, 104 (121) (Einordnung als Entschuldigungsgrund); Streng, ZStW 101, 273 (322) (Einordnung als Schuldaufhebungsgrund). 53 So die frühere Auffassung: RG, Urt. v. 02.03.1925, III 959/24, RGSt 59, 115 (117); RG, Urt. v. 11.05.1922, III 142/22, RGSt 56, 385 (386); BGH, Urt. v. 18.10. 1956, 4 StR 166/56, BStBl. I 1957, 122 (123) unter der Geltung des § 410 AO a. F. und des § 46 Nr. 2 StGB a. F. in einem obiter dictum, allerdings ohne nähere Begründung; Kopacek, Steuerstraf- und Bußgeldfreiheit, S. 151. 54 BGH, Urt. v. 05.05.2004, 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (144); BGH, Urt. v. 27.03.1991, 3 StR 358/90, NJW 1991, 2844 (2846); Beckemper, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 235; Kottke, DStZ 1998, 151 (151); Marschall, BB 1998, 2496 (2497); Jäger, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 371 AO Rn. 6; a. A.: Rolletschke, ZWH 2013, 186 (189). 55 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO Rn. 27. 56 BGH, Urt. v. 19.03.1991, 5 StR 516/90, BGHSt 37, 340 (345); Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 12. 57 BGH, Urt. v. 19.03.1991, 5 StR 516/90, BGHSt 37, 340 (345); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 821.
III. Abgrenzung von anderen Normen
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Maß der Strafwürdigkeit und Gefährlichkeit des Täters aus steuerpolitischen Gründen die Möglichkeit des Abstandnehmens von Steuerstraftaten über die allgemein geltenden Rücktrittsvorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches hinaus zu erweitern. Bereits an dieser Stelle sei erwähnt, dass der Sinn und Zweck der Selbstanzeige sehr umstritten ist. Es werden nicht nur steuerpolitische, sondern auch kriminalpolitische und strafrechtliche Begründungsansätze vertreten. Hierauf wird an späterer Stelle vertiefend eingegangen.58 An dieser Stelle kann dessen ungeachtet festgehalten werden, dass die beiden Strafaufhebungsgründe unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen und unterschiedliche Zwecke verfolgen.
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Siehe unten auf S. 42 ff.
C. Systematik und Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO Nachdem ein Überblick über das Institut der Selbstanzeige verschafft wurde, ist es erforderlich, den Sperrtatbestand der Tatentdeckung im gesetzlichen Kontext des § 371 Abs. 2 AO einzuordnen, um einerseits für den Wortlaut der Norm des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO sensibilisiert zu sein und andererseits die Grundlagen für eine systematische Auslegung desselben im Verlauf der Arbeit zu schaffen. Hierfür werden die einzelnen Sperrgründe dargestellt und auf Basis des Wortlauts einer vergleichenden Prüfung unterzogen. Im zweiten Schritt des Kapitels B. wird anhand der klassischen Auslegungsmethoden – wiederum als Vorbereitung für die Untersuchung des Sperrgrunds der Tatentdeckung im Einzelnen – untersucht, wie die Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO auszulegen sind.
I. Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen der Selbstanzeige Der Sperrgrund der Tatentdeckung ist nur einer von acht in § 371 Abs. 2 AO abschließend geregelten Sperrgründe. Gemäß § 371 Abs. 2 AO tritt Straffreiheit durch das Erstatten einer Selbstanzeige nicht ein, wenn alternativ (1) dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben worden ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO), (2) dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Strafoder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO), (3) ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO), (4) ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d AO), (5) ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b UStG, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO),
I. Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen der Selbstanzeige
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(6) eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO), (7) die nach § 370 Abs. 1 AO verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25.000 Euro je Tat übersteigt (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO) oder (8) ein in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 6 AO genannter besonders schwerer Fall vorliegt (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO). Ohne an dieser Stelle bereits Schlussfolgerungen für die Auslegung des Sperrtatbestands der Tatentdeckung vorzunehmen, fällt beim Lesen des § 371 Abs. 2 AO Folgendes auf: Die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO knüpfen an ein Handeln eines Amtsträgers an, sei es, in dem dieser eine Prüfungsanordnung oder die Einleitung eines Verfahrens bekannt gibt oder zu einer Außenprüfung, zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder zur einer steuerlichen Nachschau erscheint. Der Wortlaut differenziert gar zwischen Amtsträgern und Amtsträgern der Finanzbehörde, die für das Eingreifen des Sperrgrundes tätig werden müssen. Der Sperrgrund der Tatentdeckung lässt dagegen offen, wer eine Steuerstraftat entdecken kann oder muss, damit die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO eingreift. Insoweit steht der Gesetzesanwender vor der Frage, wer als Entdecker einer Steuerstraftat in Betracht kommt. Weiterhin fällt auf, dass alle übrigen sieben Sperrgründe keine subjektive Tatbestandsvoraussetzung beinhalten1, § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO jedoch verlangt, dass der Täter wusste, oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste, dass eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung bereits entdeckt war. Angesichts dessen, dass die übrigen Sperrgründe keine subjektive Komponente beinhalten, ist fraglich, welche Anforderungen an diese Voraussetzung gestellt werden. Während die Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b AO unter anderem vom an der Tat Beteiligten sprechen, dem entweder die Prüfungsanordnung oder die Einleitung eines Verfahrens bekannt gegeben wird, zählt § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nur den Täter auf. Den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO und § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ist gemein, dass sie beide an „eine der Steuerstraftaten“ anknüpfen, während § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO auf eine „Tat“ und § 371 Abs. 2 1 Dennoch wird teilweise im Schrifttum ein subjektives Element bei den übrigen Sperrgründen vorausgesetzt, vgl. z. B. Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 72 und 77, für die Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und c AO.
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C. Systematik und Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO
Satz 1 Nr. 4 AO auf „einen“ besonders schweren Fall Bezug nehmen. Insoweit ist also eine parallele Wortlautformulierung erkennbar.
II. Auslegung der Sperrgründe Durch die vergleichende Betrachtung der Sperrgründe für den Wortlaut des § 371 Abs. 2 AO sensibilisiert stellt sich letztlich vor der detaillierten Analyse der Tatbestandsmerkmale des Ausschlussgrundes der Tatentdeckung die Frage, wie die negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen auszulegen sind. Interessant ist diese Frage insbesondere vor dem Hintergrund des insoweit geänderten Verständnisses der Ausschlussgründe seitens der Rechtsprechung: So entschied das BayObLG in seinem Beschluss vom 23.01.19852, es handele sich bei § 371 AO um „eine Ausnahmeerscheinung im System des deutschen Strafrechts“, die aber ihrem „finanzpolitischen Ziel entsprechend (. . .) in dem Sinne weit auszulegen [sei], daß von ihr mit Wirkung von Straffreiheit bei Selbstanzeige in möglichst großem Umfang Gebrauch gemacht werden kann“, sodass eine einschränkende Auslegung der Sperrgründe vorzunehmen sei. Ebenso urteilte der BGH, der „fiskalische Zweck [der Selbstanzeige werde] (. . .) besser durch eine restriktive Auslegung der Ausschlußgründe für die Selbstanzeige erreicht“.3 Dieses etablierte restriktive Verständnis der Sperrgründe wurde mit dem Selbstanzeigebeschluss vom 20.05.2010 umgekehrt. 1. Schlussfolgerungen aus einer (vermeintlichen) Ausnahmestellung des § 371 AO Nach dem „Selbstanzeigebeschluss“ des BGH vom 20.05.20104 „ist zu bedenken, dass die Strafbefreiung nach § 371 AO eine Ausnahmevorschrift ist, die schon deswegen entgegen der weit verbreiteten gegenteiligen Auffassung – auch im Hinblick auf den Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch – restriktiv auszulegen ist. Das hat auch Auswirkungen auf die Auslegung der Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO“,
nämlich – führt man den Gedanken des BGH fort – die, dass die Sperrgründe als Ausnahme von der Ausnahmevorschrift extensiv auszulegen sind. Nicht selten wird auch in der Literatur von der Ausnahmestellung der Norm des § 371 AO gesprochen.5 In Anwendung der aus dem Studium bekannten Auslegungsregel „Ausnahmevorschriften sind eng auszulegen“ 6, könnte man geneigt 2 BayObLG (4. Strafsenat), Beschl. v. 23.01.1985, RReg. 4 St 309/84, BayObLGSt 1985, 18 (19). 3 BGH, Urt. v. 12.08.1987, 3 StR 10/87, NJW 1988, 1679 (1680). 4 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (184). 5 So z. B. Webel, NZWiSt 2016, 337 (340); Jäger, in: Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 2; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 20, 25; Scheel, wistra 1989, 343 (344); Baur, BB 1983, 498 (499).
II. Auslegung der Sperrgründe
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sein, vorschnell zu dem Schluss zu gelangen, die positiven Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 1 und 3 AO seien restriktiv auszulegen und die negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen umkehrt extensiv, damit der Norm des § 371 AO als Ausnahmevorschrift nur ein geringer Anwendungsbereich verbleibt.7 Teilweise wird von der Literatur auch umgekehrt die Schlussfolgerung gezogen, der Ausnahmecharakter der Selbstanzeigevorschrift führe zur restriktiven Auslegung der Sperrgründe.8 Abgesehen davon, dass dem Rechtsanwender mit der Rechtsfolge, dass eine Norm restriktiv oder extensiv auslegen ist ohne die dahinter stehenden Gründe nur eine geringe Hilfestellung bei der Subsumtion einer Norm gegeben werden kann, kann diese Auslegungsregel vorliegend bereits deshalb nicht angewandt werden, weil streitig ist, ob es sich bei § 371 AO überhaupt um eine Ausnahmevorschrift handelt.9 Die Auslegungsregel selbst gibt nicht vor, bei welchen Normen es sich um solche mit Ausnahmecharakter handelt.10 Um zu beurteilen, ob es sich bei § 371 AO um eine Ausnahmevorschrift handelt, muss die Norm also zunächst ausgelegt werden. Wird die Auslegung nach den klassischen Auslegungsmitteln – also nach Wortlaut, Geschichte, Systematik und Zweck – durchgeführt, dann bedarf es auch der Rechtsfolge der vermeintlich vereinfachenden Auslegungsregel nicht mehr.11 „Hiervon abgesehen kennt unsere Rechtsordnung keinen Rechtssatz, wonach Ausnahmevorschriften stets restriktiv interpretiert werden müßten. Ob dies im Einzelfall geboten ist, hängt vielmehr von weiteren, hier nicht zu erörternden Voraussetzungen ab“,
so ausdrücklich das BVerfG in seinem Beschluss vom 14.02.1978.12 6 So die frühere ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BGH, Urt. v. 06.11.1953, I ZR 97/52, NJW 1954, 305 (306) m.w. N. Zu der Auslegungsregel „Ausnahmevorschriften sind eng auszulegen“ („Singularia non sunt extendenda“) Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2021, Einl. BGB Rn. 123. Zur Auslegung von Gesetzen nach den klassischen Auslegungsmitteln Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289 (292 ff.). 7 So z. B. Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 11, der von einer „öffnenden Auslegung“ der negativen Voraussetzungen der Straffreiheit spricht; Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 371 AO Rn. 2. 8 So Scheel, wistra 1989, 343 (344), der zwar die Auslegungsregel, Ausnahmevorschriften seien eng auszulegen, ablehnt, sie jedoch dahingehend versteht, dass sie zur restriktiven Auslegung der Sperrgründe führen würde. Unklar betreffend die Sperrgründe Baur, BB 1983, 498 (499). 9 Bejahend: Webel, NZWiSt 2016, 337 (340); Jäger, in: Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 2; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 20, 25; Scheel, wistra 1989, 343 (344); verneinend Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 25. 10 Rosenkranz, JURA 2015, 783 ff. 11 Zur Kritik an der Auslegungsregel „Singularia non sunt extendenda“ vgl. Rosenkranz, JURA 2015, 783 (784): „Eine solche Erkenntnis kann allenfalls am Ende eines Auslegungsvorgangs stehen; dann lässt sich der Regel jedoch nicht mehr entnehmen, als vorher auf anderem Wege hineingelegt worden ist.“ Dem folgend Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 27. 12 BVerfG, Beschl. v. 14.02.1978, 2 BvR 406/77, BVerfGE 47, 239–253, Rn. 44.
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C. Systematik und Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO
Im Folgenden sollen daher anhand der klassischen Auslegungsmethoden Erkenntnisse für die Auslegung der Sperrgründe gewonnen werden. Klarstellend sei erwähnt, dass nach dem hier vorliegenden Verständnis mit einer restriktiven Auslegung der Sperrgründe gemeint ist, dass die Sperrgründe zu Gunsten des Steuerstraftäters im Sinne eines engen Anwendungsbereichs der negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen und somit im Sinne eines weiten Anwendungsbereichs der Selbstanzeige auszulegen sind.13 2. Auslegung nach den klassischen Auslegungsmethoden a) Grammatikalische Auslegung Gemäß § 371 Abs. 1 Satz 1 AO wird, „[w]er gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, (. . .) wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft.“
Hinsichtlich der hier zu untersuchenden Auslegung der Sperrgründe besagt § 371 Abs. 2 Satz 1 AO, dass „Straffreiheit (. . .) nicht ein[tritt], wenn (. . .)“ einer dieser Sperrgründe vorliegt. Allein aus dem ausdrücklichen Wortlaut lässt sich keine Schlussfolgerung ziehen, ob im Regelfall Straffreiheit im Falle der Berichtigung der unterlassenden Angaben erfolgt und nur in Ausnahmefällen aufgrund der Sperrgründe die Selbstanzeige keine strafbefreiende Wirkung hat. Denn der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 AO lautet nicht etwa, „Ausnahmsweise tritt Straffreiheit nicht ein, wenn“ einer der Sperrgründe vorliegt oder „Straffreiheit tritt ein, es sei denn“ einer der Sperrgründe ist einschlägig. Die Konjunktion „wenn“ leitet nicht notwendigerweise eine Ausnahme ein, sondern hat die Bedeutung einer Voraussetzung, Bedingung oder eines Falls14; auch kann sie synonym für die temporale Konjunktion „sobald“ 15 verwendet werden. b) Systematische Auslegung Betrachtet man die Norm des § 371 AO unter systematischen Gesichtspunkten, so lässt sich ebenfalls keine eindeutige Auslegung des Charakters der Sperrgründe ermitteln:
13 Insoweit unklar Kemper, DStZ 2018, 75 (77): „Allgemein gilt, dass die Sperrtatbestände einer restriktiven Auslegung bedürfen, das Ziel des Gesetzgebers bestand v. a. darin, jegliches Taktieren von Stpfl. zu unterbinden.“ 14 https://www.duden.de/rechtschreibung/wenn (abgerufen am 11.09.2019). 15 https://www.duden.de/rechtschreibung/wenn (abgerufen am 11.09.2019).
II. Auslegung der Sperrgründe
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Berücksichtigt man die dem § 371 AO vorgehende Regelung des § 370 AO, so ergibt sich, dass sich im Regelfall derjenige strafbar macht, der eine Steuerhinterziehung begeht. Nur in Ausnahmefällen, das heißt, nur dann, wenn der Täter dieser Steuerstraftat eine wirksame Selbstanzeige nach § 371 AO abgibt, dann wird er wegen der Steuerstraftat nicht nach § 370 AO bestraft. Die Sperrgründe wären somit weit auszulegen, damit dem Regelfall – der Strafbarkeit wegen der Begehung einer Steuerstraftat – Genüge getan wird. Stellt man dagegen auf die Systematik innerhalb der Vorschrift des § 371 AO selbst ab, so könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass § 371 Abs. 1 AO den Grundsatz, die Straffreiheit bei Berichtigung der unrichtigen Angaben regelt, und § 371 Abs. 2 AO die abschließend aufgezählten Sperrgründe auflistet, die dazu führen, dass Straffreiheit ausnahmsweise nicht eintritt. Demnach wären die Sperrgründe restriktiv auszulegen. c) Historische Auslegung aa) Entwicklungsgeschichte der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO Die Vorschrift des § 374 Abs. Satz 1 RAO 1919, in der das Rechtsinstitut der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht erstmals reichseinheitlich normiert wurde16, lautete: „Wer in den Fällen der §§ 359, 367, 371 bis 373, bevor er angezeigt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet ist (§ 406 Abs. 2), unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Steuerbehörde, ohne dazu durch eine unmittelbare Gefahr der Entdeckung veranlaßt zu sein, berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, bleibt insoweit straffrei.“
Mit dem ersten Nebensatz „bevor er angezeigt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet ist“ regelte § 374 RAO 1919 zwei Sperrgründe, die nicht wie in der heutigen Fassung des § 371 AO in einem gesonderten zweiten Absatz niedergeschrieben waren. Der zweite Nebensatz, nach dem der Täter nicht „durch eine unmittelbare Gefahr der Entdeckung“ veranlasst sein durfte, regelte eine subjektive Voraussetzung für eine wirksame Selbstanzeige, die von dem Sperrgrund der Tatentdeckung nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO der heutigen Fassung zu unterscheiden ist, der ausdrücklich von Tatentdeckung und nicht Entdeckungsgefahr spricht.17 Die älteren Gesetzesmaterialien beinhalten soweit ersichtlich keine Begründung der Regelung der Selbstanzeige oder gar der Sperrgründe.18 Lediglich den 16
Siehe oben auf S. 22. Mrozek, Kommentar zur RAO v. 13.12.1919, § 374 RAO Anm. 2; Frees, Die steuerliche Selbstanzeige, S. 7; Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 50. 18 So auch Frees, Die steuerliche Selbstanzeige, S. 32 ff.; Joecks, in: Joecks/Jäger/ Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 11. 17
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C. Systematik und Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO
Protokollen der Verhandlungen der Nationalversammlung vom 17.12.1919 – allerdings betreffend das Gesetz über Steuernachsicht vom 03.01.1920 – ist zu entnehmen, dass die Regelung der Selbstanzeige zum einen der Erschließung verborgener Steuerquellen diente und zum anderen jedoch der Ermöglichung der Rückkehr zur Steuerehrlichkeit.19 Hinsichtlich der Sperrgründe erfuhr das Institut der Selbstanzeige sodann erst wieder durch das 2. Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20.04. 194920 eine Änderung. Zu Gunsten des Steuerhinterziehers wurde § 410 Abs. 1 Satz 1 RAO 1939 dahingehend geändert, dass Straffreiheit nur noch dann nicht eintrat, wenn dem Täter „die Einleitung einer Untersuchung gegen ihn durch die Steuerbehörde eröffnet worden ist“, während zugleich das subjektive negative Wirksamkeitserfordernis der Veranlassung zur Selbstanzeige durch die „Gefahr der Entdeckung“ herausgenommen wurde. Durch die wesentliche Erleichterung der Voraussetzungen für eine wirksame Selbstanzeige wurde der Zweck verfolgt, die sinkende Steuermoral in Nachkriegsdeutschland zu heben.21 Das Ziel, auf diese Weise die Steuereinnahmen zu erhöhen, wurde allerdings nicht nur verfehlt, sondern „[d]ie Folgezeit hat (. . .) gelehrt, daß Steuerpflichtige nunmehr in vielen Fällen mit der Erfüllung ihrer Steuerpflichten abwarten, bis sie damit rechnen müssen, daß ihnen die Einleitung einer steuerstrafrechtlichen Untersuchung gegen sie eröffnet wird. Die Änderung des § 410 durch das Zweite Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern hat somit eher das Gegenteil als die erhoffte Besserung der Steuermoral bewirkt.“ 22
Als Reaktion hierauf verschärfte der Gesetzgeber bereits zwei Jahre später mit dem Gesetz vom 07.12.1951 die Voraussetzungen für eine wirksame Selbstanzeige in § 410 RAO 1951: Nun trat Straffreiheit nach § 410 Abs. 1 Satz 2 RAO 1951 nicht ein, wenn ein Prüfer der Finanzbehörde zur steuerlichen oder steuerstrafrechtlichen Prüfung erschienen ist oder wenn dem Täter oder seinem Vertreter die Einleitung einer steuerstrafrechtlichen Untersuchung eröffnet worden ist. Zudem wurde in § 410 Abs. 2 RAO 1951 geregelt, dass Straffreiheit nicht eintritt, „wenn der Täter im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung wußte oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen mußte, daß die Tat ganz oder zum Teil bereits entdeckt war“.
19 Protokoll über die Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung vom 17.12.1919, S. 4139. Ausführlich mit Zitaten aus dem Protokoll Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 54; Breyer, Der Inhalt der strafbefreienden Selbstanzeige, S. 97. 20 Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, Jahrgang 1949, S. 72. 21 BT-Drs. 1/2395, S. 2. 22 BT-Drs. 1/2395, S. 2.
II. Auslegung der Sperrgründe
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Wesentliche Änderungen erfuhr die Regelung zur Selbstanzeige rund 60 Jahre später durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.04.2011. Eine TeilSelbstanzeige war nun nicht mehr möglich, die Sperrgründe wurden weiter verschärft23 und um den Tatbestand der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung erweitert sowie bestimmt, dass bei Hinterziehungen von einem Betrag von mehr als 50.000 Euro je Tat Straffreiheit nicht mehr eintritt, sondern nur noch gemäß § 398a AO ein Absehen von der Strafverfolgung in Betracht kommt. Den Gesetzesmaterialien kann nun erstmals eine ausführliche Begründung der Möglichkeit zur Selbstanzeige entnommen werden: „Sinn und Zweck der strafbefreienden Selbstanzeige ist es, den an einer Steuerhinterziehung Beteiligten einen attraktiven Anreiz zur Berichtigung vormals unzutreffender oder unvollständiger Angaben zu geben, um eine bislang verborgene und ohne die Berichtigung möglicherweise auch künftig verborgen bleibende Steuerquelle im Interesse des Fiskus und damit im Interesse der Öffentlichkeit zu erschließen. (. . .) Gleichzeitig wird mit dem Institut der Selbstanzeige demjenigen Steuerhinterzieher, der geneigt ist, seinen steuerlichen Pflichten künftig wieder vollumfänglich nachzukommen, eine verfassungsrechtlich anerkannte Brücke in die Steuerehrlichkeit geboten. In der persönlichen Strafaufhebung kommen daher auch allgemeine strafrechtliche Prinzipien zum Ausdruck wie z. B. ,Rücktritt‘ oder ,tätige Reue‘ beziehungsweise ,Wiedergutmachung‘.“ 24
Zuletzt wurden mit dem Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.201425 die Anforderungen an die Selbstanzeige weiter verschärft: So wurden unter anderem die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO ausgedehnt, sodass nun die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung und die Bekanntgabe der Einleitung eines Strafoder Bußgeldverfahrens bereits dann die Straffreiheit ausschließen, wenn sie gegenüber einem an der Steuerstraftat Beteiligten erfolgen. Ferner wurde in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO ein gesonderter Sperrtatbestand kodifiziert, nach dem Straffreiheit nicht eintritt, wenn ein Amtsträger der Finanzbehörde zur Umsatzsteuer- oder Lohnsteuernachschau oder einer sonstigen steuerlichen Nachschau erscheint. Mit dem ebenfalls neu eingeführten § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO tritt Straffreiheit außerdem in den besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung nicht mehr ein; auch hier ist nur noch ein Absehen von der Strafverfolgung möglich. Nach der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung ist Ziel der strafbefreienden Selbstanzeige die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit26; im Übrigen nimmt die Entwurfsbegründung nur Stellung zu der Auslegung der einzelnen 23 24 25 26
Siehe hierzu oben auf S. 23. BT-Drs. 17/4182, S. 4. BGBl. I 2014, S. 2415. BT-Drs. 18/3018, S. 8.
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C. Systematik und Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO
Tatbestandsmerkmale der veränderten Sperrgründe und erläutert, inwiefern eine Verschärfung der Anforderungen durch das Gesetz erfolgt.27 bb) Zwischenergebnis Der Entwicklungsgeschichte der Vorschriften zur Selbstanzeige ist zu entnehmen, dass die Sperrgründe mit den Jahren erweitert, ausdehnt und inhaltlich verschärft wurden. Den Gesetzesmaterialen ist jedoch nicht explizit zu entnehmen, ob der Gesetzgeber eine restriktive oder extensive Auslegung der Sperrgründe beabsichtigte. Die Tatsache der gesetzlichen Erweiterung der Sperrgründe kann sowohl so gedeutet werden, dass der Gesetzgeber einen möglichst engen Anwendungsbereich der strafbefreienden Selbstanzeige beabsichtigt hat. Dem entspräche eine extensive Auslegung einer möglichst großen Anzahl von Sperrgründen. Andererseits könnte man die Erweiterung der Sperrgründe im Zusammenhang mit dem Ziel der Steuerhinterziehungsbekämpfung auch dahingehend auslegen, dass der Gesetzgeber von einer restriktiven Auslegung der einzelnen Sperrgründe ausgeht und sich daher gezwungen sieht, möglichst viele Sperrgründe zu normieren, um entsprechend mehr Sachverhaltskonstellationen zu erfassen. Für diese Ansicht lässt sich anführen, dass der Gesetzgeber den Sperrgrund des Erscheinens eines Prüfers zur steuerlichen Nachschau nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO zum 01.01.2015 normiert hat. Würde er von einer extensiven Auslegung des Sperrgrunds ausgehen, hätte er keinen Bedarf für diesen neuen Sperrgrund gesehen und stattdessen die steuerliche Nachschau – wie teilweise vorher in der Literatur vertreten28 – als von der „steuerliche[n] Prüfung“ nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO erfasst angesehen. Zwingend ist diese Ansicht jedoch freilich nicht, denn der Gesetzgeber kann hier auch nur klarstellend tätig geworden sein. Mehr Rückschlüsse für die Auslegung der Sperrgründe lassen sich aus den in den Gesetzesmaterialien geäußerten mit der Selbstanzeige verfolgten Zwecken entnehmen: Soweit ersichtlich, können der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 410 der Reichsabgabenordnung vom 30.06.1951 erstmals Ausführungen zur Zielsetzung der Selbstanzeige entnommen werden.29
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BT-Drs. 18/3018, S. 8, 10 ff. Für Nachweise zum Streitstand siehe Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 542. 29 BT-Drs. 1/2395, S. 2. Die in den Protokollen der Verhandlungen der Nationalversammlung vom 17.12.1919 zum Gesetz über die Steuernachsicht geäußerten Ansichten der Abgeordneten dürfen im Rahmen der historischen Auslegung der RAO bzw. AO nicht herangezogen werden, da diese zum einen ein anderes Gesetz betreffen und außerdem insoweit wohl nur die Ansichten der Abgeordneten widerspiegelten, vgl. zu den Grundsätzen der historischen Auslegung BVerfG, Urt. v. 21.05.1952, 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299 (299). 28
II. Auslegung der Sperrgründe
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Hier wird ausgeführt, dass mit der Neufassung des § 410 RAO 1951 das Ziel verfolgt wurde, die Steuermoral in der Bevölkerung zu heben und auf diese Weise die Steuereinnahmen zu erhöhen. Dieser Wille des Gesetzgebers kam auch ähnlich in der Begründung zum Entwurf des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes30 zum Ausdruck. Danach soll dem Steuerhinterzieher ein attraktiver Anreiz für die Berichtigung gegeben werden und dem Staat außerdem verborgene Steuerquellen offenbart werden. Gleichzeitig soll dem Steuerhinterzieher eine „Brücke in die Steuerehrlichkeit“ geboten werden. Möchte der Gesetzgeber einen attraktiven Anreiz für eine Selbstanzeige schaffen und auf diese Weise zugleich an verborgene Steuerquellen kommen, so müssten die positiven Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 371 AO weit ausgelegt werden und die negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen möglichst restriktiv.31 Denn ansonsten bestünde für die Selbstanzeige aus Gründen der Gefahr der Versagung der Straffreiheit kein attraktiver Anreiz und entsprechend würden auch keine verborgenen Steuerquellen erschlossen werden. Nach der Begründung der Regelung des § 371 AO im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung32 ist Ziel der strafbefreienden Selbstanzeige nur noch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit; fiskalpolitische Erwägungen der Erschließung unbekannter Steuerquellen finden keinen Niederschlag mehr in den Gesetzesmaterialien. Stellt man allerdings auch nur auf das Ziel der Rückkehr in die Steuerehrlichkeit ab, so müssten ebenfalls die positiven Voraussetzungen eher weit und die Sperrgründe eher eng ausgelegt werden, denn Steuerstraftäter könnten ansonsten faktisch nicht oder nur unter erschwerten Voraussetzungen in die Steuerehrlichkeit zurückkehren, was dem erklärten Ziel zuwiderliefe. Da der Gesetzgeber nun jedoch auch ausdrücklich betont, dass die „Voraussetzungen für eine strafbefreiende Selbstanzeige (. . .) deutlich verschärft“ 33 werden sollen, erscheint diese Interpretation nicht zwingend. Insoweit könnte man den Willen des Gesetzgebers dahingehend auslegen, dass die Sperrgründe nicht nur durch die inhaltlichen Änderungen der Sperrgründe verschärft werden sollen, sondern auch durch eine extensive Auslegung derselben. Zusammenfassend äußert sich der Gesetzgeber nicht ausdrücklich dazu, wie die Sperrgründe auszulegen sind. Mit Hilfe der historischen Auslegung lassen sich also auch keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Auslegung der Sperrgründe ziehen.
30 31 32 33
BT-Drs. 17/4182, S. 4. Frick, DStR 1986, 429 (430); Keller/Kelnhofer, wistra 2001, 369 (370). BT-Drs. 18/3018, S. 8. BT-Drs. 18/3018, S. 8.
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C. Systematik und Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO
d) Teleologische Auslegung Der Zweck und die Rechtfertigung der „Rechtswohltat“ 34 der Selbstanzeige sind seit jeher umstritten: Vertreten werden fiskalpolitische, kriminalpolitische35 und strafrechtliche Begründungsansätze sowie Kombinationen hieraus. Dass dieser Streit nicht lediglich akademischer Natur ist, sondern praktische Bedeutung hat, wurde bereits oben im Rahmen der historischen Auslegung deutlich: Von dem jeweiligen Begründungsansatz der Selbstanzeige hängt es ab, ob die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 371 Abs. 2 AO extensiv oder restriktiv auszulegen sind.36 aa) Fiskalpolitische Begründung Nach fiskalpolitischen Ansätzen ist die Möglichkeit zur Selbstanzeige von dem Bestreben des Staates bestimmt, ihm zur Mehrung seiner Steuereinnahmen durch bisher verborgene Steuerquellen zu verhelfen.37 Das Erfordernis der Offenbarung verborgener Steuerquellen durch den Steuerpflichtigen wird mit der kriminologisch ungünstigen Lage des Staates im Bereich des Steuerstrafrechts begründet38: Steuerhinterziehungen lassen sich im Gegensatz zu anderen Straftaten nur sehr schwer ermitteln, da sie keine sichtbaren Spuren hinterlassen und es an einem Opfer auf der Gegenseite mangelt, das eine kontrollierende Funktion ausübt wie es beispielsweise bei einer Körperverletzung nach § 223 StGB oder einem Diebstahl nach § 242 StGB der Fall ist.39 Im Steuerstrafrecht fehlt es an einem „menschlichen Opfer“ 40, das unmittelbar durch die Straftat verletzt wird und daher einen Strafantrag stellt oder eine Strafanzeige erstattet.41 Erfahren Privatpersonen von einer Steuerhinterziehung, so haben sie mangels einer unmittelbaren Verletzung ihrer Rechtsgüter kaum Anreiz Strafanzeige zu erstatten. 34
Klos, NJW 1996, 2336 (2336). Teilweise werden fiskalpolitische und kriminalpolitische Ansätze zusammengefasst als ein steuerpolitischer Begründungsansatz angesehen. So zum Beispiel Hüls/ Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 28 ff. 36 Vgl. hierzu Brauns, wistra 1985, 171 (172); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 29. 37 RG, Urt. v. 08.06.1923, I 372/23, RGSt 57, 313 (315); BGH, Urt. v. 11.11.1958, I StR 370/58, BGHSt 12, 100 (101); Westpfahl, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 177 ff.; Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 19; Streck, DStR 1985, 9 (9); Pfaff, Steuerzuwiderhandlungen und Wirtschaftskriminalität, 1979, S. 92. 38 Pfaff, Steuerzuwiderhandlungen und Wirtschaftskriminalität, 1979, S. 92. 39 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 20; Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 21; Stahl, in: FS Korn, 2005, S. 757 (759). 40 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 19. 41 Brauns, wistra 1985, 171 (172); Wessing/Biesgen, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2016, § 371 AO Rn. 13. 35
II. Auslegung der Sperrgründe
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Außerdem wird eine Steuerhinterziehung in weiten Bevölkerungskreisen als ein „Kavaliersdelikt“ empfunden.42 Der Staat als „Opfer“ der Steuerhinterziehung kann dieser Funktion schon deshalb kaum nachkommen, weil dies eine ständige Überprüfung des Steuerzahlers nach sich ziehen würde, die eine unzumutbare Freiheitsbeschränkung darstellen würde.43 Aber auch personell ließe sich eine solche lückenlose Aufklärungsarbeit durch die unterbesetzten Finanzbehörden kaum bewerkstelligen.44 Der Staat befindet sich also im Bereich des Steuerstrafrechts in der problematischen Situation, auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen und die Richtigkeit seiner Angaben angewiesen zu sein. Gemäß § 38 AO entsteht der Steueranspruch zwar kraft Gesetztes, wenn der Tatbestand verwirklicht wird, an den das Gesetz eine Leistungspflicht knüpft, aber ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen hat der Staat häufig keine Kenntnis darüber, ob und in welcher Höhe ein Steueranspruch entstanden ist.45 Ein Mittel, dessen sich der Staat bedient, um die Erfüllung von Steuerpflichten zu prüfen, ist die Außenprüfung nach §§ 193 ff. AO. Allerdings ist diese auf einen bestimmten Kreis von Steuerpflichtigen begrenzt und gilt aufgrund der geringen Zahl der tatsächlich vorgenommenen Prüfungen als ein „stumpfes Schwert“.46 bb) Kriminalpolitische Begründung „Allein fiskalische Interessen an der Entrichtung hinterzogener Steuern können (. . .) im Hinblick auf die heute bestehenden Ermittlungsmöglichkeiten und die verbesserte internationale Zusammenarbeit diese Privilegierung schwerlich rechtfertigen; hinzukommen muss die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit“,
entschied der BGH in seinem Beschluss vom 20.05.201047 und betonte damit die kriminalpolitische Zielsetzung der Selbstanzeige. Durch die Selbstanzeige werde dem Steuerhinterzieher seitens des Gesetzgebers eine Rückkehr zur Steuerehrlichkeit und damit eine sogenannte „goldene Brücke zur Straflosigkeit“ eröffnet.48 Die Regelung des § 371 AO solle außerdem einen psychischen Effekt auf den Täter haben, indem ihm gesetzlich dadurch ein Anreiz zur Selbstanzeige geboten wird, dass er trotz seiner bisherigen Steuerstraftaten die Aussicht auf 42 Hoffmann, Die Ausschlusstatbestände der Selbstanzeige bei der Steuerhinterziehung, S. 9; Lencker/Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 (124). 43 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 39. 44 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 39. 45 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 19. 46 Hoffschmidt, Über die Rechtfertigung der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 10. 47 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (181). 48 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 40; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO, Rn. 28; Westpfahl, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, 1987, S. 22; Klos, NJW 1996, 2326 (2326); Lenckner/Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 (124).
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C. Systematik und Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO
Straffreiheit erhält.49 Dieser Gesichtspunkt sei im Steuerstrafrecht von besonderer Bedeutung, da Steuerstraftaten oft aufeinander aufbauen oder in unmittelbarem Zusammenhang stehen.50 Hat der Steuerpflichtige beispielsweise jahrelang Zinseinkünfte aus ausländischem Kapitalvermögen hinterzogen, und entschließt er sich fortan, diese offenzulegen, so wird die Finanzbehörde sich fragen, ob auch in den vergangenen Jahren die Zinseinkünfte ebenfalls unerklärt blieben. Daran anschließen könnte sich die Frage, ob das Kapitalvermögen durch eine nicht erklärte Schenkung oder Erbschaft erlangt worden ist. Der Steuerstraftäter kann also erst korrekte Angaben machen, wenn er die unvollständigen oder unrichtigen Angaben vergangener Veranlagungszeiträume berichtigen kann. Ohne die Möglichkeit zur Selbstanzeige nach § 371 AO müsste sich der Steuerpflichtige mittelbar selbst belasten, wenn er sich nicht erneut der Steuerhinterziehung strafbar machen will. Eine solche Selbstbelastung sei jedoch nicht mit der verfassungsrechtlich garantierten Selbstbelastungsfreiheit, dem Nemo-tenetur-Grundsatz, vereinbar.51 cc) Strafrechtliche Begründung Die Vertreter der strafrechtlichen Ansätze versuchen, die Selbstanzeige mit strafrechtlichen Überlegungen zu legitimieren, indem auf die Erklärungsansätze des Rücktritts vom Versuch nach § 24 StGB zurückgegriffen wird oder der Wiedergutmachungsgedanke angeführt werden.52 Die Einordnung des § 371 AO in die Systematik des Rücktritts wird damit begründet, dass die Rücktrittsvorschriften des StGB kein in sich geschlossenes System mit klaren Strukturprinzipien darstellen, sodass die Selbstanzeige als eigenständige Regelung im „offenen System“ 53 der Regelungen zum Rücktritt des allgemeinen Strafrechts verstanden werden könne.54 Das Element der Freiwilligkeit, das der strafbefreiende Rücktritt nach § 24 StGB voraussetzt, enthalte auch das Institut der Selbstanzeige: § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AO definiere Frei49 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 22; Wessing/Biesgen, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2016, § 371 AO Rn. 12; Breyer, Der Inhalt der strafbefreienden Selbstanzeige, S. 127 ff. 50 Hoyer, in: Gosch, AO/FGO, Stand: 01.10.2017, § 371 AO Rn. 7; Schuster, JZ 2015, 27 (30); Breyer, Der Inhalt der strafbefreienden Selbstanzeige, 1996, S. 67 ff. 51 Wulf, Stbg 2014, 271 (273); Breyer, Der Inhalt der strafbefreienden Selbstanzeige, 1996, S. 67 ff.; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 31. 52 Löffler, Grund und Grenzen der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige, S. 104; Hoffschmidt, Über die Rechtfertigung der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 158 ff.; Grötsch, Persönliche Reichweite der Sperrwirkung im Rahmen des § 371 Abs. 2 AO, S. 18 ff. 53 Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik, S. 689, 690. 54 Löffler, Grund und Grenzen der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige, S. 165, 166; Bauerle, BB 1953, 28 (28); so ähnlich auch Hoffschmidt, Über die Rechtfertigung der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 158.
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willigkeit im Sinne einer Berechenbarkeit der strafrechtlichen Konsequenzen berichtigender Erklärungen. Außerdem sei mit § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO, nach dem bereits die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung die Selbstanzeige sperrt, „ein deutlicher Schritt auch in Richtung der Freiwilligkeit getan, denn bei der bisherigen Regelung konnte man nicht wirklich annehmen, dass Selbstanzeigen (unmittelbar) vor einer Außenprüfung ein Ausdruck einer autonomen Entscheidung gewesen wären.“ 55
Der Gesetzgeber habe zwar das Kriterium der Freiwilligkeit nicht ausdrücklich in den Wortlaut des § 371 Abs. 2 AO aufgenommen, dafür aber die Situationen, in denen der Steuerhinterzieher freiwillig oder unfreiwillig handelt, generalisierend und objektivierend beschrieben.56 Weiterhin rechtfertige der Wiedergutmachungsaspekt der Selbstanzeige in vielen Fällen die Straffreiheit des Steuerstraftäters: Durch die Nachentrichtung der hinterzogenen Steuern und der Zinsen nach § 371 Abs. 3 AO werde das Erfolgsunrecht und durch die Abgabe der Berichtigungserklärung das Handlungsrecht der Steuerstraftat kompensiert.57 dd) Zwischenergebnis Der fiskalpolitische Ansatz, die Selbstanzeige bezwecke die Erschließung bisher verheimlichter Steuerquellen, findet sich im Wortlaut des § 371 Abs. 1 bis 3 AO wieder: § 371 Abs. 1 AO zwingt den Steuerstraftäter seine bisherigen falschen Angaben zu berichtigen und damit Einkommensquellen zu offenbaren und § 371 Abs. 3 AO macht die Straffreiheit von der Nachentrichtung der hinterzogenen Steuern einschließlich Zinsen abhängig.58 Sollte der Staat aber bereits Kenntnis von verborgenen Steuerquellen haben, so bestimmt § 371 Abs. 2 AO, dass eine Selbstanzeige ab diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich ist.59 Ferner er55
Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 27. Vgl. z. B. Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 100; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 202. 57 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 27; Löffler, Grund und Grenzen der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige, S. 171, 172; Breyer, Der Inhalt der strafbefreienden Selbstanzeige, S. 119; Frees, Die steuerliche Selbstanzeige, S. 72. 58 So auch Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 30. 59 So auch Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 30. Kritisch Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 28: „Dass dabei ,unbekannte Steuerquellen zu sprudeln beginnen‘ (. . .) ist angenehme Nebenfolge, aber vom Gesetz nicht vorausgesetzt.“; ebenfalls kritisch Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 38, die im fiskalpolitischen Ansatz keine Erklärung dafür sehen, weshalb neben der Nachzahlung der vorenthaltenen Steuern zugleich eine Nachholung der unterlassenen Angaben bzw. eine Berichtigung der unrichtigen Angaben erfolgen muss, um Straffreiheit zu erlangen. 56
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gibt die historische Betrachtung der Norm, dass das Institut der Selbstanzeige dem Zweck dienen sollte, dem Staat bislang verheimlichte Steuerquellen zu erschließen.60 Problematisch am fiskalpolitischen Ansatz ist allerdings, dass heutzutage bessere Ermittlungsmöglichkeiten und eine verbesserte internationale Zusammenarbeit bestehen, die es dem Staat ermöglichen, Steuerquellen auch ohne Selbstanzeige des Steuerpflichtigen zu entdecken.61 Es ist daher schwierig, die Selbstanzeige allein mit fiskalpolitischen Überlegungen zu legitimieren. Die kriminalpolitische Erwägung, die Selbstanzeige ermögliche dem Steuersünder die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit, findet ihre Stütze im jüngsten Willen des Gesetzgebers. Der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung lässt sich entnehmen, dass das „Ziel der strafbefreienden Selbstanzeige (. . .) die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit“ ist.62 Freilich lässt sich nicht tatsächlich prüfen, ob der steuerpflichtige Bürger nicht vielmehr durch die drohende Entdeckungsgefahr zur Selbstanzeige motiviert wird.63 Genauso wenig lässt sich jedoch ausschließen, dass manche Steuerpflichtige eben in der Rückkehr zur Steuerehrlichkeit den ausschlaggebenden Anreiz für die Erstattung der Selbstanzeige sehen. Der Wiedergutmachungsgedanke überzeugt, jedoch nur teilweise: Zwar spiegelt auch er sich in dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 und 3 AO wider, mit ihm lässt sich jedoch nicht erklären, wie der Eintritt der Straffreiheit in dem Fall von fremdnützig hinterzogenen Steuern zu rechtfertigen ist, da hier die Straffreiheit nicht davon abhängt, dass Steuern und Zinsen nachentrichtet werden.64 Die Einordnung der Selbstanzeige in die Rücktrittssystematik des § 24 StGB scheitert an der bei § 371 AO eben nicht geregelter Voraussetzung der Freiwilligkeit der Abgabe der Selbstanzeige und zudem daran, dass die Selbstanzeige nicht nur bei einer versuchten Steuerhinterziehung, sondern auch bei einer vollendeten möglich ist. § 371 AO sieht gerade keine bestimmten Motive für die Erstattung der Selbstanzeige vor; ob sie freiwillig oder unfreiwillig erfolgt, ist unerheblich.65 § 371 AO verwendet sowohl hinsichtlich der positiven als auch hinsicht60
BT-Drs. 1/2395, S. 2; BT-Drs. 17/4182, S. 4. BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (181). Vgl. hierzu zum Beispiel den Sachverhalt zur Entscheidung des BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, wistra 2017, 390. Hier hat der Fiskus von der Steuerstraftat im Wege internationaler Rechtshilfe von griechischen Behörden erfahren. 62 BT-Drs. 18/3018, S. 8. So auch schon BGH, Urt. v. 11.11.1958, 1 StR 370/58, BGHSt 12, 100. 63 Löffler, Grund und Grenzen der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige, S. 101; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 43. 64 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 30; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 29, 142. 65 So auch Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 64; Müller, Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 84; Parsch/Nuzinger, Selbstanzeigeberatung in der Praxis, Rn. 18. 61
II. Auslegung der Sperrgründe
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lich der negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen äußere Tatsachen, deren Vorliegen regelmäßig objektiv festgestellt werden kann.66 Hätte der Gesetzgeber das Element der Freiwilligkeit in die Selbstanzeige einfließen lassen wollen, so hätte er dieses Tatbestandsmerkmal in den Wortlaut aufgenommen.67 Als Vorbild hätte die Regelung des § 50 Abs. 2 des Erbschaftsteuergesetzes vom 03.06.190668 dienen können, die ausdrücklich eine Berichtung der Angaben aus „freien Stücken“ fordert: Danach findet eine „Bestrafung (. . .) nicht statt, wenn der Verpflichtete vor erfolgter Strafanzeige oder bevor eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet ist, aus freien Stücken seine Angaben berichtigt“.69 Nun das Merkmal der Freiwilligkeit in § 371 AO hineinzulesen verstößt gegen das Analogieverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG, das – wie oben dargestellt70 – aus der Einordnung der Selbstanzeige als persönlicher Strafaufhebungsgrund zu beachten ist und eine erweiternde Auslegung der Regelungen zu Lasten der Steuerhinterzieher nicht erlaubt.71 So möge § 371 Abs. 2 AO zwar eine gewisse Nähe zum Freiwilligkeitskriterium aufweisen, berücksichtigt werden darf dies jedoch nicht im Rahmen der Auslegung der Sperrgründe.72 Dem Fiskus ist es im Übrigen gleichgültig, ob ein Steuerpflichtiger freiwillig oder unfreiwillig eine Selbstanzeige erstattet. Ihm kann es sogar recht sein, wenn der Steuerhinterzieher unfreiwillig handelt, solange hierdurch Steuerquellen erschlossen werden, sodass gerade der Verzicht auf das Freiwilligkeitskriterium dafür spricht, dass mit § 371 AO steuerpolitische Zwecke verfolgt werden.73 Der Einordnung der Selbstanzeige in die Rücktrittsystematik kann daher nicht gefolgt werden. Die übrigen Begründungsansätze haben zwar die aufgezeigten Schwächen. In ihrer Gesamtschau vermögen sie jedoch das Institut der Selbstanzeige 66 Problematisch ist jedoch das objektive Feststellen des Sperrgrundes der Tatentdeckung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, da die Entdeckung der Tat eine verwaltungsinterne Tatsache darstellt. Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 35. 67 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 19; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 25. 68 RGBl. 1906, S. 654. 69 So auch Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 25. 70 Siehe hierzu oben auf S. 25. 71 So auch Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 55. 72 So auch Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 186; Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 165; a. A. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 64, die zwar einerseits vertreten, dass der Täter nicht freiwillig im Sinne des § 24 StGB handeln muss, aber andererseits, in den Sperrgründen „Umschreibungen einer typisierten Unfreiwilligkeit“ sehen, die im Rahmen deren Auslegung zu beachten sei. 73 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 17.
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C. Systematik und Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO
zu rechtfertigen. Sinn und Zweck der Selbstanzeige ist somit zusammenfassend in der Mehrung von Steuereinnahmen und der Honorierung der Rückkehr in die Steuerehrlichkeit zu sehen. 3. Stellungnahme: Sperrgründe sind restriktiv auszulegen Weder dem Wortlaut noch der Systematik des Gesetzes lassen sich eindeutige Rückschlüsse für die Auslegung der Sperrgründe ziehen74. Aus der historischen Betrachtung des Instituts der Selbstanzeige ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber ursprünglich beabsichtigte, mit Hilfe der Selbstanzeigen an verborgene Steuerquellen zu gelangen und zugleich die Rückkehr des Steuerhinterziehers in die Steuerehrlichkeit zu honorieren. Zuletzt sprach der Gesetzgeber allerdings nur noch vom Ziel der Rückkehr zur Steuerehrlichkeit und unterzog § 371 AO verschärften Anforderungen, sodass nun unklar ist, welche Schlussfolgerungen hieraus für die Auslegung des § 371 AO zu ziehen sind. Die Entstehungsgeschichte ist jedoch geeignet, die hier vertretene Auffassung, wonach mit der Selbstanzeige sowohl fiskalpolitische als auch kriminalpolitische Zwecke verfolgt werden, zu bestätigen.75 Für die Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO bedeutet dies in dieser Arbeit Folgendes: Sie sind, um einen Anreiz zur Erstattung von Selbstanzeigen zu schaffen und auf diese Weise die Steuereinnahmen zu erhöhen, restriktiv auszulegen. Da nach der hier vertretenen Auffassung die strafrechtlichen Begründungsansätze das Institut der Selbstanzeige nicht zu rechtfertigen vermögen, dürfen außerdem das den Rücktritt nach § 24 StGB prägende Kriterium der Freiwilligkeit sowie Wiedergutmachungsgedanken nicht in die Auslegung der Ausschlussgründe einfließen.
74
Siehe hierzu oben auf S. 36 f. Zur Rolle der historischen Auslegung, vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.05.1960, 2 BvL 11/59, BVerfGE 11, 126 (131): „(. . .) und daß der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zukommt, ,als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können‘“. 75
D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Kapitels A. werden nun die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Sperrgrundes der Tatentdeckung untersucht, um letztlich die Grundlagen für die Subsumtion unter praktisch relevante Fälle zu ermöglichen. Wie oben erwähnt beinhaltet der Sperrgrund der Tatentdeckung nicht nur objektive Voraussetzungen, sondern hat auch eine subjektive Komponente, nach der der Täter von der Tatentdeckung Kenntnis haben oder mit ihr bei verständiger Würdigung der Sachlage rechnen musste. Nachfolgend werden zunächst die objektiven Voraussetzungen des Sperrgrundes betrachtet. Bereits jetzt sei erwähnt, dass, obwohl das Ziel verfolgt wird, die Tatbestandsmerkmale des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO aus Gründen der Übersichtlichkeit und dem damit bezweckten besseren Verständnis einzeln zu betrachten, eine saubere Trennung zwischen den Voraussetzungen nicht möglich ist. Beginnt man beispielsweise – wie hier – mit der Begriffsklärung der Entdeckung, so wird seitens der Rechtsprechung und Literatur häufig die Kenntnis oder ein bestimmtes Verständnis des Begriffs der Tat vorausgesetzt.1 Die Anforderungen an eine Tatentdeckung betreffen auch die Frage, ob eine Steuerstraftat sowohl in objektiver als auch in subjektiver Sicht entdeckt zu sein braucht. Ferner ist mit dem Vorliegen einer Tatentdeckung die Frage verbunden, ob die Kenntnis der Person des Täters erforderlich ist. Oder aber, es wird im Rahmen der Definition der Entdeckung bereits darauf eingegangen, wer als Entdecker in Betracht kommt.2 Entschließt man sich nicht nur auf den Begriff der „Entdeckung“, sondern zugleich auf die Tatentdeckung einzugehen, so läuft man Gefahr, die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf den Begriff der Tat und den Begriff der Entdeckung durcheinanderzubringen. Eine von den restlichen Voraussetzungen des Sperrgrunds der Tatentdeckung losgelöste Untersuchung des Begriffs des Entdeckens ist auch deshalb schwierig, weil die Ansichten in der Rechtsprechung und Literatur zu dem Begriff der Tatentdeckung als ein Begriff entwickelt wurden. Nur sporadisch wird auf den Begriff des Entdeckens unabhängig von der Tat eingegangen.3
1 2 3
Vgl. z. B. BGH, Beschl. v. 05.04.2000, 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427 (430). Vgl. z. B. OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974. Vgl. BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (186).
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Im Folgenden wird unter Berücksichtigung dieser einleitenden Hintergrundinformation zunächst der Begriff der Tatentdeckung mit dem Fokus auf den Begriff der Entdeckung untersucht.
I. Begriff der Entdeckung 1. Entdeckung einer Tat als objektive Voraussetzung Das Tatbestandsmerkmal der Entdeckung einer Steuerstraftat wird heute unstreitig als eine objektive Voraussetzung behandelt. Früher wurde teilweise die Ansicht vertreten, § 410 Abs. 2 AO 19514 beziehungsweise § 395 Abs. 2 AO 19685 (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO in der heutigen Fassung) stelle – anders als § 46 Nr. 2 des Reichsstrafgesetzbuchs (RStGB) vom 15.05.18716 (§ 24 StGB in der heutigen Fassung), der von einer „entdeckten Handlung“ sprach – nicht auf eine tatsächliche „Entdeckung“ der Tat ab, sondern allein auf die subjektive Vorstellung des Täters von der Tatentdeckung.7 Nach dieser Ansicht war die Selbstanzeige somit ausgeschlossen, wenn der Steuerstraftäter um die Verletzung seiner steuerlichen Verpflichtungen wusste und damit rechnen musste, dass die Tat entdeckt war, auch wenn sie im Zeitpunkt der Selbstanzeige noch nicht entdeckt gewesen war, sodass auch die irrtümliche Annahme der Entdeckung für den Eintritt der Sperrwirkung genügte.8 Gestützt wurde diese Auffassung unter anderem auf den Wortlaut des § 395 Abs. 2 AO 1968, nach dem – man beachte die umgekehrte Reihenfolge der Voraussetzungen – Straffreiheit nicht eintrat, wenn „der Täter im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung wußte oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen mußte, daß die Tat ganz oder zum Teil bereits entdeckt war“. Die Formulierung lege den Schluss nahe, dass die subjektive Einstellung des Täters allein entscheidend sei: Während die Variante des „Wissens“ von der Tatentdeckung deren tatsächliches Vorliegen be4 Gesetz zur Änderung des § 410 der Reichsabgabenordnung v. 07.12.1951 (BGBl. I 1951, S. 941). 5 Zweites Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze (2. AOStrafÄndG) v. 12.08.1968 (BGBl. I 1968, 953). 6 Vor 1975 galt nahezu ein Jahrhundert lang § 46 des Reichsstrafgesetzbuches vom 15.05.1871 (RGBl. I S. 127). § 46 Nr. 2 RStGB 1871 lautete: „Der Versuch als solcher bleibt straflos, wenn der Täter (. . .) 2. zu einer Zeit, zu welcher die Handlung noch nicht entdeckt war, den Eintritt des zur Vollendung des Verbrechens oder Vergehens gehörigen Erfolges durch eigene Tätigkeit abgewendet hat.“ 7 Henneberg, Inf 1971, 351 (353); Leise, BB 1972, 1500 (1502); Kopacek, BB 1961, 41 (45); Hartung, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 1962, Anm. V 3 b. 8 Leise, Steuerverfehlungen, S. 217; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 301; Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 128, mit der Begründung, es sei überflüssig einem potentiell Selbstanzeigewilligen die Straffreiheit „nachzuwerfen“, wenn dieser ohnehin seine Bestrafung in Kauf nimmt, indem er dennoch Selbstanzeige erstattet; Kopacek, Steuerstraf- und Bußgeldfreiheit, S. 174 f.; ders., NJW 1970, 2098 (2098).
I. Begriff der Entdeckung
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grifflich voraussetze, böte die zweite Variante – der Täter musste bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen, dass die Tat bereits entdeckt war – Auslegungsspielraum.9 Außerdem handele derjenige nicht freiwillig, der irrig annimmt, bereits entdeckt zu sein.10 Herrschend11 war dagegen auch schon früher die Auffassung, dass es sich bei der Entdeckung der Tat um eine objektive Voraussetzung für den Nichteintritt der Straffreiheit durch eine Selbstanzeige handelt, zu der noch in subjektiver Hinsicht beim Täter das Wissen oder das DamitRechnen-Müssen um die Tatentdeckung hinzutreten muss. Dem Vorschlag des Finanzausschusses des Bundestages12 entsprechend, „klarzustellen, daß es für die Rechtzeitigkeit der Selbstanzeige darauf ankommt, ob die Tat objektiv bereits entdeckt war“ und, dass die irrtümliche Annahme der Entdeckung für die strafbefreiende Selbstanzeige unschädlich ist, wurde diese Meinungsstreitigkeit durch die Neufassung der Abgabenordnung vom 16.03. 197613 im Sinne des früheren herrschenden Meinung beseitigt. Der Wortlaut des seitdem den Sperrgrund der Tatentdeckung regelnden § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 wurde dahingehend umgestellt, dass nun zuerst die Entdeckung der Tat und sodann das Wissen oder Damit-Rechnen-Müssen des Täters angeführt werden. 2. Gesetzesmaterialien Obwohl der Sperrgrund der Tatentdeckung wesentlich durch die Auslegung des Begriffs der Entdeckung geprägt wird, findet sich eine Definition dieses Begriffs nicht im Gesetz. Die Formulierung der „Gefahr der Entdeckung“ tauchte wie oben dargestellt bereits in § 374 RAO 1919 auf. Abgesehen davon, dass es sich bei der „Gefahr der Entdeckung“ um eine subjektive Voraussetzung handelte und das Verständnis dieses Begriffs daher nicht ohne Weiteres auf die Entdeckung einer Tat als objektive Voraussetzung übertragen werden könnte, sind – soweit ersichtlich – keine Gesetzesmaterialien vorhanden, die Auskunft darüber geben können, wie der Reichsgesetzgeber den Begriff verstand. Mit dem Gesetz zur Änderung des § 410 RAO vom 07.12.195114 tauchte erstmals die Entdeckung einer Tat als objektive Voraussetzung auf. Den Gesetzesmaterialien lässt sich nur so viel entnehmen, dass der Entwurf des Gesetzes zur 9
Leise, Steuerverfehlungen, S. 214. Hartung, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 1962, Anm. V 3 b. 11 OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974 (976); OLG Hamm, Urt. v. 26.10.1962, 1 Ss 913/62, BB 1963, 459 (459); Meyer, in: Troeger, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 1957, S. 261; Mattern, NJW 1951, 937 (940); Maassen, FR 1954, 293 (293); Barske/Gapp, Steuerstrafrecht und Steuerverfahrensrecht, S. 87. 12 BT-Drs. 7/4292, 44, 134. 13 BGBl. I 1976, S. 613. 14 BGBl. I 1951, 941. 10
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Änderung des § 410 RAO vom 30.06.195115 vorsah, Straffreiheit nicht nur bei Entdeckung einer Tat auszuschließen, sondern auch bereits dann, wenn „ihre Entdeckung unmittelbar bevorstand“. Aus den Plenarprotokollen und Bundesdrucksachen der ersten Wahlperiode lässt sich leider nicht herleiten, weshalb diese zusätzliche Variante nicht Gesetz wurde. Die Tatsache, dass diese Variante nicht Gesetz wurde, spricht jedoch dafür, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen für das Eingreifen des Ausschlussgrundes nicht so weit herabsenken wollte, dass bereits eine unmittelbar bevorstehende Tatentdeckung bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Selbstanzeige sperrt; nur die tatsächliche Tatentdeckung sollte die Selbstanzeige ausschließen können. 3. Auslegung durch die Rechtsprechung a) Untergerichtliche Rechtsprechung Seitens der Rechtsprechung hatte sich erstmals, soweit ersichtlich, das AG Husum in seinem Urteil vom 08.06.195316 mit dem Begriff der Entdeckung auseinandergesetzt. In der Entscheidung bejahte das AG „ohne Bedenken“ die Entdeckung der Tat, da ein Beamter Kontokarten gefunden hatte und damit auch „sogleich den dringenden Verdacht der Steuerhinterziehung geschöpft hatte (. . .). Ein derartiger dringender, durch Beweismittel erhärteter Verdacht m[üsse] aber ausreichen, um die Tat bereits als entdeckt anzusehen.“ Das LG Flensburg bestätigte in seinem Urteil vom 20.08.195317 die Entscheidung AG Husum im Ergebnis, umschrieb jedoch Entdeckung nicht mit dringendem Tatverdacht einer Steuerhinterziehung. Seiner Ansicht nach bedeute Entdeckung „nicht soviel wie Gewißheit. Andererseits reicht ein bloßer Verdacht noch nicht aus“. b) Obergerichtliche Rechtsprechung Das OLG Frankfurt18 beschäftigte sich soweit ersichtlich in seinem Urteil vom 18.10.1961 als erstes oberes Gericht mit der Auslegung des Sperrgrunds der Tatentdeckung. Zum Merkmal der „Entdeckung“ einer Tat führte es aus: 15
BT-Drs. 1/2395, S. 2. AG Husum, Urt. v. 08.06.1953, 3 b Ms 119/52 (180/52), DStRu 1953, 547 (547). 17 LG Flensburg, Urt. v. 20.08.1953, 3 b Ms 119/52 – NS – (II B 62/53), DStRu 1953, 547 (548). 18 OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974 ff. In der Entscheidung problematisiert das Gericht, ob ein Schreiben des Steuerberaters, in dem dieser lediglich mitteilt, dass sein Mandant, der Steuerstraftäter, seit längerer Zeit eine Arztpraxis führe, steuerlich jedoch nicht registriert sei und auch keine Steuern gezahlt habe, zur Tatentdeckung führt, wenn dieses als Selbstanzeige zu wertende Schreiben aufgrund des Nachreichens der konkreten Besteuerungsgrundlagen als unwirksam erachtet wird. Das OLG Frankfurt lehnte dies letztlich ab. 16
I. Begriff der Entdeckung
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„,Entdeckt‘ i. S. des Gesetzes ist eine bisher unbekannte Tat, wenn ein Unbeteiligter, der nicht zum Kreis des Täters gehört, das Vorliegen einer strafbaren Handlung erkannt hat. Es ist nicht erforderlich, daß alle Einzelheiten für ihre rechtliche und tatsächliche Beurteilung offenbar sind; jedoch muß der wesentliche geschichtliche Ablauf der Straftat bekannt geworden sein. Infolgedessen ist die Tat noch nicht entdeckt, wenn außer dem Täter Personen seines Vertrauens – hier seine Frau und der Steuerberater – von ihr wissen.“
Das OLG Hamburg führte in seinem Urteil vom 27.01.197019 hinsichtlich des Begriff des Entdeckens aus, das Merkmal der Entdeckung sei nicht erst dann erfüllt, wenn dem Finanzamt die konkrete Höhe der hinterzogenen Steuerschuld bekannt ist. Die Tat sei vielmehr dann entdeckt, wenn die Finanzbehörde so viel erfahren habe, dass sie „bei pflichtgemäßem Verhalten die Strafverfolgung in Gang setzt“. Sollte der nicht rechtzeitige Eingang einer Steuererklärung nicht die Einleitung eines Strafverfahrens auslösen, so bedeute dies, dass die Tat noch nicht entdeckt war, weil dem Finanzamt noch nicht genügend Umstände bekannt waren. Das BayObLG20 ergänzte die Definition des Begriffs der Entdeckung des OLG Frankfurt21 dahingehend, dass der Unbeteiligte, nicht zum Kreis des Täters Gehörige, entweder die strafbare Handlung „oder ihre Wirkungen wahrgenommen“ haben müsse. Erfolgt eine Entdeckung durch das Finanzamt, so führt das BayObLG entsprechend dem OLG Hamburg aus, sei es entscheidend, „ob die Behörde von der Tat einschließlich ihrer subjektiven Merkmale so viel weiß oder zu wissen glaubt, daß sie bei pflichtgemäßem Verhalten die Strafverfolgung in Gang setzt oder setzen kann“. Wendet man diese Grundsätze auf die Entdeckung einer Steuerhinterziehung an, so bedeute dies, dass „der Behörde zureichende Anhaltspunkte bekannt sein müssen, die den konkreten Verdacht einer Steuerhinterziehung in objektiver und subjektiver Beziehung ergeben“. c) Höchstrichterliche Rechtsprechung aa) Erstmalige Definition im BGH-Urteil vom 13.05.1983 – 3 StR 82/8322 Der BGH setzte sich zum ersten Mal in seiner Entscheidung vom 13.05.1983 mit der Auslegung des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO auseinander, wobei der Fokus der Entscheidung auf der Definition des Begriffs der Tatent19 OLG Hamburg, Urt. v. 27.01.1970, 2 Ss 191/69, NJW 1970, 1385 ff. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt gab ein Architekt teilweise überhaupt keine Umsatzsteuererklärungen und Einkommensteuererklärungen ab, teilweise mit erheblicher Verspätung, und verwirklichte damit eine Steuerhinterziehung durch Nichtabgabe der Steuererklärungen. 20 BayObLG, Urt. v. 04.06.1970, RReg. 4 St 23/70, BayObLGSt 1970, 132 (132). 21 OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974 (976). 22 BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415–415.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
deckung lag. Eine Tat im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO sei nicht schon bei bloßem Tatverdacht entdeckt. Für diese Auslegung spreche zum einen der Wortsinn des Merkmals des Entdeckens, „der die Fälle bloßen Verdachtschöpfens nicht mit umfaßt“. Das Tatbestandsmerkmal der Tatentdeckung erfordere „mehr als die Kenntnis von Anhaltspunkten, die zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Anlaß geben können, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit späterer Aufklärung gegeben ist“. Zum anderen liefert der BGH eine gesetzessystematische Überlegung, wonach eine andere Auslegung im Widerspruch zu § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO stehen würde. Denn § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO knüpfe den Ausschluss der Straffreiheit an die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens, versage diese aber nur dann, wenn dem Steuerstraftäter die Einleitung des Verfahrens bekanntgegeben wurde. Der Vorschrift des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO sei entgegen der Ansicht der OLG Hamburg23 zu entnehmen, dass die Entdeckung der Tat nicht notwendig mit dem Zeitpunkt zusammenfällt, in dem die Finanzbehörde zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verpflichtet sei. „Es bedarf vielmehr einer Konkretisierung des Tatverdachts, die gegeben ist, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist.“ Ein bloßer Anfangsverdacht genüge dagegen nicht. In den nachfolgenden Entscheidungen zieht der BGH seine in diesem Urteil vom 13.05.1983 entwickelte Begriffsdefinition heran, wonach eine Steuerstraftat nicht schon beim Bekanntwerden von Tatsachen, die zur Einleitung von Ermittlungen Anlass geben können, entdeckt ist, sondern erst dann, wenn Anhaltspunkte ermittelt sind, die eine vorläufige Tatbewertung im Sinne der Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses ermöglichen.24 bb) Konkretisierung des Begriffs der Entdeckung im „Selbstanzeigebeschluss“ vom 20.05.2010 – 1 StR 577/0925 Ausführlich auf den Begriff der Entdeckung der Tat geht der BGH erst wieder in seinem „Selbstanzeigebeschluss“ vom 20.05.2010 ein. In dieser Entscheidung vertieft der BGH seine Auslegung des Begriffs der Entdeckung, indem er erneut auf den Wortlaut eingeht: „Das Wort ,entdecken‘ ist – wie im allgemeinen Sprachgebrauch – dahin zu verstehen, dass Unbekanntes, Verborgenes aufgefunden wird. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt ist dabei nicht der Begriff des Anfangsverdachts (vgl. BGH, wistra 2000, 219, 23
OLG Hamburg, Urt. v. 27.01.1970, 2 Ss 191/69, NJW 1970, 1385 ff. Vgl. BGH, Urt. v. 24.10.1984, 3 StR 315/84, NStZ 1985, 126–126; BGH, Urt. v. 13.05.1987, 3 StR 37/87, NStZ 1987, 464–465; BGH, Urt. v. 12.08.1987, 3 StR 10/87, BGHSt 35, 36–38; BGH, Urt. v. 27.04.1988, 3 StR 55/88, NStZ 1988, 413–414; BGH, Beschl. v. 30.03.1993, 5 StR 77/93, wistra 1993, 227–228; BGH, Beschl. v. 05.04.2000, 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427–430; BGH, Urt. v. 05.05.2004, 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136–147. 25 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180–190. 24
I. Begriff der Entdeckung
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225), sondern der der ,Tatentdeckung‘. Bei diesem Begriff handelt es sich um ein Tatbestandsmerkmal, das mit den üblichen strafprozessualen Verdachtsgraden nicht gleichgesetzt werden kann; es hat einen eigenständigen Bedeutungsgehalt.“ 26
Die im Urteil vom 13.05.1983 entwickelte Definition, wonach Tatentdeckung dann vorliegt, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist, konkretisiert hier der BGH dahingehend, dass diese Definition „eine doppelte, zweistufige Prognose“ enthält: „Zunächst ist – auf der Grundlage der vorhandenen, regelmäßig noch unvollständigen Informationen – die Verdachtslage, und zwar vorläufig, zu bewerten. Aufbauend auf dieser bloß vorläufigen Bewertung muss der Sachverhalt, auf den sich der Verdacht bezieht, zudem rechtlich geeignet sein, eine Verurteilung wegen einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit zu rechtfertigen. Ist das Vorliegen eines Sachverhalts wahrscheinlich, der die Aburteilung als Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit rechtfertigen würde, ist die Tat entdeckt. Die Anforderungen an diese Wahrscheinlichkeitsprognose dürfen schon deshalb nicht zu hoch angesetzt werden, weil sie auf einer (noch) schmalen Tatsachenbasis erfolgen muss.“ 27
Zur Verdeutlichung seines Verständnisses des Begriffs der Tatentdeckung führt der BGH ein Negativbeispiel an: Keine Tatentdeckung stellt danach allein die Kenntniserlangung von einer Steuerquelle dar. Außerdem beschreibt er einen Sachverhalt, bei welchem stets von Tatentdeckung auszugehen ist: „Stets ist die Tat entdeckt, wenn der Abgleich mit den Steuererklärungen des Steuerpflichtigen ergibt, dass die Steuerquelle nicht oder unvollständig angegeben wurde“, relativiert diese klare Grenze aber wiederum, indem er ausführt, dass Entdeckung auch schon vor einem Abgleich der Steuererklärungen denkbar ist, „etwa bei Aussagen von Zeugen, die dem Steuerpflichtigen nahe stehen und vor diesem Hintergrund zum Inhalt der Steuererklärungen Angaben machen können, oder bei verschleierten Steuerquellen, wenn die Art und Weise der Verschleierung nach kriminalistischer Erfahrung ein signifikantes Indiz für unvollständige oder unrichtige Angaben ist.“ 28
Letztlich stellt der BGH klar, dass die Frage, wann Tatentdeckung vorliegt, sich nicht schematisch beantworten lasse, sondern eine Frage des Einzelfalls sei. In der Regel liege Tatentdeckung vor, „wenn unter Berücksichtigung der zur Steuerquelle oder zum Auffinden der Steuerquelle bekannten weiteren Umstände nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit nahe liegt“.29 Hinreichender Tatverdacht im Sinne der §§ 170 Abs. 2, 203 StPO sei dagegen nicht erforderlich, da die hierfür notwendige Prognose der Verurteilungswahr26 27 28 29
BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1
StR 577/09, BGHSt 55, 180 (186). StR 577/09, BGHSt 55, 180 (186, 187). StR 577/09, BGHSt 55, 180 (188). StR 577/09, BGHSt 55, 180 (188).
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
scheinlichkeit auf einem ausermittelten Sachverhalt beruhe, die sich bei einer entdeckten Tat gar nicht stellen lasse, da hier die Entdeckung vielmehr den Ausgangpunkt für die dann gebotenen Ermittlungen darstelle. Außerdem bliebe für die Anwendung des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO „bei dem engeren – einen hinreichenden Tatverdacht i. S. von § 170 Abs. 1; § 203 StPO fordernden – Verständnis des Begriffs der Tatentdeckung keine eigenständige Bedeutung mehr, weil die Anforderungen für einen hinreichenden Tatverdacht regelmäßig Maßnahmen nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 AO voraussetzen.“ 30
Seine im Selbstanzeigebeschluss konkretisierten Ausführungen zum Begriff der Tatentdeckung wiederholt der BGH in seinem jüngsten, auch als „Panzerhaubitzen-Entscheidung“ bezeichneten, Urteil vom 09.05.2017.31 d) Exkurs: Begriff der Entdeckung nach Auffassung des Reichsgerichts Da wie oben dargestellt ein gesonderter Sperrgrund der Tatentdeckung erst 1951 eingeführt wurde, fehlt es an Rechtsprechung hinsichtlich des Begriffs der Entdeckung im Rahmen dieses Ausschlussgrundes. Allerdings befasste sich das Reichsgericht bereits im 19. Jahrhundert mit dem Begriff der Entdeckung im Zusammenhang mit den § 46 Nr. 2 und § 310 RStGB 1871.32 § 46 RStGB 1871 regelte den Rücktritt vom Versuch einer Straftat und lautete: „Der Versuch als solcher bleibt straflos, wenn der Täter (. . .) 2. zu einer Zeit, zu welcher die Handlung noch nicht entdeckt war, den Eintritt des zur Vollendung des Verbrechens oder Vergehens gehörigen Erfolges durch eigene Tätigkeit abgewendet hat.“
§ 310 RStGB 1871 lautete: „Hat der Täter den Brand, bevor derselbe entdeckt und ein weiterer als der durch die bloße Inbrandsetzung bewirkte Schaden entstanden war, wieder gelöscht, so wird er nicht wegen Brandstiftung bestraft.“
Das RG legte den Begriff der Entdeckung in beiden Norm gleich aus.33 Nach seiner Auffassung stelle nicht schon jede Beobachtung einer strafbaren Handlung durch einen anderen eine Entdeckung dar, weil eine solche Annahme in dieser Allgemeinheit zu weit ginge. „Zur ,Entdeckung‘ gehört allerdings, daß ein anderer die strafbare Handlung selbst oder ihre Wirkungen wahrnimmt.“34 Nicht erforderlich sei es grundsätzlich, dass der Tatentdecker alle Einzelheiten der Hand-
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BGH, Beschl. v. 20.05.2010 – 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (187). BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, wistra 2017, 390–399. 32 RGBl. 1871 I, S. 127. 33 Vgl. RG, Urt. v. 28.05.1937, 1 D 357/37, RGSt 71, 242 (243); RG, Urt. v. 23.03.1906, 578/05, RGSt 38, 402 (403); RG, Urt. v. 17.12.1931, II 938/31, RGSt 66, 61 (63); RG, Urt. v. 08.12.1880, 3020/80, RGSt 3, 93 (94); RG, Urt. v. 03.05.1880, 1049/80, RGSt 1, 375 (377). 34 RG, Urt. v. 28.05.1937, 1 D 357/37, RGSt 71, 242 (243). 31
I. Begriff der Entdeckung
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lung wahrnimmt, die nötig sind, um sie abschließend tatsächlich oder rechtlich beurteilen zu können. Die Erkenntnis müsse aber soweit reichen, dass er den Erfolg der Handlungen des Täters entweder verhindern oder anzeigen könne, wobei die Untätigkeit des Entdeckers jedoch grundsätzlich ohne Bedeutung sei. 4. Auslegung durch die Literatur a) Vorstufe des Anfangsverdachts Nach einer früher vertretenen Mindermeinung35 in der Literatur handelte es sich bei der Tatentdeckung um eine Vorstufe des Anfangsverdachts gemäß § 152 Abs. 2 StPO; die Tatentdeckung gehe dem schlichten Tatverdacht logisch und zeitlich voraus. Begründet wird dies zum einen mit Hilfe der Auslegung des Begriffs der Entdeckung in den Normen des allgemeinen Strafrechts. Beispielsweise werden die eben genannten Normen, § 46 Nr. 2 StGB in der Fassung bis zum 01.01.1975 und § 310 StGB in der Fassung bis zum 31.01.1998 angeführt.36 Die Auslegung des Begriffs der Entdeckung in diesen Vorschriften gehe dahin, dass Tatentdeckung dann vorliegt, „wenn ein nicht im Kreis des Täters gehöriger unbeteiligter Dritter von dem zugrundeliegenden Sachverhalt so viel selbst wahrgenommen und von seinem kriminellen Unrechtsgehalt so viel erkannt hat, daß von ihm zu erwarten ist, daß er die Strafverfolgung veranlassen werde“.37
Würde man für eine Tatentdeckung mehr an Kenntnis voraussetzen als zur Einleitung eines Strafverfahrens erforderlich ist, also nicht nur schlichten Tatverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO, so sei es gesetzessystematisch widersprüchlich, wieso bei der leichtfertigen Steuerverkürzung die Voraussetzungen für eine strafbefreiende Selbstanzeige gemäß § 378 Abs. 3 AO insoweit gemildert sind, als nur die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens, für die ein schlichter Anfangsverdacht genügt, und deren Bekanntgabe, die Möglichkeit zur Selbstanzeige ausschließen und nicht auch „die nach der h. L. über den einfachen Tatverdacht hinausgehende Tatentdeckung“.38 Würde man nicht nur einen Anfangsverdacht, sondern einen hinreichenden Tatverdacht für die Tatentdeckung verlangen, so müsste „auch und erst recht die Entdeckung der Tat und die Kenntnis beziehungsweise das Rechnenmüssen hiermit zum Ausschluss einer Selbstanzeige für eine leichtfertige Steuerverkürzung führen, was dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 378 Abs. 3 AO widersprechen würde“.39 35 Dietz, DStR 1981, 372 (373); Bilsdorfer, BB 1982, 670 (671); Kopacek, NJW 1970, 2098 (2099). 36 Bilsdorfer, BB 1982, 670 (671); Dietz, DStR 1981, 372 (373). 37 Bilsdorfer, BB 1982, 670 (671); Dietz, DStR 1981, 372 (373). 38 Dietz, DStR 1981, 372 (374); ders., BB 1983, 1207 (1207). 39 Dietz, DStR 1981, 372 (374); ders., BB 1983, 1207 (1207).
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Außerdem habe das Merkmal der Tatentdeckung neben dem der Einleitung des Strafverfahrens keine eigenständige Bedeutung, wie sie in § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b, Nr. 2 AO zum Ausdruck gekommen sei, wenn an das Merkmal der Tatentdeckung Anforderungen gestellt würden, die über die zur Einleitung eines Strafverfahrens für erforderlich gehaltenen weit hinausgehen.40 Das Ergebnis, wonach das Vorliegen einer Vorstufe eines Anfangsverdachts für eine Tatentdeckung genügt, wird des Weiteren damit – negativ – begründet, dass kein hinreichender Tatverdacht verlangt werden könne: Es erschließe sich nicht, wie eine Finanzbehörde ohne den verdächtigen Steuerhinterzieher zur objektiven und subjektiven Tatseite zu vernehmen, so viele Informationen gewinnen soll und damit die Tat entdecken kann, ohne vorher das Strafverfahren eingeleitet zu haben, die Einleitung bekanntgemacht und Ermittlungen durchgeführt zu haben.41 Ferner wird ein teleologisches Argument vorgebracht:42 Sinn und Zweck der Selbstanzeige sei es verborgene Steuerquellen aufzudecken. Von einer Aufdeckung verborgener Steuerquellen könne jedoch nicht erst dann gesprochen werden, wenn die Finanzbehörde über einen Erkenntnisstand verfügt, der hinreichendem Tatverdacht entspricht. Verfügt die Finanzbehörde über Kenntnisse, die es ihr ermöglichen, selbst durch eigene Ermittlungen den Rest der Besteuerungsgrundlagen aufzuklären, sei kein Grund ersichtlich, dem Steuerhinterzieher noch mit der Straffreiheit einer Selbstanzeige zu belohnen. b) Mehr als ein Anfangsverdacht Andere Stimmen in der Literatur verlangen für die Bejahung der Entdeckung einer Tat mehr als das Vorliegen eines Anfangsverdachts: Nach Hübner43 sei „entdecken“ ein Mehr gegenüber dem „Verdachtschöpfen“; erforderlich sei „die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses“. Auch Leise44 sieht für die Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ein Mehr im Vergleich zum Verdacht einer Steuerhinterziehung als erforderlich an. Es müsse zwar nicht jede Einzelheit zur rechtlichen und tatsächlichen Beurteilung der Tat bekannt sein, jedoch so viel, dass ein Ermittlungsverfahren begründet sei. Nach Auffassung von Franzen45 liegt Tatentdeckung vor, wenn ein Amtsträger der Finanzbehörde mindestens einen Teil des wirklichen Tatgeschehens oder der Tat40
Dietz, DStR 1981, 372 (373); Kopacek, NJW 1970, 2098 (2099). Dietz, DStR 1981, 372 (373); Bilsdorfer, BB 1982, 670 (673); ders., wistra 1984, 131 (134). 42 Dörn, wistra 1993, 169 (170). 43 Hübner, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, Stand: Oktober 1977, § 371 Rn. 110. 44 Leise, Steuerverfehlungen, 1977, S. 212; ders., BB 1972, 1500 (1501). 45 Franzen, in: Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 1985, § 371 AO Rn. 120. 41
I. Begriff der Entdeckung
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folgen unmittelbar selbst wahrgenommen hat. Durch das Erfordernis der unmittelbaren Selbstwahrnehmung der Tatwirklichkeit unterscheide sich die Entdeckung der Tat von einem Tatverdacht, der sich zum Beispiel auch auf Zeugen vom Hörensagen stützen könne. Nach Suhr46 sei für die Tatentdeckung ausreichend, dass die Steuerstraftat durch Tatsachen und Zeugenaussagen einigermaßen klargestellt sei. Baur47 sieht im Begriff der Tatentdeckung ein „Spiegelbild des der Urteilsfindung zugrundeliegenden Tatbegriffs in § 264 StPO, allerdings ein noch etwas verschwommenes Spiegelbild, dessen Inhalt und Grenzen für eine Verurteilung noch präzisiert werden müssen.“ Entgegen der Mindermeinung sei es nicht ein Minus, sondern ein Aliud zum prozessualen Begriff der Verfahrenseinleitung. c) Hinreichender Tatverdacht im Sinne der §§ 170 Abs. 1, 203 StPO Nach Ergehen des Urteils des BGH vom 13.05.198348 wurde der Begriff der Entdeckung einer Tat von der Literatur mehrheitlich in Anlehnung an die strafprozessualen Verdachtsgrade mit dem hinreichenden Tatverdacht im Sinne der §§ 170 Abs. 1, 203 StPO gleichgesetzt.49 Die Auffassung des BGH, nach der eine Tat entdeckt sei, sobald sich ein Anfangsverdacht so weit konkretisiert habe, dass bei vorläufiger Bewertung der Tat die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist, sei mit anderen Worten nichts anderes als ein die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigender hinreichender Tatverdacht.50 5. Stellungnahme: Tatentdeckung liegt vor, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist Wie aus der obigen Darstellung der Entwicklung des Begriffs der Tatentdeckung ersichtlich, bereitete dessen Auslegung seit jeher Probleme und war dementsprechend streitig. Vom dringenden, hinreichenden und Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung bis hin zur Distanzierung von den strafprozessualen Verdachtsgraden wurde alles vertreten. 46
Suhr, Steuerstrafrecht-Kommentar, 2. Auflage 1961, S. 139. Baur, BB 1983, 498 (500). 48 BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415–415. 49 Fehling/Rothbächer, DStZ 2008, 821 (823); Göggerle/Frank, BB 1984, 398 (398); Randt/Schauf, DStR 2008, 489 (490); Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 252; Dörn, wistra 1998, 175 (176); Buse, DStR 2008, 2100 (2100); Brenner, DStZ 1984, 478 (479); nach Hofmann, DStR 1998, 399 (401), entspreche die Definition des BGH ungefähr dem hinreichenden Tatverdacht. 50 Fehling/Rothbächer, DStZ 2008, 821 (823); Brenner, DStZ 1984, 478 (479); die Frage aufwerfend, ob der BGH in seinem Urteil vom 13.05.1983, BGH, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415–415, tatsächlich eine Gleichsetzung der Tatentdeckung mit hinreichendem Tatverdacht beabsichtigte, Dörn, wistra 1993, 169 (170, Fn. 15). 47
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Die unverhofft51 erfolgte Klärung des Begriffs der Tatentdeckung in seinem Urteil vom 13.05.198352 war offensichtlich nicht so klarstellend, wie es die Literatur53 teilweise zunächst annahm: Denn wie es sich im Selbstanzeigebeschluss vom 20.05.201054 zeigte, hatte der BGH nicht beabsichtigt, Tatentdeckung mit dem Vorliegen eines hinreichenden Verdachts im Sinne der §§ 170 Abs. 2, 203 StPO gleichzusetzen. Die Untersuchung der Entscheidungen des OLG Frankfurt55 und BayObLG56 hat ergeben, dass diese – ohne dies kenntlich zu machen – nahezu wörtlich die vom Reichsgericht vorgenommene Definition der Tatentdeckung im Sinne des § 46 Nr. 2 StGB a. F. und § 310 StGB a. F. in ihren Entscheidungen herangezogen haben. Offensichtlich haben sie keine Notwendigkeit für eine normspezifische Auslegung des Begriffs der Entdeckung der Tat im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO gesehen. Problematisch an dieser Übernahme der Definition ist, dass das prägende Kriterium des Rücktritts vom Versuch die Freiwilligkeit ist, die nach der hier vertretenen Ansicht gerade nicht in die Auslegung der strafbefreienden Selbstanzeige einfließen darf. Dass dies schnell passieren kann, zeigen die Ausführungen des OLG Frankfurt.57 Obwohl hier die Definition der Entdeckung mit keinem Wort auf das Kriterium der Freiwilligkeit Bezug nimmt, heißt es im Rahmen der Subsumtion unter den Begriff der Tatentdeckung: „Daher kann auch die Kenntnis, die das Finanzamt durch die Selbstanzeige (. . .) erlangt hatte, nicht als eine Entdeckung der Tat angesehen werden, denn diese ,Entdeckung‘ erfolgte nicht vor Beginn der ,tätigen Reue‘. Sie schloß somit weder die Freiwilligkeit der Selbstanzeige aus noch ist sie i. S. des § 410 Abs. 2 RAbgO verspätet.“ 58
Das Begriffsverständnis zu § 46 Nr. 2 StGB a. F. kann aber auch deswegen nicht für die Auslegung des Begriffs der Entdeckung bei § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO übernommen werden, da im Rahmen von § 46 Nr. 2 StGB a. F. die Tat noch nicht vollendet sein darf, während die Selbstanzeige auch und gerade bei vollendeter Steuerhinterziehung Anwendung findet.59 Zu Recht wird seitens der Literatur auch vorgebracht, dass auch das Normverständnis von § 310 StGB a. F. nicht ohne weiteres für das Begriffsverständnis des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 51 52 53 54 55 56 57 58 59
Vgl. Bilsdorfer, BB 1982, 670 (673); Pfaff, DStZ A 1976, 426 (426). BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415–415. Buse, DStR 2008, 2100 (2100); Fehling/Rothbächer, DStZ 2008, 821 (823). BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180–190. OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974–977. BayObLG, Urt. v. 04.06.1970, RReg. 4 St 23/70, BayObLGSt 1970, 132–133. OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974–977. OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974 (976). So auch Bilsdorfer, wistra 1984, 131 (133).
I. Begriff der Entdeckung
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herangezogen werden kann, da § 310 StGB a. F. nicht auf die Entdeckung der Tat – der Brandstiftung –, sondern nach dem klaren Wortlaut auf die Entdeckung des Brandes abstellt.60 Des Weiteren regelte § 310 StGB a. F. einen Fall der „tätigen Reue“. Insofern gilt es wiederum zu beachten, dass „tätige Reue“ keine Rolle im Rahmen der Auslegung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO spielen darf. Doch selbst wenn man die hinter den Normen stehenden strafrechtlichen Grundsätze der „Freiwilligkeit“ und „tätigen Reue“ bei der Anwendung der vom Reichsgericht verwendeten Definition zur Tatentdeckung im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO heranzieht, eignet sich die Definition nur bedingt, da sie eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Begriff des „Entdeckens“ vermissen lässt. So wirft diese Definition die Frage auf, wann ein Unbeteiligter eine strafbare Handlung „erkannt“ 61 oder „wahrgenommen“ 62 hat. „Erkennen“ und „wahrnehmen“ sind lediglich Synonyme für „entdecken“; man steht sodann also vor der Frage, welcher Verdachtsgrad oder sonstige Anforderungen erfüllt sein müssen, damit ein Unbeteiligter eine strafbare Handlung „erkannt“ oder „wahrgenommen“ hat. Alle drei Begriffe lassen sich leicht subsumieren, wenn eine Person beispielsweise die Tötung eines Menschen beobachtet oder einen Brand sieht. Eine Steuerstraftat kann dagegen kaum in einem Moment beobachtet werden. Demgemäß fordert eine weit verbreitete Ansicht63 zu Recht in Anlehnung an den Wortlaut „entdecken“, dass im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO der Tatentdecker zumindest einen Teil des Tatgeschehens oder Tatfolgen unmittelbar selbst wahrgenommen haben muss. Damit bleibt jedoch ungeklärt, inwieweit sich ein hierdurch gebildeter Tatverdacht konkretisieren muss, um von einer Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO sprechen zu können.64 Insofern sind die im Schrifttum unternommenen Einordnungen des Begriffs der Tatentdeckung unter die strafprozessualen Verdachtsgrade nachvollziehbar, denn diese Begriffe wurden bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen durch die Rechtsprechung konkretisiert, sodass der Rückgriff auf diese Begriffsbestimmungen mehr Rechtssicherheit bietet.65 60 Bilsdorfer, wistra 1984, 131 (133); Hübner, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, Stand: Oktober 1977, § 371 Rn. 109. 61 Vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974 (976). 62 Vgl. RG, Urt. v. 28.05.1937, 1 D 357/37, RGSt 71, 242 (243); BayObLG, Urt. v. 04.06.1970, RReg. 4 St 23/70, BayObLGSt 1970, 132 (132). 63 Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 164; Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO Rn. 179, der jedoch zugleich anführt, dass der Amtsträger die Tat wahrgenommen haben muss; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 274 m.w. N.; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 633. 64 Vgl. Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 634, 635. 65 Vgl. Fehling/Rotbächer, DStZ, 2008; Wessing/Biesgen, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2016, § 371 AO Rn. 127.
62
D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Der BGH bezieht keine Stellung dazu, weshalb er nicht an die Auslegung der Definition des Reichsgerichts anknüpft, sondern definiert auf Basis der herrschenden Ansicht in der Literatur, insbesondere in Bezugnahme auf Hübner66, den Begriff der Entdeckung einer Tat. Überzeugend ist das Wortlautargument des BGH, wonach es sich bei „Entdecken“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als um bloßes Verdachtschöpfen handelt. Zuzustimmen ist dem BGH auch darin, dass das Merkmal der Entdeckung mehr als einen Anfangsverdacht voraussetzen müsse, da es sonst gesetzessystematisch widersprüchlich wäre, die Einleitung des Strafverfahrens als eigenen Sperrgrund zu regeln, wenn auch der Sperrgrund der Tatentdeckung nur einen einfachen Verdacht voraussetzen soll.67 Dagegen überzeugt der ebenfalls aus gesetzessystematischen Erwägungen von der Mindermeinung gezogene Rückschluss, Tatentdeckung sei eine Vorstufe des Anfangsverdachts nicht. Denn bei Zugrundelegung der Ansicht der Mindermeinung hätte umgekehrt § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO keinen Anwendungsbereich mehr68: Leitet die Finanzbehörde aufgrund eines Anfangsverdachts ein Ermittlungsverfahren ein und gibt dieses dem potentiellen Steuerstraftäter bekanntgibt, würde stets bereits vorher der Sperrgrund der Tatentdeckung greifen. Beiden Sperrgründen verbleibt vielmehr nur dann ein Anwendungsbereich, wenn an das Merkmal der Tatentdeckung höhere Voraussetzungen gestellt werden als für das Vorliegen eines Anfangsverdachts. Nicht zu überzeugen vermag auch das von der Mindermeinung angeführte Argument, Tatentdeckung könne keine höheren Anforderungen als ein Anfangsverdacht haben, weil sonst „auch und erst recht die Entdeckung der Tat und die Kenntnis beziehungsweise das Rechnenmüssen hiermit zum Ausschluss einer Selbstanzeige für eine leichtfertige Steuerverkürzung führen“ 69 müsste. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, § 378 Abs. 3 AO nur mit dem Sperrgrund der Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens zu versehen, und damit zum Ausdruck gebracht, dass er den Anwendungsbereich des § 378 Abs. 3 AO gegenüber dem des § 371 AO erweitern will70; ein weiterer Sperrgrund würde den Anwendungsbereich aber einschränken. Dass eine Tatentdeckung eine geldbußebefreiende Selbstanzeige nicht sperren kann, ergibt sich aber auch aus der Natur der Sache71: Im Falle einer leichtfertigen Steuerverkür66
Hübner, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Stand: Oktober 1997, § 371 AO Rn. 110. So schon Blumers, wistra 1985, 85 (87); Wulf, SAM 2015, 109 (113). 68 So auch Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 104; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 274; Brauns, StV 1985, 325 (326). 69 So Dietz, DStR 1981, 372 (374); ders., BB 1983, 1207 (1207). 70 Vgl. BayOLG, Beschl. v. 30.03.1978, 3 Ob OWi 11/78, BayObLGSt 1978, 55 (58). 71 BayOLG, Beschl. v. 30.03.1978, 3 Ob OWi 11/78, BayObLGSt 1978, 55 (58); Bülte, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 250. Lieferung 11.2018, § 378 AO Rn. 114; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 378 AO Rn. 70. 67
I. Begriff der Entdeckung
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zung hat der Steuerpflichtige keine Kenntnis von der Tat. Diese Kenntnis erhält er in aller Regel erst durch die finanzamtliche Prüfung und kann auch danach erst eine Berichtigungserklärung abgeben. Zuzustimmen ist der Mindermeinung darin, dass nicht erkennbar ist, wie man – vorausgesetzt man fordert für die Tatentdeckung das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts, wie es eine verbreitete Ansicht insbesondere nach Ergehen des BGH-Urteils vom 13.05.198372 tut – diesen Verdachtsgrad erreichen will, ohne ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Daher überzeugt in diesem Punkt die neuere Rechtsprechung des BGH zum Merkmal der Tatentdeckung, in der ausdrücklich ausgeführt wird, dass für das Vorliegen der Tatentdeckung kein hinreichender Tatverdacht im Sinne der §§ 170 Abs. 1, 203 StPO erforderlich ist, „da die hierfür notwendige Prognose der Verurteilungswahrscheinlichkeit auf einem ausermittelten Sachverhalt beruhe, die sich bei einer entdeckten Tat gar nicht stellen lasse, da hier die Entdeckung vielmehr den Ausgangpunkt für die dann gebotenen Ermittlungen darstelle“.
Außerdem verbliebe § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO auch deshalb kaum ein Anwendungsbereich, weil in der Regel vor der Annahme eines hinreichenden Tatverdachts die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekanntgegeben wird und damit der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO greifen würde.73 Aus den oben dargestellten Gründen kann nach vorliegend vertretener Ansicht weder die Vorstufe eines Anfangsverdachts noch ein Anfangsverdacht für die Bejahung der Tatentdeckung ausreichen. Dies stellt auch der BGH in seinen Entscheidungen dem Wortlaut nach ausdrücklich klar.74 Zugleich führt er jedoch an, dass in der Regel eine Tatentdeckung bereits dann anzunehmen ist, „wenn unter Berücksichtigung der zur Steuerquelle oder zum Auffinden der Steuerquelle bekannten weiteren Umstände nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit nahe liegt“ und setzt damit tatsächlich die Tatentdeckung dem Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO gleich.75 Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn es nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist, mithin die Möglichkeit einer späteren Verurteilung besteht.76 Mit dem Begriff des „Entdeckens“, der auch nach dem
72
BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415–415. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 105. 74 Vgl. BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415 (415); BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (186). 75 So auch Engler, DStR 2017, 2260 (2262); Wulf, wistra 2010, 286 (289). 76 Vgl. z. B. Peters, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 152 StPO Rn. 35. 73
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
BGH „dahin zu verstehen ist, dass Unbekanntes, Verborgenes aufgefunden wird“, ist diese Auslegung nicht in Übereinstimmung zu bringen.77 Zusammenfassend konnten anhand der Untersuchung von älteren Gerichtsentscheidungen keine geeigneten Kriterien für eine zufriedenstellende Definition des Begriffs der Entdeckung gefunden werden. Feststeht, dass die Entdeckung einer Tat begrifflich weder mit dem dringenden Verdacht, (der Vorstufe) des Anfangsverdachts im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO noch mit einem hinreichenden Tatverdacht gemäß §§ 170 Abs. 2, 203 StPO umschrieben werden kann. Vielmehr ist bezüglich der Begriffs der Entdeckung dem BGH zu folgen, wonach losgelöst von den strafprozessualen Verdachtsgraden die Entdeckung einer Steuerstraftat zu bejahen ist, wenn sich der Verdacht einer Steuerhinterziehung so weit konkretisiert hat, dass bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist.
II. Begriff der Tat Nachdem untersucht wurde, welche Anforderungen an den Begriff der Entdeckung gestellt werden, ist zu prüfen, was entdeckt werden muss, mithin von welchem Tatbegriff auszugehen ist. Vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz verlangte das Gesetz die Entdeckung einer „Tat“. Nun spricht der Gesetzeswortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht mehr allgemein von einer Tat, sondern von „eine der Steuerstraftaten“. Bereits vorab sei erwähnt, dass die Frage des Verständnisses des Tatbegriffs aufgrund dieser Gesetzesänderung an Brisanz abgenommen hat78, denn die Sperrwirkung erfasst in systematischer Betrachtung mit § 371 Abs. 1 Satz 1 AO alle Steuerstraftaten einer Steuerart, wenn nur eine der unverjährten Steuerstraftaten ganz oder zum Teil entdeckt war.79 Gänzlich an Relevanz hat sie jedoch nicht verloren, berücksichtigt man die noch immer teilweise vertretene Auffassung in der Literatur zum Tatbegriff im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO.80 Zu untersuchen ist außerdem, ob und gegebenenfalls welche Auswirkung die kürzlich erfolgte Aufgabe der Rechtsprechung zur Tateinheit bei Steuerhinterziehung durch den BGH81 hinsichtlich des Begriffs der 77
Wulf, wistra 2010, 286 (289). Vgl. Hunsmann, ZWH 2018, 13 (14); Wessing/Biesgen, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2016, § 371 AO Rn. 125. 79 Ausführlich zum sachlichen Umfang der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO siehe S. 146. 80 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 644; vgl. auch Engler, DStR 2017, 2260 (2264), der kritisiert, dass sich der BGH in seinem Urteil v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, NZWiSt 2018, 379–387, zwar nicht explizit, aber faktisch von dem in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO geltenden materiellen Tatbegriff löse und den Tatbegriff in einem prozessualen Sinne verstehe. 81 Vgl. BGH, Beschl. v. 22.01.2018, 1 StR 535/17, NZWiSt 2019, 28 (30); zur bisherigen, bereits früher nicht gradlinigen Rechtsprechung vgl. BGH, Beschl. v. 24.05. 78
II. Begriff der Tat
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Steuerstraftat hat. Der BGH hat seine bisherige Rechtsprechung zur Tateinheit bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO insoweit aufgegeben, „als eine Tat i. S. v. von § 52 StGB bei mehreren Steuererklärungen über verschiedene Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume (und verschiedene Steuerpflichtige) angenommen worden ist, wenn die Abgabe der Erklärungen im äußeren Vorgang zusammenfällt. In diesen Konstellationen sieht er nun vielmehr im Grundsatz mehrere Taten (§ 53 StGB).“
1. Meinungsstand Früher wurde vereinzelt vertreten, der Begriff der Tat im Rahmen des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 entspreche dem prozessualen Tatbegriff nach § 264 StPO und sei damit als einheitliches historisches Geschehen zu verstehen.82 Die Geltung des strafprozessualen Tatbegriffs wurde damit begründet, dass sich die Regelung des § 371 AO „eindeutig“ auf das Strafverfahren beziehe.83 Diese Auffassung wird – soweit ersichtlich – nicht mehr vertreten. Der BGH hat zum Begriff der Tat im Rahmen der Frage nach der sachlichen Reichweite des Sperrgrunds gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 in seinem Beschluss vom 05.04.200084 Stellung genommen, ohne sich explizit für den prozessualen oder materiellen Tatbegriff auszusprechen. Seiner Auffassung nach ist „auf die einzelne Handlung, d. h. auf die Nichtabgabe bzw. der Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung, abzustellen. Die einzelne Tat i. S. des § 371 II Nr. 2 AO bestimm[e] sich folglich nach Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigem.“ 85 Dabei hat BGH in diesem Beschluss ausdrücklich offengelassen, ob sein Tatbegriffsverständnis auch für die Fälle der Tateinheit bei gleichzeitiger Abgabe von in wesentlichen Punkten inhaltsgleichen Steuererklärungen gilt.86 2017, 1 StR 418/16, NZWiSt 2017, 473 (473); BGH, Urt. v. 27.10.2015, 1 StR 373/15, NZWiSt 2016, 102 (103); BGH, Urt. v. 24.11.2004, 5 StR 220/04, NStZ 2005, 516 (516); BGH, Urt. v. 18.05.1983, 2 StR 162/83, wistra 1983, 187 (187); BGH, Beschl. v. 04.05.1984, 2 StR 152/84, wistra 1984, 177 (177); BGH, Urt. v. 18.07.1984, 2 StR 237/84, wistra 1984, 227 (227); BGH, Beschl. v. 31.08.1984, 2 StR 452/84, wistra 1985, 20 (20); BGH, Urt. v. 05.09.1984, 2 StR 377/84, wistra 1985, 20 (20); BGH, Beschl. v. 09.01.1985, 2 StR 745/84, wistra 1985, 103 (103); BGH, Beschl. v. 21.03. 1985, 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163 (165). 82 LG Stuttgart, Urt. v. 16.04.1985, 8 KLs 306/84, wistra 1985, 203 (204); dem folgend Dumke, in: Schwarz/Pahlke, AO, § 371 AO Rn. 112, Stand: 01.04.2011, allerdings mit der widersprüchlichen Schlussfolgerung, „[a]bzustellen [sei] also auf die einzelne Tathandlung nach § 370 Abs. 1 AO (. . .), der Nichtabgabe bzw. der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen, die durch den Stpfl., die Steuerart und den Besteuerungszeitraum konkretisiert wird“; ohne Begründung den prozessualen Tatbegriff voraussetzend: Baur, BB 1983, 498 (500); Burkhard, StGB 1999, 410 (413). 83 LG Stuttgart, Urt. v. 16.04.1985, 8 KLs 306/84, wistra 1985, 203 (204). 84 BGH, Beschl. v. 05.04.2000, 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427–430. 85 BGH, Beschl. v. 05.04.2000, 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427 (430). 86 BGH, Beschl. v. 05.04.2000, 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427 (430).
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Nach heute überwiegender Auffassung im Schrifttum87 ist der Begriff der Tat im materiell-rechtlichen Sinne auszulegen. Allerdings wird der materiell-rechtliche Tatbegriff unterschiedlich verstanden beziehungsweise modifiziert: Nach einer Ansicht88 ist die materiell-rechtliche Tat nicht wie im Rahmen des § 52 StGB zu bestimmen, sondern nach Steuerarten89 beziehungsweise ausgehend von einer Steuererklärung.90 Wird beispielsweise nur die zur Steuerhinterziehung tateinheitlich begangene Urkundenfälschung entdeckt, wird damit nicht zugleich auch eine „Steuerstraftat“ entdeckt; die Selbstanzeige bleibe möglich.91 Nach teilweise vertretener Auffassung92 ist für den Tatbegriff nicht die einzelne Steuererklärung, sondern die Nichterfüllung bestimmter materieller Mitwirkungspflichten bezüglich einzelner Besteuerungsgrundlagen entscheidend. Dies hat die praktische Konsequenz, dass beispielsweise die Kenntnis der Nichtangabe bestimmter Zinseinkünfte durch die Finanzbehörde für den Veranlagungszeitraum 01 nicht der Selbstanzeige bezüglich unrichtig erklärter Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung entgegensteht, auch wenn beide Angaben in derselben Einkommensteuererklärung 01 erfolgen. Nur diese Auslegung des Begriffs der Tat sei mit der fiskalpolitischen Zwecksetzung der Selbstanzeige vereinbar, weil hinsichtlich der zweiten unbekannten Steuerquelle – den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung – nach wie vor das Bedürfnis bestehe, durch ihre Offenlegung die Steuereinnahmen des Staates zu erhöhen.93
87 Webel, NZWiSt 2016, 337 (339); Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/ FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 186; Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 249; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 604; Prowatke/Felten, DStR 2011, 899 (902). 88 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 186; 89 So Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 108; Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 119. 90 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 185; eingehend zur Bedeutung der Steuererklärung für den Begriff der Tat, Scheel, wistra 1989, 343 (344), allerdings ohne dabei den Tatbegriff als materiell-rechtlich zu bezeichnen. 91 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 185. 92 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 643– 646. Ebenfalls für einen engen Tatbegriff: Radermacher, AO-StB 2011, 58 (61); Schwartz, wistra 2011, 81 (87), der auf die Einkunftsquelle abstellt, und dabei betont, dass diese nicht mit den jeweiligen Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG gleichzusetzen, sondern sich vielmehr nach dem ihr zugrundeliegenden tatsächlichen Lebenssachverhalt bestimmt. So ähnlich auch Volk, wistra 1998, 281 (283), der aufgrund der Besonderheiten des Tatbegriffs im Steuerstrafrecht zur Bestimmung der Tat auf die konkreten Geschäftsvorfälle Bezug nimmt. Franzen, in: Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 1985, § 371 AO Rn. 126 stellt auf einzelne Sachverhalte in einer Steuererklärung ab. 93 Schwartz, wistra 2011, 81 (86).
II. Begriff der Tat
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2. Stellungnahme: Die Tat ist nach Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigem zu bestimmen An die Verletzung einzelner materieller Mitwirkungspflichten bezüglich einzelner Besteuerungsgrundlagen beziehungsweise an einzelne Steuerquellen oder Einnahmequellen kann nicht angeknüpft werden.94 Zum einen ergibt sich aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, dass die Selbstanzeige auch gesperrt ist, wenn einer der Steuerstraftaten nur „zum Teil“ entdeckt ist. Daraus wird deutlich, dass es sich bei der Steuerstraftat notwendig um eine „größere Einheit“ 95 handeln muss, die die Eigenschaft der Teilbarkeit aufweisen muss. Bei einer bloßen Mitwirkungspflicht ist deren Teilbarkeit nicht vorstellbar, sie ist vielmehr ein Teil einer Steuerstraftat.96 Auch teleologische Aspekte sprechen gegen diese Ansicht: Aus kriminalpolitischer Sicht soll mit der strafbefreienden Wirkung einer Selbstanzeige der Steuerpflichtige honoriert werden, der zur Steuerehrlichkeit zurückkehrt; eine solche „goldene Brücke zur Straflosigkeit“ 97 ist aber nicht gerechtfertigt, wenn der Steuerpflichtige nur einzelne Steuerquellen oder Einnahmen offenbaren kann, ohne dabei das Risiko der Unwirksamkeit einer Selbstanzeige einzugehen.98 Er soll gerade nicht mit Strafbefreiung belohnt werden.99 Dem prozess-rechtlichen Tatbegriff ist entgegenzuhalten, dass die Selbstanzeige gemäß § 371 AO keine Regelung des Verfahrensrechts ist, sondern als persönlicher Strafaufhebungsgrund100 eine solche des materiellen Rechts ist, sodass auch nur ein materiell-rechtliches Tatbegriffsverständnis in Betracht kommt.101 Aufgrund der Aufgabe der Rechtsprechung des BGH zum Begriff der Tateinheit bei der Steuerhinterziehung bestehen zwischen der Auffassung des BGH zum Tatbegriffsverständnis im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO und 94 Ablehnend auch Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 119, mit der Begründung, die Konzeption eines neuen Tatbegriffs wirke gekünstelt; Füllsack/Bürger, BB 2011, 1239 (1242). 95 So zutreffend Scheel, wistra 1989, 343 (344) 96 So zutreffend Scheel, wistra 1989, 343 (344); in die Richtung gehend Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 319, der unter Hinweis auf die §§ 177, 367 Abs. 2 Satz 2 AO ausführt, dass es nicht möglich ist, die Tat auf einen engeren Bereich zu reduzieren als die Einreichung einer unrichtigen Steuererklärung, da diese Erklärung als Ganzes der Überprüfung unterliegt. 97 Siehe hiezu oben auf S. 43. 98 So ähnlich auch Füllsack/Bürger, BB 2011, 1239 (1242); a. A.: Schwartz, wistra 2011, 81 (85). 99 BT-Drs. 17/4182, S. 4; Prowatka/Felten, DStR 2011, 899 (902). 100 Siehe hierzu oben auf S. 25. 101 Schwartz, wistra 2011, 81 (82); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 604; so auch Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 1. Auflage 2010, § 371 AO Rn. 206 im Rahmen der Frage nach der sachlichen Reichweite des Ausschlussgrundes nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO a. F.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
dem materiellen Tatbegriff im Sinne des § 52 StGB – bis auf einen für den Sperrgrund der Tatentdeckung theoretisch relevanten Fall (dazu sogleich) – keine Unterschiede mehr: Nach dem früheren Verständnis der Tateinheit im Steuerstrafrecht waren Fälle denkbar, in denen eine materielle Tat unterschiedliche Steuerarten umfasste und dieses Ergebnis letztlich vom Zufall abhing.102 „So wäre materiell-rechtlich bei Versendung von drei verschiedenen Steuererklärungen über unterschiedliche Steuerarten und Veranlagungszeiträume in einem Briefumschlag unter den sonstigen Voraussetzungen (übereinstimmende unrichtige Angaben über Besteuerungsgrundlagen) von Tateinheit auszugehen, bei Übermittlung in jeweils einem gesonderten Brief dagegen an sich von Tatmehrheit.“ 103
Bezogen auf den Sperrgrund der Tatentdeckung hätte dies zur Folge, dass beispielsweise nur die Entdeckung eines Fehlers in der Einkommensteuererklärung auch zum Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO hinsichtlich der Gewerbe- und Umsatzsteuer führen würde, denn alle drei Steuerverkürzungen wären in diesem Fall tateinheitlich im Sinne des § 52 StGB verwirklicht104. Bei einer getrennten Abgabe der drei Steuererklärungen verbliebe dagegen weiterhin die Möglichkeit zur Selbstanzeige hinsichtlich der Gewerbesteuer und Umsatzsteuer. Zu unterschiedlichen Ergebnissen führen der materielle Tatbegriff im Sinne des § 52 StGB und der des BGH, wenn eine Steuerhinterziehung in Tateinheit mit einer Urkundenfälschung (zum Beispiel durch Gebrauchmachen von unrichtigen Belegen) begangen wird und nur letztere entdeckt wird; bei einem materiellen Tatbegriffsverständnis im Sinne des § 52 StGB würde dies ausreichen, um auch die Entdeckung einer Steuerstraftat zu bejahen. Dies widerspräche dem Wortlaut, der ausdrücklich die Entdeckung einer Steuerstraftat fordert. Auch wenn diese Fallkonstellation eher theoretischer Natur ist, da in dem beschriebenen Beispiel zugleich auch die sich in der Steuererklärung niedergeschlagenen falschen Belege und damit die Steuerhinterziehung entdeckt wird, ist auch denkbar, dass mit dem Einreichen beispielsweise einer Einkommensteuererklärung zugleich unrichtige Belege für eine Umsatzsteuererklärung nachgereicht werden, und damit von diesen erstmals Gebrauch gemacht wird. Aus diesem Grund erscheint es vorzugswürdig, den Begriff der Tat im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO losgelöst von dem strafzumessungsrechtlichen Tatbegriffsverständnis in den §§ 52, 53 StGB auszulegen. Vielmehr ist dem BGH105 zu folgen und die Tat aus Gründen der Bestimmtheit und Klarheit nach 102 So schon Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 288 im Zusammenhang mit dem Tatbegriff gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO; Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 119; Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 108. 103 BGH, Beschl. v. 22.01.2018, 1 StR 535/17, DStR 2018, 2380 (2382). 104 So schon Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 108. 105 BGH, Beschl. v. 05.04.2000, 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427 (430).
III. Erforderlichkeit der Entdeckung der subjektiven Seite des Täters
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Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigem zu bestimmen. Hierfür spricht auch die Systematik innerhalb der Norm des § 371 AO, denn die unrichtigen Angaben müssen gemäß § 371 Abs. 1 AO steuerartenspezifisch für alle unverjährten Steuerstraftaten berichtigt werden.106
III. Erforderlichkeit der Entdeckung der subjektiven Seite des Täters Widmet man sich näher der Frage, was im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO entdeckt werden muss, stößt man auf eine weitere umstrittene Tatbestandsvoraussetzung: Wie bereits mehrfach erwähnt, trat nach der Gesetzesfassung vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz Straffreiheit gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 nicht ein, wenn die „Tat (. . .) ganz oder zum Teil bereits entdeckt war“; nun ist die Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO gesperrt, wenn „eine der Steuerstraftaten (. . .) ganz oder zum Teil bereits entdeckt war“. Dem Begriff der „Steuerstraftat“ ist zunächst einmal zu entnehmen, dass nicht nur eine allgemeine Straftat entdeckt werden muss, sondern eine auf die Verletzung steuerrechtlicher Pflichten gerichtete Straftat.107 Steuerstraftaten sind gemäß § 369 Abs. 1 Nr. 1 AO „Taten, die nach den Steuergesetzen strafbar sind“. Hierzu zählt die Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO als vorsätzliche Verkürzung von Steuern, nicht dagegen die nur leichtfertig begangene Steuerverkürzung, die lediglich als Ordnungswidrigkeit gemäß § 378 AO geahndet wird. Umstritten ist, ob daraus für die Tatentdeckung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO auch die Schlussfolgerung zu ziehen ist, dass der Tatentdecker nicht nur den objektiven Verstoß gegen steuerliche Pflichten bemerken muss, sondern ihm auch Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln des Steuerhinterziehers vorliegen müssen. 1. Auslegung durch die Rechtsprechung a) Frühere Rechtsprechung Eingehend mit dieser Frage beschäftigten sich einige Oberlandesgerichte108 im Rahmen des speziellen Falls der unterlassenen Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen. So entschied beispielsweise das BayObLG109, dass der Finanzbehörde 106
So auch Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 119. Vgl. Hunsmann, ZWH 2018, 13 (14). 108 OLG Celle, Beschl. v. 24.01.1984, 1 Ss 367/83, NStZ 1984, 323 (323); OLG Hamburg, Urt. v. 27.01.1970, 2 Ss 191/69, NJW 1970, 1385 (1386); BayObLG, Urt. v. 04.06.1970, RReg. 4 St 23/70, BayObLGSt 1970, 132 (133). 109 BayObLG (4. Strafsenat), Urteil vom 04.06.1970, RReg. 4 St 23/70, BayObLGSt 1970, 132 (133). 107
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen „zureichende Anhaltspunkte bekannt sein müssen, die den konkreten Verdacht einer Steuerhinterziehung in objektiver und subjektiver Beziehung ergeben. Steuerhinterziehung ist das in Vorteilsabsicht begangene Erschleichen nicht gerechtfertigter Steuervorteile oder die in der gleichen Absicht begangene vorsätzliche Verkürzung von Steuereinnahmen.“
Die Vermutung, dass ein Steuerpflichtiger etwas zu verbergen hat, weil er die erforderlichen Anmeldungen zur Umsatzsteuer unterlassen hat, könne daher erst dann als Entdeckung der Tat gewertet werden, wenn sie sich zum konkreten Verdacht einer Steuerhinterziehung verdichtet habe. Der BGH problematisierte bis zu seinem Selbstanzeigebeschluss vom 20.05.2010110 in keiner seiner Entscheidungen diese Rechtsfrage, sondern deutete nur im Rahmen der Subsumtion von drei Entscheidungen111 darauf hin, dass aus dem objektiven vorliegenden Sachverhalt auch Rückschlüsse auf vorsätzliches Verhalten gezogen werden müssten. b) BGH-Beschluss vom 20.05.2010 – 1 StR 577/09 Nach Auffassung des BGH im Selbstanzeigebeschluss vom 20.05.2010 zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes sei für die Tatentdeckung nicht erforderlich, dass Tatsachen vorliegen, die einen Schluss auf vorsätzlichen Handeln ziehen lassen. „Die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a 2. Alt. und Abs. 2 Nr. 2 AO [seien] bei Erscheinen eines Amtsträgers zur ,Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit‘ bzw. dann gegeben, wenn dem Täter die – zeitlich davor liegende – ,Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist‘ “.
Vor diesem Hintergrund ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO 2002, dass der Gesetzgeber mit der Tat nur die „vorsätzliche Steuerstraftat“ im Hinblick hatte. Dem stehe nicht entgegen, dass bei Entdeckung einer Tat im Sinne des § 370 Abs. 1 AO, die sich gemäß § 378 Abs. 1 AO als nur leichtfertig begangen erweist, eine bußgeldbefreiende Selbstanzeige gemäß § 378 Abs. 3 AO nicht ausgeschlossen sei. Zur Stützung seiner Argumentation verweist der BGH auf eine Bundestagsdrucksache 110
BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180–190. Vgl. BGH, Urt. v. 05.05.2004, 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (142): „Aus dem objektiv vorliegenden Sachverhalt konnte ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass die an der versuchten Steuerhinterziehung Beteiligten vorsätzlich handelten.“; BGH, Beschl. v. 30.03.1993, 5 StR 77/93, wistra 1993, 227 (228): „Die Annahme, die Finanzbehörden könnten entgegen ihrer späteren Beurteilung zu diesem Zeitpunkt [gemeint, dem Zeitpunkt der Entdeckung] von einer – für § 371 Abs. 1 AO unschädlichen – leichtfertigen Steuerhinterziehung ausgegangen sein, liegt angesichts der getroffenen Feststellungen mehr als fern.“; BGH, Urt. v. 24.10.1984, 3 StR 315/84, NStZ 1985, 126 (126): „Den Feststellungen ist aber nicht zu entnehmen, ob er (. . .) sonstige Umstände ermittelt hatte, die eine Steuerhinterziehung wahrscheinlich erscheinen ließen.“ 111
III. Erforderlichkeit der Entdeckung der subjektiven Seite des Täters
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aus dem Jahr 1967. Diese hat den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze“ vom 30.05.1967112 zum Inhalt (dazu sogleich näher). c) Aktueller Stand: BGH-Urteil vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16 In seinem Urteil vom 09.05.2017 – nun zur Rechtslage nach Inkrafttreten des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes – wiederholt der BGH seine Ansicht, nach der eine Tat entdeckt ist, wenn das Vorliegen eines Sachverhalts wahrscheinlich ist, der die Aburteilung als Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit rechtfertigen würde.113 2. Auslegung durch die Literatur Teilweise wird in der Literatur angeführt, bei Erforderlichkeit der Entdeckung der subjektiven Seite verbliebe dem Sperrgrund der Tatentdeckung unter Zugrundelegung der Definition des BGH kaum beziehungsweise im Zweifel gar kein Anwendungsbereich.114 Denn sobald die subjektive Tatseite erkennbar ist, sei immer die Situation eines Anfangsverdachts und damit der Sperrtatbestand der Bekanntgabe einer Verfahrenseinleitung gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO gegeben.115 Ferner wird argumentiert, weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO würden nahelegen, dass der Entdecker auch Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln des Steuerhinterziehers haben müsse.116 Die überwiegende Lehre117 ist der Ansicht des BGH nicht gefolgt und verlangt sowohl die Entdeckung der objektiven als auch der subjektive Tatseite. Die Literatur schloß bereits früher zum einen aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO 2002, der noch von der Entdeckung einer „Tat“ sprach, dass diese als Straftat entdeckt sein müsse.118 Diese Auffassung wird auch nach der Änderung des
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BT-Drs. V/1812, S. 24. BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, NZWiSt 2018, 379 (382). 114 Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 319. 115 Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 319. 116 Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 257. 117 Herdemerten, NJW 1970, 1385 (1387); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 1. Auflage 2010, § 371 AO Rn. 219; Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Auflage 2009, § 371 AO Rn. 185; Blumers, wistra 1985, 85 (87); Brenner, DStZ 1984, 478 (479); Burkhard, DStZ 1999, 783 (786); Buse, DStR 2008, 2100 (2101); Dörn, wistra 1993, 169 (171); v. Briel, in: v. Briel/Ehlscheid, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2001, § 371 AO Rn. 185; Jäger, in: Klein, Abgabenordnung, 10. Auflage 2009, § 371 AO Rn. 60. 118 Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 1. Auflage 2010, § 371 AO Rn. 219; Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Auflage 2009, § 371 AO Rn. 185. 113
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Wortlauts in „Steuerstraftat“ konsequent fortgeführt.119 Demnach müsse der die Tat Entdeckende nicht nur die objektive Tatseite der Steuerhinterziehung wahrgenommen haben, sondern auch die subjektive Tatseite, da nur eine vorsätzliche Steuerverkürzung strafrechtlich relevant sei. Keine Tatentdeckung liege daher vor, wenn der Dritte nur ein leichtfertiges Handeln erkenne, denn dann habe er nur eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO bemerkt. Bei dieser sei eine bußgeldbefreiende Selbstanzeige auch nach Tatentdeckung möglich.120 Zum anderen wurde auch aus der Definition des Begriffs der Entdeckung durch den BGH vom 13.05.1983121, wonach bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses vorliegen muss, die Schlussfolgerung gezogen, die Tatentdeckung müsse sich auch auf die subjektive Tatseite beziehen, weil sonst keine Verurteilung wahrscheinlich sei.122 Nach einer vermittelnden Ansicht123 müssen zur Tatentdeckung zwar keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsmerkmale vorliegen; es dürfen aber auch keine Umstände vorliegen, die ein vorsätzliches Verhalten ausschließen. Dies wird damit begründet, dass die Tatentdeckung sich begrifflich auf die Feststellung objektiver Sachverhalte beschränke, weil es sich bei den subjektiven Tatbestandsmerkmalen um innere Vorgänge handele, die nicht entdeckt werden könnten. Eine solche Auslegung entspräche auch dem Sinn und Zweck einer Selbstanzeige, der darin bestehe, dem Steuerstraftäter Straffreiheit zu gewähren, um ihm einen Anreiz zur Aufdeckung bisher verschlossener Steuerquellen zu bieten, da der Staat bereits bei Entdeckung des objektiven Tatbestands der Steuerhinterziehung seinen Steueranspruch durchsetzen könne. 3. Stellungnahme: Die Entdeckung der subjektiven Seite des Täters ist erforderlich Entgegen der Ansicht des BGH spricht der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO klar dafür, dass lediglich die Entdeckung einer „vorsätzlichen Steuerstraftat“ 124 zur Sperrung der Selbstanzeige führen soll, denn eine leichtfertig be119 Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 286; Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 178; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 303; Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 156; nun aber dem BGH folgend: Jäger, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 371 AO Rn. 162. 120 Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Auflage 2009, § 371 AO Rn. 185. 121 BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415–415. 122 Vgl. Burkhard, DStZ 1999, 783 (786); Dörn, wistra 1993, 169 (171); Vogelberg, in: Wannemacher, Steuerstrafrecht, 5. Auflage 2004, § 371 AO Rn. 2284. 123 Göggerle/Frank, BB 1984, 398 (399). 124 So ausdrücklich der BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (189).
III. Erforderlichkeit der Entdeckung der subjektiven Seite des Täters
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gangenene Steuerstraftat kennt die Abgabenordnung nicht. Es würde sich in diesem Fall allenfalls um eine Steuerordnungswidrigkeit handeln.125 In Steuerstrafsachen wird erst aus der subjektiven Tatseite ersichtlich, ob ein Verhalten eine Straftat oder lediglich eine Steuerordnungswidrigkeit darstellt. Dies spricht dafür, auch die Entdeckung der subjektiven Tatseite zu fordern. Dass auch der Gesetzgeber im Rahmen des § 371 AO klar zwischen den Begriffen der Steuerstraftat und Steuerordnungswidrigkeit differenziert, wird aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d AO (Erscheinen eines Amtsträgers zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit) ersichtlich, in dem beide Begriffe ausdrücklich nebeneinander stehen.126 Neben dem Wortlaut führt der BGH für seine Auffassung den Sinn und Zweck des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO an, ohne dieses Argument näher zu begründen, oder auszuführen, worin der Sinn und Zweck dieses Sperrgrundes liegt. Sieht man den Sinn und Zweck der Selbstanzeige als Ganzes darin, dem Staat zur Mehrung seiner Steuereinnahmen zu verhelfen, indem bisher verborgene Steuerquellen offenbart werden, so spricht dies für die Ansicht des BGH, denn bisher verborgene Steuerquellen werden bereits durch die Entdeckung des objektiven Tatbestands aufgedeckt.127 Auch wenn nur eine Steuerordnungswidrigkeit entdeckt wird, kann der Staat seinen Steueranspruch ohne Mithilfe des Steuerpflichtigen durchsetzen. Seit dem Selbstanzeigebeschluss der BGH vertritt dieser allerdings selbst die Ansicht, die Selbstanzeige habe nicht nur den alleinigen Zweck, bisher verborgene Steuerquellen aufzudecken, sondern es soll auch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit honoriert werden. Soll die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit honoriert werden, so kann dies nur mit einer wirksamen Selbstanzeige erfolgen, der keine Sperrgründe entstehen. In dem vom BGH angeführten „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze“ heißt es: „In jedem Falle muß aber der Täter, dem zunächst nur die Einleitung des Bußgeldverfahrens wegen Steuergefährdung mitgeteilt worden ist, damit rechnen, daß eine aus der Gefährdungshandlung etwa erwachsene Steuerhinterziehung zum Teil bereits entdeckt ist. Entsprechendes gilt z. B. auch für die Einleitung eines Bußgeldverfahrens wegen leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 404 AO), wenn sich später ergibt, daß der Täter sogar eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen hat. Das Bewußtsein einer teilweisen Entdeckung der Tat genügt für den Ausschluß der strafbefreienden Wirkung einer Selbstanzeige bereits nach dem bisherigen Recht.“ 128
125 Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 286; Hunsmann, ZWH 2018, 13 (14). 126 Hunsmann, ZWH 2018, 13 (15); Wessing/Biesgen, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2016, § 371 AO Rn. 128. 127 So schon Göggerle/Frank, BB 1984, 398 (399). 128 BT-Drs. V/1812, S. 24.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Auf der einen Seite könnte man diese Ausführung dahingehend verstehen, dass eine Teilentdeckung einer Tat vorliegt, wenn eine Steuerordnungswidrigkeit entdeckt wird, die nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ausreichend ist.129 Andererseits könnte man sie so verstehen, dass sie sich lediglich auf die subjektive Komponente des Sperrgrunds nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bezieht, nach der der Täter von der Tatentdeckung oder der teilweisen Entdeckung der Tat wissen oder mit ihr „rechnen musste“. Das heißt, wenn eine Steuerstraftat objektiv entdeckt wird, dem Täter aber vorher nur die Einleitung eines Bußgeldverfahrens bekanntgeben worden ist, dann sei die subjektive Voraussetzung des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO a. F. zu bejahen. Für letztere Ansicht spricht die Betonung der subjektiven Komponente nicht nur durch die Worte „rechnen müssen“, sondern auch die Einleitung des nächsten Satzes mit dem „Bewusstsein“. Jedenfalls aber lassen sich aus dieser Stelle der Begründung des Gesetzesentwurfs keine Schlussfolgerungen für die Frage ziehen, ob die Entdeckung der subjektiven Seite des Täters als eine objektive Tatbestandsvoraussetzung erforderlich ist. Nicht zu überzeugen vermag das Argument der herrschenden Auffassung im Schrifttum, wonach die Differenzierung zur bußgeldbefreienden Selbstanzeige in § 378 Abs. 3 AO unterlaufen werde, wenn man die Entdeckung der subjektiven Tatseite für nicht erforderlich hält. Denn durch eine solche Auslegung bleibt die gesetzgeberische Entscheidung, die Entdeckung von Steuerordnungswidrigkeiten als unschädlich für eine bußgeldbefreiende Selbstanzeige zu erachten, unberührt. Soweit seitens der Literatur angeführt wird, bei Erforderlichkeit der Entdeckung des subjektiven Elements verbliebe dem Sperrgrund der Tatentdeckung kein Anwendungsbereich, kann dem nur im Ansatz, und zwar teilweise hinsichtlich der aufgestellten These, aber nicht hinsichtlich der Begründung, gefolgt werden: Dem Sperrgrund der Tatentdeckung verbleibt sicherlich ein geringerer Anwendungsbereich, wenn man nicht nur die Entdeckung der objektiven Tatseite, sondern auch die der subjektiven fordert, und damit mehr Voraussetzungen aufstellt. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass es naturgemäß schwieriger ist, die subjektiven Vorstellungen eines Täters festzustellen als die objektiven, sodass erstere seltener – jedoch nicht nie, wie teilweise vertreten wird130 – zu bejahen sind. Zu denken ist etwa an den Fall, in dem der Täter einem Dritten von seiner begangenen Steuerhinterziehung in Kenntnis setzt. Nicht zutreffend ist jedoch, dass stets der Sperrgrund der Bekanntgabe einer Verfahrenseinleitung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO gegeben wäre, da eine Tat hinsichtlich der objektiven und subjektiven Seite auch von einem Dritten entdeckt werden kann131, ohne dass diese Kenntnis im selben Zeitpunkt an die Finanzbehörde
129 130 131
Zu dieser Frage siehe ausführlich auf S. 80. Göggerle/Frank, BB 1984, 398 (399). Zur Person des möglichen Tatentdeckers siehe ausführlich auf S. 93 ff.
IV. Erforderlichkeit der Entdeckung des Täters
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weitergeleitet wird. Die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO kann dagegen kein Dritter vornehmen, sondern nur die Finanzbehörde, die Polizei, die Staatsanwaltschaft, eine ihrer Ermittlungspersonen oder der Strafrichter, §§ 397 Abs. 1, 410 Abs. 1 Nr. 6 AO. Zusammenfassend sprechen sowohl der Wortlaut als auch die Systematik zu § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d AO gegen die Ansicht des BGH, die Entdeckung der subjektiven Tatseite nicht als erforderlich anzusehen. Fiskalpolitische Erwägungen sprechen dagegen dafür, nur die Entdeckung der objektiven Tatseite im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu verlangen; kriminalpolitische sprechen dagegen für das Gegenteil. Aufgrund des gewichtigen Wortlautarguments und nach der hier vertretenen restriktiven Auslegung der Sperrgründe132 ist daher auch die Entdeckung der subjektiven Seite zu fordern.
IV. Erforderlichkeit der Entdeckung des Täters Gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO muss eine der Steuerstraftaten entdeckt sein; ob auch der Täter oder Teilnehmer der Steuerstraftat entdeckt sein muss, ergibt sich aus dem Wortlaut dagegen nicht. 1. Auslegung durch die Rechtsprechung Der BGH ist der Auffassung, dass die Person, die als Täter oder Teilnehmer einer Steuerstraftat in Betracht kommt, nicht bekannt zu sein brauche, da das Gesetz alleine auf die Entdeckung einer Tat abstelle.133 Da Tatentdeckung keinen hinreichenden Tatverdacht voraussetze, sei im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO anders als bei § 203 StPO auch keine Ermittlung des Täters erforderlich.134 Diese auf dem Wortlaut basierende Ansicht vertrat der BGH bereits in seinem Urteil vom 13.05.1983135, in dem er sich zum ersten Mal mit dem Sperrgrund der Tatentdeckung beschäftige und wiederholte sie im Selbstanzeigebeschluss vom 20.05.2010136 und in seiner jüngsten Entscheidung vom 09.05.2017137. Ohne die Frage zu problematisieren, spricht der BGH in seinem Beschluss vom 132
Siehe hierzu ausführlich oben auf S. 34. BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, NZWiSt 2018, 379 (382); BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (187); BGH, Urteil vom 05.05.2004, 5 StR 548/03, NJW 2005, 2720 (2722). Der Ansicht des BGH folgend: Jäger, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 371 AO Rn. 161; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 318. 134 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (187). 135 BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415 (415). 136 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (187). 137 BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, NZWiSt 2018, 379 (382). 133
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
30.03.1993138 allerdings davon, dass der „Angeklagte (. . .) als Täter ausreichend identifiziert“ war, da er eine unrichtige Rechnung im Rahmen der Umsatzsteuerjahreserklärung eingereicht hat. Diesem einen Satz kann jedoch nicht mit Bestimmtheit entnommen werden, ob der BGH hier für die Tatentdeckung ausnahmsweise die Identifizierung des Täters voraussetzt. 2. Auslegung durch die Literatur Nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht muss der konkrete Täter dagegen identifiziert139 oder zumindest (ähnlich der Rechtsprechung und Literatur zu § 78c StGB) identifizierbar140 sein, denn ansonsten könne nicht die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben sein, die nach dem BGH der Begriff der Entdeckung verlangt. Da die Definition des BGH nicht mehr und nicht weniger als hinreichenden Verdacht fordere sei die Entdeckung der subjektiven Seite ebenso erforderlich wie die der objektiven; es lassen sich jedoch keine Rückschlüsse auf die subjektive Seite der Tat feststellen, wenn nicht der konkrete Täter oder Teilnehmer ausgesagt haben, oder wenn deren Persönlichkeit, Wesen und die charakterliche und geistige Verfassung nicht bekannt sind.141 Mit dem Wortlaut des Gesetzes, der die Entdeckung einer „Steuerstraftat“ fordert, könne auch nur die Tat als Ganzes gemeint sein. Tat und Täter seien im Steuerstrafrecht untrennbar miteinander verbunden.142 Zudem müsse der Sperrgrund der Tatentdeckung im Kontext zu den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b AO gesehen werden. Dort sperre die steuerliche Prüfung nicht in jedem Fall für alle an der Tat Beteiligten. Auch sperre die Verfahrenseinleitung nur die Selbstanzeige der Personen, denen sie bekanntgegeben wurde.143 Teilweise werden Differenzierungen nach der „Form der Steuerhinterziehung“ oder nach der Art der verkürzten Steuer vorgenommen: 138
BGH, Beschl. v. 30.03.1993, 5 StR 77/93, wistra 1993, 227 (228). Brenner, DStZ 1984, 478 (479); Burkhard, Stbg 1999, 410 (413); Rischar, BB 1998, 1341 (1345); Marschall, BB 1998, 2553 (2557); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 653. 140 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 315; Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 106; Hofmann, DStR 1998, 399 (401); Hunsmann, ZWH 2018, 13 (15); Wulf, wistra 2010, 286 (288); Fehling/Rothbächer, DStZ 2008, 821 (825); Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 180; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 287; Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 173. 141 Brenner, DStZ 1984, 478 (479). 142 Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 106; Salditt, PStR 2010, 168 (174): „Der Steuerbescheid ist keine Leiche, die man als eigenständiges Indiz von der Person des Steuerpflichtigen trennen könnte.“ 143 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 315. 139
IV. Erforderlichkeit der Entdeckung des Täters
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Nach Franzen144 hängt die Frage, ob der Täter entdeckt sein muss, davon ab, welche Form von Steuerhinterziehung begangen wurde: Bei „intellektuellen Formen der Steuerhinterziehung“ genüge es aufgrund eines eingrenzbaren Täterkreises, dass der mögliche Täter festgestellt werden kann; der konkrete Täter muss dagegen für die Tatentdeckung nicht bekannt sein. Bei „Steuerhinterziehung durch körperliche Tätigkeit“ wie beispielsweise bei der Entdeckung der Entfernung von Waren aus einem Zollgutlager, seien dagegen konkrete Vorstellungen von der Person des Täters erforderlich. Dörn145 differenziert danach, ob sich die Entdeckung auf persönliche Steuern wie zum Beispiel Einkommensteuer (und früher Vermögensteuer) oder betrieblichen Steuern (Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer) bezieht. Bei persönlichen Steuern sei die Kenntnis des Täters für den Ausschluss der Strafbefreiung erforderlich: Wenn der ursprünglich Verdächtigte nicht der Täter sei, müsse ein Dritter die Einnahmen nicht notwendigerweise verschwiegen haben. Es sei dann überhaupt nicht klar, ob eine Steuerhinterziehung vorliege, weil die persönliche Steuersituation des die Selbstanzeige erstattenden Dritten zu dem Zeitpunkt nicht überprüft wurde und in Folge dessen keine Feststellungen zur subjektiven Seite des Dritten getroffen werden könnten. Bei betrieblichen Steuern dagegen bleibe der vom Finanzamt vorher festgestellte Tatbestand der Steuerhinterziehung unverändert bestehen, wenn sich später herausstellt, wer tatsächlich für die Steuerverkürzung verantwortlich sei. Hier sei auch nicht ausgeschlossen, dass Entdeckung bezüglich des vorsätzlichen Verhaltens vorliege, wenn sich später herausstelle, dass ein anderer der Täter sei. 3. Stellungnahme: Nicht die Person des Täters, aber die des Steuerpflichtigen muss identifizierbar sein Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO spricht, wie der BGH betont, nur von der Entdeckung einer Steuerstraftat, und fordert nicht ausdrücklich auch die Entdeckung des Täters oder Teilnehmers. Betrachtet man allerdings, wie die Literatur anführt, die Steuerstraftrat „als Ganzes“, so gehört zu dieser notwendigerweise auch ein Täter oder Teilnehmer, sodass der Wortlaut zwar als Argument für die Auffassung des BGH angeführt werden kann, jedoch Auslegungsspielraum für die Ansicht bietet, wonach der Täter identifiziert oder zumindest identifizierbar sein muss. Verlangt man wie nach hier vertretener Auffassung basierend 144 Franzen, in: Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 1985, § 371 AO Rn. 121. 145 Dörn, wistra 1998, 175 (176); ähnlich Groß, in: Bülte/Adick, Fiskalstrafrecht, 2. Auflage 2019, 19. Kap. Rn. 40; a.A: Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 315: Nach seiner Ansicht könne man eine persönliche Sperrwirkung nur bei den Personen annehmen, die zum Zeitpunkt der Tatentdeckung zumindest identifizierbar sind und dies sei bei persönlichen Steuern eher der Fall als bei betrieblichen Steuern im Rahmen von Großunternehmen.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
auf dem Wortlaut der „Steuerstraftat“ auch die Entdeckung der subjektiven Seite, so ist der Literatur zuzustimmen, dass Feststellungen zur subjektiven Einstellungen des Täters jedenfalls leichter zu treffen sind, wenn dieser bekannt ist oder zumindest identifiziert werden kann. Der BGH argumentiert insofern konsequent, als er keine Entdeckung der subjektiven Seite fordert und dementsprechend auch keine Kenntnis des konkreten Täters. Entgegen vereinzelt vertretener Ansicht lassen sich aus der systematischen Betrachtung der Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b AO im Vergleich zum Sperrgrund der Tatentdeckung keine Erkenntnisse für die Frage gewinnen, ob auch der Täter entdeckt sein müsse. Denn diese Sperrgründe sprechen bereits nach ihrem Wortlaut einen bestimmten Personenkreis an: Nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO muss dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung bekannt gegeben worden sein; § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO bezieht sich auf den an der Tat Beteiligten oder seinen Vertreter. Franzen und Dörn ist zuzustimmen, dass bei der Beantwortung der Frage, ob die Person des Täters entdeckt sein muss, differenzierend vorzugehen ist. Indes kann dabei nicht nach „intellektueller oder körperlicher Form der Steuerhinterziehung“ unterschieden werden, denn es ist bereits unklar, wann von einer intellektuellen Steuerhinterziehung auszugehen ist. Die Differenzierung nach persönlichen und betrieblichen Steuern146 überzeugt dagegen im Ergebnis, jedoch mit einer anderen Begründung. Um die Frage, ob eine Steuerhinterziehung und damit eine Steuerstraftat entdeckt wurde, beantworten zu können, muss zwar nicht der Täter, aber die Steuersituation des konkreten Steuerpflichtigen bekannt sein. Ist der konkrete Steuerpflichtige bekannt, kann etwa durch einen Abgleich mit seiner Steuererklärung oder Zeugenaussagen zu seinem Besteuerungsverhalten die Tat entdeckt werden.147 Aber auch unter Berücksichtigung der fiskal- und kriminalpolitischen Zwecksetzung der Selbstanzeige148 ist die Frage nach der Erforderlichkeit der Kenntnis oder Identifizierbarkeit des Täters nach hier vertretener Auffassung davon abhängig, ob diese notwendig ist, um verborgene Steuerquellen zu offenbaren, die Steuerverkürzung festzustellen und die Steuereinnahmen des Staates letztlich zu mehren. Dieser teleologische Ansatz hat zur Folge, dass es auf die Identifizierbarkeit des Steuerpflichtigen, um dessen Steuerverkürzung es geht, ankommt und nicht auf die des Täters der Steuerhinterziehung, wobei Täter und Steuerpflichtiger häufig identisch sind.149 146 Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 159; Groß, in: Bülte/Adick, Fiskalstrafrecht, 2. Auflage 2019, 19. Kap. Rn. 40. 147 Groß, in: Bülte/Adick, Fiskalstrafrecht, 2. Auflage 2019, 19. Kap. Rn. 40; Hüls/ Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 160. 148 Siehe hierzu oben auf S. 42. 149 So im Ergebnis auch Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 159.
IV. Erforderlichkeit der Entdeckung des Täters
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Im Einzelnen: Die Identifizierbarkeit des Steuerpflichtigen, und nicht notwendig die Kenntnis des konkreten Steuerpflichtigen, ist ausreichend für die Entdeckung der Steuerstraftat, da hierdurch bei weiteren Ermittlungen des Staates der konkrete Steuerpflichtige festgestellt werden und der Steueranspruch des Staates durchgesetzt werden kann. Zwar werden dem Fiskus verborgene Steuerquellen bereits durch das Entdecken einer Tat bekannt, ohne dass auch der Täter bekannt ist. Ohne die Identifizierbarkeit des Steuerpflichtigen kann der Staat aber kaum an die hinterzogenen Steuern gelangen und so seine Steuereinnahmen mehren. Auf die Identifizierbarkeit des Steuerpflichtigen und nicht des Täters kommt es an, weil um die zu wenig entrichteten Steuern sowie steuerliche Nebenleistungen wie Hinterziehungszinsen festzusetzen, dessen Identität, und nicht die des Täters, ermittelbar sein muss. Denn die Frage nach der Wirksamkeit der erstatteten Selbstanzeige und damit verbunden das Eingreifen von Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 AO bestimmt lediglich über den Eintritt der Straffreiheit. Den der Selbstanzeige zugrundeliegenden steuerrechtlichen Anspruch berührt sie dagegen nicht.150 Nach dieser Ansicht kommt es in einem Unternehmen nicht auf den verantwortlichen Täter an, wenn die steuerpflichtige Gesellschaft bekannt ist und Anhaltspunkte für vorsätzlich falsche Angaben in der Steuererklärung vorliegen.151 In diesen Fällen kann der Staat seinen Steueranspruch ohne Kenntnis des konkreten Täters gegen die steuerpflichtige Gesellschaft geltend machen; verborgene Steuerquellen sind dann bereits aufgedeckt. Die Rückkehr des eigentlich für die Steuerhinterziehung Verantwortlichen ist dann nicht mehr zu honorieren. In Sachverhaltskonstellationen, in denen der Täter zugleich der Steuerpflichtige ist, also häufig bei persönlichen Steuern, aber auch bei betrieblichen Steuern wie der Umsatzsteuer, kann ohne die Identifizierbarkeit des Täters dagegen keine Durchsetzung des Steueranspruchs des Staates erfolgen. Dieser Ansatz darf jedoch nicht dahingehend verstanden werden, dass bereits die Entdeckung einer Steuerverkürzung eines Steuerpflichtigen für eine Entdeckung der Tat des Täters ausreicht. Erforderlich bleibt nach wie vor die Entdeckung auch der subjektiven Tatseite152, um von der Entdeckung einer Steuerstraftat sprechen zu können. Die Entdeckung der subjektiven Tatseite wird in Fällen des Auseinanderfallens des Steuerpflichtigen und des Täters der Steuerstraftat 150 Zu den steuerrechtlichen Folgen einer Selbstanzeige vgl. z. B. Jehke, in: BeckOK, AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 371 AO Rn. 464 ff. 151 So auch Groß, in: Bülte/Adick, Fiskalstrafrecht, 2. Auflage 2019, 19. Kap. Rn. 40, 41. 152 Siehe hierzu oben auf S. 69.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
tendenziell seltener zu bejahen sein, sodass in unternehmensbezogenen Konstellationen nicht vorschnell eine Tatentdeckung angenommen werden darf.153 Zusammenfassend ist nach hier vertretener Auffassung für die Entdeckung der Steuerstraftat nicht die Kenntnis der Person des Täters der Straftat notwendig, sondern unter Berücksichtigung der fiskal- und kriminalpolitischen Zwecksetzung der Selbstanzeige die Identifizierbarkeit des Steuerpflichtigen, dessen Steuererklärungen unrichtige Angaben beinhalten. Dieser kann, muss jedoch nicht der Täter der Steuerhinterziehung sein, da Täter einer Steuerhinterziehung auch eine Person sein kann, die nicht steuerpflichtig ist.
V. Begriff der Teilentdeckung 1. Allgemeines Nach dem Gesetzeswortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO tritt Straffreiheit nicht nur dann ein, wenn eine der Steuerstraftaten ganz entdeckt war, sondern auch dann, wenn sie „zum Teil bereits entdeckt war“. Fraglich ist, wann eine Steuerstraftat zum Teil entdeckt war. Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, welcher Tatbegriff § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu Grunde gelegt wird. Oben wurde festgestellt, dass die Tat nach Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigem zu bestimmen beziehungsweise auf die einzelne Steuererklärung abzustellen ist. Legt man dieses Tatbegriffsverständnis zu Grunde, so genügt es, wenn einzelne unzutreffende Angaben in der Steuererklärung entdeckt werden (wie beispielsweise bei einer Einkommensteuererklärung hinsichtlich der Sonderausgaben), um die Selbstanzeige für alle unverjährten Steuerstraftaten der Steuerart Einkommensteuer zu sperren.154 2. Teilentdeckung durch Entdeckung von Vorbereitungshandlungen a) Problemaufriss Mit dem Begriff der Teilentdeckung sind indes weitere Fragen verbunden: Unbeantwortet ist damit die Frage, ob die Wahrnehmung von Vorstufen einer vollendeten Steuerhinterziehung auch als Teilentdeckung zu werten ist. Eine abgeschlossene Straftat durchläuft nach herkömmlicher Auffassung in der Regel vier Deliktsphasen: Vorbereitung, Versuch, Vollendung und Beendigung.155 Während 153 Für einen denkbaren Sachverhalt vgl. z. B. BGH, Urt. v. 05.05.2004, 5 StR 548/ 03, BGHSt 49, 136–147. 154 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 319; zu einer anderen Ansicht gelangt man, wenn man einen engeren Begriff der Tat heranzieht, vgl. hierzu: Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 643–646 und die Nachweise in Fußnote 38. 155 Zaczyk, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 22 StGB Rn. 2 m.w. N.
V. Begriff der Teilentdeckung
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bei den drei letzten Deliktsphasen bereits eine – versuchte, vollendete oder/und beendete – Straftat vorliegt, sind Vorbereitungshandlungen grundsätzlich straflos.156 Wird eine Tat im Stadium des Versuchs entdeckt, so wird eine Steuerstraftat entdeckt; die Frage nach der Teilentdeckung stellt sich demnach nicht. Stößt ein Finanzbeamter im Rahmen einer Außenprüfung etwa auf gefälschte Rechnungsbelege oder unrichtige Buchungen157, die steuerliche Vorgänge außerhalb des Prüfungszeitraums betreffen158, so könnte man diese Entdeckung einer Vorbereitungshandlung zur Steuerhinterziehung unter die Teilentdeckung einer Steuerstraftat subsumieren. b) Rechtsprechung Der BGH hat sich zu dem Verständnis des Begriffs der Teilentdeckung bislang nicht explizit geäußert. Allerdings hat er in einer Entscheidung aus dem Jahre 1987159 beiläufig erwähnt, dass eine Tat schon entdeckt sein kann, wenn Vorbereitungshandlungen aufgedeckt werden. In Anbetracht dessen, dass der BGH nach neuer Rechtsprechung die Sperrgründe extensiv auslegt und die Entdeckung einer Steuerordnungswidrigkeit für das Eingreifen des Sperrgrundes der Tatentdeckung genügen lässt, wird er diese Ansicht wohl beibehalten.160 c) Literatur Im Schrifttum ist diese Frage umstritten: Teilweise wird das Entdecken von Vorbereitungshandlungen als ausreichend für das Eingreifen der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO erachtet161, da dem Umstand Rechnung getragen müsse, dass im Rahmen der Tatentdeckung nur eine vorläufige Bewertung 156
Sie sind nur dann strafbar, wenn dies gesetzlich angeordnet wird. So ist beispielsweise die Vorbereitung der Fälschung von Geld- und Wertzeichen gemäß § 149 StGB strafbar. 157 Für Beispiele für Vorbereitungshandlungen zur Steuerhinterziehung vgl. Jäger, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 371 AO Rn. 192; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 321. 158 Der Sperrgrund gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO greift damit nicht ein, Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 755. 159 BGH, Urt. v. 13.05.1987, 3 StR 37/87, NStZ 1987, 464 (465). 160 So auch Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, AO § 371 Rn. 174; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 289. 161 So Hunsmann, ZWH 2018, 13 (16); ders., in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 371 AO Rn. 158; Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 265; Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 125; dieselbe Ansicht vertretend, allerdings ohne Begründung: Franzen, in: Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 1985, § 371 AO Rn. 126; Hadamitzky/Senge, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: 222. EL Dezember 2018, § 371 AO Rn. 40a; Muhler, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Auflage 2015, § 44 Rn. 160.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
der Tat erfolgen könne und damit die Wahrnehmung solcher Sachverhaltskonstellationen genügen müsse, die zwar für sich genommen keine Steuerstraftat darstellen, aber ein notwendiges Durchgangsstadium für eine Steuerstraftat bilden und daher ein Teil der Steuerstraftat darstellen.162 Teilweise wird das Entdecken von Vorbereitungshandlungen als ausreichend angesehen, weil damit „die Entdeckung der Tat begonnen [hat]; allerdings nicht in dem Sinne, daß damit bereits ein Teil der Tat entdeckt wäre, sondern in dem anderen, daß damit die Entdeckung teilweise erfolgt ist“.163 Eine Teilentdeckung liege dann deswegen vor, „weil man durch die Entdeckung der vorbereitenden Handlungen auch auf die Tat selbst schließen kann“.164 d) Stellungnahme: Entdeckung von Vorbereitungshandlungen ist nicht ausreichend Zurecht wird nach anderer Ansicht in der Literatur165 die Entdeckung einer Vorbereitungshandlung jedoch nicht als ausreichend angesehen, da diese wie oben ausgeführt keine Steuerstraftat darstellt, und der Wortlaut die Entdeckung einer Steuerstraftat verlangt: Das Gesetz sieht mit der Steuerordnungswidrigkeit der Steuergefährdung nach § 379 AO und dem Straftatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB Regelungen vor, die Vorbereitungshandlungen zur Steuerhinterziehung ahnden. Aus ihnen kann jedoch nicht der Schluss auf eine Steuerhinterziehung gezogen werden. Der Tatbestand der (versuchten) Steuerhinterziehung wird erst mit dem Einreichen der vorbereiteten Belege verwirklicht. Es ist zwar zutreffend, dass Vorbereitungshandlungen ein notwendiges Durchgangsstadium einer Steuerhinterziehung bilden, sodass bei einer verwirklichten Steuerhinterziehung nachträglich festgestellt werden kann, dass diese vorbereitenden Handlungen stattgefunden haben müssen. Umgekehrt jedoch – und dies ist entscheidend – münden gefälschte Belege nicht notwendigerweise in eine Steuerhinterziehung, da zu dem Zeitpunkt im Zweifel nicht einmal der Täter weiß, ob er sie letztlich beim Finanzamt einreichen wird und eine Steuerstraftat begehen wird. Auf Grundlage der entdeckten Vorbereitungshandlungen kann 162 So Hunsmann, ZWH 2018, 13 (16); ders., in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 371 AO Rn. 158; mit ähnlicher Begründung Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 265. 163 Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 125. 164 Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 125. 165 Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, AO § 371 Rn. 174; Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 158; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 289; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 321 bezeichnet es als „zweifelhaft“; Terstegen, Steuerstrafrecht einschließlich Verfahrensrecht, S. 126.
VI. Person des Tatentdeckers
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mangels Tat keine „vorläufige Tatbewertung“ erfolgen und schon gar nicht „die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses“ gegeben sein, mithin keine Entdeckung. Die Selbstanzeige soll als Gegenstück zur Steuerhinterziehung deren Folgen nachträglich beseitigen166, nicht jedoch die Folgen einer Steuerordnungswidrigkeit oder anderer Straftatbestände. Anhand der Ordnungswidrigkeit der Steuergefährdung gemäß § 379 AO wird deutlich, dass das Entdecken von Vorbereitungshandlungen nur bußgeldbewehrt, nicht jedoch auch mittelbar strafbegründend sein soll, indem die Selbstanzeige gesperrt wird. Subsumiert man die Entdeckung von Vorbereitungshandlungen unter den Begriff der Teilentdeckung, unterläuft man nicht nur den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, der die Teilentdeckung einer Steuerstraftat fordert, sondern auch diese Systematik innerhalb der AO. Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO wird dabei überdehnt und so das aus der Rechtsnatur der Selbstanzeige als Strafaufhebungsgrund folgende Bestimmtheitsgebot umgangen. Aus denselben letzteren Erwägungen kann auch nicht von der Teilentdeckung einer Steuerstraftat gesprochen werden, wenn nur die objektive Tatseite einer Steuerstraftat entdeckt wird, nicht jedoch auch subjektive Vorstellungen des Täters, denn dann kann auch nur die Entdeckung einer Steuerordnungswidrigkeit vorliegen.167 Der hier vertretenen restriktiven Auslegung der Sperrgründe entsprechend liegt einer Teilentdeckung einer Steuerstraftat nur dann vor, wenn die Steuerhinterziehung an sich entdeckt wurde, aber noch nicht das gesamte Volumen der Steuerverkürzung.168
VI. Person des Tatentdeckers Zuletzt stellt sich im Rahmen der objektiven Voraussetzungen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO die Frage, wer als „Entdecker“ der Steuerstraftat in Betracht kommt. Da sich Verdachtsmomente über Steuerstraftaten meist im Besteuerungsverfahren ergeben, wird rein praktisch betrachtet in den meisten Fällen ein Amtsträger der Finanzbehörde Steuerstraftaten aufdecken. Interessant ist jedoch, ob auch Angehörige anderer inländischer und sogar ausländischer Finanzbehörden oder aber auch Privatpersonen wie die eigene Ehefrau, Angestellte eines Unternehmens oder auch Mitgesellschafter geeignete Tatentdecker sind. 166
Jäger, in: Klein, 14. Auflage 2018, § 371 AO Rn. 41. Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 289; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 321; offenlassend: Hunsmann, ZWH 2018, 13 (15); ders., in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 371 AO Rn. 156. 168 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 755; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 321. 167
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Denn dem Wortlaut der Norm lässt sich hierzu nichts entnehmen; er trifft weder nähere Konkretisierungen noch Beschränkungen hinsichtlich der Person des Tatentdeckers. Danach müsste also jedermann tauglicher Tatentdecker sein. 1. Finanzbehörden Unstreitig handelt es sich bei den Angehörigen der Finanzbehörden um taugliche Tatentdecker.169 Die AO kennt zwei Legaldefinitionen des Begriffs der Finanzbehörden: die weitere Begriffsbestimmung in § 6 Abs. 2 AO und die engere des § 386 Abs. 1 Satz 2 AO. Maßgebend für die Bestimmung des Begriffs der Finanzbehörde im Rahmen des § 371 AO ist der allgemeine und zugleich weite Finanzbehördenbegriff des § 6 Abs. 2 AO170. Darunter fallen neben Finanz-, Hauptzoll- und Zollfahndungsämtern (§ 6 Abs. 2 Nr. 5 AO) auch die Mittel-, Ober- und obersten Behörden (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 4a AO) sowie die Familienkassen (§ 6 Abs. 2 Nr. 6 AO), die Deutsche Rentenversicherung Bund (§ 6 Abs. 2 Nr. 7 AO) und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (§ 6 Abs. 2 Nr. 8 AO). Die engere Begriffsbestimmung in § 386 Abs. 1 Satz 2 AO, die unter Finanzbehörden nur das Hauptzollamt, das Finanzamt, das Bundeszentralamt für Steuern und die Familienkasse fasst, bezieht sich nach ihrem Wortlaut lediglich auf die Vorschriften des steuerstrafrechtlichen Verfahrensrechts der AO (§§ 385 bis 408 AO). Die Regelung des § 371 AO ist dagegen als persönlicher Strafaufhebungsgrund materiell-rechtlich geprägt und systematisch nicht in diesem Normbereich verortet.171 2. Andere Behörden a) Inländische Behörden Nach heutiger allgemeiner Auffassung können auch Angehörige anderer inländischer Behörden eine Steuerstraftat entdecken. Der BGH äußerte sich zum ersten Mal in seiner Entscheidung vom 13.05. 1987172 zur der Frage des tauglichen Tatentdeckers. Er differenziert zwischen Finanz- oder Strafverfolgungsbehörden auf der einen Seite und den Dritten, die er mit „anderen Behörden und Privatpersonen“ umschreibt, auf der anderen Seite. Während er beim ersteren Personenkreis keine Notwendigkeit für eine Be169 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO Rn. 181; Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 122, bezeichnet Finanzbehörden als „tauglichste“ Entdecker im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO. 170 Jäger, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 371 AO Rn. 167. 171 Vgl. Roth, NZWiSt 2018, 63 (64), zur Frage, wie der Begriff der Finanzbehörde in § 371 Abs. 1 AO zu definieren ist. 172 BGH, Urt. v. 13.05.1987, 3 StR 37/87, NStZ 1987, 464 (465).
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gründung von deren tauglicher Tatentdeckerstellung sieht, diese also als selbstverständlich voraussetzt, führt er hinsichtlich der Dritten aus, Voraussetzung sei, dass bereits durch deren Kenntnis von der Tat eine Lage geschaffen wird, nach der bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlich ist. Daher sei darauf abzustellen, ob damit zu rechnen sei, dass der Dritte seine Kenntnis an die zuständige Behörde weiterreicht. Im Schrifttum wurde in den ersten Kommentierungen zur Regelung des Sperrgrunds der Tatentdeckung nach deren Einführung im Jahre 1952 teilweise vertreten, dass nur die zur Aufdeckung „befugten“ 173, „zuständigen“ 174 oder „verpflichteten“ 175 Behörden eine Tat entdecken könnten. Teilweise176 wurde aber bereits vor der Entscheidung des BGH ausgeführt, dass auch andere Behörden eine Tat entdecken können. Diese Ansicht wurde damit begründet, dass neben den Finanzbehörden auch die Staatsanwaltschaft und die Polizei geeignete Tatentdecker seien, weil sie dem in §§ 152 Abs. 2, 163 Abs. 1 StPO geregelten Legalitätsgrundsatz unterliegen und andere Behörden nach § 116 Abs. 1 Satz 1 AO dazu verpflichtet sind, den Finanzbehörden Tatsachen, die den Verdacht einer Steuerstraftat begründen, mitzuteilen. 177 Die heutige Literatur folgt der Ansicht der BGH, kombiniert und präzisiert sie jedoch mit Hilfe der vom Schrifttum bereits früher vorgenommenen Begründung dahingehend, dass bei Amtsträgern inländischer Behörden mit der Weiterreichung von Kenntnissen einer Straftat zu rechnen sei, wenn sie nach § 116 AO zur Anzeige einer Steuerstraftat verpflichtet sind oder dem Legalitätsprinzip unterliegen. Diese Auffassung soll näher betrachtet werden. aa) Anzeige von Straftaten nach § 116 AO Gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 AO trifft Gerichte und Behörden, die nicht Finanzbehörden sind, die Pflicht „Tatsachen, die sie dienstlich erfahren und die auf eine Steuerstraftat schließen lassen, dem Bundeszentralamt für Steuern oder, soweit bekannt, den für das Steuerstrafverfahren zuständigen Finanzbehörden mitzuteilen“. Anzeigepflichtige Stellen sind die Behörden von Bund, Ländern oder kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung. Hierzu zählen beispielsweise Ge173
Barske/Gapp, Steuerstrafrecht und Steuerverfahrensrecht, S. 87. Meyer, in: Troeger, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 1957, S. 261. 175 Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 126. 176 Franzen, NJW 1964, 1061 (1062); ders., in: Franzen/Gast, Steuerstrafrecht, 1. Auflage 1969, § 395 AO Rn. 123; Suhr, Steuerstrafrecht-Kommentar, 2. Auflage 1961, S. 139; Leise, Steuerverfehlungen, Stand: April 1977; Anm. 8 CI zu § 395 AO. 177 So Franzen, NJW 1964, 1061 (1063) bereits zu § 410 Abs. 2 AO; ders., in: Franzen/Gast, Steuerstrafrecht, 1. Auflage 1969, § 395 AO Rn. 123; Leise, Steuerverfehlungen, Stand: April 1977; Anm. 8 CI zu § 395 AO. 174
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
meindebehörden, Ausländerbehörden, Träger der Sozialversicherung, Zollbehörden und die Bekämpfungsstellen gegen illegale Beschäftigung beim Hauptzollamt sowie die Gerichte aller Gerichtsbarkeiten (Zivil-, Finanz-, Verwaltungs-, Arbeits- oder Sozialgerichte) und Strafverfolgungsbehörden.178 Konkret trifft die Mitteilungspflicht den Amtsträger des Gerichts oder der Behörde179, denn nur eine Person kann einen Verdacht180 haben und etwas dienstlich erfahren; eine behördliche Einrichtung hat keine private Sphäre. Gerade in gerichtlichen Auseinandersetzungen ist eine Vielzahl an Fällen denkbar, in denen das Gericht Tatsachen erfährt, die auf eine Steuerhinterziehung hindeuten, so etwa bei absichtlichen Falschbeurkundungen bei Grundstücksgeschäften oder Unterhaltsstreitigkeiten, bei denen verschwiegene Einnahmen entdeckt werden.181 Die Mitteilungspflicht ist einschlägig, wenn Tatsachen vorliegen, die auf eine Steuerstraftat schließen lassen. Dabei wird als ausreichend angesehen, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Steuerstraftat spricht, wobei eine bloße Vermutung nicht als ausreichend erachtet wird.182 Ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO oder ein sonstiger qualifizierter Tatverdacht im Sinne der §§ 112, 203 StPO werden nicht verlangt.183 Da § 116 Abs. 1 AO die Mitteilungspflicht auf in Ausübung des Dienstes erfahrene Tatsachen beschränkt, müssen Tatsachen, die in der privaten Sphäre – zum Beispiel am Stammtisch184 – bekanntgeworden sind, nicht mitgeteilt werden. Gemäß § 116 Abs. AO i.V. m. § 105 Abs. 2 AO gilt die Pflicht zur Mitteilung ferner in den Fällen nicht, in denen die Behörden und die mit postdienstlichen Verrichtungen betrauten Personen gesetzlich verpflichtet sind, das verfassungsrechtlich durch Art. 10 GG geschützte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis zu wahren. Außerdem schließen zahlreiche außersteuerliche Vorschriften § 116 178 Matthes, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 116 AO Rn. 21. 179 Bock, NJW 1992, 101 (101); eingehend zur persönlichen Pflicht des Amtsträgers im Rahmen des § 116 AO, Bülte, NStZ 2009, 57 (58). 180 Bock, NJW 1992, 101 (101). 181 Weitere Beispiele bei Bock, NJW 1992, 101 (101); Matthes, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 116 AO Rn. 21.1, 21.2. 182 Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 155. Lieferung 02.2019, § 116 AO Rn. 3; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 250. Lieferung 11.2018, § 116 AO Rn. 30; Rätke, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 116 AO Rn. 4; Schwarz, in: Schwarz/ Pahlke, AO, Stand: 19.03.2016, § 116 AO Rn. 3; Hendricks, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Auflage 1995, 148. Lieferung, § 116 Rn. 24; Wohltmann, UVR 2006, 183 (184). 183 BT-Drs. 16/814, S. 24; Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 155. Lieferung 02.2019, § 116 AO Rn. 3; Matthes, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 116 AO Rn. 31. 184 BT-Drs. 16/814, S. 24.
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Abs. 1 AO ganz oder teilweise aus (zum Beispiel § 10 Abs. 3 BörsG, § 9 Abs. 5 KWG). Das von Amtsträgern grundsätzlich gemäß § 30 Abs. 1 AO zu wahrende Steuergeheimnis steht einer Mitteilung dagegen nicht entgegen (vgl. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). bb) Legalitätsgrundsatz, §§ 152 Abs. 2, 160, 163 Abs. 1 StPO Das Legalitätsprinzip verpflichtet die Staatsanwaltschaft gemäß § 152 Abs. 2 StPO wegen aller verfolgbaren Straftaten – und damit auch Steuerstraftaten – einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, mithin ein Anfangsverdacht für eine Steuerstraftat vorliegt. Denkbar ist, dass die Staatsanwaltschaft durch Medienberichte oder Akteneinhalte anderer Behörden von einem Verdacht auf eine Steuerstraftat Kenntnis erlangt. Erhält die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis, so präzisiert § 160 Abs. 1 StPO den Legalitätsgrundsatz185 dahingehend, dass er die Staatsanwaltschaft zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Die „Behörden und Beamten des Polizeidienstes“ sind gemäß § 163 Abs. 1 StPO i.V. m. § 152 Abs. 2 StPO zur Sicherung des Legalitätsprinzips zum Einschreiten verpflichtet, wenn sie Kenntnis von einer möglichen Straftat erlangen. Gemäß § 163 Abs. 2 StPO müssen sie die Staatsanwaltschaft unverzüglich über die Ergebnisse ihrer Sachverhaltserforschung informieren, damit diese in die Lage versetzt werden kann, ein Verfahren einzuleiten. cc) Zwischenergebnis: Inländische Behörden sind grundsätzlich aufgrund der Pflicht zur Weiterleitung ihrer Kenntnisse von einer Steuerstraftat taugliche Tatentdecker Aus der näheren Betrachtung der Mitteilungspflicht nach § 116 AO und des Legalitätsgrundsatzes wird deutlich, dass der BGH zu Recht zwischen Finanzbehörden und Strafverfolgungsbehörden auf der einen Seite und anderen Behörden auf der anderen Seite differenziert: Erstere sind unmittelbar geeignete Tatentdecker, ohne dass es wie bei Dritten erst mit der Weiterleitung der Kenntnisse von einer Straftat an die zuständige Behörde gerechnet werden muss. Eine allgemeingültige Definition dafür, wann mit Weiterleitung von Kenntnissen durch Dritte zu rechnen ist, liefert der BGH allerdings nicht. Dieses vom BGH aufgestellte Kriterium hat zwar den Vorteil, eine am Einzelfall orientierte Lösung der Frage des Tatentdeckers zu ermöglichen. Dem auch im Rahmen des Sperrgrundes der Tatentdeckung geltenden Bestimmtheitsgrundsatzes wird damit jedoch nicht ausreichend Rechnung getragen. Diese nötige Konkretisierung bietet die vom Schrifttum vorgeschlagene Anknüpfung an die Mitteilungspflicht nach § 116 AO. 185
Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 160 StPO Rn. 2.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
dd) Außerdienstliches Erfahren von Steuerstraftaten An dieses Zwischenergebnis anschließend stellt sich die Frage, ob Tatentdeckung auch dann vorliegt, wenn Finanzbehörden und Strafverfolgungsbehörden oder andere inländische Behörden außerdienstlich Kenntnisse von einer Steuerstraftat erlangen. § 116 Abs. 1 Satz 1 AO regelt explizit, dass den Finanzbehörden nur Tatsachen, die dienstlich in Erfahrung gebracht werden und die auf eine Steuerstraftat schließen lassen, mitgeteilt werden müssen. Hinsichtlich des Legalitätsgrundsatzes ist es umstritten, inwieweit dieses sich auch auf außerdienstlich erlangtes Wissen bezieht. Die Verfolgungspflicht des § 152 Abs. 2 StPO (i.V. m. § 163 StPO) besteht bei privater außerdienstlicher Kenntniserlangung von einer Straftat durch einen Staatsanwalt, einen Finanz- oder einer Polizeibeamten nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann, wenn die strafbaren Handlungen noch in die Phase der Dienstausübung hineinreichen und in einer Abwägung das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung das Interesse des Amtsträgers an der Wahrung seiner Privatsphäre überwiegt.186 Der BGH187 und die überwiegende Ansicht im Schrifttum188 bejahen die Pflicht zur Strafverfolgung bei auf privatem Wege bekannt gewordenen Taten, wenn die Belange der Öffentlichkeit in besonderem Maße berührt werden. Dies wird bei Vorliegen einer Katalogtat des § 138 StGB, bei Verbrechen und auch bei anderen schwerwiegenden Straftaten angenommen.189 Bei der Steuerhinterziehung handelt es sich weder um eine in § 138 StGB genannte Straftat noch um ein Verbrechen (§ 12 StGB i.V. m. § 370 Abs. 1 AO). Somit ergibt sich aus § 116 AO und in der Regel auch aus dem Legalitätsgrundsatz keine Pflicht bei privat erlangter Kenntnis von Steuerstraftaten tätig zu werden. Daraus könnte man einerseits den Umkehrschluss ziehen, in diesen Fällen sei mangels gesetzlicher Regelung nicht mit Weiterreichung der Kenntnisse an die Behörde zu rechnen und die Tatentdeckung ablehnen oder aber man zieht die für Privatpersonen geltenden Grundsätze für die Bestimmung des tauglichen Tatentdeckers heran190 (dazu sogleich näher).191 Letztere Ansicht erscheint vorzugswürdig, denn es ist zum einen kein Grund ersichtlich, weshalb die bei Strafver186
So das BVerfG, Beschl. v. 21.11.2002, 2 BvR 2202/01, NJW 2003, 1030 (1030). Z. B. BGH, Urt. v. 09.09.1988, 2 StR 352/88, NJW 1989, 914 (916) m.w. N. 188 Gercke, in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Auflage 2019, § 152 Rn. 7; Fischer, StGB, 66. Auflage 2019, § 258a Rn. 4a; Peters, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 152 StPO Rn. 45; a. A.: Laubenthal, in: FS Weber, 2004, S. 125. 189 Gercke, in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Auflage 2019, § 152 Rn. 7; Fischer, StGB, 66. Auflage 2019, § 258a Rn. 4a jeweils m.w. N. 190 So z. B. Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 175; Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 161. 191 Siehe unten auf S. 93 ff. 187
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folgungsbehörden oder anderen Behörden Beschäftigten bei außerdienstlich erlangter Kenntnis von einer Steuerstraftat anders behandelt werden sollen als sonstige Privatpersonen. Zum anderen ergibt sich aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO – wie einleitend festgestellt – keine Beschränkung hinsichtlich der Person des tauglichen Tatentdeckers. b) Ausländische Behörden Wie einleitend festgestellt sieht die Regelung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO weder nähere Konkretisierungen noch Beschränkungen hinsichtlich der Person des Tatentdeckers vor, sodass demnach jedermann tauglicher Tatentdecker sein müsste. Dies wirft die Frage auf, ob sogar Amtsträger ausländischer Behörden taugliche Tatentdecker sein können. aa) Rechtsprechung des BGH Der BGH hat sich erstmals in seinen beiden Entscheidungen aus dem Jahre 1987192 zu der Frage nach der Tatentdeckung durch ausländische Behörden geäußert. In den den Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten beschlagnahmte die Schweizer Polizei vor dem Einreichen einer Selbstanzeige auf Grund eines Durchsuchungsbeschlusses die den Steuerhinterzieher betreffenden und belastenden Geschäftsunterlagen. Angehörige ausländischer Behörden kommen nach diesen Entscheidungen als Tatentdecker im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO in Betracht. Wie auch bei anderen inländischen Behörden setze dies voraus, daß bereits durch die Kenntnis des Amtsträgers der ausländischen Behörde „von der Tat eine Lage geschaffen wird, nach der bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlich ist. Es kommt deshalb darauf an, ob damit zu rechnen ist, daß der Dritte seine Kenntnis an die zuständige Behörde weiterreicht“.
Dieses vom BGH aufgestellte Erfordernis hänge bei ausländischen Behörden von den Umständen des Falles, insbesondere von der „Wahrscheinlichkeit der Rechtshilfegewährung“ ab. „Eine solche Lage kann sich in Fällen internationaler Rechtshilfe nicht erst zu dem Zeitpunkt ergeben, in dem sich die ausländischen Behörden nach der Auffindung von Beweismitteln zur Bewilligung der Rechtshilfe entschließen. Sie kann vielmehr schon mit der Auffindung der Unterlagen selbst zusammenfallen.“
Mit Verweis auf die Normen zur internationalen Rechtshilfe stellte der BGH hinsichtlich der Schweiz fest, dass diese in Steuerstrafsachen grundsätzlich keine Rechtshilfe leiste; der Schweiz sei es aber nach innerstaatlichem Recht möglich, 192 BGH, Urt. v. 12.08.1987, 3 StR 10/87, BGHSt 35, 36–38; BGH, Urt. v. 13.05. 1987, 3 StR 37/87, NStZ 1987, 464–465.
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Rechtshilfe zu gewähren, wenn Gegenstand des Verfahrens ein „Abgabenbetrug“ sei. Ob in den konkreten Fällen eine Rechtshilfegewährung letztlich wahrscheinlich war, geht aus den Entscheidungen des BGH nicht hervor, da diese jeweils an die Landgerichte zurückverwiesen wurden. Die von ihm aufgestellten Grundsätze hat der BGH zuletzt in seiner Entscheidung vom 09.05.2017193 noch einmal wiederholt. Der Entscheidung lag ein Korruptionssachverhalt zugrunde. Ein in Deutschland ansässiges Rüstungsunternehmen verkaufte Panzerhaubitzen an den Staat Griechenland. In diesem Zusammenhang flossen Bestechungsgelder an hohe griechische Amtsträger. Die Bestechungsgelder wurden als Provisionen getarnt einem deutschen Rüstungsunternehmen in Rechnung gestellt und von diesem als Betriebsausgaben erklärt. Ein Teil der Bestechungsgelder floss an den Angeklagten, einen leitenden Angestellten des deutschen Rüstungsunternehmens, zurück, der diese Zahlungen und die daraus erzielten Kapitalerträge nicht in seiner Einkommensteuererklärung erklärte. Die Selbstanzeige erstattete er erst nachdem griechische Behörden bereits zwei Zeugen festnahmen und im Besitz von Kontoauszügen waren, die die genannten Zahlungen an den Angeklagten hinsichtlich Höhe und Zeitpunkt belegten. Die Tatentdeckung durch griechische Behörden bejahte der BGH mit der Begründung, dass insbesondere wegen „des bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden hohen Medieninteresses und der besonderen Tragweite des Falles (. . .) damit zu rechnen [war], dass die gewonnenen Erkenntnisse an die deutschen Ermittlungsbehörden auf deren Ersuchen weitergeleitet würden“.
Außerdem würde ein wechselseitiger Informationsaustausch zwischen Griechenland und Deutschland schon deshalb stattfinden, weil die jeweiligen Verfolgungsbehörden – mithin auch die griechischen – die im jeweils anderen Staat vorhandenen Informationen zur vollumfänglichen Aufklärung der Taten benötigen, die Gegenstand der eigenen Ermittlungsverfahren sind. bb) Literatur Der Ansicht des BGH zur Tatentdeckereigenschaft ausländischen Behörden wurde im Schrifttum im Allgemeinen ohne eigene Erwägungen gefolgt.194 Eng193
BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 (393). Vgl. z. B. Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 184; Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 247; Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 161; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 318; Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 163. Lieferung 10.2020, § 371 AO Rn. 99; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 664. 194
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ler195 wirft jedoch die Frage auf, wie ausländische Behörden eine deutsche Steuerstraftat ohne Fachkenntnisse des deutschen Steuerrechts entdecken sollen, bedenkt man, dass den ausländischen Behörden regelmäßig keine Informationen darüber vorliegen werden, ob entdeckte Zahlungen von Bestechungsgeldern oder erzielte Kapitalerträge auf Schweizer Bankkonten in Deutschland steuerpflichtig sind und ob sie vom Steuerpflichtigen in Deutschland erklärt wurden. cc) Stellungnahme: Ausländische Behörden sind keine geeigneten Tatentdecker Der BGH spricht in seiner Entscheidung vom 09.05.2017 die von Engler angesprochene Problematik implizit an, indem er ausführt, dass im „Hinblick auf die Art und Weise der Verschleierung dieser Zahlungen über die zypriotische Firma des Zeugen P. und der Einschaltung Schweizer Bankhäuser sowie des Zusammenhangs der Zahlungen mit Bestechungszahlungen für ein Rüstungsgeschäft der Nebenbeteiligten, (. . .) es auch für die griechischen Ermittlungsbehörden nach kriminalistischer Erfahrung ausgesprochen naheliegend [war], dass der Angeklagte die Einnahmen in Deutschland nicht gegenüber den Finanzbehörden erklärt hatte. Dies rechtfertigt die Annahme der Entdeckung einer sich auf diese Zahlungen beziehenden Steuerhinterziehung der griechischen Behörden.“
Der BGH bedient sich bei dieser Subsumtion seiner Definition zum Begriff der Tatentdeckung. Die Kritik von Engler ist nachvollziehbar, bezieht sich aber nicht nur auf ausländische Behörden als taugliche Tatentdecker, sondern letztlich auch auf das problematische Begriffsverständnis der Tatentdeckung durch den BGH.196 Gegen das Argument von Engler könnte angeführt werden, dass der Kreis der potentiellen Tatentdecker erheblich eingeschränkt wäre, wenn die Person des Tatentdeckers stets über Fachkenntnisse des deutschen Steuerrechts verfügen müsste, um tauglicher Tatentdecker im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu sein, da regelmäßig nur Finanzbehörden und die mit steuerstrafrechtlichen Ermittlungen befassende Staatsanwälte über ein entsprechendes Fachwissen verfügen und Steuerberater und Rechtsanwälte aus anderen Gründen als taugliche Tatentdecker ausscheiden (dazu sogleich197). Ein Ausschluss ausländischer Behörden als geeignete Tatentdecker wäre ferner mit dem Zweck der Selbstanzeige nicht vereinbar: Der Anreiz eines Steuerhinterziehers auch hinsichtlich ausländischer Erträge zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren wäre gering, wenn er diese hinter der Staatsgrenze, und damit an der Grenze der Ermittlungsmöglichkeiten deutscher Behörden198, verstecken könnte und nicht zu be195 Engler, DStR 2017, 2260 (2263); nun auch Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 291. 196 Ausführlich zum Begriff der Tatentdeckung siehe oben auf S. 50 ff. 197 Siehe hierzu unten auf S. 108 ff. 198 Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 22.03.1983, 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (358).
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fürchten brauchte, auch von ausländischen Behörden entdeckt werden zu können. Insofern könnten auch erhebliche Steuerquellen verborgen bleiben. Trotzdem überschreitet dieses fiskalpolitisch nachvollziehbare Ergebnis, wonach auch ausländische Behörden aufgrund einer „Wahrscheinlichkeit der Rechtshilfegewährung“ taugliche Tatentdecker sind, nach hier vertretener Auffassung die Grenzen des Bestimmtheitsgebots, das wie oben dargestellt199 im Rahmen der Auslegung der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 AO zu beachten ist: Die Aussage des BGH, Tatentdeckung bei ausländischen Behörden richte sich „nach der Wahrscheinlichkeit der Rechtshilfegewährung“, erhält zwar Konturen, wenn ein Blick in die verschiedenen Rechtsgrundlagen zur Rechtshilfe geworfen wird. Grundlagen für die Rechtshilfe finden sich in Unionsrechtlichen Rechtsakten, multilateralen Abkommen und bilateralen Abkommen Deutschlands mit ausländischen Staaten, die jedoch starke Unterschiede aufweisen.200 Es bleibt ferner auch in den Entscheidungen des BGH unklar, ob dem BGH alleine die bestehenden rechtlichen Grundlagen für eine Rechtshilfe für die Bejahung der „Wahrscheinlichkeit der Rechtshilfegewährung“ ausreichen würden, da er sich hinsichtlich der Schweiz letztlich nicht dazu äußert und hinsichtlich Griechenland mit dem hohen Medieninteresse und der besonderen Tragweite des Falles argumentiert. Kehrt man zum Ausgangspunkt der Auffassung des BGH zurück, wonach Dritte dann taugliche Tatentdecker sind, wenn bei ihnen damit zu rechnen ist, dass sie ihre Kenntnisse von einer Steuerstraftat an die Behörde weiterleiten, so fällt auf, dass bei inländischen Behörden dieses Erfordernis konkretisiert werden kann, indem auf eine gesetzliche Pflicht zur Weiterleitung von Kenntnissen einer Steuerstraftat zum Beispiel aus § 116 AO angeknüpft wird. Ausländische Behörden dagegen trifft eine solche Pflicht, von Amts wegen tätig zu werden, gerade nicht. Sie werden grundsätzlich nur auf Ersuchen der inländischen Behörden tätig, auch wenn sie auch ohne Ersuchen Amtshilfe leisten können (sogenannte Spontanauskünfte ausländischer Behörden).201 Außerdem ist zu bedenken, dass das Ersuchen der inländischen Behörden selbst an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft ist.202 Während also bei inländischen Behörden die Frage, ob mit einer Weiterleitung von Kenntnissen von einer Steuerstraftat zu rechnen ist, durch eine gesetzliche Pflicht umschrieben wird, wird sie bei ausländischen Behörden mit dem Begriff der „Wahrscheinlichkeit“ umschrieben, ohne zu konkretisieren, wann die „Wahrscheinlichkeit der Rechtshilfegewährung“ vorliegt. 199
Siehe oben auf S. 25 f. Biesgen/Noel, SAM 2014, 5 (5); Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 399 AO Rn. 130. 201 Rätke, in: Klein, 15. Auflage 2020, § 117 AO Rn. 71; Biesgen/Noel, SAM 2014, 5 (6). 202 Siehe hierzu z.B: Matthes, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 117 AO Rn. 50 ff.; Rätke, in: Klein, 15. Auflage 2020, § 117 AO Rn. 73. 200
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Das Problem der fehlenden Bestimmtheit wird deutlich, wenn man die Ausführungen in den oben genannten Entscheidungen des BGH aus dem Jahr 1987203 noch einmal unter diesem Blickwinkel betrachtet: Die Schweiz leistet in Steuerstrafsachen grundsätzlich keine Rechtshilfe, ihr sei es aber nach innerstaatlichem Recht möglich, Rechtshilfe zu gewähren, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Abgabenbetrug ist. Ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtshilfegewährung zu bejahen ist, bleibt unklar. Das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 2 GG und einfachgesetzlich in § 1 StGB enthaltene Bestimmtheitsgebot, das im Rahmen der Auslegung des § 371 AO als persönlichem Strafaufhebungsgrund zu beachten ist204, verlangt unter anderem, dass der Anwendungsbereich einer Norm in einer für den Bürger vorhersehbaren Weise durch die üblichen Auslegungsmethoden ermittelbar ist, damit er als Normadressat jedenfalls im Regelfall die Strafbarkeit seines Verhaltens vorhersehen kann.205 Zwar kann eine unbestimmte Norm durch eine gefestigte Rechtsprechung einen hinreichend klaren Inhalt gewinnen.206 Anhand der von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze lässt sich jedoch gerade nicht bestimmen, ob eine ausländische Behörde einen tauglichen Tatentdecker darstellt, sodass der Steuerpflichtige nicht vorhersehen kann, ob er mit der Selbstanzeige Straffreiheit erlangen kann. Im Ergebnis stellen nach hier vertretener Auffassung ausländische Behörden keine tauglichen Tatentdecker dar, da sich eine solche Auslegung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht mehr mit dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgrundsatz vereinbaren lässt.207 3. Tatentdeckung durch Privatpersonen a) Generelle Möglichkeit der Tatentdeckung durch Privatpersonen Fraglich ist, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen auch Privatpersonen taugliche Tatentdecker sind. Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO trifft weder nähere Konkretisierungen noch Beschränkungen hinsicht-
203 BGH, Urt. v. 12.08.1987, 3 StR 10/87, BGHSt 35, 36 (38); BGH, Urt. v. 13.05. 1987, 3 StR 37/87, NStZ 1987, 464 (465). 204 Siehe hierzu oben auf S. 25. 205 BVerfG, Beschl. v. 10.03.2009, 2 BvR 1980/07, NJW 2009, 2370 (2371); BVerfG, Beschl. v. 08.03.1983, 2 BvL 27/81, BVerfGE 63, 312 (324); BGH, Beschl. v. 29.09.1986, 4 StR 148/86, BGHSt 34, 171 (178). 206 BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995, 1 BvR 1476/91, BVerfGE 93, 266 (292); Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg, Stand: 01.02.2021, § 1 StGB Rn. 11. 207 Im Ergebnis auch Bülte, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 260. Lieferung 10.2020, § 388 AO Rn. 30.
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lich der Person des Tatentdeckers. Teilweise208 wird die Ansicht vertreten, Privatpersonen seien generell keine tauglichen Tatentdecker, weil bei ihnen mangels Pflicht zur Übermittlungen einer entdeckten Steuerstraftat keine Gewähr dafür bestehe, dass sie tatsächlich ihre Kenntnis an die Finanzbehörde weiterleiten. Privatpersonen könnten aus unterschiedlichen Gründen die Erstattung einer Anzeige unterlassen, auch wenn der Täter damit rechnet, denn im Gegensatz zu anderen Delikten lösen Steuerstraftaten im Allgemeinen keine gefühlsmäßige Empörung aus.209 Diese heute nur vereinzelt vertretene210 Auffassung, nach der nur Behörden taugliche Tatentdecker sind, entspräche der hier vertretenen restriktiven Auslegung der Sperrgründe. Für diese Auffassung ließe sich anführen, der Gesetzgeber hätte auch im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nur einen Amtsträger als tauglichen Tatentdecker im Sinne gehabt und nur als sprachliche Verkürzung nicht erwähnt, dass nur ein Amtsträger eine Tat entdecken könne. Gegen eine solche Auslegung spricht jedoch, dass sie nicht zu erklären vermag, weshalb der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO offen formuliert ist, während er in den Sperrgründen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nach Amtsträgern bestimmter Behörden unterscheidet. Außerdem würde sich die Folgefrage stellen, ob der Gesetzgeber aufgrund der sprachlichen Verkürzung auf einen „Amtsträger der Finanzbehörde“ wie im Rahmen der Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c und e AO oder auf einen Amtsträger auch anderer Behörden wie im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d AO verzichtete. Ferner spricht dagegen, dass der Gesetzgeber seit Einführung des Sperrgrundes der Tatentdeckung in 1952 zahlreiche Gelegenheiten – etwa zuletzt im Rahmen Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes vom 28.04.2011 oder des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12. 2014 – hatte, um für Klarheit in der seit jeher streitigen Frage des tauglichen Tatentdeckers zu sorgen und dies dennoch nicht tat. Auch den Gesetzesmaterialien lassen sich keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass nur Amtsträger taugliche Tatentdecker sein können. All dies spricht dafür, dass im Rahmen des Sperrgrunds der Tatentdeckung ein weiterer Personenkreis angesprochen sein muss, und damit nicht nur Amtsträger von Behörden taugliche Tatentdecker sein können, sondern darüber hinaus auch Privatpersonen. Reicht indes die Entdeckung einer Tat durch jede beliebige Per208 Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 126; nur Behörden als Tatentdecker bezeichnend, jedoch ohne Begründung: Barske/Gapp, Steuerstrafrecht und Steuerverfahrensrecht, S. 87; Suhr, Steuerstrafrecht-Kommentar, 2. Auflage 1961, S. 139; Lüttger, StB 1993, 372 (377); Meyer, in: Troeger, Steuerstrafrecht, 3. Auflage, 1957, S. 261. 209 Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 126; Franzen, in: Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 1985, § 371 AO Rn. 125. 210 Parsch/Nuzinger, Selbstanzeigeberatung in der Praxis, Rn. 139.
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son aus, um die Straffreiheit nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO auszuschließen, so würde der Anwendungsbereich des Sperrgrunds erheblich erweitert und dementsprechend wäre eine Selbstanzeige unter Berücksichtigung des Sperrgrunds der Tatentdeckung nur dann wirksam, wenn niemand Kenntnis von einer Steuerstraftat hat. Dies wiederum würde den Wortlaut sprengen, denn dieser verlangt nicht etwa, dass niemand Kenntnis von der Tat haben muss.211 An dieser Stelle wird untersucht, nach welchen Kriterien der Kreis der Privatpersonen eingeschränkt werden kann, die als Tatentdecker fungieren können. b) Entwicklung der Rechtsprechung Seitens der Rechtsprechung wurden seit jeher mit unterschiedlichen Anknüpfungspunkten Einschränkungen des tauglichen Tatentdeckers vorgenommen: aa) Rechtsprechung des RG zum Tatentdecker im Sinne des § 46 Nr. 2 RStGB 1871212 Ebenso wie in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nahm § 46 Nr. 2 RStGB 1871 keinerlei Beschränkungen hinsichtlich des tauglichen Tatentdeckers vor. Das RG213 sah die Tatentdeckung im Zusammenhang mit der Freiwilligkeit der Abwendung eines Erfolges an; diese war seiner Auffassung nach bei Kenntnis solcher Personen, die zum Kreis des Täters gehören, nicht beeinträchtigt. Dem Begriff der „Entdeckung“ im Sinne des § 46 Nr. 2 RStGB 1871 liege der „Gedanke zu Grunde, daß die Abwendung des Erfolges nicht mehr als eine freiwillige betrachtet werden darf, wenn sich der Thäter bereits bewußt geworden war, daß die Wahrnehmung der That [durch einen Dritten] die Verhinderung des Eintrittes des Erfolges oder seine Strafverfolgung wegen derselben herbeiführen könne“.214
Dagegen stehe es der Freiwilligkeit der Abwendung des Erfolges nicht entgegen, wenn „der Wahrnehmende etwa der einverstandene nächste Angehörige des Thäters“ sei.215 In einer anderen Entscheidung stellte das RG ohne nähere Begründung fest, dass die „nicht mitschuldige Ehefrau des Thäters“ Entdeckerin (einer Brandstiftung) sein kann, (wenn aus der Flamme, die sie gesehen hat, auf
211 So im Ergebnis auch Kopacek, Steuerstraf- und Bussgeldfreiheit, S. 171, mit der Begründung, es sei „klar, daß der Gesetzgeber nicht beabsichtigt hat, die strafbefreiende Selbstanzeige in jedem Fall auszuschließen, in dem eine Tat von jemandem entdeckt wird“. 212 Zum Wortlaut des § 46 Nr. 2 RStGB 1871 siehe S. 56. 213 Vgl. z. B. RG, Urt. v. 03.05.1880, RG, 1049/80, RGSt 1, 375 (377). 214 RG, Urt. v. 03.05.1880, RG, 1049/80, RGSt 1, 375 (377); so auch RG, Urt. v. 23.03.1906, 578/05, RGSt 38, 402 (403); RG, Urt. v. 28.05.1937, 1 D 357/37, RGSt 71, 242 (243). 215 RG, Urt. v. 03.05.1880, RG, 1049/80, RGSt 1, 375 (377).
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eine Brandstiftung ihres Ehemanns geschlossen werden kann).216 Auch könne selbst ein „unmündiges Kind“ tauglicher Tatentdecker im Sinne des § 46 Nr. 2 RStGB 1871 sein. Entscheidend sei, dass seine Erkenntnis so weit reiche, dass er den Erfolg der wahrgenommenen Handlungen des Täters oder die zu erwartenden Wirkungen der Tat verhindern könne oder, dass auf seine Wahrnehmungen ein strafrechtliches Verfahren gegründet werden könne. Es käme jedoch nicht darauf an, ob der Tatentdecker trotz seiner Wahrnehmungen tatsächlich untätig bleibe.217 bb) Obergerichtliche Rechtsprechung In Anschluss an die Rechtsprechung des RG zum Personenkreis des Tatentdeckers im Sinne des § 46 Nr. 2 RStGB 1871 wurde früher von den Oberlandesgerichten – ebenfalls gestützt auf den Gedanken der Freiwilligkeit – im Rahmen des Sperrgrunds der Tatentdeckung die Auffassung vertreten, eine strafbare Handlung sei dann als entdeckt anzusehen, „wenn ein Unbeteiligter, der nicht zum Kreis des Täters gehört“, die strafbare Handlung selbst oder ihre Wirkungen wahrgenommen habe.218 Die Tat sei daher nicht entdeckt, wenn außer dem Täter Personen seines Vertrauen wie zum Beispiel die Ehefrau oder der Steuerberater oder andere Personen, die der Täter in die Tat eingeweiht hat, von der Tat wissen.219 cc) BGH und heutige Literatur Nach Ansicht des BGH220 und der heutigen Ansicht im Schrifttum221 besteht Einigkeit, dass auch Dritte grundsätzlich taugliche Tatentdecker sein können, wobei unter dem Begriff des Dritten andere Behörden als Finanz- und Strafverfolgungsbehörden sowie Privatpersonen verstanden werden. Voraussetzung sei, dass bereits durch die Kenntnis des Dritten eine Lage geschaffen wird, nach der bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Steuerstraftäters wahrscheinlich sei. Dies wiederum sei dann der Fall, wenn damit zu rechnen ist, dass der Dritte seine Kenntnis von der Steuerstraftat an die zuständige Behörde weiterreicht.
216
RG, Urt. v. 08.12.1880, 3020/80, RGSt 3, 93 (94). RG, Urt. v. 28.05.1937,1 D 357/37, RGSt 71, 242 (243 f.). 218 OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974 (976); BayObLG, Urt. v. 04.06.1970, RReg. 4 St 23/70, BayObLGSt 1970, 132 (132). 219 OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974 (976). 220 BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 (393); BGH, Beschl. v. 06.06.1990, 3 StR 183/90, wistra 1990, 308 (309); BGH, Urt. v. 27.04.1988, 3 StR 55/ 88, NStZ 1988, 413 (414); BGH, Urt. v. 12.08.1987, 3 StR 10/87, BGHSt 35, 36 (38); BGH, Urt. v. 13.05.1987, 3 StR 37/87, NStZ 1987, 464 (465). 221 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 317; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 292; Marschall, BB 1998, 2553 (2558); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 656. 217
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Diese Kriterien angewandt, werden Vertrauenspersonen und sonstige dem Täter nahestehende Personen nicht als taugliche Tatentdecker angesehen, da bei ihnen nicht damit zu rechnen sei, dass sie die Steuerstraftat zur Verfolgung bringen.222 Zu diesem Personenkreis werden Angehörige, Angestellte, Mitgesellschafter, die der Schweigepflicht unterliegenden Bevollmächtige wie beispielsweise Steuerberater und Rechtsanwälte sowie sonstige vom Täter zur Erstattung der Selbstanzeige Bevollmächtige gezählt.223 Außerdem sei bei Tatbeteiligten (Mittätern, Anstiftern und Gehilfen) regelmäßig nicht damit zu rechnen, dass diese wegen der Gefahr der Aufdeckung ihres eigenen Tatbeitrags die Tat offenbaren werden, sodass diese als Tatentdecker ausscheiden.224 Helml 225 konkretisiert diese allgemeine Ansicht, wonach die Wahrscheinlichkeit der Weiterleitung von Informationen durch den Dritten entscheidend sei, dahin, dass der Personenkreis der Tatentdecker mit dem Gedanken der Garantenstellung am besten zu umschreiben sei: Diejenigen Personen, welche eine rechtliche Handlungspflicht zur Weitergabe der steuerlichen Informationen treffe, müssen auch Tatentdecker im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO sein können. Dies seien „zumindest“ alle Personen, die sich bei einer unterlassenen Weiterleitung der Informationen wegen § 258 StGB strafbar machen würden. Aus dem Kreis der potentiellen Tatentdecker seien daher jedenfalls Angehörige im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen § 258 Abs. 6 StGB ausgeschlossen. Außerdem seien aber auch nichtangehörigen Personen, zu denen ein enger persönlicher Zusammenhang besteht, von der Tatentdeckerstellung ausgeschlossen, denn während der Wortlaut des § 258 Abs. 6 StGB diese erweiternde Auslegung nur schwerlich zulasse, sei dieses Wortlautargument im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht fruchtbar, da es sich hier von Beginn an um eine Auslegung des Begriffs des Entdeckers handele.226 dd) Zwischenergebnis Der vom RG herangezogene Gedanke der Freiwilligkeit der Erfolgsabwendung im Rahmen des § 46 Nr. 2 RStGB 1871 kann wie oben dargestellt nicht auf 222 BGH, Urt. v. 27.04.1988, 3 StR 55/88, NStZ 1988, 413 (414); Marschall, BB 1998, 2553 (2558); Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 160; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 292. 223 BGH, Beschl. v. 06.06.1990, 3 StR 183/90, wistra 1990, 308 (309); Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 185; Wessing/Biesgen, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2016, § 371 AO Rn. 132. 224 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 658; Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 185, spricht von „Schicksalsgemeinschaft“. 225 Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 121, 122. 226 Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 122, 123.
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§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO übertragen werden, da Freiwilligkeitsaspekte hier keine Rolle spielen und außerdem eine Selbstanzeige gerade eben auch dann abgegeben werden kann, wenn der (Steuerverkürzungs-)Erfolg bereits eingetreten ist.227 Festgehalten werden kann nur, dass das RG eine Tatentdeckung durch nahe Angehörige nicht generell ausschließt, sondern danach differenziert, ob diese mit der Tat einverstanden oder mitschuldig waren. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte steht zwischen der Auffassung des BGH und der Literatur auf der einen Seite und des RG auf der anderen, indem sie zwar mit Freiwilligkeitsaspekten und nicht mit der Wahrscheinlichkeit der Kenntnisweiterleitung argumentiert, aber letztlich zum selben Ergebnis kommt, dass Vertrauenspersonen wie Familienangehörige oder Steuerberater keine tauglichen Tatentdecker seien. c) Probleme bei der Bestimmung des tauglichen Tatentdeckers unter Privatpersonen aa) Begriff der nahestehenden Personen und Vertrauenspersonen Die Literatur und Rechtsprechung schließen Vertrauenspersonen oder dem Täter sonst nahestehende Person grundsätzlich228 aus dem Kreis der Tatentdecker aus. Indes nennen sie nur beispielhaft Personen, die sie darunter subsumieren, ohne eine allgemeine Definition voranzustellen. Es bleibt daher die Frage, wer unter diesen Personenkreis fällt und wie dieser Personenkreis zu bestimmen ist. Der Begriff der nahestehenden Person wird zum Beispiel in der den entschuldigenden Notstand regelnden Norm des § 35 StGB verwendet. Eine gesetzliche Definition des Begriffs der nahestehenden Person findet sich – anders als des engeren Begriffes des Angehörigen in § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB – im StGB nicht. Nach Auffassung der Rechtsprechung und Literatur sollen durch „die Einbeziehung anderer, dem Täter nahestehender Personen, (. . .) persönliche Verhältnisse berücksichtigt werden, die an Intensität des Zusammengehörigkeitsgefühls der Beziehung zwischen Angehörigen vergleichbar sind“.229
Diese Voraussetzung sei nur gegeben „bei einer auf Dauer angelegten engen persönlichen Beziehung zwischen dem Täter und der betreffenden Person“.230 227 Eingehend hierzu Franzen, in: Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 1985, § 371 AO Rn. 125. 228 Ausgenommen werden aber beispielsweise Vertrauenspersonen, bei denen aus Rache mit Weiterleitung von Kenntnissen zu rechnen ist, vgl. z. B. Webel, in: Schwarz/ Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 270a. 229 OLG Koblenz, Urt. v. 16.04.1987, 1 Ss 125/87, NJW 1988, 2316 (2317); Müssig, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 35 StGB Rn. 19; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 35 Rn. 15. 230 OLG Koblenz, Urt. v. 16.04.1987, 1 Ss 125/87, NJW 1988, 2316 (2317).
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Eine solche persönliche Beziehung läge vor bei festen Liebesverhältnissen, nahen Freundschaften und im Regelfall auch bei nichtehelichen beziehungsweise nicht eingetragenen Lebens- und langjährigen Wohngemeinschaften. Dagegen treffe dies nicht zu bei sympathiegetragenen gesellschaftlichen Umgang mit Sportsund Parteifreunden oder Arbeitskollegen und Nachbarn.231 Bei Heranziehung des Begriffsverständnisses der nahestehenden Person in § 35 StGB stellen allerdings Angestellte oder Mitgesellschafter keine nahestehenden Personen dar. Sie werden jedoch wie oben dargestellt als dem Täter nahestehende Personen und damit nicht als taugliche Tatentdecker angesehen. Offenbar ist der Begriff der nahestehenden Person im Rahmen des § 35 StGB enger als das Begriffsverständnis der nahestehenden Person, das die Rechtsprechung und Literatur bei der Frage nach der Bestimmung des tauglichen Tatentdeckers heranzieht. Das Steuerrecht nennt den Begriff der nahestehenden Person in verschiedenen Gesetzen; die dortigen Begriffsbestimmungen können für die vorliegende Frage des tauglichen Tatentdeckers allerdings ebenfalls nicht herangezogen werden. So definiert etwa § 1 Abs. 2 AStG den Begriff des „Nahestehens“, allerdings in völlig anderem Zusammenhang, nämlich letztlich zum Zwecke der Korrektur von Gewinnminderungen bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen und fasst darunter sowohl natürliche als auch juristische Personen.232 Auch wird in Zusammenhang mit der Abgeltungsteuer in § 32d Abs. 2 Satz Nr. 1 Buchst. a EStG der Begriff der nahestehenden verwendet, jedoch nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des BFH233 kann nicht in analoger Anwendung auf die gesetzliche Definition in den § 1 Abs. 2 AStG und § 138 InsO zurückgegriffen werden, da die Regelungen unterschiedliche Zwecke verfolgen. Der BFH folgt hier der Gesetzesbegründung234 zu § 32d Abs. 2 Satz Nr. 1 Buchst. a EStG, wonach ein Näheverhältnis nur dann vorliegen soll, „wenn die Person auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf diese Person einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person auf beide einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die nahestehende Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat“.
231 Müssig, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 35 StGB Rn. 19; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 35 Rn. 15. 232 Vgl. hierzu z. B. Kraft, in: Kraft, AStG, 2. Auflage 2019, § 1 AStG Rn. 160 ff. 233 BFH, Urt. v. 29.04.2014, VIII R 9/13, DStR 2014, 1661 (1663); streitig, vgl. Schmidt, in: BeckOK EStG, Kirchhof/Kulosa/Ratschow, 4. Edition, Stand: 01.07.2019, § 32d EStG Rn. 137 ff. mit Nachweisen. 234 BT-Drs. 16/4841, S. 61.
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Ein lediglich aus der Familienangehörigkeit abgeleitetes persönliches Interesse ist nach Auffassung des BFH nicht ausreichend, um ein Näheverhältnis i. S. des § 32d Abs. 2 Satz Nr. 1 Buchst. a EStG zu begründen.235 Andere Gesetze messen dem Begriff der nahestehenden Person wiederum eine andere Bedeutung zu.236 Der Begriff der Vertrauensperson ist weder in steuer- noch in strafrechtlichen Normen legal definiert. Im FamFG wird der Begriff der Vertrauensperson verwendet237 und seitens der Rechtsprechung ein Vertrauensverhältnis in diesem Sinne angenommen, wenn sich aus Äußerungen des Betroffenen oder sonstigen Umständen ergibt, dass der Betroffene mit dieser Person eng verbunden ist und ihr daher in besonderem Maße Vertrauen entgegenbringt.238 Zusammenfassend sieht die Rechtsordnung keinen allgemein gültigen Begriff der Vertrauensperson oder der nahestehenden Person vor. Daher ist die Verwendung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe, ohne hierzu zugleich eine Definition vorzugeben, nicht geeignet, zu bestimmen, wer als tauglicher Tatentdecker ausscheidet. bb) Zerrüttetes Vertrauensverhältnis Auch wenn Vertrauenspersonen zunächst einmal zum Kreis oder Lager des Täters gehören, kann nach der obigen Definition nicht stets davon ausgegangen werden, dass sie ihre Kenntnisse nicht an die Strafverfolgungsbehörden weiterleiten. Gerade in persönlichen Beziehungen sind zahlreiche Fälle denkbar, in denen von einem Tag auf den anderen eine verfeindete Stimmung herrscht und aus Gefühlen der Rache heraus Informationen über eine Steuerstraftat an die Behörde weitergeleitet werden. In Anwendung obiger Grundsätze liegt in diesen Fällen Tatentdeckung durch Privatpersonen vor. Dies wirft die weitere Frage auf, wie der Fall zu lösen ist, in dem sich eine Vertrauensperson später, das heißt nicht bereits im Zeitpunkt der Erlangung der Kenntnis von einer Steuerstraftat, dazu entschließt, die Tat den Strafverfolgungsorganen mitzuteilen. Denkbar ist dies in Fällen, in denen ein Vertrauensverhältnis in Folge einer Scheidung, Kündigung oder sonstigen Streitigkeit endet.239 Seitens der Rechtsprechung wurde diese Frage bislang noch nicht aufgegriffen. 235
BFH, Urt. v. 29.04.2014, VIII R 9/13, BFHE 245, 343 (349), BStBl. II 2014, 986
(989). 236
Vgl. z.B § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG. Vgl. z. B. § 274 Abs. 4 Nr. 1, 315 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG, wobei letztere beide Normen ein Benennen der Vertrauensperson durch den Betroffenen verlangen. 238 BGH, Beschl. v. 11.12.2019, XII ZB 357/19, NJW-RR 2020, 257 (258); BGH, Beschl. v. 25.01.2017, XII ZB 438/16, FGPrax 2017, 81 (82); siehe auch Günter, in: BeckOK FamFG, Hahne/Schlögel/Schlünder, 30. Edition, Stand: 01.01.2019, § 274 FamFG Rn. 12. 239 Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 270a. 237
VI. Person des Tatentdeckers
101
Teilweise wird in extensiver Auslegung der Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO allein als maßgeblich angesehen, ob durch die Beendigung des Vertrauensverhältnisses die Entdeckungs- und Verurteilungswahrscheinlichkeit im konkreten Fall steigt. Diese Auslegung sei auch mit dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vereinbar, da „sich die Entdeckungsgefahr durch die frühere Kenntniserlangung des Dritten erhöht“ 240 habe. Doch auch wenn diese (extensive) Auslegung noch mit dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vereinbar ist, so intendiert der Wortlaut eine andere Auslegung: Dieser stellt nur auf die Entdeckung einer Steuerstraftat ab und wurde lediglich seitens der Rechtsprechung und Literatur für die Entdeckung durch Dritte dahingehend konkretisiert, dass hierfür eine Wahrscheinlichkeit der Weiterleitung von Kenntnissen erforderlich ist. Kehrt man zu diesem eigentlichen Wortlaut des Gesetzes zurück, so ergibt sich, dass nur die Entdeckung einer Steuerstraftat zur Sperrwirkung führen soll und nicht auch andere Umstände.241 Nicht zu überzeugen vermag auch das Argument der Erhöhung der Entdeckungsgefahr durch die frühere Kenntniserlangung, denn dagegen könnte man genauso argumentieren, dass mit den Jahren die Steuerstraftat beim Dritten in Vergessenheit gerät und somit die Aufdeckungsgefahr eher sinkt. Dagegen wird zurecht vertreten, dass bei einem späteren Entschluss der Vertrauensperson die Wahrscheinlichkeit der Weiterleitung von Kenntnissen nicht mehr auf der Entdeckung durch die Vertrauensperson beruht, sondern auf der im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO irrelevanten persönlichen Motivation des Steuerpflichtigen, die nicht zum Ausschluss der Straffreiheit führen kann.242 Problematisch ist jedoch, dass der Zeitpunkt, in dem eine zwischenmenschliche Beziehung in Schieflage gerät, nur schwerlich dem Beweis zugänglich ist 240 Mösbauer, Stb 1999, 393 (397), ohne nähere Begründung; so auch Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 270a, mit dem Beispiel eines angestellten Buchhalters, der mit der Zeit erkennt, dass sein Arbeitgeber Steuern hinterzieht, ihm jedoch mit der Weiterleitung seiner Kenntnisse erst droht, als dieser ihm sein Gehalt nicht zahlt; so auch Mösbauer, Stb 1999, 393 (397), ohne nähere Begründung. 241 So im Ergebnis auch schon Franzen, NJW 1964, 1061 (1063): „(. . .) nicht die Entdeckung wäre das Damoklesschwert für den Täter, sondern ein Wandel seiner Beziehungen zu Personen (. . .)“; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Fn. 948; a. A. Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 270a, nach dessen Auffassung es sich nicht aus dem Wortlaut der Norm ergebe, dass in der Kenntniserlangung des Tatentdeckers der einzige Grund oder der zeitlich erste Grund liegen muss. 242 H. L. Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO Rn. 185; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Fn. 948; Franzen, NJW 1964, 1063; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 662, der in diesem Fall entgegen seiner eigenen Ansicht mit dem Ausschluss der „Freiwilligkeit“ argumentiert, die er anderer Stelle für unmaßgeblich im Rahmen der Sperrgründe hält, vgl. Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 630, 419.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
und zudem Missbrauchspotential birgt.243 Im Falle der Eheleute könnte die Ehefrau beispielsweise aus Rache nach Erstattung der Selbstanzeige des Ehemanns behaupten, sie sei bereits davor gewillt gewesen, ihre Kenntnisse an die Behörden weiterzureichen. Daran schließt sich die Frage an, ob eine Streitigkeit der Eheleute zugleich in diesem Zeitpunkt eine Kenntnis von der Tatentdeckung nach sich zieht und ob diese wiederum zu verneinen ist, wenn vor Weitergabe der Informationen eine Versöhnung der Eheleute stattfindet.244 Das Steuerstrafrecht beziehungsweise der Sperrgrund der Tatentdeckung würde letztlich also als Mittel dazu genutzt, um persönliche Probleme auszutragen. cc) Zwischenergebnis: Fehlende Bestimmtheit mangels Anknüpfung an gesetzliche Normen Auffällig ist, dass im Gegensatz zu dem Begründungsansatz der Tatentdeckereigenschaft von Behörden bei Privatpersonen überwiegend keine Anknüpfung an eine gesetzliche Pflicht zur Weiterleitung von Kenntnissen von einer Steuerstraftat vorgenommen wird. Die Begründung der Tatentdeckereigenschaft bei inländischen und ausländischen Behörden basiert auf Rechtsnormen während sie bei Dritten eher sozialen Normen folgt. Dadurch fehlt es dem Tatbestandsmerkmal der Person des Tatentdeckers an der notwendigen Bestimmtheit. Lediglich Helml 245 argumentiert, mit einer Weiterleitung von Informationen sei dann zu rechnen, wenn „eine gewisse rechtliche Handlungspflicht zur Weitergabe steuerlicher Informationen“ bestehe. Ihre Idee überzeugt im Ansatzpunkt, denn sie schafft Rechtssicherheit und eine Parallele zu der Handhabung der Problematik bei Behörden. Nicht weiterführend ist allerdings die Umschreibung mit dem Gedanken der Garantenstellung, ohne hierbei die maßgeblichen Kriterien festzulegen, die eine Garantenstellung begründen können.246 Eine Garantenstellung gemäß § 13 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn eine Person „rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg, [der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört,] nicht eintritt“. Umschreibt man den Personenkreis des Tatentdeckers mit der Garantestellung, stellt sich die Frage, auf den Erfolg welchen Deliktes sich diese beziehen soll. Nicht gefolgt werden kann der von Helml vorgenommenen Heranziehung des Tatbestands des § 258 StGB für die Frage, welche Privatperson tauglicher Tatent243 Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 122; Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 245. 244 Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 122. 245 Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 121 ff. 246 Die Umstände, die die Garantenstellung begründen, sind ungeschriebene Tatbestandsmerkmale der unechten Unterlassungsdelikte; es bleibt der Rechtsprechung und Lehre überlassen, die maßgeblichen Kriterien festzulegen. Tag, in: Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Auflage 2017, § 13 StGB Rn. 13.
VI. Person des Tatentdeckers
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decker ist. Zwar kann der Tatbestand der Strafvereitelung auch durch Unterlassen erfüllt werden. Die Garantenpflicht muss sich hierbei aber konkret auf das Rechtsgut der Strafvereitelung beziehen. Rechtsgut des § 258 StGB ist die staatliche Strafrechtspflege.247 Der unterlassenden Person muss demnach von Rechts wegen die Aufgabe zugewiesen sein, an der Strafverfolgung mitzuwirken und in irgendeiner Weise dafür zu sorgen, dass Straftäter nach Maßgabe des geltenden Rechts ihrer Bestrafung oder sonstigen strafrechtlichen Maßnahmen zugeführt werden.248 Auf Privatpersonen trifft dies grundsätzlich nicht zu.249 Weder aus der Anzeigepflicht gemäß § 138 StGB, noch aus privatrechtlich begründeten Verfolgungspflichten wie etwa bei Wachpersonal oder einem Ladendetektiv oder Vereinbarungen mit den Strafverfolgungsbehörden250 erwachsen Garantenpflichten zugunsten der Rechtspflege.251 Damit kann gerade bei der hier interessierenden Frage nach der Tatentdeckereigenschaft von Privatpersonen nicht mit der Garantenstellung im Rahmen des § 258 StGB argumentiert werden. Da bereits der objektive Tatbestand der Strafvereitelung durch Unterlassen mangels Garantenstellung im Fall einer von einem Täter begangenen Steuerhinterziehung in der Regel nicht erfüllt ist, kommt es gar nicht zur Prüfung des § 258 Abs. 6 StGB. Dann lässt daraus aber auch nicht schlussfolgern, dass Angehörige per se als Tatentdecker auszuschließen sind. § 258 Abs. 6 StGB bringt allerdings die gesetzgeberische Absicht zum Ausdruck, dass auf die potentiell gegebene notstandsähnliche Lage von im Angehörigenverhältnis stehenden Person Rücksicht zu nehmen ist.252 Der Problematik der Fragestellung zuordnend könnte man diejenige Person als Tatentdecker ansehen, die Garantin für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Täters der Steuerhinterziehung, um dessen Entdeckung der Steuerstraftat es geht, ist. Denn wenn der Tatentdecker dafür einzustehen hat, dass der Steuer247 BGH, Urt. v. 30.04.1997, 2 StR 670/96, BGHSt 43, 82 (84); Kühl, in: Lackner/ Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 258 StGB Rn. 1, jeweils m.w. N. 248 BGH, Urt. v. 30.04.1997, 2 StR 670/96, BGHSt 43, 82 (84), Rn. 13 m.w. N.; Altenhain, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 258 StGB Rn. 43; Bülte, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2017, § 258 StGB Rn. 21. 249 Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 258 StGB Rn. 17. 250 Hierzu eingehend Schelzke, NZWiSt 17, 142 (142 f.): „Strafverfolgungsbehörden möchten bei Durchsuchungen in Unternehmen häufig mit dem durchsuchten Unternehmen eine ,Vereinbarung‘ erzielen, welche Dokumente und Daten das durchsuchte Unternehmen den Strafverfolgungsbehörden zu einem späteren Zeitpunkt übergeben werden. Eine solche ,Vereinbarung‘ zwischen den Strafverfolgungsbehörden und dem von der Durchsuchung betroffenen Unternehmen wird häufig als ,Kooperationsvereinbarung‘, als ,Absprache‘ oder auch nur als ,Anlage zum Durchsuchungsprotokoll‘ bezeichnet.“ 251 BGH, Beschl. v. 31.07.1992, 2 StR 259/92, NStZ 1992, 540 (540); Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 258 StGB Rn. 17. 252 Vgl. hierzu Altenhain, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 258 Rn. 73; Cramer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2021, § 258 StGB Rn. 55.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
pflichtige zutreffende steuerlich erhebliche Angaben macht, dann kann damit gerechnet werden, dass der Garant als Tatentdecker dieser Pflicht auch nachkommt. Ob eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen in der Form möglich ist, dass sich die Handlungspflicht nicht aus den Steuergesetzen, sondern aus § 13 StGB ergibt, ist umstritten.253/254 Dies wird zum Teil mit der Begründung abgelehnt, der Gesetzgeber wollte mit der Formulierung der Varianten des § 370 Abs. 1 Nr. 1 (Handeln) und Nr. 2 AO (Unterlassen) eindeutig bestimmen, welche Verhaltensformen unter die Strafvorschrift fallen. Dieser Wille des Gesetzgebers würde unterlaufen, wenn man die sich aus § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ergebenden Beschränkungen durch die Anwendung von § 13 StGB i.V. m. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO umgehen wollte.255 Unstreitig ist jedoch, dass nach beiden Varianten der Strafbarkeit ein pflichtwidriges Unterlassen voraussetzt. Es muss folglich eine besondere rechtliche Handlungspflicht zur Abwendung des Erfolgs vorliegen, denn nicht jedermann trifft eine Pflicht zum Tätigwerden.256 d) Ermittlung des tauglichen Tatentdeckers unter Privatpersonen anhand einer Pflicht zur Mitteilung der Kenntnis von einer Steuerstraftat Nachfolgend wird untersucht, ob basierend auf diesem Ansatz der Bejahung der Tatentdeckung durch einen Dritten im Falle einer gesetzlichen Weiterleitungspflicht eine sachgerechte Bestimmung des tauglichen Tatentdeckers unter Privatpersonen erreicht werden kann. Dabei werden die einzelnen oben aufgelisteten Personengruppen näher betrachtet und auf die aus diesem Ansatz resultierenden Probleme eingegangen. aa) Tatbeteiligte als Tatentdecker Zunächst soll die Personengruppe der an der Steuerstraftat des Selbstanzeigenden Beteiligten – (Mit-)Täter und Teilnehmer gemäß § 28 Abs. 2 StGB – untersucht werden.
253 Bejahend u. a. Bülte, BB 2010, 607 (610); Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 370 AO Rn. 161; verneinend u. a. Schott, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 370 AO Rn. 108; Krumm, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 157. Lieferung 08.2019, § 370 AO, Rn. 69. 254 Der BGH hat soweit ersichtlich erstmals in seinem Urteil vom 09.04.2013 (1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 (227)) die Frage bejaht, dass allgemeine Garantenpflichten den (Mit-)Täter zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen verpflichten können. Vgl. hierzu auch die Untersuchung der Rechtsprechung des BGH durch Schott, in: Hüls/ Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 370 AO Rn. 108 (Fußnote). 255 Schmitz/Wulf, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 370 AO Rn. 358. 256 Bülte, BB 2010, 607 (610); Heuel/Hilgers-Klautzsch/Peters/Ransiek/Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Februar 2022, § 370 AO, Rn. 272.
VI. Person des Tatentdeckers
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Der BGH hat die Frage, ob es sich bei Tatbeteiligten um taugliche Tatentdecker handelt, bislang offen lassen können.257 Seitens der Literatur wird die Frage verneint, da bei diesen aus Gründen der Gefahr der eigenen Aufdeckung mit der Offenbarung der Tat nicht zu rechnen sei.258 Dieser Gedanke erscheint jedoch nicht selbstverständlich. Man könnte auch argumentieren, bei Tatbeteiligten sei deswegen mit der Offenbarung einer Steuerstraftat in Form einer Selbstanzeige zu rechnen, weil diese selbst Straffreiheit erlangen möchten und damit einen Anreiz zur Erstattung einer Selbstanzeige haben. In der Selbstanzeige hat der Beteiligte grundsätzlich nicht nur seinen eigenen Tatbeitrag offenzulegen, sondern grundsätzlich auch Angaben zu der Haupttat zu machen.259 Die Folge wäre ein Wettlauf um die Steuerstraffreiheit, die als wünschenswert angesehen werden kann, berücksichtigt man die fiskalpolitische Zwecksetzung der Selbstanzeige.260 Indes ist nicht ersichtlich, woraus man für den Tatbeteiligten eine Pflicht herleiten könnte, nach der begangenen Steuerhinterziehung des Selbstanzeigenden seine Kenntnisse hiervon an die Behörde weiterzuleiten. Eine Pflicht zur Offenbarung der Steuerstraftat könnte man allenfalls aus einer Garantenstellung aus Ingerenz annehmen, indem man die Beteiligung an der Steuerstraftat als pflichtwidriges vorangegangenes Tun heranzieht.261 Allerdings würde die Annahme der Garantenstellung aus Ingerenz in diesen Fällen eine gesetzliche Pflicht zur Selbstanzeige begründen. § 371 AO ermöglicht dem Tatbeteiligten als persönlicher Strafaufhebungsgrund die Selbstanzeige, verpflichtet ihn jedoch nicht hierzu.262 Letztlich hätte die Bejahung der Tatentdeckereigenschaft eines Tatbe-
257 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 27.04.1988, 3 StR 55/88, NStZ 1988, 413 (414): „In Literatur und Rechtsprechung werden Mittäter, Vertrauenspersonen oder sonstige dem Täter nahestehende Personen als taugliche Tatentdecker ausgeschieden (vgl. OLG Frankfurt NJW 1962, 974, 976 (. . .) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob dem in vollem Umfang zuzustimmen ist.“ Das OLG Frankfurt sieht den „Unbeteiligte[n], der nicht zum Kreis des Täters gehört“, als tauglichen Tatentdecker an (OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961, 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974 (976)), siehe hierzu auch oben auf S. 96. 258 Hunsmann, ZWH 2018, 13 (16); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 658; Wessing/Biesgen, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2016, § 371 AO Rn. 132. 259 Ausführlich hierzu Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 121 ff. Hiervon werden in Literatur und Rechtsprechung verschiedene Ausnahmen zugelassen: Vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 21.11.1985 – 1 Ss 108/85, wistra 1986, 117. Mösbauer, StB 1999, 393 (394); Riegel/Kruse, NStZ 1999, 325 (326); Ditges/Graß, BB 1998, 1978 (1980); Stahl, Selbstanzeige, 3. Auflage 2011, Rn. 98. 260 Vgl. hierzu Mösbauer, Stb 1999, 393 (394). 261 Vgl. hierzu die streitige Frage nach der Begründung der Garantenstellung aus Ingerenz im Anschluss an vorsätzliches Verhalten. Nach Ansicht des BGH, Urt. v. 24.10.1995 – 1 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 131 (131) ist der Täter, der vorsätzlich einen Erfolg anstrebt oder billigend in Kauf nimmt, nicht zugleich verpflichtet, ihn abzuwenden; so auch Otto, in: FS Hirsch, S. 291 (306); a. A. Stein, JR 1999, 265 (273). 262 BGH, Beschl. v. 20.12.1995, 5 StR 412/95, NStZ 1996, 563 (565).
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
teiligten zur Folge, dass die Selbstanzeige stets gesperrt wäre, wenn sich an der Steuerhinterziehung auch andere Personen beteiligt haben. Dies wäre nicht nur mit dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO unvereinbar, sondern dagegen sprechen auch systematische Erwägungen: Der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO i.V. m. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO schließt die Selbstanzeige unter zusätzlichen Voraussetzungen nur für ein Mitglied einer Bande263 aus, die sich zur fortgesetzten Begehung von Hinterziehungen von Umsatz- oder Verbrauchsteuern verbunden hat. Im Umkehrschluss kann die Straffreiheit nicht generell ausgeschlossen sein, wenn der Täter die Steuerhinterziehung unter Mitwirkung von Tatbeteiligten begangen hat. Mangels einer Pflicht und sogar des Rechts des Tatbeteiligten zur Tat zu schweigen kann im Ergebnis – wie von der allgemeinen Meinung in der Literatur angenommen – nicht damit gerechnet werden, dass ein Tatbeteiligter seine Kenntnisse an die zuständigen Behörden weiterleitet, sodass ein Tatbeteiligter auch kein tauglicher Tatentdecker ist. Ergänzend sei an dieser Stelle auf Folgendes hingewiesen: Vorliegend wird – wie einleitend festgestellt – untersucht, ob basierend auf dem generellen bzw. allgemeingültigen Ansatz der Bejahung der Tatentdeckung durch einen Dritten im Falle einer gesetzlichen Weiterleitungspflicht eine sachgerechte Bestimmung des tauglichen Tatentdeckers unter Privatpersonen vorgenommen werden kann. Bei der Personengruppe der Tatbeteiligten könnte man sich jedoch bereits einen Schritt vor der Prüfung, ob mit der Offenbarung einer Tat durch den Tatbeteiligten zu rechnen ist, die Frage stellen, ob ein Tatbeteiligter begrifflich eine Tat entdecken kann, an der er selbst beteiligt war. Denn der Begriff der Entdeckung wird damit umschrieben, dass etwas Verborgenes, Unbekanntes aufgefunden wird.264 Auf die Situation eines Tatbeteiligten, der wissentlich und willentlich an der Steuerstraftat des Selbstanzeigenden mitgewirkt hat, lassen sich diese Umschreibungen nicht sinnvoll anwenden. Bei dieser Personengruppe erscheint es daher überzeugender bereits aufgrund des Wortlauts des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, der das Entdecken einer Tat fordert, aus der Prüfung, ob ein Tatbeteiligter ein tauglicher Tatentdecker ist, auszuscheiden. bb) Angehörige als Tatentdecker Fraglich ist, ob Angehörige im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB265 taugliche Tatentdecker darstellen. Der Begriff der Vertrauensperson oder der nahestehen-
263 Zum Begriff der Bande vgl. z. B. Jäger, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 370 AO Rn. 299. 264 Siehe hierzu oben auf S. 59 ff. 265 Die Angehörigenbegriffe des § 11 Nr. 1 StGB und des § 15 AO sind nicht deckungsgleich; letzterer ist weiter und erfasst auch Geschwister der Eltern.
VI. Person des Tatentdeckers
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den Person wird hier aus Gründen der Unbestimmtheit nicht verwendet. Die Begriffe sind zwar nicht identisch, indes wird es sich bei Angehörigen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB regelmäßig auch um Vertrauenspersonen oder dem Täter nahestehenden Personen handeln. Diese werden wie oben dargestellt grundsätzlich266 nicht als taugliche Tatentdecker angesehen, da bei ihnen nicht damit zu rechnen sei, dass sie als dem Kreis des Täters angehörend ihre Kenntnisse an die Behörde weiterreichen. Untersucht man die Frage nach einer Pflicht des Angehörigen, seine Kenntnisse von der Steuerstraftat an die Behörden weiterzuleiten, so gelangt man zu dem Ergebnis, dass Angehörige als Tatentdecker generell auszuscheiden haben. Eine Pflicht zur Weiterleitung von Kenntnissen von einer Steuerstraftat durch einen Angehörigen könnte man allenfalls aus einer Garantenstellung annehmen. Die Prüfung der Garantenstellung von Angehörigen in strafrechtlichen Fällen lässt zunächst an die aus der Verbundenheit zwischen Familienmitgliedern resultierende Beschützergarantenstellung denken. Diese ist vorliegend allerdings irrelevant, denn die (Obhuts-)Pflichten der Angehörigen beziehen sich auf Rechtsgüter wie Leib und Leben eines anderen Angehörigen. Weder sind Angehörige des Täters Beschützergaranten des staatlichen Steueranspruchs, noch haben sie die Gefahrenquelle Angehöriger zu überwachen.267 Eine Pflicht der Angehörigen, ihre Kenntnisse von der Steuerstraftat weiterzuleiten, stünde auch in Widerspruch zu dem gemäß § 52 Abs. 1 StPO bestehenden Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen, durch das der Gesetzgeber zum Ausdruck brachte, dass der Familienfrieden Vorrang vor dem Strafverfolgungsinteresse des Staates haben soll und damit die Konfliktsituation des Angehörigen zwischen Wahrheitspflicht und verwandtschaftlicher Beziehung zu Gunsten letzterer entschieden.268 Dieselbe gesetzliche Wertung lässt sich auch § 258 Abs. 6 StGB entnehmen.269
266 Das auf S. 100 dargestellte Problem des Handelns von Privatpersonen aus Rache stellt zugleich die Ausnahme dar. 267 Eine Ausnahme gilt für die Beziehung zwischen einem minderjährigen Kind und seinen Eltern. Die Eltern haben als Überwachergaranten dafür Sorge zu tragen, dass der Minderjährige keine rechtswidrigen Taten begeht, vgl. Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 13 Rn. 52. Allerdings sollte das Begehen einer Steuerhinterziehung durch ein minderjähriges Kind ein eher selten anzutreffender Fall sein. 268 BVerfG, Beschl. v. 25.09.2003, 2 BvR 1337/03, NStZ-RR 2004, 18 (19); BGH, Urt. v. 28.04.1961 – 4 StR 77/61, NJW 1961, 1484 (1485); Percic, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 52 StPO Rn. 1. 269 BGH, Urt. v. 29.05.1958, 4 StR 62/58, NJW 1958, 1148 (1149); Cramer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2021, § 258 StGB Rn. 55.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
cc) Steuerberater und Rechtsanwälte als Tatentdecker Eine Selbstanzeige muss nicht eigenhändig verfasst oder höchstpersönlich erstattet werden270. Regelmäßig bevollmächtigen Steuerpflichtige aufgrund der hohen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Selbstanzeige Rechtsanwälte oder Steuerberater mit der Erstattung der Selbstanzeige. So führte der BFH bereits in 1952 aus, die „RAbgO rechnet allgemein damit, daß die Steuerpflichtigen im Verkehr mit dem Finanzamt eines ,Helfers in Steuersachen‘ oder anderer Bevollmächtigter sich bedienen (vgl. §§ 102–107, 416 RAbgO); es ist nicht ersichtlich, warum dies gerade bei der schwierigen Erstattung einer Selbstanzeige nach § 410 unzulässig sein soll.“ 271
Dass diese, wenn sie für den Steuerpflichtigen die Selbstanzeige erstatten, keine tauglichen Tatentdecker sind, ergibt sich schon daraus, dass ansonsten eine Selbstanzeige stets höchstpersönlich zu erfolgen hätte, um nicht unter den Sperrgrund der Tatentdeckung zu fallen. Interessant ist jedoch der Fall, in dem ein Steuerberater oder Rechtsanwalt, der an der Steuererklärung seines Mandanten mitgewirkt hat, nachträglich erkennt, dass diese unrichtige oder unvollständige Angaben beinhaltete. Es stellt sich die Frage, ob den Berater sodann die Pflicht trifft, entweder die unrichtigen Angaben der Finanzbehörde mitzuteilen und ob er sich im Falle der Missachtung einer etwaigen Pflicht sogar wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar macht. Die Frage, wer Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen sein kann, ist wie oben erwähnt, streitig. Streitig ist ferner, ob eine Offenlegungspflicht alleine im Steuerrecht wurzeln muss oder sich auch aus den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen ergeben kann, sodass auch die Begründung einer Pflicht aus § 13 StGB genügt.272 Im Fokus steht hier jedoch die Frage, ob den Berater überhaupt eine Pflicht zur Offenlegung der unrichtigen oder unvollständigen Angaben trifft. Auf die Frage nach der Pflicht des Steuerberaters, die Finanzbehörden von dem ihm nachträglich bekannt gewordenen Verhalten des Mandanten zu unterrichten, ist der BGH in seiner Entscheidung vom BGH vom 20.12.1995273 ausführlich eingegangen. Zu Recht lehnt der BGH hier eine eigene rechtliche Pflicht des Steuerberaters ab, nach Kenntniserlangung eine berichtigende Erklärung gemäß § 153 Abs. 1 AO beim Finanzamt einzureichen. Die Norm verpflichtet nur den Steuerpflichtigen (§ 33 AO) und den Gesamtrechtsnachfolger eines Steuer270 BGH, Urt. v. 05.05.2004, 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (139); Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 29 m.w. N. 271 BGH, Urt. v. 13.11.1952, 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373 (374). 272 Siehe Nachweise oben bei Fn. 253/254. 273 BGH, Beschl. v. 20.12.1995, 5 StR 412/95, NStZ 1996, 563.
VI. Person des Tatentdeckers
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pflichtigen sowie die nach den §§ 34 und 35 AO für den Gesamtrechtsnachfolger oder den Steuerpflichtigen handelnden Personen zur nachträglichen Anzeige und Berichtigung. Nach dem eindeutigen Wortlaut trifft den Berater als gewillkürten Vertreter jedoch keine Pflicht zur nachträglichen Berichtigung.274, 275 Speziell für den Steuerberater führt der BGH aus, dass nur eine solche „enge Auslegung des § 153 AO“ dem gesetzlich verankerten Verhältnis zwischen dem Steuerberater und seinem Mandanten gerecht werde: Der Steuerberater ist gemäß § 57 Abs. 1 StBerG zur Verschwiegenheit verpflichtet, wobei diese Pflicht auch gegenüber Angehörigen der Finanzverwaltung gelte.276 Dem entspreche ein „Auskunftsverweigerungsrecht des Steuerberaters nach § 102 I Nr. 3b AO über alle Angelegenheiten, die ihm in dieser Eigenschaft anvertraut oder bekanntgeworden sind, sowie ein Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren nach § 53 I Nr. 3 StPO, durch die das Vertrauensverhältnis zum Mandanten geschützt und dem Geheimnisträger jeweils ein aus einer möglichen Zwangslage erwachsender Pflichtenwiderstreit mit anderen öffentlichen Interessen der Allgemeinheit erspart werden soll“.277
Der BGH lässt dabei jedoch offen, ob seiner Ansicht nach etwas Anderes für den Fall gilt, in dem der Steuerberater die Steuererklärung in eigener Verantwortung erstellt und selbst unterschreibt. Nach hier vertretener Auffassung kann dabei angesichts des eindeutigen Wortlauts nichts Anderes gelten. Für eine analoge Anwendung des § 153 AO auf gewillkürte Vertreter fehlt es an der planwidrigen Regelungslücke. Im Übrigen stünde der Erweiterung des Personenkreises auch das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Analogieverbot entgegen, da der Regelung des § 153 AO als gesetzlich geregelten Fall der Garantenpflicht auch eine strafrechtliche Bedeutung zukommt.278 Denn im Falle der Missachtung der Pflicht aus § 153 AO könnte sich der Steuerberater als gewillkürter Vertreter wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar machen. Damit der Bestimmtheitsgrundsatz und als dessen Verlängerung auch das Analogieverbot nicht leerlaufen, müssen außerstrafrechtliche Normen wie hier § 153 AO, die selbst keine Strafgesetze sind, jedoch zur Ausfüllung eines
274 BGH, Beschl. v. 20.12.1995, 5 StR 412/95, NStZ 1996, 563 (565); Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 157. Lieferung 08.2019, § 153 AO Rn. 4; Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 254. Lieferung 08.2019, § 153 AO, Rn. 4; Krabbe, in: Koch, AO, 4. Auflage, § 153 AO Rn. 3; a. A.: OLG Koblenz, Beschl. v. 15.12.1982, 1 Ss 559/82, wistra 1983, 270. 275 Es sei denn, dieser tritt über seine Rolle hinaus in die des gesetzlichen Vertreters nach § 34 AO oder die des Verfügungsberechtigten nach § 35 AO. Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 254. Lieferung 08.2019, § 153 AO, Rn. 4; Kämpfer/Buhlman, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, 2. Auflage 2019, 11. Kapitel, Rn. 63 m.w. N. 276 BGH, Beschl. v. 20.12.1995, 5 StR 412/95, NStZ 1996, 563 (565). 277 BGH, Beschl. v. 20.12.1995, 5 StR 412/95, NStZ 1996, 563 (565). 278 El Mourabit, NWB 2016, 3407 (3410).
110
D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Blankettstraftatbestandes, hier des § 370 AO279, verwendet werden, den für Strafgesetze geltenden Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen.280 Ferner kommt der BGH zum zutreffenden Schluss, dass es „[b]ei dieser Rechtslage (. . .) außer Zweifel [steht], daß sich für den Steuerberater aus der bloßen beruflichen Stellung auch keine Garantenstellung aus § 13 I StGB herleiten läßt“. Dies überzeugt, denn der Steuerberater ist weder Beschützergarant des staatlichen Steueranspruchs, noch ist er Überwachungsgarant des Verhaltens des Mandanten als Gefahrenquelle.281 Aber auch aus vorangegangenem pflichtwidrigen Tun, der Ingerenz, lässt sich keine Garantenpflicht für den Berater herleiten. Denn die Begründung einer strafbewehrten Pflicht darf weder zu „unauflösbaren strafrechtsdogmatischen Unstimmigkeiten noch zu Verstößen gegen Verfassungsrecht führen“.282 Die Annahme einer Garantenpflicht hätte jedoch eine nicht gerechtfertigte Pflichtenkollision zu Lasten des Beraters zur Folge. Entweder der Berater setzt sich dem Risiko der Strafbarkeit wegen Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB aus, wenn er die unrichtigen Angaben gegenüber den Finanzbehörden offenbart, oder aber er macht sich wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V. m. § 13 StGB strafbar, wenn er schweigt. Letztlich würde die Pflicht zur Offenlegung der Steuerstraftat des Mandanten einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit des Beraters nach Art. 12 GG darstellen, denn das unter anderem auf der Verschwiegenheitspflicht beruhende Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Mandanten ist eine essentielle Voraussetzung für die Ausübung der beruflichen Tätigkeit des Beraters.283 Dieses würde nachhaltig zerstört werden oder erst gar nicht entstehen, müsste der Steuerpflichtige damit rechnen, dass sein Berater unrichtige Angaben nachträglich der Finanzbehörde meldet.284 Zusammenfassend besteht also keine Pflicht des Steuerberaters, unrichtige Angaben seines Mandanten der Finanzbehörde zu offenbaren, sodass auch nicht da-
279 BVerfG, Beschl. v. 15.10.1990, 2 BvR 385/87, NJW 1992, 35 (35); BGH, Urt. v. 28.01.1987, 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (382); Jäger, in: Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 370 AO Rn. 5. 280 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.07.1962, 2 BvL 4/62, BVerfGE 14, 245 (251); BVerfG, Beschl. v. 06.05.1987, 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329 (342); Bülte, JuS 2015, 769 (777); Danneker/Schuhr, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2020, § 1 Rn. 216. 281 Breitenbach, DStR 2016, 2201 (2202). 282 Bülte, BB 2010, 607 (610). 283 Kämpfer/Buhlman, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, 2. Auflage 2019, 11. Kapitel, Rn. 62. 284 Kämpfer/Buhlman, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, 2. Auflage 2019, 11. Kapitel, Rn. 62.
VI. Person des Tatentdeckers
111
mit gerechnet werden kann, dass eine Weiterreichung der Kenntnisse von einer entdeckten Steuerstraftat erfolgt. Für Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer gelten die Ausführungen hinsichtlich des Steuerberaters entsprechend, da die obigen Normen auf diese genauso Anwendung finden.285 Diese Personengruppe scheidet als tauglicher Tatentdecker übereinstimmend mit der allgemeinen Ansicht aus. dd) Mitgesellschafter als Tatentdecker (1) Problemaufriss Soeben wurde die Pflicht zur Anzeige einer Steuerstraftat von bevollmächtigten Beratern und damit die Tatentdeckertauglichkeit unter anderem mit der Begründung verneint, § 153 AO findet weder direkt noch analog Anwendung. Dies wirft die Frage auf, ob Mitgesellschafter taugliche Tatentdecker sind, da sie unter die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO fallen können. Die Frage ist zudem deshalb von besonderem Interesse, weil sie vom BGH in seiner Entscheidung vom 27.04.1988286 explizit angesprochen wurde. Indes brauchte der Senat hier nicht zu entscheiden, „welche Bedeutung der Offenbarungspflicht der Mitgesellschafter hinsichtlich hinterzogener Steuern nach § 153 AO zukommt“, weil in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt der Mitgesellschafter nach seiner Auffassung als Tatentdecker bereits deshalb ausschied, weil er wie ein Rechtsanwalt oder Steuerberater beauftragt wurde, für den Steuerhinterziehenden tätig zu werden. Des Weiteren wirft der BGH die Frage auf, „ob – und bejahendenfalls inwieweit – auch die sich aus § 371 Abs. 4 AO ergebende gesetzgeberische Motivation (. . .) zu berücksichtigen ist“. Ohne diese Probleme erneut aufzuwerfen, wiederholt der BGH in seinem Beschluss vom 06.06.1990287 die Ausführungen aus dem Jahr 1988: „Die Offenbarung seiner jahrelangen Verfehlungen gegenüber seinem Anwalt und seinen Mitgesellschaftern machte diese nicht ohne weiteres zu tauglichen Tatentdeckern.“
Seitens der Literatur wird unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH von 1990 zum Teil ausgeführt, Mitgesellschafter seien „gegebenenfalls“ nahestehende Personen288 oder bilden wegen gleicher Interessen eine Schicksalsgemeinschaft289 und seien daher keine oder „nicht notwendig“ 290 taugliche Tatentdecker. 285 Mit Ausnahme der Verschwiegenheitspflicht; sie ist für Rechtsanwälte in § 43a Abs. 2 BRAO, für Wirtschaftsprüfer in §§ 43 Abs. 1, 57b WPO geregelt. 286 BGH, Urt. v. 27.04.1988, 3 StR 55/88, NStZ 1988, 413 (414). 287 BGH, Beschl. v. 06.06.1990, 3 StR 183/90, wistra 1990, 308 (308). 288 Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 274. 289 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 185. 290 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 659.
112
D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Ob und in welchen Fällen Mitgesellschafter taugliche Tatentdecker sein können, wird im Schrifttum jedoch nicht ausgeführt. Zur Rolle des § 371 Abs. 4 AO im Rahmen der Frage nach der Bestimmung des tauglichen Tatentdeckers hat sich die Literatur – soweit ersichtlich – bislang nicht geäußert. Allerdings wird das Zusammenspiel zwischen dem Sperrgrund der Tatentdeckung und der Fremdanzeige aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet (dazu sogleich291). In Anlehnung an die Ansichten in der Literatur sind jedoch auch Fallkonstellationen denkbar, in denen eine Person eine Pflicht zur Anzeige und Berichtigung gemäß § 153 AO trifft, ohne dass dabei die von der Anzeige betroffene Person zur Schicksalsgemeinschaft gehört, dieselben Interessen verfolgt oder eine nahestehende Person ist. Dies könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn die gesetzlichen Vertreter der steuerpflichtigen Gesellschaft (§ 34 AO), wie der Geschäftsführer einer GmbH (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) oder der Vorstand bei einer Aktiengesellschaft (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AktG), eine Steuerhinterziehung des nicht mehr bei der Gesellschaft tätigen Amtsvorgängers entdecken und sodann ihrer Pflicht nach § 153 AO nachkommen, um sich nicht selbst wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar zu machen.292 Fraglich ist, ob in diesem Fall eine Selbstanzeige des ehemaligen Geschäftsführers oder des Vorstands an der Tatentdeckung durch den aktuellen gesetzlichen Vertreter scheitern würde, dieser also einen tauglichen Tatentdecker darstellt. In dieser Fallkonstellation hätte auch der BGH seine Frage nach der Bedeutung des § 153 AO im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht offenlassen können. Basierend auf der These der Wahrscheinlichkeit der Weiterleitung von Kenntnissen einer Steuerstraftat im Falle einer Pflicht zur Offenbarung einer Steuerstraftat ist der aktuelle gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft als tauglicher Tatentdecker zu qualifizieren. Scheidet also ein Geschäftsführer oder Vorstand aus der Gesellschaft aus wohlwissend eine Steuerhinterziehung begangen zu haben, besteht für ihn die Gefahr der Entdeckung dieser Tat durch seinen Amtsnachfolger. Es stellt sich aber die vom BGH aufgeworfene Frage, ob und bejahendenfalls inwieweit die hinter dem § 371 Abs. 4 AO stehenden Motive des Gesetzgebers zu beachten sind. (2) Umgehung des Sperrgrundes der Tatentdeckung durch die Fremdanzeige Gemäß § 371 Abs. 4 Satz 1 AO wird ein „Dritter, der die in § 153 [AO] bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig 291 292
Siehe unten auf S. 112. Vgl. BFH, Beschl. v. 07.03.2007, I B 99/06, BFH/NV 2007, 1801 (1802).
VI. Person des Tatentdeckers
113
abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt“, wenn ein anderer die in § 153 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsmäßig erstattet.293 Unklar ist, was im Rahmen des § 371 Abs. 4 Satz 1 AO unter „den in § 153 [AO] bezeichneten Erklärungen“ zu verstehen ist, die der Dritte abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat und sich letztlich der Steuerhinterziehung strafbar gemacht. § 371 Abs. 4 Satz 1 AO könnte zum einen die Steuerhinterziehung meinen, die der Dritte begangen hat, in dem er unrichtige Ursprungserklärungen begangen hat.294 Die Fremdanzeige könnte aber auch nur den Dritten begünstigen, der durch einen Verstoß gegen die nachträgliche Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 AO eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begangen hat.295 Diese Frage ist von erheblicher praktischer Relevanz, denn sollten unter § 371 Abs. 4 Satz 1 AO beide Fallvarianten fallen, könnten die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO und damit auch der Sperrgrund der Tatentdeckung unterlaufen werden296: Der Täter einer durch aktives Tun verwirklichten Steuerhinterziehung, dessen Tat bereits entdeckt wurde, muss nur eine Person im Sinne der § 34 AO oder 35 AO bestellen lassen, etwa als Geschäftsführer einer GmbH einen neuen Geschäftsführer, und diesen über die vorangegangene Steuerhinterziehung informieren. Kommen die Vertreter oder Verfügungsberechtigten sodann ihrer Pflicht aus § 153 Abs. 1 AO nach, greift zugunsten des Steuerhinterziehers § 371 Abs. 4 AO ein.297 Die obige Frage nach der Tatentdeckung durch die nach § 153 AO verpflichtete Person wäre damit praktisch unbedeutend, sofern er sich taktisch klug verhält. Im eingangs erwähnten Beispielsfall wäre der ehemalige Geschäftsführer gerade keiner Gefahr der Strafverfolgung ausgesetzt, da zu seinen Gunsten das Strafverfolgungshindernis des § 371 Abs. 4 AO gelten würde.
293
Für Grundlegendes zur Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO siehe oben auf
S. 28. 294 Kühn/Hofmann, AO, § 371 AO Anm. 10; LG Bremen, Beschl. v. 26.06.1998, 42 Qs 84b Ds 860 Js 22051/97, wistra 1998, 317 (318). 295 So wohl die herrschende Meinung OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1996, 1 Ws 1/ 96, NStZ 1996, 559 (560); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 387; Jarke, wistra 1999, 286 (290); Weinreuter, DStZ 2000, 398 (409); Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 463 ff.; Muhler, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Auflage 2015, § 44 Rn. 174. 296 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 852; eingehend hierzu Samson, wistra 1990, 245 (251). 297 Vgl. hierzu Samson, wistra 1990, 245 (245); bezogen auf eine bereits begonnene Betriebsprüfung; nach Joecks, Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 411 könnte man erwägen, in diesen Fällen der „Anstiftung zur Fremdanzeige“ ein Vorrang des § 371 Abs. 1 AO und damit auch der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO vor der Wirkung des § 371 Abs. 4 AO anzunehmen, um die sich aus der gesetzlichen Situation ergebenden Gestaltungsmöglichkeiten einzugrenzen.
114
D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Nach teilweise vertretener Auffassung298 erfasst § 371 Abs. 4 AO alle Steuerhinterziehungen, somit Steuerhinterziehungen durch Unterlassen, die durch Verletzung der Pflicht aus § 153 Abs. 1 AO begangen wurden und auch Steuerhinterziehungen, die durch Abgabe unrichtiger Ursprungserklärungen begangen worden sind. Dem Wortlaut der §§ 153, 371 Abs. 4 AO sei zu entnehmen, dass die Fremdanzeige zu Gunsten desjenigen Dritten wirke, dessen Pflichtverletzung in der ursprünglichen „Erklärung“ im Sinne des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO liege. Denn § 153 AO unterscheide zwischen „Anzeige“ und „Erklärung“, wobei die Regelung den letzteren Begriff lediglich für fehlerhafte Ursprungserklärungen verwende.299 Wenn aber „ursprüngliche Straftäter“ von § 371 Abs. 4 AO erfasst werden sollen, dann solle dies erst recht für Dritte gelten, die nicht vorsätzlich fehlerhafte Ursprungserklärungen abgegeben haben, sondern sich wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 153 Abs. 1 AO strafbar gemacht haben.300 Nach der wohl herrschenden Auffassung301 ist mit den „bezeichneten Erklärungen“ nach § 371 Abs. 4 AO die Anzeige und Berichtigung im Sinne des § 153 Abs. 1 Satz 1 AO gemeint, sodass nur Dritte, die ihrer in § 153 AO bezeichneten Pflicht nicht nachgekommen sind, und sich erst damit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar gemacht haben, von § 371 Abs. 4 AO erfasst sein sollen. Argumentiert wird damit, dass § 371 Abs. 4 AO auf § 153 AO, nicht aber auf die §§ 149, 150 AO, die die Abgabe der Ursprungserklärung zum Gegenstand haben, verweist. Hätte der Gesetzgeber den Dritten, der die fehlerhafte Ursprungserklärung im Sinne der §§ 149, 150 AO abgegeben hat, von der Strafverfolgung ausnehmen wollen, wäre es naheliegend auch auf diese Normen zu verweisen. Die Bezugnahme in § 371 Abs. 4 AO auf § 153 AO sei unverständlich formuliert, weil eine Berichtigungspflicht aus § 153 AO bei vorangegangener Steuerhinterziehung nicht bestehe.302 Die Gegenauffassung verkenne, 298 LG Bremen, Beschl. v. 26.06.1998, 42 Qs 84b Ds 860 Js 22051/97, wistra 1998, 317 (318); Samson, wistra 1990, 245 (250); Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, 4. Auflage 2015, Kapitel 9, 10.4; Blesinger/Viertelhausen, in: Kühn/von Wedelstädt, AO/FGO, 22. Auflage 2018, § 370 AO Rn. 36. 299 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 410; Samson, wistra 1990, 245 (249). 300 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 411; Samson, wistra 1990, 245 (249). 301 So wohl die herrschende Meinung OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1996, 1 Ws 1/ 96, NStZ 1996, 559 (560); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 387; Jarke, wistra 1999, 286 (290); Weinreuter, DStZ 2000, 398 (409); Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 463 ff.; Muhler, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Auflage 2015, § 44 Rn. 174. 302 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 856; a. A.: Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 333: „. . . dieses Argument [ist] angesichts der neueren Rspr. des BGH [gemeint:
VI. Person des Tatentdeckers
115
dass der Begriff „Erklärung“ allein in § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO verwendet werde, die Fremdanzeige gemäß § 371 Abs. 4 AO sich aber auch auf alle weiteren Varianten des § 153 AO beziehe, in denen dieser Begriff nicht verwendet werde.303 Überzeugender erscheint im Ergebnis die letztere Ansicht. Der Wortlaut des § 371 Abs. 4 AO lässt zwar beide Auslegungsvarianten zu. Allerdings ist die Fremdanzeige im systematischen Kontext mit den übrigen Absätzen der Vorschrift des § 371 AO zu sehen, auch wenn das Strafverfolgungshindernis des § 371 Abs. 4 AO wie ein Fremdkörper in der Vorschrift des § 371 AO wirken mag.304 Könnten die strengen Anforderungen der Selbstanzeige (einschließlich der Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO mit Ausnahme des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO) durch die bloße Anzeige eines Dritten ausgehebelt werden, widerspreche dies dem in § 371 Abs. 1 bis 3 AO durch den Gesetzgeber vorgesehenen differenzierten System zur Erlangung der Steuerstraffreiheit.305 Auch teleologische Aspekte sprechen für die letztgenannte Auffassung. Die Auslegung anhand der fiskalischen Zwecksetzung der Selbstanzeige ergibt zwar mehrdeutige Ergebnisse306, denn einerseits werden dem Fiskus im Zweifel sogar noch mehr bisher verheimlichte Steuerquellen offenbart, wenn der nachträglich Anzeigende auf weniger Personen und damit auch nicht auf den Täter der Ursprungserklärung Rücksicht nehmen muss, und die in § 371 Abs. 4 Satz 2, Abs. 3 AO bestimmte Nachzahlungspflicht sorgt zudem dafür, dass die Steuern auch nachentrichtet werden.307 Andererseits könnte man argumentieren, dass Steuerhinterzieher im Hinblick auf die Möglichkeit der Fremdanzeige einen geringeren Anreiz zur Erstattung der Selbstanzeige haben, sodass dem Staat wiederum weniger Steuereinnahmen erschlossen werden. Die kriminalpolitische Zwecksetzung der Selbstanzeige spricht jedoch für die engere Auslegung des § 371 Abs. 4 AO. Steuerpflichtige sollen einen Anreiz haben, die bisherigen fehlerhaften Angaben im Rahmen Selbstanzeige zu berichtigen, um damit zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Dieser Anreiz wird geschwächt, wenn ohne eine Richtigstellung dieser Angaben durch bloße Anzeige eines Dritten keine Strafverfolgung zu befürchten ist.
BGH, Beschl. v. 17.03.2009, 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210–221], die eine Anzeigepflicht aus § 153 auch für den mit Eventualvorsatz handelnden Steuerhinterzieher annimmt, der nachträglich positive Kenntnis von der Unrichtigkeit seiner Erklärung erlangt, hinfällig“. 303 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 855. 304 OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1996, 1 Ws 1/96, NStZ 1996, 559 (561). 305 OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1996, 1 Ws 1/96, NStZ 1996, 559 (561). 306 Vgl. hierzu OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1996, 1 Ws 1/96, NStZ 1996, 559 (561); Samson, wistra 1990, 249 (250); Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 334. 307 So ähnlich Samson, wistra 1990, 245 (249 f.).
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass mit den „bezeichneten Erklärungen“ nach § 371 Abs. 4 AO die Anzeige und Berichtigung im Sinne des § 153 Abs. 1 Satz 1 AO gemeint ist, sodass nur Dritte, der ihrer in § 153 AO bezeichneten Pflicht nicht nachgekommen sind, von § 371 Abs. 4 AO erfasst sein sollen. Damit bleibt die Frage nach der Tatentdeckung durch nach § 153 AO Verpflichtete weiterhin relevant. Dieses Zwischenergebnis berücksichtigt indes nicht die gesetzgeberischen Motive des § 371 Abs. 4 AO. Fraglich ist, ob diese auf die Frage, was mit den „bezeichneten Erklärungen“ gemeint soll, eine Antwort geben. Denn sollte darin zum Ausdruck gebracht worden sein, dass sowohl der Ursprungstäter als auch der Unterlassenstäter von § 371 Abs. 4 AO profitieren sollen, dann stellt sich wiederum die Frage nach der Tatentdeckung durch nach § 153 AO Verpflichtete nicht. (3) Gesetzgeberische Motive Aus der Begründung zum Entwurf der Abgabenordnung 1974308 geht hervor, dass die Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO (§ 354 Abs. 4 AO 1974) verhindern soll, „daß jemand, der auf Grund des [§ 153 AO] eine Erklärung nachholt oder berichtigt, dadurch Dritte der Strafverfolgung aussetzt, die die Abgabe der Erklärung unterlassen oder eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben haben. Bliebe die strafrechtliche Verantwortung anderer Personen bestehen, so könnte dies jemanden, der nach [§ 153 AO] verpflichtet ist, eine falsche Erklärung zu berichtigen, davon abhalten, dies zu tun. Deshalb sollen auch Dritte bei einer späteren Berichtigung strafrechtlich nicht verfolgt werden, es sei denn, daß ihnen oder ihren Vertretern vorher wegen der Tat die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens bekanntgegeben worden ist.“
Daraus lässt sich ableiten, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass zwischenmenschliche Beziehungen dazu führen können, dass eine Person ihrer Pflicht zur Anzeige und Berichtigung nicht nachkommt, um einen Dritten nicht der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung wegen Steuerhinterziehung auszusetzen.309 Parallel zu der fiskalpolitischen Zwecksetzung der Selbstanzeige kann dem auch entnommen werden, dass im Rahmen der Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO der Dritte jedoch nicht davon abgehalten werden soll, seiner Anzeigepflicht nach § 153 AO nachzukommen, damit dem Staat durch diese Anzeige verborgene Steuerquellen offenbart werden.310 Dass der Staat auch hier fiskalische Interessen im Blick hat, wird zwar nicht explizit in der obigen Begründung erwähnt. Es 308
BT-Drs. VI/1982, S. 195. Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 210. 310 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 839. 309
VI. Person des Tatentdeckers
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wird jedoch aus der Regelung § 371 Abs. 4 Satz 2 AO ersichtlich, die auf § 371 Abs. 3 AO verweist und damit die Strafverfolgung des Dritten davon abhängig macht, dass dieser die hinterzogenen Steuern innerhalb der ihm gesetzten Frist nachzahlt.311 Wirkungslos soll die Fremdanzeige aber gemäß § 371 Abs. 4 Satz 1 AO sein, wenn dem Dritten oder seinem Vertreter zuvor die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekanntgegeben worden war. Nicht entnehmen lässt sich der Begründung des Gesetzesentwurfs, was mit den in § 153 AO „bezeichneten Erklärungen“ gemeint ist, sodass es beim obigen Zwischenergebnis bleibt, wonach § 371 Abs. 4 AO sich nur auf den Unterlassenstäter bezieht. (4) Relevanz der gesetzgeberischen Motive des § 371 Abs. 4 AO bei der Frage nach der Tatentdeckung durch Mitgesellschafter Nun (erst) stellt sich die vom BGH aufgeworfene Frage, ob und inwieweit den gesetzgeberischen Motiven bei der Frage nach der Tatentdeckung durch nach § 153 AO Verpflichtete eine Bedeutung beizumessen ist. (a) Die Frage des „Ob“ Es ergibt sich nicht explizit aus der Begründung zum Entwurf der Abgabenordnung 1974, dass § 371 Abs. 4 AO im Rahmen des Sperrgrundes der Tatentdeckung eine Rolle spielt. Aus der Betrachtung der gesetzgeberischen Motive des § 371 Abs. 4 AO geht indes hervor, dass hier implizit die Annahme getroffen wurde, eine Anzeige nach § 153 AO könnte zur Entdeckung der Tat des Dritten führen, die den nach § 153 AO Verpflichteten davon abhalten könnte, eine Anzeige zu erstatten. Denn der Grund, weshalb der Dritte nun der Gefahr der Strafverfolgung ausgesetzt sein könnte, liegt gerade darin, dass seine Tat nun entdeckt sein könnte. Wenn in der Begründung zum § 371 Abs. 4 AO davon gesprochen wird, dass der Dritte durch die Anzeige nach § 153 AO der Gefahr der Strafverfolgung ausgesetzt wird, so wird damit mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht, dass die Finanzbehörden durch die Anzeige von der Steuerstraftat des Dritten Kenntnis erlangen. (b) Die Frage des „Inwieweit“ Welche Bedeutung ist nun den gesetzgeberischen Motiven hinsichtlich dieser Konfliktsituation zu entnehmen? Den gesetzgeberischen Motiven zum § 371 Abs. 4 AO kann entnommen werden, dass es den Autoren des Gesetzesentwurfs wichtig war, dass Personen nicht aufgrund eines Näheverhältnisses oder anderer 311 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 210.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
persönlicher Bindungen davon abgehalten werden, eine Anzeige nach § 153 AO zu erstatten. Bejaht man eine Tatentdeckung durch Privatpersonen, wenn eine Offenbarungspflicht nach § 153 AO besteht, dann könnte der Ursprungstäter aufgrund der Tatentdeckung keine Selbstanzeige mehr erstatten. Der nach § 153 AO Verpflichtete würde bei persönlichen Bindungen zugleich davon abgehalten, eine Fremdanzeige abzugeben. Aus diesem Grund könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass die These, wonach Tatentdeckung durch Dritte dann zu bejahen ist, wenn eine Offenbarungspflicht besteht, aufzugeben ist, da sie nicht zu sachgerechten Ergebnissen führt und gesetzgeberisch nicht gewollt ist. Dagegen könnte eingewandt werden, dem gesetzgeberischem Willen, die eben beschriebene Situationen zu vermeiden, könne entsprochen werden, indem man es zulässt, dass der Fremdanzeigende seiner Pflicht nach § 153 AO nachkommt und die dadurch entstehende Gefahr der Tatentdeckung des Dritten durch ihn vermeidet, indem er – entsprechend dem Sachverhalt, der dem BGH in seiner Entscheidung vom 27.04.1988312 zugrunde lag – sich mit dem Dritten abstimmt und ihm auf diese Weise die Möglichkeit gibt, vor der Fremdanzeige eine Selbstanzeige abzugeben.313 Sollten keine persönlichen Beziehungen zwischen dem nach § 153 AO Verpflichteten und dem Dritten bestehen, wird der Anzeigende durch die potentielle strafrechtliche Verantwortung anderer Personen dagegen nicht davon abgehalten werden, seiner Pflicht aus § 153 AO nachzukommen. Auf diese Weise ließe sich ein praxisgerechtes Ergebnis erreichen, das die Motive des Gesetzgebungsverfahrens berücksichtigt, ohne dass von der Annahme der Tatentdeckung bei zur Offenbarung einer Steuerstraftat Verpflichteten abgewichen wird. Kritisch könnte man entgegen, dass die Anknüpfung an eine Offenbarungspflicht zur Konkretisierung, wann mit einer Weiterleitung von Kenntnissen an die Finanzbehörde zu rechnen ist, keinen Mehrwert bietet, weil erneut persönliche Beziehungen beeinflussen, ob Tatentdeckung vorliegt oder nicht. Oben dagegen314 wurde kritisiert, dass unklar ist, wann eine Person als Vertrauensperson oder nahestehende Person zu qualifizieren ist. Indes ist dies hier nicht der Fall, weil durch die Abstimmung zwischen dem nach § 153 AO Verpflichteten und dem Selbstanzeigewilligen die persönlichen Bindung zum Ausdruck gebracht wird. Die Prüfung, ob eine Person dem Täter nahesteht oder eine Vertrauensperson ist, erübrigt sich.
312
BGH, Urteil v. 27.04.1988, 3 StR 55/88, NStZ 1988, 413. Vgl. hierzu auch Schmidt, CCZ 2012, 121 (123); zur koordinierten Selbstanzeige bei Mehrpersonenverhältnissen am Beispiel von „Bankenfällen“ siehe z. B. Stark, Die strafbefreiende Selbstanzeige, S. 308–315. 314 Siehe oben auf S. 98. 313
VI. Person des Tatentdeckers
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Letztlich stünde dieses Ergebnis auch nicht in Widerspruch zu dem Auslegungsergebnis hinsichtlich der in § 153 AO „bezeichneten Erklärungen“. Denn es bleibt dabei, dass die Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO nur dem Unterlassenstäter zu Gute kommt, dieser mithin wegen seiner eigenen Steuerstraftat nicht verfolgt wird und hierfür keine eigene Selbstanzeige abgeben muss. Davon zu trennen ist die Frage, ob der Ursprungstäter die Möglichkeit haben soll, eine eigene Selbstanzeige abzugeben, die nicht am Sperrgrund der Tatentdeckung scheitert. Allerdings kann der an der tatsächlichen Praxis orientierte Vorschlag der Abstimmung des Selbstanzeigenden mit dem nach § 153 AO zur Anzeige Verpflichteten aus rechtlichen Gründen nicht überzeugen: Bejaht man eine Tatentdeckung durch eine Privatperson aufgrund ihrer Anzeigepflicht nach § 153 AO und teilt diese Privatperson zum Zwecke der Abstimmung hinsichtlich des Zeitpunktes der Fremdanzeige dem Steuerstraftäter mit, dass sie Kenntnis von seiner Steuerstraftat hat, dann sind in diesem Moment die Voraussetzungen des Sperrgrundes nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt. Die Steuerstraftat wurde vom nach § 153 AO Verpflichteten entdeckt und der Selbstanzeigende hat Kenntnis von der Tatentdeckung, sodass sowohl die objektive als auch die subjektive Komponente des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegen. Die vom BGH aufgeworfene Frage, ob und inwieweit die sich aus § 371 Abs. 4 AO ergebende gesetzgeberische Motivation zu berücksichtigen ist, ist im Ergebnis dahingehend zu beantworten, dass die Entdeckung einer Steuerstraftat durch eine nach § 153 AO verpflichtete Person nicht zur Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO des Steuerstraftäters führen darf. e) Stellungnahme: Privatpersonen sind (auch) nur bei einer Pflicht zur Weiterleitung ihrer Kenntnisse von einer Steuerstraftat taugliche Tatentdecker Die Untersuchung der obigen einzelnen Personengruppen anhand des Ansatzes der Bejahung der Tatentdeckung durch eine Privatperson im Falle einer gesetzlichen Weiterleitungspflicht hat ergeben, dass dies zum einen zu praktisch sachgerechten Ergebnissen als auch für mehr Bestimmtheit bei der Ermittlung des tauglichen Tatentdeckers unter Privatpersonen führt. Dieser Ansatz hat zudem den Vorteil, dass die Ermittlung des tauglichen Tatentdeckers sowohl bei Behörden als auch bei Privatpersonen nach der generellen Vorgehensweise erfolgt, ob eine gesetzliche Pflicht zur Weiterleitung von Kenntnissen einer Steuerstraftat besteht und nicht – wie nach momentanem Stand der Rechtsprechung und Literatur – zum einen nach normativen und zum anderen nach sozialen Regeln. Die Untersuchung hat aber auch gezeigt, dass eine Privatperson in der Regel keinen tauglichen Tatentdecker im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt, da keine gesetzliche Regelung ersichtlich ist, die eine Privatperson ver-
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
pflichtet, ihre Kenntnisse von einer Steuerstraftat an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Das einleitend genannte systematische Auslegungsergebnis, wonach Privatpersonen taugliche Tatentdecker im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO sein müssten, weil ansonsten nicht begründbar sei, weshalb der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO offen formuliert ist, während er in den Sperrgründen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nach Amtsträgern bestimmter Behörden unterscheidet, ist unter Berücksichtigung dieses Untersuchungsergebnisses zu korrigieren. Es wird zwar daran festgehalten, dass § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO aufgrund der offenen Formulierung im Vergleich zu den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO einen weiteren Personenkreis an tauglichen Tatentdeckern erfassen muss als nur Amtsträger bestimmter Behörden. Diesem Anspruch wird jedoch Genüge getan, indem gerade nicht nur Amtsträger bestimmter Behörden als taugliche Tatentdecker angesehen werden, sondern grundsätzlich Amtsträger aller Behörden, sofern diese aufgrund des Legalitätsprinzips oder nach § 116 AO eine Pflicht zur Mitteilung ihrer Kenntnisse von einer Steuerstraftat an die zuständige Behörde trifft. f) Tatsächliche Weitergabe von Informationen durch untauglichen Tatentdecker Unabhängig davon, nach welcher Auffassung man die Definition des tauglichen Tatentdeckers vornimmt, stellt sich die Frage, wie der Fall handzuhaben ist, in dem eine Person, bei der nicht damit zu rechnen ist, dass sie ihre Kenntnisse an die Finanzbehörde weitergibt, dies dennoch tut. Seitens der Rechtsprechung wurde diese Frage bislang – soweit ersichtlich – nicht behandelt. Seitens der Literatur wird die Frage nur vereinzelt aufgegriffen.315 Verpackt ist diese Frage innerhalb der Auffassungen in der Literatur in das Problem, welcher Zeitpunkt in diesem Fall für die Tatentdeckung gilt. Anknüpfend an die Auffassung, wonach eine Tatentdeckung voraussetzt, dass bereits durch die Kenntnis des Dritten von der Tat eine Lage geschaffen worden sein muss, nach der bei vorläufiger Bewertung eine Verurteilung wahrscheinlich ist, stellen Rolletschke/Roth darauf ab, ob die Privatperson ihre Kenntnis tatsächlich weitergegeben habe. Hat sie dies, so sei die Tat bereits in dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch die Privatperson entdeckt, und zwar auch in dem Fall, in dem ein Täter etwa aufgrund einer Vertrauensbeziehung nicht mit einer Weitergabe der Kenntnisse durch diese Person rechnen musste.316
315 Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 326; Parsch/Nuzinger, Selbstanzeigeberatung in der Praxis, Rn. 139. 316 So Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 326.
VI. Person des Tatentdeckers
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Nach Auffassung von Parsch/Nuzinger, die die Ansicht der h. M. generell ablehnen, wonach Tatentdeckung durch Privatpersonen von der Wahrscheinlichkeit der Weitergabe von Kenntnissen abhängt, sei auf den Moment abzustellen, in dem eine Privatperson ihre Beobachtung tatsächlich der Finanzbehörde mitgeteilt hat, denn es bestehe kein praktisches Bedürfnis, die Sperrwirkung auf den Zeitpunkt vorzuverlagern, in dem die Privatperson die Tat entdeckt habe.317 Denn gibt die Privatperson ihre Kenntnisse nicht weiter, passiere in der Wirklichkeit ohnehin nichts; gibt sie sie weiter, gehe es nur um eine zeitliche Verschiebung der Sperrwirkung nach hinten. Die zeitliche Verschiebung sei aber sachgerecht, weil der Bürger im Bewusstsein, dass schon die Information seines Buchhalters oder seines Unternehmensberaters geeignet ist, die Selbstanzeige zu sperren, kaum noch geneigt sein würde, dem Staat die erstrebten Steuermehreinnahmen zu verschaffen. Die letztgenannte Auffassung überzeugt. Sie geht jedoch entgegen der h. M. von der Annahme aus, dass Tatentdeckung durch Dritte grundsätzlich nicht möglich ist und bietet dadurch für die Frage, die sich der h. M. stellen würde, – nämlich wie der Fall zu behandeln ist, in dem eine Person, bei der nicht damit zu rechnen ist, dass sie ihre Kenntnisse an die Finanzbehörde weitergibt, dennoch ihre Kenntnisse weiterreicht –, keine „unmittelbare“ Lösung. Nach hier vertretener Ansicht erscheint es zunächst einmal folgerichtig eine Tatentdeckung durch einen untauglichen Tatentdecker abzulehnen, denn es bleibt dabei – auch wenn die Person tatsächlich ihre Kenntnisse weitergibt –, dass bei ihr theoretisch nicht damit zu rechnen ist, dass sie ihre Kenntnisse weitergibt. Andererseits wird dadurch – und dies ist der Ausgangspunkt der Theorie, dass Tatentdeckung durch Dritte grundsätzlich möglich ist – eine Lage geschaffen, nach der bei vorläufiger Bewertung eine Verurteilung wahrscheinlich ist, weil die Finanzbehörden Kenntnis von der Steuerstraftat erlangen. Bleibt man konsequent dabei, dass ein untauglicher Tatentdecker keine Tat entdecken kann, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Finanzbehörde – zeitlich zu Gunsten des Steuerhinterziehers nach hinten verschoben – die Tat entdeckt, wenn der untaugliche Tatentdecker seine Kenntnisse von der Steuerstraftat an die Behörde weitergibt. Auf welche Weise eine Finanzbehörde Kenntnis von einer Steuerstraftat erlangt, ist grundsätzlich nicht von Bedeutung. Wenn man jedoch in diesen Fällen der Tatentdeckung durch untaugliche Tatentdecker letztlich von einer Entdeckung durch den Finanzbeamten spricht, dann muss auch dieser in seiner Person die Anforderungen an die Voraussetzung der Tatentdeckung erfüllen. Wie oben dargestellt318 reicht ein bloßer Verdacht einer Steuerstraftat nicht aus, um von einer Entdeckung sprechen zu können. Wenn also bei317 318
Parsch/Nuzinger, Selbstanzeigeberatung in der Praxis, Rn. 139. Siehe oben auf S. 59 ff.
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D. Objektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
spielsweise die Lebenspartnerin als grundsätzlich untaugliche Tatentdeckerin dem Finanzbeamten ohne nähere Umschreibung lediglich offenbart, ihr Lebenspartner habe eine Steuerhinterziehung begangen, so kann in diesem Moment nicht von einer Entdeckung einer Steuerstraftat durch den Finanzbeamten gesprochen werden. Die weitergehende Annahme der Tatentdeckung hängt davon ab, wie eingehend und schlüssig die Handlungsweise des Lebenspartners im Beispielsfall beschrieben und wenn möglich Beweismittel benannt oder abgebildet werden.319 Zumindest können die Äußerungen der Lebenspartnerin den Finanzbeamten zu weiteren Nachforschungen veranlassen und dann zu einer Entdeckung führen.320 Zusammenfassend liegt in den Fällen, in denen ein untauglicher Tatentdecker seine Kenntnisse tatsächlich an die Finanzbehörde weitergibt, keine Tatentdeckung durch ihn vor. Es kann hierdurch jedoch zu einer Tatentdeckung durch den Finanzbeamten kommen.
319 Vgl. hierzu Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 310 für den Fall der Tatentdeckung bei Veröffentlichungen in einem Nachrichtenmagazin; zu diesem Praxisfall der Tatentdeckung durch Medien, siehe im Einzelnen unten auf S. 174. 320 Vgl. Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 236.
E. Subjektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen Wie bereits aufgezeigt beinhaltet der Sperrgrund der Tatentdeckung im Gegensatz zu den anderen Ausschlussgründen auch eine subjektive Komponente. Gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ist die Selbstanzeige nicht bereits dann gesperrt, wenn die Tat objektiv ganz oder zum Teil entdeckt war. Darüber hinaus ist in subjektiver Hinsicht erforderlich, dass der Täter von der Tatentdeckung „wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste“. Die Tatentdeckung muss also nicht nur objektiv vorliegen. Bevor die subjektive Voraussetzung näher untersucht wird, wird zunächst einmal auf die Bedeutung der subjektiven Komponente eingegangen.
I. Entwicklung und heutige Bedeutung der subjektiven Komponente Nach den früheren Fassungen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO trat Straffreiheit nicht ein, wenn der Täter wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste, dass die Tat ganz oder zum Teil entdeckt war. Es stand also die subjektive Voraussetzung im Vordergrund der Norm, indem zuerst das Wissen oder Damit-Rechnen-Müssen angeführt wurden und sodann erst die Entdeckung der Tat.1 Vom BayObLG wurden in seinem Urteil vom 24.02.19722 die Kenntnis von der Entdeckung und das ihr gleichstehende Rechnenmüssen mit der Entdeckung noch als die „wesentlichen Merkmale des Nr. 2 des Abs. 2 des § 395 AbgO“ bezeichnet. Der Fokus auf das subjektive Element spiegelte sich auch in der früheren Kommentierung dieses Ausschlussgrundes wieder.3 In seinem Selbstanzeige-Beschluss vom 20.05.20104 entschied der BGH dagegen, dass „[a]ngesichts der verbesserten Ermittlungsmöglichkeiten im Hinblick auf Steuerstraftaten und auch der stärkeren Kooperation bei der internationalen Zusammenarbeit
1
Siehe dazu bereits oben auf S. 37. BayObLG, Urt. v. 24.02.1972, RReg. 4 St 135/71, BayObLGSt 1972, 39 (41). 3 Während heute abgekürzt vom „Sperrgrund der Tatentdeckung“ oder der „Entdeckung der Tat“ gesprochen, verwendeten Kühn/Kutter/Hofmann, AO/FGO, 11. Auflage 1974, § 395 AO vor Rn. 1 die Überschrift „Keine Kenntnis von der Entdeckung der Tat“. Leise, Steuerverfehlungen, Stand: April 1977; Anm. 8 CI zu § 395 AO, unterteilte seine Kommentierung in die Überschriften „Kenntnis des Täters von der Tatentdeckung“ und „Der Täter mußte mit Tatentdeckung rechnen“. 4 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (189). 2
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E. Subjektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
(. . .) jedenfalls heute keine hohen Anforderungen an die Annahme des ,Kennenmüssens‘ der Tatentdeckung mehr gestellt werden“
können. Der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO werde heute nach Auffassung des BGH maßgeblich durch die objektive Voraussetzung der Tatentdeckung und weniger durch die subjektive Komponente bestimmt.5 Obwohl im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2010 vom Bundesrat der Änderungsvorschlag unterbreitet wurde, auf das subjektive Element bei § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO gänzlich zu verzichten6, hält die Gesetzesfassung nach wie vor an der subjektiven Komponente fest. Diese Entscheidung wurde in der Literatur uneinheitlich aufgenommen: Zum Teil wurde sie begrüßt, da bei Verzicht auf die subjektive Komponente beim Steuerhinterzieher nie die Sicherheit bestehen könne, mit einer Selbstanzeige Straffreiheit erlangen zu können.7 Teilweise wurde die Entscheidung des Gesetzgebers als widersprüchlich kritisiert, da dieser ansonsten eine starre Linie der Verschärfung der Selbstanzeigevorschrift verfolge, und dennoch das subjektive Element trotz dessen erheblichen Beweisschwierigkeiten in der Praxis im Gesetzeswortlaut belassen habe.8 Auch aus fiskal- und kriminalpolitischer Sicht sei die Beibehaltung der subjektiven Komponente widersprüchlich.9 Es bedürfe weder zur Erlangung des Steueraufkommens noch zur Schaffung von Steuergerechtigkeit des subjektiven Moments, da bei einer objektiv entdeckten Tat der Staat selbst sowohl sein Steueraufkommen sichern als auch auf diese Weise für Steuergerechtigkeit sorgen könne. Ist die Steuerhinterziehung auch nur zum Teil entdeckt, bestehe außerdem keine Notwendigkeit mehr, dem Steuerhinterzieher einen Anreiz zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeit zu schaffen.10 Die zuletzt genannte Ansicht überzeugt nur teilweise. Es ist zwar zutreffend, dass der Staat an verborgene Steuerquellen gelangt, wenn nur objektiv die Steuerstraftat entdeckt wird. Allerdings erfährt der Staat nur durch eine vollständige Selbstanzeige davon, ob nicht noch weitere nicht erklärte Steuerquellen vorhanden sind. Einen Anreiz, eine Selbstanzeige abzugeben und damit vollständig zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren, hat der Steuerpflichtige bei Verzicht auf die subjektive Komponente nicht, weil er nicht bzw. noch schwieriger abschätzen 5 Entsprechend kurz fällt die Subsumtion unter die subjektive Voraussetzung in den neuen Entscheidungen aus, vgl. BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (189); kritisch hierzu Wulf, wistra 2010, 286 (289). 6 BR-Drs. 318/10, S. 77. Nach der Stellungnahme des Bundesrats sollte der Sperrgrund der Tatentdeckung wie folgt lauten: „Straffreiheit tritt nicht ein, wenn 1. vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung (. . .) d) die Tat ganz oder zum Teil bereits entdeckt war.“ 7 Füllsack/Bürger, BB 2011, 1239 (1242). 8 Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 124. 9 Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 124. 10 Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 124.
II. Kenntnis von der Tatentdeckung
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kann, ob seine Selbstanzeige die gewünschte strafbefreiende Wirkung haben würde. Letztlich kann weder diesen teleologischen Erwägungen noch den vom BGH angeführten „verbesserten Ermittlungsmöglichkeiten“ eine entscheidende Rolle bei der hier zu untersuchenden Frage nach der heutigen Relevanz der subjektiven Komponente beigemessen werden. Der im unveränderten Gesetzeswortlaut manifestierte Wille des Gesetzesgebers kann nur dahin ausgelegt werden, dass dem subjektiven Element des Ausschlussgrundes der Tatentdeckung heute keine geringere oder veränderte Bedeutung zukommen soll.11
II. Kenntnis von der Tatentdeckung Keine Schwierigkeiten bereitet der Begriff der Kenntnis von der Tatentdeckung. Dieses subjektive Tatbestandsmerkmal wurde daher auch bislang soweit ersichtlich nicht näher von der Rechtsprechung thematisiert. Der Steuerpflichtige hat dann Kenntnis von der entdeckten Tat, wenn er positiv weiß, dass die Behörde oder ein Dritter, der die Weiterleitung der Kenntnisse beabsichtigt, von seiner Tat so viel erfahren hat, dass bei vorläufiger Tatbewertung seine Verurteilung wahrscheinlich ist.12 Die Erkenntnisquelle des Steuerpflichtigen ist dabei irrelevant; seine Kenntnis kann auf eigener Wahrnehmung basieren oder aber auf Informationen Dritter.13 Auch steht der Bejahung der Kenntnis nicht entgegen, dass sie auf einem Irrtum darüber beruht, wie die Behörde von der Tat erfahren hat; entscheidend ist die Tatsache, dass der Selbstanzeigende Kenntnis von der Tatentdeckung hat.14 Dagegen ist – wie oben dargestellt15 – die irrtümliche Annahme der Tatentdeckung alleine unschädlich für die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige, denn der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO fordert ein11 Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 294; Beyer, NWB 2015, 2357 (2358); Wulf, SAM 2015, 109 (115); Stahl, Die Selbstanzeige, 3. Auflage 2011, Rn. 401. Trotz des diesbezüglich unveränderten Wortlauts des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO wird die Ausführung des BGH, an die subjektive Komponente seien keine hohen Anforderungen mehr zu stellen, die richterliche Überzeugungsbildung sicherlich nicht unbeeinflusst lassen. Vgl. hierzu zum Beispiel AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14). Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 178. 12 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 322; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 724. 13 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 724; Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 178. 14 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO Rn. 188; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 322; so auch schon Kopacek, BB 1961, 41 (44). 15 Siehe dazu bereits oben auf S. 50.
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E. Subjektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
deutig auch das objektive Vorliegen einer Tatentdeckung.16 Die Kenntnis des Steuerhinterziehers ist nachzuweisen. Bestehen Zweifel, ob er von der Tatentdeckung wusste, greift zu seinen Gunsten der in-dubio-pro-reo-Grundsatz.17
III. Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung 1. Anforderungen an das Rechnenmüssen a) Meinungsstand Der Gesetzestext des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO stellt die Kenntnis des Täters von der Entdeckung der Tat mit der Konstellation gleich, in der dieser bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Entdeckung rechnen musste. Nach allgemeiner Auffassung hat der Gesetzgeber mit dem Rechnenmüssen eine gesetzliche Beweisregel zuungunsten des Täters aufgestellt in den Fällen, in denen dieser die Kenntnis von der Tatentdeckung bestreitet und sie ihm nicht nachgewiesen werden kann.18 Die gesetzliche Vermutung beziehe sich dabei nicht auf den Stand der Kenntnisse des Täters, sondern darauf, ob er aus seinen Kenntnissen die Schlussfolgerung gezogen hat, dass seine Straftat entdeckt ist.19 Umstritten ist dabei, ob es sich um eine widerlegliche oder unwiderlegliche Vermutung handelt. Der BGH äußerte sich zu dieser Frage bislang nicht. Die obergerichtliche Rechtsprechung spricht sich – ohne Begründung – für eine Widerlegbarkeit der Vermutung aus.20 Die Ansichten in der Literatur gehen – ebenfalls ohne Begründung – auseinander.21 Teilweise wird diese Frage als rein akademischer Natur angesehen, denn sollte der Steuerhinterzieher aufgrund seiner persönlichen Urteilsfähigkeit – auf die die herrschende Meinung beim Begriff der 16
Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 726. Hunsmann, ZWH 2018, 13 (17); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 725. 18 BayObLG, Urt. v. 24.02.1972, RReg. 4 St 135/71, BayObLGSt 1972, 39 (42); OLG Hamm, Urt. v. 27.10.2015, 5 RVs 119/15, wistra 2016, 116 (117); OLG Schleswig, Beschl. v. 30.10.2015, 2 Ss 63/15, NZWiSt 2016, 153 (154); Hartung, Steuerstrafrecht, 2. Auflage, § 410 RAO Anm. V b); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 296. 19 Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 274; Jehke, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 371 AO Rn. 324. 20 OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2015, III-5 RVs 119/15, wistra 2016, 116 (117); BayObLG, Urt. v. 24.02.1972, RReg. 4 St 135/71, BayObLGSt 1972, 39 (42). 21 Für eine widerlegbare Beweisregel z. B. Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO Rn. 190; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 296; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 729; für eine unwiderlegbare Beweisregel z. B. Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 169; Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 116. 17
III. Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung
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verständigen Würdigung der Sachlage abgestellt – in der Lage gewesen sein, auf die Tatentdeckung zu schließen, sei nicht erkennbar, aufgrund welcher Umstände ihm dieser Schluss dann doch nicht möglich gewesen sein sollte, mithin wie er die Vermutung widerlegen sollte.22 b) Stellungnahme: Weder Vermutungstatbestand noch Beweisregel Wie einleitend hervorgehoben stellt der Gesetzestext des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO die Kenntnis des Täters von der Entdeckung der Tat mit der Konstellation gleich, in der dieser bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Entdeckung rechnen musste. Durch § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO wird also der Gegenstand der Beweisführung verändert. Es ist nicht mehr nachzuweisen, dass der Täter Kenntnis von der Entdeckung hatte. Vielmehr ist ausschließlich nachzuweisen, dass er mit der Entdeckung rechnen musste, dabei sind aber die strafprozessualen Vorgaben des Beweisrechts anzuwenden: Das Gericht hat im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO zu entscheiden, ob der Täter mit der Entdeckung seiner Tat rechnen musste. Dagegen verändern Beweisregeln ebenso wie Vermutungen die Art und Weise der Beweisführung, nicht aber den Gegenstand der Beweisführung. Bei § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HS. 2 AO handelt es aber um eine Norm des materiellen Strafrechts23 und es sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass damit ein „Teilbereich des strafprozessualen Beweisrechts“ 24 geregelt werden soll. Entgegen der allgemeinen Ansicht stellt die Regelung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO also weder eine Vermutung noch eine Beweisregel dar. Im Einzelnen: Von Vermutungen wird gesprochen, wenn das Vorliegen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals aus einem tatbestandsfremden Umstand geschlossen wird, indem eine bestimmte gesetzliche Schlussfolgerung angeordnet wird, obwohl Zweifel am Vorliegen des für diese Schlussfolgerung notwendigen Tatbestandsmerkmals bestehen.25 Beispielsweise beinhaltet § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB eine Vermutung zu Gunsten eines Besitzers einer beweglichen Sache, dass er Eigen22
Rolletschke, NZWiSt 2016, 153 (157). Z. B. Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 1; Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 23. 24 Vgl. hierzu BayVerfGH, Beschl. v. 23.04.1982, Vf. 23 – VII/80, NJW 1983, 1600 (1602), im Rahmen der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 11 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbs. BayPresseG a. F., der lautete: „Wer als verantwortlicher Redakteur, Verleger, Drucker oder Verbreiter am Erscheinen eines Druckwerks strafbaren Inhalts mitgewirkt hat, wird, wenn er nicht schon nach Absatz 1 als Täter oder Teilnehmer zu bestrafen ist, wegen fahrlässiger Veröffentlichung mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, sofern er nicht die Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt nachweist.“ 25 Bockelmann, NJW 1954, 1746 (1747); Bülte, JZ 2014, 603 (605). 23
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E. Subjektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
tümer dieser Sache ist.26 Vermutungen beinhalten stets ein konkretes Tatbestandsmerkmal (oder einen Komplex von mehreren Tatbestandsmerkmalen), das die gesetzliche Rechtsfolge anordnet. Im Beispielsfall ist dies der Besitz einer Sache, aus dem die Schlussfolgerung auf Eigentum an der Sache zu ziehen ist. Von dieser „unausweichlichen Technik der gesetzlichen Vermutungen“ 27 weicht § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ab. Er beinhaltet keine konkreten Tatbestandsmerkmale, aus denen zu schließen ist, dass der Steuerstraftäter mit der Tatentdeckung rechnen musste. Vielmehr entscheidet der Richter im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO auf Basis der von ihm festgestellten Tatsachen, ob der Täter mit der Entdeckung seiner Tat rechnen musste. Beweisregeln sind rechtliche Vorgaben, die im Strafverfahren vorgeben, wie ein konkreter Umstand beweisrechtlich zu würdigen ist28; anders formuliert sagt die Beweisregel „rigoros und starr, was als wahr zu gelten habe, und sagt damit zugleich, was als unwahr anzusehen sei“.29 Beweisregeln sind dem Strafrecht fremd. Vielmehr gilt hier wie eben erwähnt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO. Danach entscheidet der Richter, soweit nicht wissenschaftliche Erkenntnisse, Gesetze der Logik und Erfahrungssätze entgegenstehen, nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung. An gesetzliche Beweisregeln ist er nicht gebunden, denn „frei“ im Sinne des § 261 StPO bedeutet, Freiheit von Beweisregeln.30 Das Gericht muss sich also vom Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung mit der notwendigen Sicherheit überzeugen. Dies setzt voraus, dass zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass der Steuerstraftäter die die Tatentdeckung kennzeichnenden Umstände positiv gekannt hat – dies ist unstreitig31 – aber außerdem auch, dass er aus diesen ihm nachweislich bekannten Tatsachen den Schluss auf die Entdeckung der Tat hätte ziehen müssen. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO „fingiert also [k]eine Schlussfolgerung“ 32 und schreibt auch nicht eine „einzig mögliche Schlussfolgerung“ 33 vor. 26 Bülte, JZ 2014, 603 (604); weitere Beispiele für Vermutungen bei Bockelmann, NJW 1954, 1746 (1747). 27 Vgl. hierzu Bockelmann, NJW 1954, 1746 (1748) am Beispiel des § 259 StGB a. F., der früher lautete: „Wer seines Vortheils wegen Sachen, von denen er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind, verheimlicht, ankauft, zum Pfande nimmt oder sonst an sich bringt oder zu deren Absatze bei Anderem mitwirkt, wird als Hehler mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.“ 28 Bülte, JZ 2014, 603 (603). 29 Walter, JZ 2006, 340 (341). 30 Vgl. BGH, Beschl. v. 19.08.1993, 4 StR 627/92, BGHSt 39, 291 (295); zur Beweiswürdigung im Strafprozess Bülte, JZ 2014, 603 (603); Miebach, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 261 StPO Rn. 91. 31 Vgl. z. B. Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 730; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 296 jeweils m.w. N. 32 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 730.
III. Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung
129
2. Begriff des Rechnenmüssens a) Meinungsstand 34
Seitens der Literatur wird der Ausdruck des „Rechnenmüssens“ mit der Tatentdeckung damit umschrieben, dass sich dem Täter hätte „aufdrängen“ müssen, dass seine Steuerstraftat entdeckt war. Diese von der Literatur heute allgemein gebrauchte Formulierung wurde seitens der Rechtsprechung vom Bayerischen Obersten Landesgericht im Urteil vom 24.02.197235 verwendet. Indes befassten sich bereits 1953 die ersten Entscheidungen zum Sperrgrund der Tatentdeckung mit der Auslegung des Begriffs des Rechnenmüssens: Das AG Husum führte in seinem Urteil vom 08.06.195336 aus, dass der Täter nur dann bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Entdeckung rechnen musste, wenn für ihn mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ anzunehmen war, dass die Tat bereits entdeckt sei; eine gewisse Möglichkeit der Entdeckung reiche dagegen nicht. Zweitinstanzlich in dieser Sache stellte das LG Flensburg37 darauf ab, ob der Täter aus der ihm bekannten Sachlage den Schluss ziehen musste, dass die Tat entdeckt sei. Seitens des BGH fehlen bis heute vertiefte Ausführungen zum Begriffs des Rechnenmüssens. Da er angesichts der „verbesserten Ermittlungsmöglichkeiten (. . .) jedenfalls heute keine hohen Anforderungen an die Annahme des ,Kennenmüssens‘ der Tatentdeckung“ mehr stellt, beschränkt er sich an dieser Stelle ohne nähere Erläuterungen darauf, dass der Täter mit der Entdeckung rechnen musste, da er aus den ihm bekannten Tatsachen den Schluss hätte ziehen müssen, dass die Tat entdeckt war.38 Genauso kurz fiel die Ausführung in seiner jüngsten Entscheidung vom 09.05.201739 zum Rechnenmüssen aus: „Auch der Angeklagte musste bei verständiger Würdigung der Sachlage nach Kenntnisnahme der Medienberichterstattung schon vor Abgabe der Selbstanzeige mit der Tatentdeckung rechnen.“ Das AG Kiel40 greift die vom BGH als Synonym für das Rechnenmüssen verwendete Formulierung des „Kennenmüssens“ auf, und betont, dass das Gesetz 33 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 190. 34 Jehke, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 371 AO Rn. 324; Mattern, JZ 1954, 432 (434); Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 323; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 297, 298. 35 BayObLG, Urt. v. 24.02.1972, RReg. 4 St 135/71, BayObLGSt 1972, 39 (42). 36 AG Husum, Urt. v. 08.06.1953, 3 b Ms 119/52 (180/52), DStRu 1953, 547–548. 37 LG Flensburg, Urt. v. 20.08.1953, 3 b Ms 119/52 – NS – (II B 62/53), DStRu 1953, 548. 38 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (189). 39 BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 (393). 40 AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), BeckRS 2015, 5202.
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E. Subjektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
gerade nicht vorsehe, dass der Täter die Tatentdeckung „kennen musste“, sondern nur, dass er „damit rechnen musste“. Das Rechnen mit einem Umstand setze dessen tatsächliches Vorliegen – anders als das Kennen – jedoch gerade nicht voraus. Diese Aussage stützt das AG Kiel darauf, dass im ursprünglichen Gesetzentwurf für die AO „das tatsächliche Vorliegen der Tatentdeckung nicht als Voraussetzung der Verwehrung der Straffreiheit genannt (BT-Drucksache 7/79, Seite 81, dort § 354 Abs. 2 Nr. 2 AO) wird“. Daraus zieht das AG Kiel die Schlussfolgerung, der Steuerhinterzieher müsse mit der Tatentdeckung schon rechnen, wenn er noch nicht sicher auf die erfolgte Tatentdeckung schließen könne; vielmehr bedeute das Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung, dass eine Restunsicherheit verbleiben könne. Nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO genüge es, „wenn der Steuerhinterzieher aufgrund der ihm bekannten Tatsachen konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass seine Steuerhinterziehung entdeckt sein könnte“. Diese am Wortlaut orientierte Auslegung finde ihre Stütze auch in systematischen Erwägungen des § 371 Abs. 2 AO: In § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO habe „der Gesetzgeber festgelegt, dass schon die Bekanntgabe einer (verdachtsunabhängigen) Prüfungsanordnung die Straffreiheit durch eine Selbstanzeige ausschließt. Genügt aber im Fall der Steuerprüfung schon die bloße Ankündigung, ohne dass die Finanzbehörden überhaupt einen Tatverdacht haben müssen, liegt es nahe, bei einer tatsächlich gegebenen Tatentdeckung durch die Steuerbehörden für die Versagung der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige ausreichen zu lassen, wenn der Täter die Entdeckung der Steuerhinterziehung nach seinem Kenntnisstand nur befürchten musste“.
Dass sich sodann mit dem subjektiven Tatbestandsmerkmal befassende OLG Hamm41 folgte den systematischen Erwägungen des AG Kiel. Fast zeitgleich mit dem OLG Hamm entschied das OLG Schleswig42 (und bestätigte letztinstanzlich das Urteil des AG Kiel), ein Rechnenmüssen liege auch dann vor, wenn der Täter aufgrund der ihm bekannten Umstände eine Tatentdeckung für durchaus möglich oder wahrscheinlich halte, auch wenn eine gewisse Unsicherheit verbleibe. Zu diesem Ergebnis kommt das OLG Schleswig durch eine grammatikalische und historische Auslegung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO: Unter Verweis auf die Begriffsdefinition des Dudens43 zu der Formulierung ,mit etwas zu rechnen‘ sei darunter zu verstehen, dass jemand aufgrund bestimmter Umstände beziehungsweise Überlegungen den Eintritt eines bestimmten Ereignisses als möglich beziehungsweise wahrscheinlich annehme. Im Unterschied zum Begriff des ,Kennens‘, der auf die positive Kenntnis, also das Wissen von bestimmten Umständen hindeute, beinhalte „mit etwas zu rechnen“ 41
OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2015, III-5 RVs 119/15, wistra 2016, 116 (118). OLG Schleswig, Beschl. v. 30.10.2015, 2 Ss 63/15 (71/15), NZWiSt 2016, 153 (154). 43 Vgl. www.duden.de/rechtschreibung/rechnen (abgerufen am 18.06.2021). 42
III. Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung
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also eine noch verbleibende Unsicherheit. Auch stehe eine solche Auslegung trotz dessen, dass der Gesetzgeber entgegen dem Vorschlag des Bundesrates nicht auf das subjektive Element verzichtet hat, nicht im Widerspruch zu seinem erkennbaren Willen. Die Beibehaltung des subjektiven Elements spreche vielmehr dafür, dass der Gesetzgeber aufgrund der Rechtsprechungsänderung des BGH keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung sah. Wollte der Gesetzgeber der subjektiven Komponente eine besondere Bedeutung beimessen, wäre es zu einer entsprechenden Gesetzesänderung gekommen. b) Stellungnahme: Leichtfertiges Verkennen der Tatentdeckung erforderlich Festzuhalten ist zunächst, dass die Rechtsprechung mit den Jahren die Anforderungen an das Rechnenmüssen herabgesetzt hat. Anders als das AG Kiel ausführt, kann aufgrund des (nun) eindeutigen Gesetzeswortlauts aus der Formulierung des Rechnenmüssens anstatt des Kennenmüssens nicht geschlossen werden, dass die Entdeckung einer Tat tatsächlich nicht vorliegen muss; insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.44 Daher kann dies auch nicht als Argument dafür dienen, eine Restunsicherheit beim Steuerhinterzieher bezüglich der Tatentdeckung könne verbleiben. Vergleicht man dagegen den Begriff des Kennens mit dem des Rechnenmüssens, so überzeugt die Ausführung des OLG Schleswig, dass letzterer auf eine noch verbleibende Unsicherheit hindeutet. Das wirft die Frage auf, wie groß die Unsicherheit sein darf. Umschreibt man das Wort Rechnenmüssen mit dem des Aufdrängens so verbleibt als Kehrseite des Begriffs eine geringstmögliche Unsicherheit bezüglich des objektiven Vorliegens der Tatentdeckung. Zieht man – wie das OLG Schleswig – den allgemeinsprachlichen Wortsinn des Ausdrucks „mit etwas rechnen“ heran, und umschreibt ihn damit, dass etwas „möglich oder wahrscheinlich“ ist, dann gibt dies nicht nur Raum für eine größere Unsicherheit hinsichtlich der subjektiven Tatentdeckung. Es überzeugt auch nicht, dass im allgeneinen Sprachgebrauch das bloße Für-möglich-Halten einem Rechnenmüssen gleichsteht. Dies wird deutlich, veranschaulicht man sich die Problematik anhand eines Beispiels aus dem Alltag: „Für jeden Volljuristen, der zum Richter ernannt wird, besteht die Möglichkeit, in seiner Laufbahn zum Bundesrichter ernannt zu werden (. . .). Der junge Richter aber, der am Tag seiner Ernennung in der Kantine erklärt, er könne ,damit rechnen‘, am Ende seiner Karriere Bundesrichter zu sein, wird von seinen Kollegen sicher dafür kritisiert (wenn nicht ausgelacht) werden, die tatsächlichen Umstände nicht ganz zutreffend zu beschreiben.“ 45 44
Siehe hierzu oben auf S. 50. So illustriert von Wulf, SAM 2015, 109 (115) mit einem weiteren anschaulichen Beispiel aus dem Alltag. 45
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E. Subjektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Anders als vom AG Kiel und dem folgend vom OLG Hamm vertreten, führt eine systematische Betrachtung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO im Zusammenhang zu § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO nicht dazu, dass es bereits ausreicht, wenn der Steuerhinterzieher die Tatentdeckung nur befürchten muss. Denn es ist zwar zutreffend, dass beim letzteren Sperrgrund schon die Bekanntgabe einer verdachtsunabhängigen Prüfungsanordnung ausreicht, während beim ersteren die Entdeckung einer Tat objektiv feststehen muss. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass die objektive Tatentdeckung bereits einen unbestimmten mit Unsicherheiten verbundenen Rechtsbegriff darstellt, der einen viel weiteren Anwendungsbereich hat als der Sperrgrund gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO, der klar umreißt, wann seine Voraussetzungen gegeben sind. Im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO kann dagegen sogar ein Dritter die Tat entdecken. Betrachtet man die Systematik der zwei Sperrgründe, so spricht dies umgekehrt dafür, den Sperrgrund der Tatentdeckung möglichst restriktiv auszulegen und daher hohe Anforderungen an den Begriff des Rechnenmüssens zu stellen. Nicht zu überzeugen vermag das Argument des OLG Schleswig, der erkennbare Wille des Gesetzgebers stehe nicht im Widerspruch zu der Auffassung, der subjektiven Komponente sei trotz deren Beibehaltung eine geringe Bedeutung beizumessen. Zum einen bedeutet „nicht im Widerspruch stehen“ nicht, dass die Auffassung gestützt wird. Zum anderen erschließt sich auch nicht, welche Gesetzesänderung der Gesetzgeber hätte vornehmen müssen, um zum Ausdruck zu bringen, dass der subjektiven Komponente eine besondere Bedeutung beizumessen ist. Indem der Gesetzgeber den Wortlaut unverändert ließ, brachte er vielmehr klar zum Ausdruck, dass sich an der Bedeutung des subjektiven Elements im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nichts ändern soll. Auch der Sinn und Zweck der Selbstanzeige sprechen für eine enge Auslegung des Begriffs des Rechnenmüssens: Wenn eine bloße Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit einer Tatentdeckung als ausreichend für das Rechnenmüssen erachtet werden, dann werden weder verborgene Steuerquellen aufgedeckt noch besteht für den Steuerpflichtigen ein Anreiz in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren, da er bei einer solch weiten Auslegung des Begriffs des Rechnenmüssens noch weniger die Erfolgschancen seiner Selbstanzeige abschätzen kann und daher von der Einreichung einer Selbstanzeige absehen wird. (Auch) aus diesem Grund kann die vom BGH vorgenommene Gleichsetzung des Begriffs Rechnenmüssens mit dem des Kennenmüssens nicht überzeugen: Der Begriff des Kennenmüssens ist im Zivilrecht in § 122 Abs. 2 BGB legaldefiniert und bedeutet fahrlässige Unkenntnis. Die begriffliche Gleichsetzung hätte zur Konsequenz, dass der Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige von einer nur fahrlässig verschuldeten Nichtkenntnis abhinge.46 46
127.
So zutreffend Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 126,
III. Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung
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All die ausgeführten Erwägungen sprechen für eine enge Auslegung des Begriffs des Rechnenmüssen. Ein Rechnenmüssen sollte wie von der h. M. gefordert nur dann bejaht werden, wenn sich dem Täter die Entdeckung der Steuerstraftat aufdrängen musste, er mit anderen Worten leichtfertig verkannte, dass seine Steuerstraftat bereits entdeckt wurde: Im Rahmen der sachnahen Norm der leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 378 AO handelt leichtfertig, „wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird“.47
Der Begriff der Leichtfertigkeit bezeichnet also einen erhöhten Grad der Fahrlässigkeit.48 Im Ergebnis trifft den Steuerhinterzieher somit eine Obliegenheit, sich darüber sorgfältig zu informieren, ob seine Steuerstraftat bereits entdeckt sein könnte.49 Seine Sorgfaltspflichten dürfen dabei aber nicht extensiv ausgelegt werden.50 Wie auch der Tatbestand des § 378 AO nicht so verstanden werden darf, dass in jedem Fall fehlenden Vorsatznachweises ohne weiteres auf die leichtfertige Steuerverkürzung „zurückgegriffen“ werden kann51, kann auch im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht bei einem gescheiterten Nachweis der Kenntnis von der Tatentdeckung automatisch davon ausgegangen werden, dass der Steuerhinterzieher mit der Tatentdeckung rechnen musste. Das Gericht muss vielmehr alle für und gegen das Vorliegen leichtfertigen Handelns sprechenden Umstände in die Beweiswürdigung einbeziehen.52 3. Verständige Würdigung der Sachlage Gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 AO ist die Selbstanzeige gesperrt, wenn der Täter „bei verständiger Würdigung der Sachlage“ mit der (teilweisen) 47 BGH, Urt. v. 10.07.2019, 1 StR 265/18, BB 2020, 926 (931); BFH, Urt. v. 24.07. 2014, V R 44/13, BFHE 246, 207. 48 Bülte, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 262. Lieferung 04.2021, § 378 AO, Rn. 41; Groß, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 378 AO Rn. 20; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 378 AO Rn. 34. 49 Diese Auffassung stützend Kopacek, Steuerstraf- und Bussgeldfreiheit, S. 177: „Diese Folgerung steht m. E. auch im Einklang mit dem Wortlaut der Bestimmung. Denn ein Täter ,mußte‘ nur mit einer Entdeckung rechnen, wenn er nach Meinung des Gesetzgebers zu einer Prüfung der Frage, ob seine Tat entdeckt sei, verpflichtet war.“ A. A. Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 126, 127. 50 Groß, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 378 AO Rn. 22. 51 Siehe hierzu Bülte, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 262. Lieferung 04.2021, § 378 AO Rn. 9; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 378 AO Rn. 8; Rüping, DStR 2006, 1249 (1250). 52 BGH, Urt. v. 17.03.2009, 1 StR 479/08, wistra 2009, 315 (315); Bülte, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 262. Lieferung 04.2021, § 378 AO Rn. 9.
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E. Subjektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Tatentdeckung rechnen musste. Aus dem Gesetz lässt sich nicht ablesen, auf wessen verständige Würdigung der Sachlage es dabei ankommt. a) Meinungsstand In der Literatur war die Frage vor Ergehen von Rechtsprechung (dazu sogleich) zu dieser Frage streitig. Teilweise wurde auf das Verständnis des Täters abgestellt, also für maßgeblich gehalten, ob dieser bei verständigem Einsatz seiner Fähigkeiten den Schluss ziehen musste, dass die Tat entdeckt sei.53 Nach anderer Auffassung kam es auf das Verständnis eines durchschnittlichen Steuerpflichtigen an.54 Letztere Ansicht argumentierte damit, bei Abstellen auf das Verständnis des Täters hinge die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige davon ab, welche Urteilsfähigkeit das Finanzamt, die Staatsanwaltschaft oder das Gericht nachträglich dem Täter persönlich zutraue, sodass der Täter genötigt wäre, sich bei seinen Vernehmungen möglichst unerfahren aufzuführen.55 Außerdem würde nach der ersten Ansicht das Ergebnis einer Selbstanzeige vom Zufall abhängen, weil der Täter nicht im Voraus wissen könne, welche Urteilsfähigkeit ihm zugetraut werden würde.56 Dies wiederum führe dazu, dass der Täter eher von einer Selbstanzeige absehen würde. Kommt es dagegen auf das Verständnis eines mit einem durchschnittlichen Urteilsvermögen ausgestatteten Steuerpflichtigen an, so habe der Täter die Möglichkeit der Abwägung, ob bei Zugrundelegung des ihm lediglich bekannten Umstands ein Durchschnittsbetrachter auf eine Entdeckung schließen müsse.57 Seitens der Rechtsprechung hat erstmals das BayObLG in seinem Urteil vom 24.02.1972 hierzu Stellung bezogen und sich für die erstgenannte Ansicht entschieden.58 Es sei alleine auf die individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Täters abzustellen, da es sich „bei dieser Seite der Ausschließung von der Rechtswohltat der Selbstanzeige um einen subjektiven Sachverhalt auf strafrechtlichem Gebiet handelt, der nicht anders behandelt werden kann als etwa die Vorhersehbarkeit bei der Fahrlässigkeitstat, die ebenfalls nur rein subjektiv bestimmt werden darf“. 53 Hartung, Steuerstrafrecht, 3. Auflage, S. 202; wohl auch Mattern, NJW 1951, 937 (940). 54 Suhr, Steuerstrafrecht-Kommentar, 2. Auflage, S. 141; Suhr/Bilsdorfer/Naumann, Steuerstrafrecht-Kommentar, 4. Auflage, Rn. 477; Terstegen, Steuerstrafrecht einschließlich Verfahrensrecht, S. 126; Franzen, in: Franzen/Gast, Steuerstrafrecht, 1. Auflage 1969, § 395 AO Rn. 129. 55 Franzen, in: Franzen/Gast, Steuerstrafrecht, 1. Auflage 1969, § 395 AO Rn. 129. 56 Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 127. 57 Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, S. 128. 58 BayObLG, Urt. v. 24.02.1972, RReg. 4 St 135/71, BayObLGSt 1972, 39 (42) m.w. N.
III. Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung
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Dieser Ansicht folgt die heutige allgemeine Auffassung59 mit der Begründung, es handele sich bei der Selbstanzeige um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. Unklar positioniert sich der BGH: In seinem Selbstanzeigebeschluss60 stellte er knapp fest, dass der Steuerhinterzieher aus den ihm bekannten Tatsachen „– wie jeder andere Steuerpflichtige in seiner Situation –“ den Schluss hätte ziehen müssen, dass die Tat entdeckt war. Ebenso kurz fiel seine Ausführung in seiner jüngsten Entscheidung vom 09.05.201761 aus: „Auch der Angeklagte musste bei verständiger Würdigung der Sachlage nach Kenntnisnahme der Medienberichterstattung schon vor Abgabe der Selbstanzeige mit der Tatentdeckung rechnen.“ Interessant ist dabei, dass sich das „Auch“ darauf bezieht, dass Tatentdeckung durch griechische Behörden als Dritte angenommen wurde, weil „wegen des zu bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden hohen Medieninteresses und der besonderen Tragweite des Falles (. . .) damit zu rechnen [war], dass die gewonnenen Erkenntnisse an die deutschen Ermittlungsbehörden auf deren Ersuchen weitergeleitet würden“.
b) Stellungnahme: Maßgeblichkeit der persönlichen Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit des Täters auf Basis einer objektiven Wertung Das Argument, der Steuerhinterzieher könnte eine Abwägung der Erfolgschancen der Selbstanzeige abschätzen, wenn auf die Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit eines durchschnittlichen Betrachters abgestellt wird, überzeugt nicht, denn dies setzt ein Vermögen zur Objektivität voraus, die ein in die konkrete Lage involvierter Täter eher nicht aufweisen wird. Eine Restunsicherheit beim Selbstanzeigenden hinsichtlich der Wirksamkeit der Selbstanzeige verbleibt ohnehin nach beiden Ansichten; entweder der Steuerpflichtige geht von einem „anderen“ Durchschnittsbetrachter aus oder aber er legt seine individuellen Erkenntnismöglichkeiten anders aus als die Finanzbehörde beziehungsweise die Staatsanwaltschaft oder das Gericht. Da es sich bei der Selbstanzeige um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund handelt, argumentiert die heutige allgemeine Auffassung62 jedoch zu Recht damit, dass es auch nur auf die persönliche Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit des 59 OLG Schleswig, Beschl. v. 30.10.2015, 2 Ss 63/15 (71/15), NZWiSt 2016, 153 (154); OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2015, III-5 RVs 119/15, wistra 2016, 116 (117); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 297; Hofmann, DStR 1998, 399 (402); Schöler, DStR 2015, 503 (506). 60 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (189). 61 BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 (393). 62 OLG Schleswig, Beschl. v. 30.10.2015, 2 Ss 63/15 (71/15), NZWiSt 2016, 153 (154); OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2015, III-5 RVs 119/15, wistra 2016, 116 (117); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 297; Hofmann, DStR 1998, 399 (402); Schöler, DStR 2015, 503 (506).
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E. Subjektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Täters in seiner konkreten Situation ankommen kann. Von diesem allgemeinen strafrechtlichen Grundsatz kann nicht aus praktischen Erwägungen abgesehen werden.63 Allerdings wird diese Ansicht dadurch relativiert, dass in der Praxis nicht in das Vorstellungsbild des Steuerpflichtigen hineingeschaut werden kann. Es bleibt vielmehr nur übrig, Annahmen zu treffen, ob der Steuerpflichtige auf eine Tatentdeckung schließen musste. Dabei kann naturgemäß nur auf die Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Steuerpflichtigen abgestellt werden. Mit diesen Erwägungen kann auch die Ausführung des BGH verstanden werden, der zwar auf der einen Seite darauf abstellt, dass der Steuerhinterzieher aus den ihm bekannten Tatsachen den Schluss auf eine Tatentdeckung ziehen musste, dies aber damit begründet, dass auch jeder andere Steuerpflichtige in seiner Situation den Schluss gezogen hätte.64 In der Entscheidung vom 201765 schließt der BGH von objektiven Tatbestandsmerkmal – der Bejahung der griechischen Behörden als taugliche Tatentdecker – auf das subjektive Merkmal des Rechnenmüssens mit der Tatentdeckung bei verständiger Würdigung der Sachlage. Damit bringt er noch einmal zum Ausdruck, dass es zwar auf die Beurteilung des Steuerstraftäters ankommt, die Frage, ob er mit Tatentdeckung rechnen musste aber letztlich aus objektiver Sicht beantwortet wird. Die Formulierung „bei verständiger Würdigung“, wird auch in anderen Gesetzen – zum Beispiel in § 119 Abs. 1 BGB oder § 55 VwVfG – dahingehend ausgelegt, dass der Sachverhalt einer objektiven Wertung zu unterziehen ist: Im Rahmen des § 55 VwVfG muss beispielsweise ein objektiver Beobachter in der konkreten Situation der Parteien Ungewissheit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht annehmen. Dabei werden dem objektiven Betrachter die im Allgemeinen zu erwartenden Sach- und Rechtskenntnisse der jeweiligen Vertragspartner unterstellt.66 Die daran zu stellenden Anforderungen differieren zwischen Behörde und Privatem; auf Seiten des Bürgers wird es parallel zu § 119 BGB als ausreichend erachtet, dass seine Würdigung der Sach- oder Rechtslage – wie es das Reichsgericht einst formulierte – „frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen“ 67 war.68 Bei der Verwaltung wird dagegen, da diese dem Untersuchungsgrundsatz unterliegt und von ihr Fachkenntnisse zu erwarten sind, ein objektiver Maßstab angelegt, indem auf die gebotenen und des63 So zutreffend BayObLG, Urt. v. 24.02.1972, RReg. 4 St 135/71, BayObLGSt 1972, 39 (42). 64 BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (189). 65 BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 (393). 66 Fehling, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016, § 55 VwVfG Rn. 22; Spieth, in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 42. Edition, Stand: 01.04.2018, § 55 VwVfG Rn. 35. 67 RG, Urt. v. 22.12.1905, II 395/05, RGZ 62, 201 (206). 68 Fehling, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016, § 55 VwVfG Rn. 22 m.w. N.; Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2021, § 119 BGB Rn. 151 m.w. N.
III. Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung
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halb durchschnittlich zu erwartenden Sach- und Fachkenntnisse der vertragsschließenden Behörde, konkret des jeweiligen Sachbearbeiters und seines Vorgesetzen, abgestellt wird.69 Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber mit der „verständigen Würdigung“ eine dem Steuerstrafrecht fremde Formulierung geschaffen hat, erscheint es naheliegend diesen „zivilistischen Begriff“ 70 auch entsprechend auszulegen. 4. Bezug der subjektiven Komponente In objektiver Hinsicht ist die Straffreiheit für alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ausgeschlossen, wenn auch nur eine von ihnen im Zeitpunkt der Selbstanzeige nur zum Teil entdeckt war. Das AG Kiel wirft in seinem Urteil vom 27.11.201471 die Frage auf, ob subjektiv erforderlich ist, „dass der Täter mit der Entdeckung dieses Teils dieser Tat rechnen musste“ und kommt zu dem Ergebnis, es genüge, wenn der Täter „mit der Entdeckung eines beliebigen Teils einer beliebigen seiner Taten rechnen muss. Denn nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO muss der Täter lediglich wissen oder damit rechnen müssen, dass eine Tat wenigstens zum Teil entdeckt ist, nicht aber, welcher Teil welcher Tat.“ 72
Diese auf den Wortlaut gestützte Auslegung begründet es ferner mit dem Sinn und Zweck der Selbstanzeige: Wenn eine Tat zum Teil entdeckt ist, die bisher verborgenen Steuerquellen also insoweit aufgedeckt sind, könne die Selbstanzeige nicht mehr fiskalisch, sondern nur noch durch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit gerechtfertigt werden. In diesem Fall sei es angemessen, die Straffreiheit davon abhängig zu machen, dass der Steuerpflichtige freiwillig zur Steuerehrlichkeit zurückkehre und nicht nur aus Furcht vor Entdeckung. Für die Freiwilligkeit komme es aber nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige die Tatentdeckung insgesamt oder nur einen Teil seiner Tat oder Taten fürchte. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hat der Täter die bei drei Schweizer Banken erzielten Kapitaleinkünfte verschwiegen. Obwohl das AG Kiel zu dem Ergebnis kommt, dass der Täter mit allen entdeckten Teilen der Steuerstraftat rechnen musste, die Frage mithin dahinstehen konnte, wirft es die Frage auf, ob der Täter mit der Entdeckung des Teils der Tat, die objektiv entdeckt wurde, auch subjektiv rechnen musste. 69 VGH München, Urt. v. 29.07.1987, 23 B 86.02281, NVwZ 1989, 167 (168); Fehling, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016, § 55 VwVfG Rn. 22; Spieth, in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 42. Edition, Stand: 01.04. 2018, § 55 VwVfG Rn. 35. 70 Terstegen, Steuerstrafrecht einschließlich Verfahrensrecht, S. 126. 71 AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), BeckRS 2015, 5202. 72 AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), BeckRS 2015, 5202.
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E. Subjektiver Tatbestand des Sperrgrundes der Tatentdeckung im Einzelnen
Das AG Kiel hatte dabei aber offenbar die folgende Fallkonstellation im Sinne: Ein Täter hat Einkünfte bei drei unterschiedlichen Banken A, B und C erzielt, die er alle vorsätzlich nicht in seiner Steuererklärung deklariert hat. Die Finanzbehörde entdeckt, dass der Täter seine Einkünfte bei der Bank B nicht erklärt hat, der Täter nahm aber an, es wurden seine verschwiegenen Einkünfte bei der Bank C entdeckt. Das AG Kiel stellte sich sodann die Frage, ob die Voraussetzungen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegen, wenn ein „Teil einer Tat“ – gemeint die verschwiegenen Einkünfte bei der Bank B – objektiv entdeckt wurde, der Täter aber mit der Entdeckung eines anderen Teils der Tat, der nicht erklärten Einkünfte bei der Bank C, rechnete. Abgesehen davon, dass die Erwägungen zur Differenzierung bei der Entdeckung unterschiedlicher Teile einer Steuerstraftat nicht überzeugen, weil es hier nicht um unterschiedliche Steuerstraftaten, sondern nur um eine einzige Tat geht, handelt es sich bei der aufgeworfenen Frage um ein Scheinproblem, denn der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bietet für das vom AG Kiel aufgeworfene Problem eine eindeutige Antwort: Wird nur ein „Teil einer Steuerstraftat“, hier also zum Beispiel eine vorsätzliche Nichtdeklarierung der Einkünfte, die bei der Bank B erzielt wurden, entdeckt, rechnet der Täter aber nur mit der Entdeckung seiner verschwiegenen Einkünfte bei der Bank C, so sind die Voraussetzungen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt, weil damit zunächst einmal feststeht, dass dem Täter keine Kenntnis und kein Rechnenmüssen hinsichtlich der Entdeckung einer Steuerstraftat nachgewiesen werden konnte. Dass der Täter damit rechnete, dass seine verschwiegenen Einkünfte bei der Bank C entdeckt wurden, ist irrelevant, denn diese Gedanken spielen sich nur im Kopf des Täters ab und die irrtümliche Annahme der Tatentdeckung alleine ist unschädlich für die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige.73 Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO fordert eindeutig auch das objektive Vorliegen einer Tatentdeckung. Es fehlt aber an einer objektiven Entdeckung hinsichtlich der hinterzogenen Einkünfte bei der Bank C. Im Ergebnis kann dem Täter also nur eine objektive Tatentdeckung hinsichtlich der hinterzogenen Einkünfte bei der Bank B nachgewiesen werden. Dies reicht jedoch nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht aus; es fehlt an dem Nachweis einer subjektiven Tatentdeckung. Die Fallkonstellation, in der dem Täter die objektive Entdeckung hinsichtlich der Hinterziehung der Einkünfte bei der Bank B und die Kenntnis oder das Rechnenmüssen mit der Entdeckung der Hinterziehung der Einkünfte bei der Bank C nachgewiesen werden können, kann in der Praxis nicht vorkommen. Denn der Nachweis der subjektiven Komponente setzt zwingend voraus, dass die ermittelnde Behörde von der Hinterziehung der Einkünfte bei der Bank C weiß, an73
Siehe hierzu oben auf S. 50.
III. Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung
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sonsten ist es denklogisch ausgeschlossen, dass sie insofern die Kenntnis oder das Rechnenmüssen mit der Entdeckung der Hinterziehung der Einkünfte bei der Bank C nachweisen kann. Werden zum Beispiel alle „drei Teile einer Steuerstraftat“ – hier die verschwiegenen Einkünfte bei den drei Banken – objektiv entdeckt, kann aber nur nachgewiesen werden, dass der Täter mit der Entdeckung der verschwiegenen Einkünfte bei der Bank C rechnen musste, so können die anderen nur objektiv entdeckten verschwiegenen Einkünfte bei den anderen zwei Banken vernachlässigt werden: Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ist in jedem Fall erfüllt, denn es wurde in objektiver Hinsicht eine Steuerstraftat – Hinterziehung von Einkommensteuer – entdeckt und der Täter musste mit der Entdeckung der Tat rechnen. Die Frage, ob die objektive und subjektive Entdeckung der Hinterziehung der Einkünfte bei der Bank C dazu führt, dass der Täter auch hinsichtlich der hinterzogenen Einkünfte bei der Bank A und B keine Selbstanzeige mehr abgeben kann, ist keine Frage nach dem Bezug der objektiven zu der subjektiven Komponente, sondern eine Frage des sachlichen Umfangs der Sperrwirkung. Hierzu wird unter F. II. aufgeführt.74
74
Siehe hierzu unten auf S. 146 ff.
F. Umfang der Sperrwirkung Nachdem die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO untersucht wurden, wird im Folgenden der Frage nach der persönlichen, sachlichen und zeitlichen Reichweite von dessen Sperrwirkung nachgegangen. Zwecks besseren Verständnisses wird dabei kurz die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung dargestellt sowie auf die Gesetzesformulierung in den Sperrgründen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO1 eingegangen.
I. Persönlicher Umfang der Sperrwirkung Gemäß dem Wortlaut der Norm erfasst der Sperrgrund der Tatentdeckung in persönlicher Hinsicht nur den Täter, der von der objektiven Tatentdeckung wusste oder diese kennen musste. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO spricht aber – im Unterschied zu den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b AO – nicht vom „an der Tat Beteiligten“. 1. Persönlicher Umfang der Sperrwirkung bei den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO Gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO tritt Straffreiheit nicht ein, wenn „dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Absatz 1 oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung“ bekannt gegeben wurde. Vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung2 trat die Sperrwirkung dann ein, wenn „dem Täter oder seinem Vertreter“ die Prüfungsanordnung bekannt gegeben wurde. Nun spricht der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO also nicht mehr von dem „Täter“, sondern anstatt dessen von „dem an der Tat Beteiligten“. Auch im Rahmen des Sperrgrundes nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO wurde durch die Gesetzesänderung der „Täter“ durch den „an der Tat Beteiligten“ ersetzt. Eine strafbefreiende Selbstanzeige ist nun also in Anwendung des § 28 Abs. 2 StGB sowohl dann ausgeschlossen, wenn dem Täter als auch dem Anstifter und Gehilfen der Steuerhinterziehung die Prüfungsanordnung bzw. die Einleitung ei1 Für einen Überlick zu den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 AO siehe oben auf S. 32. 2 BGBl. I 2014, S. 2415.
I. Persönlicher Umfang der Sperrwirkung
141
nes Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben wird. Streitig ist sowohl im Rahmen des § 371 Abs. 1 Satz 1 Nr. Buchst. a AO als auch im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO, ob die Sperrgründe dahingehend zu verstehen sind, dass die Sperrwirkung nun gegenüber allen an der Tat beteiligten Tätern und Teilnehmern eintritt, wenn die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung bzw. die Einleitung des Verfahrens nur gegenüber einem von ihnen erfolgt.3 Der Gesetzgeber hatte dies ausweislich der Gesetzesbegründung beabsichtigt4; eindeutigen Niederschlag im Gesetz hat jedoch der Wille des Gesetzgebers nicht gefunden.5 So spricht zwar die alternative Formulierung („oder“) dafür, dass es irrelevant sei, wem gegenüber die Prüfungsanordnung bekannt gegeben wird.6 Gegen die Wirkung der Bekanntgabe für alle Beteiligten spricht, dass Straffreiheit durch eine Selbstanzeige dann nicht eintritt, wenn „dem“ an der Tat Beteiligten und nicht etwa „einem“ an der Tat Beteiligten die Bekanntgabe erfolgt.7 Im Gegensatz zu den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b AO wurde der Sperrgrund des Erscheinens zur steuerlichen Prüfung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO nicht durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung in persönlicher Hinsicht geändert; § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO sagt unverändert nichts darüber aus, in Bezug auf welchen Tatbeteiligten das Erscheinen zur steuerlichen Prüfung die Sperrwirkung auslöst. Aufgrund der fehlenden Gesetzesänderung besteht Einigkeit, dass auch § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO weiterhin grundsätzlich nur die Selbstanzeige des Tatbeteiligten ausschließt, bei dem der Amtsträger zur steuerlichen Prüfung oder Ermittlung erschienen ist.8 3 So z. B. Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 131 ohne diesen Punkt als streitig anzusehen; Hunsmann, NJW 2015, 113 (115); a. A.: Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 116, 118; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 213, 214. 4 BT-Drs. 18/3018, S. 11. 5 Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 118; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 203. 6 Hunsmann, NJW 2015, 113 (114); Rübenstahl, WiJ 2014, 190 (198); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 429, der jedoch im Rahmen des Sperrgrunds nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO die gegenteilige Ansicht vertritt. 7 Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 118; Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 97; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 203; Bülte, ZWF 2015, 52 (54); Thonemann-Micker/Kanders, DB 2014, 2125 (2127); Joecks, DStR 2014, 2261 (2264); Geuenich, NWB 2015, 29 (33); a. A.: Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 181. 8 OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.05.1981, 2 Ss 214/81 – 142/71 III, wistra 1982, 119 (120); Buse, DB 2015, 89 (91); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 474; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 246; Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 217.
142
F. Umfang der Sperrwirkung
Dies wird damit begründet, dass Voraussetzung für eine steuerliche Prüfung ein konkretes Besteuerungsverfahren sei und dieses durch die Person des Beteiligten im Sinne des § 78 AO bestimmt werde. Die Selbstanzeige sei daher nur für die Person gesperrt, in deren Besteuerungsverfahren die Ermittlungen geführt werden und bei der der Amtsträger erscheine.9 Mangels Konkretisierung des Wortlauts in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d und e AO tritt wie beim Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO in persönlicher Hinsicht die Ausschlusswirkung nach überwiegender Auffassung nur den Täter oder Teilnehmer, bei dem der Amtsträger tatsächlich zu Ermittlungen bzw. zur Nachschau erschienen ist.10 2. Meinungsstand zur persönlichen Sperrwirkung im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO Im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO erfolgte durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung keine Ersetzung des Begriffs des „Täters“ durch den „an der Tat Beteiligten“ – und dies obwohl im Gesetzgebungsverfahren im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses darauf hingewiesen wurde, dass es sich um ein redaktionelles Versehen handeln müsse, dass der Gesetzentwurf nur den Täter und nicht auch den an der Tat Beteiligten nenne.11 In der Literatur ist vor diesem Hintergrund sehr umstritten, wie weit nun der persönliche Anwendungsbereich des Sperrgrunds der Tatentdeckung auszulegen ist. Teilweise12 wird die nicht erfolgte Änderung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO für unerheblich erachtet und der Begriff des Täters untechnisch verstanden, indem darunter sowohl der Täter als auch der Teilnehmer subsumiert werden.
9 Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 225; OLG Düsseldorf v. 27.05.1981, 2 Ss 214/81, 142/81 III, wistra 1982, 119; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 477; Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 217. 10 Hinsichtlich § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d AO: Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 261; Hüls/Reichling, in: Hüls/ Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 134. Hinsichtlich § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO: Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 261; Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 137, 113 ff.; a. A.: Hoyer, in: Gosch, AO/FGO, Stand: 01.10.2017, 143. Lieferung, § 371 Rn. 69.15; differenzierend Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 87. 11 Schwab in der öffentlichen Anhörung am 12.11.2014, Wortprotokoll Nr. 18/25, S. 22. 12 Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 337; Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 156. Lieferung 04.2019, § 371 AO, Rn. 103; Wessing/Biesgen, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2016, § 371 AO Rn. 135; Jäger, in: Klein, AO, 12. Auflage 2014, § 371 Rn. 68.
I. Persönlicher Umfang der Sperrwirkung
143
Nach anderer Ansicht13 ist der Begriff „Täter“ dahingehend zu verstehen, dass nur der Täter im Sinne des § 25 StGB gesperrt werde, nicht aber Anstifter und Gehilfen im Sinne der §§ 26, 27 StGB. Interessant sind die unterschiedlichen Begründungsansätze der Ansichten: Müller14 subsumiert unter den Begriff des Täters auch den Teilnehmer einer Tat mit der Begründung, ansonsten würde der Teilnehmer im Gegensatz zum Täter einer Steuerstraftat schlechter gestellt. Wende man nämlich den Wortlaut des Gesetzes an, so sei der Sperrgrund der Tatentdeckung für den Teilnehmer eher gegeben als für den Täter, weil beim ersteren zum Eintritt der Sperrwirkung bereits die objektive Tatentdeckung genüge. Relevant sei dies in Fällen, in denen die Tat zwar objektiv entdeckt wurde, der Steuerpflichtige aber davon nichts wusste und auch nicht mit einer Entdeckung rechnen musste. In dieser Konstellation könne der Teilnehmer nach dem Wortlaut des Gesetzes keine wirksame Selbstanzeige mehr erstatten, der Täter aber schon.15 Subsumiert man unter den Begriff des Täters auch den Teilnehmer, so werde hierdurch der Anwendungsbereich des Sperrgrundes für den Teilnehmer eingeschränkt. Da der Anwendungsbereich einer Vorschrift, hier des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, dadurch eingeschränkt werde, handele es sich technisch betrachtet um eine teleologische Reduktion des Wortlauts des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, die jedoch – da sie zu Gunsten des Teilnehmers vorgenommen wird – zulässig sei. Die für eine teleologische Reduktion erforderliche planwidrige Regelungslücke sei gegeben, denn es sei kein Grund seitens des Gesetzgebers für eine absichtliche Unterscheidung zwischen dem Teilnehmer und dem Täter ersichtlich. Andere16 begründen die weite Auslegung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO umgekehrt damit, dass ansonsten der Teilnehmer gegenüber dem Täter privilegiert werde und dafür kein Grund ersichtlich sei, zumal der Gesetzgeber auch sonst mit der Ersetzung des Begriffs des Täters durch den „an der Tat Beteiligten“ eine Gleichsetzung von Täter und Teilnehmer vornehme. Seer17 spricht sich ebenfalls für die Bezugnahme der subjektiven Komponente auf den Teilnehmer aus, allerdings mit der Begründung der ansonsten eintretenden zufälligen Ergebnisse: Der Teilnehmer könne unabhängig seiner eigenen Kenntnisse solange Selbstanzeige erstatten wie kein Täter Kenntnis von der Tat besitzt oder mit der Tatentdeckung rechnen muss. Umgekehrt wäre aber eine 13 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01. 2015, S. 92; Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 280. 14 Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 110, 111. 15 Den Wortlaut ebenso auslegend: Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 305; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 322. 16 Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, 4. Kapitel: Die Anfertigung einer Selbstanzeige Rn. 297; in diese Richung gehend Joecks, DStR 2014, 2261 (2264). 17 Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 156. Lieferung 04.2019, § 371 AO, Rn. 103.
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F. Umfang der Sperrwirkung
Selbstanzeige des Teilnehmers, der von der Tatentdeckung nichts weiß und auch nichts wissen kann, nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bereits deshalb ausgeschlossen, weil ein Täter die Tatentdeckung erkannt habe. Die Gegenauffassung18, nach der § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nur auf den Täter im Sinne des § 25 StGB Anwendung findet, begründet ihre Auffassung mit der seitens des Gesetzgebers – trotz des oben erwähnten Hinweises im Gesetzgebungsverfahren – nicht erfolgten Ersetzung des Begriffs des „Täters“ durch den „an der Tat Beteiligten“. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts und im Hinblick auf die Systematik innerhalb des § 371 Abs. 2 AO finde § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ausschließlich auf Täter, also auf Allein- und Mittäter sowie mittelbare Täter Anwendung, nicht jedoch auf Anstifter und Gehilfen.19 Es verstoße zudem gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, den eindeutigen Wortlaut des „Täters“ weit auszulegen und darunter den „an der Tat Beteiligten“ zu erfassen.20 3. Stellungnahme: Keine Sperrung der Selbstanzeige des Teilnehmers gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO Festzuhalten ist zunächst, dass der „eindeutige Wortlaut“ nicht so eindeutig sein kann, wie es auf den ersten Blick möglicherweise scheint. Denn seitens der Literatur wird eine unterschiedliche Subsumtion unter den Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vorgenommen. Dies hat zur Folge, dass die Begründungsansätze entsprechend unterschiedlich ausfallen. So sieht Müller21 eine Benachteiligung des Teilnehmers der Tat, wenn man den „Gesetzgeber beim Wort [nimmt]“ und den Teilnehmer nicht unter § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO subsumiert, und Schmeer22 darin umgekehrt eine Benachteiligung, den Teilnehmer unter den Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu subsumieren. Es ist daher zunächst darüber zu entscheiden, wie der Wortlaut zu verstehen ist, bevor eine Entscheidung hinsichtlich eines Lösungsansatzes beziehungsweise einer Korrektur des Wortlauts vorgenommen werden kann. Zusammengefasst werden folgende Varianten zugrunde gelegt: Die fehlende Bezugnahme auf den „an der Tat Beteiligten“ bedeutet, – beim Teilnehmer sei die Selbstanzeige bereits bei objektiver Tatentdeckung gesperrt, 18 Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 171; Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 92. 19 Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 171. 20 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01. 2015, S. 92; Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 280. 21 Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 110. 22 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01. 2015, S. 92.
I. Persönlicher Umfang der Sperrwirkung
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– beim Teilnehmer hänge die Sperrwirkung davon ob, ob neben der objektiven Tatentdeckung der Steuerstraftat die subjektive Komponente für den Täter zu bejahen ist oder aber – die Selbstanzeige eines Teilnehmers könne nicht aufgrund des Sperrgrunds der Tatentdeckung gesperrt sein. Nach hier vertretener Auffassung ist der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vor der Frage nach einer möglicherweise vorzunehmen Korrektur entsprechend der dritten Variante zu verstehen. Die erste Variante ist mit dem Wortlaut nicht vereinbar, weil sie dazu führt, dass ein Teil der gesetzlichen Voraussetzungen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO – die subjektive Komponente – gänzlich unberücksichtigt und unangewandt bleibt. Auch die zweite Variante ist mit dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht vereinbar. Dieser deutet nicht an, eine Erstreckung der Sperrwirkung auf andere Tatbeteiligte zu beabsichtigen, wenn die Voraussetzungen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO hinsichtlich des Täters vorliegen.23 So ist es schon schwierig dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b AO eine interpersonelle Sperrwirkung zu entnehmen, obwohl der Gesetzgeber hier ausdrücklich mit der zum 01.01.2015 in Kraft getretenen Reform beabsichtigte, durch das Ersetzen des bisherigen Begriffs des „Täters“ durch den Begriff des „an der Tat Beteiligten“ die Sperrwirkung nun gegenüber allen an der Tat beteiligten Tätern und Teilnehmern eintreten zu lassen, wenn die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung beziehungsweise die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens nur gegenüber einem von ihnen erfolgt.24 Hinsichtlich des Sperrgrundes der Tatentdeckung fehlt eine solche geäußerte Intention des Gesetzgebers. Zudem stellt die Selbstanzeige – wie oben dargestellt – einen persönlichen Strafaufhebungsgrund dar, mit der Folge, dass die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nur dem zugutekommt, der deren Voraussetzungen in seiner Person erfüllt. Stellt man hinsichtlich der subjektiven Komponente der Tatentdeckung auf den Täter und hinsichtlich der objektiven Tatentdeckung auf den Teilnehmer der Tat ab, so wird das (Nicht-)Vorliegen einer (negativen) Wirksamkeitsvoraussetzung auf zwei Personen aufgeteilt. Nach hier vertretener Auffassung ist der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO daher entsprechend der dritten Variante zu lesen. Auf Basis dieses Wortlautverständnisses scheidet eine teleologische Reduktion des Wortlauts – wie sie von Müller vorgenommen wird – aus. Der Anwendungsbereich des Sperr23 Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 171. 24 BT-Drs. 18/3018, S. 11; so z. B. Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/ FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 131 ohne diesen Punkt als streitig anzusehen; a. A.: Bülte, ZWF 2015, 52 (54); Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 119.
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F. Umfang der Sperrwirkung
grunds der Tatentdeckung wird nicht eingeschränkt, sondern erweitert, wenn der Teilnehmer von der Regelung erfasst wird. Außerdem würde eine teleologische Reduktion nicht zu Gunsten, sondern zu Lasten des Teilnehmers vorgenommen werden, und ist daher auch aus diesem Grund unzulässig. Aus demselben Grund scheidet auch eine weite Auslegung beziehungsweise ein im „untechnischen Sinne“ verstandener Begriff des „Täters“ aus: Eine solche Auslegung zu Lasten des Teilnehmers würde gegen das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 2 GG und einfachgesetzlich in § 1 StGB enthaltene Bestimmtheitsgebot sowie als dessen Verlängerung auch das Analogieverbot verstoßen. Es ist daher der zuletzt genannten Auffassung zu folgen. Aufgrund des nicht geänderten Wortlauts des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO kann ein Teilnehmer auch dann noch wirksam Selbstanzeige erstatten, wenn seine Teilnahmetat objektiv entdeckt war und er von der Tatentdeckung wusste oder mit ihr rechnen musste.
II. Sachlicher Umfang der Sperrwirkung Wird eine Steuerstraftat eines Steuerpflichtigen entdeckt, stellt sich die Frage, inwiefern er wegen anderer Steuerstraftaten noch wirksam Selbstanzeige erstatten kann. Während sich bei § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO in der Fassung vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 25 vom 28.04.2011 die Sperrwirkung nur auf die „Tat“ bezog, tritt gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO Straffreiheit nicht ein, wenn „eine der Steuerstraftaten“ entdeckt war und der Täter dies wusste oder damit rechnen musste. An diesem Wortlaut hat sich auch durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung26 nichts geändert. Um potentielle Argumentationshilfen für die Frage des sachlichen Umfangs im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu gewinnen, wird zunächst ein grober Überblick über den sachlichen Umfang der Sperrwirkung bei den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO vermittelt. 1. Sachlicher Umfang der Sperrwirkung bei den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO Den fünf Sperrgründen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO wurde durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz der Einleitungssatz vorangestellt, wonach Straffreiheit nicht eintritt, wenn „bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung“ ein Sperrgrund eingreift. Mit Blick auf diesen Gesetzeswortlaut erfasst die Sperre nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nach herrschender Meinung27 nicht nur eine 25
BGBl. I 2011, S. 676. BGBl. I 2014, S. 2415. 27 Eingehend hierzu Zanziger, DStR 2011, 1397 (1400); Beckemper/Schmitz/Wegner/ Wulf, wistra 2011, 281 (289); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage 26
II. Sachlicher Umfang der Sperrwirkung
147
Tat, sondern die gesamte „Berichtigungseinheit“ 28, wenn auch nur für eine einzelne Tat der Berichtigungseinheit ein Sperrgrund einschlägig ist. Die partielle Sperre eines Teilbereichs der vorgenommenen Berichtigung „infiziert“ alle unverjährten Zeiträume der betroffenen Steuerart(en) mit der Folge, dass für die betroffene Steuerart insgesamt keine strafaufhebende Selbstanzeige mehr möglich ist, solange ein Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO wirkt.29 Diese „Infektionswirkung“ wurde durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und c AO wieder abgeschafft. Nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und c AO ist die Sperrwirkung hier beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung, sodass die Sperre nur für die nach der Anordnung zu prüfenden Steuerarten und genannten Prüfungszeiträume wirkt.30 Eine Erweiterung des sachlichen und zeitlichen Umfangs der Sperrwirkung ist nur möglich, wenn auch die Prüfungsanordnung entsprechend erweitert und bekannt gegeben wird.31 Zusammen mit dem neu eingefügten § 371 Abs. 2 Satz 2 AO, wonach der Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und c AO nicht die Abgabe einer Selbstanzeige für die „nicht unter Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c fallenden Steuerstraftaten einer Steuerart“ hindert, soll gewährleistet werden, dass eine strafbefreiende Selbstanzeige für Zeiträume, die nicht von der Prüfungsanordnung umfasst sind, weiter möglich bleibt.32 2. Meinungsstand Fraglich ist, wie vor diesem Hintergrund die sachliche Reichweite der Sperrwirkung in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO auszulegen ist. Unstreitig ist zunächst, dass sich die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht auf andere Steuerarten als die der entdeckten Steuerstraftat be2015, § 371 AO Rn. 186 m.w. N.; a. A. Geuenich, NWB 2011, 1050 (1056); Prowatke/ Felten, DStR 2011, 899 (900). 28 „Da nach dem Wortlaut der Vorschrift alle Steuerstraftaten einer Steuerart aufzudecken sind, umschreiben wohl Begriffe wie Sparten-Lebensbeichte, Berichtigungsverbund, Berichtigungseinheit oder vertikale Vollständigkeit die Situation treffender.“ Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 66. 29 Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 195; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 186; Zanziger, DStR 2011, 1397 (1398); Jope, NZWiSt 2012, 59 (61). 30 Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 196; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 187. 31 Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 113; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 187. 32 BT-Drs. 18/3018, S. 11; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 196; Neuendorf/ Saligmann, DStZ 2014, 791 (795).
148
F. Umfang der Sperrwirkung
zieht:33 Betrachtet man § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO losgelöst von dem systematischen Kontext mit § 371 Abs. 1 AO, so könnte man ihn zwar auch so lesen, dass mit „eine der Steuerstraftaten“ „eine der [vom Täter begangenen] Steuerstraftaten“ gemeint ist. Dies hätte zur Folge, dass beispielsweise eine entdeckte Einkommensteuerhinterziehung für 2010 der Wirksamkeit einer Selbstanzeige hinsichtlich einer Umsatzsteuererklärung für 2011 entgegenstehen würde. Naheliegend ist es jedoch, § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO in Bezug zu § 371 Abs. 1 AO zu lesen34; § 371 Abs. 1 AO bezieht sich aber auf die Berichtigung aller Steuerstraftaten „einer“ Steuerart. Vor diesem Hintergrund ist daher nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine Sperrwirkung über die jeweilige Steuerart hinaus bezweckte. Hätte er dies gewollte, so müsste er dies deutlicher im Wortlaut zum Ausdruck bringen, etwa indem er betont, dass die Entdeckung „[irgend]einer Steuerstraftat“ genügt.35 Darüber hinaus ist jedoch umstritten, wie die sachliche Reichweite der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu verstehen ist. Denn dem Wortlaut der Norm ist nicht deutlich zu entnehmen, ob sich die Entdeckung nur auf die tatsächlich angezeigten Steuerstraftaten bezieht oder, unter Bezugnahme auf § 371 Abs. 1 AO alle unverjährten Taten einer Steuerart gemeint sind, unabhängig von einer Nennung in einer Selbstanzeige. Nach teilweise vertretener Ansicht36 sei die Änderung des Wortlauts durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz lediglich redaktioneller Natur und stelle im Zusammenspiel mit dem ergänzten Einleitungssatz des § 371 Abs. 2 Nr. 1 AO klar, dass sich der Umfang der Sperrwirkung auf die einzelne zur Anzeige gebrachte strafrechtliche Tat beziehe.37 Denn während bei den Sperrgründen des § 371 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aufgrund der dort gewählten Gesetzesformulierung „bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten“ davon auszugehen sei, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des Sperrgrundes für eine zur Selbstanzeige gebrachte Tat Sperrwirkung für sämtliche Taten der betroffenen Steuerart entfalte, sei dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO eine 33 Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 144; Wessing/Biesgen, in: Flore/ Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2016, § 371 AO Rn. 124; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 303; Hechtner, DStZ 2011, 265 (269). 34 Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 146; Beyer, AO-StB 2011, 119 (123); Kohler; in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 303. 35 Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 146. 36 Beyer, AO-StB 2011, 119 (123); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 752. 37 Geuenich, NWB 2011, 1050 (1055); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 752; Habammer, StBW 2011, 310 (314); ebenso Beyer, AO-StB 2011, 119 (123), der diese Auffassung als „Offenbarungslösung“ bezeichnet.
II. Sachlicher Umfang der Sperrwirkung
149
solche Ausweitung der Sperrwirkung nicht ohne Weiteres zu entnehmen.38 Bezieht man die Entdeckung unter Berücksichtigung des Einleitungssatzes des § 371 Abs. 1 AO auf sämtliche unverjährten Taten einer Steuerart sind, so führe dies dazu, dass die Entdeckung einer materiell-rechtlichen Tat sämtliche materiell-rechtliche Taten dieser Steuerart durch eine Entdeckungsfiktion sperrt.39 Dies sei vom Gesetzgeber nicht gewollt.40 Auch im Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages41 sei hierzu kein Anhaltspunkt ersichtlich. Anders sei dies für die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Dazu heiße es ebendort: „Die Rechtsfolge ,Straffreiheit‘ wird künftig dann nicht eintreten, wenn bei einer der offenbarten Taten Entdeckung droht. Das ist bereits dann der Fall, wenn dem Täter eine Prüfungsanordnung oder die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu einer der offenbarten Taten bekannt gegeben worden ist.“ 42
Nach der überwiegenden Gegenauffassung43 werden von der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO – trotz der Abweichung des Wortlauts vom § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO – sämtliche noch nicht verjährte Steuerstraftaten der betroffenen Steuerart umfasst, wenn ihre Voraussetzungen nur bei einer der Steuerstraftaten vorliegen. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AO seien insoweit einheitlich auszulegen. 3. Stellungnahme: Sperrwirkung umfasst sämtliche noch nicht verjährten Steuerstraftaten der betroffenen Steuerart Letztere Ansicht überzeugt: Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO spricht nicht mehr nur im Singular von einer „Tat“, sondern von „eine der Steuerstraftaten“. Hätte der Gesetzgeber keine Änderung des sachlichen Umfangs der Sperrwirkung mit der Änderung des Wortlauts durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz bezwecken wollen, wäre es naheliegend gewesen die bisherige tatbezogene Fassung nicht durch die Formulierung „eine der Steuerstraftaten“ zu ersetzen. Vielmehr spricht der Wortlaut („eine der“) dafür, „die entdeckte Steuerstraftat lediglich als ,Teilmenge‘ des ,entdeckten Ganzen‘ zu begreifen“.44
38
Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 752. Habammer, StBW 2011, 310 (314); Beyer, AO-StB 2011, 119 (123); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 751. 40 Habammer, StBW 2011, 310 (314); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 752. 41 BT-Drs. 17/5067, 21. 42 BT-Drs. 17/5067, 21. 43 Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 303; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 335; Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 170. 44 Hunsmann, ZWH 2018, 13 (17). 39
150
F. Umfang der Sperrwirkung
Liest man den Sperrgrund der Tatentdeckung isoliert von § 371 Abs. 1 AO und den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, so kommt die Frage auf, auf was sich der Artikel „der“ vor „Steuerstraftaten“ bezieht. Diese Frage klärt sich, wenn man § 371 Abs. 1 AO und § 371 Abs. 2 AO in der systematischen Reihenfolge betrachtet: § 371 Abs. 1 Satz 2 spricht von „allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart“ und der Einleitungssatz von § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO von „bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten“. Dann erscheint es naheliegend, auch im Rahmen der Tatentdeckung auf alle unverjährten Steuerstraftaten derselben Steuerart abzustellen.45 Letztlich wäre es inkonsequent, den Täter im Rahmen des § 371 Abs. 1 AO zu einer umfänglichen Berichtigung innerhalb einer Steuerart zu verpflichten, die Reichweite der Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO aber anders zu fassen als den Umfang der Berichtigungspflicht in § 370 Abs. 1 AO.46 In der Fassung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz war es naheliegend, dass die Sperrwirkung sich nur auf die einzelne Tat bezog, weil entsprechend § 371 Abs. 1 AO klarstellte, dass der Täter „insoweit straffrei“ werde, als er Angaben berichtige.47 Hätte der Gesetzgeber nun eine Beschränkung der Sperrwirkung auf die einzelne Tat bezwecken wollen, hätte er aufgrund der Abschaffung der Formulierung „insoweit straffrei“ in § 371 Abs. 1 AO im Sperrgrund der Tatentdeckung selbst als Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot explizit regeln müssen, dass Straffreiheit nicht eintritt, „soweit“ eine der Steuerstraftaten entdeckt war. 4. Konsequenzen der Entdeckung einer verjährten Steuerstraftat Gemäß § 370 Abs. 1 Satz 2 AO müssen die Angaben in der Selbstanzeige „zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre“ berichtigt werden. Das Merkmal „unverjährt“ bezieht sich dabei nicht auf die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO, sondern auf die strafrechtliche Verfolgungsverjährung.48 Die einfache Steuerhinterziehung verjährt gemäß § 369 Abs. 2 AO i.V. m. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB in fünf Jahren. Bei Steuerhinterziehungen in besonders schwerem Fall beträgt die strafrechtliche Verfolgungsverjährungsfrist gemäß § 376 Abs. 1 AO n. F.49 15 Jahre. Dies wirft 45
Hunsmann, ZWH 2018, 13 (17). Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 139; Buse, StBp. 2011, 153 (155); Zanzinger, DStR 2011, 1397 (1400): „Anders ausgedrückt: die Berichtigungseinheit entspricht der Sperreinheit.“ 47 Zanzinger, DStR 2011, 1397 (1400). 48 BT-Drs. 18/3018, S. 10; Heuel, wistra 2015, 289 (289); Jäger, in: Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 371 Rn. 55. 49 Die Strafverfolgungsverjährung gemäß § 376 Abs. 1 AO wurde bei Vorliegen eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 AO mit dem 46
II. Sachlicher Umfang der Sperrwirkung
151
die Frage auf, ob der Sperrgrund der Tatentdeckung ausgelöst wird, wenn eine Steuerstraftat entdeckt wird, die innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre und damit innerhalb des zu berichtigenden Zeitraums nach § 371 Abs. 1 Satz 2 AO begangen wurde, strafrechtlich aber bereits verfolgungsverjährt ist, weil ein Fall einer einfachen Steuerhinterziehung vorliegt. Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO („eine der Steuerstraftaten“) gibt hierauf keine Antwort. Die Rechtsprechung ist auf dieses Problem bislang – soweit ersichtlich – nicht eingegangen. Seitens der Literatur ist die Frage umstritten. Teilweise wird eine Tatentdeckung bejaht, wenn eine verjährte Tat entdeckt wird, da insoweit durch eine Selbstanzeige keine neue Steuerquelle mehr eröffnet werden könnte.50 Nach der überwiegenden Auffassung in der Literatur wird diese Frage unter Bezugnahme auf § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO verneint.51 Für die Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ergebe sich aus dem Einleitungssatz („bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten“) ausdrücklich, dass die Sperrwirkung sich nur auf die strafbefangenen Taten beziehe. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 (sowie Nr. 3 und 4) AO enthalten zwar einen solchen klarstellenden Satz nicht; für diese Sperrgründe könne jedoch nichts anderes gelten.52 Die Annahme einer Infektionswirkung in diesen Fällen ginge zu weit.53 Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Novellierung des Gesetzes durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung das Problem übersehen habe und eine solche weite Sperrwirkung nicht gewollt habe, denn zwar habe der Gesetzgeber eine Verschärfung der Voraussetzungen zur Selbstanzeige beabsichtigt54, es lassen sich der Gesetzesbegründung jedoch keine Anhaltspunkte entnehmen, die darauf hindeuten, dass die Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 AO ungeachtet der Verfolgungsverjährung auf den erweiterten Berichtigungsverbund ausgeweitet werden sollte.55 Auch nach hier vertretener Auffassung greift die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nur, wenn eine noch nicht verjährte Steuerstraftat entdeckt wurde. Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 (BGBl. I S. 3096) mit Wirkung zum 29.12. 2020 von zehn auf 15 Jahre verlängert. 50 Soweit ersichtlich nur Jäger, in: Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 160. 51 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 94; Schwartz, PStR 2015, 37 (41); Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129 (131). 52 Schwartz, PStR 2015, 37 (41). 53 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 94. 54 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 94. 55 Schwartz, PStR 2015, 37 (41); Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 94.
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F. Umfang der Sperrwirkung
Die fiskalpolitische Erwägung der Gegenansicht, die Steuerquelle sei in diesem Fall bereits entdeckt, überzeugt nicht, denn hierbei wird die Annahme getroffen, ein Steuerstraftäter habe lediglich eine einzige Steuerquelle, die er bislang verborgen hielt. Für die Verneinung einer Tatentdeckung in diesen Fällen spricht dagegen neben den oben dargestellten systematischen und historischen Argumenten der Literatur auch die Auslegung des Wortlauts des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO: Ruft man sich die Definition des Begriffs der Entdeckung in Erinnerung, so stellt man fest, dass in dem Fall der verjährten Steuerstraftat gar keine Tat „entdeckt“ wird. Denn Tatentdeckung liegt kurz zusammengefasst vor, „wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist“.56 Der Eintritt der Verjährung begründet aber nach allgemeiner Auffassung ein Verfahrenshindernis beziehungsweise wird der Nichteintritt der Verjährung als Prozessvoraussetzung bezeichnet.57 Die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses ist bei der Kenntnis von einer verjährten Tat also nicht gegeben. Mangels einer im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO „entdeckten“ Tat stellt sich die Frage der darauf aufbauenden Frage nach der Reichweite der Sperrwirkung nicht. Mit anderen Worten: Bei der verfolgungsverjährten Steuerstraftat fehlt es an dem eingeholten Infekt der Entdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO; diese Tat kann also keine anderen – nicht verjährten – Steuerstraftaten infizieren.
III. Zeitlicher Umfang der Sperrwirkung – Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit? Nachdem die persönliche und sachliche Reichweite der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO untersucht wurde, ist zuletzt deren zeitliche Reichweite interessant. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob generell die Möglichkeit zur Selbstanzeige wiederaufleben kann, wenn eine Tat entdeckt wurde, und gegebenenfalls, wann im Einzelfall die Möglichkeit wiederauflebt. Da die Kenntnis des Meinungsstandes betreffend das Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit bei den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bei der folgenden Untersuchung des zeitlichen Umfangs im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vorausgesetzt wird, erfolgt zunächst hierüber ein grober Überblick.
56
Zum Begriff der Entdeckung siehe oben auf S. 50 ff. Dallmeyer, in: BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg, 42. Edition, Stand: 01.05. 2019, § 78 StGB Rn. 1 m.w. N. 57
III. Zeitlicher Umfang der Sperrwirkung
153
1. Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit bei den übrigen Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO Die heutige allgemeine Auffassung geht davon aus, dass ein Wiederaufleben der Selbstanzeige bei den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO möglich ist:58 Hinsichtlich der Sperrgründe der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO und des Erscheinens eines Amtsträgers der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO wird dies zum einen damit begründet, dass der Vorschlag des Bundesrates zum Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, ein Wiederaufleben der Selbstanzeige auszuschließen59, in die endgültige Gesetzesfassung keinen Eingang gefunden hat.60 Zum anderen werden hier der Sinn und Zweck der Selbstanzeige angeführt61: Werden nach einer Außenprüfung keine Steuerstraftaten entdeckt, sinke für den Täter nach dem Abschluss der Prüfung die Gefahr der Entdeckung. Es entspräche daher eher der „Verbrechervernunft“ 62, nunmehr die Dinge auf sich beruhen zu lassen, da die Aussicht auf Entdeckung der verborgenen Steuerquelle gesunken sei. Das Interesse des Staates an einer nachträglichen Selbstanzeige sei daher entsprechend stärker. Mit der gesunkenen Entdeckungsgefahr für den Steuerpflichtigen und zugleich dem gesteigerten Interesse des Staates an einer nachträglichen Selbstanzeige wird auch bei den Sperrgründen gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b, d und e AO die Möglichkeit des Wiederauflebens der Selbstanzeige bejaht.63 Hinsichtlich des Zeitpunktes der Beendigung der Sperrwirkung wird bei den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und c AO die Möglich-
58 BGH, Urt. v. 23.03.1994, 5 StR 38/94, UR 1994, 367 (368); BGH, Urt. v. 24.08. 1988, 3 StR 232/88, BGHSt 35, 333 (340), jeweils für § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 356; Ransiek/Hinghaus, BB 2011, 2271 (2275); Schick, in: FS Wallis 1985, 477 (487); a. A. Mattern, NJW 1952, 492 (492); kritisch auch Kratzsch, StuW 1974, 68, (74, 75). 59 BR-Drs. 318/1/10, S. 80, 81. 60 Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 213, 266. 61 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 617; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 356; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 252. 62 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 356. 63 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 617; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 219, 264, 272; Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 139; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 272.
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F. Umfang der Sperrwirkung
keit zur strafbefreienden Selbstanzeige dann wieder bejaht, wenn die Außenprüfung abgeschlossen wurde.64 Bei den Sperrgründen gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b und d AO beschränke sich der zeitliche Umfang der Sperrwirkung auf die Dauer des Verfahrens; die Möglichkeit zur Selbstanzeige lebe mit dem erfolglosen Abschluss des Verfahrens wieder auf.65 Erfolgt hingegen letztlich eine Entscheidung, die zum Strafklageverbrauch führt, wie beispielswiese eine Verurteilung, ist die Tat nicht mehr verfolgbar, sodass sich insoweit die Frage nicht mehr stelle.66 Aber auch in Fällen der Einstellung des Verfahrens nach §§ 153 StPO, 170 Abs. 2 StPO oder § 398 AO wird das Wiederaufleben der Berichtigungsmöglichkeit zum Zeitpunkt der Einstellung bejaht.67 Beim Sperrgrund gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO lebe die Möglichkeit zur Erstattung einer Selbstanzeige grundsätzlich wieder auf, wenn die Nachschau beendet sei.68 Allerdings schließen sich aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse bei der Nachschau häufig weitere Maßnahmen an, sodass es zur unmittelbaren Verwirklichung von anderen Sperrgründen wie beispielsweise dem Erscheinen des Prüfers zur steuerlichen Prüfung nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO kommen kann.69 2. Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit beim Sperrgrund der Tatentdeckung Unter der Überschrift des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit im Rahmen des Sperrgrunds der Tatentdeckung werden seitens der Literatur zwei 64 Für § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO: Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 103; Webel, in: Schwarz/ Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 182; Hüls/Reichling, in: Hüls/ Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 121 m.w. N. Für § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO: Ransiek/Hinghaus, BB 2011, 2271 (2275); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 252. 65 Für § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO: Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 197; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 219; für § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d AO: Hüls/ Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 137; Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 237. 66 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 146. 67 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 362; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 220. 68 BT-Drs. 18/3018, S. 11 „in der Zeit“; Erb/Erdel, NZWiSt 2014, 327 (330); Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 272; Neuendorf/Saligmann, DStZ 2014, 791 (794). 69 BT-Drs. 18/3018, S. 12; Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 138; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 272.
III. Zeitlicher Umfang der Sperrwirkung
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unterschiedliche Fallkonstellationen erfasst, die auseinanderzuhalten sind: Zum einen wird darunter der Fall der Entkräftung eines zunächst bestehenden Tatverdachts diskutiert und zum anderen die Konstellation, in der eine Tat tatsächlich im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO entdeckt wird und es bei diesem Ergebnis auch bleibt. Ein Fall der Entkräftung eines zunächst bestehenden Tatverdachts liegt zum Beispiel vor, wenn die Behörde in einem Schreiben an den Tatverdächtigen ausführt, aus ihrer Sicht bestehe ein „hinreichender Tatverdacht“, dass der Steuerpflichtige eine Steuerstraftat begangen hat und der Steuerpflichtige diesen Verdacht durch ein Antwortschreiben ausräumen kann, indem er zum Beispiel darlegt, fahrlässig gehandelt zu haben. Freilich bleibt diese Fallvariante meist theoretischer Natur, da in der Regel bereits eine Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. Buchst. a oder b AO eingetreten sein wird.70 Ein Fall der Tatentdeckung liegt dagegen vor, wenn die oben dargestellten Voraussetzungen der objektiven Tatentdeckung vorliegen, mithin zusammengefasst bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist, und auch der Täter von der Tatentdeckung weiß oder mit ihr rechnen musste. Nachfolgend werden diese beiden Fallkonstellationen daher entsprechend separat auf die Frage nach der Möglichkeit des Wiederauflebens der Selbstanzeige untersucht. a) Entkräftung eines Tatverdachts aa) Wiederaufleben dem Grunde nach Im ersteren Fall wird die grundsätzliche Möglichkeit zur Selbstanzeige unstreitig bejaht.71 Denn sobald der den Anforderungen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO genügende Tatverdacht ausgeräumt sei, sei zumindest die Situation vor dem zunächst als Tatentdeckung eingestuften Verdachtsgrad wiederhergestellt, der folglich auch ein Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit rechtfertige.72 bb) Zeitpunkt des Wiederauflebens (1) Problemaufriss Schwierigkeiten kann in diesen Fällen allerdings die Frage bereiten, wann die Berichtigungsmöglichkeit wiederauflebt. Denn der Wortlaut des § 371 Abs. 2 70 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO Rn. 208; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 364. 71 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO Rn. 208; Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 286. 72 Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 286.
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F. Umfang der Sperrwirkung
Satz 1 Nr. 2 AO bietet keinerlei Anknüpfungspunkte für den Zeitpunkt des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit.73 Fest steht nur, dass sich das Problem erledigt, wenn die strafrechtliche Verjährung eintritt.74 Anders ist dies bei den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Hier wird ein Amtsträger nach außen hin für den Steuerpflichtigen sichtbar tätig; dessen Beginn und Ende der Tätigkeit können bestimmt werden. Führt die Entdeckung einer Tat zur Bekanntgabe der Einleitung eines Strafverfahrens, zum Erscheinen eines Amtsträgers zur Ermittlung einer Steuerstraftat, so kann nach allgemeiner Ansicht das Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit an die dortigen Kriterien angeknüpft werden.75 Problematisch ist jedoch die Feststellung des Zeitpunktes des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit in den Fällen, in denen der den Anforderungen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO genügende Verdacht entkräftet wird, bevor beziehungsweise ohne dass eine Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO herbeigeführt worden ist. Wird der Steuerpflichtige über die Entkräftung des zunächst bestehenden Verdachts informiert, so kann an diesen Zeitpunkt anknüpft werden.76 Ansonsten lässt sich dieser Zeitpunkt mangels objektiver Anhaltspunkte nur mittels Fiktion bestimmen.77 (2) Meinungsstand Nach Simon78 sei auf den Zeitraum abzustellen, innerhalb dessen nach üblichen Geschehensabläufen mit einer Weitergabe an die Behörde oder der Bearbeitung durch die Behörde zu rechnen sei. Joecks79 schlägt vor, in Analogie zu § 171 Abs. 4 Satz 3 AO die Berichtigungsmöglichkeit wieder aufleben zu lassen, wenn dem Täter nicht binnen sechs Mo73 Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 339; Ransiek/Hinghaus, BB 2011, 2271 (2274). 74 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 364. 75 Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 287; Grötsch, Persönliche Reichweite der Sperrwirkung im Rahmen des § 371 Abs. 2 AO, S. 172; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 364; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 308; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 339; Ransiek/Hinghaus, BB 2011, 2271 (2275). 76 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 364. 77 Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 309. 78 Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, 4. Auflage 2015, 8.6.7. 79 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 364; Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 288 ff.; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 309.
III. Zeitlicher Umfang der Sperrwirkung
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naten nach Kenntnis von der „Tatentdeckung“ die Einleitung des Verfahrens bekanntgegeben worden ist. Es liege zwar auf der Hand, dass dieser Zeitraum nicht zwingend sei. Aber er beseitige immerhin im Interesse der Rechtssicherheit einen für den Täter unerträglichen Schwebezustand und schaffe Spielräume für eine Selbstanzeige, für die nach Eintritt der strafrechtlichen Verjährung rechtlich kein Anlass mehr bestünde. Andere ziehen ebenfalls den Sechs-Monats-Zeitraum ab Kenntnis des Täters von der Tatentdeckung heran, begründen ihn jedoch mit einer analogen Anwendung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO.80 Gegen die Auffassungen wird eingewandt, es handele sich um eine reine abgabenrechtlich hergeleitete Lösung ohne strafrechtlichen Bezug.81 Stattdessen wird auf die nach außen hin manifestierbare Entkräftung des Tatverdachts abgestellt.82 (3) Stellungnahme Letztere Kritik sowie die erst genannte Auffassung bieten keine Lösung für das Problem der Bestimmung des Zeitpunktes des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit. Es gilt gerade einen Weg zu finden, festzulegen, wann ein Tatverdacht entkräftet ist und die Selbstanzeigemöglichkeit wiederauflebt, wenn es nach außen hin „kein Zeichen“ gibt. Der Ansatz von Joecks hat für sich, eine handhabbare Lösung des Problems zu bieten. Allerdings ergibt sich der Sechs-Monats-Zeitraum nicht aus der Norm des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO. Die Präzision, die der Lösungsansatz mit sich bringt, nämlich der Vorschlag einer Sechs-Monats-Frist, basiert also nicht auf einer analogen Anwendung einer Norm, sondern ist losgelöst hiervon. Hierzu im Einzelnen: § 171 AO ist eine Regelung zur Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist. § 171 Abs. 4 AO regelt eine Ablaufhemmung, wenn die Finanzbehörde vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung beginnt oder deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausschiebt. Die Regelung stellt sicher, dass nach Abschluss einer Außenprüfung noch Steuerbescheide erlassen, aufgehoben und geändert werden können, ohne die Außenprüfung durch enge Zeitvorgaben zu behindern.83
80 Wessing/Biesgen, in: Flore/Tsambikakis, § 371 AO Rn. 136; Stahl, 3. Auflage 2011, Rn. 409; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 309. 81 Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 339. 82 Hunsmann, ZWH 2018, 13 (19); Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 339. 83 Cöster, in: Koenig, AO, 3. Auflage 2014, § 171 AO Rn. 62.
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F. Umfang der Sperrwirkung
§ 171 Abs. 4 Satz 3 HS. 1 AO bestimmt, dass die Festsetzungsfrist spätestens endet, wenn seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Schlussbesprechung stattgefunden hat, oder, wenn sie unterblieben ist, seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden haben, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen verstrichen sind. Durch die Verweisung auf § 169 Abs. 2 AO werden der Finanzbehörde weitere vier Jahre zur Auswertung und Umsetzung der Prüfungsfeststellungen gewährt.84, 85 Die Regelung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO ist durch das Steuerbereinigungsgesetz vom 19.12.198586 eingefügt worden. Bis zu dessen Einführung bestand keine bestimmte Frist, innerhalb derer die Finanzbehörde tätig werden musste, so dass Steuerbescheide aufgrund einer Außenprüfung noch viele Jahre nach Abschluss der Prüfung ergehen konnten.87 Der Zweck des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO besteht darin, zugunsten des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit eine zeitlich unbegrenzte Auswertung von Prüfungsfeststellungen zu verhindern und damit eine zeitgerechte Auswertung von Prüfungsfeststellungen durch den Erlass von Änderungsbescheiden zu erzwingen.88 Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf die vorliegende Problematik übertragen: Ebenso kann aus der Sicht des Täters der Steuerstraftat die Finanzbehörde ohne zeitliche Beschränkung –zeitliche Grenzen bilden nur die strafrechtlichen Verjährungsvorschriften – die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens hinausschieben.89 Auch in dieser Konstellation gebietet es daher der Grundsatz der Rechtssicherheit und das Gebot des Rechtsfriedens, diesen für den Täter „unerträglichen Schwebezustand“ zu beseitigen.90 Im Ergebnis kann die Analogie zu § 171 Abs. 4 Satz 3 AO aber nur als Begründung dafür dienen, weshalb der Steuerpflichtige sich sowohl im Rahmen des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO als auch im Falle der Frage des Wiederauflebens der 84 Fink, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 171 AO Rn. 249. 85 Die Vorschrift ist aufgrund ihres Sinn und Zwecks dahingehend auszulegen, dass entgegen ihrem Wortlaut eine Verweisung auf § 169 Abs. 2 S. 2 sinn- und zweckwidrig ist und § 171 Abs. 4 S. 3 nur auf die reguläre Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 1 verweist. Fink, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 171 AO Rn. 249; Kruse, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 158. Lieferung 10.2019, § 171 AO, Rn. 63. 86 BGBl. I 1985, S. 2436. 87 BFH, Urt. v. 08.07.2009, XI R 64/07, BFHE 226, 19 (26); BStBl II 2010, 4, Rn. 38. 88 BFH, Urt. v. 08.07.2009, XI R 64/07, BFHE 226, 19 (27); BStBl II 2010, 4, Rn. 38. 89 Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 289. 90 Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 289, 290.
III. Zeitlicher Umfang der Sperrwirkung
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Selbstanzeigemöglichkeit in einem „unerträglichen Schwebezustand“ befindet. Dann aber ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Lösung der Sechs-Monatsfrist auf die analoge Anwendung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO gestützt wird. Eine Sechsmonatsfrist ergibt sich jedoch aus § 171 Abs. 4 Satz 2 AO. Danach tritt die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO nicht ein, wenn die Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn aus Gründen, die die Finanzbehörde zu vertreten hat, für die Dauer von mehr als sechs Monaten unterbrochen wird. Mit § 171 Abs. 4 Satz 2 AO wird bezweckt, einer missbräuchlichen Ausnutzung der Möglichkeit der Ablaufhemmung durch die Finanzbehörde entgegenzutreten und dem Bedürfnis des Steuerpflichtigen nach Rechtssicherheit Rechnung zu tragen.91 Der Rechtsgedanke, der aus dem Zusammenspiel zwischen § 171 Abs. 4 Satz 2 und 3 AO hervorgeht, lässt sich auf die Situation der Entkräftung des Tatverdachts beziehen. So fasst der BFH in seinem Urteil von 24.04.2003 zusammen: „Mit der Einfügung der Bestimmungen über Umfang und Ablauf einer Außenprüfung in den §§ 193 ff. AO 1977 und der zeitlichen Beschränkung einer durch die Außenprüfung bewirkten Ablaufhemmung in § 171 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 AO 1977 hat der Gesetzgeber sich für die Transparenz der Prüfungshandlungen und den Eintritt des Rechtsfriedens bei länger dauernder Untätigkeit der Finanzverwaltung entschieden. Der Steuerpflichtige soll die Möglichkeit haben, sich auf die Ermittlungshandlungen und die Wirkung einer Außenprüfung einzustellen.“ 92
Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass ab einer Untätigkeit der Finanzbehörde von mehr als sechs Monaten der Gedanke des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen überwiegt. Ebenso kann im Fall der Entkräftung eines Tatverdachts argumentiert werden. Sollte die Finanzbehörde hier ebenfalls mehr als sechs Monate untätig sein, sollte der Täter die Rechtssicherheit haben, Selbstanzeige erstatten zu dürfen. Sofern man dem Vorschlag einer Sechsmonatsfrist nicht folgt, da es sich hierbei um eine reine abgabenrechtlich hergeleitete Lösung ohne strafrechtlichen Bezug handelt93, gelangt man auch über straf(-prozessuale) Normen zum selben Ergebnis: So beschränkt etwa § 121 Abs. 1 StPO grundsätzlich den Vollzug der Untersuchungshaft auf sechs Monate. Die Regelung erscheint auf den ersten Blick „weit hergeholt“. Betrachtet man jedoch den Sinn und Zweck der Regelung, so lassen sich auch hier Parallelen feststellen: § 121 StPO bezweckt, die Strafverfol-
91 BFH, Urt. v. 24.04.2003, VII R 3/02, BFHE 202, 32 (42), BStBl II 2003, 739 m.w. N.; Fink, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04.2022, § 371 AO Rn. 210. 92 BFH, Urt. v. 24.04.2003, VII R 3/02, BFHE 202, 32 (42); BStBl II 2003, 739. 93 So Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 339.
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F. Umfang der Sperrwirkung
gungsorgane anzuhalten, die Ermittlungen und das sich anschließende Gerichtsverfahren beschleunigt durchzuführen.94 Es gilt, dass der sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebende Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten ständig den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen als Korrektiv entgegenzuhalten ist, wobei das Gewicht des Freiheitsanspruchs sich gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert.95 Auch im Falle der Konstellation der Entkräftung eines Tatverdachts ist der Täter in seiner Freiheit, eine (wirksame) Selbstanzeige zu erstatten, faktisch eingeschränkt und hat ein Interesse daran, dass die Behörden möglichst zügig die Prüfung seines Tatverdachts vornehmen. Je länger die Prüfung des Tatverdachts andauert, desto länger dauert der „unerträgliche Schwebezustand“ des Täters an. In § 121 Abs. 1 StPO hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass ab einer Dauer von sechs Monaten die Untersuchungshaft nur dann aufrechterhalten werden kann, „wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen“. Entsprechend kann man in Fällen der Entkräftung des Tatverdachts grundsätzlich ein Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit nach Ablauf einer sechsmonatigen Frist annehmen und bei besonders schwierigen und umfangreichen Ermittlungen eine längere Frist heranziehen. Die Frage, wann eine umfangreiche und schwierige Ermittlung vorliegt, ist freilich wieder mit Unsicherheiten verbunden. Praktisch unwahrscheinlich ist es jedoch, dass bei schwierigen und umfangreichen Fällen nicht eines der für die Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erforderlichen Amtshandlungen vorgenommen werden. Dann aber stellt sich wieder die Frage nach der Fiktion eines Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit wie oben dargestellt nicht. Problematisch bleibt aber auch die Ermittlung des Beginns der sechsmonatigen Frist. Joecks96 rechnet ab dem Zeitpunkt der Kenntnis von der Tatentdeckung. In den Fällen, in denen ein Tatverdacht sich nicht bestätigt hat, gibt es jedoch gerade keine Tatentdeckung und damit auch keinen Zeitpunkt der Tatentdeckung. Insofern wird aber der Zeitpunkt gemeint sein, in dem zunächst davon ausgegangen wurde, dass eine Steuerstraftat entdeckt wurde. Im einleitend dargestellten Beispielsfall97 würde also die sechsmonatige Frist mit der Zustellung des Schreibens an den Steuerpflichtigen zu laufen beginnen.
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Böhm, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 121 StPO Rn. 1. BVerfG, Beschl. v. 12.12.1973, 2 BvR 558/73, BVerfGE 36, 264 (270); Böhm, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 121 StPO Rn. 1. 96 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 364. 97 Siehe oben auf S. 154. 95
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b) Wiederaufleben nach Tatentdeckung aa) Ausgangspunkt der Untersuchung Erhebliche praktische Bedeutung hat die Frage, ob und wann die Möglichkeit zur Selbstanzeige wiederauflebt, wenn eine Tat tatsächlich entdeckt wurde. Diese Fragen sorgten für viel Diskussion im Schrifttum, nach dem der BGH in seinem Selbstanzeigebeschluss vom 20.05.201098 festgestellt hatte, dass unvollständige Selbstanzeigen unwirksam seien, da nur die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit zu honorieren sei. Dies brachte die Frage mit sich, ob nach einer unvollständigen Erstselbstanzeige noch im Hinblick auf den Sperrgrund der Tatentdeckung eine vollständige Zweitselbstanzeige mit strafbefreiender Wirkung erstattet werden kann. Teilweise99 wird die Auffassung vertreten, eine Teilselbstanzeige führe nicht zur Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO. Denn eine Tatentdeckung setze eine eigenständige Erforschung und Erschließung der Umstände, aus denen sich die Steuerhinterziehung ergibt, voraus und zwar gegen den Willen des Täters. Hieran fehle es immer, wenn der Täter selbst diese Umstände durch eine Mitteilung an die Finanzbehörde offengelegt hat.100 Werden bei einer Selbstanzeige unversteuerte Einnahmen durch den Täter offengelegt, so „entdeckt“ die Finanzbehörde keine Steuerstraftat, sondern nimmt nur eine Würdigung der vom Steuerpflichtigen offengelegten Fakten vor.101 Dieser Argumentation kann aufgrund gesetzessystematischer Aspekte innerhalb der Norm des § 371 AO sowie des darin zum Ausdruck gekommenen Willens des Gesetzgebers nicht gefolgt werden: Mit der Einführung der Vorschrift des § 371 Abs. 2a Satz 2 AO, die eine Ausnahme vom Sperrgrund der Tatentdeckung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vorsieht, hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass eine Zweitselbstanzeige zum Eingreifen des Sperrgrundes der Tatentdeckung führt, auch wenn der Steuerpflichtige selbst die unrichtigen Angaben offenlegt. So heißt es in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung102: „Eine korrigierte Umsatzsteuervoranmeldung, die eine wirksame Selbstanzeige darstellt, kann nicht noch einmal, z. B. im Rahmen einer weiteren Voranmeldung oder im Rahmen der Jahreserklärung, als wirksame Selbstanzeige gewertet werden. Dies ergibt sich daraus, dass eine Selbstanzeige dazu führt, dass die Steuerhinterziehung bekannt ist und damit der Sperrgrund der Tatentdeckung greift.“ 98
BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (182). Bergmann, JR 2012, 146 (152); Stahl, Selbstanzeige, 3. Auflage 2011, Rn. 381. 100 Bergmann, JR 2012, 146 (152). 101 Stahl, Selbstanzeige, 3. Auflage 2011, Rn. 381. 102 BT-Drs. 30/3018, S. 12. 99
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F. Umfang der Sperrwirkung
Ferner sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass teilweise eine Unwirksamkeit der zweiten Selbstanzeige mit der fehlenden Einhaltung des Vollständigkeitsgebots nach § 371 Abs. 1 AO begründet wird.103 Dann aber stellt sich die Frage nach der Rolle des Sperrgrundes der Tatentdeckung nicht. Entsprechend dem Fokus dieser Arbeit auf § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO wird in dieser Arbeit mit der Gegenauffassung104 angenommen, dass die zweite Selbstanzeige nicht an einem Vollständigkeitsmangel leidet, sodass die Frage relevant ist, ob die erste Selbstanzeige zur dauerhaften Sperre einer zweiten Selbstanzeige führt und die Möglichkeit zur Selbstanzeige somit nicht wieder auflebt. Die Möglichkeit des Wiederauflebens einer Selbstanzeige stellt sich jedoch auch in der Konstellation, in der eine Tat entdeckt wird, ohne dass zuvor eine (Teil-)Selbstanzeige abgegeben wird. Zum Beispiel könnten unversteuerte Kapitaleinkünfte durch den Ankauf einer Steuer-CD entdeckt werden. Der Steuerpflichtige könnte aber noch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung vorsätzlich über Jahre nicht erklärt haben. bb) Wiederaufleben dem Grunde nach Anders als in dem oben beschriebenen Fall der Entkräftung eines Tatverdachts, ist hier stark umstritten, ob die Möglichkeit zur Selbstanzeige wiederaufleben kann. (1) Meinungsstand Nach einer Auffassung105 scheidet eine Selbstanzeigemöglichkeit nach Tatentdeckung aus, weil eine entdeckte Tat entdeckt bleibt, auch wenn sie nicht im vollen Umfang aufgedeckt wurde. Hierfür spreche bereits der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO: Begrifflich liege eine Entdeckung vor, wenn etwas bisher Unbekanntes, Verborgenes aufgefunden wird. „Eine Un-Entdeckung von bereits Entdecktem ist denklogisch nicht möglich, da das (bisher) Unbekannte oder Verborgene wahrgenommen wurde und damit seine Qualität als Un-Entdecktes, als (bisher) Unbekanntes und Verborgenes dauerhaft verloren hat.“ 106
Dies gelte selbst für den Fall, dass keine Person mehr aktuelle Erinnerungen an das Entdeckte hat, sofern die Entdeckung nur nachvollziehbar sei. Etwas Anderes könnte allenfalls gelten, wenn alle, die von der Entdeckung Kenntnis haben, ver103 Ausführlich hierzu Webel, NZWiSt 2016, 337 (338); Roth/Schützeberg, PStR 2010, 214 (214). 104 So z. B. Grötsch/Seipl, wistra 2016, 1 (7); Heuel/Beyer, StBW 2011, 315 (317); Schwartz, PStR 2011, 150 (151). 105 Jäger, in: Klein, § 371 AO Rn. 180; Webel, NZWiSt 2016, 337 (340); Beyer, AOStB 2011, 119 (123). 106 Webel, NZWiSt 2016, 337 (340).
III. Zeitlicher Umfang der Sperrwirkung
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storben und sämtliche Akten, aus denen sich die Entdeckung ergibt, vernichtet seien.107 Dieses Ergebnis stehe auch im Einklang mit dem kriminalpolitischen und strafrechtlichen Zweck des § 371 AO, einen Anreiz für die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit und für gesetzmäßiges Verhalten zu geben. Im Übrigen seien die Sperrgründe im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Norm des § 371 AO weit auszulegen.108 Ebenso wenig lebe die Selbstanzeigemöglichkeit wieder auf, wenn auf eine unvollständige Selbstanzeige hin ein Strafverfahren eingeleitet werde und in der Folge auf Zahlung der unvollständig nacherklärten Steuer hin gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO wiedereingestellt wird, da auch in diesem Fall ein Teil der im Berichtigungszusammenhang stehenden Taten entdeckt wird und diese Entdeckung nicht wieder verloren gehe.109 Da dieses Ergebnis als unbefriedigend empfunden wird, wird teilweise vorgeschlagen, bei der Bestimmung der Tat auf die einzelne Einkunftsquelle beziehungsweise Besteuerungsquelle abzustellen anstatt wie die herrschende Auffassung den Begriff der Tat nach Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigen zu bestimmen.110 Zum Teil wird ein Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit anerkannt mit der Begründung, der Staat sei zur Aufdeckung weiterer Steuerquellen auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen, der diese jedoch nur dann offenbaren würde, wenn er die Gewissheit der Straffreiheit habe.111 Andere nehmen eine zeitliche Differenzierung vor112: Die zweite Selbstanzeige sei dann wirksam, wenn sie erst nach endgültigem Abschluss des ersten Selbstanzeigeverfahrens erstattet werde, denn diese Konstellation sei mit dem Fall vergleichbar und daher gleich zu behandeln, in dem ein Ermittlungsverfahren oder eine Steuerprüfung durchgeführt wird, ohne dass zuvor eine Selbstanzeige abgegeben worden wäre.113 Würde man ein Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit in diesen Fällen verneinen, führe dies dazu, dass bereits eine zügig und ohne jegliche Beanstandungen durchgeführte Außenprüfung zu einem dauerhaften Ausschluss der Selbstanzeige für alle nicht entdeckten Straftaten für sämtliche geprüften Steuerarten in sämtlichen nicht verjährten Zeiträumen zur Folge hätte. Diese Sperrwirkung würde so lange anhalten, bis die letzte geprüfte 107
Webel, NZWiSt 2016, 337 (340). Webel, NZWiSt 2016, 337 (340). 109 Webel, NZWiSt 2016, 337 (340). 110 Schwartz, wistra 2011, 81 (86); ders., PStR 2011, 150 (153); Heuel/Beyer, StBW 2011, 315 (317), vgl. hierzu bereits oben auf S. 65 f. 111 Schwartz, PStR 2011, 150 (153). 112 Ransiek/Hinghaus, BB 2011, S. 2271 (2274); Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 366. 113 Ransiek/Hinghaus, BB 2011, S. 2271 (2274). 108
164
F. Umfang der Sperrwirkung
Tat verjährt wäre.114 Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber diese Folgen beabsichtigt habe. Außerdem käme ein Steuerpflichtiger, dessen Akten nach vermeintlich wirksamer Selbstanzeige, Erlass von Änderungsbescheiden und Nachzahlung des verkürzten Betrages geschlossen wurden, nicht unverdient in den Genuss der strafbefreienden Selbstanzeige, da er die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern nachzuzahlen habe.115 Überdies müsse man den Sperrgrund der Tatentdeckung dahin verstehen, dass er die Entdeckung einer aus Sicht der Finanzverwaltung verfolgbaren Steuerhinterziehung meine. Wenn aber das Verfahren nach Nachzahlung abgeschlossen erscheint, geht niemand mehr im Finanzamt von einer verfolgbaren Steuerhinterziehung aus.116 (2) Stellungnahme Rein sprachlich ist der erstgenannten Auffassung darin zuzustimmen, dass eine „Un-Entdeckung von bereits Entdecktem“ nicht möglich ist. Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO stützt diese Ansicht und spricht für das Eingreifen des Sperrgrundes der Tatentdeckung bei der Prüfung der (Zweit-)Selbstanzeige, denn in diesen Fällen wurde eine Tat einer Steuerart und eines der unverjährten Jahre bereits entdeckt. Indes geht es hier nicht darum zu klären, wann eine Tat als „unentdeckt“ gilt, sondern darum, ob trotz Tatentdeckung die Möglichkeit zur Selbstanzeige wiederaufleben kann. Bei der Bestimmung der Tat auf die einzelne Einkunftsquelle abzustellen, vermag das Problem des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit nach einer bereits erfolgten Selbstanzeige nicht zu lösen, sofern man nicht zugleich – entgegen der hier vertretenen Auffassung – hinsichtlich des sachlichen Umfangs der Sperrwirkung die Infektionswirkung ablehnt. Sowohl hinsichtlich des hier vertretenen Begriffs der Tat117 als auch hinsichtlich des sachlichen Umfangs der Sperrwirkung118 wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Nicht von der Hand zu weisen ist dabei die problematische Situation, in der sich der Steuerpflichtige in diesen Fällen befindet: Möchte er zur Steuerehrlichkeit zurückkehren, so bleibt ihm nur übrig, die Finanzverwaltung über bislang unbekannte Einkünfte in Kenntnis zu setzen, und sich dadurch selbst der Begehung von Steuerhinterziehungen zu bezichtigen.119 114
Ransiek/Hinghaus, BB 2011, S. 2271 (2274). Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 366. 116 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 366. 117 Siehe hierzu oben auf S. 64 ff. 118 Siehe hierzu oben auf S. 146 ff. 119 Schwartz, wistra 2011, 81 (85); Webel, NZWiSt 2016, 337 (343). 115
III. Zeitlicher Umfang der Sperrwirkung
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Vor diesem Hintergrund erscheint die letztere Auffassung, wonach eine Zweitselbstanzeige dann wirksam ist, wenn sie nach endgültigem Abschluss des ersten Selbstanzeigeverfahrens erstattet wird, im Ergebnis vorzugswürdig. Zur Begründung dieser Auffassung kann an das Argument angeknüpft werden, wonach man den Sperrgrund der Tatentdeckung dahin verstehen muss, dass er die Entdeckung einer verfolgbaren Steuerstraftat meint. Insoweit wird auf die oben dargestellte Problematik der Entdeckung einer bereits verjährten, und damit nicht mehr verfolgbaren Steuerstraftat verwiesen.120 Zwar ist das Argument angreifbar, dass bei einem abgeschlossenen Verfahren nach Nachzahlung seitens der Finanzbehörde niemand mehr von einer verfolgbaren Steuerstraftat ausgeht. Denn nach einer zunächst als wirksam erachteten Selbstanzeige ergeht regelmäßig eine Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO und die Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO führt nicht zu einem Strafklageverbrauch, sodass das Verfahren jederzeit wiederaufgenommen werden kann, wenn Anlass dazu besteht. Für die Wirksamkeit der Zweitselbstanzeige sprechen weiterhin aber auch teleologische Aspekte: Zwar bieten kriminalpolitische Erwägungen keine eindeutige Lösung, denn entweder man argumentiert, das Ziel, über die Selbstanzeige die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit zu honorieren, wird konterkariert, weil eben keine vollständige erste Selbstanzeige erfolgte oder aber man honoriert es im Gegenteil, dass der Steuerpflichtige sich zur Offenbarung weiterer Steuerquellen erschließt, obwohl er schon fast „entkommen“ ist.121 Fiskalpolitische Erwägungen sprechen jedoch dafür, die Selbstanzeige auch in diesen Fällen noch zu ermöglichen, damit dem Staat weitere Steuerquellen erschlossen werden.122 Freilich kann nicht jede Zweitselbstanzeige mit fiskalpolitischen Erwägungen als wirksam erachtet werden, da ansonsten das Ziel des Gesetzgebers der Verhinderung des Missbrauchs der Selbstanzeige für Hinterziehungsstrategien verfehlt wird. Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO differenziert indes nicht nach absichtlich-planvoll handelnden und gutgläubigen Selbstanzeigenden. Unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers erscheint es vertretbar, nur den Steuerpflichtigen, dessen Selbstanzeige gutgläubig unvollständig blieb, die Möglichkeit einer Zweitselbstanzeige zu gewähren. Ebenso sollte derjenige, der noch keine (Erst-)Selbstanzeige eingereicht hat, die Möglichkeit haben nach einer Tatentdeckung (erstmals) Selbstanzeige zu erstatten. cc) Zeitpunkt des Wiederauflebens Hinsichtlich des Zeitpunktes des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit kann auf die Ausführungen des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglich120 121 122
Siehe hierzu oben auf S. 150 f. Schwartz, wistra 2011, 81 (85). Schwartz, wistra 2011, 81 (85).
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F. Umfang der Sperrwirkung
keit bei den Sperrgründen gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b und d AO verwiesen werden123, denn im Gegensatz zu der ersten hier erläuterten Fallvariante der Entkräftung eines Tatverdachts führt eine tatsächliche Tatentdeckung regelmäßig zur Einleitung eines Strafverfahrens. Zeitpunkt des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit ist somit der Abschluss des Strafverfahrens. Sollte jedoch etwa aufgrund offensichtlicher Wirksamkeit der Erstselbstanzeige kein Strafverfahren eingeleitet werden, so kann an die Mitteilung der Anerkennung der Selbstanzeige angeknüpft werden.124
123 124
Siehe hierzu oben auf S. 153 ff. Grötsch/Seipl, wistra 2016, 1 (5).
G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis Die praktische Anwendung des Ausschlussgrundes der Tatentdeckung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beschäftigte nicht nur in vielfältigen Fällen die Rechtsprechung, sondern ist auch Gegenstand zahlreicher Diskussionen im Schrifttum. Inhalt dieses letzten Kapitels ist es anhand der in den vorherigen Kapiteln gewonnen Erkenntnisse zunächst die bisher durch die Rechtsprechung entschiedenen aufsehenerregenden Fälle zu untersuchen. Sodann werden praxisrelevante, bisher unentschiedene Sachverhalte auf das Eingreifen des Sperrgrundes der Tatentdeckung untersucht. Angesichts der Vielzahl denkbarer Fälle, in denen der Sperrgrund der Tatentdeckung eine Rolle spielt, versteht sich dieses Kapitel nicht als erschöpfende Darstellung aller denkbarer Fallkonstellationen. Es soll vielmehr ein Einblick in die Schwierigkeit und zugleich auch ein Gespür für die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vermittelt werden.
I. Steuerdaten-CDs Gegenstand der Medienberichterstattung war zuletzt im Juni 2021 die Äußerung des damals noch Bundesfinanzministers und heute Bundeskanzlers Olaf Scholz: „Das Bundeszentralamt für Steuern hat auf meine Veranlassung hin eine CD beschafft, auf der steuerlich relevante Daten aus dem Emirat Dubai enthalten sind.“ 1 Zwei Millionen Euro habe laut Spiegel2 der Ankauf dieser CDs gekostet. Das ist nicht das erste Mal, dass Behörden Steuerdaten-CDs ankaufen. Für großes mediales Aufsehen sorgte bereits im Jahr 2006 der Ankauf einer sogenannten Steuerdaten-CD durch deutsche Behörden mit relevanten Daten einer Liechtensteinischen Bank, unter deren Kunden sich unter anderen der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Post AG befand.3 Bei den Steuerdaten-CDs handelt es sich um Datenträger, die Informationen zu deutschen Steuerpflichtigen beinhalten, die im Ausland, hauptsächlich in Liechtenstein, der Schweiz und Luxemburg, Kapital angelegt haben. Die Auswertung dieser Steuerdaten erfolgte in Form eines Abgleichs der Informationen der CD mit der persönlichen Steuerakte des verdächtigen Steuerpflichtigen und ermöglichte im Ergebnis die Feststellung, 1 https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/finanzminister-scholz-kauft-cd-mit-steuerda ten-aus-dubai-17385285.html (abgerufen am 18.06.2021). 2 https://www.spiegel.de/wirtschaft/olaf-scholz-kauft-steuerdaten-aus-dubai-a-c0ba66 40-0002-0001-0000-000177879107 (abgerufen am 18.06.2021). 3 https://www.welt.de/wirtschaft/article113504245/Der-Mann-der-Post-Chef-Zumwin kel-stuerzte.html (abgerufen am 20.06.2019).
168
G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
ob und in welcher Höhe der Steuerpflichtige die ausländischen Kapitaleinkünfte erklärt hat.4 In Hinblick auf den hier untersuchten Sperrgrund gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO wirft die Praxis des Ankaufs von Steuerdaten die Fragen auf, ob und gegebenenfalls wann in diesen Fällen objektiv die Tat der Kunden entdeckt ist, die bei der betroffenen Bank ein nicht deklariertes Konto unterhalten, und ob, subjektiv betrachtet, die Kenntnis oder das Rechnenmüssen um die Tatentdeckung zu bejahen sind. 1. Objektive Voraussetzungen a) Tatentdeckung durch Abgleich der Steuerakte Wie oben dargestellt5 ist nach allgemeiner Meinung eine Tat jedenfalls dann entdeckt, wenn der Abgleich mit der Steuererklärung des Steuerpflichtigen ergibt, dass die Steuerquelle nicht oder unvollständig angegeben wurde. Ergibt die Auswertung der Steuer-CDs, dass die ausländischen Einkünfte nicht in der Steuererklärung des betroffenen Steuerpflichtigen deklariert wurden, ist Tatentdeckung in der Regel zu bejahen.6 Hierbei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass nicht nur Anhaltspunkte für den objektiven Tatbestand, sondern zudem auch Anhaltspunkte für die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes der Steuerhinterziehung vorliegen müssen.7 b) Tatentdeckung bereits nach Sichtung des Steuerdatenmaterials Fraglich ist aber, ob vor dem Abgleich, aber nach Sichtung des Datenmaterials bereits Tatentdeckung eintreten kann. Nach der Rechtsprechung des BGH ist Tatentdeckung auch schon vor einem Abgleich denkbar, etwa bei Aussagen von Zeugen, die dem Steuerpflichtigen nahestehen und vor diesem Hintergrund zum Inhalt der Steuererklärung Angaben machen können, oder bei verschleierten Steuerquellen, wenn die Art und Weise der Verschleierung nach kriminalistischer Erfahrung ein signifikantes Indiz für unvollständige oder unrichtige Angaben ist. Mit dem Sperrgrund der Tatentdeckung im Zusammenhang mit dem Ankauf von Steuer-CDs hat sich der BGH bislang nicht befasst, sodass diesbezüglich noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorhanden ist. 4
Vgl. hierzu ausführlich Randt/Schauf, DStR 2008, 489 (489). Zum Begriff der Entdeckung siehe oben auf S. 50 ff. 6 So auch der Sachverhalt bei AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), BeckRS 2015, 5202; Randt/Schauf, DStR 2008, 489 (490); Löwe-Krahl, PStR 2012, 245 (246); Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 307; Gehm, NJW 2010, 2161 (2164); Schöler, DStR 2015, 503 (505). 7 Siehe hierzu oben auf S. 69 ff. 5
I. Steuerdaten-CDs
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Seitens der Rechtsprechung hat sich soweit ersichtlich erstmals das AG Kiel8 mit dem Fall der Tatentdeckung durch Steuer-CDs befasst. Seine Entscheidung wurde letztinstanzlich durch das OLG Schleswig9 bestätigt. Die objektive Voraussetzung der Tatentdeckung wurde hier jedoch nicht problematisiert, da das Finanzamt die auf der erworbenen CD enthaltenen Daten über den Steuerpflichtigen bereits mit seinen Einkommensteuererklärungen abgeglichen und aufgrund der Abweichungen ein Steuerstrafverfahren eingeleitet hatte, als die Selbstanzeige des Angeklagten beim Finanzamt einging. Das OLG Nürnberg10 hat basierend auf der Rechtsprechung des BGH entschieden, dass der Ankauf des die Steuerdaten enthaltenden Datenträgers für den Eintritt der Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO jedenfalls noch nicht genüge, da für die Entdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zumindest zu verlangen sei, „dass die Finanzbehörde – wenn auch möglicherweise nicht unbedingt die für den jeweiligen Steuerpflichtigen örtlich zuständige – Kenntnis von der in auffälliger Weise verschleierten Steuerquelle erlangt hat“. Indes sei in dem zugrundeliegenden Sachverhalt nicht bekannt, in wessen Hände die Steuer-CD nach ihrem Erwerb zunächst gelangt sei. Auch ließe sich nicht feststellen, wann die Auswertung der angekauften CD zu der Feststellung geführt habe, dass die Steuerstraftäter „über eine – in verdächtiger Weise – verschleierte Steuerquelle verfügen“. „Der Senat muss[te] deshalb davon ausgehen, dass am (. . .) – und auch noch mehrere Wochen danach – die Erstattung einer strafbefreienden Selbstanzeige noch möglich gewesen wäre.“ Im Schrifttum wird vereinzelt in Anlehnung an diese Rechtsprechung vertreten, bereits das Unterhalten eines Bankkontos im Ausland deute auf eine verschleierte Steuerquelle hin und führe daher zur Tatentdeckung.11 Sollte sich nach Auswertung der Steuer-CDs herausstellen, dass die betreffenden Kapitalerträge versteuert wurden, sei im Ergebnis eine nicht begangene Scheintat entdeckt worden, wobei dies dem Fall ähnele, dass ein ursprünglich bestandener Anfangsverdacht nachträglich entkräftet werde.12 Diese Ansicht verkehrt den auch im Rahmen der Sperrgründe geltenden Grundsatze in dubio pro reo zu Lasten des Steuerpflichtigen ins Gegenteil, indem sie annimmt, dieser habe die ausländischen Kapitalerträge nicht erklärt. Dies führt im Ergebnis dazu, dass – wie auch von der Gegenansicht der Ver-
8 9
AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), BeckRS 2015, 5202. OLG Schleswig, Beschl. v. 30.10.2015 – 2 Ss 63/15 (71/15), NZWiSt 2016, 153–
157. 10
OLG Nürnberg, Urt. v. 24.02.2017, 5 U 1687/16, DStRE 2017, 1531 (1533). Wessing/Biesgen, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2013, AO § 371 Rn. 127; dies., NJW 2010, 2689 (2692); Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 311. 12 Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 311. 11
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G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
gleich mit einem nicht bestätigten Anfangsverdacht vorgenommen wird – die Voraussetzungen an das objektive Vorliegen einer Tatentdeckung in Richtung eines Anfangsverdacht herabgesenkt werden. Dieser jedoch reicht auch nach der Rechtsprechung des BGH nicht aus. Demgegenüber wird zu Recht vertreten, dass aus der alleinigen Existenz eines ausländischen Bankkontos noch nicht der Rückschluss auf eine verschleierte Steuerquelle gezogen werden kann, denn es kann nicht pauschal angenommen werden, es bestehe eine kriminalistische Erfahrung, dass ausländische Kapitalerträge grundsätzlich verschwiegen werden.13 Eine solche Auffassung ist nicht mit europäischem Recht vereinbar, weil sie einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit darstellt.14 Nur, wenn sich ausnahmsweise aus dem Steuerdatenmaterial selbst ergeben sollte, dass seitens des Steuerpflichtigen die Anweisung erteilt wurde, die Kontoauszüge banklagernd zu verwahren, kann davon ausgegangen werden, dass die Existenz des Kontos den inländischen Finanzbehörden gegenüber verschwiegen wurde.15 2. Subjektive Voraussetzungen Problematischer im Rahmen der Tatentdeckung im Kontext mit dem Ankauf der Steuer-CDs ist das subjektive Element des Sperrgrunds der Tatentdeckung, also die Frage, ob der Steuerstraftäter von der Tatentdeckung wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste. Hier spielt die Medienberichterstattung eine besondere Rolle, denn erst durch diese erfährt der Steuerpflichtige regelmäßig von dem Ankauf der Steuer-CDs. Eine positive Kenntnis von der entdeckten Tat seitens des Steuerstraftäters dürfte in der Regel nicht vorliegen beziehungsweise nicht nachzuweisen sein. Allein der Nachweis der Kenntnis des Steuerpflichtigen von der Presseberichterstattung über den Ankauf einer bestimmten, ihn möglicherweise betreffenden SteuerCDs genügt nicht zu Bejahung der Kenntnis von der Tatentdeckung.16 Erforderlich ist weiterhin, dass den Presseberichten ein konkreter Bezug zu dem individuellen Sachverhalt des Selbstanzeigenden zu entnehmen ist, was regelmäßig nicht der Fall sein wird, denn den Medienberichten sind weder die Namen indivi13 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 96; Schöler, DStR 2015, 503 (505); Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 183; Schwartz/Höpfner, PStR 2014, 170 (175); Löwe-Krahl PStR 2012, 245 (246). 14 Vgl. Peters, in: Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2021, Rn. 12.74. 15 Löwe-Krahl, PStR 2012, 245 (247), die von konspirativen Anhaltspunkten sprechen; Schöler, DStR 2015, 503 (505); Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 183. 16 Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 184; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO Rn. 735 ff.
I. Steuerdaten-CDs
171
duell Betroffener noch Bezeichnungen konkreter Depots oder Stiftungen zu entnehmen, sondern regelmäßig nur die Nennung der betroffenen Banken und die ungefähre Zahl der betroffenen Bankkunden.17 Der Steuerpflichtige hat aber – wie oben dargestellt18 – erst dann Kenntnis von der entdeckten Tat, wenn er positiv weiß, dass die Behörde oder ein Dritter, der die Weiterleitung der Kenntnisse beabsichtigt, von seiner Tat so viel erfahren hat, dass bei vorläufiger Tatbewertung seine Verurteilung wahrscheinlich ist. Maßgeblich wird daher sein, ob und wann der Täter mit der Tatentdeckung rechnen musste. In Anbetracht dessen, dass der BGH in seinem Selbstanzeigebeschluss ausgeführt hat, an die Annahme des „Kennenmüssens“ der Tatentdeckung sollen keine hohen Anforderungen mehr gestellt werden, ist nicht fernliegend, dass er die bloße Kenntnis des Steuerpflichtigen von den Medienberichten genügen lassen würde, um ein Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung zu bejahen.19 Das AG Kiel20 nimmt – unter anderem stützend auf diese Aussage des BGH – zu Ungunsten des Steuerstraftäters ein Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung bereits dann an, wenn dieser bei Abgabe der Steuererklärung Kenntnis vom Ankauf von Steuer-CDs von „unbekannten schweizerischen Banken“ durch die deutschen Steuerbehörden hat, wenn er selbst „Konten bei drei Banken in der Schweiz“ unterhält, die er dem Finanzamt verschwiegen hatte. Es reicht nach seiner Auffassung also schon die unspezifische Kenntnis des Steuerpflichtigen aufgrund von Medienberichten über den Ankauf von „irgendwelchen ,Steuer-CDs‘“ aus dem Ausland aus, um das Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung bejahen, wenn der Steuerpflichtige in dem betreffenden Ausland Konten unterhält. Ein wenig zurückhaltender führt das OLG Schleswig21 hinsichtlich des Rechnenmüssen aus, die Kenntnis der einschlägigen Medienberichterstattung über den Ankauf einer Steuer-CD schließe die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige jedenfalls dann aus, wenn auf der CD Daten „einer vom Steuerpflichtigen eingeschalteten Bank“ vorhanden sind und hierüber in den Medien berichtet worden ist. Liegt es so, musste der Steuerpflichtige mit der Entdeckung seiner Straftat im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO rechnen. Denn hier sei das Risiko einer Entdeckung „über das allgemeine Entdeckungsrisiko und das gesteigerte Entdeckungsrisiko bei Ankauf eines Datensatzes eines nicht näher bekannten Bankhauses hinaus ganz erheblich verdichtet“. 17 Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 128; Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 184; Randt/Schauf, DStR 2008, 489 (491); Schöler, DStR 2015, 503 (505). 18 Siehe hierzu oben auf S. 125 f. 19 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 735. 20 AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), BeckRS 2015, 5202; ihm folgend: Jäger, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 371 AO Rn. 179. 21 OLG Schleswig, Beschl. v. 30.10.2015 – 2 Ss 63/15 (71/15), NZWiSt 2016, 153 (154).
172
G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
Demgegenüber wird vom Schrifttum angeführt, die Berichterstattung über den Ankauf von Steuerdaten eines bestimmten Kreditinstituts bewirke nicht mehr als eine Erhöhung der Entdeckungsgefahr; daraus könne jedoch kein Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung anzunehmen sein.22 Im Gegenteil könne der Steuerstraftäter mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, nicht entdeckt worden zu sein, denn die Steuer-CDs beinhalten gemessen an der Gesamtzahl der Bankkunden, lediglich einen geringen Prozentsatz von Kundendaten deutscher Anleger des betroffenen Kreditinstituts.23 Der Steuerpflichtige müsse im Fall des Erwerbs von Steuer-CDs nur dann mit der Entdeckung seiner Tat rechnen, wenn die Daten aller Kunden der jeweiligen Banken von den Steuerbehörden erworben worden wären.24 Der Fall, dass die angekauften Steuer-CDs den vollständigen Datensatz sämtlicher deutscher Kunden einer Bank beinhaltete, lag bislang nicht vor.25 Dagegen wird seitens des OLG Schleswig26 eingewandt, „damit würden die Anforderungen an ein Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung zu hoch gesetzt werden. Denn der medialen Berichterstattung werden derartige Details kaum jemals zu entnehmen sein.“ Nach hier vertretener Auffassung kann alleine der Umstand, dass der medialen Berichterstattung Details zum Umfang der Datensätze auf einem angekauften Datenträger und der Anzahl der aus Deutschland stammenden Kunden nicht entnehmen lassen, nicht als Begründung dafür verwendet werden, um die Voraussetzungen an das Rechnenmüssen herabzusenken, um letztlich das Tatbestandsmerkmal bejahen zu können.27 Dies widerspricht zum einen der hier vertretenen restriktiven Auslegung der Sperrgründe und zum anderen dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, der ein Rechnenmüssen mit der Entdeckung „seiner“ Tat, nicht „einer“ Tat fordert. Ein Rechnenmüssen kann daher nur dann bejaht werden, soweit der Steuerhinterzieher aufgrund der Medienberichte oder Informierung durch die kontoführende Bank den Schluss ziehen konnte, dass konkret seine Steuerhinterziehung durch den Ankauf der Steuerdaten-CD entdeckt wurde.28 Dies wird indes regelmäßig nicht der Fall sein. Denn die Presse22
Schöler, DStR 2015, 503 (505); Randt/Schauf DStR 2008, 489 (491). Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 741; Schwartz/Höpfner, PStR 2014, 170 (176). 24 Bach, PStR 2012, 248 (249). 25 Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 98; Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 185. 26 OLG Schleswig, Beschl. v. 30.10.2015, 2 Ss 63/15 (71/15), NZWiSt 2016, 153 (155). 27 So aber OLG Schleswig, Beschl. v. 30.10.2015, 2 Ss 63/15 (71/15), NZWiSt 2016, 153 (155). 28 Vgl. Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 741. 23
I. Steuerdaten-CDs
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berichte veröffentlichten weder die Namen der betroffenen Kunden, noch die genaue oder eindeutige Bezeichnung von Stiftungen oder gar Depots. Auch den Kreditinstituten ist in der Regel nicht bekannt, welche Daten entwendet wurden. Ferner sprechen teleologische Erwägungen gegen die „großzügige“ Annahme eines Rechnenmüssens mit der Tatentdeckung im Falle des Ankaufs von SteuerCDs. Der medienträchtige Erwerb von Steuerdaten hat zu einem merklichen Anstieg von Selbstanzeigen geführt und damit auch letztlich zur Rückführung von Steuergeldern. Würde man dagegen allein ein erhöhtes Entdeckungsrisiko infolge der Presseberichterstattung über den Ankauf von Datenmaterial zur Bejahung des subjektiven Elements genügen lassen, würde dem Steuerstraftäter nicht nur jeglicher Anreiz zur Erstattung einer Selbstanzeige genommen werden, sondern dieser Weg würde sogar „effektiv verbaut“.29 Kaum ein Steuerhinterzieher würde in diesen Fällen mehr das Risiko der Unwirksamkeit der Selbstanzeige eingehen und auch kein Berater hierzu raten können.30 Der Sinn und Zweck der Selbstanzeige, verborgene Steuerquellen zu erschließen und Mehreinnahmen zu generieren, würde gerade verfehlt werden.31 Zuletzt ist zu beachten, dass der Abgleich des Datenmaterials mit den Steuerakten der betroffenen Steuerpflichtigen, der für die Bejahung der objektiven Tatentdeckung regelmäßig erforderlich ist, enorm viel Zeit in Anspruch nimmt. Daher hat der Steuerpflichtige unmittelbar nach dem Ankauf der Steuer-CDs nicht damit zu rechnen, dass ein Abgleich bereits vorgenommen wurde und seine Tat infolgedessen entdeckt wurde.32 Sodann steigt aufgrund vorangeschrittener Auswertung des Datenmaterials das Risiko der Entdeckung mit zunehmendem Zeitablauf.33 Vergeht umgekehrt einige Zeit34, ohne dass dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Strafverfahrens bekannt gegeben wird, muss er immer weniger mit der Entdeckung seiner Tat rechnen.35 Das OLG Schleswig nimmt an, bei einem Zeit29
Mückenberger/Iannone, NJW 2012, 3481 (3483). Mückenberger/Iannone, NJW 2012, 3481 (3483). 31 Vgl. Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 745 mit Beispiel. 32 Beyer, NWB 2012, 3445 (3447); Mückenberger/Iannone, NJW 2012, 3481 (3483); a. A. AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), BeckRS 2015, 5202 mit der Begründung, vor dem Ankauf einer CD prüfe die Steuerbehörde stichprobenartig die Qualität der Daten und könne hierbei auch schon die Daten des Täters mit seinen Steuerakten abgeglichen haben. 33 Schöler, DStR 2015, 503 (506). 34 Das AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), BeckRS 2015, 5202, legt sich hier nicht fest und schreibt: „Erhebliche Zeit nach der Berichterstattung über einen CD-Kauf muss der Täter andererseits in geringerem Umfang, irgendwann nicht mehr mit der Tatentdeckung rechnen.“ 35 So auch AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), BeckRS 2015, 5202; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 742. 30
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G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
ablauf von mehr als sechs Monaten sei mit einer zwischenzeitlichen Auswertung der auf der CD enthaltenen Daten auszugehen. Dieser Zeitrahmen könnte in der Praxis als Anhaltspunkt für den Fortschritt der Auswertung verwendet werden.36 Letztlich wirken sich verbleibende Zweifel bezüglich des Rechnenmüssens mit der Tatentdeckung nach dem Grundsatz in dubio pro reo zu Gunsten des Steuerstraftäters aus.37
II. Tatentdeckung durch Medien Soeben wurde im Rahmen der Tatentdeckung durch Steuer-CDs die Frage behandelt, ob mediale Berichterstattung zu einem Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung führt. Fraglich ist aber auch, ob Veröffentlichungen in den Medien, wie etwa in einer Zeitschrift, im Internet oder Nachrichtenmagazinen zur Entdeckung einer Tat in objektiver Hinsicht führen können. Seitens der Rechtsprechung wurde diese Frage noch nicht behandelt. Insbesondere können auch keine Rückschlüsse aus dem Urteil des BGH vom 09.05. 201738 gezogen werden. Hier wurde die Tatentdeckung durch ausländische Behörden als Dritte bejaht und mit dem hohen Medieninteresse des Falls lediglich begründet, weshalb die griechischen Behörden ihre gewonnenen Erkenntnisse an die deutschen Ermittlungsbehörden auf deren Ersuchen weiterleiten würden. Nach Joecks39 liege im Normalfall eine objektive Tatentdeckung durch mediale Berichterstattung nicht vor, da diese im Allgemeinen nur Anhaltspunkte für den Verdacht einer Steuerstraftat bilde. Tatentdeckung käme jedoch in Betracht, wenn eingehend und schlüssig die Handlungsweise der beteiligten Personen beschrieben, Umfang und Zeitraum der Tat angegeben und wenn möglich Beweismittel benannt oder abgebildet werden. Webel40 folgt der Auffassung von Joecks und erwähnt an anderer Stelle41 im Zusammenhang mit der Tatentdeckung durch Privatpersonen, dass Journalisten eine Steuerstraftat im Rahmen ihrer Recherchen entdecken könnten. Nach Hoffmann42 dürfte die dabei maßgebliche Frage im Rahmen der Entdeckung durch eine Privatperson, nämlich, ob mit der Weitergabe der Kenntnisse an die zuständige Behörde zu rechnen sei, „mit der Veröffentlichung in den Medien beantwortet sein“. 36 Vgl. insofern die Ausführungen zum Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit auf S. 154 ff. 37 Jäger, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, AO § 371 Rn. 178; Schöler, DStR 2015, 503 (506). 38 BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 (393). 39 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 310. 40 Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 263b. 41 Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 270. 42 Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 237.
III. Gruppenanfragen
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Nach anderer Auffassung im Schrifttum43 bleiben Nachrichten in den Medien und selbst nach Taten und Beteiligten detaillierte Darstellungen im „Enthüllungsjournalismus“ private Wahrnehmungen und könnten nur Anlass sein, in weiterführenden amtlichen Ermittlungen Verdachtsmomenten im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts nachzugehen. Unklar bleibt an der Auffassung von Joecks, wer im Falle konkreter Tatbeschreibung und Angabe von Beweismitteln der Tatentdecker ist. Sofern damit gemeint ist, dass Tatentdeckung hier letztlich durch Behörden erfolgt, indem sie die detaillierte Berichterstattung wahrnehmen, so kann dem nicht gefolgt werden, denn ein Finanzbeamter nimmt hier keinen Teil des wirklichen Tatgeschehens oder der Tatfolgen selbst wahr; er entdeckt also selbst keine Tat.44 Die Berichterstattung kann jedoch der Auslöser für weitere Nachforschungen sein, infolge derer es letztlich zur Entdeckung durch den Finanzbeamten kommt.45 Denn woher die Behörden letztlich Kenntnisse von einer Steuerstraftat erlangen, ist irrelevant. Eine Tatentdeckung durch den Journalisten scheidet nach hier vertretener Auffassung selbst bei aufschlussreicher Ermittlung durch ihn aus, da bei ihm nicht damit zu rechnen ist, dass er seine Kenntnisse an die zuständige Behörde weiterleitet, denn zu einer Weiterleitung seiner Kenntnisse ist er nicht verpflichtet. Aber auch wenn man nicht – wie hier – die Frage des Rechnens mit der Weitergabe der Informationen an die Behörde mit der Pflicht hierzu knüpft, ist nicht nachvollziehbar, weshalb – wie von Hoffmann vorgebracht – diese Frage „mit der Veröffentlichung beantwortet sein“ sollte. Veröffentlichungen in den Medien richten sich regelmäßig an keinen bestimmten Personenkreis und es kann dabei vorkommen, dass dabei Finanzbeamte oder sonstige Beamte zufällig eben diese Berichterstattung wahrnehmen. Dies ist jedoch nicht mit der Voraussetzung des Rechnens mit der Weitergabe der Informationen an die Behörden gleichzusetzen.
III. Gruppenanfragen Zuletzt in 2018 wurde in den Medien davon berichtet, dass das Bundeszentralamt für Steuern eine Gruppenanfrage an Irland gestellt hat, wo das weltgrößte Unterkunftsvermittlungsportal „Airbnb“ seinen Europasitz hat, um die Herausgabe der Namen der Airbnb-Vermieter zu erreichen.46 Die Namen der Vermieter 43 Beckemper, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: August 2015, § 371 AO, Rn. 183; Hüls/Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 167. 44 So zutreffend Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 236. 45 Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 236. 46 Vgl. hierzu https://blog.handelsblatt.com/steuerboard/2018/06/04/airbnb-vermie ter-im-fokus-steuerlicher-ermittlungen/ (abgerufen am 04.01.2020).
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G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
sollten sodann von den deutschen Finanzbehörden daraufhin überprüft werden, ob diese in ihren Steuererklärungen entsprechende Einkünfte aus der Vermietung angegeben haben. Ebenfalls medial präsent war zuvor die vom deutschen Fiskus an Österreich in 2014 gestellte Gruppenanfrage, mit der der Zweck verfolgt wurde, Kontoinhaber mit Wohnsitz in Deutschland bei dortigen Kreditinstituten zu identifizieren.47 Bei der Gruppenanfrage handelt es sich um eine besondere Form des Amtshilfeersuchens, mit dessen Hilfe ein Staat von einem anderen Staat Informationen über eine Vielzahl von Steuerpflichtigen anfordern kann, ohne dass diese vom ersuchenden Staat gegenüber dem ersuchten Staat identifiziert worden sein müssen.48 Es ist ausreichend, dass die Steuerpflichtigen durch den Informationsinhaber (hier zum Beispiel die Betreiber des Airbnb-Portals beziehungsweise die Bank) im ersuchten Staat identifizierbar sind.49 Der Fall der Gruppenanfragen dürfte vergleichbar mit der Konstellation des Ankaufs der Steuer-CDs sein: Weder das bloße Auskunftsersuchen noch der alleinige Erhalt der angeforderten Auskunft dürfte zur objektiven Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO führen, denn in diesem Zeitpunkt steht noch nicht fest, ob die Steuerpflichtigen die Einkünfte tatsächlich nicht deklariert haben. Erforderlich sollte auch hier ein Abgleich der erhaltenen Informationen mit der persönlichen Steuerakte der betroffenen Steuerpflichtigen sein.50 Zu beachten ist hier jedoch, dass – wie oben dargestellt51 – entgegen der hier vertretenen Auffassung nach der herrschenden Meinung auch ausländische Behörden taugliche Tatentdecker sind, sofern eine Weiterleitung ihrer Kenntnisse an die deutschen Steuerbehörden wahrscheinlich ist. Im Kern wird der steuerliche Informationsaustausch auf internationaler Ebene durch die Regelungen des Art. 26 des OECD-Musterabkommen (OECD-MA) geprägt.52 Gemäß Art. 26 OECD-MA sind die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten zum Austausch von Informationen verpflichtet, die zur Durchführung des Abkommens oder zur 47 Vgl. https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/steuerbetrug-rasterfahndung-in-oester reich-1.2069159-2 (abgerufen am 06.01.2020). 48 Bach, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, 5. Auflage 2016, Rn. 799; Beyer, NWB 2015, 974 (975). Zur Zulässigkeit von Gruppenanfragen und der Abgrenzung zu „Fischzügen“ (sog. Fishing Expeditions) vgl. Bach, in: Quedenfeld/ Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, 5. Auflage 2016, Rn. 800; Beyer, NWB 2015, 974 (975). 49 Bach, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, 5. Auflage 2016, Rn. 799; Beyer, NWB 2015, 974 (975). 50 Vgl. Schmeer, Die Neuregelungen der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht seit dem 01.01.2015, S. 96, 97; Talaska/Cremers, DB 2018, 1824 (1828); Ott, PStR 2018, 173 (174). 51 Siehe hierzu oben auf S. 89 ff. 52 Füllsack/Bürger, in: Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, 1. Auflage 2015, Rn. 137; Beyer, NWB 2015, 974 (975).
IV. Grenzüberschreitender Bargeldverkehr und Grenzkontrollen
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Verwaltung oder Anwendung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern jeder Art und Bezeichnung, die für Rechnung der Vertragsstaaten oder ihrer Gebietskörperschaften erhoben werden, voraussichtlich erheblich sind.53 Alleine in der bloßen Übermittlung der Namen der Steuerpflichtigen ohne eine entsprechende Prüfung der Steuerpflichtigen auf eine begangene Steuerhinterziehung kann von einer Entdeckung einer Steuerstraftat allerdings noch nicht gesprochen werden, denn die bloße Kenntniserlangung von einer Steuerquelle stellt noch keine Tatentdeckung dar.54 Einen Abgleich mit der deutschen Steuerakte können die ausländischen Behörden aber nicht vornehmen.55 Nur wenn im obigen Fall die irischen Behörden Kenntnis darüber haben sollten, dass bisher offensichtlich nicht erklärte, steuerpflichtige Einkünfte durch die Vermietung über „Airbnb“ erlangt wurden, wäre Tatentdeckung durch die irischen Behörden in objektiver Hinsicht zu bejahen. Dies wird regelmäßig nicht der Fall sein.56 Sollte Tatentdeckung objektiv bejaht werden, wäre weiterhin zu prüfen, ob der Steuerpflichtige mit der Tatentdeckung rechnen musste. Anders als im Fall von Steuer-CDs könnte etwa im Fall der Anforderung der Namen der Airbnb-Vermieter ein Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung durch die deutschen Behörden eher bejaht werden, sofern hier medial kommuniziert wird, dass die Herausgabe der Namen aller inländischen Nutzer des Airbnb-Portals angefordert wurde.57 Dieser Fall könnte mit dem (derzeit noch hypothetischen) Fall vergleichbar sein, in dem eine angekaufte Steuer-CD Informationen über sämtliche deutsche Kunden einer Bank beinhaltet.
IV. Grenzüberschreitender Bargeldverkehr und Grenzkontrollen Seitens der Rechtsprechung erst kürzlich vom LG Stuttgart entschieden58, aber in der Literatur schon seit langem diskutiert wurde die Frage, ob ein Fall der 53 „Art. 26 Abs. 1 spricht vom ,Austausch‘ von Informationen. Damit ist (. . .) gemeint, (. . .) dass sich beide zu Auskünften unter vergleichbaren Umständen und in vergleichbarem Umfang verpflichten.“ Engelschalk, in: Vogel/Lehner, DBA, 6. Auflage 2015, Art. 26 OECD-MA Rn. 37. 54 Höpfner/Schwindt, ZWH 2020, 345 (350); Talaska/Cremers, DB 2018, 1824 (1827). 55 Beyer, NWB 2015, 974 (975); Peters, in: Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2021, Rn. 12.77, 56 Höpfner/Schwindt, ZWH 2020, 345 (350). 57 Bischoff, Stbg 2021, 11 (16); vgl. auch Talaska/Cremers, DB 2018, 1824 (1827); Höpfner/Schwindt, ZWH 2020, 345 (350). 58 LG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2019, 6 KLs 144 Js 105277/11, NZWiSt 2021, 355– 356. Der in Zusammenhang mit Grenzkontrollen häufig zitierten Entscheidung des BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415, liegt dagegen ein anderer Sachverhalt zu Grunde: Hier hat die niederländische Zollfahndung auf Ersuchen des Zollkri-
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G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
Tatentdeckung vorliegt, wenn ein Zollbeamter im Rahmen einer Grenzkontrolle auf Bankunterlagen eines ausländischen Kreditinstituts, Bargeld in größerer Menge oder auf Unterlagen zu ausländischen Firmen stößt.59 In dem dem Urteil des LG Stuttgart zugrundeliegenden Sachverhalt wurde im Rahmen einer Zollkontrolle auf der Autobahn beim Selbstanzeigenden „neben umfangreichen Unterlagen zu der dem Finanzamt bis dahin unbekannten Firma ,B. Ltd.‘ und Unterlagen zu Auslandsgeschäften auch Stempel der dem Finanzamt ebenfalls nicht bekannten Firmen ,C. Ltd.‘ und ,D. Ltd.‘ gefunden. Die Stempel waren zusammen mit einem USB-Stick der I. Bank und weiteren Unterlagen zum Abwickeln von Bankgeschäften für dieses Auslandskonto unter einer Abdeckung im Kofferraum versteckt.“ 60
Eine Selbstanzeige, die einige Tage nach dieser Grenzkontrolle beim Finanzamt einging, erachtete das LG Stuttgart in Anwendung der Grundsätze des BGH zum Begriff der Tatentdeckung61 als unwirksam, da die Steuerstraftat bereits entdeckt worden sei. Die aufgefundenen Unterlagen und auch die Umstände ihres Auffindens legten nach Auffassung des LG Stuttgart nach kriminalistischer Erfahrung den Verdacht nahe, dass der Angeklagte Kapitaleinkünfte aus ausländischen Quellen bisher nicht in seinen Steuererklärungen angegeben hat. Seitens der Literatur wird in der Entscheidung des LG Stuttgart eine Bestätigung gesehen, dass Grenzkontrollen des Zolls auch bereits vor einem Aktenabgleich mit den zuständigen Finanzbehörden zu einer Tatentdeckung führen können.62 Auffällig ist aber, dass das LG Stuttgart außerdem ausführt, dass dem zuständigen Finanzamt die ausländischen Firmen ebenso wenig bekannt waren, wie höhere ausländische Kapitaleinkünfte des Angeklagten. In dem dem LG Stuttgart zugrundeliegenden Sachverhalt hat nämlich eine „telefonische Anfrage des Zollbeamten beim zuständigen Finanzamt am nächsten Tag [ergeben], dass dort keine (höheren) ausländischen Kapitaleinkünfte des Angeklagten bekannt waren“. Dies wirft die Frage auf, ob das LG Stuttgart auch ohne die telefonische Anfrage des Zollbeamten beim zuständigen Finanzamt bereits im Zeitpunkt des minalinstituts Köln bei einer niederländischen Lieferfirma Ermittlungen wegen des Verdachts aufgenommen, dass fingierte Kaufkontrakte vorgelegt hätten, ohne dass sich durch diese Ermittlungen der Verdacht bestätigte. 59 Zu diesem als „Schulfall“ bezeichneten Beispiel zur Tatentdeckung, vgl. Bilsdorfer, INF 1995, 6 (11); Stahl, 3. Auflage 2011, Rn. 384; Peters, in: Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2021, Rn. 12.82; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 281; Schuhr, NZWiSt 2017, 265 (267). 60 LG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2019, 6 KLs 144 Js 105277/11, NZWiSt 2021, 355 (355). 61 Zur Auslegung des Begriffs der Tatentdeckung durch die Rechtsprechung siehe oben auf S. 52 ff. 62 So Brockerhoff, NZWiSt 2021, 348 (349); Roth, PStR 2021, 152 (153).
IV. Grenzüberschreitender Bargeldverkehr und Grenzkontrollen
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Auffindens der Unterlagen durch den Zollbeamten eine Tatentdeckung bejaht (hätte). Denn wenn es nach Auffassung des LG Stuttgart auf einen Abgleich mit der Akte des Steuerpflichtigen nicht ankäme, dann hätte es diesen Punkt auch gänzlich weglassen können. Nach verbreiteter Auffassung im Schrifttum kommt – nach bisherigem, auf der Entscheidung des BGH vom 13.05.198363 beruhendem Verständnis – in diesen Fällen eine Tatentdeckung erst dann in Betracht, wenn der zuständige Veranlagungsbeamte feststellt, dass die Vermögensgegenstände nicht in der Steuererklärung des die Grenze überschreitenden Steuerpflichtigen erfasst sind. Denn vorher bestehen allenfalls Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat, die Anlass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens geben könnten, die indes nicht soweit konkretisiert sind, dass bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist.64 Unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BGH65 wird teilweise66 in Fällen des Transfers von Vermögensgegenständen die Beantwortung der Frage davon abhängig gemacht, ob der Steuerpflichtige beim Transfer der Vermögensgegenstände einen Verstoß gegen § 12a Abs. 2 ZollVG begangen hat. Die schriftlich nicht erfolgte beziehungsweise unzutreffende oder unvollständige Anmeldung mitgeführter Barmittel oder gleichgestellter Zahlungsmittel stellt gemäß § 12a Abs. 2 ZollVG i.V. m. § 31a Abs. 1 Nr. 2b ZollVG eine Ordnungswidrigkeit dar.67 In diesem Fall könne zwar nicht ohne Weiteres auf eine Tatentdeckung geschlossen werden.68 Anderes könnte jedoch gelten, wenn zugleich Unterlagen oder sonstige Anhaltspunkte festgestellt werden, die eine ausländi63
BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415–415. Grötsch, Persönliche Reichweite der Sperrwirkung im Rahmen des § 371 Abs. 2 AO, S. 172; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 682, jeweils mit Verweis auf BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415; Bilsdorfer, INF 1995, 6 (11); Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 236; Streck, DStR 1985, 9 (10); Stahl, 3. Auflage 2011, Rn. 384; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 308. 65 Nach neuerer Rechtsprechung des BGH ist eine Entdeckung auch schon vor einem Abgleich denkbar, etwa bei Aussagen von Zeugen, die dem Steuerpflichtigen nahe stehen und vor diesem Hintergrund zum Inhalt der Steuererklärungen Angaben machen können, oder bei verschleierten Steuerquellen, wenn die Art und Weise der Verschleierung nach kriminalistischer Erfahrung ein signifikantes Indiz für unvollständige oder unrichtige Angaben ist, vgl. BGH, Urt. v. 09.05.2017, 1 StR 265/16, wistra 2017, 390 (393); BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (188), vgl. hierzu bereits oben auf S. 53 ff. 66 Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 187; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 312. 67 Ausführlich hierzu Perkams, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, 2. Auflage 2019, 18. Kapitel, H., § 31a ZollVG Rn. 260 ff. 68 So auch Madauß, NZWiSt 2014, 126 (127); Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 312. 64
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G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
sche Kapitalanlage belegen. Denn in dieser Situation könne anders als in den Steuer-CD-Fällen der Umstand der unterlassenen Anmeldung an der Grenze eine Tatsache sein, die belegt, dass der Steuerpflichtige die Absicht habe, eine Steuerquelle zu verschleiern.69 In diesem Fall könne eine Steuerstraftat ausnahmsweise ohne Abgleich mit der Steuerakte überwiegend wahrscheinlich sein. Sollte dagegen entweder eine zutreffende Anmeldung des Vermögenstransfers vorgenommen worden sein oder die Grenze des § 12a Abs. 2 ZollVG in Höhe von 10.000 Euro nicht überschritten worden sein, dann läge keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Steuerstraftat vor, selbst wenn der Steuerpflichtige Unterlagen über ausländische Konten bei sich führt.70 Letztere Auffassung überzeugt nicht. Auch wenn ein Steuerpflichtiger bei Überschreitung der Grenze die Frage verneint, dass er unangemeldet Bargeld in Höhe von mehr als 10.000 Euro bei sich führt, bedeutet dies auch bei Mitführung von ausländischen Kontounterlagen nicht, dass er eine Steuerstraftat verschleiern will. Naheliegender ist in diesem Fall vielmehr, dass der Betroffene die hierdurch begangene Ordnungswidrigkeit gemäß § 12a Abs. 2 ZollVG i.V. m. § 31a Abs. 1 Nr. 2b ZollVG verbergen möchte, um keine Geldbuße auferlegt zu bekommen. Für die letztere Ansicht kann auch nicht die Aussage des BGH angeführt werden, wonach die Tat auch dann entdeckt sei, wenn das Vorliegen eines Sachverhalts wahrscheinlich ist, der die Aburteilung als Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit rechtfertigen würde. Gemeint ist hier nur die Steuerordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO in Abgrenzung zur vorsätzlichen Steuerkürzung.71 Des Weiteren ist eine Geldanlage im Ausland nicht verboten.72 Ebenso wenig ist das Unterhalten von ausländischen (Briefkasten-)Firmen verboten.73 Verboten sind aber das unangemeldete beziehungsweise nicht angezeigte Verbringen von Barmitteln und die Nichterklärung von Kapitalerträgen.74 Dies sind jedoch völlig verschiedene Sachverhalte, denen unterschiedliche Handlungen zugrunde liegen. Es kann selbst dann keine Tatentdeckung angenommen werden, wenn es sich um Bargeld unklarer Herkunft im Sinne von § 76a Abs. 4 StGB handelt und alle Umstände auf eine illegale Herkunft hindeuten. Denn das beinhaltet immer noch keinen Anhaltspunkt für eine Steuerstraftat, die aber Gegenstand der Entdeckung nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO sein muss. 69
Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 312. Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 187. 71 Siehe zur Auslegung des Begriffs der Entdeckung durch den BGH oben auf S. 53 ff. 72 Schmedding, in: Wannemacher, 6. Auflage, Steuerstrafrecht, Rn. 2149. 73 Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 281; Schuhr, NZWiSt 2017, 265 (267). 74 Behr, wistra 1999, 245 (246). 70
V. Kontrollmitteilungen und darauf basierendes Schreiben an Steuerpflichtigen 181
Wie bereits vor Ergehen der Entscheidung des LG Stuttgart seitens der Literatur ausgeführt, kann in den Fällen von Grenzkontrollen aber davon ausgegangen werden, dass der Zollbeamte das zuständige Finanzamt über den Sachverhalt informiert, sodass die Tatentdeckung in diesen Fällen zeitnah bevorsteht.75
V. Kontrollmitteilungen und darauf basierendes Schreiben an Steuerpflichtigen 1. Kontrollmitteilung Die Problematik des Eingreifens des Sperrgrundes der Tatentdeckung stellt sich in der Praxis auch im Falle von Kontrollmitteilungen. Erlangen Finanzbeamte anlässlich einer Außenprüfung76 Informationen über steuerbedeutsame Verhältnisse anderer als der geprüften Person (zum Beispiel Geschäftspartner oder Ehegatten), sind sie befugt diese behördenintern zur Auswertung in einem anderen Besteuerungsverfahren weiterzuleiten. Man spricht hier von Kontrollmitteilungen.77 Dadurch können nicht erklärte Einkunftsquellen von beim Finanzamt steuerlich geführten und nicht geführten Steuerpflichtigen festgestellt werden.78 Es stellt sich in diesen Fällen die Frage, ob diese Person noch die Möglichkeit zur Selbstanzeige verbleibt. Soweit ersichtlich existieren bislang zwei gerichtliche Entscheidungen, die Kontrollmitteilungen im Zusammenhang mit Tatentdeckung zum Gegenstand haben. Das LG Koblenz entschied in seinem Urteil vom 13.03.198579, eine Kontrollmitteilung könne ein taugliches Mittel der Tatentdeckung sein, wenn sie den vom BGH in der Entscheidung von 198380 dargestellten Grundsätzen genüge, mithin bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist. Das wiederum hänge vom Inhalt der Kontrollmitteilung und sonstigen Umständen des jeweiligen Falles ab. Dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt sowie den Gründen lässt sich indes nicht entneh75 Streck, DStR 1985, 9 (10); ders., Selbstanzeige, 3. Auflage 2011, Rn. 384; Madauß, NZWiSt 2014, 126 (127). 76 Die Weitergabe von anlässlich einer Außenprüfung erlangten Kontrollmaterials ist ausdrücklich in § 194 Abs. 3 AO vorgesehen. Kontrollmitteilungen sind jedoch auch außerhalb der Außenprüfung zulässig. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 14. Auflage 2018, § 194 AO Rn. 41a; Hannig, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, Stand: 01.04. 2022, § 194 AO Rn. 90. 77 Hannig, in: BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, 8. Edition, Stand: 01.04. 2019, § 194 AO Rn. 89, 90. 78 Dörn, wistra 1993, 169 (169). 79 LG Koblenz, Urt. v. 13.03.1985, 105 Js (Wi) 16. 966/83 – 4 Ls – 12 Ns, DStR 1985, 668 (669). 80 BGH, Urt. v. 13.05.1983, 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415–415.
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G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
men, ob bereits im Zeitpunkt der Erstellung der Kontrollmitteilung eine Tatentdeckung vorlag, oder aber erst mit dem Abgleich derselben durch das für den Betroffenen zuständige Finanzamt. Ferner befasste sich der BFH81 mit der Frage nach der Tatentdeckung durch Kontrollmitteilungen, allerdings nicht im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, sondern des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG. Das StraBEG ermöglichte Steuerhinterziehern – neben der Selbstanzeige nach § 371 AO und § 378 Abs. 3 AO – Straffreiheit durch eine „strafbefreiende Erklärung“ zu erlangen, soweit diese nach dem 31.12.2003 und vor dem 01.04.2005 erfolgte. Gemäß § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG trat Straffreiheit nicht ein, soweit vor Eingang der strafbefreienden Erklärung „die Tat bereits entdeckt war und der Erklärende dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste“. Der Ausschlussgrund beinhaltete zwar keine Teilentdeckung, ähnelte aber im Übrigen dem Sperrgrund der Tatentdeckung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO in der Fassung vom 01.01.2002. Der BFH bejahte die objektive Entdeckung der Tat in dem Zeitpunkt, als der Sachbearbeiter des Finanzamts die in der Kontrollmitteilung „für das jeweilige Jahr ausgewiesene Summe der Rechnungsbeträge mit den Angaben in den Steuererklärungen verglichen und festgestellt hat, dass die in der Kontrollmitteilung genannten Beträge die erklärten Betriebseinnahmen in nicht unerheblichem Umfang überstiegen“.
Der BGH äußerte sich bislang zu der Frage nach der Tatentdeckung durch Kontrollmitteilungen nicht. Er distanzierte sich aber im „Selbstanzeigebeschluss“ vom 20.05.2010 ausdrücklich von der zu § 7 StraBEG erfolgten Rechtsprechung des BFH und stellte klar, dass diese nicht auf die strafbefreiende Selbstanzeige gemäß § 371 AO zu übertragen sei. Er begründete dies mit dem abweichenden Wortlaut des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG, wonach die Entdeckung eines Teils der Tat für die Tatentdeckung nicht ausreichend sei.82 Seitens des Schrifttums wird teilweise Tatentdeckung durch Kontrollmaterial verneint.83 Eine Kontrollmitteilung sei nicht dazu geeignet, die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses zu begründen, selbst wenn der Sachverhalt der Kontrollmitteilung sich nicht aus der Steuererklärung ergebe, da dies verschiedene Gründe haben könne: So könnte etwa der Empfänger der steuerbaren Leistung falsch benannt sein, die von der Kontrollmitteilung betroffene Person könne treuhänderisch für einen Dritten tätig sein, der Steuerberater könnte die Abgabe der Steuererklärung vergessen haben, Einnahmen könnten durch Be-
81
BFH, Urt. v. 26.11.2008, X R 20/07, BFHE 223, 330 (341), BStBl. II 2009, 388. BGH, Beschl. v. 20.05.2010, 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 (188). 83 Blumers, wistra 1985, 85 (88); Streck, DStR 1985, 9 (11); Weigell/Görlich, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 2019, Rn. 708. 82
V. Kontrollmitteilungen und darauf basierendes Schreiben an Steuerpflichtigen 183
triebsausgaben oder Werbungskosten aufgezehrt sein und der Steuerpflichtige fahrlässig die Nichterklärung des Betrags unterlassen haben.84 Die überwiegende Auffassung85 nimmt zu Recht eine Differenzierung vor: Danach führt zwar das bloße Erstellen einer Kontrollmittelung noch nicht zur Tatentdeckung, da daraus die steuerlichen Verhältnisse der betroffenen Person nicht ersichtlich sind. Sollte sich beim Abgleich der Kontrollmitteilung mit der Steuererklärung des Betroffenen ergeben, dass bestimmte Geschäfte steuerlich nicht erfasst worden sind, kann dies zur Tatentdeckung führen, wenn auch ein vorsätzliches und nicht nur leichtfertiges Verhalten der betroffenen Person naheliegt.86 Für ein vorsätzliches Verhalten des Steuerpflichtigen könnte etwa die erhebliche Abweichung der Beträge im Verhältnis zu den erklärten Einkünften87 oder das Vorliegen einer Kontrollmitteilung für mehrere Jahre sprechen.88 Obwohl im Grundsatz für die Entdeckung der Tat ein Abgleich mit der Steuerakte des Betroffenen erforderlich sein wird, kann nicht ausgeschlossen werden, dass im jeweiligen Einzelfall auch Zeugen oder sonstige Unterlagen vorhanden sind, die bereits im Zeitpunkt der Erstellung der Kontrollmitteilung auf eine Steuerstraftat schließen lassen, sodass bereits zeitlich vorher objektiv Tatentdeckung zu bejahen wäre.89 Gegen die abweichende Ansicht in der Literatur wird zurecht eingewandt, dass die theoretische Möglichkeit der aufgeführten Einwände nicht deren überwiegende Wahrscheinlichkeit begründet.90 Argumentiert man außerdem mit dem 84 So Blumers, wistra 1985, 85 (88); Streck, DStR 1985, 9 (11); Weigell/Görlich, Steuerstrafrecht, 3. Auflage 2019, Rn. 708. 85 Buse, in: AO – eKommentar, Stand: 10.05.2017, § 371 AO Rn. 106; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 309; Theil, BB 1983, 1274 (1278); Göggerle/Frank, BB 1984, 398 (399); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 679; Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 186. 86 Engelhardt/Loose, AO-StB 2009, 273 (275); Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 679; Blumers, wistra 1985, 85 (88); a. A. Göggerle/Frank, BB 1984, 398 (399), die keine Entdeckung der subjektiven Tatseite fordern. 87 OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.04.1982, 3 Ss (13) 248/82, DStZ 1983, 58 (59); Dörn, wistra 1993, 169 (172); Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 378 AO Rn. 39, 40; Hoffmann, Die Ausschlußtatbestände der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, S. 233. 88 Dörn, wistra 1993, 169 (172). 89 Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO, Rn. 261; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 313; Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschaftsund Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 186; Hüls/Reichling, in: Hüls/ Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 165, bejahen die Tatentdeckung vor Aktenabgleich im Fall korruptiver Zuwendungen (Schmiergelder), branchenunüblichen Honoraren, atypischen Bargeldzahlungen oder Auslandsüberweisungen. 90 Dörn, wistra 1993, 169 (172); ähnlich LG Koblenz, Urt. v. 13.03.1985, 105 Js (Wi) 16. 966/83 – 4 Ls – 12 Ns, DStR 1985, 668 (669).
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G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
Einwand, Kontrollmitteilungen könnten im Einzelfall falsch sein, verlangt man letztendlich nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung, sondern die Gewissheit der Verurteilung, die unstreitig nicht für eine Tatentdeckung erforderlich ist.91 2. Schreiben des Finanzamts an Steuerpflichtigen In der Praxis folgt auf den Zugang des Kontrollmaterials und deren Prüfung in der Regel ein allgemein gehaltenes Schreiben seitens des Finanzamts, in dem der Steuerpflichtige zu den nicht erklärten Einnahmen zur Stellungnahme aufgefordert wird. Vereinzelt wird vertreten, ein solch allgemein gehaltenes Schreiben deute darauf hin, dass eine Steuerstraftat objektiv noch nicht entdeckt wurde und sogar noch nicht einmal ein Anfangsverdacht für eine Steuerstraftat vorlag, denn ansonsten würde der Finanzbeamte nicht den Steuerpflichtigen anschreiben, sondern ein Steuerstrafverfahren einleiten beziehungsweise die Bußgeld- und Strafsachenstelle einschalten.92 Andere Stimmen in der Literatur sind der Auffassung, durch ein solches Schreiben könnten keine Rückschlüsse auf die objektive Tatentdeckung gezogen werden, weil in der Regel solche Schreiben nicht das Produkt etwaiger Überlegungen des Finanzbeamten zur Tatentdeckung darstellen. Der Inhalt solcher Fachtermini sei den Finanzamtbeamten vielmehr meist gar nicht bekannt.93 Mit ihnen werde nur der Wunsch des Finanzbeamten verfolgt, eventuell noch weitere nicht erklärte Einkünfte aus dem Steuerpflichtigen „herauszukitzeln“.94 Für die Frage des Vorliegens der objektiven Tatentdeckung habe das Schreiben daher keine Bedeutung. Allerdings müsse der Steuerpflichtige bei einem nur allgemein gehaltenen Schreiben bei verständiger Würdigung der Sachlage nicht damit rechnen, entdeckt worden zu sein, sodass er noch Selbstanzeige erstatten könne. Anders sei die subjektive Komponente zu beurteilen, wenn das Finanzamt in seinem Schreiben bereits Herkunft, Höhe und Zeitraum der Einkünfte laut Kontrollmaterial benennt. In eine solchem Fall müsse der Steuerpflichtige mit Tatentdeckung rechnen.95 Nach hier vertretener Auffassung wird man bei einem allgemein gehaltenen Schreiben eine bloße Auskunft im Besteuerungsverfahren sehen müssen, der noch kein strafrechtlicher Verdacht zugrunde liegt, der für eine Tatentdeckung 91 Grötsch, Persönliche Reichweite der Sperrwirkung im Rahmen des § 371 Abs. 2 AO, S. 169; Winkelbauer, wistra 1986, 100 (101). 92 Rainer, in: Gräfe/Lenzen/Rainer, Steuerberaterhaftung, 2. Auflage 1988, Rn. 1889; Dumke, in: Dumke/Marx, Steuerstrafrecht, S. 198. 93 Dörn, wistra 1993, 169 (172). 94 So Dörn, wistra 1993, 169 (172); ihm folgend Grötsch, Persönliche Reichweite der Sperrwirkung im Rahmen des § 371 Abs. 2 AO, S. 170. 95 So Dörn, wistra 1993, 169 (172).
VI. Geldwäscheverdachtsmeldung
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spricht. Denn von rechtsstaatlichem Verhalten des Finanzbeamten ausgehend muss dieser den Steuerpflichtigen in dem Schreiben zugleich gemäß § 393 AO belehren, dass der (Anfangs-)Verdacht einer Steuerstraftat besteht und seine Mitwirkung nicht erzwungen werden kann.96 Zusammenfassend dürfte letztlich die Selbstanzeige in den seltensten Fällen infolge einer Kontrollmitteilung und der daraufhin mittels eines Abgleichs der Steuerakte erfolgter objektiver Tatentdeckung am Sperrgrund der Tatentdeckung scheitern. Denn ohne ein Schreiben seitens des Finanzamts an den Steuerpflichtigen hat der Steuerpflichtige regelmäßig weder Kenntnis von einer Tatentdeckung noch muss er mit dieser rechnen97: Ein solcher seltener Fall liegt etwa dann vor, wenn in objektiver Hinsicht bereits eine Entdeckung der Steuerstraftat vorliegt und sich das Finanzamt sodann mit einem Schreiben an den Steuerpflichtigen wendet. Dann muss der Steuerpflichtige aufgrund des in diesem Schreiben sodann verpflichtenden Hinweises auf einen Verdacht einer Steuerstraftat in der Regel bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Tatentdeckung rechnen. In der Praxis wird das Finanzamt in diesem Fall aber eher die Einleitung eines Strafverfahrens bekanntgeben, sodass der Sperrgrund gemäß § 371 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO eingreift.
VI. Geldwäscheverdachtsmeldung Liegen Tatsachen vor, die darauf hindeuten, dass ein Vermögensgegenstand, der mit einer Geschäftsbeziehung, einem Maklergeschäft oder einer Transaktion im Zusammenhang steht, aus einer strafbaren Handlung stammt, die eine Vortat der Geldwäsche darstellen könnte, so hat gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 GwG der Verpflichtete diesen Sachverhalt unabhängig vom Wert des betroffenen Vermögensgegenstandes oder der Transaktionshöhe unverzüglich der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen zu melden. Verpflichtete sind gemäß § 2 Abs. 1 GwG unter anderen Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Versicherungsunternehmer, aber auch Steuerberater sowie unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsanwälte. Mit Rundschreiben vom 05.03.201498 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein Rundschreiben zur Verdachtsmeldung nach §§ 11, 96 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Oktober 2021, § 371 AO, Rn. 681 mit verschiedenen Beispielen. 97 Ähnlich Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017, § 371 AO Rn. 186. 98 BaFin Rundschreiben 1/2014 (GW) v. 05.03.2014, GW 1-GW 2001–2008/0003, vgl. aber auch BaFin, Auslegungs- und Anwendungshinweise zum Geldwäschegesetz, Stand: Dezember 2018, S. 72 f. abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Ver oeffentlichungen/DE/Rundschreiben/rs_1401_gw_verwaltungspraxis_vm.html (abgerufen am 06.01.2020).
186
G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
14 GwG a. F. (diese Normen entsprechen in etwa den aktuell geltenden §§ 43, 44 GwG 202099) veröffentlicht, in der sie ihre Ansicht zur Auslegung der Meldepflicht bei Geldwäscheverdacht aufzeigt. Unter Ziffer II dieses Rundschreibens heißt es, „dass soweit ein Verpflichteter Kenntnis davon erlangt, dass ein Kunde von ihm eine Selbstanzeige gemäß § 371 Abgabenordnung (AO) abgegeben hat oder die Abgabe einer solchen beabsichtigt und nicht auszuschließen ist, dass eine entsprechende Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der mit dem Kunden bestehenden Geschäftsbeziehung oder Vermögenswerten des Kunden steht, der Verpflichtete eine Verdachtsmeldung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 GwG [§ 43 GwG 2020] zu erstatten hat, soweit die darin genannten Voraussetzungen vorliegen“.
Alleiniger Adressat100 der Verdachtsmeldung ist gemäß § 43 Abs. 1 GwG die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen. In der Literatur wird diskutiert, ob vor diesem Hintergrund die Geldwäscheverdachtsmeldung zum Ausschluss der Selbstanzeige infolge einer Tatentdeckung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO führt. Denkbar ist etwa folgender Fall: Ein Steuerpflichtiger fordert bei seiner Bank Erträgnisbescheinigungen seiner Konten und Depots für die vergangenen zehn Jahre an und erklärt freimütig, dass er diese zur Erstattung einer Selbstanzeige benötige. Die Bank erstattet unter Hinweis auf das BaFin-Rundschreiben der BaFin eine Geldwäscheverdachtsmeldung nach § 43 GwG.101 Auch wenn es sich bei Rundschreiben bloß um Verwaltungsvorschriften handelt, und nicht um förmliches Gesetz, führen sie zu einer faktischen Bindung der unter der Aufsicht der BaFin stehenden Banken, weil ihnen zu entnehmen ist, welche Anforderungen die BaFin an die Ordnungsgemäßheit der Geschäftsführung der Banken stellt.102 Zu beachten ist hier auch der jüngst ergangene Beschluss des OLG Frankfurt vom 10.04.2018103, in dem dieser zwar nicht explizit auf die Auslegung durch die BaFin eingeht, im Ergebnis jedoch auch eine exten99
Geldwäschegesetz v. 12.12.2019, BGBl. I 2019, S. 2602. Gemäß § 11 Abs. 1 GwG a. F. hatte die Verdachtsmeldung sowohl an das Bundeskriminalamt – Zentralstelle für Verdachtsmeldungen – und an die zuständige Strafverfolgungsbehörde zu erfolgen. Diese vormals erforderliche doppelte Meldung wurde durch das Gesetz zur Umsetzung der 4. EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen v. 23.06.2017 (BGBl. I 2017, 1822) gestrichen. Vgl. hierzu Barreto da Rosa, in: Herzog, Geldwäschegesetz, 3. Auflage 2018, § 43 GwG Rn. 58. 101 Beispiel aus Löwe-Krahl, PStR 2014, 238 (238). Zu weiteren Konstellationen, in denen das BaFin-Rundschreiben im Zusammenhang mit Selbstanzeigen relevant sein könnte, vgl. Park, NZWiSt 2015, 59 (59). 102 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Mai 2019, § 371 AO, Rn. 710; zur Rechtsnatur des Rundschreibens der BaFin und Konsequenzen der Nichtbefolgung, Bohnert/Szesny, BKR 2015, 265 (266). 103 Vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 10.04.2018, 2 Ss-OWi 1059/17, NZWiSt 2019, 219–223. 100
VI. Geldwäscheverdachtsmeldung
187
sive Auslegung des § 11 Abs. 1 GwG a. F. (§ 43 Abs. 1 GwG 2020) vornimmt und für eine Verhängung einer Geldbuße gegen den Geldwäschebeauftragten ausspricht.104 Seitens des Schrifttums wurde die Auslegung des § 43 GwG in Verbindung mit § 261 StGB a. F. durch die BaFin für rechtswidrig105 erachtet, weil nach § 261 StGB a. F. die einfache Steuerhinterziehung keine taugliche Vortat einer Geldwäsche darstellte. Gemäß § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b StGB a. F. war lediglich die gewerbs- oder bandenmäßige Steuerhinterziehung eine geeignete Vortat. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche vom 09.03.2021106 wurde § 261 StGB mit Wirkung zum 18.03. 2021 neu gefasst. § 261 StGB n. F. sieht keinen selektiven Vortatenkatalog mehr vor; stattdessen wurden nun sämtliche Straftaten in den Kreis der Vortaten aufgenommen.107 Damit stellt sich umso mehr die Frage, ob der Tatbestand des § 43 Abs. 1 GwG bei Kenntnis von einer abgegebenen oder abzugebenden Selbstanzeige eines Bankkunden mit einer einfachen Steuerhinterziehung als Geldwäschevortat erfüllt ist und dies zum Ausschluss der Selbstanzeige infolge einer Tatentdeckung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO führt. 1. Objektive Tatentdeckung Da Tatentdeckung nach der herrschenden Meinung nicht nur durch Finanzbehörden, sondern auch Privatpersonen möglich ist108, kommen hier als taugliche Tatentdecker die nach § 2 GwG Verpflichteten, der Empfänger der Verdachtsmeldung sowie zeitlich betrachtet an letzter Stelle die Finanzbehörden in Betracht. Teilweise109 wird Tatentdeckung bereits durch den die Verdachtsmeldung vornehmenden Bankmitarbeiter als Tatentdecker bejaht. Die GwG-Anzeigeverpflichtung und Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO seien gleichzusetzen, weil ein Steuerpflichtiger die Erstattung einer Selbstanzeige nur bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung erwägen würde. Ein Bankmitarbeiter sei auch ein tauglicher Tat104 Vgl. hierzu die kritschen Anmerkungen von Bülte, ZWH 2019, 105 (108) und Barreto da Rosa/Diergarten, NStZ 2020, 173 (177 ff.). 105 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Mai 2019, § 371 AO, Rn. 710. Kritisch auch Park, NZWiSt 2015, 59 (61); Löwe-Krahl, PStR 2014, 238 (239). 106 BGBl. I 2021, S. 327. 107 Zu den Hintergründen siehe BT-Drs. 19/24180, S. 2 ff. Zur Konsequenz der Gesetzesänderung im Rahmen der §§ 30, 31b AO vgl. Webel, wistra 2021, 215 (216); für einen Überblick über die im Zusammenhang mit steuerlichen Nachmeldungen nach § 153 AO zusätzlich zu berücksichtigenden Wechselwirkungen zwischen §§ 370, 371 bzw. 398a AO und § 261 StGB n. F. siehe Radermacher, AO-StB 2022, 54 ff. 108 Siehe hierzu oben auf S. 93 ff. 109 Rolletschke/Jope, Stbg 2014, 355 (356); Nestler, wistra 2015, 329 (336).
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G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
entdecker, weil bei ihm entsprechend der Definition des BGH zur Tatentdeckereigenschaft Dritter damit zu rechnen sei, dass er seine Kenntnis an die zuständige Behörde weiterleite. Bankmitarbeiter seien bei der Anforderung von Erträgnisaufstellungen oder Kontoauszügen verpflichtet eine Verdachtsmeldung abzugeben, da die Anforderung dieser Unterlagen auf eine beabsichtigte Selbstanzeige hindeute. Schließe man den Bankmitarbeiter als Vertrauensperson aus dem Kreis der potentiellen Tatentdecker110 aus, so trete Tatentdeckung spätestens mit der Kenntnisnahme des Empfängers der Verdachtsmeldung ein. Nach anderer Auffassung ist objektive Tatentdeckung erst in dem Zeitpunkt des Eingangs der Geldwäscheverdachtsmeldung bei der Polizei als Empfängerin der Verdachtsmeldung (nach § 11 GwG a. F.) denkbar, aber spätestens dann gegeben, wenn im weiteren Bearbeitungsweg der Verdachtsmeldung die geplante Selbstanzeige der Finanzbehörde bekannt wird und letztlich ein Abgleich mit der Steuerakte des betroffenen Steuerpflichtigen erfolgt.111 Dies führt – wie Schauf 112 zutreffend zusammenfasst – dazu, dass ein Selbstanzeigewilliger, der lediglich Vorbereitungen für die Legalisierung seines Vermögens trifft und zur Steuerehrlichkeit zurückkehren möchte, bestraft wird, indem das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seiner Bank ausgenutzt wird. Problematisch ist außerdem, dass die Erstattung einer Verdachtsmeldung noch nicht einmal einen Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO voraussetzt.113 So heißt es in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Optimierung der Geldwäscheprävention114: „Im Gegensatz zur Strafanzeige braucht der nach dem Geldwäschegesetz Verpflichtete nicht die Vorstellung zu haben, dass eine Straftat begangen wird oder wurde. Es 110 Kritisch zum Bankmitarbeiter als Vertrauensperson Nestler, wistra 2015, 329 (336): „Dieses Verhältnis genießt jedoch keinen etwa der Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant komparablen Schutz, [vgl. § 53 StPO, der weder den zuständigen Bankmitarbeiter, noch den nach dem GwG Verpflichteten benennt,] sodass selbst ohne das Rundschreiben 1/2014 fraglich ist, ob der Verpflichtete zum Vertrauenskreis des Täters gerechnet werden kann.“ 111 Löwe-Krahl, PStR 2014, 238 (238), Park, NZWiSt 2015, 59 (62); so auch Hüls/ Reichling, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Auflage 2020, § 371 AO Rn. 168; Kohler, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 371 AO Rn. 281, Habetha, in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Auflage 2017; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Mai 2019, § 371 AO, Rn. 710, allerdings ohne Differenzierung zwischen objektiver und subjektiver Komponente der Tatentdeckung; offenlassend Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 371 AO Rn. 317. 112 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Mai 2019, § 371 AO, Rn. 711. 113 Ausführlich zum erforderlichen Verdachtsgrad Barreto da Rosa, in: Herzog, Geldwäschegesetz, 3. Auflage 2018, § 43 GwG Rn. 22 f. m.w. N. 114 BR-Drs. 317/11, S. 24.
VI. Geldwäscheverdachtsmeldung
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genügt, wenn die nach dem Geldwäschegesetz geforderten Tatsachen vorliegen. Es handelt sich bei den die Meldepflicht auslösenden Fällen um gesetzlich typisierte Verdachtssituationen, die eine eigene Schlussfolgerung oder gar rechtliche Subsumtion des Verpflichteten nicht erfordern. Der Verpflichtete braucht nicht damit zu rechnen, dass der meldepflichtige Sachverhalt in Zusammenhang mit einer Straftat steht. Der Gesetzgeber selbst bejaht mit dieser Typisierung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen solchen Zusammenhang.“
Jüngst hat auch das BVerfG ausgeführt, dass die für die Meldepflicht aus § 43 GwG geltenden Anforderungen an den Geldwäscheverdacht nicht auf den strafprozessualen Anfangsverdacht übertragen werden können: „Denn die Meldepflicht nach dem Geldwäschegesetz ist an deutlich geringere Anforderungen geknüpft. Insbesondere muss nach ganz herrschender Auffassung kein doppelter Anfangsverdacht im Hinblick auf die Geldwäschehandlung und das Herrühren des Vermögensgegenstands aus einer Vortat nach § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB bestehen.“ 115
Dieser unterhalb eines bloßen Anfangsverdachts befindliche Verdachtsgrad würde also letztlich ausreichen, um eine Selbstanzeige zu gefährden, obwohl oben festgestellt wurde116, dass für eine Tatentdeckung mehr erforderlich ist als ein Anfangsverdacht einer Steuerstraftat.117 Zudem hat die Verpflichtung zur Geldwäscheverdachtsmeldung zumindest bis zur Reform des Jahres 2021 keinesfalls allgemein zur Bekämpfung der Steuerkriminalität gedient.118 Insofern wäre es eine Zweckentfremdung von Daten, die zur Bekämpfung bestimmter Straftaten erhoben werden, wollte man sie auch zur Verfolgung allgemeiner Steuerkriminalität gebrauchen. Zwar war insofern schon seit langem die Verwendung der Daten aus einer Geldwäscheverdachtsanzeige zu Besteuerungszwecken und zur Strafverfolgung erlaubt, dies macht aber den Bankmitarbeiter nicht zum Garanten für diese Interessen.119 Nach hier vertretener Auffassung scheidet zunächst einmal Tatentdeckung durch den Bankmitarbeiter als Dritten im Regelfall aus. Der Bankmitarbeiter entdeckt keine Steuerstraftat, wenn ihm lediglich mitgeteilt wird, dass die Absicht zur Erstattung einer Selbstanzeige besteht, sondern er erfährt nur, dass eine Selbstanzeige geplant ist. Er nimmt also keine Steuerstraftat wahr, sondern zieht
115 BVerfG, Beschl. v. 03.03.2021, 2 BvR 1746/18, WM 2021 Heft 13, 631 (632); ebenso BVerfG, Beschl. v. 31.01.2020, 2 BvR 2992/14, NJW 2020, 1351 (1353). 116 Zum Begriff der Entdeckung siehe oben auf S. 50 ff. 117 Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Mai 2019, § 371 AO, Rn. 711. 118 Vgl. Greite, in: Zentes/Glaab, Frankfurter Kommentar zum Geldwäschegesetz, 2. Auflage 2020, § 43 Rn. 3. 119 Vgl. aber zur Strafbarkeit wegen Geldwäsche durch Unterlassen Bülte, NZWiSt 2017, 276 (282); Greite, in: Zentes/Glaab, Frankfurter Kommentar zum Geldwäschegesetz, 2. Auflage 2020, § 43 Rn. 10; Pelz, in: BeckOK GwG, Frey/Pelz; Stand: 01.03. 2021, Rn. 1–3.
190
G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
lediglich die Schlussfolgerung, dass eine Steuerstraftat begangen sein müsste.120 Dieser in dem Moment allenfalls vorliegende Anfangsverdacht einer Steuerstraftat mag zwar für eine Verdachtsmeldung nach § 43 Abs. 1 GwG ausreichen. Eine Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO erfordert jedoch mehr als einen bloßen Anfangsverdacht wie oben ausführlich erläutert wurde, sodass eine Gleichsetzung der Verdachtsmeldung mit der Tatentdeckung nicht erfolgen kann.121 Verneint man aber die Entdeckung einer Steuerstraftat durch den Bankmitarbeiter als Dritten scheidet er als tauglicher Tatentdecker aus: Denn die Frage, ob bei einem Dritten mit Weiterreichung seiner Kenntnisse zu rechnen ist, stellt sich erst dann, wenn feststeht, dass der Dritte die Steuerstraftat wahrgenommen hat. Erlangt die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (eine Abteilung der Generalzolldirektion) die Geldwäscheverdachtsmeldung, so liegen ihr nicht mehr Informationen als dem Bankmitarbeiter zu einer potentiellen Steuerstraftat vor, sodass Tatentdeckung auch hier nicht vorliegt. Wie die überwiegende Auffassung im Schrifttum ausführt, könnte Tatentdeckung jedoch in dem Zeitpunkt eintreten, in dem letztlich Finanzbehörden von der Verdachtsmeldung erfahren. Voraussetzung für eine Tatentdeckung ist, dass ein Abgleich der Informationen aus der Verdachtsmeldung mit der Steuerakte des Steuerpflichtigen ergibt, dass vorsätzlich Einkünfte nicht erklärt wurden. 2. Subjektive Tatentdeckung Regelmäßig sollte der Sperrgrund der Tatentdeckung auch an der subjektiven Komponente des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO scheitern122, denn der Kunde einer Bank wird von seiner Bank nicht darüber in Kenntnis gesetzt, dass eine Geldwäscheverdachtsmeldung vorgenommen wurde, sodass eine Kenntnis um die Tatentdeckung ausscheidet. § 47 Abs. 1 Nr. 1 GwG verbietet dem Verpflichteten seinen „Vertragspartner, den Auftraggeber der Transaktion und sonstige Dritte“ von einer beabsichtigten oder erstatteten Meldung nach § 43 Abs. 1 GwG in Kenntnis zu setzen. Ein Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung dürfte ebenfalls zu verneinen sein. Das Rundschreiben der BaFin dürfte einem durchschnittlich informierten Steuerpflichtigen nicht bekannt sein.123 Allerdings ist hier zu beachten,
120 So ähnlich auch Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Mai 2019, § 371 AO, Rn. 710; a. A. Nestler, wistra 2015, 329 (336). 121 Vgl. auch Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 263a. 122 So auch Park, NZWiSt 2015, 59 (62); Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 263a; a. A.: Rolletschke/Jope, Stbg 2014, 355 (356); Nestler, wistra 2015, 329 (336). 123 Park, NZWiSt 2015, 59 (62); Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11. 2021, § 371 AO Rn. 263a.
VI. Geldwäscheverdachtsmeldung
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dass über das Rundschreiben der BaFin auch in den Medien berichtet wurde.124 Nach hier vertretener Auffassung reicht das abstrakte Berichten über dieses Rundschreiben nicht aus, um ein Rechnenmüssen des konkreten Steuerpflichtigen mit der Tatentdeckung zu bejahen. Gegen das Vorliegen der subjektiven Komponente spricht ferner, dass ein Steuerpflichtiger, dem bekannt ist, dass seine Nachfragen bei der Bank mit Blick auf die Selbstanzeige zu einer Verdachtsmitteilung führen könnten, diese Nachfragen typischerweise unterlassen wird. Fragt der Steuerpflichtige aber bei seiner Bank nach, spricht allein das schon dafür, dass er von den behördlichen Anweisungen zur Verdachtsmitteilung zumindest keine Kenntnis hat. Denkbar ist, dass die Rechtsprechung hier angesichts der von ihr vertretenen geringen Anforderungen an das subjektive Element der Tatentdeckung die mediale Berichterstattung für ausreichend erachten wird.125 Sollte dies der Fall sein, so wird – vergleichbar mit der Problematik im Rahmen Tatentdeckung durch Steuer-CDs – zu beachten sein, dass die Presse auch darüber berichtet, dass der Zoll in Kritik steht, selbst bei Verdachtsfällen mit Terrorbezug mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung die Verdachtsmeldungen an das Landeskriminalamt weiterzuleiten. 126 Auch in Anbetracht dessen, dass im Jahr 2019 die Zahl der bei der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen eingegangenen Verdachtsmeldungen auf über 114.914 anstieg und damit eine Steigerung um 49 Prozent gegenüber dem Vorjahr erfuhr127, kann eine erhebliche Zeit verstreichen, bis letztlich die Finanzbehörden von der Verdachtsmeldung erfahren und einen Abgleich mit der Steuerakte des Betroffenen vornehmen.128 In dieser nicht bestimmbaren Zeitspanne müsste der Steuerpflichtige nicht mit Tatentdeckung rechnen.129
124 https://www.wiwo.de/finanzen/steuern-recht/selbstanzeigen-hoeheres-risiko-fuersteuersuender-bei-selbstanzeigen/9868456.html (abgerufen am 17.07.2019); Park, NZWiSt 2015, 59 (62); Webel, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: 02.11.2021, § 371 AO Rn. 263a. 125 Park, NZWiSt 2015, 59 (62); Löwe-Krahl, PStR 2014, 238 (239); vgl. auch Rolletschke/Jope, Stbg 2014, 355 (357). 126 Vgl. etwa https://www.spiegel.de/panorama/justiz/geldwaesche-spezialeinheit-deszolles-arbeitet-zu-schlecht-und-zu-langsam-a-1222203.html (abgerufen am 17.07.2019). 127 https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2 ahUKEwi_gYSIqfbvAhU58LsIHZU3CAkQFjADegQIFhAD&url=https%3A%2F%2F www.zoll.de%2FSharedDocs%2FDownloads%2FDE%2FLinks-fuer-Inhaltseiten%2F Fachthemen%2FFIU%2Ffiu_jahresbericht_2019.pdf%3F__blob%3DpublicationFile% 26v%3D2&usg=AOvVaw20yMAqmO9V3bC8vuXaHodP (abgerufen am 11.04.2021). 128 So ist beispielsweise der Zeitschrift Spiegel zu entnehmen: „Noch immer stauen sich bei der sogenannten Financial Intelligence Unit (FIU) im Kölner Zollkriminalamt fast 20.000 Hinweise auf verdächtige Transaktionen, die bislang nicht bearbeitet worden sind.“ https://www.spiegel.de/panorama/justiz/zoll-geldwaesche-spezialeinheitkriegt-probleme-nicht-in-den-griff-a-1262871.html (abgerufen am 20.06.2021). 129 Vgl. hierzu auch Park, NZWiSt 2015, 59 (62).
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G. Sperrgrund der Tatentdeckung in der Praxis
VII. Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen gemäß § 138d AO Am 01.01.2020 ist das Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen130 vom 21.12.2019 in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz wurden die Vorgaben der EU-Richtlinie vom 25.05.2018 zur Änderung der Amtshilferichtlinie bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen131 umgesetzt. Das Gesetz sieht in den neu eingefügten § 138d bis § 138k AO – wie sich bereits aus der Bezeichnung des Gesetzes ergibt – eine Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vor. Die Mitteilungspflicht trifft vorrangig sogenannte Intermediäre. Nach der Legaldefinition des § 138d Abs. 1 AO ist Intermediär jeder, der eine grenzüberschreitende Steuergestaltung „vermarktet, für Dritte konzipiert, organisiert oder zur Nutzung bereitstellt oder ihre Umsetzung durch Dritte verwaltet“. In der Praxis fallen darunter insbesondere Angehörige der steuerberatenden Berufe, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer.132 Gegenstand der Mitteilungspflicht ist die in § 138d Abs. 2 AO näher umschriebene „grenzüberschreitende Steuergestaltung“. Eine auch nur leichtfertige Verletzung der Mitteilungspflicht kann nach § 379 Abs. 2 Nr. 1e, 1f, Abs. 7 AO als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 Euro geahndet werden. Ohne an dieser Stelle auf die mit dieser Mitteilungspflicht verbundenen zahlreichen Probleme und Unklarheiten einzugehen, stellt sich hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands dieser Arbeit die Frage, ob die Mitteilungspflicht den Sperrgrund der Tatentdeckung tangiert. Denn oben wurde dargestellt, dass etwa Rechtsanwälte und Steuerberater grundsätzlich keine tauglichen Tatentdecker sind, weil bei ihnen mangels Pflicht zur Mitteilung von Kenntnissen von einer Steuerhinterziehung nicht damit zu rechnen ist, dass sie ihre Kenntnisse an die Behörden weiterleiten. Dies ist indes nicht der Fall. § 138d Abs. 1 AO verpflichtet den Intermediär (und subsidiär auch den Nutzer einer Gestaltung, vgl. § 138d Abs. 6 AO) zur Mitteilung einer „Steuergestaltung“, nicht zur Mitteilung einer „Steuerstraftat“. Dies wird am Rande auch in der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen klargestellt: „Die Mitteilungspflicht erfasst legale Steuergestaltungen, die nach 130
BGBl. I S. 2875. Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates v. 25.05.2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, ABl. L 139/1 v. 05.06.2018. 132 BT-Drs. 19/14685, S. 28. 131
VII. Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen
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dem Gesetz zulässig sind, aber materiell möglicherweise nicht dem Regelungsziel des Gesetzgebers entsprechen.“ 133 Mit den Informationen möchte der Gesetzgeber in die Lage versetzt werden, „Steuerpraktiken zu identifizieren und gegen diese vorzugehen sowie ungewollte Gestaltungsspielräume durch Rechtsvorschriften oder durch geeignete Risikoabschätzungen zu schließen“.134 Die Pflicht zur Mitteilung der grenzüberschreitenden Steuergestaltung führt also nicht zur Entdeckung einer Steuerstraftat, sondern lediglich zur Entdeckung einer Steuergestaltung.
133 BT-Drs. 19/14685, S. 31; vgl. hierzu auch Ditz/Bärsch/Engelen, DStR 2019, 815 (823); Stöber, BB 2020, 983 (983). 134 BT-Drs. 19/14685, S. 1.
H. Zusammenfassung und Gesamtergebnis Der Sperrgrund der Tatentdeckung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO findet sich – wenn auch nicht exakt mit dem gleichen Wortlaut wie in der heutigen Gesetzesfassung – bereits seit 1951 in der AO. Er ist einer von acht in § 371 Abs. 2 AO geregelten negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Selbstanzeige. Die Prüfung der Auslegung der Sperrgründe anhand der klassischen Auslegungsmethoden hat ergeben, dass deren Anwendung restriktiv im Sinne eines weiten Anwendungsbereichs der Selbstanzeige zu erfolgen hat: Zwar lässt sich mit Hilfe einer grammatikalischen Auslegung des § 371 AO keine Schlussfolgerung ziehen, ob im Regelfall Straffreiheit im Falle der Berichtigung der unterlassenden Angaben erfolgt und nur in Ausnahmefällen aufgrund der Sperrgründe die Selbstanzeige keine strafbefreiende Wirkung hat. Auch die Betrachtung des § 371 AO unter systematischen Gesichtspunkten liefert keine eindeutige Auslegung der Sperrgründe, denn betrachtet man die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO als den Regelfall und die Selbstanzeige gemäß § 371 AO als eine Ausnahme von dieser Regel, dann spricht dies für eine extensive Auslegung der Sperrgründe. Zu einer restriktiven Auslegung der Sperrgründe gelangt man dagegen, wenn man auf die Systematik innerhalb der Vorschrift des § 371 AO selbst abstellt. Ferner lassen sich der historischen Auslegung des § 371 Abs. 2 AO keine eindeutigen Rückschlüsse für die Auslegung der Sperrgründe gewinnen. Den Gesetzesmaterialien ist weder explizit noch implizit im Wege der Auslegung der in den Gesetzesmaterialien erwähnten Zwecke der Selbstanzeige zu entnehmen, ob der Gesetzgeber eine restriktive oder extensive Auslegung der Sperrgründe beabsichtigte. Die Tatsache der mit den Jahren erfolgten gesetzlichen Erweiterung der Sperrgründe kann sowohl so gedeutet werden, dass der Gesetzgeber einen möglichst engen Anwendungsbereich der strafbefreienden Selbstanzeige beabsichtigte und damit zugleich eine extensive Auslegung der Sperrgründe, aber auch dahingehend, dass jeder einzelne Sperrgrund restriktiv auszulegen ist und es daher der Vielzahl an Sperrgründen bedurfte. Die teleologische Auslegung des § 371 Abs. 2 AO spricht für eine restriktive Auslegung der Sperrgründe. Sinn und Zweck des Instituts der Selbstanzeige besteht nach hier vertretener Auffassung in der Mehrung von Steuereinnahmen und der Honorierung der Rückkehr in die Steuerehrlichkeit. Um diesen fiskal- und kriminalpolitischen Aspekten gerecht zu werden, sind die Sperrgründe eng auszulegen. Ob der Steuerhinterzieher die Selbstanzeige freiwillig erstattet und dabei von Wiedergutmachungsgedanken geleitet wird, darf nicht in die Auslegung der Ausschlussgründe einfließen. Da die grammatikalische, systematische und
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historische Auslegungsmethode des § 371 Abs. 2 AO sowohl eine extensive als auch eine restriktive Auslegung der Sperrgründe zulassen, vermögen sie dieses auf das Telos der Norm abstellende Ergebnis auch zu stützen. Während früher aufgrund des Wortlauts – zuerst wurde das Damit-RechnenMüssen und sodann die Entdeckung der Tat aufgeführt – streitig war, ob es sich bei der Entdeckung einer Tat im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO um eine objektive oder subjektive Voraussetzung handelt, ist seit der Neufassung der Abgabenordnung vom 16.03.19761 klar, dass es sich um eine objektive Tatbestandsvoraussetzung handelt. Für das Vorliegen der Voraussetzung der Entdeckung einer Tat reicht eine bloß unmittelbar bevorstehende Tatentdeckung nicht aus; erforderlich ist die tatsächliche Tatentdeckung. Anhand der Untersuchung der Auslegung des Begriffs der Entdeckung in anderen ebenfalls den Begriff der Entdeckung verwendenden früheren Gesetzesnormen § 46 Nr. 2 StGB a. F. und § 310 StGB a. F. können keine geeigneten Kriterien für eine zufriedenstellende Definition des Begriffs der Entdeckung gefunden werden. Die Auslegung des Begriffs der Entdeckung im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bereitet Probleme, weil eine Steuerstraftat nicht in einem Moment erkannt werden kann wie etwa die Beobachtung der Tötung eines Menschen. Deshalb genügt es, wenn der Tatentdecker nur einen Teil des Tatgeschehens oder der Tatfolgen wahrgenommen hat. Dies beantwortet jedoch nicht die Frage, inwieweit sich ein hierdurch entstandener Tatverdacht konkretisieren muss, um von einer entdeckten Tat sprechen zu können. Losgelöst von den strafprozessualen Verdachtsgraden liegt eine Entdeckung einer Tat dann vor, wenn sich der Verdacht einer Steuerhinterziehung so weit konkretisiert hat, dass bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist. Die Entdeckung einer Tat kann nicht mit (der Vorstufe) des Anfangsverdachts im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO umschrieben werden, weil dann der Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO keinen Anwendungsbereich mehr hätte. Ein hinreichender Tatverdacht gemäß §§ 170 Abs. 2, 203 StPO kann nicht verlangt werden, weil dann dem Sperrgrund der Tatentdeckung kaum ein Anwendungsbereich verbliebe. Der Begriff der (Steuerstraf-)Tat orientiert sich nicht am Tatbegriffsverständnis der Regelungen des Strafzumessungsrechts – §§ 52 und 53 StGB –, sondern ist nach Steuerart, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigem zu bestimmen. Basierend auf diesem Tatbegriffsverständnis ist eine Tat „zum Teil“ im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO entdeckt, wenn einzelne unzutreffende Angaben in der Steuererklärung entdeckt werden. Beim Entdecken bloßer Vorbereitungshandlungen zur Steuerhinterziehung ist die Voraussetzung der Teilentdeckung nicht erfüllt. 1
BGBl. I 1976, S. 613.
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Da das Gesetz von der Entdeckung einer „Steuerstraftat“ spricht, worunter gemäß § 369 Abs. 1 Nr. 1 AO Taten fallen, die nach den Steuergesetzen strafbar sind, muss eine Steuerhinterziehung als vorsätzliche Verkürzung von Steuern entdeckt werden, nicht dagegen die nur leichtfertig begangene Steuerverkürzung, die lediglich als Ordnungswidrigkeit gemäß § 378 AO geahndet wird. Hierfür spricht auch die systematische Betrachtung der Norm des § 371 AO – genauer des Vergleichs des Wortlauts des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d AO mit dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO –, denn in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d AO differenziert der Gesetzgeber klar zwischen den Begriffen der Steuerstraftat und Steuerordnungswidrigkeit. Die teleologische Auslegung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vermag bei der Frage nach der Erforderlichkeit der subjektiven Tatseite nicht zu helfen. Fiskalpolitische Erwägungen sprechen dafür, nur die Entdeckung der objektiven Tatseite im Rahmen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu verlangen; kriminalpolitische sprechen dagegen für das Gegenteil. Ob auch der Täter oder Teilnehmer der Steuerstraftat entdeckt sein muss, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht. Nach hier vertretener Auffassung ist für die Entdeckung der Steuerstraftat nicht die Kenntnis der Person des Täters der Straftat, sondern unter Berücksichtigung der fiskalund kriminalpolitischen Zwecksetzung der Selbstanzeige die Identifizierbarkeit des Steuerpflichtigen, dessen Steuererklärungen unrichtige Angaben beinhalten, notwendig. Denn kann der Steuerpflichtige identifiziert werden, können die zu wenig entrichteten Steuern festgesetzt werden. Der Steuerpflichtige kann, muss jedoch nicht der Täter der Steuerhinterziehung sein, da Täter einer Steuerhinterziehung auch eine Person sein kann, die nicht steuerpflichtig ist. Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bestimmt nicht, wer tauglicher Tatentdecker ist. An den steuerlichen Verhältnissen eines Steuerpflichtigen am nächsten stellen Finanzbehörden und Strafverfolgungsbehörden unstreitig taugliche Tatentdecker dar. Doch auch andere inländische Behörden können eine Tat entdecken, weil bei diesen aufgrund ihrer Pflicht gemäß § 116 AO zur Mitteilung von Tatsachen, die auf eine Steuerstraftat schließen lassen, damit zu rechnen ist, dass sie ihre Kenntnisse an die Finanzbehörden weiterleiten. Tatentdeckung liegt jedoch nicht vor, wenn Finanzbehörden, Strafverfolgungsbehörden oder andere inländische Behörden außerdienstlich Kenntnisse von einer Steuerstraftat erlangen, denn dann besteht keine Pflicht zur Mitteilung der erlangten Kenntnisse von einer Steuerstraftat. Entgegen der herrschenden Meinung ist Tatentdeckung durch ausländische Behörden nicht möglich, da ausländische Behörden grundsätzlich nur auf Ersuchen der inländischen Behörden – das seinerseits eine Reihe von Voraussetzungen vorsieht – tätig werden und nicht mit der notwendigen, dem Art. 103 Abs. 2 GG entsprechenden Bestimmtheit gesagt werden kann, ob damit zu rechnen ist, dass sie ihre Kenntnisse von einer Steuerstraftat an die inländischen Behörden weiterleiten. Das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 2 GG und einfachgesetzlich in
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§ 1 StGB enthaltene Bestimmtheitsgebot verlangt aber unter anderem, dass der Anwendungsbereich einer Norm in einer für den Bürger vorhersehbaren Weise durch die üblichen Auslegungsmethoden ermittelbar ist. Während bei inländischen Behörden die Frage, ob mit einer Weiterleitung von Kenntnissen von einer Steuerstraftat zu rechnen ist, durch eine gesetzliche Pflicht umschrieben wird, wird sie bei ausländischen Behörden mit dem Begriff der „Wahrscheinlichkeit der Rechtshilfegewährung“ umschrieben, ohne dass dieses Erfordernis näher umschrieben werden kann. Aufgrund des offenen Wortlauts des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO könnten zwar auch Privatpersonen grundsätzlich taugliche Tatentdecker sein, wenn bei ihnen damit zu rechnen ist, dass sie ihre Kenntnisse an die Behörden weiterleiten. Dies ist nach hier vertretener Auffassung indes nur dann der Fall, wenn wie bei Behörden eine Pflicht zur Mitteilung ihrer Kenntnisse an die Behörde besteht. Dieser Ansatz führt zum einen zu mehr Bestimmtheit und hat zum anderen den Vorteil, dass sowohl bei Behörden als auch bei Privatpersonen die Bestimmung der Tauglichkeit einer Person als Tatentdecker nach der generellen Vorgehensweise erfolgt, ob eine gesetzliche Pflicht zur Weiterleitung von Kenntnissen einer Steuerstraftat besteht und nicht – wie nach momentanem Stand der Rechtsprechung und Literatur – zum einen nach normativen Regeln, und zum anderen nach sozialen Regeln. Tatbeteiligte, Angehörige sowie Steuerberater und Rechtsanwälte sind demnach mangels einer Pflicht zur Weiterleitung ihrer Kenntnisse von einer Steuerstraftat regelmäßig keine Tatentdecker. Die Frage, wer eine nahestehende Person oder eine Vertrauensperson ist und das damit verbundene Problem, ob bei einer „rachsüchtigen“ nahestehenden Person oder Vertrauensperson damit zu rechnen ist, dass sie ihre Kenntnisse an die Behörde weiterleitet, erübrigen sich. Personen, die nach § 153 AO zur Offenbarung von Steuerstraftaten verpflichtet sind (etwa der ehemaligen Geschäftsführer oder Mitgesellschafter), haben trotz dieser Pflicht grundsätzlich als taugliche Tatentdecker auszuscheiden, weil dieses Ergebnis nicht im Einklang mit den gesetzgeberischen Motiven des § 371 Abs. 4 AO steht. Da nach der jetzigen Rechtslage bei Privatpersonen im Übrigen keine gesetzliche Pflicht zur Mitteilung ihrer Kenntnisse von einer Steuerstraftat an die Behörde ersichtlich ist, stellen sie im Ergebnis auch keine tauglichen Tatentdecker dar. In subjektiver Hinsicht verlangt § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, dass der Täter von der Tatentdeckung wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste. Die subjektive Komponente des Sperrgrundes der Tatentdeckung stand früher nach ihrem Wortlaut2 im Fokus der Norm und Kenntnis
2 In § 410 Abs. 2 RAO 1951 war geregelt, dass Straffreiheit nicht eintritt, „wenn der Täter im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung wußte oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen mußte, daß die Tat ganz oder zum Teil bereits entdeckt war“.
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von der Entdeckung und das Rechnenmüssen mit der Entdeckung wurden seitens der Rechtsprechung noch als die „wesentlichen Merkmale“ dieses Sperrgrundes bezeichnet. Dieser subjektiven Komponente ist entgegen der Auffassung des BGH auch heute noch keine geringere oder veränderte Bedeutung beizumessen. Dies folgt bereits daraus, dass der Gesetzgeber nach wie vor an der subjektiven Komponente festhält, obwohl im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2010 vom Bundesrat der Änderungsvorschlag unterbreitet wurde, auf das subjektive Element bei § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO gänzlich zu verzichten. Der Steuerpflichtige hat dann Kenntnis von der entdeckten Tat, wenn er positiv weiß, dass die Behörde von seiner Tat so viel erfahren hat, dass bei vorläufiger Tatbewertung seine Verurteilung wahrscheinlich ist. Ein Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung ist dann zu bejahen, wenn sich dem Täter die Entdeckung der Steuerstraftat aufdrängen musste, er mit anderen Worten leichtfertig verkannte, dass seine Steuerstraftat bereits entdeckt wurde. Der Begriff des Rechnenmüssens darf nicht begrifflich mit dem Kennenmüssen gleichgesetzt werden. Denn dies hätte zur Konsequenz, dass der Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige von einer nur fahrlässig verschuldeten Nichtkenntnis abhinge. Als Kehrseite des Begriffs des Aufdrängens muss beim Selbstanzeigenden eine geringstmögliche Unsicherheit bezüglich des objektiven Vorliegens der Tatentdeckung bestehen. Ein bloßes Befürchten, für Möglich- oder WahrscheinlichHalten der Tatentdeckung genügt nicht. Dies widerspräche der fiskalpolitischen und auch kriminalpolitischen Zwecksetzung der Selbstanzeige. Es handelt sich beim Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung entgegen der herrschenden Meinung weder um einen Vermutungstatbestand noch eine Beweisregel. Vielmehr muss der Richter gemäß § 261 StPO im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung feststellen, ob der Steuerstraftäter mit der Entdeckung seiner Tat rechnen musste. Dies setzt voraus, dass zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass der Steuerstraftäter die die Tatentdeckung kennzeichnenden Umstände positiv gekannt hat, aber außerdem auch, dass sich ihm aus diesen ihm nachweislich bekannten Tatsachen der Schluss auf die Entdeckung seiner Tat hätte aufdrängen müssen. Da es sich bei der Selbstanzeige um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund handelt, kommt es dabei auf die verständige Würdigung der Sachlage des Täters an. Indes können rein praktisch betrachtet innere Tatsachen des Steuerpflichtigen nicht festgestellt werden, sodass naturgemäß nur auf die Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Steuerpflichtigen in der konkreten Situation des Täters abgestellt werden kann. Der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bietet kein eindeutiges Ergebnis, ob sich das Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung auf denselben Teil einer
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Steuerstraftat beziehen muss, der objektiv entdeckt wurde. Diese Frage ist jedoch lediglich theoretischer Natur und in der Praxis nicht von Relevanz. Gemäß dem Wortlaut der Norm erfasst der Sperrgrund der Tatentdeckung in persönlicher Hinsicht nur den Täter – nicht auch den „an der Tat Beteiligten“ wie etwa in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b AO –, der von der objektiven Tatentdeckung wusste oder diese kennen musste. Aufgrund des nicht (durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung) geänderten Wortlauts des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO kann ein Teilnehmer auch dann noch wirksam Selbstanzeige erstatten, wenn er von der Tatentdeckung wusste oder mit ihr rechnen musste. Wird eine Steuerstraftat eines Steuerpflichtigen entdeckt, werden von der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO sämtliche noch nicht verjährten Steuerstraftaten der betroffenen Steuerart umfasst. Die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO greift jedoch nur, wenn eine noch nicht verjährte Steuerstraftat entdeckt wurde, denn bei der verfolgungsverjährten Steuerstraftat fehlt es an dem eingeholten Infekt der Entdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO; diese Tat kann also keine anderen – nicht verjährten – Steuerstraftaten infizieren. Wenn einmal eine Steuerstraftat eines Steuerpflichtigen entdeckt wurde, stellt sich die Frage, ob die Möglichkeit zur Erstattung einer Selbstanzeige wiederaufleben kann. Bei dieser Frage ist zwischen dem Fall der Entkräftung eines zunächst bestehenden Tatverdachts und zum anderen die Konstellation, in der eine Tat tatsächlich im Sinne des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO entdeckt wird und es bei diesem Ergebnis auch bleibt, zu unterscheiden. In beiden Fällen kann die Möglichkeit zur Selbstanzeige wiederaufleben. Der Zeitpunkt des Wiederauflebens kann im ersteren Fall mangels objektiver Anhaltspunkte nur mittels Fiktion bestimmt, sofern sich das Problem der Ermittlung des Zeitpunktes des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit nicht durch strafrechtlich Verjährung erledigt oder der Steuerpflichtige über die Entkräftung des zunächst bestehenden Verdachts informiert wird. In Anlehnung an die sich aus der abgabenrechtlichen Norm des § 171 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 AO und der strafprozessualen Norm des § 121 StPO zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken lebt die Berichtigungsmöglichkeit regelmäßig binnen sechs Monaten wieder auf. Diese Frist beginnt ab dem Zeitpunkt, in dem zunächst davon ausgegangen wurde, dass eine Steuerstraftat entdeckt wurde. Im zweiten Fall kann hinsichtlich des Zeitpunktes des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit – wie bei den Sperrgründen nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b und d AO – an den Abschluss des Strafverfahrens angeknüpft werden. Durch die Untersuchung einiger Fälle aus der Praxis wurde aufgezeigt, welch hohe Praxisrelevanz der Sperrgrund der Tatentdeckung hat, zugleich aber auch zum Ausdruck gebracht, wie schwierig die Subsumtion unter die Norm des
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§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO im Einzelfall ist. Aufgrund der jüngst erfolgten Änderung des Straftatbestands der Untreue ist zu erwarten, dass der Sperrgrund der Tatentdeckung insbesondere im Rahmen der Geldwäscheverdachtsmeldung nach § 43 GwG wieder an Beachtung gewinnen wird.
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Stichwortverzeichnis Airbnb-Anbieter 15, 175 ff. Analogieverbot 26, 47, 109, 144, 146 Anfangsverdacht 54, 57 ff. Angehörige siehe Tatentdecker Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO 27 f., 108 ff. Anzeigepflicht gemäß § 138 StGB 88, 103 Ausländische Behörden siehe Tatentdecker Auslegung der Sperrgründe – grammatikalische 36 – historische 37 ff. – systematische 36 f. – teleologische 42 ff. Ausnahmestellung der Selbstanzeige 34 ff., 163 Außerdienstliches Erfahren von Steuerstraftaten 88 f. Bestimmtheitsgrundsatz 26, 47, 83, 87, 92 f., 109 f., 119, 144 ff., 196 f. Beweisregel 127 f. Bezug der subjektiven Komponente 137 ff. DAC 6 – Richtlinie 192 f. Entdeckung – der subjektiven Seite des Täters 69 ff. – der Tat 50 ff. – des Täters 75 ff. – des Teilnehmers siehe Umfang der Sperrwirkung – eines Teils der Tat siehe Teilentdeckung Entdeckungsgefahr 37 f., 51, 101, 153, 171 Entkräftung eines Tatverdachts 155 ff. Entstehungsgeschichte 22 ff.
Finanzbehörden siehe Tatentdecker Fremdanzeige gemäß § 371 Abs. 4 AO – Abgrenzung zur Selbstanzeige 28 f. – gesetzgeberische Motive 116 ff. Garantenstellung 97, 102 ff., 189 Geldwäscheverdachtsmeldung 185 ff. Geschäftsführer siehe Tatentdecker Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung 15, 24, 39, 141 f., 146 ff. Grenzkontrolle 177 ff. Grenzüberschreitender Bargeldverkehr 177 ff. Gruppenanfragen 175 ff. Hinreichender Tatverdacht 55 f., 59 f., 63 f. Identifizierbarkeit des Täters siehe Entdeckung des Täters In dubio pro reo 26, 126, 169, 174 Infektionswirkung 147, 151 f., 164 Inländische Behörden siehe Tatentdecker Kenntnis von der Tatentdeckung 125 f. Kontrollmitteilungen 181 ff. Leichtfertiges Verkennen 131 ff. Medien 87, 129, 135, 170 ff., 174 f. Mitgesellschafter siehe Tatentdecker Nahestehende Person 98 ff. Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen siehe Sperrgründe
Stichwortverzeichnis Objektiver Tatbestand 49 ff. Panzerhaubitzen-Entscheidung 56, 71, 75, 90 f., 129, 135, 174 Person des Tatentdeckers siehe Tatentdecker Persönlicher Strafaufhebungsgrund 25 f., 47, 105 Persönlicher Umfang der Sperrwirkung siehe Umfang der Sperrwirkung Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen gemäß § 138d AO 192 f. Presse siehe Medien Privatpersonen siehe Tatentdecker Rachesüchtige Vertrauensperson siehe Zerrüttetes Vertrauensverhältnis Rechnenmüssen mit der Tatentdeckung 126 ff. Rechtsanwälte siehe Tatentdecker Reichweite der Sperrwirkung siehe Umfang der Sperrwirkung Restriktive Auslegung 36, 42, 48 ff. Rücktritt – gemäß § 24 StGB 30 f. – gemäß § 46 Nr. 2 RStGB 56 f. Sachlicher Umfang der Sperrwirkung siehe Umfang der Sperrwirkung Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 23 ff., 39, 41, 64, 69, 70 f., 94, 146, 148 ff., 153 Selbstanzeigebeschluss 34, 43, 54 ff., 70 f., 75 f., 135, 161, 171, 182 Sperrgründe 32 ff. Steuerberater siehe Tatentdecker Steuerdaten-CDs 15, 167 ff. Steuerhinterziehung 19 ff. Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz 24 Subjektiver Tatbestand 123 ff.
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Tatbegriff 64 ff. Tatbeteiligte siehe Tatentdecker Tatentdecker – Angehörige 106 ff. – ausländische Behörden 89 ff. – (ehemalige) Geschäftsführer 112 ff. – Finanzbehörden 84 – inländische Behörden 84 ff. – Mitgesellschafter 111 ff. – Privatpersonen 93 ff. – Rechtsanwälte 108 ff. – Steuerberater 108 ff. – Tatbeteiligte 104 ff. Tatentdeckung – Begriff der Entdeckung 50 ff. – Begriff der Tat 64 ff. Teilentdeckung 80 ff. Teleologische Auslegung – Fiskalpolitische Begründung 42 f. – Kriminalpolitische Begründung 43 f. – Strafrechtliche Begründung 44 f. Umfang der Sperrwirkung – Persönlicher Umfang der Sperrwirkung 140 ff. – Sachlicher Umfang der Sperrwirkung 146 ff. – Zeitlicher Umfang der Sperrwirkung 152 ff. Untauglicher Tatentdecker 120 ff. Verjährte Steuerstraftat 150 ff. Vermutung 127 f. Verständige Würdigung 133 ff. Vertrauensperson 98 ff. Vorbereitungshandlungen 80 f. Zeitlicher Umfang der Sperrwirkung siehe Umfang der Sperrwirkung Zeitpunkt des Wiederauflebens der Selbstanzeigemöglichkeit 155 ff., 165 f. Zerrüttetes Vertrauensverhältnis 100 ff.