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German Pages 363 Year 1982
ULRICH ROSENFELDER
Der arbeitsrechtliche Status des freien Mitarbeiters
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 63
Der arbeitsrechtliche Status des freien Mitarbeiters Zugleich ein Beitrag zur Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs unter besonderer Berücksichtigung der freien Mitarbeiter bei Hörfunk und Fernsehen
Von
Dr. Ulrich Rosenfelder
DUNCKER &
HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany
© 1982 Duncker
ISBN
a 428 05177 7
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 1980/81 von der Juristischen Fakultät der Universität München als Dissertation angenommen und fast unverändert in Druck gegeben worden. Sie entstand während meiner Tätigkeit am Institut für Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht der Univel'sität München. Wesentliche Anregungen zur Themenwahl und Gestaltung erhielt ich vom Leiter des Instituts, Herrn Prof. Dr. Götz Hueck. Er ist mir beim .A!bfassen der Arbeit, über eine bloß fachliche Betreuung weit hinausgehend, in allen Belangen stets mit Rat und Hilfe zur Seite gestanden. Ihm fühle ich mich deshalb an erster Stelle zu Dank verpflichtet. Dank schulde ich ferner dem Korreferenten, Herrn Prof. Dr. Werner Rother. Es ist nicht möglich, an dieser Stelle alle diejenigen zu nennen, die zur Vollendung der Arbeit beigetragen haben. Besonders hervorheben möchte ich jedoch die ehemaligen Instituts-Kollegen Dr. Peter Dem!, Prof. Dr. Dietrich von Stebut und Christian Schwarz. Sie haben mir durch ihre Bereitschaft zu geduldiger und engagierter Diskussion über schwierige Phasen der Ausarbeitung hinweggeholfen. Dafür möchte ich ihnen herzlich danken. Mein Dank gilt schließlich Herrn Senator Prof. Dr. J. Broermann für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe und die verlegerische Betreuung des Manuskripts. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum sind bis zum 30. September 1981 berücksichtigt. Planegg, im Mai 1982 Ulrich Rosenfelder
Inhaltsverzeichnis Einleitung
19
1. Problemstellung ..................................................
19
I!. Gegenstand .......................................................
23
111. Gang der Arbeit ..................................................
24
1. Kapitel
Rechtswirklichkeit und soziale Problematik der freien Mitarbeit im KuIturbereich
26
1. Der freie Mitarbeiter - Begriff, rechtliche Bedeutung, Hauptproblemgruppe ....................................................... 26 1. Der Begriff des freien Mitarbeiters als Anknüpfungspunkt der
Untersuchung ..................................................
26
2. Rechtliche Bedeutung des Status eines freien Mitarbeiters.. . . ..
30
a) Grundsätzliche Nichtanwendbarkeit von Arbeitsrecht ........
31
b) Auswirkungen im Sozialrecht
32
c) Auswirkungen im Steuerrecht
34
d) Sonderstellung der arbeitnehmerähnlichen freien Mitarbeiter 34 3. Die ständigen freien Mitarbeiter der Rundfunkanstalten als
Hauptproblemgruppe ..........................................
35
11. Rechtstatsächliche Besonderheiten der freien Mitarbeit im Kulturbereich ........................................................... 40 1. Wirtschaftliche Schwäche und wirtschaftliche Abhängigkeit ......
41
a) Wirtschaftliche Schwäche ...................................
41
b) Wirtschaftliche Abhängigkeit ................................
43
2. Ungünstige Vertragssituation ..................................
43
3. Unsicherheit wegen uneinheitlicher Einschätzung der beruflichen Stellung ....................................................... 46
8
Inhaltsverzeichnis
IH. Interessenlage und rechtspolitische Forderungen
49
1. Interessengegensatz ............................................
50
a) Die Position der freien Mitarbeiter ..........................
50
b) Die Position der Auftraggeber ..............................
52
2. Konkrete rechtspolitische Forderungen .........................
54
3. Die freien Mitarbeiter -
55
verkappte Arbeitnehmer? ............ 2. Kapitel
Der Arbeitnehmerbegriff im Widerstreit der Meinungen 1. Das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit 1. Ausgrenzungen ................................................
58 58 59
a) Unvereinbarkeit von persönlicher Abhängigkeit und werkvertraglicher Verpflichtung .................................... 60 b) Unmaßgeblichkeit der wirtschaftlichen Abhängigkeit ........
60
2. Konkretisierung des Merkmals ................................
61
a) Persönliche Abhängigkeit und Eingliederung ................
62
b) Persönliche Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit ........
64
c) Persönliche Abhängigkeit als offenes Merkmalsgefüge ......
69
11. Die Kritik an der herrschenden Meinung ................... . ......
74
1. Methodenkritik ................................................
75
a) Phänomenologische Methode der Begriffsgewinnung ........
75
b) Gesamtbeurteilung als intuitive Pauschalwertung ............
76
2. Vertragsrechtliche Kritik ......................................
79
a) Verstoß gegen den Grundsatz der Vertragsfreiheit ..........
79
b) Rechtsformzwang und Kontrahierungszwang ................
81
c) Vertragsrechtliche Folgeprobleme ...........................
83
3. IdeologiekritiJsche Einwände ...................................
84
4. Verfassungsrechtliche Einwände ........ . .......................
85
IH. Alternativmodelle der Begriffsbestimmung und Abgrenzung ......
86
1. Die "Vertragstheorie" von Stolterfoht ..........................
87
a) Grundzüge und praktische Folgen .................. . .......
88
b) .Kritik ......................................................
89
Inhaltsverzeichnis 2. Der "materiale Arbeitnehmerbegriff" von Rancke
9 91
a) Grundzüge und praktische Folgen ..........................
91
b) Kritik ......................................................
93
3. Der Arbeitnehmer als persönlich und wirtschaftlich abhängiger Dienstnehmer nach Buhl ...................................... 95 a) Grundzüge und praktische Folgen ............ . .............
95
b) Kritik ......................................................
96
4. Der Arbeitnehmer aLs verhinderter Unternehmer in der Konzeption von Lieb ..................................................
97
a) Grundzüge und praktische Folgen .............. . ...........
97
b) Kritik ...................................................... 100 5. Der Arbeitnehmer als s07Jial schutzbedürftiger und persönlich abhängiger Dienstnehmer im Modell von Beuthien! Wehler ...... 102 a) Grundzüge und praktische Folgen .......................... 102 b) Kritik .......................................... . ........... 104 IV. Offene Fragen und Lösungsansatz ................................ 106 1. Offene Fragen ................................................ 106
a) Die rechtliche Einordnung als Methodenproblem ............ 106 b) ParteiWiille und rechtliche Einordnung ...................... 109 2. Zu:sammenfassende Würdigung der Alternativmodelle .......... 109 3. Grundlagen der Neustrukturierung des Arbeitnehmerbegriffs .. 111 a) Die Denkform des Typus als methodische Fundierung ........ 111 b) Die soziale Schutzbedürftigkeit als leitender Wertungsgesichtspunkt ................................................. 113 c) Weiterführende Ansätze dn der Rechtsprechung des BAG .... 114 d) Ausblick .................................................... 115 3. Kapitel Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters 1. Die rechtliche Zuordnung "typischer" Gestaltungen
118 118
1. Das Auseinanderfallen zwischen objektiv verwirklichter und sub-
jektiv bestimmter Rechtsform .................................. 119 2. Maßgeblichkeit der vereinbarten inhaltlichen Gestaltung ...... 122
a) Unbeachtlichkeit pragmatischer Argumente ................. 122
10
Inhaltsverzeichnis b) Parteiwille und praktische Handhabung als Scheingegensatz 123 aal Die Rechtsprechung des BAG ........................... 123 bb) Die einverständlich praktizierte Handhabung als konkludent vereinbarte Gestaltung ............................ 125 c) Ersetzung der gewählten durch die passende Rechtsform: Kein Rechtsformzwang ........................................... 128 aal Tatbestandsungebundene Rechtsfolgenwahl und zwdngendes Recht ............................................... 128 bb) Die Rechtsformverfehlung - kein Nichtigkeitsgrund .... 131 3. Kontrolle des Ergebnisses anhand möglicher Konfliktkonstellationen ......................................................... 134 a) Der Beschäftigte wehrt sich gegen die fehlerhafte subjektive Einordnung als freier Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 135 b) Der Beschäftigte beruft sich auf die fehlerhafte subjektive Einordnung als freier Mitarbeiter .......................... 138 c) Der Beschäftigte beruft sich auf die fehlerhafte subjektive Qualifizierung als Arbeitnehmer ............................ 140 d) Der Beschäftigte wehrt sich gegen die fehlerhafte subjektive Qualifizierung als Arbeitnehmer ............................ 142 4. Dogmatische Behandlung der Fehlqualiflzierung ................ 143 a) Falsa demonstratio ......................................... 143 b) Scheingeschäft .............................................. 143 c) Umgehungsgeschäft ......................................... 144 d) Unbeachtliche Verwahrung (protestallio facto contraria) ...... 146 5. Zusammenfassung ............................................. 147
Ir. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen .............. 148 1. Wertungsunabhängige Lösungsansätze ......................... 150
a) Parteiautonome Rechtsformwahl ............................ 150 b) § 12 a TVG und Definitionen in Tarifverträgen .............. 154 c) Dauerverpflichtung ......................................... aal Praxis und Schrifttum .................................. bb) Rechtsprechung des BAG .............................. cc) Stellungnahme ..........................................
155 155 156 158
d) Fehlen unternehmerischen Risikos .......................... 159 e) Verkehrsanschauung ........................................ 161 f) Vergleich mit Festangestellten .............................. 161 2. Der Wertung.sgesichtspunkt der arbeitsrechtlichen sozialen Schutzbedürftigkeit .................................................. 165 a) Nicht entscheidende Aspekte ............................... 165
Inhaltsverzeichnis
11
aa) Weisungsgebundenheit und Eingliederung .............. 166 bb) Sozialer Status ........................................ 166 ce) Wlirtschaftliche Abhängigkeit ......... . .................. 170 b) Fremdgestaltung der Arbeitsabläufe ........................ aa) Nähere Konkretisierung ................................ bb) Beschränkter arbeitsrechUicher Aussagegehalt des Aspekts ce) Erforderlichkeit der dualistischen Konkretisierung der sozialen Schutzbedürftigkeit ..............................
171 171 174
c) Arbeitskraftbdndung ........................................ aa) Irrelevante Gesichtspunkte .............................. bb) Fremdvorsorgewürdigkeit als Ansatzpunkt .............. ce) Nähere Konkretisierung ................................
177 178 182 184
176
3. Grundlinien wertender Zuordnung ............................ 188 a) Fremdgestaltung der Arbeitsabläufe und Arbeitskraftbindung als kumulative Kriterien .................................... 189 b) Die Ermittlung der vereinbarten inhaltlichen Ausgestaltung .. 190 c) Zur Feststellung der Fremdgestaltung der Arbeitsabläufe .... aa) Regelmäßige Anwesenheit an der Arbeitsstätte .......... bb) Vorausschauend geplanter Einsatz der Arbeitskraft ...... ce) Regelmäßige Teilnahme an Redaktionskonferenzen bei Rundfunkmitarbeitern .................................. dd) Dienstbereitschaft ...................................... ee) Abhängigkeit von Apparat und Team ..................
192 192 194
d) Zur Feststellung der Arbeitskraftbindung .................. aa) Zeitläche Erstreckung der Vertragsbindung und projektbezogene Mitarbeit ..................................... bb) "Dauerrechtsverhältnis" bei projektbezogener Mitarbeit in der Rechtsprechung des BAG ............................ ce) Keine automatische Gleichsetzung von Beschäftigungsperiode und Vertragsdauer ..............................
198
195 196 197
199 200 203
4. Begriffliche Fix;ierung ......... . ............................... 205 a) Prämissen .................................................. 205 b) Formulierungsvorschlag
.................................... 207
5. Dogmatische Behandlung der Rechtsformverfehlung ............ 208 a) Fehlerhafte Rechtsformbestimmung als unbeachtliche Verwahrung ....................................................... 208 b) Zur Möglichkeit der Umgehung durch Gestaltungsmißbrauch 209 aa) Ausgrenzung benachbarter Problemkreise ................ 210 bb) Der Umgehungstatbestand .............................. 211 c) Fehlen der Umgehungsvoraussetzungen .................... 212 aa) Keine Abgrenzbarkeit der mißbilligten und der umgangenen Gestaltung ........................................ 212
Inhal~verzeichnis
12
bb) Keine normative Präferenz der Rechtsform des Arbeitsverhältnisses ........................................... (1) Keine Präferenz infolge objektiv-normativer Wertungen ................................................. (2) Keine Präferenz aus Gründen der Vertragsgerechtigkeit ................................................. cc) Keine Divergenz zwischen gesetzlichem Wortlaut und normativer Wertung .......................................
213 213 215 219
6. Vertragsinhaltsprobleme nach erfolgter Statuskorrektur ........ 219 a) Grundsätzliche Weitergeltung der vereinbarten inhaltlichen Ausgestaltung .............................................. 221 b) Folgeprobleme
223
c) Umgestaltung nach Treu und Glauben ...................... 225 7. Zusammenfassung
226 4. Kapitel Sonderprobleme
I. Geltung der Lösung auch im Rundfunkbereich
230 230
1. AbwechslungsbedürfniJS und Arbeitnehmerstatus als Scheingegen-
satz ........................................................... 231 a) Das rundfunkrechtliche Abwechslungsbedürfnis .............. 231 b) Keine wechselseitige Präklusion von Abwechslungsbedürfnis und Arbeitnehmerstatus .................................... 232 c) Unmaßgeblichkeit anderer als rundfunkspezifischer Begründungen ..................................................... 234 2. Keine arbeitsrechtliche Bereichsausnahme für die Rundfunkanstalten ........................................................ 235 a) Das verfassungsrechtliche Gebot der Konkordanz zwischen Rundfunkfreiheit und Sozialstaatsprinzip .................... 235 b) Das arbeitsrechtliche Instrumental1ium zur Gewährleistung des Abwechslungsbedürfnisses .................................. aal Versetzung ............................................. bb) Personen- oder betriebsbedingte Kündigung ............ cc) Befristung .............................................. dd) Nutzung des Rechtsgedankel1!S der §§ 118 BetrVG, 69 Abs. 4 Satz 4 BPersVG ........................................
238 238 239 240 245
3. Keine unmittelbare Verwirklichung des Sozialstaatsgrundsatzes durch den Richter ............................................ 246 4. Zusammenfassung ............................................. 247
Inhaltsverzeichnis
13
H. Statuskorrektur und Mitwirkungsrechte von Betriebsrat oder PerlSonalvertretung ................................................... 249 1. Statuskorrektur und Einstellungsbeglliff ........................ 249
2. Mitbestimmungsrecht und Tendenzschutz bei Einstellungen .... 251 3. Individualrechtliche Folgen des Unterlassens der Beteiligung .. 253 a) Normalfall der Einstellung .................................. 253 b) Sonderfall der nachträglichen Statuskorrektur .............. 256 4. Voraussetzungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen fehlender Beteiligung .......................................... 259 a) Aufhebungsverlangen von Betriebsrat oder Personalvertretung 259 b) Materielle Berechtigung des Aufhebungsverlangens .......... 262 5. Zusammenfassung ............................................. 265 IH. Zulässigkeit der Statusklage ..................... . ................ 266 1. Die Bestimmtheit des Feststellungsantrags ...................... 267
2. Das Feststellungsinteresse ..................................... 269 5. Kapitel
Zur partiellen Einbeziehung wirklicher freier Mitarbeiter in das Arbeitsrecht
272
1. Partielle Elinbeziehung der arbeitnehmerähnlichen Personen kraft Gesetzes .......................................................... 274 1. Die gesetzlichen Regelungen .......... . ......................... 274
a) überblick
.................................................. 274
b) Untersch,iedliche Klarheit der Regelungen .................. 277 2. Die begriffliche Problematik .................................. 278 a) Arbeitnehmerähnlichkeit und wirtschaftliche Abhängigkeit .. 278 b) Wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Typik .............. 279 aa) Die soziale Typik als Korrektiv ........................ 280 bb) Kritik .................................................. 283 c) Arbeitnehmerähnlichkeit als Wertungserfordernis ........... 285 aa) Die arbeitnehmerähnliche soziale Schutzbedürftigkeit als begriffskonstitutiver Wertungsgesichtspunkt ............ 285 bb) Nähere Konkretisierung ................................ 286 d) Einzelfragen ................................................ 288 aa) MögLiche Vertragsformen ............................... 289 bb) Hohe Vergütung ........................................ 290
14
Inhaltsverzeichnis ce) Sonstiges Einkommen .................................. 291 dd) Uneinheitlichkeit der Regelungen ....................... 292 3. Zusammenfassung ............................................. 293
H. Möglichkeiten und Grenzen der weiteren Erstreckung von Arbeitsrecht auf sozial schutzbedürftige freie Mitarbeiter ................. 294 1. Methodische Prämissen ........................................ 295
a) Systemzwang des geltenden Rechts .......................... 295 b) Grundsätzlich keine Analogie ................................ 296 c) Erweiterung durch gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung .. 298 2. Einzelne Regelungsbereiche .................................... 300 a) FÜl."lSorge- und Treuepflichten ............................... 300 b) Insolvenzsicherung .......................................... 304 c) Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrecht .......... 306 d) Einzelne Schutzkomplexe als Ausprägungen der Fürsorgepflicht ...................................................... aa) Bestandsschutz ......................................... bb) Entgeltfortzahlung dm Krankheitsfall .................... ce) Mutterschutz ........................................... dd) Arbeitszeitschutz ....................................... ee) Weitere Schutzkomplexe ................................
308 309 312 314 316 316
3. Zusammenfassung ............................................. 317
Zusammenfassung und Ergebnisse
319
LiteraturverzeidlDis
326
Entsrheidungsregister
345
Sachverzeichnis
356
Ahkürzungsverzeichnis a.A. AcP a.F. AFG AGB AGBG AGB-Gesetz AktG AngKündG
AO AP ArbG ArbGG AR-Blattei ArbPlSchG ArbSichG ARD ARS ARSt.
AüG AuR AVG
AZO
BABl. BAG BAT BAVAV BB BBiG Bearb. BetrAVG BetrVG BfA BFH BFHE BGB BGBl.
anderer Ansicht Archiv für civilistische Praxis (Band, Jahr, Seite) alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis (Entscheidungssammlung), Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechts-Blattei Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte (ab 1934: Arbeitsrechts-Sammlung Band, Seite) Arbeitsrecht in Stichworten. Arbeitsrechtliche Entscheidungssammlung (Jahr, Seite) Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Arbeit und Recht. Zeitschrift für Arbeitsrechtspraxis (Jahr, Seite) Angestelltenversicherungsgesetz Arbeitszeitordnung Bundesarbeitsblatt (Jahr, Seite) Bundesarbeitsgericht Bundes-Angestelltentarifvertrag Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (jetzt: Bundesanstalt für Arbeit) Der Betriebs-Berater (Jahr, Seite) Berufsbildungsgesetz Bearbeiter Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz v. 15. 1. 1972 Bundesanstalt für Arbeit Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (Teil, Seite)
16
BGH BGHZ BKartA BI. BIStSozArbR BPersVG BR BRAO BR-Drucksache Breithaupt BSG BSGE BStEI. BT-Drucksache BUrlG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE
Abkürzungsverzeichnis Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Band, Seite) Bundeskartellamt Blatt (Blätter) Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht (Jahr, Seite) Bundespersonalvertretungsgesetz Bayerischer Rundfunk Bundesrechtsanwaltsordnung Drucksachen des Deutschen Bundesrates (Nummer, Jahr, Seite) Sammlung von Entscheidungen auf dem Gebiete der Sozialversicherung, Versorgung und Arbeitslosenversicherung, herausgegeben v. Breithaupt Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Band, Seite) Bundessteuerblatt (Jahr, Teil, Seite) Drucksachen des Deutschen Bundestags (Wahlperiode, Nummer, Seite) Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Band, Seite)
CDU CSU
Christlich-Demokratische Union (Deutschlands) Christlich-Soziale Union
DAngVers.
Die Angestelltenversicherung. Zeitschrift der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Jahr, Seite) Der Betrieb (Jahr, Seite) Die Betriebsverfassung (Jahr, Seite) Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt Die Aktiengesellschaft. Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen (Jahr, Seite) Die Öffentliche Verwaltung (Jahr, Seite) Deutsche Richterzeitung (Jahr, Seite) Deutsche Steuer-Rundschau (Jahr, Seite) Deutsche Steuer-Zeitung (Ausgabe, Jahr, Seite)
DB DBetrVerf. DGB d.h. Die AG DÖV DRiZ DStR DStZ ebd. Entsch. Erg. ErI. EStG EzA
eben da Entscheidung Ergänzung Erläuterung(en) Einkommensteuergesetz Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht (Hrsg. Stahlhacke)
FDP FeiertagsLohnzG FuR
Freie Demokratische Partei (Deutschlands) Gesetz zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen Film und Recht (Jahr, Seite)
GewMH GewO GG GK
Gewerkschaftliche Monatshefte (Jahr, Seite) Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gemeinschaftskommentar
Abkürzungsverzeichnis GmbH GmbHG GS GWB
17
Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Großer Senat Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz)
HAG HGB h.L. h.M.
Heimarbeitsgesetz Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung
IfP IG i. S. i. V.m.
Institut für Projektstudien/Hamburg Industriegewerkschaft im Sinne in Verbindung mit
JArbSchG JuS JW JZ
Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) Juristische Schulung (Jahr, Seite) Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) Juristenzeitung (Jahr, Seite)
Kfz KG KO KSchG KSVG KVLG
Kraftfahrzeug Kammergericht Konkursordnung Kündigungsschutzgesetz Künstlersozialversicherungsgesetz Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte
LAG
Landesarbeitsgericht litera Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben v. Lindenmeier, Möhring und anderen Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall (Lohnfortzahlungsgesetz) Leitsatz (Leitsätze) Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (Jahr, Seite)
lit.
LM LohnfortzG LS. LZ m.a.W. MitbestG MuSchG
mit anderen Worten Mitbestimmungsgesetz Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz)
NDR n.F. NJW NZfA
Norddeutscher Rundfunk neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Jahr, Spalte)
o. g. OHG,oHG OLG
oben genannt Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht
PersV
Die Personalvertretung. Fachzeitschrift für Personalvertretungen und Dienststellen (Jahr, Seite)
R.
Rückseite Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit (Jahr, Seite) Rundfunk-Femseh-Film-Union in der Gewerkschaft Kunst (DGB) Reichsgesetzblatt (Teil, Seite)
RAG RdA RFFU RGBl. 2 Rosenfelder
18
Abkürzungsverzeichnis
RGRK Rspr. RuF RVO Rz.
Reichsgerichtsrätekommentar Rechtsprechung Rundfunk und Fernsehen (Jahr, Seite) Reichsversicherungsordnung Randziffer(n)
SAE
Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Jahr, Seite) Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz) Sozialgesetzbuch Sozialrecht, bearbeitet von den Richtern des Bundessozialgerich ts Sozialdemokratische Partei Deutschlands Süddeutsche Zeitung (Datum, Seite)
SchwbG SGB SozR SPD SZ TVG
Tarifvertragsgesetz
UFITA
Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht (Band, Jahr, Seite) Umsatzsteuergesetz unter Umständen
UStG u.U. VersR VS VVG WDR WM WuW WuW/E
ZAS ZBlHR ZDF ZfA ZfSozialreform ZHR ZPO ZRP z.T. ZVersWiss. ZZP
Versicherungsrecht. Juristische Rundschau für die Individualversicherung (Jahr, Seite) Verband Deutscher Schriftsteller Gesetz über den Versicherungsvertrag Westdeutscher Rundfunk Wertpapier-Mitteilungen. Zeitschrift für Wirtschaftsund Bankrecht (Jahr, Seite) Wirtschaft und Wettbewerb (Jahr, Seite) Wirtschaft und Wettbewerb. Entscheidungssammlung zum Kartellrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht (Jahr, Seite) Zentralblatt für Handelsrecht (Jahr, Seite) Zweites Deutsches Fernsehen Zeitschrift für Arbeitsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Sozialreform (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (Band, Jahr, Seite) Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik (Jahr, Seite) zum Teil Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft (Jahr, Seite) Zeitschrift für Zivilprozeß (Band, Jahr, Seite)
Einleitung I. Problemstellung
Seit eilllger Zeit ist in unserer Gesellschaft eine Veränderung der Sozialstruktur zu beobachten, die zu einer erheblichen Verunsicherung der Rechtsprechung, insbesondere der Arbei1;s- und Sozialgerichte, zu heftigen Kontroversen in Rechtswissenschaft und -praxis und schließlich auch zu gesetzgeberischen Maßnahmen geführt hat. Es handelt sich dabei um die Bestrebungen eines beträchtlichen Teils der als freie Mitarbeiter oder Freiberufler bezeichneten Erwerbstätigen mit dem Ziel der Einbeziehung dieses Personenkreises in die sozialen Schutzrechtssysteme, vor allem das Arbeitsrecht. Anscheinend haben die soziale und wirtschaftliche Situation vieler "Freien", ihre soziologische Ähnlichkeit mit den unselbständig Beschäftigten l sowie eine gleichartige Interessenlage bei betden Gruppen von Erwerbstätigen2 bewirkt, daß sich Teile der freien Mitarbeiter und Freiberufler auf dem Weg 2Jum Arbeitnehmer!! befinden. Zu dieser Entwicklung dürften nicht zuletzt der konjunkturelLe Einbruch in den Jahren 1973 und 1974 sowie ein dadurch begünstigter Abbau mittelständisch und künstlerisch geprägter Freiheits-Ldeologien4 beigetragen haben. Dazu für den Bereich der freien Mitarbeit in den Kulturberufen: FohrS. 70 ff., 109 ff. und öfter; Fohrbeck / Wiesand, Autorenreport, S. 251 ff. und öfter; dieselben, Künstler-Report, S. 155 ff., 284 ff. und öfter; Wiesand S. 212 ff. und öfter; - sozialwissenschaftliche Erkenntnisse über den Bereich der Vermittlerberufe berücksichtigen u. a.: Hirsch S.186 ff.; BaHerstedt in Festschrift Haemmerle S. 13 ff.; Schwerdtner, BlStSozArbR 1972 S.17 ff.; Plander, RdA 1973 S. 234 ff.; M. Rehbinder, Tankstellenvertrag; derselbe, Kantinenpachtvertrag; Nippold; - der süzialwissenschaftliche Ansatz ist besonders stark ausgeprägt bei Rancke S. 115 ff. und AuR 1979 S. 9 ff., ebenso bei Deneke, Die freien Berufe, und demselben, Klas's'ifizierung. 2 Maus, RdA 1968 S. 367 (374); Kunze S. 60 f.; Ady, FuR 1974 S.91 (94); entschieden bestritten hinsichtlich der freien Mitarbeiter der Rundfunkanstalten unter Anführung konkreter Beispiele aus der Praxis von Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S. 139 ff., 143. 3 Maus, RdA 1968 S.367 (370 Fn.20); Rancke S.24 und passim; zur sozioökonomischen Annäherung beider Gruppen von Beschäftigten vgl. ferner: SchüHer, Ordo Bd. XIX (1968) S. 171 (244 ff., 246, 248); Gerschel, FuR 1973 S.538 (539 f.); Woltereck, AuR 1973 S. 129; Zeuner, RdA 1975 S.84 (85); Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 103 ff., 135 ff. 4 Buhl S. 20 erwähnt die "romantischen Klischees" der Künstler; Stolterfoht S. 31 ff. kritisiert das Leitbild des "Königlichen Kaufmanns"; ebenso Rancke S. 102 f. 1
beck / Wiesand / Woltereck
2*
20
Einleitung
Diesem Drang 2JUm Arbeitnehmerstatus war die arbeitsrechtliche Dogmatik allem Anschein nach nicht gewachsen. Denn der über Jahrzehnte hinweg nahezu unangefochten tradierte5 und im wesentlichen als geklärt angesehenell Arbeitnehmerbegriff des Inhalts, daß Arbeitnehmer ist, wer aufgrund privatrechtlichen Vertrags in persönlicher Abhängigkeit Arbeit lei:stet7, ist im Gefolge der geschilderten Bestrebungen in eine Krise ,geraten8 • Das zeigt zum einen die vielberufene, seit etwa 1974 auf die Arbeits-, aber auch Sozialgerichte zurollende und IliUr langsam abebbende Welle von Feststellungsklagen, mit denen freie Mitarbeiter vor aUem im Kulturbereich versuchen, eine Festanstellung als Arbeitnehmer zu erlangenD. Zum anderen spiegeln die von der herkömmlichen Definition des Arbeitnehmerbegriffs abweichenden Begriffsbestimmungen in der Litera1rur 10 die Zerrissenheit der Arbeitsrechtswissenschaft in bezug auf diesen Grundbegrüf w1der. Das ist um so mißlicher, als die Anwendung arbeitsrechtlicher Normen - ob sie nun aus gesetzestechnischen Gründen11 an den Begriff des Arbeitnehmers oder denjenigen des Arbeitsverhältnisses anknüpfen - voraussetzt, daß an dem ZlU beurteilenden Lebenssachverhalt ein Arbeitnehmer ",direkt oder indirekt beteiligt ist"12. So Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 1 S. 1. So noch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 3. Auflage 1977, S.28; ebenso Siebert, BB 1949 S. 746; Löhr S. 46. 7 statt aller Hueck / Nipperdey I § 9 11 S.35 mit Nachweisen aus der älteren Rspr.; s. u. 2. Kapitel Fn. 5, 6. B Stolterfoht, DB 1973 S.1068 (1069); Lieb, ZVersWiss. 1976 S.207 (209); Ossenbühl S.60; Zweifel an der Aussagekraft des herkömmlichen Arbeitnehmerbegriffs schon bei HaemmerZe S. 40; vgI. auch Hueck / Nipperdey I § 9 IU 3 S.43; Nikisch I § 1 U 1 S.6; Hueck, KSchG, § 1 Rz. 5, 6; Mayer-Maly, Erwerbsabsicht, S.7; derselbe, ZAS 1966 S.2; Schnorr, Anm. zu BAG AP Nr.6 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 1., BI. 284 R.; Galperin, SAE 1968 S.75; - zum herkömmlichen Arbeitnehmerbegriff und zur Kontroverse um das Abgrenzungsmerkmal der persönlichen Abhängigkeit s. u. 2. Kapitel I 2; zur Kritik am überkommenen Arbeitnehmerbegriff aus neuerer Zeit s. u. 2. Kapitel 11. 9 Näheres dazu bei Buhl S. 33 f.; Zahlenangaben auch bei Rancke S.139 Fn.130; vgI. auch Bitter, RdA 1978 S. 24 ff.; Fohrbeck / Wiesand / WoUereck S.44 Fn. 76 rechneten 1976 noch mit mindestens 1000, höchstens 2000 "festanstellungsverdächtigen" freien Mitarbeitern der Rundfunk- und Fernsehanstalten; Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S.8 Tabelle 1 nennen die Zahl von 553 "Festanstellungsklagen" freier Mitarbeiter im Bereich der ARD in den Jahren 1973 -1978. 10 Dazu s. u. 2. Kapitel 111.; ferner Fohrbeck / Wiesand / WoZtereck S.170. 11 ZöHner § 4 IV S. 42. 12 Hueck / Nipperdey I § 9 I S. 34, wo allerdings vom zu beurteilenden "Tatbestand" die Rede ist; wie hier Buhl S. 1; vgl. auch Nikisch I § 1 I 2 S. 4. 5
6
I. Problemstellung
21
Die Ursachen dieser Auflösungserschemungen sind vielschichtig und können hier nur angedeutet werden. Nur scheinbar ist die Krise allein dem Fehlen einer gesetzlichen Definition des allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs zuzuschreiben. Denn Rechtspl'echung, Wissenschaft und vor allem Praxis sind jahrzehntelang trotz dieses Defizits gut zurechtgekommen, wohl in dem intuitiven Gefühl, es sei evident, welcher Beschäftigte der Rechtskategorie der Arbeitnehmer zuzuordnen ist. Offenbar ist dieser allgemeine Konsens der Rechtsunterworfenen darüber, wer als Arbeitnehmer zu gelten hat l3 , verlorengegangenl4 . Den Gründen für das Schwinden dieser allseits konsentierten Rechtsüberzeugung sind also die Ursachen für die Krise des Arbeitnehmerbegriffs zu entnehmen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die zunehmende Loslösung des Arbeitsrechts von seiner histortschen Fixierung auf die Zielgruppen der an einem bestimmten Arbeitsplatz im Betrieb tätigen, auf unbestimmte Dauer zur Vollzeitarbeit verpflichteten Fabrikarbeiter und einfachen Büroangestelltenl5 • Über diese "klassischen" Arbeitnehmerbereiche hinallls hat sich die Rechtsform des Arbeitsverhältnisses auch für hochqualifizierte und hochbesoldete Arbeit durchgesetzt 16 mit der Folge, daß die 'an den historischen Zielgruppen orienHerten überkommenen Kriterien ihre Evidenz zum Teil einbüßten. Der auch heute noch - vor allem in der sozialrechtlichen Praxis - beschrittene Ausweg, den Arbeitnehmerbegl1i.ff funktionsspezifisch abzugrenzen, d. h. ihm bestimmte Tätigkeitsarten oder Berufe zuzuordnen, muß gerade an der ungeheuren Spannweite der Sachverhalte, die das Arbeitsrecht zu regeln hat, scheitern17 • Lieb, ZVersWiss. 1976 S. 207 (209) unter Berufung auf Stolterfoht S. 100. In Kreisen der Praxis erhofft man sich deshalb eine Lösung des Problems der Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs von dem inzwischen im Vorstadium des Gesetzgebungsverfahrens steckengebliebenen neuen Arbeitsgesetzbuch; vgl. Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.167; - der Entwurf eines Arbeitsgesetzbuchs - Allgemeines Arbeitsvertragsrecht - der Arbeitsgesetzbuchkommission läßt in § 1 den Arbeitnehmerbegriff als Anknüpfungspunkt für den persönlichen Geltungsbereich des Gesetzes offen; in § 3 Satz 2, 1. Halbsatz des Entwurfs wird bestimmt, daß sich der Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag verpflichtet, "die vereinbarte Arbeit unter Leitung und nach Weisung des Arbeitgebers zu leisten". 15 Deutlich Hueck / Nipperdey I § 3 III 1 S. 11; zur geschichtlichen Entwicklung vgl. ferner z. B. Nikisch I § 2 II S. 15 ff.; Zöllner § 3 S. 24 ff., alle mit zahlreichen Nachweisen. 18 Lieb, RdA 1977 S.210 (213) unter Berufung auf Herschel, UFITA Bd.36 (1962) S.115 (117); Herschel, Freier Beruf, S. 28. 17 Tätigkeitsspezifische Abgrenzungen enthalten z. B. die sogenannten Mainzer Grundsätze zur Sozialversicherung der Mitarbeiter des ZDF, mitgeteilt in DAngVers. 1970 S. 220 ff., auf denen spätere Abgrenzungskataloge der Sozialversicherungsträger aufbauen, sowie die Vereinbarung zwischen der BfA, den Allgemeinen Ortskrankenkassen und den Rundfunkanstalten 13
14
22
Einleitung
Verstärkt wird 'der Prozeß der Ablösung überkommener Evi;denzKriterien durch Veränderungen im Arbeits-und Wirtschaftsleben, z. B. die Entwicklung neuer Arbeitstechniken und Betriebsfühmmgsmethoden sowie die Herausbildung bisher unbekannter Berufe und Tätigkeitsarten 1B • Daneben sind zu nennen neue ordnungrspolitiJsche Zielsetzungen, insbesondere die Verstärkung der hetrieblichen Mitbestimmung durch das BetrVG 1972 und der Unternehmensmitbestimmung durch das MitbestG 19761°. Das Zusammenwirken all dieser Tendenzen hat dazu geführt, daß die vom BAG versuchte punktuelle Anpassung des Arbeitnehmerbegriffs an die veränderte Sozialstruktur mittels einer 'deutlich einzelfallbezogenen Abgrenzungs-Rechtsprechung in Rechtswissenschaft und Praxis als unbefriedigend empfunden wird. In der Literatur wind dem Gericht vorgeworfen, es betreibe bloße Kasuistik, indem es in einer Reihe von nicht vorhersehbaren und nicht rational nachprüJlbaren Zufallsentscheidungen jeweils ein sozial erwünschtes Ergebnis "herbeibegrünrde"20. In Kreisen der Praxis, insbesondere von seiten der Rundfunkanstalten, beklagt man, daß die seit 1974 in außergewöhnlich rascher Folge ergangenen Abgrenzungsentscheidungen des BAG erhebliche Teile der freien Mitarbeiter in einer "richterrechtlich geprägten Umklammerung der Rechtskategorie dE;r Arbeitnehmer einverleibt" haibe2 1 • Dadurch sei die Absicht des Gesetzgebers, Beschäftigte in Arbeitnehmer, arbeitnehmerähnliche Personen und Selbständige zu gliedern, unvollziehbar geworden!!. Man mag dem Drängen der freien Mitarbeiter in den Kulturberufen nach Zugang zu den sozialen Schutzrechtssystemen befürwortend oder ablehnend gegenüberstehen; die sozial- und rechtspolitischen Forderungen dieser "Schwierigen"23 an den Staat haben jedenfalls in das vom 1. 10. 1974, mitgeteilt in FuR 1975 S.456; kritisch hierzu Fohrbeck /Wiesand / Woltereck S. 164 ff. und Buhl S. 87 f. lB Zu den Auswirkungen solcher Wandlungsprozesse auf die Entwicklung des Arbeitnehmerbegriffs ausführlich Rancke S. 53 ff.; Berufskataloge für den Bereich von Hörfunk und Fernsehen finden sich bei Dannenhaus / Riepenhausen S. 13 ff. und Fohrbeck / Wiesand / Woltereck, Anhang Dokument 1 S. 432 f.; vgI. ferner die Darstellung einiger wichtiger programmrelevanter Tätigkeiten bei Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S. 93 und Anlage 6 S. 173 f. 19 Zu den individualarbeitsrechtlichen Auswirkungen der erweiterten Mitbestimmung Zöllner, RdA 1969 S. 65 ff. 20 Schnorr, Anm. zu BAG AP NI'. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 1., BI. 284 R.; ähnlich Lieb, ZVersWiss. 1976 S.207 (209); Beuthien / Wehler, RdA 1978 S.2 (3); Stolterfoht S. 68; 154 ff . , 225 ff. und öfter; Ossenbühl S. 59 ff. 21 Ossenbühl S.16; der Sache nach auch Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S.7. 22 Scharf, RdA 1978 S.20 (22); vgl. auch Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh (Fn.21). 23 VgI. den Titel eines Beitrags von Lattmann: Der Staat und die Schwierigen. Künstlerpolitik der Bundesregierung.
H. Gegenstand
23
allgemeine Bewußtsein gerückt, daß der herkömmliche Arbeitnehmerbegriff einer kritischen Revision zu unterziehen ist. Diese Neubestimmung muß zur Entwicklung materieller Kriterien eines allgemeinen und doch flexiblen Arbeitnehmerbegriffs führen. Dabei ist 7JU vermeiden, daß die Begriffsbestimmung nur die historisch-typischen, ohnehin evidenten Fälle erfaßt. Denn bei den eindeutigen Gestaltungen kommt es kaum zum Streit. Bewähren muß ,sich der Arbeitnehmerbegriff in den "pathologischen" Grenzfällen. 11. Gegenstand
Die vorliegende Arbeit nimmt die Frage, unter welchen Umständen und in welchem Ausmaß freie Mitarbeiter in das Arbeitsrecht einrubeziehen sind, zum Anlaß, Möglichkeit und Grenzen der Entwicklung eines aussagekräftJigen Arbeitnehmerbegriffs mit hinlänglich trennscharfen materiellen AbgrenZiungskriterien de lege lata zu untersuchen. Die Erörterung wird sich dabei schwerpunktmäßig auf die sogenannten ständigen freien Mitarbeiter der Rundfunk- und Fernsehanstalten als der gegenwärtig im Brennpunkt des allgemeinen Interesses stehenden Hauptproblemgruppe konzentrieren, ohne daß eine strikte Beschränkung auf diesen Pel'Sonenkreis beabsichHgt ist. Als gedankliche Ausgangssituation liegt der Untersuchung der Konfliktfall zugrunde, daß ein freier Mitarbeiter ,geltend macht, er sei in Wahrheit Arbeitnehmer. Gegen diesen Ansatz der Erörterung an den in einem Sonderbereich gehäuft auftretenden "pathologischen" Fällen mag eingewendet werden, daß aus der Betrachtung einer vergleichsweise trotz allem geringfügLgen Zahl von konfliktträchtigen Zweifelsfällen keine allgemeingültigen Aussagen abgeleitet werden sollten24 • Wenn über diesen an sich berechtigten Einwand hier hinweggegangen wird, so geschieht dias vor allem wegen der Besonderheiten der oben geschilderten25 ProblemstelLung: In Frage steht die Anpassung des stets der Gefahr der Erstarrung ausgesetzten Arbeitnehmerbegriffs an die veränderten sozialen Gegebenheiten. Das ist aber nur mÖ1glich, wenn es gelingt, Abgrenzungskriterien zu entWickeln, :mit denen neben den "klassischen" auch die neuarti,gen und problematischen Fälle, die "so:m.ologischen Randgruppen"26, erfaßt und sachgerecht ,gelöst werden können. Wenn der herkömmliche Arbeitnehmerbegriff ,auch in der Regel zu zweifelsfreien Evgebnissen führt, so darf das doch nicht dar24 So für den Bereich der freien Mitarbeit in den Massenmedien, insbesondere den Rundfunkanstalten Zöllner § 4 III 5 c a. E. S.41 unter Berufung auf Lieb, RdA 1977 S. 210 ff.
25 s. o. 1. 26
Vgl. Schaub § 8 I 1 S. 29.
24
Einleitung
über hinwegtäuschen, daß gerade die verhältnismäßig wenigen Problemfälle die tiefreichende Krise des Arbeitnehmerbegriffs auszulösen vermochten. Die Bemühungen um Wiederherstellung der Rechtssicherheit hinsichtlich des Inhalts und der Grenzen des Arbeitnehmerbegriffs müssen sich deshalb ,g,erade auf die zweifelhaften Gestaltungen konzentrieren. Die gedankliche Orientierung der Arbeit am Konflikt:fiall, wie er in der Prax~s auftritt, soll im übdgen deutlich machen, daß die Lösung der aufgeworfenen Problematik des ArbeitnehmerbegrHfs auf dem Boden des geltenden Rechts gesucht wird. Es handelt sich also, da das System der arbeitsrechtlichen Personenbegriffe nicht laus den Angeln gehoben werden soll, hier insgesamt nicht um einen rechtspolitischen Beitrag. Vielmehr werden die der Integration freier Mitarbeiter in das Arbeitsrecht de lege lata gezogenen Grenzen respektiert. Damus folgt, daß an dem sich aus dem .geltenden Recht ergebenden Arbeitnehmerbegriff auch dann festgehalten wird, wenn dieser sich aus sozial- oder rechtspolitischer Sicht aLs unbefriedigend erwe~sen sollte. So reizvoll es sein mag, die Fesseln des bestehenden Rechtszustandes zu sprengen, so wenig ist damit den Bedürfnissen der unmittelbar Betroffenen unter den gegenwärtigen Verhältnissen geholfen. Das schließt nicht aus, diejenigen Mitarbeiter, die de lege lata nicht als Arbeitnehmer anzusehen sind, wenigstens partiell in das Arbeitsrecht einzubeziehen. Das positivrechtliche Einfallstor hierfür ist die Rechtsfigur der arbeitnehmerähnlichen Person. Die Erörterung der partiellen Erstreckung des persönlichen Geltungsbereichs des Arbeitsrechtsauf freie Mitarbeiter bildet also die - von der GrundfragesteIlung her gesehen - notwendige Ergänzung zur Untersuchung von Inhalt und Grenzen des Arbeitnehmerbegrifils.
111. Gang der Arbeit Die Untersuchung wird sich zunächst der Rechtswirklichkeit und sozialen Problematik der freien Mitarbeit im Kulturbereich zuwenden, um die Dringlichkeit der Frage nach der Rechtsstellung des betroffenen Personenkreises im Gefüge der zivUrechtlichen Schlutzrechtsordnungen sowie die Schwerpunktbildung bei dieser Gruppe einsichtig zu machen. Gewissermaßen als Resumee wird am Schluß dieses KapiteLs die Frage aufgeworfen, ob eine Vielzahl der freien Mitarbeiter im Kulturbereich verkappte Arbeitnehmer 'sind. Daß diese Frage ungemein schwer zu beantworten ist, soll das nachfolgende Kapitel zeigen, in dem der Arbeitnehmerbegriff als Gegenstand der rechtswissensch·aftlichen Kontroverse dargestellt wird. Der
IH. Gang der Arbeit
25
Abriß der wichtigsten Alternativmodelle der Begrif:flsbestimmung und Abgrenzung in der Literatur soll neben der zuvor wiedergegebenen Kritik am herkömmlichen Arbeitnehmerbegriff zeigen, wie groß die zu bewältigenden Probleme sind. Im abschließenden Abschnitt dieses Kapitels werden die offenen Fragen der Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Arbeitnehmerbegriffs zusammengefaßt und die Grundlagen der Neustrukturierung des Begriffs - insbesondere in methodischer Hinsicht - umrissen. Das darauffolgende dritte Kapitel enthält den eigenen Ansatz mIr Lösung des Problems der rechtlichen Einordnung freier Mitarbeiter. Dieser beruht im wesentlichen darin, daß diejentgen Fälle, die vom äußeren Erscheinungsbild her ein klares Urteil erlauben, und die Mischgestaltungen, aus denen die Grauzone zwischen Unselbständigkeit und Selbständigkeit besteht, voneinander geschieden und gesondert behandelt werden. Im Evidenzbereich bleibt als ZJU erörterndes Rechtsproblem nur die Frage nach der Bedeutung des Parteiwillens bei der rechtlichen -Qualifizierung der Vertragsbeziehungen. Zur Erfassung der in der Grauzone angesiedelten Gestaltungen 'dagegen bedarf es der Entwicklung materieller Kriterien. Diesem Problem vor allem ist der Hauptabschnitt des Kapitels gewtdmet, der sich außerdem mit dem Versuch der begrifflichen F1ixierung der eigenen Lösung, der Frage nach der Anwendbarkeit des Umgehungsgedankens bei der Zuordmmg von Grenzfällen sowie Vertragsinhaltsproblemen nach erfolgter Statuskorrektur befaßt. In einem weiteren Kapitel werden Sonderfragen behandelt, die im Zusammenhang mit der hier vorgeschlagenen Lösung auftreten. ,Zunächst wird die eilgene Auffassung gegen rundfunkrechtliche Einwände vertetdigt, sodann der betriebsverfassungsrechtliche Aspekt der Statuskorrektur erörtert und schUeßlich die prozeßrechtliche Frage nach der Zulässigkcit der sogenannten Statusklage beantwortet. Das abschließende Kapitel befaßt sich mit der Möglichkeit der partiellen Einbeziehung wirklicher freier Mitarbeiter in das Arbeitsrecht. Darin wiDd - nach einem überblick über die Kategorie der arbeitnehmerähnlichen Person und ihre begriffliche Problematik -, ohne Anspruch auf Vollständigkeit untersucht, inwieweit das Recht der arbeiternehmerähnlichen Person durch Erstreckung weiterer arbeitsrechtlicher Regeliungen auf freie Mitarbeiter erweitert werden kann.
Erstes KapiteL
Rechtswirklichkeit und soziale Problematik der freien Mitarbeit im Kulturbereich I. Der freie Mitarbeiter Begriff, rechtliche Bedeutung, Hauptproblemgruppe 1. Der Begriff des freien Mitarbeiters als Anknüpfungspunkt der Untersuchung
Für die Abgrenzung des in der vorliegenden Untersuchung behandelten Personenkreises W'l.IDde der Begriff des freien Mitarbeiters gewählt. Das ist nicht unprobLematisch. Denn im positiven Recht ist der Begriff des freien Mitarbeitel1s nicht verankert. San Inhalt ist nicht eindeutig 1, seine Verwendung in der Praxis dementsprechend uneinheitlich. überwiegend wird der Begriff in der Rechtswirklichkeit zur Bezeichnung derjenigen Personen verwendet, die für bestimmte Auftraggeber im wesentlichen persönlich, d. h. ohne Einschaltung von Hilfspersonen, und auf der Grundlage von Einzelbeauftragungen vorwiegend geistig-schöpferische, jedenfalls qualifizierte Tätigkeiten leisten. Der unbezweifelbare normative Gehalt des Begriffs erschöpft sich darin, daß seine Verwendung auf die Absicht der Parteien hinweist, das betreffende Rechtsverhältnis nicht als Arbeitsverhältnis zu behandeln. Darüber hinaus ist seine rechtliche Substanz jedoch so unbestimmt, daß im Schrifttum Zweifel an seiner Eignung als Anknüpfungspunkt für normative Aussagen geäußert werden2 • Unklar ist zunächst im Grundsätzlichen, ob freie Mitarbeiter alle diejenigen Personen sind, die als solche bezeichnet werden3 , oder nur diejeni,gen, die der wahren Rechtslage nach Nicht-Arbeitnehmer sind4 • 1
Kunze S. 58.
So für den Bereich von Hörfunk und Fernsehen Dannenhaus / Riepenhausen S. 41. 3 So Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.39 und Buhl S.37, die unter Be2
rücksichtigung soziologischer und rechtspoIitischer Ansätze - die normative Tragfähigkeit des Begriffs in Frage stellen. 4 In diesem Sinne wird der Begriff in Untersuchungen verwendet, die sich mit der Abgrenzung der arbeitsrechtlichen Personenbegriffe befassen, ohne das Problem der FehlquaIiflzierung in den Vordergrund zu stellen; vgl. G. Hueck, DB 1955 S. 384 fi.; Kunze S. 58.
I. Der freie Mitarbeiter - Begriff, Bedeutung, Problemgruppe
27
In jenem Falle hätte man es mit einer rechtssoziologischen, in diesem mit einer rein normativen Kategorie zu tun. Welcher Deutung der Vorzug zu geben ist, richtet sich nach der Funktion des Begriffs iim jeweiligen ArgumentationsmllSammenhang. Soll allein erörtert werden, welche rechtliche Bedeutung der Stellung eines Mitarbeitern als Nicht-Arbeitnehmer :t'Jukommt, so spricht manches dafür, als fre~e Mitarbeiter nur diejenigen Personen zu bezeichnen, die auch rechtlich keine Arbeitnehmer, sondern Selbständ~ge sind. Ist dagegen beabsichtigt, die BiLdung der Kategorie des freien MitaI1beiters selbst unter normativen Gesichtspunkten kritisch zu durchleuchten, also zu frogen, inwieweit die in dem Gebl1auch des Begriffs zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung der normativen überprüfung standhält, so bedingt diese Art der Fr,agestellung die VerwencLung des Begriffs im rechtstatsächlichen Sinn. Für die Zwecke dieser Untersuchung erscheint es angebmcht, den Begriff des freien Mitarbeiters mit rechtssoziologischer Bedeutung ru verwenden. Denn es sind g,erade die bei den als freie Mitarbeiter behandelten Personen neuerdings verstärkt auftretenden Zweifel an der Kongruenz zwischen subjektiver Rechtsauffassung und objektiver Rechtslage, die :t'Jur Grundfrage dieser AI1beit nach der Rechtsstellung der freien Mitarbeiter im Gefüge der zivilrechtlichen Sozial's chutzordnungen Anlaß gegeben haben. Soll die vorliegende Untersuchung aber die Aundeckung solcher subjektiven Fehleinschätzungen ermö'glichen, so darf der Inhalt des Ausgangsbegriffs des freien Mitarbeitern die wahre Rechtslage nicht präjudizieren6 • Fraglich ist des weiteren, ob als freier Mitarbeiter nur anrusehen ist, wer aufgrund eines Dienstvertrages zur Arbeitsleistung verpflichtet wil1d, oder ob auch sonstige VertI1aglsformen die Grundla,ge für freie Mitarbeit bilden können. Entsprechend der hier zugrundegelegten rechtssoziologischen Einordnung des Begriffs sind insoweit maßgebend die in der Rechtswirklichkeit vorherrschenden Anschauungen. Die Praxis pflegt jedoch in diesem Punkt nicht oder nicht sorgfältig genug zu differenzieren6 • Ob die Rechtsbeziehungen dienstvertraglicher, werkvertraglicher oder sonstiger Art sind, erscheint den Beteiligten meist sekundär. Angesichts dieser Offenheit der Praxis in bezugaJUf die Basisrechtsformen der freien Mitarbeit erscheint eine terminologisch 5 Im Text wird, soweit zur Klarstellung erforderlich, durch Hinzufügen von Attributen wie z. B. "wirklich" oder "scheinbar" verdeutlicht, ob der Begriff des freien Mitarbeiters im objektiv-normativen oder rechtstatsächlichen Sinn verwendet wird. 6 In der Praxis der Kulturberufe liegen der freien Mitarbeit meist dienstvertragliche Verpflichtungen zugrunde; vgl. hierzu Buhl S . 38 f .., Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 10 ff . .
28
1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
keineswegs zwingende Verengung des behandelten Personenkreises auf solche Mitarbeiter, die Dienstnehmer sind, nicht angebracht. Eine solche Einschränkung ist außerdem schon deshalb abzulehnen, weil selbst arbeitsrechtliche Regelungen, die sachlich eine Erstreckung von Arbeitsrecht über den Bereich der Arbeitsverhältnisse hinaus beinhalten, wie § 12 a TVG oder das HAG, keine Beschränkung auf Dienstvertragsverhältnisse vorgesehen. Freilich droht durch die weitherzige Zuordnung nichtdienstvertraglicher Rechtsformen zur rechtstatsächlichen Erscheinung der freien Mitarbeit der betreffende Personenkreis jede Kontur zu verlieren. Denn Selbständige aller Art, auch echte Unternehmer, könnten hiernach darunter fallen. Entsprechend der Verwendung des Begriffs in der Praxis muß deshalb eine Eingrenzung dahingehend vorgenommen werden, daß freier Mitarbeiter nur ist, wer für bestimmte Personen im wesentlichen persönlich tätig wird; damit werden Personen ausgeschieden, die "auf Vorrat" und hauptsächlich mittels einer eigenen Arbeitsorganisation, also im eigentlichen Sinne unternehmerisch7 produzieren. Der freie Mitarbeiter ist in diesem Sinn ein als Nicht-Arbeitnehmer Beschäftigter. Demnach ist freie Mitarbeit aufgrundaller derjenigen Vertragsformen möglich, aus denen sich eine - unmittelbare oder mittelbare Verpflichtung zum persönlichen Tätigwerden für einen bestimmten Partner ergeben kann; ob diese "im Zweifel" höchstpersönlich zu erfüllen ist, wie es die dienstvertragliche Norm des § 613 BGB vorsieht, ist gleichgültig. Dazu zählen neben dem Dienstvertrag und dem Werkvertrag als den wichtigsten Vertragsformen, die menschliche Tätigkeit zum Gegenstand habenS, die Geschäftsbesorgung gemäß § 675 BGB9 und die handelsrechtlichen Geschäftsbesorgungsverträge des Handelsvertreters, Handelsmaklers, Spediteurs, Lagerhalters sowie Frachtführers 10 • Auch der unechte Werklieferungsvertrag gemäß § 651 Abs.2 BGB ist d:azu zu rechnen. Zweifelhaft könnte das beim echten Werklieferungsvertrag gemäß § 651 Abs. 1 BGB sein. Da aber auch hier der Unternehmer erst nach Vertragsschluß zur Herstellnmg verpflichtet wird, ist diese Vertragsform ebenfalLs in den Bereich der freien Mitarbeit einzubeziehen. Dasselbe gilt schließlich für diejenigen gemischt7 Dazu ausführlich Rittner S. 20 ff.; zum arbeitsrechtlichen Unternehmerbegriff ferner z. B. Hueck / Nipperdey I § 15 I S. 88 f.; Stolterfoht S. 121 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 8 Vgl. dazu etwa die Einteilung bei Fikentscher § 64 IV 2 c S.347; ähnlich ZöHner § 4 III 2 a S. 35; Hueck / Nipperdey I § 22 VI S. 134 f. 9 Dazu statt aller Larenz, Schuldrecht II, § 56 V S. 341 ff. mit weiteren Nachweisen. 10 §§ 84 ff., 93 ff., 383 ff., 407 ff., 416 ff., 425 M. HGB.
1. Der freie Mitarbeiter -
Begriff, Bedeutung, Problemgruppe
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typischen Verträge, die eine nicht ganz untergeordnete Pflicht zum Tätigwerden einschließen w~e z. B. der Vertragshändlervertrag 11 , die sogenannten Tankstellen- 12, Kantinen- 13 und Toiletten- 14 "Pachtverträge" sowie schließlich bestimmte Arten von Lizenzverträgen15 • Allerdings sind alle diese Festlegungen nicht zwingend im logischen Sinn. Sie sind bedingt durch die Verankerung des Begriffs des freien Mitarbeiters im Rechtstatsächlichen und somit pragmatischer Art. Eine gewisse Unschärfe ist deshalb in Kauf zu nehmen. Aus diesem Grunde ist 7lU fragen, ob nicht die Begriffe des freien Berufs16 oder des Freiberuflers geeignetere Anknüp:fiungspunkte für die Frage nach der Einbeziehung von Nicht-Arbeitnehmern in das Arbeitsrecht bieten. Das wäre zu bejahen, wenn sie den hierfür in Betracht kommenden Personenkreis schärfer umschreiben würden als der Begriff des freien Mitarbeiters17 • Be1den Begriffen ist in rechtstatsächlicher Hinsicht gemeinsam, ,daß sie in bezug auf Personen verwendet werden, die im wesentlichen persönliche Tätigkeiten höherer Art erbringen. Der rechtliche Gehalt der Begriffe des freien Berufs bzw. des Freiberuflers ist jedoch noch diffuser als derjenige des Begriffs des freien Mitarbeiters18 • Vom freien Beruf spricht man, wora:uf Herschel im Anschluß an Deneke hinweist19 , in zwei verschiedenen Bedeutungen: Für das an sozialethischen Zielsetzungen orient~erte Standesrecht der Ärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte, Architekten usw. ist begriffswesentlich allein die innere Entscheidungsfreiheit bei der Ausübung der beruflichen Arbeit. Freiberufliche Tätigkeit in diesem Sinne setzt deshalb nicht notwendig Selbständigkeit voraus, sondern allenfalls fachliche Weisung,sfreiheit20 ; sie ist deshalb auch in einem - :fiachlich weisungs11 Ausführlich hierzu Ulmer, insbesondere S. 241 ff. mit zahlreichen weiteren Angaben; ferner etwa Palandt / Thomas § 675 Anm.3 a. 12 Aus der Rechtsprechung dazu BSG AP Nr. 5 zu § 611 BGB Abhängigkeit = SozR Nr. 51 zu § 1,65 RVO; aus der Literatur z. B. M. Rehbinder, Tankstellenvertrag; Nippold; Wahle in Festschrift Schmitz S. 329 ff. 13 Dazu M. Rehbinder, Kantinenpachtvertrag; BAG AP Nr. 37 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 14 Vgl. LAG Düsseldorf/Köln AP Nr. 6 zu § 5 ArbGG 1953. 15 s. u. 5. Kapitel I. 2. b) aal und die Angaben dort Fn. 47. 16 Zur Begriffsbestimmung Deneke, Die freien Berufe, S. 61 ff.; derselbe, Klassifizierung, S.24; Stieglitz S. 175 ff.; Schick S. 2 ff.; Herschel, Freier Beruf, S. 15; Rancke S. 16 f.; Benkendorff, WuW 1956 S. 20 ff. 17 Dieser Ansicht ist offenbar Rancke S. 15 ff. (17); a. A. Buhl S. 36 t. 18 Nach Rittner S. 14 und Fleischmann S. 105 ist der Begriff des freien Berufs ein materialer Rechtsbegriff; dagegen BVerfGE 10, 3,54 (364: "kein eindeutiger Rechtsbegriff"); KG DB 1960 S.407 (408); Herschel, Freier Beruf, S. 30; Maus, RdA 1968 S. 367 (370). 19 Herschel, Freier Beruf, S. 15.
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
freien21 Arbeitsverhältnis möglich. Der eher an nationalökonomischen Kategorien ausgerichtete steuerrechtliche Begriff des freien Berufs22 dagegen bezieht sich auf die "soziale Einordnung, die Stellung im Sozialgefüge"23 und setzt deshalb die Selbständigkeit voraus. Seine Funktion ist es vor .allem, die selbständigen Bezieher von Einkommen aus Entgelten für persönliche geisttge Tätigkeit gegenüber den sorustigen Selbständigen abzugrenzen - ein Gesichtspunkt, der für die Fragestellung dieser Arbeit irrelevant ist. Der Begriff des freien Berufs ist nach allem noch weniger unterschetdungskräftig als derjenige des freien Mitarbeiters. Es ist deshalb nicht ratsam, ihn mm Anknüpfungspunkt für eine Untersuchung über die Reichweite arbeitsrechtlicher Normen zu machen24 • Es bleibt somit festzuhalten, daß sich die folgenden Erörterungen auf die freien Mitarbeiter beziehen als diejenigen Personen, die, ohne als Arbeitnehmer zu gelten, für bestimmte Auftraggeber im wesentlichen persönlich tätig sind 25 • 2. Rechtliche Bedeutung des status eines freien Mitarbeiters
Die Einreihung eines Beschäftigten in die Gruppe der freien Mitarbeiter bedeutet für den Betroffenen, dJaßer, vom Standpunkt des Beurteilenden aus gesehen, ,als Nicht-Arbeitnehmer, d. h. Selbständiger zu behandeln ist. 20 Ebenso Buhl S. 37 mit dem Hinweis auf § 46 BRAO. wonach grundsätzlich auch Syndikusanwälte zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sind. 21 Ebenso Herschel, Freier Beruf, S. 16, 28 ff.; Buhl S. 37. 22 Insbesondere § 18 EStG; das BSG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten, BI. 104 verwendet den Begrüf des freien Berufs offensichtlich in dieser Bedeutung. 23 Herschel, Freier Beruf, S. 16. 24 Das zeigt sich deutlich bei Rancke S. 15 ff. und passim, der unterschiedslos typische Freiberufler, typische freie Mitarbeiter sowie Handelsvertreter und alle arbeitnehmerähnlichen Personen unter dem Begriff der freien Berufe zusammenfaßt. 25 Diese Umschreibung deckt auch eine Gruppe von Selbständigen ab, die gleichwohl im allgemeinen nicht unter den Begriff des freien Mitarbeiters gebracht werden und auch in dieser Untersuchung weitgehend außer Betracht bleiben; es handelt sdch um die wirtschaftlich äußerst schwachen und deshalb auch schutzbedürftigen Selbständigen, die gezwungen sind, ihren Lebenserwerb durch eine Vielzahl kleiner und kleinster Aufträge "zusammenzuverdienen", z. B. viele Privatmusiklehrer, Unterhaltungsküns.uer und bildende Künstler; diese Personen sind wegen der fehlenden Konzentration auf einen bestimmten Auftraggeber nicht wirtschaftlich abhängig im Sinne des Rechts der arbeitnehmerähnlichen Person (dazu s. u. 5. KapitelL); Fohrbeck I Wiesand I Woltereck S.I04, 107 bezeichnen sie als "wirtschaftlich eingeschränkte Freischaffende"; vgl. ferner Fohrbeck I Wiesand, GewMH 1973 S. 593 ff.
I. Der freie Mitarbeiter -
Begriff, Bedeutung, Problemgruppe
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Damit ist die für die soziale Sicherung des Arbeitleistenden schlechterding,s entsche1dende Weichenstellung gekennzeichnet. Denn die Struktur des sozialen Schutzes durch die Rechtsordnung ist nicht dadurch 'geprägt, daß einzelne, isolierte Schutzregeln existieren, unter die einzeliiallbezogen 1JU subsumieren wäre. Es stehen vielmehr ganze Normkomplexe ,als "Zuteilungsol'dnungen" ex ante zur Verfügung, die geschützte Positionen vermitteln26 • Der den Zugang eröffnende Schlüssel ist die Zugehörigkeit zu der begünstigten Kategorie21 der Arbeitnehmer. Zuteilungsordnungen der erwähnten Art sind vor allem das gesamte Arbeitsrecht und das Sozialrecht sowie - zumindest teilweise - das Steuerrecht. a) Grundsätzliche Nichtanwendbarkeit von Arbeitsrecht
Das Arbeitsrecht ist auf Selbständige grundsät211ich nicht anwendbar. Was dies bedeutet, soll - ohne AIliSpruch auf Vollständigkeit der folgende kurze überblick zeigen: Selbständige genießen keinen KÜnld1gungsschutz nach dem KSchG; die ausschließlich den Bestandsschutz 'des abhängigen Arbeitsverhältnisses betreffende Bestimmung des § 622 BGB gilt nicht. Arbeitszeitschutz nach der AZO, Mutterschutz nach dem MuSchG, Schwerbehindertenschutz nach dem SchwbG sowie Arbeitsplatzschutz nach dem Arbeitsplatzschutzgesetz greifen nicht ein. Entgeltfort21ahlung im Krankheitsfall nach dem Lohnfort2'JG und nach § 616 Abs. 2 BGB findet nicht statt. Das Bundesurlaubsgesetz ist grundsätzlich nicht anzuwenden; 'die Entgeltansprüche sind prinzipiell weder Masseforoerungen nach § 59 Abs. 1 NI'. 3 KO noch bevorrechtigt nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO. Bis vor wenigen Jahren galt ohne Einschränkung, daß das TVG nur Arbeitsverhältnisse, nicht ·aber die Rechtsbeziehungen zwischen Selbständigen und ihren Auftraggebern erfaßt28 • El'St die Einfügung des 26 Diese Eigenart des geltenden Sozialschutzes wird auch durch den gebräuchlichen Ausdruck: "Netz der sozialen Sicherung" treffend gekennzeichnet. 21 Zur methodologischen Bedeutung der Kategorienbildung im Recht Hübner S.6; zu den praktischen Auswirkungen im Sozialrecht klar Jahn, SGB IV § 7 Rz. 7. 28 Damit korrespondiert, daß Arbeitnehmer nach einhelliger Ansicht keine Unternehmer im Sinne von § 1 GWB sind und deshalb nicht dem Kartellverbot unterfallen; vgl. die Entscheidung des BKartA WuW/E BKartA 502 ff. - Gagenstopabkommen; aus der Literatur: MüHer-Henneberg in GK-GWB § 1 Rz.13; Westrick / Loewenheim § 1 Rz.8; MüHer / Giessler / Scholz § 1 Rz. 43; Langen / Niederleithinger / Schmidt § 1 Rz. 9, 24; Frankfurter Kommentar § 1 Rz.4; Buchner, ZHR 134 (1970) S. 165; Baur, ZHR 134 (1970) S.97 (131 f.); Eich, DB 1973 S. 1699 (1702); Säcker, ZHR 137 (19073) S.455 (466 f.); Arbeitnehmer können aber nach allg. M. außerhalb ihres Arbeitsverhältnisses Unternehmer im Sinne von § 1 GWB sein; vgl. dazu MüHer / Giessler / Scholz aaO.; MüHer-Henneberg in GK-GWB aaO.; Wes trick / Loewenheim
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
§ 12 a in das TVG durch Art. 1 § 1 des Heimarbeitsänderungsgesetzes vom 29. Oktober 197429 hat das Tarifrecht für solche Selbständigen geöffnet, die arbeitnehmerähnliche Personen i. S. der genannten Vorschrift sind, und sie damit insoweit dem Kartellverbot nach § 1 GWB mit seinemumfassenIden Geltungsanspruch entzogen. Abgesehen von dieser Untergruppe sind jedoch selbständige Erwerbstätige als "Unternehmer" grundsätzlich in das GWB einbezogen3o • Schließlich gelten prinzipiell nicht die Regeln des Betriebsver:fiassungs- UIl!d Personalvertretungsrechts. b) Auswirkungen im Sozialrecht
Das primäre Z1el auch des Sozialversicherungsrechts ist der Schutz der abhängig arbeitenden Bevölkerung. Deshalb knüpfen sowohl Versicherungs- als auch Beitragspflicht in sämtlichen Sparten der Sozialversicherung gruI1!dsätzlich an den Begriff der "Beschäftigung" i. S. nichtselbständiger Arbeit an31 • Wie sich aus § 7 Abs. 1 SGB IV ergibt, sind Beschäftigte i. S. des Sozialrechts "insbesondere" Arbeitnehmer. Ohne hier auf die Streitfrage eingehen zU können, ob und inwiefern der sozialrechtliche Begriff des unselbständigen oder abhängigen Beschäftigungsverhältnisses von dem arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitsverhältnisses sachlich abweicht32 , ist somit festzustellen, daß die aaO.; - zum Verhältnis zwischen Kartellrecht und kollektivem Arbeitsrecht vgl. ferner Mathys, passim. 29 BGBl. I S. 2879. 30 Für den Bereich der freien Berufe ist das im Schrifttum heftig umstritten; ein Teil der Literatur will die Angehörigen der freien Berufe generell vom Kartellverbot ausnehmen; so Frankfurter Kommentar § 1 Rz.5; Langen, 3. Auf. § 1 III 2; Spitzbarth, NJW 1954 S. 453 ff.; - für eine generelle Einbeziehung der freien Berufe in § 1 GWB sprechen sich umgekehrt aus: Benkendorff, WuW 1956 S. 20 ff. (26 ff., 30); v. Godin, BB 1958 S.64; wohl auch Langen / Niederleithinger / Schmidt § 1 Rz.I0; - vermittelnd unter Berücksichtigung standesrechtlicher Besonderheiten und mit Abweichungen im einzelnen: Müller / Giessler / Scholz § 1 Hz.46; Langen 4. Auf!. § 1 Rz.6; Müller-Henneberg in GK-GWB § 1 Hz. 18 f.; Westrick / Loewenheim § 1 Rz. 13 ff.; Rittner S. 34 ff.; Harms, NJW 1976 S. 1289 (1294 ff.), alle mit weiteren Nachweisen; vgl. ferner zu diesem Problem R. Schmidt, passim; - die Rspr. bejaht in übereinstimmung mit dem BKartA grundsätzlich die Einbeziehung der freien Berufe in das Kartellverbot von § 1 GWB; Nachweise bei Müller / Giessler / Scholz § 1 Rz.46; zu den kartellrechtlichen Implikationen des § 12 a TVG Stolterfoht, DB 1973 S. 1068 (1074); Lieb, RdA 1974 S. 257 (261 f.). 31 Vg!. § 7 Abs.1 8GB IV; § 165 Abs.2, § 539 Abs. 1 Nr. 1, § 1227 Abs.1 Nr.1 RVO; § 2 Abs.l Nr.l AVG, § 168 Abs.1 AFG; Grüner, SGB IV 1/3 § 7 I, II; Peters § 7 Anm.3; Hauck / Haines, K § 7 Rz.1, 3 ff . ; Wannagat I Zwölfter Abschnitt § 1 S. 308 ff.; Heußner, AuR 1975 S.307 (308); derselbe, RdA 1978 S. 12; - die sozialrechtlichen Begriffe der Beschäftigung und des Beschäftigungsverhältnisses sind termini technici; im Text werden diese Begriffe ansonsten grundsätzlich nicht im technischen Sinn verwendet. 32 Dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 SGB IV nach ist die unselbständige Beschäftigung der weitere Begriff; demnach kann unselbständig Beschäftigter
1. Der freie Mitarbeiter - Begriff, Bedeutung, Problemgruppe
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Zugehörigkeit zur Kategorie der Arbeitnehmer jedenfalls der wichtigste Schlüssel zur Anwendbarkeit des Sozialvel1sicherungsrechts ist33 • Nur einige bestimmte Gruppen von Selbständigen i. S. von § 7 Abs. 1 SGB IV - zu denen allerdings vom 1. 1. 1983 an gerade auch die im Brennpunkt dieser Untersuchung stehenden selbständigen Künstler und Publizisten gehören werden34 - sind in die gesetzliche Kr;anken-, Unfall- oder Rentenversicherung einbezogen35 • Im übrigen haben Selbständige seit der sogenannten Öffnung der Rentenversicherung durch Art. 1 § 1 NI'. 4 des Rentenreformgesetzes vom 16. 10. 19723G die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung37. Anders als die unse~bständig Beschäftigten, bei denen der Arbeitgeber - wie auch in der gesetzlichen Kranken- und der Arbeitslosenversicherung - die Hälfte des Pflichtbeitrags zu tragen hat38 , müssen die freiwillig versicherten Selbständigen aber den vollen Beitrag seLbst aufbringen. im Sinne des Sozialrechts auch ein Nicht-Arbeitnehmer sein - so auch die Amtliche Begründung zu § 7 SGB IV, BT-Drucksache 7/4122 S. 31; dazu steht in Widerspruch, daß das im Arbeitsrecht für den Arbeitnehmerbegriff nach h. M. maßgebende Abgrenzungsmerkmal der persönlichen Abhängigkeit auch im Sozialrecht als entscheidendes Kriterium der unselbständigen Beschäftigung angesehen wird; der Widerspruch mag dadurch abgemildert werden, daß es im Sozialrecht allein auf die faktische, im Arbeits'recht dagegen auf die vertraglich vereinbarte Abhängigkeit ankommt; die Diskrepanz zwischen der arbeitsrechtlichen und der sozialrechtlichen Begriffsbildung zeigt sich insbesondere bei den Heimarbeitern (vgl. § 12 Abs. Z, 2. Halbsatz SGB IV) und den sonstigen arbeitnehmerähnlichen Personen; letztere werden von der sozialrechtlichen Rechtsprechung und Literatur den (unselbständig und) unständig Beschäftigten nach § 441 Nr.1 RVO zugeordnet; vgl. zum Ganzen Seiter in BSG-Festschrift S. 515 ff.; Hauck / Haines K § 7 Rz.9; Peters § 7 Anm.3; Grüner SGB IV 1/3 § 7 II 3, 5; Heußner, RdA 1976 S. 12 (13 f.) - alle mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BSG; BSG SozR Nr. 71 zu § 165 RVO; BSG 5mB. Nr. 8 zu § 441 RVO = BSGE 36, 262 (263 ff.); BSG BB 1974, 233. 33 Für eine einheitliche Verwendung des Arbeitnehmerbegriffs im Arbeitsund Sozialrecht Wannagat I Achter Abschnitt § 4 S.204; Krause-Ablaß, ZfSozialreform 1972 S.323 (326); Ostheim S.30; im Ergebnis auch Seiter (Fn. 32); ebenso BSGE (GS) 37, 10 ff.; BSGE 33, 254; - dagegen Mayer-Maly, Erwerbsabsicht, S. 11 und de lege ferenda Fe~dmann, RuF 1972 S. 41 (45) . .14 Am 1. 1. 1983 wird das KSVG vom 27. Juli 1981 BGBl. I S. 705 - in Kraft treten, das selbständige Künstler und Publizisten in die Rentenversicherung der Angestellten und die gesetzliche Krankenversicherung einbezieht - vgl. § 1 KSVG; lediglich der die Errichtung der Künstlersozialkasse betreffende Zweite Teil des Gesetzes sowie zwei weitere, hier nicht interessierende Einzelbestimmungen sind am Tage nach der Verkündung in Kraft getreten - vgl. § 61 KSVG; - das KSVG ist zuvor zweimal im Gesetzgebungsverfahren steckengeblieben; dazu Schulte, ZRP 1980 S.ll. 35 Vgl. § 166, § 539 Abs.1 Nr. 2 ff . , § 1227 Nr. 3, 4, 9 RVO, § 2 Nr. 3 ff. AVG, § 2 KVLG; dazu Krause-Ablaß, ZfSozialreform 1972 S.323 (3,24). 36 BGBl. I S. 1965. 37 Vgl. § 1233 RVO, § 10 A VG. 38 Vgl. §§ 380 f., 1396 f. RVO, §§ 118 f. AVG, § 167 AFG; anders für die Unfallversicherung, in der nach § 723 RVO allein der Arbeitgeber beitragspflichtig ist; das Prinzip der Teilung des Beitragsaufkommens ist auch im neuen 3 Rosenfelder
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
c) Auswirkungen im Steuerrecht
Hier sollen nur die prakUsch bedeutsamsten Folgen der Selbständigkeiterwähnt werden: Die Einkommensteuer wird nach § 38 Abs. 1 EStG nur bei Arbeitnehmern durch Abzrug vom Arbeitslohn als Lohnsteuer erhoben. Ferner werden Arbeitnehmer nach § 1 Abs.1 UStG hinsichtlich ihrer Arbeitsleistung nicht zur Umsatzsteuer herangezogen. Dagegen unterfallen Selbständige grundsätzlich der Umsatzsteuerpflicht39 • Schließlich sind Arbeitnehmer nicht gewerbesteuerpflichttg. d) Sonderstellung der arbeitnehmer-
ähnlichen freien Mitarbeiter Zwischen den Selbständig'en und den Arbeitnehmern steht eine Gruppe von Beschäftigten, die zwar Nicht-Arbeitnehmer sind, auf die jedoch kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordruung ausnahmsweise arbeitsrechtliche Normen Anwendung finden. Es handelt sich dabei um die sogenannten arbeitnehmerähnlichen Personen. Zur arbeitsrechtlichen Stellung dieser Beschäftigten ist ,auf die Ausführungen im 5. Kapitel zu verweisen40 • Eine Sonderstellung haben arbeitnehmerähnliche Personen auch im Sozialrecht. Nach § 12 Abs. 2 SGB IV gelten Heimarbeiter und die übrigen dort genannten Personen ,aIs Beschäftigte im sooialversicherungsrechtlichen Sinn mit der Folge, daß sie in die gesetzliche Sozialversicherung grundsätzlich 'einbezogen sind. Im übrigen folgt ,aus der ~assung des § 7 SGB IV, daß je nach Gestaltung ihrer Tätigkeit auch andere arbeitnehmer ähnliche Personen den ungeschmälerten Schutz des Sozialrechts genießen, vomusgesetzt, daß im konkreten ~all die Merkmale des (sozialversicherungsrechtlichen) Beschäftigungsverhältnisses erfüllt sind41 • Im Steuerrecht hat der Begriff der arbeitnehmerähnlichen Person keine Bedwtung.
KSVG (s. o. Fn.34) beibehalten - vgI. § 10 KSVG, wonach die Mittel je zur Hälfte durch Beitragsanteile der Versicherten und durch die Künstlersozialabgabe der Auftraggeber bzw. Zuschuß des Bundes aufgebracht werden. 39 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980; zu den umsatzsteuerrechtlichen Steuerbefreiungen vgI. §§ 4 ff. UStG 19,80. 40 s. u. 5. Kapitel r. 1. a). 41 s. o. Fn. 32; vgl. außerdem die Amtliche Begründung zu § 7 SGB IV, BTDrucks'ache 7/4122 S.31, abgedruckt auch bei Zacher D IV 1 S. 65 ff.
I. Der freie Mitarbeiter -
Begriff, Bedeutung, Problem gruppe
35
3. Die ständigen freien Mitarbeiter der Rundfunkanstalten als Hauptproblemgruppe
Allgemein üblich ist die Verwendung des Begriffs des freien Mitarbeiters, wenn es um Tätigkeiten g,eistiger Natur ,geht42 . So werden etwa Personen, die typische freiberufliche Dienste über eine gewisse Zeit hinweg für bestimmte Auftraggeber leisten, z. B. Rechtsanwälte, Ärzte, Zahnärzte, Architekten, oft als freie Mitarbeiter bezeichnet. Sein eigentliches Anwendungsfe1d hat der Begriff ,aber im Bereich der künstlerischen und publizistischen - schriftstellerischen und journalistischen - Tätigkeiten und Berufe. Mit dem Begriff des freien Mitarbeiters werden also in erster Linie Beschäftigte in den sogenannten KultuI1berufen43 , d. h. die 'in den zwan21iger Jahren ,als "geistige Arbeiter"44 bezeichneten Personen, in Zusammenhang gebracht. Es überrascht daher nicht, daß sich die auf rechtsdogmatischem wie rechtspolitischem Gebiet geführte Kontroverse um die Integr,ation der freien Mitarbeiter in die arbeitsrechtliche Schutzrechtsordnung :nast ausschließlich auf die Angehörig,en der Kulturberufe bezieht. Das zeigt auch bereits ein flüchtiger Blick auf die Rechtsprechung des BAG 2lur A:bgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs seit Beginn der siebziger Jahre. Die vom BAG entschiedenen Fälle 'betreffen fast ausschließlich ffleie Mitarbeiter in den Kulturberufen. Die neu aufgebrochene Krise des Arbeitnehmerbegriffs ist so gesehen eine Folge der nicht geg,1ückten sozialen Integration der "Geistesarbeiter".
Diese Feststellungen bedürfen jedoch einer gewichtigen Einschränkung. Sie treffen nicht zu auf die weitaus überwiegende Mehrzahl der sogenannten gelegentlichen freien Mitarbeiter'5. Das sind diejenigen Personen, die nur einmal oder hin und wieder, jedenfalls selten und zumeist unregelmäßig für einen bestimmten Auftraggeber tätig werden. Beispiele für diesen Typ des freien Mitarbeiters sind der Wissenschaftler, der für eine Rundfunk- oder Fernsehsendung einen Beitrag liefert, der DorfschuUehrer, der ,ab und 2lU für den Lokalteil der Tages42 Nur selten wird der Begriff des freien Mitarbeiters bei kaufmännischen und gewerblichen Tätigkeiten verwendet. 43 Eine übersicht über die dazu gehörenden Berufe findet sich bei Fohrbeck / Wiesand / Wottereck, Anhang Dokument 1 S. 432 f. 44 So Melsbach S. 24 f.; Sinzheimer S.30; Silberschmidt, LZ 1927 S.286 (287). 45 Zur Differenzierung zwischen gelegentlicher und ständiger freier Mitarbeit vor allem im Bereich von Hörfunk und Fernsehen Dannenhaus / Riepenhausen S.l1 f.; Lewenton, FuR 1966 S.280 (288); Kunze S. 58 ff.; Buhl S. 8 ff., 22 ff.; Utthof / Deetz / Brandhofe / Näh, Tabellen 8 und 9 S.36f., differenzieren nach "gelegentlichen", "häufigen" und "ständigen" freien Mitarbeitern, wobei Einteilungskriterium die Gesamthonorarsumme des betreffendes Mitarbeiters pro Jahr ist.
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1. Kap.:
Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
zeitung über aktuelle Ereignisse in seiner Gemeinde berichtet oder der Autor, der in einer Hörfunksendung aus seinen Werken vorträgt. Nicht selten erfolgt die Mitwirlmmg in diesen Fällen unentgeltlich. Diese Gruppe ist für die hier ,gestellte Grundfrage uninteressant, weil die wirtschaftliche und so:m,ale StelLung der Betroffenen meist durch einen Hauptberuf und nicht die freie Mitarbeit geprägt wird. Das Problem des sozialen Schutzes durch das Arbeits-, aber auch das Sozialrecht stellt sich in der Pvaxis evst dann, wenn sich die Zusammenarbeit verfestigt und der Betreffende von einem oder einigen wenigen Auftraggebern wegen der sich über längere Zeit hinziehenden häufigen Auftragserteilung existentiell abhängig wird; die Mitarbeit erfolgt dann in aller Regel nicht mehr lediglich nebenberufli.ch. Verdichten sich die Beziehungen f,aktisch zur ständigen und regelmäßigen Zusammenarbeit, so spricht man von "ständiger freier Mitavbeit"46. Die in dieser Weise beschäftigten Personen bilden die eigentliche Problemgruppe, auf die sich die aktuelle rechtspolitische Diskussion47 und das Interesse des Gesetzgeber:s48 konzentrieren. Besonders auffallend ist das häufige Vorkommen dieses Typs des freien Mitarbeiters im Bereich von Hörfunk und Fernsehen. In anderen Medien - Film, Bühne, Presse - spielt er dagegen eine geringere oder gar keine RoHe49 . In diesen Bereichen gelten die ständigen freien Mitarbeiter deshalb auch nicht alsrechtstatsächliche Problemkategorie. Beim Film mag das davan liegen, daß der Arbeitnehmevstatus der Filmschaffenden, auch wenn sie wie meist aufgrund sehr kurzzeitig befristeter Verträ'ge tätig Sind50 , 'seit jeher anermannt ist51 • Auch im Bereich des Theaters ist der Typ des ständigen freien Mitarbeiters 46 s. Fn.45. 47 s. u. IIr. 48 Belege hierfür sind: die Schaffung des § 12 a TVG durch Art. 2 § 1 des Heimarbeitsänderungsgesetzes; der Künstlerbericht der Bundesregierung für den Bundestag, BT-Drucksache 7/3071 (Grundauswertung: Fohrbeck 1 Wiesand, Künstlerreport); der im Auftrag des Bundestags erstattete Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des § 12 a Tarifvertragsgesetz (Artikel II § 1 des Heimarbeitsänderungsgesetzes) - abgedruckt in RdA 1978 S. 42 ff. -; das nach zweimaligem vergeblichem Anlauf zustandegekommene KSVG vom 27.7.1981, BGBl. r S.705 (s. o. Fn.34); schließlich die vom Bundesminister des Innern vorgelegte übersicht über die Verbesserung der beruflichen und sozialen Lage der Künstler und Publizisten; dazu Schutte, ZRP 1980 S. 11 ff. 49 Zum folgenden ausführlich Buhl S. 95 ff. 50 Buhl S. 95 legt unter Berufung auf Quellen der RFFU - die Zahl von weniger als 5 Ufo festangestellten Arbeitnehmern in diesem Bereich zugrunde. 51 Vgl. Lewenton, FuR 1006 S.280 (285); Buhl S. 95; zur Diskussion um den Status des Spitzenfilmdars'tellers G. MüHer, UFITA Bd.28 (1959) S. 134 ff. einerseits (keine Arbeitnehmer), Herschel, UFITA Bd.36 (1962) S. 115 ff. andererseits (Arbeitnehmer); wie Herschel auch Lieb, RdA 1974, 257 (260) und RdA 1977, 210 (213).
I. Der freie Mitarbeiter - Begriff, Bedeutung, Problemgruppe
37
ohne Bedeutung. Hier besteht das technische Personal überwiegend aus festangestellten Arbeitnehmern; im künstlerischen Bereich findet sich der befristete Arbeitsvertrag als allgemein anerkannte Rechtsform52 , auf die sich im übrigen auch detaillierte tarifvertl1agHche Rege}ungen beziehen. Bei der Presse schließlich spielt der ständige freie Mitarbeiter eine gewisse Rolle, etwa als regelmäßig,er wissenschaftlicher oder künstlerischer Berater, Autor einer Gastkolumne oder Korrespondent. Aber auch in diesem Bereich wird ständige freie Mitarbeit häufig nebenberuflich erbracht53 • Bei Hörfunk und Fernsehen dagegen haben die ungeheure Spannweite der ProgrammaufgaJben und der bei ihrer technischen Realisierung anfallenden Tätigkeiten, die Abhängigkeit von immer neuen kreativen Anstößen von außen und die daraus folgende Notwendigkeit der Nutzung eines breiten Spektrums hochspezialisierter Kräfte54 zur HerausbiLdung einer starken Gruppe von nicht als Arbeitnehmer festangestellten ständigen freien Mitarbeitern geführt. Freilich bilden die ständigen freien Mitarbeiter der Rundfunkanstalten im Verhältnis zu den Festangestellten, vor allem 'aber den gelegentlichen freien Mitarbeitern eine vergleichsweise kleine G.mppe. Ihre Bedeutung für Hörfunk und Fernsehen kommt aber in diesem ZahlenverhäUnis nur unvollkommen zum Ausdruck: Seit dem Jahre 1967 bis in jüngere Zeit wUl'de immer wieder die Gesamt7)ahl von 100000 "Freien"im Bereich von Hörfunk und Fernsehen kolportiert, von denen nach Angaben von ARD und ZDF zu Anfang der siebzig er Jahre etwa 2500 bis 3000 ständig beschäftigt waren, davon etwa 50 Ofo nur bei einer, 30 Ofo bei zwei bis drei und 20 Ofo bei mehr als drei Anstalten. Andere - ebenfalls nicht exakt tundierte - Angaben gehen von der etwas höheren Arwahl von 3000 bis 4000 ständ1gen freien Rundfunkmitarbeitern aus55 • Genauer belegte Zahlen finden sich bei Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh 56 , die für das Hurst, RdA 19'52 S. 455 ff.; M. Rehbinder, RdA 1971 S. 211 ff. Nach Erhebungen des IfP betrug im Jahr 1975 der Anteil von Zeitungsverlagen, die 10 und mehr ständige freie Mitarbeiter in der Form des sogenannten Pauschalisten beschäftigten, immerhin 35 Ufo; vgl. Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.40 Fn.73; der sogenannte Pauschalist erhält ein monatliches Fixum, wird aber nicht auf der Grundlage von (unbefristeten oder befristeten) Arbeitsverträgen beschäftigt; zu dieser Kategorie Kunze S.58; vgl. auch Lewenton, FuR 1966 S. 280 (288 f.). 54 v. Sell S.39, 42 ff.; Dannenhaus / Riepenhausen S. 7, 9 f.; vgl. auch Ossenbühl S. 22 ff. und öfter; Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 143 f., 149 ff.; Buhl S. 11; Scharf, RdA 1978 S. 20 (21); ausführlich unter Angabe von Beispielen aus der Praxis Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S. 75 f., 96 ff. 55 Dazu Dannenhaus / Riepenhausen S. 11; v. Sell S.47; Kunze S. 56; Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 41; Buhl S. 9. 56 S.1, 35 ff. und dort Tabellen 7 - 11, die die Jahre 1973 - 1978 umiassen. 52
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
Jahr 1978 eine Gesamtzahl von knapp 83000 "Freien" bei der ARD (und etwa 90 000 bei ARD und ZDF zusammen) nennen; davon rechnen sie nicht ganz 2300 zu den ständigen freien Mitarbeitern. Diesen standen im Jahre 1978 im Bereich der ARD etwas mehr als 20000 festangestellte Mitarbeiter gegenüber5 7 • Nach Angaben von vier ARDAnstalten betrug alleI1dings im Jahre 1975 der Anteil der ständigen freien Mitarbeiter an der Gesamtheit der im redaktionellen Bereich tätigen Journalisten durchschnittlich 33 0f058. Das wahre Gewicht der ständigen freien Mitarbeit wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, daß - nach Schätzungen, die auf Ermitt1ungen des WDR in der ersten Hälfte dersiebz,iger Jahre beruhen - die ständigen "Freien" etwa ein Drittel der Z,ahl der durch Honorar abgegoltenen Aufträge auf sich vereinigtens9 • Da die in der Einleitung erwähnte Prozeßwelle60 im wesentlichen den ständigen freien Mitarbeitern der Rundfunkanstalten zuzuschreiben ist, könnte man daran denken, die vorliegende Untersuchung von vornherein auf diesen Personen kreis 2JU beschränken. Weil sich die eingangs der Arbeit aufgeworfene Problematik in der Praxis jedoch immer wieder auch bei freien Mitarbeitern in anderen Bereichen stellt, erscheint es nicht angebracht, eine solche strikte personelle Beschränkung vorzunehmen. Dem Ziel der Untersuchung, universell verwendbare materielle KI1iterien des Arbeitnehmerbegriffs zu entwickeln, ist mit einem in persönlicher Hinsicht offenen Ansatz mehr gedient. Außerdem ist die soz1ale Problematik der ständigen freien Mitarbeit bei Hörfunk und Fernsehen teils gezielt, teils ungewollt durch eine kräftige Reduzierung der Zahl der "festen Freien" entschärft worden: Zum einen wurde im Gefolge der erwähnten Pmzeßwelle ein beträchtlicher Teil der ständigen freien Mitarbeiter auf neugeschaffenen Planstellen fest angestellt61 • Zum anderen versuchen die meisten Anstalten, 57 Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S. 78 und dort Tabelle 15 sowie Anlage 29 S. 199; - faßt man die bei Buhl S. 10 für ARD und ZDF wiedergegebenen Zahlen zusammen, so kommt man für das Jahr 1972 auf etwa 19400 Festangestellte bei ARD und ZDF insgesamt. 58 Nach Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.41 Fn.75; der Umstand, daß sich zwischen diesen vier Anstalten in bezug auf den Anteil der ständigen freien Mitarbeiter eine Schwankungsbreite zwischen 23 Ofo und 105 % ergab, ist ein deutlicher Beleg für die Schwierigkeiten bei der rechtlichen Einordnung dieser Beschäftigten. 59 Nach v. SeU S.47; vgl. auch Buhl S. 11 f.; nach Berechnungen von Utthoff / Deetz / Brandhofe INöh S. 114 f. und dort Tabelle 19 sowie Anlagen 30, 31 S. 200 haben die ständigen freien Mitarbeiter, die beim WDR im Jahre 1973 nur 3,6 Ofo und im Jahre 1978 nur 2,2 Ofo aller freien Mitarbeiter ausgemacht hätten, 26,5 Ofo bzw. 32,4 Ofo der Jahres-Gesamthonorarsummen für sämtliche "Freien" auf sich vereint. 60 s. o. Einleitung, zu L und dort Fn. 9. '61 Fohrbeck / Wiesand / Wortereck nennen für die Jahre zwischen 1972 und 1975 allein im Bereich des NDR' die Zahl von 200 Posdtionen; nach Utthoff /
1. Der freie Mitarbeiter -
Begriff, Bedeutung, Problemgruppe
39
ebenfalls als Reaktion auf die für sie ungünstig verlaJUfende Prozeßwelle, durch Beschränkung der wiederholten oder gar ständigen Beschäftigung freier Mitarbeiter ein "Nachwachsen" festanstellungsverdächtiger Beschäftigter zu verhindern62 • Dazu bedient man sich verschiedenartiger, mehr oder wen1ger restriktiver Verwaltungsregeln, die als sogenannte Prognose oder prognoseähnliche Verfahren beim WDR und NDR offenbar am weitesten entwickelt sind; durch solche Verfahren soll die Auf.ac1dierung der einzelnen Aufträge zur ständigen Beschäftigung unmöglich gemacht werden1J3 • Dieser "Türschlageffekt"64 wird schließlich verstärkt durch die seit dem Jahr 1974 praktizierten Sparmaßnahmen der Anstalten65 • Dabei wurde vor allem die Zahl der Eigenproduktionen reduziert, die üblicherweise zu einem erheblichen Teil von den "Freien" mitgestaltet wel1den61J • Insgesamt dürfte sich mittlerweile die noch im Jahre 1976 geschätzte Zahl von mindestens 1000, höchstens 2000 Rundf,unkmitarbeitern, die für eine Festanstellung in Betracht kommen67 , erheblich verkleinert haben. Gleichwohl ist die "Austrocknung" der freien Mitarbeit bei Hörfunk und Fernsehen gerade dann keine zufriedenstellende und endgültige Lösung, wenn man das Vorbringen der Anstalten ernstnimmt, die freie Deetz I Brandhofe I Näh S.8 und dort Tabelle 1 sind im Zeitraum 1973 bis 1978 im Bereich der ARD insgesamt 977 freie Mitarbeiter im Wege der freiwilligen übernahme bzw. der übernahme durch sogenannte Bereinigungsverfahren als Festangestellte übernommen worden. 62 So vor allem der WDR vgl. die Mitteilung in Hörfunk, Fernsehen, Film, Oktober 1977 S. 1,8 -; das ZDF - vgl. das Interview mit dem Intendanten v. Hase in Hörfunk, Fernsehen, Film, August 1977 S. 15; der NDR vgl. die Dienstanweisung für die Beschäftigung "Freier Mitarbeiter" des NDR vom 1. 10. 1977, mitgeteilt in Hörfunk, Fernsehen, Film, Oktober 1977, Umschlagblatt; vgl. ferner die bei Fohrbeck I Wiesand I Woltereck, Anhang Dokument 3 und 4 S. 437 ff., 439 ff. abgedruckten Dienstanweisungen; eine detailliertere übersicht über die Wechselwirkung zwischen der Entwicklung der BAG-Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff und den administrativen Reaktionen der Anstalten geben Utthoff I Deetz I Brandhofe I Näh S. 9' ff. 63 s. o. Fn.62; eine genaue Darstellung des Prognoseverfahrens beim WDR findet sich bei Utthoff I Deetz I Brandhofe I Näh, Anlage 4 S. 169 ff.; zu den Unterschieden zwischen den einzelnen ARD-Anstalten, insbesondere dem Gefälle zwischen dem "härteren" Norden und dem "weicheren" Süden und den Gründen hierfür s. ebendort S. 13 f.; vgl. auch M ostard I WiHemsen, RdA 1978 S. 26 (27, linke Sp. u.). 64 Mostard I WiHemsen (Fn. 63). 65 Dazu Fohrbeck I Wiesand I Woltereck S. 139 ff. 66 Zum Ausgleich greifen die Anstalten seitdem verstärkt auf Wiederholungssendungen, Ankäufe von Fremdproduktionen - z. T. von faktisch abhängigen Produktionsgesellschaften - sowie im Rundfunk auf verstärkten Schallplatteneinsatz zurück; dazu Buhl S.32 unter Bezugnahme auf Fohrbeck I Wiesand (Künstler-Report) S. 180 ff.; zum Verhältnis Eigenproduktion - andere Produktionsformen und der Bedeutung der freien Mitarbeiter hierbei vgl. Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S. 71 ff., 74 und Anlagen 20, 21 S.190 f. 67 Nach Fohrbeck I Wiesand I Woltereck S.44 Fn.76.
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1.
Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
Mitarbeit sei wegen ihrer Systernnotwendigkeit für die Erfüllung des Rundfunkauftmgs verfassungsrechtlich geboten. Deshalb erscheint es nach wie vor berechtigt, die ständigen freien Mitarbeiter der Sender als die paradigmatische Problemgruppe von Beschäftigten in der Grauzone zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit in den Mittelpunkt einer Untersuchung zu stellen, die sich mit der Entwicklung eines materiell aussagekräftigen, auch in Grenzfällen verwendbaren Arbeitnehmerbegriffs befaßt.
11. Rechtstatsächliche Besonderheiten der freien Mitarbeit im Kulturbereich Das Problem der stär~eren sozialen Absicherung der in den Kulturberufen tätigen freien Mitarbeiter wird nicht zuletzt deshalb aLs besonders dringendes sozialpolitisches Anliegen bewertet68 , weil es für diesen Bereich, veranlaßt durch die seit längerem von den Betroffenen mit Nachdruck vorgebrachten Forderungen69 , umfangreiche und detaillierte empirische Untersuchungen gibt7°, die den gesellschaftlichen Hintergrund der Leistung freier Mitarbeit aufhellen. Diese Untersuchungen haben ein facettenreiches Bild von Rechtstatsachen ergeben, das vor allem eine 'erhebliche wirtschaftliche Schwäche, eine ungünstige Vertragssituation sowie eine große UllISi.cherheit über den beruflichen Status erkennen läßt. Insg,esamt erwecken die vorliegenden sozialwissenschaftlichen .Erhebungen den Gesamteindruck der sozialen Untersicherung, gemessen am Bevölke11Ull.gsdurchschnitt. Dieses Bild soll hier nicht im einzelnen nachgezeichnet werden. Insoweit ,ist auf die erwähnten Publikationen zu verweisen, in denen die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen zusammengestellt und aufbereitet 'sind71 • An dieser Stelle können nur ein überblick gegeben und Schwerpunkte herausgestellt werden.
68 Vgl. außer den Angaben in Fn. 48 die Dokumentation über die Initiativen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Verbeserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der künSltlerischen Berufe in der ersten Hälfte der 8. Legislaturperiode, Arbeitskreis VI für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie der CDU/CSU-BundeSltagsfraktion, Bonn 1979. 69 Dazu ausführlich FohTbeck / Wiesand / WolteTeck S. 139 ff.; s. u. IH. 2. 70 Angaben hierzu s. o. Einleitung Fn. 1. 71 Wie Fn.70, ferner Buhl S. 23 ff.; nach einer Meldung der SZ vom 13.6. 1980 S.12 über ein vom kulturpolitischen Ausschuß des bayerischen Landtags durchgeführtes Hearing treffen die Ergebnisse des Künstler-Reports, wonach gerade ein Drittel der freischaffenden Künstler von ihrer Arbeit leben können, immer noch zu.
H. Rechtstatsäch1iche Besonderheiten im Kulturbereich
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1. Wirtschaftliche Schwäche und wirtschaftliche Abhängigkeit
Besonders auffallend ist zunächst die durchschnittliche allgemeine wirtschaftliche Schwäche der "Freien" im Kulturbereich, zu der bei einem erheblichen Teil dieser Personengruppe eine wirtschaftliche Abhängigkeit von einem bestimmten Partner hinZlukommt.
a) Wirtschaftliche Schwäche Besonders augenfällig ist die Einkommensschwäche der freien Mitarbeiter in den Kulturberufen. In keiner der drei von der KünstlerEnquete72 erfaßten Sparten - Musikschaffende, bildende Künstler, Darsteller und Realisatoren - lagen das Gesamteinkommen oder das künstlerische Einkommen der "Freien" pro Jahr erheblich über den entsprechenden Einkommen vergleichbarer Arbeitnehmer 73 • Im Gegenteil: Die Musikschaffenden und bHdenden Künstler veIdienten im Durchschnitt weniger; nur bei den Darstellern und Realisatoren überstieg das durchschnittliche künstlerische Einkommen der "Freien" leicht dasjenige der unselbständig Beschäftigten74 . Bei den Autoren ist die Situation der Autoren-Enquete zufolge für die Selbständigen75 noch ungünstiger als bei den übrigen freien Mitarbeitern in den Kulturberufen. Das wiegt um so schwerer, als die selbständigen Mitarbeiter durch Eigenvorsorge die alLgemeinen Lebensris1ken weitgehend selbst abdecken müssen76 • Ob die freien Mitarbeiter dementsprechend höhere Einzelvergütungen erhalten, erscheint angesichts der vorliegenden Zahlen zumindest zweifelhaft77 • Aber auch wo das der Fall ist, gibt es Mittel und Wege, um zu verhindern, Idaß "die Bäume der ,Freien' in den Himmel wachsen"78. In den Anstalten scheinen interne Honorarlisten geführt zu weIden, mit deren Hilfe die Auftragsvergabe an freie Mitarbeiter so gesteuert wird, daß diese nicht erheblich mehr verdienen als vergleichbare Festangestellte79 . 72 Grundauswertung: Fohrbeck / Wiesand, Künstler-Report; Kurzfassung: Künstlerbericht der Bundesregierung, BT-Drucksache 7/3071. 73 Anknüpfungspunkt der Differenzierung zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen war in der Künstler-Enquete die steuerliche Behandlung, die sich mit der arbeits- und der sozialrechtlichen Einordnung nicht decken muß; vgl. dazu u. 3.; das bedeutet, daß im Regelfall die Einschätzung durch den Auftraggeber faktisch ausschlaggebend war; der AusSlagegehalt der empirischen Erhebungen wird dadurch nach Fohrbeck / Wiesand / WoUereck 8.70 ff. nur geringfügig geschmälert. 74 Angaben bei Fohrbeck / Wiesand / Woltereck, Anhang Tabelle 12 a 8.453. 75 Angaben bei Fohrbeck / Wiesand / Woltereck 8.136. 76 s. o. 1. 2. 77 Für den Bereich von Hörfunk und Fernsehen bejaht das Scharf, RdA 1978 8.20 (23); zweifelnd Kunze 8.59; vgI. auch Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh 8.13 f. 78 So eine Formulierung von Woltereck, AuR 1973 S. 129.
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
Zu der Einkommensschwäche kommt den ErgebniJssen der KünstlerEnquete zufolge eine überproportionale Unregelmäßigkeit des Einkommens hinzu, die sich insbesondere in ständigen Einkommensschwankungen und in einem relativ häufigen (fast) völligen Vendienstausfall !aus künstlerischer Tätigkeit für mehrere Monate äußert8o • Schließlich sind die selbständig beschäftigten Angehörigen der KultUl'berufe bislang 'gegen Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit wesentlich schlechter geschützt als der Bevölkerungsdurchschnitt. So sind nur etwa drei Fünftel der Freischaffenden in diesem Bereich in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert8 1, bei den Autoren und Publizisten beträgt der Anteil der gesetzlich Versicherten nur etwa ein Viertel, derjenige der privat Versicherten ca. ein Drittel82 • Es wird geschätzt, daß rund 7000 freie Mitarbeiter im Kulturbereich keine Altersversongung haben 83 • Gerade im Bereich der Sichevung gegen Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit schlagen die durch eine hohe berufliche Mobilität84 begünstigten Unregelmäßigkeiten des Einkommens negativ zu Buche85 • Abschließend sei bemerkt, daß im Bereich der Rundfunkanstalten im vergangenen JiahrZlehnt eine Reihe sozialer Verbesserungen für freie Mitarbeiter verwirklicht wurden, die zum Teil schon ~u einer spürbaren Entschärfung der sozialen Problematik geführt haben. So wurden z. B. die Honorare kräftig erhöht86 , wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß insoweit wegen der lange Zeit stagnierenden Entwicklung ein immenser Nachholbedarf bestand87 • Außerdem ist in diesem Zusammenhang die Einrichtung der "Pensionskasse für freie Mitarbeiter aller Rundfunkanstalten" zu erwähnen88 • Für die Steige79 So WoUereck (Fn.78); ferner Kunze S.60; BuhL S.28; Kunze und Buhl weisen auf den "Futterneid" der festangestellten, sogenannten "kleinen Chefs" hin. 80 Nach Fohrbeck! Wiesand ! Woltereck, Anhang Tabelle 12 b S.454. 81 Nach Fohrbeck! Wiesand ! Woltereck S. 162; zur Einbeziehung der selbständigen Künstler und Publizisten in die Rentenversicherung der Angestellten und die gesetzliche Krankenversicherung s. o. Fn. 34, 38. 82 Nach Fohrbeck! Wiesand ! WoUereck S. 136. 83 Nach Fohrbeck! Wiesand ! WoUereck S. 162; dort wird darauf hingewiesen, daß auch insoweit, als Versicherungsschutz besteht, wegen geringer oder unregelmäßiger Beitragsleistungen oft nur mit Kleinrenten zu rechnen ist. 84 Dazu Fohrbeck! Wiesand ! WoUereck, Anhang Tabelle 15 S. 457 f. und (für die Autoren) S. 111 ff. 85 Ebenso SchuUe, ZRP 1980 S. 11 (12). 86 Angaben hierzu bei Scharf. RdA 1978 S. 20 (23) und Buhl S. 28 ff.; vgl. auch Utthoff! Deetz! Brandhofe ! Nöh S. 13 f. 87 Dazu Buhl S. 28 ff. 88 Dazu Buhl S. 89 f.; Scharf. RdA 1978 S.20 (23); problematisch ist aber insoweit noch die sogenannte Altlast derjenigen Personen, die im Zeitpunkt der Gründung der Pens'ionskasse schon zu alt für die Erlangung der Versorgung waren; dazu Schufte, ZRP 1980 S. 11 (14).
II. Rechtstatsächliche Besonderheiten im Kulturbereich
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rung der sozialen Leistungen der ARD an freie Mitarbeiter von 1969 bis 1975 wird die Zahl von 384 Ofo genannt89 • Weitere Verbesserungen sind im Gefolge von Tarifvertragsabschlüssen nach § 12 a TVG zu erwarten. b) Wirtschaftliche Abhängigkeit
Die Erhebungen der Künstler-Enquete90 haben el'1geben, daß ein Drittel der freien Mitarbeiter im Kulturbereich mehr als die Hälfte des jeweiligen Arbeitseinkommens von einem Auftraggeber bezog. Etwa ein Fünftel der "Freien" war zu mehr als zwei Dritteln von einem Partner einkommensmäßig abhängtg. Knapp ein Zehntel bezog die Arbeitseinkünfte von zwei bis drei Vertragspartnern. Besonders intensiv ist dte wirtschaftliche .A!bhängigkeit von freien Mitarbeitern u. a. bei den Darstellern/Realisatoren, die bei öffentlichen Bühnen und Rundfunkanstalten beschäfttgt sind91 • 2. Ungünstige Vertragssituation
Die im vorstehenden Abschnitt skizzierte schlechte wirtschaftliche und soziale Lage des durchschnittlichen freien Mitarbeitern in den Kulturberufen äußert sich im Einzelfall häufig darin, daß es sich der Betroffene nicht leisten kann, Aufträge abzulehnen92 • Verstärkt wird diese Zwangslage vielfach durch die Furcht, im Falle der Ablehnung in Zukunft nicht mehr berücksichti,gt zu werden. Für die große Zahl derjenigen "Freien", die mehr oder weniger wirtsch,aftlich abhängig sind, bedeutet das den Verlust einer Haupterwerbsquelle, der sie um so härter trifft, als sie von der Marktstruktur nicht eben begünstigt werden. Vor aHem im Bereich von Hörfunk und Fernsehen stehen einer großen Zahl von freien Mitarbeitern auf der Anbieterseite vergleichsweise wenige Anstalten als N achfrager gegenüber. Es verwundert deshalb nicht, daß die oltgopol- oder monopolartige Stellung der Sender93 gegenüber vielen ihrer - vor allem ständigen - freien Mitarbeiter in der Literatur als wesentliche Ursache für die schlechte vertragliche Ausgangsposition genannt wird94 • Wegen der oligopolistischen Struk89 So Scharf, RdA 1978 S. 20 (23), der Justitiar und stellvertretende Intendant des BR. 90 Nach Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 94 ff. und Tabelle 12. 91 So Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.98. 92 So Kunze S. 59; Buhl S. 23 f. 93 Es handelt sich streng genommen um ein OligopSIOn oder Monopson (Nachfrageoligopol und -monopol); zu den Marktformen im Sinne der Nationalökonomie vgl. etwa v. Beckerath VII, Stichwort "Marktformen", S. 136 ff. 94 Woltereck, AuR 1973 S.129; Kunie S. 59 f.; Maus, Rd:A 1968 S.367 (368); Dannenhaus / Riepenhausen S. 40 f. zitieren Deneke, Die freien Berufe, nach
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
tur des Marktes, verstärkt durch marktverengende Kooperationsformen im Stile eines Kartells95 sowie die oben erwähnten Sparmaßnahmen 98 , funktioniere das freie Spiel von Angebot und Nachfrage nur selten. Als Gradmesser für die schwache Vertragssituation der freien Mitarbeiter insbesondere im Rundfunkbereich wiI'd im Schrifttum das F'ehlen von Einfiußmöglichkeiten bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Vertri1ge ,angesehen97 • Der freie Mitarbeiter müsse seine Vertragsbedingungen selbst mitbestimmen können, wäre er wirklich frei9s • Es kann hier nicht auf das umstrittene Phänomen der Störung des Kräftegleichgewichts und seine Ursächlichkeit für eine materielle Unrichtigkeit des Vertrags eingegangen wel1den". Insbesondere würde es ~u weit führen, an dieser Stelle zu erörtern, ob überhaupt und inwieweit ein Ursachen zusammenhang zwischen der j'ewemgen Marktverfassung, der Vertragsparität, der Vertragsinhaltsfreiheit und der Verwirklichung von Vertragsgerechtigkeit - der "materialen Richtigkeitsgewähr" des Vertrags100 bestehtt01 • Schließlich muß dahingestellt bierben, ob es berechtigt ist, davon zu sprechen, daß eine wirkliche oder materielle Vertragsfreiheitl02 im Sinne der Freiheit inhaltdessen Ans,icht der Status des freien Mitarbeiters oft nur als Vorhof der erstrebten Arbeitnehmerstellung empfunden wird. 95 Dazu Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.210; Buhl S.24; Kunze S.60; Woltereck, AuR 1973 S. 129; vorsichtig Lieb, RdA 1974 S.257 (261 f.). 96 S. o. r. 3. und dort Fn. 65. 97 So die in Fn. 94 Genannten. 98 Besonders deutlich in diesem Sinne Buhl S. 27; vgl. auch Gotthard, FuR 1975 S. 820 (823). 99 Aus der unübersehbaren Zahl von Veröffentlichungen zum Ziel der Vertragsgerechtigkeit, den Voraussetzungen für seine Verwirklichung sowie den möglichen Ursachen seiner Nichterreichung: grundlegend SchmidtRimpler, AcP 147/148 S.130 (149 ff.); derselbe in Festschrift Nipperdey S. 1 ff.; derselbe in Festschrift Raiser S. 3 ff.; Bydlinski S. 62 ff.; - in kritischer Distanz zu Schmidt-Rimpler Raiser in Festschrift Deutscher Juristentag S. 101 ff.; derselbe, JZ 1958 S. 1 ff.; - jeweils eigenständige Interpretations~ zusammenhänge finden sich bei Flume § 1 Ziff. 6 a S. 7 ff.; M. Wolf S. 31 ff.; Westhoff S. 90 ff.; Larenz, Schuld recht I, § 6 S. 64 ff.; einen überblick gibt v. Hoyningen-Huene S. 15 ff.; - kritisch zur Lehre von der Vertragsparitätsstörung insbesondere für den Arbeitsvertrag ZöHner, AcP 176 (1976) S. 221 ff.; zum Ganzen mit erschöpfenden Nachweisen Kram er in Münchener Kommentar vor § 145 Rz. 2 - 18. 100 So die von Schmidt-Rimpler, AcP 147/148 S. 130 ff. gewählte Bezeichnung, die seiner instrumentellen Betrachtungsweise entspricht. 101 So die h. L., vgl. etwa: Raiser in Festschrift Deutscher Juristentag S. 101 (118); Fikentscher in Festschrift Hefermehl S.41 ff.; Säcker S. 92 ff., 211 und öfter; Ramm S.30; SöHner, Arbeitsrecht, § 11 I S.67; GamHlscheg in Festschrift Schmitz S.68 (75); Richardi, Kollektivgewalt, S. 92 ff. (93 f.); Weitnauer S. 15 ff. (17 f.); a. A. ZöHner (Fn. 99). 102 Zu dieser Begriffsbildung vgl. Kramer S. 19 ff. (20); Säcker (Fn.101) S.32, 225; Roscher S.l1; Fischer, DRiZ 1974 S.209 (211); kritisch zu dieser Terminologie ZöHner (Fn.99) S. 235 f.; gegen ZöHner SchwerdtneT, Anm. zu HAG AP Nr. 40 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu § 2 b BI. 316 ff.
H. Rechtstatsächliche Besonderheiten im Kulturbereich
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licher Gestaltung nicht gegeben ist, wenn die Möglichkeit der Mitgestaltung auf einer Seite beschränkt ist103 . Für die Zwecke eines überblicks über die rechtstatsächliche Besonderheit der freien Mitarbeit im Kulturbereich genügt es, die Tatsache festzuhalten, daß ,die Verträge vieler "Freien" durch ein "Funktionsdefizit"104 gekenIllZeichnet sind, indem es den Betroffenen offenbar nicht gelingt, ihre Interessen im Mechanismus der Vertragsbildung durchzusetzen. Ob und inwieweit dies auf einer Vertragsparitätsstörung beruht, mag dahingestellt ble~ben. Ein Blick ,auf die Vertragspraxis der Rundfunkanstalten gegenüber ihren freien Mitarbeitern zeigt, daß in diesem Bereich Ideal und Wirklichkeit der Vertragsbildung bei der Mehrzahl der Fälle besonders weit auseinanderklaffen105 ; die betroffenen Mitarbeiter fühlen sich deshalb häufig "weniger frei als vogelfrei"106. Die Vertragspraxis der Rundfunkanstalten ist, wie die vorliegenden Untersuchungen erkennen lassen, durch das Fehlen von EinflußmögHchkeiten der freien Mitarbeiter auf ldie Gestaltung des Vertragsinhalts gekennzeichnet, einhergehend mit einem meist recht rüden Verfahren des Zustandekommens des Vertrags107. Abgesehen von einigen privilegierten "Stars" und den relativ wenigen Mitarbeitern, die sich durch eine Agentur oder einen Verlag vertreten lassenlOS, werden die freien Mitarbeiter mit zumeist einseitig vorformulierten allgemeinen Vertragsbedingung,en, den sogenannten Honorarbedingungen, konfrontiert, die von ihnen nicht diskutiert, geschweige denn im Verhandlungswege modifiziert werden können 109 . 103 So eine verbreitete Meinung, vor allem in bezug auf die Verwendung von AGB; vgl. z. B. Kötz in Verhandlungen des 50. Deutschen Juristentags, I Bd. A 34; Thiele in Festschrift Larenz S.1043 (1044); Säcker S. 125; Roscher (Fn. 102); Schwerdtner (Fn. 102); Fischer (Fn.l02); - dagegen ZölLner (Fn.99) S. 234 f.; Koch I Stübing Einleitung Rz. 8 ff.; der Sache nach auch Westhoff S. 63 ff.; - vgl. ferner dazu M. Wolf, JZ 1974 S. 41 ff.; derselbe, JZ 1974 S. 465 ff.; Nicklisch, BB 1974 S. 941 ff.; Schmidt-Rimpler in Festschrift Raiser S. 3 (6); Lieb, AcP 179 (1978) S. 196 (201 f.). 104 Diese Bezeichnung wählt Zöllner (Fn.99) und § 1 I I, 2 S. 2 ff. 105 Die Vertragspraxis in anderen Bereichen der Kulturberufe unterscheidet sich hiervon oft nur wenig; dazu Fohrbeck I Wiesand I Wol'tereck S.175 sowie Tabelle 39 a S. 355 (zum Einfluß auf den Vertrags,inhalt), Tabelle 39 b S. 355 (zur urheberrechtlichen Ausgestaltung). 106 Woltereck, AuR 1973 S. 129. 107 Zum folgenden Fohrbeck I Wiesand I Woltereck S. 217 ff. und insbesondere S. 220; Kunze S. 57 f.; Dannenhaus I Riepenhausen S. 37; Maus, RdA 1968 S. 367 (368). HIS Buhl S. 25. 109 Nach den Umfrageergebnissen der Autoren-Enquete hatten 85010 der für den Hörfunk und 61 °/0 der für das Fernsehen tätigen freischaffenden Autoren keinen Einfluß auf die Vertragsformulierung (nach Fohrbeck I Wiesand I Woltereck Tabelle 39 a und b S.355).
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
Die Honorarbedingungen der verschiedenen Anstalten ähneln sich weitgehend und stimmen in einzelnen Punkten sogar wörtlich überein110 • Insbesondere auf Art und Höhe der Honorierung haben die freien Mital'heiter der Sender meist keinen Einfluß. Denn die Anstalten verfahren nach sogenannten Honorarrahmen, innerhalb derer die zuständigen Abteilungsleiter, Redakteure, Spielleiter usw. die genaue Honorarhöhe nach bestimmten Kritel'ien einseitig festsetzen 111 • Die Bezahlung erfolgt häufig erst lange Zeit nach Beendigung der jeweiligen Mitwirkung 112 • Bei vielen Mitarbeitern liegt zum Zeitpunkt der Arbeitsleistung übel'dies noch keine schriftliche Vertragsformulierung vor. Oft erfolgt eine schriftliche Fixierung erstmals ,auf dem sogenannten Verpfiichtungsschein, auf dem die Honorarbedingungen abgedruckt sind und der nicht selten erst Tage und Wochen nach erfolgter Mitwirkung dem Betreffenden 7lugeht113 • Daß unter diesen Umständen der Vertragsinhalt primär an den Interessen der Anstalten orientiert ist, versteht sich von selbst. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingeg:angen wel'den. Hingewiesen sei nur auf einzelne Regelungsbereiche, in denen typischerweise nachteiHge Gestaltungen von besonderer Tragweite für den Mital'beiter anzutreffen sind. Es sind dies die urheberrechtlichen Vertragbestandsteile l1 4, die Vertragsstrafenregelungenll5 und vor allem ldie rechtliche Qualifizierun,g des Vertrags, die durch die berühmt-berüchtigte Klausel ll6 sichergestellt wel'den soll, wonach Einverständnis besteht, daß der Vertragspartner als freier Mitarbeiter und nicht als Arbeitnehmer tätig wird. 3. Unsicherheit wegen uneinheitlicher Einschätzung der beruflichen Stellung
Die soziale Lage der freien Mitarbeiter im Kulturbereich wird schließlich belastet durch eine weitverbreitete Unsicherheit hinsichtlich ihres rechtlichen Status117 • Weil die Auftraggeber, die SozialversicheKunze S. 57; Buhl S. 26. Im gesamten Kulturbereich glaubten z. B. nur 11 - 16 Ofo der freien Darsteller "viel Einfluß" auf die Honorarhöhe zu haben (nach Fohrbeck I Wiesand I Woltereck S. 212). 112 Fohrbeck I Wiesand I Woltereck S. 220. 113 Fohrbeck I Wiesand I Woltereck S. 220; Maus, RdA 1968 S.367 (368). 114 Dazu ausführlich Fohrbeck I Wiesand I Woltereck S. 353 ff., insbesondere 110
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Tabelle 39 b S. 355; vgl. ferner ebendort S. 228 ff. und (zusammenfaslsend zu den Autorenberufen) S. 129. 115 Fohrbeck I Wiesand I Woltereck S.213. 116 Vgl. die entsprechenden Qualifizierungsklauseln in den Fällen BAG AP Nr. 16, 17, 18, 20 zu § 611 BGB Abhängigkeit, die durchweg freie Mitarbeiter in den Kulturberufen betrafen; Nachweise auch bei Buhl S. 25 Fn.6. 117 Zum folgenden Fohrbeck I Wiesand I Woltereck S. 2 ff.; Buhl S. 100 f.
11. Rechtstatsäch1iche Besonderheiten im Kulturbereich
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rungsträger, die Finanzbehöl'den und nicht zuletzt die Gerichte der verschiedenen Gerichtsbarkeiten in der Frage, ob der Beschäftigte als Arbeitnehmer bzw. Unselbständiger oder als Selbständiger anzusehen ist, häufig konträre Standpunkte einnehmen, weiß der Mitarbeiter oft beim besten Willen nicht, "was" er nun wirklich ist. Vor allem bei den nicht festangestellten Beschäftigten der Rundfunkanstalten kommt noch hinzu, daß zuweilen ein und dieselbe Tätigkeit von Sender zu Sender anders beurteilt wird118 • Was das angesichts der ohnehin hohen beruflichen Mobilitätll9 dieser Personen bedeutet, kann man sich leicht ausmalen: Eine vorausschauende, gleichmäßige Daseinsvorsorge wird erheblich erschwert, wenn nicht gar völlig unmögHch. Mit Recht wird in der Literatur darauf hingewiesen, daß hier unter Berücksichtigung der Risiken und wirtschaftlichen Schwankungen der sozialen Existenz eines im Kulturbereich Tätigen künftige Sozialfälle förmlich gezüchtet werden l20. Jedenfalls ist unter diesen UmstäIllden der Gang zu den Gerichten mit dem Ziel, den beruflichen Status klären zu lassen, schon vorprogrammiert. Die Gründe für diesen Befund sind vielschichtig: Sicherlich spielt eine bedeutsame Rolle, was man die beschäftigungspolitische Grundhaltung des jeweiligen Auftraggebers nennen könnte. Diese variiert insbesondere im Bereich von Hörfunk und Fernsehen teilweise erhe blich121. Wichtiger erscheint, daß angesichts des Fehlens einer trennscharfen gesetzlichen Definition des arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs Entsprechendes gilt für das Sozial- und Steuerrecht - die Rechtsprechung gezwungen war, in der 'sich zunehmend vergrößernden Grauzone der nicht evidenten Zweifelsfälle122 zu immer subtileren Unterscheidungen mittels immer neuer und verfeinerterer Kriterien zu greifen. Dieser kasuistische Zug der Rechtsprechung insbesondere der Arbeits- und Sozialgerichte stellt die Praxis vielfach vor nahezu unlösbare Aufg,abenI23. Das wird belegt durch die Untersuchungsergebnisse der Künstler-Enquete, nach denen herkömmliche Arbeitnehmerkriterien in nicht 'unbedeutender Häufung auch bei den als Selbständige behandelten Mitarbeitern festzustellen sind; andererseits finden sich diese Merkmale nur z. T. bei den Festangestelltenl24 . 118
Vgl. die Beispiele der in Fn. 117 Genannten aus der Praxis.
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s. o. Fn. 84, 85.
120 So Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 3. 121 Vgl. die übersicht bei Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 38 ff., die drei Grundpositionen unterscheiden (S. 40): die flexible, die neutrale und die Konfliktposition; zu den Gründen vgl. Utthoff / Deetz / Brand hofe / Nöh 8.13 f. 122 s. o. Einleitung, zu I. 123 Vgl. die Angaben in der Einleitung, Fn. 20.
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
Zu einem erheblichen Teil heruhen die Unsicherheiten des beruflichen Status auf der mangelnden Abstimmung zwischen den verschiedenen Rechtsbereichen und dem Fehlen eines umfassenden Arbeitnehmerbegriffs für alle Rechtsgebiete, insbesondere für das Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht, aber auch das Kartell- und Urheberrecht 125 • Es kann hier nicht untersucht werden, ob sich Unstimmigkeiten zwischen diesen Materien überhaupt vermeiden lassen und inwieweit das Vorhaben der Schaffung eines umfassenden Al'beitnehmerbegriffs mit den jeweils spezifischen Zielsetzungen der genannten Teilrechtsordnungen zu vereinbaren ist. Festzuhalten Me'i:bt, daß die Friktionen vor allem zwischen Arbeits-, Sozial- und Steuerrechtue für den betroffenen Mitarbeiter wie für seinen Auftraggeber oft zu undurchschaubaren Verhältnissen führt1 27 • Allerdings ist anzumerken, daß wenigstens die Rechtsprechung von BAG und BSG zur Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs weitgehend konformgeht l28 • Dennoch el1geben sich unvermeidliche Brüche hei der Grenzziehung, wie schon die sprachliche Fassung des § 7 Abs. 1 SGB IV vermuten läßt, die die Annahme eines unselbständigen Beschäftigungsverhältnisses auch dann zuläßt, wenn ein Arbeitsverhältn~s nicht gegeben ist1 29 • Umgekehrt wird im Sozialrecht nicht immer dann, wenn aus arbeitsrechtlicher Sicht ein Arbeitsverhältnis vorliegt, ein unselbständi,ges Beschäftigungsverhältnis angenommen130. 124 Dazu Fohrbeck / Wiesand / WoUereck S. 70 ff., 86 ff. und die Zusammenfassung S. 103 H. mit Schaubild 16 S.105; Buhl S. 102; eine "Kriterientafel" hat Söhnen S. 25 erarbeitet. 125 Ebenso Fohrbeck / Wiesand / WoUereck S. 166 ff.; Buhl S. 100 f. 126 Insbesondere in der steuerrechtlichen Rechtsprechung und Literatur wird die Eigenständigkeit des steuerrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs hervorgehoben; vgl. BFH BStBl. Irr 1952 S. 79 (80); BFH DStR 195,5 S. 231 f.; BFH BStBl. II! 1958 S.384 (385); BFH BStBl. Irr 1960 S.331 (334); BFH BStBl. II 1979 S. 188 (189), jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH; aus der Literatur statt anderer Herrmann / Heuer § 19 Rz.16 und Erg. § 19 RZ.16 mit weiteren Nachweisen; vgl. ferner Schick, DStZ Ausgabe A 1975 S. 392 ff. 127 Dannenhaus / Riepenhausen S.44 sprechen drastisch von einer "chaotischen Begriffsrverwirrung". 128 So Seiter in BSG-Festscl1rift S. 515 (517 ff.); Heußner, RdA 1978 S. 12 (13 mit weiteren Nachweisen dort Fn.13); zu den begrifflichen Friktionen zwischen Arbeits- und SQzialrecht s. o. 1. 2. b) und dort Fn. 32, 33. 129 So wird z. B. in der sozialrechtlichen Rechtsprechung und Literatur angenommen, die ständigen freien Mitarbeiter bei Hörfunk und Fernsehen seien mangels ständiger Verfügbarkeit aufgrund eines unbefristeten Arbeitsvertrags keine Arbeitnehmer, sondern als arbeitnehmerähnliche Personen unständig Beschäftigte im Sinne von § 441 Nr.1 RVO; so deutlich Heußner (Fn.l28) und die dort S.. 12 in Fn.1 angeführte Rechtsprechung des BSG; die Rechtsform des befristeten (Ketten-)Arbeitsverhältnisses wird dabei übersehen; vgl. ferner oben Fn. 32, sowie Ruland, JuS 1974 S. 599 f. 130 Das bekannteste Beispiel ist der sogenannte mißglückte Arbeitsversuch; vgl. BSG SozR 2200 § 165 Entsch. 2; anzuführen sind ferner die Fälle der Un-
III. Interessenlage und rechtspolitische Forderungen
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III. Interessenlage und rechtspolitische Forderungen Der rechtstatsächliche Befund, wie er vorstehend skizziert wUl'de, hat zu einer gegen Ende der sechzig er Jahre aufgebrochenen131 und im darauffolgenden Jahrzehnt mit gleichbleibender Heftigkeit ausgetragenen rechtspolitischen DiskUJSsion geführt132 • Nahrung hat die Kontroverse erhalten durch die Bereitschaft der Bundesregierung und des Gesetzgebers, nach Durchleuchtung der gesellschaftlichen Bedingungen der freien Mitarbeit in den Kulturberufen133 entsprechende legislatorische Maßnahmen zu ergreüen134 • Höhepunkte ,dieser Entwicklung sind die Schaffung des § 12 a TVG im Jahre 1974135 und das nach langen Geburtswehen endlich geglückte Zustandekommen des KSVG im Jahre 198p36. Wegen der fast gleichzeitig anrollenden Prozeßwelle 137 war von Anbeginn an die rechtspolitische Diskussion mit einer rechtsdogmatischen verknüpft, deren Gegenstand der Arbeitnehmerbegriff ist13S • Befruchterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses infolge unbezahlten Urlaubs, Arbeitsunfähigkeit, Streik oder Aussperrung; vgl. BSGE 12, 100 (193'); 20, 154 (158); 33, 254. 131 Zur Erklärung der rechtspoIitischen Aufbruchstimmung jener Jahre sei daran erinnert, daß im Jahr 1969 nach einer 20jährigen Periode von christdemokratisch geführten Bundesregierungen erstmals die SPD/FDP-KoaIition die Regierung Brandt/Scheel stellte; in demselben Jahr wurde der Verband Deutscher Schriftsteller - VS - gegründet, der sich im Jahr 1!}73 der IG Druck und Papier angeschlossen hat. 132 Aus der Sicht der freien Mitarbeiter z. B. Dannenhaus / Riepenhausen; Fohrbeck / Wiesand / Woltereck; Woltereck, AuR 1973 S. 129 ff . ; Koch, Informationsdienst Gewerkschaftspresse Nr. 120 vom 26.8.1971 S. 2 ff.; Haselmayr, Das Parlament Nr. 26 vom 24. 6. 1972 S. 14; ferner Rancke; Söhnen; Buhl; aus der Sicht der Anstalten v. Sen; Ossenbühl; Scharf, RdA 1978 S. 20 ff.; Utthoff / Deetz / Brandhofe / NÖh. 133 Vgl. die Angaben Einleitung, Fn. 1. 134 S. o. Fn. 48, 68. 135 Zur rechtspolitischen und dogmatischen Diskussion um diese Neuregelung vgl. Stolterfoht, DB 1973 S. 1068 ff.; Eich, DB 1973 S. 1699 ff.; Gerschel, FuR 1973 S. 538 ff.; Kunze S. 55 ff.; derselbe, UFITA Bd.74 (1975) S.19 ff.; Girth, FuR 1974 S. 510 ff.; Lieb, RdtA 1974 S. 257 ff.; Lund, BABl. 1974 S. 682 ff.; Wlotzke, DB 1974 S. 2252 ff.; v. Olenhusen, FuR 1975 S. 98 H .. ; Herschel, FuR 1975 S. 457 ff.; Hillig, FuR 1975 S. 311 ff.; Reichel, DB 1975 S. 102 ff.; Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des § 12 a TVG, BT-Drucksache 8/716, abgedruckt in RdA 1978 S. 42 ff. 136 s. o. Fn. 34. 137 s. o. Einleitung, zu Ziff. I. und dort Fn. 9. 13S Herausragend sind insbesondere die Beiträge von Maus, RdA 1968 S. 367 ff.; Lieb, Anm. zu BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit; derselbe, RdA 1974 S. 257 H.; derselbe, RdA 1975 S.49 ff.; derselbe, ZVers,Wiss. 1976 S. 207 ff.; derselbe, DB 1976 S. 2207 ff.; derselbe, RdA 1977 S. 210 ff.; Zöllner, RdA 1969 S. 65 ff.; G. Hueck, RdA 1969 S. 216 ff.; Beuthien / Wehter, RdA 1978 S. 2 ff.; dieselben, Anm.; - vgl. ferner: Ady, FuR 19'74 S. 91 ff.; Heußner, RdA 1978 S.12 ff.; derselbe, DB 1975 S. 787 ff.; Schick, DstZ, Ausgabe A, 1975 S. 392 H.; Fenn in Festschrift Bosch S. 171 ff.; Rupp, RdA 1978 S.11; 4 Rosenfelder
1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
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tend haben insbesondere eine Vortragsveranstaltung des Instituts für Rundfunkrecht an der Universität zu Köln über "Freie Mitarbeiter in den Rundfunkanstalten" im Jahre 1973 139 und ein RdA-Symposion über "Stellung und Schutz der freien Mitarbeiter von Rundfunk- und Fernsehanstalten" im Jahre 1977 140 gewirkt. 1. Interessengegensatz
In der rechtspolitischen Diskussion äußert sich ein Interessengegensatz, dessen Wurzeln einerseits in der existentiellen und beruflichen Unsicherheit der freien Mitarbeiter und andereI1Seits in den spezifischen Produktionsbedingungen im Medienbereich, vor allem aber der besonderen Aufgabenstellung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, liegen.
a) Die Position der freien Mitarbeiter Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, daß bei dem Teil der als freie Mitarbeiter bezeichneten Personen, die im Kulturbereich hauptberuflich tätig sind, vor allem bei den ständigen freien Mitarbeitern von Hörfunk und Fernsehen, ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einer umfassenden Verbesserung des sozialen Schutzes besteht. Die konkreten Ziele ldieses Grundinteresses ergeben sich aus den vorstehend geschilderten rechtstatsächlichen Besonderheiten der Berufstätigkeit. Zum einen ist das Interesse der freien Mitarbeiter auf die Vereinheitlichung der beruflichen Stellung gerichtet141 • Denn nur, wenn Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht miteinander harmonieren, ist eine effektive, planmäßige Daseinsvorsorge möglich. Isolierte Verbesserungen in den einzelnen Rechtsgebieten "greifen" wegen der großen beruflichen Mobilität der Mitarbeiter oft nicht im erwünschten Ausmaß 142. Zum anderen erstreben die "Fre~en" eine weitgehende Gleichstellung mit den Allbeitnehmern in den genannten Rechtsbereichen 143 • Für Buhl; Rancke; Söhnen; vgl. auch die Beiträge von Hübner, M. Rehbinder, v. SeH und Kunze in: Freie Mitarbeiter in den Rundfunkanstalten; StoUerfoht; aus der älteren Literatur vor allem Siebert, BB 1949 S. 746 ff.; G. Hueck, DB 1955 S. 384 ff.; - besonders markante Entscheidungen desl BAG sind: BAG AP Nr. 6, 12, 21, 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 139
Abgedruckt in: Freie Mitarbeiter in den Rundfunkanstalten, München
1973. 141
Abgedruckt in: RdA 1978 Heft 1 (S. 2 - 30). Dazu Fohrbeck / Wiesand / WoUereck S. 166 f.; Lattmann, Poet, S. 7 f.
142
So Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 165.
140
Dazu Fohrbeck / Wiesand / WoUereck S. 165 ff.; WoUereck, AuR 1973 S. 129 ff.; vgl. auch Rancke und Buht, passim. 143
IH. Interessenlage und rechtspolitische Forderungen
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besonders vordringlich wird dabei die Gewährung einer Grundsicherung gegen die existentiellen Risiken Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit durch das Sozialrecht gehalten144, wobei die Notwendigkeit der Schaffung solcher Regelungen betont wird, die der besonderen beruflichen Situation - vor allem Mobilität und wirtschaftliche Schwäche - angepaßt sind. Auf dem Gebiet des Steuerrechts geht das Bestreben derjenigen freien Mitarbeiter, die von einem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig sind, auf Berücksichtigung dieser Abhängigkeit vor allem hinsichtlich des Umsatzsteuerrechts 145 • Im Zentrum des Interesses steht jedoch die Kompensation des vertraglichen Funktionsdefizits durch Anwendung von Arbeitsrecht auf die Beschäftigungsverhältnisse der freien Mitarbeiter146 • In diesem Punkt stehen sich freilich zwei Interessengruppen freier Mitarbeiter gegenüber: Die eine Gruppe will dem vertraglichen Funktionsdefizit primär durch Bildung von "Gegenmacht" entgegenwirken147 • Für diese Richtung ist der § 12 a TVG ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der sozialen Situation148 • Im übrigen soll der Sozialschutz der freien Mitarbeit - deren Existenzberechtigung grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird149 - dadurch ausgebaut werden, daß eine punktuelle Einbeziehung in das Arbeitsrecht erfolgt, wo dies sachlich geboten ist 150 • Die Rechtsfigur der al"beitnehmerähnlichen Person wäre hierfür der geeignete Ansatzpunkt. Im Gegensatz zu den Vertretern dieser flexiblen Position fordert die andere Interessengruppe die praktisch völlige Gleichstellung der Freischaffenden mit den Arbeitnehmern151 • Einer solchen globalen Lösung stehen sowohl der § 12 a TVG als auch die Rechtsfigur der arbeitnehmerähnlichen Person insgesamt entgegen152 • Im Prinzip kennt diese Dazu Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 161 ff.; 170 f.; vgl. ferner OppinDAngVers. 1973 S. 95 ff.; Heußner, DB 1975 S.787 (791); hinsichtlich der selbständigen Künstler und Publizisten wurde diese Forderung teilweise erfüllt durch Schaffung des KSVG, s. o. Fn. 34 und unten 2. 145 Dazu Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 159 f., 171 f. 146 Dazu Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 165 ff. (167 ff.); Woltereck (Fn. 143); zur Schutzbedürftigkeit der ständigen freien Mitarbeiter der Rundfunkanstalten vgl. auch HHger, RdA 1981 S. 265 (266 f., 268). 147 Vgl. Lattmann, Bühnengenossenschaft 1977 Heft 1 S. 6; Riepenhausen, RdA 1978 S. 17 ff. 148 Kritisch dazu Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 173. 149 So ausdrücklich Riepenhausen (Fn.147) S. 17. 150 Vgl. das bei Riepenhausen (Fn. 147) wiedergegebene Modell eines "TeilBeschäftigungsverhältnisses 151 So Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 167 ff.; Woltereck (Fn. 143). 152 So Fohrbeck / Wiesand / WoZtereck S.167, 172 f.; Fohrbeck / Wiesand, 144
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
Position nur die Alternative Arbeitnehmer oder Unternehmer153 . Sie ist deshalb gekennzeiclmet durch das Eintreten für eine neue Grenzziehung zwischen Unselbständigkeit und Selbständtgkeit, die nicht nur Randberichtigungen ermöglicht zugunsten derjenigen Personen, die "nicht länger guten Gewissens als Selbständige oder Unternehmer bezeichnet wel'den" können, sondern einen erheblichen Teil der freien Mitarbeiter zu Adressaten des Arbeitsrechts macht 154 . Insgesamt kann also nicht behauptet werden, "die" freien Mitarbeiter im Kulturbereich wollten Arbeitnehmer werden. Auch die Erhebungen der Künstler-Enquete haben ergeben, daß nur ein Teil der Betroffenen dieses Ziel anstrebt1 55 . Es steht zu vermuten, daß es sich dabei um diejenigen "Freien" handelt, die in besonderem Maße wirtschaftlich abhängig sind, ferner um solche, die aus persönlichen156 oder fach.lichen 157 Gründen keine beruflichen Ausweichmöglichkeiten haben, und schließlich um die in denselben Funktionen wie Festangestellte desselben Auftraggebers tätigen "unfreiwilligen Freien"158. b) Die Position der Auftraggeber
Das Interesse der Auftraggeber zielt demgegenüber auf die Beibehaltung der bisherigen Praxis der freien Mitarbeit ab. GewMH 1973 S.593 (597); ebenso Rancke S. 82 ff. (87 ff.); Buhl S. 129 ff.; dagegen Wachter S. 89 ff. (91 f.). 153 So bezeichnenderweise der Titel des Buchs von Fohrbeck / Wiesand / Woltereck; heftige Kritik an dieser Position übt Ossenbühl S. 21; ebenso Scharf, RdA 1978 S. 20 (22). 154 Inkonsequent Fohrbeck / Wiesand / Woltereck, die S.173 zwar die flexible Position kritisiern und S. 167 ff. entschieden für die Globallösung eintreten, jedoch im Ergebnis eine vermittelnde Haltung einnehmen, wie ihr Definitionsvorschlag S. 170 zeigt; dieser enthält mit der Rechtsfigur des "Selbständigen" eine der arbeitnehmerähnlichen Person entsprechende Kategorie, die aber mit einem erheblichen Mehr an arbeitsrechtlichem Schutz ausgestattet werden soll; - entschiedener im Sinne einer Globallösung noch Woltereck, AuR 1973 S. 129 ff. 155 Dazu Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 146 ff. mit Tabelle 24 S. 147, sowie Anhang Tabelle 13 S. 455; nach den Ergebnissen der Künstler-Enquete will im Durchschnitt ein Drittel der "Freien" weiterhin am Status des freien Mitarbeiters festhalten, allerdings in sozial geschützterer Stellung; vgl. auch Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S.I34 (Ergebnis 10: "Berufsauffassung und Berufsausübung von Freien Mitarbeitern und Festangestellten sind verschieden"), S. 139 ff. (Ergebnis 21 mit Beispielen aus der Praxis) und S. 143 (Ergebnis 22). 156 z. B. Alter, familiäre Bindungen, nachlassende Leistungsfähigkeit, Kreativität oder Anziehungskraft; dazu Scharf, RdA 1978 S.2O (22); Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S. 143 (Ergebnisse 23 - 25). 157 Z. B. hohe Spezialisierung; vgl. Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S.143 (Ergebnis 2,5). 158 Vgl. dazu BAG AP Nr. 144 zu § 242 BGB Ruhegehalt, ferner BAG AP Nr. 10, 12, 16, 17, 18, 20, 24 zu § 611 BGB Abhängigkeit.
II!. Interessenlage und rechtspolitische Forderungen
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Denn die Einbezrehung freier Mital1beiter in den arbeits- und sozialrechtlichen Schutz geht zu einem erheblichen Teil zu Lasten der Auftraggeber; auf diese zusätzliche Kostenlast wird insbesondere seitens der Rundfunkanstalten hingewiesen159. Wichtiger erscheint jedoch, daß im Medienbereich ein besonderes Interesse der Auftraggeber daran besteht, gerade die "in vorderster Linie" mit originären geistig. . schöpferischen Aufgaben betrauten Mitarbeiter fleJCibel einzusetzen. Die freien Mitarbeiter wevden gewissermaßen als kreative Manövriermasse angesehen, die je nachdem, was der Markt verlangt, unterschiedlich zusammenzusetzen ist. In besonders ausgeprägter Form findet sich diese Interessenposition bei den Rundfunkanstalten16o • Sie halten es für unerläßlich, sich der "software" des kreativen KräftepotentialsHJ1 der "Freien" in der bisherigen Weise bedienen zu können, also je nach den programmlichen Strömungen und Zuschauerinteressen freie Mitarbeiter von Fall zu Fall heranzuziehen und nach unterschiedlich langen Perioden auszutauschen162 • Begründet wird ,die behauptete "Systemnotwendigkeit" der freien Mitarbeit163 mit dem aus Art. 5 Abs.3 GG hergeleiteten verfassungsrechtlichen Rundfunkauftrag, der die Sender zur Offenheit für alle gesellschaftlichen Strömungen verpflichtet164 • Das Arbeitsverhältnis ist 159 Dazu Ossenbühl S.22; v. Sell S. 45, 50; vgl. auch Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S.14; zur Unmaßgeblichkeit solcher Argumente Hilger, RdA 1981
S. 265 (267). 160 Zum folgenden Ossenbühl S. 22 ff.; v. SeIl S. 39 ff.; Lewenton, FuR 1966 S. 280 (289 f.); Kewenig / Thomashausen, NJW 1981 S. 417 ff.; sehr ausführlich Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S. 96 ff. (104), 111 ff. unter Anführung von Beispielen aus der Praxis. 161 So v. Sell S.42; eine Art "Kreativitätsknick" zwischen freien Mitarbeitern und Festangestellten stellen Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S. 134 (Ergebnisse 11 - 13) fest; kritisch Hilger, RdA 11981 S. 2165 (269). 162 Das Abwechslungsbedürfnis der Rundfunk- und Fernsehanstalten wird insbesondere vom BSG anerkannt; vgl. BSG AP Nr.11 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BSG BB 1974 S. 233; BSG SozR Nr. 7 zu § 441 RVO; ebenso BAG AP Nr. 18 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ablehnend Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 139 ff., 152 ff.; s. u. 4. Kapitel 1. 1.; die behauptete Mißachtung des verfassungsrechtlichen Rundfunkauftrags durch die Rechtsprechung des BAG hat inzwischen zu Verfassungsbeschwerden des WDR geführt, über die das BVerfG noch nicht entschieden hat; vgl. dazu die höchst interessanten Materialien, mitgeteilt bei Utthof / Deetz / Brand hofe / Näh, Anlagen 1 - 3 S. 156 ff. 163 Die Systemnotwendigkeit der freien Mitarbeit wird von gewerkschaftlicher Seite nicht in Frage gestellt; vgl. Riepenhausen, RdA 1978 S. 17; Dannenhaus / Riepenhausen S.7; vgl. auch Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 143 f., 146 ff.; zur Systemnotwendigkeit und den Folgen ihrer Nichtbeachtung aus der Sicht der Anstalten ausführlich Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S. 96 ff. bzw. 111 ff. und passim. 164 Für die Anstalten stellt sich also die Frage nach der Konkurrenz zwischen Rundfunkauftrag und Sozialstaatsprinzip; so Ossenbühl S. 26 f.; Kewenig / Thomashausen, NJW 1981 S. 417 ff.; ähnlich v. Sell S. 41 ff.; Rupp, RdA 1978 S. 11; - zum Rundfunkauftrag BVerfGE 12, 205 (263).
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
aus dieser Sicht ein "Prokrustesbett"165, das zur "Verkalkung" und zur "Verbeamtung" des Rundfunks166 führt. 2. Konkrete rechtspolitische Forderungen
Der oben erwähnten Position der arbeitsrechtlichen Globallösung der Sozialschutzproblematik freier Mitarbeiter entspricht die Forderung, im neuen Arbeitsverhältnisrecht die Definition des Arbeitnehmerbegriffs so weit zu fassen, daß ein wesentlicher Teil der bisherigen freien Mitarbeiter darunter fällt 167. Die Grenzlinie zwischen Arbeitnehmer und Nicht-Arbeitnehmer soll danach so weit verschoben werden, daß grundsätzlich nur der in vöHiger organisatorischer Trennung vom Partner mit Kapitalrisiko und eigenen Beschäftigten arbeitende Unternehmer aus dem Arbeitsrecht ausgeschlossen wird. Diese Neudefinition will man -auf das Sozial- und Steuerrecht übertragen168 . Als Mindestlösung für den Fall des Scheiterns des legislatorischen Projekts eines A!'Ibeitsgesetzbuchs wird gefordert, die Möglichkeit der analogen Anwendung arbeitsrechtlicher Regelungen auf arbeitnehmerähnliche Selbständtge in den jeweiligen Einzelgesetzen zu verankern169. Darüber hinaus wird die Verhinderung mittelbarer Arbeitsverhältnisse durch eine entsprechende Regelung im AüG170 und die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung111 verlangt. Auf sozial rechtlichem Gebiet ist eine Hauptforderung der freien Mitarbeiter mit der Schaffung des KSVGl72 erfüllt worden. übrtg bleiben noch die Forderungen nach Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung173 und in die öffentliche Arbeitsvermittlung 174 sowie Vorschläge hinsichtlich der Alterssicherung älterer Selbständiger176. Im Steuerrecht176 soll nach den Vorstellungen der "Freien" die Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerfreiheit der freischaffenden Künstler Ossenbühl S.23; dagegen Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 140 f., 145 f. Ossenbühl S.24; vgl. auch Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S. 111 ff. (134, Ergebnissel2, 13). 167 Vgl. den Definitionsvorschlag bei Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.170. 168 Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 170 ff. 169 Woltereck, AuR 1973 S. 129 (135). 170 Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 160. 171 Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 161. 172 s. Fn.34; vgl. auch Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 161 f. 173 Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 171; vgl. auch Heußner, DB 1975 S. 787 (791). 174 Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 160. 175 Fohrbec1c / Wiesand / Woltereck S. 163. 176 Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 159. 165 166
III. Interessenlage und rechtspolitische Forderungen
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sichergestellt werden. Daneben werden auf dem Gebiet des Einkommensteuerrechts Erleichterungen verlangt, z. B. durch ermäßigte Steuersätze und großzügigere Werbungskostenregelungen. Schließlich wird die gesetzliche KlarsteIlung gefordert, daß das Kartellverbot des § 1 GWB für freischaffende Künstler und Publizisten nicht gilt l77 • 3. Die freien Mitarbeiter -
verkappte Arbeitnehmer?
Die rechtstatsächlichen Sachverhalte, wie sie für die freie Mitarbeit im Kulturbereich kennzeichnend sind, werden in der Literatur teilweise dahingehend interpretiert, daß eine erhebliche Anzahl von "Freien" in Wahrheit Arbeitnehmer sind178 • In Krei:sen des HP, das die freie Mital1beit in den künstlerischen und publizistischen Berufen empirisch durchleuchtet hat179, schätzt man den Anteil der "verkappten" Arbeitnehmer an der Gesamtzahl der Beschäftigten in den von der Künstler-Enquete erfaßten Sparten auf durchschnittlich 12 Ufo wobei sich eine Schwankungsbreite von 4 - 23 Ufo ergibt1SO ; bei den Publizisten geht man von einer Rate von 15 - 20 Ufo verdeckter Arbeitsverhältnisse aus181 • Andere Autoren dagegen sind offenbar der Ansicht, daß die freien Mitarbeiter im Medienbereich in ihrer Gesamtheit - und zwar anscheinend nicht nur die hauptberuflichen und ständigen, sondern auch die nebenberuflichen und gelegentlichen freien Mital1beiter - als Adressaten des Arbeitsrechts angesehen werden müssen182 • Das Bnd insbesondere des ständigen freien Mitarbeiters bei Hörfunk und Fernsehen gleiche sich dem üblichen Arbeitnehmertypus immer mehr an183 , die Abhängigkeiten in diesem Bereich stünden denen der typischen Arbeitnehmer in keiner Weise nach, überträfen sie zum Teil sogar noch184• Man glaubt, neben einer wirtschaftlichen eine mehr oder minder weitgehende persönliche Abhängigkeit feststellen zu können l85 und will daraus die Konsequenzen ziehen 186 • Fohrbeck / Wiesand / Woltereck; dazu die oben Fn.30 Genannten. Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.104, 137; Buhl S. 101 ff.; Rancke S. 76 ff.; Woltereck, AuR 1973 S. 129 ff.; derselbe, AuR 1974 S.190 (191); Oppinger, DAngVers. 1973 S.95; Ady, FuR 1974 S.91 (95); - vgl. auch Nikisch I § 14 II 2 S.97; Meissinger, DBetrVerf. 1957 S.65 (68) hinsichtlich der Ver177
178
mittlerberufe. 179 Zur Aufgabenstellung, Auftraggeber, Arbeitsweise und zur Veröffentlichung der Ergebnisse bei Autorenreport und Künstler-Report (s. o. Einleitung Fn.1) Fohrbeck / Wiesand / Woltereck, Vorwort, insbesondere S. XIX ff. 180 Nach Fohrbeck / Wiesand / WoUereck S. 104 und ebendort Schaubild 17 S.108. 181 Nach Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 137. 182 Rancke S. 80 ff.; Woltereck, AuR 1973 S. 129 ff. 183 184
Rancke S. 81. Rancke S. 79,
179.
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1. Kap.: Rechtswirklichkeit und soziale Problematik
Aus dieser Sicht dient der Begriff des freien Mitarbeiters "offensichtlich dazu, das rechtliche Abhängigkeitsverhältnis dieser Personen von den Rundfunk- und Fernsehanstalten zu verschleiern"187. Die Rechtskonstruktion der freien Mitarbeit ist danach nichts weiter als ein "Rückfall in den liberalen Staat der vorigen Jahrhundertmitte"188 und der freie Mitarbeiter "vor allem ein politischer Standpunkt der Rundfunkanstalten und anderer Auftraggeber"189. Die behauptete Fehleinschätzung der freien Mitarbeiter wird jedoch nicht allein der bösen Absicht der Auftraggeber angelastet. Zumindest für mitursächlich wird ein Versagen der arbeitsrechtlichen Personenbegriffe, namentlich des Arbeitnehmerbegriffs, gehalten l90 . Die Abgrenzung des Al'beitnehmerbegriffs mittels der üblichen Kriterien 191 ist nach dieser Ansicht ungeeignet, die soziale Wirklichkeit sachgerecht zu erfassen. Die Ergebnisse der Künstler-Enquete scheinen diese Deutung zumindest teilweise zu bestätigen. Denn wenn - wie erwähnt192 - einerseits herkömmliche Arbeitnehmerkriterien in nicht unbedeutender Häufung auch bei den "Freien" festzustellen sind und andererseits keines der für wesentlich gehaltenen Kriterien unselbständiger Stellung bei mehr als drei Vierteln der als Arbeitnehmer Beschäftigten193 zutrifft194 , so liegt es nahe, an der Relevanz der verwendeten Merkmale zu zweifeln. Die Möglichkeit, daß es zumindest auch die Mängel des überkommenen Arbeitnehmerbegriffs sind, die zur Existenz von "verkappten" Arbeitsverhältni:ssen führen, ist nach allem nicht von der Hand zu weisen. Es erscheint aus diesem Grunde gerade im Hinblick auf die Problemgruppe der freien Mitarbeiter im Kulturbereich notwendig, den Zweifeln am tradierten Arbeitnehmerbegriff nachzugehen. Im 185 So Maus, RdA 1968 S.367 (373); Kunze S.65; ähnlich Lieb, RdA 1974 S. 257 (259) für den Fall, daß man das herkömmliche Abgrenzungsmerkmal der persönlichen Abhängigkeit zugrunde legt; vgl. auch Ady, FuR 1974 S. 91 (94); Pinl, GewMH 1973 S. 265 (267). 186 Rancke S. 82. 187 Oppinger, DAngVers. 1973 S.95. 188 Woltereck, AuR 1973 S. 129. 189 Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.39; das wird indirekt bestätigt durch Utthoff / Deetz / Brand hofe / Nöh S. 13 f. 190 Rancke S. 77 ff., 113 f., 178 f. und passim; Dannenhaus / Riepenhausen S.42; vgl. ferner die Zusammenfassung der empirischen Abgrenzung der beruflichen Stellung bei Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 103 ff. und bei Buhl S. 101 ff. 191 s. u. 2. Kapitel I. 2. 192 s. o. II. 3. 193 Ausgehend von der steuerlichen Einschätzung als Basismerkmal, die meist der subjektiven Einschätzung der Rechtsbeziehungen durch die Partner entspricht; vgl. Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 71 f. 194 s. o. Fn. 124.
IIr. Interessenlage und rechtspolitische Forderungen
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folgenden soll deshalb dargestellt werden, auf welche Weise die herkömmliche Abgren1Jung des Arbeitnehmerbegriffs erfolgt, welcher Art die Bedenken sind, die zur " Krise " des Begriffs geführt haben und wie man diese in der Literatur überwinden zu können glaubt (dazu 2. Kapitel). Das Ziel dieser Darstellung wird es sein, Grundlagen für die Entwicklung materieller Kriterien des Arbeitnehmerbegriffs zu erarbeiten, um eine sachgerechte Zuol'dnung gerade der Problemgruppe der freien Mital'lbeiter in den ~ulturberufen zu ermöglichen (dazu 3. Kapitel).
Zweites Kapitel
Der Arbeitnehmerbegriff im Widerstreit der Meinungen I. Das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit
Eine gesetzliche Definition des allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs, die einheitlich für den gesamten Bereich des Arbeitsrechts Geltung beanspruchen könnte, fehlt. Die in eintgen arbeitsrechtlichen Gesetzen anzutreffenden begrifflichen Umschreibungen l stellen keine echten Definitionen des allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs dar. Denn sie enthalten entweder eine bloße Aufspaltung der im übrigen undefiniert gebliebenen Kategorie der Arbeitnehmer in Unterkategorien2 ; oder sie bezwecken die KlarsteIlung des persönlichen Geltungsbereichs des jeweiligen Gesetzes3 , haben also für eine allgemeine Begriffsbestimmung wenig Aussagekraft4. Dennoch bestand bis vor wenigen Jahren in RechtsprechungS und Literatur6 weitgehende Einigkeit über den Inhalt des Arbeitnehmer1 Vgl. etwa § 5 Abs.l i. V. m. § 6 BetrVG; § 3 MitbestG; § 5 Abs. 1 ArbGG; § 2 BUrlG. 2 Beuthien / Wehler, RdA 1978 S. 2 (3). 3 So z. B. § 5 Abs. 2 BetrVG; § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG. 4 Besonders klar für den Fall des § 5 Abs. 1 i. V. m. § 6 BetrVG Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 4.
5 Zur sehr umfangreichen Nachkriegsrechtsprechung s. die übersicht S. 423; Nachweise zur Rechtsprechung des RAG bei Hueck / Nipperdey I § 9 II S. 35 Fn. 3; Siebert, BB 1949 S. 746 ff. S Aus der nahezu unübersehbaren Zahl der Veröffentlichungen: Hueck / Nipperdey I § 9 S. 34 ff.; Nikisch I § 14 S. 91 ff.; Lieb, Arbeitsrecht, § 1 S.1 ff.; SöHner, Arbeitsrecht, § 3 I S. 25 ff.; Zöllner § 4 III S. 34 ff.; Großmann / Schneider Rz.34; Kasket / Dersch § 6 I S. 21 ff.; Schnorr / v. Carolsfeld EIl S. 26 ff.; Maus, Handbuch, I A 2 a Rz. 8 ff.; Schaub § 8 S. 29 ff.; Bobrowski / Gaul I A V Rz. 6 ff.; Dersch, AR-Blattei Arbeitnehmer I; Staudinger /Nipperdey / Mohnen / Neumann 11. Aufl. vor § 611 Rz. 15 ff.; Palandt / Putzo vor § 611 Anm. 1 c ff.; Soergel / Siebert / Wlotzke / Volze 10 Aufl. vor § 611 Rz. 18 f.; Soerget / Siebert / Kraft 11. Aufl. vor § 611 Rz. 4 ff.; Söllner in Münchener Kommentar § 611 Rz. 129 ff., § 621 Rz.6; Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl . , § 5 Rz. 5 ff.; Fitting / Auffarth / Kaiser § 5 Rz. 3 ff.; Kraft in GK-BetrVG § 5 Rz. 5 ff.; Galperin / MaTienhagen § 5 Rz.2; Grunsky § 5 Rz. 4 ff.; Dersch / Neumann § 2 Rz. 12 ff.; Wiedemann / Stumpf § 1 Rz. 129; Hueck, KSchG, § 1 Rz. 5 ff.; Denecke / Neumann § 1 Rz. 5; - aus der älteren Literatur vgl. Lotmar, Erster Abschnitt, Erstes Kapitel I S. 32 ff.; Molitor, Wesen, S. 16 ff. und
1. Das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit
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begriffs, wobei gelegentliche Abweichungen terminologischer Natur den Konsens in der Sache selbst kaum beeinträchtigten. Nach dieser überkommenen Begriffsbestimmung ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Arbeit verpflichtet ist7 , oder, kürzer gefaßt, in persönlicher Abhängigkeit Arbeit leistet. Die Arbeitnehmerstellung setzt danach eine -dienstvertragliche Verpflichtung zu einer Tätigkeit voraus, die so ausgestaltet sein muß, daß sie den Dienstleistenden persönlich abhängig macht. Was den Arbeitnehmer von allen anderen aufgrund privatrechtlicher Verträge - einschließlich des sogenannten freien Dienstvertrags - zur Tätigkeit verpflichteten Beschäftigten unterscheidet, ist die persönliche .AJbhängigkeit bei der Erbringung einer Dienstleistung8 ; in der Literatur werden statt dessen, in terminologischer Abweichung, aber gleicher Bedeutung, die Begriffe der Fremdbestimmtheit9 oder Unselbständigkeitl° verwendet. 1. Ausgrenzungen
Aus der Charakterisierung des Arbeitnehmers als eines in persönlicher Abhängigkeit beschäftigten Dienstnehmers ergeben sich wichtige begriffliche Ausgrenzungen:
passim; derselbe, Arbeitnehmer, S.10 ff.; Nikisch, Grundform, S. 85 ff.; Jacobi § 3 H S. 39 ff.; Sinzheimer 2. Kapitel II A S. 32 ff.; - vgl. im übrigen die oben 1. Kapitel Fn.138 Genannten; umfangreiche Literaturhinweise bei Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 vor Rz. 1. 7 So Hueck / Nipperdey I § 9 II S. 34 ff.; der Begriff der Arbeit als solcher bildet aber kein brauchbares Abgrenzungskriterium; vgl. dazu ZöHner § 4 III 3 S.37; Soergel/ Siebert / Kraft 11. Aufl. vor § 611 Rz. 3; - zur lange diskutierten Frage, ob Arbeitsbereitschaft als Arbeit im Sinne der herkömmlichen Definition des Arbeitnehmerbegriffs anzusehen ist, statt aller Hueck / Nipperdey I § 9 HI 1 S.36 Fn.8; Schaub § 8 II 1 S.30; - zum Streit um das Merkmal des Verpflichtetseins zur Arbeit zwischen den Vertretern der "Vertragstheorie" und der "Eingliederungstheorie" abschließend Hueck / Nipperdey I § 21, insbesondere IV 2 S. 121; Nikisch I § 14 I 2 S. 92 f.; vgl. auch Söllner, Arbeitsrecht, § 3 I1 S. 25 f. 8 Zur Problematik dieses Merkmals außer den im 1. Kapitel Fn. 138 Genannten: Falkenberg, DB 1969 S. 1409 ff.; Herschel, UFITA Bd.36 (1962) S.115 ff.; derselbe, Freier Beruf; Mayer-Maly, Erwerbsabsicht; derselbe, ZAS 1966 S. 2 ff.; Molitor, RdA 1959 S. 2 ff.; Ostheim; Stolterfoht; SöH'ner, Leistungsbestimmung; Tomandl S. 109 ff.; Wiedemann; E. Wolf; Zeuner, RdA 1975 S. 84 ff. 9 So Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 1 S. 2 ff.; vgl. auch Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 10. tO So Zöllner § 4 III 5 S. 38.
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2. Kap.: Der Arbeitnehmerbegriff,im Widerstreit der Meinungen
a) Unvereinbarkeit von persönlicher Abhängigkeit und werkvertraglicher Verpflichtung Nach nahezu einhelliger Meinung bewirkt schon die Kennzeichnung der geschuldeten Tätigkeit als persönlich abhängig, daß der Arbeitsvertrag stets ein Dienstvertrag ist11 . Demnach ist es zur Beantwortung der Frage nach der Arbeitnehmerstellung eines Beschäftigten nicht erforderlich, auf die im einzelnen oft schwierige Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Dienstvertrag einzugehen. Begründet wird das mit dem Wesen des Werkvertrags, der - anders als der Dienstvertrag in erster Linie auf die Herbeiführung eines Erfolgs und nicht die bloße Tätigkeit ,gerichtet ist. Für den Eintritt eines Erfolgs könne aber nur einstehen, wer die Art und Weise, wie dieser Erfolgzustandekommen soll, selbst zu bestimmen in der Lage sei. Wegen dieser notwendigen Selbständigkeit bei der Ausführung der Tätigkeit sei nur der Dienstvertrag geeignet, den zur Arbeit V>erpflichteten persönlich abhängig und damit im arbeitsrechtlichen Sinn zum Arbeitnehmer zu machen. Das ist nicht unbestritten für atypische Gestaltungen, so etwa, wenn der geschuldete Erfolg das Ergebnis einer sich wiederholenden Tätigkeit ist. In solchen Fällen wird es für denkbar gehalten, daß mit der werkvertraglichen Erfolgsherbeiführungspflicht die persönliche Abhängtg'keit einhergeht1 2 • Doch erscheint diese Möglichkeit eines "unselbständigen Werkunternehmers" zweifelhaft13 • Denn wenn der zur Hel'stellungstätigkeit Verpflichtete, ohne "Herr" der Arbeitsvorgänge zu sein, über längere Zeit hinweg oder gar unbefristet zu gleichartigen Tätigkeiten verpflichtet ist, so muß das dahingehend interpretiert werden, daß eben doch die Tätigkeit als solche der primäre Vertragsgegenstand ist und das Ziel der Erfolgsherbeiführung dahinter zurücktritt. b) Unmaßgeblichkeit der wirtschaftlichen Abhängigkeit
Die herkömmliche Begriffsbestimmung hat des weiteren zur Folge, daß es auf das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit, verstanden als Angewiesensein auf den Vertragspartner zur Bestreitung des Lebensunterhalts, für die Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs nicht ankommt14 • Das war nicht immer selbstverständlich. Denn das RAG 11 Zum folgenden insbesondere Hueck / Nipperdey I § 22 VI S. 134 f.; vgl. auch Soergel / Siebert / Kraft 11. Auft. vor § 611 Rz. 32. 12 So offenbar Zöllner § 4 III 2 S. 35 f., der als Beispiele die Tankstellenpächter, die Architekten- und Arzttätigkeit sowie den als Gast im Ensemble mitwirkenden Künstler nennt. 13 Wie hier Beuthien / Wehler, Anm. zu IV 3, BI. 704 R.; offengelassen bei Dietz / Richardi, BetrVG 6. Auft., § 5 Rz. 16. 14 VgI. z. B. Hueck / Nipperdey I § 7 I S. 26 f.; Dietz / Richardi, BetrVG 6. Auft., § 5 Rz. 8; vorsichtig Nikisch I § 1 II 6 S. 10 und Soergel/ Siebert / Kraft
I. Das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit
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hat zunächst neben der per:sönlichen auch die wirtschaftliche Abhängigkeit für begriffswesentlich gehalten15 und damit Iden historischen Wurzeln des Arbeitsrechts als einer Antwort auf die wirtschaftliche Notlage der Arbeiterschaft und insbesondere der Fabrikarbeiter zur Zeit des Hochliber,alismus16 Rechnung getragen. Unter dem Eindruck der Lehre von A. Hueck 17 schwächte das RAG die Bedeutung des Merkmals der wirtschaftlichen Abhängigkeit zunehmend ab 18 und ließ es schließlich in seiner Funktion als begriffliche Vomussetzung ganz fallen19 • Die wirtschaftliche Abhängigkeit wUl'de seitdem allgemein nur noch als soz1altypisches Kennzeichen des Durchschnittsarbeitnehmers ohne Relevanz für den normativen Arbeitnehmerbegriff angesehen20 • Die sachliche Berechtigung gerade dieses wichtigen Schritts der Begriffsentwicklung wil'd neuerdings in Frage gestellt21 • Unter dem Eindruck der Abgrenzungsprobleme vor allem bei den freien Mitarbeitern im Kulturbereich betont eine im VOl'dringen befindliche Literaturmeinung wieder die "wirtschaftlichen Elemente" der Arbeitnehmerstellung 22 • 2. Konkretisierung des Merkmals
Das Abgrenzungsmerkmal der persönlichen Abhängigkeit erscheint zunächst wenig aussagekräftig23 • Es bedarf deshalb der inhaltlichen 11. Aufl. vor § 611 Rz.5; Wiedemann S. 11 f.; Schnorr, Anm. zu BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; - a. A. Melsbach S. 21; Rancke S.131 und öfter; gegen Rancke Reuter, RdA 1981 S. 201 (202). 15 z. B. RAG ARS 2, 145 ff.; 4, 143; 5, 27 ff.; 9, 510 (513); 13, 311; 13, 468 ff.; 13, 480; 31, 265 ff.; - ebenso Melsbach S. 21 f.; Dersch § 10 Erl. 3 b; Flatow / Joachim § 5 Anm. 1; ähnlich Hueck, Handbuch I, S. 21. 16 Dazu Wiedemann S.l1; Hueck / Nipperdey 1 § 2 S. 6 ff., § 7 I S. 25 ff.; Nikisch 1 § 2 S. 13 ff.; das Arbeitsrecht war insoweit das Recht einer bestimmten sozialen Klasse, vgl. Reuter, RdA 1981 S. 201 (202). 17 Zunächst in Anm. zu RAG ARS 4, 143 (146); Hueck / Nipperdey I, 1927, § 61 S. 25 f. 18 Dazu Beuthien / Wehler, RdA 1978 S.2 (Ziff.3 und dort Fn.10); Buhl S. 51 f.; kritisch Rancke S. 3G ff. 19 RAG ARS 8, 451; 13, 43; 15, 505; weitere Nachweise bei Hueck / Nipperdey 1 § 9 Ir S. 35 Fn. 3; dennoch tauchte das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit auch noch in späteren Entscheidungen des RAG auf, s.o. Fn. 15. 20 So etwa Hueck / Nipperdey 1 § 7 1 S.26; Nikisch 1 § 1 11 6 S. 10; Söllner in Münchener Kommentar § 611 Rz. 135; Reuter, RdA 1981 S.201 (202). 21 Vgl. Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 2 S. 5; Beuthien / Wehler, RdA 1978 S.2 (5); Rancke S. 33 ff. und öfter; Buhl S. 179 ff.; Soergel / Siebert / Kraft 11. Auf!. vor § 611 Rz. 5; zum österreich ischen Recht Wachter S. 75 ff., 202 f. 22 So Lieb (Fn.21); dazu s. u. 3. Kapitel 11. 2. a) cc); für Wacht er S. 75 ff, 81 ff., 202 f. ist die persönliche Abhängigkeit die "organisatorische Komponente der wirtschaftlichen Unselbständigkeit". 23 Lieb, Arbeitsrecht, § 1 1 S.l; derselbe, RdA Hl77 S.210; Söhnen S.11; kritisch auch Tomandl S.6; ähnlich Nikisch 1 § 1 11 S. 5 f.; vgl. auch Söllner
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2. Kap.: Der Arbeitnehmerbegriff~m Widerstreit der Meinungen
Konkretisierung. Die Frage, auf welche Weise dies geschehen soll, ist lange Zeit von der Kontroverse überlagert worden, ob die Eingliederung in die Herrschaftssphäre eines anderen oder die Weisungsgebundenheit als allein maßgebendes Kriterium der Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerstellung und Selbständigkeit anzusehen ist24 • Nachdem auf betden Seiten eingeräumt wird, daß Eingliederung und Weisungsgebundenheit keine unvereinbaren Gegensätze sind, sondern in aller Regel Hand in Hand gehen 25 , hat der Streit an Schärfe und praktischer Relevanz verloren. Umstritten geblieben ist freilich, welches von betden Kriterien das primäre Kennzeichen der Arbeitnehmerstellung ist und welchem ledi,glich indizielle Wirkung zukommt26 • Konsequenzen hat das für die Entscheidung von atypischen Randerscheinungen, deren Bedeutung jedoch, wie gerade die Beispiele der freien Mitarbeiter, aber auch der Handelsvertreter zeigen, nicht zu unterschätzen ist. In den Hintergrund getreten ist diese Kontroverse aber vor allem deshalb, weil zunehmend erkannt wurde, daß beide Meinungen erhebliche Schwächen aufweisen. Das soll im folgenden kurz dar,gestellt werden. a) Persönliche Abhängigkeit und Eingliederung
Nach einer von Potthoff27 begründeten Lehre ist die Eingliederung in einen Betrieb oder privaten Lebensbereich das allein maßgebliche Kriterium für die Zuordnung eines Beschäftigten zur Kategorie der Arbei tnehmer28 • in Münchener Kommentar § 611 Rz. 130; So erg el / Siebert / Kraft 11. Aufl. vor § 611 Rz. 5; Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 12. '24 Dieser Streit ist von der Kontroverse zwischen der "Eingliederungstheorie" und der "Vertragstheorie" zu unterscheiden; diese betrifft die Entstehung des Arbeitsverhältnisses, jener die Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs; zwischen beiden Problemkreisen bestehen jedoch Zusammenhänge; - vgl. Nikisch I § 26 I 1 S. 270 f.; derselbe in Festschrift Nipperdey S. 65 (74); Molitor, RdA 1955 S. 41 H.; G. Hueck, RdA 1969 S.216 und dort Fn.9; unklar Söhnen S. 27 H.; die Exponenten der genannten Theorien slind Nikisch und Molitor einerseits, A. Hueck andererseits; dazu sogleich unter a) und b). 25 Vgl. einerseits Nikisch I § 1 II 5 S.9 L, § 14 I 1 S. 91 f., § 25 IV 1 S.255; Molitor, Arbeitnehmer, S. 6 f; derselbe, RdA 1959 S.2 (4); Zeuner, RdA 1975 S. 84 (85); M. Rehbinder, Soziale Sicherung, S. 21; - andererseits Hueck / Nipperdey I § 9 III 3 S. 41 Fn.15 und S.44 Fn. 22; - unglücklich ist es aber, von der Weisungsgebundenheit auf die Eingliederung schließen zu wollen oder bei des gleichzusetzen, wie das z. B. das BSG und der BFH in BSG AP Nr. 11 zu § 611 BGB Abhängigkeit, BSG BB 1974 S. 233, BFH BStEl. II 1979 S. 131 (132), BFH BStBl. II 1977 S.50 (51) tun; klar ablehnend hierzu Soergel / Siebert / Kraft 11. Aufl. vor § 611 Rz. 6; - das BAG betrachtet die Eingliederung als besonders wichtiges Indiz für die persönliche Abhängigkeit, z. B. in BAG AP Nr. 1, 16, 18,21,23 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 26 Vgl. die Beispiele nicht eingegliederter Arbeitnehmer bei Hueck / Nipperdey I § 9 III 3 S.41 Fn. 15 und die Entgegnung bei Nikisch I § 1 II 3 S.8. 27 Potthoff Sp. 275 f.; Wurzeln lassen sich bis auf O. v. Gierke in Festschrift Brunner S. 37 (56 f.) zurückverfolgen.
I. Das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit
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Die Schwächen dieser Meinung sind von A. Hueck 29 eindrucksvoll dargestellt worden, so daß hier ein überblick genügt. Versteht man die Eingliederung im eigentlichen Wortsinn als rein räumliche Einbeziehung in eine Arbeitsstätte, so lassen sich wichtige Randerscheinungen nicht zutreffend ,erfassen3o • Denn einerseits gibt es Beschäftigte, die unzweifelhaft Arbeitnehmer sind, ohne räumlichgegenständlich eingegliedert zu seins1 ; andererseits sind nicht alle Personen, die aufgrund privatrechtlichen Vertmgs räumlich eingegliedert tätig sind, als Arbeitnehmer anzusehen32 • Damit schetdet die rein örtlich verstandene Eingliederung jedenfalls als hegriffswesentliches Abgrenzungskriterium aus. Daß sie bei der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse festzustellen ist33 , hat zwar Bedeutung für den soziologischen Durchschnittstypus des Arbeitnehmers; den an ein Abgrenzungsmerkmal zu stellenden Anforderungen ist jedoch nur Genüge getan, wenn das Kriterium alle unter den Begriff zu subsumierenden Erscheinungen - einschließlich der zweifelhaften Randfälle - erfaßt34 •
28 Nikisch I § 1 II 2 S. 7; derselbe, RdA 1960 S. 2 ff.; Molitor, Wesen, S. 81 ff. (85 f.); derselbe, Arbeitnehmer, S. 6 f., 14 und passim; derselbe, NZfA 1931 Sp.109 (110); derselbe, Arbeitsrecht, S.35; derselbe, aber einschränkend in Molitor I Hueck I Riezler S. 71; derselbe, BB 1952 S. 493; derselbe, RdA 1959 S. 4 ff.; Fabricius S.12; Herschel, Freier Beruf, S. 28 ff.; derselbe, Rechtsfragen, S. 84 ff.; derselbe, SAE 1967 S.176; Maus, Arbeitsverhältnis, S. 94 f.; RGRK IDenecke 11. Auf!. vor § 611 Rz. 1, 6 und § 611 Rz.2; Schnorr, JuS 1963 S.296; Siebert, RdA 1956 S.13 (14); SöUner, Leistungsbestimmung, S.15; Wahle in Festschrift Schmitz S.329 (330); Zeuner, RdA 1975 S.84 (85). 29 Hueck I Nipperdey I § 9 Hf 3 Fn. 15 S. 41 ff. und Fn. 22 S. 44 f. 30 Hueck I Nipperdey I § 9 III 3 Fn.22 S. 44 f.; ebenso Molitor, Wesen, S. 85 f.; derselbe in Molitor I Hueck I Riezler S. 71; Soergell Siebert I Kraft 11. Auf!. vor § 611 Rz.6. 31 z. B. die Außendienst-Arbeitnehmer: Monteure, Kraftfahrer, angestellte Handelsvertreter, Außenarbeiter ete. 32 Dazu Hueck I Nipperdey f § 9 IU 3 Fn. 15 S.43, wo als Beispiele die Vorstandsmitglieder der Aktiengesellschaft und Gesellschafter genannt werden; anzuführen sind hier auch der im fremden Herrschaftsbereich unter betrieblicher Eingliederung Maschinen reparierende Werkunternehmer, ferner etwa die Belegärzte, die an einem Opernhaus gastierenden Sänger ete.; unverständlich deshalb Nikisch I § 1 II 3 S. 8, wo offenbar angenommen wird, solche Gestaltungen gebe es nicht. 33 So Hueck (Fn.29). 34 So Stolterfoht, DB 1973 S. 1068 (1069); Ossenbühl S. 60 f.; ähnlich Beuthien I Wehler, RdA 1978 S.2 (3); dieselben, Anm., zu III 2, BI. 699 R; vg1. ferner Hueck I Nipperdey I § 9 III 3 Fn.15 S.42, wo einschränkend bemerkt wird, der Rechtsbegriff des Arbeitnehmers müsse "soweit das irgend möglich ist", alle Arbeitnehmer erfassen; das ist logisch widersprüchlich, denn der Rechtsbegriff des Arbeitnehmers muß ausnahmslos alle diejenigen Personen erfassen, die im Rechtssinne Arbeitnehmer sind.
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2. Kap.: Der Arbeitnehmerbegriff im Widerstreit der Meinungen
Man hat deshalb versucht, unter Preisgabe des räumlich-gegenständlichen Bezugs den Eingliederungstatbestand zu "verfeinern "S5 zur "Einbeziehung in eine fremde - nicht notwendig arbeitsteilige36 Arbeitsorganisation"S7, "Unterordnung unter die Or,ganisationsgewalt" eines anderen38 , "Abhängigkeit von der Arbeitsaufgabe des Arbeitsverbands"S9, "funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Betriebsablauf"40. Alle diese inhaltlich nur in Nuancen voneinander abweichenden Weiterentwicklungen kranken daran, daß sie das Merkmal der Eingliederung bis zur Konturlosigkeit verwässern 41 • Das Kriterium wird damit zur Leerformel und verführt vor ,allem in Grenzfällen zu ScheinbegrÜ1l!dungen42 , weil letzten Endes andere Gesichtspunkte, z. B. die Weisungsgebundenheit43 , herangezogen werden müssen. b) Persönliche Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit
Gegenüber der auf die Eingliederung im weitesten Sinn abstellenden Ansicht hat sich die Meinung durchgesetzt, die in der Weisungsgebundenheit44 das maßgebliche konkretisierende Kriterium der persönlichen Abhängigkeit sieht45 • So Heußner, RdA 1978 S. 12. Auf das Vorhandensein einer Arbeitsteilung stellen ausdrücklich ab SöHner, Arbeitsrecht, § 3 I 1 S. 25; derselbe, Leistungsbes,timmung, S. 15; dagegen mit Recht Nikisch I § 1 II 3 S. 8 unter Hinweis auf die im Haushalt beschäftigten Arbeitnehmer. 37 Zeuner, RdA 1975 S.84 (85); ähnlich nunmehr BAG AP Nr.26 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 38 Molitor in Molitor / Hueck / Riezler S. 71; derselbe, RdA 1959 S. 2 ff.; ähnlich Fabricius S. 12; kritisch hierzu A. Hueck in Hueck / Nipperdey I § 9 III 3 Fn.22 S.44. S9 Maus, Arbeitsverhältnis, S. 94 f.; dagegen A. Hueck (Fn.38). 40 In dieser und ähnlichen Formulierungen taucht das Eingliederungsmerkmal vor allem in der Rechtsprechung des BSG auf; vgl. BSG SozR 2200 Nr.4 zu § 1227 RVO; BSGE 38, 53 (57); BSG AP Nr. 11 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BSG BB 1974, 233; BSG SozR Nr.68 zu § 165 RVO; BSG AP Nr.30 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. auch ESGE 16, 289 (294) = SozR Nr. 30 zu § 165 RVO; BSG SozR Nr. 7 zu § 441 RVO; BSG SozR Nr.7 zu § 2 AVG; ähnlich BSG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten. 41 So A. Hueck (Fn.38). 42 ZöHner § 4 III 5 b S. 40. 43 A. Hueck (Fn. 38); ebenso Buhl S. 116; Böker S. 22. « Zum Weisungsrecht des Arbeitgebers allgemein Hueck / Nipperdey I § 25 VI S. 158 ff.; Nikisch I § 25 IV S. 255 ff.; SöHner, Leistungsbestimmung; Ostheim; Böker; Böttner; Birk, AR-Blattei Direktionsrecht I; Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht; Hefermehl, BAB!. 1967 S.310 (313 ff.). 45 Vgl. etwa Hueck / Nipperdey I § 9 III 3 S.41 ff. mit weiteren Nachweisen in Fn.15; Staudinger / Nipperdey / Mohnen / Neumann 11. Aufl. vor § 611 Rz. 15 ff.; Soergel / Siebert / Wlotzke / Volze 10. Aufl. vor § 611 Rz.9; Palandt / Putzo vor § 611 Anm. 1 g; Kaskel / Dersch § 6 I 3 S. 26 ff.; Neumann-Duesberg, JZ 1964 S.433; Falkenberg, DB 1969 S.1409 (1410); - relativierend etwa Siebert, BB 1949 S. 746 ff.; G. Hueck, DB 1955 S. 384 ff.; ZöHner § 4 III 5 a 35
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I. Das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit
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Aber auch diese Auffassung hat mit dem Problem zu kämpfen, daß sie unmittelbar einleuchtende Lösungen nur hinsichtlich der in den "klassischen" Arbeitnehmerbereichen der Fabrikarbeit und der einfachen Bürotätigkeit angesiedelten Erscheinungen anzubieten vermag. Nachdem sich in der Praxis die Rechtsform des Arbeitsverhältnisses auch für hochqualifizierte, spezLalisierte und gut dotierte Dienstleistungen durchgesetzt" und die Rechtsprechung diese Entwicklung mitvollzogen hat47 , mußte zunächst auf das Merkmal der Bindung an fachliche oder arbeitsbezogene Weisungen48 verzichtet werden 49 • Diese Notwendigkeit der Anerkennung des sogenannten fachlich weisungsfreien Arbeitnehmers50 1st eine zwangsläufige Folge des Umstands, daß vor allem bei höheren Tätigkeiten eine Weisungsunterworfenheit in fachlicher Hinsicht vielfach aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ausscheidet51 • S. 38 ff.; Soergel / Siebert / Kraft 11. Auf!. vor § 611 Rz.5; Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 10 f.; - relativierend meist auch das BAG, vgl. z. B. BAG AP Nr. 2 zu § 611 BGB mittelbares Arbeitsverhältnis, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Erfinder, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit, AP Nr. 10 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten. 46 Lieb, RdA 1977 S.210 (213) unter Berufung auf Herschel, UFITA Bd.36 (1962) S. 115 ff.; vgl. auch Herschel, Freier Beruf, S. 28 ff.; G. Hueck, RdA 19ti9 S. 216; Söllner in Münchener Kommentar § 611 Rz. 133 und § 621 Rz.6. 47 Paradigmatisch das Chefarzt-Urteil BAG AP Nr.24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; vgl. auch das einen Professor betreffende Urteil BAG AP Nr.4 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten. 48 Zur Differenzierung in fachliche (sachbezogene) und persönliche Weisungen: Ostheim S. 13 f., 21 ff.; Wahle in Festschrift Schmitz S. 329 ff.; Tomandl in Gedenkschrift Gschnitzer S.431 (434); derselbe, Wesensmerkmale des Arbeitsvertrags, S.185; ferner Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 1 S. 2 f.; Birk, AR-Blattei Direktionsrecht lAll; ungenau Söhnen S. 29 ff. 49 So Ostheim S. 21 ff.; Tomandl S.85, 153, 185, 190; derselbe in Gedenkschrift Gschnitzer S.431 (435); Wahle in Festschrift Schmitz S.3'29 (333); vgl. auch Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 1 S. 2 f.; derselbe, RdA 1974 S. 257 (259 und dort Fn. 14); Zöllner, RdA 1969 S.65 (67); G. Hueck, RdA 196,9 S. 216 (219); Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 10; M. Rehbinder, Soziale Sicherung, S. 20 f.; Herschel, Rechtsfragen, S. 84 ff.; derselbe, Freier Beruf, S. 28 ff.; Molitor, RdA 1959 S.2 (6); - nicht ausdrücklich, aber düch der Sache nach differenzierend auch BAG AP Nr.3, 7 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Abhängigkeit; LAG Saarbrücken AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abhängigkeit; LAG Frankfurt AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BSG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BSG SozR Nr. 7 zu § 2, AVG. 50 Dazu Herschel, Rechtsfragen, 8.84 ff.; ablehnend Rancke S. 54 f.; Buhl 8.110 f. 51 80 z. B. in den Fällen BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche, BAG AP Nr. 1, 3 zu § 611 BGB Abhängigkeit, BAG AP Nr. 1 zu § 2 BUrlG, BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Erfinder, BSG 80zR Nr. 7 zu § 2 AVG; vgl. auch das Urt. des BAG v. 23.4.1980; 5 AZR 426179, (demnächst) AP Nr.34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 2 der Gründe; zum Arbeitnehmerstatus von Chefärzten ferner: BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; BAG AP Nr.2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BAG AP Nr. 1 zu Art. 38 GemeindeO Bayern; BAG AP Nr. 19 zu § 620 BGB Befrristeter Arbeitsvertrag. 5 Rosenfelder
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2. Kap.: Der Arbeitnehmerbegriff im Widerstreit der Meinungen
So fehlen dem Arbeitgeber oft die nötigen eigenen Kenntnisse und Fertigkeiten, um seinen hochqualifizierten oder spezialisierten Arbeitnehmern sachbezogene Weisungen erteilen zu können52 • Im Falle derjenigen Beschäfbgten, die eine freiberufliche Tätigkeit in standesrechtlicher Verantwortung als Arbeitnehmer ausüben, z. B. der angestellten Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Ärzte, verbietet das Standesrecht eine solche Weisungsunterworfenheit53 • Weitere Beispiele - etwa der Flugzeugpilot, der Schiffskapitän und der überlandfernfahrer -, deren Zahl beliebig erweitert werden könnte, zeigen, daß die fachliche Weisungsbindung funktionsspezifisch ist und in der Regel mit zunehmender Qualifikation des Beschäftigten proportional abnimmt54 • Wenn aber die Art einer Tätigkeit nach heute unstreitiger Ansicht für sich genommen über die rechtliche Qualifizierung des Betreffenden nichts aussagt55, so muß gerade deshalb die von der ausgeübten Funktion abhängige fachliche Weisungsgebundenheit hierfür ebenfalls irreleV'ant sein56 • Das wird bestätigt durch einen Blick auf andere Vertragsformen, der erweist, daß die Rechtsordnung die Bindung an sachbezogene Weisungen auch bei Selbständigen anerkennt, z. B. freien Dienstnehmern57 , Werkunternehmern58 , Beauftragten59 , Handelsvertretern~lO, Kommissionären61 und Spediteuren62 • Aber auch die danach als maßgebliches Abgrenzungskriterium übrigbleibende63 Bindung an persönliche, d. h. sich auf die organisatorische 52 So etwa oft bei leitenden Angestellten in Stabsfunktionen oder bei wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeitern; vgl. dazu Nikisch I § 25 IV 1 s. 255 f.; Hueck / Nipperdey I § 25 VI Fn. 38 s. 159. 53 So Stolterfoht S.107; Buhl S.I09 nennt als Beispiel den angestellten Herstellungsleiter nach §§ 13 ff. Arzneimittelgesetz vom 16.5. 19tH (BGBl. I S.533); vgl. dazu ferner Herschet, Freier Beruf, S. 30 f.; Hueck / Nipperdey I (Fn.52). 54 So G. Hueck, RdA 1969 S.216 (219); E. Wolf S. 16; Molitor, RdA 1959 S.2 (6); Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 1 S. 2 f.; Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 10; Böttner S. 14; Söhnen S. 31; Ostheim S. 10; ausdrücklich nunmehr auch das BAG, Urt. v. 23. 4. 1980, 5 AZR 426179, (demnächst) AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 2 der Gründe; vgl. ferner BAG AP Nr. 10 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAG AP Nr. 16, 20 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 55 Statt anderer G. Hueck, RdA 1969 S.216; klar auch Söllner in Münchener Kommentar § 611 Rz.43, 129; anders jedoch zuweilen das BSG, das für bedeutsam hält, ob eine Tätigkeit in Ausübung eines freien Berufs erfolgt, vgl. BSG AP Nr. 9 zu § 539 RVO = SozR Nr. 3 zu § 541 RVO und AP Nr. 17 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten. 56 So Lieb, RdA 1977 S.210 (213); Herschel, UFITA Bd.36 (1962) S. 115 ff. (120,122); StoUerfoht S. 108 f.; Rancke S. 51 f.; Tomandl S. 182 f.; Buhl S. 112 f. 57 Vgl. § 618 Abs. 1 BGB. 58 Vgl. § 645 Abs. 1 BGB; Söllner § 3 I 3 c S. 28. 59 Vgl. § 665 BGB; Söllner (Fn. 58). 60 Zöllner § 4 III 5 a, aa S. 38 f. 61 Vgl. § 384 Abs. 1 HGB. 62 Vgl. § 408 Abs. 1 HGB.
I. Das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit
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Durchführung der Arbeit beziehende Weisungen64 vermag außerhalb des Bereichs der "klassischen" Arbeitnehmertätigkeiten nicht immer zweife1sfreie Ergebnisse zu gewährleisten. Denn einerseits gibt es Personen, die anerkanntermaßen Arbeitnehmer sind, ohne in persönlicher Hinsicht - also vor allem bezüglich Ort und Zeit der Arbeit65 - nennenswert an Weisungen gebunden zu sein66 • Eine solche persönliche Weisungsfreiheit kann durch die Art der Tätigkeit bedingt sein67, z. B. bei leitenden Angestellten oder Angehörigen kreativer Berufe; sie kann aber auch betriebsüblich sein, wobei die gleitende Arbeitszeit eine erste Stufe darstellt68 • Andererseits verlangen bestimmte Projekte mit hohem Arbeitsteilungsgrad - z. B. Hörfunk- und Fernsehproduktionen - eine sorgfältige Abstimmung aller Beteiligten in organisatorischer Hinsicht ohne Rücksicht auf den Status69 • Somit ist auch die persönliche Weisungsgebundenheit insgesamt funktions- und nicht rechtsformspezifisch70.
63 So TomandL S. 185 in vorsichtiger Formulierung; dersetbe in Gedenkschrift Gschnitzer S.431 (435); Wahte in Festschrift Schmitz S.329 (333); Brüggemann in Großkommentar-HGB § 84 Anm. 9. l>4 Zu dieser Kennzeichnung Söhnen S.37; Ostheim S.22 und die übrigen in Fn.48 Genannten; die so entstehende Abhängigkeit wird deshalb als arbeitsorganisatorische bezeichnet; so Lieb, RdA 1977 S. 210 (214); ähnlich Beuthien / Wehter, RdA 1978 S. 2 (3); mit Recht weist Lieb auf die Nähe zur Lehre von MoHtor (Fn. 38) und Zeuner (Fn. 37) hin. 65 Die Bindung in örtlicher und zeitlicher Hinsicht wird in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB als Charakteristikum der persönlichen Weisungsunterworfenheit angesehen; vgl. Ostheim S. 22; Hueck / Nipperdey I § 9 III 3 Fn. 23 S.46 mit zahlreichen Nachweisen aus der älteren Rechtsprechung; Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 11; - aus der neueren Rechtsprechung ebenso BGH DB 1966 S.375; BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; BAG AP Nr. 1 zu § 2 BUrlG; BAG AP Nr.3, 7, 10 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAG AP Nr. 1, 3, 6, 24 und (relativierend) 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BSG AP Nr. 11 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BFH BStBl. II 1971 S.22 (23); BFH BStBl. II 1972 S. 88 f.; BFH AP Nr.4 zu § 611 BGB Film. 66 So Ostheim S.25, 28 f.; ähnlich Böker S. 22 f.; Söhnen S. 33 ff.; Beuthien / Wehter, RdA 1978 S. 2 (4); Buht S.111; WoUereck, AuR 1973 S.129 (131). 67 Buhl S.I11 unter Berufung auf Ostheim S.29; vgl. auch WoUereck (Fn.66). 68 So Fatkenberg, Das Personalbüro 1971 Gruppe 3 S.215 (218); WoUereck (Fn.66); generell zu den Auswirkungen neuer individualisierter Arbeitszeitstrukturen auf den Arbeitnehmerstatus Reuter, RdA 1961 S. 201 (202 ff.). 69 So Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 1 S.3; dersetbe, RdA 1964 S.257 (260); dersetbe, RdA 1977 S.210 (214); WoUereck (Fn.66); Söhnen S. 33 ff.; Beuthien / Weht er, RdA 1978 S. 2 (4); SöUner in Münchener Kommentar § 621 Rz.4; ausführlich zur Programmtätigkeit des Rundfunks als hochorganisierte und differenzierte Informationsverarbeitung Utthojj / Deetz / Brandhoje / Nöh S. 86 ff. 70 So Buht S. 112 f. unter Berufung auf Tomandt S.182; StoUerjoht S.108; SöUner in Münchener Kommentar § 611 Rz.133; Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 11.
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2. Kap.: Der Arbeitnehmerbegriff >im Widerstreit der Meinungen
Der vom BAG eine Zeitlang favorisierte Ausweg, zwischen den sich aus der Natur der Arbeitsaufgabe ergebenden und folglich irrelevanten und den darüber hinausgehenden, für das Arbeitsverhältnis typischen Weisungen zu unterscheiden71 , konnte somit nicht weiterführen. Mit Recht wird in der Literatur eingewendet, daß kein vernünftiger Arbeitgeber weitergehende Weisungen erteilen wird, als dies unumgänglich ist72 • Häufig wird sogar zweifelhaft sein, ob er das überhaupt darf. Denn mangels ausdrücklicher vertraglicher Vereinbarungen über den Umfang des Weisungsrechts kann dieser oft nur aus den spezifischen Anforderungen der Tätigkeit, d. h. aber gerade der "Natur der Arbeitsaufgabe" erschlossen weroen73 • Auf die davon u. U.abweichende faktische Anmaßung einer Weisungsbefugnis oder Nichtinanspruchnahme eines bestehenden Weisungsrechts kann es ohnehin nicht ankommen 74 • Abgesehen von der geschilderten Randunschärfe, deretwegen das Kriterium der Weisungsgebundenheit insgesamt als konstitutives Merkmal des Arbeitnehmerbegriffs ungeeignet ist, erscheint schließlich die Existenz eines zwingenden Zusammenhangs zwischen der Weisungsgebundenheit und dem Schutzzweck des Arbeitsrechts fraglich 75 • Im Schrifttum wird hervorgehoben, daß zwischen beiden zwar im Regelfallein Konnex, aber keine Kausalbeziehung bestehe76 • Danach mangelt es auch an der inneren Rechtfertigung der Verwendung des Kriteriums als Begriffskonstituante, weil trotz Fehlens der Weisungsgebundenheit die für das Arbeitsrecht spezifische Schutzbedürftigkeit vorliegen kann. 71 Vgl. BAG AP Nr.24 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr.3, 7, 10 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; LAG Saarbrücken AP Nr.7 zu §611 BGB Abhängigkeit; dagegen mit Recht Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 1 S. 3 und Söhnen S. 34 f.; die mangelnde Aussagekraft dieser Differenzierung zeigt sich nicht zuletzt darin, daß die letzte der oben genannten BAG-Entscheidungen den beiden zuvor genannten diametral wid~rspricht. 72 Schnorr v. Carolsfeld, Anm. zu BAG AP Nr.3 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Buhl S. 112. 73 So Tomandl S. 70, 182 f., der (S. 68 ff.) vom Problem der "stillen Autorität" des Dienstgebers spricht; Stolterfoht S. 111. 74 Ob der Dienstherr sich unzulässigerweise eine Weisungsbefugnis anmaßt oder ob er von einem bestehenden Weisungsrecht keinen Gebrauch macht, muß für die rechtliche Qualifizierung des Beschäftigten grundsätzlich gleichgültig sein; vgl. dazu Stolterfoht S. 110 f.; Buhl S. 112 f.; zu den dogmatischen Bedenken gegen die Annahme eines Weisungsrechts und einer entsprechenden Gehorsamspflicht Zöllner, RdA 1969 S. 65 (6'7); Karch S. 39; Böttner S. 37 fi. (39); vgl. dazu auch BAG, Urt. v. 23.4.1980, 5 AZR 426179, (demnächst) AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 2 der Gründe. 75 Dazu Zöllner, RdA 1969 S.65 (67); derselbe § 4 Irr 5 e S. 41 f. und § 11 II 7 c S.105 (Unterordnungscharakter des Arbeitsverhältnisses als "typusbildende Realität"); Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 1 S.4; Beuthien / Wehler, RdA 1~78 S.2 (4); Soergel / Siebert / Kraft 11. Auf!. vor § 611 Rz. 5. 76 So insbesondere Lieb und Beuthien / Wehler (Fn. 75).
I. Das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit
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c) Persönliche Abhängigkeit als offenes Merkmalsgefüge Die Erkenntnis mangell1!der Unterscheidungskraft der Merkmale der Eingliederung und der Weisungsunterworfenheit gerade in den Grenzfällen hat dazu geführt, daß die heute h. M. auf ein konstitutives also ein stets, aber auch nur bei VOl'liegen persönlicher Abhängigkeit festzustellendes - Abgrenzungskriterium ganz verzichtet77 • Unter welchen Voraussetzungen ein Beschäftigter als persönlich abhängig anzusehen ist, kann danach nicht abstrakt und allgemeingültig bestimmt werden. Zumindest außerhalb des Bereichs "klassischer" Al'beitnehmertätigkeiten ergibt sich die persönliche Abhängigkeit nach h. M. aus dem spezifischen Gesamtbild, das die Beschäftigung im konkreten Fall bietet78 • Demnach sind alle diejenigen Umstände des Einzelfalls79 zu berücksichtigen, die sich auf Art und Weise der Arbeitsleistung beziehen. Allein entscheidend ist aber nie ein einzelner Faktor, sondern stets der Gesamteindruck, der aus der Summe ,der Einzelumstände in ihrer spezifischen Verbul1!denheit resultiert8o • Der Kreis der für oder gegen die persönliche Abhängigkeit sprechenden Umstände ist folglich offen81 • Auch kann es nicht auf eine zahlenmäßige Aufrechnung an77 So schon Siebert, BB 1949 S. 746 ff.; G. Hueck, DB 1955 S. 384 fi.; derselbe, RdA 1969 S.216 (2.19); außerdem z. B. Staudinger / Nipperdey / Mohnen / Neumann 11. Aufl. vor § 611 Rz. 18 if.; Falkenberg, DB 1969 S. 1409 ff.; der Sache nach auch Schaub § 8 II 2 S. 31 f.; Soergel / Siebert / Wlotzke / Volze 10. Aufl. vor § 611 Rz. 18 ii.; Soergel / Siebert / Kraft 11. Aufl. vor § 611 Rz.5; Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 12 ff.; für Zweifelsfälle auch Hueck / Nipperdey I § 9 !Ir 3 Fn.25 S.46; - vgl. ferner Mayer-Maly, ZAS 1966 S.2 (6); E. E. Hirsch S. 184; Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 1 S.4; derselbe, RdA 1974 S.257 (260); derselbe, RdA Ig77 S.210 (213 f.); M. Rehbinder, Soziale Sicherung, S. 21 f.; Tomandl S. 6 ff., 74; Stolterfoht, DB 1973 S.1068 (1069); derselbe S. 16 ff., 59- ff.; Söhnen S. 1a ff.; - ebenso schon der Sache nach,
teilweise auch ausdrücklich, das RAG, z. B. ARS 5, 27 (28); 7, 451 (452); 8, 451 (452 f.); 15, 505 f.; 23, 44 ff.; 29, 35 f.; 36, 143 fi.; 45, 34 ff.; - der Sache nach überwiegend auch das BAG, z. B.: AP Nr.l zu § 611 BGB Erfinder; AP Nr. 3, 14 zu § 611 BGB Abhängigkeit; AP Nr.24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehalt&ansprüche; ausdrücklich AP Nr.6, 16\ 18, 20 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ferner etwa LAG Saarbrücken AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ausdrücklich auch BAG, Urt. v. 23.4.1980, 5 AZR 426179, (demnächst) AP Nr.34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3 der Gründe. 78 Vgl. die in Fn.77 Genannten; aus der Rechtsprechung deutlich BAG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit, BI. 368 R. f.; BAG AP Nr.2 zu § 92 HGB; BAG AP Nr.1O zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAG AP Nr. 14 - 27, 21, 23 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BSG AP Nr. 5, 29, 30 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BFH BStBl. II! 1952 S. 79 f.; BFH BStBl. II 1977 S. 178 ff.; BFH BStBl. II 1979 S. 188 ff. 79 So Z. B. ein Teil des Leitsatzes zu BAG AP Nr.2. zu § 92 HGB; ferner etwa BAG AP Nr. 10, 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 2 zu § 717 ZPO; ferner z. B. RAG ARS 45, 34 ff.; BSG Breithaupt 1965, 639 (640); BFH VersR 1964, 668; BFH BStBl. III 1956 S. 119 f. 80 So schon ganz klar Siebert, BB 1949 S. 746 ff.
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2. Kap.: Der Arbeitnehmerbegriff ,im Widerstreit der Meinungen
kommen82 ; maßgeblich ist vielmehr das Gewicht, das den Einzelfaktoren per se zukommt, sowie der Grad ihrer Ausprägung 83 . Jedes dieser "Arbeitnehmerindizien" kann fehlen, ohne daß deshaLb die persönliche Abhängigkeit entfallen müßte, und jedes kann im Einzelfall auch bei Selbständigen gegeben sein. Ausschlaggebend ist der Grad der persönlichen Abhängigkeit84, den die Abwägung 8S der einzelnen Indizien86 ergibt. Trotz dieser Offenheit des Merkmals der persönlichen Abhängigkeit verzichtet die h. M. keineswegs auf eine inhaltliche Präzisierung. In der Rspr. und Literatur begegnet vielmehr immer wieder ein relativ fest umrissener Katalog von Einzelumständen87 , der erst in jüngerer Zeit unter dem Einfluß der von den freien Mitarbeitern im Kulturbereich geführten Statusprozesse erhebliche Veränderungen erfahren hat88 . Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß in der Rspr. schon des RAG89, aber auch des BAG90 häufig nur scheinbar die persönliche Abhängigkeit mit der Weisungsunterworfenheit schematisch gleichgesetzt wird, in Wahrheit aber die Abgrenzung mittels eines Kranzes von durch'aus eigenständigen Einzelindizien erfolgt, die mit der Bindung an Weisungen nichts oder nur wenig zu tun haben91 . 81 Detaillierte Zusammenstellungen finden sich bei: Siebert, BB 1949 S. 746 ff.; G. Hueck, DB 1955 S. 384 ff.; Staudinger / Nipperdey / Mohnen / Neumann 11. Aufi. vor § 611 Rz. 18 ff.; Söhnen S. 12; Falkenberg, DB 1969 S. 1409 ff.; Stolterfoht S. 71 ff.; M. Rehbinder, Soziale Sicherung, S.22; Ady, FuR 1974 S. 91 ff.; BAG AP Nr.6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; neuerdings wieder BAG AP Nr. 37 zu § 611 BGB Abhängigkeit; LAG Saarbrücken AP Nr.7 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 82 Deshalb erfassen Kriterientafeln, wie sie z. B. Söhnen S.25 zusammenstellt, nicht den Kern des Problems. 83 Deutlich BAG AP Nr.17 zu § 611 BGB Abhängigkeit, BI. 368 R. f.; BAG AP Nr. 2 zu § 92 HGB. 84 So schon z. B. RAG ARS 15, 505 f.; 27, 5 (6); - BAG AP Nr.6, 10, 12, 14, 18, 21, 37 zu § 611 BGB Abhängigkeit; LAG Saarbrücken AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abhängigkeit; - vgI. auch Siebert, BB 1949 S.746 (747); G. Hueck, DB 1955 S. 384 (385); Hueck / Nipperdey I § 9 Irr 3 S. 43, wo das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit als "relatives" bezeichnet wird; ebenso Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 RZ.9. 85 Zu diesem Vorgang ausführlich Stolterfoht S. 18,67 ff. 86 Gegen die Verwendung dieses Begriffs Stolterfoht S.67 mit der Begründung, es werde hier nicht - wie im Prozeßrecht - von Tatsächlichem auf Tatsächliches geschlossen. 87 s. o. Fn. 81. 88 Die Periode relativer Ruhe um den Arbeitnehmerbegriff umiaßt, wie ein Vergleich der Aufsätze von Siebert, BB 1949 S. 746 ff. und Falkenberg, DB 1969 S. 1409 ff. zeigt, etwa 20 Jahre. 89 VgI. die Angaben Fn. 77 und bei Siebert (Fn. 88). 90 So etwa BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Erfinder; BAG AP Nr. 3, 14 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr.24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche. 91 So sehr deutlich G. Hueck, RdA 1969 S.216 (219); ihm folgend Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz.I0.
I. Das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit
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Zu dem "klassischen" Ka1Jalog von Merkmalen gehört zunächst eine Reihe von Einzelumständen, die sich auf die Art UIl!d Weise der Arbeitsleistung an sich beziehen und deshalb als materielle oder echte Merkmale92 bezeichnet werden: Die wichtigsten materiellen Indizien93 sind nach wie vor die Weisungsgebundenheit in fachlicher Hinsicht, die Bindung in bezug auf Arbeitsort und -zeit sowie die Eingliederung. Des weiteren sind zu nennen die Intensität der Arbeit - also der GI1ad der Ausnutzung der Arbeitskraft -, das Fehlen des Unternehmerrisikos, die Tätigkeitskontrolle, die Pflicht zum regelmäßigen Erscheinen und zur regelmäßigen Berichterstattung, die Unterordnung unter andere im Dienste des Geschäftsherrn stehende Personen sowie die Pflicht zur Ausführung sonstiger Arbeiten. Den materiellen stehen die sogenannten formellen oder unechten Merkmale gegenüber. Dazu gehören diejenigen Umstände, deren Vorliegen eine Konsequenz der Sllbjektivt durch Dispositionsübertragung verliert298 , mag hier dahinstehen. Die zur Beantwortung dieser Frage erforderliche sozialwissenschaftliche Erörterung kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden.
Wie Fn. 293. Vgl. zum folgenden die Zusammenfassung in RdA 1977 S.210 (219). 296 Ebenso Rancke S.69; vgl. auch Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 13,27. 297 Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 3 S. 7. 298 Ablehnend Rancke S.70. 294 295
II!. Alternativmodelle der Begriffsbestimmung und Abgrenzung
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Wenig überzeugend ist des weiteren der Versuch, im Hinblick auf die unbestreitbare Existenz befristeter Arbeitsverhältnisse zwischen einem dem Wesen der Disposition immanenten temporären und deshalb unternehmerischen und einem sich davon qualitativ unterscheidenden generellen, arbeitnehmerischen Dispositionsverzicht zu differenzieren299 • Die mangelnde TI1agfähigkeit des von Lieb gefundenen Abgrenzungskriteriumsauch in dieser weiterentwickelten Form zeigt sich deutlich darin, daß er für den Bereich der problematischen Teilzeit- und Kurzzeitbeschäftigungsverhältnisse genau genommen eine versteckte Kriterien-Auswechselung vornimmt und als maßgebliches Kriterium die Art der Tätigkeit heranziehtll°o. Indessen lehnt die h. M. eine funktionsspezifi,sche rechtliche Einordnung von Beschäftigten mit gutem Grund seit langem ab301 . Die Richtigkeit dieser Auffassung erweist sich auch an dem Ausweichkriterium der inhaltlich-gegenständlichen Bestimmtheit der Arbeitsleistung: Im Schrifttum wird mit Recht darauf hingewiesen302, daß die übernahme projekt- oder objektbezogener Aufgaben auch bei typischen Arbeitnehmern - etwa dem für ein bestimmtes Bauvorhaben eingestellten Maurer - vorkommt. Im übrigen erinnert dieses Kriterium 'Stark an die oben abgelehnte Lehre vom Arbeitsverhältnis als einem Gattungsdienstverhältnig303. Nach allem verwundert es kaum, Idaß Lieb außerhalb des "klassischen" Arbeitnehmerbereichs in einem weiteren Schritt der Kriterienauswechselung letzten Endes die Verkehrsanschauung und die Marktverhältnisse darüber entsche~den lassen will, ob eine selbständige Beschäftigung auf Produktionsdauer oder ein befristetes Arbeitsverhältnis vorliegtll°4 • Das erscheint jedoch schon deshalb problematisch, weil gerade in den zweifelhaften Grenzfällen eine gesicherte Verkehrsauffassung kaum feststellbar sein dürfte305 . AußeI1dem handelt es sich bei diesen beiden Kriterien nicht um die auch von Lieb für erforderlich gehaltenen306 materiellen Merkmale, die erkennen lassen, warum ein Beschäftigter dem Schutz der ArbeitsrechtsoI1dnung unterstellt wird. Sie führen vielmehr geraldeauf die für weitgehend untauglich gehaltenen, überkommenen Maßstäbe zurück:3°7 • Schließlich ist auf das unkLare Verhältnis von "Rechtsformzwang" und Rechtsformwahlfreiheit in der Konzeption von Lieb hinzuweisen. Ebenso Schwerdtner in Münchener Kommentar § 621 Rz. 6. 300 S. o. Fn. 293, 294. 301 Vgl. G. Hueck, RdA 1969 S. 216 (217); s. o. I. 2. b). 302 Beuthien I Wehler, RdA 1978 S. 2 (8). 303 s. o. vor Ziff. 1. und dort Fn. 211. 304 s. o. Fn.290. 305 So Beuthien I Wehler, RdA 1978 S. 2 (3 f.). 306 Lieb, ZVersWiss. 1976 S.207 (209 f.); derselbe, Arbeitsrecht, § 1 I 1 S.4. 307 Ebenso Rancke S. 70 f. 299
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2. Kap.: Der Arbeitnehmerbegriff im Widerstreit der Meinungen
Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit der "Rechtsformzwang", der ja ex definitione die Unbeachtlichkeit des Qualifizierungswillens der Beteiligten beinhaltet308, durch "freien Entschluß"309 überwunden wird, bLeibt offen310 . Man könnte zwar meinen, daß Lieb - in Entsprechung zu deutlichen Tendenzen in der neueren AbgrenzungsRechtsprechung des BAG311 - das Vorliegen wirklich freier Selbstbestimmung312 in bezug ,auf die Rechtsformwahl fordert. Das erscheint jedoch unwahrscheinlich, da sich Lieb entschieden gegen eben diese Entwicklung der Rspr. gewandt hat3 13. Ganz abgesehen davon wäre diese Lösung sowohl hinsichtlich ihrer theoretischen Grundlegung als auch ihrer praktischen Realisierbarkeit ungemein problematisch.
5. Der Arbeitnehmer als sozial schutzbedürftiger und persönlich abhängiger Dienstnehmer im Modell von Beuthien I WehleI'
Ein an arbeitsrechtlichen Grundwertungen ausgerichtetes Begriffsmodell, das in den Grundlinien mit der Konzeption von Lieb weitgehend übereinstimmt, in den Ergebnissen jedoch von ihr abweicht, haben vor nicht allzu langer Zeit Beuthien und Wehler zur Diskussion gestellt. a) Grundzüge und praktische Folgen
Wie Lieb gehen auch Beuthien und Wehler davon aus, daß die Abgrenzungskriterien aus dem leitenden Wertungsgesichtspunkt der sozialen Schutzbedürftigkeit zu entwickeln sind31 4, als dessen Grundsachverhalt der zur Daseinsvorsorgeunfähigkeit führende Verzicht auf die Verwertung der Arbeitskraft am Markt und auf die damit verbundenen unternehmerischen Chancen angesehen wird315 . Genauer als Lieb fvagen sie jedoch zum Zwecke der Gewinnung unterscheidungs308 309
S. o. H. 2. b) und dort Fn. 172. s. o. Fn. 289.
310 Ablehnend auch Rancke S. 70 Fn.41. 311 VgI. BAG AP NI'. 12, 18, 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 312 Damit ist das bei vielen freien Mitarbeitern in den Kulturberufen feststellbare Funktionsdefizit des VertragsschlußmechaniSllIlus angesprochen; s. o. 1. Kapitel Ir. 2.; zum Problem der Selbstbestimmung in diesem Zusammenhang z. B. Flume § 1, 6 a S. 7 t.; Raiser in Festschrift Deutscher Juristentag S.101 (118); grundlegend M. Wolf S. 19 ff. und passim; kritisch SchmidtRimpler in Festschrift Raiser S. 3 (17 ff.). 313 Lieb, RdA 1975 S. 49 (50); derselbe, Anm. zu BAG AP NI'. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 1 a, BI. 589 R. f.; ähnlich Ossenbühl S. 65 ff. 314 Beuthien I Wehler, RdA 1978 S.2 (3); dieselben, Anm., zu III 1, BI. 699 f.; insoweit zustimmend Wachter S.79; ablehnend Dietz I Richardi, BetrVG 6. Aufl.., § 5 Rz. 14. 315 Beuthien I Wehler, RdA 1978 S.2 (4) und Anm., zu IV 3, BI. 700 R. f.
11I. Alternativmodelle der Begriffsbestimmung und Abgrenzung
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kräftiger Kriterien nicht danach, ob 8, (demnächst) AP Nr. 36 zu § 611 BGB Abhängigkeit, die Parteien hätten sich auf die im Vertragstext nicht postulierte kontinuierliche Mitarbeit "verständigt" (zu II 1 der Gründe). 40 BAG AP Nr. 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 1 b der Gründe, BI. 456 f. 41 BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 4 der Gründe am Ende. 42 VgI. Ftume § 4, 5 S. 52.
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
praktisch gehandhabter Gestaltung sind also der Problematik des Vertragsschlusses durch konkludentes Verhalten zuzuordnen. So gesehen ist der Schluß von der einverstänJdlich pJ:Taktizierten Handhabung eines Rechtsverhältnisses 'auf dessen Rechtsnatur keineswegs ein ungewöhnlicher Vorgang43. Nicht anders ist im übrigen der in der Praxis häufige Sonderfall zu beurteilen, daß über bestimmte Punkte gar keine ausdrücklichen vertraglichen Absprachen vorliegen44 • Es ist auch dann zu fI1agen, ob zwischen den Parteien hinsichtlich der tatsächlichen Ausgestaltung der Beziehungen stillschweigendes Einvernehmen besteht. Liegen die VOI1ausset:z;ungen einer konkludenten Vereinbarung vor, so ist die praktische Handhabung des Rechtsverhältillsses verbindliche GruIlJdlage der 'Qualifizierung. Das MißverstäIlJdIlIis, die h. M. stelle auf etwas bloß Faktisches ab, ist Idar:aufzurückzuführen, daß vor allem in der Rechtsprechung des BAG die Voraussetzungen für die Annahme einer stillschweigenden Willenserklärung in den Diskrepanz-Fällen oft nur un:z;ulänglich oder ,gar nicht geprüft wurden46 • Demnach ist die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehungen dann für die rechtliche Zuordnung maßgebend, wenn 'Sich jeder der Beteiligten dessen bewußt ist, daß mit der betreffeIlJden HaIlJdhabung das Rechtsverhältnis "durch Vollzug" gestaltet wird46 , diese Prnxis also nunmehr als verbindlich ,gelten 801147 • Wird eine bestimmte Handhabung mit einer gewissen Gleichförmigkeit ausgeübt, so ist im Zweifel an:zJunehmen, daß ein Rechtsbindungswille ,im eben geschilderten Sinn vorhanden ist. Dies gilt um so mehr dann, wenn die tatsächliche Alusgestaltung derjenigen eines typischen Arbeitsverhältnisses entspricht. Schwierigk1eiten bei der Feststellung, ob eine bestimmte Praxis rechtsverbindlich gewollt ist, können allerding,s ,auftreten, wenn das Rechtsverhältnis noch nicht lange genug vollzogen ist, um eine sichere Beurteilung der Handhabung zuzulassen. In solchen Fällen können jedoch bestimmte organioder Personalvertretungsrecht, aber auch arbeitsschutzrechtlicher Regeln lästig wird; möglich erscheint auch hier der Fall, daß sich ein Vermittler zum Zwecke der Erlangung des Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB auf die objektiv vorliegende Selbständigkeit beruft.
1. Die rechtliche Zuordnung "typischer" Gestaltungen
143
Der Schein-Arbeitnehmer muß sich jedoch nicht - entsprechend dem oben zu c) Ausgeführten - mit der Anwendung derjenigen Normen abfinden, die nur für "echte" Arbeitnehmer gelten117 ; insoweit hat seine Berufung auf den objektiv vorliegenden Status als freier Mitarbeiter Erfolg. Dieser Bereich ist jedoch, wie schon erwähnt wurde, relativ schmal, so daß im praktischen Ergebnis der subjektiven Einschätzung die einschneidendere Wirkung zukommt als der objektiven Qualifizierung. 4. Dogmatisclle Behandlung der Fehlqualifizierung
Zu klären bleibt, wie die Nichtberücksichtigung des Qualifizier,ungswillens der Parteien im Falle der Rechtsformverfehlung rechtsdOlgmatisch zu bewältigen ist. Eine Umdeutung gemäß § 140 BGB in die ohjektiv gegebene Rechtsform, wie sie im Falle der gesellschaftsrechtlichen Rechtsformverfehlung von der Rspr. vereinzelt bejaht wurde118 , scheidet angesichts des ausdrücklich geäußerten gegenteiHgen Willens von vornherein aus. a) Falsa demonstratio
Als ,unbeachtliche falsa demonstratio läßt sich entsprechend dem oben ll9 AJUsgeführten nur der hier nicht weiter interessierende Fall kennzeichnen, daß ,die Parteien ,aus der ausdrücklichen Qualifizierung des Vertrags keine Konsequenzen ziehen, d. h. dennoch die Beziehungen entsprechend der objektiv gegebenen Rechtsform behandeln. Eine gezielte Fehlqualifizierung im hier gemeinten Sinn liegt dag'egen nur vor, wenn die Beteiligten das Rechtsverhältnis den RechtsfoLgen der gewählten, aber tatbestandlich nicht verwirklichten Rechtsform unterstellen wollen. Dann sind sich ldie Parteien aber der normativen Bedeutung der gewählten Bezeichnung voll bewußt. b) Scheingeschäft
Näher liegt es, auf die sogenannte Rechtsformverfehlung die Regeln über das Scheingeschäft anzuwenden, insbesondere § 117 Ahs. 2 BGB, 117 Der scheinbar unselbständige Vermittler kann außerdem an sich den Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB geltend machen; zur Problematik von Verzicht und Verwirkung s. o. a). 118 z. B. BGHZ 19,269; OLG Karlsruhe JW 1928 S. 2644 Nr. 4; Nachweise bei Battes, AcP Bd.174 (1974) S.429 (444 ff.), der einer Umdeutung im übrigen kritisch gegenübersteht; - den Vorwurf, das BAG nehme mit der Statuskorrektur bei freien Mitarbeitern Umdeutungen vor, erhebt Rupp, RdA 1978 S. 11; gemeint ist dabei aber wohl keine technische Umdeutung nach § 140 BGB. 119 s. O. 1 und dort Fn. 11.
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien MJitarbeUers
der im Falle der Verdeckung des in Wahrheit gewollten Rechtsgeschäfts durch ein Scheingeschäft die Wirksamkeit des vel1deckten Geschäftsanol1dnet12o • Voraussetzung des Tatbestands des Scheingeschäfts ist es, daß die Parteien den Schein eines wirksamen Rechtsgeschäfts herbeiführen l2l , d. h. das Vereinbarte in Wahrheit nicht gelten lassen wol1en. Bei der Rechtsformverfehlung wollen die Vertragsschließenden jedoch gerade, daß das ausdrücklich Erklärte, insbesondere die Qualifiziel1ungsklausel oder ,die Benennung, zwischen ihnen insoweit gilt, als die rechtliche Behandlung der Rechtsbeziehungen entsprecheIlId dem gewählten Vertragsmodell erfolgen soll. Außerdem kann ein Scheingeschäft gem. § 117 Abs. 1 BGB nur angenommen wel1den, wenn die Schein-Erklärung überhaupt rechtlich relevant ist. Da die Qualifizierung eines Rechtsverhäiltnisses als solche nach der hier vertl1etenen Auffassung nicht rechtsgeschäftlicher Natur ist122 , kann sie somit auch keine ScheinErklärung darstellen123. Ein 'Scheingeschäft liegt allel1diIllgs dann vor, wenn die Parteien nicht lediglich eine Fehlqualifiz1evung des Rechtsverhältnisses im Sinne einer bloßen Rechtsfolgenverweisung vornehmen, sondern zusätzlich nach außen, etwa im schriftlichen Vertragstext, eine der gewählten Rechtsform entsprechende inhaltliche Alusgestaltung vereinbaren, die sie jedoch einverständlich zu keiner Zeit praktizieren wollen. Dann gilt nach § 117 Abs. 2 BGB der dissimulierte, aber wirklich gewollte Vertragsinhalt. c) Umgehungsgeschäft
Berücksichtigt man das hinter den meisten Fällen der gezielten, offensichtlichen Fehlqualifizterung stehende Motiv der Umgehung zwingenden Rechts, so scheint die Anwendung der Gvundsätze über das Umgehungsgeschäft1 24 eine in dogmatischer Hinsicht befriedigende Erklärung für die Nichtbeachtung der von den Parteien getroffenen Rechtsformwahl zu ermöglichen. Die Funktion des Begriffs des Umgehungsgeschäfts besteht darin, solchen Gestaltungen die Anerkennung :ou vel1sagen, mit denen die Parteien unter Mißbr·auch der Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts einen Dazu Fenn in Festschrift Bosch S. 171 (174). So Z. B. Staudinger / Coing 11. Aufl. § 117 Rz. 1 e; Staudinger / H. Dilcher 12. Aufl. § 117 Rz.12; Soerget! HefermehZ 11. Aufl. § 117 Rz. 1. 122 S. O. 2. c) bb). 123 Ebenso FZume § 20,2 a S. 406; Fenn (Fn. 120). 124 Dazu z. B. Staudinger / Coing 11. Aufl. § 117 Rz. 1 a, 21; Staudinger / H. Dilcher 12. Aufl. § 117 Rz. 32 H.; Soergel / Hefermehl 11. Aufl. § 134 Rz. 52 ff.; FZume § 20, 2 b ce S. 408 f. 120
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1. Die rechtliche Zuordnung "typischer" Gestaltungen
145
verbotenen Zweck erreichen oder sonstigen, durch zwingendes Recht auferlegten Nachteilen entgehen wollen 125 • Der Begriff des Umgehungsgeschäfts setzt voraus, daß die vorgenommene Gestaltung dem gesetzlichen Tatbestand, dem ldie Beteiligten ausweichen wollen, zWar nicht dem Wortl:aut, aber doch dem Sinn und Zweck der VOI"schriit nach unterfällt. Ist dies der Fall, ISO soll derjenige Tatbestand als verwirklicht gelten, dessen Umgehung beabsichtigt war. Ob im geltenden Recht für eine besonJdere Lehre vom Umgehungsgeschäft überhaJ1lpt noch Raum ist, muß bezweifelt werden. Denn ein Geschäft mit Umgehungscharakter ist nicht automatisch nichtig; ob der Umgehung der Erfolg zu verslligen ist, hängt vielmehr von der Auslegung der betreffenden Norm .ab126 • Es wird daher angenommen, daß die Gesetrzesumgehung nicht den Rang eines besonderen RechtsiIllStituts hat, sondern als unselbständiger Anwendungsfall der Lehre von der Gesetzesauslegung zu begreifen ist127 • Flume 128 weist damuf hin, daß bei der AusLegung von Gesetzen im heutigen Recht nicht mehr wie im römischen Recht starr zwischen verba legis und sententia legis unterschieden weIde, der Inhalt des Gesetzes vielmehr nach seiner sententia bestimmt weI"de, wo es ·die veI"ba nur zuließen. Für ihn gibt es deshalb nur die Alternative, Idaß das Umgehungsgeschäft nicht erfolgreich ist, weil es vom Gesetz erfaßt wird, oder daß es dem gesetzlichen Tatbestand bei einer am Telos der Regelrung orientierten Auslegung nicht unterfällt. Der Versuch, die hier in Frage stehenden Fälle der evidenten Rech tsformverfehlung unter den Begriff des Umgehungsgeschäfts zu bringen, bestätigt diesen Befund: Zwar scheint sich ,die gezielte und ausdrückliche Wahl der objektiv offensichtlich nicht verwil1klichten Rechtsform der freien Mitarbeit zum Zwecke der Vermeidung Zlwingender arbeitsrechtlicher Rechtsfolgen vordeI1gründi:g ohne weiteres den Merkmalen des Umgehungsgeschäfts zuordnen 2'JU lassen129 • Das hiernach erforderliche Zurückbleiben des W ortlaruts hinter dem Telos der Regelung ist beim Begriffstatbestand des Arbeitnehmers und damit automatisch auch den Tatbeständen der anilin anknüpfenden 2'JWingenden Normenarber nicht 125
So Staudinger / Coing (Fn.124); vgl. auch die Fassung des § 42 Satz 1
AO. 126 So Staudinger / Coing 11. Aufi. (Fn. 124); Staudinger / H. Dileher 12. Auf!. (Fn.124); Ftume (Fn. 124). 127 So Stolterjoht S.233; ebenso Teiehmann, Gesetzesumgehung, S. 105; vgl. auch Staudinger / H. Dilcher 12. Aufi. § 117 Rz. 34,36. 128
§ 20, 2 b ce S. 409.
Zur Charakterisierung der Abgrenzungs-Rechtsprechung des BAG als "Umgehungs-Rechtsprechung" s. o. 2. Kapitel II. 2. b) und dort Fn. 173. 129
10 Rosenfelder
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3. Ka~.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mdtarbedters
möglich. Denn der Arbeitnehmerbegriff ist, wie oben aufgezeigt wunde, ein der wertenden Konkretisierung bedürftig'er Begriff130 , der ohnehin alle Gestaltungen umfaßt, die ihm nach dem Telos des Arbeitsrechts unterfallen müssen. Anders ausgedrückt: der Begriff des Umgehungsgeschäfts setzt voraus, daß eine Gestaltung "an sich" erlaubt, d. h. rechtlich zu beachten ist, so daß es einer eigenen Rechtsregel bedarf, um ihr den rechtlichen Erfolg versagen zu können. Die gestaltungswtdrige Wahl der Rechtsform des freien Mitarbeiters ist aber von vornherein insoweit irrelevant, als sie ihr Ziel - die Nichtgeltung arbeitsrechtlicher Folgen - sowieso nicht zu erreichen vermag. Dem Zweck des Arbeitsrechts wird durch die ZUOl'dnung entsprechend den objektiv feststellbaren, materiellen Arbeitnehmerkriterien unmittelbar zur Geltung verholfen; er muß nicht gegen einen ungenügenden gesetzlichen WortlaJUt verteidigt wenden. Zur Nichtbeachtung der fehlerhaften Rechtsformwahl bedarf es deshalb nicht des zweifelhaften dogmatischen Umwegs der Annahme eines Umgehungsgeschäfts. Der umgekehrte Fall der offensichtlichen Fehlqualifizierung eines freien Mitarbeiters als Arbeitnehmer schließlich läßt sich mit dem Gedanken der Gesetzesumgehung überhaupt nicht erfassen. Das gilt auch für den Sonderfall des Vermittlers, weil der Minimalschutz der §§ 89 b, 92 a HGB durch ein "Ausweichen" in den Maximalschutz des Arbeitsrechts 'schlechterdings nicht" umgangen" werden kann. d) Unbeachtliche Verwahrung (protestatio facto contraria)
Der Schlüssel zur dogmatischen Einordnung der Rechtsformverfehlung liegt darin, daß die Parteien es nicht in der Hand haben, Tatbestand und Rechtsfolge einer zwingenden Norm voneinander zu lösen. Wenn der gesetzliche Tatbestand verwirklicht ist, tritt die Rechtsfolge ein, ob die Parteien ,dies wollen oder nicht. Leistet ein Beschäftigter also unselbständige Arbeit, so ist er Arbeitnehmer und die zwingenden arbeitsrechtlichen Vorschriften finden Anwendung. Ist er zu selbständiger Tätigkeit vevpflichtet, so können, weil er kein "echter" Arbeitnehmer ist, jedenfalls diejenigen zwingenden Normen des Al'beitsrechts nicht angewendet werden, ,die nur für "echte" Arbeitnehmer gelten; handelt es sich um einen Vermittler, so werden ,die §§ 89 b, 92 a HGB anwendbar. Die Berufung auf die gewählte, aber nicht passende Rechtsform stellt in heiden Fällen eine Verwahrung gegen die zwingenden rechtlichen FoLgen des eigenen Verhaltens dar, die, wie oben aufgezeigt wul'de l3l , unbeachtlich ist. Die "Umgehung" des arbeitsrechtlichen Schutzes und ganz generell die Wahl einer objektiv nicht 130 S. 131
o. 2. Kapitel IV. 1. a). aa).
s. O. 2. c)
1. Die rechtliche Zuordnung "typischer" GestaItungen
147
zutreffenden Rechtsform ist also ein Sonderfall der protestatd.o facto contraria132 • 5. Zusammenfassung
Wegen der Eigenart des Arbeitnehmerbegriffs als eines in der sozialen Wirklichkeit vorgegebenen Begriffs sind diejenigen Erscheinungsformen der Arbeitsleistung im Dienste anderer, die dem Typ des "klassischen" Arbeitnehmers entsprechen, ohne weiteres der Rechtskategorie des Arbeitnehmers zuzuordnen. Allerdings stellt sich hier in voller Schärfe das Problem der Divergenz zwischen objektiver Erscheinung und subjektiver Einschätzung. Diese Konstellation sollte im übrigen schon deshalb nicht allein als Auseinanderfallen von Willen und tatsächlicher Handhabung gekennzeichnet weIden, weil sie sich auch aus den ursprünglich postulierten Vertragsabreden ergeben kann; es geht vielmehr um das Verhältnis von Qualifizierungswille und Inhaltsgestaltungswille. Die subjektive Einschät2'lung ist jedenfalls dann als unbeachtliche falsa demonstr,atioanzusehen, wenn die Parteien aus der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses hinsichtlich dessen rechtlicher Behandlung keine Konsequenzen ziehen; denn ausschlaggebend für die Bestimmung des Qualifizierungswillens der Beteiligten ist immer, welche Rechtsfolgen :zJur Anwendung gebracht werden sollen. Die in der Literatur gegen das von der h. M. praktizierte Beiseiteschieben des Qualifizierungswillens erhobenen Einwände sind unberecht~gt:
Durch den Schluß von der praktischen Handhabung der Beziehungen auf die Rechtsform wird nicht von Faktischem auf Normatives geschlossen, wenn man die dem verlautbarten Vertragsinhalt widersprechende Praxis nur unter der Vorausset2'lung bei der rechtlichen Einordnung berücksichtigt, daß sie dem wirklichen Willen der Parteien entspricht, d. h. der Tatbestand des Vertragsschlusses durch konkludentes Verhalten erfüllt ist. Der Gegensatz zwischen vereinbarter und praktizierter Gestaltung ist insoweit nur scheinbar vorhanden. Auch der Vorwurf des dogmatisch nicht zu rechtfertigenden Rechtsformzwangs wird gegen die h. M. zu Unrecht erhoben: Die Vertragsfreiheit erlaubt es nicht, eine von mehreren gesetzlichen Rechtsformen losgelöst von der vereinbarten Alusgestaltung der Rechtsbeziehungen zu wählen, weil damit das betreffende Rechtsverhältnis den einschlägigen zwingenden Rechtsnormen entzogen würde. Die tatbestandsungebundene Rechtsformbestimmung ist insoweit rechtlich irrelevant und 132
10*
Ebenso Flume (Fn. 124).
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mdtarbea.ters
kann foLglich nicht gemäß § 134 BGB nichtig sein. Die Begründung der Gegenansicht miet der Lehre von den essentialia negotii ist abzulehnen. Zu der Anwendung des § 139 BGB kann es nach allem nicht kommen. Den Parteien wird im übrigen schon deshalb kein ungewolltes Rechtsverhältnis unterschoben, weil es im Rahmen der durch das zwingende Recht gezogenen Grenzen bei der vereinbarten Gestaltung der RechtsbeziehJungen bleibt. Die Kontrolle dieses Ergebnisses anhand der möglichen Konfliktfälle zwischen D1enstempfänger und Beschäftigtem in der Frage der rechtlichen Zuordnung ergibt, daß dem Qualifiziel'ungswillen der Parteien letzten Endes doch eine erhebliche Bedeutung zukommt. Denn es spricht nichts drugegen, auf das Rechtsverhältnis die für die gewünschte, aber nicht "passende" Rechtsform geltenden Rechtsfolgen anzuwenden, soweit die - je nachdem ,absolute oder nur einseitige - Zwangswirkung des zwingenden Rechts ,dies nicht verbietet. Im übriJgen kann in dem Einverständnis des Beschäftigten mi!t der Fehlqualifizierung als freier Mitarbeiter u. U. ein - nur im Rahmen des rechtlich Zulässigen beachtlicher - Verzicht auf arbeitsrechtliche Ansprüche liegen. Zu beachten ist, daß auch der am arbeitsrechtlichen Sozialschutz desinteressierte, unselbständig beschäjjtigte Mitarbeiter die Anwendung zwingenlder Arbeitsrechtsnormen hinnehmen muß, soweit die Zwangswirkung reicht; ,auf seine SchutZlwilligkeit kommt es nicht an. Die Nichtberücksicht1gung des Qua1ifizierung;swillerrs bei der Rechtsformvermeidung im Bereich der evidenten Gestaltungen läßt sich dogmatisch weder mit dem Institut des Scheingeschäfts noch mit demjenigen des Umgehungsgeschäfts erklären. Gegeben ist vielmehr eine unbeachtliche Verwahrung (protestatio facto contraria).
11. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen Die Regel, daß sich die rechtliche ZUOl1dnung von Beschäftigten nach dem objektiven Erscheinungsbild der Tätigkeit richtet188 , läßt sich nur im Bereich derjenigen Gestaltungen problemlos handhaben, bei denen alle herkömmlichen Kriterien arbeitnehmerischer TätLgkeit vorliegen. Weicht die zu beurteilende Gestaltung dagegen von diesen Ddealtypen des AI"beitnehmers bZlW. Selbständigen ab, so bereitet die rechtliche ZUOl1dnung in zunehmendem Maße Schwierigkeiten, je mehr sich das objektive Erscheinungsbild der GMuzone derjenigen Fälle nähert, bei denen sich die für wie gegen die Arbeitnehmereigenschaft sprechenden Umstände in etwa die Waage halten. 183 So nunmehr ausdrücklich auch das BAG in AP Nr.26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, Leitsatz 1, letzter Satz.
H. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
149
Jilinordnungsprobleme gibt es einmal insbesondere dann, wenn der Arbeitleistende keinen festen Arbeitsplatz beim Dienstempfänger hat, Ort und Zeit der Arbeitsleistung varüeren und der Beschäftigungsgeber im Vorhinein nicht f.estlegen will oder wegen der Art der Arbeitsaufgabe mann, wann und wo die einzelnen Arbeitsvorgänge auszuführen sind. Dieses Bild fehlender Eingliederung, verbunden mit einer gewissen Ungleichförmigkeit der Arbeitsabläufe, ist vor allem kennzeichnend für die Vermittlerberufe. Problematisch sind ferner diejenigen Gestaltungen, bei denen die fachliche Ausführung der Arbeit weitgehend freigestellt und darüber hinaus ,die Bindung hinsichtlich Ort und Zeit ,der Arbeitsleistung gelockert bzw. durch die Abhängigkeit von "organisatorischen Rahmenbedingungen" - etwa der Notwendigkeit der Einfügung in einen Produktionsapparat oder ein AI'Ibeitsteam - ersetzt ist. Diese Konstellation von Arbeitsumständen findet sich häufig bei hochqualifizierten und -spezialisierten, geistig-schöpferisch tätigen Arbeitleistenden, vor allem den freien Mitarbeitern in den Rundfunkanstalten. Unsicher ist die Statusbeurteilung ·ganz generell oft dann, wenn die Inanspruchnahme der Arbeitskraft erheblich reduziert ist - sei es, daß die Arbeitszeit regelmäßig verkürzt ist oder P,erioden der Beschäftigung und beschäftigungslose Zeiten in mehr oder weniger gleichförmig,er Reihung ,aufeinander folgen. Es kommt deshalb besonders häufig bei kurzzeitig befristeten und TeilzeitbeschäftiJgungen134 zum Streit über die Rechtsnatur der V'ertragsbeziehungen. Relativ unproblematisch sind dabei allein diej-enigen Fälle, bei denen trotz gegebenenfaUs erheblicher Reduzierung der Arbeitskraftausnutzung eine dem ganzen Zuschnitt der Tätigkeit nach typisch unselbständige Beschäftigung vorliegt, also einfachere Arbeiten in fachlicher und persönlicher Weisungsgebundenheit oder betrieblicher Eingliederung zu erledigen sind; das gilt beispielsweise für Rentenauszahlhilfen, Wocheneoo- und Aushilfsverkäuferinnen, Zahlenlotto-Auswertern und Zeitungsausträgern135 • Unterstellt man einmal - wie es der konsequenten Fortführung der oben entwickelten Auffassung entspricht -, daß in den Zweifelsfällen ebenso wie bei den evidenten Gestaltungen die tatbestandsungebundene Rechtsformwahl irrelevant ist1311, so bleibt als einzig mög134 Zu Erscheinungsformen sowie Begriff und Abgrenzung der Teilzeitarbeit Seit er S. 16 ff.; Isele, RdA 1964 S. 200 ff.; ganz besonders deutlich stellt sich das Statusproblem bei dem neuerdings diskutierten sogenannten Jobsharing; dazu Reuter, RdA 1981 S.201 (203). 135 Weitere Beispiele bei Seit er (Fn. 134) S. 23 f. mit entsprechenden Rechtsprechungs-Nachweisen. 13G s. O. I. 2. c) aal, bb.
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3. Kal?: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
licher Weg das oben skizzLerte137 , vergleichsweise komplizierte und deshalb unter P!1aktikabilitätsgesichtspunkten nicht unproblematische Verfahren wertender Zuordnung im Einzelfall. Der Arbeitnehmerstatus ist danach zu bejahen, wenn der betreffende Beschäfügte im spezifisch arbeitsrechtlichen Sinn sozial schutzbedfuftig ist. 1. Wertungsunabhängige Lösungsansätze
Während es Zlur Beurteiliung evidenter Gestaltungen nicht notwendig ist, durch sorgfältiges Bewerten und Gewichten der Einzelumstände der Tätigkeit den Nachweis sozialer Schutzbedfuftigkeit zu führen, erfordert das in den atypischen Fällen anzuwendende Verfahren der rechtlichen Zuordnung durch Einzelwertung immer subtilere Differenzierung.en und nuanciertere Begründungen, je näher die zu beurteilende Erscheinung bei der düfusen Grenze zwischen Unselbständigkeit und Selbständigkeit liegt. Weil es unter Idiesen Umständen für die Rechtspr·echung ungemein schwierig ist, eine klare Linie zu entwikkeln138 , liegt es nahe, wenigstens in denjenigen Grenzfällen, in denen allem Anschein nach genausoviel für wie gegen die ArbeitnehmersteIlung spricht, dem Qualifizierungswillen der Parteien entscheidende Bedeutung beimlmessen oder nach sonstigen Kriterien zu suchen, die nach Art des Züngleins an der Waage den Ausschlag zu geben vermögen. Ob das Verfahren der Zuordnung durch Einzelfallwertung auf diese Weise vermieden werden kann, sollen die folgenden Ausführungen zeigen.
a) Parteiautonome Rechtsformwahl In der Rechtsprechung des BAG und im Schrifttum139 begegnet des öfteren die Ansicht, daß der Qualifizierungswille der Beteiligten zu berücksicht1gen ist, wenn ebensoviel für wie gegen ein Arbeitsverhältnis spricht oder "die Gesamtwü!1digung aller Einzelheiten eines Rechtsverhältnisses keine Klarheit für seine systematische EiIl!gliederung schafft"140. o. 2. Kal?itel IV. 1. a), 3. a), b). Vgl. schon Schnorr mit seiner Kritik in Anm. zu BAG AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit, sowie die im Schrifttum erhobenen Vorwürfe der Kasuistik und des Pragmatismus; s. o. 2. Kal?itel II. 1. b) und dort Fn. 132 - 134. 139 G. Hueck, DB 1955 S.384 (387); derselbe, Anm. zu BAG AP Nr.10 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Falkenberg, DB 1969 S. 1409 (1411); ebenso SöHner in Münchener Kommentar § 611 Rz. 135; Soergel / Siebert / Kraft 11. Auf!. vor § 611 Rz. 10; widersprüchlich Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 19; wohl auch Schaub § 8 H 4 S. 32; - für eine begrenzte Bedeutung des "Parteiwillens" noch das BAG in AP Nr. 1 zu § 88 HGB, Nr. 2 zu § 92 HGB, Nr. 6, 10, 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 140 G. Hueck, DB 1955 S. 384 (387). 137 S.
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11. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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Im Kontrabassisten-Urteil l41 hat der 5. Senat des BAG diese Aluffassung modifiziert: Unter der Voraussetzung, daß in solchen Zweifelsfällen 'der Dienstempfänger dem zur :Arbeitsleistung Verpflichteten nur einen Vertrag als freier Mitarbeiter angeboten und ihm keine Gelegenheit zur Bewerbung um eine Festanstellung gegeben hat, soll die Wahl dieser Vertragsform als Mißbrauch der Vertragsfreiheit unbeachtlich sein, wenn sie nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, sondern nur der Umgehung des Sozialschutzes, insbesondere des Bestandsschutzes, dient. Der Senat hat insoweit die Grundsätze über die Zulässigkeit von befristeten Arbeitsverhältnissen angewandt wissen woLlen. Im Ergebnis wäre den Parteien damit g,erade in denjenigen Grenzfällen, in denen sich ein materialer Arbeitnehmerbegriff bewähren müßte, die gestaltungsunabhäng1ge Rechtsformwahl - gegebenenfalls beschränkt durch die Anwendung des Umgehungsgerlankens - erlaubt. Bei konsequenter Anwendung der oben142 entwickelten Grundsätze zur Problematik von Rechtsformwahl und Rechtsformverfehlung kann das nicht richtig sein, weil den Parteien auf diesem Wege die Dispositionsbefugnis über die Geltung zwingender Rechtsf01gen eingeräumt würde. Allel1dings ist dazu an dieser Stelle ,einschränkend zu bemerken, daß es - wie bereits in anderem Zusammenhang angedeutet wul1de143 durchaus Fälle gibt, in denen der 'Qualifizierungswille der Parteien indirekt entscheidende Bedeutung erlangt: Es kann vorkommen, daß bei einer Vereinbarung, welche die Parteien als sinnvoll und vollständi,g ansehen, der postulierte Vertragstext die inhaltliche Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen extrem lückenhaft oder widersprüchlich regelt und infolgedessen eine rechtliche Einordnung allein auf dieser Grund}age nicht möglich erscheint. 1st in diesem Fall zudem eine be· stimmte Handhabung der Beziehungen (noch) nicht hinreichend deutlich erkennbar, so kann diese Defizit nur mit Hilfe des Qualifizierungswillens der Parteien überbrückt werden: Der RechtsfoI'lffiwahl ist dann zu entnehmen, daß ,die Partner das Rechtsverhältnis nach Treu und GLauben entsprechend der für die gewählte Rechtsform verkehrsüblichen Ausgestaltung durchführen wollen. Insofern präjudiziert dann die Rechtsformbestimmung die rechtliche Wertung. Abgesehen von diesen gerade im Bereich der freien Mitarbeit in den Kulturberufen nicht ganz seltenen Fällen muß es jedoch auch in 141 BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit, LS. 2 und zu III 3 der Gründe, BI. 588, mit insoweit scharf ablehnender Anm. von Lieb.
142 143
s. O. I. 2. b). s. O. I. 1.
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mdtarbeiters
der GraJUiZone der Zweifelsfälle bei dem ErgebniJs bleiben, daß die rechtliche Einordnung eines Beschäftigten ohne Rücksicht auf die von den Parteien getroffene RechtsformbestimmUllJg zu erfolg,en hat. Das zelligt folgende überlegung: Die Meinrung, der2lufolge im Zweifel der qualifizierungswille aussch1aggebend ist, gründet auf der Annahme, es gebe Gestaltungen, bei denen dte Beurteilung des objektiven Erscheinungsbi1des, d. h. der vereinbarten dnhaltlichen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses, zu einem "Patt" führt: Weg,en gegenseitiger Aufhebun!g der für und gegen die Unselbständigkeit sprechenden Umstände soll eine Nonliquet-Si1Juation entstehen, dte eine Entscheidung unmöglich macht. Eine solche Entscheidungsnot kann es aber ,auch in Zwedfelsfällen nicht geben. Es liegt in der Natur des Arbeitnehmerbegriffs als eines in der sozialen Wirklichkeit vorgegebenen Typusbegriffs144, daß immer dann, wenn rda's 2lU beurteilende Rechtsverhältnis vam. idealtypischen Bild abweicht, eine Wertung vorzunehmen ist. In diesem Fall muß also gefragt werden, ob die Rechtsbeziehungen in einer solchen Weise ausgestaltet wurden, daß sie in die Schutzrechtsordnung des Arbeitsrechts einzubeziehen sind. Die hiernach zutreffende Wertung kann nicht nur immer !getroffen werden, sie muß es ,auch. Denn Werten heißt Entscheiden. Eine Wertung, die zu keinem El1gebnis führt, ist ein Widerspruch in sich. Offen bleiben mag der Beweis einer Tatsache. Die Wertung dagegen muß positiv oder negativ ausfallen; bleibt sie offen, so hat sie nicht stattgefunden. Die eigentliche Arbeit des Wertens, d. h. des am Telos des Arbeitsrechts orientierten Gewichtens, muß gerade dann in Angriff ,genommen werden, wenn scheinbar genausovüel für wie gegen die Unselbständigkeit spricht. Würde man bei der Feststellung des vorgeblich'en Patts stehenbleiiben, so käme dies einer Rechtsanwendungsverweigerung gleich. Die rechtliche EinoI1dnung richtet sich demnach - abgesehen von den oben beschriebenen AuSIJJahmeel1Scheinungen - in den Grenzfällen ebenso wie in den evidenten Fällen allein nach der vereinbarten inhaltlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen. Ein Unterschied im Beurteilungsverfahren besteht l1IUr insoweit, als bei jenen Gestaltuugen eine Einzelfallwertung aufgrund des ermittelten wahren Inhalts der Beziehungen vorzunehmen ist, bei diesen dagegen der Hinweis auf das Vorliegen der "klassischen" Arbeitnehmerindizien genügt. Im übrigen steht der 5. Senat des BAG iIllSOfern, als er die von den Parteien getroffene Rechtsformwahl ,unter dem Gesichtspunkt der objektiven Gesetzesumgehrungauf ihre sachliche B~echtigung hin überprüfen will, der hier vertretenen Lösung näher, als auf den ersten 144
s. O. 2. Kapitel IV. 1. a), 3. a).
H. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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Blick anzunehmen ist. Denn das Denken in den Kategorien der Sachangemessenheit, FunktionsgerechUgkeit oder sachlichen BegrÜO!detheit ist wertendes Denken. Der vom Gericht herangezogene Maßstab des verständigen, sozial vemntwortungsbewußten V:ertragspartners145 nimmt Bezug auf den Prototyp eines Dienstempfängers, welcher den Intentionen des Arbeitsrechts in vollkommener Weise Rechnung trägt. Gleichwohl sollen die Unterschiedezw~schen beiden Lösungsansätzen nicht v,erwischt werden: Sie bestehen zum einen darin, daß sich bei Anwendung des Umgehungsgedankens das Gericht ~u.m Zwecke der Vornahme der Wertung in die Lage ,der Vertragspartner hineindenken muß, nach der hier vertretenen Ansicht dagegen eine unmittelbare Wertung vorzunehmen ist. Zum anderen unterschetden sich dlie Ergebnisse insoweit, als nach der Umgehungslösung bei EXIi'Stenz eines sachlichen Grundes für die Vereinbarung freier Mital"beit die parteiautonome Rechtsformwahl eben zulässig eI1scheint, wogegen diese Wahlmö,glichkeit bei einer streng am objektiven Erscheinungsbild ausgerichteten ZUOI1dnung ausschetdet. Der 5. Senat lscheint die pmkttsche Notwendigkeit der von ihm im Kontrabassisten-Urteil gefundenen Umgehungslösung selbst nicht sehr hoch eingeschätzt 2lU haben. Denn er hat zwar im weiteren Verlauf seiner Rechtsprechung zur AbgreIWWlg des Arbeitnehmerbegriffs die Anwendung der Mißbmuchskontrolle verschiedentlich erwogen146, jedoch die jeweilige Entsche~dUIlJg des konkreten Falles nicht darauf gestützt. In der grundlegenden Familienprograrnm-ffintscheildung147 aus dem Jahre 1978 schließlich, die einen geradeZlu paradigmatischen Grenzfall betrifft, hat der 5. Senat des BAG - wenn auch nicht ausdrücklich, sondern nur der Sache nach - deutl1ch gemacht, Idaß die rechtliche Zuoronung eines Arbeitleistenden stets ohne Rücksicht auf den Qualifizierungswillen zu 'erfolgen hat. Die dort getroffene Feststellung, persönliche Abhängigkeit bestehe darin, daß der Arbeitnehmer d'remdbestimmte Arbeit IZU leisten habe, während der Selbständige in größerem Maße selbstbestimmte Arbeit leiste148 , läßt das klar erkennen. Damit hat das Gericht einen Schlußstrich unter den Versuch der Verbindung von Rechtsformwahlfreiheit und Mißbrauchskontrolle gezogen.
145 BAG AP. Nr. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu Hr 3 a der Gründe, BI. 588 R. 146 BAG AP Nr.16 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu H 3 der Gründe, BI. 366; BAG AP Nr.24 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 4 der Gründe, BI. 427. 147 BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ebenso im Ergebnis LAG Düsseldorf/Köln, Urt. v. 19. 3. 1980, 2 Sa 685/79, DB 1980 S. 1122. 148 BAG (Fn. 146) LS. 1 sowie zu B H 1 der Gründe.
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
b) § 12 a TVG und Definitionen in Tarifverträgen
Fehlsch1agen muß ferner der Versuch, die Grenzen des Arbeitnehmerbegriffis vom Begriff derarbeitnehmerähnlichen Person her :ml bestimmen. Auch die detaillierte Definitionclieses Begriffs in § 12 a TVG führt nicht weiter. Denn sie bezieht sich - wie der Wortlaut des § 12 a Abs.1 Nr.1 TVG deutlich macht - ihrerseits auf den ArbeitnehmeI1begriff, setzt also dessen Bestimmung bereits VOI'aJUS149 • Außerdem scheitert eine soche Eingrenzmng daran, daß die jeweils entscheidenden Abgrenzungsmerkmale der Unselbständigkeit bzw. persönlichen Abhängigkeit und der wirtschaftLichen Abhängigkeit keine komplementären Merkmale sind, wie dies z. B. bei der Unselbständigkeit und der Selbständigkeit der Fall ist1 50 • Dieses Fehlen einer unmittelbaren begrifflichen Brücke läßt eine negative Eingrenzung des Arbeitnehmerbegriffs vom Begl'iff der arbeitnehmerähnlichen Person her nicht zu. Schließlich hat das BAG zutreffend damuf hing,ewiesen, daß eine von der Arbeitnehmerähnlichkeit ausgehende Abgrenzung zur Zurückdrängung des eigentlichen Arbeitsrechts zugunsten des nur lückenhaften Schutz gewährenden Rechts der arbeitnehmerähnlichen Person führen könne l5l • Ebensowenig können Tarifverträge, die aufgrund der §§ 1 oder 12 a TVG geschlossen werden, für dte Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs herangezogen werden. Denn der 'arbeitsrechtliche Schutz steht nicht insgesamt Zlur Disposition der Tarifvertragsparteien152 • Tarifverträge können den Arbeitnehmerbegriff somit nur präzisieren oder konkretisieren, nicht aber definieren. Die autonome Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs in Tarifverträgen würde die Grenzen der Tarifautonomie überschreiten. Die Tarifvertragsparteien sind insoweit an den in § 1 Abs. 1 TVG verwendeten vorgegebenen Begriff des Arbeitsverhältn1sses und damit auch denjenigen des Arbeitnehmers gebunden i53 . 149 So BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, LS. 3 und zu B II 3 der Gründe; ebenso Beuthien / Wehler, RdA 1978 S.2; Jülicher, ZfA 1980 S. 121 (231); Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl, § 5 Rz. 22; vgl. auch Wiedemann I Stumpf § 12 a Rz. 13; Hilger, RdA 1981 S. 265 (266). 150 Ähnlich Stolterfoht, DB 1968 S. 1068; sich ihm anschließend Lieb, RdA 1974 S. 257 (262); dazu s. u. 5. Kapitel 1. 2. a). 151 BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 3 der Gründe; für eine solche Zurückdrängung hinsichtlich der Teilzeit- und Kurzzeitbeschäftigten aber de lege ferenda Wiedemann / Stumpf § 12 a Rz. 15; ebenso schon de lege lata Lieb, RdA 1974 S. 257 (262, 263 f.). 152 Anderes gilt für die tarifvertragsdispositiven Gesetzesbestimmungen (z. B. § 616 Abs. 2 Satz 2, § 622 Abs. 3 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, § 7 AZO); dazu statt anderer Wiedemann / Stumpf, Einleitung Rz. 115 mit weiteren Nachweisen. 153 BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B rr 3 b der Gründe mit
H. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
155
c) Dauervervflichtung
Durch die Kontroverse um die Statusbeurteilung der ständigen freien Mitarbeiter der Rundfunkanstalten ist der Umstand der Dauer der zwischen Dienstempfänger und Dienstleistenden bestehenden Rechtsbeziehungenals mögliches Abgrenzung,skriterium zwischen Arbeitsverhältnis und freiem Dienstverhältnis wieder154 in die Diskussion geraten. Das ist um so überraschender, als :die Dauer des Rechtsverhältnisses - vor allem im Hinblick auf die unbestreitbare Existenz von befristeten Arbeitsverhältnissen bis hin zum Eintagesarbeitsverhältnis gerade bei typischen Arbeitnehmertätigkeiten - für die hier in Frage stehende Abgrenzung seit langem allgemein als irrelevant angesehen wurde 155 • aal Praxis und Schrifttum In der Praxis wird jedoch der Vertragsdauer entscheidende Bedeutung beigemessen, wenn es sich um den Typ des geistig--schöpferisch tätigen Mitarbeiters handelt, der über längere Zeit hinweg und oft jahrelang mit ganz bestimmten, isolierbaren Einzelaufgaben betraut, d. h. in mehr oder weniger regelmäßigen bis hin ~u nahtlos aneinanderstoßenden Beschäftigungsperioden auf der Grundlage von Einzelbeauftragungen oder Zeitverträgen beschäftigt wird. Vor allem die Rundfunkanstalten haben diese Personen bisLang offenbar dann "automattsch" als Arbeitnehmer behandelt, wenn eine vertragliche Absprache über eine zeitlich unbegrenzte oder jedenfalls über die Erledigung des Einzelauftrags hinausgehende Zusammenarbeit vorhanden war. Soweit eine solche die Beschäftigungsperioden verknüpfende, ausdrücklich vereinbarte Dauerverpflichtung fehlte, ist man offensichtlich wie selbstverständlich vom Vorliegen freier Mitarbeit ausgegangen. Damit hat man zumindest im Bereich geistig-künstlerischer Tätigkeit bei Hörfunk und Fernsehen das Vorhandensein oder Fehlen einer Dauerbmdung zum rechtsformentsche~denden Umstand gemacht. Entsprechend der geschilderten Praxis findet sich im Schrifttum neuerdings ,die Ansicht, ,die rechtliche Abhängigkeit als Konstituante unklarer Verweisung auf Wiedemann / Stumpf § 12 a Rz. 14; ebenso Jülicher, ZfA 1980 S. 121 (231). 154 Die Bedeutung der Dauer für den Arbeitnehmerbegriff wurde schon in den zwanziger Jahren diskutiert; vgI. Silberschmidt, LZ 1927 Sp. 286 (291). 155 So z. B. BAG AP Nr. 20 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG AP Nr. 11 zu § 101 ArbGG; LAG Saarbrücken AP Nr. 10 zu § 611 BGB Film; BFH AP Nr.4 zu § 611 BGB Film; - aus der Literatur etwa Beuthien / Wehler, RdA 1978 S.2 (7); Falkenbe-rg, DB 1969' S.1409 (1411); SöHner in Münchener Kommentar § 611 Rz.135; Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 27; - a. A. Staudinger / Nipperdey I Mohnen / Neumann 11. Aufl. vor § 611 Rz. 20.
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
des AI'1beitnehmerbegrif:ßs setze zumindest im Bereich der Kulturberufe eine rechtliche Dauerverpflichtung voraus, wogegen die freie Mitarbeit vertvagsrechtlich durch das Fehlen einer Dauerbindung gekennzeichnet sei156 • Dabei wird untersteHt, daß die übertragung einzelner isolierter Arbeitsaufgaben oder der Abschluß von Zeitverträgen zwangsläufig eine entsprechende z'eitliche Beschränkung der Arbeitspflicht mit sich bringen und infolgedessen nur die ausdrückliche Vereinbarung einer darüber hinausgehenden VertI1agsbindung zu einer Dauerverpflichtung führen kann l57 • Die faktische Kontinuität der ZusammenaI'1beit soll dagegen unbeachtlich sein. Daß es :auf diese Weise zu dem Phänomen der sogenannten ständigen freien Mitarbeiter kommt, die des 'arbeitsrechtlichen Schutzes entbehren, obwohl sie dieselben Tättgkeiten unter denselben Umständen verrichten wie die festangestellten Mitarbeiter desselben Dienstempfängers, wird hingenommen mit der Begründung, die Schut2Jbedürfttgkeit der ständigen freien Mitarbeiter sei ·eine solchearbeitnehmerähnlicher Unternehmer; ihr könne durch den Ausbau der Vorsorgemögl!ichkeiten für aroeitnehmerähnliche Pensonen heg,egnet weI1denI58 • bb) Rechtsprechung .des BAG Auch das BAG, das im Ergebni:s die rechtliche VeI1schiedenbehandlung bei fiaktisch gleicher Tätigkeit UIlld betrieblicher Stellung nicht akzeptiert, hat sich verschiedentlich im Ausgangspunkt auf derselben Linie bewegt und für entscheidend gehalten, ob der Beschäftigte nach Erledigung der übertragenen Arbeitsaufgabe frei war oder eine darüber hinausgehende Bindung vorlag l59 • Zwar ist die Funktion des Umstands der Dauerverpflichtung für die Begriffsabgrenzung in der Rspr. des BAG nicht 'ganz eindeutig. Denn das Gericht hat an keiner Stelle klar ausgedrückt, daß ein Arbeitleistender gerade deshalb als Arbeitnehmer anzru:sehen sei, weil er auf unbestimmte Zeit Arbeit lei156 So Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 2 S.6; derselbe, Anm. zu BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 1, BI. 589 R.; derselbe, RdA 1975 S.49 (50); dagegen einschränkend derselbe, RdA 1977 S. 210 (211, 218); Ady, FuR 1974 S.91 (92); ebenso wohl auch Ossenbühl S.68; - gegen Lieb Beuthien I Wehler, RdA 1978 S.2 (7 f.); Dietz I Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz.27; Reuter, RdA
1981 S.201 (203 f.). 157 So offenbar auch Beuthien I Wehler (Fn. 156). 158 Lieb, RdA 1977 S.210 (211, 218 f.); ähnlich schon derselbe, Anm. zu BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 2 a, BI. 591 f. 159 BAG AP Nr. 15 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3 der Gründe, BI. 361 R. f.; deutlich BAG AP Nr. 18 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3 der Gründe, BI. 372 R. f.; BAG AP Nr. 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 2 a der Gründe, BI. 456 R. f.; BAG AP Nr. 22 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 2 ader Gründe; ähnlich schon BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 2 b der Gründe, BI. 587; unklar BAG, Urt. v. 7.5. 1960, 5 AZR 593178, (demnächst) AP Nr. 36 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 1 der Gründe.
II. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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sten müsse. Im Gegenteil: in 'der grundlegenden "FamilienprogrammEntsche1dung" hat es klargestellt, daß bei Beschäftigung eines Mitarbeiter,s a'Ufgrund einer Vielzahl auf Produktionsda'ller begrenzter Binzelverträge noch nichts darüberausg,esa1gt sei, ob es sich um eine Reihe kurzfrist1ger Arbeitsverträge oder freier Dienstverträge handelt1 60 . Umgekehrt habe die Annahme eines "DauerrechtsverhältnilSses"161 keinen aI1beitsrechtlichen Aussagewert; das Gericht habe im Falle 'der Bejahung einer Dauerverpfiichtung 'stets gesondert erörtert, ob es sich um ein Arbeitsverhältnis handeltel62 • Diese Trennung der Fragen nach der Rechtsnatur der Beziehungen und nach der Festanstellung kommt in der Rspr. des Gerichts jedoch keinesfalls deutlich zum Ausdruck; meist werden sie unentwirrbar miteinander verquickt 163 . Die maßgebliche Beriicksichtigung der Alternative von Freiheit oder Gebundenheit des Beschäftigten hinsichtlich der übernahme weiterer Aufträge läßt jedenfalls auf die Bejahung des arbeitsrechtlichen Aussagewerts des Umstands der Dauerverpfiichtung schließen. Noch nicht beantwortet i1st damit freilich die vOI1geschaltete Frage, ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen das BAG bei kontinuierlicher Beschäftigung auf der Grundlage von Einzelbeauftvagungen oder Zeitverträgen eine über die jeweilige BeschäftigungsperiOide hinausgehende Vertragsbindung annimmt. Darauf braucht jedoch hier im Rahmen der Erörterung des arbeitsrechtlichen Aussagegehalts der Dauerverpfiichtung nicht eingegangen zu werden164.
160 BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B I 2 a der Gründe im Anschluß an Beuthien / Wehler, RdA 1978 S.2 (7); der Sache nach schon BAG AP Nr. 25 zu § 611 BGB Abhängigkeit, Leitsatz und zu II 2 b der Gründe, BI. 393 R; ebenso BAG, Urt. v. 23.4.19'80, 5 AZR 426179, (demnächst) AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 4 der Gründe. 161 Diese Terminologie ist ausgesprochen unglücklich; denn ohne Zweifel sind alle Dienstverträge - freie wie abhängige - Dauerrechts- oder Dauerschuldverhältnisse, ob sie nun befristet sind oder nicht; dazu statt anderer z. B. Staudinger / Weber 11. Aufi. vor § 241 Rz.70 mit erschöpfenden Nachweisen; Soergel / Siebert / Reimer / Schmidt 10. Aufi. § 241 Rz. 10; Palandt / Heinrichs vor § 241 Anm.5. 162 BAG (Fn. 160) zu B I 2 b der Gründe. 163 Das gibt auch das BAG (Fn. 160) im Grunde zu; relativ deutlich sind die Fragen getrennt in BAG AP Nr. 20 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu Ir der Gründe, BI. 451 R ff.; unklar dagegen die übrigen in Fn. 159 genannten Entscheidungen; ein Paradebeispiel für die Vermischung beider Problemkomplexe stellt das Urteil des LAG Frankfurt/Main vom 6. 11. 1979, 7 Sa 321179, ARSt 1980 s. 81 f., dar; deutlich wird das auch in BAG AP Nr.41 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu I 3 der Gründe, BI. 860 R; zustimmend insoweit Moritz in der Anm. zur vorbezeichneten Entscheidung, zu III vor 1, BI. 862. 164 Dazu s. u. 3. d).
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freden Mlitarbeti.ters
ce) Stellungnahme Den klaren und überzeugenden Ausführungen Ides BAG in der Bamimit denen das Gericht die Unmaßgeblichkeit der zeitlichen Erstreckung der VertI"agsbindung begründet, ist voll und ganz zuzustimmen. lienprogramm-Entsche~dung,
Wenn die Rechtsformen sowohl des freien Dienstvertrags ,als ,auch des Arbeitsvertrags in befristeter und unbefristeter Form möglich sind, kann dem Umstand der Dauerverpflichtnmg zur Arbeitsleistung als solchem kein ,arbeitsrechtlicher Aussagewert beigemessen werden. Das gilt nicht nur für den Bereich einfacherer manueller oder geistiger Dienstleistungen und für die Normal-Alternative der gänzlich unbegrenzten zeitlichen Bindung oder der kalendermäß1gen Befdstung. Vielmehr sind IaJuch bei den künstlerischen, schriftstellerischen oder sonst ,geistig-schöpferischen Tätigkeiten, Ibei denen zwischen der Beschränkung der Arbeitspflicht auf die jeweiI:s übertragene Einzelaufgabe und der darüber hinausgehenden - wenn auch u. U. kalendermäBig befriJsteten - vertraglichen Bindung2Ju unterscheiden ist, beide Rechtsformen sowohl mit als auch ohne Dauerverpflichtung 'zur Arbeitsleistung denkbar165 • Denn einerseits ist bei einem solchen TätigkeitsbiJId neben der Festanstellung in einem Arbeitsverhältnis ,auch der Abschluß eines freien Dienstvertrags mit einer - eventuell auf lange Sicht kalendermäßig befristeten - Dauerverpflichtung zur Dienstleistung denkbar166 ; das zeigen beispielsweilse die zweifellos 'als freie Dienstverträge zu qualifizierenden Beraterverträge167 von Freibevuflern wie Rechtsanwälten, Unternehmensberatern, Ärzten und Kunstsachverständigen. Andererseits schließt die Beschränkung der Vertvagsbindung geistigschöpferisch täUger Mital1beiterauf eine einzelne Arbeitsaufgabe nicht unbedingt die Annahme eines Arbeitsvertrags aus, da, wie schon ausgeführt wurde168 , die übernahme inhaltlich-gegenständlich konkretisierter Aufgaben nicht auf den Bereich selbständiger Tätigkeit beschränkt ist. Es ist daher nicht so, daß in diesem Tätigkeitsbereich nur eine Entscheidung zwiJschen Festanstellung und jeweils zeitlich befristeter freier Mitarbeit in Frage steht. Wenn also der Umstand der Dauerbindung ,als solcher nicht rechtsformentscheidend ist, ISO soll damit nicht jede Relevanz des hinsichtlich der zeitlichen Inanspruchnahme der Arbeitskraft Vereinbarten für 165
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Ebenso Beuthien / WehleT (Fn.156). Offengelassen von Lieb, RdA 1977 S. 210 (217 ff.). Ebenso Beuthien / WehleT (Fn.156).. s. 0.2. Kapitel III. 4. b) und dort Fn. 302.
11. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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die rechtliche Einordnung eines Arbeitleistenden bestritten wenden. Ob und in welcher Weise solche Gegebenheiten, wie z. B. die konkrete Dauer des V;ertrags, der Grad der Inanspruchnahme der Arbeitskraft oder die zeitliche Lage der Beschäftigungspecioden, dieQUIalifi:?Jierung eines Beschäftigten zu beeinflussen vermögen, wil'd noch zu erörtern sein169 • d) Fehlen unternehmerischen Risikos
Mit Recht wird es im Schrifttum zunehmend abgelehnt170 , den friiher in Rspr. und Literatur vor allem bei den kaufmännischen und gewerblichen Berufen mit Vorliebe herangezogenen Umstand der Tragung von Unternehmerrisiko bei der rechtlichen Einordnung von Beschäftigten in Zweifelsfällen entscheidend zu berücksichtigenl7l . Denn das würde bedeuten, daß der Arbeitnehmerbegriff vom Begriff des Unternehmers her bestimmt wil'd, der mit eher noch größeren inhaltlichen Unklarheiten ·behaftet ist als der des Arbeitnehmers172 : Zunächst ist der Unternehmerbegriff nicht der Komplementärbegriff zu dem des Arbeitnehmers; die dem Arbeitnehmer komplementäre Rechtskategorie ist vielmehr die des Selbständigen, die sowohl echte Unternehmer als .auch Freiberufliche als Unterkategorien173 wnfaßt. Man könnte zwar, was lediglich eine terminologische Frage ist, alle Selbständigen als Unternehmer bezeichnen. Dies eI1scheint jedoch wenig sachgerecht angesichts der in der Rechtsordnung anzutreffenden mehreren Unternehmerbegriffe174 , denen damit eine weitere Variante hinzugefügt würde. Ganz abgesehen davon ist stark zu bezweifeln, ob der so erweiterte Unternehmerbegriff das Merkmal des Unternehmerrisikos noch beinhaltet. Sodann müßte befürchtet werden, daß die Grenze zwischen Arbeitnehmer und Nicht-Arbeiternehmer derjenigen zwischen dem echten Unternehmer und den \Sonstigen erwerbstätigen Personen - Selbständigen wie Unselbständigen - angenähert oder gar 'gleichgesetzt wird, wie dies in ,der oben abgelehnten Konzeption von Rancke 175 geschieht. s. u. 2. c) cc); wie hier Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 26 f. Lieb, ZVersWiss. 1976 S.207 (213); derselbe, RdA 1977 S.21O (214); Beuthien / Wehler, RaA 1978 S.2 (6); so schon Tomandl S.84; StoUerfoht S. 121 ff . ; - a. A. etwa Hermann / Heuer Erg. § 19 Rz.30 unter Berufung auf BFH BStBl. Ir 1979 S.18ß (189); offensichtlich auch Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz. 16. 171 So aber noch z. B. BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; nach BAG AP Nr.2 zu § 92 HGB sollen eigenes Betriebskapital und erfolgsabhängige Vergütung für die Selbständigkeit sprechen; ebenso BSG AP Nr. 5 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BFH BstB!. II 1979 S. 188 (189). 172 Ebenso die in Fn. 170 Genannten. 173 Zum Verhältnis dieser heiden Begriffe Rittner, Unternehmen, S. 3 ff. 174 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Stolterfoht S.29ff. und Rittner (Fn.173). 169
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien MdtarbeUers
Diese gl'UIlldsätzlichen Bedenken gegen die Abgrenzung des AI1beitnehmerbegriffs vom Begriff des Unternehmers her wel'den verstärkt durch berechtigte Zweifel an der UnteI1sche~dtmgskraft des Merkmals des Unternehmerrisikos in seinen unterschiedlichen Einzelaspekten: Das gilt einmal für 'das Erfolgs- oder Arbeitsrisiko, also die Gefahr, bei MißerfoLg der Tättgkeit keine Vergütung 21U erh!a1ten17tl • Denn bei den kaufmännischen Hillspersonen, ,aber auch Fabrikarbeitern hindert die Vereinbarung einer Vergütung auf ProvisionsbalSiJS oder einer u. U. ZJUlIl. Teil - auf Stückzahl beruhenden Entlohnung nicht die Zuerkennung des Arbeitnehmerstatus177 • Umg,ekehrt schließt eine feste Vergütung z. B. bei Handelsvertretern oder Unternehmensbel'atern die Selbständigkeit nicht aus178 • Außerdem wird zutreffend aI1gumentiert, daß die Tragung des Erfolgsrisikos gerade zu einer gesteigerten sozialen Schu~bedürftigkeit führen und deshalb eher die Einbezieh'llng des Beschäftigungsverhältnisses in das Arbeitsrecht als den AusschLuß CllUS der arbeitsrechtlichen Schutzrechtsordnung rechtfertigen kann179 • Des weiteren taugt auch das Kapitalrisiko, d. h. die Gefahr des Verlustes eingesetzter GeLd- oder sonstiger Betriebsmittel, nicht als rechtsformentscheidendes Kriterium. Denn zum einen tragen auch typische Arbeitnehmer diese Art RiJSiko, wenn sie mit wertvoLlen e1genen Arbeitsmitteln arbeiten; erwähnt sei hier das von Stolterfoht 180 gebrachte Beisp1el des angestellten FahrlehreI1s mit eigenem Kfz. Zum anderen müßten, wie Lieb 181 betont, angesichts des geringen Betriebsmittelund KapitaleiIlisatzes vieler zweifellos als Selbständige einZlUJStufeIl!den HandeLsvertreter und FreibeI1Ufler die Anfol'deNliIlg,en an dieses Kriterium bis zur Unkenntlichkeit minimalisiert werden. Das kaufmännische Risiko der Nichtabsetzbarkeit der AI'\beitsergebnisse schli:eßlich ist als Abgrenzungskriter:ium ·ebenfallrs ungeeignet. Das zeigt schon das Beispiel der HcimaI1beiter: Wie sich aus der gesetzlichen Definition des § 2 .A!bs. 1 Satz 1 HAG ergibt, gehört zum Begriff des Heimarbeitel's, daß dieses RisLko fehlt, ohne daß die Heimarbeiter deshalb 2lU Arbeitnehmern wüI1den l82 • 175 s. o. 2. Kapitel IH. 2. a); tendenziell auch Fohrbeck I Wiesand I WoUereck S. 70 ff. und Definitionsvorschlag S. 171; Woltereck, AuR 1973 S. 129 (135). 176 So Stolterfoht S.122; Lieb, ZVersWiss. 1976 S.207 (213); Tomandl S.83f.; ebenso schon Schmidt-Rimpler, Handlungsagent, S.28; G. Hueck, DB 1955 S.384 (386); kritisch auch Siebert, BB 1949 S. 746 (748). 177 Das zeigt schon § 65 HGB. 178 So alle in Fn.176 Genannten. 179 Lieb, ZVersWiss. 1976 S.207 (213) im Anschluß an Tomandl S. 83 f. 180 S. 122. 181 RdA 1977 S. 2lO (214); ähnlich Beuthien / Wehler, RdA 1978 S.2 (6 Fn. 36) gegen Zeuner, RdA 1975 S. 84 f. 182 Vgl. Maus I Schmidt § 2 RZ.6.
11. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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Insg,esamt ist fest7Justellen, daß das Unternehmer risiko - ähnlich wie die Weisungsgebundenheit und die Eingliederung im Falle der Unselbständilgkeit - nur die typiJSchen Erscheinungen unternehmerischer Tätigkeit kennzeichnet, außerhalb des Evildenzbereichs dagegen zurücktritt und deshalb zur Lösung prob~ematischer Fälle nicht beizutl'agen v'ermag. Würde man dennoch darauf abstellen, so würde die Mehrzahl der in der Grauzone angesiedelten Beschäftigungsverhältnisse ohne Nachweis selbst genereller sozialer SchutZlbedürftigkeit dem Arbeitsrecht ZltLgeor1dnet werden müssenl83 • e) Verkehrsanschauung
Daß die veI1schiedentlich in Rechtsprechung 184 und Literatur 18s als letzter Rettungsanker ins Spiel gebrachte Verkehrsanschauung nicht zu leisten vermag, WalS man sich von ihr verspricht, wurde schon angedeutet186 • Das foLgt schon 3100 der Struktur des Arbeitnehmerbegriffs als eines in der so;malen Wirklichkeit vorgegebenen, typologischen Begriffs, die es mit sich bringt, daß in der Grauzone die Vel'kehrsanschauung ebenso versagt wie der allgemeine Spvachgebmuch. Treffend iJst die Äußerung von Beuthien / Wehler 187 , daß gerade bei der BeurteilUIlJg zweifelhafter Fälle die beteiligten Kreise Rat und Hilfe vom Richterspruch erwarten. Es zeigt sich somit gerade am Beispiel der Verkehrsansch'auung, daß zur Beurteilung von GrenZlfällen materiell aussagekräftige, wertungsgerechte Maßstäbe erforderlich sind. So wertvolle Dienste die Verkehrsanschauung bei der Feststellung der vereinbarten inhaltlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen im F1alle lückenhafter Vertragsabreden188 sowie bei der Entscheidung evidenter Gestaltungen auch leistet, so wenig vermag sie für die Lösung der Problemfälle unmittelbar beizutragen. f) Vergleich mit Festangestellten
Das BAG hat sich vor nicht alLzu Langer Zeit dahingehend geäußert, daß es :f)ür sich allein Grund sein könne, sogenannten freien MitarbeiEbenso Lieb, RdrA 1977 S. 210 (214). Deutlich insbesondere BAG AP Nr. 16 und 18 zu § 611 BGB Abhängigkeit, jeweils zu II 1 der Gründe, BI. 3,65 bzw. 372 R. 185 Zöllner, 1. Auf! § 4 III 3 c S.36; einschränkend dagegen 2. Auf!. § 4 III 5 a, bb S.39; Lieb, RdA 1977 S.210 (217); Ady, FuR 1974 S.91 (94); Hueck / Nipperdey I § 9 III 3 S. 46; Staudinger / Nipperdey / Mohnen / Neumann 11. Auf!. vor § 611 Rz.19; - ablehnend Beuthien / Wehler, Rd!A 1978 S.2 (4); Stolterfoht S. 22, 169 f.; Söllner in Münchener Kommentar § 621 Rz.6. 186 s. O. 2. Kapitel IH. 4. b), IV. 2. 187 RdA 1978 S. 2 (4). 188 s. O. 1. a) und 1. 1. 183
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11 Rosenfelder
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
tern den Status eines Arbeitnehmers zuzusprechen, wenn innerhalb eines rnit denselben Aufgaben betrauten Kreises von Beschäftigten beider Arten kein wesentlicher Unterschied bestehe189 • Schon aus vertragsrechtlichen Gründen ist es geboten, dem Vergleichkriterium in dieser weitreichenden Gestalt mit größter Vorsicht zu begegnen. Denn es verführt dazu, den als ständige freie Mitarbeiter beschäftigten Personen nicht nur den Arbeitnehmerstatus zUZJ\.ljbilligen, sondern ohne hinreichende Prüfung, ob eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vereinbarung vorliegt,auchdie Festanstellung zu bescheinigen190 • Ein ,solches Beiseiteschieben rechtsgeschäftlicher Erfordernisse ist aber durch die Anwendung des Vergleichskriteriums nicht g,edeckt. Insbesondere hat ,dieses mit dem ,arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgruilidsatz nichts zu tun l91 , der grundsätzlich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraussetzt192 , d. h. nur die willkürliche Ungleichbehandlung von als Arbeitnehmer in ,demselben Betrieb beschäftigten Personen verbietet193 • Wenn dieser Grundsatz aber die Arbeitnehmereigenschaft voraussetzt, V'eI1mag er sie nicht zu begründen. WÜI1de man ohne Berücksichtigung des vertraglich Vereinbarten einem Mitarbeiter allein ,aufgrund eines Vergleichs mit einem anderen, in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehenden Beschäftigten den Status eines festangestellten Arbeitnehmers zubilligen, so liefe dies im Ergehnis auf die Anerkennung eines auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gestützten generellen Anspruchs auf Begründung eines unbefdsteten Arbeitsverhältnisses hinaus. Eine demrt weitgehende Wirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist ,aber mit der h. M. abzulehnen 194, ganz abgesehen davon, daß bei einer solchen Ausdehnung seines Geltungsbereichs 'die nach bisherigem Verständnis unabdingbare Anwendungsvol"aussetzung des kollektiven Bezugs der dem Gleichbehandlungsgrundsatz unterfallenden Maßnahme195 ins Wanken geriete. 189 BAG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 2 b, bb der Gründe, BI. 369 R.; vorsichtiger BAG AP Nr.l0 zu § 611 BGB Abhängigkeit, BI. 580 R; vgI. auch BAG AP Nr.24 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 3 a, ce der Gründe, BI. 426 R 190 s. o. c) bb) und vor allem I. 2. b) aa). 191 Ebenso Herschel, SAE 1974 S. 68 (69), der allerdings entgegen der h. M. den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und den Gleichheitssatz nach Art. 3 GG gleichsetzt. 192 Statt aller G. Hueck, Grundsatz, S. 62. 193 Dazu und zur dogmatischen Grundlegung G. Hueck (Fn. 192) S. 64 f., 151 ff.; vgl. auch Zöllner § 17 S. 146 ff.; Hueck / Nipperdey I § 4B allS. 422 ff.; Nikisch I § 37 II S. 502 ff., alle mit weiteren Nachweisen. 194 So etwa G. Hueck (Fn.192) S. 62 f.; Hueck / Nipperdey I § 4B VII S.431 (für die Wiedereinstellung); Bötticher, RdA 1963 S.161 (16B).
II. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
163
Aber 'Selbst, wenn man diese vertragsrechtlichen Bedenken beiseite schiebt, kann -die rechtliche Einordnung eines Beschäftigten allein mit Hilfe des Vergleichskriteriums nicht abeptiert werden, weil das mit der nunmehr vom BAG selbst für richtig .gehaltenen196 und auch hier befürworteten197 Maxime nicht in Einklang ZlU bringen ist, derzufolge für die rechtliche Einordnung eines Beschäftigten auch in Zweifelsfällen ·allein die vereinbarte inhaltliche Ausgestaltung der Rechtsbez1ehungen ohne Berücksichtigung des qualifizierungswillens der Parteien ausschlagg'ebend ist. Soll das Vergleichskriterium aber bei der Entscheidung von Grenzfällen überhaupt eine eigenständige Bedeutung haben, so muß es gerade dann Zlum EJinsatz kommen, wenn die rechtliche Zuordnung mittels materieller Kriterien erhebliche Schwiertgkeiten bereitet. Seine Anwendung setzt unter diesen Umständen gerade nicht die Feststellung voraus, daß -di'e als Vergleichsgruppe herangezogenen Festangestellten wirklich, d. h. unter Anlegung materieller Maßstäbe, Arbeitnehmer sind198 ; vielmehr genügt allein deren rechtliche Behandlung als Arbeitnehmer durch den Dienstempfänger. Damit wil"daber der rechtlichen Beurteilung gerade von Zweifelsfällen letzten Endes der Qualifizierungswille der Parteien als vel"binldlich zugrundegelegt, allerdings kaschiert durch das scheinobjektive Vel"gleichskriterium199 , das die Parteien auf die früher bei den Vergleichspersonen vorgenommene - nach hier vertretener Ansicht irrelevante und möglicherweise unrichtige - Rechtsformbestimmung festlegt. Auf den ersten Blick scheint dies freilich nicht weiter schlimm zu sein, da das BAG -daJS Vel1gleichskriterium nur daZIU verwendet, den Arbeitnehmerstatus ,eines als freier Mitarbeiter behandelten Beschäftigten zu bejahen, nicht dagegen dazu, einem Festangestellten unter Berufung auf vergleichbar beschäftigte freie Mitarbeiter den Arbeitnehmerstatus zu bestreiten. Dennoch ist die Verme1dung einer an ob195 Dazu grundlegend G. Hueck (Fn.192) S.239f.; derselbe in Gedächtnisschrift Dietz S.241 (254); vgl. auch z. B. Hueck / Nipperdey I § 48 aIS. 420; ZäHner § 17 III 1 S.148; Schwarz, RdA 1968 S. 241 (244). 196 BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, LS. 1 und zu B II 1 der Gründe. 197
s. o. a).
Ordnet man dagegen vor Vornahme des Vergleichs die Bezugsgruppe mittels materieller Kriterien ein - wie das wohl die Absicht des BAG im Fall AP Nr. 10 zu § 611 BGB Abhängigkeit war - so verwendet man das Vergleichskriterium nicht wie in BAG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit als eigenständiges Kriterium; in Wahrheit erfolgt dann die Zuordnung mittelbar im Wege der Einzelfallwertung. 199 G. Hueck bejaht zwar in der Anm. zu BAG AP Nr. 10 zu § 611 BGB Abhängigkeit die Relevanz des Vergleichskriteriums; er verwendet es jedoch nicht als eigenständiges Kriterium, so daß seine Auffassung der hier vertretenen Ansicht im Ergebnis nicht widerspricht; - gegen das Vergleichskriterium auch Rancke S. 72; skeptisch auch Herschel, SAE 1974 S.68 (69). 198
11*
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
jektiv-matedellen Kriterien orientierten Einordnung mittels eines vergleichenden Verfahrens abZlulehnen. Denn die maßgebliche Berücksichtigung des Ve~gleichskriteriwns verleitet zu Manipulationen der Arbeitsumstände mit dem Ziel, der Einbeziehung vOI1geblich freier Mitarbeiter in das Arbeitsrecht ,durch VeI1me~dung jeden äußeren Anscheins der Vergleichbarkeit mit Festangestellten vorZIubeugen. Damit bewirkt das Vergleichskriterium in der oben geschilderten weiten Formulierung insgesamt eher eine Verfestigung zweifelhafter Praktiken ials deren Beseitigung. Darüber hinaus kann seine Heranziehung zur Entscheidung von Grenzfällen u. U. langfristig sogar den Festangestellten schaden, wenn der Dienstempfänger als Reaktion darauf die VeI1gleichsgruppe der Arbeitnehmer durch Umsetzungen, Versetzungen und Kündigungen "abbaut" oder durch Unterl!assen von Neueinstellungenund Stellenneubesetzungen "austrocknet". Auch das BAG hat in neuerer Zeit dem Vergleichs-Argument das ihm früher beigemessene Gewicht .genommen und trotz gegebener Vergleichbarkeit eines a1s freier Mitarbeiter behandelten Beschäftigten mit einem festangestellten Arbeitleistenden desselben Dienstempfängers den Arbeitnehmerstatus des Klägel's verneint200 • Zwar vermag die vom Gericht gegebene Begründung, dem als Vel'gleichsperson herangezogenen Festangestellten sei der Arbeitnehmerstatus aus "sozialen Gründen" eingeräumt wOI1den, wegen der Irrelevanz der subjektiven "Verleihung" der Al'beitnehmereisgenschaft201 nicht g,anz zu überzeugen, doch ist die unverkennbare Tendenz zur Relativiel'ung der Bedeutung des Ver,gleichskriteriums zu begrüßen. Nach allem ergibt sich, daß dem Gesichtspunkt der Vergleichbarkeit der Tätigkeit verschieden qualifizierter Beschäftigter allenfalls eine sehr beschränkte Bedeutung als Indiz für das Vorliegen einer Fehlqualifizierung zukommen kann: Bei gleicher betrieblicher Funktion von Arbeitnehmern und freien Mital'beitern spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß auch der freie Mitarbeiter in Wahrheit Arbeitnehmer ist. Mehr ist diesem Gesichtspunkt in materiell-rechtlicher Hinsicht aber il1!icht zu entnehmen202 • 200 BAG AP Nr.24 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 3 a, ce der Gründe, BI. 426 R. 201 s. o. I. 2., 3. c), d); für die Möglichkeit der Wahl eines Arbeitsverhältnisses beim Spitzenfilmdarsteller auch, "wenn, typisch gesehen, kein Arbeitsverhältnis vorliegen würde", G. Müller, UFITA Bd.29 (1959) S.134 (143); dagegen HerscheL, UFITA Bd. 36 (1962) S. 115 (11'6 f.); gegen die "Beilegung" des Arbeitnehmerstatus auch Rancke S. 72. 202 Im hier vertretenen Sinne verwendet das BAG das Vergleichsargument in der Entscheidung vom 23. 4. 1980, 5 AZR 426179, (demnächst) AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 1 der Gründe; ähnlich im Ergebnis HerscheL (Fn.199); der Vorschlag von HerscheL, bei gegebener Vergleichbarkeit eine Beweislas,tumkehr eintreten zu lassen, verdient Beachtung.
11. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
165
2. Der Wertungsgesidltspunkt der arbeitsrechtlichen sozialen Schutzbedürftigkeit
Die vOl"\Stehenrde Erörterung hat gezeigt, daß Versuche, in der Grauzone der Zweifelsfälle durch das Abstellen auf ein einziges Merkmal dem Erfordernis wertender Zuordnung im Einzeliall zu entgehen, ZUlIll Scheitern verurteilt sind. Damit haben sich die oben203 aus der Eigenart des Arbeitnehmerbegriffs als ,eines vO'rgegebenen, tYPO'logischen Begriffs für die Rechtsanwendung gezogenen Folgerungen bestättgt. Das ErfO'rdernis der
E~elwer1lung
beinhaltet die NO'twendigkeit,
im Einzelfall festzustellen, ob der zu beurteilende Arbeitleistende im
spezifisch avbeitsrechtHchen Sinn sozial schut2ibedürftig ist204 • Es enthebt deshalb alber nicht der Aufgabe, konkretisierende Beurteilungsmaßstäbe zu entwickeln, die den Beteiligten Orientiel'Ungshilfe sind und schließlich im Verlauf der weiteren Rechtsentwicklung zur Herausbildung einer "griffigen, subsumtionsfähigen, fO'rnnalen Umschreibung" des Begriffstatbestands205 führen müssen. Zu diesem Zweck sind die Hauptaspekte der al'beitsrechtlichen sozialen Schut:lJbedürftigkeit heralUSzuarbeiten. Es muß alsO' nach den möglichst nicht weiter aus anderen FaktO'ren ableitbaren generellen Ursachen soztaler SchJutzbedürftigkeit - d. h. dem Gl'UIldsachverhalt für die aI'beitsrechtliche SchutzrechtsoooIl!ung - gefragt werden206 • Dazu ist es erfO'rderlich zu ermitteln, auf welche Lebenssituationen das Arbeitsrecht zugeschnitten ist. Dabei kommt es auf die Geltung des Arbeitsrechts insgesamt, nicht lewglich einzelner Teile, an. Maßgebend ist demnach die von Beuthien und Wehler207 'so bezeichnete generelle Schut2ibedür:ftigkeit. Gleichlgülttg ist dagegen, ob die Anwendung einzelner ,arbeitsrechtlicher Normen oder NürmkO'mplexe insoweit eine spezielle SchJut2ibedürftigkeit vüraussetzen, als sie an zusätzliche Tatbestandsanerkmale anknüpfen208 •
a) Nicht entscheidende Aspekte Ehe in der geschilderten Weise die Hauptaspekte der arbeitsrechtlichen so2iialen Schutzbedünftigkeit herausgearbeitet werden, süll auf s. o. 2. Kapitel IV. 1. a), 3. a). s. o. 2. Kapitel IV. 3. d). 205 Lieb, RdA 1977 S.210 (214); zur allmählichen klassenbegrifflichen Verfestigung typologischer Begriffe s. o. 2. Kapitel IV. 3. d) und dort Fn.380. 206 Die folgende Erörterung kann sich auf die sorgfältigen Untersuchungen von Beuthien / WehleT (RdA 1978 S. 2 ff.) und Lieb (s. o. 2. Kapitel Fn.279) stützen. 207 RdA 1978 S. 2 (6). 208 Nicht sehr klar Beuthien / Wehler (Fn.207). 203
204
166
3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
einige Gegebenheiten eingegang'en wel1den, die trotz scheinbar plaus1bler Zusammenhänge mit diesem Gesichtspunkt für sich genommen das Eingreifen des gesamten Schutzes, den das Arbeitsrecht für den Beschäftigten bereithält, nicht ZlU erklären vermögen. 'aa) Weisungsgebundenheit und Einglicederung Daß weder die Weisungsgebundenheit in fachlicher oder persönlicher Hinsicht noch die Eingliederung in einen Betrieb oder Haushalt für sich genommen im arbeitsrechtlichen Sinne sozial schutzbedürftig machen, folgt schon aus den Ausführungen zu Beginn des zweiten Kapitels209 • Der Grund dafür liegt darin, daß Weisungsgebundenheit und Eingliederung nur für die "typischen", ohnehin ev~denten Gestaltungen kennzeichnend sind210 und daher als Ursache der sozialen Schutzbedürftigkeit solcher Beschäftigter von vornherein ausscheriden, die zwar zur Randgruppe der Arbeitnehmer gehören, aber doch "g,erade noch" unselbständige Arbeit leisten. Die Weisungsgebundenheit in fachlicher und persönlicher Hinsicht sowie die Eingliederung in einen Betrieb oder eine Privatsphäre scheiden somit als arbeitsrechtliche Grundsachverhalte, die die Zuordnung von Arbeitleistenden zur Kategode der Arbeitnehmer auch in Zweifelsfällen zu erklären und rechtfertigen in der Lage wären, mit Sicherheit aus. bb) Sozialer Status Die existentielle Bedeutung des arbeitsrechtlichen ,sozialen Schutzes wird von den dadurch potentiell Begünstigten vielfach erst dann voll erkannt, wenn Lebensumstände aufeinandertreffen, die das Eingreifen arbeitsrechtlichen Schutzes als hilfreich oder lebensnotwendig erscheinen lassen. Erst eine entsprechende soziale Lage - in der Terminologie von Rancke211 ein bestimmtes Gefüge sozio-ökonomischer Existenzbedingungen - läßt häufig den Betroffenen die Vorteile des Arbeitnehmerstatus ials sinnfällig erscheinen. Dem entspricht die vor allem im Bereich .der Kulturberufe gemachte Erfahrung, daß Konflikte um die Anerkennung eines Mitarbeiters als Arbeitnehmer oft erst im Laufe der Zeit entstehen, dann nämlich, wenn etwa angesichts ausbleibender Erfolge, zunehmenden Alters, nachlassender Zugkraft 'auf dem Markt oder Leistungsfähigkeit, besonderer familiärer Umstände s. o. 2. Kapitel I. 2. a), b). s. o. 2. Kapitel H. 1. a), IV. 1. a). 211 s. o. 2. Kapitel III. 2. a); den relevanten sozio-ökonomischen Existenzbedingungen bei Rancke entspricht weitgehend die "wirtschaftliche Unselbständigkeit" bei WachteT S. 75 ff. (s. o. 2. Kapitel Fn.368 am Ende). 209 210
11. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
167
etc. nicht mehr die Selbständigkeit und die gegebenenfalls mit ihr verbundene geistiJge, persönliche und wirtschaftliche Ungebundenheit sowie die durch sie eröffneten Gewinnchancen erstrebenswert erscheinen, sondern die soziale Sicherheit des Arbeitnehmerstatus212 • Es fragt sich daher, ob solc,."le sozialen Umstände, also Alter, ~ami lienstand, Kinderzahl, Unterhaltsverpflichtungen, Gesundheitszustand, fam.iliär bedingte Immobilität und vie1es mehr nicht zJUmindest im Grenzbereich 'zwischen Selbständtgkeit und Unselbständigkeit als maßgebliche Ursachen arbeitsrechtlicher sozialer Schutzbedürftigkeit anzusehen sind. Dies scheint gerade deshalb nicht fernzuliegen, weil der Begriff der sozialen Schutzbedürftigkeit auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung des sozialen Standards des Arbeitleistenden hindeuten könnte2 13 • Für eine Bindung des 'arbeitsrechtlichen Sozialschutzes an den gesamten sozialen Status eines Beschäftigten spricht auf den ersten Blick ,außerdem, daß die Berücksichtigung der sozio-ökonomischen Existenzbedingungen innerhalb des Arbeitsrechts nichts Außergewöhnliches ist, wie z. B. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, § 99 Abs. 2 NI". 3, 4 BetrVG und § 2 Abs. 1 AngKündG zeigen. Dennoch ist Ursache der spezifisch arbeitsrechtlichen sozialen Schutzbedürftigkeit nicht eine bestimmte wirtschaftlich~soziale Gesamtsituation des einzelnen Arbeitleistenden. Wäre dies richtig, so müßte die Einbeziehung eines Beschäftigten in das Arbeitsrecht im Grunde unabhäng~g von dem zwischen ihm und dem Beschäftigungsgeber bestehenden Rechtsverhältnis erfolgen. Denn die Schlüsselfrage wäre dann, welche Lehenssituation vorliegen muß, damit die betreffeIlJde Person existentiell schutzbedürftig wwd. Das hat aber mit der Frage, welche vertraglich vereinbarte Ausgestaltung die Arbeitspflicht in einem konkreten Dienstverhältnis ,gefunden haben muß, damit der Arbeitleistende in :das Arbeitsrecht einzubeziehen ist, nichts mehr zu tun. Es ist deshalb nur konsequent, wenn Rancke, der den gesamten sozialen Status eines ArbeitleisteIlJden zum Angelpunkt des Arbeitnehmerbegriffs macht, nicht nur das herkömmliche AbgrenzuIlJgsmerkmal der persönlichen Abhängigkeit ablehnt, sondern lauch den Wertungsgesichtspunkt der spezifisch arbeitsrechtlichen sozialen Schutzbedürftigkeit214 iIlJsoweit, als er sich auf das eiIl!zelne Rechtsverhältnris bezieht. Diese Lostrennung der larbeitsrechtlichen sozialen Schutzbedürftigkeit vom jeweils bestehenden Dienstverhältnis widerspricht zunächst schon dem historisch überkommenen und auch heute noch durch die 212 So Lieb, RdA 1974 S.257 (260); derselbe, RdA 1975 S.49 (50 und dort Fn. 22); Scharf, RdA 1978 S. 20 (22); Ossenbühl S. 79. 213 In diesem Sinne Rancke S. 141 f.; in diesem Sinne werden Beuthien / Wehler bei Dietz / Richardi, BetrVG 6. AufI.., § 5 Rz. 14 mißverstanden. 214 Rancke S. 57 (und dort insbesondere Fn. 55), 63.
168
3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
Verkehrsanschaurung gesicherten allgemeinen Sprachgebrauch, wonach sich die Arbeitnehmereigenschaft auf ein konkretes Beschäftigungsverhältnis mit einem bestimmten Vertl1agspal'tner bezieht. Arbeitnehmer wird man durch das Eingehen eines ArbeitsverhältnitSSes mit einem Vertragspartner, nicht aber kmft eines bestimmten sozialen Status, der an der Person "klebt". Bei der Arbeitnehmereigenschaft handelt es sich aLso streng genommen nicht um eine "Eigensch.aft" im Wortsinne, .die das Ende des Beschäfitigungsverhältnisses überoauert. Außeldem ist daran fest:ZJUhalten, daß Regelungsgegenstand des Arbeitsrechts das Arbeitsverhältnis, Regelungsadressaten deshalb die Vertragspartner des Arbeitsvertrags sind215 • Das Arbe~tsrecht will den Arbeitleistenden wegen der speziellen Auswirkungen des konkreten Vertl1agsverhältnisses schützen, nicht aber .generell jeden sozialen Abstieg verhindern. Nur unter dieser Voraussetzung läßt sich auch die Belastung des Arbeitgebers mit einem ,erheblichen Teil der Kosten des arbeitsrechtltichen Sozialschutzes rechtfertigen216 • Für die Auigabe, eine wirtschaftlich-soziale Grundsicherrung für ,alle auf die Verwertung ihrer Arheitskraft angewiesenen Personen - also auch Freiberufler, kleine Selbständige wie z. B. Handwerker etc. - zur Verfügung zu stellen, ist das Arbeitsrecht instrumentell nicht .geeignet. Hierfür müssen andere - auch .gesetzgeber1sche - Lösungen geiiunden werden, insbesondere auf den Gebieten des Sozialversicherungsrechts, aber auch des Steuer-, Urheber- und Kartellrechts217 • Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß 2JUr Erfüllung dieser rechtspolitischen Aufigabe auf einzelne arbeitsrechtliche Regelungen 2JUrückgegriffen wil1d. Die Rechtskategorie der arbeitnehmerähnlichen Person ilst ein Beispiel für eine solche punktuelle Nutzung des Arbeitsrechts für ordnungspolitische Ziele, die über ,seine eigentliche Funktion hinausgehen218 • Wer die arbeitsrechtliche soziale Schutzbedürft~gkeitaus der gesamten sozialen und wirtschaftlichen Leben:ssituation ableitet, übersieht somit, daß das Arbeitsrecht nur einen Teil des ,großen Spektrums der aus den verschiedensten GriinJden sozial schu~bedürftigen Personen betrifft. Bs stellt deshalb eine unzulässige PauschalisIerung dar, wenn nicht zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen der Schutz215 Vgl. Stolterjoht S.104; Tomandl S.78; derselbe in Gedenkschrift Gschnitzer S.431 (4'36); so schon Molitor, ZffiHR 1928 S.33 (34); Nikisch, Grundform, S.94; Jacobi S. 41; MolitOT in Molitor / Hueck / Riezler S. 70; vgl. ferner dazu Zöllner § 4 VI S. 44 ff. 216 So Lieb (s. o. 2. Kapitel Fn. 279); vgl. auch, im Anschluß an PickeT, JZ 1979 S. 285 (286), Dietz / Richardi, BetrVG 6. Auft., § 5 Rz. 14. 217 Vgl. oben 1. Kapitel III. 2. 218 Es ist bezeichnend, daß für diese Rechtsftgur in der Konzeption von Rancke kein Raum ist; vgl. oben 2. KapitellII. 2. b); wie hier wohl auch Dietz / Richardi, BetrVG 6. Auft., § 5 Rz. 17
11. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
169
bedürftigkeit differenziert wird219 • Daß diese Differenzierung im geltenden Recht fest verankert ist, zeigt auch die Existenz weiterer allerdings nicht so umfassender '1l1lJd quantitativ bedeutender Schutzrechtsordnunrgen zwgtmsten bestimmter Gruppen von Selbständigen. Dazu gehört das Recht der arbeitnehmerähnlichen Personen, vor allem aber der Heimarbeiter und sonstigen vom Heimarbeitsschutz erfaßten Personen. Darüber hinaus hat in neuerer Zeit insbesondere Lieb 220 auf eine typisch unternehmerische soziale SchutzbedürftLgkeit aufmerksam gemacht, die weder aus einem bestimmten Beschäftigungsverhältnis noch aus der engen wirtschaftlichen Verflechtung mit einem bestimmten Geschäftspartner entspringt, sondern im Gegenteil aus dem Zwang zu übergroßer unternehmeriJscher Mobilität. Das kann etwa bei solchen künstlerisch tätigen Selbständigen zutreffen, die sich mit einer Vielzahl kleiner und kleinster Aufträge über Wasser halten müssen mit der Folge, daß sich selbst vorübel'gehende Auftl'agsflauten existenzgefähldenJd 'aruswirken221 • Es Hegt auf der Hand, daß das auf den typischen Fall des Vollzeitarbeitsverhältnisses auf unbestimmte Dauer zugeschnittene Arbeitsrecht völlig ungeeignet wäre, dieser Art sozialer Schutzbedürftigkeit Rechnung zu tragen. Vielmehr müssen gevade hier Lösungswege in den Ber,eichen vor allem des Sozialversicherungs- und des Urheberrechts, aber 'auch des Steuerrechts gesucht werden222 • Somit ist festzuhalten, daß die spezifisch arbeitsrechtliche soziJale Schutzbed.ürfttgkeit keine Funktion der sozio-ökonomischen Existenzbedingungen ist. Sie ergibt sich nicht aus dem sozialen Status, sondern hängt allein von der vereinbarten Ausgestaltung der Al'beitspflicht in einem bestimmten Beschäftigungsverhältnis ab. 219 Zu undifferenziert außer Rancke (Fn. 213) auch der Definitionsvorschlag von FohTbeck / Wiesand / WoLteTeck S.170; dagegen mit der auch hier vertretenen Begründung WachteT S. 89 ff. (92), der - trotz seines vereinheitlichenden Ansatzes (s. o. 2. Kapitel Fn. 368 am Ende) - an der Trennung von Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnlicher Person festhalten will; allerdings sollen nach WachteT S. 146 ff., 162 ff. wegen der unmittelbaren Anknüpfung des Begriffs der arbeitnehmerähnlichen Person an die umfassend verstandene "wirtschaftliche Unselbständigkeit" neben den finanziellen auch die arbeitsorganisatorischen Abhängigkeitskriterien für diesen Personenbegriff maßgebend sein; wie im Text ReuteT, RdA 1981 S. 201 (202). 220 RdA 1977 S. 210 (218), der aber diese "unternehmerische" soziale Schutzbedürftigkeit nicht scharf genug von derjenigen des arbeitnehmerähnIichen Selbständigen scheidet. 221 Zu dieser Gruppe s. o. 1. Kapitel Fn. 25. 222 s. o. Fn. 217; in diesem Zusammenhang ist auf die oben 1. Kapitel 111. 1. a) am Ende erwähnten Ergebnisse der empirischen Untersuchungen im Bereich der Kulturberufe hinzuweisen, wonach nur ca. 10 Ofo der künstlerisch tätigen Selbständigen festangestellt sein wollen und ca. 1/3 selbständig bleiben will, allerdings in sozial abgesicherter Stellung.
170
3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien M~tarbeiters cc) Wirtschaftliche Abhängigkeit
Aus ähnlichen Gründen wie der soziale Status des ATbeitlerstenden kann auch die im Schrifttum223 neuerdings wieder im Anschluß an die ältere Abgrenzungs-Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts ins Spiel gebrachte wirtschaftliche Abhängigkeit nicht zur umfassenden, also auch im Grenzbereich :gültigen Legitimation des Arbeitsrechts herangezogen werden. Auf die Maßgeblichkeit dieses Gesichtspunktes scheint zwar hinzudeuten, daß das Arbeitsrecht dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz als Erwerbsquelle und seine Arbeitskraft als Mittel des Lebenserwerbs erhalten will und diese Schutzzwecke in besonderem Maße Berücksichtigung verlangen, wenn die wirtschaftliche Existenz des ATbeitleiJstenden überwiegend oder gar im wesentlichen auf der Vergütung aUJs der Tätigkeit für einen bestimmten Auftnaggeber beruht. Das Vorliegen der wirtschaftlichen Abhängigkeit ist jedoch nicht conditio sine qUJa non für die Durchset2lung dieser Zwecke. Denn zum einen könnten sonst nebenberufliche, extrem kurzzeitige oder geringfügige Teilzeitbeschäftigungen nicht in einem Arbeitsverhältnis durchgeführt werden224 • Zum anderen aber würde dann - wie bei der Rechtfertigung des Arbeitnehmerstatus mit den wirtschaftlichsozialen Existenzbedingungen225 - dieal'beitsrechtliche soziale Schutzbedürftigkeit aus Umständen abgeleitet werden, die nicht in der spezifischen inhaltlichen Ausgestaltung des zu beurteilenden Rechtsverhältnisses begründet, sondern unabhängig von diesem festzustellen sind. So könnte z. B. die Aufgabe der bisherigen hauptberuflichen Tätigkeit dazu führen, daß aus einer seIhständigen nebenberuflichen Beschäftigung ein Arbeitsverhältnis wird - und zwar ohne jeden darauf bezogenen rechtsgeschäftlichen Akt. Das widerspricht aber, wie vorstehend ausgeführt wurde, der Grundstruktur des Arbeitsrechts, das an ein bestimmtes, durch rechtsgeschäftliche Erklärungen mit spezifischem Inhalt begründetes Vertr,agsverhältnis anknüpft. Schließlich zeigen weite Bereiche des Arbeitsschutzrechts - z. B. der Arbeitsgeßahrenschutz, der Jugendarbeitsschutz und Teile des Mutterschrutzes -, aber auch des kollektiven Arbeitsrechts - etwa das BetrVG - , daß der zweifellos vorhandene Effekt der wirtschaftlichen BegünstiJgung des Beschäftigten durch das Eingreifen \desarbeitsrechtlichen Schutzes nicht der Haruptzweck des Arbeitsrechts ist. 223 SQ von Buhl S. 154 ff. (179 ff.); dazu s. o. 2. Kapitel TI. 3. a); im Ansatz auch Rancke S. 33 ff. und öfter; - vgl. auch Beuthien I WehleT, RdA 1978 S.2 (3); Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I 2 S.5 f.; WachteT S. 75 ff., 81 ff., 202 f. (s. o. 2. Kapitel Fn. 368 am Ende). 224 s. o. 2. Kapitel TI. 3. b); wie im Text ReuteT, RdA 1981 S.201 (202 ff.). 225 s. o. bb).
Ir. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
171
b) Fremdgestaltung der Arbeitsabläufe
Weiterführend erscheint der Ansatz zur Konkretisierung des Wertungsgesichtspunkts der sozral,en Schutzbedürftigkeit, den Lieb und Beuthien / Wehler, die insoweit übereinstimmen, im Anschluß an Nikisch und Wiedemann herausgearbeitet haben. Danach ist kennzeichnend für die ArbeitnehmersteIlung die Abhängigkeit der Arbeitsleistung von fremder unternehmerischer Planung und Risikobereitschaft226 • Es macht in der Sache wenig Unterschied, wenn Lieb mit dem Begriff der Fremdnützigkeit der Arbeitsleistung mehr den finalen Aspekt dieser Abhä11Jgigkeit in den VOl'dergrund stellt, Beuthien und Wehler dagegen den Gesichtspunkt der Alufgabe unternehmerischer Planungshoheit und damit die funktionale Seite betonen. Der Versuch jedoch, diesen Ansatz so weit zu konkretisieren, daß einsichtig wird, warum das Arbeitsrecht eingreift, erscheint bei den genannten Autoren nicht in vollends befriedigender Weise gelungen. Der von Lieb entwickelte Gedanke der übertragung der unternehmerischen Dispositionsmöglichkeiten über das Wirtschaftsgut Arbeitskraft auf den Arbeitgeber ist, wie oben227 aJU:Dgezeigt wurde, gerade im Grenzbereich 'zwischen Se~bständigkeit und Unselbständigkeit nicht aussagekräftig und führt letzten Endes zu Kriterien, die wenig effektiv und zudem nicht wertungsbezogen sind. Beuthien und Wehler 228 beschränken ,sich dagegen ,auf den Hinweis, die Aufgabe der beruflichen Selbständigkeit zugunsten fremder unternehmerischer Planungshoheit sei "der soziologische Gl'undtatbestand, 'an den das Arbeitsrecht vornehmlich anknüpft" . Inidessen vermag die bloße Berufung auf soziologische Erkenntnisse keine Antwort auf die hier gestellte Wertungsfrage zu geben229 • aal Nähere Konkrektisierung Die Zusammenhänge .zwischen der Fremdplanung und -verantwortung der Al'beit und dem Eingreifen des Arbeitsrechts erschließen sich, wenn man untel'sucht, wie sich die Fremdorganisation bei der Arbeitsleistung des Beschäftigten,also in den Umständen der Arbeit, niederschlägt. Unternehmerrsche Planung und Organi:sation hinsichtlich des Einsatzes fremder Arbeitskraft bestehen darin, daß der Auftraggeber s. o. Fn.206 und 2. Kapitel Fn.279; insoweit übereinstimmend Dietz! diesen Ansatz hat sich inzwischen auch das BAG zu eigen gemacht; vgl. BAG AP Nr.26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 2 bund c der Gründe; dazu oben 2. Kapitel IV. 3. c). 227 S. O. 2. KapitellI!. 4. b). 228 RdA 1978 S. 2 (5); ähnlich Anm., zu IV 4, BI. 701. 229 So mit Recht Rancke S. 57 Fn. 54. 226
Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 5 Rz.16; -
172
3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
nicht schlicht die Arbeitskraft eines anderen nutzt, sondern sie für seine Zwecke optimal einsetzt230 • Das geschieht durch Steuerung der Arbeitsabläufe, um so das Arbeitsprodukt so nutzbringend und bedürfnisgerecht wie möglich verwerten, d. h. in aller Regel auf einem Markt ,absetzen ml können. Vor allem wird es dem Auftraggeber dadurch ermöglicht, auf Veränderungen im Marktgesch:ehen angemessen zu reagieren, aLso ma~ktgerecht zu produzieren. Die Notwendigkeit der Steuerung der AI1beitsabläufe hinsichtlich des einzelnen Beschäftigten tritt um so klarer zutage, als die Produktion meist arbeisteil1g organisiert ist und schon deshalb der Koordination bedarf. Der Fremdsteuerung der Arbeitsabläufe entspricht auf der anderen Seite, daß sich der Arbeitleistende der Möglichkeit begibt, die Umstände der Arbeitsleistung so zu gestalten, daß seinen Bedürfnissen in optimaler Wetse Rechnung getragen wird und ihn die Arbeit möglichst wentg 'belastet. Zwar verwertet der unselbständig Beschäftigte in jedem Falle seine Arbeits~raft auch - durchaus eigennütz~g - für sich selbst, wenn er damit seinen Lebensunterhalt bestreitet231 • Doch ändert das nichts an dem Verlust der Eigengestaltung der Arbeitsabläufe. In diesem Sinne ist die ChaI1akterisierung der Arbeitsleistung als fremdnützig bel'echtigt. Für die als VerLust der Eigengestaltungsmöglichkeit hinsichtlich des Arbeitsaiblaufis verstandene Fremdnützigkeit der Arbeitsleistung macht es keinen Wesensunterschied, auf welche Weise die Fremdgestaltung durch !den Dienstgeber erfolgt. IIl!SOweit sind direkte und indirekte Steuerungsmechanismen unter normativen Gesichtspunkten gleichwertiJg. Ob ein bestimmter Ablauf der Arbeitsvorgänge durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit und sonstiger Umstände der Arbeitsleistung 232 oder schon durch entsprechende ,detaillierte Vertragsregelungen sichergestellt wird, ober sich laus einer festen Eingliederung in den Betrieb oder die Privatsphäre des Dienstempfängers233 oderaiUs der Notwendigkeit ergibt, 2JUIn Zwecke der Durchführung der übertragenen Arbeitsaufigabe !den fremdgesteuerten und -koordinierten personellen und technisch-sächlichen Produktionsapparat zu nutzen und sich ihm anzupassen234 , ist nicht entscheiJdenid. Welche dieser FremdgestaltungsSo Nikisch I § 1 II 2 S. 7; Lieb, Arbeitsrecht, § 1 I S. 4. Ebenso Lieb (Fn. 230). 232 So vor allem bei Angehörigen der Vermittierberufe und sonstigen nicht an eine bestimmte Betriebsstätte gebundenen Arbeitnehmern, z. B. Kraftfahrern, Montagearbeitern, Kundendienst- und anderen Außendiensrtmitarbeitern, vgl, BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B Ir 2 a der Gründe. 233 So beim Durchschnittsarbeitnehmer. 234 So bei vielen geistig-schöpferisch tätigen Arbeitnehmern; vgl. BAG AP Nr. 6, 8, 10, 12, 15 - 21, 25, 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG, Urt. v. 23.4. 1980, 5 AZR 426/79, (demnächst) AP Nr.34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, LS.l 230
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11. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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val'i1anten gewählt wil'd, 1,st eine Frage der Zweckmäßigkeit, wobei für bestimmte Be:rufs- oder Tätigkeitsbereiche jeweils typische Formen der Fl'emdsteuerung der Arbeitsabläufe kennzeichnend sind235 • Wichtiger a1s die Herausarbeitung der vel'schiedenen Instrumente der Fremdgestaltung der Arbeitsabläufe ist es, dieses Phänomen in seinem sachlichen Gehalt näher zu präzisieren: Die Selbstbestimmung 'daß die Tätigkeitspflicht oder das Vertragsverhältnis über 'die jeweilige Beschäftigungsperiode hinausreicht, die Möglichkeit einer diese übersteigenden vertraglichen Bindung schlechterdingsausgeschlossen328 . Das vermag jedoch nicht zu überzeugen, da bei einer automatischen Gleichsetzung der Vertragsdauer mit der jeweils laufenden Beschäftigungsperiode nach Art einer petitio principii vor,ausgesetzt wird, was es erst ru begründen gälte329 . Der Umstand der Ein:zelbeauftragung mit isolierbaren Arbeitsaufgaben oder der~alendermäßigen Fixierung einer Beschäftigungsperiode vermag für sich genommen allenfalls mit einer - nicht gering zu veranschlagenden - Wahrscheinlichkeit für eine dementsprechende Beschränkung der Vertr,agsbindung sprechen; er begründet diese aber nicht zwangsläufig. bb) "Dauerrechtsverhältnis" hei projektbezogener Mitarbeit in der Rechtsprechung des BAG Demgegenüber hält das BkG im Falle der Beschäftigung in einer Reihe von Beschäftigungsperioden mit inhaltl:ich~gegenständlich bestimmter Aufgabenstellung eine über die Erledigung des einzelnen Auftrags oder die ausdrücklich vereinbarte Beschäftigungsdauer hinausgehende Vertragsbindung für möglich330 . Deshalb hat es in solchen Fällen wiederholt zunächst den Nachweis zu führen versucht, daß die einzelnen Beschäftigungsperioden in einem sogenannten "Dauerrechtsverhältnis"331 zusammenzufassen seien und dann erst dessen Rechtsnatur festgestellt. Im Falle der Bej,ahung des Arbeitnehmerstatus führt dieses Vorgehen automatisch zum unbefristeten Arbeitsverhältnis und damit zu dem vom klagenden Mitarbeiter primär erstrebten arbeitsrechtlichen BestaIl!dsschutz. Nach der abweichenden Literatul'meinung dagegen ist bei der beschriebenen Art Ider ~sammenarbeit stets an erster Stelle zu prüfen, ob das - notwendigerweise für befristet gehaltene - Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Erst danach ist dieser Meinung 'zufolge zu fragen, ob sich die Reihe der Einzelverträge der328 So Beuthien / Wehter, RclA 1978 S. 2 (7); Lieb, Anm. zu BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 2 a, BI. 589 R.; derselbe, RdA 1975 S.49 (50); derselbe, RdA 1977 S. 210 (216 ff.); Ossenbühl S. 65 ff. 329 Das wird besonders deutlich bei Beuthien / Wehler (Fn.328). 330 So außer den in Fn. 327 genannten Entscheidungen auch BAG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ebenso im Ausgangspunkt, wenn auch im konkreten Fall verneinend BAG AP Nr. 18 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ferner BAG AP Nr. 25 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG, Urt. v. 23.4. 1980, 5 AZR 426179, (demnächst) AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 4 der Grunde. 331 Zur Kritik an dieser Terminologie s. o. Fn. 161.
11. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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gestalt zu einer Kette zusammenfügen läßt, daß der arbeitsrechtliche Bestandsschutz gewährt wenden kiann332 • Dogmatisch zu begründen ist das in diesem Fall nur mit der Anwendung der GrUIlldsätze über die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverhältnisse. Der am BAG geübten Kritik im Schrifttum ist ruzugeben, daß das Gericht den Grundsatz, daß nur die v,ereinbarte inhaltliche Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen der rechtlichen Beurteilung zwgrundezulegen ist, gerade hinsichtlich der ,zeitlichen Erstreckung der Vertragsbindung nicht immer ernst genug genommen hat333 • So hat das Gericht von der bloß faktischen Kontinuität der Zusammenarbeit, d. h. dem Umstand der sich über längere Zeit hinweg fortdauernd erstreckenden Übernahme von Aufträgen, auf eine vertragliche Dauerbindung geschlossen, und zwar je bereitwilliger, desto lückenloser die Auftragsreihe und längerdauernd die Zusammenarbeit waren334 • Ebenso bedeutet es ein Abstellen auf bloß tatsächliche, nicht vereinbarte Umstände, wenn das BAG die 'bloße Bereitwilligkeit des Mitarbeiters zur Übernahme weiterer Aufträge und dessen jederzeitige Verfügbarkeit unter dem Etikett der Dienstbereitschaft für die Annahme einer über die jeweilige Beschäftigungsperiode hinausgehenden Dauerbindung genügen läßt3as • Die Bereitwilligkeit zum Vertragsschluß ist jedoch von der vereinbarten Abrufbereitschaft ebenso scharf zu trennen wie die tatsächliche V:erfügbarkeit des ArbeitleisteIliden von dem verabredeten Verfügungsrech t des Dienstempfängers336 • Hier erweist sich deutlich, wie groß die Gefahr ist, daß man mit Hilfe der Formel vom Vorrang der pl'laktischen Handhabung gegenüber dem Parteiwillen einen fehlenden rechtsgeschäftlichen Entstehungstatbestand überspringt. Demgegenüber ist rdaran festzuhalten, daß die fehlende Verpflichtung zur Arbeitsleistung weder mit der Kontinuität der Beziehungen noch dem Interesse des Mitarbeiters an weiterer Zusammenarbeit oder einer existentiellen Zwangslage überbrückt werden kann. Die be~derseits bestehende rechtliche Freiheit zur Entschei332 So ausdrücklich Beuthien / Wehler (Fn. 328); ebenso, in Widerspruch zur sonstigen Rechtsprechung des Senats, der 5. Senat des BAG im Urt. v. 23.4. 1980, 5 AZR 426/79, (demnächst) AP Nr.34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 4 der Gründe. 333 VgI. oben 1. 2. b) bb) und dort Fn. 45. 334 So in BAG AP Nr.24 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. auch BAG AP Nr.17 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 2 b vor aa der Gründe, BI. 368 R.; BAG AP Nr. 20 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 2 a der Gründe, BI. 452 f.; wohl nur scheinbar ebenso BAG, Urt. v. 7.5.1980, 5 AZR 593/78, (demnächst) AP Nr. 36 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu Ir 1 der Gründe, da das Gericht dort im Endeffekt darauf abstellt, worauf sich die Parteien "verständigt" hatten. 335 s. o. c) dd) und die dort in Fn. 315 genannten Entscheidungen, 336 Ebenso Ossenbühl S. 66 ff. (72).
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Miitarbeiters
dung über eine erneute vertragliche Bindung ist in jedem Fall zu respektieren337 • In einer solchen Zwangslage befinden sich auch viele echte Unternehmer,freiberuflich Tätige und sonsttge Selbständige, ohne daß ,sie deshalib gegenüber dem Vertragspartner, von dem sie abhängen, eine vertragliche Dauerbindung in Anspruch nehmen könnten338 • Das vom BAG bei fehlender vertraglicher Arbeitspflicht über die einzelne Beschäftigungsperiode hinaus mittels der Kombination von tatsächlicher Dauer bzw. Kontinuität der Beziehungen und existentieller ZwangsLage angenommene "Dauerrechtsverhältnis" kann somit allenfalls als Rahmenbe2liehung nach Art eines Wiederkehrschuldverhältnisses ,angesehen werden. Eine solche Dauerbeziehung bildet nach Ansicht des BAG etwa bei der fortlaufenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der ,al1beitnehmerähnlichen Person und ihrem Auftraggeber den Anknüpfungspunkt für die Rechtsfolgen der Arbeitnehmerähnlichkeit339 • Mangels ,rechtsgeschäftlicher Begründung könnte diese "Dauerrechtsbeziehung" jedoch IlIur als ,gesetzliches oder "quasivertragliches" ,Schuldverhältnis angesehen werden340, dessen Entstehungszeitpunkt und Inhalt nur schwer zu bestimmen wären341 • Es würde zwar eine gewisse Klammer für ,die einzelnen Beschäftigungsperioden darstellen, aber keinesfalls als Dienstverhältnis qualifiziert wel1den können, da es eine auf Dauer begründete Verpflichtung zur Leistung von Drensten gerade nicht umfaßt.3 42 • Wie wenig das BAG selbst zuweilen der Tragfähigkeit seiner Argumentation vertraut hat, ze1gt sich darin, daß es trotz vorher bejahter Bindung auf unbestimmte Dauer geprüft hat, ob die entsprechend den einzelnen Beschäftigungsperioden vorgenommenen Befristungen zulässig waren343 • Die überflüssigkeit dieser DoppelprüftliIlg hat das Gericht nunmehr erkannt.3 44 • Desgleichen hat es inzwischen345 klar zum s. o. Fn. 317. So Lieb, RdA 1974 S.257 (262); derselbe, RdA 19'77 S.210 (218). 339 VgI. BAG AP Nr.8 zu § 611 BGB Abhängigkeit, LS. 1 und zu 1 der Gründe. 340 So Gerhardt in Anm. zu BAG (Fn. 339), zu 1 a, BI. 346 R.; ebenso (gesetzliches Schuldverhältnis) Kunze, UFITA Bd.74 (1975) S.19 (28); ablehnend Lieb, RdA 1974 S.257 (266 und dort Fn. 47). 341 Vgl. Beuthien I Wehler, RdA 1978 S. 2 (7). 342 a. A. Schröder, RdA 1969 S. 257 (258), der schon bei einem bloßen InaussichtsteIlen der Zusammenarbeit ohne übernahme einer Arbeitspflicht ein Teilzeit-Arbeitsverhältnis für möglich hält; wie hier Lieb, RdA 1974 S. 257 (266). 343 Vgl. BAG AP Nr. 15 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu Irr der Gründe, BI. 362 R. f.; BAG AP Nr.20 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 2 c der Gründe, BI. 452 R. f. 344 BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B I 2 a der Gründe. 345 BAG (Fn. 344), zu B II 4 a der Gründe am Ende. 337
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Ir. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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Ausdruck gebracht, daß auch in der Frage der zeitlichen Erstreckung der Verpflichtung zur Arbeitsleistung allein das rechtsgeschäftlich Vereinbarte zugrundezulegen und zu diesem Zweck der wahre Inhalt des Vertrags sorgfältig zu ermitteln Lst. cc) Keine automatische Gleichsetzung von Beschäfbgungsperiode und VertragsdalUer Wenn das Gericht dennoch nach wie vor die jeweilige Beschäftigungsperiode nicht automatisch mit der vereinbarten Vertragsdauer gleichsetzt, so ist dem zuzustimmen. Trotz ausdrücklich auf die einzelne Arbeitsaufgabe bezogener Arbeitszuweisung oder -abrede ist eine darüber hinalUSgehendezeitliche Erstreckung der Arbeitspflicht möglich, und zwar nicht nur dann, wenn sich die Einzelbeauftragung als einseitige Weisung ohne jeden Verhandlungsspielraum darstellt, sondern auch im Falle, daß die Wünsche des Mitarbeiters so weit als möglich berücksichtigt weI1den und ihm insbesondere ein an bestimmte Voraussetzungen gebundenes Ablehnungsrecht346 eingeräumt ist. Das BAG knüpft aber die Annahme einer die einzelne Beschäftigungsperiode überdauernden Arbeitsverpflichtung nunmehr mit Recht ausdrücklich an die Bedingung, daß eine einheitliche, übergreifende Aufgabe, also ein fester Tätigkeitsbereich, übertragen ist, der eine auf längere Dauer gerichtete Bindung zwangsläufig mit sich bringt347 • Damit wird eine schon in früheren Entscheidungen mehr oder weniger deutlich sichtbare Linie346 aufgegriffen und konsequent fortgeführt. Diese Einschränkung erscheint sachlich geboten, da angesichts der Projektbezogenheit der Mitarbeit die Annahme einer nach außen nicht verlautbarten langfristigen oder gar unbefristeten Vertragsbindung nur bei Vorliegen zwingender Gründe g,erechtfertigt sein kann. Andererseits wäre es eine unzulässige Vereinfachung, würde man die sogenannte Beschäftigung auf Produktionsdauer generell dem Be346 a. A. wohl Beuthien I Wehler, RdA 1978 S.2 (4); Seiter S.32; wie im Text im Ergebnis Schröder, Rd~ 19,69 S. 257 (258); - ein an keinerlei Voraussetzungen gebundenes, uneingeschränktes Ablehnungsrecht schließt die Möglichkeit einer durchgehenden Vertragsbindung jed'Och aus; denn die Annahme einer die einzelnen Beschäftigungsperioden überdauernden Arbeitspflicht setzt voraus, daß sich die Parteien über die Pflicht zum Tätigwerden hinsichtlich der jeweiligen Beschäftigungsperiode nicht erst noch einigen müssen. 347 BAG AP Nr.26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B I 2 c der Gründe; ebenso LAG Düsseldorf/Köln (Fn.320); vgl. auch BAG, Urt. v. 7.5.1980, 5 AZR 293178, (demnächst) AP Nr.35 zu § 611 BGB Abhängigkeit, Leitsatz. 348 Vgl. BAG AP Nr. 15 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3 a der Gründe, BI. 361 R f.; BAG AP Nr.21 zu § 611 BGB Abhängigkeit., zu 2 c der Gründe, BI. 457.
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
reich befristeter Verträge zuweisen349 • Denn auch der Beschäftigung in der Form der Mitwirkung bei einzeln 2lugewiesenen oder abgesprochenen Projekten kiann eine durchgehende Tätigkeitsverpflichtung zugrundeliegen, wenn zwischen den Einzelprojekten ein verknüpfendes inneres BaIl!d besteht350 ; das Beschäft]gungsverhältn~s wird dann nicht mit Erledi.gung des Einzelprojekts arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften als normative Anknüpfungspunkte vorausgesetzten festen Bezugsgrößen, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsdauer, der täglichen Arbeitszeit sowie der Vergütung zu ermitteln. Dennoch besteht kein Anlaß, in solchen Fällen inhaltslose oder inhaltlich nicht bestimmbare Rahmenbeziehungen anzunehmen 411 , die sich in das Arbeitsrecht nicht einfügen lassen; denn für die Zweifelsfvagen steht ein normativer Gestaltungsrahmen zur Verfügung, der die Lösung solcher Vertragsinhaltsprobleme ermöglicht. Das soll im folgenden näher ausgeführt werden.
409 Vgl. z. B. § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 LohnfortzG; § 1 Abs. 1 FeiertagslohnzahlungsG; § 3 AZO; § 11 MuSchG; § 11 BUrlG; § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3, 5 BetrVG. 410 Anders, wenn von vornherein ein Pauschalhonorar pro Beschäftigungs'periode oder Einzelauftrag vereinbart wird. 411 a. A. Ossenbühl S.78; Beuthien! WehleT, RdA 1978 S.2 (7 und dort Fn.52).
II. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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a) Grundsätzliche Weitergeltung der vereinbarten inhaltlichen Ausgestaltung Trotz der vielfältigen Anpassungserfordernisse, die im Gefolge der Statuskorrektur auftreten können, muß nachdrücklich betont werden, daß sich im Grund.9atz die Beschäftigungsbedingungen, insbesondere hinsichtlich der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptpflichten, nicht ändern. Vielmehr bleibt es prinzipiell bei dem vereinbarten Vertragsinhalt, wie er zum Zwecke der rechtlichen Einordnung ermittelt wurde412 • Das gilt auch dann, wenn die wirklich gewollte Ausgestaltung nicht dem ursprünglich verlautbarten Vertragstext entnommen wird, sondern der praktizierten Handhabung der Rechtsbeziehungen. Gerade hier erweist es sich jedoch, wie wichtig es ist, die Vertragspraxis der rechtlichen Qualifizierung nur dann zugrundezulegen, wenn sie wenigstens konkludent vereinbart ist. Mangelnde Sorgfalt in diesem Punkt führt zu einer mit der vertraglichen Gestaltungsfreiheit nicht zu vereinbarenden Umgestaltung 'der gegenseitigen Rechte und Pflichten; besonders weitreichend ist in diesem Zusammenhang die Ersetzung einer wirklich vereinbarten Befristung durch eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung auf unbestimmte Dauer413 • Beachtet man jedoch die rechtsgeschäftlichen Entstehungsvorausfür die inhaltliche Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen, so führt auch 'die Qualifizierung der scheinbar auf der Grundlage von Einzelaufträgen oder Zeitverträgen beschäftigten Mitarbeiter als in einem unbefristeten Teilzeit-Arbeitsverhältnis stehende Arbeitnehmer nicht zur Unbestimmbarkeit des Rechtsverhältnisses. Denn in solchen Fällen kann eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung auf unbestimmte Dauer - wie bereits ausgeführt wurde414 - nur angenommen weIden, wenn der Verlauf der Zusammenarbeit im wesentlichen feststeht, d. h. die Art und Frequenz der Arbeitsaufgaben, die mutmaßliche Dauer ihrer Erledigung sowie der ArbeitszeitanEall während der Beschäftigungsperioden wenigstens in etwa absehbar sind. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kann von einem inhaltlich unbestimmten Rechtsverhältnis, einer leeren Vertragshülse oder einer bloßen Rahmenbeziehung keine Rede sein. Im übrigen besteht kein Anlaß, wegen der Statuskorrektur etwa eine bisher einverständlich gehandhabte unregelset~ungen
412 Ebenso BAG AP NI'. 20 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 1 a der Gründe, BI. 451; hiergegen ohne nähere Begründung Schnorr v. CaroLsfeLd, SIAE 1977 S. 121 (122 zu d); die im Text geäußerte Auffassung liegt auch dem Urteil des BAG AP Nr.32 zu § 611 BGB Abhängigkeit zugrunde; das Gericht hat sich dort nur geweigert, eine quasi-gutachtliche Beurteilung der Vergütungshöhe vorzunehmen. 413
s. O. 3. d). 3. d) cc).
414 S. O.
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
mäßige Arbeitszeitgestaltung aufzugeben und eine regelmäßige Arbeitspflicht einzuführen415 • Ebensowenig zwingt die Richtigstellung der Qualifizierung zur Statuierung einer vorher nicht vereinbarten oder praktizierten Weisungsbinidung in fachlicher oder persönlicher Hinsicht. Das Erfordernis der rechtsgeschäftlichen Fundierung der Statusbeurteilung und insbesondere die Notwendigkeit der Berücksichtigung des vertraglichen Entstehungstatbestands bei der Annahme einer unbefristeten Arbeitspflichtschließen es auch aus, daß es zu dem von Stolterfoht 416 befürchteten mehr:liachen raschen Rechtsformwandel, dem sogenannten "Chamäleon-Effekt", kommt. Keineswegs unlösbar ist bei der Problemgruppe der ständigen freien Mitarbeiter der Rundfunkanstalten, bei denen trotz ursprünglich geplanter freier Mitarbeit im Verlaufe der Zusammenarbeit ein Arbeitsverhältnis entstanden ist, die FIlage nach dem Zeitpunkt des Entstehens dieses Arbeitsverhältnisses417 • Daß das BAG in ständiger Rechtsprechung diese Frage offen läßt, liegt in der Eigenart der Statusklage begründet, die ,auf die Feststellung eines gegenwärtig bestehenden Arbeitsverhältnisses 'zielt. In welchem Zeitpunkt infolge einer Änderung der vereinbarten inhaltlichen Ausgestaltung der Rechtsbemehungen der Rechtsformwandel eingetreten ist, muß erst dann geklärt werden, wenn es für die Feststellung arbeitsrechtlicher Einzelansprüche, Anwartschaften oder sonstiger Rechte ·auf den genauen Zeitpunkt des Entstehens des Arbeitsverhältnisses ankommt418 • Das ist dann jeweils T,atfrage. Es soll dennoch nicht bestritten wellden, daß es im einzelnen bei der Bestimmung des Vertragsinhalts und des Entstehungszeitpunkts des Arbeitsverhältnisses Schwierigkeiten Ull'd Streitpunkte geben kann. Nach einer Äußerung aus der gerichtlichen Praxis419 erweist sich als besonders konfliktträchtig die Bestimmung der Eingruppierung und somit der Vergütung, weil hinreichend präzise tarifliche Tätigkeitsmerkmale fehlen. Zu einer Verschärf.ung solcher Konflikte kann insbesondere beitragen, daß möglicherweise infolge der Qualifizierung des scheinbaren freien Mitarbeiters als in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehender Arbeitnehmer :bisherige Zuschüsse des Dienst415 Anders offenbar Ossenbühl S.79; dazu, daß individuelle Dispositionsmöglichkeiten über die Arbeitszeit für sich genommen den Arbeitnehmerstatus nicht ausschließen, Reuter, RdA 1981 S. 201 (202 ff,). 416 Stolterfoht S. 221 ff.; ähnlich v. Sell S.50; dazu oben 2. Kapitel H. 2. cl. 417 Zweifelnd Beuthien / Wehler, RdA 19'78 S. 2 (7). 418 Vgl. z. B. § 1 Abs. 1 KSchG, § 4 BUrlG, § 1 Abs. 3 Nr. 1 Lohnfo,rtzG, § 1 Abs. 1 BetrAVG, § 8 BetrVG, § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 2 Abs. 1 AngKündG. 419 Bitter, RdA 1978 S. 24 (Fn. 2 - 7), 26 (Fn. 13, 14).
11. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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empfängers an den Mitarbeiter zur Bestreitung der Eigenvorsorge oder sonstige Vorsorgehilfen420 wegfallen können; hinzu kommt, daß Lohnsteuer und Sozia}abgaben abzuführen sind und das tatsächlich ausgezahlte Nettoentgelt somit u. U. geringer ist als ZUVOr"21. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß die Statuskorrektur als solche keinen Anspruch auf umfassende Gleichstellung mit bestimmten ähnlichen Gruppen von Festangestellten oder mit einzelnen vergleichbaren Arbeitnehmern desselben Dienstempfängers nach sich zieht. Eine solche "Angleichung" der Rechtsstellung muß nur erfolgen, wenn der betreffende Mitarbeiter schon bisher unter denselben Bedingungen wie die Vergleichspersonen tätig war. 'Selbstverständlich gilt aber im Falle der Statuskorrektur der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im Rahmen seines sachlichen Geltungsbereichs422 • b) Folgeprobleme
Trotz der prinzipiellen Weitergeltung des vereinbarten Vertragsinhalts können durch die Einwirkung neuer inhaltsbestimmenlder Faktoren auf ,die Rechtsbeziehungen - zu nennen sind vornehmlich das zwingende Arbeitsrecht, tarifvertragliche Normen sowie Betriebs- oder Dienstvereinbarungen - im einzelnen Zweifel über den Inhalt der gegenseitigen Rechte und Pflichten 'auftreten. Diese betreffen weniger die unmittelbare Ausgestaltung der Arbeitsumstände selbst, z. B. Ort und Zeit der Arbeit; denn gemlde insoweit besteht meist kein Anlaß, allein wegen der Statuskorrektur vom bisher Vereinbarten abzuweichen. Vielmehr beziehen sich die Unklarheiten in erster Linie auf die Zuerkennung von Ansprüchen, Anwartschaften und sonstigen Rechtsstellungen, die sich aus der Anwendung zwingender arbeitsrechtlicher Vorschriften ergeben. Insoweit erbringt der Blick 'auf das schon bisher von den Parteien einverständlich Praktizierte in aller Regel nichts, weil Idurch die fehlerhafte Qualifizierung des Beschäftigten als freier Mitarbeiter die Geltung des Arbeitsrechts gerade vermieden werden sollte. Im übrigen dürften Folgekonflikte der Statuskorrektur eher Tatals Rechtsfragen zum Gegenstand haben, d. h.die tatsächlichen Vor420 Vgl die Zusammenstellung solcher sozialen Leistungen bei Scharf, RdA 1978 S. 20 (22). 421 So Bitter, RdA 1978 S. 24 (26 und dort Fn. 13, 14). 422 Aus der Fülle der Literatur zum arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz: G. Hueck, Grundsatz, S. 83 H. mit weiteren Nachweisen; MayerMaly, AR-Blattei Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis I; M. Wolf in Festschrift Raiser S, 597 ff.; Hueck / Nipperdey I § 48 a S, 417 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Raiser, ZHR Bd.l11 (1948) S. 75 H.; ZöLLner § 17 S.146 H.; SÖnneT, Arbeitsrecht, § 31 !II S. 217 f.; v. Hoyningen-Huene S.102 mit weiteren Nachweisen,
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
aussetzungen von arbeitsrechtlichen Ansprüchen, Anwartschaften und sonstigen Rechtsstellungen betreffen. Soweit sich aus der Einwirkung der "neuen" normativen Gestaltungsfaktoren dennoch Rechtsfmgen ergeben, handelt es sich, im Gegensatz zu den Tatfragen, meist um keine spezifischen Folgen der nachträglichen Statuskorrektur, sondern entsprechend der inhaltlichen Ausgestaltung der meisten Zweifelsfälle als kurzzeitig befristete oder Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse - um generelle Rechtsprobleme der befristeten Beschäftigung oder der Teilzeitarbeit. So kann z. B. zweifelhaft sein, ob hinsichtlich gesetzlicher, tariflicher oder in Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen festgelegter Wartezeiten423 auf die Dauer der vertraglichen Bindung oder den u. U. sehr viel geringeren Umfang der Arbeitsle~stung ab:Z.IUstellen ist. BerückJsichtigt man nur die Zeiten aktiver Zusammenarbeit, so wären bei den auf der Grundlage von Einzelaufträgen beschäftigten Mitarbeitern trotz durchgehender Vertragsbinrdung für die Erfüllung der Wartezeiten nur die Beschäftigungsperioden, nicht aber die dazwischenliegenden Ruheabschnitte zu berücksichtigen424 • Es spricht jedoch nichts dagegen, zumindest grundsätzlich für die ErfülLung arbeitsrechtlicher Wartezeiten auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses abzustellen. Das entspricht regelmäßig nicht nur dem Wortlaut, sondern auch den Intentionen der Wartezeitregelungen. Denn die nach Ablauf der Frist eingeräumte Rechtsstellung ist ein Ausgleich für eine entsprechend langdauernde Arbeitskraftbindung als Arbeitnehmer425 • Das schließt nicht aus, daß in Extremfällen besonders lmrzer und weit auseinander liegender Beschäftigungsperioden auf diese und nicht die Vertragsdauer abzustellen ist426 • Entsprechendes muß auch gelten, wenn es für einen Anspruch, eine Anwartschaft oder eine sonstige RechtssteUung auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit ankommt427 • Streitig kann auch das üb der Betriebszugehörigkeit als Voraussetzung der Arbeitnehmereigenschaft und der Wahlberechtigung im z. B. § 1 Abs. 1 KSchG, § 4 BUrlG, § 1 Abs. 1 BetrAVG. So für die Wartezeit nach § 1 Abs.l KSchG Beuthien / Wehler, RdA 1978 S. 2 (8), allerdings auf der Grundlage der Annahme einer Kette befristeter Arbeitsverhältnisse. 425 Im Ergebnis ebenso für die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG BAG AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Wartezeit; Hueck, KSchG, § 1 Rz. 39; Isele, RdA 1964 S. 200 (203); Seiter S. 26 f., 51 und AR-Blattei Teilzeitarbeit I, B II 2 (jeweils auch für die Wartezeit des § 4 BUrlG); - für die Wartezeit des § 4 BUrlG ebensO' Dersch / Neumann § 4 Rz. 31 f., 40. 426 EbensO' Dersch / Neumann § 4 Rz. 49 ff. mit weiteren Nachweisen. 427 z. B. § 8 BetrVG, § 14 BPersVG; die h. M. in der Literatur stellt aber bei § 8 BetrVG nicht uneingeschränkt auf die rechtliche Dauer der Betriebszugehörigkeit ab; vgl. dazu: Dietz/ Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 8 Rz.17 f.; Fitting / Auffarth / Kaiser § 8 Rz. 16 - jeweils mit weiteren Nachweisen; ohne Einschränkung Seiter S. 57 und AR-Blattei Teilzeitarbeit I, C IX 3 b. 423
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I!. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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Sinne des Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrechts sein, wenn der betreffende Mitarbeiter nur wenige Wochenstunden beschäftigt wild. Man wird die Betriebs2Jugehörigkeit in solchen Fällen nicht verneinen können; da die Erörterung dieser ,Streitfrage den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde, ,muß jedoch insoweit auf die betriebsverfassungsrechtliche Literatur verwiesen werden428 • Ganz generell ist nicht auszuschließen, Idaß es gerade wegen der reduzierten Intensität der ArbeitsleiiStung zu Konflikten über die Berechtigung und das Ausmaß der proportionalen Reduzierung arbeitsrechtlicher Ansprüche und sonstiger Rechtspositionen des Mitarbeiters kommt429 • Bei der Lösung solcher Folgekonflikte ist den Instituten der betrieblichen übung sowie der arbeitsrechtlichen Gleichbehandlung eine besondere Bedeutung beizumessen43o • Das gilt vor 'allem hinsichtlich der nicht tarifvertraglich oder durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen geregelten sozialen Leistungen und insoweit, als im Falle tariflich geregelter Ansprüche die Zwangswir~ung der Tarifvertragsnormen sich nicht auf das konkrete Arbeitsverhältnis erstreckt. c) Umgestaltung nach Treu und Glauben
Soweit trotz der Weitergeltung der bisherigen, einverständlich praktizierten vertraglichen Regelung Zweifel über den Inhalt der gegenseitigen Rechte und Pflichten verlbleiben, stehen die Parteien unter dem Zwang, sich hierüber zu einigen. Damit kann es zur Notwendigkeit partieller Neuverhandlung des Rechtsverhältnisses kommen mit dem Ziel, dieses der gewandelten Normsituation anzJUpassen. Dieses Erfordernis wird insbesondere bei der Problemgruppe der teilzeitbeschäftigten Rundfunkmitarbeiter häufiger als sonst auftreten431 • Hierzu sind die Parteien nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verpflichtet. Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte sind auch die inhaltlichen Maßstäbe bei der Vornahme dieser Anpassung. Wenn es dabei auch nicht immer ohne Folgeprozesse abgeht432 , 'so besteht doch berechtigter Anlaß zu der Annahme, daß in der Mehrzahl der Fälle die Neuverhandlung zu einem beiderseitig konsentierten Ergebnis führt. Oft wird der Blick 'auf vergleichbare Festangestellte desselben Dienstempfän428 Statt anderer Dietz / Richardi, BetrVG 6. Aufl.., § 7 Rz.14, § 5 Rz.28; Fitting / Auffarth / Kaiser § 7 Rz.7, § 5 Rz. 5 a; Thiele in GK-BetrVG § 7 RZ.8. 429 Dazu Seiter S. 25 f. und AR-Blattei Teilzeitarbeit I, B I! 6. 430 Ebenso BAG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu lIder Gründe, BI. 368; zweifelnd Bitter, RdA 1978 S. 24 f. 431 Vgl. BAG AP Nr.15, 17, 18, 20, 21, 24 - 26, 32 zu § 611 BGB Abhängig-
keit. 432 Zur Bedeutung dieses Umstands für die Zulässigkeit der sogenannten Statusklage s. u. 4. KapitellI!. 2.
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3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mdtarbeiters
gers - auch außerhalb des Anwendungsbereich:s ,des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes - hilfreich sein. Ebenso mag mit Einschaltung des Betriebsrats oder der zuständigen Personalvertretung 433 der Konflikt überwunden werden können. Schließlich bietet im Sonderfall der RJundfunkmitarbeit nicht 2Juletzt die öffentlich-rechtliche Stellung der Anstalten eine gewisse Gewähr dafür, daß es zu einer akzeptablen Lösung im Sinne eines reibungslosen "Einbaus" des Mitarbeiters in den festen Stamm der Arbeitnehmer der Anstalt kommt434 . 7. Zusammenfassung
Die rechtliche Zuordnung von Beschäftigten entsprechend der vereinbarungsgemäß praktizierten inhaltlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen bereitet desto mehr Schwierigkeiten, je weiter 'das Beschäftigungsverhältnis vom Bereich der ev~denten Arbeitsverhältnisse entfernt ist. Trotz dieser Qualifi:zierungsprobleme geht es nicht an, in den Zweifelsfällen, in denen ebensoviel für wie gegen die Unselbständigkeit zu sprechen scheint, die gestaltungsunabhängige Rechtsformwahl durch die Parteien zuzulassen. Denn auch in den Zweifelsfällen darf zwingendes Recht nicht 'zur Disposition der Parteien gestellt werden. Außerdem kommt die hier abgelehnte Ansicht, der die Annahme der Möglichkeit eines "Patts" .zwischen den für und gegen die Unselbständigkeit sprechenden Umstände zugrundeliegt, einer "Subsumtionsverweigel1ung" gerade in denjenigen Fällen gleich, in denen sich eine wertorientierte Rechtsanwendung bewähren muß und kann. Als nicht weiterführend erweisen sich 'auch Versuche, die Vorschrift des § 12 a TVG oder Definitionen in Tarifverträgen, die Umstände der Dauerverpflichtung und des Fehlens des Unternehmerrisikos, die Verkehrsanschauung und den Vergleich mit Festangestellten als entscheidende Gesichtspunkte für die rechtliche Zuordnung in der Grauzone heranzuziehen. Der somit bei gemischttypischen Gestaltungen nicht zu umgehende Weg der rechtlichen Zuordnung durch Einzelwertung erfordert es, im Einzelfall festzustellen, ob der Beschäftigte im spezifisch arbeitsrechtlichen Sinne sozial schutzbedürftig ist. DazJU bedarf es der Orientierungshilfe durch Beurteilungsmaßstäbe, mit denen der Wertungs433
Ebenso BAG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu lIder Gründe,
BI. 368.
m Skeptisch vom Tatsächlichen her v. SelZ S. 41 ff.; scharf ablehnend insoweit Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S.l08 f., 111ff.; wie im Text Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 151 ff.
H. Die rechtliche Zuordnung "atypischer" Gestaltungen
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gesichtspunkt der sozialen Schutzbedürftigkeit konkretisiert wird. Zu diesem Zweck ist nach den aus anderen Faktoren nicht weiter ableitbarengenerellen Ursachen der spezifisch arbeitsrechtlichen Schutzbedürftigkeit zu fragen. Keine Grundsachverhalte der arbeitsrechtlichen Schutzbedürftigkeit sind die Weisungsgebundenheit, die Eingliederung, die soziale Lage d. h. die soziü-ökünümischen Existenzbedingungen wie Alter, Familienstand, wirtschaftliche Situatiün etc. - sowie die wirtschaftliche Abhängigkeit. Geltungsgrunid des Arbeitsrechts ist einmal die ürganisatürische Fremdgestaltung der Arbeitsleilstung. Dabei spielt es keine Rülle, mit welchen Mitteln die Fremdgestaltung erzeugt wiI1d - unmittelbar, alsO' durch Weisungen oder Vertragsklauseln, oder mittelbar, d. h. mittels arbeitsürganisatürischer Einbindung des Beschäftigten. EbensO' ist irrelevant, üb und in welchem Ausmaß die arbeitsürganisatürische Fremdgestaltung durch arbeitsteilige Produktiünszwänge bedingt ist. Die Fremdgestaltung besteht darin, daß vor allem Ort, Zeit und Reihenfülge der Arbeitsvürgänge seitens des Dienstempfängers vürgegeben sind. Das Müment der arbeitsorganisatürischen Fremdsteuerung bedarf jedüch der Ergänzung durch den Aspekt der Arbeitskraftbindung, der das Eingreifen der daseinsvürsüI1gegewährenden Teile des Arbeitsrechts - insbesündere des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes - erklärt. Die Arbeitskraftbindung ist zu bejahen, wenn der Beschäftigte wegen der Festlegung seiner Arbeitskraft bei einem Dienstempfänger nicht mehr jederzeit durch anderweitige maximale Arbeitskraftbindung eine umfassende existentielle Sicherung und Daseinsvürsorge erreichen kann; auf die Unfähigkeit zur DaseinsvorsüI1ge kümmt es dagegen nicht an. Zur näheren Künkretisierung dieser Fürmel sind gegebenenfalls Verkehrsüblichkeit und Marktbesünderheiten heranzuziehen. Als Faustregel dafür, was unter "jederzeitig" zu verstehen ist, können die ürdentlichen Kündigungsfristen nach § 622 Abs.l 8atz 1 und Abs.2 BGB hemngezügen werden. Bei der Bestimmung des Umfangs der "maximalen Arbeitskraftbindung" ist zugrundezulegen, was in demselben Beruf typischerweise oder verkehrsüblich als maximale Bindung gilt - im Regelfall'alsü das unbefristete Vüllzeit-Arbeitsverhältnis. Ob das zu beurteilende Beschäftigungsverhältnis eine sülche anderweitige maximale Bindung ausschließt, ist nicht mit einer festen Fürmel errechenbar. Entscheildend sind die Umstände des Einzelfalls, wübei der zeitlichen Fixierung der Arbeitspflicht eine heralUsragende Bedeutung zukümmt.
228
3. Kap.: Die Statusbeurteilung des sogenannten freien Mitarbeiters
Organisatorische Fremdgestaltungund Arbeitskraftbinidung sind somit Idie kumulativen und konstitutiven Kriterien der spezifisch arbeitsrechtlichen sozialen SchutZlbedürftigkeit. ,Alle insoweit relevanten Umstände des Einzelfalls sind sorgfältig 'zu ermitteln, wobei strikt auf das Vorliegen des rechtsgeschäftlichen Entstehungstatbestailids zu achten ist. Hinsichtlich der organisatorischen Fremdgestaltung gilt das in besoiliderem Maße für die Umstände der regelmäßigen Anwesenheit an der Arbeitsstätte, des vorausplanenden Einsatzes des Beschäftigten durch den Dienstempfänger, der Teilnahme an Al1beitsbesprechungen und der sogenannten Dienstbereitschaft; generell irrelevant ist das Merkmal der schlichten Benutzung des organisatorischen Apparats des Dienstempfängers. In bezug auf die Arbeitskraftbindung ist zu beachten, daß die zeitliche Erstreckung der Vertragsbindung vor der rechtlichen Zuordnung festgestellt werden muß, wobei mit dem BAG und entgegen 'einer in der Literatur zunehmend vertretenen Ansicht auch bei Beschäftigungen auf der Grundlage von Zeitverträgen oder Einzelbeauftragungen mit isolierbaren Arbeitsaufgaben trotz Fehlens einer diesbezüglichen ausdrücklichen Vereinbarung eine durchgehende Bindung möglich ist. Aus der bloß faktischen Kontinuität der Zusammenarbeit ist ,dies jedoch nicht abzuleiten. Die Arbeitspflicht muß sich vielmehr über die einzelne Beschäftigungsperiode hinaus erstrecken. Die begriffliche Fixierung dieser Grundlinien wertender Zuordnung sollte erkennen lassen, daß es für die Zuordnung eines Beschäftigten zur Rechtskategorie des Arbeitnehmers auf die spezifisch arbeitsrechtliche 'Soziale Schutzbedürftigkeit ankommt. Die nähere Konkretisierung dieses konstitutiven Wertungsgesichtspunkts kann dadurch erfolgen, daß die organisatorische Fremdgestaltung und die Arbeitskraftbindung als verdeutlichende Hauptaspekte der sozialen Schutzbedürftigkeit genannt und durch Anführung der typischen Ausprägungen veranschaulicht werden. Der Arbeitnehmerbegriff könnte demnach wie folgt umschrieben werden: "Arbeitnehmer ist, wer wegen der Verpflichtung zur Leistung fremdgestalteter und die berufliche Mobilität nicht ,unerheblich beeinträchtigender Arbeit als sozial schutzbedürftig anzusehen ist. Fremdgestaltete Arbeit hat insbesondere zu leisten, wer Weisungen unterworfen oder sonst in eine fremde Arbeitsorganisation eingebunden ist. Eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der beruflichen Mobilität liegt vor allem dann vor, wenn durch unbefristete Verpflichtung mlr Arbeitsleistung ein wesentlicher Teil der Arbeitskraft in Anspruch genommen wird oder infolge der sonstigen zeitlichen Umstände der Arbeitsleistung die j,ederzeitige volle Verwertung der Arbeitskraft in
H. Die rechtliche Zuordnung "atY:Qischer" Gestaltungen
229
einem weiteren Dienstverhältnis in demselben oder einem anderen Beruf ausgeschlossen ist." Ausgehend von den geschilderten Grundlinien wertender Zuordnung ist die Rechtsformverfehlungauch in den Zwelfelsfällen rechtsdogmatisch als unbeachtliche Verwahrung einzustufen. Wie bei den evidenten Gestal1nmgen ist somit eine Gesetzesumgehung durch 'Q'llalifizierungsmißbrauch nicht möglich. Aber auch für die Annahme einer Gesetzesumgehung durch Gestaltungsmißbrauch ist kein Raum. Denn meist ist die umgangene Gestaltung nicht eindeutig fixierbar. Außerdem läßt sich eine normative Präferenz der Rechtsform des Arbeitsverhältnisses weder aus objektiv-normativen Wertungen noch aus dem Gesichtspunkt der Vertragsgerechtigkeit ableiten. Schließlich besteht wegen der Eigenart des Arbeitnehmerbegriffs als eines konkretisierungsbedürftigen Begriffs keine Differenz zwischen gesetzlichem Wortlaut und normativer Wertung, wie sie der Umgehungstatbestand erfordert. Trotz möglicher Schwierigkeiten im Detail sind Vertragsinhaltsprobleme, die nach erfolgter Statuskorrektur ,auftauchen, lösbar. Grundsätzlich gilt die vereinbarte inhaltliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses weiter. FolgeprO'bleme hinsichtlich der Zuerkennung von Ansprüchen, Anwartschaften und sonstigen Rechtspositionen betreffen - soweit es nicht generell um Fragen der Teilzeit- oder Kurzzeitarbeit geht - eher Tat- als Rechtsfragen. Gegebenenfalls muß eine partielle Neuverhandlung des Rechtsverhältnisses stattfinden mit dem Ziel, dieses nach Treu und Glauben an die gewandelte Normsituation amrupassen. Hierbei kann die Einschaltung des Betriebsrats bzw. der Personalvertretung hilfreich sein.
Viertes Kapitel
Sonderprohleme I. Geltung der Lösung auch im Rundfunkbereich Die hier vorgeschlagene Lösung, in der GI"auzone der Zweifelsfälle durch eine Wertung im Einzelfall ohne Rücksicht auf die von den Parteien getroffene Rechtsformbestimmung festzustellen, ob selbständige oder unselbständtge Arbeit geleiset wird, muß sich vor allem im Bereich der Mitarbeit bei Hörfunk und Fernsehen bewähren und gegen Einwände aus verfassungsrechtlicher Sichtl behaupten. Entscheidende Frnge ist, ob der aus der RU1l!dfunkfreiheit nach Art. 5 Abs.l Satz 2 GG fließende Rundfunkauftrag, bei Wahrnehmung der Informationspflicht und der Meinungsbildungsfunktion offen zu sein für alle Strömungen der sozialen Wirklichkeit2 , und Idas arbeitsrechtliche Schutzprinzip in einem Zielkonflikt stehen3 , dessen Lösung ein partielles Zurückdrängen des Geltungsanspruchs des Arbeitsrechts verlangt4 • Die Folge hiervon wäre, daß in demselben Umfang den Parteien die Befugnis zur gestaltungsunabhängigen Rechtsformbestimmung eingeräumt werden müßte. Die Beantwortung dieser Frage verlangt eine Auseinandersetzung mit drei innerlich zusammenhängenden Behauptungen: Grundlage der aus verfassungsrechtlicher Sicht geübten Kritik ist die These von der Systembedingtheit und -notwendigkeit freier Mitarbeit bei Hörfunk und Fernsehen, wodurch die konsequente Anwendung des Arbeitnehmerbegriffs auf die als freie Mitarbeiter behandelten Personen unzulässig werden so1l5. In Fortentwicklung dieses Ausgangspunkts wird 1 2
s. o. 1. Kapitel IH. 1. b), 2. Kapitel H. 4. So BVerfGE 12, 205 (261); 31, 314 (326 f.); Ossenbühl S. 107 ff.; derselbe,
DÖV 1977 S.381 (383); - zur Programmfreiheit als Kern der Rundfunkfreiheit Ossenbühl S. 109 ff. mit weiteren Nachweisen; - zur Programmausgewogenheit Ossenbühl S. 117 ff. mit weiteren Nachweisen; - zum Ganzen ferner v. Sell S. 41 ff.; Herzog in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz Art. 5 Rz. 217, 225; Hesse § 12 I 5 b, dd S. 163; Hilger, RdA 1981 S. 265 ff. a So Ossenbühl S. 125; ausführlich hierzu Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S. 96 ff. (104); zu den "nachweisbaren Programmverlusten" durch das Zurückdrängen der freien Mitarbeit im Rundfunk ebendort S. 105 ff. (144). 4 So v. Sell S.48; Kewenig / Thomashausen, NJW 1981 S.417 (419 f.); dieser Konflikt wird ausführlich erörtert von Hilger, RdA 1981 S. 265 (266).
1. Geltung der Lösung auch im Rundfunkbereich
231
behauptet, durch die Einbeziehung von ausdrücklich als freie Mitarbeiter qualifizierten Beschäftigten der Sender in das Arbeitsrecht weIde die Rundfunkfreiheit einseitig dem Sozialstaatsprinzip geopfert und damit das Gebot der praktischen Konkordanz gleichrangiger verfassungsrechtlicher Prinzipien verletzt6 • Die Anwendung des Arbeitnehmerbegriffs auch im Rundfunkbereich durch die Gerichte der ArbeitsgerichtSibarkeit wird deshalb als 'unberechtigte Inanspruchnahme einer richterrechtlich geschaffenen Befugnis zur unmittelbaren Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips durch den hierfür nicht kompetenten Richter anstelle des Gesetzgebers7 beurteilt. Für besonde:rs gravierend hält man diese Entwicklung deshalb, weil damit die Programmbestimmung auf den - auch insoweit inkompetenten - Richter verlagert werde 8 . 1. Abwechslungsbedürfnis und Arbeitnehmerstatus als Scheingegensatz
Bei näherem Zusehen erweist sich das Argument der Systembeldingtheit und -notwendigkeit freier Mitarbeit bei Hörfunk und Fernsehen als Metapher, die den eigentlichen Konfliktherd - den Widerstreit zwischen dem aus dem Rundfunkauftrag folgenden Abwechslungsbedürfnis der Anstalten und dem arbeitsrechtlichen Bestandsschutz eher verdeckt als rutage fördert. a) Das rundfunkrechtliche Abwechslungsbedürfnis
Im Rahmen dieser Untersuchung kann nicht in eine tiefgreifende Erörterung von Wesen, Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs.l Satz 2 GG eingetreten werdenD. Ungeachtet der Streitfrage, ob Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als eher indiviidualrechtliche oder institutionelle Norm anzusehen ist, genügt für die hier ru behandelnde Problematik die Feststellung, daß dem Run'dfunk nach alLgemeiner Meinung eine bedeutsame Aufgabe als eminenter Faktor der öffentlichen Meinungsbildung zukommt und daß er deshalb ein konstitutives Element für eine freiheitliche und demokratische Grundordnung darstelltto. 50ssenbühl S.147 Nr.l; v. Sell S.45; Rupp, RdA 1978 S.l1; Kewenig I Thomashausen, NJW 1981 S.417 (420); dagegen Hilger, RdA 1981 S. 265 ff.
(ausdrücklich 271). 60ssenbühl S. 94,158 Nr. 3, 4; Rupp (Fn. 5); Kewenig I Thomashausen, NJW 1981 S. 417; vgl. auch v. Sell S. 48 f. und oben 2. Kapitel H. 4. 7 Scharf, RaA 1978 S. 20 (23); Ossenbühl S. 28, 75. 80ssenbühl S. 25 f. D Vgl. dazu etwa Ossenbühl S. 107 ff. mit weiteren Nachweisen; Herzog in Maunz I Dürig I Herzog I Scholz Art. 5 Rz. 193 ff.; ferner die oben Fn.2 angeführten Entscheidungen.
232
4. Kap.: Sonderprobleme
Es ist unbestreitbar, daß die hiernus folgende Forderung, im Gesamtprogramm des Rundliunks müßten alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte zu Wort kommen, so daß ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleistet isttt, auch zu personellen Konsequenzen führen muß. Denn diese Mindestanforderungen können nur erfüllt weIden, wenn jenseits der Grenze des 7Jur Sicherung der Programmverantwortung Erforderlichen12 die Möglichkeit der Ablösung der mit der Realisierung eines Projekts unmittelbar bef'aßten programmgestaltenden Personen gewährleistet ist. Dies gilt umso mehr dann, wenn man die aus dem Rundfunkauftrag fließenden Direktiven der Programmausgewogenheit, -vielfalt und -offenheit um 'diejenige der optimalen Gewährleistung der Meinungsbildung - die 'Sogenannte Programmoptimalität - ergänztt3 • b) Keine wechselseitige Präklusion von Abwechslungsbedürfnis und Arbeitnehmerstatus
Dieses personelle Abwechslungsbedürfnis ist somit zwar "verfassungsgeboten und verfassungsgeschützt" 14; daflaus folgt jedoch keinesfalls das zwingende Erfordernis, im programmrelevanten Bereich, abgesehen von den zur Sicherung der Programmverantwortung benötigten Festangestellten, nur freie Mitarbeit zu vereinbaren. Schon in tatsächlicher Hinsicht ist zu bezweifeln, ob sich aus den verfassungsrechtlichen Programmdirektiven die Notwendigkeit der strikten Beschränkung der Festanstellung auf die zur Gewährleistung der betrieblichen Funktionen der Anstalten unbedingt benötigten Mitarbeiter ergibt. Vielmehr besteht Anlaß zu der Vermutung, daß eine effiziente und flexible Personalplanung dem hier behandelten Problem viel von seiner Dringlichkeit nähme15 • Zum anderen wäre eine entsprechende "oUene" Ausgestaltung der Arbeitsverträge erforderlich. über die Richtigkeit dieser Mutmaßung mag man allerdings angesichts des viel beschworenen "geistigen RentnertUffi'S", des kreativitätshem10 So z. B. BVerfGE 7,198 (208); 25, 256 (265); Hesse § 12 I 5 a S.160; kritisch zur Charakterisierung des Rundfunkauftrags als öffentliche Aufgabe Herzog in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz Art. 5 Rz. 194. 11 BVerfGE 12, 205 (262f.); 31, 314 (327); Ossenbühl 8. 117ff. mit weiteren Nachweisen; v. Sell S.40; zu den "Standards" für die Verwirklichung der Rundfunkaufgaben ferner Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S. 55 f. mit Nachweisen aus der Rspr. des BVerfG. 12 Vgl. v. Sell S. 42 f.; Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S. 29 ff. 13 So Ossenbühl S. 119 ff.; v. Sell S.4O. 14 Ossenbühl S. 122; ebenso Kewenig / Thomashausen, NJW 1981 S.417 (419 f.); dagegen Hilger, RdA 1981 S.265 (2n). 15 Entsprechende Erwägungen finden sich bei Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.152; in scharfem Gegensatz dazu Utthoff / Deetz / Brandhofe / Nöh S. 43 f., 144; wie im Text auch Hilger, RdA 1981 S.265 (269).
1. Geltung der Lösung auch im Rundfunkbereich
233
menden "Medienbeamtentums" sowie der Gefahr der Programmsterilität infolge des Nachlassens der Innovationsfähig~eit langjähriger Mitarbeiter geteilter Meinung sein16. Man sollte diese Faktoren aber nicht überschätz-en, da sie nicht zuletzt gerade durch eine änderungsbedürftige Personalstruktur der Anstalten mitbedingt sein könnten. Daß diese Phänomene im übrigen in weiten Programmbereichen von den Sendern selbst nicht ;allzu hoch bewertet werden, zeigt die in der Vergangenheit gängige Praxis der Anstalten, Beschäftigte als sogenannte ständige freie Mitarbeiter über Jahre hinweg kontinuierlich oder gar in nahtloser Reihenfolge :lJU beschäftigen17. Andererseits liegt es auf der Hand, daß wegen der Vielfältigkeit des gesellsch;aftlichen Lebens und der Spezialisierung vieler programmgestalterisch tätiger Mitarbeiter die Erfüllung ,des Rundfunkauftrags gefährdet wäre, wenn die meisten bisherigen freien Mitarbeiter bei Hörfunk unld Fernsehen bis zur Erreichung !der Altersgrenze in der Anstalt verblieben . .Aus diesem Grund muß sichergestellt werden, daß es nicht :lJU einer "schleichenden ProgrammerstarI1UI1g" kommt, die durch ein.~ anstaltsinterne Flexibilität beim Einsatz von Festangestellten nicht mehr aufgefangen werden kann. Es ist jedoch nicht die vermeintliche "Immobilität von Arbeitsverhältnissen"18 generell, die dem insoweit berechtigten Bedürfnis nach Personal austausch entgegensteht, sondern allenfalls der arbeitsrechtliche Bestandsschutz. Die erwähnten ProgI'lammerfordernisse zwingen also zu einer Beschränkung nicht der Heranziehung von AI"beitnehmern überhaupt bei der Programmgestaltung, sondern nur der Mitwirkung unbefristet angestellter Arbeitnehmer. Damit soll keineswegs bestritten werden, daß sich aus dem Rundfunkauftrag die Notwendigkeit der Beschäftigung freier Mitarbeiter auf der Grundlage freier Dienst- und Werkverträge ergibt; das betrifft hauptsächlich den Bereich der g'elegentlichen oder einmaligen Mitarbeit19 . Indessen muß nachdrücklich betont werden, daß es den Blick auf system- und wertungsgerechte Lösungen verstellt, wenn bei Erörterung der Statusprüblematik von Rundfunkmitarbeitern nur die Alternative der freien Mitarbeit -auf der Grundlage befristeter freier Dienst- und Werkver16 Diese Gefahr beschwören Ossenbühl S. 23 f. sowie Utthoff / Deetz / Brand hofe / Näh S. 134 f. Ergebnis 11 - 15; gegen die Stichhaltigkeit solcher Befürchtungen Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 139 ff. mit weiteren Nachweisen; M. Rehbinder, RdA 1971 S.211 (214); Hilger, RdA 1981 S.265 (269, 271).
17 Vgl. BAG AP NI'. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B I 2 der Gründe; Beuhtien / Wehler, RdA 1978 S.2 (8); Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.243; Hilger, RdA 1981 S. 265 (268). 18 v. Sell S. 45. 19 Ebenso Beuthien / Wehler, RdA 1978 S. 2 (8).
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4. Kap.: Sonderprobleme
träge 'einerseits und der Festanstellung in einem unbefdsteten Arbeitsverhältnis andererseits zugrundegelegt wird20 . Denn zum einen ist der logisch-systematische Gegenbegriff zum Vertrag des freien Mitarbeiters nicht der unbefdstete Arbeitsvertrag, sondern allein der Arbeit.,.vertrag ,allgemein unter Einschluß des Sonderfalls der Befristung. Zum anderen steht mit dem befristeten Arbeitsverhältnis gerade eine Rechtsform zur Verfügung, die sowohl dem berechtigten Interesse des Dienstempfängers nach einer zeitlichen Beschränkung der vertraglichen Bindung als auch dem des Beschäftigten an der Gewährung von arbeitsrechtlichem Sozialschutz Rechnung trägt. Wenn seitens der Rundfunkanstalten dennoch die Entscheidung allein zwischen den Rechtsformen der befristeten freien Mitarbeit und des unbefristeten Arbeitsverhältnisses gesucht wird, so kommt hierin möglicherweise die Tendenz zum Ausdruck, von vornherein den bei Abschluß befristeter Arbeitsverträge gegebenen Zwang zur sachlichen Rechtfertigung der Befristung zu vermeiden. Damit wäre der Gefahr vorgebeugt, daß die Anstalten durch Richterspruch "in eine nicht gewollte Festanstellung eines Programm-Mitarbeiters gedrängt werden"21. Außerdem dürfte die medienrechtliche Abgrenzungsrechtsprechung des BAG mit ihrer zeitweise unverkennbaren Neigung '2Jur Bejahung von unbefristeten Arbeitsverhältnissen ohne hinreichende Prüfung des rechtsgeschäftlichen Entstehungstatbestands hinsichtlich der Bindung auf unbestimmte Dauer22 - und auch allgemein die Rechtsprechung des HAG zur Befristung von Arbeitsverhältnissen, insbesondere bei mehrfacher Befristung - diese Motivation erheblich verstäI1kt ha:ben. Insoweit hat eine Fehlentwicklung in der Rechtsprechung gewissermaßen spiegelverkehrt eine weitere in Praxis und Literatur nach sich gezogen. c) Unmaßgeblichkeit anderer als rundfunkspezifi,scher Begründungen
Soweit im übrigen die Nichtanweilidung von Arbeitsrecht auf den Gesichtspunkt der wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung oder generell auf die Kostenlast gestützt wird23 , handelt es sich nicht mehr um Erwägungen spezifisch medienrechtlicher Art, die a1l.lS dem verfassungsrechtlichen Rundfunkauftragabgeleitet sind, auch wenn 20 Dem Irrtum, daß es nur diese Alternative gibt, unterliegt Ossenbühl S. 125 und öfter; ebenso v. Sell S.44 und öfter; desgleichen Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S. 144 und öfter; dagegen mit beachtlichen Argumenten Hilger, RdA 1981 S. 265 (266 ff.). 21 So Ossenbühl S. 125; vgl. auch Hilger, RdA 1981 S.265 (268). 22 s. O. 3. Kapitel H. 3. d), bb). 23 So beiläufig v. Sell S.45; ebenso Ossenbühl S.25; vgl. auch Utthoff / Deetz / Brandhofe / Näh S. 14.
1. Geltung der Lösung auch im Rundfunkbereich
235
sie scheinbar auf dem Gedanken der Programmoptimalität beruhen. Denn der Rundfunkauftrag bezweckt keinesfalls die Verwirklichung des haushaltsrechtlichen Gebots sparsamen Wirtschaftens24 • Daß die Beschäftigung von Arbeitnehmern - auch der befristet tätigen teurer und verwaltungsintensiver ist als diejenige freier Mitarbeiter, muß deshalb bei Erörterung der personellen Konsequenzen des Rundfunkauftr.ags außer Betracht bleiben. Da nach allem ein ZielkonfUkt zwischen dem arbeitsrechtlichen Sozialschutz in seiner Gesamtheit und (dem Rund:flunkauftrag nicht besteht, ist die These von der Systembedingtheit und -notwendigkeit freier Mitarbeit als Argumentationsbasis für die Forderung nach einer Beschränkung der Anwendung des Arbeitnehmerbegriffs im meinungsbildenden Bereich nicht geeignet. 2. Keine arbeitsrechtliche Bereichsausnahme
für die Rundfunkanstalten
Deutlicher als das Argument der Systernnotwendigkeit freier Mitarbeit in Hörfunk und Fernsehen 'zielt die These von der Preisgabe der Rundfunkfreiheit zugunsten der Dominanz des So.zialstaatsprinzips darauf ab, daß Mitarbeitern, die im spezifisch arbeitsrechtlichen Sinn sozial schutzbedürftig und infolgedessen an sich Arbeitnehmer sind, nur deshalb der Arbeitnehmerstatus versagt wiro, weil sie unmittelbar bei der Programmgestaltung mitwirken. Gefordert wird demnach - in konsequenter Fortführung der vorstehend kritisierten Argumentation, die erst hierdurch ihre eigentliche Stoßrichtung erhält eine arbeitsrechtliche Bereichsausnahme für programmrelevante Tätigkeiten in den Rundfunkanstalten25 • a) Das verfassungsrechtliche Gebot der Konkordanz zwischen Rundfunkfreiheit und Sozialstaatsprinzip Die Kernaussage der These, daß die Verweigerung einer solchen Bereichsausnahme das Gebot der praktischen Konkordanz zwischen den Verfassungsprinzipien der Rundfunkfreiheit und des Sozialstaatsgrundsatzes verletze, erschließt sich in ihrer vollen Bedeutung erst dann, wenn man einen Blick auf die vor allem in der rechtspolitischen Literatur vertretene Gegenposition wirft: 24 Ebenso Beuthien / Wehler, RdA 1978 S.2 (8); vgl. auch Hilger, RdA 1981 S. 265 (267). 25 So Ossenbühl S.139f., 158f.; v.Sell S.49f.; Rupp, RdA 1978 S.ll; deutlich Kewenig / Thomashausen, NJW 1981 S.417 (420: " ... jede Limitierung der Entscheidungsfreiheit der Rundfunkveranstalter im Personalbereich tatbestandsmäßig . " ein Eingriff in die durch Art. 5 I 2 GG geschützte Programmfreiheit ... "); dagegen Hilger, RdA 1981 S.265 (266).
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4. Kap.: Sonderprobleme
Dort wird zum einen die Forderung nach weitherziger Anwendung des Arbeitnehmerbegriffs unter Nichtberücksichtigung der von den Parteien vorgenommenen Rechtsformbestimmung, zum anderen aber ClJuch das rechtspolitische Postulat der Anwendung des gesamten Arbeitsrechts auf alle arbeitnehmerähnlichen freien Mitarbeiter auf den Sozialstaatsgrundsatz als der "zusammen mit der Rechtsstaatsnorm höchsten Norm unserer Rechtsordnung" gestützt; ihr sollen die "einfachen" Grundrechte untergeordnet sein!6. Eine solche Lösung des Problems der Konkurrenz zwischen Sozialstaatsprinzip und Rundfunkfreiheit zugunsten der Dominanz jenes Prinzips ist jedoch mit den gesicherten Grundsätzen der Verfassungsinterpretation nicht zu vereinbaren27 ; da die verfassungsrechtliche Grundfrage Ider Konkurrenz von Verfassungsprinzipien, -gütern und Grundrechten hier nicht vertieft werden kann, sollen im folgenden nur einige kurze Hinweise gegeben werden: Es ist eine vom BVerfG in ständiger Rechtsprechung befolgte und in der v'erfassungsrechtlichen Literatur ,allgemein anerkannte Regel, alle Verfassungsnormen dergestalt zu interpretieren, "daß Widersprüche zu anderen Verfassungsnormen vermieden werden"28. Das gebietet der Grundsatz der Einheit der Verfassung, der ,die isolierte Durchsetzung eines Verfassungsguts oder -prinzips auf Kosten eines anderen ausschließt. Es ist der "nach beiden Seiten schonendste Ausgleich" zu suchen29 , so daß mittels einer Güter- und Wertabwägung die im Spannungsverhältnis stehenden Prinzipien optimale Wirksamkeit erreichen30 • Mögliche Spannungsla'gen zwischen Verfassungsprinzipien sind also durch wechselseitige inhaltliche Abstimmung auszubalancieren31 • Daß zwischen dem Sozialstaatsprinzip und den dadurch legitimierten sozialen Schutzrechtssystemen einerseits und den verfassungsrechtlichen Freiheitsrechten - also auch der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG - andererseits Spannungslagen bestehen, ist unbestreitba:r32 • Bei ihrer Auflösung kommt dem Sozialstaatsprinzip aber 26 So Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S.15 unter Berufung auf Hamann / Lenz Einführung Al und 2, BI; ebenso Woltereck, AuR 1973 S. 129 (134); Krause-Ablaß, ZfSozialreform 1972 S.323 (327); Oppinger, DAngVers. 1973
S.95 (98). 27 Zum folgenden Ossenbühl S. 93 ff., 123 ff.; vgl. ferner v. SeIl S. 49; Kewenig / Thomashausen, NJW 1961 S. 417 f. 28 BVerfGE 1, 14 (32); 19, 206 (220); 34, 165 (183); aus der Literatur statt anderer Hesse § 2 III 2 C, aa S. 28; vgl. ferner v. SeIl S.49. 29 Lerche S. 125 ff. 30 Sogenannte "praktische Konkordanz", vgl. Hesse § 2 Irr 2 c, bb S. 28 f. mit weiteren Nachweisen in Fn.30; Ossenbühl S. 97 f.; v. SeIl S. 48 f. 31 Dazu Ossenbühl S. 93 ff. 32 Vgl. Ossenbühl S. 101 ff. mit weiteren Nachweisen; ebenso Benda, RdA 1981 S. 137 (139); Kewenig / Thomashausen (Fn. 27); vgl. auch Hilger, RdA 1981 S.265 (267).
1. Geltung
der Lösung auch im Rundfunkbereich
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nicht wegen seiner Funktion als Staatszielbestimmung apriori das größere Gewicht zu. Mit Recht wir,d im verfassungsrechtlichen Schrüttum auf die bis in heutige Zeit diskutierte Geltungsschwäche33 und den ungeklärten Normgehalt dieses Prin:tipg34 hingewiesen. Insbesondere kann noch keineswegs als geklärt gelten, ob der Grundsatz der Sozialstaatlichkeit die Zuweisung individueller sozialer Schutzpositionen rechtfertigt oder eher Gemeinschaftsgüter und -werte schützt; vieles spricht dafür, daß er keine festen, in jeder Situation geltenden Direktiven beinhaltet, sondern nur einen relativ wirkenden Zuweisungsgehalt, demzufolge "der Sozialstaat gehalten ist, ,auf ständig wechselnde politische und gesellschaftliche Lagen ru. reagieren "35. Demnach steht zwar außer Frage, daß z. B. ,die Existenz des Arbeitsrechts insgesamt durch das Sozialstaatsprinzip legitimiert ist. Es erscheint dagegen als höchst zw,eüelhaft, ob und in welchem Ausmaß bestimmte quantitative oder qualitative sozialpolitische Forderungen auf diesen Grundsatz gestützt werden können. Ungeachtet dieser noch bestehenden Unklarheiten kann hinsichtlich der Rangstufung zwischen Soz~alstaatsgrundsatz und Rundfunkfreiheit festgestellt werden, daß von einer Gleichrangigkeit be~der Prinzipien auszugehen ist3 6 • Dies gilt um so mehr, als dem Sozialstaatsprinzip mit seinem Mangel an konkreter Normsubstanz in der Rundfunkfreiheit eine grundrechtliche Gewährleistung mit klarem, allgemein konsentiertem Inhalt gegenübersteht, die vom BVerfG zudem in den Rang eines für die freiheitlich~demokratische Grundordnung schlechthin konstitutiven Elements erhoben wUI'lde 37 • Demnach erweist sich ,die These von der Verfassungsw1drigkeit der Dominanz des Sozialstaatsprinzips als zutreffend; ihrer verfassungsrechtlichen Fundierung mit dem Erfordernis der Konkorldanz zwischen grundgesetzlichen Prinzipien ist zuzustimmen. Daraus folgt, ,daß die volle Geltung des Arbeitsrechts im Bereich des Rundfunks durch das Sozialstaatsprinzip nicht legitim~ert wäre, wenn das die Erfüllung des Rundfunkauftrags beeinträchtigen würde. Es versteht sich von selbst, daß in diesem Fall auch die Berufung auf die in Art. 5 Abs.2 GG genannte Schranke der allgemeinen Gesetze zu keiner anderen Beurteilung führen würde. Denn die dem Sozialstaatsprinzip abzusprechende 330ssenbühl S. 98 f., 123 mit weiteren Nachweisen; Benda, RdA 1981 S.137 (138 f.) mit weiteren Nachweisen. 340ssenbühl S. 99 H. mit weiteren Nachweisen; Benda, RdA 1981 S.137 (139 ff.) bezeichnet das als "Offenheit" des Sozialstaatsgrundsatzes. 350ssenbühl S. 101; ausführlich Benda (Fn. 34). 360ssenbühl S. 123 ff .. ; Kewenig / Thomashausen (Fn. 27). 37 s. o. 1. a) und dort Fn. 10.
238
4. Kap.: Sonderprobleme
Dominanz kann auch nicht auf dem Umweg über die Beschränkung von Freiheits-Grundrechten durch einfache Gesetze erreicht werden. Das w1derspräche der verbürgten verfassungsrechtlichen Regel, daß dieaHgemeinen Gesetze,auch soweit sie eine grundrechtliche Gewährleistungsschr.anke bilden, ihrerseits im Lichte der Bedeutung des Grundrechts gesehen und in einer den besonderen Wertgehalt dieses Rechts wahrenden Weise interpretiert werden müssen; diese bekannte Wechselwirlwng beinhaltet, daß die schrankenbestimmenden einfachen Gesetze ihrerseits durch die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts eingeschränkt werden38 • b) Das arbeitsrechtliche Instrumentarium zur Gewährleistung des Abwechslungsbedürfnisses
Trotz des zutreffenden Ansatzes ist der Forderung nach Statuierung einer arbeitsrechtlichen Bereichsausnahme für programmschaffende Rundfunkmitarbeiter nicht beizupflichten. Denn dem verfassungsrechtlichen Gebot der ranstaltsinternen Pluralität kann mit den zur Verfügung 'stehenden ,arbeitsrechtlichen Mechanismen in ausreichendem Maße Rechnung getragen werden. Dabei kann es sich nur um Regelungsinstrumente handeln, die den arbeitsrechtlichen Bestandsschutz betreffen39 ; allein dieser steht dem Abwechslungsbedürfnis entgegen. Der 5. Senat des BAG hat in der grundlegenden FamilienprogrammEntscheiidung40 die in Frage kommenden Instrumente zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Programmerfordernisse angeführt. Es sind dies die Versetzung, ,die - betriebs- oder personenbedingte KÜIl!digung unter Einschluß der Änderungskündigung sowie als wichtigste Möglichkeit die Befristung des Arbeitsvertrags. aa) Versetzung Bei Wegfall einer Arbeitsaufgabe, z.B. durch den Abschluß eines Einzelprojekts oder die Beendigung einer Programmreihe, bei kreativem Verschleiß oder nachlassender Publikumsattraktivität wind nicht selten eine Versetzung des betreffenden Mitarbeitern in Betracht zu ziehen sein. Allerdings scheidet diese Möglichkeit schon BlUS tatsächlichen Gründen oft aus. Vor allem mit zunehmender Spezialisierung 38 VgI. BVerfGE 7,198 (208f.); 20, 162 (167f.); 15,71 (78); 15, 223 (225); aus der Literatur statt anderer Ossenbühl S. 95 f. mit weiteren Nachweisen; v. SeH S. 49; - zum Ganzen mit kritischer Würdigung der Lehre von der "Wechselwirkung" Herzog in Maunz I Dürig I Herzog I Scholz Art. 5 Rz. 249 ff. 39 s. o. 1.; dazu ausführlich HHger, RdA 1981 S.265 (266 ff.); Kewenig I Thomashausen, NJW 1981 S.417 (419) halten diese Regelungsinstrumente dagegen für ungenügend. 40 BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu IV der Gründe.
1. Geltung der Lösung auch im Rundfunkbereich
239
des Mitarbeiters - so etwa, wenn sich der Programmbeitrag nur an eine kleine Minderheit von Hörern oder Zuschauern wendet -, aber auch bei starker Abhängigkeit der Sendung von allgemeinen Anschauung,en und Moden ist die Versetzung meist nicht durchfÜhI1bar. Aber auch rechtliche Gründe können dazu führen, daß die Versetzungsmöglichkeitzur Sicherstellung des Abwechslungsbedürfnisses nicht ausreicht. So ist es etwa denkbar, daß der Personalrat die erforderliche Zustimmung nach § 75 Abs. 1 NI". 3, § 76 Abs. 1 Nr. 4, § 69 Abs. 1 BPersVG41 verwe1gert. Obwohl in diesem Falle nach § 69 Abs. 4 Satz 5 BPemVG letzten Endes entgegen dem Regelfa1l42 der Entschei:dungsprimat der Rundfunkanstalten sichergestellt ist43 , kann das langwierige Einigungsverfahren in manchen Fällen das Versetzungsvorhaben gegenstandslos machen. bb) Personen- oder betriebsbedin,gte Kündigung Soweit die Versetzlungsmöglichkeit aussche~det, kommt die personen- oder betriebsbedingte ordentliche KÜIlIdigung - auch Änderungskündigung - des festangestellten Mitarbeiters in Betracht. Hierbei sind die aus dem Rundfunkauftrag fließenden verfassungsrechtlichen Programmdirektiven mitzuberücksichtigen44 • So wiI1d z. B. ein Grund in der Person des Mitarbeiters immer angenommen werden können, wenn dieser beim Publikum überhaupt nicht mehr "ankommt". Häufiger als die personenbedingte wird die betriebsbedingte KÜIlIdigung in Frage kommen, etwa bei endgültiger Aufgabe einer SenJdereihe, bei der Auflösung oder Zusammenlegung von Redaktionen oder anderen programmorganisatorischen Maßnahmen. Einzelfragen der Möglichkeiten personen- und betriebsbedingter Kündigung können hier nicht ausgelotet werden; insoweit muß auf das kündigungsschutzrechtliche Schrifttum verwiesen wel"den45 •
41 Bzw. den entsprechenden Vorschriften in den Personalvertretungsgesetzen der Länder; die landesrechtlichen Personalvertretungsgesetze bleiben im folgenden unberücksichtigt. 42 Vgl. § 71 Abs. 4 BPersVG. 43 Zur Bindungswirkung der Entscheidungen der Einigungsstelle im Regelfall sowie zur Möglichkeit gerichtlicher Anfechtung der Beschlüsse der Einigungsstelle Dietz / Richardi, BPersVG II, § 71 Rz. 39 ff., 45 ff. 44 Vgl. Hueck, KSchG, § 1 Rz. 82, 82 a, 83 a, für die personenbedingte und Rz.101, 103 für die betriebsbedingte Kündigung; ausführlich zur Personengruppe der ständigen freien Mitarbeiter der Rundfunkanstalten Hilger, RdA 1981 S. 265 (267 f.). 45 Statt aller Hueck, KSchG, § 1, Schrifttumshinweise vor Rz. 1; zum Ausschluß der sozialen Rechtfertigung der Kündigung bei bestehender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ebendort Rz. 114 ff. mit erschöpfenden Nachweisen.
240
4. Kap.: Sonderprobleme ce) Befristung
In vielen Fällen vermag jedoch die Verweisung auf die Kündigungsmöglichkeit dem Abwechslungsbedfufnis nicht in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen. Dann ist die Befristung des Arbeitsverhältnisses46 das geeignete Instrument zur wechselseitigen Abstimmung von sozialstaatlich geprägtem arbeitsrechtlichem Sozialschutz und Rundfunkauftrag. Insbesondere das Erfordernis der Berücksicht1gung sozialer Auswohlgesichtspunkte bei der betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs.3 Satz 1 KSchG sowie die Weiterbeschäftigungspflicht nach Widerspruch der zuständigen Personalvertretung nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BPersVG können mit den verfassungsrechtlich geschützten Programmerfordernissen kolli:dieren. Insofern, als das personelle Abwechslungsbedürfnis der Rundfunkanstalten die Befristung des Arbeitsverhältnisses unabweisbar gebietet, ist diese in jedem Falle funktionsgerechtund damit rzulässig; d. h., das Vorliegen eines 'sachlichen Grundes im ,Sinne der vom BAG entwickelten Grundsätze über die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverhältnisse47 ist dann zu bejahen. Das gilt auch, wenn man berücksichtigt, daß bei Prüfung der Zulässigkeit der Befristung nicht nur einseitig die Interessen des Avbeitgebers, sondern immer auch diejenigen des Arbeitnehmers angemessen 'zu berücksichtigen smd 48 • Denn ,die hiernach vorzunehmende Interessenabwä,gung ergibt in diesem Fall eine Höherbewertung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Erfüllung des Rundfunkauftrags gegenüber dem Individualinteresse .am Eingreifen des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes. Aus diesem Grunde würden sich unter der genannten Voraussetzung auch verständige und verantwortungsbewußte Vertragspartner, deren Auffassung vom BAG in ständiger Rechtsprechung als Maßstab herangezogen wird49 , für die Befri46 s. o. 3. Kapitel II 5. b), aal und dort Fn. 37'8; unter Befristung wird hier im weitesten Sinn der Abschluß zeitbestimmter Verträge verstanden, d. h. sowohl solcher, bei denen sich die Beendigung aus einer bestimmten Dauer oder einem Kalenderdatum ergibt, als auch solcher, bei denen sich das Vertrag sende aus dem Zweck der Arbeitsleistung ergibt (z. B. bei Verträgen auf Produktionsdauer) - § 620 Abs.2 BGB; - gegen die Anwendung des § 620 BGB bei Arbeitsverhältniss'en: Linder, DB 1975 S.208'2 (2084 f.); Dammann, AuR 1978 S.6'5 (71); hiergegen Wiedemann / Palenberg, RdA 1977 S. 85 (87). 47 s. o. 3. Kapitel H. 5. b), aal und dort Fn.3ubstanzverlwst bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des arbeitsrechtlichen Zeitvertrags ,anwenden. Ossenbühl konkretisiert den schon erwähnten Gesichtspunkt des Grades der Programm- und Meinungsbezogenheit der Tätigkeit - von ihm als Programmrelevanz oder Programmnähe ,bezeichnet - durch weitere Indizien und Hilfskriterien. Dazu rechnet er, ohne Anspruch auf Vollständigkeit 'zu erheben, die Relevanz des Progmmmbeitrags für die öffentliche Meinungsbildung, den Kreativitätsgehalt, die Bedeutung des BeitI1ags für die Meinungsvielfalt und die Unvertretbarkeit der Tätigkeit. Dieser Katalog soll durch exemplarische Aufzählung von Tätigkeitskomplexen und Berufsbildern, bei denen die genannten Indizien typischerwei!Se verwirklicht sind, verdeutlicht werden. In den verbleibenden Zweifelsfällen will Ossenbühlden Rundfunkanstalten eine "Einschätzungsprärogative" zugestehen, die vom Richter entsprechend den verwaltungsgerichtlichen Kontrollmodellen bei Ermessensspielräumen und Beurteilungsermächtigungen nur beschränkt nachprüfbar sein '801166 • Im Gegensatz zur Auffassung seines Urhebers läßt sich dieses Entschei:dungsmodell nicht nur durch ein richtungsweisendes Judikat des Bundesverfassungsgerichts1l7 oder legislatives Eingreifen 68 verwirklichen. Denn es konkretisiert mit dem Abwechslungsbedürfnis, das den von Wiedemann 69 so bezeichneten "Verschleißtatbeständen" zuzurechnen ist, einen schon bisher in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechun·g und Litemtur anerkannten sachlichen Befristungsgrund. Da die rundfunkrechtliche Abgrenzungsrechtsprech:ung des BAG entgegen dem im 63 Gegen die Anwendbarkeit des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Verhältnis von unbefristeten zu befristeten Arbeitsverträgen generell M. Wolf, Anm. II zu BAG AP Nr.35 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu 2 b, BI. 876 f., allerdings mit Argumenten, die nur den erstmaligen Vertragsschluß, also das "Ob" der Zusammenarbeit betreffen; zum Ganzen G. Hueck, Grundsatz, S. 239 ff. M S.130 ff. 65 s. o. 1. b) am Ende. 136 Ossenbühl S. 133 ff., 140. 67 So Ossenbühl S. 147 f. 68 So Ossenbühl S. 153 ff., ebenso im ErgebniS M. Rehbinder, Soziale Sicherung, S. 18 f.; Fohrbeck / Wiesand / Woltereck S. 165, 167 ff. 69 In Festschrift Lange S. 395 (407 f.).
1. Geltung der Lösung auch im Rundfunkbereich
245
Kontrabassisten-Urteil70 hervorgerufenen Anschein keinen Rechtsformzwang durch Richterrecht eingeführt haFt, bedarf es des Gesetzgebers oder des Verfassungsgerichtsjudizes auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Restriktion richterlicher Rechtsfortbildung. Die von Ossenbühl entwickelten Orientierungshilfen zur Messung und Wertung des Abwechslungsbedürfnisses sind somit schon de lege lata von Bedeutung. Insoweit ist gegen das Entscheidungsmodell wenig einzuwenden; allenfalls kommt in ihm die Notwendigkeit der Berücksichtigung gradueller Abstufungen nicht in der wünschenswerten Deutlichkeit zum Ausdruck. Nicht anzuerkennen ist jedoch die Zubilligung einer "Einschätzungsprärogative" der Rundfunkanstalten in Zweifelsfällen. Die Zuerkennung dieser beschränkten Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Funktionsgerechtigkeit ,der Befristung würde bedeuten, daß eine Vertragspartei gerade in den problematischen Fällen befugt wäre zu bestimmen, was als sachlicher Grund für den Abschluß eines arbeitsrechtlichen Zeitvertrags anzusehen ist. Darüber hat jedoch der Richter zu entscheiden, der mit dem Begriff des sachlichen Grundes einen konkretisierungsbedürftigen Rechtsbegriff unter Vornahme einer Wertung auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts anwendet. Die Wertausfüllungsbedürftigkeit dieses Begriffs gibt hier ebensowenig wie in anderen Fällen konkretisierungsbedürftiiger Rechtsbegriffe und Klauseln - z. B. der Generalklausel von Treu und Glauben nach § 242 BGB - Anlaß, die Beurteilungskompetenz des Richters zu beschneiden72 • Insbesondere handelt es sich bei dem Begriff des sachlichen Grundes nicht um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Anwendung ein nur beschränkt nachprüfbares, unvertretbares und höchstpersönliches Fachurteil erfordert73 • dd) Nutzung des Rechtsgedankens der §§ 118 BetrVG, 69 Abs. 4 Satz 4 BPersVG Da somit ein effizientes, abgestuftes Instrumentarium zur Wahrung der aus dem Rundfunkauftrng fließenden Programmerfordernisse auch bei unselbständiger Beschäftigung von progl'ammgestalterisch tätigen Rundfunkmitarbeiternzur Verfügung steht, ist die Forderung nach einer ,arbeitsrechtlichen Bereichsausnahme für diese Personengruppe nicht gerechtfertigt. Das schließt jedoch nicht aus, daß es geboten sein kann, einzelne mit dem Rundfunkauftrag kollidierende a:r:beitsrechtliche Vorschriften auf solche Mitarbeiter nicht anzuwenden. Dabei ist 70
BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit.
71
s. o. 3. Kapitel I. 2. c).
72 Ebenso. Birk, Anm. zu BAG AP Nr. 37 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu I, BI. 280 R. 73 So aber Ossenbühl S. 133 ff.
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4. Kap.: Sonderprobleme
der in den Tendenzschutzno.rmen des § 118 BetrVG, § 69 Abs.4 Satz 4 BPersVG enthaltene allgemeine Rechtsgedanke nutzbar zu machen. 3. Keine unmittelbare Verwirklichung des Sozialstaatsgrundsatzes durch den Richter
Die ko.nsequente Anwendung des Arbeitnehmerbegriffs im gesamten Bereich vo.n Hörfunk und Fernsehen bedeutet schließlich nicht, daß der Richter im Falle der Bejahung des ArbeitnehmerstJatus eines pro.grammschaffenden Mitarbeiters unmittelbar 'den So.zialstaatsgrundsatz verwirklicht74 • Vielmehr wendet der Richter im Statusurteil lediglich das Arbeitsrecht an, also. ein:f1aches Gesetzesrecht, das einerseits wohl in seiner Gesamtheit durch das So.zialstaatsprinzip legitimiert ist, andererseits aber auch, wie oben ausgeführt wUI1de75 , mit dem Rundfunkauftrag durchaus in Einklang steht. Vo.n einer unmittelbaren Verwirklichung des So.zralstaatsprinzips durch Richterspruch könnte man nur sprechen, wenn die vo.lle Anwendung des allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs im Bereich des Rundfunks wegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Rundfunkfreiheit an 'sich ausgeschlo.ssen wäre 76 und der Richter, gestützt auf den ,angeblichen Vorrang des So.zialstaatsgrundsatzes, sich darüber hinwegsetzen zu müssen glaubte. Dann würde sich das verfassungsrechtliche Pro.bLem der Befugnis des Richters zur unmittelbaren Verwirklichung dieses Prinzips stellen. Da indessen, wie oben aufgezeigt wurde77 , die Annahme einer arbeitsrechtlichen Bereichsausnahme für Rundfunkmitarbeit ausscheidet, bedarf es zur vo.llen Anwendung des Aflbeitnehmerbegriffs im Rundfunkbereich nicht des ,unmittelbaren Rekurses lauf den So.ziJalstaatsgrundsatz. Erst recht würde sich im übrigen die Ko.mpetenzproblematik dann stellen, wenn man unter Berufung ,auf das So.zialstaatsprinzip vo.m Richter fo.roerte, für den Bereich des Rundfunks dem Arbeitsverhältnis auch so.lche Rechtsverhältnisse gleichzustellen, die bei Anwendung der allgemeinen AbgrenZlUllgsregeln als freie Mitarbeit zu qualifizieren wären78 • Das würde im Ergebnis auf die Einführung eines beso.nderen, erweiterten Arbeitnehmerbegriffs für den Rundfunk hinauslaufen, so. 74 So aber die oben Fn. 7 Genannten; zum Problem der Kompetenz zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips ausführlich Ossenbühl S. 103 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 75 s. O. 2. a). 76 So die oben Fn. 5 Genannten. 77 s. O. 2. 78 So wohl WoUereck, AuR 1973 S.l29 (135); dagegen StoUerfoht, DB 1973 S. 1068 (1069); - vgl. auch M. Rehbinder, Soziale Sicherung, S. 17 ff. (18 f.) und
Fohrbeck / Wiesand / WoUereck S. 165, 167 M.; Ossenbühl S. 146.
1. Geltung der Lösung auch im Rundfunkbereich
247
daß neben das erwähnte Kompetenzproblem die Frage nach der Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung träte. Der ,gegen die rundfunkrechtliche Abgrenzungsrechtsprechung des BAG erhobene Vorwurf der Schaffung richterrechtlichen Sonderarbeitsrechts für die Rundfunlmnstalten79 gründet auf der Annahme, das Gericht ha:be dieser rechtspolitischen FOlderung nach einer bereichsspezifischen Ausdehnung des Arbeitnehmerbegriffs der Sache nach absichtlich oder nicht - durch SchaffUIlig eines Rechtsform- und Festanstellungszwangs zuungunsten der Rundfunkanstalten zumindest hinsichtlich der ständigen freien Mitarbeiter bereits entsprochenso. Daß dieser Vorwurf nicht rutrifft, weil das BAG trotz einiger mißverständlicher Äußerungen weder ausdrücklich noch der Sache nach für die Statusbeurteilung von Rundfunkmitarbeitern SOlIderregeln statuiert hat, wurde schon dargelegt8 !. Die stets ,gegebene Möglichkeit, daß ein Richterspruch die ,aus dem Runcllunkauftrag fließenden Erfordernisse unzureichend berücksichtigt oder in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise den Bestand des Arbeitsverhältnisses eines RUllIdfunkangehörigen sicherstellt, rechtfertigt es nicht, dem Richter unter Berufung auf die Unzulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung ,die Kompetenz zur Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs partiell aibzusprechen82 • Da sornit die uneingeschränkte Anwendung des Arbeitnehmerbegriffs im Bereich des Rundfunks nicht der Begründung durch das Sozialstaatsprinzip bedarf und auch das Problem der Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung nicht tangiert wird, sind die auf das angebliche Fehlen der richterlichen Entschetdul1lgskompetenz gestützten vedassungsrechtlichen Bedenken nicht durchschlagend. 4. Zusammenfassung
Die hier entwickelten Grundlinien zur Einordnung von Beschäftigten haben auch im Bereich von Hörfunk UIlid Fernsehen Gültigkeit. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Meinung muß der Geltungsanspruch des Arbeitsrechts nicht zugunsten der aus der Rundfunkfreiheit bmv. dem RundfunkauftI'lag nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fließenden 79 Ossenbühl S. 75; der Sache nach auch Lieb, RdA 1974 S.257 (265 Fn.43); gegen diesen Vorwurf entschieden BAG, Urt. v .. 23.4.1980, 5 AZR 426/79, (demnächst) AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3 der Gründe; dagegen auch Hilger, RdA 1981 S. 265 (266). 80 So Ossenbühl S.157; der Sache nach auch Rupp, RdA 1978 S.l1; vgl. auch Lieb, RdA 1975 S. 49 (50); derselbe, Anm. zu BAG AP Nr. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 2 vor a, BI. 590 R. f. 81 S. o. 3. Kapitel!. 2. cl; H. 1. a). 82 So aber Ossenbühl S. 132 ff.
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4. Kap.: Sonderprobleme
verfassungsrechtlichen Programmerfordernisse partiell zurückgedrängt werden. Bei genauerer Betrachtung stellt sich der mit der These von der Systemnotwendigkeit der freien Mitanbeit im -Rundfunk behauptete Zielkonflikt zwischen dem arbeitsrechtlichen Soz~alschutz und der Rundfunkfreiheit als Scheingegensatz dar. Die verfassungsrechtlichen Progmmmdirektiven erfordern zwar d~e Gewährleistung der Ablösbarkeit programmgestalterisch tätiger Beschäftigter. Dem steht 'aber nicht der arbeitsrechtliche Sozialschutz insgesamt entgegen, sondern allenfalls der Bestandsschutz. Das Spannungsverhältnis zwischen 'der Runcliunkfreiheit und dem die Existenz des arbeitsrechtlichen Sozialschutzes einschließlich des Bestandsschutzes legitimierenden Sozialstaatsprinzip von deren Ranggleichheit auszugehen ist - kann durch ein effektives, abstufbar einzusetzendes anbeitsrechtliches Instrumentarium zur Gewährleistung des Abwechslungsbedürfnisses ausgeglichen wenden. Dazu gehören die Versetzung, die personen- oder betriebsbedingte ordentliche Künd~gung und d~e Befristung des Arbeitsverhältnisses. Die Beffl1stung insbesondere ist stets dann zulässig, wenn dem Abwechslungsbedürfnrs weder mit der Versetzung noch mit der personen- und betriebsbedingten Kündigung Rechnung getragen werden kann. Ob dies zutrifft, ist je nach Lage der Umstände des Einzel:flalls zu entscheiden. Maßgeblicher Gesichtspunkti'st dabei der Grad der Programm- und Meinungsbezogenheit der Tätigkeit. Die Entsche1dungskompetenz in dieser Fmge liegt beim Richter, der mit dem Begriff des sachlichen Grundes einen konkretisierungsbedürften Rechtsbegriff wertend anwendet. Eine "Einschätzungsprärogative" der Rundfunkanstalten in Zweifelsfällen ist daher abzulehnen. Die Verneinung einer arbeitsrechtlichen Bereich:sausnahme für den Rundfunk schließt die Nichtanwendung einzelner "unpassender" arbeitsrechtlicher NONnen nicht aus; dabei kann auf den hinter § 118 BetrVG und § 69 Abs. 4 Satz 4 BPersVG stehenden allgemeinen Rechtsgedanken zurückgegriffen werden. Da die konsequente Anwendung des Arbeitnehmerbegriffs auch im Bereich von Hörfunk und Fernsehen nicht der Begründung mit dem angeblichen Vorrang des Sozialstaatsgrundsatzes bedarf und auch nicht als richterrechtliche Rechtsfortbildung anzusehen ist, ergeben sich hieraus schließlich keine verfassungsrechtlichen Kompetenzprobleme.
Ir. Statuskorrektur und Mitwirkungsrechte
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11. Statuskorrektur und Mitwirkungsrechte von Betriebsrat oder Personalvertretung Wenn einige Zeit nach Beginn der Zusammenarbeit offenbar wind, daß die Rechtsbeziehungen zwischen Dienstempfänger und Beschäftigtem in Wahrheit nicht als freie Mitarbeit, sondern als ArbeitsveI1hältnis zu qualifizieren sind, stellt sich für die Beteiligten das Problem, wie sich das Fehlen der ,BeteiLigung von Betriebsrat oder Personalvertretung an der Entscheidungsfindung über die Aufnahme der Zusammenarbeit auf das individualrechtliche Beschäftigungsverhältnis auswirkt. Insbesondel'e drängt 'Sich die Frage auf, ob wegen der Mißachtung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte83 die Statuskorrektur unterbleiben muß84. 1. Statuskorrektur und Einstellungsbegriff
Die ein:llachste Lösung wäre es, im Falle .der Statuskorrektur - sei es der freiwilligen durch den Dienstempfänger oder der auf prozessualem Weg erl'eichten - jede individualrechtliche Auswirkung des Fehlens der Beteiligung deshalb abzulehnen, weil es an einer :&nstel1ung im Sinne des BetrVG und BPersVG mangelt. Das BAG hat mit Recht dar,auf hingewiesen, daß im Falle der n'achträglichen Statuskorrektur nach dem bei Beginn der Zusammenarbeit verlautbarten Parteiwillen eine Beteiligung der Arbeitnehmervertretung ,ausgeschlossen ist85 ; das ergibt sich aus der Qualifizierung der 83 Es wird hier die gebräuchliche Terminologie angewandt, wonach alle dem Betriebsrat oder der Personalvertretung zustehenden Rechte unter dem Oberbegriff der Beteiligung zusammenzufassen sind; so etwa Fitting / Auffarth / Kaiser § 1 Rz.42; Dietz / Richardi, BetrVG 5. Aufl., vor § 74 Rz. 23; Hueck / Nipperdey II 2 § 68 A II; Zöllner § 46 I S.346; Söllner, Arbeitsrecht, § 21 V 1 S. 159; Schaub § 230 I S. 1033; - hinsichtlich der Formen der Beteiligungsrechte wird hier zwischen bloßen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten unterschieden; alle Beteiligungsformen, die nicht Mitbestimmung im Sinne eines Zustimmungserfordernisses beinhalten, werden danach als bloße Mitwirkungsrechte bezeichnet; so Fitting / Auffarth / Kaiser aaO. mit weiteren Nachweisen; das entspricht der Terminologie des IV. Teils des BetrVG; - anders Hueck / Nipperdey II 2 aaO., wo zwischen den Beteiligungsstufen der Unterrichtung, Anhörung, Mitwirkung und Mitbestimmung unterschieden wird; - wiederum anders Dietz / Richardi aaO., die alle Teilnahmerechte unter den synonym verwendeten Begriffen der Beteiligung und der Mitwirkung zusammenfassen. 84 Vgl. BAG AP Nr. 15 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu Ir 4 der Gründe, BI. 367 f.; BAG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 2 der Gründe, BI. 370; BAG AP Nr.21 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 5 der Gründe, BI. 697; vgI. auch BAG AP Nr.3 zu § 59 BAT, zu II 3 der Gründe, BI. 495 f.; grundlegend nunmehr BAG AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972.; vgl. auch BAG AP Nr.9 zu Art. 33 Abs. 2 GG. 85 So BAG AP Nr.15, 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit, jeweils (Fn. 84); vgl. auch BAG AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972, zu II 1 b der Gründe.
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4. Kap.: Sonderprobleme
Beschäftigung als freie Mitarbeit. Das Gericht hat es darüber hinaus verschiedentlich für fraglich gehalten, ob sich bei einer "dem Parteiwillen entgegengesetzten Praktizierung der Vertragsbeziehungen"86 überhaupt ein solcher Einstellungsfall entwickeln kann87 • Dem ist insoweit beizupflichten, als es im Einzelfall ungemein schwierig sein kann, den Zeitpunkt der Entstehung des Arbeitsverhältnisses zu bestimmen88 . Dennoch wäre es unbefriedigend, wollte man mit einer so eng an der Wortbedeutung haftenden, formalistischen Interpretation das Problem des Fehlens der Beteiligung von Betriebsrat oder Personalvertretung bei der nachträglichen Statuskorrektur lösen. Denn unter Einstellung ist jedenfalls die vereinbarungsgemäße Aufnahme unseLbständiger Arbeit zu verstehen, ungeachtet der umstrittenen Fvage, ob nicht schon der unter Umständen davor liegende Zeitpunkt des Vertragsschlusses unter den Einstellungsbegriff fällt89 • In diesem Sinne ist auch bei dem zu Unrecht als freier Mitavbeiter qualifizierten Beschäftigten irgendwann einmal ein Arbeitsvevhältnis begründet worden. Daraus, daß kein normaler, typischer Einstellungsfall vorliegt - und auch nicht der einer Einstellung als vorläufige Maßnahme nach § 100 BetrVG, § 69 Abs. 5 BPersVG -, ist also gerade nicht die Unbeachtlichkeit des Beteiligungserfordernisses abzuleiten. Vielmehr stellt die hier aufgeworfene Frage lediglich eine besondere Variante der im Schrifttum heftig diskutierten allgemeinen Problematik dar, welche Entwicklung das Arbeitsverhältnis im F'alle des gesetzeswidrigen Unterbleibens oder der nicht ordnungsgemäßen Durchführung des Beteiligungsverfahrens nimmt oder nehmen kann 90 • Ehe auf :die Folgen dieser UnterZur Mißverständlichkeit dieser Formulierung s. o. 3. Kapitell. 2. b), aa). BAG AP NI'. 15, 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit, jeweils (Fn.84); das BAG ist inzwischen - im Urteil vom 2.7.1980, AP Nr.5 zu § 101 BetrVG 1972, zu II 1 b der Grunde - von dieser formalistischen Betrachtungsweise vorsichtig abgerückt. 88 s. O. 3. Kapitel H. 6. a). 89 So die h. M.; vgl. Fitting / Auffarth / Kaiser § 99 Rz.7; Dietz / Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 99 Rz.9; Kammann / Hess / Schlochauer § 99 Rz. 11; Dietz / Richardi, BPersVG II, § 75 Rz.9; Lorenzen / Eckstein § 75 Rz.16; im Ergebnis auch Kraft in GK-BetrVG § 99 Rz. 13 a, die beiden Letztgenannten mit weiteren Nachweisen; a. A. Galperin / Löwisch § 99 Rz. 10 ff., 118; vorsichtige Zweifel an der h. M. in BAG AP Nr.9 zu Art. 33 Abs.2 GG, zu II 2 der Grunde; wie die h. M. BAG AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972, zu H 1 ader Gründe. 90 Dazu einerseits: Fitting / Auffarth / Kaiser § 99 Rz.42; Brecht § 99 Rz.9; Gnade / Kehrmann / Schneider § 99 Rz.12; ArbG Göttingen, DB 1973 S.338; Hanau, RdlA 1973 S.281 (289); - andererseits: Kraft in GK-BetrVG § 99 Rz.95; Dietz / Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 100 Rz. 55 ff. (68 ff.); Kammann / Hess / Schlochauer § 99 Rz.6; Richardi, DB 1973 S.428 (429); Matthes, DB 1974 S. 2007 ff.; Alberty S. 70 ff., 102 f.; - vgl. auch BAG AP Nr .. 54 zu §§ 22, 23 BAT mit Anm. von Wiedemann; - für die zivilrechtliche Wirksamkeit des Arbeitsvertrags trotz Unterbleibens der Beteiligung nunmehr BAG AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972 und AP Nr. 9 zu Art. 33 Abs. 2 GG. 86
87
II. Statuskorrektur und Mitwirkungsrechte
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lassung eingegangen wird, soll ein kurzer Blick auf die Regelung der betriebsverfassungs- und personalvertretungsrechtlichen Beteiligung bei Einstellungen und die ihr mit Rücksicht auf den Tendenzschutz gezogenen Grenzen geworfen werden. 2. Mitbestimmungsrecht und Tendenzschutz bei Einstellungen
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sowie §§ 75 Abs. 1 NI'. 1 i. V. m. 69 Abs.1 und 2 BPersVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat bzw. die zuständige Personalvertretung vor jeder geplanten Einstellung unter Vorlegung von Unterlagen umfassend zu unterrichten, Auskunft zu geben91 uilid die Zustimmung der Arbeitnehmervertretung einzuholen. Diese kann nur aus den in § 99 Abs. 2 Nr. 1 - 6 BetrVG, § 77 Abs. 2 Nr. 1- 3 BPersVG abschließend aillgeführten Gründen verweigert werden92 • Allerdings sind für die Problemgruppen der programmgestalterisch tätigen Rundfunkangehörrgen und allgemein für die mit geistig-schöpferischen Arbeiten betrauten Beschäftigten der Medien sowohl drie betriebsverfassungsl'echtlichen als auch die personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmungsrechte erheblich eingeschränkt: Für Arbeitnehmer in den sogenannten Massenmedien und sonstigen Tendenzbetrieben 93 , zu denen allel'dings die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wegen § 130 BetrVG nicht gehören, beschränkt § 118 BetrVG die Beteiligungsrechte des Betriebsrats in der Weise, daß einzelne Mitwirkungsrechte je nach Tendenzträger-Eigenschaft des von einer Maßnahme des Arbeitgebers betroffenen Beschäftigten und Tendenznähe der Maßnahme 94 nicht ausgeübt werden können. Insbesondere das Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs.2 BetrVG entfällt, wenn die auf einen Tendenzträger bezogene personelle Einzelmaßnahme tendenzbedingt ist95 • 91 Trotz der von § 99 BetrVG abweichenden Fassung der §§ 75 Abs. 1 NI'. 1 V. m. 69 Abs. 1 und 2 BPersVG gilt in beiden Fällen der Sache nach dasselbe; das Bestehen einer Begründungspflicht im Bereich der Personalverfassung stellt § 69 Abs. 2 Satz 2 BPersVG klar; dazu Dietz! Richardi, BPersVG II, § 69 Rz. 8 ff. 92 Allgemeine Meinung; statt anderer Fitting! Auffarth! Kaiser § 99 Rz. 24; Dietz! Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 99 Rz.80; Dietz! Richardi, BPersVG II, § 75 Rz. 53. 93 Zur Terminologie vgl. Fabricius in GK-BetrVG § 118 Rz. 1 - 3; Kunze in Festschrift Ballerstedt S. 79 ff.; Fitting! Auffarth! Kaiser § 118 Rz. 4 ff.; Dietz! Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 118 RZ.6 ff. (10 ff.); Galperin! Löwisch § 118 Rz. 31 ff. 94 Vgl. Fitting! Auffarth ! Kaiser § 118 Rz. 22 a; Dietz! Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 118 Rz.63; sehr ausführlich anhand der Entstehungsgeschichte Fabricius in GK-BetrVG § 118 Rz. 4 ff.; Zöllner § 44 IV 5 a S. 327; Hanau, BB 1973 S. 901 ff.; Mayer-Maly, BB 1973 S. 761 ff.; derselbe, AR-Blattei Tendenzbetrieb I; Plander, AuR 1976 S. 289 ff.
i.
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4. Kap.: Sonderprobleme
Dagegen besteht kein Anlaß, die in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG enthaltenen Informations-, Anhörungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats zu beschne~den oder auszuschließen96 , so daß bei Einstellungen nur das ZustimmungserfoIidernis entfällt, nicht dagegen das gesamte Beteiligungsverf.ahren unterbleiben darf. Abweichend hiervon ist der Tendenzschutz im Personalvertretungsrecht geregelt91 . Dort sind nach § 77 .A!bs. 1 BPeI1sVG die Anknüpfungspunkte nicht die Begriffe des Tenderrzbetriebs und -unternehmens, sondern bestimmte Beschäftigtengruppen98• Bei Beschäftigten mit überwiegend wissenschaftlicher und künstlerischer Tätigkeit - die anderen in § 77 Abs. 1 Satz 1 und 2 BPersVG genannten Personengruppen interessieren hier nicht - ist das Mitbestimmungsrecht bezüglich personeller Eil1JZelmaßnahmen, also auch der Einstellung, nach § 77 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 75 Abs.1 Nr.1 BPersVG99 schlechteI'dings ausgeschlossen, sofern der betreffende Beschäftigte nicht die Durchführung der Mitbestimmung beantragt. Der Ausschluß bezieht sich, wie sich aus dem Zusammenhang von § 77 Albs. 1 Satz 1, § 76 Abs. 1 und § 69 BPersVG ergibt, auf das gesamte Beteiligungsverfahren einschließlich des Informations- und Anhörungsrechts der Personalvertretung. Im Gegensatz zu § 118 Abs.1 Nr.2 BetrVG werden jedoch nicht generell Meinungsträger in den Tendenzschutz einbezogen, sondern nur Tendenzträger mit überwiegend wissenschaftlicher oder künstlerischer Tätigkeit. Diese personelle Eingrenzung des Tendenzschutzes im Personalvertretungsrecht ist jedoch deshalb hinnehmbar, weil die Mitbestimmungsrechte der Personalvertretung hinsichtlich der programmgestalterisch tätigen Rundfunkmitarbeiter durch die SonJderregelung des § 69 Abs.4 Satz 5 BPersVG100 wesentliche Einschränkungen erfahren. Diese Vorschrift stellt sicher, daß bei personellen Einzelmaßnahmen gegenüber Angehörigen der genannten Gruppe von Beschäftigten im Falle 95 So die h. M. in Literatur und Rechtsprechung; vgl. Fitting / Auffarth / Kaiser § 118 Rz. 24 a; Dietz / Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 118 Rz.70; Galperin / Löwisch § 118 Rz.75; - zu restriktiv Fabricius in GK-BetrVG § 118 Rz. 131; alle mit zahlreichen weiteren Nachweisen; - a. A. Hanau, BB 1973 S. 901 (906); - aus der Rechtsprechung insbesondere BAG AP Nr.7 zu § 118 BetrVG 1972. 96 So BAG AP Nr. 3 zu § 99 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 7 zu § 118 BetrVG 1972; ferner Fitting / Auffarth / Kaiser § 118 Rz. 24 b; a. A. offenbar Dietz / Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 118 Rz. 74, die ausdrücklich nur das Informationsrecht erhalten wissen wollen. 91 Zum Ganzen Dietz / Richardi, BPersVG II, § 77 Rz. 20 ff.; Grabendorff / Windscheid / Ilbertz § 77 Rz. 3 ff. (11); Lorenzen / Eckstein § 77 Rz. 8 ff. (15 f.). 98 Vgl. § 77 Abs. 1 BPersVG. 99 Zweifel an der Angemessenheit dieser Regelung im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bei Dietz / Richardi, BPersVG II, § 77 Rz. 23. 100 Dazu statt anderer Dietz / Richardi, BPersVG II, § 77 Rz. 22 mit Erläuterungen zur Entstehungsgeschichte.
H. Statuskorrektur und Mitwirkungsrechte
253
der Zustimmungsverweigerung anders als im NOl'malfall die Einigungsstelle nicht nach § 69 Abs.4 Satz 1 BPersVG verbindlich entscheidetl°1, sondern lediglich eine Empfehlung ,an den Intendanten beschließen kann. Dieser entscheidet dann endgültig. 3. Individualrechtliche Folgen des Unterlassens der Beteiligung
Es gehört mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen zu den noch immer umstrittenen Fragen des Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrechts, welche Auswirkungen die nicht ordnungsgemäße Durchführung und erst recht das vollständige Unterlassen des BeteiHgungsverf.ahrens auf das Einzelarbeitsverhältnis haben lO2 • Diese kollektiv rechtlich bedingte Str,eitfrage kann im Rahmen der vorliegenden, sich in erster Linie mit dem individualrechtlichen Statusproblem befassenden Untersuchung nicht ,erschöpfend ausgelotet werden. Deshalb beschränkt sich 'die f01gende Darstellung auf die Andeutung der möglichen Lösungswege und die Erörterung etwaiger Besonderheiten im Falle der nachträglichen Statuskorr.ektur. a) Normalfall der Einstellung
Hat es der Arbeitgeber im Normalfall einer Einstellung unterlassen, das Beteiligungsverfahren nach § 99 Abs.1 BetrVG oder § 69 Abs.1 BPersVG durchzuführen oder ,die Einstellung unter Einhaltung des hierfür vorgesehenen Verfahrens nach § 100 BetrVG, § 69 Abs. 5 BPersVG als vorläufige Maßnahme zu deklarieren, so sind zwei grundsätzliche, einander ausschließende Lösungsansätze den~bar: Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum geht dahin, daß die ordnungsgemäße - also vorherige - Beteiligung Wirksamkeitsvoraussetzung für ldie personelle Einzelmaßnahme ist, so daß die unter Verletzung des Beteiligungsrechts vorgenommene Einstellung, d. h. in aller Regel der Arbeitsvertrag loa , ziivilrechtlich unwirksam istl° 4• 101 Zur verwaltungsgerichtlichen Anfechtbarkeit des Spruchs der Einigungsstelle Dietz / Richardi, BPersVG I1, § 75 Rz. 530 und § 71 Rz. 45 ff.; Lorenzen / Eckstein § 69 Rz. 65 und § 75 Rz. 201. 102 Dazu die oben Fn.90 Genannten; zum Personalvertretungsrecht Dietz / Richardi, BPersVG II, § 6e Rz. 97 ff. (101 ff.); Lorenzen / Eckstein § 69 Rz. 56 f.; Grabendorff / Windscheid / Ilbertz § 69 Rz.37; Fischer / Goeres § 69 Rz.37, alle mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Fees, PersV 197·5 S. 368 f.; Moritor, PersV 1009 S. 49 ff.; Poelmann, RdA 1958 S.354; aus der Rechtsprechung vgl. BAG AP Nr.5, 6, 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: BAVAV; BAG AP Nr. 11 zu § 71 BPersVG; grundlegend nunmehr BAG AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972 (zum Betriebsverfaslsungsrecht) und BAG AP Nr.9 zu Art. 33' Abs. 2 GG (zum Personalvertretungsrecht). 103 s. o. 1 und dort Fn. 89.
254
4. Kap.: Sonderprobleme
Es wird aber auch die Ansicht vertreten, daß die ordnungsgemäße Beteiligung nicht als Wirksamkeitsvorausset:zJUng anzusehen ist; dieser Meinung hat ,sich nunmehr ,auch das BAGangeschlossen105 • Jene Auffassung führt konsequenterweise zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses auf fehlerhafter Vertragsgrundlage mit der Folge, daß sich beide Vertragsparteien jederzeit auf den Mangel berufen und das Arbeitsverhältnis durch ein:Eache,zugangsbedürftige Willenserklärung beenden könnten106. Nach dieser Ansicht dagegen hat dias Unterlassen oder die nicht ordnungsgemäße Durchführung der Beteiligung keinen Einfluß auf den Bestand des Arbeitsvertr,ags. Die einzige unmittelbare Folge des Gesetzesverstoßes ist danach betl'iebsverfassungsrechtlicher Natur und besteht darin, daß der Betriebsrat das Zwangsver:fiahren nach § 101 BetrVG mit dem Ziel der Aufhebung Ider Maßnahme - hier also der Beendigung der Beschäf1ri.gung in dem betreffenden Betrieb - betreiben kann107 • Soweit dias Personalvertl'etungsrecht anzuwenden ist, hat dieser Ansicht zufolgedie zuständige Personalvertretung die Möglichkeit, beim Verwaltungsgerncht zu beantragen, dem Al'beitgeber die Rückgängigmachung der Maßnahme aufzugeben. Das Verwaltungsgericht entschetdet hierüber gemäß § 83 Abs. 1 BPersVG im Beschlußverfahren unter entspr,echender Anwendung der Vorschriften des ArbGG über das Beschlußverfahren. Zwar fehlt eine rdiiesbezügliche Anordnung im Katalog des § 84 Abs. 1 BPersVG. Es ist aber insoweit eine 104 So Fitting / Auffarth / Kaiser § 99 Rz.42; Dietz / Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 99 Rz.55; Gnade / Kehrmann / Schneider § 99 Rz.12; Brecht § 99 Rz.9; Frauenkron Rz.814; ArbG Göttingen, DB 1973 S.338; Richardi, ZfASonderheft 1972 S.20; derselbe, DB 1973 S.428 (429); Hanau, RdA 1973 S.281 (289); Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr.54 zu §§ 22, 23 BAT; - ebenso Dietz / Richardi, BPersVG I!, § 75 Rz. 23 f., und das oben Fn. 102 angeführte personalvertretungsrechtliche Schrifttum mit Ausnahme von Molitor; ferner die dort angeführte Rechtsprechung des BAG bis zu den neuen Entscheidungen AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972 und AP NI'. 9 zu Art. 33 Abs.2 GG, die sich mit beachtlichen Gründen gegen die h. L. stellen. 105 BAG (Fn. 104 am Ende); ebenso Kraft in GK-BetrVG § 99 Rz. 95; Kammann / Hess / Schl:ochauer § 99 Rz.6; 81; Galperin / Löwisch § 99 Rz. 10 ff.; 118; Adomeit, DB 1971 S.23'60 (2361); Meisel S. 118 f.; Stahlhacke, BlStsozArbR 1972 S. 51 (55); Frey, BB 1972 S. 923 (925); Alberty S. 70 ff., 102 f.; Matthes, DB 1974 S. 2007 ff.; - ebenso Bleistein Rz.451 für den hier gegebenen Fall, daß die Maßnahme ohne Beteiligung des Betriebsrats und ohne sie als vorläufige Maßnahme nach § 100 BetrVG zu deklarieren, durchgeführt wird; - zum Rechtszustand nach dem BetrVG 1952 vgl. Hueck / Nipperdey 11 § 71 eIl S. 1426; Nikisch ITI § 115 I 1 S.461. 106 SO Z. B. aus dem Kreis der oben Fn. 104 Genannten Fitting / Auffarth / Kaiser (Fn. 104). 107 Ebenso nunmehr ausdrücklich BAG AP NI'. 5 zu § 101 BetrVG 1972, zu 11 4 b, e der Gründe; zum Personalvertretungsrecht ebenso BAG AP NI'. 9 zu Art. 33 Abs. 2 GG, zu A III 3 b, e der Gründe; - dazu, daß § 101 BetrVG auch diesen Fall deckt, ausdrücklich Kraft in GK-BetrVG § 101 Rz. 2; Kammann / Hess / Schlochauer § 101 Rz.4.
Ir. Statuskorrektur und Mitwirkungsrechte
255
Regelungslücke anzunehmen, die in Analogie zu § 83 Abs.1 Nr.3 BPersVG zu ischließen ist108• Wegen der zivilrechtlichen Wil1ksamkeit des Arbeitsvertrags kann die Rückgängigmachung der Einstellung nach dieser Auffassung keinesfalls durch ein:fiache Beerrdigungserklärung erfolgen. Vom Arbeitgeber aufzuheben ist zunächst allein das Faktum der Beschäftigung. Da in diesem Fall eine automatische Beendigung der Rechtsbeziehungen nach § 100 Abs. 3 BetrVG mangels Deklarierung der Maßnahme als vorläufig aussche1det, kann der Arbeitgeber sodann allenfalls - unter ordnungsgemäßer Beteiligung des Betriebsrats oder der Personalvertr,etung eine Versetzung vornehmen oder eine ordentliche Kündigung aussprechen, wobei im Rahmen seines sachlichen und persönlichen Geltungsbereichs das KSchG anzuwenden ist109 • Die außerordentliche Kündigung scheidet dagegen 'schon deshalb aus, weil der wichtige Grund, d. h. der Verstoß ,gegen das BetrVG oder BPersVG durch ein Verhalten des Arbeitgebers entstanden ist 110• Ungeachtet der kontroversen Lösungsansätze wil1d in der Literatur versucht, beide Standpunkte einander dadurch anzunähern, daß auch bei Annahme der Fehlerhaftigkeit des Arbeitsverhältnisses die Beendigungsmög}ichkeiten für den Arbeitgeber beschnitten werden. So wil1d darauf h~ngewiesen, daß die Beendigung durch einfache Erklärung rechtsmißbräuchlich sein könne 111 • Nach anderer Meinung ist die einseitige Beendigung des Arbeitsvel"hältnisses durch den Arbeitgeber schlechterdings als venire contra :fiactum proprium ausgeschlossen112 ; es widerspl'icht danach außerdem verfassungsrechtlichen Grundsätzen sowie der im al"beitsrechtlichen Bestandsschutz zum Ausdl"Uck kommenden Wertung, wenn die kollektivrechtliche Pflichtwidrigkeit dem Arbeitgeber die Möglichkeit veI'Schaffen wÜl"de, das Arbeitsverhältnis durch ein:rache Beendigungserklärung aufzulösen. Deshalb soll trotz der Qualifi;cierung der ol"dnungsgemäßen Beteiligung als zivilrechtliche Dietz / Richardi, BPers,VG Ir, § 69 Rz. 106. So im Ergebnis Dietz / Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 100 Rz. 66, 68; Richardi, DB 1973 S.428 (429); Matthes, DB 1974 S.2007 (2010); - teilweise abweichend Hueck, KSchG, § 1 Rz. 54, wonach bei gegebener Wirksamkeit der Einstellung im Falle des Vorliegens einer gerichtlichen Entscheidung nach § 101 BetrVG zwar eine Kündigung erforderlich ist, das KSchG aber nicht 108
109
anwendbar sein soll, weil eine auf dem freien Willen des Arbeitgebers beruhende Kündigung nicht vorliege; die Versagung des Kündigungsschutzes sei im Hinblick auf die Beteiligtenstellung des Arbeitnehmers im Verfahren nach § 101 BetrVG hirrnehmbar; - das erscheint nicht vollends' überzeugend angesichts der Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 b KSchG bei gegebener Weiterbeschäftigungsmöglichkeit; - weitere Nachweise zum Streitstand bei Hueck, KSchG, aaO. 110 a. A. für den Fall, daß ein rechtskräftiger gerichtlicher Beschluß nach § 101 BetrVG vorliegt, Meisel S. 119. 111 Fitting / Auffarth / Kaiser § 99 Rz. 42. 112 Dietz / Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 100 Rz. 68 f.; Richardi, DB 1973 S.428 (429 f.).
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4. Kal!.: Sonderprobleme
Wirksamkeitsvoraussetzung das Arbeitsverhältnis nur durch ordentliche Kündigung beendet werden können 113, die gegebenenfalls sozial gerechtfertigt sein müsse 114. Aus der Konzeption des BetrVG wird ferner die Einschränkung abgeleitet, daß die Aufhebung durch ordentliche Kündigung nur dann zulässig ist, wenn der Betriebsrat einen Zustimmungsverweigerungsgrunld nach § 99 Abs. 2 BetrVG hat, dies auf Antrag des Arbeitgebers oder Betriebsl1ats im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren nach § 101 BetrVG :fiestgestellt wird und das Arbeitsgericht deshalb dem Arbeitgeber aufgibt, 'die Einstellung aufzuheben. 'Entsprechendes müßte nach ,dieser ,Ansicht für das Unterlassen der ordnungsgemäßen Beteiligung der Personalvertretung gelten. Will man dieser sehr weitgehenden, den Arbeitnehmer umfassend schützenden Lösung nicht zustimmen, sondern die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses durch ein:fiache Beendigungserklärung zuLassen, so muß man zumindest den Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs sehr ernst nehmen. Soweit danach die Beendigung ides Arbeitsverhältn~sses noch möglich ist, sind Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber in Betracht zu ziehen, wodurch die FoLgen des Arbeitsplatzverlustes abgemildert werden115 . b) Sonderfall der nachträglichen Statuskorrektur
Ebensowenig wie im Normal:flall der Einstellung hindert im Sonderfall der nachträglichen Statuskorrektur ,die Nichtdurchführung des betriebsverfassungsrechtlichen oder personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsverfahrens die Feststellung, daß der scheinbare freie Mitarbeiter in Wahrheit A.rIbeitnehmer ist. Das BAG hat demgegenüber erwogen, ob die "vom Richter zu treffende Feststellung, daß ein Arbeitsverhältnis k~aft der später eingetretenen Tatsachen vorliege", behindert werden könne, wenn "Umstände bekannt sind, die der Zustimmung des Personalrats im Wege stehen könnten"116. Die Statuskorrektural:s solche klann jedoch an der Nicht113 Dietz I Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 100 Rz.70, die somit im Ergebnis mit der Gegenansicht übereinstimmen. 114 a. A. Hueck, KSchG, § 1 Rz. 54. 115 Fitting I Auffarth I Kaiser § 100 Rz.4; vgl. dazu BAG AP Nr. 54 zu §§ 22, 23 BAT; Galperin I Löwisch § 100 Rz.9 f.; Brecht § 99 Rz. 9; - dadurch wird der Arbeitnehmer aber nur unvollkommen geschützt; ebenso BAG AP Nr.5 zu § 101 BetrVG 1972 und AP Nr. 9 zu Art. 33 Abs. 2 GG (zu II 4 d bzw. A III 3 d der Gründe); näher dazu Dietz I Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 100 Rz. 56 f.; Richardi, ZfA-Sonderheft 1972 S. 16; Alberty S. 74 ff. 116 BAG AP Nr. 15 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 4 der Gründe, BI. 362 f., unter Berufung auf BAG AP Nr.3 zu § 59 BAT; ebenso BAG AP Nr. 17 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 2 c der Gründe, BI. 370; BAG AP Nr. 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 5 d der Gründe, BI. 697.
II. Statuskorrektur und Mitwirkungsrechte
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durchführung des Betemgungsverfahrens auch im Falle der Geltendmachung eines bestehenden Zustimmungsverweigerungsgrundes gemäß § 99 Abs. 2 BetrVG bmv. § 77 Abs. 2 BPersVG durch den Arbeitgeber nicht scheitern. Denn selibst wenn man die ordnungsgemäße Beteili~ung des Betriebsrats oder der Pel'sonalvertretung mit der wohl h. L.ll7 als Wirksamkeitsvoraussetzung für den Arbeitsvertrag begreift, führt die Nichtbeachtung des Beteiligungserfordernisses nur zu einem fehlerhaften Arbeitsverhältnis, das, soLange es besteht, wie ein voll wirksames Al'beitsverhältnis zu behandeln ist118• Der Arbeitgeber kann sich dem berechtigten Verlangen des Beschäftigten nach Anwendung von Arbeitsrecht demnach nicht mit der Begründung entziehen, das betriebsverfassungsrechtliche oder personalvertretungsrechUiche Beteiligungsverfahren sei infolge der Fehlqualifizierung unterblieben. Solange der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, wil'd die Statusklage des scheinbaren freien Mitarbeiters also Erfolg haben. Das gilt auch dann, wenn der Betriebsrat schon das Beschlußverfahren nach § 101 BetrVG - oder die zuständige Personalvertretung das verwaltunsgerichtliche Beschlußverfahren nach § 83 Abs. 1 Nr.3, Abs.2 BPersVG analog 119 - in Gang gesetzt oder gar erfolgreich abgeschlossen haben. Eine analoge Anwendung des § 100 Abs. 3 BetrVG, wonach die Maßnahme mit Ablauf von zwei Wochen nach Rechtskraft des Richterspruchs endet, auf den Fall, daß eine nicht als vorläufige Maßnahme deklarierte Einstellung g,anz ohne Durchführung des Beteiligungsverfahrens vorgenommen wurde, scheidet aus. Denn diese Regelung ist allein auf die Vorläufigkeit der Maßnahme zugeschnitten und hat in diesem Rahmen die Funktion, eine schnelle Klärung der Rechtslage im Interesse aller Beteiligten herbeizuführen. Dieser Zweck scheidet bei AuMeckung einer Fehlqualifizierung aus. Insbesondere ,aber ist die Statusklage nicht deshalb unzulässig, weil schon ein Beschlußverfahren nach § 101 BetrVG oder § 83 Abs. 1 Nr. 3, Abs.2 BPersVG analog anhängig ist und umgekehrt. Denn Parteien und Streitgegenstand beider Verfahren differieren 12o • Sind Betriebsrat oder Personalvertretung im Beschlußverfahren mit dem Aufhebungss. o. zu a) und dort Fn. 104. Vgl. BAG AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972 und AP Nr. 9 zu Art. 33 Abs. 2 GG (zu II 4 d bzw. A II! 3 d der Gründe); zur Wirksamkeit des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses etwa Hueck / Nipperdey I § 21 I 1 (S. 114) und 4 (S. 123 ff.); Nikisch r § 19 IV S. 172 H.; Zöllner § 11 I 2 (S. 99 f.) und II 1 (S. 102 f.); Schaub § 35 III 3 S.l44; a. A. z. B. Beuthien, RdA 1969 S. 161 ff. 119 s. o. zu a) und dort Fn. 108. 120 Eine andere Frage ist, ob nicht sinnvollerweise das Beschlußverfahren auf Antrag der Parteien nach § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. ffi. § 251 Abs. 1 ZPO zum Ruhen gebracht werden sollte. 117
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17 Rosenfelder
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4. KaI!.: Sonderprobleme
begehren unterlegen, weil das Gericht zu Unrecht mangels Arbeitnehmereigenschaft des Beschäftigten das BetrVG oder BPersVG nicht für anwendbar gehalten hat, so kann die Statusklage dennoch zulässig und begründet sein. Denn die Rechtskraft des Aufhebungsbeschl'llsses wirkt nicht hinsichtlich der Statusfrage - ,die insoweit Vorfrage ist - und vor allem nicht im Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer121 . Beendet der Arbeitgeber dagegen das "verkappte" Arbeitsverhältnis durch einseitige Erklärung oder Kündigung unter Berufung auf das Fehlen der betriebsverfassungsrechtlichen oder personalvertretungsrechtlichen Beteiligung, so muß der betreffende Beschäftigte je nachdem entweder mit der allgemeinen Feststellungsklage die Unwirksamkeit der Auflösung oder mit der negativen Kündigungsfeststellungsklage, u. U. der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG122, gegen die Kündigung vorgehen, wenn er seinen Arbeitsplatz nicht verlieren will. Das gilt völlig unabhängig davon, ob der Arbeitgeber zuvor einem Verlangen des angeblichen freien Mitarbeiters nach Statuskorrektur als solcher, d. h. nach Anwendung arbeitsrechtlicher Normen, freiwillig nachgekommen ist oder nicht und ob er mit der Beendigungsmaßnahme auf ein Aufhebungsverlangen der Arbeitnehmervertretung oder gar einen diesem stattgebenden richterLichen Beschluß reagiert. Der fehlqualifizierte Beschäftigte kann sich im übrigen trotz erfolgreichen Abschlusses eines Statusprozesses vor die Notwendigkeit gestellt sehen, einen erneuten Prozeß um den Bestand seines Arbeitsverhältnisses führen zu müssen, weil der Arbeitgeber erst später unter Berufung auf das Fehlen der Beteiligung von Betriebsrat oder Personalvertretung bei der Einstellung die Beendigung erklärt oder kündigt123 . Macht der Arbeitgeber im Verlauf des Statusprozesses für den Fall seines Unterliegens hilfsweise die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einfache Erklärung oder KÜllIdigung geltend, so kann der Betroffene schon im laufenden Statusverfahren dal'auf reagieren. Im Falle der einfachen Beendigungserklärung genügt eine entsprechende Präzisierung des ursprünglichen Status-Feststellungsantrags; erfolgt dagegen eine Kündigung, so muß der Beschäftigte eine Klageerweiterung nach § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO vornehmen 124 . Unternimmt 'er nichts, so riskiert er die (Teil-)Abweisung des Statusantrags, wenn dieser - wie üblich - auf Feststellung eines
121 Ebenso Grunsky § 80 Rz. 50. 122 S. o. Fn. 109. 123 Ein weiteres Problem ist, ob er das wirksam tun kann, dazu sogleich unter 4. 124 Je nachdem, ob das KSchG Anwendung findet oder nicht (s. o. Fn.109), ist ein "einfacher" negativer Feststellungsantrag oder ein Kündigungsschutzantrag nach § 4 KSchG zu stellen.
11. Statuskorrektur und Mitwirkungsrechte
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gegenwärtig >bestehenden, unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältlllisses gerichtet ist. Im Falle der Kündigung steht überdies zu befürchten, daß der Beschäftigte die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG versäumt und infolgedessen die Sozialwidrigkeit der Kündigung geheilt wird125 • 4. Voraussetzungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen fehlender Beteiligung
Zu untersuchen bleibt, ob und unter welchen Vomussetzungen der Arbeitgeber, gestützt auf das Fehlen der Beteiligung von Betriebsmt oder Personalvertretung im Zeitpunkt ,der Entstehung des Arbeitsverhältnisses, dieses beenden kann. a) Aufhebungsverlangen von Betriebsrat oder Personalvertretung
Am ,Ausgangspunkt steht die Überlegung, daß es Sache des Arbeitgebers ist, vor Begründung eines Arbeitsverhältnisses den Betriebsrat oder die Personalvertretung ordnungsgemäß zu beteiligen. Diese Pflicht besteht als kollektivrechtliche gegenüber dem Betriebsrat oder der Personalvertretung,als individualrechtliche, vor-arbeitsvertragliche a'ber auch gegenüber der von der Maßnahme betroffenen Person126 • Beendet der Arbeitgeber, ohne durch ein Aufhebungsverlangen von Betriebs- oder Personalvat dazu veranlaßt zu sein, das Arbeitsverhältnis unter Berufung auf die fehlende BeteiUgung der Arbeitnehmervertretung durch einfache Willenserklärung oder Kündigung, so macht er sich damit zum Nachteil des Beschäftigten eine von ihm selbst begangene Pflichtwidrigkeit zunutze. Die Ausübung eines Gestaltungsrechts aber, das sich der Berechtigte durch eigenes pflichtwidriges Verhalten erworben hat, ist nach allgemeiner Meinung rechtsmißbräuchlich, stellt also einen Verstoß gegen Treu und GlaU!ben ,gemäß § 242 BGB dar127 • Hierzu statt aller Hueck, KSchG, § 4 Rz. 2 und § 7 Rz. 1 f. Dazu Dietz I Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 99 Rz. 134 und § 100 Rz. 57; ausführlich Richardi, ZfA-Sonderheft 1972 S. 15 f.; vgl. ferner Adomeit, DB 1971 S. 2360 (2361). 127 Dazu aus der Fülle der Literatur etwa Palandt / Heinrichs § 242 Anm.4 C a; Staudinger I Weber 11. Aufl. § 242 Rz. D 400 ff. (D 401); Staudinger / J. Schmidt 12. Auf!.. § 242 Rz. 581 ff.; Soergell Siebert I Knopp 10. Auf!.. § 242 Rz. 193 ff. (209 ff.); RGRK I Alff 12. Aufl. § 242 Rz. 89 ff. (120 ff.); alle mit zahlreichen Nachweisen; Esser / Schmidt I 1 § 5 III S. 49 ff.; Fikentscher § 27 11 3 aaS. 118; - zur Rechtsmißbräuchlichkeit von Kündigungen vgl. Hueck, KSchG, Einleitung Rz' 84 ff. (87) mit weiteren Nachweisen in Rechtsprechung und Literatur; Hueck / Nipperdey I § 56 IX 2 S. 559 f.; Zöllner § 22 I 3 S.182; wie im Text nunmehr auch das BAG in AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972 und AP Nr. 9 zu Art. 33 Abs. 2 GG (zu rr 4 d bzw. A 111 3 d der Gründe). 125
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4. Kap.: Sonderprobleme
Da nach heutiger Rechtsauffassung nicht arglistiges oder generell schuldhaftes Verhalten Anknüpfungspunkt der MißbilUgung ist, sondern allein die mit Treu und Glauben unter Anwendung objektiver Maßstäbe nicht zu vereinbarende, die eigenen Interessen einseitig überbewertende Rechtsdurchsetzung 128, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber um die Fehlerhaftigkeit der Qualifizierung und das Mitbestimmungserfordernis weiß oder hätte wissen müssen. Rechtsmißbräuchlich ist die Beendigung der Beschäftigung unter Berufung auf den betriebsverfassungs- oder personalvertretungsrechtlichen Verstoß also auch dann, wenn das Beschäftigungsverhältnis der Grauzone zwischen Selbständigkeit und Unselbständigkeit zugehört und der Dienstempfänger die Durchführung des Beteiligungsverfahrens deshalb guten Glaubens unterlassen hat. Insbesondere ist auch in diesem F'alle das Vertrauen des Beschäftigten schützenswert, das dahin geht, daß der Dienstempfänger zu seinem bisherigen Verhalten steht, den Mitarbeiter ohne Rücksicht auf vom Betriebsrat oder von der Personalvertretung einzubringende Belange zu beschäftigen. Insoweit wird der Gesichtspunkt der Treuwidrigkeit der Berufung auf eigenes pflichtwidr1ges Verhalten überlagert und ergänzt durch den Gedanken der Mißbräuchlichkeit widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium)129. Der Gesichtspunkt der TreuwtdrLgkeit widersprüchlichen Verhaltens spricht schließlich entscheidend dafür, die Beendigung des Rechtsverhältnisses durch den Dienstempfänger unter Berufung auf den Verstoß gegen das Betriebsverfassungs- oder Personalvertretungsrecht auch dann als rechtsmißbräuchlich anzusehen, wenn die QuaHfizierung als freier Mitarbeiter auf Wunsch des Beschäftigten erfolgt ist. Das gilt selbstverständlich dann, wenn der Beschäftigte nur die Wahl zwischen freier Mitarbeit und gar keiner Zusammenarbeit hatte; in diesem Fall ist der "Wunsch" des Beschäftigten allein auf Druck des Dienstempfängers hin geäußert worden, so daß der Beschäftigte gar nicht die von 128 Soergel! Siebert ! Knopp 10. Aufl. § 242 Rz. 193 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; ebenso Staudinger ! Weber 11. Aufl. § 242 Rz. D 36; differenzierend aber Roth in Münchener Kommentar § 242 Rz. 236; vgl. auch Esser! Schmidt I 1 § 5 III vor 1 S.49; Staudinger ! J. Schmidt 12. Aufl. § 242 Rz.581. 129 Vgl. Dietz! Richardi, BetrVG 5. Aufl., § 100 Rz. 69 f., die allein ein venire contra factum proprium annehmen; - zum Tatbestand dieses Instituts vgl. etwa Staudinger ! Weber 11. Aufl. § 242 Rz. D 395; Staudinger ! J. Schmidt 12. Aufl. § 242 Rz. 595 ff. (599); Roth in Münchener Kommentar § 242 Rz. 295 ff. mit ausdrücklicher Behandlung von Fallgestaltungen der hier gegebenen Art in Rz. 321 f.; - zur inneren Verwandtschaft der Rechtsmißbrauchs~Typen der Ausnutzung eigenen rechtswidrigen Verhaltens und des venire contra factum proprium vgl. Soergel! Siebert ! Knopp 10. Aufl. § 242 Rz. 228 mit weiteren Nachweisen; RGRK! Alff 12. Aufl. § 242 Rz. 93 ff.; vgl. auch BAG (Fn. 127 am Ende).
H. Statuskorrektur und Mitwirkungsrechte
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ihm gewünschte Gestaltung durchsetzt, sondern das vom Vertragspartner Gewollte nolens-volens akzeptiertt 3o • Aber auch im Falle, daß der Dienstempfänger den Beschäftigten nicht vor diese Alternative gestellt hat, ist nicht anders zu entscheiden. Denn zum einen beseitigt eine etwaige Billigung des Verstoßes durch den Mitarbeiter weder das Bestehen !der kollektivrechtlichen Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung !des Beteiligungsverfahrens - die nicht zur DispositJion der Farteien steht - noch die Rechtswidrigkeit ihrer Verletzung 131 ; zum andern hat auch in diesem Fall der Mitarbeiter Grund, darauf zu vertrauen, daß der Dienstempfänger den Verstoß gegen die betriebsverfassungs- bzw. personalvertretungsl'echtlichen BeteiHgungserforoernisse - deren Beachtung ausschließlich seine Sache ist - nicht zum Anlaß der Beenldi!gung des Rechtsverhältnisses nimmt, sondern im Gegenteil das Einvel'ständnis des Betriebsrats oder der Personalvertretung mit der weiteren Beschäftigung des Mitarbeiters als Arbeitnehmer zu erreichen sucht132 • Steht somit fest, daß jede aus eigenem Entschluß erfolgende Beend1gung des "ver~appten" Arbeitsverhältnisses durch !den Arbeitgeber unter Berufung auf die Verletzung der nach § 99 Abs.l BetrVG, § 69 Abs. 1 und 2 BPersVG bestehenden Beteiligungsrechte rechtsmißbräuchlich ist, so kann die Auflösung der Rechtsbeziehungen durch einfache Beendigungserklärung oder Kündigung nur dann zulässig sein, wenn der Betriebsrat oder diezustänruge Personalvertretung, gestützt auf die kollektivrechtliche Pflichtwtdrigkeit, zum Ausgleich der beteiligten Interessen und einer durch unteI1schiedliche rechtliche Behandlung der Mitarbeiter seitens der AuftI1aggeber, Behörden unId Gerichte hervoI1gerufenen Rechtsunsicherheit. Dieser rechtstatsächliche Befund hat zu einer heftigen rechtspolitischen Kontroverse geführt. Auf seiten der freien Mitarbeiter wird eine weitgehende oder gar vöHig,e Gleichstellung mit den Arbeitnehmern gefordert; einige Vertreter dieser Richtung plädieren de lege fere'I]da für eine Neuabgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs der Art, daß ihm grundsätzlich alle nichtunternehmerisch tätigen Beschäftigten unterf'allen sollen.
5. Ungeachtet dieser rechtspolitischen lliskussion liegt die Annahme nahe, daß nicht wenige ständige freie Mitarbeiter in den Kulturberufen in Wahrheit Arbeitnehmer sind und dies zumindest auch auf Mängel des herkömmlichen Arbeitnehmerbegriffs zurückzuführen ist. Zweifelhaft sind Trennschärfe und Aussagekraft des überkommenen Abgren2lungsmerkmals der persönlichen Abhängigkeit. Seine Konkretisierung durch die Umstände der Weisungsgebundenheit oder Eingliederung hat sich als wenig brauchbar gerade bei der Erfassung von Grenzfällen erwiesen. Begreift man aber mit der heute h. M. in Rechtsprechung und Literatur die persönliche Abhängigkeit als offenes und abstufbares Gefüge vorwiegend 'arbeitsol1ganisatorischer Indizien, das nur durch eine Gesamtbeurteilung in seiner Eigenart erfaßt werden kann, so stellt sich die Frage nach der Vorhersehbarkeit und rationalen Überprüfbarkeit des Einordnungsvor,gangs. Besonders bedauel'lich ist, daß das BAG auf ein "Koordinatensystem" der Selektion und Gewichtung der Einzelumstände lange Zeit verzichtet hat und dadurch der Eindruck entstehen konnte, das Gericht nehme in Grenzfällen die rechtliche Einordnung aufgrund eines Gestaltungs- und nicht Erkenntnisakts vor. 6. Die VOl1gehensweisen der h. M. wird in der Literatur als eine im schlechten Sinn phänomenologisch-topische Methode kritisiert, die nur zur Beschreibung der ohnehin evidenten Fälle tauge und auf bloßer Intuition beruhe. Dem BAG wil'd vorgeworfen, es mißachte die Grundprinzipien der Rechtsgeschäftslehre, indem es aus Faktischem auf Normatives schließe; dadurch weroe ein Rechtsformzwang 2lugunsten des Arbeitsverhältnisses statuiert. Ferner sieht sich die h. M. ideologiekritischen Einwänden ausgesetzt. Schließlich hält man dem BAG vor, es verstoße Igegen verfassungsrechtliche
Zusammenfassung und Ergebnisse
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Gnmdsätze, indem es den Arbeitnehmerbegriff schablonenhaft auf die freien Mitarbeiter bei Hörfunk und Fernsehen projiziere. 7. Die im Schrifttum entwickelten Alternativmodelle zur Inhaltsbestimmung und Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs vermögen durchweg nicht vollends zu befriedigen. Denn sie berücksichtigen die arbeitsrechtlichen Wertungsgrund1agen entweder gar nicht oder verkürzen sie auf Teilaspekte, stellen auf nicht aussagekräftige Kriterien ab oder werden wegen ihres Schematismus der Vielfalt des Arbeitslebem nicht gerecht. 8. Den Ausweg aus der Krise des Al'Ibeitnehmerbegriffs weist die Besinnung auf seine Struktur als ein inder sozialen Wirklichkeit vorlgegebener typologischer Begriff, der durch einen gesicherten inhaltlichen Kernbereich und eine zerfließende Randzone gekennzeichnet ist. Den Kernbereich bilden die evidenten Gestaltungen. Er läßt sich umschreiben mit den Merkmalen des empirischen Durchschnittstypus des Arbeitnehmers, der damit dem normativen Idealtypus des Arbeitnehmers entspricht. Der Rand- und Grauzone gehören die}enigen Gestaltungen an, über deren Beurteilung sich in der Rechtspraxis noch kein allgemeiner Konsens herausgebildet hat. In diesem Bereich kann die rechtliche Zuol'ldnung nur durch eine Wertung des Einzelfalls erfolgen. Die Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs ergibt sich auf diese Weise aus einem im Laufe der Zeit immer dichter werdenden Mosaik von Einzelfallbeurteilungen, also induktiv und nicht deduktiv. Bezugspunkt der Einzelfallbeurteilungen ist der begriffskonstitutive Wertung