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German Pages 211 Year 2003
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 157
Die Freien Berufe und das kartellrechtliche Empfehlungsverbot
Von
Andreas J. Boos
Duncker & Humblot · Berlin
ANDREAS J. BOOS
Die Freien Berufe und das kartellrechtliche Empfehlungsverbot
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 157
Die Freien Berufe und das kartellrechtliche Empfehlungsverbot Eine Studie zur Bedeutung des kartellrechtlichen Empfehlungsverbotes bei Wettbewerbsbeschränkungen in den Freien Berufen unter Berücksichtigung des europäischen Kartellrechts und mit Beispielen aus der privatärztlichen Gebührenliquidation
Von Andreas J. Boos
Duncker & Humblot . Berlin
Die Juristische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D25 Alle Rechte vorbehalten
© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-10978-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @
Für Anna
Vorwort Die vorliegende Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg im Sommersemester 2002 als Dissertation vorgelegen. Für die Veröffentlichung konnten Rechtsprechung und Literatur im Wesentlichen bis Juli 2002 berücksichtigt werden. An erster Stelle möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Christoph Ann, LL.M. danken. Er hat diese Untersuchung angeregt und mich stets bei der Verwirklichung meines straffen Arbeitszeitplanes unterstützt. Herrn Prof. Dr. Uwe Blaurock danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Das Promotionsvorhaben wurde durch ein Doktorandenstipendium der Friedrich-Naumann-Stiftung mit Mitteln des Bundesministeriurns für Bildung und Forschung umfangreich gefördert. Weiterhin hat mich die Ludwig-SieversStiftung (Stiftung zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung über Wesen und Bedeutung der freien Berufe) unterstützt, indem sie die Kosten für die Veröffentlichung übernommen hat. Stellvertretend für beide Stiftungen möchte ich mich dafür bei Frau Wohlleben und Herrn Dr. Bösche bedanken. Mein Dank gilt im Besonderen auch Prof. Dr. Detlef Liebs, an dessen Institut ich schon seit vielen Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig bin, und der meinen Wunsch auf eine Spezialisierung im Kartellrecht bedingungslos unterstützt hat. Einen Angehörigen der Freien Berufe als Vater zu haben, führte bei den vielen Diskussionen zu wertvollen Denkanstößen. Zusammen mit der Unterstützung meiner Mutter und Anna Piech beim Korrekturlesen des Manuskripts hat meine Familie damit wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Alfredo Barona und Andrea Karl waren mir während dieser sehr arbeitsintensiven Zeit, und natürlich auch darüber hinaus, unersetzbare Freunde, die ich stets mit einer sehr glücklichen Zeit in Freiburg verbinden werde. Freiburg, im Dezember 2002
Andreas Boos
Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erstes Kapitel Grundlagen
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A. Die Freien Berufe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Von der Definition zur Enumeration ................................. II. Eingrenzung ..................................................... IIl. Die Organisations struktur der Freien Berufe ........... . ......... . .... 1. Das Kammersystem ........................................... a) Allgemeines .............................................. b) Regionalkammern und Bundeskammern ...... . ................ 2. Private Berufs- und Fachverbände ...............................
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B. Wettbewerbsbeschränkungen in den Freien Berufen ....................... I. Schutz vor Wettbewerb statt Schutz des Wettbewerbs .................. II. Formen wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 1. Berufsrecht - Kammerrecht - Standesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wettbewerbsbeschränkungen des Gesetz- und Verordnungsgebers .... 3. Wettbewerbsbeschränkungen der öffentlichrechtlichen Berufskammern 4. Wettbewerbsbeschränkungen der privatrechtlichen Standesorganisationen ......................................................... a) Wettbewerbsbeschränkungen der privatrechtlichen Bundeskammern ..................................................... b) Wettbewerbsbeschränkungen anderer privatrechtlicher Berufsvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wettbewerbsbeschränkungen der Freiberufler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zweites Kapitel Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht A. Kartellrecht und Vorrang des Berufsrechts ............................... I. Unternehmen und Unternehmensvereinigungen ........................ 1. Freier Beruf als Unternehmen ................................... 2. Standesorganisationen als Unternehmensvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . a) Privatrechtliche Standesorganisationen ........................ b) Öffentlichrechtliche Berufskammern .......................... II. Vorrang staatlicher Weubewerbsbeschränkungen durch Gesetze und Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis Ill. Vorrang kammerrechtlicher Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hoheitliches oder privatrechtliches Handeln ....................... 2. Abgrenzung zwischen hoheitlichem und privatrechtlichem Handeln ... a) Die Formel vom Vorrang des Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterschiedliche Auslegungen der Vorrangformel . . . . . . . . . . . . . . . aa) Frühere Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Neuere Rechtsprechung und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik und Gegenposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis ................................................. 3. Güterabwägung .............................................. IV. Vorrang privatrechtlicher Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wettbewerbsbeschränkungen der privaten Standesorganisationen . . . . . 2. Wettbewerbsbeschränkungen der Freiberufler ..................... V. Ergebnis........................................................
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B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Empfehlungsverbot nach der Sechsten GWB-Novelle .............. II. Unverbindliche Maßnahmen von Kammern und privaten Standesorganisationen .......................................................... 1. Beispiele .................................................... 2. Empfehlungseigenschaften ..................................... a) Einseitigkeit............................ . ............ . .... b) Rechtliche Unverbindlichkeit ................................ c) Faktische Verbindlichkeit durch Druck und Zwang ............. d) Kartellrechtlich irrelevante Meinungs- und Tatsachenäußerungen . . 3. Weitere Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Form und Bestimmtheit. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Umgehung des Kartellverbotes durch gleichförmiges Verhalten (§ 22 Abs. I Satz 1 i.V.m. § 1 GWB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Umgehung des § 14 GWB und Preisempfehlungen gern. § 22 Abs. 1 Satz 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Bewirken bzw. Bezwecken einer Umgehung. . . . . . . . . . . . . . . . e) Beteiligte................................................. f) Subjektiver Empfehlungstatbestand .......................... aa) Vorsatz und Koordinierungswille ......................... bb) Fahrlässigkeit ...................................... . .. 4. Ergebnis..................................................... Ill. Standesrechtliche Berufsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beispiele .................................................... 2. Empfehlungseigenschaften ..................................... a) Einseitigkeit: Abgrenzung zur Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Unverbindlichkeit: Abgrenzung zum Beschluss i.S.d. § 1 GWB ................................................ 3. Weitere Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesetzliche Befreiungen vom Empfehlungsverbot ..................... 1. Bereichsausnahmen ........................................... 2. Ausnahmen vom Empfehlungsverbot, § 22 Abs. 2 und 3 GWB . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis a) Mittelstandsempfehlungen, § 22 Abs. 2 GWB .................. b) Normen-, Typen- u. Konditionenempfehlungen, § 22 Abs. 3 GWB. c) Ergebnis ................................................. V. Ergebnis bezgüglich der Vereinbarkeit standesrechtlicher Maßnahmen mit dem Empfehlungsverbot .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Drittes Kapitel
Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches KarteUrecht
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A. Freie Bahn im Binnenmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Freien Berufe im europäischen Wirtschafts- und Währungsraum .... . . Il. Der Konflikt zwischen der EU-Kommission und den Standesvertretern .... ill. Handhabung und Leitlinien der EU-Kommission. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Wettbewerbspolitik der Kommission. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bisher ergangene Entscheidungen der EU-Kommission und des EuGH. a) CNSD und COAPI . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) EPI...................................................... c) Arduino.................. . ...............................
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B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. lEG. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Die europäischen Kartellrechtsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Das gegenwärtige System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die geplanten Neuerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Il Subsidiaritätsprinzip, Vorrangprinzip und Zwischenstaatlichkeitsklausel . .. ill. Anwendungsfälle des europäischen Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Voraussetzungen des Art. 81 Abs. lEG. .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. 1. Unternehmen I Unternehmensvereinigung ......................... 2. Spürbare Wettbewerbsbeschränkung ............................. 3. Vorrang des Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Empfehlungen im Rahmen des Art. 81 Abs. I EG .................. 5. Ergebnis..................................................... V. Ausnahmetatbestände ................ . .... . .... . .................. 1. Art. 81 Abs. 3 EG . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. 2. Art. 86 Abs. 2 EG . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. VI. Verantwortlichkeit des Staates. . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
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C. Fazit und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 123
Viertes Kapitel
Das Empfehlungsverbot in der Praxis: Schwellenwert· und Analogempfehlungen von Ärzteverbänden A. Einführung.......................................................... I. Wettbewerb im Gesundheitswesen. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. Il. Das privatärztliche Gebührensystem . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ill. Defizite im privatärztlichen Gebührensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
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Inhaltsverzeichnis
B. Schwellenwertempfehlungen . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . .. I. Die Abrechnung privatärztlicher Leistungen unter Verwendung eines Steigerungsfaktors .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Fälle aus der Kartellrechtspraxis .................................... l. Der GOZ-Fall ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Abdingungs- und Pauschalhonorarfälle ........................... ID. Der Einfluss der Verbände auf die privatärztliche Gebührenliquidation durch Schwellenwertempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. l. Neue Verdachts fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Rolle der staatlichen Ärztekammern .......................... 3. Die Rolle der privatrechtlichen Berufs- und Fachverbände ........... IV. Die kartellrechtliche Beurteilung von Schwellenwertempfehlungen ....... l. Die Anwendbarkeit des GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Vorranggrundsatz ......................................... b) Vorrang der GOÄ ......................................... c) Vorrang des § 5 GOÄ . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Ergebnis ................................................. 2. Empfehlungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Einseitigkeit.............................................. b) Rechtliche Unverbindlichkeit und faktische Bindungswirkung . . . .. c) Beeinflussungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) GOZ-Fall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Abdingungs- und Pauschalhonorar-Fälle ............... . . .. cc) Aktuelle Fälle von Abrechnungsempfehlungen mit bestimmten Steigerungsfaktoren .................................... (I) Abrechnungsvorschläge mit einem einzigen Steigerungsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) Abrechnungsvorschläge mit mehreren Steigerungsfaktoren (3) Abrechnungsvorschläge ohne Steigerungsfaktor ......... d) Ergebnis bzüglich der Empfehlungsvoraussetzungen ............ 3. Umgehung des Kartellverbotes durch gleichförmiges Verhalten, § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § I GWB .................................. 4. Bewirken bzw. Bezwecken der Umgehung des Kartellverbotes ....... 5. Spürbarkeit.................................................. 6. Vorsatz ..................................................... 7. Ergebnis.....................................................
134
C. Analogempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Funktion der Analogbewertung ..................................... II. Die Analogbewertung als Achillesferse der privatärztlichen Gebührenabrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ID. Das analoge Abgriffverfahren (§ 6 Abs. 2 GOÄlGOZ) ................. IV. Die Einflussnahme der Verbände durch Analogempfehlungen . . . . . . . . . . .. I. Die Bedeutung der Analogempfehlungen in der Praxis .............. 2. Die Rolle der öffentlichrechtlichen Ärztekammern . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Die Rolle der BÄK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Die Rolle der privatrechtlichen Berufs- und Fachverbände ........... 5. Fachkommentare von Einzelpersonen ............................
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134 137 138 138 140 140 141 142 143 143 143 144 147 151 152 152 153 153 154 154 155 155 157 159 160 160 161 163 164 165
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Inhaltsverzeichnis V. Die kartellrechtliche Beurteilung von Analogempfehlungen . . . . . . . . . . . . .. I. Die Anwendbarkeit des GWB ................................... a) Vorranggrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Vorrang der GOÄ . . . .. . . . .. . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . .. . . . . . . .. c) Vorrang des § 6 Abs. 2 GOÄ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Einheitliche Vorgabe von Analogziffern . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Berücksichtigung der Kriterien "Art, Zeit- und Kostenaufwand" d) Sonderstellung der BÄK .................................... e) Ergebnis ................................................. 2. Die Empfehlungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Einseitigkeit .............................................. b) Rechtliche Unverbindlichkeit ..... . .......................... aa) Allgemeiner Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Sonderstellung der BÄK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Beeinflussungswille .......... . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . .. .. d) Ergebnis bzüglich der Empfehlungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . .. 3. Umgehung des Kartellverbotes durch gleichförmiges Verhalten, § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § I GWB .................................. 4. Bewirken bzw. Bezwecken der Umgehung des Kartellverbotes . . . . . . .. 5. Vorsatz...................................................... 6. Ergebnis.....................................................
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D. Ergebnis und abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 189 Fünftes Kapitel
Zusammenfassung
191
Literaturverzeichnis
195
A. Lehrbücher, Kommentare, Monographien. . . . .. .. . .. . . . . . . .. . .. . .. . . . . . .. 195 B. Zeitschriftenaufsätze und Festschriftbeiträge ............................. 199 C. Internet und Sonstiges ................................................ 205
Sachverzeichnis ........................................................ 207
Abkürzungsverzeichnis An dieser Stelle sollen vorrangig die Abkürzungen aus dem Bereich der Freien Berufe erläutert werden. Im Übrigen orientiert sich die Wahl der Abkürzungen an Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache (5. Aufl. Berlin 2002).
ÄAppo AHO ArnPVO ArchG ArztR AWMF BaWü BÄK BÄO BApO BAV BBiG BDA BDN BewG BFB BFuP BKartA BMG BMI BNotO BRAK BRAK-Mitt. BRAO BSHG BStBl. BTO BVA BVDN
Approbationsordnung für Ärzte Ausschuss der Ingenieurverbände und Ingenieurkamrnem für die Honorarordnung e.V. Amtliche Preisverordnung für Arzneimittel Architektengesetz Arztrecht Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften Baden-Württemberg Bundesärztekammer Bundesärzteordnung Bundesapothekerordnung Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen Berufsbildungsgesetz Berufsverband der Allgemeinärzte Deutschlands Berufsverband Deutscher Neurologen e.V. Bewertungsgesetz Bundesverband der Freien Berufe Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis Bundeskartellamt Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium des Innem Bundesnotarordnung Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt Bundestierärzteordnung Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. Berufsverband Deutscher Nervenärzte e.V.
Abkürzungsverzeichnis BVKJD BZB DÄ DB DGOM DGOT DGP DGZMK DNotZ DOG DStR EStG FFB FuE GD GKV GOÄ GOZ GVO HOAr IFB IHK IHKG
IngKammG KHG KonTraG KredWG MedR PartGG PatAnwO PKV PKV -Verband SGB StB StBerG
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Berufsverband der Ärzte für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Deutschlands e.V. Bayrisches Zahnärzteblatt Deutsches Ärzteblatt Der Betrieb Deutsche Gesellschaft für Osteopathische Medizin e.V. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie e.V. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkundee.V. Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft Deutsches Steuerrecht Einkommenssteuergesetz Forschungsinstitut Freie Berufe der Universität Lüneburg Forschung und Entwicklung Generaldirektion Gesetzliche Krankenversicherung Gebührenordnung für Ärzte Gebührenordnung für Zahnärzte Gruppenfreistellungsverordnung Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und der Ingenieure Institut für Freie Berufe in Nürnberg Industrie- und Handelskammer Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrieund Handelskammern Ingenieurkammergesetz Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Gesetzes über das Kreditwesen Medizinrecht Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Patentanwaltsordnung Private Krankenversicherung Verband der Privaten Krankenversicherungen e.V. Sozialgesetzbuch Der Steuerberater Steuerberatungsgesetz
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TB
VBI VDI WpHG WPO ZHG ZHR
ZIP ZSEG
Abkürzungsverzeichnis Tätigkeitsbericht Verband beratender Ingenieure e.V. Verein Deutscher Ingenieure Gesetz über den Wertpapierhandel Wirtschaftsprüferordnung Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen
Einleitung Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit der kartellrechtlichen Bewertung von wettbewerbsbeschränkenden Empfehlungen im Umfeld der Freien Berufe und ihrer Standesorganisationen. Ziel ist es, die verschiedenen Formen standesrechtlicher Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Verbotstatbestand des § 22 Abs. 1 GWB und des Art. 81 Abs. 1 EG zu untersuchen, sowie die Rechtsfolgen und praktischen Konsequenzen für das Standeswesen einzubeziehen. Das Spannungsverhältnis zwischen Berufsrecht und Kartellrecht ist schon seit Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher Diskussionen zwischen Befürwortern von Standesprivilegien auf der einen Seite und Verfechtern eines uneingeschränkten Wettbewerbs innerhalb der Freien Berufe auf der anderen Seite]. Aufgrund der neuhinzugetretenen europarechtlichen Aspekte ist ein Ende dieser Auseinandersetzungen auch heute noch nicht absehbar. Das seit der Sechsten GWB-Novelle in § 22 verankerte Empfehlungsverbot wurde in dieser Diskussion im Vergleich zum vorrangig behandelten Kartellverbot des § 1 GWB kaum beachtet. Dabei wird die folgende Untersuchung zeigen, dass sich viele standesrechtliche Maßnahmen einer empfehlungsrechtlichen Überprüfung stellen müssen, um weiterhin in kartellrechtlich unbedenklicher Weise den Wettbewerb beschränken zu können. Im Vordergrund der Untersuchung stehen nicht die viel beachteten Berufsregeln in Gestalt von Gebühren- und Standesordnungen, die entweder unmittelbar vom Staat oder in Ermächtigung von den Kammern erlassen werden, sondern die privatrechtlichen Wettbewerbsbeschränkungen sämtlicher Standesorganisationen. So nehmen insbesondere die gut organisierten privaten Berufs- und Fachverbände in vielfältiger und umfangreicher Weise Einfluss auf das Marktverhalten ihrer Mitglieder. Das marktwirtschaftlich orientierte Verlangen nach einem freien, unbeschränkten Preis- und Leistungswettbewerb trifft bei den Freien Berufen auf ein staatlich reglemetiertes und kontrolliertes Wettbewerbs verhalten der Standesangehörigen. Beide Prinzipien sind trotz ihrer Gegensätze aufgrund der besonderen Bedeutung und Stellung der Freien Berufe in unserer Rechts- und GesellschaftsI Vgl. Emmerich in: ImmengaJMestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 43 u. ders., Kartellrecht, 7. Aufl., § 4 S. 41.
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Einleitung
ordnung weitgehend anerkannt und sollen daher nicht durch die Aufstellung eigener Wirtschaftsmodelle, Wettbewerbstheorien und gesellschaftspolitische Erwägungen in Frage gestellt werden 2 • Die Untersuchung konzentriert sich vielmehr auf die bis heute ungeklärte Abgrenzungsproblematik zwischen dem lex-specialis- Vorrang des staatlichen bzw. staatlich legitimierten Berufsrechts sowie der Anwendbarkeit des Kartellrechts. Nach einer Übersicht zu den grundlegenden Fragen der Zugehörigkeit und Organisationsstruktur der Freien Berufe sowie den verschiedenen Variationen wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen (Erstes Kapitel), beschäftigt sich das zweite Kapitel mit der Überprüfung der Anwendbarkeit des GWB und der Vereinbarkeit standesrechtlicher Empfehlungen mit den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des § 22 GWB. Hintergrund dieser Untersuchung ist die Tatsache, dass in der Kartellrechtstheorie und -praxis im Zusammenhang mit standesrechtlichen Wettbewerbsbeschränkungen fast ausschließlich auf die verschiedenen Tatbestandsvarianten des Kartellverbotes in § 1 GWB zurückgegriffen wird, ohne deren Anwendbarkeit durch eine Abgrenzung zum Empfehlungsverbot in Frage zu stellen. Das dritte Kapitel ist dem Einfluss des europäischen Kartellrechts auf die Freien Berufe gewidmet. Die Situation ist seit einiger Zeit von heftigen Auseinandersetzungen zwischen Standesvertretern und der EU-Kommission geprägt. Während viele Stimmen in der Literatur mit dem zunehmenden Einfluss des Europarechts und dem Streben nach einem freien Wettbewerb im Binnenmarkt das Ende des Standes wesens in Deutschland in seiner jetzigen Gestalt verbinden, wurde die europarechtliche Bewertung bewusst nicht in den Vordergrund dieser Untersuchung gestellt. Ein Vergleich mit der Bewertung der besonderen Stellung der Freien Berufe und der Rechtfertigung von staatlich legitimierten Wettbewerbsbeschränkungen wird zeigen, dass nationale und europäische Maßstäbe näher zusammenliegen, als es der weite Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG zunächst vermuten lässt. Da eine umfassende und detaillierte Würdigung sämtlicher im Bereich der Freien Berufe vorkommenden Empfehlungen den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen würde, werden in einem letzten Abschnitt (Viertes Kapitel) zwei konkrete Beispiele aus der privatärztlichen Gebührenliquidation anhand der zuvor gewonnnen Ergebnisse auf ihre Vereinbarkeit mit § 22 GWB untersucht. Ausgangspunkt ist die privatärztliche Gebührenliquidation, bei der sich das zuvor erwähnte Spannungsverhältnis zwischen freiem Wettbewerb und staatlicher Reglementierung am deutlichsten bemerkbar macht. Dabei geht es zum einen um 2 Dies ist vielmehr die Aufgabe von Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern, so Rittner, Die Beurteilung der Ausnahmebereiche aus wissenschaftlicher Sicht, S. 79 ff.
(82).
Einleitung
19
die Vorgabe bestimmter Steigerungsfaktoren innerhalb des gesetzlich definierten Gebührenrahmens sowie zum anderen um die sog. Analogempfehlungen, die eine Abrechnung von nicht im ärztlichen Gebührenverzeichnis enthaltenen Leistungen erleichtern sollen. Die Grundlage der Untersuchung stellt eine bei sämtlichen ärztlichen Berufs- und Fachverbänden3 durchgeführte Befragung zum privatärztlichen Liquidationsverhalten dar. Diese Fälle sollen zusammen mit anderen Beispielen dazu beitragen, dass sich die kartellrechtliche Untersuchung standesrechtlicher Wettbewerbsbeschränkungen nicht - wie sonst üblich - auf den eigenen und vertrauten Berufsstand der Rechtsanwälte beschränkt4 .
3
de.
Nach dem offiziellen Verzeichnis der Bundesärztekammer sind dies ca. 300 Verbän-
4 So z.B. König, Standesrechtliche Wettbewerbsbeschränkungen im gemeinsamen Markt, S. 216 ff.; Michalski/Römermann, AnwBI. 96, 191 ff. und 241 ff.; Henssler, ZIP 1998, 1212 ff.; Messer, Standes rechtliches Wettbewerbsverbot des Rechtsanwaltes und Kartellrecht; Pietzke, GRUR Int. 1979, 147 ff.
Erstes Kapitel
Grundlagen A. Die Freien Berufe I. Von der Definition zur Enumeration Die Untersuchung der Rolle des kartellrechtlichen Empfehlungsverbotes bei den Freien Berufen bereitet bereits zu Beginn Abgrenzungsschwierigkeiten im Hinblick auf die Erfassung der betroffenen Personengruppe: Es ist nicht möglich, die rund 740.000 selbständigen Freiberufler in Deutschland! unter eine allgemein gültigen Definition des Begriffs der ,,Freien Berufe" zusammenzufassen2 . Es kann weder auf eine einheitliche Legaldefinition noch auf einen allgemein anerkannten Sprachgebrauch zurückgegriffen werden3 . Die Freien Berufe unterliegen aufgrund des sozialen Wandels einer stetigen Anpassung an neue oder überholte Berufsfelder. So können nicht nur die traditionellen Berufe wie Arzt, Architekt und Rechtsanwalt, sondern auch weniger klassische Tätigkeiten wie Bildberichterstatter, Übersetzer und Weinanalytiker zu den Freien Berufen 1 Angabe des BFB für den Beginn des Jahres 2001, im Internet unter http://www.freieberufe.de (19.11.2002). Mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von ca. 4% hat sich die Zahl der selbständigen Freiberufler in Deutschland von 1978 bis 2000 mehr als verdoppelt. Damit ist jeder fünfte Selbständige in Deutschland Freiberufler. Die Zahl der insgesamt in diesem Bereich Erwerbstätigen wird mit über 2,5 Millionen veranschlagt, so Oberlander, Freie Berufe auf dem Weg ins Dritte Jahrtausend, im Internet unter http://www.rrze.uni-erlangen.de/ifb/infos/infofram.htm (10.4.2001). Europaweit betrachtet gibt es mehr als fünf Millionen Freiberufler, vgl. Resolution der Mitgliederversammlung des BFB "Freie Berufe sichern Verbraucherschutz", im Internet unter http://www.freie-berufe.de/presse/reso.pdf (19.7.2002). 2 Ausführlicher und umfassend zu der Begriffsbestimmung der Freien Berufe: Rittner, Unternehmen und freier Beruf als Rechtsbegriffe, S. 18 ff.; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 11-149; Deneke, Die Freien Berufe, S. 61 ff.; ders., Haben die Freien Berufe noch eine Chance, S. 7 ff.; Fleischmann, Die freien Berufe im Rechtsstaat, S. 16 ff.; Gelhausen, Die staatlich gebundenen Berufe und das Kartellgesetz, S. 3 ff.; aus europarechtlicher Sicht: Streinz, Stellung der Freien Berufe im europäischen Markt, S. 57 ff. 3 Vgl. BVerfG v. 25.10.1977 - 1 BvR 15/75 - BVerfGE 46,224 (241 f.); BVerfG v. 25.2.1960 - 1 BvR 239/52 - BVerfGE 10, 354.
1. Kapitel: Grundlagen
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gezählt werden. Der Freie Beruf ist nach Auffassung des BVerfG kein eindeutiger Rechtsbegriff, sondern ein (berufs-)soziologischer Terminus, der seine Wurzeln im frühen Liberalismus hat und von vornherein nicht eindeutig abgrenzbar ist 4 . Als groben Überblick bietet sich die Einteilung in Heilberufe5 , rechts-, steuer- und wirtschaftsberatende Berufe6 , technisch und naturwissenschaftlich orientierte Berufe?, Sozialberufe, Umweltberufe, Kulturberufe 8 sowie Informationsund Kommunikationsberufe an9 • Davon abzugrenzen sind all diejenigen, die ihre Tätigkeit nicht selbständig, sondern in wirtschaftlicher Abhängigkeit ausüben, beispielsweise als Angestellte oder Beamte. Nach der DefInition des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB) qualifIzieren sich die Freien Berufe dadurch, dass sie auf Grund ihrer besonderen beruflichen QualifIkation geistig-ideelle Leistungen auf höchstpersönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Weise im Interesse ihrer Auftraggeber und der Allgemeinheit erbringen. Ihre Berufsausübung unterliegt in der Regel spezifIschen berufsrechtlichen Bindungen nach Maßgabe der staatlichen Gesetzgebung oder des von der jeweiligen Berufsvertretung autonom gesetzten Rechts, welches die Professionalität, Qualität und das zum Auftraggeber bestehende Vertrauensverhältnis gewährleistet und fortentwickelt lO • Bei den vielen offenen Rechtsfragen im alltäglichen Berufsleben der Angehörigen der Freien Berufe helfen solche oder vergleichbar allgemein gehaltene DefInitionsversuche nur bedingt. Hier besteht ein starkes Bedürfnis nach eindeutigen und rechtsverbindlichen Unterscheidungsmerkmalen, da sich aus der Einstufung als freiberufliche Tätigkeit in Abgrenzung zum Gewerbe und Handwerk vor allem steuerrechtliche Konsequenzen ergeben: Zweifelt das Finanzamt - wie zunehmend der Fall - die freiberufliche Tätigkeit an, droht eine GewerbesteuerBVerfG v. 25.2.1960 - I BvR 239/52 - BVerfGE 10,354 (364). Z.B. Humanmediziner (Ärzte und Zahnmediziner), Tierärzte, Apotheker, Therapeuten aller Art. 6 Z.B. Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Unternehmensberater, Notare. ? Z.B. Architekten, beratende Ingenieure, Vermessungsingenieure. S Z.B. Medien- oder Tanzpädagogen. 9 Vgl. BVerfG v. 25.10.1977 - I BvR 15/75 - BVerfGE 46,224 (241 f.) sowie die Einteilung des Instituts für Freie Berufe in Nürnberg unter http://www.ifb-gruendung.de/ (19.7.2002). Den nach wie vor größten Anteil belegen zu knapp 35 Prozent die Vertreter der Heilberufe. Die zweitgrößte Gruppe mit rund 195.000 Mitgliedern bilden die rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Berufe. Im Bereich der technischen Freien Berufe sind die Architekten und Beratenden Ingenieure unter den rund 130.000 Mitgliedern am stärksten vertreten. Die vierte Gruppe schließlich stellen die ca. 153.000 Angehörigen der Freien Kulturberufe. 10 So ein vom BFB nach langer Diskussion gefasster Beschluss auf der Mitgliedersammlung im Jahr 1995, im Internet unter: http://www.freie-berufe.de (19.7.2002); dieser Definition hat sich auch das "Institut für Freie Berufe in Nürnberg" (IFB) angeschlossen. 4
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A. Die Freien Berufe
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pflicht. Der Gesetzgeber erfasst in der steuerrechtlichen Einstufung einer freiberuflichen Tätigkeit nach § 18 EStG alle selbständig ausgeübten wissenschaftlichen, künstlerischen, schriftstellerischen, unterrichtenden oder erzieherischen Tätigkeiten Il. Im Anschluss daran folgt eine für die Praxis unverzichtbare Auflistung der sog. Katalogberufe l2 • Die Aufzählung ist nicht abschließend, sondern endet mit der Gruppe der sog. "dem Katalogberuf ähnlichen Berufen" (auch ,,Analogberufe" genannt) 13. Neben weiteren Gesetzesvorschriften, die den Begriff der ,,Freien Berufe" allerdings ohne nähere Umschreibung verwenden l4 , ist durch das Inkrafttreten des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes (PartGG) am 1. August 1998 eine neue Legaldefinition hinzugekommen, die vergleichbar mit § 18 Abs. 1 EStG neben allgemeinen QualifIkationen auf eine Enumeration der Berufsgruppen zurückgreift l5 . 11 Zum Teil verweisen auch andere Vorschriften auf diese Legaldefinition, z.B. § 96 BewG; als Abgrenzung vg\. auch die steuerrechtliche Einstufung einer gewerblichen Tätigkeit in § 15 EStG. 12 Dazu zählen: Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Rechtsanwalt, Notar, Patentanwalt, Vermessungsingenieur, Ingenieur, Architekt, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratender Volks- oder Betriebswirt, vereidigter Buchprüfer (vereidigter Bücherrevisor), Steuerbevollmächtigter, Heilpraktiker, Dentist, Krankengymnast, Journalist, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotse. l3 Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ist zu beachten, dass nur bei einem Teil der Katalogberufe eine eindeutige Eingrenzung nach geschützten Berufsbezeichnungen möglich ist, während andere Berufsbenennungen als Sammelkategorien zu betrachten sind (z.B. der "beratende Volks- und Betriebswirt"); eine Zuordnung zu den Freien Berufen kann daher nur im Einzelfall vorgenommen werden. Ein Beruf ist einem sog. Katalogberuf ähnlich, wenn das typische Bild einer der dargestellten freiberuflichen Tätigkeiten mit all ihren Merkmalen dem Berufsbild der zu beurteilenden Tätigkeit vergleichbar ist: so muss das Berufsbild auf einer vergleichbar breiten Vor- bzw. Ausbildung beruhen und die Beratungstätigkeit sich auf einen vergleichbar breiten betrieblichen Bereich erstrecken, vg\. BFH v. 31.7.1980 - I R 66/78 - BFHE 132,22 = BStB\. 11 1981, 121; BFH v. 4.8.1983 - IV R 6/80 - BFHE 139, 84 = BStB\. 11 1983,677; BFH v. 13.4.1988 - IR 300/83 - BFHE 153,222 = BStB\. 11 1988,666, m.w.N.; vg\. auch Engel/Oberlander, Freier Beruf oder Gewerbe, S. 5 u. 7 sowie einer umfangreichen Auflistung der Analogberufe mit Rechtsprechungsbelegen ab S. 9 ff. 14 So z.B. § 13 BauNVO; § 1 Abs. 5 BBiG; § 3 Abs. 4 IHKG; § 2 Abs. 6 Nr. 10; KredWG; § 2a Abs. 1 Nr. 6 WpHG. 15 Gern. § 1 PartGG haben die Freien Berufe "im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt". Interessant sind vor allem die Unterschiede in der Enumeration zwischen EStG und PartGG. So werden im Letzteren Hebammen und Heilrnasseure, Diplom-Psychologen, Mitglieder der Rechtsanwaltskammern sowie die hauptberuflichen Sachverständigen in den Katalog aufgenommen. Demgegenüber wird auf die Nennung von Vermessungsingenieuren und Dentisten
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1. Kapitel: Grundlagen
Die verschiedenen DefInitionen zeigen, dass es eine Fülle von Versuchen gibt, die Freien Berufe mit umschreibenden, für sie charakteristischen Merkmalen einzugrenzen. Aber selbst die steuerrechtlich so relevante Unterscheidung zur gewerblichen Tätigkeit l6 eignet sich nur noch bedingt als brauchbares Abgrenzungskriterium. Zwar weisen einige Gesetzesformulierungen ausdrücklich darauf hin, dass die Freiberufler kein Gewerbe ausüben 17 , mittlerweile ist jedoch kaum zu übersehen, dass die freiberufliche Tätigkeit nicht nur von ihrem Berufsethos geprägt ist, sondern wie die gewerblichen Wirtschaft nach möglichst hohem Einkommen und bestmöglicher Gewinnerzielung strebt 18. Das klassische Verständnis des Freien Berufes als Antithese zum Gewerbe verschwindet zunehmend l9 . Im Ergebnis kommen daher sämtliche allgemein gehaltene DefInitionsversuche nicht um eine enumerative Auflistung der einzelnen Berufsfelder herum. Nur so ist eine umfassende Zuordnung möglich, die dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Bestimmtheit genügt. Zu dieser Schlussfolgerung ist auch der Gesetzgeber in § 18 Abs. I EStG sowie § 1 PartGG gekommen. Der BFB veröffentlicht neben dem bereits erwähnten DefInitionsversuch ebenfalls eine umfangreiche Liste mit einer Zuordnung der einzelnen Berufsbezeichnungen, die auf der Selbsteinschätzung der jeweiligen Berufsgruppe beruht2o . Das Institut der Freien Berufe Nürnberg (lFB) kommt den Unsicherheiten von Berufsneueinsteigern dadurch entgegen, dass diesen eine Info-Broschüre zur Verfügung geverzichtet. Diese Unterscheidung ist nicht etwa auf eine abweichende Rechtsauffassung des Gesetzgebers zurückzuführen, sondern ist vielmehr ein Beleg für die bereits angesprochene Dynamik des Begriffs der "Freien Berufe" durch eine ständige Fortentwicklung der Arbeitsfeldern und den sozialen Wandel. 16 Die gewerbliche Tätigkeit kann mit der handwerklichen und landwirtschaftlichen Tätigkeit unter den Sammelbegriff der wirtschaftlichen Tätigkeit gefasst werden, vgl. Tettinger, Kammerrecht, S. 33. 17 Vgl. § 2 Abs. 1 BRAO; § 2 Abs. 2 PatAnwO; § lAbs. 2 WPO; § 1 Abs. 2 BÄO; § 1 Abs. 4 ZHG; § 1 Abs. 2 BTO; etwas anderes gilt bei den Apothekern, die ein Gewerbe betreiben und zum Teil dennoch zu den Freiberuflern gezählt werden, vgl. BVerfG v. 13.2.1964 - 1 BvL 17/61, 1 BvR 494/60,128/61 - BVerfGE 17,232 (239); BVerwG v. 5.9.1991 - 3 N 1/89 - NJW 1992,994 (994). 18 Vgl. § 4 Abs. 1 EStG; so auch Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 105. Bei nicht trennbaren Tätigkeiten, die sowohl freiberufliche als auch gewerbliche Elemente beinhalten, zwischen denen ein gewisser sachlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang besteht, ist nach dem Gesamtbild der beruflichen Situation zu entscheiden, ob die gemischte Tätigkeit insgesamt freiberuflich oder gewerblich ist (Geprägetheorie); dies gilt nicht für parallel wahrgenommene, trennbare Tätigkeiten freiberuflicher und gewerblicher Natur (z.B. ein Architekt oder Bauingenieur, der gewerbliche Grundstückskäufe tätigt oder ein Arzt, der neben der Heilbehandlung Medikamente verkauft ), s. BFH v. 30.3.1994, BStBI. II, 865; konkrete Abgrenzungsbeispiele bei Engel/Oberlander, Freier Beruf oder Gewerbe, S. 32 f. 19 Tettinger, GewAreh 1999,265 (265). 20 Im Internet unter http://www.freie-berufe.de (19.7.2002).
A. Die Freien Berufe
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stellt wird, die anband eines Fragebogens und eines Prüfungsschemas die eigene Einordnung als Freiberufler erleichtern so1l2l.
n. Eingrenzung Die kartellrechtliche Untersuchung befasst sich im Folgenden mit den sog. "verkammerten" Freien Berufen. Dabei handelt es sich um Berufsangehörige, die kraft Gesetzes Mitglieder einer Berufskammer sind und deren Tätigkeit Berufsregeln unterliegt, die ihre Wettbewerbsfreiheit vor allem durch Werbeverbote und staatliche Gebührenordnungen einschränken22 • Zu ihnen zählen die klassischen Freien Berufe wie Architekt, Ingenieur, Notar, Patentanwalt23 , Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, sowie Hurnan- und Tierarzt. Diese Freiberufler zeichnet in der Regel aus, dass die intellektuell geprägte Dienstleistung eine besondere, meist universitäre Ausbildung und eine hohe berufliche Qualifikation voraussetzt, die durch Prüfungen unter Beweis gestellt werden muss und der permanenten Aufsicht der Kammern unterliegt. Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Berufsgruppen, die berufsrechtlich ungebunden sind, wie beispielsweise Psychologen, Heilpraktiker24 , Krankengymnasten, Dolmetscher und Unternehmensberater. Aber auch in diesem Bereich gibt es wettbewerbsbeschränkende Berufsregeln, die von den jeweiligen Standesvertretungen als privatrechtliehe Berufsordnungen auf vereinsrechtlicher Basis erlassen werden. Durch die Eingrenzung auf die verkammerten Freien Berufe wird nicht etwa ein potentiell bedeutender Anwendungsbereich des Empfehlungsverbotes übergangen. Vielmehr kann für diese Fälle grundsätzlich auf die Ausführungen zu den privaten Standesorganisationen der kammerpflichtigen Freiberufler verwiesen werden, die wettbewerbsbeschränkende Regelungen ebenfalls nur auf privatrechtlicher Basis erlassen können.
m. Die Organisationsstruktur der Freien Berufe Bei der Überprüfung der verschiedenen standesrechtlichen Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit dem kartellrechtlichen Empfehlungsverbot kommt es 21 Engel/Oberlander, Freier Beruf oder Gewerbe, S. 4 f.; auch im Internet unter http://www.ifb-gruendung.de/(6.11.200 1). 22 Ausführlich zum Kammerwesen unter m. 1. 23 Die Patentanwälte verfügen über keine gesetzlich verbindliche Gebührenordnung, aber über eine Berufsordnung. Die Kosten setzen sich in der Regel aus einem fixen Grundhonorar und aus einem vom Arbeitsaufwand abhängigen Bearbeitungshonorar zusammen. Eine Abrechnung nach der BRAGO ist ebenfalls möglich. 24 Ausführlich zum Berufsstand der Heilpraktiker und deren privaten Standes regeln Gleißner-Klein, Private Standes regeln im Wettbewerbsrecht, S. 161 ff.
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I. Kapitel: Grundlagen
insbesondere darauf an, von wem die wettbewerbsbeschränkende Verhaltensregel aufgestellt wurde und wie diese rechtlich zu qualifIzieren ist. Dabei spielt die freiberufliche Organisationsstruktur mit ihren Besonderheiten eine wichtige Rolle. 1. Das Kammersystem
a) Allgemeines
Neben dem Industrie-, Handels- und Handwerksgewerbe 25 sind auch die Freien Berufe durch die Organisation in Kammern geprägt26 . Die Grundlagen der berufs ständischen Kammern von heute gehen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurück und haben ihren Ursprung in dem Bestreben der Freien Berufe, sich durch Selbstdisziplinierung der staatlichen Aufsicht zu entziehen27 • Als Vorläufer der berufsständischen Kammern entstanden private Vereinigungen, die wie der Hartmannbund teilweise noch heute bestehen. Unter dem Begriff der "Kammern" werden in der Regel die zwangsmitgliedschaftlieh verfassten, vom Wechsel der Mitglieder unabhängigen Körperschaften des öffentlichen Rechts verstanden, die zur mittelbaren Staatsverwaltung gehören28 • Allerdings treten einige Standesorganisationen, die zu den rein privaten Vereinigungen gehören und ihre Existenz im Gegensatz zu den erstgenannten Kammern nicht auf einen Hoheitsakt, sondern auf ihrer Privatautonomie gründen, dennoch unter der Bezeichnung "Kammer" auf 9 . Im Wege der Selbstverwaltung hat der Staat Aufgaben, die im allgemeinen Interesse erfüllt werden müssen (Daseinsvorsorge )30, auf selbständige juristische Personen des öffentlichen Rechts mit eigener Entscheidungsbefugnis übertra-
25
5 ff.
Zu den Industrie-, Handels- und Handwerkskammern, s. Tettinger, Kammerrecht, S.
26 Auch in anderen Ländern ist das Kammersystem bekannt. So gibt es z.B. in Österreich ein Pflichtkammersystem, das bis auf die Berufsgruppe der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes praktisch alle Angestellten und Selbständigen erfasst, und das im Gegensatz zu Deutschland sogar ausdrücklich in der dortigen Bundesverfassung verankert ist. Ausführlich zum Kammersystem Tettinger, Kammerrecht, mit umfangreichen statistischer Daten auf S. 249 ff. 27 Tettinger, Kammerrecht, S. 57 ff. 28 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 37 ff. 29 Beispiel "Bundesärztekammer", "Bundesingenieurkammer", "Bundes architektenkammer"; vgl. auch B. II. 4 a). 30 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rz. 6; vgl. Ausführungen zu B. I.
A. Die Freien Berufe
27
gen3!. Aus der Selbstverwaltung resultiert eine schwierige janusköpfige Funktion der Kammern. Zum einen haben sie im Interesse der Allgemeinheit die Aufgabe, Ptlichten ihrer Mitglieder durch Berufsordnungen zu regeln und deren Einhaltung zu überwachen32 , zum anderen sollen sie die berufs ständischen Interessen ihrer Mitglieder in der Öffentlichkeit vertreten 33 . Die Kammern werden kraft Gesetzes ermächtigt, ihre Angelegenheiten üblicherweise in Form von Satzungen näher auszugestalten 34 . Das Satzungsrecht ist Bestandteil des Selbstverwaltungsrechts 35 , das eine selbständige, fachweisungsfreie Wahrnehmung eigener öffentlicher Aufgaben durch unterstaatliche Träger oder Subjekte öffentlicher Verwaltung garantieren so1l36. Die Satzungskompetenz im Bereich der berufsständischen Selbstverwaltung soll in erster Linie dazu dienen, einzelne Berufsausübungsptlichten, die der Gesetzgeber nur generalklauselartig verfasst hat, zu konkretisieren, wovon auch umfangreich durch entsprechende Berufsordnungen Gebrauch gemacht wurde. Die Kammern unterstehen dabei der staat-
31 Ausführlich zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, Tettinger, Kammerrecht, S. 124 ff.; seit dem "Facharzt-Beschluss" des BVerfG (Urteil v. 9.5.1972 - 1 BvR 518/62 u. 308/64 - BVerfGE 33, 125) wurden dieser Aufgabenübertragung im Weg der Satzungsautonomie jedoch auch Grenzen aufgezeigt, s. Tettinger, Kammerrecht, S. 79. 32 Vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 3 ArchG BaWü; BGH v. 19. März 1991 - KVR4/89 - Warenproben in Apotheken, WuW/E BGH 2688 (2688); im Angelsächsischen haben die Haftpflichtversicherer die Aufgabe von Kammern bei der Kontrolle von Leistungen übernommen, wodurch aber lediglich eine nachträgliche Sanktion standeswidrigen Verhaltens ermöglicht wird. 33 Laujs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 2; vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 4 IngKammG BaWü; § 54 PatAnwO; § 76 Abs. 1 StBerG; §§ 1 Abs. 1 S. 1,57 Abs. 1 WPO; hinzu kommen Funktionen wie die Förderung der beruflichen Fortbildung der Kammermitglieder (vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 5 ArchG BaWü; § 2 Abs. 1 Nr. 5 IngKammG BaWü), die Schlichtung von Streitigkeiten (vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 7 ArchG BaWü; § 2 Abs. 1 Nr.9 IngKammG BaWü) und die Beratung bei Abrechnungsfragen. Durch Vorschläge und Stellungnahmen an die Regierung und Politik wirken die Kammern ferner an den für die jeweilige Berufsgruppe relevanten Gesetzen und Verordnungen zugunsten ihrer Mitglieder mit. Nicht zuletzt sind die Kammern auch Anlauf- und Beschwerdestelle für den Verbraucher in Bezug auf die Einhaltung von Standards und die Erbringung der Leistung lege artis; zur Problematik der Förderung gewerblicher/wirtschaflicher Interessen durch Kammern, s. Grunewald, NJW 2002, 1369 ff. 34 Vgl. § 78 StBerG, § 57 Abs. 3 u. 4 WPO, § 59b BRAO. 35 Verankert in Art. 28 Abs. 2 GG; zum gemeinsamen geschichtlichen Hintergrund von kommunaler und standesrechtlicher Selbstverwaltung, s. Tettinger, Kammerrecht, S. 68 ff. 36 Tettinger, Kammerrecht, S. 33. Das Selbstverwaltungsrecht ist insbesondere im Zusammenhang mit den Gemeinden bekannt, wobei es sich bei den Berufskammern jedoch nicht wie bei den Gemeinden um Gebietskörperschaften, sondern um Personenkörperschaften handelt.
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1. Kapitel: Grundlagen
lichen Rechtsaufsicht 37 , jedoch keiner Zweckmäßigkeitskontrolle38 • Die neuere Entwicklung schien zumindest vor einigen Jahren noch in die Richtung eines weiteren Ausbaues der Ständeorganisationen durch zusätzliche Verkammerungen zu gehen39 . Dabei hat sich jedoch ein heftiger Streit um die Zwangsmitgliedschaft entfacht. Diese wird immer wieder mit der zuvor beschriebenen Übertragung öffentlicher Aufgaben gerechtfertigt4o . Letztlich steht bei der Frage, ob die Ptlichtmitgliedschaft nicht besser durch eine freiwillige Mitgliedschaft ersetzt werden sollte, die eigentliche Entscheidung im Vordergrund, ob die hoheitlichen Aufgaben nicht ebenso oder vielleicht besser von Privaten41 erfüllt werden könnten, wofür es in anderen Bereichen bereits bewährte Beispiele gibt42 . Dabei handelt es sich jedoch in erster Linie um eine politische Diskussion, die hier nicht weiter vertieft werden soll. Momentan bleibt es bei einem berufs ständischen System, das die Freiberufler mittels Zwangsbeiträgen selbst finanzieren müssen. b) Regionalkammern und Bundeskammern
Bei den öffentlichrechtlichen Kammern ist zwischen Bundeskammern und Landes- bzw. Regionalkammern43 zu unterscheiden. Letztere können sowohl auf der Grundlage der jeweiligen Landeskammergesetze44 als auch durch bundesrechtliche Regelung45 errichtet werden.
37 Vgl. § 27 ArchG BaWü; § 11 IngKammG BaWü; ausführlicher Tettinger, Kammerrecht, S. 236 f.; LaufslUhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 12. 38 Ziel der Rechtsaufsichtskontrolle ist es, die Kammern dahingehend zu überwachen, dass sie ihre öffentlichrechtlichen Pflichten erfüllen, ihre Kompetenzen nicht überschreiten und die gesetzlichen Verfahrens vorschriften beachten. 39 Im Gespräch waren eine 10urnalistenkammer, Fahrlehrerkammer, Heilpraktikerkammer und Pflegekammer, sowie die Verkammerung der pharmazeutischen Industrie, s. Tettinger, BRAK-Mitt. 1995,98 (103), ders., Kammerrecht, S. 246. 40 Zur Verkammerung mit Pflichtmitgliedschaft als Grundrechtseingriff s. Pietzcker, NJW 1987, 305 ff.; Tettinger, Kammerrecht, S. 87 ff.; zwischenzeitlich hat sich gegen die Pflichtmitgliedschaft ein massiver Widerstand gebildet, für den anschaulich und beispielhaft die Gründung eines Vereins mit der selbstredenden Bezeichnung "lliKVerweigerer e.V." genannt sei. 41 Stichwort: Beliehene. 42 TÜV und DEKRA. 43 So z.B. bei Rechtsanwälten und Notaren, die jeweils nach Zulassung bzw. Bestellung in einem OLG Bezirk zu einer Kammer zusammengefasst sind (§ 60 BRAO; § 65 ff. BNotO); zum Teil gibt es weitere Untergliederungen, die in der Regel jedoch rechtlich unselbständige Einrichtungen der jeweiligen Landes- bzw. Regionalkammer sind. 44 Vgl. § 1 IngKammG BaWü; § 10 Abs. 1 ArchG BaWü, sowie die verschiedenen Landeskammergesetze der Heilberufe. 45 Vgl. § 60 BRAO; §§ 65 ff. BNotO; § 73 f. StBerG.
A. Die Freien Berufe
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Die Bundeskammern stellen als Verbandskörperschaften organisiert einen Zusammenschluss der jeweiligen Regionalkammern dar, sodass die einzelnen Freiberufler ihr nur mittelbar als Mitglied in der Regionalkammer angehören. Die Patentanwälte und Wirtschaftsprüfer hingegen werden direkt von einer Bundeskammer erfasst46 • Einige Kammern auf Bundesebene sind - auch wenn die Bezeichnung dies zunächst vermuten lässt - nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern als freiwillige, privatrechtliche Vereine organisiert. Da die auf landesrechtlicher Grundlage errichteten Kammern kompetenzbedingt nur auf Landesebene tätig werden können, bleibt den verschiedenen Bundeskammern der Freien Heilberufe47 sowie der ,,Bundesingenieur"- und ,,Bundesarchitektenkammer" als Zusammenschluss auf Bundesebene nur die Möglichkeit einer privatrechtlichen Organisationsform ohne öffentlichrechtlichen Status. Dies verdeutlichen auch die oft unbekannten offiziellen Verbandsnamen48 • Bundesrechtsanwaltskammer, Bundesnotarkammer und Bundessteuerberaterkammer besitzen hingegen, wie auch die jeweiligen regionalen Kammern49 , den Status einer öffentlichrechtlichen Körperschaftso. Bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts können gern. Art. 87 Abs. 3 GG nur für Angelegenheiten errichtet werden, für die dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zusteht. Fehlt die entsprechende bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage, besitzt die Standesorganisation auch keine Kompetenz zum Erlass von verbindlichen Rechtsnormen. Während die öffentlichrechtlichen Bundeskammern in erster Linie im Rahmen der DaseinsvorsorgeS1 tätig werden, widmen sich die privatrechtlichen Bundeskammern dem ständigen Erfahrungsaustausch unter den Regionalkammern und der gegenseitige Abstimmung ihrer Ziele und Tätigkeiten, insbesondere bei der Hinwirkung auf eine möglichst einheitliche Regelung der BerufspflichtenS2 • Dieses Ziel wird u.a. durch den Erlass sog. Musterberufsordnungen erreicht, die meist wortwörtlich und in kartellrechtlich bedenklicher Weise von den Landeskammern übernommen werden.
46 Die Wirtschaftsprüferkammer ist Träger der beruflichen Selbstverwaltung aller Wirtschaftsprüfer, vereidigten Buchprüfer, Wirtschafts prüfungs gesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften in Deutschland; der Patentanwaltskammer (PAK) gehören per Gesetz alle deutschen Patentanwälte an. 47 Bundesärzte-, Bundeszahnärzte-, Bundestierärzte- und Bundesapothekerkammer. 48 "Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Ärztekammern", "Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Zahnärzte e.V.", "Gemeinschaft der deutschen Tierärztekammern", "Bundesgemeinschaft der Architektenkammern", "Bundesgemeinschaft der deutschen Ingenieurkammern". 49 Vgl. § 62 Abs. 1 BRAO; § 66 Abs. 1 BNotO; § 73 Abs. 2 StBerG. 50 Vgl. § 176 Abs. 1 BRAO; § 77 Abs. 1 BNotO; § 85 Abs. 2 StBerG. 51 Vgl. oben unter a). 52 Vgl. § 2 der Satzung der BÄK, im Internet: http://www.baek.de/05/20Funktionl 15Satzung.html (19.7.2002).
1. Kapitel: Grundlagen
30
2. Private Berufs- und Fachverbände
Im Gegensatz zu den meisten Kammern handelt es sich bei den Berufs- und Fachverbänden immer um privatrechtliche Zusammenschlüsse. Insbesondere im Bereich der Heilberufe gibt es in Ergänzung zum Kammerwesen ein ausgeprägtes privates Verbandssystem53 . Aber auch in anderen Berufszweigen gibt es spezialisierte Interessenszusammenschlüsse auf Vereinsbasis54 , die fachspezifische Funktionen und Aufgaben wahrnehmen, mit denen die Kammer als Gesamtinteressensvertretung einer Berufsbranche überfordert wäre 55. Daneben existieren Organisationen, die sich ausschließlich mit Fragen und Problemen zur Honorar- bzw. Gebührenordnung befassen56 oder sich den Belangen der Freien Berufe ganz allgemein und über die Grenzen der einzelnen Tätigkeitsfelder hinaus widmen57 . Generell kann bei den privaten Zusammenschlüssen und ihren Beteiligungen an wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen zwischen sog. Berufsverbänden einerseits und Fachverbänden andererseits differenziert werden. Während sich die Berufsverbände vornehmlich oder sogar ausschließlich mit standesrechtlichen d.h. auch wettbewerbsrelevanten Problemen beschäftigen, beschränkt sich das Engagement der Fachverbände in kartellrechtlich meist unbedenklicher Weise auf die wissenschaftliche Forschung58 .
Vgl. 4. Kapitel: B. m 3. und C. N. 4. Für den Bereich der Ingenieure z.B. der Verband beratender Ingenieure e.V. (VBI) sowie der Verein deutscher Ingenieure (VDI). 55 So muss z.B. die BÄK die Interessen von 363.396 Ärzten vertreten (Stand 31.12.1999). 56 Z.B. der sog. "Ausschuss der Ingenieurverbände und Ingenieurkammern für die Honorarordnung e.V." (AHO), der seit 1923 ausschließlich für die Honorar- und Wettbewerbsinteressen seiner Mitglieder eintritt; viele Ärzte bedienen sich des Angebotes sog. Verrechnungsstellen, die als berufsständische Ärzteorganisationen die Honorarliquidation für die Ärzte übernehmen und in gebührenrechtlichen Fragen beraten, s. im Internet unter http://www.pvs.de(19.7.2002);vgl.auchUnterrichtungdurchdieBundesregierung.BRDrucks. 625/85, S. 21. 57 Der BFB setzt sich als Spitzenorganisation aller freiberuflichen Kammern und Verbände laut Satzung "für alle berufsübergreifenden Bestrebungen der Angehörigen der Freien Berufe sowie für die Erhaltung und den Ausbau der Freien Berufe ein", zur Rolle des BFB Teuinger, NJW 1987, 294 (301); ders., BRAK-Mitt. 1995,98 (102); ders., Kammerrecht, S. 156 ff. Das Institut für Freie Berufe in Nürnberg (IFB) sowie das Forschungsinstitut Freie Berufe der Universität Lüneburg (FFB) beschränken sich auf die wissenschaftliche Erforschung von Problemen freiberuflicher Tätigkeit und erarbeiten inhaltliche Analysen, Informationen und methodische Instrumente zur Lage, Struktur und Entwicklung der Freien Berufe im Umfeld von Selbständigkeit und wachsender Bedeutung von Dienstleistungen. 58 Vgl. 4. Kapitel: B. III. 3; das schließt aber nicht per se einen Bezug zu gebührenrechtlichen u. wettbewerbsrelevanten Abrechnungsfragen aus, vgl. 4. Kapitel: C. IV. 4. 53
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B. Wettbewerbsbeschränkungen in den Freien Berufen
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B. Wettbewerbsbeschränkungen in den Freien Berufen I. Schutz vor Wettbewerb statt Schutz des Wettbewerbs Die Ordnung der Freien Berufe ist durch viele hoheitliche aber auch privatrechtliche Regulierungen und Maßnahmen geprägt, die den Wettbewerb der Freiberufler untereinander beschränken. Sowohl auf nationaler wie europäischer59 Ebene sind diese Standesregeln Gegenstand zahlreicher politischer und rechtlicher Auseinandersetzungen zwischen Standesvertretern und Gegnern eines monopolisierten Berufssystems. Eine im Auftrag des Bundesministeriurns für Wirtschaft tätige Deregulierungskommission beschäftigte sich bereits Anfang der 90er Jahre mit der Frage, ob Berufsordnungen markt widrige Regulierungen beinhalten, die die Berufsträger nur vor unliebsamer Konkurrenz schützen sollen6o . Die Freiberufler und ihre Standesvertreter berufen sich in erster Linie auf die besondere Situation und Stellung der Freien Berufe im Gesellschaftssystem, die eine Einschränkung des freien Wettbewerbsprinzips rechtfertigen soll. Nach ihrer Überzeugung würden Anwälte, Ingenieure, Ärzte usw. keine Dienstleistung im gewöhnlichen und kommerziellen Sinne anbieten, sondern dem Wohl der Allgemeinheit und den Belangen des Bürgers dienen. Sie würden eine vorsorgende Rechtspflege, die technische Sicherheit oder das funktionierende Gesundheitswesen garantieren. Der Staat habe im Rahmen seiner Daseinsvorsorge61 die Grundversorgung der Bürger mit wichtigen Dienstleistungen auf hohem Qualitätsniveau zu vertretbaren Preisen in die Hand der Freiberufler gelegt62 . Ein wesentlicher Unterschied zu einfachen gewerblichen Leistungen oder zum Güterverkehr bestehe in dem oft direkten und persönlichen Kontakt mit den Kunden. So würden sich freiberufliche Dienstleistungen meist unmittelbar auf den Körper, die Gesundheit, das Vermögen und andere bedeutende Güter und Interessen von Menschen auswirken. Grundlage für die erfolgreiche Erbringung freiberuflicher Dienstleistungen sei daher ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Freiberufler und Patient, Mandant oder Klient 63 . Dem wird entgegengehalten, dass auch viele andere Berufe und Wirtschaftszweige für sich in Anspruch nehmen würden, dass ihre Leistungen höhere Gemeinschaftsgüter beträDazu ausführlich 3. Kapitel: H. Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 102 ff.: so wird z.B. im Vorschlag Nr. 66 (S. 111) gefordert, die verbindlichen Gebühren der BRAGO durch Referenztarife zu ersetzen. 61 Vgl. A. m. 1. 62 Auch eine Art des "outsourcing", um die staatlichen Institutionen und den Haushalt zu entlasten. 63 Lach, Formen Freiberuflicher Zusammenarbeit, S. 10 ff.; Schäuble, Die berufs rechtliehe Stellung der Wirtschaftsprüfer in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, S. 43 ff. 59
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fen 64 • Auch wenn die Standesvertreter eingestehen, dass ihre Berufsregeln Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs beinhalten, und eine weitgehende Deregulierung sinkende Preise zur Folge haben könnte - eine Erkenntnis, die Adam Smith bereits 1776 festgehalten hat 65 - so sei eine staatliche Regulierung dennoch aus Gründen des Verbraucherschutzes unerlässlich und gerechtfertig. Es wird eindringlich vor den negativen Folgen eines freien Preiswettbewerbs innerhalb der Freien Berufe gewarnt. Es entstünden nicht absehbare Folgen, wenn wirtschaftlich unlukrative Dienstleistungen nicht mehr angeboten würden und die flächendeckende Versorgung nicht mehr gewährleistet sei. Vor allem aber hätte eine minderwertige Qualität zu Dumpingpreisen in Operationssälen und auf Baustellen aufgrund irreversibler Schäden besonders verhängnisvolle Auswirkungen. Zur Erhaltung der hohen Qualität freiberuflicher Dienstleistungen seien anstelle einer ungezielten Deregulierung Berufsrechte und die Überwachung ihrer Einhaltung durch die Mitgliedsstaaten im Interesse des Verbrauchers unverzichtbar. Während die Standesvertreter gerne vor "amerikanischen Verhältnissen" mit "freigelassenen Horden hungriger Anwälte,,66 und Patienten, die erst mit dem Notfalloperateur den Preis aushandeln müssten, warnen67 , weisen andere gerade auf das Vorbild USA hin. So würden Erfahrungen in den USA68 und Großbritannien belegen, dass weitgehende Liberalisierungen einen besseren Zugang des Publikums zu den Dienstleistungen, Preissenkungen, eine größere Effizienz und Innovation sowie einen leichteren Zugang neuer Berufsangehöriger zu der Profession ermöglicht hätten 69 . Die Standesvertreter sehen sich wiederum durch die aktuelle Entwicklung am Beispiel der Wirtschaftsprüfer bestätigt. Dort werde
64 So Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 105: dabei werden als Beispiele die Wach- und Schließdienste zum Schutz von Hab und Gut, die Autohersteller zur Mobilität und damit Freizügigkeit der Bevölkerung und die pharmazeutische Industrie zur Volksgesundheit genannt. 65 Smith, An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations (Der Wohlstand der Nationen), Erstes Buch, 10. Kapitel (Lohn und Gewinn bei verschiedener Verwendung). 66 Tettinger, NJW 1987,294 (299). 67 So hätte die Privatisierung des Gesundheitswesens in den USA und in Großbritannien, sowie der Stromversorgung in Kalifornien zu verheerenden Konsequenzen geführt, da die Profitinteressen die Oberhand über alle Gemeinwohlbelange gewonnen hätten, so Stellungnahme der NBotK vom 1.6.2001 zu den Thesen und Forderungen der EUKommission zur Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor, im Internet unter: http://www.bundesnotarkammer.de (19.7.2002). 68 Zu den standesrechtlichen Wettbewerbsverboten des Rechtsanwalts in den USA, s. Pietzke, GRUR Int. 1979, 147 ff. 69 Michalski/Römermann, AnwB11996,191 (197) m.w.N.
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nach spektakulären Untemehmenskrisen70 der umgekehrte Weg eingeschlagen und statt der Abschaffung von Standesregeln zusätzliche Kontrollmechanismen hinzugefügt 71 • Trotz der hochrangigen Ziele der Qualitätssicherung und des Verbraucherschutzes gestehen aber selbst die Vertreter der ordoliberalen Schule ein, dass der Ausschluss des Wettbewerbs auch erhebliche Gefahren und Nachteile in sich birgt, da man durch die Selbstverwaltung in Form der Ermächtigung zum Erlass von Berufsregeln die Ordnung des Wettbewerbs zur eigenen Angelegenheit der Freiberufler und ihrer Verbände macht 72.
ll. Formen wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen 1. Berufsrecht - Kammerrecht - Standesrecht
Aus dem Streben nach Unabhängigkeit von staatlicher Bevormundung bei der Berufsausübung und dem Wunsch nach treuhänderischer Selbstverantwortung entwickelte sich ab dem 19. Jahrhundert in Deutschland ein Kodex beruflicher Verhaltensnormen73 . Dessen Legitimation leitet sich aus dem Gestaltungswillen des Gesetz- und Verordnungsgebers, aus staatlich konzessioniertem Selbstverwaltungshandeln und der privatrechtlich organisierten Willensbildung der Berufsträger ab. Mittlerweile gibt es bei den Freien Berufen zahlreiche Wettbewerbsbeschränkungen, meist in Form von Berufs- und Gebührenordnungen oder anderen Maßnahmen, die den Wettbewerb zwischen den Standesangehörigen regulieren. Dies reicht von formellen Gesetzen über kammerrechtliche Satzungen bis hin zu Berufsregeln auf privatrechtlicher Vereinsbasis und standesrecht-
Z.B. Schneider, Philipp Holzmann, FlowTex, Enron, WoridCom u.v.a. Ergebnis ist heute eine Überwachung der Einhaltung der Prüfungsqualitätsstandards im Rahmen der Selbstverwaltung des Berufsstandes (sog. Peer-Review-System), womit auch einer Forderung der europäischen Kommission nachgekommen wurde; vgl. §§ 57 ff. WPO, insb. § 57c WPO, der die Ermächtigung der Wirtschaftsprüferkammer zum Erlass einer Satzung für Qualitätskontrolle enthält. Die Überwachung übernehmen fremde Mitglieder des Berufststandes; im Gegensatz zur internen Qualitätskontrolle, bei der eine Kollegin oder ein Kollege (entweder aus der eigenen Kanzlei oder Gesellschaft bzw. von einer anderen Niederlassung) als Träger der Qualitätskontrolle tätig wird; in Betracht gekommen wäre auch eine Kontrolle durch eine berufständische Organisation bzw. eine staatliche Stelle von Amts wegen (sog. monitoring), s. Göhner, DStR 2000, 1404 (1405); vgl. Grünbuch: Rolle, Stellung und Haftung des Abschlussprüfers in der Europäischen Union, ABI. C 321 v. 28.10.1996 S. 1 ff. 72 Vgl. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 6 (in Bezug auf gewerbliche Wettbewerbs regeln); Rittner, in: FS für Kraft, S. 528 f. 73 Wailewski, BZB 1998, 13. 70
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lichen Sanktionsmaßnahmen74 • In der Literatur werden die Begriffe ,,Berufsrecht", "Kammerrecht" und "Standesrecht" uneinheitlich, teils allumfassend, teils beschränkt auf kammerrechtliche Standesregeln im Rahmen der Selbstverwaltungshoheit verwendet75 • Wie schon beim Begriff der ,,Freien Berufe" fehlt auch hier eine allgemein verbindliche Legaldefinition76 • Der anschließenden Untersuchung soll daher folgende Begriffsbestimmung zu Grunde liegen: Zum Berufsrecht als allgemeinem Oberbegriff sind sämtliche Berufsausübungs- sowie Berufszulassungsregeln i.S.d. Art. 12 GG zu zählen. Der Begriff des "Standesrechts" steht für das in Selbstverwaltungsangelegenheiten erlassene Berufsrecht, nicht jedoch für unmittelbar vom Staat erlassene Gesetze oder Verordnungen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem kammerrechtlichen Standesrecht (oder Kammerrecht), welches auf der Grundlage staatlicher Ermächtigungsgrundlagen von Kammern erlassen wird, und dem privatrechtlichen Standesrecht. Zu Letzterem zählen nicht nur alle auf vereinsrechtlicher Basis erlassene Maßnahmen der privaten Standesorganisationen, sondern auch Regelungen der Kammern, die nicht mehr vom staatlichen Berufsrecht gedeckt sind und daher nicht hoheitlich, sondern privatrechtlich sind 77. 2. Wettbewerbs beschränkungen des Gesetz- und Verordnungsgebers
Der Gesetzgeber hat in zahlreichen Bereichen der Freien Berufe Berufszugangs- und Berufsausübungsregeln erlassen oder die entsprechenden Errnächtigungsgrundlagen geschaffen (vgl. BRAO, BNotO, BÄO, BApO)78. Am empfmdlichsten wird der Wettbewerb durch den Ausschluss des Wettbewerbsparameters Preis mittels Gebühren- oder Honorarordnungen beeinträchtigt, die Höchst-, Niedrigst- oder auch Festhonorare bestimmen und die Vertragsfreiheit des Einzelnen beschränken79 • Während in vielen anderen Ländern die Entwicklung dahin ging, Gebührenordnungen der Freien Berufe nicht durch Gesetz, sondern durch das von Kammern oder private Berufsvereinigungen gesetzte
Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 44. Vgl. Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 155 ff. 76 Vgl. A. I. 77 Dazu ausführlich im 2. Kapitel: A. III. 2. 78 Vgl. Jungbluth in Langen/Bunte, § 130 Abs. 1 Rz. 55. 79 Schäfer, Nachfragemacht und freie Berufe, S. 18; zum Gebührenwettbewerb der Architekten und Rechtsanwälte, s. Harms, NJW 1976, S. 1291; zur Diskussion der Rechtfertigung der anwaltlichen Gebührenordnung s. Michalski/Rämermann, AnwBI 1996, 241 (242 ff.): die letztlich eine weitgehende Zulassung von Preiswettbewerb fordern und die BRAGO dann nur als Richtwerte betrachten wollen (S. 246); R. Schmidt, Freie Berufe und Kartellgesetz, S. 51 f.; Knümann, Preis- und Wettbewerbs politische Problematik staatlicher Gebührenordnungen für Freie Berufe, S. 13 ff. 74 75
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Standesrecht aufzustellen8o , hat in Deutschland diese Aufgabe der Staat selbst übernommen. Die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zum Erlass staatlicher Berufsregeln ergibt sich aus dem Art. 70 bis 82 GG. Am Beispiel der Freien Heilberufe begründet sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, der sich jedoch nur auf Berufszulassungsregeln erstreckt, wovon der Bundesgesetzgeber durch die BÄO und die Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO)81 auch Gebrauch gemacht hat. Berufsausübungsregeln in Form von standesrechtlichen Verhaltensregeln fallen zum größten Teil in den Kompetenzbereich der Länder. Bei Rechtsanwälten, Notaren und Steuerberatern ergibt sich die Zuständigkeit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Während der Gesetzgeber bei Rechtsanwälten neben der Anwaltsordnung auch eine Gebührenordnung (BRAG082 ) erlassen hat, wurde in anderen Bereichen die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Entgelte für die freiberufliche Tätigkeit in einer Gebührenordnung zu regeln und den Wettbewerbsfaktor Preis weitgehend auszuschließen (vgl. § 11 BÄO; §§ 1, 2 Gesetz zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistung)83. Hierzu zählen beispielsweise die Gebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte (GOÄJGOZ)84, sowie die Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und der Ingenieure (HOAI)85. Durch die Anordnung eines gleichförmigen Verhaltens aller Standesangehörigen wird der Wettbewerb im Bereich der Gebührenliquidation und Werbung 86 beeinträchtigt. 3. Wettbewerbsbeschränkungen der öffentIichrechtIichen Berufskammern
Die Kammern haben auf der Grundlage staatlicher Ermächtigungen zahlreiche Berufsregeln im Rahmen der Selbstverwaltung für ihre Mitglieder erlassen (kammerrechtliches Standesrecht). Dies geschieht üblicherweise in der Form der Satzung. Satzungen sind Rechtsvorschriften, d.h. Gesetze im materiellen Sinn, die es einer dem Staat eingeordneten juristischen Person des öffentlichen Rechts aufgrund gesetzlicher Ermächtigung ermöglichen, im Rahmen der ihr verliehenen Autonomie Regelungen in eigenen, nicht unmittelbar staatlichen Angelegenheiten mit Wirksamkeit für die ihr angehörigen und unterworfenen Personen zu Michalski/Römermann, AnwBl1996, 241 (241). BGBL I 1970, 1458. 82 Die BRAGO soll jedoch im Jahr 2003 durch ein vollkommen reformiertes Anwaltsvergütungsgesetz ersetzt werden. 83 BGBL 11971,1745,1749. 84 Dazu ausführlich im 4. Kapitel: A. 11. 85 BGBL I 1976,2805,3616. 86 Vgl. § 43b BRAO, § 29 BNotO. 80 81
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1. Kapitel: Grundlagen
erlassen87 . Die Legitimationskette zum Erlass wettbewerbsbeschränkender Satzungen kommt in der Regel folgendermaßen zustande: Die Berufsausübungsregeln fallen zum größten Teil in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers88 . Vorschriften dazu finden sich in den nicht immer einheitlichen Kammergesetzen der Länder (Bsp. IngKammG von Baden-Württemberg)89. Diese wiederum verleihen den Kammern zum Erlass einer Berufsordnung eine verbindliche Normsetzungskompetenz in Form der Satzungsautonomie90 . Mit der Satzungskompetenz gestattet der Gesetzgeber den Kammern, generalklauselartig verfasste Berufspflichten auszulegen und zu konkretisieren91 . Die Kammern sind Träger der mittelbaren Staatsverwaltung. Mit dieser Befugnis haben sie die Möglichkeit, für eine unbestimmte Anzahl von Adressaten verbindliche Verhaltensregeln aufzustellen, da die Vorschriften sowohl für aktuelle wie auch zukünftige Berufsangehörige gelten. Die kammerrechtlichen Berufsordnungen enthalten zahlreiche und umfangreiche Pflichten sowie Verbote für die Mitglieder. Kartellrechtlich interessant sind hierbei insbesondere Werbeverbote92 und Gebührenregelungen93 , aber auch Vorschriften, die den Zugang zum Freien Beruf und die Verwendung der Berufsbezeichnung an bestimmte Voraussetzungen knüpfen94. Handeln die Kammern ohne Ermächtigung, sind die Bestimmungen der Berufsordnung nichtig. Die Bedeutung wettbewerbsbeschränkender Standesregeln durch die Kammern hat im Laufe der Zeit abgenommen, seitdem immer häufiger Berufsregeln unmittelbar vom Staat selbst erlassen wurden. Gebührenvorschriften durch Standesbeschlüsse wurden weitgehend durch staatliche Gebühren- und Hono-
87 Vgl. BVerfG v. 14.7.1959 - 2 BvF 1/58 - BVerfGE 10,20 (49 f.); KG v. 3.3.1987 - 1 Kart. 4/86 - Apothekerkammer Bremen, WuW/E OLG 4008 (4010 f.); BGH WuW/E BGH 2141 (2143); BVerfG v. 9.5.1972 - 1 BvR 518/62 u. 308/64 - BVerfGE 33, 125 (155). 88 Vgl. 2. 89 Gesetz über die Errichtung einer Ingenieurkammer und über die Berufsordnung der Beratenden Ingenieure in Baden-Württemberg (Ingenieurkammergesetz) v. 8.1.1990, GBI. S. 16. 90 z.B.: § 15 Abs. 2 Nr. 7 ArchG BaWü; § 2 Abs. 1 Nr. 4 IngKammG BaWü; auf Bundesebene: § 59b BRAO. 91 Vgl. BVerfG v. 9.5.1972 - 1 BvR 518/62 u. 308/62 - NJW 1972,1504 (1505). 92 Vgl. Tettinger, Kammerrecht, S. 175 ff. 93 Vgl. 8. und 9. Punkt der Berufsordnung der Ingenieure, erlassen von der Mitgliederversammlung am 22.11.1990. 94 Die Befürworter reden im letzten Fall von "Sicherung des Qualitätsstandards", Kritiker von "Marktzutrittsschranken".
B. Wettbewerbsbeschränkungen in den Freien Berufen
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rarordnungen95 abgelöst96 . Insbesondere im Bereich der Werbung gibt es aber weiterhin zahlreiche standesrechtliche WeUbewerbsbeschränkungen97 . Anstelle verbindlicher Verhaltensnormen durch Satzungen können die Kammern auch rechtlich unverbindliche Maßnahmen in Form von Ratschlägen, Informationen und Leitfaden herausgeben. Ob es sich dabei um Empfehlungen i.S.d. § 22 GWB handelt, wird noch genauer zu untersuchen sein98 • Die Kammern halten sich allerdings mit derartigen Maßnahmen sehr zurück. Äußerungen dieser Art beschränken sich regelmäßig in kartellrechtlich unbedenklicher Weise auf den Einzelfall, d.h. auf konkrete Anfragen von Kammermitgliedern bezüglich berufsrechtlicher Fragen und Probleme. Eine Sonderrolle nimmt hier die BNotK ein, die schon seit geraumer Zeit versucht, ihre Stellung auf europaweiter Ebene zu verfestigen. In dem sog. ,,Europäischen Kodex des notariellen Standesrechts,,99 werden gemeinsame Standards Z.B. im Bereich der individuellen und kollektiven Werbung festgelegt 1OO , deren staatliche Legitimation äußerst fragwürdig ist. Zwischen rechtsverbindlichen Standesregeln durch Satzungen einerseits und unverbindlichen ,,Empfehlungen" andererseits, besaß lange Zeit das sog. Standesgewohnheitsrecht in Form von Richtlinien große Bedeutung, das sich durch tatsächliche, beständige und gleichförmige Übung innerhalb des Berufsstandes im Laufe der Geschichte quasi als "standesrechtlicher Kodex" entwickelt hatte lD1 • Großes Aufsehen erregten zwei richtungsweisende Beschlüsse des BVerfG 102 , in denen die von der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer erlassenen Richtlinien für verfassungswidrig erklärt wurden. Da die alte BRAO keine Ermächtigung zum Erlass verbindlicher Rechtsnormen in Form von Satzungen kannte lD3 , war keine ausreichende gesetzliche Grundlage für rechtmäßige Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit vorhanden. Die Richtlinien konnten daher mangels Normqualltät nicht mehr als verbindliche Auslegungsregelungen der Generalklausel des § 43 BRAO herangezogen werden. Abhilfe schuf erst eine Reform der BRAO mit unmittelbaren Regelungen des Gesetzge95BRAGO, GOÄ, HOAI etc. 96 Vgl. Lammei, WuW 1984, 853 (853); Milchalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen Berufe, S. 419. 97 Zur anwaltlichen Werbung s. Zuck, AnwB12002, 3 (4 ff.). 98 S.U. 2. Kapitel: B. 11. 99 Im Internet unter http://www.bnotk.de/(19 .7 .2002). 100 Punkt 1.2.5. 101 Vgl. Ring, Wettbewerbsrecht der freien Berufe, S. 52; Tettinger, Kammerrecht, S. 191 ff. 102 BVerfG v. 14.7.1987 - 1 BvR 537/81 - BVerfGE 76,171 ff. und 1 BvR 362/79BVerfG 196 ff. \03 Vgl. §§ 187, 177 I, 11 BRAO a. F.
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1. Kapitel: Grundlagen
bers (§§ 43b, 43c, 59a BRAO) sowie der ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Berufsordnung in Form der Satzung (§ 59b BRAO)104. Die Entscheidung dürfte auch auf alle anderen Freien Berufe übertragbar sein 105, sodass generell davon auszugehen ist, dass kammerrechtliches Standesrecht in Form von Richtlinien ohne ausdrückliche Ermächtigungsgrundlagen nichtig ist 106. 4. Wettbewerbsbeschränkungen der privatrechtIichen Standesorganisationen
Als wettbewerbs beschränkende Maßnahmen kommen auch und vor allem Handlungen verschiedener privater Berufs- und Fachverbände, sowie der privatrechtlich organisierten Bundeskammerrt in Betracht. Die privaten Verbände können wie die öffentlichrechtlichen Kammern im Rahmen der Selbstverwaltung eigene Berufsregeln für ihre Mitglieder aufstellen (privatrechtliches Standesrecht). Der Unterschied zum Kammerwesen besteht allerdings darin, dass die privaten Verbände das Verhalten ihrer Mitglieder nur auf Basis eines freiwilligen Beitrittes und nicht durch eine gesetzlich legitimierte Zwangsmitgliedschaft aller Berufsangehörigen koordinieren können. Aufgrund zahlreicher Zusammenschlüsse in spezialisierten Berufs- und Fachverbänden hat sich dennoch ein einflussreiches Verbandssystem neben dem Kammerwesen entwickelt, dem eine große Anzahl von Freiberuflern einer bestimmten Fachrichtung angehört lO7 • a) Wettbewerbsbeschränkungen der privatrechtlichen Bundeskammem
Die Kompetenz, Berufsregeln kraft öffentlichrechtlicher Satzung verbindlich für alle Standesangehörigen festsetzen zu dürfen, erstreckt sich nur auf die in der jeweiligen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage genannten Körperschaften des 104 Die Situation wurde zunächst dadurch entschärft, dass das BVerfG den Beteiligten eine Übergangsfrist bis zur endgültigen Neuordnung des Berufs- und Standesrechts zugestand soweit die übrigen materiellrechtlichen Anforderungen an die Grundrechtseinschränkungen erfüllt waren. 105 Siehe speziell zu den Richtlinien im Bereich der Freien Heilberufe, Becker-Platen, Die Kammern der freien Heilberufe, S. 35 ff. 106 So auch Emmerich in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 98 Abs. 1 Rz. 59a; Jungbluth in LangenlBunte, § 130 Abs. 1 Rz. 56; Weisser in FK-GWB, § 130 Abs. 1 GWB 1999 Tz. 98. Der Ausdruck "Richtlinien" wird allerdings irreführenderweise auch für Satzungen verwendet, die auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen wurden und damit ebenfalls zu den staatlich legitimierten Berufsordnungen zu zählen sind, z.B. § 67 Abs. 2 BNotO, der die Notarkammern ermächtigt, "Richtlinien" bezüglich der Amtspflichten und sonstigen Pflichten ihrer Mitglieder durch Satzung zu erlassen. 107 Zu den ärztlichen Berufs- und Fachverbänden, s. 4. Kapitel: B. ill. 3. u. C. IV. 4.
B. Wettbewerbs beschränkungen in den Freien Berufen
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öffentlichen Rechts. Trotzdem üben die staatlich nicht legitimierten Bundeskammern zum Teil erheblichen Einfluss auf die ihr angeschlossenen Landeskammern aus. Ein Beispiel hierfür ist die Erstellung und Veröffentlichung sogenannter Musterberufsordnungen, die als einheitliche Wegweiser herausgegeben werden. Diese enthalten vor allem im Bereich der Werbung weitgehende Verbote und Verpflichtungen\08. Über Umwege erlangen die einst rechtlich unverbindlichen Maßnahmen dennoch Rechtsnormcharakter, da sie von den entsprechenden Landeskammern meist wortgleich als Berufsordnungen in der Form der Satzung übernommen werden 109. Als weiteres Beispiel seien die sog. ,,Arbeitshilfen" der Bundesingenieurkammer genannt - ebenfalls eine nur privatrechtliche Vereinigung - die unter der Überschrift ,,Empfehlung" detaillierte Orientierungshilfen beim Einsatz zulässiger Werbeformen veröffentlicht II 0. Die später ausführlich unersuchten Analogempfehlungen der BÄK belegen, dass auch auf die privatärztliche Gebührenliquidation umfangreich Einfluss genommen wird 111.
b) Wettbewerbsbeschränkungen anderer privatrechtlicher Berufsvereinigungen Auch der BFB bietet seinen Mitgliedern und allen Interessenten ,,Empfehlungen" über die Zulässigkeit von Werbemaßnahmen je nach Tätigkeitsfeld an II2 • Im Fall der privatärztlichen Analogempfehlungen beteiligen sich neben der BÄK vor allem auch die privaten Berufsverbände mit umfangreichen Stellungnahmen an der einheitlichen Vorgabe von Analogziffern ll3 . Die ebenfalls privatrechtlich organisierten wissenschaftlichen Fachverbände und Fachgesellschaften beschrän108 Vgl. § 27 der vom 103. Deutschen Ärztetag beschlossenen Musterberufsordnung, im Internet unter http://www.bundesaerztekammer.de/30/Berufsordnung/l0Mbo/03 Regelnl04 Verhaltenl02Kommunikation.html (31.5.2001); zur Darstellungsmöglichkeit im Internet s. "Interpretationsbeschluss des Vorstandes der BÄK" vom Februar 1998, im Internet unter: http://www.bundesaerztekammer.de/30/Berufsordnung/20ArztInternet. html (19.7.2001) ältere Fassung abgedruckt in Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 4 v. 29.1.1999, A-228; sowie "Regeln der beruflichen Kommunikation, insbesondere zulässiger Inhalt und Umfang sachlicher Informationen über die berufliche Tätigkeit", im Internet unter: http://www.bundesaerztekammer.de/30/Berufsordnung/l0Mbo/05BerufspflichtenlO1 Regelnder.html (19.7.2002). 109 So im Fall der BÄK, vgl. schon BVerfG v. 9.5.1972 - 1 BvR 518/62 u. 308/62NJW 1972, 1504 (1505). 110 Arbeitshilfe Nr. 15, im Internet unter http://www.bundesingenieurkammer.de (19.7.2002). 1114. Kapitel: C. IV. 3. 112 BFB, Werbung und Freie Berufe, im Internet unter http://www.freie-berufe.de/allgemeinlthemen.html (19.7.2002). 113 Vgl. 4. Kapitel: C. IV. 4.
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1. Kapitel: Grundlagen
ken sich hingegen überwiegend auf die Forschung, ohne auf wettbewerbsrelevante Bereiche Einfluss zu nehmen. Allgemein bleibt festzustellen, dass immer dann mit wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen zu rechnen ist, wenn sich berufsständische Interessensvertretungen auf Gebieten engagieren, die wie im Fall der Werbung und Gebühren- bzw. Honorarabrechnung zu den Grundprinzipien einer wettbewerbsoffenen Marktwirtschaft zählen. 5. Wettbewerbsbeschränkungen der Freiberufler
Neben den verbandsrechtlichen Maßnahmen, die ihren Ursprung auf der Ebene der Standesorganisationen haben, kommen grundsätzlich auch Wettbewerbsbeschränkungen in Betracht, die auf einer Verhaltenskoordination der einzelnen Freiberufler untereinander beruhen. Im Gegensatz zum gewerblichen Produktions- und Dienstleistungssektor spielen solche Wettbewerbsbeschränkungen bei den Freien Berufen aus folgenden Gründen jedoch eine untergeordnete Rolle: Gleichförmige und somit wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen von (potentiellen) Konkurrenten lassen sich am einfachsten und effektivsten durch schon bestehende Interessenszusammenschlüsse steuern. Während bei den Gewerbetreibenden dabei ein Verstoß gegen das Kartellrecht auf der Hand liegt 1 14, können sich die Freien Berufe aufgrund des Vorranges des Berufsrechts auf einen umfangreichen Ausschluss der Anwendbarkeit des GWB berufen 1l5 , auch wenn dieser im Einzelfall nicht gerechtfertigt sein mag. So gehören wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen in Form der Überwachung der Einhaltung von Standesregeln gerade zu den primären Aufgaben und quasi zur Existenzberechtigung einer Berufskammer l16 • Heimliche und schwer nachzuweisende Absprachen zwischen einzelnen Marktteilnehmern sind nicht nötig. Das freiberufliche Verbandssystem in Form von Kammern, Berufs- und Fachverbänden verfügt zudem über viele Möglichkeiten und Instrumentarien, das Wettbewerbsverhalten der Mitglieder auf breiter Basis einheitlich zu koordinieren. So gibt es kaum einen Freiberufler, der nicht über die Mitteilungsorgane von Verbänden - sei es durch eigene Presseorgane, persönliche Briefe oder sonstige Kontaktaufnahmemaßnahmen - erreicht werden könnte. Auch die immer häufiger zur Verfügung gestellten elektronischen Informationsdienste wie Internet, e-Mail und elektronische Datenbanken tragen zur intensiven Verbreitung bei. Das zwangsmitgliedschaftlich verfasste Kammersystem garantiert schon von vornherein, dass sämtliche Marktteilnehmer miteinbezogen werden können. Aber auch private Berufs114 Mit Ausnalune der sog. Mittelstandsempfehlungen bzw. Mittelstandskartelle (§ 22 Abs. 2 bzw. § 4 GWB), vgl. 2. Kapitel B. IV. 2. a). 115 Vgl. 2. Kapitel: A. 116 V gl. A. III. 1. a).
B. Wettbewerbsbeschränkungen in den Freien Berufen
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und Fachverbände erfassen einen Großteil der am Markt tätigen Freiberufler l17 und sind aufgrund ihrer Fokussierung auf Spezialgebiete eine noch geeignetere Plattform zur Interessenskoordinierung. Dennoch können wettbewerbsbeschränkende Kontakte auf Ebene der einzelnen Freiberufler nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Gerade auf Fachgebieten, auf denen nur eine Hand voll Spezialisten tätig sind, bieten sich Absprachen über Gebührenliquidationen und andere Faktoren beispielsweise bei Begegnungen auf Fachkongressen an. Die folgenden Untersuchungen beschränken sich jedoch aufgrund der vorrangigen Bedeutung auf die verbandsrechtlichen Maßnahmen.
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Vgl. A. III. 2.
Zweites Kapitel
Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht A. Kartellrecht und Vorrang des Berufsrechts Das Eingreifen des kartellrechtlichen Empfehlungsverbotes bei Wettbewerbsbeschränkungen der Freien Berufe setzt zunächst die Anwendbarkeit des GWB voraus.
J. Unternehmen und Unternehmensvereinigungen Bei der Anwendbarkeit des GWB spielt der Unternehmensbegriff bzw. der Begriff der "Unternehmensvereinigung" eine zentrale Rolle. So richtet sich ein Großteil der kartellrechtlichen Verbote, allen voran das Kartellverbot des § 1 GWB, gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Zwar gehört das später ausführlich zu untersuchende Empfehlungsverbot des § 22 GWB neben den §§ 17 und 18 GWB gerade zu denjenigen Vorschriften, bei denen sich das Verbot gegen jedermann richtet, Empfehlungsempfänger kann aber wiederum nur ein Unternehmen sein'. 1. Freier Beruf als Unternehmen
Nur noch selten findet sich die Auffassung, dass die Tätigkeit eines Freiberuflers nicht vom Unternehmensbegriff des Kartellrechts erfasst sein soll. Rittner ist allerdings der Auffassung, dass beide Rechtsbegriffe zahlreiche, miteinander unvereinbare Unterschiede aufwiesen: Er sieht im Freien Beruf eine Institutionalisierung einer bestimmten Art der Berufsausübung, die im Gegensatz zur Arbeit eines Beamten oder Arbeitgebers keinem Abhängigkeitsverhältnis unterliege, und im Gegensatz zum Unternehmen durch die Erbringung einer persönlichen Leistung geprägt sei2 • Der Wettbewerb zwischen den Freiberuflern sei aufgrund der reinen Leistungsorientierung kein Wettbewerb um Produktionsmittel, Kapital oder Arbeitskräfte, sondern allein um Qualität der persönlichen Leistung
, Vgl. B. 11. 3. e). Rittner, Unternehmen und freier Beruf als Rechtsbegriffe, S. 18 ff.
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
eines einzelnen Menschen, die rechnerisch und quantitativ nicht erfassbar sei3 . Hinzu käme die besondere Funktion der Freien Berufe bei der Wahrnehmung öffentlicher Interessen4 . Die von Rittner genannten Eigenarten der freiberuflichen Tätigkeit fallen jedoch dann nicht ins Gewicht, wenn man davon abrückt, die Freien Berufe generell und umfassend dem Unternehmensbegriff unterwerfen zu wollen. Schon seit längerer Zeit hat sich der funktionelle Unternehmensbegriff durchgesetzt, der nicht voraussetzt, dass die betreffende Person immer und in jeder Beziehung Unternehmen ist, sondern der die Tätigkeit je nach Einzellfall beurteilt5 . Für die Angehörigen der Freien Berufe bedeutet dies, dass sie als Unternehmer i.S.d. Kartellrechts zu behandeln sind, sobald sie eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig von ihrer Rechtsform, dem Vorliegen oder Fehlen einer Gewinnerzeilungsabsicht sowie der Art der Finanzierung6 . Es kommt nicht auf die gewerbliche Tätigkeit, sondern die Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr an? Bestätigt wird diese Auffassung durch die Sechste GWB-Novelle, die nunmehr auf das Tatbestandsmerkmal der gewerblichen Leistung verzichtet. Dadurch kann die Unternehmenseigenschaft der Freien Berufe auch nicht mehr mit dem Argument verneint werden, dass zahlreiche Gesetzestexte ausdrücklich erwähnen würden, dass der Freiberufler kein Gewerbe ausübe 8 und der Gesetzgeber dem Vorschlag des Bundesrates nicht gefolgt sei, in einem Abs. 3 des § 1 GWB die Freien Berufe aufzunehmen9 • Eine weitergehende gesetzgeberische KlarsteIlung hat sich damit erübrigt. Auf der anderen Seite fallen drei große Lebensbereiche gerade nicht unter die Unternehmenstätigkeit: das hoheitliche Handeln des Staates, der Bereich des privaten Gebrauchs sowie der Arbeitsmarkt IO • Bei Rittner, S. 22 f. Vgl. 1. Kapitel B. I. 5 Emmerich, Kartellrecht, § 2, 1., S. 15. 6 Emmerich, § 2, 1., S. 14; KG v. 2.2.1976 - Kart. 32/74 - Laboruntersuchungen, WuWfE OLG 1687 (1689); BGH v. 16.12.1976 - KVR 5/75 - Architektenkammer, WUWfE BGH 1474 (1476 f.); BGH v. 19.3.1991 - KVR 4/89 - Warenproben, WuWfE BGH 2688 (2690); Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. I Rz. 43; Hootz in GI(, § 1 Rz. 19; Milchalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen Berufe, S. 428 f.; Taupitz, ZHR 153 (1989),681 (683); Ganten, ZHR 139 (1975),401 (427 f.); Reinhart, GRUR 1976,517 (521 f.); a.A. noch Dünisch, BayVBI 1982, 102 (105 f.); speziell zu der besonderen Stellung der Notare: Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmens vereinigungen, S. 81 f. 7 Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 65; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 43; Fritzsche, Die Auslegung des § 1 GWB, S. 29. 8 Vgl. 1. Kapitel: A. I. und B. I. 9 Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 1/3462, Anlage 2, S. 54. 10 Emmerich, § 37, 1., S. 386; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 6 Rz. 4, S. 151. 3
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A. Kartellrecht und Vorrang des Berufsrechts
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den Freien Berufe ist insbesondere die Abgrenzung zur hoheitlichen Tätigkeit entscheidend 11. Im Gegensatz zu den einzelnen Freiberuflern werden die als Verbände organisierten privaten oder öffentlichrechtlichen Berufsvertretungen in der Regel nicht unternehmerisch tätig, da sie weder Leistungen anbieten 12, noch solche geschäftsmäßig in Anspruch nehmen \3 und auch sonst nicht unmittelbar am marktwirtschaftlichen Leistungsaustausch teilnehmen l4 . Ihre Tätigkeit beschränkt sich auf die Interessensvertretung bzw. Kontrolle der Mitglieder bei der Einhaltung der Standesregeln l5 • Folglich erfüllen sie nicht die Eigenschaft eines Unternehmens, möglicherweise jedoch die einer Unternehmensvereinigung (s.u.). Vereinzelt mag es aber auch Fälle geben, in denen die Standesorganisation selbst unternehmerische Leistungen anbietet 16. Im Bereich des öffentlichrechtlichen Kammersystems wäre diese Konstellation standespolitisch betrachtet allerdings sehr bedenklich. Wenn die Kammern Service- und Beratungsaufgaben wahrnehmen würden, stünden sie vielfach in Konkurrenz zu ihren eigenen Mitgliedern. Paradoxerweise wären die Kammerrnitglieder sogar aufgrund der Zwangsmitgliedschaft gezwungen, die verbandsinterne Konkurrenz mit eigenen Mitteln zu finanzieren 17. 2. Standesorganisationen als Unternehmensvereinigungen
a) Privatrechtliehe Standesorganisationen
Das Tatbestandsmerkmal der Unternehmensvereinigung bzw. Berufsvereinigung findet sich auch im kartellrechtlichen Empfehlungsverbot (vgl. § 22 Abs. 2 sowie § 22 Abs. 3 Nr. 2 GWB). Hierunter fallen sämtliche Vereinigungen, die auf freiwilliger Grundlage und auf Dauer von zwei oder mehreren Unternehmen eines Wirtschaftszweiges zum Schutz und zur Förderung ihrer gemeinschaftlichen Wirtschaftsinteressen geschlossen wurden, und die nicht selbst unterneh-
Dazu ausführlich unter III. Taupitz, ZHR 153 (1989),681 (684). 13 Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, S. 80. 14 Hitzier, GRUR 1981, 110 (114). 15 V gl. 1. Kapitel: A. III. 1. a). 16 Beispielsweise in Fonn der Erstellung von Gutachten oder der Beratungstätigkeit; s. Beispiel der BNotK bei Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, S. 80 Fn. 14; vgl. Milchalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen Berufe, S. 429; Hitzier, S. 114. 17 V gl. 1. Kapitel: A. III. 1. a). 11
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
merisch tätig sind l8 . Die Unternehmensvereinigung muss dabei vom Konzern abgegrenzt werden, der kein wesentliches Maß mehr an gemeinschaftlicher Organisation aufweist, sondern selbst als Unternehmen gilt l9 . Da die Angehörigen Freier Berufe als "Unternehmen" i.S.d. Kartellrechts betrachtet werden können (s.o.), der Zusammenschluss in privatrechtlichen Verbänden auf freiwilliger Grundlage beruht und die Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Standesangehörigen bezweckt wird, erfüllen die privaten Berufsverbände die Voraussetzungen einer Unternehmensvereinigung i.S.d. GWB zo . Dies gilt auch für die rein privatrechtlich organisierten ,,Bundeskammern,,zl. Bei den überwiegend wissenschaftlich tätigen Fachverbänden steht hingegen die Erforschung des jeweiligen Spezialgebietes und nicht die wirtschaftliche Interessensvertretung im Vordergrund. Die Befragung von Ärzteverbänden hat allerdings ergeben, dass vereinzelt auch Fachverbände Stellungnahmen zu gebührenrechtlichen und damit wirtschaftlichen Themen beziehenz2 . Die Eigenschaft als Unternehmensvereinigung kann daher nicht generell auf Berufsverbände beschränkt werden, sondern muss nach dem konkreten Einzellfall beurteilt werdenz3 . b) Öffentlichrechtliche Berujskammern
An dieser Stelle soll zunächst unberücksichtigt bleiben, dass viele wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen der Berufskammern auf staatlich legitimierten Verwaltungsakten24 oder Satzungen25 beruhen und nicht als wirtschaftlich, sondern hoheitlich einzuordnen sind26 . Bei den öffentlichrechtlichen Kammern fehlt es nach der oben genannten Definition der Berufsvereinigung bereits an einer freiwilligen Basis des Zusammenschlusses, da dem Kammersystem grundsätzlich 18 Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 128; Bunte in Langen/Bunte, § 22 Rz. 22; HenniglPaetow, in DB 1978, 2349 (2349), der ausdrücklich auch die Freien Berufe erwähnt. 19 lmenga in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 1 Rz. 102; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 74, der als Abgrenzungsbeispiel die Genossenschaft nennt. 20 BGH v. 19.3.1991 - KVR 4/89 - Warenproben, WuWIE BGH 2688 (2690) für eine privaten Apothekerverein. 21 .. Z.B. BAK. 22 Vgl. 4. Kapitel: C. IV. 4. 23 Ohne diese Differenzierung zwischen Berufs- und Fachverbänden im Ergebnis Emmerich, Kartellrecht, § 2, 2., S. 16 ff.; ders. in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 43; HuberiBaums in FK-GWB, § 1 Tz. 68; BGH v. 19.3.1991 - KVR 4/89 - Warenproben, WuWIE BGH 2688 (2690), für eine privaten Apothekerverein. 24 Teuinger, Kammerrecht, S. 207 ff.; speziell für die Ärztekammern: LaufslUhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 8. 25 LaufslUhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 11. 26 Vgl. ill.
A. Kartellrecht und Vorrang des Berufsrechts
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eine Zwangsmitgliedschaft zugrunde liege. Die Beschränkung der Definition der Unternehmensvereinigung auf einen nur freiwilligen Zusammenschluss führt jedoch zu einer zu engen Tatbestandsreduktion, die eine Ungleichbehandlung von wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen einer Kammer im Vergleich zu denen eines privaten Berufsverbandes nicht rechtfertigt. So wird auch bei § 1 GWB ein auf gesetzlicher Grundlage geschlossener Zusammenschluss als Unternehmensvereinigung anerkannt 28 • Der Eigenschaft als Unternehmensvereinigung könnte jedoch im Wege stehen, dass es sich bei den staatlichen Kammern um Körperschaften des öffentlichen Rechts handelt, die zur mittelbaren Staatsverwaltung zählen29 • Nachdem sich jedoch der funktionelle gegenüber dem institutionellen Unternehmensbegriff durchgesetzt haeo, kommt es weder auf den Status oder die Mehrheitsbeteiligungen einer Vereinigung, noch auf die Art der Finanzierung, die Kostendeckung oder die Gewinnerzielungsabsicht an. Dies stellt auch § 130 Abs. 1 Satz 1 GWB klar, der das GWB auch bei Unternehmen im Eigentum der öffentlichen Hand anwendbar lässt. Entscheidend ist allein die rechtliche Qualifikation der jeweiligen Maßnahme 3 !. Nach ständiger Rechtsprechung erfüllen daher alle Person, Organisationen oder sonstige handlungsfahige Einheiten die Unternehmenseigenschaft, die mit Ausnahme des rein privaten Verbrauchs 32 am Austausch von Gütern und Leistungen gegen Entgelt teilnehmen33 • Dies trifft zwar in den meisten Fällen nicht unmittelbar auf die Kammern,
27 Vgl. OLG Celle v. 15.5.1985 - 13 W (Kart.) V 3/84 - Apothekenwerbung für Randsortiment, WuW/E OLG 3535 (3536) u. Anmerkung Hornmann. 28 Huber/Baums in FK-GWB, § 1 Tz. 120. 29 Vgl. 1. Kapitel: A. III. 1. a). 30 BGH v. 27.4.1999 - KZR 54/97 - Sitzender Krankentransport, WRP 1999,941 (943); BGH v. 9.3.1999 - KVR 20/97 - Lottospielgemeinschaft, WuWIE DE-R 289 = WRP 1999,665; BGH v. 11.12.1997 - KVR 7/96 - Europapokalheimspiele, WRP 1998, 188 (190); BGH v. 6.5.1997 - KZR 43/95 - Solelieferung, WuWIE BGH 3137 = WRP 1997, 1192; BGH v. 7.7.1992 - KZR 15/91 - Selbstzahler - WuWIE BGH 2813 = BGHZ 119,93 (101); BGH v. 14.3.1990 - KVR 4/88 - Sportübertragungen - WuWIE BGH 2627 = BGHZ 110,371; Hootz in GK § 1 Rz. 12; Huber/Baums in FK-GWB § 1 Tz. 38 ff.; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 24 u. 65; Odersky, in: FS für Lerche, S. 951; Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmens vereinigungen, S. 70; Weisser in FK-GWB § 130 Abs. 1 GWB 1999 Tz. 22. 3! Rittner, OB 1957, 1091 (1092). 32 Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 26. 33 BGH v. 26.10.1959 - KZR 2/59 - NJW 1960, 145 (146); BGH v. 19.9.1974 KZR 14/73 - NJW 1974, 2236 (2236); OLG Düsseldorf v. 2.9.1997 - U (Kart) 11/97Berliner Positivliste, Pharrna Recht 1998, 58 (60); BKartA, TB 1971, BT-Drucks. VII3570 S. 23; lmmenga in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 1 Rz. 34 u. 40 ff.; Hootz in GK, § 1 Rz. 12; Huber in FK-GWB, Kurzdarstellung § 1 n. F. Rz. 25; Jungbluth in Langen/Bunte, § 130 Abs. 1 Rz. 33 ff.; Taupitz, ZHR 153 (1989), 681 (684).
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
jedoch auf die Freiberufler ZU 34 . Es genügt daher, wenn die Kammer Einfluss auf das Verhalten ihrer Mitglieder nimmt und dadurch unternehmerisch tätig wird. Die Eigenschaft einer Berufskammer als öffentlichrechtliche Körperschaft schließt die Qualifikation als Unternehmensvereinigung nicht aus 35 . Unter den Begriff der "Unternehmensvereinigung" fällt nach überwiegender Auffassung auch eine Vereinigung von Unternehmensvereinigungen36 , wie beispielsweise eine Bundeskammer als Vereinigung der einzelnen regionalen Kammern. Eine Unternehmensvereinigung läge streng nach dem Wortlaut nicht vor, da die Freiberufler als "Unternehmen" nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar über die Zugehörigkeit einer regionalen Kammer Mitglieder der Bundeskammer sind37 •
11. Vorrang staatlicher Wettbewerbsbeschränkungen durch Gesetze und Verordnungen Staatliche Kammergesetze, Berufs- und Gebührenordnungen in Form von Gesetzen oder Verordnungen beinhalten wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen im Rahmen des staatlichen Berufsrechts38 . Dennoch findet zumindest das nationale Kartellrecht mit seinen wettbewerbsschützenden Instrumentarien keine Anwendung 39 • Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen richten s. o. 1. BGH v. 19.3.1991 - KVR 4/89 - Warenproben, WuWIE BGH 2688 (2690); BGH v. 21.10.1986 - KZR 28/85 - Guten Tag-Apotheke 11, WuWIE BGH 2326 (2328) = NJW-RR 1987,485; BGH v. 22.3.1976 - GSZ 2/75 - Autoanalyzer, BGH WuWIE 1469 (1469 f.) = BGHZ 67, 81; BGH v. 16.12.1976 - KVR 5/75 - Architektenkammer, WUWIE BGH 1474 (1476) = WRP 1977,480; BGH v. 26.4.1974 - lZR 8/73 - Schilderkauf, GRUR 1974,733 ff.; OLG Bremen v. 6.4.1989 - Kart. (V) 1/88 - Proben apothekenüblicher Waren, OLG 4367 (4368); KG v. 3.3.1987 - 1 Kart. 4/86 - Apothekerkammer Bremen, WuWIE OLG 4008 (4008 f.); OLG Celle v. 15.5.1985 - 13 W (Kart.) V 3/84 - Apothekenwerbung für Randsortiment, WuWIE OLG 3535 (3536); KG v. 2.2.1976 - Kart. 32/74 - Laboruntersuchungen, WuWIE OLG 1687 (1690 f.) = ErsK 1976, 370-373; BKartA, TB 1975 BT-Drucks. 7/5390, S. 80 f.; Emmerich, Kartellrecht, § 2, 2., S. 16 ff.; ders. in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 43; v. Gamm, WRP 1984, 303 ff.; Baur in: FS für Gamm, S.525 (AI2); Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 6 R. 29; Taupitz, ZHR 153 (1989), 681 (684); Weisser in FK-GWB, § 130 Abs. 1 GWB 1999 Tz. 94. 36 Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 43; Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, S. 80 f.; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 79; Müller/Nacken in Müller/Gießler/Scholz, § I Rn 78. 37 Mit Ausnahme der Patentanwälte und Wirtschaftsprüfer. 38 V gl. 1. Kapitel: B. 11. 2. 39 Zur Bewertung nach europäischem Kartellrecht, s. 3. Kapitel: B. N. 3. 34 35
A. Kartellrecht und Vorrang des Berufsrechts
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sich die kartellrechtlichen Verbote nur gegen wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen von Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen40 . Der Staat in der Rolle des Gesetz- oder Verordnungsgeber wird jedoch stets hoheitlich und nicht unternehmerisch tätig 41 • Zum anderen ist nahezu unbestritten, dass der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des GWB durch Berufsregeln einschränken darI'2, da das Kartellrecht keinen Verfassungsrang hat und keinen Vorrang vor anderen Gesetzen genießt. Daraus resultiert ein uneingeschränkter Vorrang der legislativen und hoheitlichen Beschränkung des Wettbewerbsrechts43 , die sich "nur" an verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Maßstäben messen lassen muss44 . Die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit staatlicher Berufsregeln hat in letzter Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen45 . Neben der Gesetzgebungskompetenz des Bundes- bzw. Landesgesetzgebers zum Erlass staatlicher Berufsregeln46 müssen zudem vernünftige Gründe des Gemeinwohls vorliegen, die einen Eingriff der durch die Art. 2, 9 Abs. 1, 1247 und 14 grundsätzlich unbeschränkt und allgemein gewährleisteten Privatautonomie48 jedes einzelnen rechtfertigen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen49 . Zumindest Vgl. I. Vgl. Taupitz, ZHR 153 (1989),681 (694). 42 Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 46; Jungbluth in Langen/Bunte, § 130 Abs. 1 Rz. 56. 43 Vgl. weniger deutlich Milchalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen Berufe, S. 417 f. und Taupitz, ZHR 153 (1989), 681 (695). 44 Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. I Rz. 47. 45 Zur Verfassungsmäßigkeit der GOÄ (Verbot der Pauschalhonorare) s. BVerfG v. 19.4.1991-1 BvR 130l/89-NJW 1992,737. 46 Zur verfassungs rechtlichen Kompetenzfrage s. Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 49; Hitzier, GRUR 1981, 110 (115); Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmens vereinigungen, S. 101; Ring, Wettbewerbsrecht der freien Berufe, S. 527 ff.; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 915; ders., ZHR 153 (1989),681 (697 ff.). 47 Von Rittner als "wirtschaftliches Hauptgrundrecht" bezeichnet, s. Unternehmensfreiheit und Unternehmensrecht, § 2 S. 34; s. auch Tettinger, GewArch 1999, 265 (267 ff.); Fleischmann, Die freien Berufe im Rechtsstaat, S. 136 ff. 48 Vgl. Rittner, Die Beurteilung der Ausnahmebereiche aus wissenschaftlicher Sicht, S. 79 ff. (90). 49 Grundlegend: BVerfG v. 28.11.1984 - 1 BvL 13/81 - BverfGE 68, 272 (282); BVerfG v. 19.11.1985 - 1 BvR 934/82 - BVerfGE 71, 162 (172ff.); BVerfG v. 14.7.1987 - 1 BvR 362/79 - BVerfGE 76, 196 (207); BVerfG v. 9.3.2000 - 1 BvR 1662/97 - NJW 2000, 3057 (3057); KG v. 2.2.1976 - Kart. 32/74 - Laboruntersuchungen, WuW/E OLG 1687 (1690); neuere Entscheidungen: BGH v. 1.3.2001 - I ZR 300/98 - Juris-Datenbank Nr: KORE309172001; BVerfG v. 4.7.2000 - 1 BvR 547/99 - NJW 2000,2734 f.; VGH Baden-Württemberg v. 29.3.2000 - 9 S 1195/99 - ESVGH 50, 205212 =DVB12000, 1067-1070 =NJW 2001,1810-1812. 40
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
mittelbar wird dadurch auch der unternehmerische Wettbewerb vom Grundgesetz geschützt50 . Einschränkungen des freien Wettbewerbs sind verfassungsrechtlich jedoch nur mit Gemeinwohlbelangen, nicht aber mit Standesinteressen unter Konkurrenzschutz- oder Kostenaspekten zu rechtfertigen51 . In der Rechtsprechung sind zunehmend Entscheidungen zu finden, die die Grenzen zulässiger standesrechtlicher Verbote immer enger ziehen und auf ein Notwendiges beschränken52 . Für das Beispiel des später näher behandelten Gesundheitssysterns 53 bedeutet dies, das staatliche Eingriffe durch Berufs- und Gebührenordnungen solange gerechtfertigt sind, als sie garantieren, dass die Menschen gegen gesundheitliche Groß risiken abgesichert werden und eine medizinische Grundversorgung nicht an Einkommensschwäche scheitert. Ob es mit diesem Zweck aber auch vereinbar ist, die Masse über eine Zwangsmitgliedschaft bei der gesetzlichen Krankenversicherung einzugliedern oder mit dem Vorschlag des Hausarztmodells die Besuche beim Facharzt zu kanalisieren und zu kontrollieren, statt dem Patienten eine freie Arztwahl zu ermöglichen, erscheint fragwürdig. Dasselbe gilt für Niederlassungsbeschränkungen und Werbeverbote, die einen transparenten Leistungswettbewerb verhindern. Die Erörterung der Vereinbarkeit sämtlicher wettbewerbs beschränkender Berufsregeln mit dem Grundgesetz würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und soll hier nicht weiter vertieft werden. Für die Überprüfung der Anwendbarkeit des GWB genügt die Feststellung, dass unmittelbar staatliches Berufsrecht, auch wenn es verfassungswidrig ist, kartellrechtlich nicht sanktioniert werden kann54 •
50 Rittner, Die Beurteilung der Ausnahmebereiche aus wissenschaftlicher Sicht, S. 79 ff. (90). 51 Bardenz, MDR 2000,1409 (1410). 52 BVerfG v. 18.2.2002 - I BvR 1644/01 - WRP 2002,521 (Zulässigkeit der Werbung durch Zeitungsanzeigen); BVerfG v. 18.10.2001 - 1 BvR 881100 - NJW 2002, 1864 f. (Zulässigkeit eines Zahnarztsuchservices); BVerfG v. 12.9.2001 - 1 BvR 2265/00 - NJW 2001, 3324 f. (Zulässigkeit von Anwaltswerbung); BVerfG v. 13.12.2000 - 1 BvR 335/97 - NJW 2001, 353-357 = WRP 2001, 137-143 (Verfassungswidrigkeit der Regelung über die Singularzulassung von Rechtsanwälten bei den Oberlandesgerichten gern. § 25 BRAO); BVerfG v. 17.4.2000 - 1 BvR 721199 - WRP 2000,720-722 = NJW 2000, 3195-3196; BVerfG v. 11.11.1999 - 1 BvR 754/98 BRAK-Mitt 2000,89-90 = NJW-RR 2000, 941; BVerfG v. 24.7.1997 - 1 BvR 1863/96 - NJW 1997,2510-2512 =WRP 1997, 1046-1048 =DNotZ 1998,69-73; OLG Köln v. 26.5.2000 - 6 U 167/99 - FAZ v. 9.8.2000, S. 25; OLG Koblenz v. 30.5.2000 - 4 U 192/00 - OLGR Koblenz 2000, 394-398 = ArztR 2001, 16-22; OLG München v. 4.2.1999 - 6 U 1845/98 - OLGR München 1999, 143 =ArztR 2000, 71-72; Vgl. Emmerich in lmmenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 47; Taupitz, NJW 1992,937 ff., insb. S. 939 ff. 53 Vgl. 4. Kapitel. 54 Zur Anwendbarkeit des europäischen Kartellrechts, s. 3. Kapitel B. IV. 3.
A. Kartellrecht und Vorrang des Berufsrechts
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ill. Vorrang kammerrechtlicher Wettbewerbsbeschränkungen 1. Hoheitliches oder privatrechtliches Handeln
Bei der Überprüfung der Eigenschaft der Kanunern als Unternehmensvereinigungen wurde bisher außer Acht gelassen, dass der Staat das Kartellrecht nicht nur durch eigene, unmittelbare staatliche Berufsregeln (s.o.), sondern auch durch Ermächtigungen der öffentlichrechtlichen Kanunern ausschließen kann. So enthalten insbesondere die gesetzlichen Grundlagen zum Erlass von Berufsordnungen eine staatliche Legitimation, wettbewerbsbeschränkende Regelungen aufzustellen55 . Nach dem funktionellen Unternehmensbegriff kommt es nicht auf den rechtlichen Status der Standesorganisation, sondern auf die rechtliche Qualifikation ihrer jeweiligen Handlung an56 . Entscheidend ist daher, ob die Kanuner bei Erlass der Maßnahme in ihrer öffentlichrechtlichen Funktion als Körperschaft tätig wird oder rein privatrechtlich agiert. Handelt die Kammer als verlängerter Arm des Staates und ist das Rechtsverhältnis der Körperschaft zu den Betroffenen öffentlichrechtlicher Natur, findet das GWB mangels Eigenschaft als Unternehmensvereinigung keine Anwendung 57 . Begibt sie sich jedoch auf eine gleichgeordnete Stufe zum Adressaten der Maßnahme, handelt sie privatrechtlich, ohne sich auf den gesetzlich ermächtigten Ausschluss der Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts berufen zu können. Handelt es sich zudem um eine Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr und keinen rein privaten Verbrauch, so liegt ein unternehmerisches Handeln i.S.d. GWB vor58 . 2. Abgrenzung zwischen hoheitlichem und privatrechtlichem Handeln
a) Die Formel vom Vorrang des Berufsrechts
Das Rechtsverhältnis zwischen Kanuner und Mitgliedern trägt grundsätzlich hoheitlichen Charakter. Kanunern können im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsautonomie Satzungen und Verwaltungs akte erlassen sowie öffentlichrechtliche Verträge schließen. Daneben gibt es die Möglichkeit des schlicht hoheitlichen
55 Z.B.: § 15 Abs. 2 Nr. 7 ArchG BaWü; § 2 Abs. 1 Nr. 4 IngKarnrnG BaWü; auf Bundesebene: § 59b BRAO. 56 Rittner, DB 1957, 1091 (1092); Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 65; vgl. 1.2. 57 KG v. 2.2.1976 - Kart. 32/74 - Laboruntersuchungen, WuWfE OLG 1687 (1691); OLG Düsse1dorf v. 24.9.1992 - U (Kart) 16/91 - Landesapothekerkarnrner, WuWfE OLG 4998 (5000). 58 BGH v. 25.6.1991 - KZR 19/90 - NJW 1992,1561 (1562).
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
Verwaltungshandelns59 . Der überwiegend hoheitliche Charakter schließt jedoch nicht aus, dass die Kammer ihren Mitgliedern in einem gleichgeordneten privaten Rechtsverhältnis gegenübertritt60 • Die Kombination aus privatrechtlichem Handeln mit der Erfüllung öffentlichrechtlicher Pflichten steht der Anwendung des GWB nicht entgegen61 • Die Abgrenzung bzw. Abgrenzungskriterien zwischen der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt und dem wirtschaftlichen Handeln sind jedoch in Rechtsprechung und Literatur seit langem urnstritten62 . Früher wurde der Ausschluss des Kartellrechts lapidar mit dem Hinweis auf den allgemeinen Vorrang des Standesrechtes vor den Regelungen des GWB gerechtfertigt, mit der Folge, dass alle berufsrechtlichen Wettbewerbsbeschränkungen das Kartellrecht verdrängen und die Angehörigen der berufsrechtlich gebundenen Freien Berufe sowie ihre Standesorganisationen von einer kartellrechtlichen Sanktion befreien sollten63 . Es wurde nicht zwischen privatem und hoheitlichem Handeln der Kammern differenziert. Damit wurde unterstellt, dass die Kammer im Rahmen aller wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen immer öffentlichrechtlich tätig wird, ohne die Möglichkeit eines privatrechtlichen Handelns in Betracht zu ziehen. Diese Auffassung konnte sich jedoch nicht durchsetzen, sodass heute allgemein anerkannt ist, dass der Schutz vor dem Kartellrecht dort aufhört, wo die Sicherung von öffentlichen Gemeinwohlbelangen endet, und die Kammer nur tätig wird, um günstige Wettbewerbspositionen der Mitglieder herzustellen oder zu bewahren64 . In Rechtsprechung und Literatur hat sich weitgehend die Formel durchgesetzt, dass das Kartellrecht insoweit nicht angewendet werden kann, wie staatliches oder aufgrund staatlicher Ermächtigung gesetztes Berufsrecht der Vertragsfreiheit der Angehörigen der Freien Berufen Grenzen setzt65 • Verlässt die 59 Tettinger, Kammerrecht, S. 207 ff.; speziell für die Ärztekammern: Laujs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 8 und 11. 60 OLG Düsseldorf v. 24.9.1992 - U (Kart) 16/91 - Landesapothekerkammer, WuWIE OLG 4998 (5001); vgl. Tettinger, Kammerrecht, S. 212. 61 OLG Düsseldorfv. 2.9.1997 - U (Kart) 11/97 - Pharrna Recht 1998,58 =WuW/E DE-R 183: dabei ging es um eine gesetzliche Krankenkasse, die Listen mit einer Auswahl an bestimmten Fertigarzneimitteln verbreitete und den Ärzten deren Verwendung näher legte. 62 Vgl. b) und c). 63 Vgl. Rittner, Unternehmen und freier Beruf als Rechtsbegriffe, S. 37 ff.; Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, S. 1 m.w.N.; Zimmer in hnmenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 65. 64 Tettinger, NJW 1987,294 (294). 65 BGH v. 15.1.1985 - KZR 17/83 - Apotheker-Werbung, WuW/E BGH 2141 (2144); BVerwG v. 5.9.1991 - 3 N 1/89 - NJW 1992,994 (995); BVerwG v. 22.8.1985 - 3 C 49.84 - BVerwGE 72,73 (81); OLG Bremen v. 6.4.1989 - Kart. (V) 1/88 - Proben apothekenüblicher Waren, OLG 4367 (4368); BKartA v. 12.3.1986 - 773700-AV-
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Kammer hingegen den ihr durch die Ermächtigungsgrundlage eingeräumten gesetzlichen Rahmen und handelt ohne berufsrechtliche Grundlage66 , verfolgt sie in der Regel wirtschaftliche Interessen, die eine Anwendung des GWB ermöglichen. Ihren Ansatz findet die Vorrangformel in der Feststellung, dass der Tatbestand des § 1 GWB insoweit zu reduzieren ist, als dass nur der erlaubte und rechtmäßige Wettbewerb von ihm geschützt wird67 . Eine Vereinbarung, die etwas untersagt, das ohnehin schon verboten ist, verstößt nicht gegen § I GWB. In konsequenter Fortführung dieses Ansatzes wird angenommen, dass ein anderweitiges Verbot auch dann vorliegt, wenn kammerrechtliches Standesrecht in zulässiger Weise den Wettbewerb der Berufsangehörigen beschränkt68 • Erlässt oder empfiehlt die Kammer Maßnahmen im Rahmen der ihr vom Staat zugestandenen Kompetenz zur Wettbewerbsbeschränkung, ist ein Verstoß gegen ein kartellrechtliches Verbot ausgeschlossen. b) Unterschiedliche Auslegungen der Vorrangformel
Über die Einordnung kammerrechtlicher Maßnahmen als hoheitlich mit Hilfe der Vorrangformel sind sich Literatur und Rechtsprechung einig, solange sich die Wettbewerbsbeschränkungen auf eine rechtmäßige Legitirnationskette zurückführen lassen (Vorbehalt des Gesetzes) und bis hin zu ihrer Umsetzung durch den Einzelakt (z.B. Rüge, o.ä.) ihrerseits rechtmäßig sind, d.h. allen formellen wie materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage entsprechen. Im Umkehrschluss dazu ist ebenfalls unstrittig, dass die Privilegierung wettbewerbsbeschränkender Regelungen der Kammern dort enden muss, wo ihr Kompetenzrahmen überschritten wird69 , d.h. Maßnahmen ergriffen werden, die allein Standesinteressen und damit private Interessen be114/84 - Apothekerkammer Bremen, WuWIE BKartA 2232 (2235 f.); BKartA TB 1960, BT-Drucks. 3/2734 S. 16; Bericht des Wirtschaftsaussschuss des Bundestages, BTDrucks. 7/765, S. 13; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 45; Bechtold, NJW 1986, 3053 (3054); Hootz in GK, § 1 Rz. 125; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 68; Michalski/Römermann, AnwBl 1996, 191 (193); Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, S. 1 f.; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 6 Rz. 16, S. 154; Taupitz, ZHR 153 (1989), 681; (687, 691 f.); ablehnend Ganten, ZHR 139 (1975), 401 (426 ff.); Tettinger, Kammerrecht, S. 181 f.; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz.68. 66 Vgl. Tettinger, BRAK-Mitt. 1995,98 (99). 67 Hootz in GK, § 1 Rz. 130. 68 BGH v. 19.3.1992 - KVR 4/89 - Warenproben, WuWIE BGH 2688 (2690 f.). 69 OLG Celle v. 15.5.1985 - 13 W (Kart) V 3/84 - Apothekenwerbung für Randsortiment, WuW/OLG 3535 (3536); BVerwG v. 22.8.1985 - 3 C 49/84 - NJW 1986, 1558 (1560); Hilzler, GRUR 1982,474 (476); Taupitz, ZHR 153 (1989),681 (697); a.A. Harms, NJW 1976, 1289 (1295), der allein auf den Willen des Hoheitsträger abstellt.
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
zwecken, die nicht von der Ermächtigungsgrundlage erfasst werden7o . Hieraus resultiert die parallel zur Vorrangfonnel gebrauchte Bezeichnung ,,Rechtswidrigkeitsfonnel,,71. Umstritten ist jedoch, ob die Schnittstelle zwischen privatwirtschaftlichem und hoheitlichem Handeln parallel zur Rechtmäßigkeit bzw. Unrechtmäßigkeit der Maßnahme der Kammer liegt, d. h. ob jede rechtswidrige Maßnahme ein öffentlichrechtliches Handeln ausschließt 72 • aa) Frühere Rechtsprechung Die Rechtsprechung hatte sich zunächst einer restriktiven Interpretation der Vorrang- bzw. Rechtswidrigkeitsfonnel angeschlossen. So wurde die Anwendbarkeit des GWB mit deutlicher Tendenz zur Stärkung des Wettbewerbsgedankens im Berufsrecht der Freien Berufe immer bereits dann bejaht, wenn die Kammer Maßnahmen gegen ihre Mitglieder oder Dritte ergriff, die nicht mehr von einer gesetzlichen Errnächtigungsgrundlage gedeckt waren73. Auch wenn die Kammer Teil der öffentlichen Hand sei, handele sie in diesem Fall im privaten Interesse und unterfalle deshalb den Regeln des GWB 74 . Nach diesen Grundsätzen können die kartellrechtlichen Verbote bereits dann eingreifen, wenn ,,nur" die auf einer an sich rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage beruhende Maßnahme der Kammer fehlerhaft ist. Bei fehlender oder rechtswidriger Ermächtigungsgrundlage wäre der Anwendungsbereich des GWB erst recht eröffnet.
70 Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmens vereinigungen, S. 106, der auch in diesen Fällen dem Kartellrecht keine eigenständige Funktion zugesteht. 71 So Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, S. 2. n Vgl. Emmerich in ImmengaJMestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 45. Die Erörterung der zahlreichen möglichen Rechtswidrigkeitsgründe, sei es verfassungsrechtlicher oder verwaltungsrechtlicher Art, soll nicht weiter vertieft werden, da es bei der kartellrechtlichen Diskussion in erster Linie auf die Entscheidung ankommt, wie rechtswidrige Maßnahmen zu behandeln sind, unabhängig davon, auf welchen Gründen die Rechtswidrigkeit beruht. 73 BGH v. 16.l2.1976 - KVR 5/75 - Architektenkammer, WUW/E BGH 1474 (1477 f.) und Canenbley, Anmerkung zum Architektenkammerurteil, GRUR 1977, 743 (743); so auch die Vorinstanz: OLG Celle v. 30.7.l975 - 13 W (Kart) V 1/75 - WuW/ OLG 1623 (1625); BGH v. 21.10.1986 - KZR 28/85 - Guten Tag-Apotheke TI, WuW/E BGH 2326 (2328); Bunte in LangenlBunte, § I Rz. 26. 74 s. o.
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bb) Neuere Rechtsprechung und Literatur Der BGH hat später jedoch - angeregt und bestätigt durch Stimmen in der Literatur75 - seine Auffassung korrigiert und differenziert nun wie folgt: Zwar wird grundsätzlich weiterhin verlangt, dass sich die Kammer bei ihren Maßnahmen innerhalb des öffentlichrechtlichen Kompetenzrahmens bewegt, aber nicht jede im Einzelfall rechtswidrige Tat solle zum Verlassen dieses Kompetenzbereiches führen. Das GWB solle nur dann Anwendung finden, wenn die Kammer den ihr zugewiesenen Aufgabenbereich deutlich erkennbar verlassen habe 76 , d.h. Wettbewerbsverbote erlasse, die einen zu weit gehenden sowie durch sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls nicht mehr zu rechtfertigenden Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit darstellen77 • Das sei der Fall, wenn sich die Kammer ganz außerhalb ihrer organisationsrechtlichen Wahrnehmungskompetenz bewege, beispielsweise willkürlich im wirtschaftlichen Interesse ihrer Mitglieder in den Wettbewerb der Berufsangehörigen untereinander bzw. mit Dritten eingreife78 oder sich sonst ihr offenkundig nicht übertragene Zuständigkeiten anmaße. Die lediglich fehlerhafte Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen einer an sich rechtsgültigen Ermächtigungsgrundlage zum berufsaufsichtlichen Einschreiten der Kammer führe noch nicht zu der Annahme, dass die Kammer fortan nicht mehr auf Grund des ihr gesetzlich erteilten Auftrages handele und ihre Maßnahmen nicht mehr öffentlichrechtlicher Natur seien. Vielmehr handele die Körperschaft immer noch hoheitlich und im Rahmen der ihr in diesem Zusammenhang erteilten Ermächtigung79. Die Einordnung kammerrechtli-
75 Huber/Baums in FK-GWB, § 1 Tz. 67; Messer, in: FS für Pfeiffer, S. 983; Kramm, WRP 1992, 365 (368); Milchalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen Berufe, S. 421; Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, S. 85 ff. 76 BGH v. 19.3.1991 - KVR 4/89 - Warenproben, WuWfE BGH 2688 (2694); bestätigt in: OLG Düsseldorf v. 24.9.1992 - U (Kart) 16/91 - Landesapothekerkammer, WuW/E OLG 4998 (5000); mit weitem Spielraum schon: BGH v. 15.l.l985 - KZR 17/83 - Apotheken-Werbung, WuW BGH 2141 (2144) und Bay. OLG v. 7.12.1981 RReg. 2 Z 248/80 - GRUR 1982,500 (503); vgl. Messer, in: FS für Pfeiffer, S. 981; missverständlich Weisser in FK-GWB, § 130 Abs. 1 GWB 1999 Tz. 95, der in der BGHEntscheidung v. 19.3.1991 auch Satzungen ohne gesetzliche Grundlage erfasst sieht. 77 Kramm, WRP 1992, 365 (366); Messer, in: FS für Pfeiffer, S. 983. 78 Kramm, WRP 1992, 365 (366). 79 So auch Bay. OLG v. 7.12.1981 - RReg. 2 Z 248/80 - GRUR 1982,500 (503); Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, S. 79 u. 85, sowie S. 104 f., dort geht er noch weiter: unabhängig davon, ob es sich nur um Subsumtionsbzw. Erkenntnisfehler oder um die Durchsetzung rechtswidriger Berufsordnungsvorschriften handele, soll es beim öffentlichrechtlichen Handeln der Kammer bleiben.
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2. Kapitel: Standes rechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
cher Maßnahmen als hoheitlich, die ganz ohne Ermächtigungsgrundlage erlassen wurden, wird allerdings nur vereinzelt vertreten80 . cc) Kritik und Gegenposition Der Kurswechsel in der Rechtsprechung wird von Teilen der Literatur abgelehnt81 • So soll es bei den strikten Grundsätzen der Rechtswidrigkeitsformel bleiben, wonach jedes, wenn auch formal hoheitliche Handeln der Kammer eo ipso zu einem privatrechtlichen wettbewerbsbeschränkenden Handeln im Sinne des GWB gerechnet werden müsse, sobald die konkret erlassene Maßnahme nicht durch die öffentlichrechtliche Ermächtigungsgrundlage gedeckt sei82 • Es soll keine zusätzliche Prüfung erforderlich sein, ob die Tätigkeit ausschließlich wirtschaftlichen Belangen der Mitglieder dient. Dies würde dazu führen, dass praktisch das gesamte wettbewerbsrechtlich relevante Tätigkeitsfeld der Kammern dem Anwendungsbereich des Kartellrechts entzogen wäre 83 . Rechtswidrige Maßnahmen, die in die unternehmerische Handlungsfreiheit und den freien Wettbewerb eingreifen, könnten als rechtswidrige Verwaltungsakte nur mit Mitteln der Staatsaufsicht oder auf dem Verwaltungsrechtsweg angegriffen werden84 . Einer restriktiven Handhabung der Rechtswidrigkeitsformel ist auch aus folgenden Gründen zuzustimmen: Die kammerrechtlichen Standesregeln beeinträchtigen die wettbewerbsrechtlich sehr sensiblen Bereiche der Leistungsvergütung und Werbung. Solche Eingriffe würden außerhalb der Freien Berufe zu genau denjenigen Verhaltensweisen zählen, die das GWB mit seinen Verboten (insb. § 1 und § 14 GWB) zum Schutze der Verbraucher unterbinden möchte. Wenn eine Kammer unter dem Deckmantel der staatlichen Ermächtigung Ge80 Messer, in: FS für Pfeiffer, S. 983; Bay. OLG v. 7.12.1981 - RReg. 2 Z 248/80GRUR 1982, 500 (503); Milchalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufs rechtlich gebundenen Berufe, S. 421; ausdrücklich ablehnend: Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 50 f. 81 Emmerich, JuS 1991, 863 (863), der dies als "wettbewerbsfeindliche Immunisierungsstrategie" bezeichnet; ders. in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. I Rz. 50 f.; Jungbluth in LangenlBunte, § 130 Abs. 1 Rz. 59; Oesterle, WRP 1993,456 (457), der eine dogmatische Begründung in der BGH-Entscheidung vermisst; Weisser in FK-GWB, § 130 Abs. 1 GWB 1999 Tz. 95, der derartige eindeutige Fälle für eher selten hält. 82 Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 51; Hitzier, Anmerkung zum Urteil des Bay. OLG v. 7.12.1981, GRUR 1982,474 (476); Kramm, WRP 1992, 365 (366). 83 Emmerich a.a.O; Jungbluth in LangenlBunte, § 130 Abs. 1 Rz. 59; Weisser in FKGWB, § 130 Abs. 1 GWB 1999 Tz. 95. 84 BGH v. 16.12.1976 - KVR 5/75 - Architektenkammer, WUWIE BGH 1474 (1477).
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bühren und Werbung reguliert, müssen dieser Vorgehensweise präzise und restriktive Grenzen gesetzt werden. Sind die Eingriffe rechtswidrig, da sie die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage nicht erfüllen, können sie nicht als ausreichende Legitimation zur Befreiung vom Kartellrecht herangezogen werden, auch wenn die Kammer formell-rechtlich für derartige Berufsregeln zuständig ist. Hinzu kommt, dass nach den bisherigen Ausführungen der Rechtsprechung und Literatur sowohl theoretisch wie praktisch unklar bleibt, welche konkreten Maßstäbe an eine Standesregel angelegt werden sollen, die trotz Rechtswidrigkeit noch als ,,kartellrechtsimmun" einzustufen wäre. Wann soll ein "deutlich erkennbares Verlassen des Aufgabenbereiches,,85 vorliegen? Genügt für den Ausschluss der Anwendbarkeit des GWB der formell korrekt zustandgekommene Satzungsbeschluss (Antrag, Beratung, Abstimmung) bzw. der Hinweis der Kammer, dass sie allgemein für Berufsregeln zuständig ist, auch wenn der Verband deutlich erkennbar über seine ihm zustehenden Kompetenzen hinausgegangen ist? Oder soll vergleichbar mit den §§ 43 ff. VwVfG zwischen besonders schwerwiegenden und offenkundigen bzw. unbeachtlichen Verfahrens- und Formfehlern unterschieden werden, und welche Kriterien gelten dabei? Auch wenn kritisiert wird, dass die restriktive Auffassung der Rechtswidrigkeitsformel zur Folge habe, dass die Kartellbehörden als Aufsichtsinstanzen die berufsrechtliche Kontrolle des Standesrechts übernehmen würden 86 , so lässt sich dem entgegnen, dass es gerade Sinn und Zweck des GWB ist, Wettbewerbsbeschränkungen umfassend zu verhindern, auch wenn sie von öffentlichrechtlichen Kammern stammen. Die Privilegierung durch staatliches Berufsrecht darf nicht zu einer scheuklappenartigen Absolution sämtlicher wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen der Berufskammern gegenüber dem Kartellrecht führen. c) Ergebnis
Die Unterscheidung zwischen privatrechtlichem und hoheitlichem Handeln kann immer dann eindeutig und unstrittig getroffen werden, wenn die Kammer lediglich ein gesetzliches Verbot wiederholt87 bzw. zu dessen Einhaltung auffordert 88 , da ein ohnehin gesetzlich verbotenes Wettbewerbsverhalten nicht gegen das Kartellrecht verstoßen kann, und die Handlung keine zusätzliche Wettbe85 BGH v. 19. März 1991 - KVR 4/89 - Warenproben in Apotheken, WuWfE BGH 2688 (2694). 86 Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, S. 4. 87 Taupitz, ZHR 153 (1989), 681 (696). 88 Milchalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen Berufe, S. 419.
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
werbsbeschränkung beinhaltet 89 . Dann bleibt kein Raum für die Anwendbarkeit des GWB. Agiert die Kammer eigenständig in Ausübung der ihr durch Gesetz eingeräumten staatlichen Befugnisse, wird das Kartellrecht in der Regel verdrängt, da die Kammer ausschließlich als Teil der öffentlichen Verwaltung handelt 90 . Auch wenn die Kammer grundsätzlich die Eigenschaft als Unternehmensvereinigung i.S.d. GWB erfüllt91 , wird sie in diesen Fällen gerade nicht unternehmerisch, sondern hoheitlich tätig. Fehlt es jedoch an einer rechtmäßigen, insbesondere verfassungsmäßigen Ermächtigungsgrundlage, oder werden deren formellen wie materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen beim Erlass wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen missachtet, nimmt die Kammer als Unternehmens vereinigung am Wirtschaftsverkehr teil. Sie wird in diesen Fällen im wirtschaftlichen Interesse ihrer Mitglieder tätig, indem sie einen nicht mehr vom Gesetz gerechtfertigten Schutz vor Wettbewerb praktiziert92 . Die Möglichkeit der Überprüfung eines Verstoßes gegen kartellrechtliche Verbote insbesondere auch gegen das Empfehlungsverbot - ist daher bei allen rechtswidrigen Kammermaßnahmen eröffnet. 3. Güterabwägung
Neben der heute in Literatur und Rechtsprechung vorherrschenden Vorrangbzw. Rechtswidrigkeitsformel gibt es weitere Ansätze, denen gemeinsam ist, dass sie die Immunisierung der staatlichen Berufsregeln gegenüber den wettbewerbssichernden Instrumentarien des GWB bezwecken. Die Lehre von der Güterabwägung wählt nicht den Weg des Ausschlusses des gesamten Kartellrechts, sondern konstruiert die Befreiung standesrechtlicher Berufsregeln durch eine Tatbestandsreduktion des § 1 GWB. Durch eine Güterabwägung soll das Kartellverbot in den Fällen zurücktreten, in denen der Erhaltung des Wettbewerbs ein höherrangiges Rechtsgut oder Rechtsprinzip gegenübersteht93 . Ein Verstoß gegen das Empfehlungsverbot des § 22 GWB entfiele damit automatisch, da das Kartellverbot als notwendiges umgehungsfahiges Verbot ausscheiden würde94 . Als höherrangige Rechtsgüter kommen der Gesundheitsschutz, Jugendschutz, Umweltschutz sowie soziale Belange verschiedener Natur und auch wirtschaftsOehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, S. 101. OLG Düsseldorf v. 24.9.1992 - U (Kart) 16/91 - Landesapothekerkammer, WuW/E OLG 4998 (5000). 91 Vgl. I. 2. b). 92 BGH v. 16.12.1976 - KVR 5/75 - Architektenkammer, WUW/E BGH 1474 (1478); Kramm, WRP 1992,365 (366). 93 Vgl. Michalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen Berufe, S. 440 f. 94 Vgl. B. 3. b). 89
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politische Interessen in Betracht9s • Der Versuch, das berufsrechtliche System der Freien Berufe generell als höherrangiges Rechtsgut gegenüber der Erhaltung des Wettbewerbs einzuordnen, wurde jedoch nur vereinzelt unternommen96 • Eine Güterabwägung wäre ohnehin nur im konkreten Einzelfall denkbar. Wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen, die den Schutz von Verbrauchern zum Gegenstand haben und in der Vergangenheit als höherrangiges Rechtsgut akzeptiert wurden97 , können nicht pauschal mit allen standesrechtlichen Werbeverboten und Einheitsgebühren der Freien Berufe verglichen werden98 . Generelle Befreiungen von kartellrechtlichen Verboten hat das GWB mit ausdrücklichen Vorschriften selbst geregelt (vgl. §§ 2 bis 8, § 22 Abs. 2 und 3 GWB) und unter eine kartellbehördliche Missbrauchsaufsicht gestellt (vgl. § 12, § 22 Abs. 6 GWB). Die Berufsregeln der Freien Berufe fallen nicht darunter.
IV. Vorrang privatrechtlicher Wettbewerbsbeschränkungen 1. Wettbewerbsbeschränkungen der privaten Standesorganisationen
Neben der wirtschaftlichen Tätigkeit staatlicher Berufskammern99 zählen zum privatrechtlichen Standesrecht auch sämtliche Wettbewerbsbeschränkungen privater Berufs- und Fachverbände, einschließlich der als Kammer firmierenden Berufsvereinigungen iOo . Als privatrechtliche Regelungen von privatrechtlichen Vereinen unterliegen derartige Maßnahmen grundsätzlich dem GWB. Die schwierige Abgrenzung zum hoheitlichen Handeln entfallt, da die Standesorganisationen keinerlei staatliche Aufgaben wahrnehmen und sich auf keine staatliche Ermächtigung berufen können. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei den Vereinen um Zusammenschlüsse der Angehörigen verkammerter oder berufsrechtlich ungebundener Berufe handelt. Die Vorrangformel ist aber auch im privatrechtlichen Standesrecht nicht ohne Bedeutung. Soweit privatautonome Vereinbarungen rechtmäßige staatliche Berufsregeln lediglich wiederholen, liegt darin keine erneute und selbständige Wettbewerbsbeschränkung, die von den Kartellbehörden untersagt werden könnte lO1 • Denn nur der erlaubte und rechtZimmer in Immnega/Mestmäcker, § 1 Rz. 305 m.w.N. Ygl. Milchalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen Berufe, S. 441 f. 97 So "Doppelstecker-Beschluss" des BKartA, WuWfE BKartA 145. 98 Generell ablehnend: Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 310; Möschel, § 5 Rz. 212; Taupitz, ZHR 153 (1989),681 (685). 99 yg l. ill. 100 Ygl. 1. Kapitel: B. II. 4. a). 101 Milchalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen freien Berufe, S. 421 u. 459. 95
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
mäßige Wettbewerb wird kartellrechtlich geschützt 102. Das gleiche gilt für entsprechende Aufforderungen, den standeswidrigen Wettbewerb zu unterlassen bzw. vorgegebene Regelungen einzuhalten 103. Erfasst werden können lediglich weitergehende Berufsausübungsbeschränkungen, die nicht mehr vom Vorrang des staatlichen Berufsrechts gedeckt werden 104 . 2. Wettbewerbsbeschränkungen der Freiberufler
Wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen können nicht nur von einer übergeordneten Ebene wie den Kammern oder privatrechtlichen Standesorganisationen koordiniert werden, sondern auch auf Vereinbarungen, aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen oder Empfehlungen einzelner Angehöriger der Freien Berufe beruhen, wenngleich die kartellrechtliche Bedeutung angesichts des gut funktionierenden Verbandssystems eher gering ist 105 . Im Bezug auf die Anwendbarkeit des GWB gelten dieselben Grundsätze wie beim privatrechtlichen Standesrecht. Die Freiberufler erfüllen die grundlegende Voraussetzung der Unternehmereigenschaft i.S.d. des Kartellrechts lO6 • Im Gegensatz zu den öffentlichrechtlichen Kammern handelt der einzelne Freiberufler immer als Privatrechtssubjekt 107, sodass nicht zwischen privatrechtlichem und hoheitlichem Handeln unterschieden werden muss, es sei denn, dass der Freiberufler als Organ der Kammer in deren Namen auftritt. Das GWB bleibt wiederum nicht anwendbar, soweit die Vertrags- oder Handlungsfreiheit des Freiberuflers rechtswirksam durch vorrangiges Berufsrecht beschränkt wurde 108. Absprachen und Empfehlungen, die rechtmäßige standesrechtliche Berufpflichten beinhalten, können kartellrechtlich nicht belangt werden.
v. Ergebnis Die vorausgegangene Untersuchung hat gezeigt, dass zwei bedeutende Bereiche des freiberuflichen Standeswesens einer kartellrechtlichen Kontrolle unterzogen werden können: Handlungen privatrechtlicher Standesorganisationen, die sich nicht auf das bloße Wiederholen standesrechtlicher Berufsregeln beschränVgl. ill. 2. a). BGH v. 19.3.1991 - KVR 4/89 - Warenproben in Apotheken, WuWIE BGH 2688 (2690 f.). 104 BGH, WuWIE BGH 2688 (2691). 105 Vgl. 1. Kapitel: B. ll. 5. 106 Vgl.I. 1. 107 Oehlers, Die Kammern freier Berufe als Unternehmens vereinigungen, S. 3. 108 Oehlers, S. 3. 102 103
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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ken sowie sämtliche rechtswidrige karnrnerrechtliche Maßnahmen. Aufgrund einer unverzichtbaren restriktiven Handhabung der Vorrang- bzw. Rechtswidrigkeitsformel dürfte dem Kartellrecht bei den Freien Berufen eine wachsende Bedeutung zukommen, da immer häufiger Standesregeln von der Rechtsprechung für unzulässig erklärt werden l09 . Eine Beeinflussung des Standesrechts ganz anderer Dimension macht sich auf europäischer Ebene immer stärker bemerkbar. Die Rechtswidrigkeitsformel setzt nicht nur eine Vereinbarkeit mit nationalem (Verfassungs-)Recht, sondern vor allem auch mit dem Gemeinschaftsrecht voraus llO • Welche Maßstäbe hier gelten, und welche Konsequenzen sich aus europarechtlicher Sicht für die deutschen Berufsregeln ergeben, soll in einem besonderen Kapitel untersucht werden 111.
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot I. Das Empfehlungsverbot nach der Sechsten GWB-Novelle Die Sechste GWB-Novelle hat neben einer kompletten Neunummerierung der Vorschriften nur wenige inhaltliche Änderungen gebracht 112. Dass man sich bei der Reform dazu entschied, das Änderungsgesetz mit einer Neufassung des
109 BVerfG v. 17.4.2000 - 1 BvR 721/99 - WRP 2000, 720-722= NJW 2000, 31953196; BVerfG v. 11.11.1999 - 1 BvR 754/98 - BRAK-Mitt 2000,89-90 = NJW-RR 2000,941; BVerfG v. 24.7.1997 - 1 BvR 1863/96 - NJW 1997,2510-2512 = WRP 1997,1046-1048 = DNotZ 1998,69-73; OLG Köln v. 26.5.2000 - 6 U 167/99 - FAZ v. 9.8.2000, S. 25; OLG Koblenz v. 30.5.2000 - 4 U 192/00 - OLGR Koblenz 2000, 394398 = ArztR 2001, 16-22; OLG München v. 4.2.1999 - 6 U 1845/98 - OLGR München 1999, 143 = ArztR 2000, 71-72; immer noch sehr restriktiv im Bereich der Werbeverbote für Ärzte OLG München v. 14.12.2000 - 6 U 2850/00 - OLGR München 2001, 130; OLG Köln v. 9.3.2001 - 6 U 127/00 - FAZ v. 13.6.2001, S. 31; OLG München v. 21.10.1999 - 29 U 2435/99 - ZUM-RD 2000, 67-70 = MedR 2000,370; OLG Harnburg v. 8.4.1999 - 3 U 265/98 - OLGR Hamburg 1999,430-431 = MedR 2000, 195196. 110 Emmerich, Kartellrecht, § 2,2., S. 17; Weisser in FK-GWB, § 130 Abs. 1 GWB 1999 Tz. 95. III Drittes Kapitel. 112 Überblicke zur Sechsten GWB-Novelle bei: Baron/Kretschmer, WuW 1998, 651 ff.; Baums, ZIP 1998,233 ff.; Bechtold, NJW 1998,2769 ff.; Bechtold/Uhlig, NJW 1999,3526 ff.; Berg/Camesasca, WuW 1998, 1147 ff.; Bunte, OB 1998, 1748 ff.; Kahlenberg, BB 1998, 1593 ff.; Verfahrensrechtlich ist insbesondere die Einführung eines Zwei-Phasen-Systems im Fusionsrecht zu erwähnen, wie es auch das europäische Kartellrecht kennt.
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
GWB zu verbinden ll3 , liegt mitunter auch an der Entnahme der Regelungen über Empfehlungen aus der bisherigen Ordnungswidrigkeitenvorschrift des § 38 Abs. 1 Nr. 11-12 GWB a.F. sowie den damit verbundenen Folgeänderungen 1l4 . Durch die Neupositionierung der Empfehlungsvorschriften in den materiellen Teil des GWB (§§ 22, 23) wurde ein von vielen für systemwidrig oder missglückt betrachteter Zustand behoben l15 . In diesem dritten Teil des GWB sind auch die übrigen Verbote einseitiger Wettbewerbsbeeinträchtigungen vorhanden, zu denen u. a. das Druckverbot des § 21 Abs. 2 GWB sowie das Zwangsverbot des § 21 Abs. 3 GWB gehören 116. Im Zuge der Harmonisierung mit dem europäischen Kartellrecht wurde der Empfehlungstatbestand des § 22 Abs. 1 Satz 1 GWB um die Variante des ,,Bezweckens" erweitert ll7 . § 22 GWB enthält in seinen weiteren Absätzen die im Wesentlichen unverändert übernommenen Ausnahmen vom Empfehlungsverbot für Mittelstands- (Abs. 2), Normen- und Typenempfehlungen (Abs. 3 Nr. 1) sowie Konditionenempfehlungen (Abs. 3 Nr. 2). Auf den bisherigen § 38 Abs. 1 Nr. 10 GWB a.F., der die Mitwirkung an einer Kartellrechtsordnungswidrigkeit durch Empfehlungen behandelte, wurde aufgrund mangelnder Bedeutung in der Praxis verzichtet 1l8 . Die bußgeldrechtliche Ahndung erfolgt nun durch § 81 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 GWB, wobei Geldstrafen bis zu fünfhunderttausend Euro bzw. bis zum Dreifachen des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses vorgesehen sind II 9. Eine Angleichung an das europäische Kartellrecht durch die Möglichkeit einer Bußgeldverhängung bis zur Höhe von 10% des Vorjahresumsatzes wurde nicht vorgenom-
113 Ursprünglich war sogar ein GWB-Reformgesetz geplant: Achenbach, wistra 1999, 241 (241). 114 Begründung zum RegE, BT-Dr. 13/9720, S. 30 (r. Sp.); für eine Gegenüberstellung GWB 1999-GWB 1998 und umgekehrt siehe FK-GWB, TAl 83-90. 115 Achenbach, wistra 1999,241 (242 u. 245); ders., in FK-GWB, Vorbem. § 81 GWB 1999 Tz. 6; Bechtold, § 22 Rz. 1; ders., NJW 1998,2769 (2769); Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 62; Huber, Das Empfehlungsverbot, S. 19; DanneckerlBiermann in Immenga/Mestmäcker, § 81 Rz. 153; Tiedemann in ImmengalMestmäcker, 2. Aufl., § 38 RZ.139. 116 Zur Abgrenzung Empfehlungsverbot - Boykottverbot, s. Sandrock, JuS 1971,57 (600. 117 Vgl. ll. 3. d). Der Tatbestand des Kartellverbotes des § 1 GWB wurde ebenfalls um diese Variante erweitert. 118 Begründung zum RegE, BT-Drucks. 13/9720, S. 68, kritisch dazu Bartseh, Die kartellrechtlichen Empfehlungsverbote, S. 153 ff. und 437 f.: der trotz der Regelung über die Beteiligung an Ordnungswidrigkeiten im OWiG einen eigenen Anwendungsbereich des § 38 Abs. 1 Nr. 10 GWB a. F. erkennen will; DanneckerlBiermann in Immenga/Mestmäcker, § 81 Rz. 155. 119 Kritisch zu der Neufassung: Achenbach, wistra 1999,241 (242).
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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men 12o. Die bisher in §§ 99 ff. GWB a.F. enthaltenen Bereichsausnahmen - auch vom Empfehlungsverbot - wurden erheblich zurückgeführt, sodass sich die Freistellungsmöglichkeiten künftig auf die nach § 22 Abs. 2 bis 3 und § 23 GWB zulässigen Ausnahmen begrenzen lassen 121 . Durch das Empfehlungsverbot sollen Wettbewerbsbeschränkungen verhindert werden, die nicht durch Vereinbarungen, Beschlüsse oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen i.S.d. § I und § 14 GWB, sondern durch die einseitige Beeinflussung des Empfehlenden koordiniert werden. Das gleichförmige Verhalten der Angehörigen Freier Berufe führt vor allem im Bereich der Gebühren- bzw. Honorarberechnung zu einer umfangreichen Beschränkung des Wettbewerbs. Auch das je nach Branche unterschiedlich streng ausgestaltete Werbeverbot verhindert einen Wettlauf um die Kunden, Klienten und Patienten. Da dieses gleichförmige wettbewerbsbeschränkende Verhalten nicht nur auf Vereinbarungen, Beschlüssen oder abgestimmten Verhaltensweisen, sondern auch auf einseitigen und unverbindlichen Einflussnahmen von privaten Verbänden oder Kammern beruhen kann, ist der Schutzbereich der Umgehungsverbote grundsätzlich eröffnet. Ob dabei auch die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des Empfehlungsverbotes erfüllt sind, und welche Besonderheiten sich im Hinblick auf den umfangreichen Vorrang des staatlichen bzw. staatlich legitimierten Standesrechts der Freien Berufe ergeben, soll die nachfolgende Untersuchung klären.
ll. Unverbindliche Maßnahmen von Kammern und privaten Standesorganisationen 1. Beispiele
Sowohl die Kammern als auch die privatrechtlichen Berufsvereinigungen nutzen die Möglichkeit, sich in Form von Mitteilungen, Richtlinien, Ratschlägen und ,,Empfehlungen,,122 an ihre Mitglieder zu wenden. Zweck dieser Maßnahmen ist es, bestimmte einheitliche Verhaltensweisen im Wettbewerb nahe zu 120 Achenbach, wistra 1999,241 (245); generell kritisch zur Harmonisierungsverwirklichung der Novelle: Baums, ZIP 1998, 233 ff.; Bechtold, NJW 1998, 2769 (2770); Bunte, DB 1998, 1748 (1748 f.); Kahlenberg, BB 1998, 1593 (1593). 121 Begründung zum RegE, BT-Dr. 13/9720, S. 39; ausführlicher dazu unter N. 122 So z.B. "Gemeinsame Empfehlung über die Zusammenarbeit Augenärzte Anästhesisten in der operativen Ophthalmologie" der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), im Internet unter http://www.dog.orglliteratur/anaestes.html (19.7.2002); sowie die später genauer untersuchten zahlreichen sog. "Analogempfehlungen" im Gebührenabrechnungswesen der Ärzte, vgl. 4. Kapitel: C.
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
legen, ohne eine rechtliche Verbindlichkeit mittels Verwaltungsakt oder Satzung begründen zu wollen. Dazu zählen beispielsweise die von der Bundesingenieurkammer herausgegebene ,,Arbeitshilfe Nr. 15,.123 mit ,,Empfehlungen" zur Werbung sowie die ,,Beschlüsse" des Deutschen Ärztetages, das als oberstes beschlussfassendes Gremium der BÄK unter anderem die Musterberufsordnung verfasst, ohne dabei die einzelnen Landesärztekammern oder deren Mitglieder rechtlich binden zu können 124 • Am Beispiel der ,,Analog- und Schwellenwertempfehlungen" wird später die wettbewerbsbeschränkende Wirkung solcher Maßnahmen im Rahmen der privatärztlichen Gebührenliquidation untersucht 125.
In Literatur und Rechtsprechung wurde diesem Tätigkeitsfeld der Kammern und privaten Verbände bisher nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Zumeist konzentriert sich die kartellrechtliche Diskussion auf standesrechtliche Maßnahmen in Gestalt von Berufs- und Gebührenordnungen, bei denen aber in der Regel bereits die Anwendbarkeit des GWB ausgeschlossen ist l26 . Dabei handelt es sich gerade bei den "gut gemeinten" und rechtlich unverbindlichen Ratschlägen um sehr effektive Instrumente der Wettbewerbsbeschränkung, da die überaus umfangreiche und mächtige Standesorganisation den scheinbar unverfänglichen Hinweisen bedenkliche Regelungs- und Lenkungswirkung verleihen kann. 2. Empfehlungseigenschaften
Der BGH definiert in der grundlegenden Kohlenplatzhandel-Entscheidung 127 die kartellrechtliche Empfehlung als "eine Erklärung, durch die jemand etwas als für einen anderen gut oder vorteilhaft bezeichnet und es ihm deshalb anrät, nahe legt oder vorschlägt,,128. Auf dieser Grundlage wird der für alle Vorschriften einheitlich verwendete Empfehlungsbegriffl29 weiter präzisiert als eine einseiti-
Im Internet unter http://www.bundesingenieurkammer.de/0515.htm(18.11.2001). Laujs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 17. 125 4. Kapitel. 126 Vgl. A. ll. 127 BGH v. 14.1.1960 - KRB 12/59 - Kohlenplatzhandel, BGHSt 14, 55 (57) = WuW/E BGH 369 (370); bestätigt u. a. in BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 - Mustermietvertrag, BGHZ 125,315 (318) = WuW/E BGH 2923 (2925). 128 So auch Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 50; ders, Kooperationsfibel, S. 14; v. Beringe, DB 1960, 288 (288); Burkhardt, Kartellrecht, Rz. 204; Emmerich, JuS 1999, 1023 (1024); v. Gamm, Kartellrecht, § 38 Rz. 28; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 320 Rz. 40; Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 44. 129 Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 49; Bunte in Langen/Bunte, § 22 Rz. 4; stillschweigend: Bechtold, § 22 Rz. 3 f.; Emmerich, Kartellrecht, § 17, 1., S. 158 ff.; Tiedemann in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 120 ff. 123
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B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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ge 130, rechtlich unverbindliche l3l Erklärung, durch die jemand in der Absicht, den Willen des Adressaten zu beeinflussen, ein Verhalten als für den Adressaten vorteilhaft bezeichnet und die Verwirklichung dieses Verhaltens anrät 132. a) Einseitigkeit
Im Gegensatz zur Vereinbarung i.S.d. § I GWB (worunter insbesondere der Vertrag, nach h.M. 133 aber auch das sog. "gentlemen's agreement" fäIlt I34 ), fehlt der Empfehlung ein gegenseitiges Verhaltensmoment in Form einer Willensübereinstimmung 135. Bei der Kartellverbotsvariante der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen wird ebenfalls von einer zweiseitigen Maßnahme ausgegan-
130 Burkhardt, Kartellrecht, Rz. 204; v. Gamm, Kartellrecht, § 38, 38a Rz. 28; Huber, Das Empfehlungsverbot, S. 52; Lukes, JuS 1962,215 (217); Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 321 Rz. 41; ders. Wirtschaftsrecht, § 18 Rz. 34; Schumann, Empfehlungen im deutschen und EG-Kartellrecht, S. 80; Tiedemann in ImmengalMestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 124. 131 Stellvertretend für viele: BGH v. 14.1.1960 - KRB 12/59 - Kohlenplatzhandel, BGHSt 14, 55 (58) = WuW/E BGH 369 (370); missverständlich BGH v. 30.6.1987 KZR 12/86 - Personenbeförderung ab Stadtkreis grenze, WuW/E BGH 2411 (2413); wieder klar: BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 - Musterrnietvertrag, BGHZ 125, 315 (318) = WuW/E BGH 2923 (2925); Benisch in GK, § 38 Abs. I Rz. 52; ders., Kooperationsfibel, S. 15; v. Beringe, DB 1960, 288 (288); Emmerich, Kartellrecht, § 17, 1., S. 159; ders., JuS 1999, 1023 (1024); Henkel, Die erlaute Verbandsempfehlung, S. 3; Huber, Das Empfehlungsverbot, S. 38 u. 45; Tiedemann in ImmengalMestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 124; Bechtold, § 22 Rz. 3: spricht allerdings davon, dass rechtliche Verbindlichkeit "nicht erforderlich" sei, was im Umkehrschluss darauf hindeutet, dass sie wohl vorliegen kann. 132 OLG Koblenz v. 16.2.1984 - 6 U 1736/82 - Landesapothekerverein, WuW/E OLG 3263 (3266); Tiedemann in ImmengalMestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 124; zum Begriff der "Empfehlung", der auch in anderen europäischen Rechtsordnungen zu finden ist (Bsp.: Österreich, Großbritannien, Frankreich und Norwegen), s. Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz.48. 133 Vgl. Bunte in Langen/Bunte, § I Rz.42. 134 Die Unterscheidungen und Abstufungen anhand des Merkmals der Verbindlichkeit spielen für die Beurteilung des Kriteriums der Einseitigkeit keine Rolle. 135 Hootz in GK, § I Rz. 49 u. 51 ff., spricht von "Willenseinigung"; ebenso Huber/Baums in FK-GWB, § 1 Rz. 99 und Zimmer in ImmengalMestmäcker, § 1 Rz. 86; Müller-Henneberg in GK, § I Rz. 24, spricht von "Deckung des Willens" und in Rz. 27 ebenfalls von der "Willensübereinstimmung"; Bunte in Langen/Bunte weist allerdings darauf hin, dass durch die 6. GWB-Novelle und die Angleichung an Art. 81 Abs. I EG auf eine weite Auslegung zurückgegriffen werden muss, die auch einseitige Handlungen erfasst, vgl. 3. Kapitel: B. VIII.
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2. Kapitel: Standes rechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
gen 136 . So soll eine Abstimmung nur dann zustande kommen, wenn auf die Erklärung eine Erwiderung des Adressaten mit dem Inhalt folgt, dass er dem Vorschlag entsprechend sich am Markt verhalten werde 137. Im Gegensatz zur Empfehlung ist zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger bzw. den Erklärungsempfangern untereinander eine Verständigung erforderlich 138 • Die zuvor beschriebenen standesrechtlichen Maßnahmen sind auf keine vertragsähnliche Annahmeerklärung gerichtet und werden ohne Beteiligung der Mitglieder erlassen. Es handelt sich daher um einseitige Erklärungen seitens der Standesorganisationen. Im europäischen Kartellrecht wird eine Differenzierung zwischen einseitigen und mehrseitigen Maßnahmen generell vernachlässigt, was darauf zurückzuführen ist, dass das europäische Kartellrecht im Gegensatz zum GWB kein ausdrückliches Empfehlungsverbot enthält. Einseitige Wettbewerbsbeschränkungen werden daher zusammen mit Verträgen zu den Vereinbarungen oder den abgestimmten Verhaltensweisen i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG gezählt l39 . Aber auch die nationalen Kartellbehörden machen es sich in der Praxis leicht und greifen immer dann auf das Empfehlungsverbot des § 22 GWB zurück, wenn ein an sich zweiseitig abgestimmtes Verhalten nur einer Person nachgewiesen werden kann. Damit wird jedoch die klare und unmissverständliche Differenzierung des Gesetzgebers unterwandert. Das Empfehlungsverbot darf nicht als Auffangtatbestand missbraucht werden, um den wesentlich schwierigeren Nachweis der Annahme eines Vertrags- oder Abstimmungsangebotes wenigstens durch Sanktionierung des in der Regel einfacher nachweisbaren Verhaltens des Erklärenden l40 zu kompensieren l41 . Konsequenterweise müssen daher auch Äußerungen, die 136 So ausdrücklich Roth in FK-GWB, § 25 Tz. 13; Benisch spricht von "vertragsähnlicher Willensübereinstimmung" und "gegenseitiger Koordinierung des Willens" in: GK, § 25 Abs. 1 Rz. 2 ff. sowie in Rz. 8 von "Abstimmung" oder "Verständigung mit dem Empfehlenden oder zwischen den Empfehlungsadressaten"; Lübbert, Das Verbot abgestimmten Verhaltens im deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 71, spricht von "vorhergehender Abstimmung". 137 Benisch in GK, § 25 Ab. 1 Rz. 6. 138 Benisch in GK, § 25 Abs. 1 Rz. 8. 139 Bunte in Langen/Bunte, § 1 Rz. 34; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 Rz. 87 und 134 f.; Schröter in v. GroebenlThiesinglEhlermann, Art. 85 Rz. 54, spricht im Rahmen des Tatbestandsmerkmales der aufeinander abgestimmten Verhaltensweise von einem "Auffangtatbestand"; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rz. 78 und 85; Schumann, Empfehlungen im deutschen und EG-Kartellrecht, S. 81. 140 Vgl. BGH v. 14.1.1960 - KRB 12/59 - Kohlenplatzhandel, BGHSt 14,55 (60) = WuWIE BGH 369 (371). 141 So aber Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 49 und Tiedemann in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 120; zunächst auch DanneckeriBiermann in Immenga/Mestmäcker, § 81 Rz. 156, später aber differenzierter (Rz. 181): so wird im Verhältnis
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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auf eine gegenseitige Vereinbarung gerichtet sind, aber noch keine Gegenreaktion beim Adressaten ausgelöst haben, kartellrechtlich ohne Sanktion bleiben l42 . Dabei handelt es sich nicht etwa um eine ungewollte Regelungslücke des Gesetzgebers. Erklärungen, die objektiv erkennbar in Erwartung einer Gegenreaktion des Adressaten geäußert werden und auf eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung gerichtet sind, erfüllen erst dann ein kartellrechtlich vorwertbares Verhalten, wenn der Vorschlag auch angenommen wird und damit quasi in Kraft tritt. Bei der Empfehlung mit wettbewerbsbeschränkendem Inhalt ist hingegen bereits mit Abgabe einer einzigen Erklärung objektiv erkennbar, dass der Koordinationsvorgang bzw. Koordinationsversuch abgeschlossen sein soll. Auf den tatsächlichen Erfolg einer beabsichtigten Wettbewerbsbeschränkung kommt es mit Einführung der Tatbestandsvariante des Bezweckens seit der Sechsten GWB-Novelle weder bei § 1 noch bei § 22 GWB an. b) Rechtliche Unverbindlichkeit
Da die Maßnahmen weder als Verwaltungsakte noch Satzungen ergehen, sind sie rechtlich unverbindlich. Dies gilt auch für Äußerungen, die dem Inhalt nach auf die Einhaltung einer gesetzlichen Vorschrift gerichtet sind 143. Hierzu zählt der Fall, dass ein Verband ein Mitglied auffordert, bestehende Standesregeln einzuhalten. Die Verbindlichkeit geht in diesen Fällen nicht von der Empfehlungserklärung selbst, sondern vom Erklärungsinhalt aus, dem eine entsprechende verbindliche Regelung zugrunde liegt. Ein Verstoß gegen das Empfehlungsverbot scheitert daher nicht wegen fehlender rechtlicher Unverbindlichkeit l44 , sondern daran, dass nur der erlaubte Wettbewerb vom GWB geschützt wird l45 . Empfiehlt die Kammer oder private Standesorganisation die Einhaltung rechtmäßiger Berufsregeln, wird der Wettbewerb nicht über das zulässige Maß hinaus beschränkt. Beinhaltet der Ratschlag die Einhaltung rechtswidriger Standesregeln, erfüllen sowohl der Ratschlag als auch die Standesregel die Voraussetzungen der Anwendbarkeit des GWB und der rechtlichen Unverbindlichkeit i.S.d. des Empfehlungsbegriffes.
zur Vereinbarung die Empfehlung als "aliud" gewertet, im Verhältnis zum abgestimmten Verhalten sollen allerdings die Übergänge "fließend" sein. Das Angebot zur Verhaltensabstimmung kann demnach eine einseitige Empfehlung enthalten, wenn keine Abstimmung zustande kommt. 142 Vgl. Bartsch, Die kartellrechtlichen Empfehlungsverbote, S. 77 f. 143 Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 53. 144 So aber wohl Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 53. 145 Vgl. A. III. 2. a).
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
c) Faktische Verbindlichkeit durch Druck und Zwang
Auch wenn die zuvor beschriebenen Maßnahmen ihrer Rechtsnatur nach unverbindlich sind, können Begleitumstände bzw. Begleitrnaßnahmen dennoch eine faktische Bindungswirkung erzeugen, die gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder auch moralischer Natur sein kann. Das Prinzip faktischer Verbindlichkeit ist im Zusammenhang mit verbandsrechtlichen Maßnahmen häufig anzutreffen. Dabei verursacht an erster Stelle das bloße Vorhandensein der Möglichkeit standesrechtlicher Disziplinarmaßnahmen eine umfassende Bindungswirkung, die den Freiberufler auch ohne explizite Androhung in aller Regel davon abhält, sich dem Verband zu widersetzen l46 . Die Grundlage hierfür bietet die eigene Disziplinargewalt, die sich die verkammerten Freien Berufe geschaffen haben, um ihr Standesrecht durchzusetzen. Das in allen Branchen weitgehend gleichgestaltete Verfahren beinhaltet bei geringen Verstößen in der Regel eine Rüge des Kammervorstandes 147 und bei schwereren Missachtungen ein berufsgerichtliches Verfahren 148. Im Bereich der Medizin wirken neben den Berufsgerichten auch die sog. Ethikkomrnissionen an der Überwachung der Berufspflichten mit. Im Zweifel wird der Freiberufler die Aufforderung der Standesvertretung befolgen, um finanzielle und berufsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Selbst wenn er sich sicher im Recht fühlt, kann ein berufsrechtliches Verfahren, unabhängig von seinem Ausgang, Beeinträchtigungen des Ansehens des Betroffenen mit sich bringen und ihn zum Einlenken bewegen. Daher können auch rechtlich unverbindliche Äußerungen von Standesorganisationen im Ergebnis eine annähernd gleiche Wirkung wie rechtsverbindliche Vorschriften in Berufsordnungen erlangen, selbst wenn sie ausdrücklich als "unverbindlich" deklariert werden. Die Anwendung von wirtschaftlichem, gesellschaftlichem oder sonstigem Druck, um das Verhalten des Empfehlungsempfängers im Wettbewerb in einer tatsächlich bindenden Weise zu bestimmen und die Empfehlung durchzusetzen, führt nach ganz überwiegendender Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht zum Ausschluss der Anwendbarkeit des Empfehlungsverbotes l49 . Erfasst 146 Fälle mit ausdrücklicher Androhung berufs gerichtlicher Verfahren: BGH v. 16.12.1976 - KVR 5/75 - Architekten-Gebühren, GRUR 1977,739 (741) = WuW/E BGH 1474; BKartA v. 12.3.1986 - B3-773700-AV-114/84 - WRP 1986,552 (553) = WuWIE OLG 2232. 147 LaufslUhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 7; vgl. § 74 BRAO; Art. 38 Bay HkaG; Art. 22 bay. ArchitektenG. 148 §§ 142 ff. BRAO; Art. 84 BayHKaG; Art. 36 bay. ArchitektenG. 149 v. Gamm, Kartellrecht, §§ 38, 38a Rz. 28; Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 75; a.A. Müller-Uri, Kartellrecht, Rz. 205; unklar bei Bunte in LangenlBunte, § 22 Rz. 5, der einen Verzicht auf jegliche faktische Bindungskraft fordert, aber zugleich einen faktischen Zwang zur Befolgung einer Empfehlung akzeptiert; bejahend auch BGH v. 8.10.1958 - KZR 1/58 - 4711, BGHZ 28, 208 (215 f.); KG v. 9.3.1962 - 5 Kart V
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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werden sollen auch ausdrücklich als "unverbindlich" bezeichnete Empfehlungen, bei denen der Einzelne zwar letztlich im Rechtssinne in seiner Entschließung frei bleibt, auf eine andere Art jedoch tatsächlich in dieser Freiheit eingeengt und zu einem den Wettbewerb vermeidenden Verhalten veranlasst wird 150. Nur vereinzelt wurden früher Erklärungen, die mit einem Sanktionsvorbehalt verbunden waren, vom Empfehlungsbegriff ausgeklammert l51 • Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass Empfehlungen i.S.d. Kartellrechts mit Druckmitteln einhergehen können, da § 22 Abs. 2 Nr. 2 sowie § 23 Abs. 1 Nr. 1 GWB als Bedingung für eine Befreiung vom Empfehlungsverbot verlangen, dass "zu ihrer Durchsetzung kein wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder sonstiger Druck angewendet wird". Werden als Druckmittel das Androhen oder Zufügen von Nachteilen oder das Versprechen oder Gewähren von Vorteilen verwendet, so kommt immer auch ein Verstoß gegen das Druckverbot des § 21 Abs. 2 GWB in Betracht, das wie das Empfehlungsverbot einen Umgehungstatbestand beinhaltet 152. Das Androhen und Durchführen von (berufs)gerichtlichen Verfahren beinhaltet jedoch grundsätzlich keine unzulässige Druckausübung i.S.d. § 21 Abs. 2 GWB, da hierzu jedermann berechtigt ist 153. Die Kammern sind aufgrund ihrer öffentlichrechtlichen Funktion als Überwachungsinstanz sogar dazu verpflichtet, für die Einhaltung der Berufspflichten der Freiberufler zu sorgen. Soweit die Anrufung des Gerichtes im guten Glauben erfolgt, ist dies grundsätzlich keine durch § 21 Abs. 2 GWB verbotene Zufügung eines Nachteils l54 . Lediglich im Einzelfall kann die Androhung von berufsrechtlichen Konsequenzen auch über das zulässige Maß hinausgehen und ein Verbot begründen 155 . Da nach herrschender Meinung auch beim Einsatz von Druckmitteln in der gesteigerten Form des Zwanges die Voraussetzungen für eine Empfehlung erfüllt sind, kommt zusätzlich eine parallele Anwendung des Zwangs verbotes (§ 21 Abs. 3 GWB) in Betracht, solange ein Minimum an Willens- und Ent-
10/61 - Armbanduhren, WuWIE OLG 455 (456); BGH v. 16.12.1976 - KVR 5/75 Architektenkammer, WUWIE BGH 1474 (1480); BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 Musterrnietvertrag, BGHZ 125, 315 (318) =WuWIE BGH 2923 (2925). 150 BGH v. 8.10.1958 - KZR 1/58 - 4711, BGHZ 28,208 (217 f.). 151 Paul, DB 1958, 1319 (1319 0. 152 Ehle, WuW 1964, 308 (314); Schulte-Franzheim in Müller/GießlerlScholz § 25 Rz. 18; Roth in FK-GWB, § 25 Tz. 140. 153 BGH v. 19.3.1991 - KVR 4/89 - Warenproben in Apotheken, BGH WuWIE 2688 (2692 f.); a.A. Schulte-Franzheim in Müller/GießlerlScholz, § 25 Rz. 18. 154 OLG Bremen v. 6.4.1989 - Kart. (V) 1/88 - Proben apothekenüblicher Waren, OLG 4367 (4372 ff.) mit Anmerkung von Wagner. 155 BGH v. 19.3.1991 - KVR 4/89 - Warenproben in Apotheken, BGH WuWIE 2688 (2693).
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
schließungsfreiheit des Adressaten gewährleistet bleibe 56. Wer den Tatbestand des § 21 Abs. 3 GWB allerdings restriktiv auslegt und auch in Nr. 3 ein gleichförmiges Verhalten voraussetzt, das auf zulässige Weise ebenso vertraglich geregelt werden könnte l57 (insbesondere erlaubte Kartelle nach §§ 2-8 GWB), muss eine parallele Anwendbarkeit des Zwangsverbotes neben dem Empfehlungsverbot konsequenterweise ausschließen. Der Grund hierfür liegt nicht in dem Druckmittel des Zwanges, sondern in der Tatsache, dass ein vom Kartellverbot befreites Verhalten keine Umgehung i.S.d. § 22 GWB begründen kann 158. Der Wortlaut des § 21 Abs. 3 Nr. 3 GWB, der allgemein vom "gleichförmigen Verhalten" spricht, gibt jedoch keinen Anlass zu einer solchen restriktiven Tatbestandsauslegung. Hinzu kommt, dass bereits § 21 Abs. 3 Nr. 1 GWB das grundsätzlich erlaubte gleichförmige Verhalten vollständig erfasst. Dem Argument einer unerwünschten Konkurrenzsituation zwischen § 21 Abs. 3 Nr. 3 GWB und der Kartellverbotsvariante der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen l59 ist entgegenzuhalten, dass es sich beim Zwangsverbot - wie auch beim Empfehlungsverbot - im Gegensatz zur abgestimmten Verhaltensweise um eine einseitige Maßnahme des Zwangausübenden handelt, die eine Tatbestandsüberschneidung ausschließt. d) Kartellrechtlich irrelevante Meinungs- und Tatsachenäußerungen
Dem Sinn und Zweck des Empfehlungsverbotes würde es widersprechen, die unverbindliche Meinungsäußerung oder die schlichte Übermittlung einer Information als verbotene Empfehlungen i.S.d. § 22 GWB zu ahnden, wenn diese keine wettbewerbseinschränkende Ziele verfolgt und keine Lenkungswirkung ausübt l60 . Das verfassungsrechtlich geschützte Gut der Meinungs-, Informations- und Informationsbeschaffungsfreiheit wäre unverhältnismäßig eng einge156 BGH v. 7.10.1980 - KZR 25/79 - Rote List, WuW/E 1740, 1745; Achenbach in FK-GWB, § 38, Tz. 120; Benisch in GK, § 25 Abs. 2 und 3 Rz. 26; Roth, in FK-GWB, § 25 Tz. 191. 157 So Emmerich, Kartellrecht, § 17, 3., S. 164; Markert in Immenga/Mestmäcker, § 21 Rz. 91; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 319; a.A.: Benisch in GK, § 25 Abs. 2 und 3 Rz. 30; Roth, in FK-GWB, § 25 Tz. 202; Bechtold, GWB, § 21 Rz. 14, allerdings widersprüchlich, da er zum einen nur an sich erlaubtes Verhalten erfassen will (§ 21 Rz. 14), zum anderen bei gleichförmigem Verhalten auch § 21 Abs. 2 GWB für anwendbar hält (Rz. 16), der jedoch ein verbotenes gleichförmiges Verhalten erfasst. 158 Vgl. 3 b). 159 Vgl. lmmenga in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 25 Rz. 103; Roth in FK-GWB, § 25 Tz. 202. 160 Schreven in Müller/GießlerlScholz, § 38 Rz. 52; ausführlich zum Austausch von Informationen: Krieger, Verstößt der Austausch von Informationen gegen das Empfehlungsverbot des § 38 Abs. 2 Satz 2 GWB?
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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grenzt, wenn jedes am Geschäftsverkehr teilnehmende Unternehmen bei Äußerungen, die ihm zuzurechnen sind, mit kartellrechtlichen Sanktionen rechnen müsste. Gerade bei den Freien Berufen ist die Informationsbeschaffung und -verbreitung sehr wichtig. So erfüllen beispielsweise die verschiedenen Fachgesellschaften im Gesundheitsbereich die unverzichtbare Aufgabe, ihre Mitglieder mit Informationen über den aktuellen Entwicklungsstand in der Forschung und den daraus gewonnenen Erkenntnissen für den praktizierenden Arzt zu versorgen - eine zeitaufwendige und umfangreiche Aufgabe, die ein einzelnes Mitglied für sich allein nicht bewältigen könnte. Es wäre kaum vorstellbar, wenn man einem medizinischen Fachverband die Verbreitung neuer Heilungsmethoden oder einem Ingenieurverband den Hinweis auf neue Erkenntnisse bezüglich der Bausicherheit als kartellrechtlich unzulässige Empfehlungen verbieten würde l61 • Für den Bereich der Mitteilungen der Berufskammern hat die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechungspraxis bestätigt, dass es zulässig ist, wenn Kammern Öffentlichkeitsarbeit betreiben und Informationen an ihre Mitglieder im Rahmen von Zeitschriften und Mitteilungsblättern herausgeben l62 . Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung bei Meinungsäußerungen und Mitteilungen kann jedoch nicht pauschal ausgeschlossen werden. Auch wenn solchen Erklärungen in den allermeisten Fällen das Bestreben fehlt, den Willen des Adressaten zu beeinflussen 163, so darf nicht vernachlässigt werden, dass auch die schlichte Übermittlung von Daten und Fakten im Einzelfall geeignet sein kann, den Wettbewerb nachteilig zu beeinträchtigen. Eine äußerlich objektive Mitteilung verliert dann ihre wettbewerbsneutrale Wirkung, wenn hinter ihr die Taktik steht, das Verhalten anderer Marktteilnehmer zu koordinieren l64 . So können
161 Aber auch außerhalb der Freien Berufe spielt der unbeschränkte Datenaustausch im Zeitalter der Globalisierung und weltweiten Vemetzung eine immer wichtigere Rolle und ermöglicht es, das Expertenwissen des gesamten Globus zusammenzutragen und zu nutzen. 162 Tettinger, Kammerrecht, S. 159 ff. 163 BGH v. 14.1.1960 - KRB 12/59 - Kohlenplatzhandel, BGHSt 14, 55 (58) = WuWIE BGH 369 (370); ebenso: KG v. 9.3.1962 - 5 Kart V 10/61 - Armbanduhren, WuWIE OLG 455 (456); OLG Celle v. 24.8.1962 - 3 Kart-B 1/62 - Brotkrieg, WuWIE OLG 500 (503); BGH v. 6.6.1963 - KVR l/62 - Os co Parat, WuWIE BGH 536 (539); KG v. 9.1.1970 - Kart 1820/69 - Fotohandel Großvertrieb, WuWIE OLG 1097 (1098); OLG Koblenz v. 16.2.1984 - 6 U 1736/82 - Landesapothekerverein, WuWIE OLG 3263 (3266 und 3267 f.); OLG München v. 24.9.1992 - U (K) 1667/92 - Preisempfehlung für Brillen, WuWIE OLG 5043 (5046), spricht vom "Bestreben"; BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 - Mustermietvertrag, BGHZ 125, 315 (318) = WuWIE BGH 2923 (2925); OLG München v. 27.2.1997 - U (K) 3297/96 - Mietwagen-Subordinationsfranchising, WuWIE OLG 5869 (5870). 164 Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 51 benützt den Begriff der "stillschweigenden Empfehlung".
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
gezielte Informationen über das geplante Marktverhalten an die Mitbewerber dazu führen, dass der wettbewerbspolitisch erwünschte Wettlauf der Konkurrenten untereinander empfindlich beschränkt wird, ohne dass es zu einer Absprache kommen muss 165 • Oft ist nicht nur der Informationsinhalt entscheidend, sondern vielmehr der konkrete Umstand, unter dem eine Information weitergeben wird, sowie die Auswahl, Akzentuierung und nicht zuletzt die Tatsache, von wem die Mitteilung stammt l66 • Auf der anderen Seite kann nicht bereits die bloße Eignung zur Beeinflussung des Adressaten einen Verstoß gegen das Empfehlungsverbot begründen l67 , da es vorstellbar ist, dass eine Information ohne jeglichen Beeinflussungswillen überliefert wird, letztendlich aber dennoch zu einer Verhaltenskoordinierung führt. Die Unternehmen wären in ihrer Informationsarbeit erheblich beeinträchtigt, wenn sie ständig einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Empfehlungsverbot zu befürchten hätten. Die Unterscheidung zwischen kartellrechtlich unzulässigen Empfehlungen i.S.d. § 22 GWB und kartellrechtlich irrelevanten Tatsachen- und Meinungsäußerungen lässt sich mit Hilfe des Empfehlungsmerkmales des Beeinflussungswillens treffen 168. So setzt die Empfehlung nach der "Kohlenplatzhandel"Entscheidung des BGH voraus, dass der Wille des Adressaten beeinflusst wird 169. Der Beeinflussungswille ist neben der Eigenschaft der Einseitigkeit und rechtlichen Unverbindlichkeit eine zusätzliche Komponente des Empfehlungsbegriffes 170, die nicht mit dem allgemeinen Empfehlungsvorsatz bzw. dem vom 165 Im Einzelfall bleibt allerdings die Abgrenzung zur abgestimmten Verhaltensweise im Rahmen des § I GWB zu berücksichtigen, vgl. Hootz in GK, § I Rz. 79 und Roth in FK-GWB, § 25 Tz. 39. 166 Dies gibt auch Huber zu bedenken, in: Das Empfehlungsverbot, S. 39 f. 167 Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 45. 168 Vgl. Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 50 und Tiederrmnn in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 126, die letztlich auch zu diesem Ergebnis kommen, wenn sie die Information in der Form der Tatsachenmitteilung nur dann aus dem Anwendungsbereich der Empfehlungen herausnehmen wollen, wenn sich der Wille des Erklärenden in der Übermittlung der Information erschöpft. 169 BGH v. 14.1.1960 - KRB 12/59 - Kohlenplatzhandel, BGHSt 14, 55 (58) = WuW/E BGH 369 (370). So auch KG v. 9.3.1962 - 5 Kart V 10/61 - Armbanduhren, WuW/E OLG 455 (456); OLG Celle v. 24.8.1962 - 3 Kart-B 1/62 - Brotkrieg, WuW/E OLG 500 (503); BGH v. 6.6.1963 - KVR 1/62 - Osco Parat, WuW/E BGH 536 (539); KG v. 9.1.1970 - Kart 1820/69 - Fotohandel Großvertrieb, WuW/E OLG 1097 (1098); OLG Koblenz v. 16.2.1984 - 6 U 1736/82 - Landesapothekerverein, WuW/E OLG 3263 (3266 und 3267 f.); OLG München v. 24.9.1992 - U (K) 1667/92 - Preisempfehlung für Brillen, WuW/E OLG 5043 (5046) spricht von "Bestreben"; BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 - Mustermietvertrag, BGHZ 125, 315 (318) = WuW/E BGH 2923 (2925); OLG München v. 27.2.1997 - U (K) 3297/96 - Mietwagen-Subordinationsfranchising, WuW/E OLG 5869 (5870). 170 DanneckeriBierrrmnn in Immenga/Mestmäcker, § 81 Rz. 173.
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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BGH in der ,,Mustermietvertrag"-Entscheidung entwickelten Koordinierungswillen zu verwechseln ist 171 • Auf die Erörterung der umstrittenen Frage, welche Anforderungen an die Intensität des Beeinflussungswillens zur Verwirklichung der Empfehlungseigenschaft zu stellen sind, soll verzichtet werden, da dies nur im konkreten Einzelfall von Bedeutung ist, wenn eine Absicht im technischen Sinne nicht vorliegt oder dem Empfehlenden nicht nachgewiesen werden kann 172. In der Regel wird es dem Empfehlenden jedoch gerade darauf ankommen, den Willen des Adressaten durch seine Äußerung zu beeinflussen. Neuerdings wird wieder auf den Ansatz zurückgegriffen, die Beeinflussungseigenschaft einer Empfehlung in Anlehnung an den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz zu empfangsbedürftigen Willenserklärungen mit Hilfe der objektiven Betrachtung vom Empfangerhorizont zu bestirnmen 173 • Zu untersuchen wäre danach, ob sich die Äußerung auch für einen unbeteiligten Dritten als beabsichtigte Willensbeeinflussung des Erklärenden darstellt. Eine Empfehlung könnte dann schon bei schlüssigem Verhalten bejaht werden. Die Bedeutung dieses Ansatzes dürfte eher gering sein, da sich im Regelfall die subjektive Vorstellung des Empfehlenden und die objektive Wahrnehmung des Empfehlungsadressaten decken. Übrig bleiben lediglich Fälle, in denen die Äußerung eine ungewollte Empfehlungswirkung auslöst (s.o.) bzw. im umgekehrten Fall, eine beabsichtigte Empfehlung vom Adressaten nicht als solche verstanden wird. Im Rahmen von Ordnungswidrigkeitentatbeständen (§ 22 i.V.rn. § 81 Abs. I Nr. I GWB) ist Schreven in Müller/GießlerlScholz, § 38 Rz. 44. Für direkten Vorsatzes: Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999, Tz. 140; Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 51, ders., Kooperationsfibel, S. 17, spricht wie der BGH vom "Bestreben"; Schreven in Müller/GießlerlScholz, § 38 Rz. 44 und 70; v. Gamm, Kartellrecht, §§ 38, 38a Rz. 28; für dolus eventualis wohl Bechtold, NJW 1995, 1936 (1939): "Eine besondere subjektive Komponente im Sinne einer Absicht oder eines direkten Beeinflussungswillens wurde bisher nicht verlangt", und ders. in: GWB, § 22 Rz. 4; Bunte in Langen/Bunte, § 22 Rz. 8; Klusmann in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, S. 1601 Rz. 17; uneinheitlich auch die Praxis des BKartA: die Notwendigkeit eines Empfehlungswillen verneinend: BKartA, TB 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 24 und TB 1976, BT-Drucks. 8/704, S. 35; bejahend: BKartA v. 9.5.1977 - B 5-542000-0-1139/76 - Preislisten zur Auswahl, WuWIE BKartA 1683 (1684), spricht von billigend in Kauf nehmen der Preisvereinheitlichung; wohl auch BKartA v. 18.5.1977 - B-702000-0-48/87 - Mustermietvertrag II, WuWIE BKartA 2507 (2510). 173 Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999 Tz. 141; Bartsch, Die kartellrechtlichen Empfehlungsverbote, S. 9 ff., so auch schon Schütz, BB 1975, 859 (862); vgl. Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, § 81 Rz. 175; Gleiss, BB 1958,431 (431); ablehnend OLG Koblenz v. 16.2.1984 - 6 U 1736/82 - Landesapothekerverein, WuWIE OLG 3263 (3267) und Ehle, Umgehung des Kartellverbots aufgrund Empfehlungen, S. 37 ff. 171
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
jedoch kein Platz für Auslegungen nach dem objektiven Empfangerhorizont, sodass mit der herrschenden Meinung allein auf den beeinflussenden Willen des Empfehlenden abzustellen ist 174. 3. Weitere Tatbestandsvoraussetzungen
a) Form und Bestimmtheit
Die Erklärung kann mündlich oder schriftlich abgegeben werden und muss das vom Empfehlenden angestrebte Verhalten des Erklärungsempfangers nicht beim Namen nennen. Es genügt daher, wenn der Adressat aus der Handlung des Empfehlenden und den Umständen das erwartete Verhalten erkennen kann 175. Auch der ausdrückliche Hinweis auf die Unverbindlichkeit einer abgegebenen Erklärung ändert den Empfehlungscharakter nicht 176. Was den Inhalt der Empfehlung betrifft, so ist nicht erforderlich, dass dem Adressaten ein Vorgehen in genauen Details vorgeschlagen wird. Allerdings darf auch nicht jede zwar beeinflussende, aber zu unbestimmte Erklärung unter das Empfehlungsverbot fallen. Zu unbestimmt wird die Erklärung, wenn sie keine konkrete Handlung, sondern lediglich eine allgemeine Tendenz beinhaltet, wie beispielsweise die Aufforderung, die Preise stabil zu halten bzw. notwendige Erhöhungen auf ein Minimum zu beschränken oder den ruinösen Wettbewerb in einer Branche aufzugeben 177. Eine unzulässige Empfehlung ist aber nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass dem Empfehlungsempfanger eine oder mehrere Möglichkeiten zur Wahl angeboten werden, die zwar kartellrechtlich zulässig, wirtschaftlich jedoch so fernliegend sind, dass sie vom Adressaten außer Be-
174 Vgl. Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999 Tz. 140; so auch Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, § 81 Rz. 175. 175 KG v. 17.12.1976 - Kart. 10/76 - Uhrmacherpreise, WuWfE OLG 1817 (1817); OLG München v. 24.9.1992 - U (K) 1667/92 - Preisempfehlung für Brillen, WuWfE OLG 5043 (5046); BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 - Mustermietvertrag, BGHZ 125, 315 (318) = WuWfE BGH 2923 (2925); BKartA v. 18.5.1977 - B-702000-0-48/87Mustermietvertrag II, WuWfE BKart 2507 (2510); Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 54; ders., Kooperationsfibel, S. 15; Tiedemann in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 126. 176 Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 54.; ders., Kooperationsfibel, S. 15; a.A.: Huber, Das Empfehlungsverbot, S. 38. 177 Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 53; warum Benisch die Aufforderung zur allgemeinen Preiserhöhung wenig später (Rz. 68) als Empfehlung wertet, kann angesichts der vergleichbaren Lage zur Aufforderung, die Preise stabil zu halten, nicht nachvollzogen werden.
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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tracht gelassen werden 178. Hinsichtlich der Bestimmtheit des Adressatenkreises bestehen keine besonders hohen Anforderungen. So kann sich die Empfehlung auch an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten richten 179 . b) Die Umgehung des Kartellverbotes durch gleichförmiges Verhalten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 i. v.m. § 1 GWB) Als Umgehungsverbot setzt § 22 Abs. I Satz I GWB voraus, dass durch das empfehlungs bedingte gleichförmige Verhalten ein Zustand herbeigeführt wird bzw. werden soll, der - wäre er durch vertragliche Regelung der Empfehlungsempfänger bewirkt - durch ein ausdrückliches Verbot untersagt wäre 180. Als umgehungsfähiges Verbot kommt insbesondere das Kartellverbot des § 1 GWB in Betracht 18l, das nicht nur die Verwendung eines bestimmten Mittels, sondern auch den Eintritt eines bestimmten Erfolges, nämlich die Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs, verhindern will 182 . Ein gleichförllÜges Verhalten der Standesangehörigen im Sinne einer im Wesentlichen übereinstimmenden Verhaltensweise l83 liegt insbesondere bei der Gebührenliquidation vor l84 • Würde das von den Kammern und privaten Standesorganisati178 BGH v. 1.6.1977 - KRB 3/76 - Brotindustrie, WuWIE BGH 1489 (1490); BKartA v. 9.5.1977 - B 5-542000-0-1139/76 - Preislisten zur Auswahl, WuW/E BKartA 1683 (1684). 179 FK-GWB, 1. Auflage, § 38 Tz. 142. 180 Sauter in Immenga/Mestmäcker, § 22 Rz. 2; Bunte in LangenIBunte, § 22 Rz. 10. 181 Statt aller: BGH v. 30.6.1987 - KZR 12/86 - Personenbeförderung ab Stadtkreisgrenze, WuWIE BGH 2411 (2413); BGH v. 23.2.1988 - KRB 5/87 - Brillenfassungen, WuWIE BGH 2469 (2470); BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 - Mustermietvertrag, BGHZ 125,315 (318) = WuWIE BGH 2923 (2925); Bechtold, § 22, Rz. 6; Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 65; Ehle, WuW 1964,308 (308); Emmerich, Kartellrecht, § 17, 1., S. 160; Sauter in Immenga/Mestmäcker, § 22 Rz. 8. 182 BGH v. 8.10.1958 - KZR 1/58 - 4711, BGHZ 28,208 (214); Ehle, WuW 1964, 308 (308); Sauter in Immenga/Mestmäcker, § 22 Rz. 10. Durch die Sechste GWBNovelle wurden die Vorschriften der §§ 1, 14 und 17 GWB (§§ 1, 15,20 GWB a. F.) zu echten Verbotstatbeständen umgestaltet. Vor dieser Neuregelung bedurfte es zunächst gern. § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. eines Sich-Hinwegsetzens über die vom Gesetz vorgesehene Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit der Vereinbarung. 183 Nach überwiegender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung kann ein gleichförmiges Verhalten immer schon dann vorliegen, wenn mindestens zwei Unternehmen die Empfehlung befolgen, vgl. KG v. 2.11.1982 - Kart. 22/82 - Druckereikonditionen, WuWIE OLG 2843 (2844); OLG Koblenz v. 16.2.1984 - 6 U 1736/82 - Landesapothekerverein, WuWIE OLG 3263 (3269); BKartA v. 7.3.1969 - B 5 384651-A-80/66 Verkehrszeichen-Bildliste, WuWIE BKartA 1273 (1277); v. Gamm, Kartellrecht, Rz. 30. 184 KG v. 18.4.1984 - Kart. a 27/83 - Altölpreise, WuWIE OLG 3387 (3392); Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 66; FK-GWB, 1. Aufl., § 38 Tz. 112; Bunte in Lan-
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onen beabsichtigte Verhalten auf gegenseitigen Vereinbarungen der Mitglieder beruhen, ohne vom Berufsrecht gedeckt zu sein, läge ein Verstoß gegen § I GWB vor. Zwar ist ein gleichförmiges Verhalten nicht grundsätzlich verboten, sondern kann auch ein Zeichen dafür sein, dass ein sehr harter Konkurrenzkampf am Markt herrscht l85 und die Preise auf dem niedrigsten Niveau angekommen sind I 86. Wenn dieser Zustand aber auf einseitigen Beeinflussungsmaßnahmen beruht, liegt darin eine unzulässige Umgehung des Kartellverbotes l87 . Aufgrund der Akzessorietät zwischen Primär- und Umgehungsverbot müssen alle objektiven Tatbestandesmerkmale der umgangenen Norm erfüllt sein l88 • Der Umgehungstatbestand darf folglich nicht weitergreifen als der unmittelbare Verbotstatbestand l89 . Aus diesem Grund muss bei der Umgehung des Kartellverbotes - wie beim direkten Verstoß - eine tatsächliche, d.h. spürbare Beeinträchtigung der Marktverhältnisse hinzukommen, um rein theoretische oder praktisch bedeutungslose Wettbewerbsbeschränkungen aus dem Anwendungsbereich des Kartellverbotes herauszufiltern l9o . Seit der neu hinzugekommenen Tatbestandsvariante des Bezweckens einer Umgehung l91 genügt jedoch die bloße Eignung zur Marktbeeinflussung, da es auf ein tatsächliches gleichförmiges Verhalten nicht ankommt 192. Die hier zugrunde gelegten Maßnahmen der Kammern und gen/Bunte, § 22 Rz. 14; Sauter in Immenga/Mestmäcker, § 22 Rz. 17; kritisch Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 66. 185 Vgl. Hootz in GI(, § 1 Rz. 57. 186 Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 82; Benisch in GK, § 25 Abs. I Rz. 4. 187 Zum allgemeinen Umgehungs verbot im Kartellrecht, s. Delahaye, WuW 1987, 877 ff. 188 BGH v. 5.2.2002 - KZR 3/01 - NJW 2002,2176. 189 BGH v. 14.1.1960 - KRB 12/59 - Kohlenplatzhandel, BGHSt 14, 55 (61) = WuW/E BGH 369 (371); BGH v. 23.2.1988 - KRB 5/87 - Brillenfassungen, WuW/E BGH 2469 (2470); BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 - Mustermietvertrag, BGHZ 125, 315 (319) = WuW/E BGH 2923 (2925); Benisch in GI(, § 38 Abs. 1 Rz. 66; Burkhardt, Kartellrecht, Rz. 278; FK-GWB, 1. Aufl., § 38, Tz. 95; Delahaye, WuW 1987, 877 (878). 190 M. Schmidt, Standesrecht und Standesmoral, S. 158. An einer spürbaren Beeinflussung fehlt es, wenn die Außenwirkung der Empfehlung praktisch nicht ins Gewicht fallen kann, vgl. BGH v. 23.2.1988 - KRB 5/87 - Brillenfassungen, WuW/E BGH 2469 (2470); KG v. 2.11.1982 - Kart. 22/82 - Druckereikonditionen, WuW/E OLG 2843 (2844 f.); eine wesentliche Beeinflussung ist nicht nötig, jedoch in der Regel bei einer größeren Zahl von Empfehlungsempfängern anzunehmen, vgl. BGH v. 14.1.1960 - KRB 12/59 - Kohlenplatzhandel, BGHSt 14,55 (63 f.) = WuW/E BGH 369 (372 f.); Sauter in Immenga/Mestmäcker, § 22 Rz. 23 u. 26; Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 62 191 Vgl. d). 192 Wenn man davon ausgeht, dass der rational handelnde Empfehlende regelmäßig nur solche Zwecke verfolgen wird, die sich auch spürbar auf den Markt auswirken sollen,
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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privaten Berufsorganisationen richten sich an eine Vielzahl von Freiberuflern, die keine Konkurrenten außerhalb des Standes haben. Eine spürbare Marktbeeinflussung wird regelmäßig vorliegen. Eine Umgehung des § 1 GWB ist immer dann ausgeschlossen, wenn Maßnahmen empfohlen werden, die zwingenden gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Da das GWB nur den erlaubten Wettbewerb schützt, wäre ein Vertrag i.S.d. § 1 GWB nicht verboten l93 . Infolgedessen würde es an einem umgehungsfähigen Verbot fehlen, das von § 22 Abs. 1 Satz 1 GWB aber vorausgesetzt wird 194. Empfehlungen der Kammern oder privaten Berufs- und Fachverbände, die rechtmäßige staatliche bzw. staatlich legitimierte Berufsregeln zum Inhalt haben, können daher nicht zur Grundlage eines kartellrechtlich verbotenen Verhaltens gemacht werden. c) Die Umgehung des § 14 GWB und Preisempfehlungen gern. § 22 Abs. 1 Satz 2 GWB I95
Das OLG Koblenz nimmt in seiner Entscheidung ,,Landesapothekerverein,,196 eine Umgehung des Verbotes von Preis- und Konditionenbindungen (§ 14 GWB) nicht nur bei Vorgaben von Produzenten der vorgelagerten Handelsstufe, sondern auch bei Kalkulationsempfehlungen eines privaten Interessenverbandes an 197 . Sobald sich mindestens zwei der Empfehlungsadressaten in der empfohlenen Weise verhalten würden, sei der Umgehungstatbestand erfüllt. Nach diesen Grundsätzen käme bei Empfehlungen von freiberuflichen Verbänden immer auch eine Umgehung des § 14 GWB in Betracht, sobald es um die Beeinflussung von Preisen oder Geschäftsbedingungen ginge. Eine solche extensive Auslegung der Umgehungsfähigkeit des § 14 GWB lässt sich jedoch weder für die Freien Berufe noch für andere Wirtschaftszweige rechtfertigen. Die Umgehung des § 14 GWB kommt nur bei Geschäftsbeziehungen im vertikalen Wettbewerbsverhältnis in Form von Austauschbeziehungen in Betracht l98 , bei denen die Beteiligten kann auf das Erfordernis der Spürbarkeit in diesem Zusammenhang grundsätzlich verzichtet werden, so Emmerich, Kartellrecht, § 3, 7., S. 44 im Bezug auf § I GWB. 193 Vgl. A. ill. 2. a). 194 KG v. 23.1.1990 - Kart. 7/89 - Musterrnietvertrag, WuWIE 4468 (4470). 195 Vgl. Benisch, GRUR 1975,47 ff.; Kazmeyer/Hennig, BB 1976,941 ff. 196 OLG Koblenz v. 16.2.1984 - 6 U 1736/82 - Landesapothekerverein, WuWIE OLG 3263. 197 OLG Koblenz v. 16.2.1984 - 6 U 1736/82 - Landesapothekerverein, WuWIE OLG 3263 (3269); im konkreten Fall wollte der Apothekerverein seine Mitglieder anhalten, auch solche Waren nach der amtlichen Preisverordnung für Arzneimittel (AmPVO) zu kalkulieren, die hiervon nicht erfasst wurden. 198 BGH v. 8.10.1958 - KZR 1/58 - 4711, BGHZ 28,208 (211 f.).
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
auf verschiedenen Wirtschaftsstufen tätig sind 199. Die Freiberufler stehen jedoch - was ihr Verhältnis zu den Kammern bzw. privaten Standesorganisationen betrifft - in keinem solchen Austauschverhältnis. Das liegt schon daran, dass die Verbände in der Regel nicht selbst am Dienstleistungsverkehr teilnehmen200 • In den seltenen Fällen, in denen sie unternehmerisch tätig sind, handeln sie auf gleicher Marktstufe und nicht als Lieferanten oder Abnehmer ihrer Mitglieder. Der zweite Empfehlungstatbestand des § 22 Abs. 1 Satz 2 GWB verdeutlicht, dass der Gesetzgeber ausdrücklich zwischen zwei Formen der Beeinflussung durch einseitige Erklärungen unterschieden hat. Im Fall der Umgehung des § 14 GWB liegt die ursprüngliche Gefahr einer Wettbewerbsbeschränkung nicht im gleichförmigen Verhalten mehrerer Empfehlungsadressaten, sondern im gesteigerten Einfluss des Handelspartners auf einer höheren oder niedrigeren Handelsstufe. Diese Konstellation wird ausdrücklich vom Preisempfehlungstatbestand erfasst, ohne dass es auf ein gleichförmiges Verhalten mehrerer Empfehlungsadressaten ankommt. Wenn der Anwendungsbereich des GWB eröffnet ist, besteht bei den Freien Berufen die Gefahr von Wettbewerbsbeschränkungen aber allein in dem gleichförmigen Verhalten der angesprochenen Standesangehörigen und nicht in der Beeinflussung der Preis- oder Konditionenautonomie eines Einzelnen. Bei den Freien Berufen kommt daher weder eine Umgehung des § 14 GWB im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 GWB noch ein Verstoß gegen das vertikale Preisempfehlungsverbot des § 22 Abs. 1 Satz 2 GWB in Betracht201 • d) Das Bewirken bzw. Bezwecken einer Umgehung
In der Tatbestandsvariante des Bewirkens einer Umgehung muss der Umgehungserfolg in Form eines gleichförmigen Verhaltens der Adressaten in der Gebührenliquidation und anderen wettbewerbsrelevanten Bereichen der Freien Berufe tatsächlich eingetreten sein202 • Ob zwischen dem Aussprechen der Empfehlungen der Verbände und dem gleichförmigen Verhalten sowie zwischen Letzterem und der Wettbewerbsbeschränkung ein Kausalzusammenhang i.S.d. der conditio sine qua non-Formel besteht203 , muss im konkreten Einzellfall un-
Emmerich, Kartellrecht, § 13, 1., S. 98. Vgl. A. I. 2. 20l Auch die übrigen, als umgehungsfähig in Betracht kommenden Verbote, wie beispielsweise die §§ 17, 18 GWB, haben für den Bereich der Standesregeln der Freien Berufe keine Bedeutung. 202 Vgl. Tiedemann in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 163. 203 Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999 Tz. 146; Ehle, WRP 1964,41 (41); die uferlose Weite des Verursachungsprinzips wird mit Hilfe einer objektiven Zurechnung eingegrenzt, vgl. Bartseh, Die kartellrechtlichen Empfehlungsverbote, S. 137, m.w.N. in 199
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tersucht werden204 . Da durch die Sechste GWB-Novelle in Angleichung an Art. 81 Abs. 1 EG die neue Tatbestandsvariante des Bezweckens einer Umgehung in den Verbotstatbestand des § 22 Abs. 1 Satz 1 GWB mitaufgenommen wurde, reicht es nun aus, wenn der Empfehlungserklärende lediglich den Willen zur Umgehung hat, ohne dass es tatsächlich zu einem gleichförmigen Verhalten gekommen sein muss205 . Dies dürfte bei den Standesorganisationen regelmäßig der Fall sein, da sie mit ihren ,,Arbeitshilfen" und anderen Maßnahmen nicht nur informieren, sondern auch regulieren wollen. e) Beteiligte Beteiligt sind notwendigerweise der Empfehlende und der Empfehlungsempfanger, wobei das Verbot des § 22 GWB nur Letzteren trifft. Das gleichförmige Verhalten der Empfehlungsadressaten bleibt kartellrechtlich ohne Sanktion206 . Im Gegensatz zur Preisempfehlung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 GWB sowie dem Druckverbot nach § 21 Abs. 2 GWB 207 , verdeutlicht der Wortlaut ("wer") der Umgehungsempfehlung, dass Empfehlender i.S.d. § 22 Abs. 1 S. 1 GWB jeder sein kann, ohne dass es auf die Unternehmenseigenschaft ankommt 208 . Standesrechtliche Empfehlungen i.S.d. § 22 GWB können daher nicht nur von einzelnen Freiberuflern, den Kammern und privaten Verbänden, sondern auch von außenFn. 65; die Rechtssprechung geht nach der Adäquanztheorie vor, so auch Ehle, WRP 1964,41 (41). 204 Hierzu ausführlich bei den Analog- und Schwellenwertempfehlungen (4. Kapitel: B. IV. 4.). Fehlt der Umgehungserfolg und mit ihm der Ursachenzusammenhang zwischen Empfehlung und gleichförmigem Verhalten, kann eine Versuchskonstellation vorliegen, die mangels ausdrücklicher kartellrechtlicher Regelung nach dem Grundsatz des § 13 Abs. 2 OWiG nicht bestraft werden kann, vgl. Achenbach in FK-GWB 1999, § 81, Tz. 149. 205 Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999, Tz. 137; Bechtold, § 22 Rz. 5; Emmerich, Kartellrecht, § 17, 1., S. 160; Haager, DStR 1999, 1153 (1155); Das Empfehlungsverbot ist damit zu einem Delikt mit überschießender Innentendenz geworden, vgl. Bartsch, Die kartellrechtlichen Empfehlungsverbote, S. 439. 206 BGH v. 14.1.1960 - KRB 12/59 - Kohlenplatzhandel, BGHSt 14, 55 (59) = WuWIE BGH 369 (371); Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999, Tz. 143; Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 77; Emmerich, Kartellrecht, § 17,1., S. 158. 207 Vgl. 2 c). 208 BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 - Mustermietvertrag, BGHZ 125, 315 (319) = WuWIE BGH 2923 (2925); Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999, Tz. 156; Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 55; Dannecker/Biermann in lmmengaIMestmäcker, § 81 Rz. 170; Rittner, Wirtschafts recht, § 18 Rz. 35; Schreven in Müller/GießlerlScholz, § 38 Rz. 46; Tiedemann in ImmengaIMestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 135; a.A.: Huber, Das Empfehlungsverbot, S. 45, der in Bezug auf § 1 und § 14 GWB nur Unternehmen und Unternehmensvereinigungen erfassen möchte.
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
stehenden Dritten ausgesprochen werden, die keine Unternehmen i.S.d. Kartellrechts sind. Empfehlungsempfanger können hingegen nur Unternehmen sein, da sich die umgehungsfähigen Verbote (insbesondere das Kartellverbot des § 1 GWB) ausschließlich gegen Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen richten209 . Die Freiberufler erfüllen grundsätzlich die Unternehmenseigenschaft i.S.d. § 1 GWB 210 und können daher auch Adressaten der von den Kammern und privaten Standesorganisationen ausgesprochenen Empfehlungen sein. J) Subjektiver EmpJehlungstatbestand
aa) Vorsatz und Koordinierungswille In den hier zugrunde gelegten Fällen kann davon ausgegangen werden, dass von den Standesorganisationen zumindest billigend in Kauf genommen wird, dass sie mit ihren einseitigen und rechtlich unverbindlichen Maßnahmen ein gleichförmiges Verhalten der Mitglieder erreichen. Die Willensbeeinflussung ist dabei bereits Voraussetzung für das Vorliegen einer Empfehlung, um kartellrechtsirrelevante Meinungen und Tatsachenäußerungen aus dem Tatbestand auszuklammern211 • Das Bezwecken einer Umgehung setzt schon begriffstechnisch eine Absicht bezüglich des Empfehlungserfolges voraus 212 • Es ist nicht nötig, dass die Verbände auch das umgangene Verbot erfassen. Unkenntnis sowie unrichtige Interpretation des Verbotes sind grundsätzlich vermeidbare Verbotsirrtümer (§ 11 Abs. 2 OWiG) , die die Bußgeldsanktion nicht entfallen lassen213 . Der BGH fordert seit der Musterrnietvertrags-Entscheidung214 das zusätzliche Element des Koordinierungswillens215 • Der subjektive Tatbestand des Emp209 Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 55; Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 46; Tiedemann in Irnmenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 155. 210 Vgl. A. I. 1. 211 a.A.: Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999, Tz. 151, der im Rahmen einer Parallelwertung in der Laienessfähre verlangt, dass der Empfehlende den sachlichen Bedeutungsgehalt einer kartellrechtlichen Empfehlung erkennen und ihren sozialen Sinn verstehen muss und insbesondere, dass er durch seine Erklärung den Willen des Empfängers beeinflusst hat. 212 Vgl. 3. d). 213 Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999, Tz. 153; DanneckeriBiermann in ImmengalMestmäcker, § 81 Rz. 178. 214 BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 - Mustermietvertrag, BGHZ 125, 315 = WuWIE BGH 2923 = NJW 1994, 1728: dabei handelte es sich um Vertrags muster für die Vermietung von Wohnräumen, die ein Landesverband von privaten Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümern entworfen und verbreitet hatte, und die im bestimmten Umfang eine Vereinheitlichung der Mietkonditionen bewirkten.
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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fehlungsverbotes sei nicht schon durch das bewusste Aussprechen einer Empfehlung erfüllt, da sonst der Anwendungsbereich des § 22 GWB entgegen dessen Sinn und Zweck zu sehr ausgedehnt werde. Vielmehr müsse der Empfehlende zusätzlich den Willen haben, das Verhalten der Marktteilnehmer durch seine Erklärung zu koordinieren216 . Auch das zu umgehende Kartellverbot des § 1 GWB verbiete nicht allein das bloße Parallelverhalten am Markt, sondern setze immer eine bewusste Koordinierung des Marktverhaltens von Unternehmen voraus 217 • Das bloße Bewusstsein, dass sich aus der Empfehlung eine Koordinierung ergeben könnte, soll nicht mehr ausreichen218 . In der Literatur werden Beeinflussungs- und Koordinierungswille oftmals in einem Zusammenhang genannt. Im Gegensatz zum Beeinflussungswillen handelt es sich jedoch beim Koordinierungswillen nicht um ein zusätzliches Wesensmerkmal des Empfehlungsbegriffes, sondern um eine Ergänzung des subjektiven Tatbestandes. So beurteilte auch der BGH die Mustermietverträge zunächst ausdrücklich als Empfehlungen i.S.d. § 22 GWB 219 , verneint ein Verstoß gegen das Empfehlungsverbot aber mangels Koordinierungswillens. Da es gerade Sinn und Zweck der Empfehlungen von Berufsvereinigungen ist, dass sich alle Standesangehörigen gleichförmig verhalten, dürfte auch regelmäßig ein Koordinierungswille vorliegen. bb) Fahrlässigkeit Durch die Sechste GWB-Novelle wurde die Strafbarkeit für fahrlässiges Handeln durch § 81 Abs. 1 GWB n. F. unterschiedslos auf sämtliche Ordnungswidrigkeitstatbestände und damit auch auf das Empfehlungsverbot ausgewei-
215 BGH v. 22.3.1994 - KVR 23/93 - Mustermietvertrag, BGHZ 125, 315 (318) = WuW/E BGH 2923 (2926); so auch OLG Düsseldorf v. 2.9.1997 - U (Kart) 11/97 Berliner Positivliste, WuWIE DE-R 183 (185 f.) = Pharma Recht 1998,58 (61); s. auch Grosse, WuW 1990,494 ff; Rittner, EWiR 1994,577 f. 216 s. Fn. 215. 217 Emmerich, JuS 1994,803 (804). 218 Bechtold, § 22, Rn. 4; ders. sieht darin aber auch die Gefahr, dass das Empfehlungsverbot in der Praxis leerläuft, NJW 1995, 1936 (1940); als zu unbestimmt kritisieren Bunte und Emmerich das Erfordernis des Koordinierungswillen: Bunte in LangenlBunte, § 22 Rz. 8; Emmerich, Kartellrecht, § 17, 1., S. 159. 219 Nach Ansicht des BKartA sei durch die Mustermietverträge das Kartellverbot durch gleichförmiges Verhalten der Vermieter, die überwiegend untemehmerisch im Sinne des § I GWB tätig wären, umgangen und die Empfehlungseigenschaft erfüllt. Insbesondere käme es dem Erklärenden im Sinne einer Beeinflussungsabsicht auch darauf an, dass sich eine mehr oder weniger große Anzahl der Adressaten in der von ihm vorgeschlagenen Weise verhalte.
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
tet220 . Ein fahrlässiger Verstoß gegen § 22 GWB ist aber aus folgenden Gründen von vornherein ausgeschlossen: In der Variante des Bezweckens einer Umgehung kommt es dem Täter gerade darauf an, durch seine Empfehlung die Umgehung eines kartellrechtlichen Verbotes und die Koordinierung eines gleichförmigen Verhaltens zu erreichen. Er muss demnach absichtlich handeln221 • Ein fahrlässiger Verstoß scheidet hier schon begrifflich aus. Ferner fehlt der für ein Fahrlässigkeitsdelikt notwendige Erfolgsanknüpfungspunkt, da auf das Vorhandensein einer tatsächlichen Umgehung durch gleichförmiges Verhalten verzichtet wird 222 • Sowohl in der Variante des Bezweckens als auch Bewirkens einer Umgehung scheitert ein fahrlässiger Verstoß gegen das Empfehlungsverbot auch aufgrund des zwingend erforderlichen Beeinflussungs- und Koordinierungswillens 223 . Beides sind subjektive Elemente, die eine Fahrlässigkeitskonstruktion ausschließen. Denn wie soll es möglich sein, das Verhalten der Empfehlungsadressaten bewusst zu beeinflussen und durch mehrere Empfehlungen ein gleichförmiges Verhalten zu koordinieren, ohne den Empfehlungserfolg wenigstens billigend in Kauf genommen zu haben? Nur wenn man den Empfehlungsbegriff nach rein objektiven Kriterien beurteilen würde224 , könnte ein fahrlässiger Verstoß gegen das Empfehlungsverbot angenommen werden, wenngleich dies nicht für die Variante des Bezweckens einer Umgehung zutreffen würde, da insoweit Voraussetzung ist, dass der Täter bezüglich der Empfehlungswirkung vorsätzlich handelt. Ein fahrlässiger Verstoß gegen das Empfehlungsverbot kommt daher generell nicht in Betracht. Die umfassende Ausweitung des Ordnungswidrigkeitentatbestandes des § 81 Abs. I GWB auf fahrlässige Verstöße gegen sämtliche kartellrechtliche Verbote ist vielmehr eine Ungenauigkeit der Gesetzgebung.
220 Zum Fahrlässigkeitsbegriff s. Achenbach in FK-GWB, Vorbem. § 81 GWB 1999, Tz. 133 m. w. N. 221 DanneckeriBiermann in Immenga/Mestmäcker, § 81 Rz. 179. 222 Vgl. 3. d); so auch Achenbach in FK-GWB, § 81 GWM 1999 Tz. 154, allerdings unverständlicherweise nur für den Fall der Preisempfehlung. Dasselbe gilt auch für die Variante des Bezweckens einer Umgehung. 223 So auch Bechtold, § 22 Rz. 4, der das Bezwecken nur als "Vorstufe" des Bewirkens einordnet; a.A. wohl Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999, Tz. 141. 224 Bartsch, Die kartellrechtlichen Empfehlungsverbote, S. 9 ff., so auch schon Schütz, BB 1975, 859 (862).
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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4. Ergebnis
Die einleitend beschriebenen Maßnahmen der Berufsorganisationen erfüllen die Voraussetzungen des Tatbestandes des § 22 Abs. 1 Satz 1 GWB in der Variante der Umgehung des Kartellverbotes.
m. Standesrechtliche Berufsordnungen 1. Beispiele
Bei den verkammerten Freien Berufen existieren zahlreiche Berufsregeln, die von den Standesvertretungen meist in Form der Satzung erlassen werden und einheitliche Verhaltensregeln im Bereich der Werbung und Gebührenliquidation aufstellen. Öffentlichrechtliche Berufsordnungen gibt es beispielsweise bei den Ingenieuren225 , Rechtsanwälten226 und Ärzten227 . Aber auch die privaten Standesorganisationen können Berufsregeln als Vereins satzungen erlassen228 • Im öffentlichrechtlichen Standeswesen können nur rechtswidrige Satzungen kartellrechtlich relevant werden, da bei staatlich legitimierten Wettbewerbsbeschränkungen bereits die Anwendung des GWB ausgeschlossen ist229 . Die Bedeutung rechtswidriger Berufsregeln nimmt jedoch stetig zu, seitdem die Gerichte immer öfter eine Einschränkung der freiberuflichen Privatautonornie für nicht verfassungskonform erklären23o • Da die privaten Standesorganisationen im Gegensatz zu den Kammern nicht hoheitlich tätig werden können, genießen ihre Regelungen nur insoweit den Vorrang des staatlich legitimierten Berufsrechts, wie sie keine eigenständigen und weitergehenden Weubewerbsbeschränkungen beinhalten.
225 Z.B. Berufsordnung der brandenburgischen Ingenieurkammer, im Internet unter: www.bbik.de/beruford.pdf(19.7.2002). 226 In der Fassung vom 1.5.2002, im Internet unter: http://www.brak.de/seitenl pdf/bora.pdf (19.7.2002). 227 Z.B. Berufsordnung der Ärzte in Rheinland-Pfalz v. 25.11.2000, im Internet unter: http://www.pfaelzer-aerzte.de/a_ueberuns/ka/rechtsgrundl/bo/bo.htm (19.7.2002). 228 Z.B. Berufsordnung der Heilpraktiker, im Internet unter: http://www.heilpraktiker.org/boh/bohtop.htm (19.7.2002). Zur Rechtmäßigkeit des Werbeverbotes für Heilpraktiker s. BGH 1 ZR 166/87, WRP 1990,246-248. 229 Vgl. A. III. 230 Vgl. A. V.
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht 2. Empfehlungseigenschaften
a) Einseitigkeit: Abgrenzung zur Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise
Bei Berufsregeln, die im Rahmen einer Satzung erlassen wurden, könnten Zweifel an der Empfehlungsvoraussetzung der Einseitigkeit bestehen, wenn ihnen eine Abstimmung der Mitglieder oder zumindest einiger Standesvertreter vorausgegangen ist231 . Die Qualifizierung verbandsrechtlicher Maßnahmen als zweiseitig im Sinne einer Vereinbarung bzw. abgestimmten Verhaltensweise findet sich in Literatur und Rechtsprechung nur vereinzelt und beschränkt sich in der Regel auf die einer Vereinigung zu Grunde gelegten Ursatzung 232 . Die herrschende Meinung zählt Satzungen entgegen der sog. Vertragstheorie sowohl im hoheitlichen als auch im privatrechtlichen Bereich nicht zu den Verträgen233 . Das bloße Befolgen einer kollektiv erlassenen Maßnahme ist keine konkludente Willensäußerung i.S. einer Annahmeerklärung durch die Mitglieder234 . Eine Vereinbarung könnte jedoch dadurch konstruiert werden, dass man bei der Betrachtung des Zustandekommens einer Satzung auf einen früheren Zeitpunkt abstellt235 . Dem endgültigen Satzungserlass geht in aller Regel eine Abstimmung der Mitglieder bzw. der die Gesamtheit der Mitglieder repräsentierenden Stellvertreter voraus. Dies gilt sowohl für den öffentlichrechtlichen als auch privatrechtlichen Satzungsbereich. So wird bei den Rechtsanwälten die sog. Satzungsversammlung gern. § 191a LV.rn. § 59b BRAO ermächtigt, eine Berufsordnung zu erlassen. Dieser Satzungsversammlung gehört eine bestimmte Anzahl von stimmberechtigten Mitgliedern an, die wiederum von sämtlichen Mitgliedern der Kammer gewählt werden. Bei den Ärzten sind für den Erlass von Satzungen inklusive der Berufsordnung die sog. Vertreterversammlungen der Landesärztekammern zuständig (Bsp. § 9 KG BaWü)236. Die Vertreterversammlung ist das Hauptorgan der Kammer, das von den Mitgliedern nach den Vgl. Hootz in GK, § 1 Rz. 72; BMWi, Kooperationsfibel, S. 54. Vgl. Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. II11158, S. 30; BGH v. 17.5.1973 - KZR 2/72 - Stromversorgungsgenossenschaft, WuW/BGH 1313 (1315); Huber/Baums in FK-GWB, § 1 Tz. 119 u. 122; Immenga greift jedoch auch bei fehlender Satzungsermächtigung auf die Konstruktion eines mehrseitigen gentlemen's agreement zurück, in: Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 1 Rz. 138; im Ergebnis auch M. Schmidt, Standes recht und Standesmoral, S. 136: der auf die Verhaltensabstimmung verweist. 233 Näher dazu Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 559 ff. 234 Roth in FK-GWB, § 25 Tz. 13. 235 Vgl. Lübbert, Das Verbot abgestimmten Verhaltens im deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 71. 236 Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 11. 231
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B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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Wahlrechtsgrundsätzen berufen wird und aus deren Mitte der Vorstand gewählt wird. Solche und vergleichbare Abläufe beim Zustandekommen einer Satzung könnten als stellvertretende Vereinbarungen sämtlicher Kammennitglieder untereinander bewertet werden. Auch den Akt des Beitritts des einzelnen Mitgliedes in den jeweiligen Berufsverband könnte man als eine pauschale Übereinkunft ex ante ("antizipativer Konsens ..237 ) zwischen den Standesmitgliedern bezogen auf alle standesrechtlichen Maßnahmen der Kammer oder des Vereins betrachten. So dürfte den meisten Standesangehörigen beim Verbandseintritt bewusst sein, dass sie an die von der Standesorganisation aufgestellten Regeln gebunden sind, und dadurch ein gleichfönniges Verhalten aller Mitglieder erzielt wird. Statt vertrags ähnlicher Abstimmungen der Standesmitglieder untereinander, wird die Vereinbarung quasi auf den Beitrittszeitpunkt jedes Einzelnen vorverlegt und pauschal auf alle künftigen Maßnahmen des Verbandes erstreckt. Bei privatrechtlichen Unternehmensvereinigungen ließe sich eine solche Übereinkunft nicht nur über den Eintritt begründen, sondern auch mit der Tatsache, dass dem Mitglied grundsätzlich ein Austrittsrecht zusteht. Das Verbleiben im Verein könnte somit als konkludente Zustimmung zu den Mehrheitsentscheidungen betrachtet werden238 . Folgende Argumente schließen diese Konstruktionsversuche jedoch aus: Die interne Willensbildung in der Unternehmensvereinigung ändert nichts am einseitigen Charakter der letztlich erlassenen Maßnahme, sondern bleibt kartellrechtlich unbeachtlich, auch wenn sie das gleichförmige Verhalten der Mitglieder zum Gegenstand hat 239 . Sie beinhaltet eine notwendige Vorstufe, da in einer verbandsrechtlichen Organisation Maßnahmen in aller Regel nicht nur auf das Verhalten eines Einzelnen zurückzuführen sind, sondern zumindest im Vorstand abgesprochen werden müssen. Diese Auffassung wird durch die Vorschrift über die sog. Mittelstandsempfehlung des § 22 Abs. 2 GWB 240 bestätigt, die notwendigerweise davon ausgeht, dass der Äußerung einer mittelständischen Unternehmensvereinigung eine kartellrechtlich sanktionslose Abstimmung der Beteiligten vorausgegangen ist24 1• Die Einseitigkeit solcher Maßnahmen kommt auch im Subordinationsverhältnis242 zwischen Unternehmensvereinigung und Mitglied zum Ausdruck. So müssen mehrheitlich beschlossene Vorgaben des Verbandes auch von denjenigen übernommen werden, die an dem Entscheidungsprozess
Vgl. Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 691 m.w.N. Vgl. Taupitz, S. 691. 239 a.A. Hootz in GK, § 1 Rz. 71, der nur die interne Meinungsbildung über das Verhalten der Vereinigung für kartellrechtlich irrelevant hält. 240 Ausführlich zu den Mittelstandsempfehlungen unter IV. 2. a). 241 BMWi, Kooperationsfibel, S. 53. 242 Vgl. Taupitz, S. 559 m.w.N. in Fn. 23 zu den privatrechtlich verfassten Verbänden und S. 564 zu den öffentlichrechtlichen Kammern. 237 238
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
nicht mitgewirkt bzw. sich bei der Stimmabgabe enthalten oder sogar dagegen gestimmt haben. Aber auch bei Zustimmung kommt es im Gegensatz zur vertraglichen Koordination in solchen Fällen zur Akzeptierung eines fremden Willens 243 . Die Tatsache, dass ein Mitglied der Unternehmens vereinigung in der Regel weiß und davon ausgeht, dass die an ihn gerichtete Aufforderung auch allen anderen Mitgliedern zugeht, führt nicht automatisch zu einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise, gleichgültig, ob der Erklärungsempfanger faktisch gezwungen oder freiwillig der Aufforderung folgt 244 • Nicht zuletzt bestehen auch erhebliche rechtsstaatliche Bedenken, wenn durch die Konstruktion einer Vereinbarung oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweise letztlich sogar diejenigen nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB kartellrechtlich verantwortlich gemacht werden, die sich ausdrücklich mit ihrer Stimme gegen eine konkrete Maßnahme ausgesprochen haben245 . Das kartellrechtswidrige Verhalten der Vereinigung würde dem Freiberufler allein aufgrund der Kammer- oder Vereins mitgliedschaft angelastet, ohne dass er hierauf einen Einfluss hätte 246 . Dies gilt vor allem für kammerrechtliche Maßnahmen, da dem einzelnen Mitglied dort nicht einmal die Möglichkeit bleibt, seine Zwangsmitgliedschaft aufzugeben, ohne auch seinen Status als Freiberufler zu verlieren. Neben dem generellen Mehrheitsprinzip von Verbandsentscheidungen247 spricht auch der stets wechselnde Kreis der Mitglieder gegen eine Form der persönlichen "Kollektivhaftung" sämtlicher Verbandsangehöriger. Die wettbewerbsbeschränkenden Regelungen von Kammern und privaten Berufsorganisationen in Form von verbandsrechtlich erlassenen Berufsordnungen sind auch bei Beteiligung der Mitglieder einseitige Erklärungen i.S.d. Empfehlungsbegriffes. b) Rechtliche Unverbindlichkeit: Abgrenzung zum Beschluss i.S.d. § 1 GWB
Im Unterschied zu einer rechtlichen Verpflichtung, die auf einem Vertrag, formellem Gesetz, einer Rechtsverordnung, Satzung oder einem Verwaltungsakt 243 Vgl. Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 99; lmmenga in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 25 Rz. 10; nur bei einstimmig gefassten Beschlüssen könnte man von einer Vereinbarung i.S.d. § 1 GWB ausgehen. Hier würde der Akt der Standesorganisation lediglich einen deklatorischen Zweck erfüllen und keine Regelungswirkung für dagegenstimmende, sich enthaltende oder abwesende Verbandsmitglieder entfalten, vgl. ohne diese Differenzierung Huber/Baums in FK-GWB, § 1 Tz. 122. 244 Benisch in GK, § 25 Abs. 1 Rz. 8; a.A.: Belke, ZHR 1975,51 (94). 245 K. Schmidt, Kartellverbot und "sonstige Wettbewerbsbeschränkungen", S. 179, spricht von der "Zurechnung kraft Organisationsrechts". 246 Vgl. Taupitz, Die Standesordnungen der Freien Berufe, S. 562. 247 § 32 Abs. 1 S. 3 BGB.
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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beruht, lässt die Empfehlung dem Adressaten letztlich die Freiheit der Entschließung 248 . Rechtmäßige Satzungen der öffentlichrechtlichen Kammern kommen nach dem Grundsatz des Vorranges des Berufsrechts ohnehin nicht als Kartellrechtsverstöße in Betracht249 . Die Anwendung des GWB wurde jedoch für sämtliche rechtswidrige Berufsregeln bejaht250 . Da rechtswidrige Normen grundsätzlich nichtig und somit rechtsunwirksam sind, können sie lediglich eine faktische Bindungswirkung entfalten251 • Die Voraussetzungen des Empfehlungsbegriffes sind insoweit erfüllt. Zwar hat der Gesetzgeber diesen Grundsatz durch viele Ausnahmeregelung in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise aufgeweicht (z.B. §§ 214 f. BauGB), derartige Sonderbestimmungen wurden für die Standesregeln der Freien Berufe jedoch nicht getroffen. Wie sich die Kenntnis bzw. die in der Regel fehlende Kenntnis des Empfehlenden über die rechtliche Eigenschaft der Kammermaßnahme auswirkt, bleibt eine Frage des subjektiven Tatbestandes. Folgt man der immer noch herrschenden Meinung, die den Anwendungsbereich des GWB nur dann eröffnet sieht, wenn die Kammer ihren Kompetenzrahmen deutlich verlassen hat 252 , so bleibt bei weniger gravierenden Rechtswidrigkeitsgründen ein Verstoß gegen das Empfehlungsverbot aufgrund hoheitlichen Handelns von vornherein ausgeschlossen. In Rechtsprechung und Literatur wird bei standesrechtlichen Maßnahmen in aller Regel auf den Beschluss i.S.d. § 1 GWB zurückgegriffen, ohne einen Verstoß gegen das Empfehlungsverbot in Betracht zu ziehen. Sollte diese Auffas248 BGH v. 6.6.1963 - KVR 1/62 - Osco Parat, WuWIE BGH 536 (539); Tiedemann in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 38 Rz. 127. 249 Vgl. A. m. 250 Z.B. die Kammer erlässt wettbewerbsbeschränkende Regelungen, ohne ermächtigt zu sein, vgl. BVerfG v. 14.7.1987 - 1 BvR 537/81 - BVerfGE 76,171 ff. und 1 BvR 362/79 - BVerfG 196 ff. (Richtlinien der BRAK, vgl. 1. Kapitel: B. II. 3.) und KG v. 3.3.1987 - 1 Kart. 4/86 - Apothekerkarnmer Bremen, WuWIE OLG 4008 (4010); hoheitlich erlassene Satzungen müssen als allgemeine Rechtsnormen sämtliche materiellen und formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen erfüllen, vgl. Henssler, ZIP 1998, 2121 (2123), insbesondere den Bestimmtheitsgrundsatz, vgl. BVerfG v. 21.6.1977 - 2 BvL 2/76 - BVerfGE 45, 346 (351 ff.). In formeller Hinsicht ist ein ordnungsgemäßer Satzungsbeschluss, eine förmliche Ausfertigung und Publikation sowie ggf. eine aufsichtsbehördliche Genehmigung nötig, vgl. Tettinger, Kammerrecht, S. 189. Die richterliche Kontrolle beschränkt sich im Zusammenhang der Ermessensausübung jedoch nur auf das Ergebnis des Rechtsetzungsverfahrens (Rechtmäßigkeitsprüfung), nicht auf die ihr zugrundeliegenden Motive und den Gestaltungsfreiraum des Satzungsgebers (Zweckmäßigkeitsprüfung), vgl. BVerwG v. 3.11.1988 - 7 C 115/86 - BVerwGE 80, 355 (370); BVerfG v. 8.6.1977 - 2 BvR 499/74 - BVerfGE 45,142 (162 f.). 251 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rz. 20. 252 Vgl. A. m. b)
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2. Kapitel: Standes rechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
sung zutreffen, wäre kein Platz für einen Rückgriff auf das Umgehungsverbot des § 22 GWB. Ein Verstoß gegen das Kartellverbot wäre allerdings ausgeschlossen, wenn der Beschluss im Gegensatz zur Empfehlung eine rechtliche Verbindlichkeit voraussetzen würde. In der Literatur besteht insoweit Einigkeit, als dass dem Beschluss ein verbindlicher Charakter zukommen muss. Nur Hooti 53 geht soweit, dass Beschlüsse im kartelirechtlichen (im Gegensatz zum bürgerlich-rechtlichen) Sinne auch dann vorliegen sollen, wenn sie gewollt unverbindlich seien. Diese Auffassung würde allerdings dazu führen, dass selbst ausdrücklich als unverbindlich bezeichnete Äußerungen als Beschlüsse i.S.d. § 1 GWB einzustufen wären. Für das Empfehlungsverbot bliebe im Bereich der wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen von Unternehmensvereinigungen dann kein Platz mehr254 . Ungeklärt bleibt allerdings die Frage nach den Anforderungen an die Verbindlichkeit des Beschlusses: Immenga 255 scheint auf eine rechtliche Verbindlichkeit des Beschlusses verzichten zu wollen, wenn er auf den entsprechenden Verzicht beim Kartellvertrag verweist256 . Schmidt257 hingegen greift bei fehlender rechtlicher Verbindlichkeit auf das Tatbestandsmerkmal der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zurück, was darauf hindeutet, dass er die rechtliche Verbindlichkeit des Beschlusses voraussetzt. In vielen Darstellungen bleibt allerdings unausgesprochen, welche Kriterien an die Verbindlichkeit des Beschlusses und die Anwendbarkeit des § 1 GWB geknüpft werden sollen. Überwiegend wird nur auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Beschlusses abgestellt 258 , d.h. ob die Entschließung auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrages, der Satzung oder Geschäftsordnung ergangen ist und den Mitgliedern als Willensäußerung der Vereinigung bekannt gemacht wurde259 . Bei fehlender "entsprechender Ermächtigung,,260 des handelnden Organs bzw. fehlender Übereinstimmung in ,Jnhalt und
253
Hootz a.a.O, Rz. 74.
254 Beim "Beschluss" der Untemehmensvereinigung, eine Empfehlung auszusprechen,
kommt es nach dem oben entwickelten Prüfungs schema kartellrechtlich allein auf den Zeitpunkt der letztlich erlassenen Maßnahme an, die im hier genannten Fall eine Empfehlung i.S.d. § 22 GWB darstellt; so inkonsequenterweise auch Hootz, Rz. 72. 255 Immenga in Immenga/Mestmäcker, 2. Aufl., § 1 Rz. 138; ausdrücklich nun Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 129. 256 Die parallele Anwendung des gentlemen's agreement im Rahmen des § 1 GWB (§ 1 Rz. 138), lässt sich nur damit erklären, dass Immenga entgegen der hier vertretenen Auffassung im Beschluss ein mehrseitiges Rechtsgeschäft sieht (vgl. § I, Rz. 135). 257 M. Schmidt, Standes recht und Standesmoral, S. 136. 258 v. Gamm, Kartellrecht, § 1 Rz. 24; Müller/Nacken in Müller/Gießler/Scholz, § 1 Rz. 77 u. 77 a. 259 Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 7 Rz. 8. 260 Müller/Nacken in Müller/Gießler/Scholz, § 1 Rz. 77b und zuvor in Rz. 77a: "Auch Kartellbeschlüsse setzen begrifflich eine Bindungswirkung für die Mitglieder der Unter-
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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Fonn" 261 der jeweiligen Satzungsbestimmung soll eine Bindungswirkung nicht eintreten und stattdessen das Vorliegen einer Empfehlung möglich sein262 • Andere verlangen für den Beschluss, dass sich aus der "organisierten Bindung zugleich eine Rechtsbasis für dessen Verbindlichkeit" ergibe63 . Offen bleibt, ob allein auf formelle Zulässigkeitskriterien abzustellen ist, oder nur diejenigen Maßnahmen "unmittelbare Bindung gegenüber den Mitgliedern,,264 hervorrufen, die sämtliche fonnellen wie materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (inklusive der Ermächtigungsgrundlage) erfüllen. Trotz Unklarheit ist davon auszugehen, dass die wohl herrschende Meinung keine rechtliche Verbindlichkeit des Kartellbeschlusses verlangt, sondern auch faktische Gründe genügen lässt265 • Diese Auffassung findet sich auch im Zusammenhang mit Art. 81 Abs. 1 EG wieder, wo ebenfalls auf eine strikte Trennung zwischen rechtlich verbindlichen und rechtlich unverbindlichen Maßnahmen verzichtet wird266 • Diese Ergebnisse sind jedoch nicht ohne weiteres auf das Kartellverbot des GWB übertragbar, da die nationalen Kartellrechtsvorschriften im Gegensatz zum EG-Vertrag mit der Existenz zweier in Betracht kommender Verbote zur klaren Differenzierung zwingen. Wenn von der herrschenden Meinung auf der einen Seite für den Beschluss i.S.d. § 1 GWB keine rechtliche, aber eine faktische Bindungskraft vorausgesetzt wird, auf der anderen Seite aber gleichennaßen anerkannt ist, dass das Empfehlungsverbot auch faktisch bindende Erklärungen, sogar in Fonn des Zwanges erfasst, stellt sich die Frage, wo die Grenzen zwischen beiden Vorschriften gezogen werden sollen. Wann ist ein Beschluss zu unverbindlich für § 1 GWB, wann eine Empfehlung zu verbindlich für § 22 GWB? Klare Abgrenzungskriterien fehlen. Daher soll wie schon bei der Frage der Anwendbarkeit des GWB auf rechtswidrige Berufsregeln267 strikt zwischen rechtswirksamen und rechtswidrigen Maßnahmen unterschieden werden, um Beschlüsse von Empfehlungen kartellrechtlich eindeutig abgrenzen zu können. Bestätigt wird dies aus dem Blickwinkel des Empfehlungsverbotes, in dessen Zusammenhang oft betont wird, dass die Empfehlung ,,im Unterschied zum Beschluss ihrem Wesen nach
nehmensvereinigung voraus. Der Zweck der Vereinigung muss daher zumindest eine Kartelltätigkeit mit umfassen und die Satzung eine solche Tätigkeit erlauben." 261 Müller-Henneberg in GK, § 1 Rz. 30. 262 Im Ergebnis auch v. Gamm, Kartellrecht, § 1 Rz. 24. 263 Bunte in LangenlBunte, § 1 Rz. 52; so auch Müller-Henneberg in GK, § 1 Rz. 30. 264 Müller/Nacken, Rz. 77b. 265 Ausdrücklich: WestricklLoewenheim, § 1 Rz. 47; Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 7 Rz. 8. 266 s. ausführlich dazu im 3. Kapitel: B. IV. 4. 267 V gl. A. III. 2. b) cc).
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
rechtlich unverbindlich ist,,268. Im Umkehrschluss daraus ergibt sich, dass der Beschluss rechtlich verbindlich sein muss 269 . Bei rechtsunwirksamen Standesregeln bleibt nur ein Rückgriff auf das Empfehlungsverbot möglich. 3. Weitere Tatbestandsvoraussetzungen
Verabschiedet die Standesorganisation eine Satzung mit rechtswidrigen Berufsregeln, so liegen die Empfehlungsvoraussetzungen grundsätzlich vor. Der Verband wird jedoch in aller Regel davon ausgehen, dass er rechtlich verbindliche Verhaltensnormen aufgestellt hat. Subjektive Vorstellung und tatsächliche Rechtslage weichen voneinander ab. In den umgekehrten Fällen, in denen sich der Verband über die beeinflussende Wirkung seiner als schlichte Tatsachenäußerungen gedachten Maßnahmen irrt, ist ein Verstoß gegen das Empfehlungsverbot mangels Beeinflussungswillens ausgeschlossen270 • Geht er aber irrig von einer rechtsverbindlichen Regelungswirkung aus, umfasst sein Vorsatz ein Mehr an Empfehlungsvoraussetzungen. Da es für einen Verstoß gegen das Empfehlungsverbot bereits genügt, dass der Erklärende mit seiner Äußerung den Willen des Adressaten im Gegensatz zur bloßen Tatsachenmitteilung oder Meinungsäußerung in seiner Entscheidungsfreiheit beeinflusst271 , muss a maiore ad minus erst recht ein Verstoß gegen § 22 GWB angenommen werden, wenn der Erklärende den Adressaten rechtlich verpflichten möchte, sich in bestimmter Weise wettbewerbsbeschränkend zu verhalten. Die Standesvertretung kann sich daher dem Empfehlungsverbot nicht mit dem Argument des fehlenden Bewusstseins der rechtlichen Unverbindlichkeit ihrer Maßnahme entziehen. Bezüglich der übrigen Voraussetzungen eines Verstoßes gegen das Empfehlungsverbot in der Variante der Umgehung des Kartellverbotes kann auf die Ausführungen zu den unverbindlichen Maßnahmen von Kammern und privaten Standesorganisationen (vgl. I) verwiesen werden.
268 BGH v. 16.12.1976 - KVR 5/75 - Architektenkammer, WUWIE BGH 1474 (1480). 269 So wohl auch K. Schmidt, Kartellverbot und "sonstige Wettbewerbsbeschränkungen", S. 179: " ... weil der Kartellbeschlusstatbestand wie der Kartellvertragstatbestand Rechtsverbindlichkeit voraussetzt...". 270 V gl. II. 2. d). 271 Nach h.M. ist auch keine faktischen Bindungswirkung erforderlich, vgl. II. 2. c).
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IV. Gesetzliche Befreiungen vom Empfehlungsverbot 1. Bereichsausnahmen
Im Zuge der Sechsten GWB-Novelle wurden viele Ausnahmeregelungen der §§ 99ff. GWB a.F., durch die bestimmte ,,Märkte mit Sonderbedingungen"m privilegiert werden sollten, erheblich zurückgeführt 273 • Übrig blieb die spezielle Bereichsausnahme274 des § 28 GWB 275 sowie der gegen Widerstand des BKartA und zahlreicher Verbände, Organisationen und Wissenschaftler276 eilends neueingefügte Ausnahmebereich für die zentrale Vermarktung der Femsehübertragungsrechte in § 31 GWB n. F. 277 • Für die Standesregeln der Freien Berufe enthält das GWB keine Ausnahmeregelungen. Dies gilt auch für spezielle Berufsfelder, wie dem Gesundheitsbereich. Die vereinzelt zu fmdende Auffassung, dass das Gesundheitswesen generell nicht dem GWB unterfalle 278 , fmdet keinerlei gesetzliche Anhaltspunkte und widerspricht der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Freien Berufe279 •
Rittner, Die Beurteilung der Ausnahmebereiche aus wissenschaftlicher Sicht, S. 80. Begründung zum RegE, BT-Dr. 13/9720, S. 38. 274 Kritisch zum Begriff "Bereichsausnahme" bzw. "Ausnahmebereich": Rittner, S. 272
273
94.
275 Verträge und Beschlüsse von landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben, Vereinigungen von Erzeugerbetrieben und Vereinigungen von Erzeugervereinigungen. 276 BKartA, TB 1997/98, BT-Drucks. 14/1139, S.42; Bechtold, NJW 1998, 2769 (2770); Bunte, DB 1998, 1748 (1748). 277 Dies geht auf einen BGH-Beschluss zurück, der die Untersagung der zentralen Vermarktung von Europapokalheimspielen bestätigte (BGH v. 11.12.1997 - KVR 7/96 EuropapokalheimspieJe, NJW 1998, 756). Als weitere Bereichsausnahme findet § 103 GWB a. F. mittelbar über § 131 Abs. 8 GWB n. F. immer noch Anwendung, wurde aber schon vor der Sechsten GWB-Novelle durch das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. April 1998 beschränkt: durch § 103 b GWB a. F. wurde die Liberalisierung auf dem Strom- u. Gasmarkt besiegelt. Übrig geblieben ist die vorläufige Privilegierung der Wasserversorgung, die eine qualitativ hochwertige und hygienisch einwandfreie Trinkwasserversorgung und einen flächendeckenden Gewässerschutz gewährleisten soll; vgl. BT-Drucks. 14/1139, S. 42; Begr. zum RegE einer Sechsten GWBNovelle, BT-Drucks. 13/9720, S. 70 (zu § 98 Abs. 2 des Entwurfs, der inhaltlich dem § 131 Abs. 8 des heutigen GWB entspricht). 278 Vgl. Neumann, Kartellrechtliche Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen im Gesundheitswesen, S. 66 f., m.w.N. in Fn. 197. 279 Vgl. A. I.
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
2. Ausnahmen vom Empfehlungsverbot, § 22 Abs. 2 und 3 GWB
Für eine Freistellung standesrechtlicher Empfehlungen kommen letztlich nur die in § 22 GWB enthaltenen Befreiungsvorschriften in Betracht. Die Ausnahmevorschrift für unverbindliche Preisempfehlungen für Markenwaren (§ 23 GWB) ist für die Freien Berufe ohne Bedeutung. a) Mittelstandsempfehlungen, § 22 Abs. 2 GWB Für die wettbewerbsbeschränkenden Empfehlungen der Standesorganisationen kommt zunächst eine Befreiung nach § 22 Abs. 2 GWB in Betracht, wenn die berufsrechtlichen Maßnahmen den Tatbestand einer Mittelstandsempfehlung erfüllen. Nach dieser Vorschrift fallen Empfehlungen von Vereinigungen kleiner oder mittlerer Unternehmen an ihre Verbandsmitglieder nicht unter das Empfehlungsverbot, wenn sie ausdrücklich als unverbindlich bezeichnet und ohne Druckmittel angewandt werden und sich auf den Kreis der Beteiligten beschränken28o . Für die Standesorganisationen ist dieser Ausnahmetatbestand insbesondere deshalb interessant, da Mittelstandsempfehlungen keine vorherige Anmeldung bei der Kartellbehörde voraussetzen, sondern bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von Beginn an kartellrechtlich zulässig sind. Die Ausnahmeregelung umfasst im Gegensatz zu den anderen Befreiungsvorschriften des § 22 Abs. 3 GWB auch das allgemeine Empfehlungsverbot des § 22 Abs. I Satz I GWB und damit jede Form des Verhaltens im Wettbewerb281 . Die kleinen und mittleren Unternehmen können sich auf dieser Grundlage in fast allen Bereichen der unternehmerischen Tätigkeit sämtlicher marktstrategischer Instrumente bedienen282 • Standesrechtliche Werbeverbote sowie Maßnahmen betreffend 280 Zur Entstehungsgeschichte siehe Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 96 f.; Kleier, Freistellungen von den Empfehlungsverboten nach deutschem (§ 38 Abs. 2 GWB) und europäischem (Art. 85 EWG-Vertrag) Kartellrecht, S. 22 ff.; vgl. auch Lohrberg, Die Mitteistandsempfehlung des GWB - Eine Analyse aus Marketingsicht. 281 Merkblatt des BKartA über die Kooperationsmöglichkeiten für kleinere und mittlere Unternehmen nach dem Kartellgesetz, abgedruckt in FK-GWB, T A V 53; Trautmann, WuW 1975,307 (307); der Gegenstand der Befreiung erstreckte sich bis zur Erweiterung der Mittelstandsempfehlung durch die Zweite Kartellrechtsnovelle vom 3. August 1973 nur auf das Empfehlen von Preisen oder die Art der Preisfestsetzung (vertikale Preisempfehlung § 22 Abs. 1 Satz 2 GWB n. F.) und wurde von der Praxis sehr eng ausgelegt, s. Emmerich, Die Zulässigkeit der Kooperation von Unternehmen auf Grund des reformierten GWB, S. 56. 282 Schreven in Müller/Gießler/Scholz, § 38 Rz. 79; in Betracht kommen vor allem gemeinsame Katalog-, Plakat- und Zeitungswerbung sowie gemeinsame Sortimentsgestaltung und Sonderangebote, ausführlich Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 99; Burkhardt, Kartellrecht, Rz. 207; Emmerich, Kartellrecht, § 12, 3., S. 96 f.; Sauter in Immenga/Mestmäcker, § 22 Rz. 70.
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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einer einheitlichen Gebühren- bzw. Honorarabrechnung wären inhaltlich von der Mittelstandsempfehlung gedeckt. Die Mittelstandsempfehlung muss sich an ,,kleine oder mittlere Unternehmen" richten283 . Da die Freiberufler zu den Unternehmen i.S.d. des GWB zählen284 und zum klassischen Mittelstand gerechnet werden können285 , sind diese Voraussetzungen ebenfalls erfüllt. Die Empfehlungen werden auch von Vereinigungen in Gestallt der Wirtschafts- und Berufsverbände der Freien Berufe ausgesprochen und nicht etwa von den beteiligten Unternehmen selbst bzw. deren Tochterunternehmen. Auf die Rechtsform und Dauer der Vereinigung kommt es nicht an286 . Die gemeinsame Willensbildung innerhalb der Vereinigung, die zu den beschriebenen Empfehlungen führt, verstößt ihrerseits nicht gegen das Kartellverbot 287 , solange sich die Übereinkunft auf das Aussprechen der unverbindlichen Empfehlung und nicht auf weitergehende Absprachen erstreckt288 . Die Mittelstandsempfehlung soll dazu dienen, die Wettbewerbsfähigkeit der Beteiligten gegenüber den Großbetrieben oder großbetrieblichen Unternehmensformen durch einen strukturellen Nachteilsausgleich zu verbessern (§ 22 Abs. 2 Nr. I GWB)289, ohne dass der Wettbewerb in unvertretbarer Weise beschränkt wird29o . Als Instrument des Mittelstandsschutzes291 bzw. der Mittelstandsförderung ermöglicht es § 22 Abs. 2 GWB den mittelständischen Unternehmen, durch das gemeinsame und gleichförmige Auftreten am Markt dem mächtigen Einfluss großer Abnehmer und Lieferanten sowie Mitbewerbern stärker entgegentreten zu können292 . An dieser Stelle wird deutlich, dass die standesrechtlichen Wettbewerbsbeschränkungen in den Freien Berufen nicht Gegenstand von Mit283 So auch bei § 4 Abs. 1 GWB, s. Bunte in LangenJBunte, § 22 Rz. 24; Sauter in ImmengalMestmäcker, § 22 Rz. 73; a.A.: Schreven in Müller/GießlerlScholz, § 38 Rz. 83 und 85. 284 V gl. A. I. 1. 285 Auch wenn das Beispiel der zunehmend global tätigen Rechtsanwaltskanzleien eine gegenläufige Tendenz erkennen lässt, wobei viele dieser Anwälte in großen Sozietäten ihren Beruf nicht selbständig, sondern als Angestellte in wirtschaftlicher Abhängigkeit ausüben. 286 BKartA, TB 1978, BT-Orucks. 8/2980, S. 12; Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 100; Sauter in ImmengalMestmäcker, § 22 Rz. 75. 287 Vgl. ill. 2. a); Bechtold, GWB, § 22 Rz. 11; Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 101; Bunte in LangenJBunte, § 22 Rz. 23. 288 Vgl. Hennig/Paetow, in OB 1978,2349 (2349). 289 Vgl. dazu die entsprechende Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 2 GWB. 290 Merkblatt des BKartA über die Kooperationsmöglichkeiten für kleinere und mittlere Unternehmen nach dem Kartellgesetz, abgedruckt in FK-GWB, T A V 53; Rintelmann, OB 1973, 1930 (1932 f.). 291 Busche, BB 1991, 1363 (1365). 292 Vgl. Emmerich, Kartellrecht, § 12, 1., S. 94 f.
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2. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und nationales Kartellrecht
telstandsempfehlungen sein können, da es nicht Sinn und Zweck dieser Empfehlungen ist, die Wettbewerbsfähigkeit der Freiberufler gegenüber Großbetrieben zu verbessern. Die Freiberufler sind keiner außerverbandlichen Konkurrenz durch größere und einflussreichere Unternehmen ausgesetzt. Mittelstandsempfehlungen bleiben vielmehr den Anbietern von Waren und gewerblichen Leistungen vorbehalten. Eine Befreiung standesrechtlicher Maßnahmen vom Empfehlungsverbot im Rahmen der Mittelstandempfehlungen nach § 22 Abs. 2 GWB kommt nicht in Betracht. b) Normen-, Typen- und Konditionenempfehlungen, § 22 Abs. 3 GWB Nach § 22 Abs. 3 Nr. 1 GWB sind Empfehlungen zulässig, die ohne Druckmittel lediglich der einheitlichen Anwendung von (technischen) Normen und Typen dienen293 , da die zu erwartenden Wettbewerbsbeschränkungen ungleich weniger wiegen, als der Gewinn besserer Wettebewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen durch den Rationalisierungseffekt. Zwar stehen den Betroffenen auch zahlreiche DIN-Normen zur Verfügung, diese reichen jedoch mangels konkreter Regelungen in vielen Fällen nicht aus 294 , sodass Ergänzungen der Rationalisierungsverbände sehr hilfreich sein können. In den wettbewerbsrelevanten Bereichen der Werbung sowie Gebühren- bzw. Honorarabrechnung der Freiberufler hilft die Befreiung nach § 22 Abs. 3 Nr. 1 GWB hingegen nicht weiter. Da die Gleichheit von Konditionen die Transparenz des Marktes fördert 295 , können auch Konditionenempfehlungen von Wirtschafts- und Berufsvereinigungen nach § 22 Abs. 3 Nr. 2 GWB vom Empfehlungsverbot ausgenommen sein. Eine Befreiung standsrechtlicher Maßnahmen kommt aber auch hier nicht in Betracht, da die Konditionenempfehlungen lediglich eine einheitliche Anwendung allgemeiner Geschäfts-, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen ermöglichen sollen 296 und keine unmittelbaren Wirkungen auf den Preis oder Preis bestandteile ausüben dürfen297 • Hinzu kommt, dass solche Empfehlungen
293 Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 114; zur Geschichte der Normen- und Typenempfehlungen s. Kleier, Freistellungen von den Empfehlungsverboten nach deutschem (§ 38 Abs. 2 GWB) und europäischem (Art. 85 EWG-Vertrag) Kartellrecht, S. 22 ff. 294 Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 113. 295 v. Brunn, BB 1958,684 (685). 296 Für häufig vorkommende Klauseln siehe HenniglPaetow, DB 1978, 2349 (2351 ff.) und DB 1980,1429 (1430); eine ausführliche Untersuchung von Konditionenempfehlungen in der Spediteurbranche bei: Haverkamp, TranspR 1999, 217 ff. 297 Benisch in GK, § 38 Abs. 1 Rz. 127; Bunte in Langen/Bunte, § 22 Rz. 36 u. 37; HenniglPaetow, DB 1978,2349 (2352); Hennig, DB 1980, 1429 (1431).
B. Vereinbarkeit mit dem Empfehlungsverbot
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nur nach vorheriger Anmeldung bei der Kartellbehörde vom Empfehlungsverbot ausgenommen sind 298 . c) Ergebnis
Die standesrechtlichen Empfehlungen der Kammern und privaten Berufsorganisationen fallen unter keine der in Betracht kommenden Ausnahmen vom Empfehlungsverbot.
V. Ergebnis bezüglich der Vereinbarkeit standesrechtlicher Maßnahmen mit dem Empfehlungsverbot Sobald die Anwendung des GWB nicht durch staatliches bzw. staatlich legitimiertes Berufsrecht ausgeschlossen ist, liegen in einer Vielzahl der wettbewerbsbeschränkenden Fälle durch staatliche Kammern oder private Standesorganisationen die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen das Empfehlungsverbot vor. Ein direkter Verstoß gegen § 1 GWB, wie er in Literatur und Rechtsprechung oft angenommen wird, spielt hingegen eine untergeordnete Rolle. Da auch keine gesetzlichen Ausnahmeregelungen als Befreiung vom Empfehlungsverbot eingreifen, könnten zahlreiche Standesregeln und berufsrechtliche Maßnahmen gern. § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.rn. § I i.V.rn. § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB untersagt werden und gern. § 81 Abs. 2 GWB mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro bestraft werden.
298 Ausführlich zu den Konditionenempfehlungen, s. Schirmers, Konditionenempfehlungen, kartellrechtliche Kontrolle und AGB-Gesetz.; zur Entstehungsgeschichte der Konditionenempfehlungen s. Kleier, Freistellungen von den Empfehlungsverboten nach deutschem (§ 38 Abs. 2 GWB) und europäischem (Art. 85 EWG-Vertrag) Kartellrecht, S. 31 ff.
Drittes Kapitel
Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht A. Freie Bahn im Binnenmarkt J. Die Freien Berufe im europäischen Wirtschaftsund Währungsraum Das Europarecht ist mittlerweile fester Bestandteil vieler nationaler Rechtsgebiete geworden. Dies gilt auch und gerade für das Kartellrecht, wie die Angleichung des § 1 GWB an Art. 81 Abs. 1 EG durch die Sechste GWB-Novelle deutlich machtl. In einer Zeit der Globalisierung fallen Grenzen und Handelshindernisse zunehmend weg, und es entstehen immer größere Märkte. Gleichzeitig überschreiten aber auch die wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen immer häufiger die Grenzen eines einzelnen Mitgliedsstaates und erfordern eine einheitliche Kontrolle nach einheitlichen Maßstäben durch das europäische Kartellrecht 2 • Die im EG-Vertrag verankerten Grundsätze einer grenzüberschreitenden Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sowie einer "offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb") im europäischen Binnenmarkt haben auch bei den in Art. 50 Abs. 2 lit. d und Art. 257 Abs. 2 EG explizit genannten Freien Berufen4 Einzug gehalten5 • Nach dem Willen der EU-Staats- und Regierungschefs soll die Europäische Union innerhalb der nächsten zehn Jahre zum größten "wissensbasierten" Wirtschaftsraum der Welt werden. Der europäische Binnenmarkt soll nicht nur für Produkte, sondern auch für sämtliche Dienstleistungen geschaffen werden. Zur Verwirklichung dieses Projekts hat die Kommission eine 1 Vgl.
2. Kapitel: B. I. Der Begriff europäisches "Wettbewerbsrecht" wird aufgrund seiner Doppeldeutigkeit für das Kartellrecht und Lauterkeitsrecht nicht übernommen. 3 Vgl. Art. 4 Abs. 1, Art. 98 S.2 und Art. 105 Abs. 1 S. 3 EG. 4 Zum Begriff der Freien Berufe nach europäischen Recht, s. Streinz, Stellung der Freien Berufe im europäischen Markt, S. 57. 5 Ehlermann, in: FS für Budde, S. 157 (171 ff.); Emmerich-Fritsche, EWS 2001, 365 (366). 2
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3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
,,Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor,,6 vorgeschlagen, die in zwei Phasen zunächst die Hindernisse identifizieren soll, um diese danach durch verschiedene Maßnahmen zu beseitigen. Ziel ist es, alle Dienstleistungsbranchen gleichermaßen zu erfassen und neben den gewerblichen Unternehmen auch die staatlich reglementierten Freien Berufe einzubeziehen. Da die Freien Berufe Dienstleistungen auf dem Gebiet der Gesundheit, der Rechts- und Steuerberatung, im Bausektor und anderen technischen Bereichen anbieten und zahlreichen Berufszulassungs- und Berufsausübungsregeln unterliegen, müssen auch sie sich nach Auffassung der Kommission einer europarechtlichen Überprüfung unterziehen, um ungerechtfertigte Barrieren für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen gegebenenfalls beseitigen zu können.
ll. Der Konflikt zwischen der EU-Kommission und den Standesvertretern Auf einer Konferenz zur Wettbewerbspolitik in Stockholrn7 warf der für den Wettbewerb zuständige EU-Kommissar Mario Monti den in Verbänden zusammengefassten deutschen Angehörigen der Freien Berufe offen und direkt vor, Kartelle zu bilden und in ihrer Gebührenpraxis wettbewerbswidrige Preisabsprachen zu treffen. Diesen Verdacht hätten jüngste Ennittlungen bestätigt 8 • Dabei drohte er indirekt auch mit Bußgeldern9 , wie sie im Zusammenhang mit Kartellverstößen in der Stahlwirtschaft, dem Zementhandel sowie der chemischen Industrie bereits in der Vergangenheit verhängt worden seien. Nach Auffassung Montis sei aus Sicht der Kunden die Qualität der Dienstleistungen nur schwer messbar, weshalb eine freie Preisgestaltung umso wichtiger sei. Diese sei aber behindert, wenn die Verbände der Freien Berufe Absprachen ihrer Mitglieder koordinieren würden 10. Der Bundesverband Freier Berufe (BFB) entgegnete dem mit der Klarstellung, dass die Gebührenordnungen der Freien Berufe Ausdruck des staatlichen Willens seien, bestimmte Leistungen für alle Bürger als Daseinsvorsorge verfügbar und bezahlbar zu machen 11. Monti übersehe die besondere Rolle und Bedeutung der Freien Berufe und lasse den Verbraucher6 Mitteilung der Kommission an den Rat u. das Europäische Parlament "Eine Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor", KOM (2000) 257 endg. v. 3.5.2000. 7 Am 11. September 2000. 8 Siehe FAZ v. 12.9.2000, S. 17. 9 Nach einer Gegenreaktion des BFB ließ Monti mitteilen, dass die an Kartellen und unerlaubten Preisabsprachen beteiligten Manager von Unternehmen und Verbänden von der europäischen Kartellbehörde nicht persönlich mit Bußgeldern und Strafverfahren belangt werden sollten, FAZ-Artikel v. 14.9.2000, S. 17. 10 s. Fn. 8. 11 Vgl. 1. Kapitel: B. I.
A. Freie Bahn im Binnenmarkt
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schutz völlig außer Acht 12 • Marktfreiheit und Bürgerrecht würden von ihm falsch abgewogen. Im Übrigen würden sich die Berufsordnungen im Rahmen der für diese Tätigkeit geltenden EU-Richtlinien bewegen l3 . Viele deutsche Standesvertreter betrachten daher schon seit längerem die anhaltende Liberalisierungsdiskussion mit zunehmender Sorge. Sie befürchten eine allmähliche Preisgabe der in Deutschland gewachsenen berufsordnenden Regelwerke und damit das Ende des freiberuflichen Standeswesens. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Deutschland keineswegs das einzige Land ist, das über ein Berufsrecht der Freien Berufe mit Berufszulassungsregeln, Gebührenordnungen, Vorschriften über Kooperationen, Verhaltensvorschriften beim Auftreten in der Öffentlichkeit etc. verfügt l4 .
ill. Handhabung und Leitlinien der EU-Kommission 1. Die Wettbewerbspolitik der Kommission
Die "Generaldirektion Wettbewerb" der Kommission hat es sich im Zusammenhang mit einer liberalisierten und deregulierten Wettbewerbspolitik zur Aufgabe gemacht, die wettbewerbsbeschränkenden Praktiken der Freien Berufe einzustellen und den Zugang zu deren Märkten für Einsteiger zu erleichtem l5 . Durch Abschaffung der Hemmnisse in der Preisgestaltung und Werbung soll der Wettbewerb zwischen den Freiberufler gefördert werden. Nur so könne eine stärkere Diversifizierung beim Preisangebot und der Dienstleistungsqualität erreicht und die Dienstleistungen dem Bürger besser zugänglich gemacht werden l6 . Eine bessere Information des Verbrauchers ermögliche eine bewusste und objektive Auswahl von Dienstleistem 17 • Die Kommission fordert die Mitgliedsstaaten daher auf, die Liberalisierung dieses Wirtschaftszweiges durch klarere 12 Presseerklärung des Präsidenten des BFB Urich Oesingmann, http://wwwJreieberufe.de/presse/monti.htm (19.7.2002). 13 So Oesingmann in FAZ v. 19.1.2001, S. 15; zu den einzelnen Richtlinien s. Streinz, Stellung der Freien Berufe im europäischen Markt, S. 86 ff. 14 Zu der kartellrechtlichen Situation der Freien Berufe in Großbritannien und Frankreich, s. König, Standesrechtliche Wettbewerbsbeschränkungen im gemeinsamen Markt, S. 63 ff. und 94 ff.; Remmertz, Anwaltschaft zwischen Tradition und Wettbewerb, insb. S. 120 ff., 147 ff. (Vergleich England-Deutschland). 15 29. TB der Europäischen Kommission (1999), S. 46; s. auch Michalski/Römermann, AnwBI 1996,191 (195) und Ehlermann, in: FS für Budde, S. 157 (176 ff.) zu den früheren kaum unterschiedlichen Prinzipien der Wettbewerbspolitik der Kommission. 16 30. TB der Europäischen Kommission (2000), S. 65. 17 30. TB der Europäischen Kommission (2000), S. 65.
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3. Kapitel: Standes rechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
Rechtsvorschriften voranzubringen, damit sichergestellt werden könne, dass diese nicht nur den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Standesangehörigen, sondern auch die Sicherung der Qualität der Dienstleistungen zum Ziel hätten l8 . Von den Angehörigen der Freien Berufe verlangt die Kommission, dass sie durch frei und individuell gestaltete Preise, präzise Angaben zu den Leistungskonditionen und ihren besonderen Fachgebieten sowie durch grenzüberschreitende Betätigung in einen gesunden und wirksamen Wettbewerb untereinander treten sollten. Die berufsständischen Verbände sollten sich nicht länger der Liberalisierung in den Weg stellen und keinen Druck auf die Regierungen ausüben, um sich wirtschaftliche Vorteile zu sichern. Letztlich wendet sich die Kommission auch an die Verbraucher, die aufgefordert werden, anspruchsvoller zu sein und Informationen über Fachleistungen einzuholen sowie die Preise zu vergleichen. Trotz dieser immer stärker hervortretenden wettbewerbsorientierten Politik hält die Kommission berufsständische Regelungen nicht grundsätzlich für kartellrechtswidrig. Standesregeln, die notwendig seien, um die Unparteilichkeit, Kompetenz, Integrität und Verantwortlichkeit der Angehörigen der Freien Berufe zu gewährleisten und Interessenskonflikte und irreführende Werbung zu vermeiden, sollten nicht in den Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln fallen l9 . Auch wenn die Standesvertreter das Bemühen der Kommission begrüßen, ungerechtfertigte Beschränkungen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs zu beseitigen, so werfen sie der Kommission zugleich vor, dass sie im Bestreben, möglichst schnell Erfolg zu erzielen, nicht bereit sei, auf die Besonderheiten und Unterschiede der einzelne Branchen und Tätigkeiten einzugehen2o . Vielmehr wolle sie alle betroffenen Bereiche in gleicher Weise und verallgemeinernd deregulieren21 . So sei es nur schwer verständlich, wenn die Kommission auf der einen Seite rechtsverbindliche Standesregeln beseitigen möchte, auf der anderen Seite aber die Berufsorganisationen dazu auffordert, im Rahmen von mehr Selbstregulierung Verhaltenskodizes etwa für den elektronischen Geschäftsverkehr oder für eine externe Qualitätskontrolle bei den Wirtschaftsprüfern (peer review)22 aufzustellen23 . 30. TB der Europäischen Kommission (2000), S. 65. 29. TB der Europäischen Kommission (1999), S. 46 f. 20 So auch schon im Zusammenhang mit der E-Commerce- und Geldwäscherichtlinie. 21 So Stellungnahme der BNotK vom 1.6.2001 zu den Thesen und Forderungen der EU-Kommission zur Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor, abrufbar im Internet unter: http://www.bundesnotarkammer.de (19.7.2001); so auch Resolution der Mitgliederversammlung des BfB, abrufbar im Internet unter http://www.freie-berufe.de (19.7.2002). 22 Vgl. Grünbuch Rolle, Stellung und Haftung des Abschlussprüfers in der Europäischen Union, ABI. C 321 v. 28.10.1996 S. 1 ff., vgl. 1. Kapitel: B. I. 18
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A. Freie Bahn im Binnenmarkt
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2. Bisher ergangene Entscheidungen der EU-Kommission und des EuGH
a) CNSD und COAPI
Die Kommission hat im Bereich der Freien Berufe bereits mehrere Entscheidungen erlassen, die der Europäische Gerichtshof weitgehend bestätigt hat. Mit den Entscheidungen "CNSD24" und "COAPe5 " ging die Kommission erstmals auf der Grundlage des Art. 81 Abs. 1 EG gegen Beschlüsse von freiberuflichen Standesorganisationen vor, die verpflichtende Gebühren bzw. Tarife für bestimmte Dienstleistungen ihrer Mitglieder festlegten 26 . In beiden Fällen handelte es sich um Personen des öffentlichen Rechts, die mit den deutschen Berufskammern vergleichbar sind. Im Fall "CNSD" ging es um die Organisation der italienischen Zollspediteure2? (CNSD28 ), gegen die mehrere Beschwerden von Industrie-, Handels- und Transportunternehmen vorlagen. Die Unternehmensvereinigung CNSD beschloss unter anderem, die Tarife für internationale Kurierdienste der Zollspediteure festzusetzen. Die Kommission sah in der Gebührenordnung mit Mindestund Höchsttarifen eine Wettbewerbsbeschränkung und einen Verstoß gegen die europäischen Kartellrechtsvorschriften. Parallel dazu hat die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die italienische Republik angestrengt, in dem diese aufgrund eines Verstoßes gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 5 und 81 EG-Vertrag verurteilt wurde 29 . Im Fall COAPI richtete sich die Kommission gegen die Standesorganisation der spanischen Patentanwälte (COAPI 30), die aufgrund eines allgemeinen spanischen Gesetzes ermächtigt war, im Zusammenhang mit der Anmeldung von Patenten und der Eintragung von Marken, Gebrauchsmustern und anderen gewerblichen Schutzrechten Mindestgebühren sowie Tariftabellen festzulegen. Dadurch werde erreicht, dass sich die spanischen Patentanwälte nicht mit niedrigeren Honoraren gegenseitig Konkurrenz machen würden, was eine schwere Weubewerbsbeschränkung darstelle. Zudem würden die MarktzugangsschranBNotK a.a.O. Entscheidung der Kommission v. 30.6.1993 - "CNSD", ABI. 1993 Nr. L 203/27; s. auch Römermann, MDR 1998, 1149 f. 25 Entscheidung der Kommission v. 30.1.1995 - "COAPI", ABI. 1995 Nr. L 122/37 = GRUR Int 1995,966. 26 Siehe auch Michalski/Römermann, AnwBl 1996,191 (196). 27 Die Zollspediteure gehören nach italienischem Recht den Freien Berufen an. 28 Consiglio Nazionale degli Spedizionieri. 29 EuGH v. 18.6.1998, RS. C-35/96, Sig. 1998,3851 - "CNSD" = EuZW 1999, 93; dazu ausführlicher unter B. X. 30 Colegio Oficial de Agentes de la Propiedad Industrial. 23
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3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
ken für neue Patentanwälte erhöht und die Möglichkeit der Verbraucher beschränkt, in Spanien auf alternative Dienste im Bereich des Patent- und Markenrechts zurückzugreifen.
b) EPI Die dritte Entscheidung betrifft die Richtlinien des Instituts der beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter (EPI)31. Das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente erlaubt die Aufstellung von Berufsausübungsregeln, über deren Einhaltung das EPI wachen soll. Vergleichbar mit den deutschen Berufsordnungen sind darin zahlreiche wettbewerbsbeschränkende Vorschriften enthalten. Die Kommission hat die einzelnen Bestimmungen untersucht und bestimmte Regelungen, die für das Berufsgeheimnis, die Unparteilichkeit und die Verhinderung von irreführender Werbung erforderlich sind, vom Kartellverbot ausgenommen (Negativattest 32). Die Bestimmung in Artikel 2 der Berufsordnung, die den Vergleich beruflicher Dienstleistungen eines Mitglieds mit denen eines anderen Mitglieds verbietet 33 , sowie das Verbot von Dienstleistungserbringungen an Nutzer, die bereits Mandanten eines anderen Vertreters waren, wurden hingegen als unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen i.S.d. Art. 81 Abs.l EG betrachtet. Die Kommission erkannte zwar an, dass auch das Verdienst des jeweiligen Berufsanghörigen und die Qualität der Dienstleistungen wesentliche Elemente des Wettbewerbs seien, der Wettbewerbsbegriff erstrecke sich aber auch auf andere Elemente wie Gebühren und Werbung 34 . Dabei verwies die Kommission auch auf die Entscheidung CNSD (s.o.). Das Gericht Erster Instanz hat mittlerweile die EPI-Entscheidung der Kommission inhaltlich bestätigt. c) Arduino
Erst vor kurzem entschied der EuGH ein Vorlageverfahren zu den Gebühren italienischer Rechtsanwälte, die von der Standesorganisation vorgeschlagen und vom Staat genehmigt werden müssen35 . In diesem Fall hat der EuGH eine Gebührenordnung mit Mindest- und Höchstsätzen, die auf Vorschlag der berufsständischen Vertretung von Rechtsanwälten vom Mitgliedsstaat in Form eines 31 Entscheidung der Kommission v. 7.4.1999, ABI. L lO6 v. 23.4.1999. 32 Vgl. B. I. 33 Vgl. hierzu auch Richtlinie 97/55fEG zur vergleichenden Werbung, ABI. L 290 v.
23.10.1997. 34 Entscheidung der Kommission a.a.O. 35 EuGH v. 19.2.2002 - C-35/99 "Arduino" - JZ 2002, 453 ff.
B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG
lO3
Gesetzes bzw. einer Verordnung erlassen wurde, nicht als Verstoß gegen Art. 10 und Art. 81 EG beurteilt. Zwar sei eine auf das gesamte Hoheitsgebiet des Migliedstaates erstreckte Maßnahme geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen, im vorliegenden Fall läge jedoch eine Regelung mit allein staatlichem Charakter vor. Eine Verletzung des Art. 81 EG in Verbindung mit Art. 10 EG durch das Verhalten eines Mitgliedsstaates käme nur in Betracht, wenn dieser gegen Art. 81 EG verstoßende Kartellabsprachen vorschreiben oder erleichtern, oder die Auswirkungen solcher Absprachen verstärken würde, oder wenn er seiner eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nehmen würde, dass er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern übertragen würde. Ein solcher Vorwurf könne gegenüber dem italienischen Staat nicht erhoben werden 36 .
B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG I. Die europäischen Kartellrechtsregeln 1. Das gegenwärtige System
Der EG-Vertrag enthält zahlreiche Vorschriften, die das Prinzip des freien Wettbewerbs zum Gegenstand haben37 • Im Zusammenhang mit den wettbewerbsbeschränkenden Regelungen der freiberuflichen Standesorganisationen kommt ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG in Betracht. Darüber hinaus sind auch Verstöße gegen die sog. Grundfreiheiten denkbar, wenn standesrechtliche Maßnahmen den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten i.S.d. Art. 28 und 23 ff.
Kritisch dazu Schlosser, JZ 2002, 454 f. Insbes. Art. 81 EG (Kartellverbot); Art. 82 EG (Kontrolle entstandener Marktmacht); Art. 86 EG (Anwendung auf öffentliche Unternehmen, Versorgungsunternehmen); Art. 87 EG (Verbot staatlicher Beihilfen); die Fusionskontrolle wurde in einer Verordnung geregelt (FKVO). Ergänzt werden die Art. 81 ff. EG durch die Kartellverordnung Nr. 17 von 1962 (Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages vom 6.2.1962, ABI. 1962, S. 204), die die entsprechenden Verfahrensvorschriften enthält, und durch die verschiedenen Gruppenfreistellungsverordnungen im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EG (vgI. IX. 1.). Danben findet sich das Prinzip des freien Wettbewerbs auch in folgenden Vorschriften z.B. Art. 2 EG ("Wettbewerbsfähigkeit", Art. 4 EG ("Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb"), so wörtlich auch Art. 98 S.2, Art. 105 Abs. 1 S. 3 und 225 EG; Art. 157 EG ("Förderung der Wettbewerbsfähigkeit"); Art. 298 EG ("Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen"). 36
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3. Kapitel: Standes rechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
EG beeinflussen sollten38 . Trotz Angleichung des § 1 GWB an Art. 81 Abs. 1 EG durch die Sechste GWB-Novelle39 trifft das europäische Kartellverbot keine Unterscheidung zwischen Horizontal- und Vertikalvereinbarungen, sondern verbietet grundsätzlich sämtliche wettbewerbsbeschränkenden Maßnahrnen4o . Allerdings sieht Art. 81 Abs. 3 EG die Möglichkeit einer individuellen Freistellung (durch Entscheidung nach Art. 249 Abs. 4 EG) bzw. einer GruppenfreisteIlung (durch Verordnung nach § 249 Abs. 2 EG) vor, indem Art. 81 Abs. 1 EG für nicht anwendbar erklärt wird41 • Nach Art. 9 Abs. 1 va 17/62 ist für diese Freistellung allein die Kommission zuständig (sog. Freistellungsmonopol). Durch den Abschluss einer neuen Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen wurde das EU-Kartellrecht jedoch an das Missbrauchsprinzip des GWB angenähert42 • Verstöße gegen Art. 81 Abs. 1 EG haben die zivilrecht38 EuGH, Rs. 266 u. 267/87, Slg. 1989, 1295 - "Royal Pharmaceutical Society"; Rs. C-292-92, Slg. 1993,6787 - "Hühnermund" (betr f. Apothekerkammer). 39 Vgl. 2. Kapitel: B. I. 40 Die Systematik des GWB mit dem per-se-Verbot für horizontale und dem rule-ofreason-Tatbestand für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen wird von vielen Seiten als praktikabler angesehen, vgl. Baron/Kretschmer, WuW 1998,651 (652) und Bornkamm in: FS für BGH, S. 343 ff. In der Entscheidungspraxis führen allerdings beide Systeme in der Regel zu denselben Ergebnissen, sodass die Konstruktion des Art. 81 EG lediglich auf den Einfluss eines anderen Rechtssystems (wohl Frankreich) zurückzuführen ist. Die Reformen und Reformvorschläge der EU-Kommission zeigen jedoch einen umgekehrten Trend in Richtung Anpassung an das deutsche System, s. u. 41 Als Anwendungshilfen dienten bisher sog. "weiße Listen", die kartellrechtlich unproblematische Klauseln beinhalteten, "schwarze Listen", die nicht freistellungsfähige Klauseln enthielten sowie "graue Listen", die alle Vereinbarungen enthielten, die weder unter die weiße noch die schwarze Liste fielen und je nach Einzelfall auf ihre wettbewerbsbeschränkende Wirkung untersucht werden mussten; in den neuen Gruppenfreistellungsordnungen für Forschung und Entwicklung (EG-VO Nr. 265912000), Spezialisierungsvereinbarungen (EG-VO Nr. 2658/2000) sowie für "Vertikalvereinbarungen (EGVO Nr. 2790/1999) sind nur noch "schwarze Listen" mit besonders schwerwiegenden Wettbewerbs verstößen enthalten, Polley/Seeliger, WRP 2001, 494 (495); enthält ein Vertrag eine schwarze Klausel, fällt er im Ganzen nicht unter die Gruppenfreistellung (Alles-oder Nichts-Prinzip), s. Geiger, EuZW 2000, 325 (326); für die horizontale Zusammenarbeit hat die Kommission Anfang 2001 die sog. "Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 81 EG auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit" veröffentlicht (AbI. EG Nr. C 302 v. 6.1.2001, abgedruckt in FK-GWB, T B III 615), vgl. auch FAZ v. 11. 10. 2000, S. 19 u. FAZ v. 30. 11. 2000. Neben den Gruppenfreistellungsverordnungen gibt es zusätzlich die Bereichsausnahrne für die Landwirtschaft (Art. 36 EG). 42 Bayreuther, EWS 2000, 106 (109). Bis zum 31. 5. 2000 galten verschiedene GVOen für Alleinvertriebsvereinbarungen, Alleinbezugsvereinbarungen und Franchiseverträge; die neue GVO Nr. 2790/99 v. 22.12.1999 (ABI. L 336 v. 29.12.1999, S.21) gilt für sämtliche vertikale Vereinbarungen bis zu einer Marktanteilsschwelle von 30%, (oberhalb dieser Schwelle ist grundsätzlich eine Einzelprüfung erforderlich) mit Ausnah-
B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG
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liehe Unwirksamkeit von Verträgen zur Folge (§ 81 Abs. 2 EG) und können Unterlassungs- sowie Schadensersatzansprüche begründen (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.rn. Art. 81, 82 EG). 2. Die geplanten Neuerungen
Das Freistellungsmonopol der Kommission beschert der Generaldirektion IV eine immer größere und kaum noch zu bewältigende Anzahl von Anmeldungen43 . Das förmliche und aufwendige Verfahren für Einzelfreistellungsentscheidungen nach der Verordnung Nr. 17 wird kaum noch praktiziert, sondern durch einfache Verwaltungsschreiben (sog. comfort letters) ersetzt, in denen die Kommission formlos erklärt, dass nach den ihr zur Verfügung stehenden Informationen die Voraussetzungen für eine Freistellung gegeben sind, bzw. dass die fragliche Vereinbarung ihrer Ansicht nach gar nicht in den Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG fällt 44 • Diese Verwaltungsschreiben besitzen jedoch keinerlei präjudizierende Wirkung, sodass solche Vereinbarungen trotzdem von den nationalen Gerichten gern. Art. 81 Abs. 2 EG für unwirksam erklärt werden können. In dem am 28. April 1999 vorgelegten "Weißbuch" der Kommission45 wird es für notwendig erachtet, das bisher zentralgesteuerte Genehrnigungssystem immer stärker zu dezentralisieren, indem das Freistellungsmonopol der Kommission aufgegeben und die Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG in den Verantwortungsbereich der Mitgliedsländer übertragen werden soll. Die Abgrenzung zwischen verbotenen und freizustellenden Vereinbarungen soll damit weitgehend den nationalen Kartellbehörden und damit letztlich den nationalen Gerichten überlassen werden46 . Während zu Beginn des europäischen Kartellme der im September 2002 auslaufenden Kfz-Vertriebsverträge (VO Nr. 1475/95, die durch eine im Juli 2002 bekannt gegebene neue KFZ-GVO ersetzt wird, s. 30. TB der Kommission 2000, S. 8 f. und FAZ v. 25.8.2001 S. 17); s. auch Brinker in Schwarze, Rz. 79; Rittner bezeichnet die neue Schirm-GVO als "unsinnige Regelung", s. EuZW 2000, 129; Semler/Bauer, DB 2000,193 ff. 43 Rittner wirft die "angebliche Überlastung" der Kommission selbst vor, da sie die Zwischenstaatlichkeitsklausel (s.u.) möglichst weit ausdehne und die vertikalen Vereinbarungen unter das Kartellverbot ziehe, s. EuZW 2000, 129. 44 Bunte in LangenlBunte, Art. 81 Rz. 179 ff.; zu den hieraus resultierenden Problemen für die nationalen Gerichte bezüglich der Nichtigkeit freistellungsfähiger Kartellverträge, s. Bornkamm in: FS für BGH, S. 343 ff. 45 Weißbuch der Kommission über die Modemisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 (jetzt 81 und 82) EG-Vertrag, KOM (1999) 101 (AbI. C 132 v. 12.5. 1999); vgl. auch Weitbrecht, EuZW 2000, 496 ff. 46 Die Kommission erwägt hierzu Leitlinien als Orientierungshilfe zur Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG zu erarbeiten, so Schaub (Generaldirektor der EU-Kommission) in einem Interview der FAZ v. 17.5.2001, S. 19; der Präsident des BKartA Böge hält weitere
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3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
rechts das Freistellungsmonopol die Aufgabe erfüllen sollte, nach und nach einen einheitlichen Maßstab und eine einheitliche Verwaltungspraxis bei der Anwendung des Art. 81 EG zu entwickeln, sieht die Kommission heute die Gefahr einer uneinheitlichen Rechtsanwendung in Europa nicht mehr. Sie hält es für ausreichend, wenn sie sich lediglich auf den Einsatz gegen harte Kartelle (sog. Hardcore-Kartelle) konzentriert. Durch die Nachfolgeregelung der VO 17/62 ist weiterhin geplant, das jetzige Verbot mit Erlaubnisvorbehalt durch ein Verbot mit Legalausnahme zu ersetzen, um die zahlreichen Anmelde- und Genehrnigungsverfahren abzuschaffen. Das bedeutet, dass alle praktizierten Kartelle von Anfang an, d.h. ipse iure ohne Anmeldung rechtswirksam sein sollen und keiner konstitutiven Freistellungsentscheidung mehr bedürfen bis ihre Unvereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG durch eine Entscheidung der Kommission oder der nationalen Kartellbehörden bzw. Gerichte festgestellt wurde. Die betroffenen Unternehmen sollen zunächst selbst darüber befmden dürfen, ob ihre Absprachen kartellrechtlich unbedenklich sind47 . Die neue Kartellaufsicht tritt am 1. Mai 2004 in Kraft48 . Ob dieses Reformvorhaben wirklich Entlastung bringt oder lediglich zu einer entsprechenden Mehrbelastung des EuGH führt, der in vermehrtem Maß die unterschiedlichen Entscheidungen der nationalen Kartellbehörden auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 81 EG überprüfen muss, bleibt offen.
Vorgaben aus Brüssel für unnötig, da dies auch durch eine Zusammenarbeit der Kartellbehörden in einem Netzwerk erreicht werden könne, s. FAZ v. 17.5.2001, S. 17. 47 In schwierigen Grenzfällen soll eine Erörterung mit den Unternehmen stattfinden bzw. schriftliche Stellungnahmen (opinions) der Kommission abgegeben werden, so Schaub (Generaldirektor der EU-Kommission) in einem Interview der FAZ v. 17.5.2001, S.19. 48 Allerdings regt sich seit längerem vor allem aus deutscher Sicht Widerstand gegen den Systemwechsel im EU-Kartellrecht: es wird bezweifelt, ob die von der Kommission geplanten Reformen allein durch eine Änderung der Verordnung Nr. 17 umgesetzt werden können, vgl. Deringer, EuZW 2000, 5 (5 f.); Mestmäcker, EuZW 1999,523; Rittner, EuZW 2000, 129). Inhaltlich wird eine erhebliche Rechtsunsicherheit befürchtet, da die betroffenen Unternehmen jederzeit mit der Rückabwicklung von Kooperationen und einem Bußgeld rechnen müssten, wenn nachträglich ein Verstoß gegen das europäische Kartellverbot festgestellt würde. Zudem bestehe die Gefahr einer Inkohärenz der Rechtsanwendung. Bornkamm befürchtet, dass das Verbot mit Legalausnahme letztlich zum Missbrauchsprinzip degeneriert, weil insbesondere die weniger kartellrechtserfahrenen Staaten Schwierigkeiten mit den wenig greifbaren Kriterien und den erheblichen Beurteilungsspielräumen bei der Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG haben könnten, s. in: FS für BGH, S. 343 ff.; a.A.: Geiger, EuZW 2000, 165 (165), allerdings zustimmend bezüglich der Gefahr einer uneinheitlichen EG-Kartellrechtsanwendung (s. 168). Die Bundesregierung hat der Reform der Kartellverordung im Ministerrat der Europäischen Union mittlerweile am 26.11.2002 zugestimmt, s. Handelsblatt v. 26.11.2002 u. F AZ v. 27.11.2002.
B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG
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11. Subsidiaritätsprinzip, Vorrangprinzip und Zwischenstaatlichkeitsklausel Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips ist für eine Zuständigkeit der Gemeinschaft eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung durch die Mitgliedsstaaten erforderlich49 . Die Regelungskompetenz bezüglich der Freien Berufe liegt zwar bei den Mitgliedsstaaten, dies schließt jedoch nicht aus, dass bei der Kompetenzausübung die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln beachtet werden müssen50 . Das Kartellrecht gehört in den Bereich der parallelen Zuständigkeiten, in dem sowohl die Gemeinschaft als auch ein Mitgliedsstaat Regelungen erlassen kann5l . Bei den Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages handelt es sich um unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht52 , das bei Kollision mit nationalem Recht diesem grundsätzlich vorgeht (Vorrangprinzips)53. Einzelstaatliche Vorschriften können daher nur insoweit Anwendung fInden, wie dadurch die einheitliche Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft im Binnenmarkt nicht in Gefahr gerät 54 . Die sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel des Art. 81 Abs. 1 EG setzt voraus, dass die wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen55 . Nach ständiger Praxis von Kommission und EuGH ist dieses Erfordernis bereits dann erfüllt, wenn die Maßnahme unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach geeignet ist, die Freiheit des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten in einer Weise zu beeinträchtigen, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen, zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann, indem sie zur Errichtung von Handelsschranken im gemeinsamen Markt beiträgt und die gegenseitige Durchdringung der Märkte erschwert56 . Unter den Begriff des ,,Handels" fallen neben Produktion und Vertrieb von Waren auch jede Art von Dienstleistungen57 , wie Streinz, Europarecht, Rz. 436; Oppermann, Europarecht, Rz. 513. Hirsch, DNotZ 2000, 729 (732 f.). 51 EuGH Rs. 14/68 Slg. 1969, 13 "Walt Wilhelm"; Streinz, Europarecht, Rz 136; Müller-Graf! in Handkommentar der EU, Art. 85 Rn. 18; vgl. Bergh/Cameseca, WuW 1998, 1147 ff. 52 EuGH, Slg. 1963, 1 "van Gend & Loos". 53 EuGH, Slg. 1964, 1141 "Costa/ENEL". 54 Schollmeier/Krimphove in Bleckmann, Europarecht, Rz. 1817. 55 Brinker in Schwarze, Rz. 58 ff. 56 EuGH, Rs. 56 u. 58/64, Slg. 1966,303 - "Grundig"; Rs. 27/87, Slg. 1988, 1939"La Hesbignonne"; Rs. 246/86, Slg. 1989,2189 - "Belasco"; GleisslHirsch, Art. 85 Rn. 233; Emmerich, JuS 1990, 695 (697); ScholimeierlKrimphove in Bleckmann, Europarecht, Rz. 1798. 57 EuGH, Rs. 172/80, Slg. 1981, 2021 - "Züchner"; Rs. 22/79, Slg. 1979, 3288 "SACEM"; Rs. 45/85, Slg. 1987,458 - "VdS; Rs. 30/87, Slg. 1988,2514 - "Bodson"; 49
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sie die Freiberufler anbieten. In den Freien Berufen ist das grenzübergreifende Dienstleistungsangebot noch eher die Ausnahme, wenngleich auch hier die Öffnung der Märkte nach und nach Einzug hält 58 • Vorreiter sind die Anwälte, seitdem das BVerfG die Zulässigkeit überörtlicher Soziteten 1992 bestätigte59 und damit den Weg für zahlreiche internationale und interprofessionelle Kooperationen freimachte 6o . Die neue Niederlassungsrichtlinie für Anwälte wird die Möglichkeit von Auslandsaktivitäten noch erheblich erweitern61 . In anderen Branchen sorgen Diplomanerkennungsrichtlinien für eine vereinfachte Niederlassung und DienstIeistungserbringung in den EU-Mitgliedsstaaten62 . Auch die Standesvertreter bemühen sich zunehmend, Strategien für ein gemeinsames Auftreten im EU-Dienstleistungsmarkt zu erarbeiten, um die jeweiligen Interessen einheitlich und effektiv koordinieren zu können63 . Dennoch wird auch in Zukunft der Bezug zu lokalen oder regionalen Märkten bei den Freien Berufen stets stärker sein, als bei einfachen gewerblichen Leistungen oder im Güterverkehr. Die spezielle Eigenart der freiberuflichen Dienstleistung, die auf dem besonderen Vertauensverhältnis zwischen Freiberufler und Klient, Mandant oder Patient beruht64 , erfordert trotz modernster Kommunikationstechniken in der Regel einen persönlichen Kontakt. Es ist jedoch europarechtlich allgemein anerkannt, dass es für eine Eignung zur Beeinflussung des Handelsverkehrs ausreicht, wenn sich die betreffende Maßnahme auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates erstreckt65 , da hierdurch eine Abschottung des nationalen Marktes erzielt wird 66 . Diese Voraussetzung ist regelmäßig erfüllt, da sich die wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen der Standesorganisationen - insbesondere im Bereich der Werbung und der Gebühren - regelmäßig an alle Standesangehörigen des gesamten Bundesgebietes richten. Entscheidung der Kommission v. 20.12.1989, ABI. 1990 Nr. L 15/28 - "Concordato Incendio"; Stockhuber, in: Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 209. 58 Ehlermann, in: FS für Budde, S. 157 (175). 59 Vgl. § 59a BRAO. 60 Tettinger, GewArch 1999,265 (266). Fusionen mit ausländischen Kanzleien haben erstmals die Aufgreifschwellen für die Fusionskontrolle erreicht, vgl. BKartA, TB 1975, BT-Drucks. 14/6300, S. 173. 61 Hirsch, DNotZ 2000, 729 (730 f.). 62 Zu den einzelnen Richtlinien s. Streinz, Stellung der Freien Berufe im europäischen Markt, S. 86 ff. 63 So z.B. der "Europäische Kodex des notariellen Standesrechts", hrsg. von der BNotK, abrufbar im Internet unter: http://www.bundesnotarkammer.de(19.7.2002). 64 V gl. 1. Kapitel B. I. 65 EuGH, Rs. 246/86, Slg. 1989,2190 - "Belasco"; Entscheidung der Kommission v. 5.12.1984 AbI. 1985 L 35/26 - "Feuerversicherung"; MichalskilRömermann, AnwB196, 191 (194). 66 EuGH, Rs. 8/72, Sig. 1972, 991 - "Zementhandelwaren"; Rs. 73/74, Sig. 1975, 1515 - "Papiers peints de Belgique".
B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG
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ID. Anwendungsf"älle des europäischen Kartellrechts Das europäische Kartellrecht kommt in folgenden Konstellationen in Betracht: Die Kommission kann gern. Art. 2 VO 17/62 einen sog. Negativattest ausstellen, d.h. den beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen auf deren Antrag hin bestätigen, dass nach ihrer Einschätzung kein Anlass besteht, aufgrund eines möglichen Verstoßes gegen Art. 81 Abs. 1 EG einzuschreiten67 . Im Gegensatz dazu kann die Kommission gern. Art. 3 VO 17/62 auf Antrag oder von Amts wegen eine Untersagungsverfiigung erlassen, wenn nach ihrer Auffassung gegen das europäische Kartellverbot verstoßen wurde. Art. 9 Abs. 1 VO 17/62 begründet das alleinige und ausschließliche Recht der Kommission über einen Freistellungsantrag i.S.d. Art. 81 Abs. 3 EG zu entscheiden. Solange die Kommission nicht von den zuvor genannten Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, sind die Behörden der Mitgliedsstaaten nach Art. 9 Abs. 3 VO 17/62 zuständig. Diese Ermächtigung begründet sich auf Art. 84 EG, der die Zuständigkeit der nationalen Kartellbehörden für die Anwendung der Art. 81, 82 EG bis zum Inkrafttreten der nach Art. 83 EG zu erlassenen Vorschrift regelt, womit die Verordnung Nr. 17 gemeint ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedsstaaten68 wurde in Deutschland von der Befugnis einer subsidiären und dezentralen Zuständigkeit nationaler Kartellbehörden durch § 50 GWB Gebrauch gemacht, der für diese Fälle das BKartA für zuständig erklärt69 . Sollten die geplanten Reformvorhaben der Kommission umgesetzt werden7o, dürften in Zukunft weitgehend die nationalen Behörden das EG-Kartellrecht anwenden. Die Kommission würde nur noch in Fällen mit besonderer Bedeutung einschreiten. Bei Klagen gegen die zuvor erwähnten Entscheidungen der Kommission ist der Rechtsweg zum EuG eröffnet. Rechtsmittel sind beim EuGH einzureichen. Die dezentrale Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Kartellbehörden der Mitgliedsstaaten kann vor den nationalen Gerichten angefochten werden. Diese müssen den Vorrang des Art. 81 Abs. 1 und Abs. 2 EG beachten und 67 In der Praxis wird dieses Verfahren meist durch einfache Verwaltungsschreiben (cornfort 1ettes) ersetzt, s.o. 68 Vgl. Geiger, EuZW 2000,165 (168). 69 In der Entscheidung "Selektive Exklusivität" hat der BGH festgestellt, dass die Zuständigkeit des BKartA für die Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG nicht auf reine Inlandssachverhalte beschränkt ist, sondern auch dann vorliegt, wenn sich die Wettbewerbsbeschränkung schwerpunktmäßig im Inland auswirkt und die EG-Komrnission von der Einleitung eines Verfahrens absieht, s. BGH v. 7.10.1997 - KVR 14/96 - BGH WuW/E DE-R 89 = EuZW 1998, 315; s. dazu auch Bornkamm in: FS für BGH, S. 343 ff. 70 Vgl. I. 2.
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3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
gegebenenfalls das Verfahren bis zur Entscheidung der Kommission über einen Freistellungsantrag aussetzen. Negativatteste der Kommission werden zwar berücksichtigt, entfalten jedoch wie die corn/ort leUers im Zusammenhang mit den Freistellungsanträgen grundsätzlich keine präjudizierende Wirkung. Auch die ,,Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 81 EG auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit" können die Gerichte nicht binden.
IV. Voraussetzungen des Art. 81 Abs.l EG 1. Unternehmen 1 Unternehmensvereinigung
Art. 81 EG richtet sich wie das deutsche Kartellverbot des § 1 GWB an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Die rechtlichen Anforderungen an die Unternehmenseigenschaft werden nach herrschender Meinung auch hier nach dem sog. funktionellen Unternehmensbegriff bestimme l , sodass jede selbständige, wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von der Rechtsform und der Finanzierung der handelnden Einheit erfasst wird72 . Ausgenommen wird lediglich die rein private Nachfrage 73 • Die Tatsache, dass jemand einen gesetzlich reglementierten Freien Beruf ausübt, der auf die Leistung geistiger, technischer oder fachspezifischer Art gerichtet ist und persönlich sowie unmittelbar erbracht wird, ändert nichts am Wesen der wirtschaftlichen Tätigkeit74 • Die Angehörigen der Freien Berufe werden daher auch nach dem europäischem Kartellrecht als Unternehmen i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG qualifiziert 75 • N ach diesen Grundsätzen erfüllen konsequenterweise auch die Zusammenschlüsse der Angehörigen der Freien Berufe zu Verbänden und Kammern grundsätzlich das Tatbestandsmerkmal der Unternehmensvereinigung i.S.d. Art. 81
VgI. 2. Kapitel: A. I. EuGH v. 19.2.2002 - Rs. C-309/99 - NJW 2002,877 ff. m.w.N.; Entscheidung der Kommission v. 30.6.1993 - "CNSD", ABI. 1993 Nr. L 203/27; EuGH, Rs. 136/86, Slg. 1987,4813 - "BNIC/Aubert"; Rs. 123/83, Slg. 1985,423 - "BNIC/Clair"; Brinker in Schwarze, Art. 81 Rz. 23; Schollmeier/Krimphove in Bleckmann, Europarecht, Rz. 1826; Ehlermann, in: FS für Budde, S. 157 (173); Emmerich, JuS 1990, 696; Michalski/Römermann, AnwBl1996,191 (192); M. Schmidt, Standesrecht und Standesmoral, S. 152; Schwarze, EuZW 2000,613 (613). 73 Möschel, in: FS für Deringer, S. 329. 74 Entscheidung der Kommission v. 30.1.1995 - "COAPI", ABI. 1995 Nr. L 122/37; Entscheidung der Kommission v. 7.4.1999, ABI. L 106 v. 23.4.1999. 75 Stockenhuber in Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 56; Schollmeier/Krimphove in Bleckmann, Europarecht, Rz. 1827. 71
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B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG
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Abs. 1 EG 76 • Ob dies auch dann gilt, wenn staatlich ennächtigte Berufsvereinigungen, wie in Deutschland die Kammern, hoheitlich tätig werden, steht damit allerdings noch nicht fest (dazu unter 3.). Parallel zum deutschen Kartellrecht werden vom Begriff der Unternehmensvereinigung auch Vereinigungen von Unternehmensvereinigungen durch Art. 81 Abs. 1 EG erfasst77 • 2. Spürbare Wettbewerbsbeschränkung
In den Fällen CNSD, COAPI und EPI hat die Kommission stets eine Wettbewerbsbeschränkung i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG angenommen. Die Standesvertreter der Freien Berufe bestreiten in der Regel auch nicht, dass ihre Berufsregeln Beschränkungen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs beinhalten78. Es wird jedoch betont, dass diese nicht dem Zweck dienen würden, die Freiberufler vor unliebsamer Konkurrenz aus dem europäischen Ausland zu bewahren und die Erbringung von Dienstleistungen über die Grenzen hinweg zu ver- oder behindern. Die Standesregeln seien vielmehr unverzichtbare Garanten für den Verbraucherschutz, die vorsorgende Rechtspflege, die technische Sicherheit und das funktionierende Gesundheitswesen, um die Belange des Allgemeinwohls und der Bürger zu schützen79 . An der Tatbestandsvoraussetzung der Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG ändert diese Argumentation allerdings nichts. Eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung wird nach der Entscheidungspraxis der Kommission im Zusammenhang mit horizontalen Vereinbarungen regelmäßig beim Überschreiten eines Marktanteils von 5% angenommen80 • Der 76 Müller-Graffin Handkommentar EU, Art. 85 Rn. 45; Stockenhuber in Grabitz/Hilf, Art. 81 Rn. 83; Bunte in LangenlBunte, Art. 81 Rn. 8; Entscheidung der Kommission v. 30.6.1993 - "CNSD", ABI. 1993 Nr. L 203/27. 77 VgI. 2. Kapitel: A. I. 2.; EuGH, Rs. 71/74, Slg. 1975,563 - "Frubo"; Entscheidung der Kommission v. 13.3.1969, ABI. 1969 Nr. L 69/13 - "EMO I"; Entscheidung v. 24.9.1971, ABI. 1971 Nr. L 227/26 - CEMATEX"; Entscheidung v. 7.11.1977, ABI. 1977 Nr. L 299/18 - "BPICA"; Entscheidung v. 15.12.1982 - "UGELIBNIC", ABI. 1982 Nr. L 379/10. 78 Zu den Wettbewerbsbeschränkungen in der anwaltlichen Berufsordnung, s. Michalski/Römermann, AnwB11996,191 (195). 79 V gI. die entsprechende Diskussion auf nationaler Ebene: 1. Kapitel: B. I. 80 VgI. Bekanntmachung der Kommission v. 9.12.1997, AbI. 1997 Nr. C 372/13; bei vertikalen Vereinbarungen wird ein Überschreiten des Marktanteils von 10 % verlangt; bei gemischt horizontaVvertikalen Vereinbarungen oder bei Schwierigkeiten, die Vereinbarung als horizontal oder vertikal einzustufen, ist die Schwelle von 5 % maßgebend; s. auch Bunte in LangenIBunte, Art. 81 Rz. 102 f.; vgI. auch EuGH, Rs. 56/65, Slg. 1966, 303 - "Maschinenbau Ulm"; Rs. 1/71, Slg. 1971, 356 - "CadillonlHöss"; Rs. 30/78, Slg. 1980,2265 - "Distillers Co."; Rs. 260/82, Slg. 260/82, Slg. 1985,3824 - "NSO"; Ent-
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3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
relevante Markt bei standesrechtlichen Wettbewerbsbeschränkungen ist in der Regel auf das Bundesgebiet beschränkt, da grenzüberschreitende Aktivitäten (noch) zur Ausnahme gehörenSI. Bei kammerrechtlichen Maßnahmen ist dieses Kriterium angesichts der Zwangsmitgliedschaft regelmäßig erfüllt, selbst wenn sich einige Mitglieder nicht an die Vorgaben halten. Im Übrigen genügt es, wenn die Standesorganisation eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung lediglich bezweckt. Dasselbe gilt für Wettbewerbsbeschränkungen von privatrechtlichen Verbänden, die ihre Maßnahmen an die gesamte Branche richten. Auch auf einem europaweiten Markt für freiberufliche Dienstleistungen dürfte die Schwelle der Spürbarkeit bei bundesweiten Wettbewerbsbeschränkungen regelmäßig überschritten seinS2 . 3. Vorrang des Berufsrechts
Während das nationale wie europäische Kartellrecht bei der Bewertung standesrechtlicher Maßnahmen bisher zum gleichen Ergebnis kommen, wird die Frage des Vorranges staatlicher bzw. staatlich legitimierter Berufsregeln unterschiedlich gehandhabt: Die kartellrechtlichen Verbote des GWB treten immer dann zurück, wenn der Staat entweder selbst den Wettbewerb rechtswirksam ausgeschlossen hat, oder eine Kammer ermächtigt wurde, Standesregeln in Form einer Berufsordnung zu erlassen. Im letzteren Fall handelt die Berufsvereinigung bzw. Kammer als verlängerter Arm des Staates und erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Unternehmensvereinigung i.S.d. funktionellen Unternehmensbegriffs s3 . Die Kommission und der EuGH treffen diese strikte Unterscheidung nicht. Für sie spielt es grundsätzlich keine Rolle, dass die Berufskammern vom Staat bestimmte Befugnisse anvertraut bekommen haben und den Status einer öffentlichrechtlichen Körperschaft besitzens4 • In mehreren Entscheidungen haben sie bereits deutlich gemacht, dass es für die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft nicht auf den rechtlichen Rahmen ankomme, in dem eine Berufsvereini-
scheidung der Kommission v. 14.12.1989, AbI. 1990 Nr. L 18/35; Ehlermann, in: FS für Budde, S. 157 (175 f.); M. Schmidt, Standesrecht und Standesmoral, S. 158. 81 VgI. II. 82 So auch König, Standesrechtliche Wettbewerbsbeschränkungen im gemeinsamen Markt, S. 155. 83 VgL Zweites Kapitel, A. Ill. 1. 84 EuGH v. 19.2.2002 - Rs. C-309/99 - NJW 2002, 877 (879); Entscheidung der Kommission v. 30.1.1995 - "COAPI", ABI. 1995 Nr. L 122/37; Entscheidung der Kommission v. 30.6.1993 - "CNSD", ABI. 1993 Nr. L 203/27; Michalski/Römermann, AnwBl 1996,191 (192).
B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG
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gung Vereinbarungen schließe und Beschlüsse fasse 85 . Entscheidend sei auch nicht, ob sich die betroffene Organisation im Rahmen der ihr zugewiesenen staatlichen Ermächtigung bewege 86 • Damit solle verhindert werden, dass durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften eine Umgehung des Verbots wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen erzielt werde. Im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Beschluss einer niederländischen Rechtsanwaltskammer geht der EuGH ausdrücklich auch auf den von der deutschen Regierung hingewiesenen Grundsatz der institutionellen Selbstständigkeit ein und verneint eine Missachtung dieses Grundsatzes. Ein Ausschluss der für Unternehmen geltenden Bestimmungen des EG-Vertrages komme nur dann in Betracht, wenn ein Mitgliedsstaat einem Berufsverband Rechtsetzungsbefugnisse unter der Bedingung des Allgemeininteresses und anderer wesentlicher Grundsätze bei der Satzungsgebung übertrage. Nur dann blieben die aufgestellten Regeln staatliche Regeln. In allen anderen Fällen seien die von einem Berufsverband erlassenen Vorschriften allein diesem zuzurechnen87 • Die Beschlüsse von Selbstverwaltungskörperschaften mit eigenen, staatlich unabhängig gewählten Repräsentanten der Standesmitglieder werden aus europarechtlicher Sicht daher als autonome Willensentscheidungen von Unternehmensvereinigungen und nicht als hoheitliche Tätigkeit in Vertretung des Staates qualifiziert88 . Der Vorrang des Berufsrechts greift nur dann ein, wenn sich die Kammer darauf beschränkt, gesetzliche Bestimmungen lediglich zu wiederholen, da hierin - wie auch nach nationalen Kartellrechtsgrundsätzen89 - keine weitergehende Wettbewerbsbeschränkung liegt. Dies gilt auch für Maßnahmen, die sich gegen rechtswidrige, insbesondere unlautere Wettbewerbsmaßnahmen richten, da von Art. 81 Abs. 1 EG nur der lautere Wettbewerb geschützt wird. Diese Rechtsauffassung führt zu folgendem Ergebnis: Art. 81 Abs. 1 EG bleibt in jedem Fall dann unanwendbar, wenn der Staat eigene wettbewerbsbeschränkende Regelungen in Form von Gebühren- und Berufsordnungen erlassen EuGH v. 19.2.2002 - Rs. C-309/99 - NJW 2002,877 (879). EuGH in Rs. 136/86, Slg. 1987, 4813 - "BNIC/Aubert"; Rs. 123/83, Slg. 1985, 423 - "BNIC/Clair"; Entscheidung der Kommission v. 30.6.1993 - "CNSD", ABI. 1993 Nr. L 203/27; Entscheidung v. 30.1.1995 - "COAPI", ABI. 1995 Nr. L 122/37.; Entscheidung der Kommission v. 7.4.1999, ABI. L 106 v. 23.4.1999; Anders noch Entscheidung der Kommission v. 26.7.1976 - "BNIA", ABI. 1976 Nr. L 231/24 und Entscheidung v. 15.12.1982 - "UGELlBNIC", ABI. 1982 Nr. L 379/1. 87 EuGH v. 19.2.2002 - Rs. C-309/99 - NJW 2002,877 (879). 88 Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 47; M. Schmidt, Standesrecht und Standesmoral, S. 153; zu der nur scheinbar abweichenden Apothekerrechtsprechung i.V.m. Art. 28 (EuGH, Rs. 266 u. 266/87, Slg. 1989, 1295 - "Royal Pharmaceutical society" sowie EuGH, Rs. C-292/92, NJW 1994,781 - "Hühnermund") s. König, Standesrechtliche Wettbewerbsbeschränkungen im gemeinsamen Markt, S. 142 ff. 89 Vgl. 2. Kapitel: A. ill. 85
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3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
hat, da sich das Verbot nur an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen richtet90 . Im umfangreichen Bereich des von Kammern erlassenen Standesrechts könnte jedoch auf Art. 81 Abs. 1 EG zurückgegriffen werden, ohne dass dem staatlich legitimierten Berufsrecht ein Vorrang eingeräumt wird 91 • Als Konsequenz können sich die Standesorganisationen im Zusammenhang mit wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen daher nicht mehr uneingeschränkt auf den Vorrang des staatlich legitimierten Standesrechts berufen, sondern fallen grundsätzlich unter den Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG. Auch wenn dies auf den ersten Blick eine Fülle von europarechtswidrigen Standesregeln und damit das Ende der freiberuflichen Privilegien vermuten lässt, sind die Auswirkungen in der Praxis weit weniger bedeutend. Dies liegt vor allem daran, dass zumindest in Deutschland die für das Standeswesen wichtigsten Berufsregeln unmittelbar vom Staat durch Gebühren- und Berufsordnungen erlassen wurden (z.B. BÄO, GOÄ/GOZ, BRAO, BRAGO, HOAI, etc. 92 ). Hier bleibt auch nach europarechtlichen Maßstäben zumindest die direkte Anwendbarkeit des Kartellverbotes ausgeschlossen, da es sich um unmittelbare staatliche Rechtsakte handelt 93 • In Folge dessen können auch sämtliche Maßnahmen der Kammern und privaten Standesverbände - auch in Form von Empfehlungen i.S.d. § 22 GWB - kartellrechtlich nicht aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 81 Abs. 1 EG verboten werden, wenn sie lediglich auf eine Einhaltung der unmittelbaren staatlichen Berufsregeln hinwirken, da hierin keine eigenständige Wettbewerbsbeschränkung liegt94 . Allerdings können Konsequenzen für den zwischenstaatlichen Dienstleistungsverkehr entstehen, da in vielen anderen Staaten die Gebührenordnungen von den Standesvertretungen erlassen werden. So war in den Fällen CNSD95 und COAPI 96 ein Einschreiten der Kommission gegen festgelegte Mindest- und Höchstgebühren auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 1 EG möglich, weil die Kammern die Gebührenordnungen selbst erlassen hatten. Dieser Umstand könn-
90 EuGH, Rs. C-2/91, EuZW 1993,768 - "Meng", Rs. C-185/91, EuZW 1993,769"Reifr'; Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 21; Müller-Graffin Handkommentar EU, Art. 85 Rn. 35; Bunte in Langen/Bunte, Art. 81 Rn. 5 ff.; Michalski/Römermann, AnwBl 96, 191 (194); Schwarze, EuZW 2000, 613 (617); beachte aber auch die Verantwortung und Vertragspflichten des Mitgliedsstaates, vgl. X. 91 Michalski/Römermann, AnwB11996, 241 (242). 92 V gl. 1. Kapitel: B. II. 2. 93 Siehe aber auch Verantwortung des Mitgliedsstaates unter VI. 94 V gl. Michalski/Römermann, AnwBl 96, 191 (194). 95 Entscheidung der Kommission v. 30.6.1993 - "CNSD", ABI. 1993 Nr. L 203/27. 96 Entscheidung der Kommission v. 30.1.1995 - "COAPI", ABI. 1995 Nr. L 122/37.
B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG
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te die Kommission legitimieren, gegen die Bundesrepublik Deutschland selbst vorzugehen97 . 4. Empfehlungen im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EG
Im Gegensatz zum GWB enthält der EG-Vertrag kein ausdrückliches Empfehlungsverbot. Art. 81 Abs. 1 EG erwähnt - wie § 1 GWB - nur die Vereinbarungen von Unternehmen, die Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und die aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen. Wendet man dieselben Kriterien der Abgrenzung zwischen dem Kartellverbot des § I GWB und dem Empfehlungsverbot des § 22 GWB 98 auch auf das europäische Kartellrecht an, so müsste man konsequenterweise zu dem Ergebnis kommen, dass die Maßnahmen der Standesorganisationen mangels Gegenseitigkeit und rechtlicher Verbindlichkeit auch nicht unter die Tatbestandsvarianten des Art. 81 Abs. 1 EG subsumiert werden können. Gleichwohl haben sowohl Kommission als auch EuGH in mehreren Entscheidungen und Urteilen Art. 81 Abs. 1 EG in der Tatbestandsvariante der Vereinbarung 99 bzw. des Beschlusses 100 auf Empfehlungen i.S.d. § 22 GWB Dazu ausführlich unter unter VI. VgI. 2. Kapitel: B. ll. 2. und ill. 2. 99 VgI. Entscheidung der Kommission, AbI. 1978, L224, 29, 40 "FEDETABEmpfehlung" und EuGH Slg. 1980, S. 3125 ff. "van Landewyck"; Entscheidung der Kommission WuW/E EV 929,930 "Navewa-Anseau" und EuGH Slg. 1983,3369,3410 "IAZ"; EuGH Slg. 1985,2725 "Ford ll"-, EuGH Slg. 1990,1-45 "Sandoz"; EuGH Slg. 1986, 353 "Pronuptia"; nach Brinker fallen einseitige Maßnahmen nicht unter das Tatbestandsmerkmal der Vereinbarung, allerdings fasst er Verbandsempfehlungen unter den Begriff des Beschlusses, in Schwarze, Rz. 30 u. 31. 100 In der bereits erwähnten Entscheidung der Kommission "FEDET AB-Empfehlung" (AbI. 1978, L224, 29, 37 f.) und dem Urteil EuGH Slg. 1980, S. 3125 ff. "van Landewyck" wurde aufgrund der Verbindlichkeit der Maßnahme die Tatbestandsvariante des Beschlusses herangezogen; so auch: Entscheidung der Kommission, AbI. 1985, L35/20, 24 Rdn. 23 "Feuerversicherung" und EuGH Slg. 1987,447 "VdS"; ausdrücklich für das Tatbestandsmerkmal des Beschlusses bei Empfehlungen: Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rz. 84: so sollen nach der Praxis der Kommission sogar die als unverbindliche Empfehlungen bezeichneten Äußerungen als Beschluss einer Unternehmens vereinigung bewertet werden, was von den Kommentatoren allerdings kritisiert wird, da Art. 85 kein "allgemeines Empfehlungsverbot" enthielte. Vielmehr wird zumindest eine faktische Bindungskraft verlangt (Rz. 87); Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Art. 85 Abs. 1 Rz. 93 f.; auch Schröter in v. GroebenlThiesing, Art. 85 Abs. 1 Rz. 42 u. 57 führt aus, dass der Beschluss nicht rechtsverbindlich, sondern lediglich faktisch verbindlich sein muss (so auch ausdrücklich für den Fall einer Verbandsempfehlung, wenn sich die Mitglieder der Empfehlung nicht ohne rechtliche, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile entziehen können); so 97 98
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3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
angewendet 101. Diese rechtstenninologisch unpräzise europäische Kartellrechtspraxis lässt sich im Gegensatz zum deutschen Kartellrecht allerdings mit folgender Überlegung rechtfertigen: Während das GWB mit seinen zwei in Betracht kommenden Vorschriften eine klare und bestimmbare Abgrenzung des Empfehlungsverbotes vom Kartellverbot erforderlich macht 102, fehlt diese Notwendigkeit mangels ausdrücklicher Empfehlungsvorschrift auf europäischer Ebene l03 . Ein abweichender Maßstab bei der Definition der Tatbestandsmerkmale des europäischen Kartellverbotes ist daher grundsätzlich möglich. Es ist kaum vorstellbar, dass der EGVertrag bewusst die Umgehung des Art. 81 Abs. 1 EG durch einseitige und rechtlich unverbindliche Maßnahmen von einer kartellrechtlichen Sanktionierung ausschließen wollte. Vielmehr fallt insgesamt auf, dass sich die europäischen Kartellrechtsregelungen der Art. 81 ff. EG auf das Wesentlichste beschränken und die Umgehungsmöglichkeiten - wie beispielsweise auch das Druck- bzw. Zwangsverbot - nicht explizit ausgeführt haben. Dass dem europäischen Kartellrecht Empfehlungen nicht gänzlich fremd sind, belegt auch die neue vertikale Gruppenfreistellungsverordnung der Kommission lO4 , die in Art. 4lit. a) Preisempfehlungen unter gewissen Umständen vom Kartellverbot freistellt lO5 • Es ist daher legitim, den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG insoweit auszudehnen, als auch Empfehlungen i.S.d. § 22 Abs. 1 GWB von ihm erfasst werden, wenngleich diese Vorgehensweise durch den Zusatz der Analogie kenntlich gemacht werden sollte, um die planwidrige und unbewusste Regelungslücke auszudrücken. Die analoge Anwendung findet allerdings beim Adressatenkreis ihre Grenzen: Art. 81 Abs. 1 EG erfasst nur die Handlungen von Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen, sodass im Gegensatz zu § 22 GWB Maßnahmen
auch Schollmeier/Krimphove in Bleckmann, Europarecht, Rz. 1840 ("es genügt die mittelbar verpflichtende Wirkung"); unklar Schumann, Empfehlungen im deutschen und EG-Kartellrecht, S. 100, der bei Beschlüssen, die nicht satzungs gemäß gefasst wurden, auf die Empfehlung zurückgreift, kurz später allerdings auch rechtlich unverbindliche Beschlüsse akzeptiert. 101 Vgl. Rüdell, Die Zulässigkeit horizontaler Empfehlungen nach deutschem und EWG-Kartellrecht, S. 41 ff., der die Subsumption unter die Variante der abgestimmten Verhaltensweise versucht. 102 Vgl. 2. Kapitel: B. llI. 2. 103 Vgl. Benisch in GK, § 25 Abs. 1 Rz. 8. 104 va Nr. 2790/1999 vom 22.12.1999, AbI. L 336, S. 21. 105 Diese im Vergleich zum deutschen Recht weiter gefasste Regelung (§ 23 GWB erfasst nur Preisempfehlungen für Markenwaren) führt zu der schwierigen Situation, dass Empfehlungen nach dem strengeren deutschen Recht unzulässig, nach europäischen Kartellrecht aber zulässig sein können; vgl. auch Bechtold, NJW 2001, 3159 (3161).
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von Privatpersonen lO6 aufgrund des eindeutigen Wortlautes nicht erfasst werden könnnen. Für die Freien Berufe hat dies jedoch keine Relevanz, da die überwiegende Anzahl der wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen von den privaten Standesorganisationen bzw. den Kammern stammen lO7 , die die Eigenschaft einer Unternehmensvereinigung, soweit sie privatrechtlich handeln 108, erfüllen 109. 5. Ergebnis
Art. 81 Abs. 1 EG erfasst sämtliche Empfehlungen von Kammern und privaten Berufsvereinigungen, die bereits nach den Grundsätzen des deutschen Kartellrechts vom Empfehlungsverbot des § 22 GWB erfasst werden. Darüber hinaus fallen auch staatlich legitimierte Empfehlungen von Berufskammern unter den Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG.
V. Ausnahmetatbestände Das europäische Kartellrecht sieht unter bestimmten Umständen Ausnahmen vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG vor. Bereichsausnahmen, die einen kompletten Wirtschaftsbereich vom Kartellverbot befreien, ermöglicht der Vertrag nur für die Landwirtschaft llo (Art. 36 EG), nicht jedoch für die Freien Berufe lll . Als Ausnahmetatbestände für standesrechtliche Wettbewerbsbeschränkungen kommen daher lediglich Art. 81 Abs. 3 und Art. 86 Abs. 2 EG in Betracht ll2 .
Vgl. 2. Kapitel: B.II. 3. e). Vgl. 1. Kapitel: B. 11. 5. 108 Die Einscbränkung gilt nur für die Kammern, da die privaten Standesorganisationen keine Ermächtigung zum hoheitlichen Handeln haben, vgl. 2. Kapitel: A. IV. 109 Vgl. 2. Kapitel: A. I. 2. 110 Brinker in Schwarze, Art. 81 Rz. 8. 111 Allerdings gibt es auf der Ebene des Sekundärrechts Differenzierungen und Sondervorschriften z.B. für Versicherungen, Verkebr und ansatzweise bei Post u. Telekommunikation; hinzu kommen Sonderregelungen für den Montansektor in Art. 65, 66 EGKS-Vertrag, die jedoch am 23.7.2002 auslaufen s. Brinker in Schwarze, Art. 81 Rz.7 und 9; im GWB wurden die Bereichsausnabrnen im Zuge der Sechsten GWB-Novelle und der Angleichung an das europäische Wettbewerbsrecht erheblich zurückgefabren (vgl. 2. Kapitel: B. IV.) 112 Allgemein zu den deutschen und europäischen Ausnahmebereichen, Caspari, Europäisches Wettbewerbsrecht und nationale Ausnahmebereiche, S. 69 ff. und Rittner, Die Beurteilung der Ausnabrnebereiche aus wissenschaftlicher Sicht, S. 79 ff. 106 107
118
3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
1. Art. 81 Abs. 3 EG
Gern. Art. 81 Abs. 3 EG i.V.rn. Art. 9 va 17/62 kann die Kommission unter bestimmten Voraussetzungen konkrete Einzelfalle bzw. bestimmte Fallgruppen l13 vom Kartellverbot befreien. Mit Ausnahme der durch Gruppenfreistellungsverordnungen legitmierten Wettbewerbsbeschränkungen, verlangt Art. 4 Abs. I i.V.m. Art. 5 Abs. 1 va 17/62 grundsätzlich eine vorherige Anmeldung der Maßnahme bei der Kommission. Da sich dieses System aufgrund der kaum zu bewältigenden Zahl der Freistellungsanträge als sehr hinderlich erwiesen hat, strebt die Kommission in Zukunft statt eines Genehrnigungsverfahrens ein Legalausnahmeverfahren an 114. Für die standesrechtlichen und zugleich wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen innerhalb der Freien Berufe existiert weder eine Gruppenfreistellungsverordnung, noch liegen der Kommission konkrete Einzelfreistellungsanträge vor. Der BGH geht allerdings in seinen Entscheidungen "Selektive Exklusivität,,115 und ,,NUR,,116 davon aus, dass die nationalen Kartellbehörden die Freistellungsfahigkeit der fraglichen Maßnahmen auch dann prüfen müssen, wenn diese bei der Kommission noch nicht angemeldet wurden ll7 . Bei der dezentralen Anwendung des Art. 81 EG müsse das BKartA sein Ermessen ausüben, sodass eine Untersagungsverfügung ausgeschlossen sei, wenn die Maßnahme nach europäischen Maßstäben für freistellungsfahig gehalten werdelIs. Aus diesem Grund soll auf die Untersuchung der Voraussetzungen einer solchen Freistellung nicht verzichtet werden. Die standesrechtlichen Empfehlungen können bei Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 1 EG nur unter folgenden Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG vom Kartellverbot befreit werden: (1)
Die sich aus den Empfehlungen ergebenden Wettbewerbsbeschränkungen müssen objektiv zur Verbesserung der Warenerzeugung oder Warenverteilung oder zur Föderung des technischen oder wissenschaftlichen Fortschritts beitragen.
(2)
An diesen Vorteilen müssen die Verbraucher angemessen partizipieren.
Zu den GVOen s. Brinker in Schwarze, Art. 81 Rz. 14 ff. Vgl. 1. 2. 115 BGH v. 7.10.1997 - KVR 14/96 - BGH WuWIE DE-R 89 =EuZW 1998, 315. 116 BGH v. 7.10.1997 - KVR 16/96 - BGH IPRax 1999, 106. 117 Bornkamm in: FS für BGH, S. 343 ff. und in einem Referat beim Kolloquium des Europa-Instituts im Januar 1999. 118 Bornkamm, S. 343 ff. 113
114
B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG
119
(3)
Die Beschränkungen müssen zur Erreichbarkeit dieses Zieles unerlässlich sein.
(4)
Die Beschränkungen dürfen nicht die Möglichkeit eröffnen, den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren bzw. Dienstleistungen auszuschalten.
Da diese Voraussetzungen viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, steht der Kartellbehörde ein weiter Beurteilungsspielraum zu 119. Die Freien Berufe könnten geltend machen, dass die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG in der Regel erfüllt seien, da ihre berufsrechtlichen Maßnahmen im Interesse des Allgemeinwohls und des einzelnen Bürgers erlassen worden seien und unverzichtbare Garanten für den Verbraucherschutz, die vorsorgende Rechtspflege, die technische Sicherheit und das funktionierende Gesundheitswesen seinen l20 . Die Argumente für und wider die Notwendigkeit der Privilegierung freiberuflicher Wettbewerbsbeschränkungen sind dabei dieselben wie auf nationaler Ebene, sodass sich europäisches und deutsches Kartellrecht im Ergebnis weit weniger unterscheiden, als es der weite Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 GWB zunächst vermuten lässt. Letztlich müsste jede einzelne wettbewerbsbeschränkende Maßnahme daraufhin überprüft werden, ob sie spürbare Vorteile für den Verbraucher mit sich bringt bzw. zur Sicherung der ordnungsgemäßen Berufsausübung und der Verebsserung der Qualität des Dienstleistungsangebotes erforderlich ist, d.h. nicht mit gleichem Erfolg auch durch weniger wettbewerbsbeeinträchtigende Maßnahmen erreicht werden könnte l21 . Die künftige Entscheidungspraxis der Kommission lässt sich gegenwärtig aufgrund der wenigen standesrechtlichen Verfahren nur sehr schwer abschätzen. Obwohl in den bis dato entschiedenen Fällen keine der betroffenen Standesorganisationen eine Anmeldung nach Art. 81 Abs. 3 EG unternommen hat, und aus diesem Grund die Notwendigkeit einer Überprüfung von der Kommission abgelehnt wurde, hat sie sich dennoch über die Freistellungsmöglichkeiten geäußert. Die Festsetzung von Preisen und insbesondere von Mindestgebühren wurde in der CNSD-Entscheidung ohne nähere Begründung mit einem Verweis auf die bisherige Verwaltungspraxis der Kommission und der Rechtsprechung des EuGH kategorisch abgelehnt 122. Auch im Fall COAPI 123 Koch in Grabitz/Hilf, Art. 85 Rn. 157. V gl. 1. Kapitel: B. I. 121 Vgl. Entscheidung der Kommission v. 15.12.1982 - "UGEUBNIC", AbI. 1982 Nr. L 379/13; Entscheidung v. 20.12.1989, AbI. 1989 Nr. L 253/1 - "Niederländische Banken"; Kommission, Entscheidung v. 20.12.1989, AbI. 1990 Nr. L 15/25 - "Concordato Incendio"; Entscheidung v. 30.11.1995 - "COAPI", AbI. 1995 Nr. L 122/48f; MüllerGraf in Handkommentar EU, Art. 85 Rn. 148 ff.; Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 321. 122 Entscheidung der Kommission v. 30.6.1993 - "CNSD", ABI. 1993 Nr. L 203/27. 119
120
120
3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
wurde die Festsetzung von Mindestpreisen nicht als geeignetes Mittel zur Gewährleistung der Qualität der Leistung anerkannt. Mindesttarife würden nicht die Erbringung minderwertiger Leistungen verhindern und weder das Dienstleistungsangebot noch den technischen bzw. wirtschaftlichen Fortschritt fördern. Vielmehr würden die Wettbewerbsbeschränkungen verhindern, dass den Verbrauchern von leistungsfähigeren Anbietern Dienste zu günstigeren Tarifen angeboten würden. Den Standesangehörigen würde wiederum jede Motivation genommen, sich um kostengünstigere Arbeitsmethoden zu bemühen 124 .
Im Fall EPI 125 sah die Kommission immerhin diejenigen Berufsregeln gerechtfertigt, durch die die "Kompetenz, Unparteilichkeit, Integrität und Verantwortlichkeit" der Freiberufler garantiert werden sollten. Dies galt im vorliegenden Fall auch für die Bestimmungen von Mindest- und Höchstgebühren, die aufgrund der besonderen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen des Berufsstandes der Patentanwälte notwendig seien, um die Unparteilichkeit der Vertreter und ein effizientes Funktionieren des EPI 126 zu gewährleisten bzw. rein kommerzielle Beweggründe bei der Bearbeitung von Patentanträgen zu verhindern. Die Beschränkungen im Bereich der Werbung wurden hingegen als nicht gerechtfertigt eingestuft, um das Ansehen des Berufsstandes zu gewährleisten. Dadurch werde der Zugang zu klaren und genauen Informationen über die betreffenden Dienstleistungen, die diesbezüglichen Preise und Modalitäten und die Wahl des Dienstleistungsanbieters durch den Mandanten behindert, was mit einem System des wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs - wie es der EG-Vertrag vorsieht - nicht vereinbar sei 127 • Auch wenn die Kommission immer wieder und verstärkt die Freiberufler sowie ihre Standesorganisationen zu mehr Wettbewerb und Preistransparenz ermahnt 128, läßt sich deutlich erkennen, dass auch die Besonderheiten dieses Wirtschaftszweiges zunehmend berücksichtigt werden. So wird immer häufiger der Zweck des Verbraucherschutzes als wesentliches Prinzip des europäischen Wettbewerbs- und Kartellrechts (vgl. auch Art. 3 lit. t EG)129 hervorgehoben. Von einem Ende des Standes wesens kann daher keine Rede sein, auch wenn umgekehrt aufgrund der neuen Tendenzen nicht auf die Freistellung vieler oder gar sämtlicher Standesregeln durch die Kommission geschlossen werden darf. Die zukünftige Entscheidungspraxis wird wohl auf einen Kompromiss hinauslaufen, indem die Kommission bereit ist, wettbewerbsbeschränkende Entscheidung der Kommission v. 30.1.1995 - "COAPI", ABI. 1995 Nr. L 122/37. s. COAPI-Entscheidung der Kommission, a.a.O. 125 Entscheidung der Kommission v. 7.4.1999, ABI. L 106 v. 23.4.1999. 126 Institut der beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter. 127 Kommission a.a.O. 128 Vgl. A. ll. 129 30. TB der Kommission 2000, S. 8. 123
124
B. Vereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EG
121
Regelungen der Freien Berufe zu akzeptieren, wenn diese im Gegenzug das umfangreiche Regelwerk auf wirklich wichtige und unverzichtbare Standes vorschriften beschränken 130. 2. Art. 86 Abs. 2 EG
Eine weitere Ausnahme vom Kartellverbot käme auf der Grundlage des Art. 86 Abs. 2 EG in Betracht 13l. Danach gelten die Vorschriften des EG-Vertrages unter anderem nicht für solche Unternehmen, die mit Dienstleistungen vom allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betraut sind, soweit die Anwendung des Kartellverbotes die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert. Diese Ausnahmeregelung kommt jedoch weder für Kammern noch private Berufsorganisationen in Betracht. Die privaten Standesorganisationen werden gerade nicht gesetzlich zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben ermächtigt 132 • Den Kammern wird zwar aufgrund der jeweiligen Gesetze die Erfüllung öffentlichrechtlicher Aufgaben übertragen, die Umsetzung erfolgt jedoch in Selbstverwaltungsautonomie ohne konkrete Vorgaben und lediglich mit der Beschränkung einer staatlichen Rechtsaufsicht 133. Im Ergbenis bleibt es daher allein bei einer Freistellungmöglichkeit nach Art. 81 Abs. 3 EG.
VI. Verantwortlichkeit des Staates Das deutsche Kartellrecht findet keine Anwendung bei Wettbewerbsbeschränkungen, die unmittelbar vom Staat per Gesetz oder Rechtsverordnung erlassen werden, da das GWB keinen Verfassungsrang hat und keinen Vorrang vor anderen Gesetzen genießt l34 . Wettbewerbsbeschränkungen können in diesen Fällen nur als ungerechtfertigte Eingriffe in die verfassungsrechtlich geschützte Privatautonomie der Betroffenen unterbunden werden. Auf das europäische Kartellrecht kann hingegen nicht nur bei Wettbewerbsbeschränkungen von 130 Michalski/Römermann, AnwBl 1996,191 (200), halten eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG eher für aussichtslos. 131 Zur Rechtfertigung der Festbetragsregelung durch GKV-Spitzenverbände nach Art. 86 EG, s. Reich, EuZW 2000, 653 ff. 132 Ehlers, JZ 1990, 1089 (1095); Jungbluth in: Langen/Bunte, Art. 86 Rn. 40; Pernice in: Grabitz/Hilf, Art. 90 Rn. 33; Hochbaum in: v.d. GroebenfThiesinglEhlerrnann, Art. 90 Rn. 49. 133 Vgl. 1. Kapitel: A. ill. 1. a). 134 Vgl. 2. Kapitel: A. ll.
122
3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zurückgegriffen werden, sondern auch dann, wenn ein Mitgliedsstaat durch die Schaffung entsprechender gesetzlicher Regelungen gegen seine eigene Verpflichtung aus dem Gemeinschaftsvertrag verstößt 135 •
In seinem CNSD-Urteil I36 hat der Gerichtshof auch einen Verstoß der Italienischen Republik gegen ihre Verpflichtung aus Art. 5 und Art. 81 EG angenommen, da sie ein Gesetz erließ und beibehielt, das dem Nationalen Rat der Zollspediteure (CNSD) die Festsetzung einer für alle Zollspediteure verbindlichen Gebührenordnung vorschrieb. Durch die Übertragung dieses Beschlussfassungsrechts wurde der CNSD dazu verpflichtet, als Unternehmensvereinigung einen gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßenden Beschluss in Gestalt der Gebührenordnung zu fassen 137. Italien hat sich diesem Urteil gebeugt und das entsprechende Gesetz mittlerweile aufgehoben. Dieses Urteil beruht auf dem allgemeinen Grundsatz, dass die Mitgliedsstaaten die praktische Wirksamkeit der Vertragsregeln nicht beeinträchtigen dürfen 138 . Dadurch wird indirekt die Anwendung der materiellen Vorschriften auch auf die Mitgliedsstaaten ermöglicht 139 • An dieser Stelle muss wiederum das Für und Wider von Standesregeln gegeneinander abgewogen werden. In Ergänzung zur Rechtfertigung von Wettbewerbsbeschränkungen der Kammern und privaten Berufsvereinigungen tritt allerdings folgender Aspekt hinzu: Sollte die Kommission der Meinung sein, dass die Festsetzung von Gebühren oder anderen wettbewerbsrelevanten Faktoren nicht durch die besondere Stellung und Aufgabe der Freien Berufe gerechtfertigt werden könnte, so müsste sie in gleicher Weise, wie sie den Standesorganisationen ein solches Verhalten aufgrund des Art. 81 Abs. 1 EG verbietet, auch gegen diejenigen Mitgliedsstaaten vorgehen, die die entsprechenden Regelungen - wie in Deutschland überwiegend der Fall - per Gesetz oder Rechtsverordnung erlassen. Anderenfalls wäre der zwischenstaatliche Handel erst recht beeinträchtigt, wenn in einem Land die Festsetzung von Gebühren erlaubt und im Nachbarstaat durch die Kommission untersagt wäre. Damit verliert eines der wichtigsten Rechtfertigungsargumente der Standesvertreter für die Unantastbarkeit staatlicher Berufsregeln an Bedeutung l40 : Die Tatsache, dass in s. ausführlich dazu Schwarze, EuZW 2000, 613 (617 ff.). EuGH v. 18.6.1998, RS. C-35/96, Slg. 1998, 3851 - "CNSD" = EuZW 1999, 93. 137 Siehe auch die vorausgegangene Entscheidung der Kommission v. 30.6.1993 "CNSD", ABI. 1993 Nr. L 203/27. 138 Sog. Effet-utile-Doktrin, hier abzuleiten aus Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 81 Abs. 1 EG; siehe auch Ehlermann, in: FS für Budde, S. 157 ff. 139 s. dazu ausführlich König, Standesrechtliche Wettbewerbsbeschränkungen im gemeinsamen Markt, S. 166 ff. 140 s. Presseerklärung des Präsidenten des BFB Urich Oesingmann, www.freieberufe.de/presse/monti.htm (19.7.2002). 135
136
C. Fazit und Ausblick
123
Deutschland die wichtigsten Berufsregeln unmittelbar vom Staat erlassen werden, ist kein Garant für eine kartellrechtliche Immunität. Sollte die Bundesrepublik gezwungen werden, staatliche Berufsregeln und Ermächtigungsgrundlagen für standesrechtliche Vorschriften aufzuheben, wäre dies das Ende des Standesrechts. Aus Sicht der Freiberufler bleibt daher nur zu hoffen, dass Kommission und EuGH zumindest die bedeutendsten Standesregeln als Ausnahmen zu Art. 81 Abs. 1 EG akzeptieren, wofür es auch berechtigte Anhaltspunkte gibt 141 . Im Übrigen kommt auch ein Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1 EG in Betracht, der den Mitgliedsstaaten verbietet, in Bezug auf öffentliche Unternehmen und solche, denen besondere oder ausschließliche Rechte gewährt wurden, dem EGVertrag (insbesondere Artikeln 81) widersprechende Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten 142 .
c. Fazit und Ausblick Die Untersuchung der Vereinbarkeit berufsrechtlicher Empfehlungen mit dem europäischen Kartellverbot hat gezeigt, dass der Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG gegenüber dem deutschen Kartell- und Empfehlungsverbot erheblich umfangreicher ist und sowohl das untergesetzliche Berufsrecht der Kammern und privaten Standesverbände sowie auch mittelbar über Art. 5 EG das Berufsrecht des Staates in Form von Gesetzen und Rechtsverordnungen erfassen kann. Viele gehen daher davon aus, dass das Standeswesen in seiner heutigen Form nicht aufrecht zu erhalten ist 143 . Diese Auffassung verkennt jedoch, dass auch nach der eurpäischen Kartellrechtssystematik eine besondere Behandlung von standesrechtlichen Berufsregeln möglich ist und zunehmend an Bedeutung gewinnt. Auch wenn die Kommission deutlich macht, dass sie das Wettbewerbsprinzip verstärkt im Dienstleistungssektor in den Vordergrund stellen möchte und oft pauschal das komplette Standeswesen als wettbewerbsVgl. V. 1. s. dazu ausführlich König, Standesrechtliche Wettbewerbsbeschränkungen im gemeinsamen Markt, S. 164 ff., der einen Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1 EG jedoch ablehnt, da es den Kammern an der Unternehmens eigenschaft fehlt und Unternehmensvereinigungen nicht von Art. 86 Abs. 1 EG erfasst werden (S. 165); hinzu komme, dass es im Bezug auf die unüberschaubare Zahl der Freiberufler an der Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte sowie der besonderen Abhängigkeitsstellung vom Staat fehle (S. 1650· 143 V gl. König, Standesrechtliche Wettbewerbsbeschränkungen im gemeinsamen Markt, S. 261, der das Standeswesen in gewissen Teilen in Frage gestellt sieht; MichalskilRömerrYUlnn, AnwBl 1996,191 (201) sprechen vom "letzten Aufbäumen des standesrechtlichen Mittelalters"; RömerrYUlnn prophezeit das Ende ganzer Berufsordnungen, MDR 1998, 1149 (1150). 141
142
124
3. Kapitel: Standesrechtliche Empfehlungen und europäisches Kartellrecht
feindlich verurteilt l44 , wird bei genauerer Betrachtung erkennbar, dass auch die Kommission einen Ausgleich zwischen reiner Marktbetrachtung und gesellschaftspolitischer Bedeutung der Freien Berufe sucht, ohne das gesamte Standeswesen in Frage zu stellen l45 • Die künftig zu erwartenden Entscheidungen und Urteile in Kartellverfahren werden daher weder zu einem ,,race to the bottom" bei der Qualität von freiberuflichen Dienstleistungen führen l46 , noch werden sie den Standesangehörigen beliebig weitreichende Wettbewerbsbeschränkungen aus rein wirtschaftlichen Interessen ermöglichen. Die nationalen bzw. europäischen Kartellbehörden und Gerichte werden in Zukunft vermehrt gefordert sein, jede einzelne wettbewerbsbeschränkende Regelung sachlich und differenziert abzuwägen und auf ihre Vereinbarkeit mit dem deutschen und europäischen Kartellrecht zu überprüfen 147. Dabei müssen nicht nur Unterschiede zwischen den Freien Berufen und den gewerblichen Tätigkeiten beachtet werden. Auch innerhalb der Freien Berufe gibt es unterschiedliche Anforderungen an gerechtfertigte Wettbewerbsbeschränkungen l48 • So sind Liberalisierungen im Anwaltswesen, wo schon heute das Feilschen um Stundenhonorare längst üblich geworden ist l49 , weitreichender vorstellbar als etwa im Gesundheitswesen l5o • Letztlich handelt es sich auch auf europäischer Ebene um die seit Jahren und Jahrzehnten geführte Auseinandsetzung, ob die Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Privatautonomie der Freiberufler aufgrund von Berufszulassungsund Berufsausübungsregeln durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, wobei um so engere Grenzen einzuhalten sind, je schwerer der Eingriff wiegt l51 • Dem von der Kommission geforderten Bedürfnis nach Transparenz der freiberuflichen Dienstleistungsmärkte l52 wird so weit Rechnung getragen werden müssen, wie weiterhin ein effektiver Verbraucherschutz gewährleistet werden kann. Wirklich Vgl. A. II. Vgl. Schaub, AnwB12002, 18 f.; Wailewski, BZB 1998, 13. 146 So die Befürchtung der BNotK vom 1.6.2001 zu den Thesen und Forderungen der EU-Kommission zur Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor, abrufbar im Internet unter: http://www.bundesnotarkammer.de (19.7.2002). 147 So auch MichalskilRömermann, AnwBI 1996, 191 (200). 148 Nach Aussagen Schaubs ist sich die Kommission dessen bereits bewusst, AnwBI 2002,18. 149 MichalskilRömermann, AnwBI 1996, 191 (197) und AnwBl 1996, 241 (241). Zurzeit wird daher auch an einer völlig neu strukturierten Gebührenordnung gearbeitet, die 2003 in Kraft treten soll. 150 Ausführlich zu den Wettbewerbsbeschränkungen im privatärztlichen Gebührenrecht im 4. Kapitel. 151 Vgl. 2. Kapitel: A. II.; vgl. MichalskilRömermann, AnwBl1996, 241 (246). 152 Vgl. A. II. und ill. 144
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C. Fazit und Ausblick
125
neu ist lediglich die Berücksichtigung der grenzüberschreitenden Aspekte. Um die Abschottung der nationalen Märkte zu verhindern, müssen die Standesregeln nicht komplett abgeschafft, sondern lediglich europaweit aufeinander abgestimmt werden. Die nationalen Barrieren könnten dadurch beseitigt werden, dass die berufsrechtlichen Bestimmungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten durch Vereinbarungen harmonisiert werden, um damit Freizügigkeit unter Wahrung der qualitätssichernden Aspekte für den Bürger herzustellen. Europaeinheitliche Gebühren- und Standesordnungen 153 würden einen wesentlichen Beitrag dazu leisten.
153
Vgl. Kunert, StB 1990, 100.
Viertes Kapitel
Das Empfehlungsverbot in der Pra~s: Schwellenwert- und Analogempfehlungen von Arzteverbänden A. Einführung I. Wettbewerb im Gesundheitswesen Durch die vorausgegangenen Untersuchungen konnte der Anwendungsbereich des GWB sowie des Empfehlungsverbotes abstrakt für verschiedene Arten von wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen der Freien Berufe bestimmt und gegenüber anderen kartellrechtlichen Verboten abgegrenzt werden. Bei der unüberschaubaren Anzahl von Standesregeln und berufsrechtlichen Maßnahmen bietet sich vor allem der kartellrechtlich äußerst sensible Bereich der privatärztlichen Gebührenliquidation als konkretes Beispiel an, um mögliche Verstöße gegen das Empfehlungsverbot in der täglichen Praxis der Freiberufler zu untersuchen. Dabei spielen folgende Besonderheiten eine Rolle: Zum einen gehört der Gesundheitssektor - national wie international - mit zu den größten und bedeutendsten Wirtschaftszweigen. Dies belegt die Tatsache, dass die Deutschen 1997 insgesamt 516,6 Mrd. DM für die Gesundheit ausgegeben haben, wobei 320 Mrd. DM für die medizinische Behandlung in Krankenhäusern und Arztpraxen sowie für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel fällig wurden l . Zum anderen kommt der Konflikt und Kontrast zwischen staatlicher Gleichschaltung durch standesrechtliche Wettbewerbsbeschränkungen auf der einen Seite und der freien Marktwirtschaft durch freien Wettbewerb auf der anderen Seite im Gesundheitsbereich am ausgeprägtesten zur Geltung und erhitzt regelmäßig die Gemüter in der Wissenschaft und Öffentlichkeit. Zwar wird diese Diskussion durchweg in allen Branchen der Freiberufler geführt, im Gegensatz zu den Heilberufen findet man jedoch dort öfters schon Ansätze einer Liberalisierung, die zur Entspannung des Streites um die Kartellrechtswidrigkeit von Standesregeln beiträgt2 . Hinzu kommt, dass von der privatärztlichen Behandlung FAZv. 14.3.2000, S. 17. Insbesondere bei der Lockerung standesrechtlicher Werbeverbote im Anwaltswesen, vgl. Bardenz, MDR 2000, 1409 ff.; s. auch BVerfG v. 18.2.2002 - 1 BvR 1644/01 1
2
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
und der anschließenden Honorarberechnung mehrere Millionen Patienten3 betroffen sind, was die Bedeutung und den Praxis bezug dieser Beispiele unterstreichen dürfte. Den nachfolgenden Untersuchungen soll die These zugrunde liegen, dass die ärztlichen Berufsvereinigungen, inklusive der Bundesärztekammer (BÄK), in großem Umfang die privatärztliche Honorarliquidation mit kartellrechtlich unzulässigen Empfehlungen i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz I GWB beeinflussen und dabei das Kartellverbot umgehen.
11. Das privatärztliche Gebührensystem Die ausgewählten Beispiele aus der Empfehlungspraxis der Ärzteverbände haben ihren Ursprung in der privatärztlichen Gebührenabrechnung und der ihr zugrundeliegenden Gebührenordnung fiir Ärzte (GOÄ). Die Abrechnung von zahnärztlichen Leistungen bestimmt sich nach der Gebührenordnung fiir Zahnärzte (GOZ)4. Die folgenden Ausfiihrungen zur GOÄ sind grundsätzlich auf die äußerlich wie inhaltlich sehr ähnliche GOZ übertragbar5 . Der Staat hat die Vergütung des Arztes fiir seine Leistung gegenüber dem Patienten der Privatautonomie weitgehend entzogen und wie bei allen verkammerten Berufen durch staatliche Vorgaben ersetzt. Trotz umfangreicher Reglementierung begründet die GOÄ selbst jedoch keinen Honoraranspruch. Dieser ergibt sich aus der meist konkludent geschlossenen privatrechtlichen Vereinbarung, die der Behandlung eines Patienten durch den Arzt zugrunde liegt und von WRP 2002, 521 (Zulässigkeit der Werbung durch Zeitungsanzeigen); BVerfG v. 13.12.2000 - I BvR 335/97 - NJW 2001, 353-357 = WRP 2001, 137-143 (Verfassungswidrigkeit der Regelung über die Singularzulassung von Rechtsanwälten bei den Oberlandesgerichten gern. § 25 BRAO); BVerfG v. 12.9.2001 - 1 BvR 2265/00 - NJW 2001, 3324 f. (Zulässigkeit von Anwaltswerbung); zur Zulässigkeit eines Zahnarztsuchservice BVerfG v. 18.10.2001 - 1 BvR 881/00 - NJW 2002, 1864 f.; BVerfG v. 17.4.2000 - 1 BvR 721/99 - WRP 2000, 720-722 = NJW 2000, 3195-3196; BVerfG v. 11.11.1999 - 1 BvR 754/98 - BRAK-Mitt 2000,89-90 = NJW-RR 2000, 941; BVerfG v. 24.7.1997 - 1 BvR 1863/96 - NJW 1997,2510-2512 = WRP 1997, 1046-1048 = DNotZ 1998, 69-73; OLG Köln v. 26.5.2000 - 6 U 167/99 - FAZ v. 9.8.2000, S. 25; OLG Koblenz v. 30.5.2000 - 4 U 192/00 - OLGR KOBLENZ 2000,394-398 = ArztR 2001,16-22; OLG München v. 4.2.1999 - 6 U 1845/98 - OLGR München 1999,143 = ArztR 2000, 71-72; vgl. Emmerich in Immenga/Mestmäcker, § 130 Abs. 1 Rz. 47; Taupitz, NJW 1992,937 ff., insb. S. 939 ff. 3 Zurzeit gibt es rund sieben Millionen Privatpatienten, Lieber, GOÄlGOZ, S. XI. 4 Da die GOZ nicht alle beruflichen Leistungen des Zahnarztes enthält, bestimmt sie auch, welche Leistungen nach der GOÄ abgerechnet werden müssen. 5 Lieber, GOÄlGOZ, S. XLII.
A. Einführung
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der herrschenden Meinung als Dienstvertrag gern. § 611 ff. BGB qualifiziert wird6 . In Abgrenzung zum Werkvertrag soll nicht ein Behandlungserfolg, sondern die Durchführung der Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst geschuldet werden? Ein zahnärztlicher Behandlungsvertrag kann allerdings unter bestimmten Bedingungen auch werkvertragliche Elemente beinhalten8 . Der Zahlungsanspruch des Arztes ergibt sich daher in der Regel aus § 611 Abs. 1 BGB 9 • Gern. § 1 Abs. 1 i.V.rn. Abs. 2 Satz I GOÄ regelt die Gebührenordnung alle Vergütungen JO für berufliche Leistungen der Ärzte, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst für eine medizinisch notwendige ärztliche Versorgung erforderlich sind, soweit nicht durch Bundesgesetz etwas anderes bestimmt ist. Sie gilt nur für ambulante - und bei Inanspruchnahme der ärztlichen Wahlleistung auch für die stationäre - ärztliche Behandlungen. Als staatliche Gebührenordnung werden ihre Regelungen automatisch Bestandteil des Behandlungsvertrages, ohne dass eine Vereinbarung über das Honorar nötig ist. Für Leistungen, die über eine medizinisch notwendige Behandlung hinausgehen (Bsp. Schönheitsoperationen), ist zunächst ein ausdrückliches Verlangen des Zahlungspflichtigen erforderlich (§ 1 Abs. 2 Satz 2 GOÄ). Trotz des scheinbar umfangreichen Anwendungsbereiches wird ein Großteil der ärztlichen Leistungen - nämlich ca. 90% - nicht nach GOÄ abgerechnet. Eine wesentliche Bedeutung kommt nämlich der Ausnahmebestimmung für die kassenärztliche Leistungsabrechnung zu. Nach § 87 Abs. 1 SGB V wird der sog. ,,Einheitliche Bewertungsmaßstab für die ärztliche Leistung" (EBM) als Bestandteil des Bundesmantelvertrages über die vertragsärztliche Versorgung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen vereinbart und bestimmt den Inhalt der in der vertragsärztlichen Versorgung abrechnungsfähigen Leistungen ll . Somit beschränkt sich der Anwendungsbereich der GOÄ im We6 Bei ambulanten Behandlungen im Krankenhaus schließt der Privatpatient den Behandlungsvertrag mit dem leitenden Art (Chefarzt) ab, der die Ambulanz betreibt und auf Grund einer Vereinbarung mit dem Krankenhausträger liquidationsberechtigt ist, Lieber, GOÄlGOZ, S. XIV; Andreas, ArztR 1997,67. 7 BGH v. 9.12.1974 - VII ZR 182/73 - NJW 75,305; bei Eingriffen, die medizinisch nicht indiziert sind (z.B. Schönheitsoperationen) kann jedoch auch der Erfolg einer Behandlung geschuldet sein. S Haberstroh, VersR 2000, 538. 9 Bei Bewusstlosigkeit des Patienten kann sich der Liquidationsanspruch auch aus Geschäftsführung ohne Auftrag ergeben. 10 Hierunter fallen gern. § 3 GOÄ Gebühren, Entschädigungen und Ersatz von Auslagen. 11 Auch weitere bundesgesetzliehe Vergütungsregeln schließen den Anwendungsbereich der GOÄ aus: § 83 SGB V (Gesamtverträge zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Landesverbänden der Krankenkassen), § 75 Abs. 3 SGB V (Bereich der
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
sentlichen auf die sog. Privatliquidation des Arztes, d.h. auf Leistungen gegenüber Privatpatienten 12. Zu ihnen zählen insbesondere Selbständige, Freiberufler, Beamte und Richter sowie diejenigen Angestellten und Arbeiter, die wegen Überschreitung der Krankenversicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig sind (§ 6 Abs. 1 SGB V). Unter die Gruppe der Privatpatienten fallen aber nicht nur die in einer privaten Krankenkasse Vollversicherten, sondern auch Beihilfeberechtigte mit in der Regel ergänzendem privaten Versicherungsschutz, echte Selbstzahler ohne Versicherungsschutz bei Krankheit sowie Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV)13 mit privaten Zusatzversicherungen l4 . Daneben hat der GKV-Patient auch immer die Möglichkeit, sich als freiwillig selbstzahlenden Kassenpatienten behandeln zu lassen ls . Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn er Leistungen in Anspruch nehmen will, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden (z.B. kosmetische Operationen oder neue nicht bzw. noch nicht von der Schulmedizin anerkannte Heilungsmethoden). Wird ein Kassenpatient behandelt, rechnet der Arzt mit der GKV auf der Grundlage des EBM ab. Bei einer Leistungserbringung nach GOÄ kommt ein Vertragsverhältnis nur zwischen Arzt und Patienten, nicht jedoch zwischen Arzt und dessen privater Krankenversicherung zustande. Der Arzt stellt daher seine Rechnung dem Patienten, der seinerseits zahlungspflichtig ist und gegebenenfalls vom Arzt vor Gericht auf Honorarzahlung verklagt werden kann l6 . Der Patient wiederum kann aufgrund des Versicherungs vertrages bzw. der Beihilfeberechtifreien Heilfürsorge, betrifft z.B. Soldaten, Zivildienstleistende, BGS- und Polizeibeamte), § 75 Abs. 4 SGB V (Notfallversorgung von Gefangenen in Justizvollzugsanstalten), § 37 Abs. 3 BSHG (Krankenhilfe im Rahmen der Sozialhilfe), § 18c Abs. 4 BVG (Bereich der Heil- oder Krankenbehandlung nach dem Bundesversorgungsgesetz), ZSEG (Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen); § 4 Asylbewerberleistungsgesetz (Asylbewerber). 12 Schäfer in Lang/Schäfer/StieIlVogt, Der GOÄ-Kommentar, § 1 Rz. 9; 50% der Privatpatienten gehören zu den beihilfeberechtigten Beamten, s. Hess, Deutsches Ärzteblatt 95, A-938. 13 Z.B. Orts-, Betriebs- oder Innungskrankenkassen, landwirtschaftliche Krankenkassen oder Ersatzkassen (§ 5 SGB V). 14 Schäfer in Lang/Schäfer/Stiel/Vogt, Der GOÄ-Kommentar, § 1 Rz. 9. 15 Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- u. Krankenhausleistungen, S. 1; daneben gibt es die Möglichkeit, dass ein freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherter anstelle der "Sach- und Dienstleistungen" der Krankenkasse die Kostenerstattung wählt (§ 13 Abs. 2 SGB V) und sich als Privatpatient behandeln lässt. Für diese private Behandlung können allerdings nur Vertrags ärzte der GKV gewählt werden, Lieber, GOÄlGOZ, S. XI. 16 Dem Patienten bleibt ggf. die Möglichkeit, der Versicherung den Streit zu verkünden.
A. Einführung
131
gung die Erstattung der durch die Behandlung anfallenden Kosten ganz oder teilweise von den Kostenerstattungsträgem einfordern 17. Dies sind die Beihilfeträger und privaten Krankenversicherungen l8 . Bei der GOÄ handelt es sich um eine von der Bundesregierung (Bundes gesundheitsministerium) mit Zustimmung des Bundesrates erlassene Rechtsverordnung 19. Sie geht auf Beratungen mit der BÄK und den privaten Kostenträgern zurück, wobei das Ministerium nicht an die Vorgaben der genannten Institutionen gebunden war bzw. ist. Die parlamentarische Grundlage zum Erlass einer solchen Verordnung enthält § 11 Bundesärzteordnung (BÄO)2o, der die Bundesregierung dazu ermächtigt, die Entgelte für die ärztliche Tätigkeit in einer Gebührenordnung mit Mindest- und Höchstsätzen festzusetzen, wobei den berechtigten Interessen der Ärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten Rechnung zu tragen ist 21 • Eine entsprechende Vorschrift enthält § 15 Zahnheilkundegesetz (ZHG). GOÄ und GOZ lösten 1965 die Preußische Gebührenordnung (PreuGO) von 1924 ab, bei der es sich noch um eine typische Taxe i.S.d. § 612 Abs. 2 BGB handelte, da die behördlich festgesetzten Gebührenbestimmungen nur zum Tragen kamen, wenn eine Vereinbarung über die Vergütung der ärztlichen Leistung nicht geschlossen worden war22 . Die GOÄ von 1965 galt bis zum Inkrafttreten
17 Durch dieses System kann es in der Praxis zu dem Problem kommen, dass der Privatpatient die Erstattung von der Beihilfe bzw. der Privatkrankenkasse erhalten hat, die Honorarforderung des Arztes jedoch weiterhin nicht erfüllt wird. In der Regel verhindert dies auch keine vorherige Abtretungserklärung der Erstattungsforderung des Patienten gegenüber dem Kostenträger an den Arzt, da die Abtretung nach den Versicherungsbedingungen meistens verboten ist. Dem Arzt bleibt dann nur der Gang vor Gericht. Bei der Beihilfe führt ein öffentlichrechtliches Abtretungsverbot zwischen Dienstherrn und seinem Beamten zum selben Ergebnis. 18 Träger der privaten Krankenversicherungen sind insbesondere die dem Verband der privaten Krankenversicherungen angehörenden Versicherungsuntemehmen. Die privatrechtlich geführten Krankenversicherer unterliegen der staatlichen Versicherungsaufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV). Für öffentlichrechtliche Versicherer sind Länderaufsichtsbehörden zuständig. 19 Vom 18.3.1965 (in Kraft seit 1.4.1965). 20 Bei Erlass der GOÄ von 1982 wurde von den Ärzten die verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundes zum Erlass einer Rechtsverordnung durch § 11 BÄO vor dem BVerfG angegriffen. Dieses hat jedoch durch Beschluss vom 12.12.1984 (BVerfGE 68, 319 = NJW 1985,2185) die Kompetenz aus Art. 74 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft) bestätigt. 21 Ob sich der Verordnungs geber bei Erlass der GOÄ, insbesondere des § 5 GOÄ im Rahmen seiner Ermächtigung gehalten hat, wird später noch genauer untersucht, vgl. B. IV. 1. c). 22 Sog. primäre Dispositivtaxe.
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
der neuen GOÄ vom 12.11.198223 . Seitdem sind die Bestimmungen der Gebührenordnung für die Honorarliquidation verbindlich und können nur noch bezüglich der Vergütungshöhe abgedungen werden (§ 2 Abs. 1 GOÄ)24. Sonstige abweichende Regelungen sind nicht mehr möglich. Inzwischen ist die GOÄ siebenmal geändert worden. Das Regelungswerk der GOÄ setzt sich im Wesentlichen aus zwei Teilen zusammen. Die §§ 1-12 GOÄ enthalten den eigentlichen Verordnungstext mit allgemeinen Bestimmungen zur Vergütung ärztlicher Leistungen. Für die spätere Untersuchung spielen insbesondere die §§ 5 und 6 eine entscheidende Rolle, die den Gebührenrahmen und die sog. Analogbewertungen regeln. Das im Anhang der GOÄ enthaltene und im Umfang wesentlich größere Leistungsverzeichnis ist ebenfalls Bestandteil der Verordnung und besitzt deren Rechtsqualität. Es gleicht dem zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Bundesverbänden der Krankenkassen vereinbarten EBM. Das Verzeichnis ist in die Abschnitte Abis P gegliedert und umfasst etwa 2500 einzelne Gebührenpositionen25 . Durch eine weitgehende Vereinheitlichung der Leistungsbezeichnungen, Nummerierungen und Punktzahlen mit dem GKV -System sollte vor allem auch die Abrechnungsarbeit des Arztes erleichtert werden26 .
m. Defizite im privatärztlichen Gebührensystem Wie in allen Bereichen der Wissenschaft, so gibt es auch und gerade in der Medizin laufend neue Erkenntnisse und Verfahren, die dem Arzt eine frühere Erkennung und bessere Heilung bzw. Linderung von Krankheiten ermöglichen. Durch zahlreiche Änderungsverordnungen ist die GOÄ zwar ein recht umfangreiches und komplexes Regelungswerk geworden, ihr größtes Manko bleibt jedoch ihre mangelnde Flexibilität, die es nicht ermöglicht, zeitnah auf den medizinischen Fortschritt und die Einführung neuer Behandlungsverfahren zu reagieren2? Modifiziert - und das nur teilweise - wird die GOÄ nur alle acht bis zehn Jahre, das letzte Mal 1996. Seither sind beispielsweise allein auf dem Gebiet der Augenheilkunde eine ganze Reihe neuer Operations- und Therapieverfahren hinzugekommen, die immer noch keine Aufnahme in die Gebührenordnung gefunden haben, da der Gesetzgeber bisher nicht bereit war, hier entsprechend In Kraft getreten am 1.1.1983, BGB!. I S. 1522. Zur abweichenden Honorarvereinbarung vg!. B. II. 2. 25 Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Abschnitte findet sich bei Lieber, GOÄlGOZ, S. XXV-XXVII. 26 Dieser Gedanke lag bereits der Preußischen Gebührenordnung aus dem Jahre 1924 zu Grunde. 2? So schon Erfahrungsbericht der BReg v. 23.12 1985, BR-DruckS 625/85, S.27 f.; Haberstroh, VersR 2001, 1064; Andreas, ArztR 2000,240. 23
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A. Einführung
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nachzubessern. So gibt es im Leistungsverzeichnis der geltenden Gebührenordnung noch Abrechnungspositionen, die vor 20 Jahren mit der GOÄ-Novelle von 1982 aus dem vertragsärztlichen Gebührenwerk (EBM) bis heute unverändert übernommen wurden. Während sich der EBM stetig dem Fortschritt in der medizinischen Wissenschaft angepasst hat, bleibt das Gebührenverzeichnis der GOÄ hoffnungslos veraltet 28 , womit Ärzte, Patienten, Versicherungsunternehmen, Beihilfestellen, Behörden und Ärztekammern gleichermaßen zu kämpfen haben. Die zahlreichen, später genauer zu untersuchenden Analogbewertungen (§ 6 Abs. 2 GOÄ) und diesbezügliche Empfehlungen sind zum Symbol für die Kapitulation des Leistungskataloges der GOÄ geworden. Sie belegen, dass der Verordnungsgeber ständig und im großen Ausmaß dem medizinischen Fortschritt hinterherhinkt. Denn nur durch die Analogbewertungen wird im begrenzten Maße eine Alibi-Aktualisierung des Gebührenverzeichnisses ermöglicht29 . So verwundert es nicht, wenn das System einer staatlichen Gebührenordnung als überholt betrachtet wird und eine Ablösung der GOÄ durch eine Vertragslösung, wie sie sich im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung in Gestalt des EBM bewehrt hat, immer wieder gefordert wird3o . Zwar ist auch dieses System von langwierigen Verhandlungen geprägt, bis eine Akzeptanz von beiden Seiten erreicht wird, da auch bei den gesetzlichen Krankenkassen im Vordergrund steht, Neuerungen im Preis zu drücken, um das allgemeine Budget nicht aus dem Lot zu bringen. Dennoch garantiert diese Vorgehensweise im Gegensatz zum privatärztlichen Gebührensystem auch kurzfristig eine Anpassung an den neuen Stand in der Medizin3l • Bei Änderungsverordnungen der GOÄ vergehen zwischen Referentenentwurf und Zustimmung des Bundesrates hingegen nicht selten zwei Jahre, ohne dass garantiert werden kann, dass nicht trotzdem auch allzeit bekannte Leistungen schlichtweg vergessen werden32 •
28 Insbesondere alle operativen Leistungen, aber auch die Abschnitte Anästhesie, Innere Medizin, Dermatologie, Kinderheilkunde, Augenheilkunde, Hals-Nasen-OhrenHeilkunde, Gynäkologie und Geburtshilfe, Urologie, Chirurgie (seit 1970 nicht mehr novelliert), Orthopädie, Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, Histologie, Zytologie, Zytogenetik; die übrigen Kapitel Grund1eistungen, Sonderleistungen, Labor, Radiologie, Nuklearmedizin, Strahlentherapie und NMR sind zuletzt 1996 aktualisiert worden. 29 Ausführlich zum analogen Abgriffverfahren unter C. 30 So Hess, Deutsches Ärzteblatt 95, A-998; Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- u. Krankenhausleistungen, S. 4; Andreas, ArztR 2000, 240. 3l Eine seltene Ausnahme besteht im Bereich der Homöopathie, für die im EBM Ziffern fehlen. Kassenärzte greifen daher auf GOÄ-Ziffern (30 und 31) zurück, was nach Angaben des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte von einigen Krankenversicherungen toleriert wird. 32 Siehe Beispiele in Kommentar zu GOÄ, 3. Aufl., S. 1204.
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
Da auch zurzeit kein konkretes Vorhaben besteht, die GOÄ auf einen aktuellen Stand zu bringen, ist auch in naher Zukunft keine Lösung dieses Problems in Sicht.
B. Schwellenwertempfehlungen Die folgenden Beispiele aus der privatärztlichen Gebührenliquidation betreffen zum einen die einheitliche Honorarberechnung nach dem sog. Schwellenwert unter Verwendung eines bestimmten Steigerungsfaktors (§ 5 GOÄlGOZ), zum anderen die Einflussnahme im Rahmen sog. Analogbewertungen für neue, nicht im Leistungsverzeichnis der GOÄ enthaltene Behandlungen (§ 6 Abs. 2 GOÄlGOZ)33. Zwar liegen beide Konstellationen oftmals in kombinierter Form vor, nämlich immer dann, wenn die Empfehlung einer Analogziffer gleichzeitig mit der Angabe eines Steigerungsfaktors versehen wird; kartellrechtlich betrachtet handelt es sich jedoch um zwei zu trennende Handlungen, die zunächst unabhängig voneinander untersucht werden sollen.
I. Die Abrechnung privatärztlicher Leistungen unter Verwendung eines Steigerungsfaktors Behandelt der Arzt einen Privatpatienten, bestimmt sich die Höhe für die Vergütung seiner Leistung nach den allgemeinen Vorschriften der GOÄ bzw. GOZ, sowie den im Leistungsverzeichnis aufgelisteten speziellen Gebührenpositionen. Das Vergütungssystem geht von einer Einzelleistungsvergütung aus, wonach für jede selbständige ärztliche Leistung grundsätzlich eine eigene Gebührenposition im Leistungsverzeichnis vorgesehen ist. Der in diesem Verzeichnis enthaltene Gebührensatz in Euro (auch Einfachsatz genannt) errechnet sich gern. § 5 Abs. 1 Satz 2 GOÄ aus der Multiplikation der einer einzelnen Gebührenposition zugeordneten Punktzahl (sog. Bewertung) mit dem im allgemeinen Teil der GOÄ festgelegten Punktwert (aktuell 5,82873 Cene 4 ). Aus Gründen der Transparenz findet sich der so errechnete Gebührensatz neben der Punktzahl im Leistungsverzeichnis35 • Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GOÄ bemisst sich die Höhe der Gebühr nach dem 1-3,5fachen des Gebührensatzes (sog. Gebührenrahmen). Vor Inkrafttreten der Dazu unter C. Vor der Euroumstellung 11,4 Pfennig. Bei Einführung 1983: 10 Pfennige, 1988: 11 Pfennige. 35 Uleer/MiebachiPatt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 5 GOÄ, 1.3. 33
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B. Schwellenwertempfehlungen
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neuen GOÄ von 1982 betrug der Gebührenrahmen noch das 1-6fache. Begründet wurde die Verkleinerung des Gebührenrahmens mit der wesentlich stärkeren Differenzierung, die das neue Leistungsverzeichnis der GOÄ beinhalte36 . So wird vereinzelt bereits durch verschiedene Gebührensätze nach dem Schwierigkeitsgrad und Zeit aufwand der Leistung unterschieden, ohne dass - so zumindest die Theorie - zusätzlich ein Steigerungsfaktor herangezogen werden müsste 3? Nach § 5 Abs. 3 GOÄ bemessen sich die Gebühren für medizinisch-technische Leistungen (Abschnitte A, E, 0) nach dem 1-2,5fachen des Gebührensatzes. Der kleinere Gebührenrahmen wird gerechtfertigt durch den überdurchschnittlichen Sachkostenanteil sowie die Möglichkeit, diese Leistungen weitgehend unter Zuhilfenahme von Hilfskräften oder Apparaten durchzuführen38 . Für Laborleistungen (Abschnitt M sowie Nr. 437) wurde der Gebührenrahmen auf das 1-1,3fache reduziert, da hier die Unterschiede zwischen leistungsspezifischem Schwierigkeitsgrad und Zeitaufwand sowie den Umständen bei der Ausführung naturgemäß sehr gering sind. Die Gebühr darf bei Leistungen mit großem Gebührenrahmen gern. § 5 Abs. 2 GOÄ in der Regel nur zwischen dem Einfachen und dem 2,3fachen des Gebührensatzes berechnet werden (sog. Regelspanne). Ein Gebührensatz der über dem 3,5fachen liegt, kann nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 GOÄ im Voraus vereinbart werden (sog. abweichende Honorarvereinbarung)39. Ein Überschreiten des 2,3fachen des Gebührensatzes (sog. Mittel- oder Schwellenwert) bis zum 3,5fachen ist nur zulässig, wenn Besonderheiten dies rechtfertigen (§ 5 Abs. 2 Satz 4). Für Leistungen mit kleinerem Gebührenrahmen gilt ein entsprechend niedriger Schwellenwertfaktor (siehe die Übersicht auf der folgenden Seite). Bei Überschreitung des Schwellenwertes muss eine individuell auf die konkrete Behandlung bezogene Begründung abgegeben werden, die verständlich und nachvollziehbar in Schriftform vorliegen muss (§ 5 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 12 Abs. 3 GOÄ); daher auch die Bezeichnung ,,Begründungsschwelle,,4o. Als Hilfestellung bieten manche Kommentare auch pauschale Formulierungsvorschläge an41 .
36 Statt ca. 10.00 umfasste das Leistungsverzeichnis der GOÄ 82 nun ca. 2.400 Leistungen. 37 UleerlMiebachJPatt, § 5 GOÄ, 1.1. 38 Amtliche Begründung zu § 5, abgedruckt in BrückiKrimmellKleinkenIWarlo, Kommentar zur GOÄ, § 5 Rz. 1 (S. 128). 39 Vgl. ll. 2. 40 Schäfer in Lang/Schäfer/Stiel/Vogt, Der GOÄ-Kommentar, § 5 Rz. 27. 41 Bsp.: Abrechnungskommentar Neurologisch-psychiatriche GOÄ, hrsg. v. Gunther/Zacher, S. 12: "Schwierigkeit der Differentialdiagnose wegen Begleiterkrankungen", "Erschwerte Diagnose und Therapie durch komplexes Krankheitsbild" oder "Erhöhte
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen Gebührenrahmen
Mindestsatz
Schwellenwert
Höchstsatz
Rein ärztliche Leistungen (Abschnitt B, C (ohne Nr. 437), D bis L sowie N und P)
1,0
2,3
3,5
Medizinisch-technische Leistungen (Abschnitte A, E, 0)
1,0
1,8
2,5
Laboratoriumsuntersuchungen (Abschnitt Mund Nr. 437 aus Abschnitt C)
1,0
1,15
1,3
Art der Leistungen
Kriterien für eine Überschreitung des Schwellenwertes sind gern. § 5 Abs. 2 GOÄ insbesondere Schwierigkeitsgrad und Dauer der Leistung, Umstände bei der Ausführung 42 , sowie nach Satz 2 auch der Schwierigkeit des Krankheitsfalles43 . Es handelt sich damit letztlich um rein objektive Kriterien im Gegensatz zu den subjektiven Eigenschaften in der Person des Arztes, wie dessen herausragende akademische Qualifikation oder besonderer Ruf'4. Zu den besonderen Umständen bei der Ausführung zählen beispielsweise spezielle Wünsche des Patienten oder die Behandlung eines Unfallopfers am Unfallort mit beschränkten medizinischen Hilfsmitteln45. Eine bestimmte leistungsspezifische Schwierigkeit ist bereits in den verschienen Punktebewertungen der einzelnen Leistungen enthalten, sodass eine Kalkulation über dem Einfachsatz eigentlich nur in den Fällen möglich ist, in denen der tatsächliche Schwierigkeitsgrad sowie der tatsächliche Zeitaufwand und die besonderen Umstände der Leistungserbringung über das hinausgehen, was von vornherein für die Leistungsposition veranschlagt wur-
Schwierigkeit der Therapiekontrolle durch Multimorbidität und erforderliche Kombinations behandlung". 42 Neu eingeführt durch die "GOÄ '82". 43 Eingeschränkt allerdings auf die nicht in § 5 Abs. 3 genannten Leistungen (Abschnitte A, E, 0). 44 BrückiKrimmellKleinkenIWarlo, Kommentar zur GOÄ, § 5 Rz. 5 (S. 139); Schäfer in Lang/Schäfer/StieIlVogt, Der GOÄ-Kommentar, § 5 Rz. 12; Taupitz, ArztR 1996,209 (212); UleerlMiebachiPatt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 5 GOÄ, 2.1; früher konnten noch die Kriterien "Vermögens- und Einkommensverhältnisse" sowie "örtliche Verhältnisse" berücksichtigt werden. 45 BrückiKrimmellKleinkenIWarlo, Kommentar zur GOÄ, § 5 Rz. 8 (S. 141); Schäfer in Lang/Schäfer/StieIlVogt, Der GOÄ-Kommentar, § 5 Rz. 20; UleerlMiebachiPatt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 5 GOÄ, 2.4; strittig bei Leistungen in der Nacht bzw. an Sonn- und Feiertagen.
B. Schwellenwertempfehlungen
137
de46 • Dies erfordert zumindest in der Theorie bei jeder Leistung eine individuelle Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrades nach objektiven Maßstäben, auch wenn dieser unterhalb des Schwellenwertes liegt. Als Beispiel für einen begründeten Steigerungsfaktor von 3,5 sei eine Operation im Bauchraum aufgrund der schwierigen anatomischen Verhältnisse bedingt durch viele Voroperationen und hieraus resultierenden Verwachsungen genannt. Gleiches gilt für aufwendige und langwierige Elterngespräche bei entsprechend gravierenden Erkrankungen von Kindem47 • Einschränkungen ergeben sich jedoch durch die zuvor erwähnten Fälle der gesetzlichen Differenzierung der Leistungspositionen nach Schwierigkeit und Zeitaufwand. Im Übrigen soll die Gebühr gern. § 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ neben der Beachtung der Bemessungskriterien nach billigem Ermessen des Arztes erfolgen48 . Das tatsächliche Abrechnungsverhalten der Ärzte entspricht jedoch nur in den seltensten Fällen den zuvor genannten gebührenrechtlichen Voraussetzungen. Da die privaten Krankenversicherungen nur mit Widerwillen erhöhte Gebührenerstattungen akzeptieren, wird in über 90% der Fälle der Schwellenwert nicht überschritten, aber auch nicht unterschritten49 • Diese durchweg gleichförmig am Schwellenwert orientierte Liquidationspraxis ist im Zusammenhang mit Empfehlungen der Ärztevereinigungen zugleich der Ansatzpunkt für die folgende kartellrechtliche Bewertung.
11. Fälle aus der Kartellrechtspraxis Die Entscheidungspraxis aus der Vergangenheit bestätigt, dass die Ärzte und Ärztevereinigungen ein vom Kartellrecht und den Kartellbehörden weitgehend unbehelligtes Dasein führen. Es sind lediglich zwei Fälle bekannt, in denen die Kartellbehörden die Gebührenliquidation der Ärzte und den hierauf gerichteten Einfluss der Verbände unter dem Gesichtspunkt eins Verstoßes gegen das kartellrechtliche Empfehlungsverbot untersucht haben.
46 Schäfer in LangiSchäferIStiel/Vogt, Der GOÄ-Kommentar, § 5 Rz. 10; Uleer/ MiebachiPatt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 5 GOÄ, 2.2. 47 Weitere Beispiele bei Brück/Krimmel/Kleinken/Warlo, Kommentar zur GOÄ, § 5 Rz. 5 (S. 138 f.). 48 Schäfer in Lang/SchäferlStiellVogt, Der GOÄ-Kommentar, § 5 Rz. 25. 49 Der Verband der privaten Krankenversicherungen beziffert den Anteil der Leistungen, die mit den Schwellenwerten abgerechnet werden im Jahr 1999 mit 93,46%. Lediglich 1,98% wurden darunter bzw. 4,56% darüber berechnet; vgl. Lieber, GOÄlGOZ, S. XXXill; Haberstroh, VersR 2000, 538 (538 f.).
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
1. Der GOZ-Fall
Im GOZ-Fall ging es um das Liquidationsverhalten der Zahnärzte, das sich nicht nach der GOÄ, sondern der ebenfalls in Form einer Rechtsverordnung erlassenen staatlichen Gebührenordnung für Zahnärzte richtet50 . Die Regelung bezüglich des 1-3,5fachen Gebührenrahmens und des Schwellenwertfaktors von 2,3 findet sich fast wort gleich mit der entsprechenden GOÄ-Vorschrift in § 5 GOZ. Zur damaligen Zeit galt jedoch sowohl in der GOZ als auch GOÄ noch ein großer Gebührenrahmen bis zum 6fachen des Einfachsatzes. Der Landesverband Nordrhein des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte hatte an seine Mitglieder einen sog. ,,Leitfaden zur Erstellung von Liquidationen" versand, der ein Verzeichnis zahnärztlicher Leistungen sowie für jede Leistung drei Preise enthielt. Der ,,Mindestsatz" entsprach danach dem 2,2fachen, der ,,Mittelsatz" dem 3,4fachen und der ,,Höchstsatz" dem 6fachen der Einfachsätze der GOZ. In einem beigefügten Begleitschreiben wurde den Empfängern nahegelegt, bei mittleren Einkommensverhältnissen des Patienten und mittlerem Schwierigkeitsgrad der Behandlung den ,,Mittelsatz" zu berechen und in anderen Fällen den ,,Mindestsatz" nicht zu unterschreiten. Hierin sah das BKartA eine kartellrechtswidrige Preisempfehlung51 . Zwar werde durch die GOZ der Wettbewerbsfaktor Preis im großen Umfang kraft Vorrang des staatlichen Berufsrechts ausgeschlossen, dies gelte aber nicht für den Wettbewerbsspielraum innerhalb des von der GOZ vorgeschriebenen Vergütungsrahmens oder beim Abschluss einer Honorarvereinbarung52 . Das Verfahren wurde allerdings eingestellt, nachdem der Verband sein Verhalten aufgab und dafür gesorgt hatte, dass die ausgegebenen Empfehlungen aus dem Verkehr gebracht wurden. 2. Abdingungs- und Pauschalhonoranälle
Das BKartA sah sich bereits zu Beginn des Inkrafttretens der "GOÄ 82" veranlasst, das Abrechnungsverhalten der Ärzte näher zu untersuchen. So wurden Fälle bekannt, bei denen die Gebührenliquidation durch einheitliche Abdingungserklärungen im Rahmen abweichender Honorarvereinbarungen koordiniert wurde. § 2 Abs. 1 GOÄ ermöglicht es dem Arzt unter bestimmten Bedingungen im Einzelfall, Leistungen auch über den Höchstsätzen der GOÄ zu liquidieren. Seit Vgl. A. II. TB BKartA, BT-Drucks. 7/986, S. 84 f. 52 TB BKartA, BT-Drucks. 7/986, S. 84 f. 50 51
B. Schwellenwertempfehlungen
139
der am 1.1.1996 in Kraft getretenen Vierten Änderungsverordnung ist eine abweichende Honorarvereinbarung für technisch-medizinische Leistungen gern. § 2 Abs. 3 GOÄ nicht mehr möglich. Ebenfalls ausgeschlossen sind seit der Änderung des § 2 GOÄ Pauschalhonorare, bei denen ein Festbetrag für die Behandlung angesetzt wird, ohne dass nach Einzelpositionen der GOÄ und der Zahl der erbrachten Einzelleistungen abgerechnet wird53 . Abgedungen werden kann seither lediglich die Höhe des Steigerungssatzes54 , im Übrigen muss es bei den Regelungen der GOÄ bleiben. Die abweichende Honorarvereinbarung kann daher auch nicht dazu benutzt werden, die Begründungpflicht für eine Überschreitung des Schwellenwertes zu umgehen, da zu den übrigen Vorschriften der GOÄ, die nicht abgedungen werden können, auch die Begründungspflicht bei Überschreitung des Schwellenwertes (§ 5 Abs. 2 Satz 4 LV.m. § 12 Abs. 3 GOÄ) zählt55 . Anders ist dies nur in den Fällen, in denen die Leistung keine notwendige ärztliche Versorgung i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 GOÄ ist, wie beispielsweise bei kosmetischen Operationen ohne Vorliegen einer medizinischen Indikation sowie bei medizinisch nicht erforderlichen Labor- und RöntgenDoppeluntersuchungen56 . In der Regel werden die Behandlungskosten auf Basis einer abweichenden Honorarvereinbarung nicht von den privaten Krankenkassen übernommen, sondern müssen vom Patienten selbst getragen werden. Sie sind daher nur wirksam, wenn sie im Voraus, d.h. mit Zustimmung des Patienten getroffen wurden, um diesen vor unerwarteten finanziellen Konsequenzen zu bewahren57 . Oft handelt es sich dabei um Behandlungsverträge in privaten Kliniken oder die Vereinbarung einer Chefarztbehandlung. Unzulässig sind Abdingungen bei Notfall- und akuten Schmerzbehandlungen (§ 2 Abs. 1 GOÄ) sowie Schwangerschaftsabbrüchen. In den bereits genannten Fällen traten die Landeskartellbehörden in Erscheinung, als sie dem Verdacht nachgingen, dass die Abdingungsformulare bestimmte Steigerungssätze oder Pauschalhonorare enthielten58 . Wie schon im zuvor erwähnten GOZ-Fall sollte durch die Verbreitung von Formularen bzw. ,,Leitfa53 Taupitz, ArztR 1996,209 (210) m.w.N.; eine Ausnahme besteht wohl aber im Bereich der Transplantationsleistungen, die nach Aussage der Chirurgischen Universitätsklinik Freiburg (Sektion Transplantantionschirurgie) im Rahmen der Fallpauschalen und Sonderentgelte abgerechnet werden. 54 Ausgeschlossen sind hingegen Vereinbarungen über einen abweichenden Gebührensatz durch eine andere Punktzahl oder einen anderen Punktwert (§ 2 Abs. I GOÄ). 55 Erfahrungsbericht der BReg v. 23.12 1985, BR-DruckS 625/85, S.19; vgl. BrückiKrimmellKleinkenIWarlo, Kommentar zur GOÄ, § 5, Rz. 13. 56 Schäfer in Lang/Schäfer/StieINogt, Der GOÄ-Kommentar, § 1 Rz. 15. 5? Zu den weiteren Wirksamkeits voraussetzungen, s. Taupitz, ArztR 1996, 209 (210 ff.). 58 Siehe Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-DruckS 10/186, S. 4; damals waren Pauschalhonorare grundsätzlich noch möglich.
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
den" auch hier ein möglichst gleichförmiges Abrechnungsverhalten aller Ärzte unter Verwendung eines einheitlichen Steigerungsfaktors erzielt werden. Zwar betrafen die Ermittlungen in erster Linie Abstimmungen, die auf das Verhalten einzelner leitender Krankenhausärzte bzw. niedergelassener Ärzte von Privatpatienten zurückzuführen waren, das BKartA hat aber ausdrücklich klargestellt, dass die individuelle Honorarentscheidung des Arztes auch nicht durch Empfehlungen von Ärztevereinigungen koordiniert werden dürfe59 • Kartellrechtlich unzulässige Empfehlungen lägen insbesondere dann vor, wenn Abdingungsformulare mit bereits eingedruckten Steigerungs- und Pauschalsätzen als Fest- oder Höchsthonorare an Ärzte verbreitet würden6o .
ill. Der Einfluss der Verbände auf die privatärztliche Gebührenliquidation durch Schwellenwertempfehlungen 1. Neue Verdachtsralle
Ein Blick auf die aktuelle Liquidationspraxis der Ärzte zeigt, dass in großem Umfang Behandlungen in derselben Höhe, d.h. mit demselben Steigerungsfaktor abgerechnet werden. Dabei sieht die GOÄ im Gegensatz zur EBM einen Gebührenrahmen vor, der es dem Arzt ermöglichen soll, die Abrechnung seiner ärztlichen Leistung den individuellen Umständen anzupassen61 • Die Bundesregierung berichtet, dass schon sehr bald nach Inkrafttreten der GOÄ von 1982 ein Abrechnungsverhalten zu Tage trat, das sich genau an den Regelhöchstsätzen (heute 2,3 bzw. 1,8) orientierte, für die keine besondere Begründung erforderlich war62 . So wurde bereits 1984 - damit schon ca. 2 Jahre nach der Zustimmung des Bundesrates zur GOÄ - festgestellt, dass in ca. 85 % aller Arztliquidationen genau der Schwellenwert berechnet wurde63 . Diese Liquidationspraxis hat sich bis heute gehalten. Im Ergebnis unterscheidet sich das privatärztliche Gebührensystem daher kaum von den Festgebühren im EBM, weshalb auch die Funktion des Steigerungsfaktors stets in Frage gestellt wird64 •
59 So berichtet die Bundesregierung in: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-DruckS 10/186, S. 4. 60 BReg a.a.O. 61 s.o. 62 Erfahrungsbericht der BReg v. 23.121985, BR-DruckS 625/85, S.18 f. 63 Erfahrungsbericht der BReg, S.18. 64 Der Ruf nach einer Einheitsgebühr im Privatliquidationsbereich kommt auch vom Bundesrat, der seine Zustimmung zur Vierten Verordnung zur Änderung der GOÄ mit der Entschließung verbunden hat, die Bundesregierung aufzufordern, dass § 11 BÄO auch Festgebühren ermöglichen soll.
B. Schwellenwertempfehlungen
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Im Rahmen einer dieser Arbeit vorausgegangenen Untersuchung wurden sämtliche im offiziellen Verzeichnis der BÄK65 aufgeführten ärztlichen Kammern, Berufs- und Fachverbände sowie Krankenkassen zur Handhabung von sog. Analogbewertungen und Analogempfehlungen befragt66 . Die in diesem Zusammenhang zur Verfügung gestellten Materialien haben gezeigt, dass die Übermittlung von konkreten Steigerungsfaktoren der verschiedenen Verbände immer noch eine erhebliche Rolle bei der ärztlichen Gebührenliquidation spielt, kartellrechtlich bis heute jedoch unbeachtet geblieben ist. Die verschiedenen Ärzteverbände nehmen dabei in unterschiedlicher Weise und Intensität Einfluss auf das Abrechnungsverhalten ihrer Mitglieder. 2. Die Rolle der staatlichen Ärztekammern
In Deutschland existieren derzeit 17 Ärztekammern, die den Status einer öffentlichrechtlichen Verbandskörperschaft besitzen und ihre rechtliche Grundlage in den Heilberufsgesetzen der Länder fmden67 . Es besteht - wie auch bei den übrigen verkammerten Berufen - eine Pflichtmitgliedschaft, die bei ärztlicher Berufsausübung eine Meldepflicht zur Folge hat 68 . Zu den Aufgaben einer Ärztekammer gehört die oft zwiespältige Funktion der Überwachung der Berufspflichten auf der einen Seite, sowie der Wahrung und Vertretung der Interessen der Kammerangehörigen auf der anderen Seite69 . Die BÄK gehört trotz ihrer Bezeichnung als Kammer nicht zur mittelbaren Staatsverwaltung, sondern ist ein privatrechtlicher Zusammenschluss auf Vereinsbasis 70. Zwar ermöglicht die Herausgabe von verbandseigenen Zeitschriften und anderen Kommunikationsmitteln (Internet, e-Mail, Rundschreiben etc.) einen Kontakt zu praktisch sämtlichen Standesangehörigen einer Branche7l , dennoch haben schriftliche Anfragen sowie einzelne Gespräche mit Vertretern der Kammern ergeben, dass sich diese bei gebührenrechtlichen Abrechnungsfragen in kartellrechtlich unbedenklicher Weise auf die Beeinflussung des Einzelfalls beschränken. So übernehmen die Kammern regelmäßig die Aufgabe, bei konkreten AnAusgabe 2001. Dazu ausführlich unter C. 67 Vgl. § 1 HeilBerG Baden Württemberg; vgl. 1. Kapitel A. N. 1. Je nach Bedarf können die Kammern Bezirksstellen und Kreisstellen als Untergliederungen errichten (vgl. § 4 HeilBerG Baden-Württemberg). Organe sind die Kammerversamrnlung, der Kammervorstand und der Präsident (v gl. § 4 HeilBerG Baden-Württemberg). 68 LaujslUhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 7. 69 Tettinger, Kammerrecht, S. 23 m.w.N.; vgl. 1. Kapitel A. N. 1. a). 70 Mit dem offiziellen Namen: "Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Ärztekammern"; LaujslUhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 7. 71 Vgl. LaujslUhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 2. 65
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
fragen oder Streitigkeiten, beispielsweise wegen überhöhter Honorarforderungen des Arztes, zu einzelnen Abrechnungspositionen Stellung zu nehmen. So weit bekannt, kommt es jedoch nicht zu umfangreichen Abrechnungsempfehlungen, die das Liquidationsverhalten aller oder vieler Ärzte koordinieren sollen. Ein solches Verhalten könnte ohnehin nur schwer in Einklang mit der bereits erwähnten staatlichen Kontrollfunktion der Kammern gebracht werden. Im Gegensatz zu den privaten Verbänden muss sich das gesamte Verhalten der Kammern auch jeder Zeit der Überprüfung durch die staatliche Rechtsaufsicht stellen72, was die Kammern faktisch wie rechtlich zur Einhaltung ihrer gesetzlich defmierten Aufgaben und Kompetenz zwingt. 3. Die Rolle der privatrechtIichen Berufs- und Fachverbände
Parallel zum Karnmerwesen hat sich bei den Ärzten ein umfangreiches privatrechtliches Verbands system etabliert, das sich im Wesentlichen wiederum in ärztliche Verbände mit berufspolitischer Interessensvertretung auf der einen Seite und wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaften auf der anderen Seite unterteilen lässt. Die Berufsverbände verfolgen in erster Linie berufspolitische und berufswirtschaftliche Ziele. Dabei gibt es einige facherübergreifende 73 und sehr viele fachspezifische Interessensvertretungen74 • Die Befragung sämtlicher Standesorganisationen hat ergeben, dass insbesondere die Berufsverbände ihren Mitgliedern Materialien zur privat ärztlichen Gebührenliquidation zur Verfügung stellen, die zum großen Teil auch Angaben zur Verwendung von Steigerungsfaktoren bei einzelnen Leistungsziffern beinhalten75 . Die Fachverbände hingegen widmen sich größtenteils der Wissenschaft, Forschung und Lehre, ohne zu gebührenrechtlichen Fragen Stellung zu beziehen76 . Bei diesbezüglichen Anfragen wurde überwiegend auf den jeweiligen Berufsverband verwiesen77 • Die BÄK hält sich bei der Vorgabe konkreter Steigerungsfaktoren mit Ausnahmen zurück78.
72 Vgl. § 27 ArchG BaWü; § 11 IngKammG BaWü; ausführlicher Tettinger, Kammerrecht, S. 236 f.; LaufslUhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rz. 12. 73 Z.B. der Hartmann-Verband der Ärzte Deutschlands. 74 Z.B. Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA), Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V.; Berufsverband Deutscher Neurologen e.V. (BDN) etc. 75 Vgl. C. IV. 4. 76 Kritisch dazu unter C. IV. 4. 77 Z.B. DGZMK und DOG. 78 Eine Ausnahme bildet die Empfehlung für eine moderate Liquidation von privat liquidierenden Ärzten bei ihrer Rechnungsstellung gegenüber privatversicherten Arbeitslo-
B. Schwellenwertempfehlungen
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IV. Die kartellrechtliche Beurteilung von Schwellenwertempfehlungen 1. Die Anwendbarkeit des GWB
a) Vorranggrundsatz
Im gewerblichen Bereich würde an einem Verstoß gegen das kartellrechtliche Empfehlungsverbot kaum Zweifel bestehen, wenn eine Unternehmensvereinigung ihren Mitgliedern nahe legen würde, für Waren oder Leistungen bestimmte Preise zu berechnen79 . Durch das bewirkte oder zumindest bezweckte gleichförmige Verhalten der Marktteilnehmer wäre der freie Wettbewerb zu Lasten der Kunden und Marktaußenseiter empfindlich beeinträchtigt. Die allgemeinen Ausführungen zum Vorrang des Berufsrechts haben jedoch gezeigt, dass sich der Gesetzgeber in den Freien Berufen zu einem umfangreichen Ausschluss des Wettbewerbs entschlossen hat, indem er die Möglichkeit staatlicher bzw. auf staatlicher Ermächtigung gestützter Berufsregeln geschaffen hat 8o • Handelt es sich um in jeder Hinsicht rechtmäßige Berufsregeln und darauf basierende Maßnahmen, so bleibt die Anwendung des GWB und ein Verstoß gegen das Empfehlungsverbot ausgeschlossen. Auf der anderen Seite hat die vorausgegangene Untersuchung aber auch verdeutlicht, dass sich die Freien Berufe keineswegs pauschal auf einen kartellrechtsfreien Raum berufen können. In den Fällen, in denen keine oder keine rechtswirksame staatliche Legitimation zum Ausschluss des Wettbewerbsprinzips zur Verfügung steht bzw. die handelnde Institution ihren Ermächtigungsrahmen verlässt, bleibt eine kartellrechtliche Überprüfung jederzeit und im vollen Umfang möglich81 • Sowohl die Ärztekammern als auch die privaten Berufs- und Fachverbände erfüllen grundSätzlich die Eigenschaft einer Vereinigung von Unternehmen82 . Auch wenn die als öffentlichrechtlich ausgestalteten Ärztekammern ermächtigt wurden, hoheitlich in Form von Verwaltungsakten, Satzungen etc. tätig zu werden, schließt dies grundsätzlich nicht die Anwendbarkeit des GWB aus. Handeln die Kammern, ohne gesetzlich dazu ermächtigt zu sein, bzw. gehen sie über die sen, die in einem Standard-, Basis- oder Elementartarif versichert sind. Hier werden konkrete Steigerungsfaktoren (l,3fach für alle Leistungen der Abschnitte A, E, 0, l,lfach für alle Leistungen des Abschnittes Mund 1,7fach für alle übrigen Leistungen) vorgeschlagen, s. Hess, Deutsches Ärzteblatt 96, A-601. 79 Als Ausnahme käme nur die Mittelstandsempfehlung (§ 22 Abs. 2 GWB) oder die unverbindliche Preisempfehlung für Markenwaren (§ 23 GWB) in Betracht. 80 Vgl. 2. Kapitel: A. II. und ill. 81 Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 69; vgl. 1. Kapitel: A. ill. 2. c). 82 Vgl. 2. Kapitel: A. I. 2.
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
Grenzen ihrer Ermächtigung hinaus, handeln sie privatrechtlich und unterfallen den Bestimmungen des Kartellrechts 83 • Auf die Unterscheidung zwischen privatrechtlichem bzw. hoheitlichem Handeln kann hier jedoch verzichtet werden, da sich die staatlichen Berufsvertretungen nach bisherigem Kenntnisstand nicht an der Verbreitung von allgemeinen Abrechnungsempfehlungen beteiligen, sondern sich bei gebührenrechtlichen Fragen lediglich auf den Einzelfall beschränken84 . Die privaten Berufs- und Fachverbände handeln unabhängig von Inhalt und Form der jeweiligen Maßnahme stets privatrechtlich. Trotz zahlreicher wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen hat dies jedoch nicht automatisch einen Verstoß gegen ein kartellrechtliches Verbot zur Folge. Vielmehr profitieren auch die privaten Standesorganisationen von der Tatsache, dass der Staat in vielen Bereichen der Freien Berufe das Wettbewerbsprinzip ausgeschlossen hat. Zwar können die privaten Unternehmensvereinigungen die Wettbewerbsfreiheit der Freiberufler nicht durch eigens erlassene und für alle Standesangehörige gültige Berufsregeln einschränken, da sie hierzu im Gegensatz zu den Kammern nicht ermächtigt sind85 . Sie verstoßen aber dann nicht gegen kartellrechtliche Verbote, wenn sie ein Verhalten zu unterbinden versuchen, das ohnehin schon vom Staat als unzulässiges Wettbewerbsverhalten verboten wurde. Hierzu zählt insbesondere das gesamte staatliche Berufsrecht und kammerrechtliche Standesrecht, wenn es den Wettbewerb der Berufsangehörigen in zulässiger, d.h. rechts wirksamer Weise beschränkt86 . b) Vorrang der GOÄ
Solange sich die privaten Ärzteverbände bei ihren Wettbewerbsbeschränkungen im Rahmen des staatlichen bzw. staatlich legitimierten Berufsrechts halten, d.h. rechtmäßige staatliche Berufsregeln lediglich wiederholen bzw. zu deren Einhaltung auffordern oder standeswidriges Verhalten unterbinden wollen, liegt hierin keine erneute und selbständige Wettbewerbsbeschränkung, die von den Kartellbehörden untersagt werden könnte 87 • Begrenzt auf die privat ärztliche Gebührenliquidation gilt für den Anwendungsbereich des GWB Folgendes: Der ansonsten umfangreich geschützte
Vgl. 2. Kapitel: A. III. Vgl. ID. 2. 85 Es bleibt ihnen lediglich die Möglichkeit, ihre Mitglieder auf vereinsrechtlicher Basis zu binden. 86 Vgl. 2. Kapitel: A. ID und IV. 87 Vgl. 2. Kapitel: A. ID. und IV. 83
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B. Schwellenwertempfehlungen
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Wettbewerbsfaktor Preis88 wurde im Rahmen der Entlohnung für privatärztliche Leistungen durch die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass einer staatlichen Gebührenordnung umfangreich ausgeschlossen (§ 11 BÄO)89. Ergebnis dieser Ermächtigung ist die von der Bundesregierung mit Zustinunung des Bundesrates erlassene GOÄ. Sinn einer staatlichen Gebührenordnung ist es jedoch nicht, die Ärzte vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen. Primär liegt der Festsetzung von Gebühren das Sozialstaatsprinzip zugrunde, indem sichergestellt werden soll, dass die Bürger auch in wirtschaftlich weniger gewinnbringenden Angelegenheiten qualifizierte freiberufliche Dienstleistungen in Anspruch nehmen können. Durch Staffelungen in den Gebührenordnungen sollen Angelegenheiten mit niedrigem durch solche mit hohem Geschäftswert subventioniert werden9o . Kritiker bemängeln, dass eine solche Quersubventionierung dort scheitert, wo sich der Arzt oder auch Anwalt nur die Rosinen herauspickt, d.h. ausschließlich Patienten behandelt bzw. Mandanten berät, bei denen hohe Einnahmen zu erwarten sind91 • Die Einschränkung des Preiswettbewerbs wird auch damit gerechtfertigt, dass die Dienstleistungen von Ärzten, wie auch von Juristen, Ingenieuren und Architekten von den Dienstleistungsempfangem kaum zu bewerten und mit den materiellen Produkten und gewerblichen Dienstleistungen anderer Berufsangehöriger, die auch der Laie in der Regel preismäßig beurteilen könne, nicht zu vergleichen seien. Vielmehr handele es sich beim ,,Produkt" des Freiberuflers um inunaterielle Wirtschaftsgüter, die erst nach Vertragsschluss zunächst als geistig-ideelle Leistung entstünden und einen Wettbewerb im kommerziellen Sinne ausschließen würden92 . Zwar fehle auch bei anderen Dienstleistungen die Möglichkeit, die Qualität im vornherein zu überprüfen, die ordnungsgemäße Erfüllung der freiberuflichen Dienstleistung unterliege jedoch einem besonderen öffentlichen Interesse, da der Patient, Bauherr oder Mandant besonders vor einer minderwertigen Leistung aufgrund des Preisdruckes geschützt werden müsse. Aus Sicht der Standesvertreter ist es daher unumgänglich, dass der Gesetzgeber den Verbraucherschutz durch bindende Honorarordnungen herstellt, in denen die 88 So ist die Preisbindung grundsätzlich nicht nur im horizontalen, sondern auch im vertikalen Wettbewerbsverhältnis verboten. 89Hess, R., BFuP 1983,231 (237). 90 Vgl. Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 105. 91 Vgl. Deregulierungskommission, S. 106. 92 Dem entgegnet die Deregulierungskommission allerdings, dass auch in anderen nicht regulierten Beratungsberufen die Qualität erst lange nach der Bezahlung oder gar nicht beurteilt werden könnte und ein Vertrauensverhältnis nötig sei; so beispielsweise beim Unternehmensberater, EDV-Berater oder im Reisebüro. Der EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti fordert eine freie Preis gestaltung gerade wegen der schwer messbaren Qualität der freiberuflichen Dienstleistungen, s. 30. TB der Europäischen Kommission (2000), S. 65; vgl. 3. Kapitel: A. 11. u. m.
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
Leistungen abstrakt und unter Berücksichtigung sozialer Aspekte bewertet werden. Ein ruinöser Preiswettbewerb, Dumping und Selbstausbeutung93 könnten nur dann wirksam unterbunden werden, wenn alle Anbieter denselben Preisregelungen unterlägen94 . Durch staatliche Gebührenordnungen und andere Reglementierungen würden die Freiberufler allein in Punkto Qualität und Zuverlässigkeit in einen Leistungswettbewerb zueinander treten. Die GOÄ im Speziellen solle verhindern, dass die Gesundheit des Menschen als eines der wichtigsten Rechtsgüter wie eine Handelsware den marktwirtschaftlichen Prinzipien überlassen werde, und sich der Preis nach Angebot und Nachfrage auf dem Markt bilden müsste95 . Es sei gerade der Vorteil einer staatlichen Gebührenordnung, die ohne ausdrückliche Vereinbarung in den Behandlungsvertrag miteinbezogen würde, dass das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht dadurch belastet werde, dass vor Beginn der Behandlung erst das Honorar ausgehandelt werden müsse, und die Ärzte durch die Höhe des Honorars die Patienten zur Urnsatz- und Gewinnsteigerung in ihre Praxis locken könnten. Auch wenn diese standespolitischen Überlegungen bei einer kartellrechtlichen Beurteilung stets beachtet werden sollten, so genügen diese Hinweise jedoch nicht, um generell und pauschal jeden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Privatautonomie des Freiberuflers und damit indirekt in das Prinzip der Wettbewerbsfreiheit rechtfertigen zu können. Für die privatärztliche Gebührenliquidation bleibt festzuhalten, dass mit Erlass der GOÄ und deren Leistungsverzeichnis bzw. Punktebewertung staatlich festgesetzt wurde, welche Gebühr für eine bestimmte medizinische Leistung verlangt werden darf. Abweichende Vereinbarungen sind nur unter den strengen Voraussetzungen des § 2 GOÄ möglich96 • Geht man von der Rechtmäßigkeit der GOÄ aus, verstößt ein Verband unabhängig von seiner öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen Rechtsform aufgrund des Vorranges des Berufsrechts daher nicht gegen kartellrechtliche Verbote, wenn er wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen mit dem Inhalt erlässt, die gesetzlichen Gebührenbestimmungen der GOÄ einzuhalten oder Honorarliquidationen, die gegen die Regeln der GOÄ verstoßen, zu unterlassen. Dazu folgendes konkretes Beispiel: Weist ein Berufsverband seine Mitglieder darauf hin, dass der Einfachsatz der GOÄ für eine Blutentnahme aus den Venen 40 Punkte bzw. eine Gebühr von 2,33 Euro vorsieht, wiederholt er damit lediglich
93 Stellungnahme des BFB zum Gutachten von Pro f. Dr. Donges und Pro f. Dr. Eekhoff, S.3, im Internet unter: hup://www.freie-berufe.de (19.7.2002). 94 So der BGH zum Verständnis der HO AI, Urteil v. 22.5.1997 - VII ZR 290/95, BGHZ 136, 1 =NJW 1997,2329. 95 Lieber, GOÄlGOZ, S. X. 96 V gl. H. 2.
B. Schwellenwertempfehlungen
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die im Leistungsverzeichnis vorgesehene Bewertung, ohne dass es zu einer weitergehenden Wettbewerbs beschränkung kommt 97 • c) Vorrang des § 5 GOÄ
In den hier zu untersuchenden Fällen geht es im Speziellen um die Verwendung eines bestimmten Steigerungsfaktors. Während das Leistungsverzeichnis der GOÄ das Prinzip des freien Preiswettbewerbs bei der Honorarliquidation für privatärztliche Leistungen durch die Vorgabe von Leistungspositionen und Punkt werten einschränkt, begrenzt und erweitert § 5 GOÄ die Preisautonomie des Arztes gleichermaßen: Zum einen wird eine Abweichung vom Einfachsatz des Leistungsverzeichnisses ermöglicht, zum anderen wird dies nur innerhalb eines bestimmten Gebührenrahrnens erlaubt. Ausgenommen von diesem Grundsatz sind die abweichenden Honorarvereinbarungen nach § 2 GOÄ, die unter engen Voraussetzungen einen Gebührensatz auch oberhalb des Höchstwertes zulassen98 . Nach den bisher erarbeiteten Grundsätzen wäre die Anwendung des Kartellrechts immer dann ausgeschlossen, wenn sich die Maßnahme drauf beschränken würde, bei der privatärztlichen Gebührenliquidation die Verwendung eines von § 5 GOÄ vorgegebenen Gebührenrahmens nahe zu legen. Auch hierzu ein konkretes Beispiel: Würde der Berufsverband Deutscher Akupunkturärzte seinen Mitgliedern empfehlen, die symptombezogenen Untersuchungen nach Ziffer 5 des Leistungsverzeichnisses der GOÄ mit einem Gebührenrahrnen von 4,66 Euro (Einfachsatz) bis 16,31 Euro (3,5fache) abzurechnen, würde er lediglich die von der staatlichen Gebührenordnung vorgesehene Berufsregel wiederholen, ohne den Wettbewerb zusätzlich zu beschränken99 • Die zur Verfügung gestellten Unterlagen der verschiedenen ärztlichen Verbände haben jedoch gezeigt, dass sich die Angaben nicht auf die bloße Möglichkeit der Verwendung eines Steigerungsfaktors innerhalb des Gebührenrahrnens beschränken, sondern dass mehr oder weniger ausdrücklich die Berechnung nach einem bestimmten Steigerungsfaktor und einem konkreten Endbetrag nahe gelegt wird 100. Um von den kartellrechtlichen Verboten ausgenommen zu sein, müsste diese Vorgehensweise ebenfalls vom Vorrang des Berufsrechts gedeckt sein: Eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung könnte regelmäßig dann angenommen werden, wenn der Gesetz- bzw. Verordnungs geber den Preiswettbe97 Solche oder ähnliche Aussagen wären auch bei grundsätzlicher Anwendbarkeit des GWB kartellrechtlich nicht sanktionierbar, da es sich um kartellrechtlich irrelevante Informationen und Tatsachenäußerungen handelt; vgl. 2. Kapitel: B. II. 2 d). 98 Vgl. II. 2. 99 Abgesehen davon dürfte es sich wiederum um kartellrechtlich irrelevante informationen und Tatsachenäußerung handeln, vgl. 2. Kapitel: B. H. 2 d). 100 Ausführlich zum Beeinflussungswillen unter 2. c).
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
werb zwar durch den Gebührenrahmen aber nicht innerhalb des Gebührenrahmens ausschließen wollte. Dem Arzt könnte durch die Wahl des Steigerungsfaktors erlaubt sein, mit dem Patienten das Honorar zwischen dem Einfach- und Höchstsatz frei auszuhandeln. Abrechnungsempfehlungen, die auf einen einheitlichen Steigerungsfaktor gerichtet sind, würden diesen Preiswettbewerb beschränken. Mit dem Prinzip eines freien Preiswettbewerbs innerhalb des Gebührenrahmens ist es jedoch nicht vereinbar, dass der Verordnungsgeber den Steigerungssatz an bestimmte, rein objektive Bedingungen geknüpft hat, namentlich den Zeitaufwand, die Schwierigkeit der Behandlung und die Umstände der Ausführung 10l • Auch die Einführung des Schwellenwertes (§ 5 Abs. 2 Satz 4 GOÄ) beschränkt die freie Honorarermittlung zumindest faktisch erheblich, da eine Erstattung oberhalb der Begründungsschwelle durch die Krankenkassen oft Schwierigkeiten hervorruft 102 . Diese Einschränkungen gelten grundsätzlich auch im Rahmen von abweichenden Honorarvereinbarungen, bei denen keine Gebührenobergrenze vorgegeben wird, jedoch die übrigen Voraussetzungen des § 5 GOÄ (insb. Begründungspflicht) beachtet werden müssen 103 . Von einer Preisautonomie des Arztes kann daher keine Rede sein. Hätte der Verordnungsgeber einen völlig freien Wettbewerb innerhalb der Gebührenspanne gewollt, hätte er lediglich das Vorhandensein und die Grenzen des Gebührenrahmens festgelegt, ohne weitere Einschränkungen zu treffen. Es ist daher davon auszugehen, dass die GOÄ mit den Vorschriften über die Verwendung eines Steigerungsfaktors und dem Ausschöpfen des Gebührenrahmens keinen freien Preiswettbewerb, sondern vielmehr eine differenzierte und einzelfallbezogene Bewertung nach dem Leistungsverzeichnis ermöglichen wollte. Jeder Arzt soll den Aufwand und die Schwierigkeit der von ihm vorgenommenen Behandlung selbst bewerten und anhand der Kriterien des § 5 Abs. 2 GOÄ eine angemessenen Gebühr bestimmen können. Nur so können sämtliche Variationen und Besonderheiten ärztlicher Behandlungen hinreichend berücksichtigt werden, ohne dass es den Umfang eines Leistungsverzeichnisses sprengen würde. Ob aber § 5 Abs. 2 GOÄ den Preiswettbewerb innerhalb des Gebührenrahmens auch in rechtmäßiger Weise ausschließt, erscheint aufgrund folgender Überlegungen zweifelhaft: Selbst wenn die Rechtswidrigkeit dieser Vorschrift so weit ersichtlich - bis heute nicht angezweifelt wurde, so ist es dennoch berechtigt, deren Vereinbarkeit mit der Ermächtigungsgrundlage des parlamentarischen Gesetzgebers in Frage zu stellen. Diese findet sich in § 11 BÄO und besagt, dass die Bundesregierung ermächtigt wird, ,,die Entgelte für ärztliche Vgl. I. Zwar bekommt der privat abrechnende Arzt sein Honorar direkt vom Patienten (vgl. A. I1.), es tangiert aber auch den Arzt, wenn er seinem Patienten in Aussicht stellen muss, dass seine Honorarberechnung nicht von der Krankenkassen angenommen wird. 103 V gl. II. 2. 101
102
B. Schwellenwertempfehlungen
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Tätigkeit in einer Gebührenordnung zu regeln. In dieser Gebührenordnung sind Mindest- und Höchstsätze für die ärztlichen Leistungen festzusetzen. Dabei ist den berechtigten Interessen der Ärzte und den zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten Rechnung zu tragen". Bereits aus dem Wortlaut wird deutlich, dass der Gesetzgeber lediglich einen Gebührenrahmen mit festen Ober- und Untergrenzen vorgesehen hat, ohne den Verordnungsgeber zu ermächtigen, den Steigerungsfaktor an selbst definierte und fest vorgegebene Bedingungen zu knüpfen. Zwar sieht § 11 BÄO eine Berücksichtigung der "berechtigten Interessen der Ärzte und Kostenträger" vor, dies betrifft jedoch ausschließlich die Einhaltung einer angemessenen, d.h. nicht zu hohen bzw. zu niedrigen Gebührenhöchst- bzw. untergrenze. Der Gesetzestext gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Gebührensätze auch innerhalb des Gebührenrahmens an bestimmte Faktoren gebunden werden sollen. Dies verdeutlicht auch die Überlegung, warum das privatärztliche Gebührensystem ein Honorar festzusetzen erlaubt, das bis zu 230% bzw. mit Begründung sogar bis zu 350% über den Sätzen des EBM im gesetzlichen Krankenversicherungssystem liegen kann, der EBM hingegen nur vereinzelt Differenzierungen innerhalb ein und derselben Behandlungsart trifft 104. Es ist kaum vorzustellen, dass der Gesetzgeber dem Kassenpatient regelmäßig nur die einfache Behandlung und dem Privatpatient die bis zu 3,5fache Luxusbehandlung zukommen lassen wollte? De facto ist dies im gewissen Umfang tatsächlich der Fall, da die Ärzte aufgrund des maroden Gesundheitssystems, bei dem sie für die Behandlung von Kassenpatienten kaum mehr als eine Aufwandsentschädigung bekommen, auf die Privatpatienten angewiesen sind und diese entsprechend mit bevorzugter Behandlung "verwöhnen". Ein solches Zweiklassensystem kann jedoch nicht Sinn und Zweck der staatlichen Gebührenordnung gewesen sein. Vielmehr wollte § 11 BÄO im Bereich der privatärztlichen Gebührenliquidation und innerhalb eines festen Gebührenrahmens die freie Preisgestaltung ermöglichen. Dabei soll der Arzt mit seinem Leistungsangebot in gewissem Umfang in eine Konkurrenz zu den anderen privatabrechnenden Ärzten treten können und die Möglichkeit haben, sich auch seinen guten Ruf oder besondere Erfolgsquoten honorieren zu lassen. Eine darüber hinausgehende Beschränkung der Preisautonomie des Arztes ist hingegen nicht gerechtfertigt. Aber auch wenn man der Auffassung folgt, dass der Verordnungsgeber bei Erlass der GOÄ und insbesondere des § 5 Abs. 2 die Entscheidungsfreiheit des Arztes bei der Wahl eines Steigerungsfaktors in zulässiger Weise beschränkt hat, so können sich die Ärzteverbände bei ihren Maßnahmen nicht pauschal auf den Ausschluss des Wettbewerbsprinzips berufen. Vielmehr ermöglicht § 5 GOÄ Wettbewerbsbeschränkungen innerhalb des Gebührenrahmens nur insoweit, als dessen Tatbestandsvoraussetzungen auch hinreichend berücksichtigt werden. Für die Maßnahmen der Ärztevereinigungen bedeutet dies, dass das GWB nur 104
Vgl. I.
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
dann unanwendbar bleibt, wenn sie ihren Mitgliedern Abrechnungsempfehlungen anhand der objektiven Kriterien des § 5 Abs. 2 GOÄ, d.h. differenziert nach Zeitaufwand, Schwierigkeitsgrad und Umständen bei der Ausführung vorgeben. Wird das Abrechnungsverhalten aus anderen Beweggründen beeinflusst, ist der Ausschluss der Preisautonomie des Arztes nicht gerechtfertigt. Die aktuelle Situation in der privatärztlichen Gebührenliquidation stellt sich jedoch ganz anders dar. Die spätere Untersuchung von Einzelfällen 105 wird zeigen, dass die Verbände mit der Vorgabe des Schwellenwertes vielmehr ein einheitliches und pauschales Abrechnungsniveau von 2,3 des Einfachsatzes erreichen wollen, ohne dass eine Begründung oder Differenzierung im Sinne der Anforderungen des § 5 Abs. 2 GOÄ vorgenommen wird. Von einer individuellen und auf die Besonderheiten der einzelnen Leistung bezogenen Gebührenberechnung kann daher keine Rede sein. Es liegt vielmehr der Verdacht nahe, dass durch die Einflussnahme der Verbände der höchst mögliche Steigerungssatz erzielt werden soll, bei dem der Arzt keine Schwierigkeiten bei der Akzeptanz mit den Kostenträgern zu befürchten hat. Diese Vorgehensweise entspricht weder der staatlichen Ermächtigung in § 11 BÄO noch den Voraussetzungen des § 5 GOÄ. Hätte der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber eine gleichförmige Gebührenabrechnung bei der privatärztlichen Behandlung erreichen wollen, hätte sich vielmehr das aus dem vertragsärztlichen Kassenwesen bekannte Festbetragssystem des EBM angeboten. Mit der GOÄ und dem Instrument des Steigerungsfaktors sollte jedoch ganz bewusst die Möglichkeit der individuellen Ausschöpfung des Gebührenrahmens geschaffen werden. Der Verordnungsgeber ist sogar soweit gegangen, dass er dem Arzt unter Beachtung der Voraussetzungen in § 2 GOÄ die Möglichkeit eingeräumt hat, die Gebühr ohne Berücksichtigung des Gebührenrahmens durch eine vorherige abweichende Honorarvereinbarung festzusetzen lO6 • Diese Freiräume in der Gebührenliquidation setzen jedoch eine selbständige und selbstverantwortliche Entscheidung des Arztes für den jeweiligen Einzelfall voraus 107 • Daher erfordert grundsätzlich jede Abweichung vom einfachen Gebührenwert eine bestimmte Legitimation in Form einer individuellen Leistungsbewertung lO8 , da bereits dem Einfachsatz ein bestimmter Schwierigkeitsgrad und Zeitaufwand zugrunde liegt. Bei besonders einfachen Fällen müsste bei pflichtgemäßer Ermessensausübung des Arztes auch eine Abrechnung nach dem Einfachsatz erf01gen lO9 • Die Vorgas. 2. c) ce). Vgl. 11. 2. 107 Schäfer in Lang/Schäfer/StieIlVogt, Der GOÄ-Komrnentar, § 5 Rz. 2 u. 9. 108 Auch wenn die Liquidation bis zum Schwellenwert nicht ausdrücklich begründet werden muss. 109 So auch OLG Koblenz v. 19.5.1988 - 6 U 286/87 - NJW 1988,2309 (2309); BVerwG v. 17.2.1994 - 2 C 10/92 - BVerwGE 95,117 = NJW 1994,3023. 105
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B. Schwellenwertempfehlungen
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ben der Verbände sehen jedoch statt einer Ausschöpfung des kompletten Gebührenrahmens lediglich eine schematische Abrechnung nach den höchsten Sätzen der Regelspanne von 1,8 bzw. 2,3 vor' '0. Entgegen der Auffassung der Vertreter der sog. Mittelwerttheorie ist der umfangreich abgerechnete Schwellenwert aber keine Mittelgebühr, die regelmäßig für den Normalfall angesetzt werden darf"'. So sind auch mehrere Gerichtsentscheidungen zu dem Ergebnis gekommen, dass bei mittlerer Schwierigkeit und durchschnittlichem Zeitaufwand auch nur ein mittlerer Wert der Regelspanne anzusetzen sei (zwischen 1,6 und 1,8)112. Die pauschale Berechnung des Schwellenwertes entspricht auch nach Auffassung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sowie der BÄK nicht den Bestimmungen der GOÄ I13 . Weder § 11 BÄO noch die Vorschriften der GOÄ enthalten eine staatliche Ermächtigung der Ärzteverbände, den nach ihrer Auffassung angemessenen Steigerungsfaktor pauschal für ihre Mitglieder bestimmen zu dürfen. Es spielt daher auch keine Rolle, welche Beweggründe die Verbände veranlassen, einheitliche Steigerungsfaktoren vorzugeben, und ob der zuvor ausgesprochene Verdacht einer möglichst hohen Bewertung tatsächlich zutrifft. Entscheidend ist allein, dass die individuelle Honorarliquidation des Arztes beeinträchtigt wird. Im Fall des § 5 GOÄ dürften die Maßnahmen der Verbände daher aus kartellrechtlicher Sicht nur den Inhalt haben, allgemein zur Einhaltung des Gebührenrahmens und der Kriterien des Zeitaufwandes, Schwierigkeitsgrades etc. aufzufordern, ohne einen konkreten Steigerungsfaktor nahe zu legen, es sei denn, sie würden sich auf die Beurteilung eines Einzelfalles beschränken. d) Ergebnis
Innerhalb des Gebührenrahmens für ärztliche Leistungen gilt das Prinzip des unbeschränkten und freien Wettbewerbs II 4, das durch § 5 Abs. 2 GOÄ sowie OLG Koblenz, S. 2309. SO aber Brück/Krimmel/Kleinken/Warlo, Kommentar zur GOÄ, 3. Aufl. (Stand Febr. 2001), § 5 Rz. 1.2, S. 132 ff.; Hoffmann, Gebührenordnung für Ärzte, § 5 Rz. 5, S. 9 ff.; a.A. Miebach, NJW 2001, 3386 (3387); Lieber, GOÄlGOZ, S. XXXI. 112 BVerwG v. 17.2.1994 - 2 C 10/92 - BVerwGE 95, 117 = NJW 1994, 3023 (3024); AG Braunschweig v. 1.10.1984 - 119 C 2119/84 (9) - NJW 1985, 689 (689); AG Essen v. 19.11.1987 - 20 C 5/87 - NJW 1988, 1525 (1526); AG Hildesheim, MedR 1997,323; VG Frankfurt a.M., MedR 1994, 116; anders nur OLG Koblenz v. 19.5.1988 - 6 U 286/87 - NJW 1988, 2309 (2309). 113 Erfahrungsbericht der BReg v. 23.12.1985, BR-DruckS 625/85, S.18 f. '14 Michalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufs rechtlich gebundenen freien Berufe, S. 418/419; so auch Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-DruckS 10/186, S. 4; TB BKartA, BT-Drucks. 7/986, S. 84 f. 110
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
die Vorgabe pauschaler Abrechnungsempfehlungen in nicht gerechtfertigter Weise beschränkt wird. Geht man davon aus, dass der Verordnungsgeber den Preiswettbewerb der Ärzte innerhalb des Gebührenrahmens durch § 5 Abs. 2 GOÄ zulässig beschränkt hat, sind im Ergebnis dennoch sämtliche über den Einzelfall hinausgehende Beeinflussungen der privatärztlichen Liquidationspraxis nicht vom Gebührenrecht gerechtfertigt, da sie die Preisautonomie der Ärzte unzulässig beeinträchtigen l15 • Der Anwendungsbereich des GWB ist insoweit eröffnet. 2. Empfehlungsvoraussetzungen
a) Einseitigkeit
Die meist von Berufsverbänden zur Verfügung gestellten Materialien zu Abrechnungsfragen werden als Prospekte, kleine Handkommentare, Tabellen, Begleitschreiben oder als Mitteilungen in den zahlreichen Verbandszeitschriften an die Mitglieder herausgegeben. Unabhängig von der Publikationsform oder der Bezeichnung als ,,Abrechnungsempfehlung", ,,Liquidationsleitfaden" (GOZFall), ,,Abdingungsformular" (Abdingungs- und Pauschalhonorar-Fälle) etc., sind sie einseitige Erklärungen i.S.d. Empfehlungsbegriffes, denen jegliches gegenseitige Element i.S.d. einer Vertrags annahme oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweise fehlt I 16. Die Mitglieder sind an solchen Verbandsmaßnahmen in der Regel nicht beteiligt, sodass auch eine Konstruktion über eine vorherige Abstimmung oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweise von vornherein ausscheidet 117. Denkbar sind durchaus auch gegenseitige Vereinbarungen und Absprachen der Mitglieder untereinander ohne die Beteiligung eines Verbandes. So bieten insbesondere die zahlreichen Fachkongresse oft eine geeignete Gelegenheit, Erfahrungen und Vorgehensweisen in Gebührenabrechnungsmodalitäten miteinander abzusprechen. Diese Konstellationen spielen jedoch im Vergleich zur umfangreichen Koordinationspraxis der Standesverbände eine untergeordnete Rolle, da sie eine spürbare Marktbeeinflussung nur dann ermöglichen, wenn lediglich eine Hand voll Ärzte zu bestimmten Behandlungs- und Heilungsmethoden in der Lage ist 1l8 . In den meisten Fällen verlangt das Kriterium der Spürbarkeit 119 jedoch die Verhaltenssteuerung zahlreicher auf einem Gebiet tätiger ÄrzIm Ergebnis auch Miebach, NJW 2001,3386 (3388). Vgl. 2. Kapitel: B. II. 2. a). 117 Vgl. 2. Kapitel: B. III. 2. a). 118 V gl. 1. Kapitel: B. 5. 119 Vgl. 2. Kapitel: B. II. 3. b) sowie 3. Kapitel: B. IV. 2. und 4. Kapitel: B. IV. 5. 115
116
B. Schwellenwertempfehlungen
153
te, wofür sich die Verbands struktur und die einseitige Beeinflussung der Mitglieder am besten eignen. b) Rechtliche Unverbindlichkeit und faktische Bindungswirkung
Für die Abrechnung ärztlicher Leistungen sind allein die Vorschriften der GOÄ verbindlich. Die Bildung von Steigerungsfaktoren liegt einzig und allein in der Verantwortung des einzelnen Arztes und kann von keinem Verband - auch keiner Kammer - rechtlich vorgeschrieben werden. Den Beteiligten ist dieser Umstand auch bekannt, da sie oft sogar ausdrücklich auf die rechtliche Unverbindlichkeit ihrer Vorschläge hinweisen oder dies durch konkludente Bezeichnungen wie ,,Arbeitshilfen 120,,, ,,Leitfäden I21 ,,, "GOÄ-Empfehlungen122", etc. unmissverständlich zum Ausdruck bringen. In den meisten gebührenrechtlichen Fällen ergibt sich eine faktische Bindungskraft bereits aus dem Umstand, dass die Erklärung nicht von einem unbeteiligten Dritten, sondern von einem einflussreichen Verband ausgesprochen wird. In Einzelfällen mag es auch zur Anwendung von Druckrnaßnahmen, Z.B. durch Androhung standesrechtlicher Konsequenzen, kommen. Im Rahmen der hier zu untersuchenden Fälle gibt es dafür keine Anhaltspunkte. Die faktische Bindungswirkung ist jedoch weder eine notwendige Voraussetzung noch ein Hinderungsgrund für das Vorliegen einer Empfehlung i.S.d. § 22 GWB 123 . c) Beeinflussungswille
Den Ärzteverbänden muss es grundsätzlich erlaubt sein, ihre Mitglieder mit Informationen und neuen Erkenntnissen im Bereich der Medizin zu versorgen, um letztlich dem Interesse der Allgemeinheit auf eine best mögliche Gesundheitsversorgung und dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf eine freie Meinungs- und Informationsfreiheit gerecht zu werden. Viele Verbände wurden gerade zum Zweck des Informations- und Meinungsaustausches ins Leben gerufen. Die Maßnahmen sind daher als kartellrechtlich irrelevant einzu-
120 s. Arbeitshilfen der Bundesingenieurkammer, im Internet: www.bundesingenieurkammer.de (30.7.2001). 121 s. GOZ-Fall: II. 1. 122 SO Z.B. GOÄ-Empfehlungen der Internationalen Medizinischen Gesellschaft für Elektroakupunktur e. V. 123 Vgl. 2. Kapitel: B. II. 2. c).
154
4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
stufen, wenn sie schlichte Meinungs- oder Tatsachenäußerung darstellen und nicht geeignet sind, den Willen der Erklärungsadressaten zu beeinflussen l24 . Für Maßnahmen im Bereich der privatärztlichen Gebührenabrechnung ist der Beeinflussungswille und mit ihm die Empfehlungseigenschaft zu verneinen, wenn die Äußerungen lediglich auf die Wiederholung oder Erläuterung gebührenrechtlicher Bestimmungen gerichtet sind. Hierzu zählt beispielsweise die Erklärung, ob für eine bestimmte Gebührenposition der sog. kleine (1-2,5fach) oder große Gebührenrahmen (l-3,5fach) anwendbar ist. aa) GOZ-Fall Ob im GOZ-Fall allein das Aufführen mehrerer Steigerungsfaktoren in Form von ,,Mindestsätzen", ,,Mittelsätzen" und ,,Höchstsätzen" im sog. ,,Leitfaden zur Erstellung von Liquidationen" eine Beeinflussung i.S.d. Empfehlungsbegriffes erfüllt, kann letztlich dahingestellt bleiben, da sich die Beeinflussungsabsicht bereits aus dem beigefügten Begleitschreiben ergibt, in dem den Empfängern nahegelegt wird, bei mittleren Einkommensverhältnissen des Patienten und mittlerem Schwierigkeitsgrad den ,,Mittelsatz" zu berechnen und in anderen Fällen den ,,Mindestsatz" nicht zu unterschreiten. Diese Vorgehensweise geht weit über das bloße Informieren verschiedener Abrechnungsmöglichkeiten hinaus, und versucht ein einheitliches Liquidationsverhalten der Erklärungsempfänger zu erreichen. So soll durch die Vorgabe des ,,Mindestsatzes" eine Unterschreitung des 2,2fachen Gebührensatzes generell verhindert werden, obwohl das ärztliche Gebührensystem grundsätzlich die Ausschöpfung des vollen Gebührenrahmens, damit auch des Einfachsatzes vorsieht. bb) Abdingungs- und Pauschalhonorar-Fälle In den vom BKartA beanstandeten Fällen der Verbreitung von Abdingungsund Pauschalhonorarformularen fehlten solche mit dem GOZ-Fall vergleichbare Begleitschreiben, die explizit zur Einhaltung bestimmter Steigerungssätze aufriefen. Vielmehr waren die Steigerungs- und Pauschalsätze l25 bereits als Fest- oder Höchsthonorare in den Blankoformularen eingedruckt. Aber auch unter diesen Umständen kann eine Beeinflussungsabsicht angenommen werden, da es nach dem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz zu Willenerklärungen nicht auf eine ausdrückliche Erklärung ankommt, sondern auch konkludente Umstände genügen können. Stellt man sich die Situation vor, dass ein angeschriebener Arzt dem Achenbach in FK-GWB, § 81 GWB 1999, Tz. 140. Die Vereinbarung eines Pauschalhonorars ist seit der GOÄ von 1996 nicht mehr möglich, vgl. II. 2. 124 125
B. Schwellenwertempfehlungen
155
Sinn und Zweck der Formulare entsprechend diese verwenden will, so müsste er dennoch eine komplett neue und eigene Abrechnung erstellen oder das vorhandene Formular nachträglich verändern, wenn er bei der Honorarberechnung einen anderen als den bereits eingedruckten Steigerungsfaktors verwenden wollte. Sichtbare Veränderungen wird er schon deswegen vermeiden, um beim Patienten keine Irritationen über das Zustandekommen der Honorarsumme zu erwecken. Dem Verwender solcher Abrechnungsformulare wird damit unmissverständlich klar, dass der Autor eine Gebührenliquidation auf der Grundlage der bereits eingeruckten Steigerungssätze bezweckt. Ein ausdrücklich beeinflussender Hinweis wie im GOZ-Fall bleibt überflüssig. Das gilt bei abweichenden Honorarvereinbarungen (§ 2 GOÄ) genauso wie im Rahmen der Gebührenspanne des § 5 GOÄ. cc) Aktuelle Fälle von Abrechnungsempfehlungen mit bestimmten Steigerungsfaktoren Die zur Verfügung gestellten Materialen enthalten verschiedene Arten und Varianten der Angaben von Steigerungsfaktoren i.S.d. § 5 GOÄ, die eine gesonderte Beurteilung des Beeinflussungswillens erfordern. (1) Abrechnungsvorschläge mit einem einzigen Steigerungsfaktor Beispiel 1 126 GOÄZiffer
Leistung
Punktzahl
Gebühr
1
Beratung - auch mittels Fernsprecher
80
10,72
2
Ausstellung von Wiederholungsrezepten ...
30
11,09
Dieses Beispiel entspricht auf den ersten Blick einem Auszug aus dem Leistungsverzeichnis der GOÄ, das ebenfalls die Gebührenziffer mit einer kurzen Beschreibung der jeweiligen Leistung, die Punktzahl sowie den aus dem Punkt126 Vgl. Abrechnungskomrnentar Neurologisch-psychiatrische GOÄ IGEL-Leistungen, Neurotransmitter = Offizielles Organ des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte e.V. (BVDN) und des Berufsverbandes Deutscher Neurologen e.V. (BDN), S. 17; vgl. auch Abrechnungsempfehlung des Berufsverbandes Deutscher Akupunkturärzte (ebenfalls mit dem Faktor 2,3); vgl. auch Empfehlung des Berufsverbandes der Coloproktologen Deutschlands e.V., der vereinzelt sogar den Faktor 3,5 empfiehlt (z.B. für die StaplerHämorrhoidektomie nach GOÄ-Ziffer 3241 analog und OP der Hämorrhoiden nach GOÄ-Ziffer 3240 analog).
156
4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
wert (5,82873 Cent) berechneten Einfachsatz in Euro enthält. Erst der genaue Vergleich verdeutlicht, dass in der Abrechnungsempfehlung bei GOÄ-Ziffer ,,1" der 2,3fache Gebührensatz (Einfachsatz nach GOÄ: 4,66 Euro) und bei GOÄZiffer ,,2" der 1,8fache Gebührensatz (Einfachsatz nach GOÄ: 1,75 Euro) verwendet wurde. In beiden Fällen handelt es sich um den in der Praxis regelmäßig angesetzten Schwellenwert des kleinen bzw. großen Gebührenrahrnens. Verwendet der behandelnde Arzt bei seiner privatärztlichen Gebührenliquidation das vom Verband zur Verfügung gestellte Material, so wird er regelmäßig den für die entsprechende Leistung angegebenen Gebührenwert in der Liste ablesen und dem Patienten in Rechnung stellen. Wollte er die Gebühr gern. den Voraussetzungen des § 5 GOÄ auf der Grundlage eines individuellen Steigerungssatzes ermitteln, müsste er zunächst den Einfachsatz errechnen, um durch Multiplikation mit einem eigens gewählten Steigerungsfaktor die Gebühr letztlich bestimmen zu können. Die Situation gleicht den Fällen der einheitlichen Abdingungsforrnulare mit eingedruckten Steigerungs- und Pauschalsätzen. Ein zusätzlich beeinflussender Hinweis ist nicht mehr nötig, um den Adressaten zum erwünschten Abrechnungsverhalten zu veranlassen. Grundsätzlich spielt es auch keine Rolle, ob der verwendete Steigerungsfaktor explizit hinter jeder Leistung erwähnt wird, oder sich womöglich erst aus anderen Zusammenhängen ergibt 127 • Im letzt genannten Fall ist es allerdings möglich, dass der Erklärungsempfänger gar nicht bemerkt oder bemerken soll, dass er zur Verwendung eines bestimmten Steigerungsfaktors veranlasst wird. Die vereinzelt vertretene Auffassung, die Empfehlungseigenschaft könne nach dem objektiven Empfängerhorizont bestimmt werden 128 , hätte mit dieser Konstellation Schwierigkeiten, da der Wille zur Beeinflussung nicht nach außen in Erscheinung tritt, sondern durch eine Täuschung zu Stande kommt. Aus subjektiver Sicht betrachtet sind hingegen sämtliche Gebührenempfehlungen dieser Art eine beeinflussende Erklärungen i.S.d. Empfehlungsbegriffes.
127 So im obigen Beispiel des Kommentars des BVDN, wo nur in der Einleitung (S. 11 f.) vermerkt ist, dass der DM-Betrag neben der Punktebewertung immer demjenigen Höchstsatz (1,011 ,8/2,3-fach) entspricht, der ohne Begründung möglich ist. 128 Vgl. 2. Kapitel: B. II. 2 d).
B. Schwellenwertempfehlungen
157
(2) Abrechnungsvorschläge mit mehreren Steigerungsfaktoren Beispiel 21 29
GOÄZiffer
FI
FI,7
F2,3
F3,5
52,46 Euro
89,18 Euro
120,66 Euro
183,61 Euro
Leistung
analog 30 Erstanamnese...
Beispiel 3
GOÄ-Ziffer
Leistung
Punktzahl
analog 1226
Sehschärfenprüfung mittels Preferential Looking...
182
Gebühr in Euro I-fach: 10,61 2,3-fach: 24,40
Bei der Auflistung mehrerer Abrechnungsmöglichkeiten mit verschiedenen Steigerungsfaktoren 130 könnten Zweifel an einem Beeinflussungswillen bestehen, da den Erklärungsadressaten die Entscheidung für einen Steigerungsfaktor grundsätzlich frei gelassen wird. Im Empfehlungsrecht gilt jedoch der allgemeine Grundsatz, dass eine unzulässige Empfehlung nicht schon dadurch ausgeschlossen wird, dass dem Empfehlungsempfanger mehrere Möglichkeiten zur Wahl angeboten werden, die zwar kartellrechtlich zulässig, wirtschaftlich jedoch so fernliegend sind, dass sie von den Adressaten außer Betracht gelassen werden l3l • In ,,Beispiel 3" wird zwar auf den ersten Blick eine Alternative angeboten, diese besitzt jedoch in der Liquidationspraxis der Ärzte keine Bedeutung. 129 Vgl. Abrechnungsempfehlung des Berufsverbandes Deutscher Akupunkturärzte (der allerdings noch eine andere Version herausgibt, s.u.); so auch Gebührenvorschlag der Deutschen Gesellschaft für Osteopathische Medizin e.V. (DGOM) mit den Faktoren 1/2,3/3,5. 130 Vgl. Freigang Schneider, Augenärztlicher Gebührenordnungskommentar, S. 11, der Empfehlungen vom Arbeitskreis des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) sowie von Vertretern der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) enthält (AA 0001); so auch "Gemeinsame Abrechnungsempfehlung" des Berufsverbandes der Ärzte für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Deutschlands e.V. (BVKJD) und des Berufsverbandes der Allgemeinärzte Deutschlands - Hausärzteverband (BDA); ebenso Empfehlung der Internationalen Gesellschaft für Biologische Medizin e.V.; selbst die DTV-Ausgabe der GOÄlGOZ enthält neben der offiziellen Gebührenwerten die Angabe des jeweils möglichen Schwellenwertes, mit der Begründung, den Gebrauch für die Benutzer zu erleichtern, s. S. 9 (5. Auflage). 131 Vgl. 2. Kapitel: II. 3. a).
158
4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
Wird neben dem Schwellenwert auch der Einfachsatz angegebenen, so ist Letzterer lediglich eine Bezugsgröße, ohne dass Verwender oder Adressat von einer tatsächlichen Abrechnung ohne Steigerungsfaktor ausgehen. Aber selbst wenn der Verband mehrere reale Abrechnungsmöglichkeiten vorgibt, wird der individuelle Entscheidungsspielraum des Adressaten über das gebührenrechtlich zulässige Maß hinaus beeinflusst, da die GOÄ je nach Gebührenrahmen grundSätzlich 36 bzw. 26 Varianten der individuellen Steigerungsmöglichkeiten vorsieht 132 • Beispiel 4 133 Leistung
Gebühr in DM • I-fach: DM 66,55
Ganzheitliche medizinische Systemdiagnostik mittels Elektroakupunktur nach Voll (EAV), EEG-Untersuchung und Standardprovokation
• bis Faktor 2,3: DM 153,06 (ohne Begründung) • bis Faktor 3,5: DM 232,93 (mit Begründung)
Selbst der Hinweis auf "Von-bis-Werte" (s. Beispiel 4) wirkt beeinflussend i.S.d. Empfehlungsbegriffes. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie fast immer der Fall - der errechnete Schwellenwert in DM bzw. Euro mitangegeben wird. Sobald ein konkreter Gebührenbetrag erscheint, wird regelmäßig konkludent die Übernahme dieses Wertes nahegelegt, da dem Adressaten eine individuelle Berechnung vorweggenommen wird. Würden die Empfehlenden von einer individuellen Berechnung des Arztes ausgehen, bestünde überhaupt keine Veranlassung, Schwellenwerte mitanzugeben. In vielen Fällen, in denen sich der Beeinflussungswille schon konkludent aus den tabellenartig verfassten Abrechnungsvorschlägen ergibt, verstärken zusätzliche Erläuterungen die Empfehlungswirkung. So enthalten einige Abrechnungsvorschläge den einleitenden Hinweis, dass bei abweichenden Steigerungssätzen Schwierigkeiten bei der Abrechnung mit den Krankenkassen zu erwarten seien, bzw. bei Befolgung der Empfehlung Streitigkeiten wegen der Übernahme der Kosten vermieden werden könnten. Da es sich bei der Gebührenliquidation sowohl für den Arzt als auch den Patienten um einen äußerst sensiblen Bereich
Vgl. I. Vgl. Empfehlungen der Internationalen Medizinischen Gesellschaft für Elektroakupunktur nach Voll e.V., S. 11, die noch auf einem älteren Gebührenverzeichnis beruhen. 132 133
B. Schwellenwertempfehlungen
159
handelt, reicht hier schon jeder Hinweis, der die Kostenerstattung bloß in Frage stellt, um den Adressaten in der gewünschten Weise zu beeinflussen l34 • Die Verbände können sich auch nicht hinter dem Hinweis verstecken, dass die Veröffentlichungen von Empfehlungen rein wissenschaftlichen Zwecken dienen würden. Dies schließt eine Empfehlungswirkung nicht aus, da es genügt, wenn die Absicht zur Willensbeeinflussung eines von mehreren Motiven ist 135 • (3) Abrechnungsvorschläge ohne Steigerungsfaktor
In einigen wenigen Fällen beschränken sich die Abrechnungsvorschläge auf die bloße Angabe von Abrechnungsziffern bzw. Analogziffem l36 oder die Wiedergabe des Einfachsatz der GOÄ, ohne dass konkrete Steigerungsfaktoren und Steigerungssätze genannt werden 137 . Zwar könnte letztlich auch hierin eine Beeinflussung gesehen werden, wenn die Erklärung darauf gerichtet wäre, ein gleichförmiges Abrechnungsverhalten nach dem Einfachsatz zu erreichen, die Verbände dürften jedoch in der Regel nur an erhöhten Gebührenabrechnungen interessiert sein, sodass die Angabe des Einfachsatzes lediglich eine kartellrechtlich irrelevante Wiedergabe aus dem Leistungsverzeichnis der GOÄ darstellt I 38. Zu erwähnen bleibt, dass die Auswertung der ca. 300 befragten Verbände ergeben hat, dass offenbar in einigen Bereichen mehrere Versionen von Abrechnungsempfehlungen im Umlauf sind, die in verschiedener Form und Intensität auf das Liquidationsverhalten der Ärzte Einfluss nehmen 139 . 134 Vgl. LG DüsseldorfUrteil v. 12.9.1997,380 (Kart.) 120197, Pharma Recht 1998, 23 (27); bestätigt durch Urteil v. 25.9.1998,380 (Kart.) 14/98, Pharma Recht 1998, 391. 135 LG DüsseldorfUrteil v. 12.9.1997, S. 27. 136 Ausführlich unter C. 137 So beispielsweise: Analogempfehlungen des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten; Berufsverband der Deutschen Dermatologen e.V.; Empfehlungen des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte; Kommentar Handchirurgischer GOÄ-Ziffern der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie; sämtliche Empfehlungsarten der BÄK (vgl. C. IV. 3.), worauf auch andere Verbände verweisen, so z.B. ein Schreiben des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte und der Berufsverband Deutscher Internisten e.V. (BOI); auch die Bundeszahnärztekammer ist mittlerweile vorsichtig geworden (s.o. Fall Landesverband Nordrhein des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte, 11. 1.) und weist bei ihren Empfehlungen auf die Berücksichtigung eines individuellen Steigerungsfaktors hin. 138 V gl. 2. Kapitel: B. 11. 2. d). 139 So gibt es z.B. zwei verschiedene Fassungen der Abrechnungshilfen des Berufsverbandes Deutscher Akupunkturärzte: Eine weniger beeinflussende Version mit sämtlichen Varianten (einfach, 1,7fach, 2,3fach, 3,5fach), aber auch eine Version, die konstant nur den Faktor 2,3 zugrunde legt. Im letzt genannten Beispiel wird sogar ein Musterbehand-
160
4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
d) Ergebnis bezüglich der Empjehlungsvoraussetzungen Die Abrechnungsvorschläge der privaten Berufsvereinigungen erfüllen die Voraussetzungen des Empfehlungsbegriffes in Gestalt der Einseitigkeit und rechtlichen Unverbindlichkeit. Bei den zuvor aufgeführten konkreten Beispielen sowie vergleichbaren Maßnahmen kann auch der empfehlungsnotwendige Beeinflussungswille bejaht werden. 3. Umgehung des Kartellverbotes durch gleiclüörmiges Verhalten, § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 GWB
Richten sich die Empfehlungsadressaten nach den vorgeschlagenen Steigerungssätzen, kommt es bei der privatärztlichen Gebührenliquidation zu einem gleichförmigen Verhalten i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 GWB. Dadurch wird eine Lage herbeigeführt, die bei vertraglicher Abstimmung nach § 1 GWB grundsätzlich verboten wäre l40 . Gesetzliche Befreiungen vom Kartellverbot (insb. §§ 2-8 GWB) liegen nicht vor und kommen bereits mangels Anmeldeerfordernis nicht in Betracht. Allerdings bestünde im Bereich der medizinischen Versorgung grundsätzlich die Möglichkeit einer Tatbestandsreduktion des § 1 GWB durch die Berücksichtigung des höherwertigen Interesses der Gesundheit l41 , Dadurch könnte ein Verstoß gegen § 1 GWB und aufgrund der Akzessorietät des Empfehlungsverbotes auch gegen § 22 GWB ausgeschlossen werden. Unabhängig davon, ob man die Möglichkeit einer Tatbestandsreduktion überhaupt generell zulässt l42 , spielt bei den Abrechnungsempfehlungen der Berufsverbände die Gesundheit und das Wohlbefinden des Patienten keine Rolle, da sich die Maßnahmen nicht auf die konkrete Behandlung, sondern nur auf die Vergütung auswirken. Es liegt vielmehr der Verdacht nahe, dass die Empfehlungen sogar zum Nachteil der Patienten bzw. Kostenträger die allgemeine Erhöhung des privatärztlichen Vergütungsniveaus zum Ziel haben l43 . Eine Umgehung des Kartellverbotes liegt daher vor.
lungsvertrag beigelegt, der bereits die Abrechnung nach den Analogvorschlägen der Berufsverbandes Deutscher Akupunkturärzte ohne Abänderungsmöglichkeit voraussetzt. 140 Vgl. 2. Kapitel: B. II. 3. b). 141 Vgl. 2. Kapitel: A. m. 3. 142 Generell ablehnend auch Zimmer in Immenga/Mestmäcker, § 1 Rz. 310; Mäschel, § 5 Rz. 212; Taupitz, ZHR 153 (1989),681 (685). 143 Auch wenn die Krankenkasse den Schwellenwert regelmäßig ersetzt, führt ein längerfristiges konstant hohes Abrechnungsniveau auch zur Erhöhung der Krankenkassenbeiträge und letztlich zur Belastung aller Privatversicherten.
B. Schwellenwertempfehlungen
161
4. Bewirken bzw. Bezwecken der Umgehung des Kartellverbotes
In der Variante des Bewirkens einer Umgehung muss zwischen dem Aussprechen der Empfehlung und dem gleichförmigen Verhalten sowie zwischen Letzterem und der Wettbewerbsbeschränkung ein Kausalzusammenhang bestehen l44 . Es genügt allerdings der Umstand, dass der nur tatgeneigte, aber nicht bereits entschlossene Adressat (omnimodo facturus) zum angestrebten Verhalten veranlasst wird, und die Einflussnahme als wesentlicher, d.h. zumindest mitursächlicher Faktor neben andere tritt l45 . Eine Kausalbeziehung scheint angesichts des einheitlichen sowie an den Schwellenwerten der GOÄ orientierten Liquidationsverhaltens der Ärzte auf der einen Seite und den Abrechnungsempfehlungen der Verbände mit Steigerungsfaktoren in Höhe der Schwellenwerte auf der anderen Seite, auf der Hand zu liegen. Zweifel bereitet jedoch die zuvor erwähnte Tatsache, dass sich schon kurz nach Inkrafttreten der GOÄ-Novelle von 1982 ein überwiegendes Abrechnungsverhalten anhand der Schwellenwerte gebildet hatte 146. Das einheitliche Liquidationsverhalten könnte sich daher allein auf die Einführung des Schwellenwertes zurückfuhren lassen, wenn man davon ausgeht, dass die Ärzte von sich aus den zusätzlichen Aufwand der ausdrücklichen Begründung bzw. die zu erwartenden Streitigkeiten mit den Kostenträgern vermeiden wollen. So müssen sich die Ärzte aufgrund der Kostenexplosion im Gesundheitswesen immer häufiger mit einer zunehmenden Rigidität der Krankenkassen bei der Übernahme von Behandlungskosten auseinandersetzen. Gebührenabrechnungen oberhalb des Schwellenwertes werden nur noch selten akzeptiert. Auch wenn der privat liquidierende Arzt sein Honorar grundsätzlich vom Patienten bekommt, so ist es für ihn immer unangenehm, keine Garantie für die Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenversicherung gewähren zu können. Der Arzt wird in der Regel versuchen, eine langwierige Auseinandersetzung mit der jeweiligen Krankenkasse zu vermeiden, da eine solche Diskussion auch das Verhältnis des Arztes zu seinen Patienten belasten kann. Es liegt daher nahe, das einheitliche, am Schwellenwert orientierte Liquidationsverhalten der Ärzte damit zu erklären, dass sich diese durch die Begründungsschwelle gezwungen fühlen, den Verzicht auf höhere Gebühren dadurch zu kompensieren, dass sie quasi im Ausgleich auch bei einfachen Behandlungen keine geringeren Gebühren, sondern stets den Schwellenwert berechnen l47 . Vor Einführung der Begründungspflicht pendelte sich zwar ebenfalls ein Mittelwert bei der Gebührenliquidation ein, dies war Vgl. 2. Kapitel: B. 11. 3. d). s. Fn. 143. 146 Vgl. B. 1. 147 So die Auffassung der BÄK und des Verbands der privatärztlichen Verrechnungsstellen in: Erfahrungsbericht der BReg v. 23.121985, BR-DruckS 625/85, S.19. 144 145
162
4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
jedoch ein echter Durchschnittswert, der sich sowohl aus Abrechnungen im oberen als auch unteren Bereich des Gebührenrahmens zusammensetzte 148 . Es lässt sich nur vermuten, warum sich die Kostenträger mit dem aktuellen Liquidationsverhalten abgefunden haben, da auch ihnen bekannt sein dürfte, dass die GOÄ Abrechnung unterhalb des Schwellenwertes ermöglicht und vorsieht. Es scheint eine Art "stillschweigende Abmachung" zwischen Ärzten und Kostenträgern zu bestehen, dass man den höheren Schwellenwert akzeptiert, um im Gegenzug weitgehend von Liquidationen oberhalb des Schwellenwertes und Überprüfungen von Begründungsanträgen verschont zu bleiben l49 . Für das Tatbestandsmerkrnal des Bewirkens einer Umgehung bedeuten diese Überlegungen, dass als Ursache des gleichförmigen Abrechnungsverhaltens nicht die von den Ärzteverbänden herausgegebenen Abrechnungsempfehlungen in Betracht kommen, sondern die Gesetzestechnik des GOÄ-Verordnungsgebers, der durch Einführung der Schwellenwerte und der damit verbundenen Begründungspflicht eine solche Gebührenpraxis hervorgerufen hat. Die Verbände könnten sich daher darauf berufen, dass ihre Empfehlungen nur ein Verhalten nahe legen würden, das ohnehin der alltäglichen und langjährigen Abrechnungspraxis entspräche, ohne dass sie die Verwendung bestimmter Steigerungsfaktoren ursächlich beeinflussen würden. Ob die Verbandsempfehlungen tatsächlich nur den ohnehin bereits gefassten Tatentschluss der Ärzte lediglich bestärken l50 oder vielleicht doch in gewissem Masse mitursächlich für die Abrechnung nach den Schwellenwerten sind, dürfte in der Praxis nur sehr schwer nachzuweisen sein, sodass im Zweifel die Verantwortung nicht bei den Empfehlenden anzunehmen wäre. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dem Arzt nachzuweisen, dass er eigentlich die Möglichkeit gehabt hätte, einen niedrigeren Steigerungssatz als den Schwellenwert anzusetzen l51 . Noch vor der Sechsten GWB-Novelle würde ein Verstoß gegen § 22 GWB durch verbandsrechtliche Empfehlungen daher nicht etwa am Vorrang staatlicher Berufsregeln oder den Empfehlungseigenschaften scheitern, sondern lediglich am fehlenden Ursachenzusammenhang zwischen Empfehlung und gleichförmigen Verhalten. Seitdem durch die Sechste GWB-Novelle die Tatbestandsvariante des Bezweckens einer Umgehung in § 22 Abs. I Satz I GWB mit aufgenomBrückiKrimmeIIKleinken/Warlo, Kommentar zur GOÄ, § 5 Rz. 1 (S. 136). Vgl. BrückiKrimmeIIKleinken/Warlo, Kommentar zur GOÄ, § 5 Rz. 1 (S. 132). Die kartellrechtliche Beurteilung einer solchen möglichen "Abmachung" dürfte zwar zu sehr interessanten Aspekten und Problemen führen, würde jedoch den Umfang dieser Arbeit sprengen. 150 s.o. 151 Die Beweislast trägt bis einschließlich des Schwellenwertes der Patient, vgl. BrückiKrimmellKleinkenIWarlo, Kommentar zur GOÄ, § 5, Rz. 1 (S. 132 f.); a.A. Miebach, NJW 2001,3386 (3387). 148
149
B. Schwellenwertempfehlungen
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men wurde, reicht es nunmehr aus, wenn der Empfehlungserklärende lediglich den Willen zu einem gleichförmigen Verhalten der Empfehlungsadressaten hat, ohne dass es tatsächlich zu einem Umgehungserfolg gekommen sein muss 152 . Im Gegensatz zur Tatbestandsvariante des Bewirkens ist keine Kausalitätsprüfung erforderlich, womit § 22 GWB zu einem Delikt mit überschießender Innentendenz geworden ist 153. Vor dem Hintergrund dieser neune Rechtslage dürfte es den Verbänden sehr schwer fallen, eine plausible Begründung dafür abzuliefern, warum sie überhaupt Aussagen zum Steigerungsfaktor machen, wenn die Ärzte nach ihrer Auffassung ohnehin nach dem Schwellenwert abrechnen. Es genügt im Übrigen, wenn es den Verbänden lediglich darum geht, dass die bisherige Liquidationspraxis mit einheitlichen Schwellenwerten beibehalten und nicht durch Ausreißer durchbrochen wird. Über die dahinterstehenden Interessen und Gründe kann nur spekuliert werden. 5.Spürbarkeit
Aufgrund der Akzessorietät zwischen Primärverbot und Umgehungstatbestand ist es erforderlich, dass die Umgehung die Marktverhältnisse tatsächlich, d.h. spürbar beeinflusst. In der Tatbestandsvariante des Bezweckens genügt die Geeignetheit zur Marktbeeinflussung l54 . An diesem Erfordernis könnten zunächst Zweifel bestehen, wenn man bedenkt, dass die privatärztliche GOÄ lediglich bei 10% der medizinischen Behandlungsfälle anwendbar ise 55 und dieser Wert im Grenzbereich der von Literatur und Rechtsprechung bisher herangezogenen Kriterien für die Spürbarkeit liegt l56 • Die Beurteilung der Spürbarkeit einer Marktbeeinflussung setzt zu Beginn die konkrete Bestimmung des Marktes in räumlicher, sachlicher l57 und ggf. zeitlicher Hinsicht voraus. Räumlich erstreckt sich der relevante Markt für Schwellenwertempfehlungen auf das gesamte Bundesgebiet. Sachlich ist jedoch nicht der Anteil am Markt sämtlicher Abnehmer von medizinischen Behandlungen relevant, sondern nur der Anwendungsbereich der GOÄ. Denn nur hier besteht die Möglichkeit, das Abrechnungsverhalten der Ärzte durch Empfehlungen von Steigerungsfaktoren zu beeinflussen. Das wesentlich umfangreichere EBM-System kennt lediglich Festbeträge ohne Gebührenrahmen. Der "GOÄ-Markt" muss wiederum begrenzt Vgl. 2. Kapitel: B. 11. 3. d). s. Fn. 151. 154 Vgl. 2. Kapitel: B. 11. 3. b) sowie 3. Kapitel: B. N. 2. ISS Vgl. LG Düsseldorf v. 22.12.1999 - 120548/99 - Pharrna Recht 2000, 41 (47). 156 Vgl. Zimmer in ImmengaIMestmäcker, § 1 Rz. 259; Immenga in ImmengaIMestmäcker, 2. Aufl., § 1 Rz. 339, der erst ab 15 % eine Marktbeeinflussung zweifelsfrei annimmt. 157 Nach dem sog. Bedarfsmarktkonzept. 152 153
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
werden auf die jeweiligen Fachbereiche, auf die der konkret vorgeschlagene Steigerungsfaktor Bezug nimmt bzw. Einfluss ausüben kann. So kann die Empfehlung eines Steigerungsfaktors im Rahmen der GOÄ-Ziffer I (Allgemeine Beratungen und Untersuchungen) in praktisch jedem ärztlichen Fachbereich relevant werden, Abrechnungsempfehlungen zur Leistungsziffer 33 (DiabetikerEinzelschulung) hingegen nicht. An der Spürbarkeit bzw. bloßen Eignung zur Spürbarkeit dürften daher in den seltensten Fällen Zweifel bestehen. Die privaten Berufs- und Fachverbände der Ärzte erreichen zwar nicht wie die pflichtrnitgliedsschaftlich organisierten Kammern eine nahezu lOO%ige Regelungswirkung, dennoch ist in ihnen ein Großteil der am relevanten Markt tätigen Spezialisten vereint, die durch verbandsinterne Maßnahmen angesprochen werden können. Gerade auf dem Gebiet der Medizin spielt der Erfahrungs- und Wissensaustausch in Berufs- und Fachverbänden eine wichtige Rolle, den die für sämtliche Mediziner zuständige Kammer nicht für jedes Spezialgebiet übernehmen kann. Bei den hier zu untersuchenden Empfehlungen von Berufsverbänden kann daher regelmäßig von einer spürbaren Marktbeeinflussung ausgegangen werden. 6. Vorsatz
Der Vorsatz der empfehlenden Berufsverbände müsste auf das Aussprechen einer Empfehlung gerichtet sein, wobei sich der Wille zur Beeinflussung bereits aus dem subjektiven Element des Empfehlungsbegriffes ergibt und im Falle der Empfehlungen bezüglich konkreter Steigerungsfaktoren bereits festgestellt wurde l58 . Dass es sich bei den Erklärungen um einseitige sowie rechtlich unverbindliche Maßnahmen handelt, dürfte den Verbänden bzw. den für sie handelenden Organen ebenso bewusst sein wie die Tatsache, dass das gleichförmige Verhalten den Wettbewerb bei der privatärztlichen Gebührenliquidation spürbar beeinträchtigt bzw. beeinträchtigen kann. In der Tatbestandsvariante des Bewirkens einer Umgehung kommt als weiteres Element des subjektiven Tatbestandes der Vorsatz bezüglich der Empfehlungswirkung hinzu, nämlich das Wissen und Wollen, dass die Empfehlung bei den Ärzten zu einer Umgehung des Kartellverbotes des § 1 GWB durch gleichförmiges Verhalten führt, sowie der Vorsatz bezüglich des Kausalverlaufs zwischen Empfehlung und gleichförmigem Verhalten und dem Eintritt des Umgehungserfolges. Hier stellen sich dieselben Beweisprobleme, die bereits im Rahmen des objektiven Tatbestandes angesprochen wurden 159 •
158 159
Vgl. 2. c). Vgl. 4.
C. Analogempfehlungen
165
Nachdem der BGH im Mustermietvertragsfall neue Anforderungen an den subjektiven Empfehlungstatbestand gestellt hat, muss es den Ärzteverbänden nicht nur auf die Beeinflussung der Adressaten ankommen, sondern vor allem auch auf ein gleichförmig koordiniertes Verhalten sämtlicher Standesangehöriger, um jeglichen Wettbewerb zu vermeiden l60 • Auch dieses Erfordernis dürfte bei den Schwellenwertempfehlungen regelmäßig erfüllt sein, da gerade durch das gleichförmig koordinierte Verhalten garantiert wird, dass kein Ausreißer beginnt, den Gebührenrahmen im eigentlichen Sinne der GOÄ voll auszuschöpfen und den offenbar "stillschweigenden Kompromiss" zwischen Ärzten bzw. deren Verbänden und den Kostenträgern zu gefährden. Ein fahrlässiger Verstoß gegen das Empfehlungsverbot kommt nicht in Betracht, da die Variante des Bezweckens schon begrifflich eine Absicht bezüglich des Empfehlungserfolges voraussetzt, und die subjektiven Empfehlungselemente in Gestalt des Beeinflussungswillens und Koordinierungswillens eine Fahrlässigkeitskonstruktion generell ausschließen l61 . 7. Ergebnis
Schwellenwertempfehlungen ärztlicher Berufsverbände sind grundsätzlich geeignet, als Umgehung des § 1 GWB gegen das kartellrechtliche Empfehlungsverbot zu verstoßen. Eine Befreiung aufgrund spezieller kartellrechtlicher Ausnahmevorschriften kommt nicht in Betracht l62 .
c. Analogempfehlungen J. Funktion der Analogbewertung Das größte Manko der GOÄ ist die Tatsache, dass ihr Leistungsverzeichnis dem rasanten Fortschritt in der Medizin aufgrund neuer Operations- und Therapieverfahren stets im großen Abstand hinterherhinkt. Da sich jedoch gern. § 1 GOÄlGOZ die Vergütung für privatärztliche Leistungen grundsätzliche nach der staatlichen Gebührenordnung richten muss, und abweichende Honorarvereinbarungen nach § 2 GOÄlGOZ lediglich ein Überschreiten des Gebührenrahmens ermöglichen, sind die Ärzte gezwungen, nach einem Leistungsverzeichnis abrechnen, das immer seltener eine direkt anwendbare Leistungsziffer zur VerfüVgl. 2. Kapitel: B. II. 3. f) aa). Vgl. 2. Kapitel: B. II. 3. f) bb). 162 Vgl. 2. Kapitel: B. N. 160 161
166
4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
gung stellt. Um diese Defizite lösen zu können, sah schon die GOÄ von 1965 sog. Analogbewertungen vor (heute § 6 Abs. 2 GOÄJGOZ), die aber von Beginn an nur als Notlösung für eine begrenzte Zeit gedacht waren 163 • Durch dieses Instrument kann der abrechnende Arzt unter bestimmten Voraussetzungen eine vergleichbare Ziffer aus dem Leistungsverzeichnis der GOÄ im Sinne eines Selbstergänzungsrechts 164 für die Gebührenliquidation heranziehen. Die Analogbewertung ist auch heute noch die einzige Möglichkeit, neue Behandlungs- und Diagnostikverfahren zeitnah in die ärztliche Leistungsabrechnung aufzunehmen, damit auch Privatpatienten an den Segnungen der modemen Medizin teilhaben können. Im vertragsärztlichen System konnte auf dieses Instrument verzichtet werden, da die Anpassung an den medizinischen Fortschritt durch Aufnahme neuer Behandlungsmethoden im EBM einfacher ist und daher auch häufiger erfolgt. Der entscheidende Unterschied zum Leistungsverzeichnis der GOÄ liegt darin, dass der EBM direkt zwischen Kostenträgem und Ärzten vereinbart wird und nicht den langen Weg des Zustandekommens einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates durchlaufen muss. Aus diesem Grund wird zunehmend die Übernahme dieses Systems in die privatärztliche Gebührenliquidation in Erwägung gezogen 165 • Neben den neuen Behandlungsmethoden kommen für Analogberechnungen grundSätzlich auch ärztliche Leistungen außerhalb des Spektrums der sog. Schulmedizin in Betracht 166 • Da das Gebührenverzeichnis der GOÄ bereits bei vielen anerkannten Leistungen keine Abrechnungsposition zur Verfügung stellt, gilt hier erst recht die Notwendigkeit einer Analogbewertung. Soweit es sich allerdings um nicht allgemein anerkannte Leistungen handelt, ist zunächst ein ausdrückliches Verlangen des Zahlungspflichtigen erforderlich (§ lAbs. 2 Satz 2 GOÄJGOZ), da eine Abrechnung nach GOÄ grundsätzlich eine medizinisch notwendige ärztliche Versorgung (§ lAbs. 2 Satz I GOÄJGOZ) voraussetzt 167 •
163 Haberstroh bezeichnet die Möglichkeit der Analogbewertungen (§ 6 Abs. 2 GOÄ) als "Notanker", VersR 2001,1064. 164 Lieber, GOÄlGOZ, S. XXVII. 165 Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- u. Krankenhausleistungen, S. 4. 166 Kritisch dazu Lieber, GOÄlGOZ, S. XXVII. 167 Vgl. Schäfer in LanglSchäferlStieVVogt, Der GOÄ-Kommentar, § 6 Rz. 56.
C. Analogempfehlungen
167
ll. Die Analogbewertung als Achillesferse der privatärztlichen Gebührenabrechnung Die Verwendung von Analogziffern verursacht - wie kaum ein anderer Bereich des ärztlichen Gebührenrechts - zahlreiche Verunsicherungen 168 und Auseinandersetzungen bei der privatärztlichen Leistungsabrechnung. Auf der einen Seite nimmt der Umfang an Analogbewertungen aufgrund des hoffnungslos veralteten Gebührenverzeichnisses der GOÄ stetig zu, auf der anderen Seite macht sich aber auch eine zunehmende Rigidität der Kostenträger bei der Akzeptanz solcher Abrechnungen bemerkbar l69 • Daraus resultieren zum Teil erbitterte Streitigkeiten zwischen Ärzten bzw. Ärztevereinigungen und den zahlungsunwilligen Kostenträgern. Die privaten Krankenversicherungen lehnen immer häufiger aus Kostengründen die Liquidation ab und behaupten, die Behandlung sei mit dieser oder jener Position des Leistungsverzeichnisses der GOÄ abgegolten. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, dem Umstand nachzugehen, dass es dabei offensichtlich auch auf Seiten der Kostenträger zu kartellrechtlich bedenklichen Absprachen kommt. So hat die Befragung von Standes vertretern ergeben, dass die Begründungen verschiedener Kostenträger zu eingereichten Analogabrechnungen häufig wortwörtlich die gleichen Formulierungen enthalten. Die Kostenträger treten diesbezüglich offensichtlich untereinander in Kontakt. Einige private Krankenversicherungen gehen sogar soweit, dass sie Abrechnungen nach Analogziffern pauschal ablehnen. Dabei verweisen sie lediglich auf ihre Versicherungsbedingungen, in denen es heißt, dass nur diejenigen Aufwendungen erstattungsrahig seien, die in der aktuellen Fassung der GOÄ aufgeführt seien,,170, womit nur die in den Nummern 1 bis 6018 erwähnten Gebührenpositionen gemeint sein sollen. In einzelnen Fällen werden sogar ärztliche Gutachter herangezogen, um eine Erstattungspflicht unter allen Umständen zu verhindern. Andere Kostenträger übernehmen nur einen Teil der Leistung im Rahmen von Erprobungsmodellen. Sollten sich die privaten Krankenversicherungen mit dieser Auffassung längerfristig durchsetzen können, wäre der Privatpatient in Zukunft weitgehend vom medizinischen Fortschritt ausgeschlossen, es sei denn, er wäre willens und in der Lage, die Behandlung aus eigenen Mitteln zu bezahlen bzw. einen entsprechend teuren "Spezialtarif' beim Abschluss seiner Krankenversicherung zu wählen, der auch die Übernahme von Analogabrechnungen garan-
Haberstroh, VersR 2001, 1064. Vgl. A. III. 170 Vgl. Hess, Deutsches Ärzteblatt 96, A-1250 (A-1250); kritisch zur Vereinbarkeit solcher Bestimmungen mit den §§ 305c Abs. 1, 307 Abs. 1 BGB: Haberstroh, VersR 2001, 1064 (1066 f.). 168
169
168
4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
tiert l71 . Inzwischen hat die BÄK sogar das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen in Berlin eingeschaltet, was die Schärfe dieser Konfrontation deutlich macht. Es wäre allerdings zu einseitig, die Komplikationen bei der Erstattung von Analogbewertungen nur den Kostenträgem zuzurechnen. So wurde dieses gebührenrechtliche Instrument in der Vergangenheit auch mehrfach von Ärzten missbraucht, um überzogene Honorarvorstellungen durchzusetzen l72 .
m. Das analoge Abgriffverfahren (§ 6 Abs. 2 GOÄlGOZ) Die Abrechnung ärztlicher Leistungen unter Heranziehung von Analogziffern ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden, die sich zum Teil aus § 6 Abs. 2 GOÄlGOZ selbst, zum Teil aber auch aus anderen Bestimmungen der GOÄlGOZ ergeben. Eine Analogbewertung kommt nur in Betracht, wenn die abzurechnende Leistung keine Aufnahme in das Gebührenverzeichnis gefunden hat l73 . Zusätzlich muss es sich bei der ärztlichen Behandlung um eine selbständige Leistung handeln. Eine solche liegt nicht vor, wenn die Behandlung nur die besondere Ausführung einer anderen Leistung ist l74 und sich hinreichend über den Steigerungsfaktor nach § 5 Abs. 2 GOÄ berücksichtigen lässt. So kann eine Analogbewertung beispielsweise nicht angewandt werden, um eine besonders lange Dauer der Ausführung abzugelten. Da das kassenärztliche Leistungsverzeichnis häufiger aktualisiert wird 175 , bietet sich bei der Analogbewertung grundsätzlich auch ein Rückgriff auf EBM-Leistungsziffem an. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass der EBM keinen Steigerungsfaktor enthält, und daher auch Modifikationen einer Leistung als selbständige Positionen erfasst, die nicht als Analogziffern bei der privatärztlichen Gebührenliquidation herangezogen werden können. Auch wenn der Zweck der Analogbewertung in erster Linie darin liegt, aufgrund des medizinischen Fortschritts neue Verfahren auch nach Inkrafttreten der jeweils gültigen GOÄ zu erfassen, so schließt die vorherige Kenntnis solcher Behandlungsmethoden eine Analogbewertung nicht aus 176. In diesen Fällen muss allerdings sorgfältig überprüft werden, ob es sich bei der analog bewerteten Leistung nicht um eine Modalität einer bereits im GebührenVgl. Hess, Deutsches Ärzteblatt 96, A-1250 (A-1250). UleeriMiebachiPatt, spricht vom "Abrechnungswildwuchs" in: Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 6 GOÄ, 2.1. 173 UleerlMiebachlPatt, § 6 GOÄ, 2.3. 174 UleeriMiebachlPatt, § 6 GOÄ, 2.2. 175 Vgl. A. II. und ill. 176 Hierin besteht ein wichtiger Unterschied zu der vergleichbaren Vorschrift in der GOZ, die gern. § 6 Abs. 2 verlangt, dass eine analoge Heranziehung einer gleichwertigen Leistung aus dem Gebührenverzeichnis nur möglich ist, wenn die zahnärztliche Leistung erst nach Inkrafttreten der GOZ aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt worden ist. 171
172
C. Analogempfehlungen
169
verzeichnis enthaltenen Leistung handelt 177 . Gern. § 6 Abs. 2 GOÄ muss es sich bei der analog herangezogenen Abrechnungsziffer um eine nach Art, Kostenund Zeitaufwand gleichwertige Leistung des Gebührenverzeichnisses handeln. Nicht möglich ist es, bestehende Leistungspositionen der GOÄ mit anderen Punktwerten zu versehen oder Punktwertabgriffe von Leistungspositionen heranzuziehen, die keinerlei vergleichbaren Bezug zu den nicht im Gebührenverzeichnis enthaltenen Leistungen haben. Eine GOÄ-Position aus demselben Leistungsabschnitt (A-O) hat Vorrang, da die Vergleichbarkeit hier in der Regel am offensichtlichsten ist. Die Rahmenbedingungen, insbesondere der Steigerungsfaktor (kleiner oder großer Gebührenrahmen), richten sich nach den Bedingungen der entsprechend herangezogenen Ziffer. Die Wahl der richtigen, d.h. von den Kostenträgern akzeptierten Analogziffer bereitet in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten. So gibt es beispielsweise auf dem Gebiet der Netzhautchirurgie bestimmte neuartige, äußerst schwierige und aufwendige Leistungen, die in Deutschland von nur rund zehn hochspezialisierten Augenärzten durchgeführt werden. Da ein solcher Eingriff vor wenigen Jahren noch nicht vorstellbar war, enthält die GOÄ nicht einmal annäherungsweise entsprechende Leistungen 178 . In solchen Fällen besteht die Möglichkeit, mehrere im Gebührenverzeichnis enthaltene Leistungen zu kombinieren, wenn nur so eine angemessene Analogbewertung durchgeführt werden kann 179 . In allen Fällen gilt, dass die ärztliche Leistung den Anforderungen des § 1 Abs. 2 GOÄ in Gestalt einer medizinisch notwendigen Versorgung nach den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen muss, es sei denn, der Patient wird auf ausdrückliches Verlangen hin behandelt I 80. Gern. § 12 Abs. 4 GOÄ muss die gewählte Position verständlich beschrieben und mit dem Zusatz "entsprechend" oder "analog" gekennzeichnet werden. Das analoge Abgriffverfahren garantiert aber auch bei Beachtung der zuvor beschriebenen Voraussetzungen keine vollständige Übernahme durch die Kostenträger. Es häufen sich die Fälle, in denen die privaten Krankenkassen jede Analogberechnung kategorisch ablehnen l81 • Wenn Analogabrechnungen als 177 So Finanzministerium des Landes NRW am 28.2.1992, s. Kommentar zu GOÄ, 3. Aufl., S. 1203. 178 Die Abrechnungsempfehlung des Augenärztlichen Kommentars (Freigangl Schneider, S. 76, AA 0132) schlägt zur Abrechnung nach einer völlig neuartigen Netzhautoperation im Submillimeter-Bereich (hier werden beispielsweise Membranen entfernt, die unter der Netzhaut liegen) den Abgriff über eine Summation mehrerer anderer Leistungen vor, namentlich GOÄ-Nrn. 1368 + 1366 + 1347 + 1383. 179 BrückiKrimmellKleinkenIWarlo, Kommentar zur GOÄ, § 6 Rz. 3 (S. 160/161); UleerlMiebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 6 GOÄ, 2.4. 180 Vgl. A. 11. 181 s. 11.
170
4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
erstattungsfähig akzeptiert werden, dann meist nur, soweit sie in den Vorschlägen der BÄK zur analogen Bewertung aufgeführt sind 182 • Aber auch wenn die BÄK sowie die Berufsverbände de facto einen erheblichen Einfluss auf das Abgriffverfahren nehmen l83 , bleibt es dennoch bei dem gebührenrechtlichen Grundsatz, dass die Honorarermittlung - wie schon bei der Verwendung von bestimmten Steigerungsfaktoren 184 - einzig und allein in der Verantwortung des jeweiligen Arztes liegt l85 .
IV. Die Einflussnahme der Verbände durch Analogempfehlungen 1. Die Bedeutung der Analogempfehlungen in der Praxis
Während sich das BKartA zumindest in zwei Fällen mit der Beeinflussung ärztlicher Gebührenliquidationen durch die Vorgabe von bestimmten Steigerungsfaktoren beschäftigt hat l86 , wurden Analogempfehlungen - so weit ersichtlich - bis heute weder in der Literatur noch Praxis problematisiert. Dabei hat die Befragung der im offIziellen Verzeichnis der BÄK aufgeführten Kammern, Berufs- und Fachverbände ergeben, dass die Verbände umfangreich zum analogen Abgriffverfahren Stellung beziehen. Da die GOÄ in den seltensten Fällen die eindeutige Zuordnung einer Gebührenposition anhand der Kriterien Art, Kostenund Zeitaufwand 187 zulässt, und angesichts der über 2.500 Ziffern ein recht großer Interpretationsspielraum besteht, ist das Angebot und die Nachfrage nach Hilfestellungen in zunehmendem Maße vorhanden, um dem Patienten, letztlich aber auch dem abrechnenden Arzt, mehr Sicherheit bei der Erstattung durch die Kostenträger zu gewähren l88 . Nur in wenigen Bereichen fehlt auch heute noch die Notwendigkeit für GOÄ-Analogbewertungen sowie diesbezügliche Empfehlungen l89 .
182
d).
Zur empfehlungsrechtlichen Beurteilung dieser Vorgaben der BÄK, s. unter V. 1.
Vgl. IV. 3. u. 4. Vgl. B.IV. 1. c). 185 BrückiKrimmellKleinkenlWarlo, Kommentar zur GOÄ, § 6 Rz. 3 (S. 161/162); Schäfer in LangiSchäferlStiellVogt, Der GOÄ-Kommentar, § 6 Rz. 8; Uleer/Miebach/ Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 6 GOÄ, 2.1. 186 Vgl. B. II. 187 Vgl. II. 188 Falls sich diese nicht - wie zunehmend der Fall - pauschal wehren, Analogabrechnungen zu akzeptieren. 189 Z.B. im hausärztlichen Bereich und für das Fachgebiet der Nuklearmedizin. 183
184
C. Analogempfehlungen
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2. Die Rolle der öffentlichrechtlichen Ärztekammern
Die regionalen Ärztekammern spielen grundsätzlich eine wichtige Rolle bei der privatärztlichen Gebührenliquidation und somit auch beim analogen Abgriffverfahren, da sie zum einen das Abrechnungsverhalten der Mitglieder im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht kontrollieren und zum andern sehr häufig erste Anlaufstelle von Ärzten aber auch Patienten bei Unklarheiten und Streitigkeiten sind l90 . Die Kammern sind allerdings bei Analogempfehlungen, wie schon bei Empfehlungen von bestimmten Steigerungsfaktoren, äußerst zurückhaltend und beschränken sich auf die kartellrechtlich unbedenkliche Beeinflussung von Einzelfallen. Anfragen bei Sachverhalten mit umfangreicher gebührenrechtlicher Bedeutung werden in der Regel an die BÄK verwiesen bzw. weitergeleitet. Diese Vorgehensweise entspricht auch der Vorgabe in § 12 Abs. 2 der vom 103. Deutschen Ärztetag erlassenen Musterberufsordnung, die besagt, dass die Kammern (nur) auf Antrag eines Beteiligten eine gutachterliche Äußerung über die Angemessenheit einer Honorarforderung abgeben sollen l91 . 3. Die Rolle der BÄK
Die BÄK beteiligt sich im großen Umfang an öffentlichen und nicht öffentlichen Stellungnahmen zum analogen Abgriffverfahren. Neben Abrechnungshilfen im Einzelfall, die wie bei den regionalen Kammern kartellrechtlich unbedeutend sind 192, veröffentlich die BÄK verschiedene Arten von Analogbewertungen, die an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet sind. Dazu wurde der ,,zentrale Konsultationsausschuss für Gebührenordnungsfragen bei der Bundesärztekammer" konstituiert 193 , der das sog. "Verzeichnis der analogen Bewertungen" (kurz: Analogverzeichnis) herausgibt, das nach Anhörung von ärztlichen Fachvertretern und Sachverständigen in Übereinstimmung mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) als Verordnungsgeber, dem Bundesinnenministerium (BMI) als Organisation der Beihilfe und/oder dem Verband der privaten Krankenversicherungen e.V. (PKV) vom Vorstand der BÄK beschlossen wird. Wenn alle Beteiligten den Analogvorschlägen der BÄK zustimmen, wird das Regelwerk im Deutschen Ärzteblatt (DÄ) veröffentlicht l94 sowie in das Deutsche Gesundheitsnetz eingestellt und so einer breiten Masse zugänglich gemacht. Neben dem Analogverzeichnis hat der Gebührenordnungsausschuss der BÄK Vgl. Erfahrungsbericht der BReg v. 23.121985, BR-DruckS 625/85, S. 38. Im Internet unter http://www.bundesaerztekammer.de/30/BerufsordnungIlOMbo/ 03Regelnl02Patienten.html (19.7.2002). 192 Vgl. 2. 193 Oder auch kurz "Ausschuss Gebührenordnung" genannt. 194 Deutsches Ärzteblatt 47 (Heft 47 v. 20.11.1998), B2339. 190 191
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
viele Ergänzungen vorgenommen, die allerdings nicht die Zustimmung aller Beteiligten fanden. Da der verbleibende ,,Dissens gering sei"195, wollte der Vorstand der BÄK nicht auf eine Publikation der Vorschläge verzichten und beschloss in seiner Sitzung vom 11.9.1998, die sog. ,,Abrechnungsempfehlung der Bundesärztekammer,,196 zu veröffentlichen. Darüber hinaus gibt es als dritte Form der Stellungnahme die sog. ,,Beschlüsse des Gebührenausschusses der BÄK". Hierbei handelt es sich ebenfalls um Abrechnungshilfen bei der Anwendung der GOÄ, die allerdings nicht das bereits erwähnte "offizielle" Abstimmungsverfahren durchlaufen haben, sondern in vollkommener Eigenverantwortlichkeit der BÄK herausgegeben werden und sich in der Regel auf Einzelfalle beziehen 197 . Das umfangreiche Engagement der BÄK auf dem Gebiet der Analogempfehlungen rundet eine Datenbank ab, in der generelle Statements zur Interpretation einzelner GOÄ-Ziffern enthalten sind l98 . Nach Aussage der BÄK ist das Ziel sämtlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der privatärztlichen Gebührenabrechnung, zu einer gemeinsame GOÄAuslegung zu kommen, bestehende Unsicherheiten auszuräumen und Falschabrechnungen entgegenzuwirken, um damit zu mehr Transparenz, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu finden 199. Ob sich diese Aufgabe und Zielsetzung mit dem kartellrechtlichen Empfehlungsverbot vereinbaren lassen kann, wird Gegenstand der anschließenden Untersuchung sein2OO • 4. Die Rolle der privatrechtlichen Berufs- und Fachverbände
Die wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften haben sich bei der Befragung zu Analogempfehlungen ganz überwiegend darauf berufen, sich ausschließlich mit Problemen der Lehre und Forschung, nicht aber mit Abrech-
195 Deutsches Ärzteblatt 47, B2339. Es hatte wohl einer der Abstimmungspartner seine Zustimmung verweigert; ohne dass offiziell Namen genannt werden, liegt es nahe, dass es sich dabei um den PKV-Verband handelte, dem als Interessensvertreter der Kostenträger am wenigsten an der Aufnahme neuer Analogziffern gelegen ist. 196 Veröffentlicht in: Deutsches Ärzteblatt 47 (v. 20.11.1998), B2339. 197 Veröffentlicht in: Deutsches Ärzteblatt 36 (v. 10.9.1999); öfters ergänzt, s. beispielsweise Deutsches Ärzteblatt 97 (Heft 23 v. 9.6.2000), B-1377 f. 198 Diese nicht öffentlich zugängliche Datenbank konnte in der folgenden kartellrechlichen Beurteilung nicht berücksichtigt werden. 199 Hess, Deutsches Ärzteblatt 95, A-998; vgl. Deutsches Ärzteblatt 95, A-1508. 200 Vgl. V. 1. d).
c. Analogempfehlungen
173
nungsfragen zu beschäftigen. Hierfür sei vielmehr der jeweilige Berufsverband zuständig 201 . Gleichwohl sind auch Analogempfehlungen einzelner Fachverbände bekannt 202 , wenn auch in wesentlich geringerem Ausmaße als bei den Berufsverbänden. Dass die Rolle der Fachverbände bei Analogempfehlungen nicht ganz unbedeutend sein kann, zeigt schon die Überlegung, dass gebühremechtliche Abrechnungsfragen sehr oft umnittelbar mit der Frage nach der wissenschaftlichen Anerkennung bestimmter Verfahren zusammenhängen203 . Eine Einflussnahme der Fachverbände ist zumindest in diesem Zusammenhang nicht auszuschließen. Die Berufsverbände geben in erheblichem Umfang Stellungnahmen zum analogen Abgriffverfahren heraus, wie zahlreiche zur Verfügung gestellte Materialien belegen. Während sich einige Verbände damit begnügen, lediglich auf das Analogverzeichnis der BÄK zu verweisen204 , publizieren andere ihre eigenen Standpunkte in den selbst herausgegebenen Zeitschriften205 , Kommentaren zur GOÄ206 oder sonstigen Mitteilungen207 . Vereinzelt beschränkt man sich in kar201 So reagierten z. B: Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF); Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V.; Deutsche Gesellschaft für Medizinische Soziologie; Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e.V. (DGZMK); Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP); Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie e.V. (DGOT); Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie e.V.; Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin e.V.; Gesellschaft für Nephrologie; Deutsche Gesellschaft für Geriatrie e.V.; Deutsche Ophtalmologische Gesellschaft (DOG). 202 Beispiele: Konferenz der Lehrstuhlinhaber für Radiologie e.V.; die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) hat auf Anfrage das Ausgeben von Empfehlungen verneint, in der Einleitung des Augenärztlichen Gebührenkommentars von Freigang/Schneider ist allerdings zu lesen, dass die Empfehlungen neben Beteiligung des Arbeitskreises des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) auch von Vertretern der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) erarbeitet wurden. 203 Vgl. III. 204 So z.B. der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI e.V.). 205 Beispiele: Abrechnungsfragen kardiologischer Leistungen im Rahmen der GOÄ, in Z KardioI90:152-159 (2001). 206 Beispiele: Anästhesiekommentar zur GOÄ, hrsg. v. Berufsverband Deutscher Anästhesisten; Hausärztliche und kinderärztliche Leistungsangebote außerhalb der Erstattungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung - Gemeinsame Abrechnungsempfehlung, hrsg. v. Berufsverband der Ärzte für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Deutschlands e.V. und Berufsverband der Allgemeinärzte Deutschlands - Hausärzteverband; Abrechnungskommentar Neurologisch-psychiatrische GOÄ, hrsg. v. Gunther/ Zacher, vertrieben durch den Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) und den Berufsverband Deutscher Neurologen e.V. (BDN); Operative Gynäkologie, Qualitätssicherung inklusive Kommentierung der GOÄ 96, hrsg. v. Bender (Präsident der Deutschen Gesell-
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
tellrechtlich unbedenklicher Weise auf die Einzelfallberatung208 . Trotz des umfangreichen Engagements der BÄK auf dem Gebiet der Analogbewertungen209 , besteht ein Bedarf an verbandsinternen Abrechnungshilfen, da der ,,zentrale Konsultationsausschuss der BÄK" bei weitem nicht allen Gesuchen von Berufsverbänden nach Aufnahme in das Analogverzeichnis nachkommt. Die Berufsverbände haben in vielen Fällen daher selbst die Initiative ergriffen. 5. Fachkommentare von Einzelpersonen
Im Zusammenhang mit dem privat ärztlichen Gebührenrecht gibt es zahlreiche Fachkommentare, die in der Regel von ein oder mehreren Privatpersonen herausgegeben werden. Auch diese Art der Hilfestellung bei Analogbewertungen kämpft mit dem Umstand, dass dem Arzt bzw. Patienten keine Garantie auf eine Leistungserstattung durch die Kostenträger in Aussicht gestellt werden kann. So werden die Kommentare häufig nicht anerkannt, oder die Kostenträger berufen sich auf einen anderen, für sie günstigeren Kommentar. Viele der Kommentare lassen sich entgegen des ersten Anscheins nicht allein auf Privatpersonen, sondern auch auf die Einflussnahme eines Verbandes zurückführen2lO • So hat das LG Düsseldorf in dem Fall ,,ArzneiverordnungsReport 97,,211 entschieden, dass der Inhalt eines Buches, das von zwei Professoren herausgebeben wurde und kartellrechtswidrige Empfehlungen bezüglich der Verwendung bestimmter Arzneimittel enthielt, dem Bundesverband der gesetzlichen Krankenkassen zuzurechnen sei, da es auf Daten des Verbandes beruhe schaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.)/SchwenzerlWeyergraf/ Wallwiener; Kommentar Handchirurgischer GOÄ-Ziffem der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie. 207 Beispiel: Abrechnungsempfehlung des Berufsverbandes Deutscher Akupunkturärzte; der Berufsverband Deutscher Pathologen e.V. verwendet eine sog. "Umsteigtabelle", die den im EBM enthaltenen Leistungen eine entsprechende Analogziffer in der GOÄ zuweist (was natürlich nur bei Leistungen möglich ist, die bereits vom EBM erfasst werden) und mit dem "Ausschuss Gebührenordnung" der BÄK abgestimmt sind und von diesem in seiner Sitzung am 17.12.1998 und 18.5.2000 bestätigt wurde; diese Empfehlungen enthalten an einigen Stellen auch den Hinweis, dass die Wahl eines Steigerungsfaktors oberhalb des Schwellenwertes als sachgerecht betrachtet wird. 208 So z.B. nach eigenen Aussagen der Hartmannbund. 209 Vgl. 3. 210 Z.B.: Abrechnungskommentar Neurologisch-psychiatrische GOÄ, hrsg. v. Gunther/Zacher, der vom offiziellen Organ des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN) und des Berufsverbandes Deutscher Neurologen e.V. (BDN) vertrieben wird; es gibt allerdings auch eine Analogliste des BVDN, die durchweg nur den einfachen Steigerungsfaktor zu Grunde legt, ohne dass allerdings ersichtlich ist, ob diese Liste auch an die Mitglieder versandt wird. 211 Urteil v. 12.9.1997 - 38 0 (Kart.) 120/97 - Pharma Recht 1998,23 (27).
C. Analogempfehlungen
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und von ihm mitfinanziert worden sei. Diese Auffassung wurde in einer erneuten Untersagung bestätigt212 • Dieses Zurechnungsprinzip muss auch für die Fälle gelten, in denen sich die Verbände den Inhalt eines Kommentars dadurch zu eigen machen, dass sie wiederum den Mitglieder nahe legen, nach den Vorgaben eines bestimmten Kommentars abzurechnen213 •
V. Die kartellrechtliche Beurteilung von Analogempfehlungen 1. Die Anwendbarkeit des GWB
a) Vorranggrundsatz
Würde eine Interessensvereinigung von gewerblich tätigen Unternehmen Empfehlungen aussprechen, die den Mitgliedern vorgeben, auf welcher Grundlage sie den Preis für bestimmte Leistungen ermitteln sollen, wäre jederzeit mit einem Einschreiten der Kartellbehörden zu rechnen214 • Die Anwendbarkeit des GWB ist zwar auch in den Freien Berufen nicht von vornherein ausgeschlossen215 , dennoch scheint es angesichts der zahlreichen staatlichen bzw. staatlich legitimierten Berufsregeln zumindest fraglich, ob der Grundsatz der uneingeschränkten Preisautonomie von Unternehmen auch im Zusammenhang mit Analogempfehlungen von Ärzteverbänden eingreift 216 . b) Vorrang der GOÄ
Der Verordnungsgeber könnte auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung des § 11 BÄO durch die gebührenrechtlichen Regelungen der GOÄ den Wettbewerb auch im Bereich der Analogbewertungen umfangreich ausgeschlossen haben. Würden sich die Berufsverbände mit ihren Maßnahmen im Rahmen Urteil v. 25.9.1998 - 380 (Kart) 14/98 - Pharma Recht 1998,391. Z.B.: Der Abrechnungskommentar "Neurologisch-psychiatrische GOÄ" wird von zwei Privatpersonen (Gunther/Zacher) herausgegeben; vertrieben wird der Kommentar aber vom offiziellen Organ des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN) und des Berufsverbandes Deutscher Neurologen e.V. (BDN), dem sog. "NeuroTransmitter"; der Augenärztlichen Gebührenkommentar von FreigangiSchneider, der in Zusammenarbeit mit ausgesuchten Spezialisten des jeweiligen Untergebietes u.a. ca. 60 Empfehlungen zu analogen Abrechnungen von Leistungen enthält, wird wiederum vom Bundesverband der Augenärzte Deutschland seinen Mitgliedern empfohlen. 214 Als Ausnahme seien wiederum die Mittelstandsempfehlungen nach § 22 Abs. 2 GWB genannt. 215 Vgl. 2. Kapitel: A. 1. 216 Vgl. bereits ausführliche Darstellung im Rahmen der Schwellenwertempfehlungen. 212 213
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
der rechtmäßigen staatlichen Gebührenregeln bewegen, wäre der Wettbewerb nicht über das zulässige Maß hinaus beschränkt und ein Verstoß gegen das Empfehlungsverbot ausgeschlossen. Der Staat hat durch Erlass der GOÄ den Preiswettbewerb der Ärzte weitgehend ausgeschaltet. Dies gilt zunächst uneingeschränkt für die Vorgabe fester Punktwerte und Gebühren für die im Leistungsverzeichnis aufgezählten Behandlungen. Dem Arzt wird lediglich durch die Verwendung von Steigerungsfaktoren im Rahmen des § 5 bzw. § 2 GOÄ ein gewisser Freiraum bei der Bemessung der Gebührenhöhe eingeräumt217 • Die Verbände verstoßen daher nicht gegen § 22 GWB, wenn sie bei den im Leistungsverzeichnis der GOÄ aufgeführten Behandlungen den jeweils angegebenen Punkt- bzw. Gebührenwert empfehlen, da die Ärzte ohnehin verpflichtet sind, nach diesen gebührenrechtlichen Vorgaben abzurechnen. Um die Anwendung des GWB bzw. des Empfehlungsverbotes im Zusammenhang mit den Vorgaben bestimmter Analogziffern bejahen zu können, müssten die beschriebenen Maßnahmen Wettbewerbsbeschränkungen beinhalten, die über das berufsrechtlich legitimierte Maß hinausreichen. Das Leistungsverzeichnis der GOÄ für sich betrachtet rechtfertigt die Vorgabe einer gleichförmigen Abrechnung neuartiger Behandlungsformen nicht, da es hierzu gerade keine Aussagen trifft. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Gebührenliquidation der nicht im Leistungsverzeichnis enthaltenen Behandlungen mangels staatlicher Regelung keinen Beschränkungen, sondern dem Prinzip des freien Preiswettbewerbs unterliegen soll. Sinn und Zweck einer staatlichen Gebührenordnung sprechen hingegen für ein insgesamt einheitliches Abrechnungssystem, in dem für gleiche Leistungen grundsätzlich gleiche Punkt- bzw. Gebührenwerte vorgesehen sind. Dass der Verordnungsgeber bei neuen Behandlungsmethoden keinen uneingeschränkten Preiswettbewerb vorgesehen haben kann, bestätigt die Regelung des § 6 Abs. 2 GOÄ, der die Analogbewertung an bestimmte unabdingbare Voraussetzungen bzw. Beschränkungen geknüpft hatll8 . Im Gegensatz zu den vorherigen Ausführungen im Zusammenhang mit Empfehlungen von bestimmten Steigerungssätzenll9 stehen diese Beschränkungen der Preisautonomie des Arztes auch nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zwar enthält § 11 BÄO keine Aussage zum Umgang mit Analogbewertungen, dies bedeutet im Urnkehrschluss jedoch nicht, dass die Ermächtigung zum Erlass wettbewerbs beschränkender Gebührenregeln nur die in einem Leistungsverzeichnis einzeln aufgelisteten Behandlungen erfasst. 217 Zwar werden Stellungnahmen zu analogen Abgriffverfahren oft mit Schwellenwertempfehlungen verbunden, aus kartellrechtlicher Sicht handelt es sich aber bei der Vorgabe von Analogziffem einerseits sowie bestimmten Steigerungs faktoren andererseits um zwei grundsätzlich zu trennende Vorgänge. 218 Vgl. ill. 219 Vgl. B. IV. 1. c).
C. Analogempfehlungen
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Schließlich konnte der Gesetzgeber keine Aussage zu Analogbewertungen treffen, da er nicht wissen konnte, dass die GOÄ die Bewertung zukünftiger Behandlungsformen durch das Instrument der Analogbewertungen lösen würde. Die Regelung des § 11 BÄO geht vielmehr davon aus, dass sämtliche ärztliche Leistungen in einer staatlichen Gebührenordnung mit vorgegebenen Mindestund Höchstsätzen geregelt sein sollten, ohne dass neue aber allgemein anerkannte Behandlungsmethoden hiervon ausgeschlossen sind. Schließlich soll durch eine staatlich vorgegebene Gebührenspanne generell verhindert werden, dass die Ärzte im Kampf um die Gunst des Patienten auf Kosten der Qualität medizinische Leistungen zu ,,Dumpingpreisen" anbieten. Im Bereich der Analogbewertungen gilt daher kein uneingeschränkter Preiswettbewerb, der durch einheitliche Abrechnungsempfehlungen generell beschränkt wäre. Ob allerdings die Koordination gleichförmiger Gebührenliquidationen mittels einheitlich vorgegebener Analogziffern in jedem Fall durch den Vorrang des Berufsrechts gerechtfertigt ist, muss anband der näheren Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 GOÄ überprüft werden. c) Vorrang des § 6 Abs. 2 GOÄ
Auch wenn die in § 6 Abs. 2 GOÄ enthaltenen Voraussetzungen und Einschränkungen für eine Analogbewertung auf der einen Seite verdeutlichen, dass der Verordnungsgeber die Abrechnung neuer und nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführter Behandlungen der beliebigen Preisautonomie der Ärzte entziehen wollte, so belegen sie auf der anderen Seite aber auch, dass die Beeinflussung der Gebührenliquidation nur unter diesen Voraussetzungen vom Berufsrecht gerechtfertigt sein soll. Es steht daher nicht im Belieben der Ärzte oder deren Verbände, eine einheitliche Analogabrechnung nach eigens aufgestellten Kriterien zu koordinieren. Die Maßnahmen profitieren nur dann vom Vorrang des staatlichen Gebührenrechts, wenn sie die Bestimmungen des § 6 Abs. 2 GOÄ berücksichtigen und die Preisautonomie des Arztes bzw. den Preiswettbewerb nicht darüber hinaus beschränken. aa) Einheitliche Vorgabe von Analogziffern Unabhängig von der Frage, ob die Ärzteverbände in ihren Stellungnahmen zu analogen Abgriffverfahren die Kriterien Art, Kosten- und Zeitaufwand hinreichend berücksichtigen - was letztlich in jedem Fall gesondert und unter medizinischen Aspekten überprüft werden müsste - bestehen Zweifel, ob nicht bereits das Koordinieren eines einheitlichen Abrechnungsverhaltens generell über das zulässige Maß des § 6 Abs. 2 GOÄ hinausgeht. Der Tatbestand des § 6 Abs. 2 GOÄ gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Ärzte nach einheitlichen Analogziffern abrechnen sollen. Ganz im Gegenteil scheint es angesichts der aktuel-
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
len Liquidationspraxis der Ärzte sogar sehr fragwürdig, ob der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber beabsichtigte, dass Verbände ohne jegliche Legitimation ein einheitliches Kostenniveau für Analogberechnungen festlegen. Hätte dieses Ziel erreicht bzw. unterschiedliche Analogbewertungen verhindert werden sollen, hätte der Staat beispielsweise die BÄK legitimieren können, diesbezügliche Empfehlungen oder rechtsverbindliche Vorgaben auszusprechen. Dass ihm diese Vorgehensweise nicht fremd ist, belegt § 19 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG)220, der ausdrücklich der Deutschen Krankenhausgesellschaft und den Spitzenverbänden der Träger der gesetzlichen Krankenkassen das Recht zur Erarbeitung von Empfehlungen über Maßstäbe und Grundsätze für die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser einräumt. Auch in anderen Vorschriften des Gesundheits- und Sozialbereichs wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Stellungnahmen und Maßnahmen der Verbände ausdrücklich einzubeziehen221 • Weder BÄO noch GOÄ sehen jedoch eine solche Beteiligung von Dritten vor. Im Umkehrschluss dazu ergibt sich vielmehr, dass die Entscheidung für die jeweils heranzuziehende analoge Leistungsziffer jedem Arzt selbst überlassen werden soll. Dies bestätigt auch die Regelung des § 6 Abs. 2 GOÄ, der vergleichbare Anforderungen stellt wie § 5 Abs. 2 GOÄ im Rahmen der Verwendung von Steigerungsfaktoren. So soll die Gebührenberechnung anband der Faktoren Art, Kosten- und Zeitaufwand erfolgen, was eine Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalles voraussetzt. Dem Arzt wird bei der Verwendung von Analogziffern eine individuelle Entscheidung zugestanden, die nicht von vornherein ausschließt, dass selbst bei objektiv gleichen Leistungen je nach Ermessensentscheidung des Arztes verschiedene Bewertungen erzielt werden können222 . So wie § 5 Abs. 2 GOÄ die eigenverantwortliche Ausschöpfung des gesamten Gebührenrahmens vorsieht, muss es dem einzelnen Arzt grundsätzlich möglich sein, bei der Analogbewertung auf sämtliche Leistungsziffern der GOÄ zurückgreifen zu können. Die zusätzliche Berücksichtigung von Einzelumständen mit Hilfe des Steigerungsfaktors223 schließt das nicht aus. Der Gestaltungsspielraum des Arztes lässt sich letztlich auch verfassungsrechtlich begründen, da nur so die ärztliche Berufsfreiheit im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG ausreichend berücksichtigt wird224 .
220 Ausführlich: Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze. 221 So in § 136a SGB V, der bei der Qualitätssicherung in der vertragsärztlichen Versorgung die Stellungnahme der BÄK vorsieht; so auch §§ 137, 137b, 137c137d SGB V. 222 Vgl. B. N. 1. c). 223 Vgl. B. I. 224 Lieber, GOÄlGOZ, S. X.
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Die Beeinflussung hin zu einem gleichförmigen Liquidationsverhalten ist daher nicht mit der von § 6 Abs. 2 GOÄ vorausgesetzten individuellen Analogbewertung vereinbar. bb) Berücksichtigung der Kriterien ,,Art, Zeit- und Kostenaufwand" Aber auch bei der Berücksichtigung der Kriterien ,,Art, Zeit- und Kostenaufwand" der Behandlung ist davon auszugehen, dass die Verbände in den meisten Fällen nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 GOÄ erfüllen und berufsrechtlich unzulässig handeln. So haben einzelne Krankenversicherungen und der Verband der privaten Krankenversicherung e.V. (PKV) die Vermutung bestätigt, dass bei Empfehlungen von Berufs- und Fachverbänden eigentlich regelmäßig versucht wird, eine möglichst hoch bewertete Gebührenposition aus dem Gebührenverzeichnis analog heranzuziehen, worin auch der Hauptgrund für die häufigen Streitigkeiten zwischen rechnungstellendem Arzt und Kostenträger gesehen wird. Auch Andere äußern zumindest vorsichtig den Verdacht einer einseitigen Interessenswahmehmung der Berufsverbände225 . Der BÄK wurden ebenfalls honorarpolitische Überlegungen vorgeworfen226 . Der Grund für dieses Verhalten könnte darin liegen, dass viele Standesangehörige noch jenen Zeiten nachtrauern, in denen die Gebührenspanne bis zum 6fachen des Einfachsatzes reichte. So wird die Einschränkung auf das 3,5fache bzw. 2,5fache nach wie vor für eine zu starke Nivellierung des Gebührenrahmens betrachtet227 • Die Analogbewertung könnte daher als willkommene Gelegenheit verstanden werden, zumindest bei nicht im Leistungsverzeichnis enthaltenen Behandlungen mehr zu verlangen, als nach den Kriterien des § 6 Abs. 2 GOÄ angemessen erscheint. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch auf Seiten der Kostenträger materielle Erwägungen eine große Rolle spielen. Schließlich sind die Mitglieder des PKV sehr daran interessiert, eine Übernahme der Behandlungskosten so oft wie möglich (berechtigt oder nicht) zu vermeiden oder zumindest eine möglichst kostensenkende GOÄ-Interpretation durchzusetzen. So kommt es immer häufiger dazu, dass auch innovative Leistungen mit einer angemessenen Arztrechnung gekürzt werden, weil die Kostenträger sparen wollen, und sie zum Teil keine Vorstellung davon haben, was sich hinter einer bestimmten Leistung verbirgt. Viele Ärzte beklagen sich darüber, dass die Kostenträger sehr oft Erstattungen von Analogpositionen mit den aben-
225
2.1
Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 6 GOÄ,
Vgl. d). Zur Begründung eines niedrigeren Gebührenrahmens s. Erfahrungsbericht der BReg v. 23.121985, BR-DruckS 625/85, S.15 ff. 226 227
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
teuerlichsten Begründungen verweigern. Auf der anderen Seite sind gelegentlich überzogene Vorstellungen der Ärzte über die Höhe der Liquidation, analoge Abrechnungen von bereits im Gebührenverzeichnis existierenden Positionen und sehr dubiose Abrechnungsfälle in der Vergangenheit gerade Wasser auf die Mühlen des PKV 228 • Die Situation ist im kassenärztlichen System nicht anders, da es dort um die Verteilung des immer stärker belasteten allgemeinen Budgets geht 229 . Eine objektive Bewertung der Rechtsmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit der Einhaltung der Kriterien des § 6 Abs. 2 GOÄ fällt angesichts der beschriebenen Unsicherheiten bei der korrekten Gebührenliquidation sehr schwer. Diese Entscheidung muss jedoch letztlich nicht getroffen werden, da bereits das von den Verbänden bezweckte gleichförmige Abrechnungsverhalten nicht vom Vorrang des Berufsrechts gedeckt ist und damit grundSätzlich dem KarteIIrecht unterfällt. d) Sonderstellung der BÄK
Bei der Bewertung von nicht im Leistungsverzeichnis der GOÄ enthaltenen Behandlungen spielt die BÄK eine besondere Rolle. Zum einen gibt kein anderer Verband so umfangreiche Stellungnahmen zu Analogbewertungen ab23D , zum anderen scheint die BÄK ihr Engagement selbst nicht mit dem anderer Verbände auf eine Stufe stellen zu wollen. Dabei handelt sich bei der ,,Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Ärztekammern" - so der offizielle Namen der BÄK - nicht etwa um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit hoheitlichen Befugnissen, sondern wie bei allen anderen Berufs- und Fachverbänden um einen privatrechtlichen Zusammenschluss auf Vereins basis. Für den Verwender von Analogempfehlungen könnte der Eindruck entstehen, als käme den gebührenrechtlichen Abrechnungsvorschlägen der BÄK eine besondere berufsrechtliche Bedeutung zu. So wird oft von den "offiziellen Analogbewertungen der Bundesärztekammer" gesprochen23I oder darauf verwiesen, dass die Beschlüsse der BÄK ,,rechtsrelevant" seien 232 • Tatsächlich fordern auch viele Ärzte, Patienten und einzelne Krankenversicherungen, dass die BÄK eine Ordnungsfunktion bei der Berechnung privatärztlicher Leistungen durch Empfehlungen zu analogen Bewertungen wahrnehmen solle. Dieser Wunsch basiert 228 UleeriMiebachiPatt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 6 GOÄ, 2.1: spricht vom "Abrechnungswildwuchs". 229 Zur Wettbewerbs situation im GKV-System, s. Binder, Effizienz durch Wettbewerb im Gesundheitswesen. 230 Vgl. IV. 3. 231 Hess, Deutsches Ärzteblatt 96, A-1250 (A-1250). 232 s. Bekanntgabe der BÄK: in Deutsches Ärzteblatt 96 (v. 10.9.99), A-2240.
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vor allem auf einer Stellungnahme des Bundesrates233 , der bei den ,,Empfehlungen,,234 zur Vierten GOÄ-Änderungsverordnung die Bundesregierung gebeten hat, bei der BÄK darauf hinzuwirken, dass diese auch künftig analoge Bewertungen nach Bedarf erarbeitet und veröffentlicht, um für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Abgesehen davon, dass sich aus der unverbindlichen Stellungnahme des Bundesrates jedoch keine ausreichende Legitimation zum Erlass von Analogempfehlungen ableiten lässt, wäre auch die Kompetenz des Bundesrates in Zweifel zu ziehen, da nach § 11 BÄO lediglich dessen Zustimmung zum Erlass einer Gebührenordnung erforderlich ist. Die Ermächtigung zur Aufstellung gebührenrechtlicher Regelungen wurde jedoch nur der Bundesregierung eingeräumt, die ihrerseits dem Aufruf zur Übertragung einer Ordnungsfunktion auf die BÄK nicht - vielleicht sogar ganz bewusst nicht - nachgekommen ist. Auch die von der BÄK oft betonte Beteiligung mehrerer staatlicher Stellen (BMI, BMG) garantiert keine neutrale Beurteilung von Analogbewertungen. So beschweren sich viele Verbände darüber, dass ihre Anliegen nicht einmal vom Zentralen Konsultationsausschuss der BÄK gehört werden235 , womit eine Benachteiligung zumindest möglich erscheint. Andere mutmaßen, dass bei der BÄK nicht nur medizinische Gründe, sondern auch honorarpolitische Überlegungen eine Rolle spielen236 . So sah das BMG bereits in der Vergangenheit Anlass, überzogene Analogempfehlungen der BÄK zu bemängeln237 . Mit den schon zur GOÄ von 1982 herausgegebenen "Grundsätzen analoger Bewertungen,,238 belegt die BÄK selbst, dass ein Verband auch in kartellrecht233 Empfehlungen der Ausschüsse zur Vierten Verordnung zur Änderung der GOÄ v. 23.10.1995, BR-DruckS. 688/95, S. 146. 234 Hier ausnahmsweise einmal nicht im kartellrechtlichen Sinne. 235 So z.B. die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie-, Herz- und Kreislaufforschung in: Z KardioI90:152-159 (2001). 236 So Freigang/Schneider, Augenärztlicher Gebührenkommentar, S. 2 im Zusammenhang mit Vorschlägen zu Analogbewertungen von augenärztlichen Verbänden. Außerhalb der Analogempfehlungen belegt das Beispiel der Abrechnungsempfehlungen für privat liquidierende Ärzte bei Arbeitslosen, dass die BÄK auf die Höhe der Liquidation Einfluss nimmt, vgl. Hess, Deutsches Ärzteblatt 96, Seite A-604. 237 Dies betraf Empfehlungen im Zusammenhang mit einer Komp1exgebühr für eine 10. Kindervorsorgeuntersuchung oder der Analogposition A 37 (Zuziehung eines Assistenten bei belegärztlichen Leistungen), s. Uleer/MiebachiPatt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 6 GOÄ, 2.1; bei der später in die GOÄ übernommenen Leistungsziffer Nr. 5475 hatte die BÄK zuvor als Analogbewertung Nr. A 5496 mit 887 Punkten vorgesehen und die Leistung damit mehr als doppelt so hoch bewertet, s. Uleer/ MiebachiPatt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 6 GOÄ, 2.1. 238 BÄK, Analoge Bewertungen in der GOÄ - eine Einführung, eine aktuelle Fassung unter http://www.bundesaerztekammer.de/30/Gebuehrenordnung/Fragenl031 Analoge. html (19.7.2002).
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lich unbedenklicher Weise, Stellung zur Analogberechnung beziehen kann. Dabei handelt es sich nicht um Vorgaben bestimmter Leistungsziffern, die bei einer Abrechnung herangezogen werden sollen, sondern um allgemeine Hinweise in Bezug auf die Anforderungen von Analogbewertungen (Selbständigkeit der Leistung, etc. 239 ). Zwar wird auch hier ein gleichförmiges Verhalten nahegelegt, der Inhalt der Regelung entspricht jedoch genau den berufsrechtlichen Vorgaben des § 6 Abs. 2 GOÄ, die lediglich kommentiert werden. e) Ergebnis
Die Ärzteverbände sind bei gebührenrechtlichen Stellungnahmen nur im Rahmen der von der GOÄ explizit vorgegebenen Ziffern des Leistungsverzeichnisses ermächtigt, auf ein gleichförmiges Abrechnungsverhalten der Ärzte hinzuwirken. Im Bereich der Analogbewertungen beschränkt sich die Einflussnahme auf die allgemeine Beachtung der in § 6 Abs. 2 GOÄ aufgestellten Kriterien. Alle Maßnahmen, die darüber hinausgehen, sind vom Vorrang des Berufsrechts nicht mehr gerechtfertigt und bedürften einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung 240 . In diesen Fällen ist der Anwendungsbereich des GWB grundsätzlich eröffnet. 2. Die Empfehlungsvoraussetzungen
a) Einseitigkeit
Die Aussagen der Ärzteverbände zur Gebührenliquidation mittels Analogziffern sind - wie auch die Empfehlungen bestimmter Steigerungsfaktoren241 einseitige Erklärungen gegenüber den Mitgliedern.
Vgl. m. Im Ergebnis auch Uleer/MiebachiPatt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 6 GOÄ, 2.1, der ein Abstimmungsverfahren zwischen Ärzteschaft und Kostenträger (PKV und Beihilfe) unter Federführung des BMG vorschlägt; dazu bedürfte es aber ebenfalls einer entsprechenden gesetzlichen Legitimation. 241 Oft kommt es zur Kombination der Angabe einer analog heranzuziehenden Leistungsziffer mit einem bestimmten Steigerungsfaktor, vgl. B. I. 239
240
C. Analogempfehlungen
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b) Rechtliche Unverbindlichkeit
aa) Allgemeiner Grundsatz Die Bildung von Analogbewertungen liegt nach den Anforderungen der GOÄ einzig und allein in der Verantwortung des jeweils behandelnden Arztes 242 . Da für die privatärztliche Gebührenliquidation nur die Vorschriften der GOÄ rechtsverbindlich sind und keine anderen Institutionen oder Personen zum Erlass weiterführender Regelungen ermächtigt wurden, können Stellungnahmen zum analogen Abgriffverfahren, unabhängig davon, ob sie von öffentlichrechtlichen Kammern oder privaten Verbänden stammen, keine rechtliche Verbindlichkeit erlangen, sondern lediglich Abrechnungserleichterungen sein. bb) Sonderstellung der BÄK Die BÄK vermittelt im Zusammenhang mit Stellungnahmen zur Verwendung von Analogziffern nicht nur den Eindruck, als handele sie mit besonderer Legitimation243 , sondern dass ihre Vorschläge über bloß unverbindliche Empfehlung hinausgehen würden. So wird regelmäßig betont, dass nur das Analogverzeichnis der BÄK vom Verordnungsgeber (BMG), der Beihilfe (BMI) und vom Verband der privaten Krankenkassen (PKV) offiziell abgesegnet werde. Die Bezeichnung Abrechnungsempjehlung verwendet die BÄK hingegen nur für diejenigen Analogziffern, bei denen keine Übereinkunft mit den zuvor genannten Funktionsträgern erzielt werden konnte244 . Eine über die Empfehlungswirkung hinausreichende Verbindlichkeit kann nicht mit der Wahrung öffentlichrechtlicher Interessen und Aufgaben begründet werden. Die BÄK sieht ihre Aufgabe zwar darin, die Landesärztekammern durch die Analogempfehlungen bei der staatlichen Überwachung der Privatliquidation zu unterstützen, um auf eine möglichst einheitliche Handhabung der Honorarforderungen hinzuwirken245 . Aber auch wenn sie sich die Wahrung der Berufsordnung zum Ziel gesetzt hat, ist sie im Bereich der Analogbewertungen in keiner Weise vom Gesetzgeber legitimiert, über die bloße Wiederholung der gebührenrechtlichen Regelungen der GOÄ hinauszugehen und verbindliche Abrechnungsmaßstäbe für Analogbewertungen aufzustellen246 .
Vgl. V. 1. c). Vgl. V. 1. d). 244 Vgl. Bekanntgabe der BÄK in Deutsches Ärzteblatt 96 (v. 10.9.99), A-2240. 245 Vgl. Bekanntgabe der BÄK, A-2240. 246 Das gilt sogar für die öffentlichrechtlichen Kammern, s.o. 242 243
184
4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
Selbst wenn die BÄK ihre Empfehlungen auf der gesetzlichen Grundlage des § 6 Abs. 2 GOÄ unter Berücksichtigung der gebührenrechtlichen Anforderungen247 äußern würde - was jedoch vereinzelt in Zweifel gezogen wird 248 - werden die Abrechnungsvorschläge erst dann offiziell und verbindlich, wenn sie vollständig in das amtliche Gebührenverzeichnis aufgenommen werden. Dies war mit der zum 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Vierten Änderungsverordnung zur GOÄ fast vollständig der Fall. Aber auch wenn ein vergleichbarer Schritt in Zukunft angesichts der Beteiligung des GO Ä-Verordnungsgebers (BMG) am Analogverzeichnis aller Wahrscheinlichkeit nach wieder zu erwarten ist, ändert dies nichts an der aktuellen Gleichwertigkeit der Analogempfehlungen der BÄK zu Maßnahmen anderer privater Berufsvereinigungen. Das BMG hat vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Analogbewertung der BÄK nicht automatisch bei einer Weiterentwicklung der GOÄ berücksichtigt wird. Zwar soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden, ob nicht auch das Verhalten des BMG rechtlich problematisch ist, da der Verordnungsgeber durch die BÄO nicht ermächtigt wurde, sich an der Aufstellung "quasi-verbindlicher" Gebührenregelungen mit Privatrechtssubjekten zu beteiligen. Fest steht aber, dass das BMG die starke Bindungswirkung der Analogempfehlungen der BÄK gerade auch durch seine Beteiligung ermöglicht oder zumindest verstärkt, anstatt in eigener Verantwortung die Aktualisierung des Leistungsverzeichnisses durch eine neue Rechtsverordnung auf den Weg zu bringen. De facto werden die Vorgaben der BÄK nämlich wie rechtsverbindliche Berufsregeln aufgefasst und befolgt. So sind viele Kostenträger dazu übergegangen, alle Leistungen, die nicht in den Vorschlägen der BÄK zur analogen Bewertung aufgeführt sind, für nicht erstattungsflihig einzustufen 249 • Die privat liquidierenden Ärzte sind daher gezwungen, auf das Analogverzeichnis der BÄK zurückzugreifen, wenn sie dem Patienten eine Erstattung der Kosten durch die Krankenkasse ermöglichen wollen. Auch die einzelnen Landeskammern sowie Festsetzungsstellen halten sich in der Regel an die Vorgaben der BÄK und verweisen auf dieses in ihren Augen allein gültige Analogverzeichnis 250 •
Vgl. m. Vgl. V. 1. d). 249 Darauf weist auch die BÄK hin: s. Bekanntgabe der BÄK in: Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 28/29 v. 14.7.1997, B-1581 (B-1582); vgl. LG DüsseldorfUrteil v. 12.9.199738 0 (Kart.) 120/97 - Pharma Recht 1998, 23 (27); bestätigt durch das Urteil v. 25.9.1998,380 (Kart.) 14/98, Pharma Recht 1998,391; die Krankenversicherung PaxFamilienfürsorge schreibt, dass die Empfehlungen der BÄK "bindenderen Charakter" haben, als die der Berufs- und Fachverbände. 250 So Finanzministerium des Landes NRW am 28.2.1992, s. Kommentar zu GOÄ, 3. Aufl., S. 1203. 247
248
C. Analogempfehlungen
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Wenn sich die BÄK aufgrund des hoffnungslos veralteten Leistungsverzeichnis der GOÄ251 verantwortlich fühlt, quasi als ,,Ersatzverordnungsgeber" aufzutreten252 , um dem Wunsch vieler Ärzte und Verbände nach mehr Rechtssicherheit bei der Gebührenliquidation nachzukommen, so genügt dieser Umstand nicht, um die von § 11 BÄO und der GOÄ ausdrücklich vorgesehene gebührenrechtliche Analogbewertung des Arztes durch Empfehlungen zu umgehen. Dies ist vielmehr ein Beleg für die Unpraktikabilität des gesamten privatärztlichen Gebührensystems. Da die faktische Bindungswirkung die Empfehlungseigenschaft nicht entfallen lässt253 , sind die Voraussetzungen des Empfehlungsbegriffes insoweit auch bei sämtlichen Varianten der von der BÄK herausgegebenen Stellungnahmen zum analogen Abgriffverfahren erfüllt. c) Beeinflussungswille
In subjektiver Hinsicht ist eine Abgrenzung der Empfehlung gegenüber den kartellrechtlich irrelevanten Information und Tatsachenmitteilung notwendig 254 . Eine das Verhalten der Adressaten beeinflussende Wirkung wäre auszuschließen, wenn sich die Verbände lediglich darauf beschränken würden, auf die Möglichkeit eines analogen Abgriffverfahrens hinzuweisen, Kommentare zu den allgemeinen gebühremechtlichen Anforderungen herauszugeben255 oder die bisher zu Analogbewertungen ergangenen Gerichtsentscheidungen auszuwerten und zu veröffentlichen. Im Fall "Gemeinsames Aktionsprogramm zur Einhaltung der Arzneirnittelbudgets,,256 sah das Gericht eine empfehlungsrechtliche Beeinflussung darin, dass den Ärzten bei der Vorlage einer Liste von gleich wirksamen, aber billigeren Medikamenten vorgehalten wurde, bei Nichtbeachtung der Vorschläge und Überschreitung des Arzneirnittelbudgets für eine kollektive Honorarkürzung aller Ärzte verantwortlich sein zu können257 . Eine vergleichbare beeinflussende Wirkung wird auch bei der Vorgabe von Analogbewertungen erzielt, indem den
251 252
2.1.
Vgl. A. II. Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 6 GOÄ,
Vgl. 2. Kapitel: B. II. 2. c). Vgl. Kapitel: B. II. 2. d). 255 So z.B. Bundesärztekammer, Analoge Bewertungen in der GOÄ - eine Einführung, unter http://www.bundesaerztekammer.de/30/GebuehrenordnunglFragenl031 Analoge. html (19.7.2002). 256 LG Düsseldorfv. 22.12.1999 - 120548/99 - Pharma Recht 2000, 41. 257 LG Düsseldorf, S. 46. 253
254
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
Adressaten in Aussicht gestellt wird, dass sie bei einer abweichenden Gebührenliquidation nicht mit einer Erstattung durch die Kostenträger rechnen können258 und letztlich dafür verantwortlich sind, dass ihre Patienten die Behandlung aus eigenen Mitteln bezahlen müssen. Da in solchen Fällen beim Patienten der Eindruck einer unangemessenen Honoraranforderung entstehen kann, wird der Arzt auf eine eigenständige Analogbewertung in der Regel verzichten. Im Gegensatz zu den Empfehlungen bestimmter Steigerungsfaktoren259 geben die Ärzteverbände offenkundig zu, dass es ihnen gerade auf eine möglichst einheitliche Handhabung der Analogziffern nach ihren Vorschlägen ankomme 260 , auch wenn mehr oder weniger ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass jeder Arzt grundsätzlich zu eigenständigen Analogbewertungen berechtigt und nur hierfür beweis- und nachweispflichtig sei. So hält es beispielsweise der Vorstand und Beirat der Internationalen Medizinischen Gesellschaft für Elektroakupunktur für ,,notwendig, dass alle Ärzte, die Elektroakupunkturleistungen erbringen, einen einheitlichen Liquidationsmodus finden". Alternative GOÄ-Ziffern könnten von der Gesellschaft nicht empfohlen und sollten daher nicht eingesetzt werden261 . Besonders intensiv dringt die BÄK auf die Einhaltung ihrer Analogvorschläge und warnt davor, dass "ein Arzt, der zu einer im Analogverzeichnis der Bundesärztekammer enthaltenen Position eine andere Analogabrechnung vornimmt, [... ] in der Diskussion oder gar vor Gericht wegen des dahinterstehenden Sachverstandes nur schwer Aussicht auf Erfolg [hat]262". Es würde die Beeinflussungsabsicht auch nicht ausschließen, wenn sich die Verbände darauf berufen, mit der Veröffentlichung der Analogempfehlungen in erster Linie wissenschaftliche Zwecke verfolgen zu wollen. Es genügt, wenn die Absicht der Willensbeeinflussung eines von mehreren Motiven ist 263 . Das Gleiche gilt für den ausdrücklichen Hinweis, dass die Abrechnungsvorschläge ohne
258 So auch Bekanntgabe der BÄK in: Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 28/29 v. 14.7.1997, B-1581 (B-1582); vgl. LG Düsseldorf Urteil v. 12.9.1997 - 38 0 (Kart.) 120/97 - Pharma Recht 1998, 23 (27); bestätigt durch das Urteil v. 25.9.1998 - 38 0 (Kart.) 14/98 - Pharma Recht 1998,391. 259 Vgl. B. IV. 2. c). 260 Vgl. Bekanntgabe der BÄK in: Deutsches Ärzteblatt 96 (v. 10.9.99), A-2240. 261 GOÄ-EAV-Empfehlungen des Vorstandes der Internationalen Medizinischen Gesellschaft für Elektroakupunktur nach Voll e.V. zur Honorarabrechnung (Stand 5.6.1993), S.20. 262 Vgl. Bekanntgabe der BÄK in Deutsches Ärzteblatt 94 (v. 14.7.97), B-158l (B1582). 263 LG Düsseldorf Urteil v. 12.9.1997 - 38 0 (Kart.) 120/97 - Pharma Recht 1998, 23 (26); bestätigt durch das Urteil v. 25.9.1998 - 38 0 (Kart.) 14/98 - Pharma Recht 1998,391.
c. Analogempfehlungen
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Empfehlungs- oder Aufforderungscharakter sein sollen264 , was die Empfehlungseigenschaft nicht per se verhindert 265 . d) Ergebnis bezüglich der Empjehlungsvoraussetzungen
Die beschriebenen Maßnahmen der privaten Verbände zum analogen Abgriffverfahren erfüllen die Empfehlungseigenschaften der Einseitigkeit, der rechtlichen Unverbindlichkeit und des Beeinflussungswillens. 3. Umgehung des Kartellverbotes durch gleiclüörmiges Verhalten, § 22 Abs.l Satz 1 i.V.m. § 1 GWH
Die Analogempfehlungen müssten geeignet sein, die Adressaten zu einem gleichförmigen Verhalten zu veranlassen, als hätten sie sich untereinander abgesprochen. Bei Analogempfehlungen ist eine Umgehung durch gleichförmiges Verhalten lediglich dann zu verneinen, wenn sich der Verband, wie beispielsweise die öffentlichrechtlichen Kammern, auf Einzelfalle beschränkt. In der Regel wird jedoch auf ein gleichförmiges Abgriffverfahren aller Mitglieder hingewirkt 266 . Der Umgehung des Kartellverbotes könnte aufgrund des Akzessorietätsgrundsatzes entgegenstehen, dass vergleichbare Vereinbarungen im Rahmen einer Güterabwägung durch eine Tatbestandsreduktion des § I GWB vom Kartellverbot befreit werden könnten. In Betracht kommt eine Privilegierung der allgemeinen Gesundheitsversorgung gegenüber dem Wettbewerbsprinzip. Die Analogempfehlungen der Verbände könnten dazu dienen, dass mit Hilfe einer möglichst gleichmäßigen und vor allem niedrigen privatärztlichen Leistungsabrechnung alle Privatpatienten in den Genuss der Erstattung neuer Operationsund Therapieverfahren durch die Krankenkassen kämen. Durch eine moderate Preispolitik könnte zusätzlich die Aufnahme der betreffenden Behandlungen in den Leistungskatalog der GOÄ bzw. auch dem der gesetzlichen Krankenkassen erleichtert bzw. beschleunigt werden. Die Befragung der Verbände und Krankenkassen hat jedoch keinerlei Anhaltspunkte für derartige Beweggründe geliefert. Vielmehr wurde bestätigt, dass ein einheitliches und niedriges analoges Abgriffverfahren keinen Einfluss auf die Aufnahme in einen Leistungskatalog habe. So liegt auch hier der Verdacht nahe, dass die Vorgaben einheitlicher Analogziffern eher dafür eingesetzt werden, für wenig bekannte und nachprüfba264 So Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung, in Z Kardio190:152 (2001). 265 Vgl. 2. Kapitel: B. 11. 2. c). 266 Vgl. 2. c).
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4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
re Behandlungsformen annähernd gleiche und gleich hohe Gebührenliquidation zu erzielen. Dadurch wird bei den Kostenträgern zugleich der Eindruck erweckt, als wäre eine Abrechnung auf niedrigerem Gebührenniveau ausgeschlossen. Eine sanktionslose Umgehung des Kartellverbotes lässt sich daher nicht durch eine Tatbestandsreduktion des § I GWB aufgrund eines höherrangigen Interesses rechtfertigen. 4. Bewirken bzw. Bezwecken der Umgehung des Kartellverbotes
Viele Ärzte und Verbände fordern einheitliche und von den Kostenträgern akzeptierte Abrechnungshilfen, um Unsicherheiten bei der Gebührenliquidation zu vermeiden. Bei den von den Berufsverbänden und insbesondere der BÄK herausgegebenen Analogempfehlungen kann daher in der Regel davon ausgegangen werden, dass sie ein einheitliches Liquidationsverhalten auch bewirken. Sollte den Empfehlenden lediglich eine entsprechende Absicht nachzuweisen sein, so genügt dies zur Tatbestandsverwirklichung des Empfehlungsverbotes, da seit der Sechsten GWB-Novelle der gewünschte Empfehlungserfolg in der Variante des Bezweckens einer Umgehung nicht tatsächlich eingetreten sein muss bzw. nachgewiesen werden muss 267 • 5. Vorsatz
Beim vorsätzlichen Handeln ergeben sich grundSätzlich keine Unterschiede zu den Ausführungen bezüglich der Schwellenwertempfehlungen268 . Lediglich bei verbandsunabhängigen Abrechnungsempfehlungen von Privatpersonen, die meist in Form von Kommentaren erscheinen269 , könnten Zweifel am neuerdings geforderten Koordinierungswillen bestehen27o • Die Autoren müssten nicht nur die Beeinflussung, sondern auch die Koordinierung eines gleichförmigen Verhaltens der Adressaten bezwecken. Ein solches Interesse dürfte den überwiegend rein wissenschaftlich orientierten Verfassern meist fehlen. Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle, in denen die Abrechnungsempfehlungen einem Verband zugerechnet werden können271 , da sich hier die Koordinierungsabsicht in der Regel aus standespolitischen Erwägungen ergibt.
Vgl. 2. Kapitel: B. II. 3. f). Ygl. B. 6. 269 Ygl. IV. 5. 270 Ygl. BGH v. 22.3.1994 - KYR 23/93 - Mustennietvertrag, BGHZ 125, 315 = WuWfE BGH 2923 =NJW 1994, 1728. 271 yg l. IY. 5. 267 268
D. Ergebnis und abschließende Bewertung
189
6. Ergebnis
Analogempfehlungen, die über die Beratung von Einzelfallen hinausgehen, beschränken die individuelle Honorarliquidation des Arztes in einem berufsrechtlich nicht mehr gerechtfertigten Maße, unabhängig von der rechtlichen oder standespolitischen Stellung der jeweils handelnden Ärzteorganisation. Der Anwendungsbereich kartellrechtlicher Verbote ist insoweit eröffnet. Alle Maßnahmen, die die Abrechnung nach bestimmten Analogziffern nahe legen und vereinheitlichen (wollen), sind geeignet, als Umgehung des Kartellverbotes durch gleichförmiges Verhalten gegen das kartellrechtliche Empfehlungsverbot zu verstoßen. Spezielle gesetzliche Bereichsausnahmen sowie die Ausnahmeregelungen der §§ 22 Abs. 2 bis 3, 23 GWB greifen nicht ein272 .
D. Ergebnis und abschließende Bewertung Die vorausgegangenen Untersuchungen haben die These bestätigt, dass viele Ärzteverbände in kartellrechtlich unzulässiger Weise die private Gebührenliquidation ihrer Mitglieder beeinflussen, indem sie mit Empfehlungen bestimmter Steigerungsfaktoren und der einheitlichen Vorgabe von Analogziffern das Abrechnungsverhalten der Ärzte gleichförmig koordinieren, ohne dass diese Vorgehensweise vom Vorrang des staatlichen Gebührenrechts legitimiert wäre. Die Konfrontation mit dem Vorwurf eines Verstoßes gegen § 22 GWB hat nicht nur bei den direkt vom Verbot betroffenen Verbänden, sondern auch bei den Ärzten und privaten Krankenkassen Unverständnis hervorgerufen. Überraschend ist dabei lediglich die Reaktion der Krankenkassen, die bis heute offensichtlich keinen Handlungsbedarf sehen, die bisherige Empfehlungspraxis der Ärzteverbände zu beanstanden. Dabei sind es gerade die Kostenträger, die durch ein über das zulässige Maß hinaus aufeinander abgestimmtes Abrechnungsverhalten der Ärzte bei Analogbewertungen und Steigerungssätzen unmittelbar geschädigt werden. Warum man sich mit der einheitlichen Abrechnung nach dem Schwellenwert abgefunden hat, ohne die von der GOÄ zwingend vorgeschriebene individuelle Ausschöpfung des Gebührenrahmens zu fordern, bleibt nur zu vermuten273 . Die ablehnende Reaktion der Ärzte ist hingegen verständlich, da niemand freiwillig und uneigennützig auf die Pfründe eines vom Staat und seinen Behör-
272
Vgl. 2. Kapitel: B. IV.
273 s.O.
190
4. Kapitel: Schwellenwert- und Analogempfehlungen
den tolerierten wettbewerbsfreien Berufslebens verzichten möchte274 • Im Zusammenhang mit den Analogbewertungen sind die Ärzte letztlich auch diejenigen, die am stärksten unter dem Versagen der staatlichen Gebührenordnung mit deren hoffnungslos veraltetem Leistungsverzeichnis leiden. Sie haben daher nur wenig Verständnis dafür, dass in Zeiten, in denen sie immer häufiger mit den Kostenträgern bzw. deren Sachbearbeitern275 um die Erstattung von Analogziffern ringen müssen, die einzige Hilfestellung in Form von allgemein anerkannten Abrechnungsvorschlägen aufgrund eines Verstoßes gegen § 22 GWB verboten sein soll. Insoweit muss den Analogempfehlungen unabhängig von der kartellrechtlichen Beurteilung zugestanden werden, dass sie tatsächlich in gewissem Umfang zu mehr Rechtsfrieden bei Abrechnungsproblemen und -streitigkeiten beitragen. Diese Erwägungen rechtfertigen jedoch keinen großzügigeren Maßstab an den Vorrang des Berufsrechts und die Anwendbarkeit des GWB gegenüber anderen Bereichen. Der Ausschluss des freien Wettbewerbsprinzips bleibt eine Ausnahme von der Regel der grundSätzlichen Wettbewerbsfreiheit und nicht umgekehrt. Das Kartellrecht darf nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass die staatliche Gebührenordnung für Ärzte den Anforderungen an den rasanten Fortschritt in der Medizin nicht gerecht werden kann und nur Notlösungen anbietet, die die Interessensverbände dazu veranlassen, in kartellrechtswidriger Weise als Ersatzverordnungsgeber aufzutreten und das Abrechnungsverhalten der Mitglieder zu koordinieren. Der Verzicht auf kartellrechtliche Sanktionen kann vielmehr nur in den engen Grenzen der vom Staat legitimierten Berufsregeln in Gestalt der BÄO und der GOÄ gewährt werden. Durch das Instrument des Steigerungsfaktors wurde zumindest in der Theorie die Voraussetzung für einen Preiswettbewerb und individuelle Preis-LeistungsVerhandlungen zwischen Arzt und Patient innerhalb des Gebührenrahmens geschaffen. Die Gefahr, dass der Arzt seinen Patienten systematisch finanziell ausbeutet oder ihm zu Niedrigstpreisen mindere Qualität anbietet, wird hinreichend durch die Vorgabe von Mindest- und Höchstwerten verhindert. Soll dieses Prinzip nicht gelten, müsste man konsequenterweise jede individuelle Gestaltungsmöglichkeit bei der privaten Honorarberechnung durch den Arzt verbieten und ein aus dem EBM bekanntes Festbetragssystem einführen. Momentan versuchen die Interessensverbände jedoch mit allen Mitteln, den Arzt entgegen dem von ihm geleisteten Eid des Hippokrates in seiner selbständigen und selbstverantwortlichen privaten Gebührenliquidation zu beeinträchtigen.
274 Vgl. MichalskilRömermann, AnwBl 1996,191 (201); Römermann, MDR 1998, 1149 (1150). 275 Der Umstand, dass es sich dabei oftmals nicht um Ärzte handelt, verschärft den Konflikt weiter.
Fünftes Kapitel
Zusammenfassung Die zunächst allgemein gehaltene Untersuchung über die Bedeutung des kartellrechtlichen Empfehlungsverbotes in den Freien Berufen hat zu dem Ergebnis geführt, dass viele der standesrechtlichen Vorschriften und Maßnahmen grundsätzlich geeignet sind, gegen § 22 GWB zu verstoßen. Zwar hat der Staat an vielen Stellen die Anwendung des GWB ausgeschlossen, indem er entweder selbst wettbewerbsbeschränkende Berufsregeln in Form von Gebühren- und Berufsordnungen erlassen hat oder die öffentlichrechtlichen Kammern ermächtigt wurden, die Pflichten der Standesmitglieder weiter auszuformulieren; dennoch kann der Anwendungsbereich des Kartellrechts nicht pauschal ausgeschlossen werden. Als Unternehmensvereinigungen verstoßen die privaten Standesorganisationen, zu denen auch einige als Kammer firmierende überregionale Verbände zählen, immer dann gegen kartellrechtliche Verbote, wenn sie mit ihren Maßnahmen über das bloße Wiederholen von staatlichen bzw. staatlich legitimierten Berufsregeln hinausgehen und den Wettbewerb zusätzlich beschränken. Bei den staatlichen Berufskammern muss zwischen hoheitlichem und privatrechtlichem, d.h. wirtschaftlichem Handeln unterschieden werden. Nur im ersten Fall bleibt das Kartellrecht außen vor und die Eigenschaft als Unternehmensvereinigung nicht erfüllt. Hierbei ist einer restriktiven Auslegung der Vorrang- bzw. Rechtswidrigkeitsformel zu folgen, sodass ein hoheitliches Handeln der Kammer immer dann ausgeschlossen ist, wenn die Maßnahme formell oder materiell rechtswidrig ist, ohne dass es auf einen besonders schweren oder offensichtlichen Kompetenzverstoß ankommt. Die Untersuchungen der einzelnen Empfehlungseigenschaften in Gestalt der Einseitigkeit, rechtlichen Unverbindlichkeit und des Beeinflussungswillens haben gezeigt, dass bei Anwendbarkeit des GWB in einer Vielzahl der Fälle das kartellrechtliche Empfehlungsverbot des § 22 Abs. 1 Satz 1 GWB in Form der Umgehung des Kartellverbotes des § 1 GWB einschlägig ist. Bei genauer und differenzierter Betrachtung der gesetzlichen Kriterien sowie der Abgrenzung zu anderen kartellrechtlichen Verboten gilt dies nicht nur für Empfehlungen im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs, sondern auch für den bis heute weitgehend unbeachteten Bereich scheinbar rechtsverbindlicher aber unwirksamer Berufsregeln bzw. ,,Beschlüsse", die entweder auf keiner bzw. einer rechtswidrigen Ermächtigungsgrundlage beruhen oder ihrerseits rechtswidrig sind.
192
5. Kapitel: Zusammenfassung
Die Entdeckung des europäischen Kartellrechts für die Freien Berufe wird entgegen aktueller Tendenzen nicht zum Ende des Standeswesens und seiner Berufsregeln beitragen, da mittlerweile auch die Kommission die besondere Stellung und Bedeutung der Freien Berufe und ihre Funktion für die Daseinsvorsorge erkannt hat. Auch wenn der Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG zunächst über den des nationalen Kartell- und Empfehlungsverbots hinausreicht, indem er sowohl das untergesetzliche Standesrecht von Kammern, als auch unmittelbare staatliche Berufsregeln in Form von Gesetzen und Verordnungen über die Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue erfasst, so gilt auch hier der Grundsatz, dass in jedem Einzelfall abzuwägen ist, ob die wettbewerbsbeschränkende Verhaltensnorm unverzichtbare Voraussetzung für die Qualität von freiberuflichen Dienstleistungen und den Verbraucherschutz ist. Dabei kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass künftig auch das ein oder andere Tabu vor traditionsreichen nationalen Standesregeln gebrochen werden muss, um eine Behinderung des zwischenstaatlichen Dienstleistungsverkehrs ausschließen zu können. Die kartellrechtliche Bewertung konkreter Beispiele aus der privatärztlichen Gebührenliquidation hat ergeben, dass sowohl Schwellenwertempfehlungen als auch Analogempfehlungen das Abrechnungsverhalten der Ärzte über das berufsrechtlich legitimierte Maß hinaus beeinflussen und den Anwendungsbereich des GWB eröffnen. Soweit es unabhängig von der Berücksichtigung der Besonderheiten jedes konkreten Einzelfalles möglich ist, die verbandsrechtlichen Maßnahmen anhand der Empfehlungseigenschaften und der übrigen objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des Empfehlungsverbotes zu überprüfen, können diese Maßnahmen als kartellrechtswidrig bezeichnet werden. Ausgenommen sind lediglich Stellungnahmen, die sich in kartellrechtlich unbedenklicher Weise auf die Beeinflussung des Einzelfalls beschränken. Mit der Kartellrechtswidrigkeit von Analog- und Schwellenwertempfehlungen wird jedoch nicht die GOÄ an sich in Zweifel gezogen. Eine staatliche Gebührenordnung ist notwendig, um die Vertrauenswürdigkeit, das ärztliche Können, die Qualität der Leistungen und das Sozialstaatsprinzip zu garantieren sowie dem Arzt ein angemessenes und leistungsgerechtes Honorar sicherzustellen. Ob allerdings die GOÄ in ihrer jetzigen Form angesichts ihrer Inflexibilität, ihrer hoffnungslosen Veralterung und der willkürlichen Vorgabe relativer Preise für individuell unterschiedliche Krankheitsbilder tatsächlich geeignet ist, dem Schutz der Patienten zu dienen, ist eher fraglich. Auch wenn der Verbraucherschutz und die besondere Verantwortung der Freien Berufe für die öffentliche Daseinsvorsorge eine Einschränkung des freien Wettbewerbs rechtfertigen, so gilt der allgemeine Grundsatz, dass staatliche bzw. staatlich legitimierte Eingriffe nur insoweit gerechtfertigt sind, als dass die Kräfte des Marktes gebändigt und ordnungspolitische Weichen gestellt werden müssen. Es kann aber auf Dauer keinem Angehörigen eines Berufes dienlich
5. Kapitel: Zusammenfassung
193
sein, in einer überreglementierten und bevormundeten Welt leben und arbeiten zu müssen. Dabei schließen sich Verbraucherschutz und freier Wettbewerb keineswegs aus. Der Nationalökonom und Wirtschaftsliberalist Adam Srnith 1 formulierte schon 1776: ,,Der Verbrauch allein ist Ziel und Zweck einer jeden Produktion, daher sollte man die Interessen des Produzenten eigentlich nur soweit beachten, wie es erforderlich sein mag, um das Wohl des Konsumenten zu fördem,,2. Wenn aber alles Vertrauen in den Verbraucherschutz auf den Staat oder die mittelbare Staatsverwaltung gesetzt wird und Märkte überreguliert werden, hindert dies den Verbraucherschutz eher, als dass er gefördert wird. So geht schon die Monopoltheorie davon aus, dass wettbewerblich organisierte Märkte gerade im Dienste der Kunden stehen. Auch wenn die Freiberufler nicht das in letzter Zeit verstärkt heraufbeschworene Ende des Standeswesens befürchten müssen, so sollten sie dennoch bereit sein, auch althergebrachte Praktiken und Privilegien aufzugeben, um den sich stetig wechselnden Anforderungen an ein verbraucherschützendes, zugleich aber auch wettbewerbsorientiertes Berufssystem gerecht zu werden.
Vgl.I. Schmidt, Wettbewerbs politik und Kartellrecht, S. 3 f. "Consumption is the sole end and purpose of all production; and the interest of the producer ought to be attended to, only so far as it may be necessary for promoting that of the consumer.", Smith, An inquiry into the nature and causes of the wealth of Nations (Der Wohlstand der Nationen), 4. Buch, 8. Kapitel (Schlussbemerkungen zum Merkantilismus). I
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Jahrtausend,
Sachverzeichnis Abdingungserklärung: 138f., 152f. Abgestimmte Verhaltensweise: 60, 63ff., 84ff., 115, 152f., 189 Abrechnungsempfehlung: 142ff. Abrechnungshilfe: 160 139, 171f., 174, 188 Abrechnungsniveau: 150, 161 143 Abschottung: 109, 125 Absprachen: 40f., 60, 72, 93, 98, 103, 106, 153, 167 Abweichende Honorarvereinbarung: 135, 139, 151, 165 Adressat: 36, 51, 65ff., 81 219 , 90, 117, 154ff., 185ff. Akzessorietät: 76, 160, 163, 187 Ambulante Behandlung: s. Ambulanz Ambulanz: 129 Analogberuf: 23 Analogbewertung: 132ff., 165ff. Analogempfehlungen: 165ff. Analoges Abgriffverfahren s. Analogbewertung Analogverzeichnis: 171 ff., 183ff. Angestellter: 22, 26 26 , 93 285 , 130 Antizipativer Konsens: 85 Apotheker: 225, 24 17 Apothekerkammer: 29 47 Architekt: 21,227.9,2312,2418,25, 3479 ,35, 145 Architektenkammer: 26 29 , 29 Arzneimittel: 5261 , 7i 97 , 127, 175, 186f. Arzneimittelbudget: 186 Arzt: 21, 50, 71, 128ff. ärztliche Kunst: 129, 169 Austauschbeziehung: 77 Austrittsrecht: 85 Bauingenieur: 24 18 Bausicherheit: 71
Bedarfsmarktkonzept: 164 157 Beeinflussungsabsicht s. Beeinflussungswille Beeinflussungswille: 72ff., 90, 154ff. Begründungsschwelle: 136, 148, 162 Beihilfe: 103 37 , 130ff., 172, 182 240 , 183 Bereichsausnahme: 63, 91f., 10441 , 117,118 111 ,189 Berufsausübungsregel: 34ff., 98, 102, 125 Berufsgeheimnis: 102 Berufskammer: 25, 27 36, 36ff., 59, 71, 101,113,117,191 Berufsordnung: 25, 27ff., 51, 64, 68, 83ff., 99, 102, 111 78 , 112, 114, 124 143 ,171,184,191 Berufspflicht: 29f., 36, 68f., 141 Berufsrecht: 17f., 22,25, 32, 33ff., 43ff. Berufs- und Fachverbände: 17, 19, 30f., 38, 40f., 59, 77, 141ff., 164, 170, 173ff. 179f. Berufsvereinigung s. Untemehmensvereinigung Berufszulassungsregel: 34f., 99 Beschluss: 22 10 , 57, 64, 86ff., 113, 115, 115 99f , 122 Bildberichterstatter: 21, 23 12 Binnenmarkt: 18, 98f., 107 Blankoformular: 155 Buchprüfer: 23 12 , 29 46 Bundesapothekerkammer: s. Apothekerkammer Bundesarchitektenkammer s. Architektenkammer Bundesärztekammer: 19 3, 26 29 , 40, 64, 128, 133, 141, 144, 151, 171ff., 180ff. Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen: 131 18 , 168
208
Sachverzeichnis
Bundesingenieurkammer s. Ingenieurkammer Bundeskammer: 28ff., 38f., 46, 48 Bundesmantelvertrag: 129 Bundesnotarkammer s. Notarkammer Bundesrechtsanwaltskammer s. Rechtsanwaltskammer Bundessteuerberaterkammer s. Steuerberaterkammer Bundestierärztekammer s. Tierärztekammer Bundeszahnärztekammer: s. Zahnärztekammer Bürgerrecht: 99 Chefarzt: 1296 , 139 cornfort letters: 105, 10967 , 110 conditio si ne qua non s. Kausalzusammenhang Daseinsvorsorge: 27,29,31,98,192 Dentist: 23 12 ,23 15 Deregulierungskommission: 31, 14692 Dezentralisierung: 105 Diagnostikverfahren: 165 Dienstleistung: 23 15 , 25, 31ff., 40, 78, 97ff., 108, lllf., 115, 119ff., 124f., 130 15 , 145f., 192 Dienstleistungsfreiheit s. Dienstleistung Dienstleistungsmarkt s. Dienstleistung Dienstleistungsqualität s. Dienstleistung Dienstleistungsverkehr s. Dienstleistung Dienstvertrag: 129 DIN-Norm: 94 Diplomanerkennungsrichtlinie: 108 Dispositivtaxe: 131 22 Disziplinargewalt: 68 Disziplinarmaßnahme: 68 Dolmetscher: 23 12, 25 Druckverbot: 62, 69, 79 Dumping: 32,146,177 Einheitlicher Bewertungsmaßstab für die ärztliche Leistung (EBM): 129f., 132f., 140, 149f., 164, 165, 168, 174207 , 191
Einheitsgebühr: 59, 14064 Einzelleistungsvergütung: 134 Empfängerhorizont: 73f., 157 Empfehlender: 79 Empfehlungen - Begriff: 64ff. Empfehlungsadressat: 43, 66 136 , 69, 73f., 77ff., 160, 163 Empfehlungsempfänger s. Empfehlungsadressat Empfehlungsverbot: 17f., 21, 25f., 43, 45, 58, 6lff., 80ff., 115ff., 123, 128, 137, 143, 160, 165, 172, 176f., 188f., 191f. Erlaubnisvorbehalt: 106 Ermessen: 87 25 °,118,137,151,178 Erprobungsmodelle: 168 Ersatzkasse: 130 13 EU-Kommissar: 98, 14692 EU-Kommission s. Kommission EU-Richtlinie: 99 Europäische Union: 97 Europäisches Patentamt: 102, 120 126 Facharzt: 27 51 , 50 Fachkongress: 41,153 Fahrlässigkeit: 8lf., 165 faktische Bindungskraft: 68ff., 87, 89, 116 10°,142, 153f., 185 Festhonorar: 34 Formfehler: 57 Freier Beruf: - Begriff: 21 ff. Freistellungsmonopol: 104ff. Gebrauchsmuster: 102 Gebühren-lHonorarabrechnung s. Gebührenliquidation Gebührenliquidation: 18, 35, 39ff., 64, 75,78,83,127,134, 137ff., 19lff. Gebührenordnung: 25, 30, 33ff., 48, 50, 64, 98f., 101, 103, 115, 122, 125 149 , 128ff., 138, 145ff., 17lf., 176f., 181, 190, 192 Gebührenordnungsausschuss: 172 Gebührenposition: 132, 134, 154, 167, 170, 179 Gebührenrahmen: 19, 132, 134ff., 147ff., 164ff., 178f., 190
Sachverzeichnis Geldbuße: 95 Gemeinwohl: 3267 , 49f., 52, 55, 111, 119, 125 Genehmigungssystem: 105f., 118 Generaldirektion Wettbewerb: 99, 105 Gentlemen's agreement: 65, 84 232 , 88 256 Geschäftsbedingung: 77 Geschäftsführung ohne Auftrag: 1299 Geschäftsordnung: 88 Gesellschaftsvertrag: 88 Gesetzgeber: 23f., 27, 34ff., 44, 49, 66ff., 78, 87, 132, 143, 146, 149, 177,184 Gesetzgebungskompetenz: 29, 35, 49 Gesetzliche Krankenkasse: 50, 130ff. Gesetzliche Krankenversicherung: 5261 Gesundheit: 31ff., 50, 58, 71, 91, 98, 111,119,124,127,131,146,149, 154, 160f., 172, 178, 187 Gewerbe: 22ff., 40, 44, 94, 98, 102, 108,125,143,145,175 Gewerbesteuerpflicht: 22f. gleichfönniges Verhalten: 36ff., 70, 75ff., 79 204, 81 219 , 85, 95,137,140, 143,150, 160ff., 165, 177ff., 187ff. Globalisierung: 71 161 ,97 Großbetrieb: 93f. Grundfreiheit: 104 Gruppenfreistellung: 104ff., 116ff. Gruppenfreistellungsverordnung s. Gruppenfreistellung Güterabwägung: 58f., 187 Handelshindernis: 97 Handelsstufe: 77f. Handwerk: 22ff., 26 Hartmannbund: 26,14273 ,174 208 Hausarztmodell: 50 Hebamme: 23 15 Heilberuf: 22, 29f., 35, 38 105 , 127, 141 Heilmasseur: 23 15 Heilpraktiker: 23 12 , 25, 28 39 , 83 228 Höchsthonorar: 140, 155 Höchsttarif: 10 1 Hoheitsakt: 26 Honorarliquidation s. Gebührenliquid. Honorarordnung, s. Gebührenordnung
209
Informations- und Kommunikationsberuf: 22 Informationsbeschaffungsfreiheit: 70, 154 Informationsfreiheit: 154 Ingenieur: 22 7. 9, 23 12 , 23 15 ., 24 18. 25, 3054 ,31,35,71,83,145 Ingenieurkammer: 1629,2629,2948, 3056,3689,39,64,83225,153120 Inkohärenz: 10648 Innungskrankenkasse: 130 13 Integrität: 100, 120 Irreführende Werbung: 100, 102 Journalist: 23 12 , 28 39 Jugendschutz: 58 Kalkulationsempfehlung: 77 Kammer s. Berufskammer Kammergesetz: 28, 36,48 Kammerrecht: 33ff., 51ff., 86,112, 144 Kartellverbot: 17f., 43, 58, 63 117 , 65, 70, 75f., 80f., 83, 88ff., 93, 102, 104ff., 109f., 114ff., 123, 128, 160ff., 187ff., 191 Kassenärztliche Bundesvereinigung: 129,132 Katalogberuf: 23 Kausalzusammenhang: 78,161, 163ff. Kohlenplatzhandel-Entscheidung: 64, 72 Kollektivhaftung: 86 Kommission: 18, 31, 68, 98ff. Konditionenbindung: 77 Konditionenempfehlung: 62, 94ff. Konzern: 46 Koordinierungswille: 73, 80ff., 165, 188 Körperschaft des öffentlichen Rechts: 26ff., 38f., 47f., 51, 55, 113,141, 180 Kostenerstattung: 130 15 , 159 Kostenerstattungsträger: 131 Krankengymnast: 23 12, 25 Krankenhaus: 129f., 133 3°, 140, 178 Kulturberuf: 22 Landeskammer: 28f., 39,185
210
Sachverzeichnis
Landwirtschaft: 24 16 , 91 275 ,104 41 ,117, 130 13 Legalausnahme: 106, 118 Legitimation: 33, 36f., 51, 53, 57,143, 151, 178, 181ff. Leistungsvergütung: 56, 134 Leistungsverzeichnis: 132ff., 146ff., 156,160, 165ff., 176ff., 190 Leistungswettbewerb: 17, 50, 146 Liberalisierung: 32,91 277 , 99f., 124ff. Liberalismus: 22 Lieferungsbedingung: 94
Marke: 102 Markenrecht: 102 Markenware: 92,116 105 ,143 79 Marktfreiheit: 99 Marktzugangsschranke: 102 Medizinisch-technische Leistung: 135 Meinungsäußerung: 70ff., 90 Meinungsfreiheit: 70, 154 Meldepflicht: 141 Mindestgebühr: 102, 120 Mindesttarif: 120 Mittelstand: 94 Mittelstandsempfehlung: 41 114 , 62,85, 92ff. Mittelstandsförderung: 95 Mittelstandskartell: 40 114 Mittelstandsschutz: 93 Mittelwert: 162 Mittelwerttheorie: 151 monitoring: 33 71 Musterberufsordnung: 29, 39, 64,171 Mustermietvertragsfall: 73, 80f., 165
öffentlichrechtliche Berufskammer s. Berufskammer öffentlichrechtliche Körperschaft s. Körperschaft des öffentlichen Rechts ornnimodo facturus: 161 Ordnungsfunktion: 181 Ordnungswidrigkeit: 62, 73, 81 f. ordoliberale Schule: 33 Ortskrankenkasse: 130 13 outsourcing: 31 62 Patentanwalt: 23 12 ,25,29, 101,200 Patentanwaltskammer: 2946 Patient: 3If., 50, 63,108, 128ff. Pauschalhonorar: 4945 , 138f., 152, 155 Peer-Review-System: 33 7 1, 101 per se-Verbot: 10440 Pflichtmitgliedschaft s. Zwangs mitgliedschaft Plakatwerbung: 92 282 Preisabsprache s. Absprache Preis autonomie: 147ff., 175ff. Preisbindung: 77, 145 88 Preisempfehlung: 77ff., 92, 116, 138 Preisgestaltung: 98f., 14692 , 150 Primärverbot: 163 Privatärztliche Gebührenliquidation s. Gebührenliquidation Privatautonomie: 26,49,83, 122, 125, 128, 146 Private Krankenkasse: 130, 139, 141, 148,159, 161f., 170, 183, 185, 187, 189 Private Krankenversicherung: 131, 137, 139, 167f., 172, 180 Privatliquidation: s. Gebührenliquidation Privatpatient s. Patient Psychologe: 23 15 , 25 Publikation: 88 25 °, 152, 172
Negativattest: 102, 109f. Netzhautchirurgie: 169 Niederlassungsbeschränkung: 50f. Niederlassungsfreiheit: 97 Niederlassungsrichtlinie: 108 Normenempfehlung: 62, 94f. Notar: 22 6 , 23 l2 , 25, 28 43 , 35, 446 Notarkammer: 29, 38 106
Qualität: 22, 31ff., 43, 98ff., 119ff., 132, 146, 177f., 190, 192 Quersubventionierung: 145
Objektiver Empfängerhorizont s. Empfängerhorizont
Rationalisierungseffekt: 94 Ratschlag: 67
Sachverzeichnis Rechtmäßigkeitsprüfung: 87 250 Rechtsanwalt: 21, 23 12, 25, 3268 , 93 285 , 145 Rechtsanwaltskamrner: 23 15 , 29, 37, 113 Rechtsaufsicht: 28, 121, 142 Rechtsetzungsbefugnis: 113 Rechtsetzungsverfahren: 87 250 Rechtsgut: 58f., 146 Rechtspflege: 31, 111, 119 Rechtssicherheit: 172, 181, 185 Rechtswidrigkeitsformel: 54ff., 191 Regelspanne: 135, 151 Regionalkamrner: 28f. Richtlinie: 37f., 63, 87 250 , 99, 10020 , 102,108 Rigidität: 161, 167 rule of reason: 10440 Satzung: 27, 29f., 33ff., 51, 55 76 , 57, 64,67, 83ff., 89260 , 113, 116 100 , 144 Satzungsautonomie: 27 31 , 36 Satzungskompetenz s. Satzungsautonomie Schadensersatzanspruch: 105 Schönheitsoperation: 129 Schulmedizin: 130, 165 Schutzrecht: 102 Schwellenwert: 127ff. Schwellenwertempfehlung: 64, 127ff. Schwellenwertfaktor: 135, 138 Schwierigkeitsgrad: 135ff., 150ff. Selbstverwaltung: 26ff., 33ff., 51, 113, 121 Sozialberuf: 22 Sozialstaatsprinzip: 145, 192 Spürbarkeit: 77 192 , 112, 153, 163f. Staatsaufsicht: 56 Standesorganisation: 17ff., 39ff., 59ff. Standesrecht: 33ff. Standesregel s. Standesrecht Standesvertretung: 25, 68, 83,90, 115 Steigerungsfaktor: 19, 134ff. Steuerberater: 22 6 , 23 12 , 25, 35 Steuerberaterkamrner: 29, 35 struktureller Nachteilsausgleich: 93 subjektiver Tatbestand: 80 Subordinationsverhältnis: 85
211
Subsidiaritätsprinzip: 107ff. Tariftabelle: 102 Tatbestandsreduktion: 47, 58, 160f., 187f. Tatsachenäußerung: 70ff., 80, 90, 147f., 154 Tierarzt: 23 12, 25 Tierärztekamrner: 2948 Transparenz: 94, 120, 125, 134, 172 Typenempfehlung: 62, 94f. Überschießende Innentendenz: 79 205 , 163 Übersetzer: 23 12 Umgehung: 70, 75ff., 160ff. Umweltberuf: 22 Umweltschutz: 58 Unparteilichkeit: 100, 102, 120 Unterlassungsanspruch: 105 Unternehmen: - Begriff: 43ff. - funktionelle/institutionelle Unternehmensbegriff: 44,47, 51, 11Off. Unternehmensberater: 22 6,25,14692 Unternehmensvereinigung: - Begriff: 43ff., 81, 85ff., 101, 109ff., 143ff., 191 Untersagungsverfügung: 109, 118 Unverbindliche Preisempfehlung für Markenwaren: 92,116 105 ,143 79 Verbraucherschutz: 32f., 99,111, 119, 121, 125, 146, 192f. Verfahrens fehler: 57 Verfassungsmäßigkeit: 49 Verfassungsrang: 49, 122 Verhältnismäßigkeit: 49, 125 Vermessungsingenieur: 22 7, 23 12 ,23 15 Verordnungsgeber: 33f., 49, 131 21 , 133, 148ff., 162, 172, 176ff., 184ff.,191 Verrechnungsstelle: 3056 , 16i 47 Versicherungsbedingung: 131 17 , 167 Versicherungsvertrag: 130 Vertrags theorie: 84 Vertragsverletzungsverfahren: 101 Vertrauensverhältnis: 22, 31, 146
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Sachverzeichnis
Verwaltungsakt: 46, 51, 56, 64, 67, 86, 144 Verwaltungsrechtsweg: 56 Verwaltungsschreiben: 105, 109 67 Vorlageverfahren: 103 Vorrangformel: 53ff. Vorrangprinzip: 107 Vorsatz: 72, 80,90,164,188 Währungsraum: 97 Weinanalytiker: 21 Werbeverbot: 25, 36, 50, 59, 61 109 , 63, 83 228,92 Werkvertrag: 129 Wettbewerbsfähigkeit: 103 37 , 10438 Wettbewerbspolitik: 72, 99ff. Willenserklärung: 73 Wirtschaftsprüfer: 226, 23 12, 25, 29, 2946,3163,32,4837,101
Wirtschaftsprüferkammer: 29 46 , 33 71 Zahlungsbedingung: 94 Zahnarzt: 23 12 , 128 4 Zahnärztekammer: 159 137 Zeitaufwand: 135ff., 148, 150ff., 169, 170,178 Zentraler Konsultationsausschuss: 171, 174,181 Zollspediteur: 10 I, 122 Zwangsmitgliedschaft: 26, 28, 38, 40, 45,47,50,86,112 Zweckmäßigkeitskontrolle s. Zweckmäßigkeitsprüfung Zwangs verbot: 62, 69f., 116 Zweckmäßigkeitsprüfung: 24, 28, 87 250 Zweiklassensystem: 149 Zwischenstaatlichkeitsklausel: 105 43 , 107